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,3iirrfjcr 51ette Samstag/Sonntag, 3ntm% WOCHENENDE 21.Z22. februar 1976 Nr. 43 61

Butte, Montana

Hoboken, Jersey Hoboken, New Robert Frank, Photograph Von Hugo Loetsohor

Stiftung Kompromisslosigkeit längst Vielbeschäftigten und Hochbezahlten zeigen. Er war Ende der vierziger Jahre in Peru Die erste Photoausstellung, welche die Diese hat Frank einem der Mythos gibt geboren, gereist, daraus hatte sich eine heute Photographie Erweiterungsbau des Zürcher zu einem kleinen werden lassen. Es seines Faches zu werden. 1924 in Zürich und Bolivien für im gesuchte «Ncuf» er- durchführt, jcwid- bei ihm eine Radikalität, die um so mehr über- absolvierte Frank seine Lehre bei Hermann sehr Nummer der Zeitschrift Kunsthauses ist Robert Frank Wolgensinger geben, Ausstellung rascht, als er zwar zu den führenden Photo- Eidenbenz in und bei Michael und diese Nummer wiederum war die mct. Man kann diese als eine Ver- Standphotograph Grundlage «Indios», graphen gehört, mehr als in Zürich und war kurze Zeit als für einen Band über dessen pflichtung ansehen. Frank, der zu den führenden unserer Zeit aber seit Mancssc-Vcilag photographier!; tätig. Als er 1947 deutsche Ausgabe seinerzeit im Photographen von heute gehört, gilt als einer ihrer fünfzehn Jahren kaum mehr bei der Gloria-Film in Zürich privaten ging, sogleich als Modc- (Zürich) herausgekommen ist, allerdings durch kompromisslosesten Vertreter. höchstens im kleinen Kreis oder im Rah- in die USA konnte er photograp'i «Harpers arbeiten; von und Verger er- sagte men greift er noch zur Kamera. für Bazar» er Aufnahmen «Photographie ist eine einsame Reise», jungen wichtigster gänzt. einzige Weg, auch, dass die Aufnahmen, die wurde in Jahren Mitarbeiter er einmal. «Das ist der den ein So kommt es Ausstellung sind, praktisch Illustrierter wie «Look» und «Life». All das sah gibt aber aus der Frühzeit ein kleines Werk, schöpferischer Photograph gehen kann. Es gibt an dieser zu schen Es gemacht wurden; nach einer glänzenden Karriere aus, um die sich trägt, Kompromisse; wenige Photographen alle zwischen 1947 und 1961 das einen Titel der für Frank schon so etwas keine nur erfolglos bemühten; gerade eine Zeitspanne. sich die- andere aber wie ein Bekenntnis darlegt: «Black, White and akzeptieren diese Tatsache. Das ist wahrschein- eine kurze Man erinnert in versagen. Zusammenhang Bemerkung John solche Laufbahn wollte sich Frank Things», ein Titel, den man geradezu philoso- Grund, weshalb wir nur ein paar wirk- sem an eine von lich der sagte, grossen nicht voraus ge- phisch gute Photographen Szarkowski, der einmal dass alle «Meine Aufnahmen sind im zu nehmen hat: «Schwarz und Weiss sind lich kennen.» plant komponiert. Photographie, Photographen nur eine relativ kurze Zeit frucht- oder Und ich setze nicht vor- die Farben der sie sind mir Zeichen Jahren daran ging, ein Standpunkt Verzweiflung Hoffnung, Als Frank vor fünf bar gewesen seien. Szarkowski, der Leiter der aus, dass der Betrachter meinen teilen für die Alternative - der zusammenzustellen, Lines of my Buch «The Pilotabteilung des in wird. Wenn meine Aufnahmen bei ihm aber einen die Menschheit für immer ausgesetzt ist. Fast alle Hand», photographische Autobiographic, zog Ucbcrlegung hinterlassen, Gefühl, Photographie!! zeigen eine New York, schrieb diese in dem Eindruck dann habe ich das meine Menschen. Sie sind photographischen Schaffens. Er os, er Bilanz seines «Looking at Photographe» im Hinblick auf es sei etwas erreicht. Anders aber ist wenn ich einfach gesehen, wie mit den Augen des Mannes Schonungslosigkeit: Buch Auftrag gibt tat dies mit seltener Alfred Stieglitz, einen Photographen, bei dem Im einer Zeitschrift arbeite. Das mir von der Strasse. Die Photographie müss cines Welt, gerade Gegenteil aufzeigen das Gefühl, ein Sdircibknccht oder ein Werbe- Augenblicks.» «Ich schaue zurück in eine die für Szarkowski das wollte. enthalten: das Humane des meine Ideen, meine Ge- ist. Ich denke an eine Zeit, die nie Ohne mit Szarkowski um diesen Satz markten zu zeichner zu sein. Nicht aufschlussreich; immer vorbei fühle, Augen Bild, sondern Diese Konfession ist wenn Photographie!! wollen, es doch etwas Irritierendes, dass tat- meine schaffen das mehr kommt. Ein Buch voll von hat Augen Herausgebers man die Bilder von ihm vor sich hat, wird man Fünfundzwanzig grossen Photographen es den die Gefühle und die des schaut mich an. Jahre Ausschau sächlich bei vielen reproduziert bald feststellen, wie sehr das Schwarze dominiert, richtigen Weg. hat, die Photographie nur für entscheiden, welches meiner Bilder halten nach dem Postkarten von Anschein als habe eine Tatsache also, d!e nach seinen eigenen Aus- Abschnitt ihres Lebens ge- werden soll, um den Bedürfnissen der Zeitschrift überall.» einen beschränkten sagen nicht nur graphische Bedeutung hat. eigenen zu dienen.» deklariert die Aufnahmen so reicht. Photographicren eigener Auffassung Photographie Frank Pholographcn Rückzug Wie er sich das in Seine von aber Postkarten, wie andere Der bei Frank ist um so überraschen- rasch als Photograph Regie vorstellte, Gelegenheit zu konnte er nie so eindeutig demonstrieren der, als dieser alle Chancen hatte, zu hatte Frank alle wie in ihre Bilder zu Meisterwerken erklären.

Neue Zürcher Zeitung vom 21.02.1976 Samstag/Sonntag, Äcfjcr 62 21./22. Februar 1976 Nr. 43 WOCHENENDE 3loif Mtrm$

Indianapolis, Indiana S.S.Maurelania,1952

Retto, Nevada

Beaufort, South Carolina

Long Beach, California , Michigan

Neue Zürcher Zeitung vom 21.02.1976 4 3 / §

3ürd)er leitung Sainstag/Soniildg, 5tatf WOCHENENDE 21./22. februar 1976 Nr. 43 63

seinem Buch «The Americans», das ein Klassiker der modernen amerikanischen Photographie ge- worden ist. Nun waren die Voraussetzungen auch die denkbar besten. Er hatte als erster Ausländer ein Stipendium von der Guggenheim Foundation gekriegt, um die «American scene» zu photogra- phieren. An einer solchen Auszeichnung war ohne Zweifel Eduard Steichen nicht unschuldig; ihn hatte Frank auf einer Europareise begleitet, wo sie Material für die Ausstellung «Postwar Euro- pean Photographers» zusammenstellten. Dank dem Guggenheim-Stipendium war es möglich, während zweier Jahre durch das Land zu fahren und ein Amerika auf die Art in Weiss und Schwarz festzuhalten, wie es ihm entsprach. Was Frank aber am Ende vorwies, war ein Schock. Die USA lebten in jenen fünfziger Jahren einen, man möchte fast sagen, offiziellen Opti- mismus, der Ausdruck eines ungebrochenen Glau- bens an das Do-it-your-self-Glück war. Was Frank aber zeigte, war ein anderes Amerika, ein Amerika der Einsamkeit und der wohlkaschicrten Trauer. begrüsste das Buch auf folgende Weise: «Frank vermittelt uns die Vision eines Amerikas mit ein paar Tranen und ein bisschen Hoffnung in einer kaustischen und leidenschaft- lichen Sprache. Auflauf von Leuten, Trottoir- landschaften, riesige Stadttöpfc, in denen eine Kindheit brodelt, die fast nicht zu leben ist und sich zuweilen teuflisch ausnimmt. Tiefe Ironie gegenüber einer Nation, der sonst ein solches Ge- fühl völlig fremd ist.» Ein solches Lob von Walker Evans musste für , 1950 Frank eine grosse Befriedigung bedeuten, denn er Photographen, selber betrachtete Evans als den der ihn neben dem Engländer am meisten beeinflusst hat. Frank hatte von Evans Photos gesagt, sie hätten ihn an die Devise von Malraux erinnert: «Schicksal in Bewusstsein zu verwandeln». Allerdings waren nicht alle Reaktionen so. fragte Ein Gotthard Schuh zum Beispiel ganz verstört, aber mit uneingeschränkter Bewunde- rung: «Kein Lächeln, keine Blume, keine Vegeta- tion, keine Schönheit. Gequälte und sture Men- schengesichter, eingeklemmt in Maschinenteile, ausdruckslos wartend vor Tanksäulen und in Bus- abteilen, hart und stumpf am Steuer der Fahr- zeuge, gelangweilt in den Karosserien ihrer Luxuswagen . . . Mich erschrecken Deine Auf- nahmen, weil Du darin mit visionärer Wachsam- angehen. keit Dinge aufzeigst, die uns alle Noch überwältigende Darstellung nie habe ich eine so geworden des Menschen gesehen, der zur Masse ist, wenig unterscheidbar einer vom andern, sie alle ziellos wie im luftleeren Raum . . .» Schuh hatte als einer der ersten in der gemacht. Schweiz auf Frank aufmerksam Er hatte dem jungen Photographen bereits 1949 eine Zeitung» gewid- Bildseite in der «Neuen Zürcher ausgestellt, met. Frank hatte auch 1955 in Zürich als Schuh eine Gruppe um sich scharte, und Schuh war es auch gewesen, der Frank 1957 in würdigte. einer Sondernummer der «Camera» Die nächste grosse Reverenz, die Frank in der Schweiz erwiesen wurde, war das «du»-Hcft vom Januar 1962 mit Beiträgen von Willy Rotzler. «The Americans» bedeuteten ohne Zweifel einen Einschnitt. Es ist zwar bezeichnend, dass vor der amerikanischen Buchausgabc eine französische bei Dclpirc (Paris) erschien. Das Buch war inso- jeder fern ein Einschnitt, als von nun an ameri- kanische Photograph «seine Amerikaner» haben wollte. Von nun an ging die Kamera mit einer neuen Radikalität auf die Suche nach der ameri- kanischen Realität. Das Faszinierende bei Frank Coney persön- Phillc River, Tennessee Island aber ist, dass zwar seine Auswahl eine liche gewesen war, aber dass er sich weder auf extreme Situationen noch auf Randexistenzen kapriziert hatte; es war ihm um einen Durch- schnitt gegangen, und gerade dadurch tritt die unheimliche Wirkung ein mit seinen Aufnahmen der Drugstores, der üblichen Festivitäten und Honoratioren, der Musicbox, der Autobusse, der Vorgärten und Strassen. Zur amerikanischen Ausgabe schrieb das Vorwort, er fand in den Bildern eine geniale Bestätigung für sein ambivalentes Verhält- jemand nis zu Amerika; kaum wie er hat seine vorgetra- Liebe zu diesem Land mit solcher Wut gen. Er feierte denn auch bei Frank «den Humor, die Traurigkeit, die Durchschnittlichkeit, die Amcrikanität», und er rief Frank zu: «Du hast Augen mitgekriegt.» Die «beat generation» entdeckte in Robert Frank ihren Photographen; das konnte sie mit Bedeutung Recht, auch wenn damit Franks ein- geschränkt wird. Man kann in ihm nicht nur den Photographen jener Generation sehen, die sich «geschlagen selber als «beat» bezeichnete, als und hundsmüde», und die gleich an den «beat» des Rhythmus dachte und damit alles andere meinte als blosse Resignation. grossen Diese «» hatten sich zum Konformität, gegen Protest versammelt gegen die Denken; ein bloss wirtschaftliches sie stellten dem entgegen und Phantasie und Nonkonformität Subjektivität; kultivierten die sie berauschten sich Arten, der an den Drogen aller so dass am Ende jeder Verpflichtung blieb und Protest ausserhalb subjektives in ein pures Tun mündete. Road» Kerouac hatte damals eben «On the veröffentlicht, «Unterwegs», wo das Pikarfcskc London, 1952 und Landstrcichcrhaftc auf die amerikanische

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Szene der Highways verpflanzt wird, mit einem Helden, der gegen alles Herkömmliche antritt und sich neue Freiheiten sucht. Es war auch Kerouac, der zum ersten Film von Frank das Drehbuch verfasste. Mit von der Partie war die Prominenz, die zum intellektuellen Underground von New York gehörte: , der eben mit «Howl» (Geheul) eine sensationelle Auflage für einen Lyrikband erlebt halte, und auch , der berühmt geworden war mit seinen höhnischen Gedichten über die Atombombe und die Armee. «», der erste Film von Frank, wollte ohne Berufsschauspieler auskom- men; so traten in ihm auch Franks Frau und seine Kinder auf. So sehr es einem einleuchtet, dass Frank als Photograph der Beatniks genommen wurde aus der Retrospektive zeigt es sich noch deut- licher, in welchem Masse sich Frank von einem Kerouac, einem Ginsberg oder Corso unterschei- det: er ist in seinen Photos viel «cooler», nicht pathetisch und dramatisch, von einer Präzision des Ausdrucks und der Aussage, die ihn von der unbekümmerten Stilistik der Beatniks radikal ab- setzt. Nicht so sehr mit seinen Photographien als vielmehr durch seine Filme wurde er zum opti- schen Sprecher der «beat generation». Als Photograph setzte sich Frank stets mit einem Gegenüber, der Gesellschaft, auseinander: diese Konfrontation mit der Gesellschaft weicht beim Filmemacher immer mehr der Selbstinter- pretation und der Selbstbespiegelung, wobei dieses Selbst nicht unbedingt nur ein Individuum zu sein braucht, sondern auch eine Gruppe darstellen Paris, 1949 kann. «About mc a Musical» lautete ein Film, den er 1971 über sein Leben in New York drehte. Und wenn man heute nach Frank fragt, wie es ihm geht und was er macht, wird man erfahren, sofern man überhaupt eine Auskunft erhält, dass er sich gerade in New York eine Schneide- maschine besorgte und sie nach Kanada ver- frachtete, wo er seinen jüngsten Film schneidet die Geschichte eines Mannes, der im Leuchtturm lebt. Es braucht nicht viel Rätselsinn, um zu be- greifen, dass Frank vielleicht nicht seine eigene Geschichte, aber doch seine eigene Situation zur Darstellung bringt. Denn dieser Schweizer, der Amerikaner wurde, hat sich seit längerer Zeit in Kanada verkrochen, in New Scotia. Private Ereignisse haben diesen Entschluss wohl noch bestärkt: die Trennung von seiner Frau, der Tod seiner Tochter, ein schwer- kranker Sohn. Zudem die Erfahrung, dass die «heiligen Barbaren», wie Lipton die «beatniks» genannt hatte, sich mit ihrem Underground immer mehr isolierten und immer weniger ver- pflichtend wurden für die Gesellschaft, gegen die sie angetreten waren. Die Küste von Neuschottland, eine trostlose Küste, ein karger Boden, hier und da ein Telefon- mast das ist die letzte Photo in der bereits er- wähnten Autobiographie «The Lines of my Hand». Aber die Aufnahme wird nicht tel quel wiedergegeben, sondern sie wird zerschnitten und in einer Zickzacklinie montiert abgebildet, einmal im Sommer und einmal im Winter. Und Frank fragt sich und June, die Frau, mit der er zusam- menlebt, eine Bildhauerin: «Wollen wir zurück nach New York? Einfach hier bleiben, das Wetter und die Television anschauen. June sieht eben durchs Mikroskop. Auch ich will etwas tun. Herr- lich, einfach so zu leben.» London Während «The Americans» ein traditionelles Photobuch in dem Sinne war, als einer Reihe von Aufnahmen ein Vorwort vorangestellt wurde, ver- einigt «The Lines of my Hand» Bilder und Texte; hier spielt die optische Bewegung eine Rolle, indem mit Montagen gearbeitet wird. Wie über- zeugend Frank dabei vorgeht, macht er gleich an- fangs klar: da hat man auf einer Seite Schnee- landschaften, die Kuh, den Turnverein oder den Bergbauern und darunter die zwei Zeilen: «Diese Bilder wurden in der Schweiz gemacht. So be- gann ich zu photographieren.» Und dieser Seite steht eine andere gegenüber, welche diese Bilder fortsetzt, bis auf ein paar, auf denen Frank selber auftritt: «Im März 1947 kam ich auf der B. Moore" in New York an. Und das war die Neue Welt, wo ich meinte, glücklich zu werden.» Das vermeintliche Glück, es zieht sich als Thema durch dieses Buch. Es ist «vor allem» seinen Kindern gewidmet, «Pablo und Andrea, die ver- suchten, einen besseren Weg zum Leben zu fin- den». So sehr die Einsamkeit und die Isolation ausgewählten abgeben das Sujet für die Bilder es ist ein Buch, das. inmitten von so viel Schwarz immer wieder die lichten Stellen der Liebe setzt.

<; The Lines of my Hand» ist ein erstaunliches Beispiel Photobuch. Es gibt kaum ein zweites dafür, wie ein Photograph mit ein paar Aufnah- wenigen men und Sätzen ein Leben und ein Werk ja entwirft. Dieses Buch ist eine Bilanz, und als gnadenlos, solche unerbittlich, wenn auch nicht persönlich, direkt, ohne aufdringlich zu sein, ohne grossartige optische privat zu wirken die Auto- Kompromiss biographic eines Mannes, der den nicht liebt und der Augen besitzt: «Viele Photographen scheinen zu vergessen, sagte dass sie Augen haben», Robert Frank ein- Apparat mal. «Mit dem kleinen in der Hand warten sie auf das, was man den photographien Augenblick" nennt. Aber man nicht, weil man eine K.amera besitzt, sondern man photographiert, weil man Augen hat und etwas sagen möchte.» Pablo

Neue Zürcher Zeitung vom 21.02.1976