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AGORAMagazin der Katholischen Universität Eichstätt-IIngolstadt

Jungen als schwaches Geschlecht? „Kleine Kerle in Not“, „Böse Buben, kranke Kna- ben“ – viele Medien sehen Jungen in einer kollekti- ven Krise. Doch wie sehen diese das selbst? Eine Analyse von Gruppendiskussionen unter Schülern. S. 14 NNEEUUEE MMAANNNNSS-B-BBBIILLDDEERR DER SOZIOLOGIE Gute Sozialarbeit per Mausklick? DER SOZIOLOGIE Der Sozialbereich hat sich zu einem Wirtschafts- zweig mit großem Potenzial entwickelt. Im Zuge ei- ner betriebswirtschaftlichen Professionalisierung kommt verstärkt Informationstechnologie Einsatz. S. 19 Vom Infomangel zum Infoüberfluss Medien spiegeln den gesellschaftlichen Wandel wi- der und prägen diesen gleichzeitig mit. Die rasante Zunahme der Medienangebote fordert sowohl die Nutzer als auch die Medienmacher heraus. S. 21 Zufriedenheit als Lippenbekenntnis? Kundenzufriedenheit wird meist als wichtiges Unternehmensziel gesehen und entsprechend er- fasst. Doch die gewonnenen Erkenntnisse werden in vielen Firmen nicht systematisch umgesetzt. S. 24 Eine Reise zu den anderen Die kulturelle Differenz von Gastgebern und Gästen macht Ethnotourismus attraktiv. Ethnizität jenseits von Folklore bietet indigenen Gruppen in Chile die Möglichkeit zur Teilhabe am Tourismusmarkt. S. 26 GOD BLESS AMERICA – POLITIK UND RELIGION IN DEN USA Liebe Leserin, lieberEditorial Leser,

ie Deutschen, und sie nicht allein, besit- burenrate in Deutschland und die Frage „Wa- zen die Gabe, die Wissenschaften unzu- rum bekommen deutsche Frauen keine Kin- Dgänglich zu machen“, soll Johann Wolf- der mehr?“. Unsere Wissenschaftler ergänzen gang von Goethe einmal gesagt haben. Böse die öffentliche Debatte um die gleichberech- Zungen fügen vielleicht hinzu, dass die Wis- tigt zu stellenden Frage „Warum wollen deut- senschaften nicht nur unzu- sche Männer erst so spät gänglich, sondern bezogen (und vielleicht zu spät) Kin- auf ihre Forschungsgegen- der, und was kann man da- stände gelegentlich auch gegen tun?“. unzulänglich sind. Beide Vorwürfe versuchen wir mit remd- und Selbstwahr- dieser Ausgabe unserer nehmung sind in diesem Universitätszeitschrift, die FHeft auch Thema bezo- Sie gerade in Händen hal- gen auf eine ganze Nation: ten, wieder einmal zu ent- Die USA erscheinen Beob- kräften. Dabei soll der Be- achtern diesseits des Atlan- griff „Agora“, der in der tiks vertraut und fremd zu- Antike einen vom freiem gleich – nicht zuletzt durch Austausch und breitem eine scheinbare Vermi- Angebot geprägten Markt- schung von Politik und Reli- und Versammlungsplatz be- gion. Einen differenzierte- zeichnete, wie gewohnt ren Blick erhalten Sie zu Leitidee sein. diesem Thema ab Seite 16.

issenschaft soll sich chließlich sei in diesen nicht als Selbstzweck beispielhaften Leseem- Wbegreifen, sondern Spfehlungen noch ver- Erkenntnisse zu Tage för- wiesen auf die traditionell dern, die auch jenseits der Hochschulen etwas gute und fruchtbare Zusammenarbeit zwi- bewirken und gelegentlich auch mit Klischees schen der Stadt Eichstätt und der KU, in die aufräumen. So erscheint die Frage „Wann ist Sie auf Seite 10 Einblick erhalten. Deutsche ein Mann ein Mann?“, die in der Titelge- und internationale Künstler sind regelmäßig schichte dieses Heftes gestellt wird, auf den zu Gast in der Lithographie-Werkstatt Eich- ersten Blick überflüssig bzw. eher als ein The- stätt, um vor Ort dem hiesigen Naturstein ein- ma, welches sich für den Boulevard-Teil von malige Kreationen zu entlocken. Unsere Uni- Tageszeitungen eignet. Die nähere Untersu- versitätsbibliothek betreut die künstlerischen chung dieser Frage erbrachte jedoch neue Er- Ergebnisse und vermittelt sie der Öf- kenntnisse in zweierlei Hinsicht: Zum einen fentlichkeit weiter. aus der fachlichen Perspektive der Soziologie, die Männer bisher als Norm definierte, ohne Ich bin sicher, dass diese Agora für Sie wieder die Akteure selbst eingehend zu untersuchen; anregende Lektüre sein wird. zum anderen bezogen auf die seit langem Ihr schwelende Diskussion um die sinkende Ge- Prof. Dr. Ruprecht Wimmer

Immer informiert: Report Online – der Newsletter der KU via E-MMail. Abonnement unter www.ku-eeichstaett.de

KU Agora 3 NACHRICHTEN 5

Lithographien in der Bibliothek 10 Der Naturstein lockt internationale Künstler nach Eichstätt

FORSCHUNG

TITELTHEMA Neue Manns-Bilder der Soziologie 11 Wie definiert sich ein Mann als Mann? Und welche Eigen- schaften zeichnen Männer nach Ansicht von Frauen aus?

Jungen als schwaches Geschlecht? 14 Viele Medien sehen Jungen in einer kollektiven Krise. Doch wie sehen das die „Betroffenen“ selbst?

Politik und Religion in den USA 16 Über die amerikanische „Zivilreligion“ und Religion im konfessionellen Sinn.

Gute Sozialarbeit per Mausklick? 19 Das neue Fachgebiet Sozialinformatik an der KU.

Vom Infomangel zum Infoüberfluss 21 Medien spiegeln den gesellschaftlichen Wandel wider und prägen diesen gleichzeitig mit. Ein Blick zurück nach vorn.

Zufriedenheit als Lippenbekenntnis? 24 Zufriedene Kunden werden in der Regel als wichtiges Firmen- ziel gesehen. Doch es hapert an der systematischen Umsetzung.

Eine Reise zu den anderen 26 Ethnotourismus bietet indigenen Gruppen in Chile Möglich- keiten, um am globalen Tourismusmarkt zu partizipieren.

BÜCHER & PERSONEN 28

AGORA ist das Magazin der KU und Redaktion & Layout Druck Der Nachdruck von Beiträgen ist erscheint ein Mal pro Semester. Constantin Schulte Strathaus, Presse- Druckhaus Kastner, Wolnzach, mit Quellenangabe gestattet. Sie kann kostenlos bezogen werden. und Öffentlichkeitsreferat der KU, gedruckt auf Recylingpapier Belegexemplar erbeten. 85071 Eichstätt, Auflage: 7.000 ISSN 0177-9265 Herausgeber Telefon 08421/93-1594 oder -1248, Leserbriefe Der Präsident der Katholischen Fax: 08421/93-1788 Mit Namen gezeichnete Beiträge Leserbriefe sind willkommen. Universität, Mail: [email protected] geben nicht unbedingt die Meinung Die Redaktion behält sich vor, Prof. Dr. Ruprecht Wimmer Internet: www.ku-eichstaett.de des Herausgebers wieder. diese gekürzt zu veröffentlichen. NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN

Senat der KU verabschiedet Satzung für Studienbeiträge

Eine Satzung für die Erhebung Nach Abzug der Verwaltungsko- und Hochschulleitung müssen dem und Verwendung von Studienbeiträ- sten und Einlagen für einen Siche- Studentischen Konvent jährlich Re- gen hat der Senat der KU Mitte Juli rungsfonds, den das Bayerische chenschaft über die Mittelverwen- verabschiedet. Demnach wird die Hochschulgesetz vorsieht, fließt rund dung ablegen. KU zum Sommersemester 2007 erst- ein Drittel der verbleibenden Mittel in Das Bayerische Hochschulgesetz mals Studienbeiträge in Höhe von zentrale Maßnahmen wie zum Bei- sieht die Befreiung von Studienbei- 500 Euro pro Semester erheben. Un- spiel Sprachkurse, Bibliotheks- oder trägen unter anderem für Studieren- ter Mitwirkung des studentischen technische Hörsaalausstattung. Vor- de mit Kind vor, sofern der Nach- Konvents hatte eine Arbeitsgruppe schläge dazu können vom Studenti- wuchs nicht älter als 10 Jahre alt ist. unter Vorsitz des KU-Kanzlers Dr. schen Sprecherrat und den Zentralen Die KU geht noch einen Schritt wei- Gottfried Freiherr von der Heydte ei- Einrichtungen eingereicht werden, ter und befreit als Familiengerechte nen Entwurf der Satzung verfasst, über die Verwendung entscheidet die Hochschule studierende Mütter und der dem Senat vorgelegt wurde. „Die Hochschulleitung zusammen mit Väter von der Zahlung, solange die Arbeitsgruppe hatte zwei Ziele: Zum dem Studentischen Sprecherrat. Kinder noch nicht 15 Jahre alt sind. einen die möglichst intensive Beteili- Die übrigen Mittel werden zu 65 Wer sich mindestens zwei Semester gung der Studierenden bei der Verga- Prozent abhängig von der Studieren- als gewähltes Mitglied eines Universi- be der Mittel, um Transparenz herzu- denzahl auf die Fakultäten aufgeteilt, tätsgremiums engagiert, muss für stellen. Schließlich sind es die Studie- über die Verwendung entscheidet der diese Zeit keine Beiträge zahlen; wer renden, die uns Geld zur Verbesse- Fakultätsrat gemeinsam mit den je- ein Jahr lang gemeinnützige Dienste rung der Studienbedingungen zur weiligen studentischen Vertretern. (wie etwa das freiwillige soziale Jahr) Verfügung stellen. Zum anderen eine Die restlichen 35 Prozent erhalten geleistet hat, kann für zwei Semester Verteilung der Mittel, die sowohl die Fakultäten unabhängig von der eine Befreiung von Studienbeiträgen zentrale Angelegenheiten berück- Studierendenzahl aufgrund von An- beantragen. Auch Studierende, die sichtigt als auch den Fakultäten Ge- trägen, über deren Bewilligung Begabtenförderung erhalten oder ei- staltungsspielraum lässt“, erklärte Hochschulleitung und Studentischer nem Orden angehören, müssen keine von der Heydte. Sprecherrat entscheiden. Fakultäten Beiträge leisten.

„Westen vermittelt ein hässliches Gesicht von Demokratie“ Bomben auf Beirut, Raketen auf gewesen sei. Gleichzeitig diktiere Haifa und erneuter Streit um das ira- man andererseits von einem hohen nische Atomprogramm – die politi- Podest aus und wundere sich dann sche Lage im Nahen Osten hätte über die Reaktionen. Dabei sei der kaum brisanter sein können, um an Wille, in die Moderne zu gehen, zwi- der KU Professor Udo Steinbach im schen Marokko und dem Persischen Juli als renommierten Islam-Exper- Golf vorhanden. ten zu Wort kommen zu lassen. Vor Doch welcher Weg zu Demokratie zahlreichem Publikum referierte der und Menschenrechten solle einge- Direktor des Deutschen Orient-In- schlagen werden? „Etwa jener, den stituts im Rahmen des Eichstätter die USA im Irak gewählt haben?“, Geographischen Kolloquiums und fragte Steinbach. Die Menschen seien des Studium Generale „Christliche bereit, mit dem Stimmzettel ihr Impulse der Europäischen Moderne“ Schicksal in die Hand zu nehmen. über „Das andere Arabien – zwi- „Doch anscheinend dürfen sie nur schen Modernisierung und Selbstbe- wählen, was uns gefällt. Die Palästi- SCHULTE STRATHAUS hauptung“. nenser haben sich für die Demokra- Nicht nur bezogen auf die aktuel- tie entschieden und gewählt – nur kratie wird eher als Mittel zur Durch- le Entwicklung in Israel und dem Li- eben eine islamistische Partei. Als Re- setzung westlicher Herrschaftsan- banon sprach Steinbach von einem aktion darauf wurde die neue Regie- sprüche empfunden.“ Die Stimmen seit Jahrzehnten wiederkehrenden rung vom Westen finanziell ausge- für eine Modernisierung in der isla- Deja-Vu-Erlebnis. „Die westliche Po- hungert“, so Steinbach. Dabei dürfe mischen Welt seien jedoch vielfältig. litik hat stets ihren Teil zum Problem man nicht vergessen, dass auch Israel So stellten iranische Philosophen beigetragen und Blockadehaltungen von Extremisten geführt worden sei, heute ganz offen die Frage, wie Reli- in der islamischen Welt erzeugt“, so die der Meinung waren, das die Palä- gion und Moderne zusammenge- Steinbach. Der Westen habe einer- stinenser nicht dort hingehörten, wo bracht werden könnten. Solange man seits konservative Islamisten, die eine sie seien. „Der Westen vermittelt der- von Seiten des Westens jedoch dem kritische Durchleuchtung von innen zeit ein äußerst hässliches Gesicht Wort Demokratie keinen Klang ver- nicht zuließen, hingenommen, solan- von Demokratie und spielt deren leihe, würden es deren Befürworter ge der Zugang zum Öl gewährleistet Gegnern selbst in die Hände. Demo- weiterhin schwer haben.

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25 Jahre Arbeitskreis Shalom

fließt direkt in ein oder mehrere Pro- RÜCKBLICK jekte, welche die Preisträger vor- schlagen und über die sie regelmäßig berichten. Das En- BIER ALS KUNSTOBJEKT gagement des Ar- beitskreises stützt Unter dem Motto "Bier Ernste Kunst" widme- sich primär auf die ten sich Kunststudierende der Katholischen ehrenamtliche Tä- Universität in vielfältiger Weise dem Thema tigkeit von Studie- Bier auf Initiative der ehemals fürstbischöf- SCHULTE STRATHAUS SCHULTE renden, welche die lichen Brauerei Gutmann. Das Ergebnis ist Menschenrechtsar- noch bis voraussichtlich Ende Oktober im Studierende der Katholischen Uni- beit in den vergangenen Jahrzehnten Wirtshaus zum Gutmann (Am Graben 36, versität Eichstätt-Ingolstadt gründe- trotz wechselnder Besetzung auf- Eichstätt) zu sehen. Entstanden sind Siebdru- ten 1981 den „Arbeitskreis Shalom rechterhalten konnten. Anlässlich cke, Collagen und Acrylbilder, die das bayeri- sche Nationalgetränk im weitesten Sinne als für Gerechtigkeit und Frieden“. Ziel des 25-jährigen Bestehens waren Nahrung für bildnerische Phantasien interpre- des AK Shalom ist die Wahrung von Sonja Wassermann (Europastudien- tieren. So reichen die Bildwerke von einer Menschenrechten und des weltweite gang), Johanna Harendza (Lehramt Hommage auf Hopfen und Reinheitsgebot bis Friedens. Jedes Jahr rückt dabei the- Deutsch Gymnasium), Margit Stein hin zu bedruckten Bierdeckeln und persiflie- matisch ein Land oder eine Region in (Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozi- renden Collagen. den Mittelpunkt des Interesses. Hö- alpädagogik) sowie Joanna Lang zu hepunkt des Engagements ist die Gast bei KU-Präsident Professor jährliche Vergabe des Shalompreises, Ruprecht Wimmer, um über die ak- „RAPID MATHE“ KICKT SICH AUF 3. PLATZ der mit über 10 000 Euro Preisgeld tuelle Arbeit des Arbeitskreises zu einer der höchstdotierten Menschen- berichten. Bei den Preisträgern die- Zum mittlerweile fünften Mal fanden heuer in rechtspreise Deutschlands darstellt. ses Jahres („Women and Develop- Trier die deutschen Fußball-Meisterschaften Mit dem Preis, der dank zahlreicher ment Project (WaDeP)“ sowie die der Mathematik-Fachschaften (kurz: DFM) Spenden von Privatpersonen und In- „Ark Foundation Ghana“) handelt statt. Das Turnier wurde seinerzeit von Main- stitutionen verliehen werden kann, es sind um zwei Projekte, die sich zer Mathematik-Studenten gegründet und wird werden Einzelpersonen oder Grup- für die Rechte der Frauen in Ghana seitdem jährlich vom jeweiligen Vorjahressieger pen ausgezeichnet. Das Preisgeld einsetzen. ausgerichtet. Erstmals nahm auch „Rapid Ma- the“, so der Name der Mathematik-Mannschaft der KU, an diesem Turnier teil. Nach einer durchwachsenen Vorrunde, trumpfte die Eich- Geographen gründen Alumni-Verein stätter Truppe im Achtelfinale groß auf und bezwang die favorisierte Mannschaft aus Essen. Nach einem weiteren Sieg über Chemnitz war Die Vernetzung von Geographie- aber auch der Faktor Geselligkeit: im Halbfinale leider Endstation gegen den spä- Absolventen der Katholischen Uni- Unter den etwa 20 Ehemaligen, die teren Sieger „Sturm Gauß“, der neu formierten versität Eichstätt-Ingolstadt (KU) sich zur Gründung ihres Vereins tra- zweiten Trierer Mannschaft. Im Spiel um die mit Professoren, wissenschaftlichen fen, gab es so manch freudiges „goldene Ananas“ wurden nochmals alle Kräf- Mitarbeitern und Studierenden hat Wiedersehen. Viele hatten schon lan- te mobilisiert und der Vorjahressieger „Magic sich der vor kurzem neu gegründete ge darauf gewartet, Studienkollegen Eulers“ verdient 1:0 geschlagen. Somit wurden Verein „AGE – Alumni Geographie und ehemalige Professoren wieder zu die Eichstätter Mathematiker letztlich Dritter Eichstätt“ auf die Fahnen geschrie- sehen. Dazu werden sie zukünftig öf- von insgesamt 22 teilnehmenden Mannschaften ben. Prominente Unterstützung be- ter Gelegenheit haben: Einmal im aus ganz Deutschland. Hinter sich ließen sie kommt der Verein dabei von Baden- Jahr wollen sich die Vereinsmitglieder die Teams von mehreren größeren Universitä- Württembergs Wissenschaftsminister treffen, nicht nur zum wissenschaft- ten wie Hamburg oder . Peter Frankenberg, der an der KU lichen und beruflichen Austausch. von 1983 bis 1986 Professor für Phy- Verantwortlich für die Führung des sische Geographie war und nun Vereins sind für die nächsten drei Schirmherr von AGE ist. Jahre Frank-Ulrich John und Korne- Die Kommunikation und Zusam- lia Hüttner als Vorsitzende, Dr. menarbeit von Alumni mit den Pro- Gunther Mayer-Leixner und Florian fessoren und Mitarbeitern soll ihren Bauhuber als stellvertretende Vorsit- Teil dazu beitragen, dass der Verein zende, Jens Oellrich als Kassenwart, für die Geographie im Altmühltal ei- Christian Hainzinger als Schriftfüh- ne beiderseitige Bereicherung dar- rer und Dr. Nicolai Scherle als orts-  stellt. Nicht zu kurz kommen soll gebundener Beirat. 6  KU Agora NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN

In den Wilden Westen mit der Kinderuni Unitas Frankonia Eichstätt neuer Verbandsvorort Mit der bereits dritten gemeinsa- stadt angeboten. Teilnehmen kön- men Kinderuni öffnen sich ab 17. nen Kinder der vierten bis sechsten Der katholische Studentenverein Oktober wieder die Hörsäle der KU Klasse. Wie für die erwachsenen Unitas Frankonia Eichstätt über- und der Fachhochschule Ingolstadt Kommilitonen auch gibt es Studen- nimmt für ein Jahr die Repräsentanz für wissensdurstige Schülerinnen tenausweise, die für die gesamte und Leitung des Unitas-Verbandes. und Schüler aus der Region. Über Kinderuni gültig sind und auf denen Der neue Vorortspräsident Christian sechs Wochen verteilt geben Wis- der Besuch der Vorlesungen ver- Schmidt stellte bei der Vorortsüber- senschaftlerinnen und Wissen- merkt wird. Wer mindestens fünf gabe im Festsaal der Universität die schaftler spannende Einblicke in ih- Vorlesungen besucht hat, bekommt Leitlinie vor: „e pluribus Unitas“ – re Forschungsgebiete und stehen zum Schluss das Kinderuni-Diplom „Die Einheit aus vielen“ spiegele ge- den Kindern Rede und Antwort. verliehen. Kostenlose Studentenaus- nau das wider, was die Frankonia Auf dem Stundenplan stehen die weise gibt es ab 4. Oktober an fol- ausmache, sagte Schmidt in seiner Themen „Wie fliegen oder fahren genden Stellen: Ansprache. Nun wolle er als Vor- wir in Zukunft?“, „Wo geht’s zum Für die Kinderuni in Eichstätt: ortspräsident dieses Prinzip auf die Wilden Westen?“, „Wie kommt man Pforte der KU (Sommerresidenz), Verbandsarbeit übertragen. Nach aus dem Rollstuhl?“, „Gibt es farbi- Ostenstraße 26, Eichstätt (montags der Übergabe der Verbandsstandar- ge Töne?“, „Wie hat sich das Geld bis donnerstags 7-18 Uhr, freitags 7- te feierten die Unitarier im Eich- entwickelt und wozu braucht man 12 Uhr). Für die Kinderuni in Ingol- stätter Dom mit Bundesbruder es?“ sowie „Warum können manche stadt: Bibliothek der Fachhochschu- Domdekan Klaus Schimmöller ei- Menschen nicht richtig lesen und le Ingolstadt, Esplanade 10, Ingol- nen Gottesdienst. Die Unitas be- schreiben?“. Die Veranstaltungen stadt (montags bis freitags 11-18 steht seit 1855. Sie ist der älteste beginnen jeweils dienstags um 16.15 Uhr) deutsche Dachverband für katholi- Uhr, die sechs Vorlesungen werden sche Studentenverbindungen mit sowohl in Eichstätt als auch Ingol- www.ku-eichstaett.de/kinderuni derzeit knapp 5000 Mitgliedern.

Industrie und Tourismus aus Perspektive der Politik In der Vergangenheit standen sich tor für Beschäfti- Tourismus und Industrie lange Zeit gung und Ausbil- als zwei nur schwer miteinander zu dung und biete laut vereinbarende Phänomene gegenüber. einer Studie in den Zunehmend bietet die Verknüpfung nächsten zehn Jah- von Industrie und Tourismus durch- ren Chancen für aus ein interessantes Potenzial, insbe- 300.000 neue, attrak- sondere für das Wirtschafts- und Be- tive Arbeitsplätze. schäftigungswachstum der Bundesre- Die Attraktivität be- publik Deutschland. Dies ließ der ruhe dabei nicht zu- Tourismusbeauftragte der Deutschen letzt auf der Vielfalt Bundesregierung, Ernst Hinsken und Zukunftsfähig- (MdB), anlässlich des „Kompetenzfo- keit touristischer rum Bayern 2006 - 17. Eichstätter Kernbereiche, bspw. Tourismusgespräche“ am 11. Mai dem Gesundheits- 2006 in Eichstätt in seinem Ein- tourismus, dem Kultur- und Städte- Deutschlands im Export profitiere. So gangsstatement anklingen. tourismus sowie dem Industrietou- sei Deutschland weltweit Messestand- Ernst Hinsken (links im Bild zu- rismus. Letzterer basiere auf ort Nummer eins und rangiere beim sammen mit Professor Harald Pech- Deutschlands Industriekultur und In- Tagungs- und Kongresstourismus laner) verdeutlichte diesen durchaus dustriegeschichte, die auf Touristen hinter den USA auf Platz zwei. komplexen Zusammenhang anhand einen zunehmend größeren Reiz aus- Um das touristische Potenzial und dreier Aspekte: Tourismuspolitik sei übt. Gepaart mit kulturellen Angebo- wirtschaftliche Gewicht voll aus- zugleich Industrie- und Wirtschafts- ten können so ehemals touristisch un- schöpfen zu können, bedürfe es je- politik, da der Tourismus wie kaum attraktive Regionen wie das Ruhrge- doch einer besseren Koordination der ein anderer Wirtschaftszweig noch biet zu neuen Ehren gelangen. zahlreichen touristischen Themenfel- immer ein dynamisches Wachstum Die gelungene Symbiose aus In- der und Akteure. Nicht zuletzt auf- verzeichne und daher „zu Recht als dustrie und Tourismus zeige sich grund des Querschnittscharakters des Leitökonomie der Zukunft bezeich- schließlich auch im Geschäftstou- Tourismus müsse Tourismuspolitik net werden kann“. Getragen von vor rismus als einem weiteren bedeuten- daher gleichzeitig immer auch stand- allem klein- und mittelständischen den touristischen Bereich, der vor al- ort- und wirtschaftspolitische Überle- Unternehmen sei der Tourismus Mo- lem durch die Wirtschaftskraft gungen einbeziehen.

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Vorstand der Fachbereiche für Soziale Arbeit bei Müntefering nen ein Absolvent wicklung des Arbeitsmarktes im so- erworben haben soll, zialen Bereich genauer zu prüfen wenn er die Univer- und sprach sich für eine Fortsetzung sität verlässt oder ein des Gespräches aus. weiteres Studium an- Zuvor hatte der Vorsitzende des schließt. Müntefering Fachbereichstages, Ulrich Bartosch sagte zu, im nächsten (Dekan der Fakultät für Soziale Ar- Jahr auf dem Fach- beit an der KU) die Sorge formuliert, bereichstag in Köln dass Lehre, Forschung und Entwick- mit einer Grundsatz- lung in der Sozialen Arbeit immer rede zur Entwick- weniger Aufmerksamkeit durch Poli- lung der Sozialen Ar- tik und Gesellschaft erhielten. Ein beit an der Diskus- bedrohliches Indiz sieht Bartosch mit sion der Dekaninnen seinen Vorstandskollegen im Aus- und Dekane teilzu- schluss der sozialen Fachbereiche aus Im Berliner Amtssitz von Franz nehmen. Im Gespräch wurde deut- dem „FH 3-Programm“ des Bundes- Müntefering, Bundesminister für lich, dass es gerade im sozialen Be- forschungsministeriums. Dieses ein- Arbeit und Soziales, traf sich der reich Innovation und Entwicklung zige relevante Forschungsförde- Vorstand des deutschen Fachbe- durch forschende Kooperation zwi- rungsprogramm des Bundes für For- reichstages Soziale Arbeit mit dem schen Hochschulen und sozialen schung und Entwicklung an den Vizekanzler und Ministerialbeam- Unternehmen geben müsse. Die Fachhochschulen sei heute nur noch ten, um über aktuelle Entwicklun- Möglichkeiten einer Verbesserung technischen und wirtschaftswissen- gen der Sozialen Arbeit zu sprechen. der Förderung durch den Bund soll- schaftlichen Fachbereichen vorbehal- Müntefering nahm dabei den Quali- te geprüft werden. Überlegenswert ten. Die Entwicklungs- und Innova- fikationsrahmen für die Soziale Ar- erschiene die Einrichtung von Tech- tionspotentiale für den Sozialen Be- beit entgegen, der kürzlich von den nologiezentren für Soziale Arbeit. reich würden so nicht genutzt, was rund 70 Fachbereichen für Soziale Die Ziele Technologieentwicklung angesichts der Problemlagen in Arbeit an deutschen Hochschulen und Innovation dürften in der Deutschland mit Blick auf eine „or- verabschiedet worden war. Der Bundesrepublik nicht nur auf indus- ganisierte Solidarität“ (Müntefering) Qualifikationsrahmen beschreibt, trielle Bereiche beschränkt sein. Der und die nötige Erhaltung des Sozia- welches Wissen und welches Kön- Vizekanzler kündigte an, die Ent- len Friedens unverantwortlich sei. „Umfragehörigkeit“ verzerrte Wahlkampfberichterstattung

Die Fernsehnachrichten haben die geben worden. „Dennoch bestätigte Konzentration auf die demoskopi- Berichterstattung über den Bundes- sich der von Schröder am Wahlabend sche Sonntagsfrage. Die politische tagswahlkampf 2005 nicht manipu- erhobene massive Vorwurf nicht, Berichterstattung werde immer un- liert, aber sie haben sie stark verzerrt. Fernsehen und Presse hätten plan- politischer, weil es im Vorfeld von Zu diesem Ergebnis kommt eine Stu- mäßig gegen eine weitere Amtszeit Wahlen kaum noch um die Vermitt- die, die am Studiengang Journalistik des Kanzlers und die damalige rot- lung von Sachpolitik und politischen der KU unter Leitung des Kommuni- grüne Regierung gearbeitet“, so Programmen gehe, sondern nur noch kationswissenschaftlers Professor Hohlfeld. um den Kampf um Prozentpunkte, Ralf Hohlfeld durchgeführt wurde. Auch wenn es keine Medienmani- das Rennen um die Wählergunst: Schuld an der Verzerrung sei eine pulation gegeben habe, dürfte die ZDF-Politbarometer, ARD-deutsch- weit verbreitete „Umfragehörigkeit“ von Ex-Kanzler Schröder angepran- landtrend und RTL-Wahltrend liefer- unter politischen Journalisten in gerte Medienmacht einen starken ten die Vorlagen für ein immer enger Deutschland. „Die Nachrichtensen- Einfluss auf die Wahlentscheidung werdendes Zusammenspiel von Me- dungen haben sich bei der Bundes- gehabt haben. Viele Journalisten dien und Wahlforschung, so dass die tagswahl vor Jahresfrist nicht auf po- seien in Nachrichtensendungen und - abgefragten Wahlabsichten zur ei- litische Sachthemen konzentriert, magazinen als politische Experten gentlichen Politik geworden seien. sondern über weite Strecken Mei- aufgetreten und hätten diese Foren „Die Folge ist eine so genannte nungsumfragejournalismus betrie- genutzt, um selbst Politik zu machen Horse-Race-Berichterstattung: Poli- ben“, sagt Hohlfeld. und um konkrete Wahlempfehlungen tik wird verkürzt auf Zahlen, und po- In der Medienberichterstattung ha- auszusprechen. Das regierungskriti- litischer Journalismus verkommt zum be es keinen Kanzlerbonus für Ger- sche Lager habe in der journalisti- Wettkampfjournalismus, der komple- hard Schröder gegeben; den Opposi- schen Wahlkampfkommentierung xe gesellschaftliche Themen, Mei- tionsparteien sei in den Fernsehnach- ein deutliches Übergewicht gehabt. nungen und Stimmungen auf das Ni- richtensendungen deutlich mehr Hauptgrund für die verzerrte Be- veau von Sporttabellen und Ergeb- Raum zur politischen Darstellung ge- richterstattung sei aber die übergroße nistafeln absenkt“, erklärt Hohlfeld.

8  KU Agora NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN

Wintervortragsreihe: Mythen des Barock Die antiken Mythen sind durch das Koerner über „Das Bild Gustav Christentum teils als heidnisch abge- Adolphs im Dreißigjährigen Krieg – drängt, teils durch allegorische Inter- Vom Löwen aus Mitternacht zum AUSBLICK pretation ihrem alten Kontext ent- schwedischen Herkules“. Franz Mat- wendet und assimiliert worden. sche referiert eine Woche später zu Gleichwohl wurden damit doch nicht „Johannes von Nepomuk. Vom poli- jene mythenbildenden Energien still- tischen Mordopfer zum barocken gestellt, die zu allen Zeiten die ak- Musterheiligen“. Alexei Rybakov be- tuellen Hoffnungen, Wünsche, Ängs- fasst sich am 23. November mit Ka- AUSSTELLUNG „FACETTEN RÜCKERTS“ te und Konflikte der Menschen in Fi- tharina der Großen „Eine Herrsche- Noch bis 30. November gibt die Ausstellung guren und Geschichten projizieren rin zwischen Aufklärung und De- „Facetten Rückerts“ in der Staats- und Semi- und als solche durcharbeiten. Dass spotie“. Das Thema von Ulrich Hei- narbibliothek (Hofgarten1, Eichstätt) einen das Christentum die altererbten Figu- nen lautet am 30. November „Aene- kompakten Einblick in das Werk des Dichters ren und Geschichten als „heidnisch“ as. Der Mythos vom Friedenskrieger und Orientalisten Friedrich Rückert (1788- unter Verdacht stellte, ließ in der Fol- im 17. Jahrhundert“. Verena Dolle 1866). Rückert gehört zu den außergewöhn- ge die unerschöpfliche Eigenständig- stellt am 7. Dezember Hernán Cor- lichen Erscheinungen der deutschen Literatur. keit solcher Mythenbildung sogar be- tés als Eroberer Mexikos vor. Mit Neben seinem umfangreichen eigenen Werk sonders deutlich hervortreten. dem Glanz des einsamen Helden hat er zahllose Übersetzungen aus mehr als 30 Die Wintervortragsreihe verfolgt Robinson Crusoe beschäftigt sich Sprachen hinterlassen und dem deutschen Pu- seit 2002 die Bildung derartig neuer Oliver Lindner am 14. Dezember. blikum die Literatur des Orients näher ge- Figuren der kollektiven Imagination. „James Cook als Heros der Aufklä- bracht. Während Goethe bezogen auf den Is- Chronologisch ausgehend von der rung“ ist Thema des Vortrags von lam und persische Literatur noch auf Überset- Antike ist die Reihe in diesem Se- Karl-Heinz Kohl am 11. Januar zer angewiesen war, konnten sich Friedrich mester im Zeitalter von Barock und 2007. Weitere Vorträge der Reihe Schlegel (1772-1829) Friedrich Rückert weltli- Aufklärung angekommen. Insgesamt finden sich im Internet unter che und heilige Schriften des indischen und is- lamischen Kulturraums im Urtext erschließen elf Referenten werden sich mit ver- www.ku-eichstaett.de/winter und diese bewusst in Literatur um- und ein- schiedenen Mythen beschäftigen: Die einzelnen Vorträge beginnen setzen. Die Ausstellung wurde konzipiert aus Die Reihe beginnt am 9. November jeweils um 18.15 Uhr im Raum 201 Anlass der Tagung „Von Lessing über Rückert mit einem Vortrag von Bernhard R. der Kollegiengebäudes I/Bau A. bis Thomas Mann – Die Weltreligionen und die deutsche Literatur“, die vom 5. bis 7. Ok- tober an der KU stattfand. Die „Facetten Die Wörter des mittelalterlichen Rechts Rückerts“ sind zu sehen montags bis freitags von 8.30 Uhr bis 17 Uhr. Im Rahmen der „Würzburger For- chend. Das Werk musste auch von sei- schergruppe“ wurde von 1973 bis nen Quellen her erschlossen werden. BALL DER UNIVERSITÄT 1984 die Edition eines wirkungsmäch- Erneut mit Hilfe von DFG-Mitteln tigen mittelalterlichen Rechtsbuches konnte 1991 der Quellenkommentar Am 16. November können Studierende, Mit- erarbeitet, der „Rechtssumme“. Ein vorgelegt werden. Den Zugang zum arbeiter und Professoren der KU wieder übers Dominikaner namens Berthold hat Text von den Einzelwörtern her, die Tanzparkett schweben – um 20 Uhr beginnt das umfängliche Buch im 14. Jahr- als Rechtsbegriffe ja einen wichtigen der traditionelle Ball der Universität im Alten hundert als Übersetzung und Umar- Spezialwortschatz in der Entwicklung Stadttheater Eichstätt. Der Beginn des Kar- beitung der verbreiteten lateinischen der deutschen Sprache repräsentieren, ten-Vorverkaufs wird noch bekanntgegeben. Summa Johannis geschaffen. 125 war systematisch nicht möglich. Für mittelalterliche Abschriften des Wer- die Finanzierung der Wörterbuch- kes mussten Zeile für Zeile verglichen, Erarbeitung konnte der Berliner VERANSTALTUNGSKALENDER ausgewertet und auf ihre Nutzbarkeit Unternehmer Dr. Hans-Jörg Leuchte Alle öffentlichen Veranstaltungen der KU für die Ausgabe untersucht werden. gewonnen werden. Er ist selbst pro- sowie Tagungen finden sich im laufend Ohne umfangreiche Fördermittel der movierter Jurist, passionierter Hand- aktualisierten Veranstaltungskalender im DFG über 12 Jahre hinweg wären die- schriftensammler und ausgewiesener Internet unter www. ku-eichstaett.de. se Untersuchungen der Forscher- Rechtshistoriker. Nun konnte Profes- gruppe nicht möglich gewesen. Am sor Georg Steer ihm das Resultat Ende stand eine vierbändige Ausgabe, überreicht werden: Zwei gewichtige die nicht den verlorenen Originaltext Bände, die den Wortschatz dieses Bertholds, sondern dessen Bearbei- wichtigen Zeugnisses spätmittelalter- tungen durch spätere Redaktoren im lichen Rechtsdenkens für die wissen- mehrspaltigen Paralleltext bietet. Die schaftliche Benutzung durch Juristen, Präsentation des Textes allein war in- Historiker, Theologen, Sprachwis- des für eine erschöpfende wissen- senschaftler und alle anderen inter- schaftliche Nutzung nicht hinrei- essierten Disziplinen erschließen.  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Lithographien in der Bibliothek

Der Naturstein lockt nicht nur Touristen, sondern auch Medienzentrale der Diözese Eich- stätt, ein japanischer Avantgarde- Künstler ins Altmühltal, die in der Lithographie-WWerkstatt Film von 1926, „Kurutta Ippeiji“ von Eichstätt arbeiten. Die Universitätsbibliothek archiviert Kinugasa Teinosuke, gezeigt wurde. Ausstellung und Film führte Profes- deren Werke und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich. sor Dr. Peter Pörtner vom Japan- Zentrum der LMU München ein. Auch während des Kompetenzfo- Von Michael Kleinherne überreichte, umfassten Computerdru- rum Bayern 2006 zum Thema „In- cke, Umdrucke, Gravur- und Kreide- dustrie und Tourismus“ an der Ka- Mittlerweile rund 130 Signatur- arbeiten sowie Texte und Mappen, die tholischen Universität im Mai zeig- Einträge mit bald 200 Blättern und in den vergangenen zwei Jahren im ten Lithographie-Werkstatt und Aufsätzen in einem über das Internet Umfeld der Werkstatt entstanden Handschriftenabteilung unter dem zugänglichen Katalog: Die Samm- sind. Ein Großteil ging dabei zurück Titel „Sieben Positionen“ Arbeiten lung Lithographie der städtischen Li- auf ein gemeinsames Projekt von von sieben Künstlern, die in Eich- thographie-Werkstatt Eichstätt im Universität und Werkstatt im Novem- stätt entstanden sind und in der Archiv der Handschriftenabteilung ber 2005. Vier Künstler näherten sich Sammlung Lithographie aufbewahrt damals unter dem Motto werden. Schließlich lockt der Stein „Figurenfeld: Erfahren – der Region, der Solnhofener Jura, Erinnern“ dem Land Art- nicht nur Touristen oder Stein verar- Skulpturenwerk von Alois beitende Industrie ins Altmühltal, Wünsche-Mitterecker im sondern auch Künstler, die den Ge- Eichstätter Hessental. Der nius loci nutzend in der Lithogra- Lithograph Angelo Evelyn phie-Werkstatt Eichstätt mit dem aus , Kunstpro- weltweit einzigartigen Stein arbeiten fessor Luc Piron aus Leu- können. ven, der Aachener Dichter Portenlänger bezeichnet die Andreas Weiland sowie Li Künstleraufenthalte denn auch als Portenlänger ließen sich „Kernanliegen“ der Werkstatt. Man vom Figurenfeld zu distan- wolle „die Künstler der Welt dahin zierten Reaktionen bis hin bringen, wo ihr Arbeitsmaterial, der zu Dekonstruktionen inspi- Litho-Stein, herkommt“. Die Zu- rieren und zeigten ihre Ar- sammenarbeit mit der Universität ge- beiten in einer Ausstellung be deren Arbeit dann den notwendi- in der Hofgarten-Biblio- gen Rückhalt, denn sie biete einen thek sowie in einer biblio- „adäquaten Ort der Bewahrung und KLEINHERNE philen Mappe, die nun Be- Präsentation“, was dem besonderen standteil des Archivs ist. Impuls, der von dieser Region ausge- Li Portenlänger über- der Katholischen Universität ist auch Großen Wert legt Portenlänger auf he, Nachhaltigkeit verschaffe. Dazu reicht Bibliothekslei- heuer wieder um eine Vielzahl künst- den internationalen und interdiszipli- strebe man nun auch die zusätzliche lerischer Arbeiten und geisteswissen- nären Charakter der Werkstattarbeit. Aufnahme des Katalogs der Samm- terin Dr. Angelika schaftlicher Dokumente gewachsen. So hatte man heuer schon zwei Gast- lung Lithographie in ein bayernwei- Reich im Beisein von Ende April übergab Werkstatt-Leite- künstleraufenthalte in Eichstätt: Jiang tes, besucherfreundliches Online- Andreas Kleinert und rin Li Portenlänger der Universität Hui Kou, Kunstprofessor an einer Portal an, berichtet Littger. Zudem Dr. Klaus Walter Litt- bereits zum vierten Mal seit Beginn der acht Kunstakademien Chinas in wolle man auch den Schriftverkehr der Zusammenarbeit im Jahre 1998 Tianjing, arbeitete im Mai für zwei der Sammlung archivieren. Schließ- ger (von links) von der lithographische Exponate, die in den Wochen in der Lithographie-Werk- lich solle die Bibliothek laut UB-Di- Handschriftenabtei- Räumen im Hofgarten ganz im Sinne statt und stellte seine Arbeiten dort rektorin Reich auch zukünftig „eine lung der Bibliothek im einer „handfesten Kooperation zwi- aus, während die japanische Litho- kompakte Stelle“ sein, in die alles ein- schen Stadt und Universität“, so graphin Chiho Kuroki, die in Brüssel fließe, was in der Werkstatt entstehe. Hofgarten weitere Ex- Dr. Klaus Walter Littger, Leiter der an der Kunstschule La Cambre ponate für die dort Handschriftenabteilung, fachgerecht unterrichtet, im Juli zu Gast war und Zugang zur „Sammlung Lithogra- aufbewahrte Samm- archiviert, gelagert und selbstver- mit ihren hier entstandenen Arbeiten phie Eichstätt“ in der Universitätsbi- lung Lithographie. ständlich auch öffentlich zugänglich ebenfalls eine Ausstellung bestückte. bliothek Eichstätt, Graphische sind. Die Vernissage ihrer Werkeschau war Sammlung: Die Arbeiten, die Portenlänger, mit der jährlichen „Stadt-Film-Bil- http://nonbook.ku-eichstaett.de selbst Künstlerin, im April Biblio- der“-Veranstaltung verbunden, in (Freitext: „lithographie; und werk- theksleiterin Dr. Angelika Reich welcher, in Zusammenarbeit mit der statt“)

10  KU Agora NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN PHOTOCASE Neue Manns-Bilder der Soziologie

Wie definiert sich ein Mann als Mann? Und welche Eigen- als im angelsächsischen Bereich hat schaften zeichnen Männer nach Ansicht von Frauen aus? sich in Deutschland bislang noch kei- ne eigenständige Männerforschung Eichstätter Soziologen betraten Forschungsneuland und etabliert; über die kulturellen Eigen- heiten deutscher Männlichkeiten liegt fanden erstaunliche Unterschiede in der Selbst- und hierzulande relativ wenig Wissen vor. Fremdwahrnehmung des vermeintlich starken Geschlechts. Wie also werden Männer in der Gesellschaft wahrgenommen? Was macht Männer zu Männern? Ist es die Arbeit? Muss ein Mann stark oder Von Nina Baur und Siegfried Lamnek werb von sozialer Identität die Er- intelligent sein? Sollte ein Mann „ein werbsarbeit gesetzt wird. Auch noch Haus bauen, einen Baum pflanzen ie Soziologie verfügt mittler- heute wird postuliert, dass sich Män- und einen Sohn zeugen“, also eine weile über ein recht klares theo- ner vor allem über Erwerbsarbeit de- Familie gründen und Vater werden, Dretisches und empirisches Bild finieren. Allerdings gibt es zu wenig oder ist es heute wichtiger, dass er über die soziale Konstruktion von empirische Untersuchungen, die beruflich erfolgreich ist, viel Sport Weiblichkeit sowie typische Proble- Männlichkeit aus der Perspektive der treibt, einen Sportwagen fährt oder me und Formen der Diskriminierung Akteure, also der Männer, behandeln. einen PC bedienen kann? Welche von Frauen in den verschiedensten Dagegen befasst sich die Ge- Probleme verbinden Männer mit ih- Lebensbereichen. Das Wissen über schlechtersoziologie hauptsächlich rem Dasein als Mann? Und welche Männer ist dagegen erstaunlich karg, mit Frauen – der Mann wird in der gesellschaftspolitischen Implikatio- da sie systematisch aus der Analyse Regel negativ definiert als Referenz- nen hat dies? ausgeblendet werden: Die meisten kategorie, als das Nicht-Weibliche, als klassischen soziologischen Theorien der Deviante, als der gesellschaftlich olchen Fragen ist der Lehrstuhl gehen implizit vom Mann als dem Herrschende, dem gegenüber die für Soziologie und empirische „Normalen“ und der Frau als dem Gleichberechtigung der Frauen aktiv SSozialforschung in einer Tele- „Abweichenden“ aus, wobei sie sich eingefordert werden muss. Die Ver- fonumfrage nachgegangen. Von meist nicht die Mühe machen, dieses änderungen von Lage und Mentalität März bis Mai 2006 wurden 709 voll- „Normale“ zu definieren. Das „mo- von Frauen durch den sozialen Wan- jährige deutsche Staatsbürger in drei- derne Subjekt“ ist „männlich“, wobei del wurde relativ eingehend unter- ßig, nach theoretischen Gesichts- als zentrales Kriterium für die gesell- sucht, vergleichbare Analysen für punkten ausgewählten Gemeinden in schaftliche Integration und den Er- Männer sind dagegen selten. Anders vier Bundesländern (Baden-Würt-

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temberg, , Nordrhein-West- fähigkeit bildet das Schlusslicht (!). Sport machen, für besonders attrak- falen und Sachsen-Anhalt) befragt. In Innerhalb dieser Bereiche gibt es je- tiv für Frauen. Etwa 70 Prozent der jeder Gemeinde wurde mit Hilfe der doch Differenzierungen. Befragten beurteilen Männer, die ei- Einwohnermeldeämter eine nach Al- Zunächst zum Bereich Partner- ne Frau sexuell nicht erfüllen kön- ter und Geschlecht disproportional und Familienorientierung: Von allen nen, als besonders unattraktiv, etwa geschichtete Zufallsstichprobe gezo- abgefragten Eigenschaften und Ver- 60 Prozent denken dasselbe über di- gen. Ausgewählte Ergebnisse dieser haltensweisen von Männern, die von cke Männer. Darüber, ob muskulöse Studie sollen im Folgenden präsen- Engagement für die Familie zeugen, Männer besonders attraktiv sind, tiert werden. glauben mindestens zwei Drittel der scheiden sich dagegen die Geister. Befragten, dass dies Männer be- in möglicher Hinweis darauf, sonders attraktiv für Frauen macht. ezogen auf den Aspekt Versor- was einen Mann zum Mann Das mit Abstand wichtigste Attrakti- gerfähigkeit gehen Sozialwis- Emacht, ist, was Frauen an Män- vitätsmerkmal eines Mannes ist, dass Bsenschaftler und Politiker in der nern attraktiv oder unattraktiv fin- er Humor besitzt. Für die Hälfte der Regel davon aus, dass der Mann pri- den. Da Partnerschaften für die Befragten gilt ein Mann als besonders mär Versorger ist, berufstätig sein meisten Deutschen sehr wichtig und unattraktiv für eine Frau, wenn er und eine Familie finanziell absichern die meisten Männer heterosexuell keine Kinder mag oder keine Zeit für soll. Die Versorgerkompetenz ist da- sind, liegt es nahe, dass sie ihr Leben seine Frau hat. In dieselbe Richtung gegen nach Ansicht der meisten Be- unter anderem daran orientieren, was gehen die Haltungen gegenüber fragten eher von nachgeordneter Be- sie meinen, dass Frauen von ihnen Männern, die ihren Partnerinnen deutung: Etwa die Hälfte der Inter- erwarten. In unserer Studie wurde nicht im Haushalt helfen. Umgekehrt viewten ist der Ansicht, dass Männer gefragt, ob man glaubt, dass be- ist etwa ein Drittel uneingeschränkt besonders attraktiv für Frauen sind, stimmte Eigenschaften Männer be- der Aufassung, dass Männer, die gut wenn sie nicht arbeitslos sind, einen sonders attraktiv bzw. besonders un- mit technischen Geräten umgehen Universitätsabschluss haben und viel attraktiv für Frauen machen. Diese können, besonders attraktiv sind. verdienen, aber nur etwa jeder sechs- Eigenschaften lassen sich grob in die Knapp 30 Prozent der Befragten te Befragte stimmt voll zu, dass dies drei Bereiche unterteilen: Partner- stimmen voll zu, dass Männer, die sehr wichtige Attraktivitätsmerkmale und Familienorientierung, körperli- mit ihren Frauen shoppen gehen, be- seien. Dass Männer ihren Frauen teu- che Attraktivität sowie Versorgerfä- sonders attraktiv für diese sind. re Geschenke machen sollten, finden higkeit. nur etwas mehr als ein Drittel der Abb. 1 In der Gesamtschau aller befrag- ass Männer körperlich attraktiv Interviewten. Der Besitz von Luxus- Was Frauen sich von ten Männer und Frauen wird ersicht- sein sollen, ist für die Befragten gütern, zum Beispiel ein teures Auto Männer wünschen und lich, dass das mit Abstand wichtigste Debenfalls wichtig. Ihre Meinun- zu fahren, macht nach Meinung von Attraktivitätsmerkmal eines Mannes gen unterscheiden sich aber hinsicht- nur einem Viertel der Befragten was Männer denken, ist, wie stark er sich für Partnerin und lich der relativen Bedeutung einzel- Männer besonders attraktiv. dass Frauen von ihnen Familie engagiert. Es folgt die kör- ner körperlicher Merkmale: Etwa wollen. perliche Attraktivität, die Versorger- drei Viertel halten Männer, die viel islang haben wir alle Befragten betrachtet. Analysiert man die BAnsichten geschlechtsspezi- fisch (vgl. Abb.1), so zeigt sich, dass Männer und Frauen sich nur darin ei- nig sind, dass Männer besonders at- traktiv für Frauen sind, wenn sie Hu- mor haben (98 % Zustimmungsrate) und dass Männer für Frauen be- sonders unattraktiv sind, wenn sie diesen nicht im Haushalt helfen (etwa zwei Drittel stimmen zu). Ansonsten zeigen sich geschlechtsspezifisch differenzierte Denk- und Wahrneh- mungswelten: Was die körperliche Attraktivität als Beurteilungsmaßstab betrifft, schätzen Männer Frauen für wesent- lich strenger ein als diese wirklich sind: 82 Prozent der Männer, aber nur 72 Prozent der Frauen stimmen zu, dass Männer, die viel Sport trei- ben, für Frauen besonders attraktiv sind. Drei Viertel der Männer, aber nur etwas über zwei Drittel der Frau- en glauben, dass ein Mann besonders unattraktiv für eine Frau ist, wenn er

12  KU Agora NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN

sie sexuell nicht erfüllen kann. Zwei Frauen: Zwar sind sich die überwie- gen kinderlosen Frauen wollen Kin- von drei Männern, aber nur drei von gende Mehrheit der Befragten einig, der, danach nimmt der Kinder- fünf Frauen halten dicke Männer für dass Frauen Technikkompetenz und wunsch kontinuierlich ab von 86 besonders unattraktiv. Während sich eine positive Einstellung gegenüber Prozent bei 25- bis 35-Jährigen über hinsichtlich der bisher genannten Kindern an Männern zu schätzen 50 Prozent bei den 35- bis 45-Jähri- körperlichen Merkmale Männer und wissen. Während aber von den gen bis zu immerhin noch 20 Pro- Frauen wenigstens insofern einig wa- Männern nur etwa 40 Prozent bzw. zent der 45- bis 55-Jährigen. Dage- ren, als die Mehrheit sie für ein rele- 25 Prozent voll zustimmen, dass ein gen wünschen sich nur 85 Prozent vantes Kriterium hielt, scheiden sich Mann besonders unattraktiv für eine der 18- bis 25-jährigen kinderlosen hinsichtlich männlicher Muskelkraft Frau ist, wenn er keine Kinder mag, Männer Nachwuchs. Am stärksten ist die Geister: 55 Prozent der Männer bzw. dass Männer besonders attraktiv der Kinderwunsch bei kinderlosen aber nur etwa 40 Prozent der Frauen für Frauen seien, wenn sie gut mit Männern im Alter zwischen 25 und pflichten der Aussage bei, dass mus- technischen Geräten umgehen kön- 35 (93 Prozent), um sich danach ähn- kulöse Männer für Frauen besonders nen, stimmen von den Frauen 60 lich reduzierend zu entwickeln wie attraktiv wären. Prozent bzw. 40 Prozent diesen bei Frauen. Auch hinsichtlich der Frage, wie Aussagen voll zu. Offenbar gibt es also einen prinzi- wichtig es ist, ob Männer Zeit für ih- Insgesamt sind Frauen also weni- piellen Kinderwunsch bei Frauen re Partnerin haben und mit ihr ger anspruchsvoll in der Beurteilung (unabhängig von der Zahl der Kin- shoppen gehen, überschätzen der Attraktivität eines Mannes, als der), während Männer erst „auf den Männer deutlich die Ansprüche der Männer gemeinhin denken. Während Geschmack“ kommen müssen: Der Frauen: Zwar halten beide Ge- aber Männer mehrheitlich immer Kinderwunsch entsteht bei ihnen schlechter dieses Kriterium für noch der traditionellen Haltung ver- später als bei Frauen. Möglicherweise wichtig, doch dass ein Mann für eine haftet sind, es käme Frauen vor allem wollen junge Männer noch unabhän- Frau besonders unattraktiv ist, wenn darauf an, dass ein Mann körperlich gig ihr Leben genießen, während jun- er keine Zeit für sie hat, meinen drei attraktiv ist und genug verdient, um ge Frauen die Fruchtbarkeit des jün- von fünf Männern, aber nur zwei seiner Partnerin und seinen Kindern geren Alters nutzen wollen. Für Vä- von fünf Frauen uneingeschränkt. einen hohen Lebensstandard bieten ter sind dagegen weitere Kinder wich- Noch anspruchsloser sind Frauen, zu können, ist das Ideal der Frauen tiger als für Frauen. wenn es darum geht, ihre Männer der humorvolle, kinderliebe Techni- Die These, dass Männer „Spätzün- zum Einkaufsbummel zu „verdon- ker, der sich Zeit für seine Partnerin der“ sind, bestätigt sich, wenn man nern“: Etwa ein Drittel der Männer, nimmt. den Anteil der Befragten mit Kin- aber nur etwa 20 % der Frauen dern betrachtet: Im Alter von 35 bis stimmen der Aussage voll zu, dass Spätzünder: Der Wunsch nach 45 sind bereits vier von fünf Frauen Männer besonders attraktiv für Kindern reift bei Männern Mütter, aber erst zwei von drei Frauen seien, wenn sie mit ihnen Männern Väter. Bei den 45- bis 55- später als bei Frauen. shoppen gehen. Jährigen ist der Anteil der Mütter wie bei den 35- bis 45-Jährigen, während m stärksten sind die ge- ngesichts der derzeit heftigen nun immerhin drei von vier Männern schlechtsspezifischen Diskre- öffentlichen Debatte über Kin- Väter sind. Apanzen bezüglich der Versor- Aderlosigkeit von Frauen regt die- gerfähigkeit von Männern: Eine ses Ergebnis zu der Frage an, ob denn s lässt sich also vermuten, dass deutliche Mehrheit der Männer nicht vielleicht die Männer das Pro- Frauen, die unbedingt Kinder glaubt, dass Frauen von ihnen erwar- blem seien. Denn wenn Männer Ehaben wollen, diese früh be- ten, dass sie einen Universitätsab- unterschätzen, wie wichtig Kinder für kommen. Bei Männern entsteht der schluss haben, nicht arbeitslos sind, Frauen sind, sind Männern die Kinder Kinderwunsch dagegen erst später – viel verdienen und ihrer Partnerin möglicherweise selbst auch nicht so und dann ist es möglicherweise be- teure Geschenke machen. Jeder vier- wichtig. Diese Aussage kann aufgrund reits zu spät für Kinder, denn in der te bis sechste Mann bewertet diese der Studie nicht gehalten werden (wo- Regel liegt in Deutschland das Alter Kriterien sogar als sehr wichtig. Etwa bei grundsätzlich betont werden von Partnern nur um wenige Jahre 40 Prozent der Männer hält auch ein muss, dass die Fallzahlen insgesamt auseinander. Das heißt, wenn ein teures Auto für relevant. Dagegen doch gering, zufällige Schwankungen über 45-Jähriger Mann noch Kinder gelten für weniger als die Hälfte der wahrscheinlich sind): Zunächst ist will, kann seine Partnerin mit sehr Frauen Männer mit Universitätsab- festzuhalten, dass in unserer Befra- großer Wahrscheinlichkeit nur mehr schluss als besonders attraktiv und gung der Wunsch nach weiteren Kin- begrenzt Kinder bekommen. Die in arbeitslose Männer als besonders un- dern bei Vätern in jeder Altersgruppe der öffentlichen Debatte häufig ge- attraktiv. Dass Männer viel verdie- größer ist als bei Müttern. stellte Fragen: „Warum bekommen nen, ist nur jeder dritten Frau wich- Anders sieht es bei den Kinderlo- deutsche Frauen keine Kinder tig, dass sie teure Geschenke be- sen aus: Von den 18- bis 35-Jährigen, mehr?“ müsste also modifiziert wer- kommen, nur jeder sechsten, und die noch keine Kinder haben, wün- den. Es ist vielleicht sinnvoller zu fra- dass ein Mann ein teures Auto fährt, schen sich fast alle Kinder, allerdings gen: „Warum wollen deutsche Män- nur jeder zehnten. entwickelt sich der Kinderwunsch bei ner erst so spät (und vielleicht zu In einem Punkt unterschätzen die Männern und Frauen zeitlich ver- spät) Kinder, und was kann man da- Männer dagegen die Ansprüche der setzt: 93 Prozent der 18- bis 25-jähri- gegen tun?“

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Jungen als schwaches Geschlecht?

sie? Die Erwartung war dabei, sich „Kleine Kerle in Not“, „Böse Buben, kranke Knaben“ – verstetigende Muster bezüglich der viele Medien sehen Jungen in einer kollektiven Krise. Doch Selbstpräsentation der Jungen, der interaktiven Formen und der bevor- wie sehen das die „Betroffenen“ selbst? Eine Forscher- zugten Wahl und Gestaltung von The- gruppe analysierte Gruppendiskussionen von Grundschülern. men beobachten zu können, die für Jungen von Interesse sind.

Von Klaudia Schultheis le Strobel-Eisele (PH Ludwigsburg) it diesem Ansatz einer päda- und Prof. Dr. Thomas Fuhr (PH Frei- gogischen Kinderforschung ungen haben in den letzten Jahren burg), Jungen zum Forschungsgegen- Mhat die Forschergruppe relati- häufig die Aufmerksamkeit der stand zu machen. Dazu kommt, dass ves Neuland betreten, insbesondere JMedien gefunden. Angeregt wur- sich Aussagen über Jungen bisher weil es zur im Projekt zum Einsatz de die öffentliche Diskussion über überwiegend auf Daten quantitativ- kommenden Methode der Gruppen- Probleme und Defizite von Jungen empirischer Bildungsforschung stüt- diskussion noch kaum Erfahrungen vor allem durch die internationale zen oder gar keine empirische Grund- mit Kindern gibt. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Interviewer im Hintergrund bleibt und allenfalls Im- pulse bereithält, um das Gespräch der Gruppe anzustoßen oder in Gang zu halten. Das Grup- pendiskussionsver- fahren bietet den Kindern die Mög- lichkeit, ihr gemein- sames Erleben in ihrer Sprache und in ihrem eigenen Dis- kursstil zu themati- sieren. Die Gesprä- che lassen sich als PIXELQUELLE Dokumente der kol- lektiven Erfahrung Schulleistungsstudie PISA, die zeigte, lage haben. Letzteres gilt vor allem für der Kinder verstehen, weil die betei- dass Jungen im Vergleich zu Mädchen Annahmen über die Sozialisation und ligten Kinder dem gleichen institutio- eklatante Defizite in den so genannten Identitätsentwicklung von Jungen von nellen Rahmen „Schule“ angehören Basiskompetenzen wie der Lesefähig- Seiten der kritischen Männerfor- und zumindest diesbezüglich einen keit haben. Der Kanon der Jungen- schung, aber auch für sozial- und gemeinsamen Erfahrungshinter- probleme, der der Öffentlichkeit prä- schulpädagogische Konzepte der Jun- grund aufweisen. Welche Lebensbe- sentiert wird, bezieht sich aber nicht genarbeit, die aus der Praxis heraus reiche jeweils zum Thema gemacht nur auf schulische Probleme, sondern entstanden sind. Der Bedarf an empi- werden, entscheiden im Verlauf einer umfasst auch physische und soziale rischem Wissen ist jedoch besonders Gruppendiskussion die Kinder einer Aspekte. Gründe für die Defizite der für die Entwicklung pädagogischer Gruppe selbst. Im Kommunikations- Jungen werden vor allem im Fehlen Ansätze der Jungenförderung gege- prozess der Gruppendiskussion bil- männlicher Vorbilder, der Vernach- ben. den sich kindliche Orientierungs- lässigung der Jungen durch die Schule Doch welche Einschätzung haben muster ab, die sich den Erwachsenen oder einer generellen Krise der Männ- Jungen in Bezug auf sich selbst? Wie nicht ohne weiteres erschließen, son- lichkeit gesehen. sehen sie ihre Welt, wo haben sie nach dern der Interpretation und Rekon- Diese aktuelle Diskussion war ein ihrem eigenen Urteil Schwierigkeiten, struktion im qualitativen Forschungs- wichtiger Anstoß für die Gruppe aus aber auch Stärken? Was erwarten sie prozess bedürfen. Eichstätter, Ludwigsburger und Frei- von ihren Eltern und von der Zu- Insgesamt hat die Forschergruppe burger Forscherinnen und Forscher kunft, wie erleben sie Freundschaften zwölf Gruppendiskussion mit Jungen unter der Leitung von Prof. Dr. Klau- und die Schule mit ihren Anforderun- aus dritten Grundschulklassen im dia Schultheis (KU), Prof. Dr. Gabrie- gen und welche Bedürfnisse haben Raum Eichstätt, in Ludwigsburg und

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in Freiburg durchgeführt. Die Grup- Jungen gibt keinen Hinweis darauf, Konturen einer sich neu konstituie- pendiskussionen wurden mit Video dass Jungen in ihrer Identität verunsi- renden pädagogischen Kinderfor- aufgezeichnet, transkribiert und mit chert seien, wie dies in der Jungenlite- schung, die ermöglicht, Lern- und Er- MaxQDA codiert. Zur Anwendung ratur häufig behauptet wird. Deutlich fahrungsprozesse von Jungen zu be- kamen unterschiedliche Auswertungs- wurde vielmehr, dass Jungen meister- schreiben und zu analysieren, um zu methoden, insbesondere die qualitati- haft die Kommunikationsform der einer realistischen Einschätzung ihrer ve Inhaltsanalyse nach Mayring und scherzhaften Geselligkeit beherr- Fähigkeiten und Kompetenzen zu ge- die Grounded Theory. schen, mit der sie in der Gruppe ihr langen. Untersucht wurde beispielsweise Jungensein gemeinsam inszenieren. das Verhältnis der Jungen zu Regeln Dies ermöglicht allen Jungen, die Jun- ie bisherigen Forschungsergeb- und sozialen Erwartungen unter dem genkonzepte der Gruppe zu überneh- nisse machen auf jeden Fall Gesichtspunkt der „Anomie“. Mit men. So setzen sich die Jungen in ih- Ddeutlich, dass sich das in der Anomie ist dabei ein verbal bekunde- ren Interaktionen mit dem Konzept jüngsten Diskussion in den öffent- tes, nicht den Regeln entsprechendes der hegemonialen Maskulinität aus- lichen Medien oder in den populären Verhalten gemeint, das sich überwie- einander und entwickeln auch eine Erziehungsratgebern verbreitete Bild gend auf leichtere Formen der Nicht- Vorstellung über das Verhalten eines der „armen“ und benachteiligten Jun- angepasstheit bezieht und sich zudem „richtigen Jungen“. Das Erlernen ei- gen nicht halten lässt. Jungen haben als Geschlechter differenzierendes nes Konzepts von Junge-Sein kann sich der Forschungsgruppe mit viel- Merkmal ausweisen lässt. Dabei wur- dabei in verschiedenen Formen erfol- fältigen Kompetenzen ausgestattet ge- de deutlich, dass Jungen gern Gren- gen. Bei der inkludierenden scherz- zeigt. Am interessantesten erscheint zen testen, imponieren wollen, ärgern haften Geselligkeit zeigen sich Jungen dabei ihre Fähigkeit, unproblematisch und necken, herumtoben, raufen und gegenseitig situierte Konzepte ihrer zwischen dem traditionellen und dem Ärger in Kauf nehmen, weil diese Er- Identität als Jungen, wobei offensicht- modernen Männerbild und den jewei- fahrung für sie mit Lust und Spaß be- lich durch Wiederholung bestimmte ligen Rollenerwartungen hin- und her setzt ist. Die Ergebnisse lassen den Figuren erlernt werden. Es findet sich zu „switchen“, wobei für sie dabei Schluss zu, dass draufgängerisches aber auch der exkludierende Kampf, kein Widerspruch und schon gar kein Verhalten, Imponiergehabe und An- in dem einzelne Kinder ausgegrenzt Identitätsproblem entsteht. Jungen gebertum bei Jungen nicht so sehr auf werden. In beiden Fällen lernen die fällt es leicht, zwischen den entspre- Geschlechtsrollenstereotype zurück- Jungen mitgängig jungentypische Ver- chenden Diskursen zu wechseln und zuführen sind und auch nicht auf so- haltens- und Handlungsformen. Die sie scheinen eine genaue Vorstellung ziale Anerkennung zielen, wie dies in Untersuchung macht außerdem deut- davon zu haben, wie Jungen sind und der Geschlechterdiskussion häufig ge- lich, dass Geld für die Jungen als Aus- wie man sich von den Mädchen abzu- sehen wird. Vielmehr scheinen darin druck für Wünsche, Sehnsüchte und grenzen hat. Das „Mädchen-sind- hohe Anteile an spontanen, primären sozialen Erfolg steht und im Denken doof“- Thema, die von uns häufig be- Neigungen zu liegen, die die Entwick- und Erleben der Jungen eine bedeu- obachtete Form des gegenseitigen lung von Eigenschaften, die mit Mut, tende Rolle spielt. Der Satz eines Jun- Übertrumpfenwollens oder die oft Selbstbewusstsein und emotionaler gen „Ich werd Fußballer und Milli- kommunizierten Berufswünsche von Unabhängigkeit zu tun haben, begün- onär“ repräsentiert, wie für die Jungen Pilot, Astronaut oder Fußballer zeu- stigen. Fragen der Berufswahl, des sozialen gen davon. Das hindert die Jungen Ansehens und der Lebensqualität im nicht daran, über Zukunftsängste, Tod ie Ergebnisse widerlegen die in Erwachsenenalter mit dem Thema und Sterben und überhaupt über der Jungenforschung verbreitete Geld verbunden sind. Emotionen zu sprechen, oder auch DThese, dass sich Jungen in einer „unmännliche“ Themen wie „Kinder- emotional belasteten Spannungssitua- eitere Erkenntnisse der For- kriegen“ aufzugreifen. Jungen können tion befänden und dass Jungen vor al- schungen betreffen die Bezie- sehr wohl differenziert über Gefühle lem den Umgang mit Angst und Whung der Jungen zu ihren Vä- sprechen; sie können gut Gespräche Schwäche lernen müssten, woraus tern. Hier zeigte sich, dass der Vater führen, aufeinander eingehen und dann die Notwendigkeit einer sozial- für die Jungen ein Rollenvorbild und können auch dafür sorgen, dass alle zu pädagogischen „Jungenarbeit“ auch in Identifikationsobjekt par excellence Wort kommen. Die bisherigen Ergeb- der Schule abgeleitet wird. Aus der ist. Väter sind Beziehungspartner, mit nisse geben genügend Hinweise auf Sicht pädagogischer Kinderforschung ihnen wollen die Jungen zusammen entsprechende Kompetenzen der Jun- darf der Hang der Jungen zur Abwei- sein, mit ihnen können sie fühlen und gen. chung nicht unter moralischen Gene- sich mit ihnen messen. Den Jungen ist ralverdacht gestellt oder als Gewalt- dabei bewusst, dass ihre Väter selbst neigung verstanden werden, sondern einmal Jungen wie sie waren und dass LITERATUR erfordert, ihm mit entsprechenden sie selbst einmal Vater sein können Angeboten zum kontrollierten Ausle- und damit auch Verantwortung zu Schultheis, Klaudia / Strobel-Eisele, ben zu begegnen und ihm anderer- übernehmen haben. Gabriele / Fuhr, Thomas (Hrsg.): seits aber auch durch Grenz- und Re- Mit den bisher vorliegenden Ergeb- Kinder: Geschlecht männlich. Päda- gelsetzung konsequent pädagogisch nissen ist das vorhandene Datenmate- gogische Jungenforschung. Kohl- entgegenzutreten. Auch die Untersu- rial noch lange nicht ausgeschöpft. hammer Verlag: Stuttgart 2006. chung der Interaktionsformen von Vorgezeichnet werden aber erste

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Politik und Religion in den USA

Europäischen Beobachtern erscheinen die USA vertraut und nach dem Tod, 56,3 Prozent beten täglich, 46,8 Prozent besuchen min- fremd zugleich. Auf betende amerikanische Präsidenten in destens einmal im Monat den Got- „God’s own country“ reagieren Europäer zumeist irritiert. tesdienst. Ebenso wie die Religio- sität der Amerikaner viele Europäer Doch gilt es zu unterscheiden zwischen der amerikanischen befremdet, irritiert umgekehrt die Amerikaner die fortschreitende Sä- „Zivilreligion“ und Religion im konfessionellen Sinne. kularisierung auf unserem Konti- nent. Das Unverständnis beider Sei- ten beruht demnach auf einem Von Manfred Brocker bild. Der außenpolitische Koordina- gegenläufigen Prozess. Dass die reli- tor der Europäischen Union, Javier giöse Vitalität der amerikanischen ollywood-Filme und Coca-Co- Solana, konstatierte in einem Inter- Gesellschaft in den letzten Jahr- la, Hamburger und MTV gehö- view mit der „Financial Times“, die zehnten noch einmal zugenommen Hren längst zum festen Bestand- seit einige Zeit zu beobachtende habe, ist allerdings weitgehend eine teil auch unserer Kultur. Und doch transatlantische Entfremdung habe europäische Fehlperzeption: Ohne scheint uns Amerika in anderer Hin- ihre Wurzeln in der religiösen Kluft, Frage ist die Religion in den USA sicht rätselhaft. Bibelstunden im Wei- die den „alten Kontinent“ und die öffentlich sichtbarer geworden. ßen Haus und betende Präsidenten Vereinigten Staaten trenne. Im säku- Konservative Protestanten („Evan- irritieren viele Europäer zutiefst. Als laren Europa sei man es nicht ge- gelikale“) mischen sich heute laut- George W. Bush im Zusammenhang wohnt, die Welt in den Schwarz- stark in die Politik ein. Sie fordern mit den militärischen Maßnahmen weißkategorien des religiösen Ame- eine Rückbesinnung des Landes auf gegen den Terrorismus von einer rika zu betrachten. Und der Direk- seine christlichen Wurzeln und wol- „Mission der Freiheit“ sprach und tor der „Foundation for Strategic len die in den 1960er Jahren einset- Staaten wie den Irak, den Iran und Research“ in , François Heis- zende sukzessive Liberalisierung Nordkorea auf einer „Achse des Bö- bourg, bezweifelte gar, dass Europa und Modernisierung der Rechts- sen“ verortete, löste er in Europa und die Vereinigten Staaten ange- und Gesellschaftsordnung zurük- Unverständnis, ja Ablehnung aus. sichts der religiösen Unterschiede kdrängen. Darüber hinaus haben Dass er sich in Fragen der Weltpolitik noch „Teil derselben Zivilisation“ insbesondere die strengeren religiö- derart unverhüllt einer Sprache des seien (Frankfurter Allgemeine Zei- sen Bekenntnisse starken Zulauf, je- Glaubens bediente, leistete hierzulan- tung, 15. Juli 2003, S. 35). ne Glaubensgemeinschaften also, de der weit verbreiteten Einschät- Auch wenn man immerhin in die wie die fundamentalistischen zung Vorschub, der Einmarsch der Rechnung stellte, dass nicht alle Südstaatenbaptisten, die Pfingstler, USA in den Irak Anfang 2003 sei ein Amerikaner „Fundamentalisten“ Zeugen Jehovas und Mormonen ho- religiös motivierter Akt und der US- seien, machten die Ereignisse seit he Ansprüche an ihre Mitglieder Präsident ein „christlicher Funda- dem 11. September 2001 europäi- stellen und gezielt missionieren. mentalist“ und „Kreuzritter“, der ei- schen Beobachtern eindringlich be- Doch ist zugleich – nicht anders als ne „heilsgeschichtliche Botschaft“ wusst, dass die amerikanische Ge- in Europa – die Zahl der Glaubens- verfolge (vgl. Frankfurter Allgemeine sellschaft tief religiös und gläubig ist losen in den letzten Jahrzehnten Zeitung, 3. Februar 2003, S. 6). – in dieser Hinsicht eher vergleich- deutlich gestiegen, wenn auch von „Bush, das ist der Ayatollah“, ließ bar mit islamischen Ländern denn einem deutlich niedrigeren Niveau sich etwa der Tübinger Literaturwis- mit Europa, das seit langem den aus; sie liegt gegenwärtig bei 13,7 senschaftler und Rhetorikprofessor Weg der Säkularisierung beschritten Prozent. Walter Jens im evangelischen Maga- hat. Dass zudem die stark ausge- zin „chrismon“ (Heft 3, 2003, S. 44) prägte Religiosität bei vielen Ameri- ur gleichen Zeit ist die amerika- vernehmen, „ein Mann, der auf kanern mit einem „demokratischen nische Gesellschaft religiös plu- ,christlicher‘ Basis einen heiligen Sendungsbewusstsein“ einhergeht, Zralistischer geworden: 52,8 Pro- Krieg zu führen sucht; der die Rea- mit der Vorstellung, die USA seien zent der Bevölkerung bezeichnen lität hier auf Erden vollkommen mit ein „erwähltes“ Land – „God’s own sich als Protestanten, davon 32,7 einer von Gott gegebenen Mission country“ –, tat ein Übriges. Prozent als Baptisten, 13,9 Prozent identifiziert“. als Methodisten, 10 Prozent als Lu- ie Amerikaner sind zweifellos theraner und 5,3 Prozent als Presby- icht nur in Deutschland speku- ein gläubiges Volk. Im Unter- terianer; 24,3 Prozent sind Katholi- lierten Intellektuelle, Kirchen- Dschied zu Europa, wo immer ken, 1,7 Prozent Juden; ferner gehö- Nvertreter und Politiker über weniger Menschen in die Kirche ge- ren – wie Hindus, Moslems oder den „fundamentalistischen“ Glau- hen und sich zu einer Religion be- Buddhisten – etwa 8 Prozent einer ben des amerikanischen Präsidenten kennen, glauben laut Umfragen 71,1 nicht jüdisch-christlichen Religion an und dessen „manichäisches“ Welt- Prozent der US-Bürger an ein Leben (Daten des „General Social Survey“

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von einander abzugrenzen, spricht man in den USA seit langem von „Zivilreligion“ (civil religion). Ge- meint ist damit jenes Ensemble an Glaubenssätzen, Symbolen und Ri- tualen, das die Bürger an das politi- sche Gemeinwesen bindet und die- ses in seinen Institutionen und Re- präsentanten in letzter Instanz als transzendent legitimiert erscheinen lässt („In God We Trust“). Es be- nennt zugleich Werte, die prinzipiell menschlicher Dispositionsfreiheit entzogen sein sollen („Liberty is God’s gift to humanity“), und stellt zudem die Geschichte und das Schicksal der Nation in einen öffent- lich vermittelten Sinnbezug („Provi- dence“). Die „Zivilreligion“ artiku- liert die Vision, die die Nation als in- tegriertes Ganzes zusammenhält. Sie ist ein „Ordnungsglaube“, der zu den unterschiedlichen „Heilsglau- ben“ der verschiedenen Glaubens- gemeinschaften hinzutritt, mit die- sen aber nicht identisch ist (M. Mar- ty). Insofern stellt die amerikanische Zivilreligion keinen verwässerten Puritanismus oder Protestantismus dar, sondern repräsentiert einen ei- genständigen Wertekonsens, der als „gemeinsamer Nenner“ den Zu- sammenhalt und die Stabilität der höchst disparaten, ethnisch wie reli- giös stark fragmentierten Gesell- schaft verbürgt. PHOTOCASE chon Anfang des 19. Jahrhun- derts hat der französische SAmerikareisende Alexis de Tocqueville in seinem Buch „Über 2002; www.thearda.com), wobei auch gion rechtlich zu privilegieren erlaubt die Demokratie in Amerika“ dieses ihr Anteil weiter zunimmt. Insgesamt – auch wenn der Protestantismus zu- sinnstiftende Konglomerat an Ide- existieren in den USA inzwischen nächst (und in vielen Landesteilen bis en, Glaubenshaltungen, Einstel- mehr als 1.000 Religionsgemein- heute) kulturell wie gesellschaftlich lungsmustern und Verhaltensweisen schaften nebeneinander. Ihr Zu- dominierte. eindrucksvoll geschildert. Bei allen – sammenleben für alle akzeptabel zu auch religiösen – Unterschieden teil- gestalten, gehört seit der Gründung och trotz oder gerade wegen ten die Bürger der Vereinigten Staa- der Vereinigten Staaten durch protes- dieser Trennung von Kirche ten offenbar eine gemeinschaftliche tantische Kolonisten unterschiedlich- Dund Staat spielte und spielt die „Glaubenslehre“, die später als „A- ster konfessioneller und nationaler Religion im öffentlichen Leben der merican Creed“ (Gunnar Myrdal) Provenienz zu den zentralen Aufga- USA nach wie vor eine wichtige bezeichnet worden ist. Die Aufgabe, ben der bundesstaatlichen politi- Rolle. Unverkennbar hat sie ihren den Zusammenhalt der heterogenen schen Ordnung. Dabei entschied Platz bei der Amtseinführung der Gesellschaft mittels eines gemeinsa- man sich für eine verfassungsrechtli- Präsidenten („inaugurations“), bei men „Glaubens“ zu gewährleisten, che Regelung, die einerseits eine den offiziellen Festakten am Inde- hätte eine einzelne Religion oder weitgehende Religionsfreiheit vor- pendence-, Veterans- oder Martin Konfession kaum erfüllen können. sieht, andererseits die Kirche(n) vom Luther King-Day, die allesamt religi- Wäre etwa der Protestantismus im Staat trennt. Abweichend vom briti- ös inszeniert werden. Doch „religi- 18. Jahrhundert rechtlich privilegiert schen Muster der Staatskirche ver- ös“ bedeutet hier etwas anderes als oder gar zur Staatsreligion erhoben wirklichte man in den USA mithin religiös im konfessionellen Sinne. worden, hätte dies über kurz oder ein liberales Modell, das keine Reli- Um die unterschiedlichen Gehalte lang zum Auseinanderbrechen der

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Gesellschaft geführt, zu der schon staatlicher Organe weitgehend entzo- amerikanischen Bevölkerung – den damals neben Nicht-Protestanten, gen. Überhaupt steht der Schutz der dogmatischen Kern des „American Nicht-Christen und Nicht-Gläubi- persönlichen Freiheit der Bürger – Creed“. gen Hunderte von protestantischen als Kernbestand der Zivilreligion – Kirchen und Sekten gehörten, die im Zentrum der politischen Ord- as Nebeneinander von zivilre- sich wohl niemals auf den Inhalt ei- nungsvorstellungen der Amerikaner. ligiös überhöhtem Patrio- ner gemeinsamen „Staatsreligion“ An der Erfüllung dieser Aufgabe be- Dtismus und konfessioneller In- hätten einigen können. misst sich die Legitimität jeder staat- brunst, von zivilreligiöser Rhetorik lichen Machtausübung. Der vitale Pa- in den öffentlichen Ansprachen der ie amerikanische Zivilreligion triotismus der amerikanischen Bevöl- Präsidenten – denn darum handelt geht daher nicht zufällig einher kerung zieht nicht zuletzt hieraus ei- es sich primär auch bei George W. Dmit der bereits angesprochenen nen seiner stärksten Impulse: im Bush – und konfessioneller Gläubig- Trennung von Kirche und Staat, ei- „freiesten Land der Welt“ zu leben, keit ist für den Europäer nur schwer ner vielleicht strengeren Trennung, in dem jeder „nach seiner Façon se- zu verstehen. Aufklärung über die als sie selbst in den säkularsten Staa- lig“ werden kann. Rolle der Religion in der amerikani- ten Europas der Gegenwart zu fin- schen Politik und Gesellschaft tut al- den ist. Der Erste Verfassungszusatz Selbst Vertreter der „Christ- so not. Erfreulicherweise haben die zur amerikanischen Bundesverfas- Publikationen zu diesem Themen- lichen Rechten“ fühlen sich der sung von 1791 verbietet bis heute die feld in den letzten Jahren deutlich staatliche Förderung der Religionen Zivilreligion zutiefst verpflichtet. zugenommen. Viele von ihnen, so oder die Bevorzugung einer be- etwa das Buch „In God We Trust“ stimmten Konfession. Er erlaubt – s gibt folglich ein Nebeneinan- von Rainer Prätorius (München gemäß seiner Auslegung durch das der von Zivilreligion und Reli- 2003), beleuchten unterschiedliche Oberste Bundesgericht – weder die Egion im herkömmlichen Sinn Aspekte des vielschichtigen und finanzielle Unterstützung von Kir- (religion proper). Dass Letztere in schillernden Verhältnisses von Poli- chen und kirchlichen Einrichtungen jüngster Zeit politisch zunehmend tik und Religion in den USA, stellen noch die öffentliche Verwendung re- ins Rampenlicht rückte, ist eine für die wichtigsten Glaubensgemein- ligiös-konfessioneller Symbole (wie die USA weitgehend neue Entwick- schaften vor und zeichnen deren po- das christliche Kreuz) durch staatli- lung. Nicht zuletzt durch das Auftre- litische Einflussmöglichkeiten nach. che Institutionen und Repräsentan- ten der so genannten „Christlichen Darin werden Forschungsfragen di- ten. Das verfassungsrechtliche Gebot Rechten“, einer religiös-politischen skutiert wie: Was bewegt Evangelika- der Trennung von Kirche und Staat Bewegung konservativer Protestan- le, Katholiken und schwarze Christen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ten, die das Rad der Geschichte in in Amerika? Welche Organisationen umso strenger ausgelegt, je mehr die die 1950er Jahre der Eisenhower- greifen ihre religiös motivierten po- Zahl der Religionen und Weltan- Präsidentschaft zurückdrehen möch- litischen Forderungen auf und wel- schauungen in den USA – teils durch ten, nahm das „religiöse Lobbying“ chen Erfolg haben ihre Lobby-Akti- Einwanderung, teils durch autoch- in der Bundeshauptstadt Washing- vitäten? Ist der US-Präsident in sei- thone Entwicklungen – zunahm. In- ton DC und in den Hauptstädten nen außenpolitischen Entscheidun- sofern sind die Vereinigten Staaten in der Einzelstaaten eine quantitativ gen autonom oder muss er Rück- institutioneller Hinsicht ein weitaus wie qualitativ bis dahin nicht ge- sicht nehmen auf die Wünsche seiner „säkulareres“ Land als die Bundesre- kannte Dimension an. Auch wenn evangelikal-fundamentalistischen, jü- publik Deutschland, in der viele Reli- viele in den Reihen der „Christlichen dischen oder katholischen Stamm- gionsgemeinschaften als Körper- Rechten“ zu Recht als „Fundamen- wählerklientel? Weitere Arbeiten zu schaften des öffentlichen Rechts an- talisten“ bezeichnet werden können diesem Themenfeld werden hof- erkannt sind und eng mit dem Staat – ein Begriff, den konservative ame- fentlich folgen, um unsere Kennt- kooperieren. Man denke nur an die rikanische Protestanten Anfang des nisse weiter zu vertiefen über das Kirchensteuer oder den konfessio- 20. Jahrhunderts prägten, um ihre uns vertraute und doch so fremde nellen Religionsunterricht an öffent- Frontstellung gegen den „modernis- Land USA. lichen Schulen. In den USA verstieße tischen“ Flügel ihrer Glaubenrich- beides gegen die Verfassung. tung zum Ausdruck zu bringen – sind sie dennoch keine „Theokra- it der Trennung von Kirche ten“. In einen „Gottesstaat“ wollen und Staat verbunden ist in sie die USA nicht verwandeln: Selbst Mden USA die Gewährleistung die schärfsten Kritiker der gesell- einer fast uneingeschränkten Reli- schaftlichen Entwicklung seit LITERATUR gionsfreiheit, die auch exotischen „1968“ fühlen sich der amerikani- und Besorgnis erregenden Gruppen schen Zivilreligion zutiefst ver- wie Scientologen, Rekonstruktioni- pflichtet: Freiheit, Demokratie und Brocker, Manfred (Hrsg.) : „God sten und Satanisten zu Teil wird – so- marktwirtschaftliche Ordnung ste- bless America“ Politik und Reli- lange zumindest, als sie sich im Rah- hen für sie nicht zur Disposition. gion in den USA. Darmstadt men der (Straf-) Rechtsordnung be- Diese Werte bilden für sie – wie für 2005 (Primus-VVerlag) wegen. Sie alle sind den Eingriffen die überwältigende Mehrheit der

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Gute Sozialarbeit per Mausklick?

Seit April 2006 ist an der Fakultät für Soziale Arbeit das Dabei produzieren allein in Deutschland gut 200 Firmen Soft- Fachgebiet Sozialinformatik mit einer Professur vertreten. ware für die Sozialwirtschaft, ihre Doch was hat es mit dieser Verknüpfung aus Mitmensch- Programme sind täglich in vielen tausenden Einrichtungen im prakti- lichkeit und Computertechnik auf sich? schen Einsatz. Im Unterschied zu anderen Branchen sind die Herstel- ler-Unternehmen bislang kaum mit Von Helmut Kreidenweis Statistiken für Träger und Landes- den Hochschulen vernetzt, Soft- amt werden weiter von Hand ge- ware-Entwicklung und die Entwik- rste Szene: Im Kinder- und Ju- führt, da beide Programme hierfür klung fachlicher Konzepte sind gendheim Berghof kosten Ver- nicht gerüstet sind. weitgehend getrennte Welten. So Ewaltung und Abrechnung viel fließen etwa wissenschaftliche Er- Zeit. Ein Zivildienstleistender ugegeben: Dieses kurze Stück kenntnisse etwa über eine gelingen- schreibt ein kleines Computerpro- ist frei erfunden, aber keines- gramm, mit dem jetzt alles schneller Zwegs realitätsfern oder gar gehen soll. Nach wenigen Monaten überzeichnet. Die Einführung und ist der Zivi weg und die Einrichtung Nutzung von Informationstechno- kommt ins Schleudern. Ein Prakti- logie in sozialen Organisationen ver- kant verschlimmbessert die Soft- läuft bis heute oft wenig geplant und ware, man bastelt ein Jahr lang he- gesteuert. Die von der teuren Tech- rum, rechnet schließlich wieder von nik erhofften Effizienz- und Quali- Hand. tätsgewinne stellen sich nur spärlich Zweite Szene: Die Heimleiterin ein oder werden durch unerwünsch- gibt sich einen Ruck und entscheidet te Nebenwirkungen aufgezehrt. sich für eine „Profi-Software“. Ein Dies zeigt sich um so schmerzlicher, Kollege hat ihr gesagt, das Pro- je mehr Geschäftsprozesse in IT- gramm EasyKids sei angeblich nicht Systemen abgebildet werden. Waren schlecht. Der Vertriebsmann des es anfangs nur isolierte Verwaltungs- Anbieters ist sympathisch, der Preis vorgänge, so dringt die IT in Form zwar happig, doch der Kaufvertrag von Spezialprogrammen immer schnell unterschrieben. Schon bei mehr in die Kernbereiche der Sozia- der Einführung beginnt es zu haken: len Arbeit vor: Anamnese, Planung, Eine oberflächliche Null-Acht- Dokumentation und Evaluation per- Fünfzehn-Schulung, komplizierte sonen- oder familienbezogener Hil- Bedienung und häufige Programm- fen. Hinzu kommt die tägliche Nut- abstürze machen die erhoffte Zeiter- zung von Internet, E-Mail, Office-

sparnis schon im Ansatz zunichte. Software und manches mehr, die PHOTOCASE Irgendwann arrangiert man sich mit auch Fragen des Datenschutzes und der misslichen Lage, doch vieles der Datensicherheit, der Anwender- wird weiterhin umständlich mit Pa- unterstützung oder der Gesamtge- de Gestaltung von Hilfeplanungs- pierformularen und Excel-Tabellen staltung der IT-Landschaft einer so- prozessen bislang nicht oder besten- erledigt. zialen Organisation aufwerfen. falls stark gebrochen in die Gestal- Dritte. Szene: Den pädagogischen tung der Programme ein. Die Praxis Leiter drücken immer mehr Nach- och weder Forschung noch ist vielfach damit überfordert, fach- weispflichten seitens des Jugendam- Ausbildung im Bereich der So- liche Anliegen in konkrete Software- tes, das auf Einführung eines Dzialen Arbeit haben sich bis- Anforderungen zu übersetzen. elektronischen Berichtswesens lang systematisch um das Thema In- drängt. Nach einigen Versuchen mit formationstechnologie gekümmert. och weshalb gleich eine neue Word schafft man ein kleines, gün- An einigen wenigen Hochschulen Disziplin? Warum kann die stigen Programm dafür an. Doch ein wurden mittlerweile Professuren da- DSozialinformatik nicht einfach Teil der Sozialarbeiter weigert sich, für geschaffen. Empirische For- bestehenden Fachrichtungen wie mit der Software zu arbeiten. Die schung etwa über die Wirkung des der Wirtschafts- oder Verwaltungs- Daten der Kinder müssen zweifach IT-Einsatzes auf die fachlichen informatik zugeordnet werden? So- in Verwaltung und Pädagogik einge- Qualität oder zu den softwaretechni- ziale Dienstleistungsprozesse weisen geben werden, zwischen beiden Be- schen bzw. organisatorischen Rah- eine spezifische Logik auf, die sie reichen sind nach wie vor viele Zet- menbedingungen für eine gelingen- von administrativen oder industriel- tel und E-Mails unterwegs. Und die de Einführung gibt es bislang kaum. len Prozessen unterscheidet. Ein

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zentrales Merkmal ist beispielsweise gen in sozialen Organisationen so- ethischen Herausforderungen und die Koproduktion durch die Adres- wie um die wissenschaftlich fundier- Grenzen des elektronischen Helfens saten: Soziale Arbeit kann Verände- te Reflexion und Evaluation des kritisch zu reflektieren. rungsprozesse meist nur initiieren, Einsatzes dieser Technik. Eine inter- unterstützen und begleiten, die ei- disziplinäre Ausrichtung ist für die n der KU wird Sozialinforma- gentlichen Veränderung müssen je- Sozialinformatik dabei selbstver- tik im Rahmen des Fachhoch- doch die Adressaten selbst bewerk- ständlich. Ihre grundlegenden Para- Aschulstudiengangs Soziale Ar- stelligen. Dazu müssen sie eng in die digmen und praktischen Fragestel- beit gelehrt. In Planung ist ein spe- lungen bezieht sie zieller Master-Studiengang Sozialin- naturgemäß aus der formatik, der berufsbegleitend Lei- Sozialen Arbeit tungskräfte für den IT-Bereich in und dem Sozialma- sozialen Organisationen ausbilden nagement. Ange- will. Eine sorgfältige Abstimmung wandte Informatik, innerhalb der KU und mit poten- Wirtschafts-, oder tiellen externen Partnern findet der- Verwaltungsinfor- zeit statt. An der demnächst einge- matik steuern bei- richteten Arbeitsstelle für Sozialin- spielsweise metho- formatik sollen Forschungs- und disches Wissen zur Entwicklungsvorhaben angesiedelt Analyse und Abbil- werden. Zu den geplanten Aktivitä- dung von Ge- ten gehören eine regelmäßige Fach- schäftsprozessen in tagung, eine Internet-Plattform, ein der Software oder IT-Report für die Sozialwirtschaft zur Entwicklung sowie ein neues Periodikum. von Implementa- Und wie ging es inzwischen in un- tions- oder Betriebs- serem Kinder- und Jugendheim wei- konzepten bei. Ihre ter? Die Heimleitung hat eine Sozial- Wirkung zum Nut- pädagogin mit sozialinformatischer Interdisziplinäre Di- Planung und Auswertung der Hilfe- zen der Sozialen Arbeit und ihrer Ausbildung eingestellt, die mit der mensionen von Sozial- verläufe eingebunden werden, was Adressaten entfaltet die Sozialinfor- Hälfte ihrer Arbeitszeit für die Be- sich in der Gestaltung der Software matik also in einem Dreieck aus So- treuung der IT verantwortlich zeich- informatik als Diszi- widerspiegeln muss. Auch sind diese zialer Arbeit, Informatik und Ma- net. Nach einer systematischen Be- plin und angewandte Prozesse selten linear-logischer Na- nagement standsaufnahme empfahl sie , die pä- Wissenschaft. tur, sie erweisen sich vielmehr als dagogischen und verwaltungstechni- sehr dynamisch und zyklisch. Viele och Sozialarbeiter, Bereichs- schen Prozesse so weit wie möglich Veränderungen im psychischen, fa- und Einrichtungsleiter sollen zu standardisieren und methodenge- miliären oder schulisch-beruflichen Dkeine Programmierer werden. stützt zu dokumentieren. Auf dieser Bereich sind nicht vollständig plan- Die Sozialinformatik versteht sich Grundlage wurde auch unter Beteili- bar, Ziele müssen gemeinsam mit nicht als Konkurrenz zu den infor- gung der IT-skeptischen Kollegen ein den Adressaten immer wieder über- matischen Kerndisziplinen. Sie will Anforderungsprofil für eine Fach- prüft, angepasst oder neu gesteckt primär als Schnittstelle zwischen software erstellt, im Anschluss an ei- werden, Dokumentations- und Eva- Fachlichkeit und Sozialmanagement ne systematische Marktanalyse ge- luationsmethoden müssen auf diese auf der einen und Technikwissen kauft und mit Hilfe eines Stufenkon- fachspezifische Dynamik abge- auf der anderen Seite fungieren. Da- zeptes erfolgreich eingeführt. Seit- stimmt sein. Und schließlich müssen zu müssen beispielsweise Analyse- dem ist durch fundierte Erfolgsnach- die komplexen Falldaten aufbreitet, und Planungsmethoden angepasst weise nicht nur die Akzeptanz des verdichtet und mit Finanzdaten in oder entwickelt werden, die eine Hauses beim Jugendamt und damit Beziehung gesetzt werden, um die sachgerechte und wirtschaftliche auch die Belegung gesichert. Die frü- Einrichtungen betriebswirtschaft- Bereitstellung von IT-Lösungen für her für Verwaltungsarbeiten oder die lich und fachlich sinnvoll steuern zu die Praxis ermöglichen. Suche nach Unterlagen verwendete können. Die IT-Nutzung in der Sozialen Zeit können die Mitarbeiter jetzt in Arbeit wird künftig nicht nur aus eine qualitativ hochwertige Planung, ach Wolf Rainer Wendt (2000) dem Einsatz fachspezifischer Soft- Dokumentation und Evaluation ihrer übernimmt die Sozialinforma- warelösungen bestehen. Neue Tech- Arbeit investieren. Sogar die Kinder Ntik „fachliche Verantwortung nik-Anwendungen etwa im Bereich werden aktiv daran beteiligt: Ihren für den Produktionsfaktor Informa- der Online-Beratung oder der com- Fortschritt bei der Erreichung von tion im System sozialer Dienstleis- putergestützten Hilfen für Men- Zielen wie selbständiges Erledigen tungen und ihrem Umfeld wahr“. schen mit Handicaps werden neue der Hausaufgaben schätzen sie selbst Dabei geht es gleichermaßen um die Fragen produzieren, auf die die So- am PC ein und sehen sich gemein- kritisch-konstruktive Begleitung von zialinformatik Antworten finden sam mit ihren Erziehern Kurvendia- IT-Entwicklungsprozessen, die fach- muss. Neben der Entfaltung der gramme an, die ihren Fortschritt do- gerechte Anwendung von IT-Lösun- Chancen gilt es hier freilich auch die kumentieren.

20  KU Agora NACHRICHTEN LEHRE FORSCHUNG BÜCHER & PERSONEN PHOTOCASE Vom Infomangel zum Infoüberfluss

Medien spiegeln den gesellschaftlichen Wandel wider den Ad-hoc-Veröffentlichungen zum periodischen Erscheinen. Innerhalb und prägen diesen gleichzeitig mit. Die rasante Zunahme von nur zwei Jahrzehnten beschleu- der Medienangebote fordert sowohl die Nutzer als auch nigten sich die Erscheinungsinterval- le in enormer Weise: vom jährlich er- die Medienmacher heraus. Ein Blick zurück nach vorn. scheinenden Kalender über die halb- jährlich gedruckten Messrelationen bis zu Monatsschriften und Wochen- Von Walter Hömberg Drucker Johann Carolus mit seiner blättern. Die Periodizitätsfolgen ent- „Relation“ die erste gedruckte Wo- sprechen dabei im allgemeinen den unde Jubiläen haben ihren ei- chenzeitung herausgebracht. Zyklen der astronomischen Zeit: genen Reiz. Sie synchronisie- Jahr, Monat, Tag. Voraussetzungen Rren das gesellschaftliche Ge- enn man sich mit den Ent- für diese Entwicklung waren die Er- dächtnis und befördern dadurch ei- wicklungslinien des Journa- findung des Satzes mit beweglichen ne kollektive Erinnerungskultur. Wlismus beschäftigt, dann geht Lettern, die Verbesserung der Häufig sind es die Geburts- oder der Blick zunächst zurück. Die Wur- Drucktechnik, die steigende Bevölke- Sterbedaten bedeutender Persön- zeln lassen sich weit zurückverfolgen rungsdichte, die wachsende Zahl der lichkeiten, auf die sich die Aufmerk- – mindestens bis ins Altertum. Der Gewerbe und Berufe, die Zunahme samkeit konzentriert. In diesem Jahr Literarhistoriker Wilhelm Scherer hat des Geldvermögens, die Expansion standen der Dichter Heine und der die Spielleute und Minnesänger des des Handels und der Ausbau des Musiker Mozart im Zentrum des frühen Mittelalters als „wandernde Post- und Nachrichtenverkehrs. öffentlichen Interesses. Im letzten Journalisten“ bezeichnet, und der Gerade die Bedeutung der Post für Jahr waren es Schiller und Einstein. Medienwissenschaftler Werner Faul- die Medienentwicklung darf man Ein Ereignis ist dabei fast übersehen stich spricht von „Menschmedien“. nicht unterschätzen: Lange vor Er- worden: Die Geburt der modernen Die erste große Medientransforma- findung der Telekommunikation hat Presse, die sich 2005 zum vierhun- tion ereignete sich an der Wende vom die Post ein World Wide Web ge- dertsten Male jährte. Im Sommer 16. zum 17. Jahrhundert. Sie findet webt, das sowohl für den Input in die des Jahres 1605 hat der Straßburger Ihren Ausdruck im Übergang von Medien als auch für die Verbreitung

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der Medien selbst von zentraler Be- tung ließen sich nicht mehr nebenher die Zeitschrift und der Rundfunk. deutung war und ist. Die frühen peri- betreiben, der redaktionelle Journa- Der letzte Medienbericht der deut- odischen Zeitungen wurden von Per- lismus wurde zum eigenständigen schen Bundesregierung, erschienen sonen produziert, die mehrere Be- Beruf. 1998, nennt die Zahl von 1673 Publi- rufsrollen in sich vereinigten: Die Die Beschleunigung des Nachrich- kumszeitschriften mit einer Gesamt- meisten Verleger bzw. Herausgeber tenverkehrs, zunächst durch Eisen- auflage von annähernd 130 Millionen waren zugleich Buchdrucker oder bahn und Dampfboot, später durch Exemplaren. Die Zahl der Zeitschrif- Postmeister, saßen also an den Telegrafie und Telefonie, führten zu- ten insgesamt ist jedoch um ein Viel- Schaltstellen der technischen Her- sammen mit neuen Produktionsver- faches höher - bei der Deutschen Bi- stellung oder des Nachrichtenver- fahren zu gesteigerter Aktualität in bliothek sind rund 100 000 laufende kehrs. Der Inhalt der Zeitungen der Medienkommunikation. Noch periodische Druckwerke aus dem stammte von neben- oder teilberuf- gab es keinen Aktualitätsfetischis- deutschen Sprachraum registriert. lich arbeitenden Korrespondenten, mus: Vom Sieg Napoleons in der Besonders dynamisch hat sich seit die im Hauptamt Diplomaten, Hof- Schlacht bei Austerlitz berichtete die Einführung des dualen Systems vor sekretäre, Amtsschreiber oder Kauf- „Spenersche Zeitung“ in Berlin erst zwei Jahrzehnten das Angebot an leute waren. Für die „Hofzeitungen“ 17 Tage später. Und der Tod Napole- Rundfunkprogrammen entwickelt: fielen gelegentlich auch Brosamen ons am 5. Mai 1821 wurde von der Per Kabel lassen sich heute durch- aus den Fürstenkorrespondenzen ab. „Times“ in als erster Zei- schnittlich knapp 40, per Satellit etwa tung erst zwei Monate später gemel- 50 Fernsehprogramme pro Haushalt det. Die Tendenz ging jedoch in empfangen. Immer mehr davon lau- Richtung Gleichzeitigkeit von Ereig- fen inzwischen rund um die Uhr. Das nis und Rezeption. Mit den neuen „Testbild“, früher ruhender Pol für Telemedien des vergangenen Jahr- meditativ veranlagte Zuschauer, ist hunderts, mit Hörfunk und Fernse- längst abgeschafft. Die Zahl der Hör- hen ist diese erreicht. Damit hat sich funkprogramme in Deutschland liegt eine neue Dimension der Medienzeit bei etwa 400. Allein in Berlin kämp- aufgetan: die Simultanität. fen bald 40 Programme um die Luft- hoheit über den Frühstückstischen. wei Entwicklungstrends des In Bayern werden rund 70 lokale Journalismus lassen sich im 19. Programme ausgestrahlt. ZJahrhundert besonders gut stu- dieren: die Expansion und die Dif- ir stehen mitten in einer neu- ferenzierung. Als Beispiel sei die en Medientransformation. „Neue Zürcher Zeitung“ genannt. WManches erinnert an die Im Jahre 1840 erschien dieses Siebzigerjahre. Im Rückblick lassen schweizerische „prestige paper“ drei- sich etliche Voraussagen von damals mal pro Woche, ab 1894 dreimal am nur als „Prognoseschrott“ bezeich- Tag. Während 1840 nur ein Redak- nen. So erschien 1970 ein Buch mit teur das Blatt redigierte, waren es dem Titel „Ein Medium kommt auf

PHOTOCASE 1894 schon sechs Redakteure. Der die Welt“, in dem unter anderem ein Output an Nachrichten verdoppelte hymnisches Lob auf die Bildplatte sich regelmäßig von Jahrzehnt zu gesungen wurde. Dieses neue Me- Jahrzehnt. Parallel zur Expansion dium wurde ein Flop – genauso wie in Sprung von 200 Jahren zeigt verlief die interne Differenzierung: der Bildschirmtext, dem ebenfalls einen weiteren wichtigen Im genannten Zeitraum entstanden, eine rasche Verbreitung attestiert EEntwicklungsschritt: Beim Wech- hervorgegangen aus Sparten bzw. worden ist. sel vom 18. zum 19. Jahrhundert, in Rubriken, die meisten der großen Angesichts des Ausbaus des tech- der Periode des schriftstellerischen Ressorts, die noch heute das Gesicht nischen Kommunikationssystems Journalismus, wurde die Autoren- des Blattes prägen: Inland, Ausland, bildeten sich schnell jene Fronten, existenz immer mehr zum Zentrum Wirtschaft, Feuilleton und Lokales. die jedem Prognosehistoriker be- eigenständiger Erwerbstätigkeit. Eine Expansion und Differenzierung – stens bekannt sind: Auf der einen Wende brachte vor allem die zweite was zeigt sich, wenn wir wiederum Seite die Apologeten, die die Zu- Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ange- knapp 200 Jahre, diesmal direkt in die kunftschancen beschworen, die öko- trieben durch den Motor Industriali- Gegenwart springen? Zunächst Ex- nomischen Vorteile, den Nutzen für sierung, führten wachsende Informa- pansion: In immer kürzeren Zeitab- jeden Einzelnen – auf der anderen tionsbedürfnisse in der Gesellschaft ständen sind neue Medien auf die Seite die Apokalyptiker, die vor al- zu einem immer vielfältigeren Me- Welt gekommen: Foto – Film – Ra- lem die gesellschaftlichen Folgen ins dienangebot und mit der Dauerhaf- dio – Schallplatte – Tonband und Visier nahmen und eindringlich tigkeit dieser Aufgaben auch zu einer Tonkassette – Fernsehen – Video – warnten vor Kulturverfall, Desinte- beruflichen Verfestigung journalisti- CD-ROM – Online-Medien ... Für gration, rückläufigen Sozialbezie- scher Tätigkeiten: Nachrichtenbe- die Expansion innerhalb der einzel- hungen. Während vor dreißig Jahren schaffung und Nachrichtenbearbei- nen Medienfelder nur zwei Beispiele: die skeptischen Stimmen überwo-

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gen, waren vor zehn Jahren die eu- u Beginn der Neuzeit flossen die von mehr Waffen, als nötig sind, um phorischen Stimmen in der Über- Informationen äußerst spärlich. den Gegner zu vernichten“. Aber zahl. Inzwischen sind schon die er- ZDie so genannten Neuen Zei- diese Vokabel trifft es nicht. Die sten Todesanzeigen für die klassi- tungen konzentrierten sich meist auf meisten dieser Botschaften sind ja schen Massenmedien erschienen: einzelne Ereignisse mit Sensation- eher Lockstoffe – oder Schaumstoffe „Die Zeit der Massenmedien ist vor- scharakter. Besonders die Nachrich- oder Traumstoffe. bei. Sowohl in der Medientheorie wie tentypen Menetekel und Mirakel wa- auch in der praktischen Realität“, ren gefragt. Auch die Produzenten rauchen wir angesichts der Fülle schreibt etwa der Kommunikations- der ersten periodischen Zeitungen der Informationen, die poten- wissenschaftler Thomas A. Bauer. hatten vor allem mit dem Mangel zu Bziell und tendenziell ja jeder- kämpfen. Um ihre „Relationen“ und mann zugänglich sind, noch Journalis- olche Diagnosen und Progno- „Avisen“ mit Nachrichten aus dem ten? Klare Antwort: Ja, wir brauchen sen lassen jede historische Tie- In- und Ausland zu füllen, mussten sie – und zwar gerade wegen dieser Sfenschärfe vermissen. Es gilt an sie immer wieder Tricks anwenden: Fülle. Ihre Aufgaben und Funktionen ein Grundgesetz der Medienent- Größere Schrifttypen und Schluss- werden sich allerdings teilweise verän- wicklung zu erinnern, dass ein Re- vignetten halfen dabei, die maximal dern. Zum einen muss der Journalist dakteur der „Nordbayerischen Zei- acht Druckseiten pro Woche im klei- der Zukunft sich mehr als bisher als tung“ in Nürnberg bereits vor mehr nen Oktavformat voll zu bekommen. Lotse in der Informationsflut begrei- als neunzig Jahren formuliert hat, Die Zahl der Titel wuchs dann ra- fen. Im World Wide Web kann jeder und zwar ausgerechnet in einem sant, an die Seite der Nachrichten- Empfänger auch zum Sender werden Buch über das Nachrichtenwesen blätter traten Zeitschriften, die sich – die Vision Bertolt Brechts ist hier der Römer. Es besagt, dass „die ein- mit unterschiedlichen Themen- weitgehend realisiert. An das große fachsten Mittel, Formen und Me- schwerpunkten an verschiedene Ziel- Schwarze Brett des Internets kann je- thoden, wenn sie nur einmal einge- gruppen richteten, und die Erschei- der seine Botschaften heften – auch bürgert und brauchbar befunden nungszeiträume wurden kürzer. der Spekulant, der Intrigant, der Que- worden sind, auch von den voll- rulant, der Päderast, der Kannibale kommensten und höchst entwickel- n der Gegenwart nun haben die und der Nachrichtenfälscher. Umso ten niemals wieder gänzlich und Probleme der Fülle die Probleme wichtiger ist die Qualitätskontrolle dauernd verdrängt und außer Ge- Ides Mangels abgelöst. Die Expan- nach den Regeln journalistischer Pro- brauch gesetzt werden können, son- sion der alten und neuen Medienange- fessionalität. dern sich neben diesen erhalten, nur bote wurde schon dargestellt. Hinzu Zum anderen verändert auch der daß sie genötigt werden, andere kommt als ganz neuer Kommunika- soziale Wandel die Erwartungen der Aufgaben und Verwertungsgebiete tionsraum das Internet: Heute gibt es Leser, Hörer und Zuschauer. Durch aufzusuchen“. So Wolfgang Riepl im weltweit mehr als 550 Milliarden die zunehmende Individualisierung Jahre 1913. Internet-Seiten, und täglich kommen der Lebensführung haben die her- Auf dem Friedhof der Kommu- rund sieben Millionen dazu. Neben kömmlichen sozialen Netze an Be- nikationsmittel sind zwar unzählige dieser schier unermesslichen Menge deutung verloren. Die Entwicklung Einzelmedien begraben: Zeitungen- möglicher „Abrufinformationen“ be- zur „Multioptionsgesellschaft“, die und Zeitschriftentitel und inzwi- drängt uns eine Vielzahl unerbetener der Soziologe Peter Gross analysiert schen auch schon Hörfunk- und – und häufig unerwünschter – Bot- hat, ist janusköpfig: Auf der einen Sei- Fernsehsender – aber bisher hat schaften. Der Wettbewerb der Medien te bedeutet sie größere Wahlfreiheit, noch jede Medienart und Medien- führt zu immer mehr Angeboten. Die auf der anderen Seite Orientierungs- gattung überlebt. Entsprechend Nachrichtenkanäle des Fernsehens verlust. Deshalb boomt das Berater- dem Komplementaritätsgesetz ha- bombardieren uns oft mit drei Sen- gewerbe. Anlageberater, Rechts- ben die Monatsschriften die Jahres- dungen gleichzeitig: oben die Spre- berater, Steuerberater, Unterneh- kalender nicht verdrängt, die Tages- cher und die Filmberichte, unten zwei mensberater, Einrichtungsberater, Er- zeitungen nicht die Wochenblätter, parallel eingeblendete Laufbänder mit ziehungsberater, Ernährungsberater, der Rundfunk nicht die Presse und Schlagzeilen und Börsenkursen. Und Lebensberater ganz unterschiedlicher auch die Online-Medien nicht ihre die Werbung verstopft nicht nur unse- Provenienz: „McKinsey kommt“ – in- älteren Geschwister. Viele alte Me- re Briefkästen, sondern quillt auch aus zwischen auch zum kleinen Mann. dien haben in veränderten techni- den Lautsprechern der Supermärkte schen und politisch-sozialen Situa- und Ladenketten, wird ausgespuckt rientierung wird heute ebenfalls tionen sogar eine neue Blüte erlebt – von den Faxgeräten und flimmert zunehmend von den Massen- etwa die Ad-hoc-Medien Flugblatt über die Bildschirme der PCs. Spam, Omedien erwartet: Sei es Orien- und Wandzeitung während der Stu- der parasitäre E-Mail-Müll, macht tierung im Konsumdschungel durch dentenrevolte vor gut drei Jahrzehn- heute etwa die Hälfte des weltweiten Verbraucherberatung oder Orientie- ten. Knappes Zwischenresümee: Mail-Aufkommens aus. rung bei der Lebensführung durch „Survival of the fittest“ – für Ein- Der Kampf um Aufmerksamkeit psychosoziale Lebenshilfe. Das führt zelmedien trifft das zweifellos zu, läuft also an vielen Fronten. Da mag dazu, dass die Ratgeber-, Service- aber für Mediengattungen und Me- einem ein Begriff aus der Militär- und Orientierungsfunktion im jour- dienarten gilt nicht Darwin, sondern sprache in den Sinn kommen: Over- nalistischen Rollenmix stark an Be- Riepl. kill - zu deutsch: „das Vorhandensein deutung gewinnt.

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Zufriedenheit als Lippenbekenntnis?

Kundenzufriedenheit wird in der Regel als wichtiges Unter- nehmen, dass Zufriedenheitsinfor- mationen im Qualitätsmanagement nehmensziel gesehen und entsprechend erfasst. Doch in eine besonders hohe Beachtung fin- vielen Firmen werden die gewonnenen Erkenntnisse laut den. Ein zweiter untersuchter Hand- einer Studie der KU nicht systematisch umgesetzt. lungsbereich der Zufriedenheits-In- formationsnutzung ist die interne Verhaltenssteuerung. Wird Kunden- Von Bernd Stauss nimmt und wie die Ergebnisse aus zufriedenheit als Unternehmensziel Zufriedenheitsbefragungen für kon- ernst genommen, dann erscheint es issenschaft und Praxis weisen krete Managementzwecke genutzt nur konsequent, Kundenzufrieden- dem Thema „Kundenzufrie- werden. Die branchenübergreifende heitsziele in die Zielvereinbarungen Wdenheit“ seit langem einen Studie „Zufriedenheitsmanagement von Mitarbeitern unterschiedlicher großen Stellenwert zu. Diese hohe in Deutschland“ die vom Lehrstuhl Hierarchiestufen aufzunehmen und Gewichtung ist Reflex realer Markt- für Dienstleistungsmanagement der die Entlohnung zumindest partiell an verhältnisse. Je mehr Unternehmen KU in Zusammenarbeit mit der Ser- das Erreichen dieser Ziele zu binden. auf gesättigten Märkten mit hoher vicebarometer AG (München) Dies setzt aber eine permanente Er- Wettbewerbsintensität agieren, desto durchgeführt wurde, gibt nun einen fassung und Berücksichtigung von stärker hängt ihr Überleben von der Einblick in den aktuellen Stand des Zufriedenheitsinformationen voraus. Fähigkeit ab, den Kunden Produkte Zufriedenheitsmanagements in deut- Um zu überprüfen, inwieweit diese anzubieten, die sie zufrieden stellen. schen Unternehmen. konzeptionell plausiblen Nutzungen Abb. 1: Nur in knapp Dieser Sachverhalt gilt schon lange tatsächlich erfolgen, wurde eine Befra- der Hälfte aller be- als Selbstverständlichkeit und die ielsetzung der Studie ist die Be- gung unter Marketingleitern und Ver- fragten Unternehmen Unternehmenspraxis hat daraus antwortung der Fragen, welche antwortlichen des Kundenzufrieden- erhält das Qualitäts- Konsequenzen gezogen. Sehr viele Zstrategische Bedeutung die Kun- heitsmanagements durchgeführt. Da- Unternehmen bekennen sich explizit denzufriedenheit in deutschen bei erfolgte eine Fokussierung auf management (QM) zur Kundenzufriedenheit als Unter- Unternehmen besitzt, auf welche Unternehmen aus dem Business-to- überhaupt einen Be- nehmensziel und führen regelmäßig Weise Daten zur Kundenzufrieden- Customer-Bereich von Großunter- richt zur Kundenzufrie- Zufriedenheitsbefragungen durch. heit ermittelt und ausgewertet wer- nehmen mit in der Regel mehr als Dennoch fehlt es bisher an empirisch den und in welchem Maße die Er- 1000 Mitarbeitern und Jahresumsät- denheit. Entsprechend gesichertem Wissen über die Realität gebnisse unternehmensintern Ver- zen von über 500 Mio. Euro. Von gestalten sich konkre- der unternehmerischen Nutzung von wendung finden. In Bezug auf den 2.203 versendeten Fragebögen wur- te Maßnahmen des Zufriedenheitsinformationen. Es Aspekt der Informationsnutzung den 211 verwertbare Antworten zu- QM (gemessen auf herrscht weitgehende Unkenntnis werden vor allem zwei potenzielle rückgeschickt, was einer Rücklaufquo- darüber, welchen Stellenwert die Anwendungsfelder untersucht: das te von 9,58 Prozent entspricht. 4er-SSkala; 4= voll Kundenzufriedenheit im Zielsystem Qualitätsmanagement und die inter- realisiert). von Unternehmen tatsächlich ein- ne Verhaltenssteuerung. Alle rele- ie Ergebnisse zeigen ein ambi- vanten Konzepte valentes, wenn nicht sogar des Qualitätsma- Dwidersprüchliches Bild. Einer- nagements – wie et- seits wird dem Ziel der Kunden- wa die ISO zufriedenheit großes Gewicht beige- 9001:2000 – beto- messen, andererseits fällt die fakti- nen die Relevanz sche Nutzung von Zufriedenheitsin- der Kundenzufrie- formationen für Managementent- denheit und ihrer scheidungen nur gering aus. Messung. Denn in Die überwältigend große Mehrheit den Zufriedenheits- von 97 Prozent der Unternehmen ergebnissen spiegelt gibt an, dass Kundenzufriedenheit sich der Qualitäts- ein zentrales Ziel darstellt; in 94 Pro- eindruck des Kun- zent der betrachteten Fälle stehen al- den wider, d.h. es le Mitglieder der Unternehmenslei- wird der Grad der tung hinter dem Ziel der Kunden- Übereinstimmung zufriedenheit und in immerhin 83 von erwarteter und Prozent der Unternehmen sind alle wahrgenommener Fachabteilungen von der Bedeutung Qualität aus Kun- der Kundenzufriedenheit überzeugt. densicht festgestellt. Die konkrete Verwendung von Zu- Insofern ist anzu- friedenheitsinformationen für Mana-

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gemententscheidungen entspricht Hinweise auf Einflussfaktoren für vor allem dort angebracht, wo die aber keineswegs diesem beeindru- die Nutzung bzw. Nicht-Nutzung Mitarbeiter durch ihr eigenes Ver- ckenden Bekenntnis zum Ziel der von Zufriedenheitsinformationen. halten die Kundenzufriedenheit be- Kundenzufriedenheit. Nach Untersuchungen zur Informa- einflussen können. Doch für eine So erhält das Qualitätsmanage- tionsqualität spricht viel für die An- entsprechende Bewertung ist vor al- ment nur in knapp der Hälfte aller nahme, dass die wahrgenommene lem eine unmittelbare und auf die befragten Unternehmen überhaupt Relevanz der Information für den einzelne Interaktion bezogene Zu- einen Bericht zur Kundenzufrieden- Adressaten entscheidende Bedeutung friedenheitsbefragung sinnvoll, wäh- heit. Dementsprechend fallen auch hat. Insofern ist der Frage nachzuge- rend die generellen Ergebnisse einer die Werte für die konkreten Maßnah- hen, ob die Ursache für mangelnde jährlichen Zufriedenheitsbefragung men zur Nutzung von Zufrieden- Informationsnutzung auch in der un- für Steuerungszwecke weniger ge- heitswerten im Qualitätsmanagement zureichende Relevanz der gelieferten eignet sind. aus. Gemessen auf einer 4er-Skala Zufriedenheitsinformationen zu su- Nach dieser Analyse erscheint es (mit 4 = voll realisiert) ist der Umset- chen ist. Bei dieser Betrachtung wird durchaus denkbar, dass die diagnos- zungsgrad durchschnittlich am höchs- von der vorherrschenden Praxis der tizierte geringe Nutzung von Zufrie- ten in Bezug auf eine systematische Zufriedenheitsmessung ausgegan- denheitsinformationen auch auf die Ursachenanalyse der Kundenun- gen, wie sie in der Zufriedenheitsma- mangelnde Eignung der Informatio- zufriedenheit (2,90), in besonders ge- nagement-Studie ermittelt wurde. nen für die jeweilige Aufgabenerfül- ringem Maße werden Zufriedenheits- Danach wird die Routine-Zufrieden- lung zurückzuführen ist. werte als Quelle für Innovationen im heitsmessung vorwiegend im Jahres- Unternehmen herangezogen (2,36) rhythmus durchgeführt, und es wird ngesichts der Ergebnisse der (siehe Abbildung 1). in standardisierter Form neben der Zufriedenheitsmanagement- Globalzufriedenheit auch die Zufrie- AStudie stehen die internen An- n Bezug auf den zweiten Bereich denheit mit einer begrenzten Zahl bieter von Zufriedenheitsinforma- der Zufriedenheits-Informations- von Leistungsmerkmalen erhoben. tionen vor der Aufgabe, sich intensi- Inutzung, die Verhaltenssteuerung ver mit den Gründen für die unzu- ist im Durchschnitt ebenfalls kein nwieweit die so generierten Daten reichende Nutzung auseinanderzu- hoher Realisierungsgrad festzustel- für potenzielle Empfänger rele- setzen. Hierfür bietet die Frage nach len. Für Führungskräfte ist in gerade Ivant sind, sei an den Beispielen der Relevanz der Zufriedenheitsin- 20 Prozent der Unternehmen die Be- des Qualitätsmanagements und der formationen für die internen Ziel- rücksichtigung von Zufriedenheits- internen Verhaltenssteuerung disku- gruppen einen plausiblen Ausgangs- werten in Zielvereinbarungen „voll tiert. Zu den wesentlichen Aufgaben punkt. Das Zufriedenheitsmanage- realisiert“ und nur zu 13 Prozent ist des Qualitätsmanagements gehört es, ment hat selbst die Maxime der Managerentlohnung tatsächlich an die Einhaltung von Qualitätsstan- Kundenorientierung zu beachten das Erreichen von Zufriedenheitszie- dards zu überwachen, schnell Quali- und differenziert den Informations- len geknüpft. Bezüglich der Mitarbei- tätsmängel zu erkennen und unmit- bedarf der verschiedenen internen ter im Kundenkontakt zeigt sich ein telbare Korrekturmaßnahmen zu er- Kundengruppen zu eruieren. Damit noch geringerer Umsetzungsgrad. greifen. Für diese Zwecke sind die verbunden ist die Notwendigkeit, im Nur 13 Prozent der Unternehmen in- Ergebnisse von standardisierten Zu- Bereich der Zufriedenheits-Messung tegrieren Zufriedenheitswerte in friedenheitsbefragungen in der Regel das methodische Instrumentarium Zielvereinbarungen, eine Minderheit nicht aktuell und konkret genug, was zu erweitern und die standardisierte von 7 Prozent verbindet die Errei- die geringe Nutzung von Zufrieden- Routine-Zufriedenheitsbefragung chung der Zufriedenheitsziele mit heitswerten im Qualitätsmanagement durch das Angebot kurzfristig ein- materiellen Anreizen. verständlich macht. setzbarer und qualitativer Messme- In Bezug auf die Unternehmens- thoden (wie Follow-Up-Befragun- enn Unternehmen – wie in leitung besteht hinsichtlich der Nut- gen, Fokusgruppen-Interviews oder den untersuchten Fällen – ei- zung von Zufriedenheitsinformatio- den Einsatz von Mystery Shopping) Wnem starken Wettbewerb aus- nen die Erwartung, dass sie diese zu ergänzen. Zudem ist die wahrge- gesetzt sind, die Unternehmenslei- zur Steuerung des Verhaltens von nommene Relevanz der Informatio- tung Kundenzufriedenheit als unter- Organisationsmitgliedern einsetzt. nen zu erhöhen, indem die statisti- nehmerisches Ziel hoch gewichtet, In der Realität aber werden Topma- schen Durchschnittsangaben durch auch die potenziellen Informations- nager nicht nach dem Grad der qualitative Erkenntnisse und eine nachfrager dieses Ziel teilen, Kun- Kundenzufriedenheit beurteilt, son- Interpretation der Daten komplet- denzufriedenheit routinemäßig ge- dern danach, inwieweit es ihnen ge- tiert und die traditionelle Informa- messen wird, aber dennoch nur eine lingt, ökonomische Größen, z.B. ei- tionsdienstleistung durch ein Bera- begrenzte Informationsnutzung er- ne Steigerung des Unternehmens- tungsangebot ergänzt wird. Nur folgt, dann wirft dies die Frage nach wertes, zu erreichen. Insofern ist der durch solche Anstrengungen er- den Ursachen auf. Die Forschung zur Druck zur Verwendung von Zufrie- scheint es möglich, die Lücke zwi- Nutzung von Marktinformationen denheitsdaten zur Managementsteu- schen dem Umfang an Zufrieden- hat seit etwa 1980 zur Identifikation erung eher gering. Der Einsatz von heitsmessung einerseits und Infor- einer Fülle möglicher Determinanten Zufriedenheitswerten zur Steuerung mationsnutzung andererseits zu re- geführt und gibt somit auch wichtige des Mitarbeiterverhaltens erscheint duzieren.

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In der Ruka, dem tra- ditionellen Wohnhaus der Mapuche in Chile, können heute Touri-

sten übernachten. HAUSWALD Eine Reise zu den anderen

Die kulturelle Differenz von Gastgebern und Gästen macht wird, sind häufig Ziel einer solchen Reise. Die „Indianer“ Nord- und Ethnotourismus attraktiv. Ethnizität jenseits folkloristischer Südamerikas beispielsweise, die Ab- Inszenierung bietet den indigene Gruppen Chiles Partizipa- origines in Australien oder die Tuareg in der Sahara evozieren Vorstel- tionsmöglichkeiten auf dem globalen Tourismusmarkt. lungen von angepasster Lebensweise und einer Kosmologie, die scheinbar einen Gegenentwurf zur westlich- Von Oliver Hauswald kommt es zu einem intensiven Ge- globalen Hegemonialkultur darstel- spräch, bei dem beide Seiten sich für len. Aus touristischer Sicht werden ach einem kleinen Ausflug zur den jeweils anderen interessieren. Ethnizität und kulturelle Praxis damit Insel Llepu im Budi-See kehren Der Besucher erhält das Gefühl, ei- zu einem Wirtschaftsgut, das (auch Nwir ins Haus der Familie Na- nen authentischen Einblick in die aktiv) in Wert gesetzt werden kann. huel zurück. Rosalia hat bereits das räumliche und gedankliche Lebens- Die Untersuchung touristischer Par- Essen gekocht und die ganze Familie, welt dieser indigenen Familie zu be- tizipationsmöglichkeiten lokaler indi- nebst Großmutter und Kindern, ver- kommen. Abseits der touristischen gener Gruppen im globalen Touris- sammelt sich am Tisch. Als europäi- Massenströme sieht man sich selbst musmarkt bildet den Fokus eines auf scher Gast fühlt man sich anfangs in der Erfüllung einer grundlegenden zwei Jahre angelegten DFG-For- fremd im Haus dieser Mapuche-Fa- Reisemotivation: „Land und Leute schungsprojekts unter Leitung von milie im Süden Chiles. Der Boden kennen lernen“. Prof. Dr. Hans Hopfinger (Lehrstuhl besteht aus gestampftem Lehm, die für Kulturgeographie). Dabei geht es Ausstattung der Küche ist sparta- ieses Beispiel verdeutlicht wie nicht um den Ausverkauf von angeb- nisch und die bunten Trachten und Ethnotourismus funktionieren lich „authentischer“ Kultur oder de- Kleider mit denen die Tourismusbro- Dkann. Die Attraktivität dieser ren folkloristischer Inszenierung. Im schüren die Ureinwohner Chiles be- Begegnung entsteht vor allem aus der Blickpunkt steht vielmehr der tägli- werben, sucht man hier vergebens. kulturellen Differenz zwischen che Umgang mit Ethnizität, Identität Trotzdem hat man nicht das Gefühl, Gästen und Gastgebern. Insbeson- und Tourismus und zwar aus der Per- etwas zu vermissen. Im Gegenteil: dere indigene Gruppen, denen zu- spektive der indigenen Gruppen bei einem gemeinsamen Mate-Tee meist eine gewisse Exotik unterstellt selbst.

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hile bietet hervorragende Be- schauliches und vor allem erfolgrei- Technische Zusammenarbeit (GTZ) dingungen für eine derartige ches Beispiel ethnotouristischer In- Projekte, die einen nachhaltigen CUntersuchung. Der Tourismus wertsetzung. Tourismus als Teil der regionalen hat sich in den letzten Jahren zu ei- Dieses Beispiel verdeutlicht auch, Entwicklung sehen. nem bedeutsamen Wirtschaftsfaktor dass „indigen sein“ nicht gleichzu- entwickelt. Für die primär auf Ex- setzen ist mit (technologischer) ie Komplexität der Problema- portprodukten (Kupfer, Früchte, Rückständigkeit. Telefon, Fernsehen tik wird am Beispiel der Mapu- Holz etc.) basierende Ökonomie und zahlreiche Internetplattformen Dche deutlich. Diese mit ca. bietet er eine wichtige wirtschaftli- dienen zur globalen Kommunika- 600.000 Mitgliedern größte indigene che Diversifikation. Zudem erkennt tion und zum Informationsaus- Gruppe in Chile hat eine schwierige der chilenische Staat seit 1993 acht tausch mit anderen Gruppen. Im Position innerhalb der chilenischen indigene Minderheiten als so ge- Haus der Familie Nahuel gibt es Gesellschaft. Die Mapuche werden nannte „pueblos originarios“ an. zwar keine Dusche, dafür aber ein als kulturelles Aushängeschild Chi- Jahrzehntelang waren diese Grup- Mobiltelefon. les vermarktet, ihr Antlitz findet sich pen einer „Chilenisierung“ ausge- auf Broschüren und Geldstücken, setzt – die kulturelle Vielfalt des m bisher durch Natur- und Er- und sie werden immer mehr zu ei- Landes sollte in einer einheitlichen lebnistourismus gekennzeichne- nem Teil der nationalen Ge- chilenischen Gesellschaft aufgehen. Iten Angebotsspektrum Chiles schichtsschreibung und Identität. Die heute wieder einsetzende Be- werden nun kulturelle Akzente ge- Gleichzeitig gibt es einen latent tonung kultureller Eigenständigkeit setzt. Insbesondere diese Initialpha- spürbaren Rassismus; die ökonomi- führt zu einer auch politisch forcier- se ethnotouristischer Entwicklung sche und soziale Marginalität, Kenn- ten Re-Ethnisierung. Aus dem lange ist für den Forschungskontext von zeichen vieler indigener Gruppen, vorherrschenden Diktum „Somos Bedeutung. Die Aushandlungen von führt zu Konflikten mit der Staats- Chilenos“ („Wir sind Chilenen“) Partizipations- und Integrationsstra- macht und einige Mapuche wurden wird wieder ein vielstimmiges „So- tegien bilden die Basis einer verglei- als „Terroristen“ zu langjährigen mos Aymaras“ oder „Somos Mapu- chenden Untersuchung, die im Spie- Haftstrafen verurteilt. Insbesondere che“. Ziel ist dabei nicht nur die gel einer kulturalistischen Humange- die jüngere Generation steht vor der Stärkung der eigenen Identität und ographie versucht, grundlegende Pa- schwierigen Wahl, sich entweder der Abbau von Ressentiments, auch rameter eines solchen Prozesses auf- weiter in die chilenische Gesellschaft der Tourismus soll davon profitie- zuzeigen. Nicht zuletzt vor dem einzuordnen oder die häufig wenig ren. So bietet beispielsweise die Hintergrund der Übertragbarkeit bekannte, eigene indigene Identität staatliche Indigenenbehörde CO- sollen die Ergebnisse auch im Rah- anzunehmen und auszufüllen. Gera- NADI eine zweimonatige Fortbil- men der Entwicklungszusammen- de auch vor diesem gesellschaftspo- dung an einer Universität in Kanada arbeit reflektiert werden. Zuneh- litischen Hintergrund muss die tou- an. Diese soll primär dazu dienen, mend unterstützten auch deutsche ristische Entwicklung reflektiert die indigene Identität touristisch zu Organisationen, wie beispielsweise werden, steht doch zu erwarten, kontextualisieren. Dabei dienen die der Deutsche Entwicklungsdienst dass die Folgen nicht nur die Touris- „First Nations“ in Kanada als an- (DED) oder die Gesellschaft für ten betreffen.

Pucon – im Hinter- grund der Vulkan Vil- larica – ist Tourismus- zentrum und Lebens- raum der Mapuche zu- gleich. HAUSWALD

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Prof. Dr. Sabine Ullmann

„Professur für Landesgeschichte mit beson- Nicht nur Lehramtsstudierenden will Ullmann derer Berücksichtung Bayerns“ – auf den er- frühzeitig Praxisnähe vermitteln, beispiels- sten Blick erscheint die Beschreibung des weise bezogen auf kulturelle Vermittlungsar- Forschungsfeldes von Professor Sabine Ull- beit sowie Archiv- und Museumsarbeit. mann eher einschränkend. „Die Landes- Eichstätt liegt am Schnittpunkt der Regionen geschichte als spezifischer Forschungszugriff Oberbayern, Franken und der Oberpfalz; bietet jedoch einen viel tieferen und differen- Sabine Ullmann möchte sich diesen drei Teil- zierteren Einblick in kleinere Einheiten. Sie regionen bezogen auf das Spätmittelalter und ermöglicht einen mikrogeschichtlichen Zu- die Frühe Neuzeit widmen. Bereits an der Uni- griff“, schwärmt Ullmann, die das Fach seit versität Augsburg befasste sie sich mit dem Juni an der KU vertritt. Sie bezeichnet sich Landjudentum in Schwaben und möchte ihre selbst als überzeugte Landeshistorikerin und Forschung nun auf Franken ausweiten. Das betont die Relevanz der Landesgeschichte für damalige Zusammenleben von Juden und die Studierenden: „Lernen an und in der Re- Christen auf dem Land sieht sie aufgrund der gion ist gerade im Schulunterricht – und bislang gewonnenen Erkenntnisse als „multi-

SCHULTE STRATHAUS SCHULTE somit auch für zukünftige Lehrer – wichtig.“ kulturelles Laboratorium der Frühen Neuzeit“.

Prof. Helmut Kreidenweis

Der Sozialbereich hat sich mittlerweile zu diese Stelle entschieden, weil sie mir weiter- einem Wirtschaftszweig mit großem Umsatz hin meine Tätigkeit in der Praxis ermöglicht. und Potenzial entwickelt. Im Zuge einer be- Aus den Projekten kann ich für die Wis- triebswirtschaftlichen Professionalisierung senschaft schöpfen – und umgekehrt“, sagt kommt auch verstärkt Informationstechologie Kreidenweis. IT dürfe in sozialen Organisatio- zum Einsatz. „Vor allem kleinen und mittleren nen niemals Selbstzweck sein, sie solle idea- Trägern ist oft nicht bewusst, dass IT Teil der lerweise Freiräume von Verwaltungsarbeit Unternehmensstrategie sein muss“, sagt Pro- schaffen. Daher sollen seine Studierenden fessor Helmut Kreidenweis. Seit April ist er nicht nur den souveränen Umgang mit fach- Inhaber der neu geschaffenen Professur für spezifischer Software lernen, sondern dabei Sozialinformatik an der Fakultät für Soziale auch fachliche Aspekte der Sozialen Arbeit Arbeit. Bei Kreidenweis’ Stelle handelt es hinterfragen, da Software die alltäglichen Ar- sich um eine halbe Professur, parallel be- beitsabläufe strukturiere. Grundsätzlich treibt er mit seiner Firma KI Consult IT-, In- möchte Kreidenweis mit seiner Tätigkeit die ternet- und Marketingberatung für soziale Bereiche Soziale Arbeit, Informatik und

Organisationen. „Ich habe mich bewusst für Sozialmanagement verbinden. STRATHAUS SCHULTE

AUTOREN DIESER AUSGABE

Dr. Nina Baur, wissenschaftliche Mitar- Prof. Dr. Walter Hömberg, Lehrstuhl für Prof. Dr. Siegfried Lamnek, Lehrstuhl beiterin am Lehrstuhl für Soziologie Journalistik I. für Soziologie und empirische Sozial- und empirische Sozialforschung; ab forschung Oktober 2006 Juniorprofessorin am In- Dr. Michael Kleinherne, Lehrbeauftrag- stitut für Soziologie der TU Berlin ter für Kreatives Schreiben am Lehrstuhl Prof. Dr. Klaudia Schultheis, Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und für Grundschulpädagogik und Grund- Prof. Dr. Dr. Manfred Brocker, Lehrstuhl Literatur und am Sprachenzentrum der schuldidaktik für Politische Theorie und Philosophie KU sowie freier Journalist und Lehrer Prof. Dr. Bernd Stauss, Lehrstuhl für Oliver Hauswald, wiss. Mitarbeiter am Prof. Helmut Kreidenweis, Professur für ABWL und Dienstleistungsmanagement Lehrstuhl für Kulturgeographie Sozialinformatik

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+++ PERSONEN ++ GREMIEN ++ PREISE ++ PERSONEN +++

Prof. Dr. Otto Gsell, Lehrstuhl für Ro- manische Sprachwissenschaft, wurde zum 30.9.2006 emeritiert.

Unter Federführung von Prof. Dr. In- grid Hemmer, Professur für Didaktik der Geographie, hat die Deutsche Ge- sellschaft für Geographie Bildungs- standards des Faches für den Mittle- ren Schulabschluss erarbeitet und im Mai vorgelegt. Für das Fach Geogra- phie wurden solche Standards von der Kultusministerkonferenz bislang nicht erarbeitet. Die Geographie hat damit als erstes Fach in Deutschland auf eigene Initiative und in Koopera- tion mit Schule, Fachdidaktik und Fachwissenschaft nationale Stan- Gerd Hahn, BWL-Student der KU (rechts im Bild), hat den dritten Platz bei den Logistik Masters 2006 dards entwickelt, die Bildungsziele der Fachmagazins „Logistik inside“ gewonnen. Über 700 Studierende nahmen an dem Wettbewerb teil, und zu erwerbende Kompetenzen be- beim dem es 80 Fragen aus allen Bereichen der Logistik zu beantworten galt. Sowohl Hahn als auch schreiben. der Zweitplatzierte erzielten 400 von 408 möglichen Punkten, so dass das Los entscheiden musste. PD Dr. Marianne Kneuer, derzeit Ver- Prof. Dr. Alfred Bammesberger, Lehr- recht, wurde zusammen mit anderen tretungsprofessorin am Lehrstuhl für stuhl für Englische und Vergleichende in- und ausländischen Wissenschaft- Vergleichende Regierungslehre an der Sprachwissenschaft, wurde zum lern als wissenschaftlicher Träger des Universität Erfurt, ist von der Deut- 30.9.2006 emeritiert. Graduiertenzentrums der Exzellenz schen Gesellschaft für Politikwissen- „The Design of Efficient Labour Mar- schaft (DGfP) als Beisitzerin in den Dr. Florian Bruckmann, Assistent am ket Institutions in Europe“ berufen. Vorstand der DGfP gewählt worden. Lehrstuhl für Fundamentaltheologie, Das Forschungszentrum ist am Insti- hat im Rahmen der Salzburger Hoch- tut für Arbeitsrecht und Arbeitsbezie- Prof. Dr. Erwin Möde, Lehrstuhl für schulwochen den zweiten Publikums- hungen in der Europäischen Gemein- Christliche Spiritualität und Homile- preis gewonnen. Bruckmann referier- schaft (IAAEG) an der Universität tik, ist auf der Delegiertenversamm- te zum Thema der Hochschulwoche Trier angesiedelt. Dieses Graduierten- lung des Bayerischen Beamtenbundes „Gott im Kommen“. zentrum gehört zu den acht vom als Landesvorsitzender für Hochschu- Bundesland Rheinland-Pfalz im Rah- le und Wissenschaft wiedergewählt Prof. Dr. Peter Brünger, Professur für men der wissenschaftlichen Spitzen- worden. Musikpädagogik und Musikdidaktik, förderung ausgewählten Forschungs- ist von der Liturgiekommission der zentren. Das Graduiertenzentrum för- Prof. Dr. Thomas Schwinn, Lehrstuhl Deutschen Bischofskonferenz in eine dert besonders begabte Doktoranden für Allgemeine Soziologie und Sozio- Expertengruppe zum Thema „Kinder der Rechts- und Wirtschaftswissen- logische Theorie, hat einen Ruf an die singen ihren Glauben“ berufen wor- schaft. Gleichzeitig mit seiner Beru- Rheinisch-Westfälische Technische den. Ziel ist es, die schwindende Be- fung in das Graduiertenzentrum der Hochschule abgelehnt. deutung des Singens als eine wichti- Exzellenz wurde Professor Fuchs vom ge Kommunikationsform des Men- rheinlandpfälzischen Ministerium für Prof. Dr. Bernd Stauss, Lehrstuhl für schen in kirchlichen Gruppierungen Wissenschaft, Weiterbildung, For- Dienstleistungsmanagement, hat für zu ergründen und Konzepte zu entwi- schung und Kultur zum Mitglied des den Artikel „Customer frustration in ckeln. Kuratoriums des IAAEG ernannt. loyalty programs“ die Auszeichnung „Outstanding Paper“ der Zeitschrift Prof. Dr. Thomas Fischer, Lehrstuhl Prof. Dr. Joachim Genosko, Lehrstuhl „Internationale Journal of Service In- für Controlling und Wirtschaftsprü- für Volkswirtschaftslehre (insbeson- dustry Management“ erhalten. Der fung, hat einen Ruf an die Friedrich- dere Wirtschafts- und Sozialpolitik), Text wurde gemeinsam mit Stauss’ Alexander-Universität Erlangen-Nürn- ist von den Mitgliedern der CSU-Frak- Mitarbeitern Maxie Schmidt und An- berg angenommen. tion im Ingolstädter Stadtrat zu ihrem dreas Schöler erstellt. Dies ist bereits Vorsitzenden gewählt worden. Er wird der vierte „Best Paper Award“, den Prof. Dr. Maximilian Fuchs, Lehrstuhl damit Nachfolger von Georg Jehn. Ge- Stauss von einer internationalen wis- für Bürgerliches Recht, Deutsches und nosko ist seit zehn Jahren Ingolstäd- senschaftlichen Zeitschrift erhalten Europäisches Arbeits- und Sozial- ter Stadtrat. hat.

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Das Gewissen Des Fremden Freund, Lexikon der Redensarten des Fremden Feind „Das Bewusstsein eines inneren Ge- richtshofes im Menschen ist das Ge- Als Thema intellektueller oder öf- Redewendungen gebrauchen wir wissen“, schreibt der Philosoph fentlicher Auseinandersetzungen ist täglich, sie erleichtern die Verständi- Immanuel Kant in seiner „Metaphy- Fremdheit zum Allgemeingut ge- gung untereinander enorm. Dem sik der Sitten“. Welche weiteren worden. Ihre derzeitige Hochkon- Deutschlernenden muss ihre Bedeu- Sichtweisen rund um den Begriff junktur verdankt sich der stark po- tung erklärt werden. Der Mutter- des Gewissens Literaten, Politiker, larisierenden Wirkung, die sich in sprachler wird sich manchmal fra- Psychologen, Philosophen und The- Debatten über Fremdheit als Bedro- gen, woher eine Redewendung ologen vertreten, zeigt Professor hung (Ausländerkriminalität, Terror- stammt, wie sie aufgebaut ist, ob es Bernhard Sill, Moraltheologe an der ismus) oder aber als Bereicherung ähnliche gibt. Beide Leserkreise wer- Katholischen Universität Eichstätt- (Multikulturalismus, International- den in diesem Lexikon fündig. „Mit Ingolstadt, in seinem neu erschiene- isierung) entfaltet. Im vorliegenden Fug und Recht“, „Jemandem die nen Sammelband mit dem schlich- Band regen Beiträge aus sieben Stange halten“, „Auf Zack sein“. ten Titel „Gewissen“. Die Publika- Disziplinen, verbunden in der Diese und andere Redensarten, ins- tion ist zugleich Auftakt der im Bo- Anstrengung, das Andere offen gesamt 4000, sind in diesem Buch nifatius-Verlag erscheinenden Reihe anzunehmen und Differenzen im gesammelt, alphabetisch nach Leit- „Quellenbände zur Christlichen Dialog zu überwinden, die Erkennt- begriffen geordnet und in ihrer Be- Ethik“. Geliefert wird darin keine nis an, dass das Fremde und das deutung und Herkunft ausführlich fertige Abhandlung über das Gewis- Eigene nicht gänzlich voneinander erläutert. Der Sprachwitz vieler sen, sondern – wie der von Sill ge- abtrennbare Kategorien sind, son- Wendungen, die treffende, häufig wählte Untertitel betont – „Ge- dern sogar im Selbst verbunden. salopp oder ironisch umschriebene danken, die zu denken geben“. Es Diese trans- und interdisziplinären Pointe machen das Buch zur handele sich dabei nicht nur um Denkansätze schaffen eine Grund- amüsanten Lektüre. Stimmen aus der christlichen Ethik, lage für eine reflektiertere reziproke sondern auch um Stimmen zur Wahrnehmung von Fremd und 4.000 deutsche Redensarten, nach christlichen Ethik, so Sill. Dazu lässt Eigen, von „Freund“ und „Feind“, Leitbegriffen geordnet. Aus- er eine vielfältige Mischung an Au- und bahnen den Weg zu der Er- führliche Erläuterung von Bedeu- toren zu Wort kommen, darunter fahrung, dass vor der postulierten tung, Herkunft und Anwendung. auch Politiker wie Edmund Stoiber Normalität des Fremden die An- und Michael Glos sowie den evange- erkennung des Eigenbeitrags zu Müller, Klaus: Lexikon der Redensarten. lischen Theologen Friedrich Schor- dem ursprünglichen Verfremdung- Herkunft und Bedeutung. München 2005 lemmer, die eigens für den Quellen- sprozess steht. (Bassermann), 12,95 Euro. band Beiträge verfasst haben. Boatca, Manuela/Neudecker, Claudia, Sill, Bernhard (Hrsg.): Gewissen. Gedan- Rinke, Stefan (Hrsg.): Des Fremden ken, die zu denken geben [Quellenbände Freund, des Fremden Feind: Fremdverste- zur Christlichen Ethik, Band 1]. Pader- hen in Interdisziplinärer Perspektive. Mün- born 2006 (Bonifatius-VVerlag). 514 Sei- ster 2006 (Waxmann Verlag), 22,90 Euro. ten, 34,90 Euro. Religion als Wahrnehmung

Religion kann als spezifischer Mo- dus von Wirklichkeitswahrnehmung gedacht werden: Der religiöse Bilaterale Unternehmenskooperationen im Tourismus Mensch nimmt dieselbe Wirklichkeit anders wahr als der nicht religiöse Mensch. Trifft das auch innerhalb ei- Kultur stellt nach wie vor einen ausgewählte strategische Erfolgsfak- ner Religion für deren konfessionelle unterschätzten Faktor bei der Inter- toren im Fokus, die erstmals hinsicht- Ausprägungen zu? Nehmen die ver- nationalisierung von Unternehmens- lich ihrer interkulturellen Dimension schiedenen christlichen Bekenntnisse aktivitäten dar. Im Rahmen dieser untersucht werden. Das Buch richtet – Anglikaner, Katholiken, Orthodo- Studie fungieren bilateral kooperie- sich an Studenten und Dozenten der xe, Pfingstler und Protestanten – Re- rende Tourismusunternehmen als Betriebswirtschaftslehre, Geogra- alität in unterschiedlicher Weise wahr? Untersuchungsobjekte, die in vielfa- phie, Tourismuswissenschaft und Welche Konsequenzen hat dies z.B. cher Hinsicht Globalisierung und Interkulturellen Kommunikation so- für die religiöse Erziehung? Interkulturalität in Reinkultur ver- wie an Praktiker in internationalen körpern. Aus interkultureller und Unternehmen. Groß, Engelbert: Religion als Wahrneh- prozessualer Perspektive erschließt mung. Konzepte und Praxis in unter- sich dem Leser die Komplexität Scherle, Nicolai: Bilaterale Unterneh- schiedlichen Kulturen und Kirchen. Ber- grenzüberschreitender Unterneh- menskooperationen im Tourismussektor. lin/Münster/Hamburg/London/Wien 2006 menskooperationen. Dabei stehen Wiesbaden 2006 (Gabler), 59,90 Euro. (LIT Verlag), 19,90 Euro.

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