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RUNDBRIEF NR. 50 FEBRUAR 2005 ______

Der Dachau-Altar in der Lagerkapelle des Konzentrationslagers Ausgangs- und Zielpunkt religiösen Lebens

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Zum Umschlagbild: Die Farbzeichnung hat vermutlich Bruder Raphael Tijhuis OCarm im KZ Dachau für eine Gratulationskarte zur Priesterweihe Karl Leisners gemalt. Das Foto auf der Rückseite außen zeigt den Dachau-Altar heute in einem Andachtsraum des Priesterhauses Berg Moriah (Simmern), das auf der Rückseite innen den Christuskopf vom Kreuz aus der Lagerkapelle, heu- te im Karmel Heilig Blut Dachau.

Impressum: Herausgeber: Internationaler Karl-Leisner-Kreis e.V. Kleve (IKLK) Redaktion: Hans-Karl Seeger, Gabriele Latzel Geschäftsstelle: Wasserstraße 1, 47533 Kleve Telefon 02821/92595; Telefax 02821/980331

Konto-Nr.: 5028378, Sparkasse Kleve (BLZ 324 500 00), IBAN: DE 63 32450000 0005028378, BIC: WELADE1KLE

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Internetadresse: www.Karl-Leisner.de

Bildnachweis: Umschlagbild vorne, S. 25–27, 67, 71, 76, 92, 99 l., 106, 214, 223 f. Archiv IKLK; Umschlagbild hinten außen Priesterhaus Berg Moriah; S. 5 Oskar Bühler; S. 18 Musioł S. 484; S. 34 Lenz S. 451; S. 35 Goldschmitt Nr. 4, S. 67; S. 47 Goldschmitt Nr. 4, S. 38; S. 53 Goldschmitt Nr. 4, S. 34; S. 126 Goldschmitt Nr. 5, S. 59; Umschlagbild hinten innen, S. 44 Karmel Heilig Blut; S. 78 Pierre Laffilé; S. 82 f. Govers S. 144 u. 148; S. 88, 90, 99 r., 101, 105 Hermann Gebert; S. 91 Eleonore Philipp; S. 98 Weiler Bildband S. 20; S. 181, 194, 205, 207 Chronik Coefeld; S. 228 f. Klaus Riße; S. 235 L’Osservatore Romano.

Satz: Hans-Karl Seeger Druck: Massing GmbH, Emmerich

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Inhalt Seite An die Freunde von Karl Leisner 3 Das Logo des IKLK 6 2005 – ein Jahr der „Jubiläen“ für Karl Leisner 7 Der Altar in der Lagerkapelle des Konzentrationslagers Dachau 9 Ausgangs- und Zielpunkt religiösen Lebens Einleitung 9 Priester und Seelsorge im Konzentrationslager 12 Jahr des Herrn 1940 14 Jahr des Herrn 1941 19 Jahr des Herrn 1942 38 Jahr des Herrn 1943 43 Jahr des Herrn 1944 59 Jahr des Herrn 1945 72 Jahr des Herrn 1946 89 Jahr des Herrn 1948 89 Jahr des Herrn 1949 89 Jahr des Herrn 1955 92 Jahr des Herrn 1956 94 Jahr des Herrn 1957 94 Jahr des Herrn 1958 95 Jahr des Herrn 1959 95 Jahr des Herrn 1960 97 Jahr des Herrn 1961 99 Jahr des Herrn 1963 100 Jahr des Herrn 1964 100 Jahr des Herrn 1965 101 Jahr des Herrn 1966 102 Jahr des Herrn 1967 102 Jahr des Herrn 1969 102 Jahr des Herrn 1970 103 Jahr des Herrn 1973/74 104 Jahr des Herrn 1975 105 Jahr des Herrn 1976 106 Jahr des Herrn 1980 107

1 Jahr des Herrn 1985 108 Jahr des Herrn 1994 108 Chronik der Zuwendungen für die Kapelle 108 Erinnerung der KZ-Priester an die Sorge um den Verlust der Kapelle 110 Die Kapelle als Vorzeigeobjekt der SS 113 Ökumene in der Kapelle 114 Meßfeiern und Seelsorge im KZ außerhalb der Kapelle 119 Literatur 133 Glossar 137 Christliches Leben im Nationalsozialismus in der Gemeinde St. Lamberti/Coesfeld unter Dechant Joseph Lodde 181 „Was mir Karl Leisner bedeutet“ 221 Nachrufe 223 Nachrichten aus aller Welt 227 Veröffentlichungen über Karl Leisner 235 Informationsmaterial über Karl Leisner 237 Beitrittserklärung zum IKLK 239

2 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde von Karl Leisner!

Nachdem Karl Leisners Priesterweihe und Primiz sommer 2004 wurde die Geschäftsstelle in das Büro ausführlich dokumentiert sind1, ist der Schwerpunkt des Kreisdekanates Kleve verlegt. Die neue Adres- dieses Rundbriefes der „Dachau-Altar“ in der La- se lautet Wasserstraße 1, 47533 Kleve. Fon- und gerkapelle des KZ. Er hatte eine besondere Bedeu- Fax-Nummern sind geblieben: Telefon 02821/ tung für die KZ-Häftlinge; daher bemühten sie sich, 92595; Telefax 02821/980331. ihn entsprechend ihren Möglichkeiten würdig aus- Inzwischen gibt es auch ein Logo des IKLK. zugestalten. Mit dem Altar kommen viele Gegen- Entwurf und Ausführung stammen von der Desi- stände in den Blick, die nötig sind, um eine würdige gnerin Katharina Dömer aus Münster. Sie ist die Liturgie zu feiern. Freundin von Susanne Kaiser, einer Großnichte Für mich persönlich war es beeindruckend, im Karl Leisners, und hat sich bereits in der Schule mit Jahre 2001 mit der Hausgemeinschaft des Priester- Karl Leisner beschäftigt. Im Januar 1993 schrieb sie hauses Berg Moriah in Simmern/Westerwald am eine Facharbeit mit dem Thema „Ein engagierter Dachau-Altar zu zelebrieren. Am 12. August 2004 Christ – Karl Leisner“. habe ich in der Kirche des Karmel Heilig Blut in Die Internetseite des IKLK, die Kaplan Philipp Dachau mit dem Schwesternkonvent und Gästen Michael Irmer erstellt hat, ist von der Rehder Medi- die Eucharistie an dem Altar gefeiert, in den das enagentur in Aachen überarbeitet worden. Die In- „Herzstück“ des Dachau-Altares eingelassen ist. ternetadresse ist geblieben: www.Karl-Leisner.de Von den im oberen Fries des Portals der Ver- Der letzte Teil des Rundbriefes bringt wie im- söhnung an der Basilika in Kevelaer dargestellten mer Nachrichten und Neuigkeiten. Personen2 kommt in diesem Rundbrief Josef Lodde Ihren irdischen Pilgerweg vollendet haben: Karl in den Blick. Aus der Pfarrchronik von St. Lamberti Leisners Konabiturient Lambert Michels, seine in Coesfeld geht hervor, was es bedeutete, in der Kursgenossen Pfarrer Heinrich Kleinen, Pfarrer Zeit des Nationalsozialismus Christ zu sein und August Veerkamp und Pfarrer Josef Perau, der mit dazu noch Widerstand zu leisten. Karl Leisner 1934 ins Collegium Borromaeum Seit der Gründung des IKLK 1975 befand sich einzog, und Karl Leisners KZ-Mithäftling Pfarrer dessen Geschäftsstelle im Haus von Familie Haas Johann Steinbock aus Österreich; außerdem sind in Kleve-Kellen. Nach dem Tod ihres Mannes 1993 gestorben: Agnes Börmann, Karl Dingermann, führte Elisabeth Haas, die jüngste Schwester Karl Marianne Dickhoff, Maria Heidbüchel, Heinz Jun- Leisners, die Geschäftstelle dort weiter. Besonderer ge, Wilhelm Michels, Maria Mütter, Karl-Heinz Dank gebührt ihr für ihr Engagement im Zusam- Tekat und Elfriede Wedekind. Sie mögen ruhen in menhang mit der Seligsprechung 1996. Im Spät- Frieden. Einen Nachruf auf Pfarrer Heinrich Kleinen, den ersten Vorsitzenden des 1975 gegründeten 1 Hans-Karl Seeger, Gabriele Latzel (Hgg.), Karl Leis- IKLK, schrieb der langjährige Beisitzer des IKLK ner – Priesterweihe und Primiz im KZ Dachau, Mün- ster 2004. Diakon Berthold Steeger. 2 Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 38, S. 70–75.

3 Ohne den großen Einsatz von Pfarrer Heinrich daß Sie nicht mehr wie gewohnt jeweils zum Ge- Kleinen und Pfarrer Joseph Perau wäre der Selig- burts- und Todestag Karl Leisners einen umfangrei- sprechungsprozeß für Karl Leisner nicht so bald in chen Rundbrief bekommen. Nach Erscheinen der Gang gekommen. Biographie erhalten Sie diese als Geschenk, wobei Zwecks weiterer Forschungen ist es wichtig, die wir wieder für jede Spende dankbar sind. Nachlässe der verstorbenen Mitglieder des Präsidi- Berichte über den Gedenkgottesdienst am 19. ums Wilhelm Haas, Willi Walterfang und Heinrich Dezember 2004 in Dachau aus Anlaß des 60. Jah- Kleinen zusammenzuführen. Auch Josef Perau restages der Priesterweihe und Primiz Karl Leisners hatte dem IKLK bereits vor seinem Tod seinen und über die Aufnahme von Schwester Imma Mack Nachlaß bezüglich Karl Leisner zur Verfügung in die französische Ehrenlegion werden später do- gestellt. kumentiert. Auf der Präsidiumssitzung im September 2004 In diesem Sinne grüße ich Sie im Namen des in Kleve zeigte sich, wie dringend notwendig eine Präsidiums und wünsche Ihnen eine gute Zeit „ungefärbte“ Biographie über Karl Leisner ist. Ihr Daher haben wir uns entschieden, eine solche vor- rangig herauszugeben. Da dies ebenso wie die an- schließende Veröffentlichung der Tagebücher Karl Leisners eine sehr arbeits- und zeitaufwendige Meine Adresse: Hans-Karl Seeger, Postfach 1304, Aufgabe ist, bitten wir Sie um Verständnis dafür, 48723 Billerbeck

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Dachau-Altar im Gedenkraum des Priesterhauses Berg Moriah links vom Altar Bild von Karl Leisner

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Die Designerin Katharina Dömer interpretiert ihr für den IKLK entworfenes Logo wie folgt:

Das Kreuz ist angelehnt an das Kreuz aus dem Bischofsstab, der zur Priesterweihe Karl Leisners im KZ Dachau verwendet wurde. Die Kreisform ist Symbol für die Internationalität. Der breite dunkle Bogen unten, der oben zu einem schmalen helleren Bogen wird, steht für den starken Glauben, der sich durchsetzt und über alles Drückende und Dunkle siegt.

6 2005 ein Jahr der „Jubiläen“ für Karl Leisner

Nach bestimmten Zeitabschnitten hält der Mensch schaftlichen Verhältnisse, aufgrund derer man es inne und schaut zurück. Mancher möchte jubilieren eingeführt hatte, verändert hatten. über all das, was die Vergangenheit ausgezeichnet Die Bedeutung des Jubiläums war vor allem re- hat. Er begeht ein Jubiläum. ligiöser Natur. Wir ordnen die 50 dem Dezimalsy- Das Wort Jubiläum kommt nicht von jubilieren, stem zu, obwohl sie dem Siebenerrhythmus ent- welches vom kirchenlateinischen „jubilus - froh- springt, der früher sehr wichtig war: In der Sieben locken mit Kirchengesang“ stammt, sondern vom ist die Summe der Drei (Dreifaltigkeit) und der Vier hebräischen „yobel“, das ursprünglich in der Bibel- (Schöpfung mit den vier Himmelsrichtungen) ent- sprache den Widder oder den Ziegenbock bezeich- halten, und somit ist sie eine heilige Zahl (sieben nete, dann das Horn dieses Tieres und endlich das Sakramente). Zudem kam man mit sieben Jahren in aus diesem gefertigte Blashorn. die Schule, mit vierzehn Jahren verließ man sie, mit Da alle großen Ereignisse, vor allem die Ver- einundzwanzig Jahren war man erwachsen usw. kündung des Jubiläumsjahres am zehnten Tag des Nach der Bibel währt „des Menschen Leben 70 siebten Monats, mit Hornstößen angekündigt wur- Jahre, wenn es hoch kommt, sind es 80.“ (Ps 90). den, nennt die Bibel das Heilige Jahr, das Festjahr, Täglich begegnet uns die Sieben in der Siebenta- das die Juden alle fünfzig Jahre begingen, „yobel“. gewoche. Gemäß dem Gesetz des Judentums (Lev 15,8– Als kosmische Zahl erleben wir die Zwölf, ohne 55e; 27,16–25), waren mit der Begehung des Jubi- die wir die Uhrzeit und die Monate des Jahres nicht läumsjahres wichtige gesellschaftliche und wirt- verstehen. schaftliche Privilegien verbunden: Es wurde nicht Doch unsere Jubiläen zählen wir nach dem De- geerntet, sondern man verbrauchte die Vorräte aus zimalsystem. Besonders beeindrucken uns die Zah- den vergangenen Jahren; sämtliche Grundstücke len mit einer Null oder Fünf als Endziffer. Erst kam und Häuser, die nach dem letzten Jubiläum erwor- die Ziffer, dann die Zahl. ben worden waren, mußten dem ursprünglichen Wir kennen die Null in den arabischen Zahlen, Eigentümer ohne Entschädigung zurückgegeben nicht in den römischen. Sie präzisiert mit einem werden, in der Stadt jedoch nur die Häuser der Prie- Minimum von Beschreibungsaufwand ein Maxi- ster und der Leviten; die israelitischen Sklaven mum an quantitativer Aussage. Es hat lange gedau- konnten ihre Freiheit zurückgewinnen. Laut Flavius ert, bis die Null in die Mathematik eingeführt wur- Josephus (37/38–ca. 100) wurden auch die Schul- de. Es gab vorher kein Symbol, um die Leere, das den erlassen. Nach der Eroberung von Kanaan Nichts, begrifflich zu fassen. wurde dieses großgrundbesitzerfeindliche Gesetz Die Faszination der Null als Ziffer und als Zahl offensichtlich nicht angewandt (vgl. Jes 5,8). Nach veranlaßt uns, einen „runden“ Geburtstag besonders der Verbannung des Volkes Israel wurde das Jubi- zu feiern. läum nicht mehr begangen, da sich die gesell- Es gibt eine Magie der Null, obwohl im bürger- lichen Leben „Nullen“ nicht besonders gefragt sind.

7 Die Null ist eine personalisierte Form des Nichts. Vor 80 Jahren meldeten ihn die Eltern am Das Schlaraffenland war eine Welt des Null-Tarifs. Gymnasium in Kleve an, das er ab dem 22. April Wir sprechen von Null-Wachstum, Null-Bock, 1925 besuchte. Das war eine wichtige Weichen- Null-Diät, Null-Lösung, Null-Null (00) und Null- stellung für sein späteres Theologiestudium. Ahnung. Im Zusammenhang mit Zahlen ist das Vor 80 Jahren ging er zum ersten Mal zur anders. Nullen können sehr wichtig sein, wenn sie Beichte und zum Tisch des Herrn (19. April 1925). in ihrer Menge sehr ansehnlich sind und davor Vor 90 Jahren wurde er am 28. Februar 1915 in wenigstens eine Eins haben. Wir kennen die Null Rees geboren und empfing das Sakrament der Tau- als Zahl, die den Saldo eines leeren Geldbeutels fe. Die Neun hat ihr Gewicht. Drei mal die heilige beschreibt und die Null als Ziffer, die an jeder Stel- Zahl Drei ist die Vollkommenheit. Die heilige Drei le einer Zahl etwas anderes bedeutet. reflektiert sich in den neun Chören der Engel. Gerade haben wir des 60. Jahrestages der Prie- Wenn für uns heute die Zehn die Vollkommenheit sterweihe Karl Leisners gedacht, da zeigen sich ist, ist die Neun die Nähe dazu. bereits neue Anlässe, „Jubiläen“ zu begehen. Der Internationale Karl-Leisner-Kreis hat es Vor 60 Jahren wurde Karl Leisner 1945 am 29. sich zum Ziel gesetzt, das Andenken an Karl Leis- April von den Amerikanern befreit und am 4. Mai ner zu erhalten. Er entstand vor 30 Jahren am 5. von Pater Otto Pies SJ ins Waldsanatorium nach Oktober 1975 aus dem 1973 gebildeten „Freun- Planegg „entführt“, wo er am 12. August mit 30 deskreis Karl Leisner“. Der 50. Rundbrief des Jahren starb. IKLK erscheint in diesem Jahr. Vor 65 Jahren kam er nach Gefängnishaft in Welch eine Fülle von runden Jahreszahlen im Freiburg und Mannheim am 16. März 1940 in Jubiläumsjahr 2005, dem Jahr des Weltjugendtages Schutzhaft ins KZ Sachenhausen und am 14. De- in Köln und des 1200jährigen Jubiläums des Bi- zember 1940 ins KZ Dachau. stums Münster. Hans-Karl Seeger

8 Der Altar in der Lagerkapelle des Konzentrationslagers Dachau Ausgangs- und Zielpunkt religiösen Lebens

Einleitung zusammenzuhängen. Die Martyrerverehrung führte In der Astronomie ist Ara (Altar) ein Sternbild am zur Verbindung von Altar und Martyrergrab. Man südlichen Himmel. verwies dabei auf die Offenbarung des Johannes In vielen Religionen ist der Altar ein heiliger (6,9 ff.): Gegenstand. Altar kommt vom lateinischen alta ara Ich sah unter dem Altar die Seelen aller, die hin- - erhöhter Opferplatz, das ist die geweihte Stätte, an geschlachtet worden waren wegen des Wortes der die Opferhandlungen an eine Gottheit vollzogen Gottes und wegen des Zeugnisses, das sie ab- werden. Einen Altar kennen fast alle Religionen als gelegt hatten. Sie riefen mit lauter Stimme: Wie tischartigen Platz oder als einen Block, der reich lange zögerst du noch, Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, Gericht zu halten und unser Blut geschmückt wird. Neben sakralen Gegenständen an den Bewohnern der Erde zu rächen? Da zeugt die bauliche Beschaffenheit von seiner Funk- wurde jedem von ihnen ein weißes Gewand ge- tion. So weisen Altäre, auf denen Lebewesen darge- geben, und ihnen wurde gesagt, sie sollten noch bracht wurden, Vertiefungen auf, in denen sich das kurze Zeit warten, bis die volle Zahl erreicht sei Blut des Lebendopfers sammelte. durch den Tod ihrer Mitknechte und Brüder, die Im Alten Testament war der Altar meistens eine noch sterben müßten wie sie. Opferstätte, er kann aber auch Denkmal sein, ein Die Verehrung des Altares nimmt zu, was in der Andenken an eine besondere Gotteserfahrung. In Altarweihe ihren Ausdruck findet. Bis ins achte Israel war die Mitte und der Höhepunkt des Kultus Jahrhundert gab es weder eine Kirch- noch eine der Brandopferaltar im Tempel von Jerusalem. Mit Altarweihe. der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 durch die Der einfache Altar kann ein besonderer Stein Römer endete der jüdische Opferkult. sein. Mit der Entwicklung des Kultes verfeinert sich Im Christentum war der erste Altar ein einfacher die Ausgestaltung und erreicht beispielsweise im Tisch, der Tisch im Abendmahlssaal zu Jerusalem. gotischen Flügelaltar einen künstlerischen Höhe- An Tischen feierten auch die ersten Christen in punkt. ihren Häusern die Eucharistie. Noch Jahrhunderte Bis zur Liturgiereform durfte der Altarraum in später wurde er zur Feier der Eucharistie von Dia- der katholischen Kirche von Frauen nur zum Putzen konen oder anderen Klerikern eigens herbeige- betreten werden, nicht aber während eines Gottes- bracht und nach der Feier wieder entfernt. Diese dienstes. Es war unvorstellbar, daß jemals weibli- tragbaren Altäre waren aus Zweckmäßigkeitsgrün- che Wesen liturgische Dienste wie die von Mini- den aus Holz. Das änderte sich, als das Christentum stranten, Lektoren oder Kommunionhelfern aus- unter Kaiser Theodosius (nach 392) Staatsreligion üben könnten. wurde, und die Christen eigene Kirchen für ihre Der Beginn einer Eucharistiefeier vor der Litur- Liturgie bekamen. giereform mit einem Stufengebet zeigt, welch heili- Der Brauch, fixe, steinerne Altäre zu errichten, ger Ort der Altar ist. Die Feier der heiligen Messe scheint mit dem Aufblühen des Martyrerkultes begann nicht erst am Altar, sondern wurde durch

9 eine Vielfalt vorbereitender Riten eingeleitet. Dazu Klerus getrennt, sie wartete wie im jüdischen Tem- gehörte auch der Kehrvers aus dem Stufengebet: pel vor dem Allerheiligsten. „Introibo ad altare Dei“ – „Zum Altare Gottes will Heute stehen die Altäre so, daß man sie um- ich treten!“ (Ps 42/43). Wie bei allen gottesdienstli- schreiten kann. Nicht die Feier des Priesters für die chen Riten genügte es nicht, diesen Zutritt als rein Gemeinde, sondern die Feier der Gemeinde mit ihm äußeres Geschehen zu deuten. Vielmehr kam darin unter seinem Vorsitz ist Leitmotiv der Liturgie. eine innere Haltung zum Ausdruck. Alle Getauften sind danach liturgiefähig; denn sie Sobald der Priester die Sakristei verließ, wurde bilden „eine königliche Priesterschaft“ (1 Petr 2,9). eine Glocke geläutet. Sie rief gleichermaßen zur So rückte der Altar stärker in die Mitte der Ge- Aufmerksamkeit und zur Ehrfurcht, das ist heute meinde gemäß dem Wort „Wo zwei oder drei in noch so. Wenn die Gläubigen sich beim Glocken- meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten zeichen zu Beginn der Messe erheben, dann ehren unter ihnen“ (Mt 18,20). sie damit den Priester, der als Stellvertreter Christi Auch im KZ Sachsenhausen und im KZ Dachau das heilige Geschehen beginnt. gab es die Möglichkeit, offiziell Eucharistie zu Der Zutritt zum Altar hat selbst in der schlichte- feiern. Am 5. August 1940 wurde die Lagerkapelle sten Form der Meßfeier die Form einer geordneten im KZ Sachsenhausen im Block 57 eingerichtet, Prozession und gewinnt damit etwas Erhabenes und und am 22. Januar 1941 wurde in der kurz zuvor Edles. Der äußere Weg ist Bild für einen inneren: fertiggestellten Lagerkapelle auf Block 26 im KZ Mehr noch als auf die äußere Präsenz kommt es auf Dachau die erste Eucharistiefeier gehalten. die wache innere Teilnahme am eucharistischen Im KZ Dachau gab es neben der Kapelle im Opfer an, damit von uns nicht das Wort gilt, wel- Block 26, die auch Besuchern gezeigt wurde, meh- ches der Herr den Pharisäern vorhielt: „Dieses Volk rere Orte, an denen Eucharistie gefeiert wurde. Mit ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber ist fern von Erlaubnis der Lagerleitung geschah dies in einer mir“ (Mk 7,6). Zelle des „Ehrenbunkers“ ab Weihnachten 1941. Die heute meist freistehenden Altäre standen Insgeheim aber zelebrierten Priester an vielen Stel- früher an der Wand und waren nach Osten zur auf- len des Lagers oder in der Plantage mit bescheiden- gehenden Sonne und zum wiederkommenden Chri- sten Mitteln die heilige Messe. So wundert es nicht, stus ausgerichtet. Der Priester stand vor dem Volk daß heute von vielen sakralen Gegenständen die Gottes und schaute mit diesem dem Licht, dem Rede ist, die zwar im KZ Dachau, aber nicht unbe- kommenden Herrn entgegen. Der Gottesdienst war dingt in der Lagerkapelle Verwendung gefunden ausgerichtet auf die Anwesenheit Jesu Christi in der haben. Im Karmel Heilig Blut in Dachau wird zum Brotsgestalt im Tabernakel auf dem Hochaltar, auf Beispiel eine Postkarte verkauft mit dem Aufdruck: den die kniende Gemeinde schaute, während der Der abgebildete Tabernakel zeigt die Aufschrift: Priester im Altarraum das Meßopfer darbrachte. In ICH BIN BEI EUCH. vielen Kirchen, vor allem in großen Kathedralen Dieser Tabernakel befand sich aber nie in der La- 3 des Mittelalters war die Gemeinde durch einen gerkapelle des KZ Dachau. Lettner oder zumindest durch Chorschranken vom 3 Siehe auch: S. 105.

10 Noch verwirrender wird es, wenn man den Alle erhaltenen Tagebücher und Briefe Karl Leis- Verbleib der liturgischen Gegenstände für die Zeit ners aus dem KZ befinden sich im Archiv des In- nach der Befreiung des KZ am 29. April 1945 ternationalen Karl-Leisner-Kreises (IKLK). Wenn durch die Amerikaner mit einbezieht. So hat sich nichts anderes angegeben ist, befinden sich die in zum Beispiel Pater Leonhard Roth OP sehr intensiv diesem Rundbrief zitierten Texte und Dokumente um die Seelsorge der auf dem ehemaligen KZ-Ge- als Originale oder Kopien im IKLK-Archiv. lände Internierten und Heimatvertriebenen geküm- Namen, Orte, Sachverhalte, Redewendungen mert und verschiedene Gottesdiensträume errichtet und mundartliche Formulierungen sind im Glossar und sich sowohl der liturgischen Gegenstände aus erklärt. Bei Adelstiteln ist der Name unter „de“, der ehemaligen Kapelle in Block 26 als auch ande- „van“, „von“ oder „zu“ aufgenommen. rer bedient. Eckige Klammern [...] in Zitaten enthalten Zu- In der Hölle von Dachau wurde der Raum einer sätze der Autoren. Baracke zu einem Ort, an dem Himmel und Erde Hans-Karl Seeger sich berühren. So zeigt sich im Laufe der Ge- schichte immer wieder: Durch die Art, wie wir uns in einem Raum verhalten, können wir eine Scheune zur Kathedrale und eine Kathedrale zur Scheune machen.

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Der Artikel über den Dachau-Altar umfaßt die Zeit vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg, also die Zeitspanne von 1933 bis in die Gegenwart. In der Wüstensituation des KZ-Lebens war der Altar ein Konzentrationspunkt für die Geistlichen, ein Ort des Trostes und der Zuversicht, von dem die Laien bedauerlicherweise ausgeschlossen waren. Dadurch wurde er auch ein Zeichen des Anstoßes. In der Nachkriegszeit war der Dachau-Altar für die überlebenden Häftlinge ein Ort der persönlichen Erinnerung an die Erfahrungen, die sie im KZ ge- macht hatten. Ihnen war klar, welche Bedeutung der Altar und die sakralen Gegenstände als „Reli- quien“ für die Nachwelt haben: Mahnmal und Ge- denkstätte der Opfer des KZ.

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11 Priester und Seelsorge im Konzentrationslager

Als 1933 die leerstehende Pulverfabrik von Dachau Den Schutzhaftgefangenen ist Gelegenheit zur in ein Konzentrationslager umgewandelt wurde, Beichte gegeben. Die erste Beichte findet am waren sowohl die Bevölkerung als auch der Pfarrer Samstag, dem 12. August 1933, um 15.00 Uhr Friedrich Pfanzelt von St. Jakob in Dachau mit bis 18.00 Uhr im Gefangenenrevier statt. Der Gottesdienst mit heiliger Kommunion beginnt am einer schwierigen Situation konfrontiert. Im KZ 7 Sonntag 13. August 1933 um 7.30 Uhr. Dachau hatte sich der Pfarrer bereits nach der Ein- Wie aus dem Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau lieferung der ersten Häftlinge am 22. März 1933 hervorgeht, änderte sich die seelsorgliche Situation um deren Seelsorge bemüht. Am 17. April 1933 der Häftlinge mit dem Wechsel des Lagerkomman- schrieb er an das Ordinariat in München, er habe danten. Am 22. Juli 1934 ließ der neue Lagerkom- wegen eines Gottesdienstes im KZ Dachau mit dem mandant SS-Obergruppenführer Lagerkommandanten SS-Standartenführer Hilmar Pfarrer Friedrich Pfanzelt ohne Begründung den Wäckerle gesprochen. Diese Gespräche waren wohl Ausweis zum Betreten des Lagers abnehmen und deshalb weitgehend positiv verlaufen, weil sich erteilte ihm Lagerverbot.8 Es gelang Friedrich Pfan- Friedrich Pfanzelt und Hilmar Wäckerle aus dem 4 zelt, ein Gespräch mit Theodor Eicke zu erwirken, Ersten Weltkrieg (1914–1918) kannten. Am Oster- worauf dieser ihm am 4. Oktober 1934 einen neuen sonntag 1933 fand der erste Gottesdienst statt, an 5 Ausweis zum Betreten des Lagers ausstellen ließ dem von 539 Häftlingen 28 teilnahmen. und wieder die Erlaubnis zur Abhaltung des Got- Bald zog die SS die Sache so ins Lächerliche, tesdienstes erteilte. Die Abnahme der Ohrenbeichte daß es nicht mehr möglich war, weitere Gottes- gestattete er jedoch nicht.9 dienste zu feiern. Vom Pfarrhof aus initiierte Pfar- Vom 10. Dezember 1934 bis 29. April 1936 war rer Pfanzelt vielfältige Hilfe für die Häftlinge. SS-Sturmbannführer Heinrich Deubel Lagerkom- Ende Mai 1933 sprach er mit mandant. Auch bei diesem scheiterten weitere Ver- wegen einer Kirche im KZ-Bereich, worauf er am suche Friedrich Pfanzelts, die Erlaubnis der Ohren- 2. Juni 1933 die Antwort bekam, daß: beichte zu erwirken mit der „endgültigen“ Antwort mit dem Vorschlag betr. Kirche noch einige Zeit vom 17. April 1935: gewartet werden möge, bis es einwandfrei fest- daß Ohrenbeichten und ihr gleichgestellte ver- gestellt ist, ob das Lager vergrößert oder Teile 6 trauliche Aussprachen in den KZ verboten davon einem anderen Lager zugeführt werden. 10 Am 11. August 1933 erging der Lagerbefehl Nr. sind. 1/33 bezüglich der Seelsorge im KZ Dachau:

7 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–9b. 4 Siehe: Lossin S. 50. 8 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 5 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–12, 13 u. 15. 28/1–1. 9 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 6 Brief vom 28.4.1935 ans Ordinariat in München. 28/1–18. Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–28. 10 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–27.

12 Daher erbat Friedrich Pfanzelt von Kardinal Faul- In seinem Antwortbrief vom 7. November 1936 haber zweimal die Erlaubnis zur Generalabsolution. dankt Kardinal Faulhaber Friedrich Pfanzelt für den Zuletzt für eine Feier am 26. Dezember 1935 „mit Einsatz und schlägt einen vierzehntägigen Gottes- vorausgehenden zwei Vorträgen, um die rechte dienst vor. Seelenverfassung bei diesen armen Pfarrkindern zu Wir wollen nicht ganz abbrechen, weil wir ge- schaffen“.11 knickte Rohre nicht vollends zerbrechen und glimmende Dochte nicht ganz auslöschen wollen Wie schwer, ja letztlich sogar unmöglich den 13 Häftlingen die Teilnahme am Gottesdienst durch [vgl. Mt 12,20]. Schikanen der Wächter gemacht wurde, zeigt unter Johann Lenz: anderem folgender Brief von Friedrich Pfanzelt am Schon in den ersten Jahren des Lagers ver- suchte der Pfarrherr von Dachau – 1947 zum 4. November 1936 an Kardinal Faulhaber: Prälaten ernannt – ein würdiger Veteran aus [...] daß seit Ende August überhaupt niemand dem ersten Weltkrieg – im neuen KZ Dachau mehr zum Gottesdienst kommt! Zwar ging ich Gottesdienst zu halten. „Es sind doch auch Ka- bis zum 15. Oktober [1936] nach ordnungsge- tholiken unter den Gefangenen. Und diese wer- mäßer Bekanntgabe bei der Verwaltung noch den jetzt um so mehr die Sonntagsmesse wün- jeden Sonntag ins Lager; den Gefangenen wur- schen, je bitterer das Kreuz der Verbannung de jeweils im Samstag-Abendbefehl der Gottes- sich offenbart.“ dienst bekannt gegeben; sobald ich im Lager So dachte der Priester mit vollem Recht. Mu- ankam, mußten sich die Gefangenen kom- tig ging er ans Werk. Und siehe da – auch die panieweise sammeln, wobei nochmals zum „ka- Lager-SS schien großes Verständnis dafür zu tholischen Gottesdienst“ aufgerufen wurde: doch haben. Aber es war eben nur Schein! Wer konn- jedesmal herrschte eisiges Schweigen – die ein- te damals schon die ganze Dämonie durch- zelnen „Kompanieführer“ (Häftlinge) eilten in den schauen? Der Priester kommt zur festgesetzten Gottesdienstraum: „Herr Pfarrer, es meldet sich Stunde durchs Lagertor auf den . Hier niemand zum Gottesdienst.“ auf dem offenen Platz will er das göttliche Opfer [. . . ] dürfte doch andererseits [. . . ] im Lager feiern. Doch was ist das für eine Musik? Das ist erfahrungsgemäß die Furcht vor der SS-Wach- kein Choral – nein! Das ist ein lästerlicher mannschaft, die vom 1. Jan. 1936 bis heute Schlager! „Du schwarzer Zigeuner, komm, spiel nicht weniger als 355 Kirchenaustrittserklärun- mir was vor...!“14 gen abgab – ein fast gleich hoher Prozentsatz ist In dem gleichnamigen Lied von Karel Vacek auch beim evangelischen Vikariat eingelaufen – (1902–1982) wiederholt sich die Strophe: die noch Willigen vom Gottesdienstbesuch gern Du schwarzer Zigeuner, komm spiel mir was vor. abhalten, wozu noch kommt, daß der „Pfaffen- Denn ich will vergessen heut’, was ich verlor. spiegel“ als Extraschulungskost vorgesetzt wur- Du schwarzer Zigeuner, du kennst meinen de, wie mir in den jüngsten Tagen bekannt wur- 12 Schmerz. de. Und wenn deine Geige weint, weint auch mein Herz. 11 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1– 29, 30 u. 34. 13 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–39. 12 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/1–38a. 14 Lenz S. 211.

13 Spiel’ mir das süße Lied aus gold’ner Zeit. Dort verstarb er am 29.8.1941. Die Todesursa- Spiel’ mir das alte Lied von Lieb’ und Leid. che ist nicht bekannt.16 Du schwarzer Zigeuner, komm’, spiel’ mir ins Im Jahre 1938 kamen nach der Eingliederung Ohr. Österreichs vor allem österreichische Geistliche ins Denn ich will vergessen ganz, was ich verlor. KZ Dachau. Zu ihnen gehörten Alfred Berchtold, Franz Ohnmacht, Georg Schelling und Franz Wöß. Gottfried Engels: Auf Block 26/3, wo ich von Anfang (Januar Jahr des Herrn 1940 1940[1941]) an war, wurde uns der Besuch der Die Zahl der inhaftierten Priester stieg 1940 hl. Messe vom Stubenältesten Erwin Geschon- neck sehr schwer gemacht. Direkt konnte er sprungartig an. Bis Ende des Jahres wurden 79 nichts gegen uns unternehmen. Dafür setzte er reichsdeutsche und 874 ausländische Geistliche ins aber für die Messebesucher besondere Dienste KZ Dachau gebracht. an, so daß zuletzt nur mehr fünf die hl. Messe François Goldschmitt: besuchten. Ich war sein besonderer Freund, so Erst nach Ausbruch des Krieges traf Anfang daß ich zuletzt nicht einmal einen Strohsack und 1940 der erste reichsdeutsche katholische Decken bekam (mit 54 Jahren und Phleg- Geistliche in Dachau ein. Es war mein langjähri- monebeinen). In der dritten Etage (Olymp) muß- ger Leidensgenosse Fritz Seitz, ein herzensgu- te ich schlafen und mir jeden Abend von einem ter, stets aufgemunterter Kamerad, Pfarrer des Mithäftling eine Decke erbetteln.15 Bistums Speyer.17

Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. Sep- 1940 fanden Verhandlungen zwischen der Deut- tember 1939 gab es kaum Geistliche in den Kon- schen Reichsregierung – Bischof Heinrich Wienken zentrationslagern. Einer der wenigen war nach in Berlin war der Mittelsmann – und dem päpstli- Angaben von Eleonore Philipp, Mitarbeiterin des chen Nuntius Cesare Orsenigo über die Lage der Vereins „Zum Beispiel Dachau“, Wilhelm von katholischen Priester in den Konzentrationslagern Braun: statt. Pfarrer Wilhelm von Braun, geboren am 13.11. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe- 1883 in Frankfurt/Oder, wurde am 17.12.1935 renz Adolf Kardinal Bertram am 26. März 1940 an als erster Geistlicher ins KZ Dachau eingeliefert den Reichsminister für die kirchlichen Angelegen- und erhielt die Nr. 8.791. Der Grund für seine heiten Hanns Kerrl: Verhaftung war der Verstoß gegen § 175 StGB. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonfe- Am 26.9.1939 wurde er ins KZ Buchenwald renz überstellt und kam am 15.4.1940 ins KZ Maut- hausen. Am 15.8.1940 kam er erneut ins KZ Da- chau und erhielt die Nr. 15.332. Am 12.7.1941 16 Eleonore Philipp am 16.7.2003: überstellte man ihn mit einem Transport von Diese Angaben stammen von den Gedenkstätten 1.000 Häftlingen erneut ins KZ Buchenwald. in Dachau und Buchenwald und sind durch Häft- lingsverzeichnisse bzw. Transportlisten belegt. Die Angaben bei Weiler stimmen also nicht, auch das Adelsprädikat fehlt dort. 15 Engels II, S. 290. 17 Goldschmitt Nr. 4, S. 6.

14 Breslau, den 26. März 1940 unterziehen zu wollen. Es ist mir nicht möglich, C. A. 1925 bei jenem Bescheid mich zu beruhigen. Habe Am 22. Juli 1938 habe ich an das Geheime ich doch von Kindheit an und in der katholischen Staatspolizeiamt in Berlin namens der Oberhir- Volksschule und im katholischen Gymnasium, ten aller Diözesen Deutschlands die Bitte ge- dem ich meine Ausbildung verdanke, stets den richtet, anzuordnen, daß in den Konzentrations- Grundsatz gehört und befolgt gesehen, daß man lagern für die katholischen Schutzhäftlinge regel- bei aller Treue zur eigenen religiösen Überzeu- mäßiger katholischer Gottesdienst und Seel- gung stets pietätvolle Achtung und Rücksicht sorge eingerichtet werde, sowie insbesondere dem religiösen Innenleben Andersdenkender zu seelsorgliche Besuche der Kranken und Spen- erweisen verpflichtet sei: ein Grundsatz, den dung der Sterbesakramente auf rechtzeitige man doch auch im Bereiche der nationalsoziali- Verständigung des zuständigen Geistlichen zu- stischen Weltanschauung nicht nur theoretisch, gelassen werden. Dabei habe ich auf Art. 28 des sondern auch praktisch zu beobachten bestrebt Reichskonkordats[18] Bezug genommen und sein wird. Und hat doch noch in den letzten Mo- noch mehr auf das seelsorgliche Bedürfnis der naten das Oberkommando der Wehrmacht in Inhaftierten, zu dem noch besonders der versöh- verständiger Würdigung des Einflusses religiö- nende Einfluß der Religion und ihrer Gnaden- ser Übung entgegenkommende Vergünstigung mittel hinzutritt. Laut Schreiben des Reichskir- gewährt für Gottesdienst und Seelsorge der chenministeriums vom 30. August 1938 G. II. Kriegsgefangenen, insbesondere der in schwe- 4565 ist dieses Gesuch abgelehnt aus sicher- rer Erkrankung befindlichen. Wenn ich den Be- heitspolizeilichen Gründen, obwohl ich die Er- richt der Kommandantur des Konzentrationsla- füllung der Pflicht der Bischöfe, für die Beob- gers Buchenwald d. d. Weimar-Buchenwald d. 3. achtung aller Ordnungsvorschriften ihrerseits Februar 1940 über die Krankheit und das Ende Sorge zu tragen, zugesagt habe. Da ich mir des früher zu meiner Diözese gehörenden Erz- nicht denken kann, daß auf die Dauer den priesters Paul Polednia lese, wirkt es geradezu Schutzhäftlingen selbst jene seelsorgliche Hilfe erschütternd, zu denken, wie ein Greis in so ent- verweigert bleiben könne, deren selbst die setzlichem Krankheitszustande selbst alles seel- schwersten Verbrecher in Zuchthäusern – sicher sorglichen Trostes entbehren mußte. nicht zum Nachteil der staatlichen Interessen – Meine Bitte geht dahin, das Reichskirchenmi- sich erfreuen, so bitte ich das Reichskirchenmi- nisterium wolle gütigst vermitteln, daß nisterium, diese Angelegenheit erneuter Prüfung 1. wenn nicht regelmäßiger, doch periodischer Gottesdienst und Seelsorge in Konzentrations- lagern gestattet werden möge; 18 Der Artikel 28 garantierte: 2. daß bei lebensgefährlicher Erkrankung das In Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen Häusern der öffentlichen Hand wird die Kirche im zuständige Pfarramt, bez. ein von staatlicher Rahmen der allgemeinen Hausordnung zur Vor- Seite zugelassener benachbarter Geistlicher nahme seelsorgerlicher Besuche und gottes- rechtzeitig zwecks Spendung der Sterbesakra- dienstlicher Handlungen zugelassen. Wird in sol- mente verständigt werde; chen Anstalten eine regelmäßige Seelsorge einge- 3. daß den inhaftierten Geistlichen die stille Per- richtet und müssen hierfür Geistliche als Staats- solvierung des Breviergebets gestattet bleibe oder sonstige öffentliche Beamte eingestellt wer- und nicht behindert werde, aus der sie gerade in den, so geschieht dies im Einvernehmen mit der seelisch schweren Stunden Kraft zu geduldiger kirchlichen Oberbehörde.

15 Ausdauer und seelisches Gleichgewicht schöp- aus grundsätzlichen Erwägungen nicht abgese- fen; und hen werden. 4. daß die Erdbestattung für die Leichen derjeni- Im Auftrage, gez. [Josef] Roth.20 gen Inhaftierten gestattet bleibe, die vor ihrem Hugo Ott: Ende, oder in deren Vertretung die Angehörigen Der Generalvikar [Dr. Adolf Rösch] informierte solche verlangen. [...] den Diözesanklerus auch über den neue- Es würde angesichts der schweren Prüfung, sten Stand der Durchführung der KZ-Haft von die das Konzentrationslager jedem Inhaftierten katholischen Geistlichen. [...] Dr. Rösch teilte bringt, versöhnend und für die Angehörigen be- zugleich mit, daß gemäß dieser Weisung ein Di- ruhigend wirken, wenn wenigstens in diesen özesangeistlicher [Richard Schneider] in der Stücken aus Gründen humaner Behandlungs- Vorwoche nach Dachau verbracht worden ist.21 weise Entgegenkommen geübt würde. 19 gez. A. Card. Bertram Im KZ Sachsenhausen wurde eine Kapelle in Block Hanns Kerrl am 9. November 1940 an Kardinal 57 eingerichtet, so daß die Häftlinge ab Montag, Bertram: dem 5. August 1940, dem Fest Maria Schnee, dort Berlin W 8, den 9. November 1940. Leipziger- jeden Morgen die heilige Messe feiern konnten. straße 3. Einen Meßkoffer22 hatte die Lagerkommandantur II 5431/40. 23 An den Herrn Erzbischof von Breslau Kardinal zur Verfügung gestellt. Bertram in Breslau. Es wurden bisher keine Dokumente gefunden, Betrifft: Behandlung der Geistlichen im Konzen- die eine Anordnung aus Berlin zur Errichtung einer trationslager. Kapelle im KZ Sachsenhausen bezeugen. Es gibt Dortiges Schreiben: C. A. 1925 vom 26. März lediglich Berichte darüber, daß eine Kapelle einge- 1940. richtet und Gottesdienste gefeiert wurden. Im De- Nach einer Entscheidung des Reichsführers SS zember 1940, als alle Priester ins KZ Dachau ver- und Chefs der Deutschen Polizei [Heinrich legt wurden, löste man die Kapelle wieder auf. Himmler] werden nunmehr sämtliche bisher in Ludwig Spießl: verschiedenen Konzentrationslagern unterge- Seit dem 5.8.1940 hatten wir eine Stube als ei- brachten Geistlichen im K.L. Dachau zusam- genen Kapellenraum einrichten können durch mengefaßt werden. Dort werden sie nur mit die Bemühungen Papst Pius XII. Dort hat der leichten Arbeiten beschäftigt. Auch wird ihnen polnische Mitbruder Paul Prabutzki, deutscher Gelegenheit gegeben, täglich die Messe zu le- Offizier im Ersten Weltkrieg [1914–1918], täglich sen oder zu besuchen. Die erforderlichen Meß- zelebriert. geräte nebst Zubehör stehen zur Verfügung. Wie mir der Chef der Sicherheitspolizei und des SD [Sicherheitsdienstes] weiterhin mitteilt, kann jedoch von der Einäscherung der Leichen von im Konzentrationslager verstorbenen Geist- 20 Freiburger Diözesanarchiv Nr. 15154. lichen wie bei allen anderen Schutzhäftlingen 21 Ott S. 9. 22 Es waren wohl ein oder zwei Militärmeßkoffer aus Polen. Siehe: Lenz S. 77 u. 183. 19 Freiburger Diözesanarchiv Nr. 4288. 23 Siehe: Lenz S. 85.

16 Wir alle, selbstverständlich auch Karl Leis- der SS-Leute erschien uns wie das Wüten des ner, feierten täglich die heilige Messe und konn- Teufels im Evangelium, bevor er auf das Macht- ten auch kommunizieren.24 wort Gottes hin das Feld räumen mußte. Kazimierz Hamerszmit: Das Glück, die Freude, die Dankbarkeit zu Anfang August (1940) erfuhren wir, daß wir eine schildern, mit der wir am nächsten Morgen – na- [26] kleine Kapelle haben sollten, in welcher täglich hezu an die tausend Geistliche – den Altar vor dem Appell derselbe Priester eine heilige umstanden, das erste heilige Meßopfer mitfei- Messe lesen darf. Das war eine große Freude erten, unseren Herrn und Gott unter uns inner- für uns. Manchmal aber kamen die SS-Männer halb des Stacheldrahtes begrüßten, ist unmög- zu uns in die Kapelle, behielten ihre Mützen auf lich. Wir mußten früher aufstehen, um die Arbeit dem Kopf und lachten ironisch über uns, daß wir nicht zu versäumen. Wegen der Verdunkelung knieten und beteten.25 (es war nahe bei Berlin) brannten nur zwei Ker- Josef Steinkelderer: zen. In dieser Lage fand uns der 5. August 1940, ein Um Zeit zu sparen, empfingen wir die heilige Tag, den keiner vergessen wird. Es kam Befehl: Kommunion auf eine Weise, die den Eindruck „Alle Geistlichen antreten!“ – „Ihr werdet aufge- einer Katakombenfeier noch verstärkte: jeder teilt in drei Baracken [Blocks], alle Blockältesten nahm beim Eintritt eine Hostie von einem Teller des Lagers bauen euch sofort die Betten.“ Wir (eine Zeitlang mußten wir uns sogar mit Lager- trauten unseren Ohren nicht. Aber die große brot behelfen) und hielt sie in der flachen Hand, die bei der Priesterweihe gleichsam zur Patene Überraschung kam erst mit dem Befehl: „Zwan- [27] zig Mann, die sich darauf verstehen, räumen konsekriert war. Der Priester am Altar – nur Block 57 und richten ihn als Kapelle ein. Ein ein und derselbe durfte täglich zelebrieren – ver- Meßkoffer ist bei der Lagerführung abzuholen. wandelte zugleich mit der seinigen auch alle an- Morgen früh und von nun an täglich halten die deren, in Priesterhänden dargebotenen Hostien, und bei der Kommunion reichten wir uns selbst Geistlichen dort Gottesdienst.“ 28 Wir wußten nicht, träumten wir oder erlaubte den Herrn und Heiland in Brotsgestalt. man sich mit uns einen bösen Scherz. Es gab Karl Leisner an seine Familie: keine Zeit zum Nachdenken. Auch ich meldete Sachsenhausen, Sonntag, 25. August 1940 mich. Die Freude gab uns Kraft, und im Sturm Ihr Lieben daheim! ging’s an die Arbeit. Da stürzte eine Schar SS- [...] Seit 5. August haben wir jeden Morgen Leute mit Stöcken und gezogener Pistole in den Messe – und als Diakon darf ich Kommunion Raum und traktierte uns unter nicht wiederzuge- austeilen. Das ist ganz herrlich. So vergeht ein benden Lästerungen, bis wir durch Türen und Tag wie der andere voll großer Freude und in- Fenster das Freie suchten. Aha, dachten wir, die wollen einmal ausprobieren, ob wir noch an Got- nerem Glück. Allezeit gedenke ich Eurer mit tesdienst und Kirche dächten. Aber sie zogen ab und wir durften, ja wir mußten weiterarbeiten, 26 Ebenso wird auch später oft eine zu hohe Zahl ange- und bald war die Notkapelle fertig. Das Toben geben. 27 Bei der Priesterweihe wurde die Hand des Weihekan- didaten mit Katechumenenöl – heute mit Chrisam – 24 Seligsprechungsprozeß S. 1239. konsekriert. 25 Hamerszmit o. S. 28 Lenz S. 85 f.

17 heißer Sehnsucht, aber auch mit großer Ruhe Josef Fischer: und Geborgenheit. Ich hoffe, Euch alle bald Das Sicherheitsamt [Reichssicherheitshaupt- wiedersehen zu dürfen in der lieben, schönen amt] Berlin verfügte, daß die Kleriker aus allen Heimat. Konzentrationslagern nach Dachau überführt Otto Pies: werden sollten. Am 7.12.1940 war die Ankunft der Priester von Buchenwald in Dachau, am Auf Himmlers Befehl hin mußten den Geistlichen 8.12.1940 die der Priester von Gusen und Maut- in den Konzentrationslagern Zulagen zur Ver- hausen, am 14.12.1940 die der Priester aus pflegung und andere Erleichterungen gegeben Sachsenhausen.31 werden. Ja, man wollte es nicht glauben und überhaupt für möglich halten, aber es wurde Johann Lenz: Tatsache. Himmler gab sogar Befehl, daß den 15. Dezember [1940]. Auch die Priester aus dem KZ Sachsenhausen kommen heute zu uns. Sie Geistlichen ein Raum als Kapelle zu übergeben 32 sei für die Feier von Gottesdiensten. Und wirk- bringen zwei Militärmeßkoffer mit. lich fand in den Novembertagen [194029] zum er- stenmal in einem Barackenraum ein Gottes- Im KZ Dachau wurde die Lagerkapelle erst auf dienst statt. Es war wie in den Katakomben. Ver- Grund des angekündigten Besuches von Heinrich folgte, gehetzte, dem Tode geweihte Menschen Himmler eingerichtet. – es waren nur Priester zugelassen – standen dicht gedrängt um den Notaltar, der auf einer Ki- ste errichtet und mit einem Bettlaken überspannt war. Betend und opfernd feierten sie das Kreuz- opfer Jesu Christi: Das Geheimnis des Lebens mitten im Grauen des Todes. Und bei der heili- gen Wandlung war Christus in bebender Prie- sterhand gegenwärtig mitten im KZ, der Hoch- burg Satans, der Herrschaft dämonischer Mäch- te.30

Im Dezember 1940 erfolgte die Einlösung der Zu- sagen der Deutschen Reichsregierung. Bis auf we- nige Ausnahmen (zum Beispiel Maximilian Kolbe) kamen alle Priester aus den verschiedenen Konzen- trationslagern ins KZ Dachau. Besuch Heinrich Himmlers im KZ Dachau am 21. Januar 1941 v.r.: Lagerführer Egon Zill, Lagerkommandant Alex Pior- kowsky, Heinrich Himmler 29 Otto Pies war nicht im KZ Sachsenhausen und hatte vermutlich keine Unterlagen, aus denen er den 5.8. 1940 als Tag der ersten offiziellen Eucharistiefeier im KZ Sachsenhausen ersehen konnte. 31 Fischer Bd. I, S. 65. 30 Pies 1949, S. 114. 32 Lenz S. 77.

18 Johann Lenz: chau (und nur diesen!) die Erlaubnis und die Ein ähnlicher Befehl [zur Errichtung einer Ka- Möglichkeit gewährt wurde, den Gottesdienst zu pelle] muß wohl seit Anfang August 1940 schon feiern. Die Lagerführung bestimmte zwei Räume dagewesen sein. Am 5. August 1940 wurde der Stube 1 vom Block 26 zur Kapelle, ließ die nämlich in Sachsenhausen schon die erste hei- Zwischenwand entfernen, den Raum und sogar 37 lige Messe gefeiert. Wir [Priester] aber in Da- die Fenster malen. chau kamen noch bis Dezember in die Strafkom- Andreas Rieser: panie.33 In der Jännerwoche 1941 mit dem vorausge- Hugo Montwe: henden Sonntagsevangelium von der Hochzeit Schon lange sollte eine Kapelle kommen und sie zu Kana, wo es heißt: „Und auch die Mutter Jesu [38] war auch von Berlin befohlen. Aber [die Lager- war dabei . . .“ wurde in Dachau auf Block 26 führer] Hofmann und Zill wehrten sich dagegen, die Kapelle errichtet und die erste heilige Messe solange es ging. Als dann im Januar 1941 gefeiert: Wahrlich eine Hochzeit für uns Priester, Himmler gemeldet wurde, war die Kapelle in ei- mit dem Wandlungswunder, das uns sicher Ma- 39 nigen Stunden fertig.34 ria erwirkt hatte! Sales Heß: Emil Thoma: Er [P. Albrecht Wagner aus St. Ottilien] erzählte In der Zeit vom 13. bis 20. Jänner 1941 wurde mir noch ausführlicher von den angenehmen auf Block 26, der ebenso wie auch Block 28 Vergünstigungen der Geistlichen. Wir hatten sie „Pfaffenblock“ war, eine Kapelle eingerichtet. Ein dem Heiligen Vater zu verdanken, der durch die Block in Dachau war 96 Meter lang. Jeder Block Königin [Elena] von Italien bei der deutschen war in vier Stuben mit zugehörigem Schlafraum Regierung Fürsprache eingelegt hatte. Die wert- eingeteilt, zwischen zwei Stuben waren die vollste Vergünstigung war der tägliche Gottes- Wasch- und Toilettenräume. Stube 1 von Block dienst in der Kapelle, [...].35 26 wurde nun zu einer Kapelle zur Verfügung Emil Thoma: gestellt. Die Trennwand zwischen Stube und Wieso diese Vergünstigung uns Geistlichen zu- Schlafraum wurde entfernt und auf diese Weise ein Raum von 20 Meter Länge und 8,75 Meter teil wurde, haben wir mit Sicherheit nie erfahren. 40 Es hieß aber allgemein, der Heilige Vater [Pius Breite und drei Meter Höhe geschaffen. XII.] in Rom habe das für uns Geistliche beider Franz Zeuch: Konfessionen erwirkt.36 Am 14. Januar [1941] allerdings merkten wir, daß sich auf Block 26,1 etwas Außergewöhnli- Jahr des Herrn 1941 ches tat. Tages- und Schlafraum wurden ge- Januar 1941 räumt, die Fenster erhielten einen weißen Kalk- Leopold Arthofer: anstrich, in den Scheibenecken wurde ein Lilien- [Wir sahen] es fast als Wunder an, als um Neu- jahr 1941 von Berlin aus allen Geistlichen in Da- 37 Arthofer S. 48. 38 Am Sonntag, dem 19.1.1941, wurde der Zweite 33 Lenz S. 79. Sonntag nach Erscheinung gefeiert und das Evange- 34 Montwe S. 24. lium Joh 2,1–11 gelesen. 35 Heß S. 81 f. 39 Rieser S. 312 f. 36 Thoma S. 833. 40 Thoma S. 833.

19 symbol angebracht. Unsere Ahnung war richtig: Der Raum für die Kapelle war bereitgestellt, aber Wieder heilige Messe wie in Sachsenhausen be- hinein durften nur die Priester; daher mußte er nach 41 reits. außen hin abgeschirmt werden. Johann Lenz: Johann Lenz: 15. Jänner 1941. – Ich wandere nachmittags die 20. Jänner – abends. – Die Kapelle ist fertig. – Lagerstraße hinunter auf unseren Block 30 zu. „Der schönste Raum im ganzen Lager.“ Die Eben erreiche ich Block 26. Was gibt es da für Fenster waren grün, mit roten Kreuzen bemalt. ein Zusammenlaufen? Was bedeutet diese freu- Niemand sollte von außen hineinsehen können. dige Aufregung unter den Priestern? „Eine Ka- Der heilige Raum war nur für uns Priester. Den pelle wird eingerichtet auf Block 26/l.“ So erzählt [42] Laien war der Zutritt verboten. [...] mir Frater Mruck , ein polnischer Jesuit. Auch Es hat kein geringes Aufsehen erregt, als die eine Parole [Gerücht]? Man wird argwöhnisch Kapellenfenster mit ihren roten Kreuzen auf bei den vielen Parolen der Lagerpsychose. Doch Block 26 getragen wurden. Über den ganzen nein! Schon trug man die Zwischenwände, die Appellplatz hinweg, die breite Lagerstraße ent- den Tagraum vom Nachtraum trennen, stück- lang bis zum Ende unseres Lagers. Weithin weise hinaus zum Block 29. Dabei konnte ich leuchteten die roten Christuskreuze durch die helfen. Nun hatte ich den „Pappendeckel“ in der Hakenkreuzhölle. Ein wütender Schmerz für die Hand, aus dem die „Mauern“ unseres „Musterla- Gottlosen. Ein Triumph Christi! Ein Wunder des gers“ aufgebaut waren. [...] Herrn!45 Jetzt wurde Tag und Nacht auf Block 26 ge- „Ich sah die Heilige Stadt... wie eine Braut arbeitet. In wenigen Tagen soll Himmler auf Be- geschmückt...“ (Offb. 21,2) – trotz aller Armut! such kommen und der muß die Kapelle befehls- 43 Das war unser erster Eindruck beim Betreten gemäß vorfinden. der neuerrichteten Kapelle – Ende Jänner 1941. Hans Carls: Viele waren schon monatelang oder jahrelang Auf Block 26 gab es seit 1941 einen Gottes- im Lager. Die meisten von uns hatten schon dienstraum. Dieser mußte damals auf Befehl mehr als ein Lager durchlitten: Buchenwald, Himmlers plötzlich in ein paar Tagen eingerichtet Flossenbürg, Gusen, Sachsenhausen, Maut- werden. Um die Ersteinrichtung hat sich beson- hausen! Keiner jedoch hatte jemals im Lager ei- ders Pater Karl Schmidt sehr verdient gemacht. nen solch schönen Raum gesehen. Anfangs war er sehr primitiv eingerichtet. Im „Schön wie eine Braut“ [vgl. Jes 61,10; Offb Laufe der Jahre aber wurde er würdig und schön 44 21,2] – das war unsere Kapelle. Ein freundlicher ausgestattet. Raum, licht und geräumig, jung und frei, ohne Säulen und Stützen. An den Brautschmuck mochte die Bemalung erinnern. Noch waren kei- ne Blumen zu sehen, aber jungfrisch prangten die Wände im blumenreichen Farbenschmuck. Gewiß kein Kunstwerk, weder in Far- 41 Zeuch S. 1 f.; siehe auch: Fischer Bd. I, S. 95 f. benverteilung noch an Gemälden. Es waren Ta- 42 Nach Weiler gab es zwei polnische Jesuiten mit dem petenmuster durchaus nicht nach jedermanns Namen Mruck. 43 Lenz S. 79. 44 Carls S. 43 f. 45 Lenz S. 79 f.

20 Geschmack, aber es war dennoch eine Tatsa- Ein unfaßbares Ereignis! So unglaublich, daß che: Unter allen Räumen des Lagers war, be- selbst einige Priester diese Tatsache nur als sonders durch ihre Bemalung, unsere Kapelle „Parole“ hinnehmen und bis zum Morgenappell als der wichtigste und schönste Raum des gan- in der Wohnstube bleiben. „Wir wollen uns nicht zen Lagers gekennzeichnet. durch ein neues Gerücht zum Narren halten las- Was diesen Eindruck noch gewaltig erhöhte, sen!“ So sprachen sie. Erst die nächsten Tage war die Bemalung der 16 großen Fenster des konnten sie vollends überzeugen von der gro- Raumes. Man wollte dadurch verhindern, daß je- ßen Wirklichkeit: Christus im KLD [Konzentrati- mand von außen her den Gottesdienst miterle- onslager Dachau]! - - - ben könne. Auf grünem Grunde ein rotes Klee- Vorne am Sakristeitisch gestikulierte mit ner- blattkreuz. Die satten Farben im Glas boten be- vöser Geschäftigkeit der berüchtigte H. [Hent- sonders am Tage dem Beschauer im Innern der schel], der gottlose Lagercapo. Es wäre schon Kapelle ein Bild von starker Wirkung. Der Zweck alles bereit, so läßt er sich hören, wir könnten dieser Bemalung wurde indes kaum erreicht. schon „Messe halten“. – Vielleicht war dies ehr- Man hätte den ganzen Raum neu bauen müs- lich gemeint. Sicherlich aber schlecht getroffen. sen mit dicken Mauern und Doppelfenstern. Es fehlten Wein und Hostien, die wesentlichen Oder man hätte uns Priestern angesichts der Opfergaben. Kein Wunder, wenn ein Gottloser dünnen Wände jedes laute Wort, jeden Gesang den Sakristan spielt. Das hatte der SA-Sturm- strengstens verbieten müssen.46 führer von ehemals bei seinem Stabschef Röhm natürlich nicht gelernt. Dienstag, 21. Januar 1941 Wohl konnte er – weil er mußte – den Ka- Eigentlich sollte die erste heilige Messe schon am pellenraum besorgen. Aber ihn zum Heiligtum 21. Januar gefeiert werden, aber der Lagercapo einrichten? Niemals! – Was bei uns schon ein Schulkind weiß, das geht von jeher weit hinaus Rudolf Hentschel hatte als Sakristan Hostien und über das Wissen der gottlosen Geister. Die ein- Wein vergessen. zig Berufenen jedoch – uns Priester – hatte man Johann Lenz: nicht gefragt. Bemerkenswert ist noch, wie uns 21. Jänner – Fest der heiligen Jungfrau und Hentschel in das Heiligtum kommandierte: „Alle Märtyrin Agnes. Um 5.00 Uhr morgens beginnt Pfaffen in die Kapelle!“ So schrie er an diesem die Kapelle sich rasch zu füllen. Sie ist einfach Morgen durch die Straßen und Stuben der Prie- beleuchtet; auch fehlt ihr sonst jeder Schmuck. sterbaracken. Armut des Stalles von Bethlehem. Aber die Her- H. war nicht der einzige Gottlose, der an der zen der Priester sind reich geschmückt mit Op- Einrichtung unseres gottesdienstlichen Raumes ferliebe und Märtyrergeist. Christus scheint heu- Anteil hatte. War doch aus der NS-Zentrale von te einziehen zu wollen in Dachau, Trost und Berlin der Befehl gekommen. Und Himmler Kraft für Seine Priester, die Ihm durch Not und selbst will uns heimsuchen und die Kapelle vor- Tod die Treue gehalten. Unser Erlöser, der gött- finden. liche Sieger – unser Mithäftling will Er nun wer- Christus in Dachau – das Wunder von Da- den. chau!47

46 Lenz S. 186. 47 Lenz S. 80.

21 Am 21. Jänner 1941 sollte das erste heilige Der polnische Priester Paul Prabutzki, unser Opfer in der neuen Kapelle gefeiert werden. Lagerkaplan, feiert die heilige Messe und wir Doch siehe – es fehlten Wein und Hostien, die feiern mit ihm. Es ist mir, als ob es erst gestern wesentlichen Opfergaben! Die Priester jedoch gewesen wäre. Unauslöschliches Ereignis für waren hier und warteten. Rasch entschlossen jeden, der es erlebt. Die allseitige Armut war hielt unser Lagerkaplan [Paul Prabutzki] mit uns kaum zu überbieten. Doch auch das seelische eine kurze Andacht: die Marienlitanei[48] und Glück konnte schwerlich ein Seitenstück finden. hierauf im Choral das „Salve Regina“ [Sei ge- Wem hatten wir es zu verdanken? Den Gott- grüßt, du Königin][49]. Eine Marienandacht war losen nicht, so sehr sie auch durch Gottes Füh- also die erste kirchliche Feier in der neuen Ka- rung daran beteiligt waren. Der göttliche Meister pelle vor dem ersten heiligen Meßopfer.50 kann eben auf allen Instrumenten spielen – auch auf verrosteten, verdorbenen. Und ständig wird Mittwoch, 22. Januar 1941 die Hölle von Gott gezwungen, am Reichswagen An diesem Tag feierte der polnische Lagerkaplan Gottes zu ziehen – für Gott und Seine Getreuen. Paul Prabutzki die erste heilige Messe in der fertig- Menschlich gesprochen verdanken wir die Kapelle vor allem dem einzigartigen Ansehen gestellten Lagerkapelle. Anfangs durfte nur er jeden des Papstes [Pius XII.] vor aller Welt. Ferner Tag zelebrieren. Wie gerne hätte jeder Priester dem diplomatischen Bemühen der deutschen zelebriert, aber das war erst gegen Ende der Lager- Bischöfe. Endlich dem Bischof Wienken von zeit möglich. Berlin, dem kirchlichen Mittelsmann zur Ge- Um Zeit zu sparen, nahm jeder Priester beim stapo. – Übernatürlich betrachtet, verdanken wir Eintritt in die Kapelle eine Hostie in seine Handflä- alles Christus, dem göttlichen Sieger. che, und der Zelebrant verwandelte zugleich mit Zwei Jahre später wäre dieses Ereignis noch seiner Hostie am Altar alle anderen, und bei der eher menschlich faßbar gewesen, unter dem Kommunion reichte sich jeder selbst den Leib des Kommando Weiß – Redwitz. Aber jetzt, wo es Herrn. geschah, war es, menschlich gesprochen, ge- rade am unbegreiflichsten. Lagerkommandant Johann Lenz: [Alex Piorkowsky], Lagerführer [Egon Zill] und 22. Jänner 1941 – morgens 5.00 Uhr. Der neue die maßgeblichsten Vertreter unter den Häftlin- Kapellenraum ist gefüllt mit Priestern Christi. Alle gen waren zur Zeit ausnahmslos voll Haß und im Häftlingskleid. Aus allen Gesichtern spricht Feindschaft gegen alles Religiöse. Und gerade der Hunger eine erschütternde Sprache. in dem Augenblick, da die Hölle am mächtigsten Ist das alles? Nein! Viel mächtiger strahlt nun schien, hat Christus, der göttliche Sieger, Seine die Freude aus dem Antlitz der Jünger Christi. über alles triumphierende Kraft erwiesen.51 Die Gefangenen Gottes – heute erleben sie die Franz Zeuch: beglückende Heimsuchung Gottes. Aller Jam- Am 20. [22.] Januar hieß es dann abends: „Mor- mer scheint vergessen. Alles Menschliche er- gen halb fünf Uhr aufstehen, heilige Messe.“ Wie trunken in dem Traum himmlischer Freude. [...] froh taten wir das. Wie flott ging der „Bettenbau“ vonstatten. Dann ging es hinüber nach Block 26. 48 Lauretanische Litanei Gotteslob Nr. 769. Wir sahen den primitiven Altar, ein einfacher 49 Gotteslob Nr. 570 u. 571. 50 Lenz S. 190. 51 Lenz S. 81 f.

22 Tisch mit einem kleinen Kreuz und zwei Kerzen; einer Zeitung und diese Ausschnitte habe ich an der Wand dahinter ein wenig Farbe und auf retten können) einige Verse mit dem Titel: „Des einem Spruchband stand das Weihnachtswort: Königs Einzug“. „Gloria in excelsis Deo [Ehre sei Gott in der Hö- Die Priester waren nach dem Morgenappell he Lk 2,14].“ auf ihre Blocks zurückgekehrt. Von der Block- Der polnische Pfarrer Paul Prabutzki – im er- Straße 28,1 konnten wir beobachten, wie ein sten Weltkrieg war er als Westpreuße Artillerie- Rudel SS-Offiziere den Kapellenraum besich- Offizier auf deutscher Seite – trat an den Altar, tigte. Paul Prabutzki und sein Stubendienst wa- angetan mit einfachem Meßgewand, das wir aus ren mit dem Reinigen des Fußbodens beschäf- Sachsenhausen mitgebracht hatten, zwei Mit- tigt. Dann aber ging buchstäblich der Teufel los. brüder in blau-weiß gestreifter Häftlingskleidung Durch die offenen Fenster konnten wir das To- waren die Ministranten. „lntroibo ad altare Dei – ben und Fluchen beobachten und hören. „So ein Hintreten will ich zum Altare Gottes, der mich er- Saustall! Ihr verdammten Pfaffen!“ Was pras- freut von Jugend auf“[52], erklang, wehmütig, selte nicht alles auf den guten Paul Prabutzki aber doch froh, beteten wir es mit ihm. Da ging nieder. Und es war doch eine Unmöglichkeit, die Tür auf, drei SS-Scharführer traten ein; denn den Raum in so kurzer Zeit wieder in Ordnung das mußten sie doch gesehen haben. Einer zu bringen, zumal den Fußboden spiegelblank schritt während des Gottesdienstes mit knallen- zu machen. Dann kamen die SS-Leute auch in den Stiefeln, zigarrerauchend auf und ab vom unsere Stube. Das stereotype Kommando er- Türeingang bis zum Altar. Bei der Heiligen tönte, wenn die SS eine Block-Stube betrat: Wandlung brüllte er im Kommandoton: „Fenster „Achtung!“ Alles sprang auf, stand stramm und auf.“ Wir knieten im eisigen Durchzug. Aber was erstarrte. „Da stehen’s wie’s bittere Leiden. Der, verschlug’s, gleich sollte doch die Heilige Kom- wo sich rührt, den tret’ ich z’sammen.“ Dann munion sein. Jeder der priesterlichen Teilneh- mußten wir heraus bei Eis und Schnee in grim- mer hielt in seiner eigenen flachen Hand die Ho- miger Kälte und exerzieren. Den ganzen Vormit- stie. So konnten wir den Heiland empfangen und tag und Nachmittag über. In Holzpantinen auf seine Speise uns selbst reichen. Der Celebrant dem gefrorenen Schnee war es eine fürch- hatte zu Anfang bekanntgegeben, daß er das terliche Tortur. Brot in der Hand der Priester mitkonsekrieren Das war der 21. [22.] Januar 1941 in Da- werde und nicht nur die Hostie auf dem Altar. chau. Ein böser Tag und doch ein froher, glück- Denn wir mußten dafür Sorge tragen, daß das licher Tag für die internierten Priesterhäftlinge. Heiligste nicht verunehrt wurde durch irgendwel- Denn von nun an hatten wir den ewigen Prie- che Überraschungen von Seiten der SS. sterkönig, den leidenden und triumphierenden Damals bei der ersten Heiligen Messe in Da- Christus unter den Gestalten von Brot und Wein 53 chau gewann das Ite missa est [Gehet hin, ihr wahrhaft, wirklich und wesentlich bei uns. seid entlassen!] für uns eine ganz neue und Jean Kammerer: noch tiefere Bedeutung als bisher. Ich schrieb Die Kapelle war ein Ort für den unentbehrlichen an diesem denkwürdigen 21. [22.] Januar 1941 Rückzug. Das Zusammenleben in Gemeinschaft abends in „mein Tagebuch“ (auf den freien Rand 24 Stunden am Tag war sehr anstrengend. Es war ein Glück, diesen Ort zu haben, an dem 52 Psalm 42/43,4 aus dem früheren Stufengebet zu Be- ginn der Meßfeier. 53 Zeuch S. 1 f.; siehe auch: Fischer Bd. I, S. 96.

23 mich niemand stören konnte [...], sei es um zu tardecken zur Verfügung. Eine Schublade diente beten, um nachzudenken oder um mich an mei- einstweilen als Tabernakel.56 ne Familie zu erinnern. Es stimmt, daß es an- Emil Thoma: fangs nicht so war: Die deutschen Priester er- Ein etwas [durch vier Pflöcke] erhöht gestellter zählten, einer von ihnen habe einmal allein vor Tisch der SS bildete den Altar. SS-Bettücher, mit dem Tabernakel gekniet; ein SS-Mann sei ein- dem SS-Stempel versehen, waren die Altartü- getreten, habe sich auf ihn gestürzt, ihn ge- cher. [...] Zwei Meßkoffer ermöglichten es, die schlagen und gezwungen, vor ihm niederzu- 54 wichtigsten liturgischen Vorschriften einzuhal- knien. ten.57 Joseph Rovan: Eugen Weiler: So ist die Erinnerung an die Lagerkapelle von Nun sind die Geistlichen in Dachau wieder in der Dachau für mich vor allem eine Lektion in geisti- Lage, den Befehl des Herrn: „Tuet dies zu mei- ger Demut. Wir hatten nicht unrecht, als wir über nem Andenken!“ [vgl. 1 Kor 11,25] auszuführen. gewisse Erscheinungsformen in der deutschen Es wird ihnen ein SS-Tisch und eine Leinen- als und der polnischen Kirche streng urteilten, doch Altardecke zur Verfügung gestellt. Durch Ver- waren wir gleichzeitig außerstande zu sehen, mittlung des Stadtpfarrers Pfanzelt von Dachau wohin unsere eigenen Wege uns führen würden. erhielten wir über die SS Brot und Wein, ein In noch höherem Maße vielleicht verbindet sich kleiner Meßkoffer steht zur Verfügung und nun mit dieser Erinnerung ein Gefühl der Dankbar- vollzieht sich allmorgendlich in aller Frühe vor keit. Jeden Morgen, bevor ich mit meinen Kame- dem Ausrücken zum Morgenappell das eigenar- raden zum Appell ging, zu jener lächerlichen und tige Schauspiel, daß Dachauer Priester sich zu abscheulichen Zeremonie, die bei Regen oder Hunderten und schließlich zu Tausenden um Schnee und manchmal minus achtzehn Grad den Altar versammeln, um den Befehl des Herrn mehrere Stunden dauern konnte, schlich ich auszuführen.58 mich in die spärlich beleuchtete Kapelle. Der Johann Lenz: Priester sprach die gleichen lateinischen Worte, Der erste Lageraltar! Wer kann unser Glück er- wie sie alle seine Brüder im Amt während der fassen – trotz aller Armut von Bethlehem. Chri- Morgenmesse auf der ganzen Welt und zur glei- stus war bei uns in Lagerhaft! Christus, die Kro- chen Zeit auch sprachen. Nichts erinnerte hier ne der Märtyrer, Christus, das Licht der Be- mehr an die Welt des Konzentrationslagers. Ein kenner, Christus, die Wonne aller Heiligen – Er jeder konnte für die Dauer von ein paar wertvol- selbst – unser Mitgefangener. Freiwillig war Er len Minuten seine ursprüngliche, zerbrechliche uns nachgegangen in die Not, in den Tod des und dennoch unzerstörbare Würde wiederher- Lagers! Nicht nur mit Seiner göttlichen Gnade – stellen.55 auch als Gott und Mensch, mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele. Und täglich kommt Er wie- Ein Tisch aus der ausgeräumten Stube 1 von Block der, Tag und Nacht bleibt Er hier, nichts kann 26 diente als Altar. Die SS stellte Bettücher als Al- Ihn abschrecken, unsere Not zu teilen. Dort in

56 Siehe: Arthofer S. 48 f. 54 Kammerer S. 110. 57 Thoma S. 833 f. 55 Rovan S. 170. 58 Weiler II, S. 32.

24 der kleinen Hostie – im armseligen Tabernakel – Ostwand. Die Decke hingegen war weiß und auf dem ersten Lageraltar – dort wohnt unser gleich den Wänden flach. Zart mutete an die Christus in Dachau!59 Gliederung durch olivengrüne Leisten, die zu- Das war die erste Ausstattung unseres Hei- gleich der Verstärkung der dünnen Wände die- ligtums in Dachau, vorab des Altares: Armut nen sollten. Der Fußboden war aus Tannenholz vom Stalle in Bethlehem. Der bescheidene Inhalt und schiffsbodenmäßig gezimmert. Er wurde eines Meßkoffers war es. Er stammte, soweit von uns Priestern von Zeit zu Zeit geölt und flei- sich ermitteln läßt, aus Warschau, vom Heeres- ßig mit schweren „Blochern“ [Bohnerbesen] be- bischof daselbst. Bei Errichtung der Kapelle in arbeitet. Sachsenhausen wurde diese Einrichtung den Der ganze Raum, 20 x 9 x 3 Meter groß, Priestern geliehen (5. August 1940) und im fol- wurde tagsüber durch je acht Fenster an der genden Dezember nach Dachau mitgebracht. Nord- und Südseite reichlich erhellt. Für die Zeit Diese erste Ausstattung war: ein kleines der Dunkelheit waren acht elektrische Leucht- Kreuz und zwei Kerzenleuchter aus Metall, zwei körper an der Decke vorgesehen. Die Kapelle Meßkännchen, drei Gebetstafeln. Das einzige faßte im Notfall 800 Menschen. Es wurden aber Meßkleid zeigte auf der einen Seite die Farben auch schon mehr als tausend gezählt. Die ur- Weiß und Rot, auf der anderen Violett und sprüngliche Bemalung der Fenster verschwand Schwarz. Es genügte somit zur Not für alle mög- schon im Sommer 1941. Nach der Abtrennung lichen Fälle. Der Altartisch war ein Lagertisch der polnischen Priester wurden Ende September aus unserer Wohnstube. Um diesen Altar nun alle Fenster der Nordseite auf SS-Befehl milch- mit seinem allseitigen Notbehelf versammelten weiß gestrichen, um die Trennung von Block 28 sich, im frischgetünchten Barackenraum, am 22. vollständig zu machen – wie man meinte.62 Jänner 1941 Hunderte von gefangenen Prie- stern zur ersten heiligen Messe. Diese Armut blieb bis zum 15. Oktober 1941.[60] Eine andere Meßgarnitur war überhaupt nicht gestattet.61

Nun galt es, die noch fehlenden liturgischen Gegen- stände und Geräte zu beschaffen und die Einrich- tung der Kapelle zu gestalten. Johann Lenz: Die Grundfarbe der Wände war eine lichtgrüne Leimfarbe. Aufgemalte Kreuze, mit Lilien wech- selnd, wiesen auf die heilige Bestimmung des Raumes hin. Besonders reiche Bemalung zeig- ten die Tapetenmuster der Altarseite an der

„Unsere erste Kapellen-Ausrüstung Jänner 1941“ 59 Lenz S. 184. 60 Johann Lenz schildert nicht, was sich am 15.10.1941 änderte. 61 Lenz S. 183. 62 Lenz S. 186 f.

25 „Mittelpunkt“ der Kapelle war und blieb der Altar. stanzt waren und die Strahlen der hölzernen 66 Besondere Aufmerksamkeit galt auch dem Taber- Monstranz denselben Ursprung hatten! nakel. Die Häftlinge wollten sich nicht lange mit der Schublade begnügen. Die Häftlinge begnügten sich nicht nur mit einem Emil Thoma: Tabernakel, sondern sie wollten auch Anbetung Mit einfachen Brettern wurde ein Tabernakel ge- halten, wie sie es in Freiheit gewohnt waren. Dazu baut. Der Tabernakel wurde verziert mit zwei dienten mehrere Monstranzen. anbetenden Engeln und einer Strahlensonne[63]. Das alles wurde von einem kunstsinnigen polni- schen Geistlichen aus einer Fischkonserven- dose hergestellt.64 Johann Lenz: Der erste Tabernakel, der in solch erschüttern- der Armut das Allerheiligste geborgen hatte, war zweimal erneuert worden. P. Karl Schmidt hatte 1941 für das Gehäuse gesorgt und es dann ei- genhändig geschmückt. Aus gelben Fischkon- servenbüchsen hatte er mühevoll zwei anbe- tende Engelsfiguren herausgeschnitten.65 Im Nachlaß von Johannes Sonnenschein fand sich folgende handschriftliche Notiz: Tabernakel: der 1. mit zwei Engeln; 1944: 2. aus Birnbaumholz/Kunstschreiner (40 x 40) mit Strahlensonne aus Messing + 2 Engeln aus Kupferblech. Sales Heß: Armut umhüllte den Tabernakel, den Altar, den ganzen Kapellenraum, aber ich glaube, daß in keiner Kirche das Gold einer ganz innigen Hei- landsliebe heller strahlte als hier. [...] Was be- deutet es schon, daß der Altar ein einfacher Holztisch war, der Tabernakel aus einigen Ki- stenbrettchen bestand, die anbetenden Engel auf der Tabernakeltüre aus dem Messingblech eines ausgedienten Marmeladeneimers ausge-

63 Die Strahlensonne war vermutlich erst auf der zwei- ten Ausführung von 1944. 64 Thoma S. 833. 65 Lenz S. 188. 66 Heß S. 82 f.

26 Johann Lenz: dete, sondern erst nachträglich von polnischen Unsere erste Monstranz – schwarz – in Kreu- KZlern gelieferte. Das Original soll von den Po- zesform mit Strahlen aus gelblichem Fischdo- len mitgenommen und in Czenstochau [Tschen- senblech – verfertigt vom Salesianer P. Karl stochau] sein. Ich habe schon alle möglichen Schmidt.67 Versuche gemacht, sie ausfindig zu machen und ev. wiederzubekommen, bisher aber leider ver- geblich. Johann Lenz: Die zweite Monstranz – aus lichtem Hartholz in Sonnenform – verfertigt vom polnischen Priester Edmund Mikołajczak.68 Eduard Farwer: Die Einrichtung der Kapelle war sehr einfach; al- les mußten wir selbst besorgen. Ein Kupfer- schmied machte aus Messingblech einen klei- nen Kelch. Einige Mitbrüder schnitzten in der ar- beitsfreien Zeit aus Holz die Monstranz und die Leuchter. Als wir längere Zeit einmal keine Ker- zen hatten, mußten wir uns mit Ölfläschchen, in die wir einen Docht steckten, behelfen.69 Léon de Coninck: Auch die Leuchter, von uns selbst hergestellt, waren von sehr gutem Geschmack. Für die Aus- setzung des Allerheiligsten – wir hatten sogar ewige Anbetung – verfügten wir über zwei Mon- stranzen; die eine ernst und symbolisch: ein Kreuz aus Ebenholz mit einer Lunula in Form ei- ner strahlenden Sonne aus Weißblech, die an- dere aus hellem Zitronenholz.70

Der polnische Kaplan Jozef Wdowiak fertigte 1944 den Entwurf für eine dritte Monstranz. Die Aus- Johannes Neuhäusler am 16. Juni 1965 an Otto führung fand aber nicht mehr im KZ Dachau statt. Kohler: Bezüglich Monstranz: Die ehemals in der Stadt- pfarrkirche von Dachau ausgestellte und jetzt im Karmel sicher verwahrte hölzerne Monstranz ist nach Auskunft von Salesianerpater Schmidt nicht die seinerzeit in der Lagerkapelle verwen- 68 Lenz S. 141, siehe auch: S. 91. 69 Eduard Farwer, Predigt am 21.5.1945 in der Pfarrkir- che von Maisach. 67 Lenz S. 141. 70 de Coninck S. 877.

27 März 1941 oder Halbstunde geschah die Ablösung des Montag, 10. März 1941 Torwächters. [...] Die Priesterblöcke 26, 28 und 30 wurden durch Vorsicht und Menschenkenntnisse waren nö- Drahtgitter und Tor vom restlichen Lager getrennt. tig. [Blockschreiber] Schelling mußte die einzel- Die Priester selbst mußten das Tor bewachen und nen persönlich kennen, oder ein anderer Prie- ster mußte für ihn vollgültig einstehen. Gewiß entscheiden, wer Zutritt zu den Priesterblöcken und wurden anfangs oft auch beste Menschen ab- zur Lagerkapelle bekam; das führte zu mancherlei gewiesen. Aber Not und Liebe machten auch er- Mißmut und Neid. finderisch. Nach vergeblichen Versuchen gelang Jean Bernard: es dennoch vielen. Es wechselte die Strenge der Schau her! Im Lager sind augenblicklich über Absperrung, es wechselte die Torwache, es ver- 1000 Geistliche, also fast jeder zehnte Mann. ging auch die drohende Nähe des Rapportfüh- Das gäbe einen ungeheuren Einfluß, besonders rers, ... die Anwesenheit der Spione, ... und – unter den zahlreichen Polen. Daher die Abson- „wo ein Wille, da ein Weg“ – das beweisen ohne derung in den „Pfarrblocks“. Daher auch die Ende nicht nur die Schlechten, nein auch die bessere Behandlung. Sie soll die Pfaffen im La- Guten. Das bewiesen uns Priestern Tausende ger verhaßt und die Isolierung auch moralisch von katholischen Männern in Dachau. komplett machen.71 Aus den Reihen der Zurückgewiesenen kam Ein Drahtverhau umgibt die drei Pfaffen- oft auch der bittere Vorwurf: Ja, der Herr Mini- blocks 26, 28 und 30.72 ster, der Herr Prinz, der Graf, der Professor, ... Hermann Dümig: die dürfen hinein. Wir einfachen Leute sind auch Mitten in der Lagerstraße war eine Sondersperre hier die Ausgestoßenen.“ Diese Klagen waren errichtet, durch welche nur eigens aufgestellte genau so ungerecht wie auch menschlich be- Stuben- und Blockälteste kommunistischer greiflich. Gerade die gesellschaftliche Ober- Weltanschauung Zutritt [zur Kapelle] hatten.73 schicht des Lagers war ebenso auch in ihrer re- Johann Lenz: ligiös sittlichen Haltung der volle Gegensatz zu Seit 10. März 1941 wurde unsere Blockstraße den Lagerbonzen – nämlich beispielhafte Katho- gesperrt. Dies war uns vielleicht als eine Straf- liken. Bei ihnen war man sicher vor jedem Miß- isolierung zugedacht und als Hindernis gegen brauch, Verrat, Diebstahl, Bettelei, ... Bei den unteren Schichten jedoch gab es im Lager allzu- seelsorgliche Bestrebungen der Priester. Aber 74 auch der Gedanke, uns gegen zweifelhafte Ele- viel dunkle Elemente. mente und Lagerbettler zu schützen, zeigte sich gelegentlich als Ursache der Isolierung. Die Am Dienstag, dem 25. März 1941, wurden die „Torwache“ war uns vorgeschrieben. Sie be- Priester aus den Arbeitskommandos enthoben.75 stand aus Priestern, zumeist älteren, die in kei- Neben Zeit für Studium und Lesen gab es auch Zeit nem Arbeitskommando waren. Jede Stunde für geistliches Leben. Für die Priester ist das Bre- viergebet nicht nur verpflichtend, sondern auch ein Bedürfnis ihres Geistlichen Lebens.

71 Bernard S. 30 f. 72 Bernard S. 33. 74 Lenz S. 231 ff. 73 Dümig S. 45. 75 Siehe: Lenz S. 141 u. 91.

28 Johann Lenz: vom Ordinariat Breslau gesandt – jedenfalls eine 78 Nun hatten wir [1941] vorerst noch viel freie Zeit hochherzige Spende unserer Bischöfe. und kein Brevier. Auch die Kapelle mußte auf Emil Thoma: Lagerbefehl untertags geschlossen bleiben. Un- Soviel ist sicher, daß der hochwürdigste Kardinal ser Bedürfnis nach Gebet war jedoch sehr groß. Bertram von Breslau als Vorsitzender der Ful- Darum gründete ich in diesen Tagen unter uns daer Bischofskonferenz den Geistlichen eine Priestern eine Rosenkranzbruderschaft. – Der größere Anzahl Breviere hatte zukommen las- Gedanke fand hohes Interesse und eifrige sen.79 Nachahmung. Wohl betete ein jeder Priester täglich für sich allein den Rosenkranz. Viele Mit der Enthebung aus den Arbeitskommandos war mußten dabei die Finger zum Zählen benützen. auch mehr Zeit gegeben, sich um die Ausstattung Eine geordnete Gebetsgemeinschaft jedoch gab der Kapelle zu kümmern. neue Stoßkraft und neue Liebe zum Gebet und 76 Sales Heß: – zu Gott. Zum primitiven Altar paßten die primitiven Ge- Gottfried Engels: räte und Gewänder; Kunstwerke gab es hier Die Firma Pustet in Regensburg hatte uns Bre- keine, weder an den Wänden noch auf dem Al- viere zur Verfügung gestellt. Konnten wir auf 80 tar. Stube drei [von Block 26] Brevier beten? Kaum einer wagte es anzurühren. Der Blockälteste Schmidt hatte eine eigene Auffassung von den April 1941 Zubehörteilen des Breviers. Darum hielt er ab Ostersonntag, 13. April 1941 und zu Brevierappell. Es fehlte dann natürlich Johann Lenz: etwas. Was? Das wußte nur er. Einen polni- Ostern nahte heran. Es folgten noch weitere schen Geistlichen, Professor Anton (Viktor) Po- Aufbesserungen – Sieg um Sieg des göttlichen tempa, hatte er Brevier beten sehen. Er brüllte Ostersiegers für seine Priester. Mit hoffnungs- ihn an: „Was liest du da? Weißt du nicht, daß es freudigem Herzen konnten wir nun das Hochfest verboten ist, jetzt zu lesen?“ Er schlug ihn mit unseres Erlösers feiern. Ein brausendes „Alle- der Faust so heftig an den Kopf, daß das Blut luja“ erschütterte unser einfaches Heiligtum, die 81 aus Kopfwunden, nicht aus der Nase, zu Boden Kapelle auf Block 26. tropfte. Dann sagte er zu ihm: „Geh ins Revier und laß dich verbinden!“77 Samstag, 26. April 1941 Johann Lenz: Johann Lenz: Im Mai [1941] wurden die Breviere tatsächlich Am 26. April morgens nach der hl. Messe sah ausgeteilt – ein Freudentag für uns. Im Jahre ich ihn [Bischof Kozal] zum erstenmal. Das Wei- 1941 hatten wir auch wirklich noch die nötige nen stand mir nahe vor Ergriffenheit. Im Häft- Zeit. Nach Ostern 1942 wurde es gründlich an- lingskleid, mit kahlgeschorenem Kopf, uns allen ders. – Die 120 Breviere jedoch, zu je vier Bän- den, blieben auf unserem Block. Sie wurden 78 Lenz S. 78. 79 Thoma S. 833. 76 Lenz S. 92. 80 Heß S. 83. 77 Engels S. 862. 81 Lenz S. 92.

29 gleich, so stand er vorne am Sakristeitisch und Mehr waren noch nicht da. Lieder in polnischer teilte einzeln den bischöflichen Segen aus. – Es Sprache und lateinische Lieder der Polen waren drängten sich die Priester zu ihm. Auch ich kam, der Kirchengesang dieser ersten Zeit. Bald wur- die bischöfliche Hand des Märtyrers zu küssen, den die polnischen Lieder von der Lagerleitung den bischöflichen Segen zu erbitten. – Ein streng verboten. So blieb noch der Choral unser denkwürdiges Erlebnis und so unvergeßlich, als gemeinsames Lobsingen vor dem Herrn als die wäre es erst gestern geschehen.82 geeignetste Form des Kirchengesanges. Und Sales Heß: wie unsere Kapelle aus bethlehemitischer Armut Die Geistlichen durften in der Frühe zwei heilige sich herrlich entwickelte, so stieg auch das kirch- Messen halten. Für alle auf einmal wäre der liche Singen und Musizieren der Priester in Da- Raum zu eng gewesen. Am Nachmittag beteten chau langsam zur künstlerischen Höhe empor. wir die Vesper.83 Anfangs ohne Hilfsmittel, völlig auf das Ge- dächtnis angewiesen, erlebten wir später Ponti- fikalämter, die jedem Dom der Heimat Ehre ma- Mai 1941 86 Nicht nur an der Ausstattung der Kapelle wurde chen könnten. Der Mai [1941] stand vor der Türe. Ostern gearbeitet. Fähige und begabte Männer sorgten für und Mai wurden von den meisten von uns zum eine würdige Gestaltung der Liturgie. erstenmal im Lager erlebt. Wir alle wünschten Pfarrer Josef Moosbauer, ein musikalischer Au- die Maiandacht, ähnlich wie daheim. Pfarrer todidakt, stellte nach der Einrichtung der Kapelle Moosbauer gründete sogleich einen „Kirchen- einen Chor mit 40 Sängern zusammen. Bereits zu chor“, um die Andachten mit Liedern, wenig- den Maiandachten 1941 erklang der vierstimmige stens „a capella“ [nicht von Instrumenten be- Priesterchor mit einem „Tantum ergo“ und schönen gleiteter Chor], zu verschönern. – So suchten wir Marienliedern.84 auf jede Weise das religiöse Leben unserer Prie- Hans Carls: stergemeinschaft zu fördern. Diese Zeit der Ver- bannung – das war unser brennender Wunsch – Wir hatten unter uns einen mehrstimmigen Män- mußte eine religiöse Erntezeit werden, voll größ- nerchor gebildet, der besonders an den Feierta- ten Segens für unser künftiges Priesterleben.87 gen den Gottesdienst durch Gesänge verschö- Im Mai hatten wir täglich eine kleine Maian- nerte. Unser lieber Schrammel war unser Diri- dacht. Eine eigene Genehmigung war dazu nö- gent, der unermüdlich die Noten schrieb und tig. Im übrigen mußte die Kapelle außerhalb des sich um die musikalische Gestaltung des Got- 88 85 Gottesdienstes streng geschlossen bleiben. tesdienstes gesorgt hat. Johann Lenz: Trotzdem war der schöne Mai im allgemei- nen recht gnadenvoll und trostreich vorüberge- Etwa 600 Mann vom polnischen Klerus – vom gangen. Allabendlich hatten wir unsere Maian- deutschen und österreichischen nur etwa 30 – dacht. Es war nicht leicht gewesen, die Erlaub- waren die Zeugen dieser ersten heiligen Feiern. nis der Lagerführung zu erhalten. – Die Andacht bestand aus dem eucharistischen Segen und 82 Lenz S. 253. 83 Heß S. 82. 86 Lenz S. 236. 84 Siehe: Eleonore Philipp in: Amperland 1/1996. 87 Lenz S. 92. 85 Carls S. 43 f. 88 Lenz S. 97.

30 der Marienlitanei. Welch erhebende Heimat- gemeinsam gesungen – hierauf sakramentaler klänge für uns aus den Tagen einer glücklichen Segen... Daran schloß sich regelmäßig eine katholischen Kindheit! Dazu komponierte uns Abendmesse[93] mit deutschen Liedern an.“94 Pfr. Moosbauer immer wieder schöne Chorlieder „Eine kirchenmusikalische Feier, die ich auf (a capella) zum Preise Mariens und ihres göttli- Erden nicht mehr erleben kann, war das ‚Weih- chen Sohnes. Unter den sangesfrohen Polen nachtssingen der Nationen’ [1944]. In der dicht- führte vor allem der tüchtige Domkantor Miz- gefüllten Kapelle sangen zuerst die Italiener, die galski von Posen und sein Landsmann, der Franzosen, dann die Holländer, die Luxembur- [89] 90 Domherr Malinowski . ger, die Polen, die Slowenen. Es folgten ab- Kirchenmusik der Priester in Dachau. Ihre schließend tschechische, und deutsche Chorge- Geburtsstunde war wohl der Weihnachtsabend sänge. – Zu Weihnachten 1944 wurde auch ein 1940, als wir zum erstenmal gemeinsam unser Abend geistlicher Weihnachtsmusik veranstaltet. Leid in Form unserer schönen Weihnachtslieder Es war nicht eigentliche Kirchenmusik: Weih- hinaufriefen zu Gott. Die nächsten Stationen be- nachtliche Soli und Chorlieder, Instrumentalsoli gannen mit der Eröffnung der Kapelle am 21. weihnachtlicher Art. Endlich ein Trio für Flöte, Jänner 1941. Hat auch das Herz vor Angst und Violine und Bratsche über O du fröhliche, o du Not gezittert und geblutet – aus dem „Salve Re- selige, gnadenbringende Weihnachtszeit ... (von gina“ und „Christus vincit [Christus siegt]“ klang P. Schwake[95]).“96 doch das Siegerglück der verbannten Priester. Gregor Schwake: Und es drang zum Thron seiner Barmherzigkeit Danach die hohe liturgische Feier des Weih- unser Lobpreis der Güte Gottes. – „Die Barm- nachtsfestes [1944]. Am Heiligabend beteten herzigkeit des Herrn will ich ewig lobsingen!“ [Ps 91 viele Priester miteinander die Matutin (Mette) 88/89,2] des Festes. Am Weihnachtsmorgen hatten wir „... jeden Sonntag“, so erzählt er [Gregor [92] bischöfliches Pontifikalamt, ausgeziert mit dem Schwake] im Schweizer ‚Chorwächter’ , „und herrlichen Choralproprium „Puer natus est [Ein (vom Dritten Reich zugelassenen) Feiertag, war Kind ist uns geboren]“, mit der weit schallenden, levitiertes Hochamt. Dabei wurde meist Choral gemeinsam gesungenen „Dachauer Messe“ und gesungen – das Proprium von der Schola und einem eigens gedichteten (von P. de Coninck) das Ordinarium von der ganzen Opfergemeinde, und von mir komponierten weihnachtlichen, la- wie es dem uralten und wiederum neuen Ideal entspricht. An einigen Hochfesten wurde das Ordinarium in einer mehrstimmigen Vertonung 93 Wegen der Beachtung des Nüchternheitsgebotes gab vom vierstimmigen Männerchor vorgetragen. ... es damals weder am Nachmittag noch abends eine Sonntag nachmittags war meist Choralvesper, Eucharistiefeier. Ausnahmen wurden während des Zweiten Weltkrieges gemacht. Ab 1957 konnte der 89 Nach Weiler gab es mehrere polnische Geistliche Ortsbischof die Feier einer Abendmesse täglich ge- dieses Namens, aber keiner ist als Domherr ausge- statten. wiesen. Laut Eleonore Philipp war es vermutlich Im KZ Dachau gab es die Abendmesse erst, als Wincenty Malinowski. mehrere Messen am Tag gefeiert wurden. 90 Lenz S. 139. 94 Lenz S. 238. 91 Lenz S. 236. 95 Siehe: Schwake 1946, S. 9–12. 92 Siehe: Schwake 1946, S. 9–12. 96 Lenz S. 239.

31 teinischen Schlußhymnus, der ebenfalls von den dem Entwurf des Salesianerpaters Karl Schmidt Bläsern begleitet wurde. Am Nachmittag sangen im Juni fertiggestellt.100 wir gemeinsam die zweite Weihnachtsvesper mit Josef Fischer am 29. Juni 1941 im Terminbrief: Choral und Falsobordoni [Kompositionstechnik Gerade kommen wir vom Hochamt. Wie wir- 97 des 15. Jahrhundert]. kungsvoll sind doch die Meßtexte und wie er- Jean Kammerer: greifend die Meßfeier in unseren Verhältnis- Weihnachten steht vor der Tür sen!101 Schon am 1. Adventssonntag, dem 3. Dezember [1944], habe ich – nicht in der Kapelle, sondern August 1941 in der Stube – einen musikalischen Abend mit [98] Freitag, 15. August 1941 Adventsliedern aus 13 Nationen notiert. Dann Johann Lenz: um den 8. Dezember drei aufeinanderfolgende Im Sommer [15. August 1941] lieh uns der Prälat Abende mit Anbetung vor dem Allerheiligsten mit Friedrich Pfanzelt aus Dachau ein Harmo- abwechselnden deutschen, slawischen und [ ] nium. 102 Es war ein sehr gutes Instrument, das französischen Gesängen. Am 24. wurde die uns wertvolle Dienste geleistet. Auch sonst er- Christmette um 17.00 Uhr zelebriert, aber der fuhren wir öfters, mit welch tatkräftiger Sorge der Heiligabend verlängerte sich mit Weihnachtslie- Pfarrherr von Dachau sich unser annahm.103 dern in allen Sprachen bis 22.00 Uhr. Das Bischof Kozal darf täglich die zweite Hl. Hochamt am Weihnachtstag wird natürlich von Messe zelebrieren. Die Kapelle ist nämlich zu Mgr Piguet zelebriert mit polyphonen Gesängen. klein für die 900 Mann, die schon da sind.104 Am Sonntag, dem 31., wird ein Geistliches Kon- zert in der Kapelle gegeben mit Solisten und Leopold Arthofer: Chor und dann ein Terzett mit Violine, Bratsche Diese Verbindung [zwischen Lagerkomman- und Flöte.99 dantur und dem Pfarramt St. Jakob in Dachau] klappte meistens nicht, weil es beim Lagerführer Juni 1941 am guten Willen fehlte. Erst als es später ge- lang, Briefe hinauszuschmuggeln und auf diese Donnerstag, Fronleichnam, 12. Juni 1941 Weise unseren stets hilfsbereiten Gönner Stadt- Josef Fischer: pfarrer Planzelt von Dachau und andere Freun- Am Fronleichnamsfest sahen wir zum erstenmal de richtig zu informieren, erhielten wir viele Blumen auf dem Altar. Bei der Ausmalung der schöne Dinge für unser Heiligtum.105 Kapelle im Juli fanden Kreuz und Liliensymbol Anwendung. Dadurch erschien der Raum schon etwas sakraler. Die erste Monstranz wurde nach 100 Fischer Bd. I, S. 97. Siehe: S. 26. 101 Fischer Bd. I, S. 100. 102 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–40: 97 Es ist hergestellt von der Firma Smith American, Schwake 1954, S. 46. Organ and Piano Co. Boston USA und hat 12 Re- 98 Jean Kammerer hat vom 3.10.1944 bis 7.3.1945 ein gister: Es ist 104 cm breit, 50 cm tief, ohne Aufsatz „Journal de bord“ (Logbuch/Bordbuch) mit stich- 97, mit Aufsatz 129 cm hoch. wortartigen Notizen geführt. Siehe: Kammerer S. 103 Lenz S. 97. 119–125. 104 Lenz S. 141. 99 Kammerer S. 108. 105 Arthofer S. 49.

32 Johann Lenz: imperat! [Christus siegt, Christus ist König, Chri- Das Reich der Finsternis suchte auf alle mögli- stus herrscht]“. Und da wagte der Kommunist che Art uns beizukommen. So gingen uns im er- Hugo [Guttmann] zu behaupten: „In Dachau gibt 108 sten Jahre öfters die Hostien gänzlich aus. Auf es keinen Herrgott!“ dem legalen Weg türmten sich unübersteigbare Hindernisse auf. Illegale Wege waren uns je- September 1941 doch noch unbekannt oder zu gefährlich. Des- Johann Lenz: halb konnten wir so manches Mal nicht kommu- 17. September. Dechant Josef Zilliken erhält die nizieren. Wir teilten die letzten kleinen Spezies Erlaubnis, an seinem 70. Geburtstag eine Hl. unter uns nach der heiligen Wandlung in mög- Messe zu feiern. Wir singen unter Pfarrer Schei- lichst viele kleine Stücklein. Auch der Zelebrant der die deutsche Schubertmesse[109] – zum er- [106] hatte des öfteren nur eine kleine Hostie fürs sten Male im KL Dachau.110 heilige Opfer. Selbst unser schwarzes Lagerbrot hat einige Male uns Kommunikanten als Opfer- 107 Es gab im KZ keine gleichbleibenden Bedingun- brot gedient. gen. Immer wieder ließ sich die SS etwas Neues Leopold Klima: einfallen. Am Nachmittag des gleichen Tages, da ich vom Am Freitag, dem 19. September 1941, weiger- Aufnahmeblock in den „Pfarrerblock“ Nummer 26 eingeteilt wurde, betrat ich den zu einer Ka- ten sich die polnischen Priester, als Reichsdeutsche pelle umgewandelten Raum und sank unter Trä- zu gelten. Daher wurden sie von den anderen Prie- nen vor dem Tabernakel auf die Knie. Mehr als stern getrennt. Diese kamen auf Block 26, der von acht Wochen war ich in kein Gotteshaus mehr Block 28 und 30 durch Zaun und Tor (Blocktor) gekommen und hier – o Wunder in der Güte getrennt wurde. Die polnischen Priester wurden in Gottes! –, hier, inmitten der Gottlosigkeit, Lieblo- Block 28 und 30 untergebracht. Diese waren von sigkeit und des menschlichen Jammers, hatte dem Tag an wieder „Arbeitsblöcke“, das heißt die der Heiland sein Zelt aufgeschlagen, um den Insassen wurden in Arbeitskommandos eingeteilt. Seinen nahe zu sein. Wie begrüßte ich ihn, wie Außerdem wurde den Polen der Besuch der Lager- empfahl ich mich ihm! Auch der erste Nachmit- tagsgottesdienst bleibt mir unvergeßlich. Ein kapelle verboten. polnischer Prälat betete vor, am Schlusse san- Emil Thoma: gen alle, und es dröhnte ein mächtiges, siegrei- Es war am Freitag, dem 19. September 1941, ches Bekenntnis hinaus in die Lagerstraße: als wir [Emil Thoma und Sales Heß] zum ersten „Christus vivit [vincit], Christus regnat, Christus Male die Kapelle betraten. Die drei Priester- blocks waren gegenüber dem anderen Lager

106 Damals hatte die Hostie, die der Priester bei der 108 Klima S. 822. Meßfeier für sich verwendete, einen Durchmesser 109 Deutschen Messe D 872 (1827); Text von Johann von 8,5 cm. Heute ist eine solche Hostie auch größer, Philipp Neumann (1774–1849), Melodie von Franz damit sie mehrmals gebrochen werden kann. Die er- Schubert (1797–1828). Das Eingangsstück lautet: sten Christen nannten die Meßfeier auch Brotbrechen „Wohin soll ich mich wenden“. Bekannt ist auch das (Apg 2,42. 46; 20,7. 11). „Heilig, heilig, heilig“. 107 Lenz S. 83. 110 Lenz S. 141.

33 noch einmal durch Stacheldraht eigens abge- er nochmals: „Ich frage zum dritten Mal, wer von sperrt. Auf etwas eigenartigen Wegen gelangten euch bekennt sich zum Volksdeutschtum? He- wir zwei von Block 30 auf Block 26, als eben ei- raustreten!“ Er wartet und schaut böse drein. ne Menge von Geistlichen in Häftlingskleidern Niemand rührt sich. Doch auf einmal traten zwei aus der Kapelle herausströmte. Der wackere vor: einer aus Warschau und einer aus Krakau. Pfarrer Paul Prabucki [Prabutzki], im ersten Sie wußten nicht, worum es ging – denn sie hat- Weltkrieg deutscher Offizier, hatte eben die er- ten ihn gar nicht verstanden. – Zill aber brüllt auf ste heilige Messe beendet. Wir wurden zur zwei- uns los: „Ab heute sind alle Lagervergünstigun- ten zugelassen, die von Weihbischof Michał Ko- gen aufgehoben. [...] Die fremdvölkischen zal von Włocławek gefeiert wurde. Mit be- Geistlichen sind wie alle anderen Strafgefange- greiflicher Ehrfurcht nahmen wir im überfüllten nen zu behandeln! Wegtreten!“ Raume an diesem heiligen Opfer teil.111 Bericht im Karmel Heilig Blut Dachau, ohne Auto- renangabe: Am 20. September 1941 fing neuerdings eine schlechte Epoche für uns Geistliche an. Nach- mittags erschien plötzlich der Lagerführer (Egon) Zill in unserer isolierten Abteilung. Er kam mit einem ganzen Stab der SS. Der Befehl lautete: „Alle zu Block 26!“, er war derjenige, in dem sich die Kapelle befand. Wir beeilten uns und stan- den unbeweglich in langen Reihen vor der ver- finsterten Mine des Lagerführers. Der war klein von Wuchs und ließ sich eine Tribüne bringen. Mit bösem Blick betrachtet er die lange Reihe der Fremdlinge. Jeden kann er mit seinem Gei- sterblick durchbohren. Dann schreit er: „Reichs- Blick vom Kapellenfenster deutsche nach rechts raustreten!“ auf die Blockstraße und die Absperrung zur Lagerstraße Ungefähr 200 Priester stellen sich auf die rechte Seite. Nun stellt sich Zill auf die Zehen, Sales Heß: überblickt diese ausländische Menge mit bösem Aber warum eigentlich? [...] Später sickerte Blick und gröhlt: „Wer von euch bekennt sich durch, der Befehl sei von Berlin gekommen.112 zum Volksdeutschtum?“ Jean Bernard: Wir stehen unbeweglich wie ein Mann. Zill Worauf die Katastrophe der Pfarrerblocks zu- zieht die Brauen zusammen und schreit aber- rückzuführen war, wußte niemand von uns zu mals: „Ich frage zum zweiten Mal, wer von euch sagen. Es hieß, der Papst [Pius XII.] habe eine bekennt sich zum Volksdeutschtum?“ energische Rede im Rundfunk gehalten, und die Wir bewegen uns nicht von der Stelle. Die deutschen Bischöfe hätten öffentlich protestiert. Frage verhallt wie ungehört. Voll Wut wiederholt Irgend etwas muß vorgefallen sein. Es war in

111 Thoma S. 834. 112 Heß S. 86.

34 den ersten Oktobertagen 1941. [...] „Die Deut- fangenen Geistlichen getrennt. Die Deutschen, schen von den Polen trennen!“ [...] „Mit den Pri- die bisher auf den Blöcken 28 und 30 ihre Stu- vilegien ist es für euch vorbei.“113 ben hatten, wurden zu uns auf Block 26 an Stel- Hermann Dümig: le der ausgewiesenen Polen gelegt. Noch ganz Jetzt erst nach 23 Jahren habe ich den wahren unter dem Eindruck der einschneidenden Maß- Grund aus dem Mund des Münchener Weihbi- nahmen stand am Nachmittag in einer kleinen schofs Neuhäusler erfahren: Die polnischen Pause eine Gruppe der Gefangenen bei- Priester sollten ihr Volkstum verleugnen und die sammen. Unter den in Zebrakleidung oder in deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Das Lumpen gehüllten gefangenen Priestern fiel mir lehnten sie aber alle ausnahmslos ab. Darob ein junger, blonder Westfale auf, der wohl noch diese Wut.114 nicht die heiligen Weihen empfangen hatte und doch zu den Priesterhäftlingen zählte. Das fri- sche offene Gesicht mit den lustigen Bubenau- gen strahlte etwas wie Sonnenschein und Fröh- lichkeit aus inmitten der sorgenvollen und ge- drückten Gefangenen. Er hatte schnell Kontakt gefunden mit den neuen Kameraden, die mit ihm auf Block 26 lagen, und wurde bald einer der be- liebtesten von ihnen. Am nächsten Tage wurden vom Stubenältesten, einem jungen Kommu- nisten aus Mannheim, die Plätze in der Stube und die Spinde neu verteilt, und es traf sich so, daß mir mit Karl Leisner der gleiche Spind zu- geteilt wurde. Der Besitz des gemeinsamen Spindes und die Verantwortung für seine Pflege und Sauberkeit, was damals eine wichtige Rolle spielte, gab den Anlaß zu einer tieferen Ge- meinschaft und Schicksalsverbundenheit, die Auf der Blockstraße Nr. 26 mir diesen jungen, wertvollen Menschen nahe Zeichnung von Ferdinand Dupuis brachte und mich in sein Leben hineinschauen ließ, wie es wenigen vergönnt war.115 Bei dieser Gelegenheit kam Karl Leisner von Block Johann Lenz: 28/1 auf Block 26/3, wo er zum ersten Mal Otto 20. September. Dr. Franz Ohnmacht aus Linz Pies begegnete. wird Lagerkaplan, Pfarrer Heinrich Steiner, sein Otto Pies: Landsmann, wird unser Mesner.116 Es war am 19. September 1941 im Konzentrati- 21. September 1941. – Ein bitterstes Ereig- onslager Dachau. An diesem Tage wurden die nis hat die polnischen Priester getroffen. Sie ver- polnischen Geistlichen von den deutschen ge- loren mit dem heutigen Tage das Kapellen- privileg. Alles kam so völlig unerwartet und ohne

113 Bernard S. 57–59. 115 Pies 1949, S. 9. 114 Dümig S. 46. 116 Lenz S. 141.

35 unsere Schuld. Wie schwer haben wir es mit- Kapelle und die Freistellung von der Arbeit, wur- empfunden! Wie gerne hätten wir es verhindert! den nur noch den deutschen Priestern gewährt. – Doch, was konnten wir tun, was unternehmen Diese wurden in Block Nr. 26 zusammengelegt, gegen solche Teufelei? Befehl aus Berlin! Auch und den anderen Geistlichen wurde streng un- die Gottlosen des Lagers hätten nichts anderes tersagt, Kontakte mit ihnen zu unterhalten. Die tun können, und sie waren gewiß auch weit ent- Isolierung der Blöcke 28 und 30 wurde aufgeho- fernt von jedem guten Willen. ben und der Drahtzaun lediglich um Block 26 be- Uns aber wie den polnischen Mitbrüdern lassen. Erneut begannen schwere Zeiten.118 blieb nur eines: das Gebet und die Hoffnung auf Gottes Hilfe. Das Vertrauen wurde nicht ent- Oktober 1941 täuscht; doch es vergingen Jahre. Die Seelennot Andreas Rieser: der armen polnischen Mitbrüder drängte zum Im Rosenkranzmonat 1941 wagten wir es, einen Heiligtum. Wir aber hatten strengsten Befehl, Tabernakel und vier Holzleuchter anzuferti- daß niemand außer den Insassen des Blocks 26 gen.119 die Kapelle betreten dürfe. Block 26 war zudem Johann Lenz: isoliert mit Zaun und Tor. Oktober. Erste Tabernakel-Leuchterbank und Dieser gottlose Befehl wäre von uns gewiß 120 vier Leuchter. – Entwurf P. Karl Schmidt. mit gutem Gewissen umgangen worden. Nur die Sorge, daß auch wir, und damit das ganze La- ger, die Kapelle verlieren würden, sie allein hielt November 1941 uns zurück. Was hätten wir nicht alles getan und Johann Lenz: geopfert, um das zu verhindern! Christus im La- Vom 13. November 1941 bis Februar 1942 ver- ger Dachau, unser göttlicher Mitgefangener, un- trat Kamerad G. Schelling den Lagerkaplan ser aller Trost, unsere Kraft. Ihn mußten wir fest- Franz Ohnmacht, der soeben krank im Revier halten. Ihn mußten wir retten um jeden Preis, um weilte. Seine Amtszeit dauerte vom 20. Septem- jedes Opfer. Und ein bitteres Opfer war es, die ber 1941 bis zum 17. März 1943. Seinem diplo- Seelennot der polnischen Priester schweigend matischen Geschick verdanken wir viel Hilfe. Amtierte er doch in der schweren Zeit eines Zill, hinnehmen zu müssen. 121 Mancher hat freilich sein Schweigen gebro- Hofmann. chen. Er hat diese schwere Pflicht heimlich um- Advent [1941] Ein schönes Marienbild (von Maria Spötl) auf der Kredenz ist unser erster Ma- gangen und so uns alle in Gefahr gebracht, Je- 122 sus in der heiligen Eucharistie zu verlieren. Die rienaltar. Gottlosen warteten ja direkt auf jeden Anlaß, uns das Kapellenprivileg zu rauben. „Meuterei“, „Sa- Weihnachten 1941 botage“, „grundsätzlicher Ungehorsam“ – waren Andreas Rieser: doch sehr dienliche Schlagwörter für eine Mel- 117 dung nach Berlin. Stanislav Zámečník: 118 Zámečník S. 175. Im September 1941 entfiel das bessere Essen; 119 Rieser S. 313. auch die übrigen Privilegien, wie der Besuch der 120 Lenz S. 141, Siehe auch: S. 91. 121 Lenz S. 150. 117 Lenz S. 114. 122 Lenz S. 141.

36 Auf Weihnachten 1941 wurde uns von der La- tesdienst kaum denken können, als in langen, gerleitung erlaubt, Tannenbäume auf beiden weißen Alben, und der Diakon, der den sieben- Seiten des Altars unserer Lagerkapelle aufzu- hundert Priestern die Weihnachtsbotschaft kün- stellen. Man gestattete auch, ein vom Dresdner dete, war Karl Leisner. Strahlend und freudig vor Kaplan Alois Andritzki hergestelltes Weihnachts- Seligkeit sang er das Evangelium von der frohen bild – Die Hirten bei der Krippe – über dem Alta- Botschaft, „die allem Volk zuteil werden sollte“ re anzubringen.123 [Lk 2,10]. Unvergessen ist es vielen geblieben, Otto Pies: die sahen, mit welcher ergreifenden Andacht 1941 [...] war die Kapelle schon ein wenig bes- und Freude der Diakon an diesem Weihnachts- ser eingerichtet. Aus Kisten und Blechbüchsen abend seines heiligen Amtes waltete. Niemals hatte man einen Altar mit Tabernakel gebastelt; früher oder später hatte Weihnachten für alle, selbst gefertigte Leuchter mit Kerzen standen die es hier erlebten, seinen eigentlichen, tiefsten auf dem Altar, und ein junger Kaplan aus Dres- Sinn so herrlich offenbart wie bei dieser eigenar- den hatte mit Wasserfarben auf zusammenge- tigen Weihnachtsfeier mitten im KZ. Diese Ar- klebten Zeitungen ein großes Altarbild gemalt, mut, dieses verstoßene Dasein, diese Verlas- das die Weihnachtsszene darstellte. Selten hat senheit und dabei solch kinderselige Freude in ein so primitives Bild soviel Freude und Andacht aller Armut; so mochte es wohl in Bethlehem geweckt, wie dieses Weihnachtsbild in der ar- gewesen sein, der ersten kalten Weihnacht im men Notkapelle der Baracke 26 im KZ. Es wur- kalten Stalle, wo das göttliche Kind in weißes den sogar einige Paramente im Lager entdeckt Linnen gehüllt erschienen war, die Armut der und die Priester hatten drei weiße Alben. Zwar Menschen zu teilen, um allen den Reichtum des war nur ein Meßgewand vorhanden, das vier Himmels zu bringen. Selten hat man so frohe, Farben zeigte und für alle Werk- und Festtage glückliche Menschen gesehen, wie diese Ge- den Gottesdienst verschönern mußte. Das ge- fangenen, die sich in seliger Freude im Dunkel nügte aber für einen schönen Weihnachtsgot- der Lagerstraßen und der Armut der Stuben tesdienst nicht. Der Priesterchor hatte Lieder umarmten und einander beglückwünschten. Der eingeübt und das Weihnachtsfest sollte in ganz glücklichste aber unter den frohen Menschen großem liturgischem Stil begangen werden. Und war Karl Leisner. Hatte er doch dem göttlichen wirklich, es gelang. Die Lagerleitung hatte am Kind unter Brotsgestalt so nahe sein und das 124 Heiligen Abend eine Stunde Verlängerung ge- Geheimnis seiner Liebe mit ihm feiern dürfen. geben und den Appell früher halten lassen. Da Am Weihnachtsfest wurde zum ersten Mal im reichte die Zeit, um feierlich die Mette zu singen Lager die Christnacht religiös begangen mit fei- und ein Levitenamt zu halten. Der Celebrans mit erlicher Mette und Levitenamt, arm wie in Beth- dem einzigen Meßgewand stand am Altar mit lehem, aber auch jubelnd wie auf den Fluren, wo seiner Armut und Einfachheit unter dem an der den Armen die frohe Botschaft zuteil wurde. Wand befestigten Weihnachtsbild und zu seiner Beim Amt war Karl Diakon. In weißer Albe – an- Seite rechts und links zwei Assistenten in zwei dere Paramente waren nicht vorhanden – stand weißen Alben, weil keine Gewänder für Diakon er am Altar, in seiner strahlenden Freude erin- und Subdiakon vorhanden waren. Schöner hätte man sich die Ausstattung beim Weihnachtsgot-

123 Rieser S. 313. 124 Pies 1949, S. 136 f.

37 nerte er an Stephanus, wie dieser hat er sein blieb die Kapelle lange Zeit geschlossen und der Leben dem Christkind angeboten.125 Besuch verboten; das Verbot wurde aber kaum eingehalten.126 Karl Leisner an seine Familie: Januar 1942 Dachau, Sonntag, 11. Januar 1942 Emil Thoma: Meine Lieben! Am 1. Jänner 1942 fand durch den ältesten [...] Als Diakon durfte ich dreimal im feierli- Geistlichen, Joseph Zilliken, die erste Predigt in chen Amt Altardienst tun: in der heiligen Nacht, der Kapelle statt. Im Namen unseres Herrn Je- am Weihnachtsmorgen und an Erscheinung [des sus Christus begannen wir das Jahr 1942, das für uns Geistliche in Dachau das schlimmste Herrn am 6. Januar, Fest der Heiligen drei Kö- Jahr werden sollte.127 nige] im weißen Freudengewand der Kirche. Johann Lenz: Das war das herrlichste Christgeschenk. Die 7. Jänner 1942. – Uns erschreckt heute ein be- dritte Gefangenenweihnacht war die schönste sonders aufregender Besuch. Zill war zu Neu- bisher. jahr verschwunden und H. [Franz Hofmann] war erster Lagerführer geworden. Nun kam er zur Jahr des Herrn 1942 Kontrolle und schrie maßlos wütend wie ein Be- Otto Pies: sessener in unserer Kapelle. Was hatte er Die Kapelle war ein primitiver Barackenraum aus Schreckliches gefunden? Blumen auf dem Altar Wohn- und Schlafstube der Baracke 26, der und ans Antependium angeheftet: ein Chri- Gottesdienst äußerst einfach mit Paramenten stus-Monogramm. Der Lagerkaplan, der ihn be- gleiten mußte, erntete darob schallende Ohrfei- und Geräten aus dem Meßkoffer eines polni- 128 schen Militärgeistlichen. Erfindungsgabe, Ba- gen. steln und schließlich Spenden aus der Heimat brachten es fertig, aus der armen Katakomben- Februar 1942 kirche mit einem Tabernakel aus Kisten und Otto Pies: Blechbüchsen, mit einem Kruzifix aus Ton, usw. Im Februar 1942 wurden die Privilegien außer eine kleine Diasporakapelle erstehen zu lassen Kapelle und Gottesdienst wieder genommen und mit würdigen Paramenten, Geräten und Feiern. bald auch die Zwangsarbeit eingeführt, die ne- Ein Jahr lang [25.3.1941–11.2.1942] hatten die ben Hunger, Witterung, Mißhandlungen die Priester Ruhe von der schweren Arbeit in den furchtbarsten Erschöpfungszustände und To- Kommandos. Dafür mußten sie, entgegen dem desfälle des Schreckensjahres 1942 herbei- Befehl Himmlers, die „leichte Beschäftigung“ des führte.129 Schneeschaufelns, des Herausschleppens der Johann Lenz: Speisekübel für das ganze Lager und ähnliches Am 11. Februar 1942 hatte auch der letzte Rest auf sich nehmen. Einige Stunden blieben indes- unserer Kostaufbesserung ein Ende. Und wieder sen für Breviergebet, für das Kardinal Bertram die Bücher geschickt hatte, und für Studium, Ar- 126 beitskreise und Nachmittagsandacht. Über Tag Pies 1949, S. 124. 127 Thoma S. 835. 128 Lenz S. 150. 125 Pies 1982, S. 319. 129 Pies 1949, S. 124.

38 wurden wir zu jeder Arbeit eingesetzt. Von neu- ster ein herrliches Kunstwerk, ein Geschenk der em begann der Hunger uns ärger zu quälen. Katholischen Aktion, ankam.134 Doch wie konnten wir klagen, wenn wir unsere polnischen Mitbrüder betrachteten! Wir hatten ja Gerda Bockholt am 20. August 1990 an Wilhelm noch die Kapelle. Sie aber mußten schon fünf 130 Haas: Monate lang den Gottesdienst entbehren. Mein Vater erhielt es [das Bild von der Kapelle Fastenzeit [1942] Fastenpredigten des P. Ot- des KZ Dachau] von Herrn Domkapitular Fried- to Pies S.J. und liturgische Vorträge des P. Mau- 131 richs zugesandt als Beweis, dass das von mei- rus Münch O.S.B. (Trier). nem Vater übersandte Kreuz in der Kapelle sei- Jean Bernard: nen Platz gefunden hat. Das neue Regime ließ nicht lange auf sich war- Das Kreuz wurde in Münster von dem Bild- ten. Mit Messe, Wein und Mittagsruhe war es hauer Bäumer entworfen und in seiner Werkstatt gleich am ersten Tag vorbei. Die deutschen ausgeführt. Der Sohn des Herrn Bäumer – auch Pfarrer kamen nicht mehr zum Essenholen, so Bildhauer – wohnt in Münster, Am Kanonengra- daß die meisten von uns zweimal tragen muß- 132 ben 5 – In meiner Gegenwart wurde das Kreuz ten. in ein extra angefertigtes Holzkästchen gelegt und da es unauffällig und schmal sein mußte, März 1942 lassen sich die Querbalken mit den Armen durch Am Mittwoch, dem 11. März 1942, hatte Karl eingelassene Holzdübel lösen und lagen eng an Leisner einen Blutsturz und kam ins Revier, das er dem Mittelbalken. Ob das Päckchen direkt an nur selten verlassen konnte. Somit war er von den das KZ Dachau an Herrn Friedrichs gesandt Gottesdiensten in der Kapelle abgeschnitten. wurde, kann ich nicht sagen, ich weiß wohl, dass Herr Präses – wie wir ihn nannten – zeitweilig in der Poststelle des KZ eingesetzt war und wie er April 1942 mir erzählt hat – ich war von 1946 bis 1948 bei Johann Lenz: ihm Sekretärin – einige Aufseher den Raum ver- April – Die schwere Karwoche für die polnischen lassen hätten, wenn mal besondere Post kam. Geistlichen. Erstes größeres Altarkreuz – (Kreuz Gerda Bockholt am 26. August 1990 an Wilhelm von P. Karl Schmidt verfertigt, Korpus von Haas: Kaplan Johann Steinbock modelliert).133 [...] denn ein Paket in der Breite des Kreuzes Léon de Coninck: einzupacken und zu übersenden wäre unmög- Das Kreuz des Hochaltars war eine naive, auch lich gewesen. Auch die Haltung des Kopfes im Lager entstandene Skulptur; später [Februar wurde damals besprochen, denn es ist nicht die 1944] wurde es Prozessionskreuz, als aus Mün- übliche Haltung „Es ist vollbracht“ [Joh 19,30], sondern zeigt Hoffnung.

130 Lenz S. 150. 131 Lenz S. 178. 132 Bernard S. 62. 134 de Coninck S. 877. Siehe: Umschlagbild innen hin- 133 Lenz S. 178. ten.

39 Otto Pies am 3. April 1942 in einem Terminbrief an Hand, das bei der hl. Wandlung konsekriert wur- seine „Lieben“: de. Man wollte damit Zeit sparen, denn diese Nun ist bereits Ostern. Heute am Karsamstag war für den Gottesdienst kurz bemessen und [4.4135]hat das Amt mit den Zeremonien rechte das lange Kommunionausteilen unmöglich. Un- Osterfreude gebracht. Ich habe als Zeremoniar ser Priesterblock war ja Arbeitsblock geworden. Zudem gab es auch noch nicht genügend Spei- fungiert und werde am Nachmittag als Diakon 139 am Altar knien. Bin sehr dankbar für all das. In sekelche. einfacher Form ging alles gut, eigentlich über Er- Eduard Pesendorfer: warten, auch an den vorhergehenden Tagen. In der ersten Hälfte des Jahres 42 war die Kon- [140] zelebration üblich. Nachher hat es aber auf- Mai 1942 gehört, da sie nicht immer Zeit hatten, an der Durch den Krieg im Osten waren dort große Trup- Messe teilzunehmen. Man hat die hl. Messe kürzen müssen auf die drei Hauptteile[141] und penteile auf lange Zeit gebunden, so daß wichtige hatte gerade noch Zeit zum Kommunionaustei- Arbeitskräfte für die Kriegsproduktion im Reich len.142 fehlten. Daher bediente man sich des Arbeitskräfte- 136 Josef Fischer: potentials in den Konzentrationslagern. Von einer Konzelbration weiß ich nichts, wohl Josef Fischer: aber vom Disput darüber. Man hat es scheinbar [...] während im Priesterblock Anfang Mai nicht gewagt; nur ein Priester hat zelebriert, alle [1942] alle arbeitsfähigen Geistlichen in ein Ar- anderen haben während der Messe kommuni- 137 beitskommando eingestellt wurden. ziert. Erst hatten sie die Hostien in der Hand (der Die meisten Priesterhäftlinge arbeiteten in der Plan- zelebrierende Priester hat sie bei der Wandlung tage.138 Die neuen Arbeitsbedingungen hatten Auswir- kungen auf die Art und Weise, wie die Priester Eucharistie feierten. 139 Fischer Bd. I, S. 93. Josef Fischer: 140 Es war damals noch die Zeit, da bei unseren Eduard Pesendorfer versteht hier die Praxis, daß jeder Gottesdiensten beim Eingang zur Kapelle jedem teilnehmende Priester eine Hostie in der Hand hält, Priester ein nicht konsekriertes Partikelchen die vom zelebrierenden Priester am Altar mitkonse- kriert wird, als Konzelebration. überreicht wurde. So trug jeder Geistliche sein 141 Teilchen von der Hostie bei der hl. Messe in der Aufbau der Messe in der damaligenTerminologie: 1. Vorbereitung Vormesse 135 Vor der Liturgiereform wurde die Liturgie der Oster- 2. Gebetsgottesdienst nacht am Karsamstagmorgen gefeiert. 3. Lehrgottesdienst Opfermesse Offizieller Schreibtermin war der Sonntag. Die 4. Opfervorbereitung (Opferung) – I. Hauptteil Häftlinge begannen meist schon vorher mit dem 5. Opferhandlung (Wandlung) – II. Hauptteil Schreiben. 6. Opfermahl (Kommunion) – III. Hauptteil 136 Siehe: Frieling S. 30. 7. Entlassung 137 Fischer Bd. I, S. 88. (Schott 1936, S. 16* ff.) 138 Siehe: Lenz S. 101. 142 Pesendorfer S. 74.

40 mitkonsekriert), später haben mehrere Priester erhabenen Feier nichts antun. Im Geiste sehe die hl. Kommunion ausgeteilt.143 ich heute noch den jetzigen Erzbischof von Prag Jean Bernard: Beran, auf dem blanken Boden knien und seine Der zelebrierende Priester macht nämlich bei Anbetung des Allerheiligsten jeden knappen Mit- 147 der heiligen Wandlung die Meinung, sämtliche tag halten. Hostienpartikel mitzukonsekrieren, die sich in Sales Heß: Priesterhänden befinden.144 Ich war mit vielen der Ansicht, daß wir konzele- Kazimierz Majdański: brieren durften. In unserer Abgeschlossenheit Einige Priester fragten [schon im KZ Sachsen- konnte eine Anfrage nach Rom nicht eingeleitet hausen] nach der Möglichkeit zu konzelebrie- werden; deshalb setzten wir die Erlaubnis vor- ren.145 aus und zelebrierten täglich mit, so wie am Tag Eugen Weiler: der Priesterweihe. Wir hielten täglich Gemein- Die Zeit eilte, wir mußten wieder fort. Was soll- schaftsmesse, beteten auch den Kanon wegen ten wir tun, damit wir nicht leer ausgingen? Lie- der Konzelebration gemeinsam. be macht erfinderisch. Man hatte verschiedene Als später eine Eingabe [an Rom] möglich Theorien ausgedacht, ob wir mit dem Ce- wurde, fragten wir an. Leider erhielten wir eine lebranten in der Kapelle nicht eine Gemeinschaft verneinende Antwort. Wir mußten unsere liebe bilden wie am Tage unserer Priesterweihe, da Übung aufgeben, taten dies auch, schlossen uns wir mit dem Bischof das erste hl. Opfer gemein- aber dem heiligen Meßopfer so eng an, als dies sam darbrachten. Wir wollten nichts, was die für einen Priester möglich ist. Von da an wurde Kirche nicht billigen würde. Darum hatten wir auch der Kanon nicht mehr gemeinsam gebetet, aber doch so vernehmbar, daß alle mitbeten den Altartisch verlängert und verbreitert. Darum 148 haben wir am Eingang der Kapelle von einem konnten. Die meisten hatten ja kein Buch. Teller eine Hostie genommen und in unser Buch Johann Lenz: gelegt oder auf unsere Hände und haben den Mai – P. Albert Eise, Pallottiner, hält alle Sonn- 149 Celebranz gebeten, er möge mit seiner Hostie tage eine Maipredigt. auch unsere konsekrieren, und so hatte er es getan. Und wir sind hingekniet und haben den Juli 1942 Leib des Herrn empfangen: „O Herr, ich bin nicht Andreas Rieser: würdig, daß du eingehst in mein Herz, aber Am 2. Juli 1942, Fest Mariä Heimsuchung, tra- sprich nur ein Wort und meine Seele wird ge- [146] fen vom Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg sund.“ Und so konnten Hunderte von Prie- durch Vermittlung des entlassenen Freiburger stern in lebendige Gottestempel verwandelt Diözesanpriesters Dr. Hahn die ersten Meßklei- werden und die Hast des Alltags konnte unserer der auf Block 26 wohlbehalten ein.150

143 Fischer Bd. III, S. 163. 144 Bernard S. 46. 145 Majdański S. 74. 147 Weiler II, S. 35 f. 146 Gebet von Priester und Gemeinde in der Eucharistie- 148 Heß S. 94. feier vor dem Kommunionempfang. Vgl. Mt 8,8; Lk 149 Lenz S. 178. 7,6. 150 Rieser S. 313.

41 September 1942 Barmherzigen Schwestern im Schwabinger Andreas Rieser: Krankenhaus (München) besorgte sie anfangs Jänner 1943 für jeden deutschen Priester auch Am 8. September 1942, Fest Mariä Geburt, traf 153 vom Generalvikariat Branitz [Schlesien] durch etwas Weihnachtsgebäck. Vermittlung des Seminarregens von Freuden- Eduard Farwer: thal, Karl Schrammel, ein Goldornat ein.151 Später bekam das Kloster Ettal die Erlaubnis, uns eine würdige Kapellenausstattung zu schik- 154 Dezember 1942 ken. Im Dezember 1942 verlegte die SS die Priester Franz Weinmann: anderer Nationalitäten außer den polnischen und Freude über Freude! Wir haben heute morgen Christmette gefeiert – jawohl! Wir haben Hirten- litauischen Geistlichen zu den Deutschen auf Block [155] 152 messe gefeiert – jawohl! Und zwar stand 26, wo sie wieder die Kapelle besuchen durften. zum erstenmal ein anderer als der Lagerkaplan am Altar. Und das ist die zweite Weihnachts- Weihnachten 1942 freude! Wir bekamen heute die Erlaubnis, bei Otto Pies am 24. Januar 1943 in einem Terminbrief der Feier der heiligen Messe abzuwechseln.156 an seine „Lieben“: Otto Pies am 10. Januar 1943 in einem Terminbrief Wir haben durch Vermittlung von Schwester Pia an seine „Lieben“: [Eleonore Baur] Levitengewänder, Vesperman- Die größte Freude brachte mir die unerwartete tel, Meßbuch, Weihrauch usw. bekommen. Möglichkeit, am ersten Weihnachtstag die hei- Emil Thoma: lige Messe feiern zu dürfen, das erste Mal seit „Für euch, alte Lagerhasen, will ich mich gerne Mai 1941. Für unseren [Jesuiten]General [Wlo- einsetzen!“ So versprach sie [Schwester Pia, dimir Graf von Ledóchowski] und seine Armee Eleonore Baur] einst zur Weihnachtsfeier den [Jesuiten].[157] langjährig inhaftierten deutschen Kommunisten. Léon de Coninck: „Die anderen jedoch“ – damit deutete sie auf das Von Weihnachten 1942 an wurde das Regiment gesamte Lager – „die sollen verrecken!“ Einen milder. Bei besonderem Anlaß konnte der Zele- ähnlichen Ausspruch tat sie auch bei uns gegen brant ersetzt werden. So fiel es mir zu, das Re- die polnische Geistlichkeit. Sie meinte wohl da- quiem für Pater [von] Ledóchowski zu halten. mit unser Vertrauen gewinnen zu können. Eine Und bald führte man einen Turnus ein; sonntags solche Verblendung! Damit hat sie aber auch unbewußt ihre wahre Einstellung zu Priester und Kirche verraten. 153 Thoma Sr. Pia, S. 398. Eine seltsame Gestalt, diese Sr. Pia. Wohl 154 Eduard Farwer, Predigt am 21.5.1945 in der Pfarrkir- tat sie manches Gute im Lager. Auch uns Prie- che von Maisach. stern hatte sie bei diesem Besuch kirchliche Pa- 155 Die drei Messen, die heute noch jeder Priester an ramente und Geräte mitgebracht. In der Abtei Weihnachten feiern darf, sind das Engel- , Hirten- Ettal hatte sie all dies für uns erbettelt. Durch die und Königsamt. 156 Weinmann S. 171. 157 Hier zeigt sich deutlich, wie auch in Terminbriefen, 151 Rieser S. 314. die durch die Postzensur gingen, verschlüsselt ge- 152 Siehe: Zámečník S. 177. schrieben wurde.

42 feierte man zwei Messen; dann vermehrte man Am 24. Dezember 1942 gab es unter Tannenbäu- sie, bis schließlich bei Auflösung des Lagers men die Strafe „Bock“ für zwei Polen, die geflüch- morgens und abends fortdauernd Messen statt- 162 158 tet waren. fanden. Johann Lenz: Jahr des Herrn 1943 Wiederum kam die Heilige Nacht – Weihnacht Die Priester waren bemüht, die Kapelle immer 1942! Hoffnungsfreudig schauen wir in die Zu- kunft. Bald konnte die Freiheit kommen. Jeden- schöner auszugestalten. Viele Menschen im und falls waren wir vorläufig dem sicheren Hungertod außerhalb des KZ trugen dazu bei. entrissen. Abends nach dem Appell begann die feierli- Januar 1943 che Christmette. Ergreifend, ja erschütternd, Johann Lenz: gleich Jubelchören aus Grabestiefen stieg der Jänner. Sonntagspredigt an die Priester offiziell Priestergesang preisend zu Gott empor. Zuerst gestattet – Erlaubnis, sterbende Priester zu ver- die Mette, hierauf das feierliche Hochamt. Es sehen. Viele Priester im Revier angestellt[163], [159] waren Taborstunden in der Todesstätte von aber auch in anderen Vertrauensposten. Dachau. 25. Jänner. Feierliche Gottesdienste beginnen Und am Ende erklang als Schlußlied unser und geistbildende Vorträge.164 stimmungsvolles „Stille Nacht! Heilige [160] Nacht!“ Alle sangen es mit; denn alle kannten März 1943 es, das Weihnachtslied der Welt. Aber niemals Johann Lenz: zuvor hatten wir es mit größerer Ergriffenheit 17. März – Lagerkaplan Ohnmacht wird entlas- gesungen, das Lied vom rettenden Christ. [...] sen. – Sein Nachfolger ist G. Schelling, als einer Weihnachten 1942! – Es klingt wie der feier- der Haftältesten, der schon länger das große liche Abschluß einer großen Passion. Das Lei- Vertrauen auch der SS-Lagerleitung genießt.165 densjahr, es hatte im Weihnachtsfrieden, im Mit dem neuen Lagerkaplan erhielten wir zu- Weihnachtsglück geendet. Feierlich wurden die gleich die Erlaubnis, daß auch andere Priester Toten am Silvesterabend ausgerufen. Laut wur- den Gottesdienst halten dürfen. Auch wurden de für sie gebetet. Doch größer als das Leid war 161 Kapelle und Gottesdienst restlos dem Lagerka- unser Dank zu Gott. plan unterstellt ([unter Schutzhaftlagerführer] Redwitz); die KP [Kommunistischen Partei]- Häftlinge hatten nichts mehr dreinzureden. So brachte nun täglich ein anderer das hl. Opfer 158 de Coninck S. 878. dar; am Sonntag gab es demnach bald schon 159 Die Verklärung Jesu auf einem hohen Berg wird auf mehrere hl. Messen. Damit wurde eine große den Berg Tabor lokalisiert: Mk 9,2–10; Mt 17,1–9; Sehnsucht der verbannten Priester erfüllt. Man- Lk 9,28–36. Das Ereignis wird als Fest am 6. August begangen. Taborstunden sind vergleichbar mit der Er- fahrung, die Petrus, Jakobus und Johannes gemacht 162 Maurath S. 127. haben. 163 Otto Pies sorgte als Krankenpfleger für Karl Leisner. 160 Gotteslob Nr. 145. 164 Lenz S. 266. 161 Lenz S. 177 f. 165 Lenz S. 266.

43 che hatten schon jahrelang, ja bis zu fünf Jah- April 1943 ren, das hl. Opfer nicht mehr feiern können. Es Eine Marienstatue wird „Unsere Liebe Frau von war nun wie eine Primizmesse das erschüt- Dachau“ terndste Ereignis der gefangenen Priester Chri- Josef Fischer: sti.166 Am 25. April 1943 kam im Lager Dachau eine Georg Schelling: schöne Madonna an, die Mutter mit dem Kind.169 Bereits am 1.3.1943 war ich als Lagerkaplan (ab Oktober 1944 nannte sich diese Funktion Lager- dekan) eingesetzt worden. [...] Meine Aufgabe bestand darin, daß ich bei der Kommandantur die Interessen der Geistlichen vertrat. Gleichzei- tig war ich für die Kapelle verantwortlich. Dieses Amt war im Lagerleben einmalig. Ich hatte mir unmittelbaren Zugang zu den damaligen Lager- führern Redwitz und Jung, Ruppert usw., ver- schafft.167 Sales Heß: In der Zelebration der hl. Messe führte der neue Lagerkaplan Georg Schelling eine allseits be- grüßte Neuerung ein. Nach dem damaligen Be- fehl der Lagerleitung durfte immer nur der La- gerkaplan den Gottesdienst halten, die anderen konnten, so sehr sie es wünschten, nie zelebrie- ren. Schelling aber erklärte: „Wir wollen in Zu- kunft täglich wechseln. Wenn die Lagerleitung die alte Praxis fordert, kehren wir zur alten Ord- nung zurück.“168

Hermann Richarz am 25. März 1943 in einem „Schwarzbrief“ an seine Schwester: Aufstehen ist um 5.00 Uhr. 5.25 Uhr Kapelle, 6.30 Uhr Appell, 7.00 Uhr Beginn der Arbeitszeit d. h. für uns zur Bahn Pakete holen. 11.30 Uhr Mittagspause, 12.45 Uhr wieder Arbeitszeit bis 18.00 Uhr. 18.30 Uhr wieder Appell, danach Abendessen, 20.00 Uhr Nachtruhe.

Unsere Liebe Frau von Dachau 166 Lenz S. 215. 167 Zitiert in Lossin S. 107. 168 Heß S. 199. 169 Fischer Bd. III, S. 1.

44 Johannes Sonnenschein im Weihnachtsbrief 2002: der Bischof [Joseph Martin Nathan] möchte für Wie konnte es dazu kommen? den nächsten Maimonat eine Marienstatue und Ende 1942 wurden Paketsendungen gestattet. Levitengewänder schicken. Der Bischof gab mir Damit kamen auch mehr Sachen in die Kapelle: den Auftrag, [...], eine Statue zu besorgen. [...] ein Altarkreuz, Kreuzwegbilder, Kerzen etc. Un- Da traf ich nach einigen Tagen den späteren ser Mitbruder L. Hiller, ein Salvatorianerpater, Provinzial der Salvatorianer, P. Dominikus Hoff- schrieb davon seinem Oberen, bedauerte aber meister, dem ich von meinem vergeblichen Su- zugleich, dass wir die „Mutter“ sehr vermissen. chen erzählte. Immer hilfsbereit, erklärte er so- Dieser verstand und arrangierte die Erfüllung fort, er hätte eine wunderschöne, holzge- unserer Bitte. Nachher wollte er gern wissen, ob schnitzte Statue von einem Breslauer Künstler; die Sendung am richtigen Ziel angekommen sei. er würde sie gerne zur Verfügung stellen, aber In der Antwort hieß es: „Kinder sind immer sich das Eigentumsrecht vorbehalten. Sie wurde 172 glücklich und dankbar, wenn sie ihre Mutter bei in meine Wohnung nach Jägerndorf gebracht. sich haben.“ Wolfgang Grocholl: Georg Schelling am 27. Juni 1968 an Heinz Römer: Die Statue wurde von dem Breslauer Holz- In Mariazell[170] hat meines Erinnerns Richard schnitzer E. Hoepker gefertigt und war für das Schneider bei Tisch erzählt, dass P. Bonaven- „Burgbergklösterle“ bestimmt. Da aber die Mög- tura wesentlich daran beteiligt war, dass die Ma- lichkeit bestand, sie nach Dachau zu bringen, donna nach Dachau kam. Ich habe noch in Erin- wurde sie in eine Decke gehüllt, mit dem Schlit- nerung, dass man mir damals berichtete, vom ten in das Jägerndorfer Pfarrhaus gebracht. Von Lager aus seien Hiller und Schrammel im Spiel da gelangte sie in einem Sack, unter einen gewesen und von draußen ein Mitbruder des P. Lastwagen gebunden, Ostern 1943 ins KZ Da- 173 Hiller. chau (so nach einer Mitteilung v. A. Eispert). Heinz Römer: Johannes Sonnenschein im Weihnachtsbrief 2002: Am 2.6.1968 starb in Meran der frühere Gene- Ein Pater [Dominikus Hoffmeister] aus dem Sal- ralsuperior der Salvatorianer, P. Bonaventura vatorianerkloster Burgberg bei Jägerndorf (Su- Schweizer, im 75. Lebensjahr. Er hat es ver- deten) hatte sich von dem Breslauer Künstler dient, hier erwähnt zu werden, denn ihm ist es Hoepker diese 1,10 m hohe, holzgeschnitzte mit zu verdanken, daß die Bitte unserer Lei- Statue für seine Hauskapelle erworben. Eines densgenossen, des in Buchenwald ermordeten Nachts aber ging von dort ein eigenartiger Karl Schrammel und des vor einigen Jahren ge- Schlittentransport ins Jägerndorfer Pfarrhaus: storbenen P. Hiller, um eine Marienstatue für Die Muttergottesfigur in Wolldecken gehüllt. Den unsere Lagerkapelle erfüllt wurde.171 weiteren Transport besorgte der s. Zt. dort zu- Josef Barton im Februar 1962 an Josef Fischer: ständige Erzbischof von Olmütz. Unter einem P. Karl Schrammel lag sehr viel daran, uns über LKW versteckt gelangte die Statue in einem Pa- Dachau und das Leben dort auf dem laufenden ket zum Postamt Dachau und von dort ins KZ zu halten. [...] daß P. Karl Schrammel schrieb, Block 26, Stube 4.

170 Im Mai 1968 fand im Wallfahrtsort Mariazell in Österreich ein KZ-Priestertreffen statt. 172 Fischer Bd. III, S. 1 f. 171 Stimmen von Dachau Nr. 10, Sommer 1968, S. 69. 173 Grocholl S. 126, F. 209.

45 Georg Schelling: rem Kloster sind mehrere Versetzungen vorge- Als das ungewöhnlich umfangreiche Paket in nommen worden. Darunter befindet sich auch Dachau angekommen war, wurde es wie andere die ‚Mater Salvatoris’ (Mutter des Heilandes)“ Ich Pakete auf den Block gebracht und dort vom hatte die versteckte Frage verstanden und ant- Blockführer kontrolliert. Es kam nicht immer der wortete: „Die Kinder werden es Ihnen zu danken gleiche, für den Block zuständige, SS-Mann. Als wissen, daß Sie der Mutter den Weg zu ihnen 175 der Blockführer, der an diesem Tage die Paket- ermöglicht haben.“ kontrolle durchzuführen hatte, das große Paket Josef Neunzig am 27. September 1955 an Domini- sah, machte er ebenso große Augen und mein- kus Hoffmeister: te, das werde kaum ein „Freßpaket“ sein. Das Ihnen den herzlichen Dank der KZ-Priester aus- Paket wurde geöffnet und er besah den Inhalt. zurichten, für die in schwerer Zeit ins KZ über- Er war nicht ungnädig, bemerkte aber, dass er sandte Madonnenfigur. [...] Auch danken wir ih- das Paket nicht freigeben könne, da es ja nicht nen, daß Sie nach Kriegsende stillschweigend Lebensmittel oder Wäsche und dergleichen ent- dieses Kunstwerk den KZ-Priestern zu eigen lie- halte. Ich machte den Vorschlag, es solle das ßen, das nun für immer einen würdigen Platz in Paket beiseite gelegt werden, bis die Angele- der Stadtpfarrkirche Dachau gefunden hat.176 genheit geklärt sei. Hernach verbrachte ich das Andreas Rieser: Paket in die Kapelle „wegen Platzmangel in der Am 1. Mai 1943 fand die feierliche Weihe der Stube“. Der Blockführer, der am anderen Tage Muttergottesstatue statt und die Dachauer Prie- kam, wußte offenbar nichts davon und fragte ster weihten sich vor dieser Statue „Unserer Lie- nicht danach. Also wurde die Madonna ausge- ben Frau von Dachau“. So war Maria fortan in packt und aufgestellt. Kein Mensch fragte nach- 174 diesem nun viel verehrten Gnadenbild auch her, woher sie gebracht worden sei. sichtbar mit den Priestern ihres göttlichen Soh- Johannes Sonnenschein im Weihnachtsbrief 2002: nes im KZ. Freude und Begeisterung darüber Nach einigen Tagen kam der Lagerführer. – „Wo war groß, das Vertrauen aber auf den mütterli- ist die unerlaubte Paketsendung?“ Antwort – „Ihr chen Schutz Mariens wuchs immer mehr. Vor Inhalt, eine Marienfigur, befindet sich in der Ka- „Unserer Lieben Frau von Dachau“ knieten pelle.“ Dann er – „Was in der Kapelle steht, ist ständig viele Priester und auch Laien in innigem mir egal.“ Und die Statue der „Mutter des Erlö- Gebet. Besonders bei den immer häufiger auf- sers“, der „Trösterin der Betrübten“, der „immer- tretenden Bombardierungen flüchteten viele zu währenden Hilfe“ war bei uns zur großen Freude Maria und erwarteten zu ihren Füßen den Tod. aller Geistlichen und vieler Laien. Sie bekam ei- Aber unter Mariens gnädigem Schutz überstan- nen Ehrenplatz auf der Evangelienseite nah bei den wir all die Gefahren aus der Luft und von ihrem Sohn im Tabernakel auf dem Altar. Ein Seiten unserer Peiniger. Im Laufe des Jahres wunderbares Geschenk zum Osterfest 1943! 1944 wurde die Marienecke unserer Kapelle im- Ludwig Hiller: Später wollte Pater Provinzial [Dominikus Hoff- meister] erfahren, ob das Marienbild sein Ziel er- reicht habe und schrieb mir ins Lager: „In unse- 175 Stimmen von Dachau Nr. 1, 1955, S. 8. 176 Schreibmaschinendurchschrift im Bistumsarchiv 174 Stimmen von Dachau Nr. 10, Sommer 1968, S. 69. Speyer, Nachlaß Römer Nr. 57.

46 mer mehr verschönert und zu einem richtigen Gebet zu Marienaltar ausgebaut.177 UNSERER LIEBEN FRAU von DACHAU O Unsere Liebe Frau von Dachau, Obwohl wir selbst des Trostes bedürfen, Bitten wir Dich doch, gehe auf heilige Waller- schaft Und tröste alle, die Deine Hilf nötig haben. Es ist ja Krieg Und Millionen leiden Tag und Nacht Gefahren für Leib und Seele. Zeige, daß Du Mutter bist, und stärke sie. Millionen haben Haus und Heim verloren Und irren obdachlos unter fremden Menschen. Bei dem Leid, das Du selbst in Ägyptens Verbannung getragen, Sei ihnen Zuflucht und Kraft, Und bei jenem großen Schmerz, Den Du unter dem Kreuz erduldet, Tröste die Kranken und Verwundeten, Gib den Gefangenen Kraft Und stehe in der Todesstunde allen bei, Die ihr Blut und Leben opfern müssen. Viele Kirchen sind geschlossen, Viele Gotteshäuser zerstört, Unsere Liebe Frau von Dachau Viele Gemeinden ohne Seelsorger. Zeichnung von Ferdinand Dupuis Überall stürmen die Pforten der Hölle an Und suchen, was Gottes ist, zu überwältigen. Johann Lenz: Zeige, daß Du Mutter bist, Mai [1943] Marienaltar im erlesenen Fest- Und erhalte dem göttlichen Sohne schmuck (Hochzeitsschmuck des Kommandan- Seine Hirten und Seine Herde. ten Weiß). Eisner, der Gärtnerei-Capo aus Tirol, Erhalte ihm auch die Priester, 178 ist uns sehr behilflich. Die an der Front stehen oder Voran das Gebet zu unserer Lieben Frau von In Lazaretten Samariterdienste leisten. Dachau. Es hat den Mainzer Prälaten Adam Ott Stärke die Priesterkandidaten, zum Verfasser. Am 1. Mai 1943, als unser Gna- Die nach dem Priesterkranz sich sehnen. denbild zum erstenmal den Festschmuck vom Erwecke Priesterberufe trotz aller Hindernisse „Heiligtum Dachau“ krönte, erklangen auch zum der Zeit 179 erstenmal jene weihevollen Worte. Und sorge, daß die Flammen des Glaubens Und der Tugend nicht erlöschen; 177 Daß nicht zerbreche die Treue zur heiligen Kir- Rieser S. 314. 178 Lenz S. 266. che. 179 Lenz S. 288.

47 Segne und stärke unsere Bischöfe in ihrem Ja, diese Statue ist ein wirkliches Gnadenbild schweren Amte. geworden. Schütze und stütze vor allen unseren Heiligen Edmond Michelet hatte wohl von der Herkunft der Vater, Marienstatue falsche Auskünfte, um so mehr weiß Dem das Herz so schwer sein muß, er um deren Bedeutung: Weil sein Arm gelähmt ist, Eine Statue der Jungfrau Maria wurde unter Zu- Die Not zu beheben, die Leiden zu lindern stimmung aller im Laufe des Winters rechts vom Und den Frieden herbeizuführen. Altar aufgestellt. Sie war das Werk eines Depor- Und kommst Du, Unsere Liebe Frau von Da- tierten, der lange gebraucht hatte, um es zu voll- chau, enden unter Schwierigkeiten, die man sich leicht An die Stätten, wo unsere Eltern und Angehöri- vorstellen kann. Aus hellem Holz geschnitzt und gen, streng stilisiert, konnte sie ebenso gut als „Mor- Unsere Pfarrkinder und Mitarbeiter genstern“ oder als „Heil der Kranken“, als „Trö- Schon so lange um unsere Heimkehr beten, sterin der Betrübten“ oder als „Königin der Mär- Dann sage ihnen, daß Du über uns wachst tyrer“ gelten. Alle kamen überein, sie unsere lie- Im Leben und im Sterben. be Frau von Dachau zu nennen. Dieser Name O, Unsere Liebe Frau von Dachau, drückte alles zugleich aus. Zeige, daß Du Mutter bist, Daß der Glaube für eine sehr große Zahl von Wo die Not am größten ist. uns die entscheidende Stütze während der gan- Amen! zen Dauer unserer Prüfungen war, ist offenbar Am 20. Mai 1949 wurde ein „Gebet zu Unserer und wird von niemandem bezweifelt. Die Un- Lieben Frau von Dachau“ in einer veränderten gläubigen sind Zeugen davon, genau wie die Formulierung vom Ordinariat München und Frei- anderen. Ebenso möchte ich auf die wirklich sing genehmigt (approbiert).180 neue Erkenntnis hinweisen, die viele Deportierte Johannes Sonnenschein im Weihnachtsbrief 2002: im Laufe ihrer Betrachtungen gewonnen haben, Die Marienstatue wurde dann Anlass ständiger nämlich die wirklich außerordentliche Gestalt, Marienverehrung. Wer immer nur sich ein wenig welche die Jungfrau Maria im katholischen Freizeit ermöglichen konnte, lag oder kniete be- Glauben ist. tend und bittend davor. Gott allein weiß, wie vie- In einer unmenschlichen Umwelt, in einem le Gebete da gen Himmel gerichtet worden sind. Ozean von Haß, der uns verschlingen wollte, Gott allein weiß, wie viele Gefangene, Geistliche war die menschliche Milde, die unerschöpfliche aller Konfessionen und auch Laien da in aller und stets erreichbare Güte von Maria uns oft An- Mut- und Hoffnungslosigkeit Trost, neue Hoff- laß zur Freude: causa nostrae laetitiae ... Durch nung und Gottvertrauen wieder oder mehr ge- die Betrachtung der allerseligsten Jungfrau zu funden haben. Gott allein weiß, wie viele Bitten Füßen des Kreuzes fanden wir einen neuen da auf Mariens Fürsprache erfüllt wurden und Sinn unseres Elends; mehr noch: in der Betrach- wie viel Gnadenhilfe der Geber alles Guten uns tung ihres ununterbrochenen Eintretens für uns so gegeben hat. verstanden wir immer besser, was unsere eige- ne Haltung sein könnte, sowohl „in den Tagen unseres Todes“ als später, wenn die Rechnun- gen beglichen werden würden. Keine Sprache 180 Siehe: Hiller S. 4 f. wird je die unendliche Dankbarkeit derjenigen

48 wiedergeben können, die die Gnade dieser Um- festlichen Frühstück“ auf Stube 3 „an einem weiß- formung ihrer Leiden erlebt haben und diese ge- gedeckten Tisch (das Tischtuch hatte unser lieber radezu alles umstürzende Entwaffnung des 181 Stubenältester Niki, der junge Luxemburger Poli- Hasses. zist, organisiert)“.185 Dominikus Hoffmeister am 21. März 1947 an Aus der Predigt von Heinz Römer: Friedrich Pfanzelt: Wohl hat schon mancher liebe Confrater hier Ihre Sorge, das Madonnenbild könnte von mei- hinter Mauern und Stacheldraht den 25. Jah- nen Vorgesetzten beansprucht werden, dürfte restag seiner Priesterweihe und Primiz began- unbegründet sein. Wohl aber dürfte es ihnen er- gen, mancher unter recht eigenartigen Umstän- wünscht sein, die Erinnerung lebendig zu erhal- den; aber heute erlauben es die Verhältnisse ten, daß die Madonna von Dachau eine Wid- zum ersten Mal, ein eigentliches Silberjubelamt mung der Genossenschaft der Salvatorianer ist. zu feiern.186 Auf welche Weise dies geschehen könnte, müß- te mit unserem Hochw. P. Provinzial überlegt Juli 1943 werden [...]. Ich hoffe mit Ihnen, daß das Madonnenbild Die Erlaubnis, sich Pakete schicken zu lassen, nutz- recht bald als Gnadenbild in der Sühnekirche ten die Häftlinge auch dazu, Dinge für die Kapelle von Dachau steht.182 zu bekommen. So erbat Karl Leisner zum Beispiel Heute befindet sich „Unsere Liebe Frau von Da- am 4. Juli 1943 in einem Terminbrief an seine Fa- chau“ in der Kirche des Karmel Heilig Blut Da- milie zum Notenschreiben benötigte Utensilien: chau. Meine Lieben! [...] Für einiges Schreibzeug wäre ich sehr Johann Lenz: dankbar: 2-3 Federhalter, einige Stahlfedern 25. April – Der Osterleuchter, 67 cm hoch, wird (Ly 7 und spitze), ein Lineal à 50 cm und eins à von unserem Franzl (Breitenberger) verfertigt; 20 cm, einige Aktendeckel (Papa Poethen hat 183 später noch 4 und 6 Altarleuchter. sicher noch etwas Abfallkarton da in verschie- denen Farben), einige Schulhefte, Redisfedern Juni 1943 je 1-2 à ½, 1,2,3 mm, einige Heftklammern und Am Sonntag, dem 6. Juni 1943, erstes feierliches etwas Schreibpapier. Dazu, wenn möglich, ei- 184 Silberjubiläum im KZ Dachau von Siegfried nen Locher und je ein schwarzes und rotes Würl unter Beteiligung der „meisten evangelischen Stempelkissen. Euer Karl. Geistlichen“ und einem „prandium sollemne – Alfons Duschak schrieb 1977 folgenden Bericht187: Karl Leisner in der Choralschola der sterbenden Priester. 181 Michelet S. 119 f. Wieso „der sterbenden Priester“? Weil mehr als 182 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28-40. die Hälfte dieser Priester fast bis zu ihrem Tode 183 Lenz S. 266. 184 Bei dieser Meßfeier fungierten als Presbyter assistens (Funktion zur Erhöhung der Feierlichkeit) Franz 185 Siehe: Stimmen von Dachau Nr. 7, Juni 1947, S. 23 f. Doppelfeld, als Diakon Hans Carls und als Subdiakon 186 Stimmen von Dachau Nr. 7, Juni 1947, S. 23 f. und Prediger Heinz Römer. 187 Siehe auch: Seligsprechungsprozeß S. 1007.

49 in ihr mitwirkten und ihr Leben in Dachau lassen Franziskaner [Elpidius Markötter], beide in oder mußten. kurz nach der Haft gestorben, leisteten die Vor- Als der Benediktiner aus St. Ottilien am 22. arbeit mit großen Linealen und nachher auch Dezember 1941, Pater Friedrich [Albrecht] Wag- Stempeln, ich trug dann Text und Noten ein, Pa- ner, die Freiheit wiedererlangte, wurde ich ge- ter Karl Schmidt (Salesianer, nach Dachau ge- beten, an seiner Statt den geistlichen Gesang zu storben) „organisierte“ mir nach und nach Rollen leiten. Ich hatte bis zu meiner Verhaftung am Zeichenpapier (aus den Büros „Messerschmitt“), 19.5.1941 in Dresden in der Hofkirche den Cho- Tusche, Stempel und Federhalter, aus denen ral geleitet. Mit den geschulten Kapellknaben der Karl das Blechgehülse nahm, aus „organi- (alias Domspatzen) und all den technischen Hil- sierten“ Radiergummis (SS-Büros) das Stempel- fen dieses Institutes und der Kathedralkirche war chen fertigte und die Stempel in die Federhalter das eine verlockende Aufgabe. Im Konzentrati- einfügte, die notwendigen Modelle Redisfedern onslager Dachau sah das ganz anders aus. für die Textgestaltung besorgte er mir auch, und Mit viel Last und List hatte ich einen „liber so konnten wir in der Nacht an die Arbeit gehn. usualis“ mit dem Druck aller feststehenden und Dabei hat Karl Leisner fast verhustet, was an wechselnden Choralgesänge der Hochämter, Resten der Lunge noch in ihm war. Ich glaube, Vespern und festlicher Metten schicken lassen, der Franziskaner hieß Markötter. Ich habe nach und auch die Auslieferung erreichen können, dem Kriege auf Wunsch des Ordens noch einen genau an dem 22.12.1941, also drei Tage vor Bericht über ihn geschrieben. Karl Schmidt Weihnachten. Pater Wagner, schon im Mönchs- (nicht Schmitz) ist an Magenkrebs gestorben. Er gewande und ich „im Zebralook“ standen am Tor sah so unscheinbar aus wie ein biederer Land- des Lagereingangs einander gegenüber, ohne briefträger. Es hieß: acht Handwerke habe er er- noch ein Wort wechseln zu dürfen. lernt und jene, die er nicht gelernt habe, ver- Pater Wagner fuhr in die Freiheit – wenn stehe er noch besser. Ich glaube: Es gab nichts, auch nur in die des braunen Reiches, ich emp- was er nicht machen und beschaffen konnte, fing seine Bücher, darunter oben genanntes man sagte: Von der Putzwolle bis zum fahrtüch- Choralbuch. tigen BMW. Es mußten nun für das ganze Kirchenjahr, Karl Schmidt war auch ein Sänger und Pre- für jedes Hochamt und für jede Vesper und für diger von vielen Gnaden. Ich als Chorleiter muß- jede Matutin – so weit wir auch diese singen te es schließlich bemerken können. Wie ein sol- wollten – das Proprium = die diesem Gottes- cher Mathematiker und Physiker vom Schlage dienst einmalig eigenen Gesänge für den Chor Karl Schmidt auch künstlerisch (Tabernakelbau und je zweimal für die Gemeinde (etwa 1.000 in Dachau) so vielseitig schöpferisch sein könne, Priester) auf Plakate gebracht werden; denn der mußte ich in Dachau erfahren. Raum des Gottesdienstes war 20 Meter lang, so Still waren sie alle, Karl Leisner der stillste weit kann man auch ein Plakat nicht lesen, wes- Helfer und Freund. Es war wirklich die Singe- halb in der Raummitte für die Gemeinde das schar der sterbenden Priester. Was hätte ich Plakat noch einmal aufgestellt werden mußte. anders sagen sollen auf die Frage (von + Pater Wir mußten etwa 300 Notentafeln (Zeichenpa- Maurus Münch OSB, Abtei St. Matthias, Trier, pier) anfertigen. Das geschah in der kurzen der immer mitsang:) „Alfons, wie kommt das, ich Nacht. Lagen alle auf den Pritschen, dann waren habe selbst in unseren großen Abteien das gro- die Stubentische frei. Karl Leisner, ein junger

50 ße „Jubilate [Jubelt]“[188] und das „Precatus est Ausnahme von Abbé Belloc [Jean Gabriel Hon- Moyses [Moses flehte]“[189] nie so gut gehört wie det] sozusagen Null. Ich spreche nur von den in von dieser Gruppe“. Ich antwortete: „Maurus, Du Dachau inhaftierten Priestern.193 darfst nicht vergessen, mit einzubeziehen, daß es die Schola der sterbenden Priester ist.“ August 1943 Johann Lenz: Heinz Dresbach bekam den Auftrag, zum Abend- 16. Juli – A. Wohlmuth (Steiermark) macht uns appell heimlich Hostien aus dem Tabernakel mitzu- heuer in der Kapelle viel nützliche Schreinerar- nehmen und sie auf dem Rückmarsch beim Revier beit [z.B. Predigtpult].190 dem Pfleger Franz Zuber zu übergeben. Als Heinz Gregor Schwake: Dresbach erstmals den Tabernakel öffnete, be- Der Raum ist 9 m breit, 20 m lang. Rechts und links vom Altar grüne Sträucher. Rechts eine An- drückte es ihn, daß dieser mit vergilbtem Zeitungs- richtekommode, weiß bedeckt. Links ein Rede- papier ausgeschlagen war. Am 15. August 1943 pult und – ein Harmonium.191 schrieb er in einem Terminbrief an seine Schwester Léon de Coninck: Agnes Dresbach, „z. Zt. Bendorf Hedwig-Drans- Sonntags hatten wir Hochamt und feierliche feld-Haus“194: Vesper. Vor dem Gottesdienst am Morgen war [...] An Aenne[195] und Leni[196] Gruß: Sie und ih- Predigt, anfangs immer deutsch. Ich brach den re Schwestern werden mit Freude eine kleine Bann zugunsten des Lateinischen, das eher be- Arbeit für uns übernehmen: Unser Tabernakel ist anspruchen konnte, in dieser internationalen innen mit Papier und Heftzwecken ausstaffiert! Versammlung als Sprache zu dienen.192 Die Innenmaße: Höhe: 25 cm; Breite: 42½ cm; Jean Kammerer: Tiefe; 18 cm. Meine Burse könnte dazu. Oben- Oft hat man mich gefragt, ob uns Latein nicht als auf in’s Paket bitte ein Zettel mit dem Vermerk: gemeinsame Sprache diente. Oh nein! Mit Aus- „für die Kapelle“. nahme einiger Ausdrücke. Diejenigen, die sich am besten des Lateinischen als einer lebendi- September 1943 gen Sprache bedienen konnten, waren zweifel- Heinz Dresbachs Bitte erfüllte sich postwendend. los die Polen, aber ihr slawischer Akzent ließ Bereits am 5. September 1943 bedankte er sich bei dieses Latein schwer verstehen. Die Deutschen seiner Schwester: waren gut bis mittelmäßig und die Franzosen mit Welch übergroße Freude war es, als gestern die Kapellensachen kamen. Nicht nur guter, nein frommer Geschmack haben sie geschaffen mit 188 Es handelt sich vermutlich um das vor der Liturgiere- soviel emsigem Fleiß und vielen hineingestick- form am 2. Sonntag nach Epiphanie und am 4. Sonn- ten und gewobenen Gebeten und Wünschen. tag nach Ostern gesungene Jubilate. Der Text beginnt mit „Jubilate Deo universa terra [Jubelt Gott ihr Lan- de all]“. 193 Kammerer S. 110. 189 Vor der Liturgiereform Gesang zur Gabenbereitung/ 194 Vermutlich war Agnes Dresbach dort zur Erholung. Offertorium zum 12. Sonntag nach Pfingsten. 195 Schönstätter Marienschwester M. Annette Nailis, ge- 190 Lenz S. 267. boren am 11.12.1898, gestorben am 19.10.1984. 191 Schwake 1954, S. 2. 196 Auch „Leni“ war vermutlich Schönstätter Marien- 192 de Coninck S. 878. schwester.

51 Sie werden alle wunderbarer als gedacht in Er- Sooft wir des Tages die Kapelle betraten füllung gehen. Daran haben viele ihre Freude. oder den heiligen Raum verließen, wurde Weih- Ein vielfältiges, ganz herzliches Vergelt’s Gott. wasser genommen und das Kreuzzeichen ge- macht. An den Wänden der Kapelle waren die Johann Lenz: 14 Kreuzwegstationen des Meisters Fugel an- 14. September. Fest der Kreuzerhöhung bringt gebracht. Unzählige Male wurde von uns Prie- uns ein neues Altarkreuz.197 stern der heilige Kreuzweg gebetet – bisweilen auch gemeinsam. Unser Lagerleben war selbst November 1943 ein Kreuzweg wie noch nie zuvor. Die glattge- Johann Lenz: schorenen Köpfe, die Kleider, Schuhe und der Stacheldraht ... erinnerten uns ohne Unterlaß an November. Letzter Sonntag nach Pfingsten: den Karfreitag unseres Lebens.199 Einweihung unseres neuen Kreuzweges (G. Fu- gel) durch P. Guardian Hugo Montwe Ord. Cap.198 Johann Lenz: Advent. Neue Altarverkleidung (graue Halbseide Und in der Kapelle, da wußten wir hochauf- 200 gerichtet das größte Kreuz des Lagers über dem in dunklem Holzrahmen). Hochaltar. „Wir beten Dich an, Herr Jesu Christ und preisen Dich; denn durch Dein heiliges Weihnachten 1943 Kreuz und Leiden hast Du die Welt erlöst!“ Johann Lenz veröffentlichte in seinem Buch „Chri- Aus Rom, der Ewigen Stadt, kam uns jedoch stus in Dachau“ auf Seite 451 ein Bild der Lager- der wertvollste Kreuzessegen – durch das Se- kapelle im Weihnachtsschmuck und ordnete es dem genskreuz des Heiligen Vaters der Christenheit. Jahr 1943 zu. Auf Fotos von diesem Altar wird Der Hohepriester, Papst Pius XII., sandte täglich auch das Jahr 1944 angegeben201. dem Klerus im KZ Dachau seinen päpstlichen Johann Lenz: Segen. Auf seltsamen Umwegen haben wir im Weihnacht. Farbenschillerndes Altarbild (Weih- Spätsommer 1943 davon erfahren. Ein priester- nacht) vom polnischen Pfarrer Sarnik[202] auf der licher Neuzugang hatte es 1942 in Rom anläß- Plantage heimlich gemalt. Zwei neue Lampen lich einer Papstaudienz gehört. Bei uns Lager- am Hochaltar.203 priestern herrschte von Anfang an, bei aller Ver- schiedenheit der einzelnen, einhellige Begeiste- rung für den Stellvertreter Gottes auf Erden. Und wenn wir Gottes Wunder so mannigfach erlebt – Gott allein weiß es, wieviel uns das Segens- kreuz und das Gebet des Hl. Vaters, seine sittli- che Größe und sein Ansehen an Gottes Hilfe geschenkt! 199 Lenz S. 263. 200 Lenz S. 267. 197 Lenz S. 267. 201 Siehe: S. 71. 198 Lenz S. 267; Siehe auch: Meine Dachauer Chronik 202 Bei Weiler wird nur ein Seminarist Wladyslaw Sarnik (Gregor Schwake, 21.9.1945) im Archiv Karmel Da- geführt. chau. 203 Lenz S. 267.

52 Josef Fischer im Brief vom 1. Januar 1944: schmückt. Eine Weihnachtskrippe war aufge- Am Heiligen Abend hatten wir abends um 5.30 baut, der ganze Raum mit Tannenzweigen aus- Uhr feierliche Matutin[204] und Choralamt. An- gestattet. Am Festtage selbst wurde ein feierli- schließend saßen wir bis 11.00 Uhr froh bei- ches Hochamt gehalten, in dem der Chor unter sammen. Am 1. Weihnachtstag morgens gegen Begleitung eines Orchesters sang. Die Kapelle 9.00 Uhr Hirtenamt mit deutschen Liedern, an- war bis auf den letzten Platz besetzt. Auch Lai- schließend Predigt von Heinz [Dresbach]. Dann enkameraden hatten sich trotz schärfster Kon- feierliches Levitenamt mit Orchestermesse von trolle eingefunden. Auf dem Nachbarblock 28 Huber[205]. Am Spätnachmittag war feierliche standen die polnischen Priester auf der Block- Vesper. Dann eine stimmungsvolle Weih- straße und hörten zu. Die Lagerstraße zeigte nachtsfeier in der Stube. Seht, was alles möglich ebenfalls eine große Zahl von Zuhörern. Soweit war.206 mir erinnerlich ist, wurde dieser Festtag nicht 207 von der SS gestört.

Bis 1943/44 fanden Laien nur schwer Zutritt zur Lagerkapelle. Einer der ersten, dem es gelang, dort regelmäßig am Gottesdienst teilzunehmen, war der Franzose Edmond Michelet. Edmond Michelet: Der Hof, der den Block 24 der Franzosen vom nächsten [Block 26] trennte, war ausnahms- weise durch einen Stacheldrahtverhau ge- schlossen. So gab es einen eingezäunten Raum im Lager. Der Zugang war nicht einfach, son- dern erforderte Leistungen höchster Feldherrn- kunst. Um ihn zu erreichen, mußte sich die Überzeugungskraft des Diplomaten gelegentlich von der Schlagkraft des Boxers begleiten las- Lagerkapelle sen. Der zebragestreifte Wächter dieses Vorhofs Zeichnung von Ferdinand Dupuis war häufig mit einem Stock versehen, mit dem er die Frechlinge, die kühn genug waren, diese Hans Carls: Schwelle überschreiten zu wollen, nicht bloß be- Auf Block 26 wurde der Weihnachtstag festlich drohte. Die aufmerksame Wache brachte die vorbereitet. Die Kapelle war wundervoll ge- unerbittliche Dienstvorschrift, die den Profanen den Eintritt in das Heiligtum untersagte – „streng verboten“ – zur Anwendung. Heiligtum ist schon 204 Die Matutin (Nachthore) bezeichnet man Weihnach- das richtige Wort, weil es sich um den Block 26, ten als Mette. den der Pfarrer handelte. Die beiden ersten Stu- 205 Vermutlich der Schweizer Komponist Paul Huber ben waren in eine Kapelle verwandelt worden, (1918–2001), der unter anderem Kompositionen für Männerchöre geschrieben hat. 206 Fischer Bd. III, S. 20. 207 Carls S. 44.

53 nachdem die darin Untergebrachten sich so gut Umweg durch den Hof, um mich unter Drohun- sie konnten in den beiden anderen Räumen ein- gen aufzufordern, unverzüglich weiterzugehen. geschachtelt hatten, um diese Kultstätte zu be- Ich wurde von den polnischen Priestern der kommen. [...] Nachbarbaracke [Block 28] aufgenommen. Die- Unter all den üblen Narrenstücken ist dies se hatten ebensowenig wie wir Laien Zutritt zur wahrscheinlich das stärkste. [...] Kann man sich Kapelle. Wenn einer von ihnen sich dorthin vor- einen größeren Irrsinn vorstellen als den, der wagen wollte, wurde er entfernt, manchmal mit darin bestand, den nazifeindlichen Priestern, die Faustschlägen, wie ich selbst gesehen habe. meistens wegen des Verbrechens des Seelsor- [...] gemißbrauchs hierher deportiert worden waren, Als Deportierter, das ist selbstverständlich, auferlegen zu wollen, daß sie selber die wilden muß man gewisse Belastungen stillschweigend Türhüter der Naziordnung machen sollten, in- ertragen. Trotzdem belastete mich die Vertrei- dem man sie beauftragte, die Christen aus der bung aus der Kapelle schwer, und ich bekam Kapelle zu entfernen, dem einzigen Ort, wo sie erst Ruhe, als dieses unerträgliche Verbot für in dieser Hölle ein wenig Erfrischung, Ruhe und mich aufgehoben worden war. Ich hatte meine Frieden hätten finden können? Als ich ins Lager Empörung darüber bei Leo Fabing und Robert kam, war der gute Joseph Joos der einzige, der Müller ausgesprochen, aber diese beiden loth- es geschafft hatte, in den Block 26 frei ein- und ringischen Pfarrer galten als nicht „zuverlässig“, auszugehen. Der frühere Bürgermeister von und ihre Autorität im Block 26 war gering. Man Wien, der alte Schmitz, ein praktizierender Ka- rechnete sie zu den Franzosen: gefährliche, un- tholik, betete jeden Morgen vor dem Appell lan- disziplinierte Leute. Man unterstrich die Gefahr ge vor der äußeren Wand dieses für ihn un- für die ganze Gemeinschaft, wenn die unzähli- zugänglichen Raumes; er grüßte das Taberna- gen Bittsteller, die offenbar dem Gottesdienst kel, das er hinter dieser Wand wußte und kehrte beiwohnen wollten, den Sonderraum dem resigniert zurück wie ein Strolch, der von der Tür SS-Befehl zuwider überschwemmt hätten [...]. des Palastes weggejagt worden war. Ich selber Vielleicht habe ich unrecht, wenn ich diesen bemühte mich am Nachmittag des ersten Sonn- unglücklichen, durch Disziplin unterjochten deut- tages nach meinem Abschied aus der Qua- schen Pfarrern noch etwas nachzutragen schei- rantäne, das Innere des Heiligtums durch eine ne. Aber ich muß trotzdem unterstreichen, daß Öffnung zum Block 28 hin zu sehen. Ich kam mir erst, als unsere französischen Pfarrer anfingen, selber vor wie eine Reklamefigur von den Litfaß- selbst die Polizeigewalt am Eingang des reser- säulen, an die ich mich aus meiner Jugend erin- vierten Raumes auszuüben, das unerhörte Ver- nerte; es war ein armer Teufel, der seinen Hun- bot allmählich ausgehöhlt wurde. Der Eintritt in ger am appetitlichen Duft stillte, der ihm aus der die Kapelle wurde dann praktisch frei. Im Laufe Küche wohlhabender Leute zuströmte, welche des Sommers 1944 war es verhältnismäßig die Vorzüge einer berühmten Sauce zu schätzen leicht geworden, in den Block 26 zu gehen. Auf wußten. die Dauer duldeten die deutschen Pfarrer die Sobald er mich hinter der Scheibe sah, kam ständige Insubordination dieser hartnäckigen ein Pfarrer, der Harmonium spielte, [...] auf Franzosen, die ohne jedes Gefühl für den Impe- mich zu und bedeutete mir, schleunigst zu ver- rativ des „streng verboten“ waren. Was mich be- schwinden: „Streng verboten.“ Da ich tat, als ob trifft, so hatte die Empfehlung meines Freundes ich ihn nicht verstünde, machte er einen langen Diederich Hildebrand, des berühmten Münche-

54 ner thomistischen Philosophen, dessen Flucht in Leopold Arthofer: die Vereinigten Staaten ich im Laufe des Som- In den letzten zwei Jahren aber ließ sich selten mers 1940 unterstützt hatte, mir schließlich die mehr jemand [von der SS] in gehässiger Absicht dem Vater Joos bewilligten Privilegien einge- in der Kapelle blicken. Man beschränkte sich auf bracht. So erhielt ich den unvorstellbaren Vor- eine strenge Überwachung, daß keine Nichtprie- zug, der ergreifenden halben Stunde beiwohnen ster sich zur hl. Messe einfänden. zu können, die dem regulären Wecken voran- Unser Block war aus diesem Grunde mit ei- ging, lange noch, ehe die Schreier das gräßliche nem Abschlußgitter versehen worden und die al- „Aufstehen, aufstehen!“ in die Lautsprecher ten, arbeitsunfähigen Pfarrer, unser ältester 208 brüllten. [Stanislaw Pujdo] war 81 Jahre, mußten tags- Die kritische Periode [der Typhuserkrankung] über am Blockeingang Wache stehen und durf- war überwunden. Ich begann, meine Geister ten niemand einlassen, der nicht zu uns gehörte. wieder etwas zu sammeln. Aber wegen des ver- Da gab es wohl oft viel Verdruß und Unannehm- dammten Schorfes, der die geringste Bewegung lichkeiten, zumal die meisten von uns aus seel- unerträglich machte, konnte ich mich nicht rüh- sorglichen Gründen trotz des SS-Verbotes im- ren. Auboiroux fragte mich, ob mir irgend etwas mer geneigt waren, katholischen Laien den Freude machen würde. Als ich wohl auf nichts heimlichen Besuch des Gottesdienstes und den rechte Lust hatte, kam ihm ein Gedanke: Empfang der hl. Kommunion zu ermöglichen. „Du, das ist dir wohl auch nicht recht, daß du Gar manchesmal drohte uns die Lagerfüh- jetzt nicht mehr jeden Morgen in die Kapelle ge- rung, man werde uns Geistlichen wegen dieses hen kannst? Auf alle Fälle paß mal auf: Bis du immer wieder vorkommenden „Mißbrauches" die dort wieder hinkannst, werde ich an deiner Stelle Kapelle entziehen. Es mußte doch ein strenger hingehen. Ich werde eine halbe Stunde Wache Befehl aus Berlin vorliegen, so daß uns dieses stehen. Ich werde die Überbrückung sicherstel- Leid erspart blieb.211 len, wenn du willst.“ Joseph Rovan: So kam es, daß in den folgenden Tagen die Während die deutschen Priester sich besonders Pfarrer von Block 26 die Überraschung erlebten, vor dem Rapportführer Böttcher [Böttger] fürch- den gar wohl bekannten französischen Kommu- teten, gab es einen jungen SS-Mann namens nisten Auboiroux vor dem Tabernakel als Ehren- Schmidt, der jedesmal, wenn er mit den Prie- wache stehen zu sehen, bekleidet mit seinem stern allein war, seine Sympathie und sogar sei- unvermeidlichen senffarbigen kurzen Paletot nen Respekt für die Religion und für ihre Diener [Mantel], die Taschen vollgestopft mit der retten- bekundete; so drückte er auch ein Auge zu, den Holzkohle und den Cresol-Eimer[209] zu sei- nen Füßen.210

208 Michelet S. 114–119. mit einem roten Ausweis und einer gleichfarbigen 209 Michelet S. 217: Armbinde in dem ganzen Gebiet des Typhusbe- Sie [zwei Häftlinge] sollten alle Türgriffe zweimal reichs kommen und gehen, wie wir wollten; in der täglich mit Cresol bepinseln, um sie als Überträger einen Hand den Eimer mit Cresol, den Pinsel in der mörderischen Läuse weniger gefährlich zu der anderen. 210 machen. Diesen absonderlichen Vertrauensposten Michelet S. 219 f. erhielten Auboiroux und ich. So konnten wir beide 211 Arthofer S. 50 f.

55 wenn konfessionslose Häftlinge an der Messe lichen Lebens in unsere Ödnis, in unser Exil, wo teilnahmen, was eigentlich strikt verboten war.212 Menschen dazu verurteilt waren, Zwangsarbeit Die Lage der Gläubigen in Dachau änderte zu verrichten, zu sterben oder sich gegenseitig sich schlagartig im Juli 1944 nach der Massen- umzubringen. ankunft der Franzosen, die am 19. Juni und 2. Schon am ersten Sonntag nach ihrer Entlas- Juli in Compiègne in Güterzügen verfrachtet sung aus der Quarantäne strömten die jungen worden waren und sich bei ihrer Ankunft auf an- Franzosen in großer Zahl zur Kapelle, um an der nähernd 4000 Gefangene beliefen (bei ihrer An- Messe teilzunehmen! Panik bei den deutschen kunft wohl gesagt, denn der zweite Zug – der Priestern: Wenn die SS von dieser massiven unsere – hatte unterwegs 900 Mann „verloren“: Disziplinlosigkeit, von diesem massiven Bruch getötet, erstickt, niedergemetzelt). Kurz darauf, des kleinen Dachauer „Konkordats“ Wind be- im September, trafen weitere Massentransporte kommt, wird sie die Kapelle schließen, und der aus Frankreich ein, mit insgesamt 12.000 Mann, Gottesdienst kann nicht mehr stattfinden! In ihrer von denen etwa die Hälfte im Hauptlager blieb. ureigenen religiösen Logik war ihnen, den deut- Die Franzosen waren in ihrer Mehrzahl junge schen Priestern, die Eucharistie wichtiger als die Leute, die meist der Résistance angehörten, Anwesenheit der Gläubigen. Es mußte also et- doch eher der „gaullistischen“ als der kommuni- was geschehen, um die allzu eifrigen Franzosen stischen; was soviel heißt, daß ein hoher Pro- am Besuch der Messe zu hindern. Nun gab es zentsatz unter ihnen praktizierende Katholiken im Lager neben den deutschen, österreichischen waren. Die katholischen Jugendverbände hatten und „angegliederten“ katholischen Priestern (un- in der Tat einen bedeutenden Beitrag zum Wi- gefähr 350) auch eine kleine Gruppe evangeli- derstand gegen die Besatzung und ihre Kollabo- scher Pastoren. Diese hatten es sich zur Ge- rateure geleistet. wohnheit gemacht, gleichfalls am Sonntag, un- Andere wiederum, die in normalen Zeiten der mittelbar nach der katholischen Messe und in Kirche eher fernblieben, fühlten sich in einer Si- derselben Kapelle, ihren eigenen Gottesdienst tuation, in der sie auf Schritt und Tritt mit ent- abzuhalten, wodurch die Kapelle zu einem öku- setzlichen und für sie meist unbegreiflichen Ge- menischen Ort geworden war. Mir ist nicht be- fahren konfrontiert wurden, zu ihrem früheren kannt, ob die SS über diese Regelung, die an- Glauben zurückgeführt. Kaum hatten die Fran- gesichts der geringen Zahl von Pastoren kein zosen die Quarantäneblocks verlassen, da teil- Problem darstellte, wirklich Bescheid wußte. ten sie einander die frohe Kunde mit: „Prima, Während der Messe hatten die Pastoren hier gibt's eine Kapelle; wir können zur Messe nichts zu tun; sie warteten vor dem Eingang der gehen.“ Kapelle, neben dem Gitter, das den Priester- Nicht nur der Wunsch, Gott dafür zu danken, block von der Lagerstraße trennte. daß man all die Gefahren heil überstanden hat- Obwohl dieser Zaun kein großes Hindernis te, stand hinter diesem Ausruf, oder das Be- darstellte, da man an dieser Stelle eine jederzeit dürfnis, auch bei künftigen Gefahren seine Hilfe offene Tür eingebaut hatte, hob sie den beson- anzurufen: Eine Kapelle, eine Messe, Priester im deren Charakter des Ortes hervor, zumal die sazerdotalen [priesterlichen] Gewand, das war Lagerstraße und die anderen Wohnblocks durch wie der Einbruch des früheren Lebens, des wirk- nichts getrennt wurden (im Gegensatz zu den Blocks im Ostteil, die sämtlich umzäunt waren, 212 Rovan S. 160.

56 weil sie als Revier oder Quarantäneblocks dien- lich hatte Edmond Michelet, ausnahmslos von ten). allen respektiert, sozusagen jeden Tag Zutritt Eines Sonntagmorgens, ein paar Wochen zur Kapelle.214 nach der Ankunft der großen französischen Jean Kammerer: Transporte, fanden die Gläubigen, die gerade Der Druck der französischen Priester, die die die Messe besuchen wollten, die Tür geschlos- Zahl von einhundert überstiegen, hatte die deut- sen und dahinter, mit Knüppeln bewaffnet, die schen Priester ab Anfang 1944 veranlaßt, die evangelischen Pastoren, die von ihren katholi- Kapelle diskret für Laien zur Sonntagsmesse zu schen Kollegen beauftragt worden waren, sich öffnen. Die SS schien die Augen zu schließen. als Hilfspolizisten zu betätigen. Die Sache wir- Um eine angemessene Zahl zu wahren, wurde belte einigen Staub auf. Katholische Pfarrer be- in der Mitte der Woche durch Mundpropaganda dienen sich evangelischer Pastoren, um franzö- ein lateinisches Paßwort bekanntgegeben, und sische Gläubige an der Erfüllung ihrer sonntägli- jeder konnte zwei oder drei Laien davon in chen Pflicht zu hindern ...! Kenntnis setzen, so daß sie an der Messe des Die unter den Neuankömmlingen zahlreichen kommenden Sonntags teilnehmen konnten. Ein französischen Priester und Seminaristen prote- Numerus Clausus für die Sonntagsmesse, um- stierten gegen diesen Eingriff bei ihren deut- gekehrtes Apostolat. Deutsche Priester hielten schen Amtsbrüdern, von denen viele an dem Wache am Eingang der kleinen Allee, die am Vorfall ebenfalls Anstoß genommen hatten. Am Block entlang zum Eingang der Kapelle führte. darauffolgenden Sonntag war dann der Weg Ich habe gesehen, wie einer von ihnen Laien, wieder frei, und auch seitens der SS erfolgten die überzählig waren, mit Fußtritten verjagte. keinerlei Sanktionen gegen die Kirchenge- Trauriges Schauspiel der unerwarteten Konse- 213 meinde des Lagers. quenzen unseres klerikalen Privilegs!215 Joseph de La Martinière: Theodor Brasse: Manchmal gelang es uns, heimlich einen Laien Als im Jahre 1944 sich die Lagerdisziplin von in die Kapelle zu schleusen. Thomasset schreibt Tag zu Tag lockerte, wurde den als religiös be- mir: „An einem Sonntag im September [1944] kannten Laien der Zugang zur Kapelle weitest- sind wir uns nach dem Appell auf der Freiheits- gehend geöffnet. Schon lange vorher waren die straße [Lagerstraße] begegnet und Du hast mich als wirklich religiös bekannten Katholiken regel- gefragt, ob ich an der Messe teilnehmen wolle. mäßig zum sonntäglichen Gottesdienst zugelas- Als ich bejahte, hast Du mich auf Block 26 ge- sen worden. Allerdings erwies sich auch eine führt, wo ich an einer Stillen Messe teilnehmen Überprüfung der einzelnen als notwendig, da konnte, an die ich mich Dank Deiner mein Leben sonst die Kapelle zu auffallend überlaufen und lang erinnern werde.“ auch nichtswürdige Elemente unter der Angabe Vor allem in den letzten Monaten konnten ei- religiöser Bedürfnisse sich eingeschlichen hät- nige Franzosen mit einem gewissen Bekannt- ten. Daß bei der Absonderung am Blocktor Irr- heitsgrad wie der General Delestraint in die Ka- tümer unterliefen, ist bedingt durch menschliche pelle gehen, ohne zurückgewiesen zu werden. Unsere deutschen Mitbrüder zeigten sich lang- sam etwas weniger unerbittlich. Selbstverständ- 214 de La Martinière S. 22. 213 Rovan S. 164–166. 215 Kammerer S. 102 ff.

57 Unvollkommenheit und war nie veranlaßt durch schen zur Kirche, zu Gott hinzuführen, wir müs- kleinliche Furcht oder selbstsüchtige Gründe.216 sen sie mit Gewalt zurückhalten. Und es waren Johann Lenz: Hunderte, es waren Tausende, die mit aufrichti- In unsere Kapelle zu gelangen, war für die mei- ger Gottessehnsucht ins Heiligtum strebten. Sie sten Nichtpriester ein wahres Kunststück, ja für haben unsere Abweisung natürlicherweise bitter viele oftmals unmöglich. Das Verbot war zu empfunden, wenngleich sie auch oft genug dafür streng. Es kam von der Lagerleitung und von Verständnis bewiesen. Größer jedoch war viel- Berlin. Somit war die Gefahr für die Kapelle zu leicht unser Schmerz, daß wir als Priester ob der groß. Auch das jeweilige Stimmungsbarometer Lagerverhältnisse gezwungen waren, so ver- der Lagergewaltigen mußte ständig abgelesen kehrt zu handeln. werden. Auswärtiger Besuch im Lager konnte „Ich war“, erzählt unser Dechant Schelling, gerade in dieser Hinsicht auch gefährlich für uns „nicht bloß dem Lagerführer, sondern – freilich sein, da er von der Lager-SS und dem Lageräl- nach einer anderen Richtung – auch der Prie- testen begleitet wurde. Und die Laune der Gott- stergemeinde gegenüber verantwortlich, daß die losen ist von jeher ein Schilfrohr im Sturm der Kirche im Dorf bleibe. Kaum einer vom ganzen Zeit. Priesterblock konnte eine Übersicht haben über Dazu kam die Gefahr von Seiten der Spione. alles, was gegen uns im Lager vorging. Kein Diese Söhne der Finsternis mischten sich eifrig einziger Häftling weiß heute, wie gefährlich oft unter die Frommen, welche die Kirche besuchen die Lage war, besonders zur Zeit von Wernicke. wollten. Dechant Schelling wußte am besten, Noch unmittelbar bevor (im März 1945) ‚Die welche Schwierigkeiten sie bereiteten. Darum große Entlassung’ begann, ging eine schwere wachte er zu kritischen Stunden mit einigen Hel- Verleumdungsanzeige gegen unseren Priester- fern am Tor, auf daß kein Unbefugter herein- block zum Reichssicherheitshauptamt nach Ber- komme, vor allem kein Spion. Keinem gefährli- lin. In diese Situation hinein muß man den Kir- chen Mitgefangenen durfte leichtfertig eine chenbesuch der Laien stellen. Tatsächlich waren Handhabe geboten werden, unsere Priesterge- öfters ein- bis zweitausend Laien an einem ein- meinschaft und unseren Gottesdienst zu stören. zigen Sonntag im Gottesdienst. Es verdient her- Der Andrang der „Illegalen“ oder „Blockfrem- vorgehoben zu werden, daß die Tschechen den,“ wie man sie nannte, richtete sich nach der diesbezüglich am klügsten vorgingen; von ihnen Größe des kirchlichen Festes. Doch nach der hatte man nie eine Verlegenheit zu fürchten.“ Stärke der „dicken Luft“ mußten sie zurück- Es ist selbstverständlich, daß wir daneben gehalten und abgewiesen werden – eine wahr- auch vielen Kameraden Einlaß gewährten, ja haft peinliche Abwehr. sehr häufig sie heimlich holten und herein- [...] schmuggelten. Man führte sie zur heiligen Mes- Die armen Gefangenen drängten zur heiligen se und zu den hl. Sakramenten. Nachher wurde Messe und – mußten abgewiesen werden. Es in frohem Beisammensein oft der letzte Bissen war ein schwerer, erschütternder Kampf. Wir mit ihnen geteilt. Die meisten quälte ja noch viel Priester, von Gott dazu berufen, die Mitmen- mehr der leibliche Hunger. Auch wird der gute Priester niemals bloß den seelischen Hunger der 216 Armen anerkennen, ohne ihre leibliche Not zu Brasse S. 1116. Er stützt sich auf Berichte von Mit- häftlingen, denn er selbst war bereits am 16.9.1943 beachten. Aber er wird auch denen keinen be- entlassen worden. wußten Vorschub leisten wollen, denen die see-

58 lische Not nur ein Vorwand ist, um die Herzens- Jahr des Herrn 1944 güte des Priesters leichter zu mißbrauchen. Johann Lenz: Wer aber konnte ihr Herz durchschauen, ihre Mit der ärmsten Einrichtung, mit wahrhaft reine Absicht prüfen? Sind es nicht ebensooft bethlehemitischer Armut hatte unsere Kapelle die schlimmsten Elemente als auch die besten, begonnen. Aber es blieb nicht dabei. Drei Jahre die am zudringlichsten sind beziehungsweise al- später hatte sie eine Ausstattung, die auch einer le Schwierigkeiten in unerschütterlicher Geduld Stadtkirche Ehre gemacht hätte. Auf legalem besiegen? Wege konnte nicht viel hereinkommen und auch [...] dies Wenige kam zumeist auf Anregung der Ein seltsamer Kampf! Es war ein alltägliches Priester. Vieles kam ungefragt herein – auf dem Erlebnis im Lager Dachau, ganz besonders aber Wege der Pakete oder durch „Tarzisiuswege“ am Sonntag. Es kam dabei uns allen zustatten, über die Plantage. daß Priester und Nichtpriester äußerlich nicht zu Noch mehr aber wurde im Lager selbst be- unterscheiden waren. Die Kehrseite jedoch war, schafft. Hier wurde es hergestellt. Alle möglichen daß uns selbst die Unterscheidung oft Schwie- Facharbeiter und Künstler waren in Dachau zu rigkeiten machte und die Vorsicht um so not- finden. Aber auch alles denkbare Material war wendiger wurde. Hunderten und Tausenden von hier aufzutreiben. Man mußte nur den rechten Nichtpriestern gelang es dennoch immer wieder, Mann finden, der das Material beschaffte, den in Block 26 und seine Kapelle zu gelangen. Oft rechten Mann, der es bearbeitete. Das ging nur wurden wir deshalb angefeindet, verklagt und auf dem Weg der „Organisation“. Die Priester mit Drohungen erschreckt. Und heute ist es mir hatten seit Ende 1942 Lebensmittel und Rauch- unfaßbar, daß trotz allem unser Heiligtum in Da- 217 waren aus ihren Heimatpaketen und auch Geld. chau nicht erschüttert werden konnte. Solche Dinge bahnten den Weg. Es war ein Franz Weinmann: Weg zahlloser kleinerer und größerer Opfer, Und so haben wir uns schließlich im letzten hal- aber es galt unserem Heiligtum, unserer Ka- ben Jahr praktisch fast nicht mehr um das Ver- pelle. bot der „Laienseelsorge“ gekümmert und haben Wohl fanden wir auch Arbeiter und Helfer, mit unserer Kühnheit gesiegt. Ganze Scharen die uns sehr selbstlos beigestanden sind. Aber strömen nun schon seit Monaten jeden Sonntag wir wollten und durften ihren Edelmut nicht aus- in die Kapelle, und größere Verwarnungen kom- nützen. Wir setzten vielmehr Großmut gegen men nicht mehr. So werden in der Tat die Got- Großmut, und glänzend gedieh das Werk. tesdienste an den Sonntagnachmittagen, wo wir Etwa ein Jahr lang hatten wir jeden Sams- schon seit längerer Zeit mehrere heilige Messen tagnachmittag, der im allgemeinen für viele ar- feiern, zu reinen Laiengottesdiensten. Das ist beitsfrei war, einen Schreiner beschäftigt. Ei- auch dadurch möglich, daß uns Priestern im gentlich waren es zwei: [A. Wohlmuth] ein Stei- Verlauf der letzten anderthalb Jahre anerkann- rer und, als dieser zum Militär mußte, ein Ober- termaßen in der Abhaltung und Gestaltung des österreicher [Alois Urz]. Jahraus, jahrein auch Gottesdienstes größere Freiheiten eingeräumt einen Gärtner aus Innsbruck für den Blumen- 218 wurden. schmuck der Kapelle. Besonders an Festtagen überraschte uns oftmals eine herrliche Blumen- 217 Lenz S. 231–233. pracht auf beiden Altären. Dann war wiederum 218 Weinmann S. 192. ein Elektriker nötig, um heimlich neue Lichter

59 oder Umleitungen anzubringen oder schadhafte Januar 1944 Stellen auszubessern. Dann brauchten wir einen Johann Lenz: Maurer, Schneider, Glaser... Jänner – Marienaltar und Kredenz erhalten die- „Beide Altäre?“ – Neben dem Hauptaltar selbe Altarverkleidung wie der Hochaltar (künf- links in der Ecke, diagonal zum Raum, stand tige Meßaltäre).220 nämlich der schöne Marienaltar. Die herrliche Marienstatue hatte den Anlaß dazu geboten. In Februar 1944 langwieriger Arbeit hatten unsere Tischler für Johann Lenz: beide Altäre, die aus Lagertischen bestanden, 27. Februar – 1. Fastensonntag: Weihe des eine würdige Verkleidung geschaffen. Ihre Vor- neuen Altarkreuzes aus Münster. Es war ver- derseite war ein in breitem, dunkelbraunem mittelt durch H. Reinh. Friedrichs, den Fasten- Holzrahmen eingespanntes silbergraues Halb- prediger dieses Jahres.221 seidentuch. Später auch noch bei der Kredenz.

Die Vorderseite des Hochaltares erlebte ferner einen wechselnden Schmuck. Erst anfangs Jän- März 1944 ner 1942 hatte das Christusmonogramm den Johann Lenz: damaligen Lagerführer in Raserei versetzt. Nun 19. März – St. Josef-Relief, von P. Mak. Spitzig (Trappist) verfertigt – im „Kommando Schnitze- gab es dafür neue liturgische Zeichen und Wor- 222 te, ständig wechselnd nach den Festzeiten des rei“ [in der DAW]. Kirchenjahres. Kaplan Steinbock verstand es, Léon de Coninck: sie herzustellen in Silber- und Goldpapier, sie Mit oder ohne Einwilligung der Lagerleitung wur- kunstvoll zu fassen und anzuheften. de die Ausstattung unseres Heiligtums all- An Material jedoch – was jeden überraschen mählich reicher. So war der Altar am Ende sehr wird – war vielfach kein Mangel. Die Raubkam- würdig, ganz die Frucht des Erfindungsgeistes mern der SS waren überreich gefüllt. Dinge, die der Häftlinge. So das Tabernakel, das, natürlich draußen in der Freiheit längst nicht mehr zu be- heimlich, in der Luxusmöbelschreinerei des La- kommen waren, konnte man hier beschaffen. gers angefertigt worden war; seine Verzierungen Noch im Februar 1945 hatten wir z. B. mit be- bestanden zuerst aus Weißblech, später aus stem Maschinenöl den Fußboden unserer Ka- Messing, das man „dem Feinde wieder abge- 223 pelle eingeölt. Geheimnis der „Organisation“. Wir jagt“ hatte. haben natürlich all diese Dinge einem gewis- senhaft überlegten und vernünftigen Zweck zu- April 1944 geführt. Es war das gerechte Streben des Johann Lenz: Selbstschutzes für unsere leiblichseelische 219 8. April – Karsamstag: Neue Lampen fürs „Ewi- Selbsterhaltung. ge Licht!“224

220 Lenz S. 316. 221 Lenz S. 316. 222 Lenz S. 316. 223 de Coninck S. 877. 219 Lenz S. 184 f. 224 Lenz S. 316.

60 Im Jahre 1943 war dieser [erste] Tabernakel ebenfalls aus Birnbaumholz. Etwa einen Monat zu klein geworden. Er wurde Ostern 1944 durch nach Aufstellung erhielten der Hochaltar und der eine fachgemäße Kunstschreinerarbeit aus Marienaltar „elfenbeinfarbene Hintergründe“ in Birnbaumholz ersetzt (40 x 40 x 28 cm groß). Er der Art von Paravents. Die hinter dem Hochaltar war von rotbrauner Farbe, fein poliert, mit Einle- aufgestellte Wand war als dreiteilige Rahmen- gearbeit geschmückt und zweitürig. Auch trug er konstruktion ca. 4 m lang und erreichte Decken- vorne eine Strahlensonne, aus Messing gestanzt höhe. Der hinter dem Marienaltar stehende Pa- und zwei anbetende Engel, aus Kupferblech ge- ravent war von gleicher Höhe und lediglich ca. schnitten.225 1,5 m breit. 99 Als Marketerie wird eine Verzierungstechnik auf Eike Christian Lossin: Möbeln bezeichnet, bei der Muster, Ornamente und auch Bilder verschiedenfarbiger Furniere Der Tabernakel, wie auch die Leuchter und die und holzfremder Materialien auf eine so ge- Leuchterbänke wurden aus Birnbaumholz, ei- nannte Blindholzkonstruktion aufgeleimt werden. nem feinwüchsigen, durchaus teuren Edelholz, Diese „mosaikartigen Muster“ von gleicher Dicke hergestellt. Auf den beiden Türen des Taberna- werden im allgemeinen in einem zweiten Ar- kels befanden sich, wie auch schon beim ersten beitsschritt geglättet und durch Lack-, Öl- oder 226 Exemplar je eine Engelsfigur, die, aus Kupfer- Wachspolituren oberflächenveredelt. blech ausgestanzt, auf einem dreistufigen Sok- kel kniend in Gebetshaltung die Köpfe zu- Johann Lenz: einander neigten. Im Gegensatz zur ersten Ver- Hinter diesem Sakramentshäuschen ragt ein sion der Verzierungen auf den Tabernakeltüren Kruzifix empor, 1.25 x 0.72 x 0.08 m groß. Eine waren diese als Marketerie99 ausgeführt. Der Spende der Männerkongregation aus der Mün- Eindruck eines dreistufigen Sockels wurde durch steraner Künstlerschule. Es ist ganz aus Ei- je drei hellere Furnierplättchen erreicht, die in chenholz und etwas zu dunkel gebeizt. Der Altar horizontaler Ausrichtung und abgestimmter farb- selbst ist 2 x 1 x 0.75 m groß. 50 cm sind frei für licher Auswahl einen räumlichen Effekt erzielten. den Opfertisch (mensa). Rechts und links vom Über den Engelsfiguren war eine halbkreisför- Kreuz je drei schöne Kerzenleuchter aus Holz – mige Sonne aus Messingblech eingelegt wor- ebenfalls Lagerarbeit. Der ganze Altar stand seit den. Der übrige Raum auf den Türflügeln wurde 1941 auf einem Podium (3 x 3 x 0,15 m) aus von dunkelrot gebeiztem Birnbaumfurnier einge- Tannenholz. nommen. Die Traversen [Querbalken] und Lise- Rechts vom Altar stand die Kredenz, die 1,10 nen [Leisten], gleichzeitig die horizontalen und x 0,88 x 0,80 m groß war. Ein dreiteiliger Sockel vertikalen Außenkanten des Bodens, des Dek- erhob sich auf der Rückseite. Darauf war jeweils kels sowie der Wände, grenzten sich durch ihren ein Herz-Jesu-Bild, ein Josefs-Relief (20 x 40 cm wesentlich helleren, gelben Farbton von den Tü- – von P. Spitzig O.S.B. im Lager geschnitzt), ein ren ab. [...] Bruder-Konrad-Bild u. a., mit Blumen ge- Die zweistufigen Leuchterbänke, von je ca. schmückt, zur Verehrung ausgestellt. In den 60 cm Länge und ca. 17 cm Höhe bestanden, letzten Monaten des KZ wurde die Kredenz so- genauso wie die sechs 50 cm hohen Leuchter, gar sehr häufig als dritter Meßaltar benützt.

225 Lenz S. 188. 226 Lossin S. 113 f.

61 Links vom Hochaltar sah das Predigtpult in mals hätte er einen solchen Mißbrauch geduldet. den Kapellenraum. 1,42 m hoch und 52 cm breit In unserem Heiligtum war niemals etwas zu fin- stand es auf einem Podium von 100 x 75 x 20 den, was dem heiligen Zweck des Raumes nicht cm Größe. Zwei Schritte weiter hatte zumeist entsprach. Die ganze Priestergemeinde hätte das Harmonium seinen Platz. [...] sich darüber empört. Gegen solch unheiligen Rechts daneben, der halben Südwand ent- und gefahrvollen Besitz hätten wir uns alle uner- lang und bis zur Fensterhöhe reichend, er- bittlich gewehrt. Die waffenlose Macht der Kirche streckte sich ein „organisiertes“ Schuhregal. Bis Gottes kämpft nicht um ein irdisches Reich, Ende 1942 durfte man nicht mit den Schuhen noch viel weniger kämpft sie mit blutigen Waf- die Blockräume betreten, auch die Kapelle nicht, fen. da sie ja stets – besonders der Fußboden – auf Nachmittags erschien tatsächlich SS-Rap- „Besuchsglanz“ dastehen mußte. Unsere Fuß- portführer Tr. [Trenkle]. Er war wegen seiner Ro- bekleidung jedoch – mit Schuhen und noch viel heit besonders gefürchtet. Begleitet von einem mehr ohne Schuhe – ist wohl eine beispiellose SS-Mann, der bei uns den Namen „Gläserklau“ Mustersammlung von hilflos zerrissenen Socken hatte. Schelling empfing beide wie zufällig am bis zum hochkultivierten Hausschuh (im Lager Tor und führte sie auf ihren Wunsch in die Ka- hergestellt). Seit 1942 wurden in diesem Schuh- pelle. Sie betraten den heiligen Raum natürlich regal die Lagerbreviere und andere religiöse Bü- ohne ein Zeichen von Ehrfurcht. Sie suchten ja cher aufbewahrt. nicht unsern Herrn, sondern phantastische Über- Hinten in der Mitte des Raumes erhob sich raschungen: Sender und Waffen! der braune Kachelofen, fest in den Boden ge- In der hinteren linken Ecke der Kapelle war setzt. Er wurde nur wenig benützt.227 ein kleiner Verschlag, ein Aufbewahrungsraum. Sender und Waffen? Tr. stürzte sich darauf – nun hat er den „Beicht- Es war im Frühjahr 1944. Da kam eines Tages stuhl“ gefunden! Schon die Lagerführer Z. [Zill] eine SS-Kontrolle in unsere Kapelle. Wir hatten und H. [Hofmann] hatten am gleichen Ort trium- schon lange etwas Ähnliches erwartet. Jede phierend eine – Enttäuschung sich geholt. Wir Stunde mußten wir darauf gefaßt sein. Niemals brauchten keinen Beichtstuhl – trotz der vielen jedoch hätten wir es für möglich gehalten, daß Beichten, die wir hörten. man bei uns allen Ernstes Radiosender und Aber – o weh! Hinter dem Ofen versteckt, Waffen suchen könnte. kniete ein einsamer Beter. Man hatte ihn nicht Dennoch erlebten wir es. Immer wieder ge- mehr rechtzeitig warnen können. Nun war es zu langten nämlich heimliche Nachrichten über das spät; er konnte nicht mehr unauffällig ver- KZ Dachau ins Ausland. Erschreckt und erbost schwinden. Das war nun deshalb besonders ge- fragte sich die SS, wie denn solches möglich fährlich, weil auf seinem roten Schutzhaftwinkel wäre! Da muß wohl ein Geheimsender vorhan- ein kräftiges „P“ stand – also ein polnischer Pfar- den sein – wohl gar bei den Pfaffen in der Ka- rer auf dem deutschen Priesterblock. pelle. Vielleicht auch verborgene Waffen? Tr. übersah jedoch in seinem großen Eifer Unserem Oberkaplan [Georg Schelling] wur- diese unverhoffte Entdeckung. Er nötigte den de die Besuchsgefahr rechtzeitig verraten. Er vermeintlichen „deutschen Pfarrer“, die Kohlen- hatte überdies ein gutes Gewissen, denn nie- kiste zu heben und suchen zu helfen. Das Un- glück aber wollte, daß dieser Pole zufällig kein 227 Lenz S. 188 f. Deutsch verstand. Gegen das strenge Verbot

62 der Lagerleitung war er vom Block 28 herüber- gekommen. In diesem kritischen Augenblick ge- Auf Grund der Ankunft des französischen Bischofs lang es dem Oberkaplan, diesem Mann aus der Gabriel Piguet von Clermont am 6. September gefährlichen Lage zu helfen, indem er selbst mu- wurde die Liturgie in der Lagerkapelle ab dem 25. tig die geforderte Arbeit leistete. September feierlicher. Nach vergeblichem Suchen ging es weiter zum Hochaltar, zum Marienaltar, zum Sakristei- Der Eifer, der bisher für die Ausgestaltung der tisch. Alles Suchen blieb jedoch erfolglos. Der Kapelle an den Tag gelegt wurde, richtete sich nun priesterliche Begleiter konnte ein heimliches auch auf die Ausstattung des Bischofs mit Pon- Schmunzeln nicht unterdrücken, während zu- tifikalgewändern.232 gleich die SS-Enttäuschung immer größer wur- de. Endlich begriffen diese zwei „Sieger“ doch, Johannes Burkhart: daß sie auf völlig falsche Spur geraten waren. Ein Pontifikalamt im KZ Dachau Mit abgekühltem Eifer verließen sie unser Heili- Es herrschte große Freude auf Block 26 als im gtum. Nun ließ beim Abzug Herr Tr. sich hören. Sept. 1944 der Bischof von Clermont-Ferrand Er meinte wohl ein hohes Lob zu spenden. „Die mit einem Transport aus Natzweiler bei Straß- Pfarrer sind doch nicht so schlecht, wie man sie 228 burg eintraf. Nun hatten wir einen Bischof unter für gewöhnlich hält!“ – Wir danken! uns. Der Gottesdienst konnte also noch feierli- cher gestaltet werden, ein Pontifikalamt konnte Sonntag, 16. April 1944 gefeiert werden. Aber zunächst galt es, die Pon- François Goldschmitt: tifikalgegenstände zu beschaffen. Viele Hände Am weißen Sonntag 1944 feierte er [René Lani- rührten sich, um zu „organisieren“. Ein kunster- que] in der Dachauer Kapelle sein 25-jähriges fahrener Benediktinerpater, der in der DAW- Priesterjubiläum, einfach und ergreifend. Im Spielzeugabteilung beschäftigt war, schnitzte ei- ganzen 1030 Tage von der Heimat entfernt.229 nen prächtigen Stab. Ein Silberschmied verfer- tigte in „Schwarzarbeit“ ein einfaches nettes August 1944 Brustkreuz und einen Ring. In der sogenannten Johann Lenz: Wäschekammer durchsuchten wir alle Decken- 15. August – Hochaltar und Marienaltar erhalten bezüge, die die SS zusammengestohlen und den schönen elfenbeinfarbenen Hintergrund.230 nach Dachau ins Magazin verbracht hatte. Und wirklich, wir fanden einen brauchbaren Decken- September 1944 bezug in violetter Farbe. Dieser wurde von ei- nem Mitbruder [Peter Bauer], der vor seinem Johann Lenz: Studium das Schneiderhandwerk erlernt hatte, Anfang September. Block 26 wird vergeblich ge- zu einem violetten Talar umgearbeitet. Auch drängt, auf die Kapelle wegen „Platzmangel“ 231 weißer Seidenstoff fand sich, aus dem eine Mitra freiwillig zu verzichten. gefertigt werden konnte. Ein französischer Geist- licher hatte in seinem Besitz rote Hausschuhe. 228 Lenz S. 194–196. Diese wurden zu Pontifikalschuhen erhoben. 229 Goldschmitt Nr. 2, S. 59. 230 Lenz S. 317. 231 Lenz S. 317. 232 Siehe: Seeger/Latzel S. 76–84.

63 Besondere Schwierigkeit bot die Herstellung des patronin erklärt. – Uraufführung der neuen violetten Pileolus (kleines Käppchen). Ein evan- Volksmesse des Pater Schwake O.S.B. – Erster gelischer Schneidermeister aus Frankfurt verfer- feierlicher Segen des französischen Bischofs tigte 7 Stück, bis endlich eines die richtige Form Gabriel Piguet.236 besaß, von dem der Bischof auch dann erklärte, Andreas Rieser: er hätte noch nie eines getragen, das so gut [...] der kurz zuvor aus Frankreich in Dachau paßte. Es war also alles vorbereitet. Halt! In den eingelieferte Bischof Monsignore Gabriel Piguet späten Abendstunden fiel noch einem ein, daß von Clermont-Ferrand spendete uns an diesem die Pontifikalhandschuhe fehlen. Ich eilte in die Marienfest in feierlicher Weise den ersten Ponti- Kleiderkammer, hatte Glück. Da lagen frisch ge- fikalsegen.237 richtete Operationshandschuhe, schnell packte Gregor Schwake: ich ein Paar und eilte fort. Nachher stellte es Weil im Lager die Instrumente und die besten sich heraus, daß ich in der Eile zwei gleiche Musiker waren, stützten wir alle Volkssätze [der rechte Handschuhe erwischt hatte. Aber die fei- Dachauer-Messe] mit einem Blechbläserquar- nen Handschuhe ließen sich dehnen und strek- tett. Die Messe hat durch das halbe Lager ge- ken und paßten schließlich doch. klungen. Weihnachten sangen wir sie zum zwei- So fehlte nun wirklich gar nichts, um ein Pon- ten, Epiphanie zum dritten Mal. Am Weih- tifikalamt in voller Prachtentfaltung zu feiern. Ich nachtsfest sogar zu einem Pontifikalamt.238 glaube beinahe, daß weder der Bischof noch die Léon de Coninck: anwesenden Priester je mit solcher Andacht und Hervorragende Musiker unter uns konnten sogar Herzensfreude einem Pontifikalamt beigewohnt 233 komponieren; wir hatten sogar eine Missa Da- haben. chauensis [Dachauer-Messe]. Hoffentlich wird, zum größten Nutzen der sakralen Kunst, mein Die von Gregor Schwake komponierte „Dachauer guter Freund Pater Gregor Schwake OSB diese Messe“ als „Missa antiphonaria“ mit Blechbläsern poliphone Messe, in der die Gläubigen in der erklang zum ersten Mal am Sonntag, dem 24. Sep- Kirche selbst ihren Part wie in einer gregoriani- tember 1944, dem Fest Maria vom Loskauf der schen Messe singen, veröffentlichen. Ich versi- 239 Gefangenen234, für das sie komponiert worden chere, es war großartig! war.235 An diesem Tag gab Bischof Piguet zum er- Gregor Schwake: sten Mal in der Lagerkapelle den bischöflichen Am gleichen Sonntagmorgen fand zu späterer Stunde eine zweite Messe statt, zu der ich Segen. nochmals einige Gedanken der lateinischen Johann Lenz: Predigt zu sprechen hatte. Da kniete an der Epi- 24. September – Maria de Mercéde (vom Los- stelseite des Altars, in einem schäbigen zivilen kauf der Gefangenen) wird feierlich zur Lager- Gefangenenrock, ein hoher neuer Ankömmling:

233 Burkhart S. 101 f. 234 Seit der liturgischen Kalenderreform 1969/70 gibt es 236 Lenz S. 317. dieses Fest der allerseligsten Jungfrau Maria von der 237 Rieser S. 314 f. Erlösung der Gefangenen (Festum B.M.V. de Mercé- 238 Schwake 1946, S. 9–12. Siehe auch: „Stimmen von de) nicht mehr. Dachau“ Nr. 6 Sommer 1966. 235 Siehe: Schwake 1954, S. 34. 239 de Coninck S. 878 f.

64 S. Exzellenz, der Hochwürdigste Herr Bischof Lagerkapelle, wo bisher nur Lateinisch und Gabriel Piguet von Clermont-Ferrand aus Frank- Deutsch gesprochen wurde.245 240 reich. Josef Fischer: Ferdinand Maurath: Von jetzt an wohnte er dem Lagergottesdienst Am Sonntag, den 24. September 1944 hielt er [241] an Sonn- und Feiertagen in seinem roten Bi- [Pater de Coninck] zur Feier der Uniwoche schofstalar, mit Ring und Brustkreuz ge- ein Hochamt, sein Diakon war Dekan Josef Teu- schmückt, auf einem rot überzogenen Betsche- lings von Nimwegen, Subdiakon J. Durand, der mel bei.246 einzige Engländer. Presb. Ass. [Presbyter assi- Johann Lenz: stens] war Dekan [Adam] Ott von Mainz. Die 10. Oktober – Lagerkaplan G. Schelling wird Predigt hielt in lat. Sprache P. Gregor Schwake 242 vom Erzbischöflichen Ordinariat München zum OSB. Lagerdekan erhoben. Johann Lenz: Sonntag, den 15 Oktober, [Georg Schelling 25. September – Der Bischof übersiedelt auf als Lagerdekan] feierlich eingeführt – der Bi- Block 26/2 – Brustkreuz, Ring, Stab, Mitra, Bi- schof [Gabriel Piguet] und zwei Dekane assistie- rett, Soutane, Mozetta, ... werden für ihn heim- ren.247 lich im Lager verfertigt – Pfarrer Peter Bauer Josef Fischer: (Trier) ist unser eifriger Kapellenschneider bei 243 Nicht bloß unter bischöflicher Assistenz wurden Hitze, Kälte und Hunger. die Hauptgottesdienste gehalten, auch der Bi- Otto Kohler am 1. Juni 1965 an Julius Kardinal schof selbst hielt schon einmal ein feierliches Döpfner: Pontifikalamt.248 Viele dieser geheiligten Erinnerungsstücke sind unter Todesgefahr hergestellt und ins Lager hin- Am Christkönigsfest, Sonntag, dem 29. Oktober eingebracht worden, z. B. Stab, Pektorale und 1944, hielt Bischof Gabriel Piguet sein erstes Ponti- Bischofsring. Selbst Nicht-Christen haben daran fikalamt in der Lagerkapelle. Gregor Schwake hatte gearbeitet und sind ein nicht geringes Risiko dafür einen vierstimmigen Christ-Königs-Hymnus eingegangen. 249 Matthias Mertens: komponiert. Ein Russe lieferte auf Bestellung Bischofskreuz Gabriel Piguet: und Ring aus der Werkstatt der Feinmechaniker, In der Kapelle von Dachau gab es sogar Pontifi- vorzügliche Arbeit in Messing.244 kalämter und großartige Zeremonien mit Gesän- gen von Künstlern aus verschiedenen europäi- Oktober 1944 schen Ländern. „Wie haben Sie das gemacht?“ Am Sonntag, dem 1. Oktober 1944, predigte Bi- fragt man uns manchmal. Man mußte handeln schof Gabriel Piguet in französischer Sprache in der und nicht reden: In manchen Fällen war die

240 Schwake 1954, S. 34. 245 Siehe: Piguet 1946, S. 18. 241 Vermutlich ein Fest der Universität Löwen. 246 Fischer Bd. III, S. 33 f. 242 Maurath S. 139. 247 Lenz S. 317. 243 Lenz S. 317. 248 Fischer Bd. III, S. 33 f. 244 Mertens S. 20. 249 Siehe: Schwake 1954, S. 38.

65 strengste Geheimhaltung die sicherste Garantie Nach der Messe nahmen die Katholiken den für die Kontinuität dieser Initiativen. [...] Morgenkaffee zu sich, während sich die protestanti- Die Schola hatte kräftig den traditionellen schen Pastoren in der Kapelle um Pult und Harmo- kirchlichen Gesang „Ecce sacerdos magnus nium versammelten und bei Lied, Lesung, Predigt [Seht den Hohenpriester]“ gesungen, dirigiert 253 [250] und Gebet eine kurze Morgenandacht hielten. von einem österreichischen Benediktiner, der hierfür eine eigene Komposition geschrieben hatte. Ein SS-Mann betrat zufällig die Kapelle. November 1944 Er ahnte nicht, daß der so festlich gekleidete Johann Lenz: Priester, der die Messe hielt, ein armer Gefan- Ende November – Den polnischen Geistlichen gener wie die anderen war, und begnügte sich wird unsere Kapelle endlich wiederum geöff- 254 damit, am Ende der Messe zu den deutschen net. Priestern zu sagen: „Heute hatten Sie den Be- [Ich kam vom Strafbunker] auf Block 26 zu- such einer hohen Persönlichkeit.“ rück. Am nächsten Tag suchte ich einen Krip- So ein Besuch wurde niemals erlaubt und penbauer. Für unsere Kapelle wollte ich heimlich von den hohen Persönlichkeiten, die in Freiheit eine schöne Weihnachtskrippe besorgen, eine lebten, aus gutem Grunde nicht einmal erbeten. Überraschung für unsere Priestergemeinschaft. Was die „Persönlichkeit“ der Zeremonie betraf, Doch es kam anders. Am 26. November mußte so nahm sie nach der Messe wieder ihren Rang ich neuerdings in den Bunker – in die eigentliche als Sklave ein... Erhabenheit und Knecht- Strafhaft. Zufällig gelang es mir, das Urteil zu le- schaft.251 sen: „Hat ein Buch im Lager geschrieben und 255 Johann Lenz: verbreitet.“ Nur eine Ausnahme [von den Rangunterschie- Jean Kammerer: den im Klerus] gab es: den Bischof. Für ihn galt Bis zur Ankunft von Mgr Piguet haben die Deut- unter uns der Grundsatz: In der Kapelle ist er schen das Privileg für das Hochamt behalten. der Bischof, sonst aber einfach unser Kamerad Dann mußte man wohl dem einzigen im Lager und Mitgefangener in Christus.252 anwesenden Bischof den Vorsitz überlassen. Nach und nach wurde den Franzosen erlaubt, Während es in der ersten Zeit quasi eine Art Kon- eine Messe während der Woche zu feiern – im zelebration aller anwesenden Priester gab, wurde Prinzip in der Reihenfolge ihrer Ankunft im La- jetzt die Kommunion so ausgeteilt, daß vier Priester ger. Ich habe also nie zelebriert! Aber am 30. November [1944] konnte André Schumacher an sich eine Stola über das Häftlingskleid legten und seinem Namenstag die Werktagsmesse feiern. durch die Reihen gingen und jedem die Hostie Die Priester der Diözese Besançon waren sehr reichten. stolz darauf, und an dem Tag konnten wir nach unserem gemeinsamen Gebet einige Süßigkei-

250 Bischof Piguet kommt wohl auf Österreich, weil 253 Siehe auch: S. 114 ff. Gregor Schwake im Dom zu Linz verhaftet worden 254 Lenz S. 318. Siehe auch: Fußenegger S. 134; Hubert ist. Vogel in: Beiträge zu altbayerischen Kirchenge- 251 Piguet 1947, S. 100 ff. schichte, Bd. 36, München 1985, S. 81. 252 Lenz S. 203. 255 Lenz S. 309.

66 ten teilen. Diese Werktagsmesse fand sehr früh morgens statt: eine notwendige Bedingung; denn man stand vor 5.00 Uhr auf, um um 5.20 Uhr vor dem Frühstück und dem Appell daran teilzunehmen. Das war auch „Die Ehre der Frei- heit“[256], um den schönen Titel aufzunehmen, den Jacques Sommet seinem ersten Buch gege- ben hat.257

Dezember 1944 Donnerstag, 7. Dezember 1944 Jean Kammerer: 18.00 Uhr Hochamt zum Fest der Unbefleckten Empfängnis.258

Freitag, 8. Dezember 1944 Otto Pies und Karl Leisner am 15. Dezember 1944 Andreas Rieser: in der Lagerkapelle

Der 8. Dezember 1944, Fest der Unbefleckten Empfängnis, brachte uns eine weitere freudige Friedrich Pfanzelt am 11. Dezember 1944 an den Überraschung: Die beiden Priesterblocks 26 und Lagerkommandanten des KZ Dachau SS-Ober- 28 erhielten ein eigenes, nur aus Priestern be- sturmbannführer : stehendes Blockpersonal.[259] Dies war für das Die rechtzeitige Bereitstellung und Versorgung Leben auf den Blocks von ganz großer Bedeu- der KL Kapelle mit den notwendigen Meß-Uten- [261] tung.260 silien [. . . ] lassen unbedingt eine persönliche Aussprache des hiesigen Stadtpfarrers [Fried- rich Pfanzelt] mit dem für diese Fragen betrau- ten Schutzhäftling Georg Schelling Nr. 21885, Block 26/2 als dringend geboten erscheinen.262

Sonntag Gaudete, 17. Dezember 1944 Feier der Priesterweihe Karl Leisners in der Lager- kapelle des KZ Dachau von 8.15 Uhr bis 10.00 Uhr.263

256 Jacques Sommet, L’honneur de la Liberté [Die Ehre der Freiheit], 2000. 257 Kammerer S. 102 ff. 261 Es handelte sich vorwiegend um Meßwein und Ho- 258 Kammerer S. 121. stien, die über das Pfarramt St. Jakob ins KZ geliefert 259 Reinhold Friedrichs wurde Blockältester von Block wurden. 26. 262 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28/12–4. 260 Rieser, S. 315. 263 Siehe: Seeger/Latzel S. 89–112.

67 Johann Lenz: Karl Adolf Groß: Am 17. Dezember abends kam ich [erneut aus Die Katholiken hatten wieder für festlichen dem Strafbunker] auf Block 26 zurück. Die Prie- Schmuck der Altäre gesorgt. Statt des Kruzifi- sterweihe unseres Diakons Leisner hatte ich ver- xes, das an der Seitenwand zwischen den Fen- säumt. Noch ein Schmerz erwartete mich. Die stern aufgerichtet worden war, zwischen den bestellte Weihnachtskrippe war vollendet – aber von Fugel stammenden Bildern der Kreuzstatio- vom Erbauer selbst aus Angst vor der Lager- nen, prangte ein großes Originalgemälde, die kontrolle zertrümmert worden.264 Anbetung der Hirten darstellend. Das Gesicht des Schäfers, der ganz im Vordergrund kniete, Weihnachten 1944 wollte mich indes nicht loslassen. Es kam mir Josef Fischer: bekannt vor. Wo hatte ich ihn nur schon gese- Zu Weihnachten 1944 malte auch ein polnischer hen, diesen mächtigen Schädel mit der vor- Priester[265] das Weihnachtsbild für den Altar.266 springenden Stirn, den ausgebildeten Augen- Josef Steinkelderer: wülsten, der frischen Farbe der Wangen ... ? Ach so, du bist es, Capo Stirnmann! Wie Es gab nur ein paar, sehr wenige unter uns, die kommst du unter die Hirten? Sie sagten doch, schon das erste Weihnachtsfest 1939 miterlebt [267] daß es dich zerrissen habe bei Salzburg, als du hatten , als nicht die leiseste religiöse Erwäh- das schwere Sprengkommando führtest und die nung des Geheimnisses der Heiligen Nacht fal- heimtückische Bombe zu frühzeitig losging? len durfte. Aber für uns wenige war Weihnachten Freilich, du hast nie viel vom Kind in der Krippe 1944 ein Triumph Gottes, in welchem wir „Pio- gehalten und hast auch keinen Hehl draus ge- nier-Gefangene“ mit unaussprechlicher Seligkeit macht. Aber vielleicht durftest du noch im letzten Zeugen an Seinem Triumph über die Mächte der Augenblick vor ihm klein werden, der um un- Dunkelheit teilhatten. Die Kirche, die für tot er- sertwillen kleingeworden ist, wer weiß? Und das klärt worden war, hatte sogar in diesem steini- Kind hat zuweggebracht, was sonst niemand gen Boden Wurzeln geschlagen und war leben- konnte, es hat die roten Blutflecken abgewa- dig, stark und großartig geworden. Da, wo Men- schen, die an deinen Händen klebten, und so ist schen dachten, sie hätten der Kirche den To- Saul unter die Propheten gekommen[269] und desstoß versetzt, hatte sie durch göttliche Vor- Capo Stirnmann unter die Hirten.270 sehung einen ihrer wunderbarsten Siege errun- gen.268 Andreas Rieser: Weihnachten 1944 konnten wir Maria so recht von Herzen als die „Ursache unserer Freude“[271] anrufen: Es fand unter großer Assistenz das er- 264 Lenz S. 309. ste feierliche Pontifikalamt statt. Da gleichzeitig 265 Wilhelm Haas hat auf einem solchen Foto des Weih- auch die polnischen Priester von der Lagerlei- nachtsbildes als Maler den Polen Doviak angegeben. tung die Erlaubnis erhielten, die Kapelle wieder Ein polnischer Priester mit Namen Doviak ist bei Weiler nicht verzeichnet. Vielleicht ist Jozef Wdowi- ak gemeint. 269 Siehe: 1 Sam 10,12. 266 Fischer Bd. III, S. 64a. 270 Groß, Fünf Minuten S. 18 f. 267 Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 45, S. 43–69. 271 Anrufung aus der Lauretanischen Litanei. Siehe: Got- 268 Steinkelderer S. 316. teslob Nr. 769.

68 benützen zu dürfen, war die Freude um so grö- Kapelle die heilige Priesterweihe. Nach über ßer. So froh haben wir wohl noch nie das Credo fünf Wartejahren eine selige Gnadenstunde der gesungen: Die Una sancta, catholica et aposto- Erfüllung. Aus ganzem Herzen danke ich nächst lica Ecclesia [eine, heilige, katholische und apo- 272 Gott Ihnen, daß Sie mir durch Ihr Jawort dies stolische Kirche ] war in uns Priestern, die wir ermöglichten. Bischof Gabriel von Clermont aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt stammten, um den Dachauer Opferaltar ver- weihte mich. Der Hochwürdige Herr Kardinal sammelt.273 [Michael Faulhaber] hatte alles Nötige gesandt. Archidiakon war Reinhold Friedrichs. Von 8.15 Am Dienstag, dem 26. Dezember 1944, dem Fest bis 10.00 Uhr früh dauerte die heilige Hand- des Diakons und Erzmartyrers Stephanus, herrschte lung. Alle Confratres waren mit mir tief ergrif- 274 fen und voll heiliger Freude. Am Stefanstag 8.30 eisige Kälte. Von 8.30 Uhr bis 10.00 Uhr fand die Feier der Primizmesse Karl Leisners in der bis 10.00 Uhr früh war die heilige Primizfeier, Lagerkapelle des KZ Dachau statt.275 Sie lag nicht voll seliger Weihnachtsfreude und Stimmung. nur wegen seines Gesundheitszustandes in einem Ihnen, dem Hochwürdigen Herrn Regens [Ar- solch zeitlichen Abstand zur Weihe, sondern ver- nold Francken] und allen Dank und gutes Neu- mutlich auch wegen der symbolischen Aussage. jahr! In treuer, gehorsamer Sohnesliebe War nicht Karl Leisner ein „Stephanus heute“? Ihr Karl Leisner Beim Primizamt assistierte Otto Pies und hielt Karl Leisner am 30. Dezember 1944 in einem Feld- die Predigt. Engelbert Rehling und Willy Meyer postbrief an Heinrich Tenhumberg: ministrierten.276 Lieber Heinrich! Am Stefanstag von 8.30 bis 10.00 Uhr früh habe Karl Leisner am 30. Dezember 1944 in einem Ter- ich Primiz gefeiert. Zum ersten Mal allein das minbrief (Beibrief) an Bischof Clemens August heilige Opfer am Altar, in unserer Kapelle hier. Graf von Galen: Ihr wart alle im Geiste mit dabei. Nach über Exzellenz, hochwürdigster Herr! fünf Jahren Betens und Wartens Stunden und Die großen, heiligen Tage sind vorüber. Noch Tage seligster Erfüllung. Daß Gott uns auf die ist das Herz voll des neuen Glücks. Am Gaude- Fürsprache Unserer Lieben Frau so überaus tesonntag, 17.12., empfing ich hier in unserer gnädig und einzigartig erhören würde, – ich kann es noch immer nicht fassen. Seit 14 Tagen 272 Formulierung aus dem Credo. Siehe: Gotteslob Nr. kann ich nur noch ergriffen beten: Gott, was 356. bist Du groß und gut. Für uns alle waren es 273 Rieser S. 315. Stunden unbegreiflichen Glückes und hoher, 274 Groß, Fünf Minuten, S. 16: hellster Freude, die uns für viele dunkle Stunden 26. Dezember 1944. Vierzehn Grad Kälte und die- reich entschädigten. – Nach der heiligen Wand- se eisigen Füße. 275 lung war ich für einige Sekunden tief ergriffen Siehe: Seeger/Latzel S. 113–155. und gerührt, sonst sehr ruhig und konzentriert. 276 Siehe: Augenzeugenbericht von Engelbert Rehling vom 15.1.1948 und 14.11.1977. Siehe auch: „Mo- Stunden seligster Weihnachtsfreuden und fein- natsblätter der Oblaten“ Heft Juli/August 1946, S. 77. ster, innigster Stimmung. Dir und allen Kame-

69 raden den Segen des Allerhöchsten für das gut ist doch der lb. Gott, daß er mich diese kommende Jahr. Voll Jubel und Dank grüßt Höchsterlebnisse seelischer Art gerade in den Dich und alle: Glückauf 1945! Tagen verkosten ließ, daß sich zum 4. Mal mein Abschied vom Pfarrhaus jährte und das Herz Dein Karl. 281 mehr als sonst die Heimatferne empfand. Léon de Coninck: Die Lagerkapelle war ein besonderer Ort im Kon- Sehr häufig wurden Priesterjubiläen gefeiert, zentrationslager. Dort wurde nicht nur Liturgie im und man versteht, mit welch tiefer Bewegung! strengen Sinn gefeiert. Aber alles übertraf die Priesterweihe eines seit Johann Lenz: fünf Jahren in Haft befindlichen Diakons aus 28. Dezember. Weihnachtssingen der Nationen Münster.282 277 (in 8 Sprachen). Ferdinand Maurath am 31. Dezember 1944/1. Ja- Nach den bescheidensten Anfängen im Jahre 1941 nuar 1945 in einem Terminbrief an seine Eltern: war die Lagerkapelle bis zum Jahre 1944 sehr an- Wir aber hatten herrliche Tage. Am [Weihnachts] sehnlich ausgestattet. Wenn man bedenkt, daß in Fest Pontifikalamt, am Sonntag vorher Priester- Deutschland damals fast alle Dome zerstört oder weihe, am Stephanstag Primiz, am Donnerstag schwer beschädigt waren, stellte die Lagerkapelle [28. Dezember] Volksweihnachtslieder in 8 Sprachen und heute Weihnachtskonzert. Das ist mit ihrer Ausstattung etwas Besonderes dar. Das einfach einzigartig. zeigt folgende Auflistung vermutlich von 1944: Heinrich Auer: Messgarnitur Wir erlebten dort u. a. in der Weihnachtszeit 1. eine Tableaux: Kreuz zum Anschrauben, drei 1944 beispielsweise eine unvergeßliche Abend- Kanontafeln, ein Portatile in Sperrholzrahmen, stunde: Etwa 20 Nationen waren mit kleinen ein Metallmeßbuch. Chören von Priestern vertreten, wobei jede Na- 2. eine Metallkassette. Zwei komplette Leuchter tion in ihrer Muttersprache ihr schönstes Weih- und Hüllen, eine Garnitur Meßkännchen mit nachtslied sang. So brachten beispielsweise die Tasse, zwei Altartuchspannschrauben, ein deutschen Priester das alte Weihnachtslied „Es Kelch, dreiteilig zerlegbar, eine Patene. ist ein Ros entsprungen[278]“ zum Vortrag.279 3. Paramente: ein vierfarbiges Meßkleid mit Zu- Heinz Römer am 31. Dezember 1944 in einem behör, eine Albe, Cingulum und Schultertuch, Terminbrief an Maria Ernst in Ludwigshafen: zwei Corporalien, Purificatorien [Kelchtücher], Lavabotücher [zur Handwaschung], eine Palla. Am Sonntag „Gaudete“ hatten wir sogar das Er- lebnis einer Priesterweihe, am 1. Weihnachtsfei- ertag Pontifikalamt und -vesper, am 2. Primiz unseres Neupriesters und morgen begeht wie- der ein Mitbruder sein Silberjubiläum.[280] Wie

277 Lenz S. 318. 278 Gotteslob Nr. 133. 279 Auer S. 5. 281 Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 94. 280 Vermutlich Dr. rer. pol. Emil Muhler. 282 de Coninck S. 879.

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Lagerkapelle Weihnachten 1944

4. Madonnenrelief aus Metall (ein Marienaltar). schließlich benützt. Die Benützung einer ande- Diese erste Kapellengarnitur stammt, soweit eru- ren Garnitur war nicht gestattet. ierbar, vom Heeresbischof aus Warschau. Sie Als Celebrans fungierte ausschließlich der wurde bei Einrichtung der Kapelle in Sach- von der Lagerleitung aufgestellte Lagerkaplan. senhausen zur Verfügung gestellt. Sie wurde 1. Prabutzki Paul, polnischer Pfarrer, gestorben benützt bei den Celebrationen in Sachsenhau- August 1942. sen vom 5.8.1940 bis 15.12.1940. In Dachau wurde sie vom 22.1.1941 bis 15.10.1941 aus-

71 2. Kozal Michał, Weihbischof von Leslau, Polen, Johann Lenz: von Juni 1941 bis 19. September 1941, ge- 11. Februar. Eine Stunde feierliche Aussetzung [283] storben 25.1.1943. des Allerheiligsten – als unser „Vierzigstündiges 3. Dr. Franz Ohnmacht, Theologieprofessor, Gebet]“.289 Linz, von 21. September 1941 bis 17. März 1943, an welchem Tage er entlassen wurde. Vom 18. Februar 1945 gibt es im Archiv der Pfarrei Seit Jänner 1943 wurde auch den anderen Prie- 284 St. Jakob Dachau einen ausführlichen Bericht von stern im KL gestattet zu celebrieren. einem unbekannten Häftling über die Ausstattung der Kapelle. Jahr des Herrn 1945 Die Kapelle Januar 1945 In der Zeit vom 13. – 20. Jänner 1941 wurde für Johann Lenz: die Geistlichen die Kapelle auf Block 26 einge- 1. Jänner Feierliches Hochamt unseres Lager- richtet. Als Raum wurde Stube 1 mit Schlafraum 285 dechanten Schelling. verwendet. Die Zwischenwand wurde entfernt Jean Kammerer: und so der Kapellenraum von 20 m x 8,75 m x 3 Freitag, 5. Januar, 18.00 Uhr Hochamt zum Fest m geschaffen. Epiphanie. An der Ostseite wurde ein Lagertisch als Al- Sonntag, 7. Januar, deutsche Predigt von tar aufgebaut. Auf der Süd- wie Nordseite sind Seelig über die drei Geschenke der Heiligen die 8 Fenster 1,60 m x 1,13 m, beginnend in der Drei Könige.286 Höhe von 1 m. Je 4 Fenster bilden eine Einheit. Johann Lenz: Der Fußboden ist Tannenholz, schiffboden- 22. Jänner Bischof Gabriel Piguet kommt in mäßig gefugt. Die Decke ist flach. Sonderhaft.287 Der Raum enthält keine Säulen oder Stüt- zen. Wand und Decke jedoch sind gegliedert Februar 1945 durch Leisten, die als Verstärkung dienen. Der Pierre Humbert: einzige Eingang ist auf der Westseite vom Vor- Das Fest unserer Lieben Frau von Lourdes [am raum aus (am südlichen Eck). 11. Februar] war vor allem den Franzosen wert- Im rückwärtigen Teil (der ursprünglichen voll. Dazu komponierte Abbé Jorand eine Hym- Stube) steht ein Kachelofen, 1,55 x 1,25 x 0,75 ne. Da er an Typhus erkrankt war, konnte er m. Der Rauchabzug erfolgt durch einen freiste- nicht daran teilnehmen.288 henden Kamin, 0,42 m im Quadrat. Daneben steht die Lagerholzkiste. Der ganze Raum ist in Leinfarbe gestrichen und zwar die Wände in lichtem Grün, die Rah- menleisten olivgrün. Aufgemalte Kreuze und 283 Weihbischof Kozal durfte zelebrieren, war aber kein weiße Lilien schmücken die Wände. Der Altar- offizieller Lagerkaplan. raum ist durch Tapetenmuster dekorativ reicher 284 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–5. aber unruhig gehalten. 285 Lenz S. 383. 286 Kammerer S. 124. 287 Lenz S. 383. 288 Zitiert in Bernadac S. 347. 289 Lenz S. 383.

72 Anfangs waren die Fenster farbig mit rotem schnitzte Muttergottes-Figur mit dem Jesuskind, Kreuz auf grünem Grund übermalt. Jetzt sind gearbeitet von Hoepker aus Breslau. Gespendet nur die Fenster an der Nordseite weiß gestri- vom Salvatorianersuperior [Dominikus Hoffmei- chen. In der vorderen Hälfte ist an der Decke ein ster] von Freudenthal. Die dunkelgebeizte Sta- Entlüftungsschacht angebracht. tue wird im Lager unter dem Titel „Unsere Liebe Die Kapelle, die einen sehr freundlichen Ein- Frau von Dachau“ verehrt. Zu Füßen der Ma- druck macht, wird durch 8 Leuchtkörper erhellt. donnenstatue steht ein hölzernes Reliquienkreuz Der Altar mit einer Reliquie ex ossibus St. Konradi de Der erste Altar war ein einfacher Lagertisch, Parzham [aus den Knochen des heiligen Konrad dessen Füße verlängert waren. Er war bloß mit von Parzham]. Linnen bespannt. Später bekam er eine eigene Die Kredenz Altarverkleidung. Er mißt 2 x 1 x 0,75 m. 50 cm Auf der rechten Seite, etwas vor dem Altar, steht sind als Mensa freigelassen. An der Rückseite die Kredenz, ähnlich verkleidet wie die übrigen stehen der Tabernakel, 40 x 40 x 28 cm, und die Altäre. Sie wird zugleich als Ankleidetisch be- 2-stufigen Leuchterbänke, 75 x 18 x 28 cm. nützt. Die Maße sind 1,10 x 0,78 x 0,80 m. Dar- Der Tabernakel ist sorgfältige Kunstschrei- auf steht eine Leuchterbank 1,10 x 0,25 x 0,13 nerarbeit aus Birnbaumholz in rotbrauner Farbe m. Auf einem dreiteiligen Sockel werden jeweils fein poliert. Er ist zweitürig und trägt auf der ein Herz-Jesu-Bild, ein Josefsrelief (20 x 40 cm), Vorderseite eine Strahlensonne, aus Messing ein Bruder Konradbild u. a. zur Verehrung aus- gestanzt, und zwei anbetende Engel aus Kup- gestellt. ferblech gearbeitet. Den Abschluß des Altares Das Predigtpult bildet das Altarkreuz mit einem geschnitzten Für Predigten und Vorträge etc. steht fix auf ei- Korpus [von Heinrich Bäumer], beides aus Ei- nem Podium (100 x 75 x 20 cm) ein einfaches chenholz, eine Spende der Münsteraner Künst- Predigtpult. Es steht zwischen Fenster und Mut- lerschule. ter-Gottesaltar. Die Höhe beträgt 1,12 m, die Der Altar steht auf einem Tannenholzpo- Breite 52 cm. Er dient auf der dem Prediger zu- dium, 3 x 2 x 0,15 m. Der Altar ist dadurch be- gewandten Seite zugleich als Büchergestell. Der sonders hervorgehoben, daß die drei Mittelfelder Pultdeckel ist schräg gestellt, 52 cm breit und 50 der aus insgesamt 7 Feldern bestehenden Ost- cm tief, der Pultträger 30,5 cm tief. wand durch die elfenbeinfarbene Tönung heller Das Harmonium gehalten ist. Das kath. Pfarramt St. Jakob in Dachau stellte Muttergottes-Altar [am 15. August 1941] für den Gottesdienst ein Auf der Evangelienseite, in der vorderen Ecke gutes Harmonium leihweise zur Verfügung. Es der Kapelle (Nordostecke) ist diagonal zur Ecke ist hergestellt von der Firma Smith American, der Muttergottes-Altar aufgebaut. Die Rückwand Organ and Piano Co. Boston USA und hat 12 besteht aus einem ganzen und zwei halben Fel- Register: Es ist 104 cm breit, 50 cm tief, ohne dern, die im selben Elfenbeinton gehalten sind Aufsatz 97, mit Aufsatz 129 cm hoch. wie die Rückwand des Hauptaltares. Die Mensa Die Sakristei mißt 0,83 x 0,87 x 1,40 m. Als Altartisch sind 45 In der linken hinteren Ecke der Kapelle (Nord- cm frei, die übrige Breite wird von 50 cm hohen westecke) ist ein 2,50 m langer und 1,28 m brei- Leuchter- bzw. Blumenbänken beansprucht. In ter Raum durch einen 2 m hohen Bretterver- der Mitte steht auf einem Sockel die holzge- schlag abgetrennt. Dieser dient als Sakristei.

73 Statt einer Tür schließt ein primitiver Vorhang Zwischen Marien- und Hochaltar steht ein die freie Schmalseite ab. Im Raum sind rechts 4 Betstuhl, 55 x 50 x 75 cm. Entwurf Steinbock Lagerspinde von 2 m Höhe und einer Grundflä- Hans. Ferner eine Bank und 8 Lagerhocker, 47 che von 33 x 39 cm, mit verschiedenen Utensi- cm hoch, Sitzfläche 30 x 40 cm. Auch drei No- lien für den katholischen und evangelischen Got- tenständer sind vorhanden. tesdienst, besonders auch für das Musik-Noten- Zur rechten und linken Seite des Eingangs material. Drei Geräterechen dienen für Besen, sind je ein Weihwassergefäß, eine Glasschale in Platz für verschiedenes Reinigungsmaterial etc. 8-eckiger Holzfassung. Das Ganze macht den Eindruck einer in Ord- Die Vorderseite des Altares wird durch ein nung gehaltenen Rumpelkammer. auswechselbares Antependium mit Symbol ge- Weitere Kapellen-Einrichtungen bildet, in seidengrauer Farbe. Je nach den litur- Auf dem Altar stehen 6 Holzleuchter aus Birn- gischen Zeiten wird das Symbol in der Mitte ge- baumholz, 45 cm hoch, kunstvoll verfertigt mit ändert. (Die Symbole wurden von Kaplan Hans Celluloideinlagen, die dem Stil des Altares ent- Steinbock entworfen). sprechen. Entwurf Kaplan Steinbock (Steyr). Für die nicht in Benützung befindlichen Bre- Links und rechts vom Hochaltar ist an der viere ist ein Schuhgestell der ehem. Stube in Rückwand je ein „ewiges Licht“ angebracht, be- Länge von 5,20 m in Benützung. Es steht unter stehend aus einer hölzernen Leuchterschale an den Fenstern der Südseite. einem Wandarm, den Abschluß bildet ein Holz- An den vorderen Fenstern der Nordseite ist kreuz mit A und O. Zu beiden Seiten des Altares eine Liedtafel angebracht (56 x 75 cm) zur Be- stehen auf dem Podium je ein Säulen-Blumen- kanntgabe der Liednummern etc. ständer, 90 cm hoch 33 cm2 als Grundfläche. Links an der Türe befindet sich eine kleine Der Raum hinter der Credenz dient zum An- Anschlagtafel zur Bekanntgabe der notwendigen kleiden des Celebranten und der Altardiener. Mitteilungen. Leider fehlt bis jetzt ein Paramentenschrank zur Außerdem sind drei Notenständer vorhan- Aufbewahrung der schönen Paramente, diese den, große Stehtafeln zum Befestigen von No- müssen vielmehr an einem Kleiderrechen an der tenblättern für den allgemeinen Gesang. Südwand aufgehängt werden. Dachau den 18. Februar 1945.290 In der Mitte der Kapelle auf der Süd- und Nordwand zwischen den Fenstern sind je sieben Gegen Ende der Haftzeit wurde die Kapelle zu Kreuzwegstationen, farbige Drucke nach Meister einem Mehrzweckraum. In den Berichten der Häft- Fugel in einfachen Holzrahmen in der Größe 33 linge werden immer wieder Überbelegung und ein x 25 cm, mit je einem aufgesetzten Holzkreuz schwarzer Vorhang erwähnt, der den eigentlichen von 7 cm Höhe. Der Kreuzweg ist eine Spende des Pfarrers Heinrich Steiner von Steinerkir- Altarraum in der Lagerkapelle von dem übrigen chen, Linz. inzwischen zweckentfremdeten Raum trennte. An der Rückwand der Kapelle ist ein schö- Hans Rindermann: ner, farbiger Druck der sixtinischen Madonna Mit Beginn des Jahres 1945 wurde die Lage von Raffael in der Größe von 98 x 71 cm in ei- immer unerträglicher. Mit der Überstürzung der nem 9 cm breiten Holzrand, eine Spende des kriegerischen Ereignisse an den Fronten wuchs Stadtpfarramtes Dachau. 290 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–24.

74 auch die Spannung unter den Häftlingen und März/April – Ostern 1945 das Sehnen nach baldiger Freiheit. Wenn auch Johann Lenz: die Behandlung erträglicher geworden war, das Unsere Kapelle ist in der Nacht völlig belegt. Lagerleben wurde jetzt durch andere Umstände Priester schlafen hier am Boden auf Decken. zur Qual und vielfach zu einer seelischen Bela- Das Allerheiligste ist schon monatelang durch stung durch den starken Zuwachs an neuen einen großen, schwarzen Vorhang abgesperrt. Häftlingen, die man aus den von den Alliierten Bei Tag arbeitet hier das „Zeltdeckenkom- bedrohten Konzentrationslagern nach Dachau mando“ – bestehend aus etwa hundert Priestern brachte. Das Lager war überfüllt. 1941 bei mei- – bei Nacht ist die Kapelle Schlafraum der Prie- ner Einweisung waren dort etwa 5.000 Häftlinge ster. Nur morgens, mittags und abends ist sie und gegen Ende des Lagers über 30.000 unter- frei für Gebet und Gottesdienst.293 gebracht. Wir mußten auf engstem Raum leben, auch auf Block 26, da auch die polnischen Prie- Gründonnerstag, 29. März 1945 ster auf unseren Block verlegt wurden. Dazu war Joseph Haller: mehr als die Hälfte des Lagers zum Revier er- Es war 4.30 Uhr. An diesem Morgen verstand klärt worden. Unsere Kapelle wurde gleichzeitig ich, daß Priestersein Dienersein bedeutet. Die Gebets-, Arbeits-, Wohn- und Schlafstätte. Die zwölf ältesten Priester saßen auf zwölf Sche- Lagerleitung hatte einen großen Vorhang zur meln. Nach dem Beispiel des Herrn kniet ein Verfügung gestellt, so daß der Altarraum vom Benediktinerabt [Jean Gabriel Hondet], ebenfalls anderen Raum getrennt werden konnte. Der 291 ein Häftling, nieder, wäscht die Füße seiner Brü- blanke Fußboden war unser Nachtlager. Johann Lenz: der, trocknet sie ab und küßt sie. Etwa 600 Prie- ster waren Zeugen dieser Szene und sangen die 12. Februar [1945]. Ab heute müssen etwa 200 Worte des Evangeliums: „Ich habe euch ein Bei- Geistliche in der Kapelle arbeiten. Josef Albinger spiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich (Fulda) und Leo Fabing (Metz) sind sehr kame- an euch gehandelt habe.“ [Joh 13,15]. Das Wort radschaftliche Vorarbeiter. – P. Karl Schmidt in- „Ich bin unter euch wie ein Meister und Herr“ stalliert den schwarzen Riesenvorhang, der den [vgl. Joh 13,13] war mir gewiß bekannt, aber in Altarraum vom Arbeitsraum trennt (ein Meister- dieser Stunde erschien es mir mit all seiner stück priesterlicher Organisationskunst). Dieser Würde und seiner ganzen Bedeutung versehen. neue Arbeitsraum wird zugleich Schlafraum für Getrennt von den mir anvertrauten Seelen, bru- etwa 100 Geistliche (auf Decken am Boden). – tal aus meinem Arbeitsmilieu gerissen, hatte ich Hl. Messe vor dem Appell muß deshalb entfal- nur noch Augen für das, was mit Tränen gesät len; daher hl. Messe am Abend für die arbeiten- wurde, und ich verstand die Zeichen der Zeit den Priester.292 besser: Die Forderung an den Priester, der Die- ner seiner Brüder zu sein.294

291 Rindermann S. 156 f. 293 Lenz S. 368. 292 Lenz S. 383 f. 294 Zitiert in Bernadac 347 f.

75 Bericht von Karfreitag, dem 8. April 1955, eines am Osterfest, dem 1. April: Abbé Belloc [Abt nicht genannten Autors: Jean Gabriel Hondet] hielt uns eine wunderbare Predigt auf Latein ohne Manuskript von ungefähr Es war einmal. Es war aber kein Märchen, son- 296 dern rauhe Wirklichkeit, [...]. Heute, wo ich nach einer halben Stunde. Sehr bezeichnend! 10 Jahren nachmittags um 15.00 Uhr (Karfrei- tag) betend vor dem Allerheiligsten in der St. Ostersonntag, 1. April Marienkapelle kniete, stieg plötzlich die Erinne- Pierre Humbert: rung in mir auf an dieselbe Stunde des Jahres Die Ostermesse, während derer wir wie Sardi- 1945 [am 30. März] im Konzentrationslager von nen gedrängt standen, wurde gekrönt von einer Dachau. Hunderte von Priestern mußten in dem fünfundvierzigminütigen Rede auf Latein vom Raum, wo das Allerheiligste aufbewahrt wurde, Vater Abt [Jean Gabriel Hondet] von Belloc. Zu ihre Arbeit verrichten und Zeltbahnen nähen. hören, wie dieser gebeugte, körperlich er- Aus Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten hatten wir schöpfte Greis von Auferstehung, Hoffnung, während der Arbeit einen Vorhang vor den Altar neuem Leben und Freude spricht, läßt an Igna- gezogen. Jeder war recht still. An diesem Kar- tius von Antiochien [+117] denken: „Ich bin ein freitag, da seine Gedanken zum Kalvarienberg Weizenkorn Christi; die Zähne der wilden Tiere von Jerusalem gingen und er an seine Ge- müssen mich zermalmen, damit ich reines Brot meinde dachte, in der er sonst die tief ergrei- werde.“297 fende Liturgie des Karfreitags gefeiert hat. Um 15.00 Uhr machte ich meine mitgefangenen Mit- brüder auf die ernste Stunde aufmerksam. Ich zog den Vorhang vom Altar weg und alle, denen der Herr einmal bei der Priesterweihe gesagt hatte. „Ich nenne Euch nicht mehr meine Knech- te, sondern meine Freunde“ [Joh 15,15], sanken in die Knie und Tränen rannen ihnen über die abgemagerten Wangen. In diesem Augenblick konnte nur jeder beten: „Wir danken Dir, Herr Jesu Christ, daß Du für uns gestorben bist, ach laß Dein Kreuz und Deine Pein an uns doch nicht verloren sein.“[295] Der blutige Karfreitag

gab uns die Kraft, vertrauensvoll auf den Oster- morgen zu schauen, der auch in einigen Wo- Gottesdienst in Block 26 zu Ostern am 1. April 1945298 chen für uns alle anbrach, als die Fesseln gelöst links vorn im Bild (mit dickem weißem Kreuz) wurden und Ketten fielen. Pater Gregor Schwake am Harmonium Jean Kammerer: Die Heilige Woche Die Heilige Woche Ende März wurde einfach ge- feiert, ebenso wie die schöne feierliche Messe 296 Kammerer S. 110. 297 Zitiert in Bernadac 348 f. 295 Siehe: Gotteslob Nr. 178. 298 Heinz Dresbach am 23.11.1977 an Heinrich Kleinen.

76 Montag, 9. April 1945 Dienstag, 10. April 1945 Johann Lenz: Johann Lenz: 9. April [1945] Mariä Verkündigung – Block 26, 10. April. Heute wurde Dechant Schelling ent- Stube 3 (reichsdeutsche Geistliche), muß auf lassen. Andreas Rieser wird sein erster Nachfol- Stube 2, wo die österr. Geistlichen sind. Auf 3 ger [als Lagerkaplan].302 und 4 kommen die 846 restlichen vom polni- Karl Adolf Groß: schen Klerus aus Block 28. Heute kamen näm- Ja, man staune: die Polen wurden in den deut- lich aus Flossenbürg über 1.000 Jammergestal- schen Block verlegt oder vielmehr gestopft – ten. Sie werden im Hemd in unsere Kapelle ge- geht die Welt unter? Die deutschen Geistlichen pfercht und spät abends auf 28 verteilt. Unsere mußten zum großen Teil in der Kapelle unterzu- 299 Kapelle ist nochmals gerettet. kommen suchen, aus welcher wiederum die Johann Steinbock: „Spazierstöcke“ zu weichen hatten. Diese waren Als nach Ostern die Entlassungen ungefähr bis erst am Nachmittag in den Kirchenraum ein- zum Buchstaben S gekommen waren[300], kam quartiert worden, man sah durch die Fenster ihre der Befehl: „Alle reichsdeutschen und ausländi- abgemagerten Gesichter, traurig darüber, daß schen Priester gehen zusammen auf Stube sie das Nest schon wieder verlassen sollten, in [26/]2!“ Diese mußte nun etwa 350 Mann fassen. welchem sie sich häuslich niederzulassen ge- Auf Stube 3 und 4 kamen die polnischen Prie- dachten. Auf die Würde des Ortes nahm man so ster, die ihren eigenen Block 28 zu räumen hat- wenig Rücksicht wie jene türkischen Askers, die ten. Diese mußten nun zu fast 400 in einer Stu- im Weltkrieg in der altehrwürdigen Sophienmo- be und einem Schlafraum hausen. Auf Block 28 schee kampierten und deren Inneres aus einem kamen noch mehr Invaliden, die man schon her- Tempel Allahs in ein Soldatenlager zu verwan- antrieb, noch bevor der Block frei war, und des- deln verstanden.303 halb zuerst in unsere Kapelle hineinpferchte. Bei der neuen Überfüllung mußten nun viele Sonntag, 15. April 1945 auf dem Boden schlafen, ein Teil in der Stube, Johann Lenz: ein Teil auch in der Kapelle, in der wir den Altar- 15. April. 2. Sonntag nach Ostern. – Feierlicher raum mit einem Vorhang vom übrigen Raum ab- Amtsantritt des neuen Dechanten [Andreas Rie- getrennt hatten. Einige wenige schliefen auch ser].[304] Auf seine Anregung heute die erste hl. innerhalb des Vorhanges, und ich lag nun wört- Messe am Marienaltar – bald darauf auch an der lich an den Stufen des Altars, auf dem Boden 301 Kredenz („Josefsaltar“). – Nunmehr werden wö- zwischen Altar und Kredenztisch. chentlich 50 hl. Messen in unserer Kapelle ge- feiert.305

299 Lenz S. 384 f. 300 Es gab mehrere Listen, nach denen vom 27.3. bis 302 Lenz S. 385. zum 11.4.1945 173 Priester aus dem KZ Dachau ent- 303 Groß, Fünf Minuten S. 129 f. lassen wurden. Die zweite Liste war alphabetisch an- 304 Es ist nicht bekannt, ob Andreas Rieser auch von gelegt. Kardinal Faulhaber als Lagerdechant ernannt wurde. 301 Steinbock S. 1074 f. 305 Lenz S. 385.

77 Pater Alban Prinz zu Löwenstein, der am Ende der wurde, war sie nimmer sauber zu halten. Darun- KZ-Zeit in Dachau die Verantwortung für die La- ter litt ich am allermeisten. Mein Schmuckkäst- gerkapelle hatte, schrieb am 30. Juli 1945 aus dem chen wurde zum S...stall, wenn ich so sagen Salzburger Land an Reinhold Friedrichs, der sich soll. Alle Mühe gab ich mir, bis ich zwei- oder damals noch in der Nähe von Rosenheim aufhielt: dreimal zusammenbrach vor Überarbeitung und Schwäche. „Gott schaut das Herz an“ sagte ich Ex toto corde carissime Confrater [Aus ganzem mir. Der gute Wille muß für das Werk gelten. – Herzen liebster Mitbruder]! Die letzte Zeit war für mich die schwerste – und Hochwürdiger, lieber Block- & Beichtvater! auch seelisch schmerzlichste. Ob ich noch heute [...] leben würde, weiß ich nicht. Am Ende aller Kräf- Seit Deinem Fortgang [am 5. April 1945] hat sich te war ich bald wohl angekommen. Nur mit zu- Dein Blockvaternachfolger – ich weiß den Na- sammengebissenen Zähnen und Stoßgebetchen men des Österreichers nicht mehr – redlich be- hielt ich mich noch aufrecht – und arbeitete und müht sich durchzusetzen. Er war aber jung und arbeitete weiter und weiter für den Herrgott und hatte es reichlich schwer. Alles andere kannst U. L. [Unsere Liebe] Frau von Dachau. [...] Du Dir ja denken. Der Mann hat mir redlich leid getan! Der Chauvinismus lebte auf. Die Hollän- der waren die ärgsten. „Gehorsam ist des Chri- sten Schmuck...“ (Kommentar wieder überflüs- sig!) In der Kapelle, denn vom anderen weiß ich ja nicht viel – zog nach dem Abgang unseres lieben, guten Dechant Schelling Schorsch ein anderes Leben ein. Der Marienaltar bekam ein Portatile und so wurden hlg. Messen am laufen- den Bande gelesen. Das war die gute Seite, ne- ben so manchen Schattenseiten [...]. Der Kampf um den Tabernakelschlüssel, den Teulings (Holländer) wahrhaft fanatisch führte, war einfach lachhaft wie lästig. Unser guter Rie- ser Andreas war ja auf der Plantage und so herrschte Holland. Was ich da einzustecken hat- te, war nicht gerade wenig. [...] Ob Du noch den schauerlichen, schwarzen Absperrungsvorhang Pater Alban Prinz zu Löwenstein beim Putzen der Kapelle in der Kapelle kennst, weiß ich nicht genau. Da Zeichnung von Pierre Laffilé dieser Arbeitsraum zum Zeltbahnnähen (Knöpfe und Knopflöcher) geworden war, und die geistl. Was war denn nun schon wieder los? Ich Herrn sich nicht beherrschen konnten, so kam hatte gerade das Presbyterium, d. h vor dem der den Klerus beschämende Vorhang in unser Vorhang, fertig eingewachst und zur Mittagsar- Heiligtum. Mir hat das sehr weh getan – im Ge- beit mir hergerichtet. „Das ganze Lager wird danken an den klerikalen Geist und die man- aufgelöst. Alles marschiert ab, bis auf die Fuß- gelnde Reverenz vor dem Allerheiligsten. Als die kranken. Es steht uns ein weiter [Evakuie- Kapelle endlich noch Dormitorium [Schlafraum] rungs]Marsch bevor. Nehmt nur ganz wenig mit,

78 denn tragen könnt ihr doch alles nicht, werft es und ins Lager beordert, wurden von den Ameri- sehr bald weg. [...] Binnen einer Viertelstunde kanern erschossen. Nun liegen sie blutüber- sah die Kapelle ganz furchtbar aus. Der Taber- strömt und tot beim Wachtturm, gegenüber von nakel stand offen – leer.[306] Ich vergesse den Block 18. Aus dem Wachtturm beim Plantagen- Anblick nie. Es gab mir einen Stich! Jetzt wird es tor wird ebenfalls die Wache herausgeholt und irgendwie ernst, sagte ich mir. [...] Gebetet wur- entwaffnet und gleich daneben an der Lager- de nur von ganz wenigen – hinter dem Vor- mauer erschossen. Befehlsgemäß bleiben die hange, vor dem leeren Tabernakel, dem Kreuz Toten vier Tage liegen. Wie mögen ihre Seelen und der Gottesmutter. Ich hatte durchaus keine vor dem ewigen Richter angekommen sein? [...] Angst vor dem Bevorstehenden, doch es mag Nachdem die erste Begeisterung sich gelegt dumm sein – mir kamen die Tränen, als ich vor hatte, wurde es etwas ruhiger. Wir Priester ver- der Madonna kniete und hinter mir den Lärm des sammelten uns um 8 [20.00] Uhr in der Kapelle. Bienenschwarmes hörte. Dicht füllten Geistliche und Laien den heiligen Raum, unseren gemeinsamen Dank für die Am Sonntag, dem 29. April 1945, befreiten die glückliche Rettung Gott darzubringen. Unser Äl- Amerikaner das KZ Dachau.307 tester, der 82jährige Pfarrer Pujdo aus Litauen, Johann Lenz: hielt uns die Festrede in fließendem Latein. [...] Das Tedeum jauchzt zum Himmel empor, 29. April. – Ein herrlicher Tag beginnt. Ein kräfti- das Magnifikat, das Benediktus. Herrlich leuchtet ger Frühlingswind jagt über das Land. Schwere der Altar im Schmucke der Lichter und der Blu- Wolkenfetzen fliegen am Himmel und zwischen- men, herrlich auch das Bild der Gottesmutter, durch lacht die herrliche Sonne. Über die Kom- Unserer Lieben Frau von Dachau. Unter dem mandogebäude grüßt seit frühem Morgen die feierlichen Tantum ergo wird der Segen mit dem weiße Fahne. Gott sei gelobt – das Lager wird Allerheiligsten gegeben. Am Schluß ertönt das nicht verteidigt! Dennoch wütet in nächster Nähe „Christus vincit“. Das allein ist ja der rechte ein schwerer Kampf. Über dem Kampfgebiet Schluß aller Geschichte: der Sieg Gottes in jeder zieht ein amerikanischer Aufklärer feierlich lang- Not, für Zeit und Ewigkeit, der Sieg Christi, des sam seine Kreise. Das ganze Lager ist in freu- Gottmenschen. digster Erregung. Immer gefährlicher wird die In jener Stunde, da diese herrliche Dankes- Schießerei. Wir sind nachmittags wieder in der feier in der Kapelle zu Ende ging, ward uns von Kapelle. Der heilige Raum ist gefüllt von Prie- der Hölle eine andere Feier zugedacht. Wir ha- stern und Laien. Plötzlich beginnt ein Freuden- ben dies erst am nächsten Tag erfahren. Um ruf. Es ist halb 6 [17.30] Uhr. Gott sei gelobt! Die halb 9 Uhr abends dieses Tages sollten alle Rettung ist da und noch früh genug gekommen. Häftlinge zum Appellplatz aufgerufen und mit Da plötzlich eine Schießerei im Lager. Re- Maschinengewehren niedergeschossen werden. servisten aus der Wehrmacht, zwangsweise der Das übrige Lager hingegen mit seinen vielen SS-Wikinger-Standarte (München) eingegliedert Kranken und Pflegern sollte durch Flammen- [308 ] werfer sein Ende finden. 306 Andreas Rieser hatte das Allerheiligste herausgenom- men, um es auf den Evakuierungsmarsch mitzuneh- 308 Es kursierten verschiedene Gerüchte über die Pläne men. des SS bezüglich einer Liquidierung der im Lager 307 Siehe: Seeger S. 33–35 u. S. 75–77. verbliebenen Häftlinge.

79 Während der genannten Dankesfeier begann Joseph Rovan: eine heftige Schießerei, die nach kurzer Pause Ich ließ den Lärm, die Freudenschreie, den Tru- wiederum aufs schärfste einsetzte. Die SS wollte bel, das Stöhnen der Kranken und das Röcheln das Lager zurückerobern, um alle Gefangenen der Sterbenden hinter mir, begab mich in die zu töten. Aus Mangel an Waffen und Leuten Kapelle und ließ mich in der Dunkelheit nieder, mußten sie jedoch fliehen – das Lager war ge- die mir im Licht einiger weniger Kerzen noch un- 309 rettet. durchdringlicher erschien. Ich setzte mich und Heinz Römer: atmete langsam durch, um meinen Herzschlag Bald nach Dachaus Ende, am 11.6.45, starb in zu beruhigen. Ich glaube nicht, daß ich wirklich einer Klinik in Wiltz unser Luxemburger Mitbru- gebetet habe, ich habe auch an nichts Be- der Dominik Trausch. Er hatte in den letzten stimmtes gedacht. Ich lauschte einfach in die Wochen vor der Befreiung dauernd abgenom- Stille hinein, die nach und nach die Leere durch- men und fast nichts mehr essen können. Als am drang. Es war wie ein kurzer Augenblick der 29.4. die Reihe an ihm war, in der Lagerkapelle Gnade. Nach einer Weile, die mir sehr lang er- zu zelebrieren, mußte er dies seinem Lands- schien, erhob ich mich und ging zu den Freun- mann Wealer überlassen. Es war das übrigens den, die sich in unserem gemeinsamen Zimmer die letzte hl. Messe in der Sklaverei: am Abend versammelt hatten. Noch einmal streckte ich betraten die amerikanischen Befreier die Ka- mich auf dem Tisch aus und sank plötzlich, mit- pelle! Auf dem Altar stand das Meßbuch aufge- ten in den Gesprächen und im hellen Licht, in schlagen zum Fest der „Trösterin der Betrübten“, einen traumlosen Schlaf.314 das an diesem Tag in den Diözesen Luxem- Pierre Humbert: [310] [311] [312] burg , Namur und Münster gefeiert Ein deutscher Priester zelebriert die Messe [in 313 wird. der Lagerkapelle, vermutlich am 29. April 1945]. Einige Offiziere und amerikanische Soldaten tre- ten an den Altar, um zu kommunizieren. Ein 309 Lenz S. 368–370. Priester tritt ans Ambo und predigt aus dem 310 Da der 29.4.1945 auf einen Sonntag fiel – den 4. Stehgreif, indem er die Geste unserer Befreier Sonntag nach Ostern – wurde das Fest der Trösterin rühmt, die aus der Hand eines deutschen Prie- der Betrübten am Samstag, dem 28.4., begangen. sters die Kommunion empfingen. Seiner An- Damals wurde das Fest der Patronin der Kathedrale sprache folgte ein sehr schlecht gesungenes Te in Luxemburg und der Patronin des Landes Luxem- Deum, so sehr schnürte unsere Rührung uns die burg als „festa duplicia I classis“ mit Oktav, das ist Kehle zu. Das kann man nicht erzählen, man muß es erlebt haben. Um Freiheit zu verstehen, der höchste Rang für Hochfeste, begangen. 315 311 Laut Auskunft des Diözesanarchivs Namur wurde das muß man sie entbehrt haben. Fest zum gleichen Zeitpunkt wie in Luxemburg ge- Edgar Kupfer-Koberwitz: feiert. Seltsam rührend ist auch die Geschichte des 312 Laut Auskunft des Diözesanarchivs Münster wurde amerikanischen Offiziers, der das Lager betrat, die Feier des Festes in Kevelaer nach einem vatikani- gleich nach dem Kampfe um Dachau, und der schen Reskript der Ritenkongregation vom 26.1.1942 auf den Samstag nach Christi Himmelfahrt festgelegt, der in Kevelaer zugleich der Kirmessamstag ist. 314 Rovan S. 286. 313 Stimmen von Dachau Nr. 11, Sommer 1969, S. 65 f. 315 Zitiert in Bernadac S. 263.

80 sich, jubelnd begleitet, zu den Priestern führen schalten wollten, durften niemals ihr Ziel errei- ließ und dort, in der Baracke, die heilige Kom- chen. Durch Leiden gereift, mußten wir erst munion empfing. – Es klingt wie ein Stück aus recht wertvolle Stützen werden für Gottes Reich, einer alten Schlacht. – Ich sehe die Baracke vor das sie vernichten wollten.319 mir, die Baracke der Priester und den dürftigen Franz Wöß: Raum darin, den sie „die Kapelle“ nannten und 1. Mai 1945 war öffentliche Maiandacht. Ein dort, von den Brüdern umgeben, kniend den großer Altar war auf der Stirnseite unseres Blok- Krieger, frisch aus der Schlacht kommend. – Sie kes errichtet. Die Polen hielten sie unter großer hat etwas Rührendes und zugleich Grandioses, Assistenz. Uns Deutschen wurde erlaubt, ein 316 diese Handlung. deutsches Marienlied zu singen. Johann Steinbock: Wir blieben noch 14 Tage im Lager, dann Auf der Priesterbaracke wehte die päpstliche wurden wir ins SS-Lager in eine schöne gemau- Fahne. In der Kapelle singt man das Te Deum. erte Baracke verlegt. Fünf Wochen nach der Be- Ein Altar wird außerhalb des Priesterblocks auf- freiung zogen wir deutschen Priester nach Pul- gebaut; öffentlich wird eine heilige Messe zele- lach, ein Jesuitenkolleg [Berchmans-Kolleg] briert. In der Nacht errichteten Kameraden auf zehn Kilometer südlich von München. Dort blie- dem Appellplatz ein hohes Kreuz. Tags darauf ben wir bis zum 9. Juli 1945, und dann ging es wird ein heiliges Meßopfer für alle Verstorbenen der Heimat zu.320 dargebracht.317 Pierre Humbert: Am Mittwoch, dem 2. Mai 1945, kapitulierte Während Père Riquet nach Frankreich aufbrach, Berlin. um die Öffentlichkeit über die KZ zu informieren, Josef Fischer: bereiteten die französischen Priester auf dem 2.5.1945. Herr Pfarrer Pfanzelt von Dachau Appellplatz ein Requiem für die Toten dieses 318 kommt ins Lager. Er besichtigt die Lagerkapelle, grauenvollen Lagers vor. die Blocks. Karl Leisner [Tgb. Nr. 27, S. 6]: Mai 1945 Dachau, Mittwoch. 2. Mai 1945 Johann Lenz: Alles geht langsam weiter. Geistlicher Rat Nachts zirka halb 12 Uhr gehe ich nun täglich in [Friedrich Pfanzelt] von Dachau auf Block 26. die Kapelle zur Nachtruhe. Vor 5 Uhr stehe ich Große Freude dort.321 auf und kann dann ein gutes Stündchen beim Tabernakel verweilen und bei der ersten hl. Messe zur hl. Kommunion gehen. – Gott sei Johann Lenz: Dank, war ich immer bestrebt, die Zeit gut aus- 3. Mai 1945. – Das Siegeszeichen unseres gött- zunützen. Was die Kirchenverfolger uns ge- lichen Schützers und Retters ragt übers Lager nommen, das wollte und durfte ich auf keinen empor. Ein Holzkreuz von 10 Meter Höhe. Ein Fall verlieren. Diese Gottesfeinde, die uns aus- halbes Jahr später wird in seiner Nähe ein

316 Kupfer-Koberwitz S. 448. 319 Lenz S. 381. 317 Steinbock 1948, S. 36. 320 Wöß S. 871. 318 Zitiert in Bernadac S. 363. 321 Seeger S. 37.

81 schmuckes Holzkirchlein[322] stehen – für die ge- drinnen, wenn man diesen profanen Ausdruck fangenen SS-Leute im Lager Dachau. Dann wird gebrauchen darf, der nur das äußere Erschei- auch schon der Bauplan und der Bauplatz ge- nungsbild zeichnen, nicht aber den Geist der nehmigt sein für die große europäische Wall- heiligen Handlungen charakterisieren soll. Zwei fahrts- und Sühnekirche[323] auf Lagergrund.324 Notaltäre waren in der Eile errichtet worden, an Karl Leisner [Tgb. Nr. 27, S. 7 f.]: welchem drei Priester in gestickten Seidenge- Dachau, Freitag. 4. Mai 1945 wändern die Messe lasen und Kommunion aus- Otto muß mich durchs Revier führen. Schlapp teilten, um die beiden an Haupt- und Seitenaltä- bin ich! Über den Appellplatz. – Abschied. Das ren Amtierenden zu unterstützen. Die Aufspal- tung in Nationen hat diese Hochflut von Gottes- Riesenkreuz und der Altar mit den Fahnen ste- 327 diensten mit sich gebracht. hen noch da. Abschied vom Lager! Gut durchs Tor und Entlassung.325

Karel Kašák: 8. Mai 1945 – Heute nachmittag kam wieder Pfarrer Gastager aus Hebertshausen auf die Plantage. Er hat František Němec weitere Uten- silien für die heilige Messe gebracht, darunter ein Ornat, dasselbe, in dem in der Lagerkapelle die erste heilige Messe abgehalten worden war, dann einen vergoldeten Kelch und einen Altar- stein vom Münchner Kardinal [Faulhaber]. Fran- tišek war nicht aufzufinden, also habe ich alles 326 selbst übernommen und aufbewahrt. Karl Adolf Groß: Donnerstag, 9. Mai 1945 Lagerkapelle am 11. Mai 1945 An vielen Stellen der Lagerkapelle In der Kapelle. wurde gleichzeitig Eucharistie gefeiert. Thurmann, der Kalvinist, gewissermaßen der Lagerälteste der evangelischen Pfarrer, sieht ungeduldig zum Fenster der Kapelle hinein und Johann Lenz: 11. Mai – P. Pies überführt Unsere Liebe Frau dann wieder auf seine Uhr: ist’s noch nicht so 328 weit? Gleich schlägt’s 9 Uhr; die Evangelischen von Dachau ins Pfarrhaus. wollen zur Andacht, aber drinnen machen die hochwürdigen Konfratres noch keine Miene zu weichen. Im Gegenteil, es herrscht Hochbetrieb

322 Die erste Heilig Kreuz Kirche. Siehe auch: S. 88. 323 Die Todesangst-Christi-Kapelle. Siehe auch: S. 85. 324 Lenz S. 398. 325 Seeger S. 38 f. 327 Groß, Fünf Minuten S. 255 ff. 326 Kašák S. 250. 328 Lenz S. 385.

82 aber ganz und gar zu den Häftlingen, stand – er half ihnen, wo er nur konnte – , die Post von draußen, so zum Beispiel die Post an Pater Ken- tenich von seinen Ordenshäusern, die ich dann weiter ins Lager besorgte[330], dort im [Ka- ninchen]Stalle band ich dem Verwalter Siegert die Sachen auf den Leib, die an die verschiede- nen kirchlichen Stellen gingen, so nach Freiburg oder nach München zum hochwürdigsten Herrn Kardinal Faulhaber, dort wurde Siegert mit unse- rem ersten KZ-Tabernakel bepackt, den er, zer- legt auf den Rücken und Bauch gebunden, nach Dachau und Hebertshausen besorgt hatte, Lagerkapelle am 11. Mai 1945 ebenso ging die ganze primitive Kapellenein- richtung auf diesem Wege aus dem Lager hin- Johann Steinbock: aus. Der ehemalige Sakristan unserer Lagerka- Die Deutschen waren die einzigen, die in diesen pelle, Heinrich Steiner, Pfarrer in Steinerkirchen Tagen keine Fahne hatten. Einzelne unter den bei Weis, hat sich um die rechtzeitige Rettung der ersten Einrichtung große Verdienste erwor- Völkern wollten sie zunächst auch nicht im Inter- 331 nationalen Gefangenenkomitee vertreten sehen. ben. Das geschah im zeitigen Frühjahr 1945. Aber die Einsichtigeren wiesen mit Erfolg darauf Johann Lenz: hin, daß die im Lager anwesenden Deutschen Mit den letzten Priestern hatte Christus [Ende doch auch genau so wie die übrigen Nationen Mai 1945] das Häftlingslager verlassen. Es wa- Gegner und Opfer der und SS waren, ren die Überlebenden des polnischen Klerus. und so wurde auch [am 6. Mai 1945] ein deut- Seit 9. April 1945 waren sie auf Block 26. sches Komitee gebildet. Auf der Priesterbaracke Sie waren auch die letzten Priester, die im wehte die päpstliche Fahne. In der Kapelle singt eigentlichen Häftlingslager bleiben mußten. man das Tedeum. Ein Altar wird außerhalb des Dann wurden sie in die ehemalige SS-Kaserne [332] Priesterblocks aufgebaut; öffentlich wird eine von Freimann bei München umgesiedelt. heilige Messe zelebriert. In der Nacht errichteten Christus aber zog mit ihnen und auch der La- Kameraden auf dem Appellplatz ein hohes geraltar. Im riesigen Gebäude nahm Christus Kreuz. Tags darauf wird ein heiliges Meßopfer aus Dachau Seine Wohnung. Dort begegnete für alle Verstorbenen dargebracht. Und dann alsbald ein großes Abschiedneh- men zur Rückkehr in Freiheit und Heimat, zu 329 Familie und Beruf. 330 Michael Siegert besorgte „Schwarzpost“; dieses Alois Langhans: rettete ihm bei der Befreiung des KZ durch die Ame- Michael Siegert von Hebertshausen, ein treu ka- rikaner das Leben. tholischer Mann, der in Diensten der SS stand, 331 Langhans S. 1018 f. 332 Die SS-Kaserne lag am Ende der Schleißheimerstraße in München. Heute befindet sich dort die Sanitätsaka- 329 Steinbock 1948, S. 36. demie der Bundeswehr.

83 ich Ihm, als ich am 23. und 24. November 1945 Hermann Richarz, der von Friedrich Pfanzelts Ak- 333 daselbst die hl. Messe feierte. tion offensichtlich nichts wußte, am 13. Juni 1945 an Karl Leisner in Planegg: Juni 1945 Die Kapelle ist in die frühere SS-Kaserne Frei- Franz Jedwabski am 10. Juni 1945 als Lagerdekan mann evakuiert, wo die meisten Polen jetzt der Polen aus der SS-Kaserne Freimann an Fried- wohnen.336 rich Pfanzelt: Hiermit beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, daß ************************ das Räumen des Lagers sowie der Lagerkapelle in Dachau unverhofft und plötzlich gekommen Schon früh entstand der Plan für eine kirchliche ist, so daß ich keine Zeit mehr hatte, um mich KZ-Gedenkstätte in Form einer Wallfahrts- und mit Ihnen zu verständigen. Deswegen tue ich Sühnekirche. das jetzt schriftlich, um jedem Mißverständnis Aus dem Memorandum von Leonhard Roth vorzubeugen. Die Lagerkapelle, sowie die litur- gischen Gegenstände haben wir mit Einver- vom 20. Januar 1960: ständnis der amerikanischen Behörden nach Bereits 1945, gleich nach Auflösung des KZ Da- Freimann mitgenommen, da wir sonst ohne Ka- chau, konnten der verstorbene Hochw. Herr Prä- pelle und Hl. Messe geblieben wären. Außerdem lat Friedrich Pfanzelt und ich (der ich als In- sind hier noch ca. 5 Tausend Polen-Katholiken. ternierungslagerseelsorger im KZ Dachau ein- Seiner Zeit haben Sie uns die liturgischen Ge- gesetzt war) Eminenz Kard. Dr. Faulhaber-Mün- wänder so lange zur Verfügung gestellt, als wir chen für den Gedanken einer Dachauer KZ-Ge- denkstätte interessieren. Kardinal Faulhaber ließ sie brauchten. Sobald wir das Lager Freimann [337] verlassen sollten, wird alles, was wir hier an li- damals bereits ein Modell einer imposanten turgischen Gegenständen haben, der katholi- KZ-Gedenkkirche erstellen und sprach wegen schen Kirche in Dachau als ihr Eigentum mit des Planes bei der amerikanischen Besatzungs- großem Dank zurückerstattet.334 behörde vor, die das gesamte Terrain des KZ Johann Lenz: Dachau beschlagnahmt hatte. Die amerikani- sche Besatzungsbehörde lehnte jedoch das Pro- Der Pfarrherr von Dachau hatte der „Kirche aus jekt ebenso ab wie die Idee, eine KZ-Gedenk- Polen“ am 11. Juni 1945 abends einen schönen stätte kirchlicher Art zu errichten. Selbst Emi- Altar zum Ersatz gebracht. Den geschichtlichen nenz konnte nichts erreichen, so daß der Plan Lageraltar samt Kruzifix, Tabernakel und Ker- vorläufig zurücktreten mußte. Solange das ge- zenleuchter nahm er dann im Lastauto mit sich. samte Terrain des KZ Dachau von der Amerika- Noch zu später Nachtstunde stellte er alles in nischen Armee beschlagnahmt war, also bis En- seiner Pfarrkirche auf. Rechts rückwärts steht nun der Lageraltar – bis zur Vollendung der gro- 335 ßen Sühnekirche auf Lagergrund. 336 Seligsprechungsprozeß S. 1477 f. 337 Leonhard Roth am 21.1.1960 an Johannes Neuhäus- ler: 333 Dies Modell des verstorbenen Kardinals, das noch Lenz S. 393. im Pfarrhaus St. Jakob in Dachau zu sehen ist, 334 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–39. zeigt eine imposante Großkirche, wenn auch alten 335 Lenz S. 394. Stils.

84 de 1948, war die Idee einer KZ-Gedenkstätte Johann Lenz: undurchführbar. Und das ist der neue Plan: eine Sühnekirche zu Johann Neuhäusler: erbauen am Ort der Verbrechen. Der Pfarrherr Schon Ende Juli 1945, also schon zwei Monate von Dachau ist der Vater dieses Gedankens. Die nach Kriegsende, wollte Kardinal Dr. Michael „Münchner Zeitung“ weiß schon am 28. Juli Faulhaber den Opfern des KZ Dachau ein 1945 davon zu berichten. Denkmal und für die dort verübten Verbrechen „Wallfahrtsort Dachau? ein Sühnemal errichten. München. – Kardinal Faulhaber hat dem Er schrieb diesbezüglich einen Brief an den amerikanischen Oberbefehlshaber, General der damaligen Oberkommandierenden der alliierten Armeen, Eisenhower, den Vorschlag unterbrei- Streitkräfte in Europa, General Dwight Eisenho- tet, auf der Stätte des ehemaligen Konzentrati- wer. onslagers Dachau ein Kloster zu errichten und Die alsbaldige Belegung des Lagers mit dieses zu einem europäischen Wallfahrtsort zu ehemals führenden Nazis, SS-Leuten usw. führ- machen. Diese Nachricht wurde vom Rektor des te dann mit deren eigener Mitarbeit und durch Jesuitenkollegiums in Maastricht, Pater van Ge- besondere Initiative von H. H. Kurat Leonhard stel, der kürzlich aus Dachau zurückkehrte, be- Roth zum Bau einer Notkirche [erste Heilig kanntgegeben.339 Kreuz Kirche] noch im Jahre 1945 (später auch Die Genehmigung wurde nicht erteilt.340 einer evangelischen Kirche). Das Internationale Komitee ehem. Dachauer Immer wieder erklärten einige ehemalige KZ-Prie- Konzentrationslagerhäftlinge, genannt „Comité ster ihre Bereitschaft, den Bau der geplanten Kirche International de Dachau“ mit dem Sitz in Brüs- zu unterstützen. sel, faßte den Beschluß, auf dem ehemaligen Appellplatz des Lagers ein Ehrendenkmal zu er- Johann Lenz: richten und ließ zu diesem Zweck einen interna- Eine Kirche der ewigen Anbetung im Barockstil tionalen Wettbewerb für Architekten ausschrei- soll errichtet werden. 2.000 Menschen soll sie ben, konnte aber noch nicht zu einer endgültigen fassen und „Unserer Lieben Frau von Dachau“ Entscheidung kommen. geweiht sein. Die schöne Marienstatue, vor der Inzwischen bemühten sich verschiedene wir Priester seit 1943 so viel Trost gefunden – Kreise und Personen, im besonderen H. H. Ku- sie soll das Gnadenbild des neuen Wallfahrts- rat Leonhard Roth, dieser Stätte so vielen Lei- ortes werden. Noch steht sie im Zimmer des dens und harten Sterbens ein religiöses Denk- Pfarrherrn [von St. Jakob Dachau] auf einem Eh- mal zu geben, sie so von der vielfach beklagten renplatz. Dann wird sie auf den Ehrenplatz im „Karnevals-Atmosphäre“ („Melbourne Herold“ neuerbauten Gotteshaus übersiedeln. Immer vom 31.3.1960) zu befreien und aus dem „Treff- gehört Maria auf den ersten Ehrenplatz neben punkt von Touristen“ einen Ort der Stille und Be- Christus, ihren göttlichen Sohn. sinnlichkeit, des Gebets und der Sühne zu ma- Für diesen Kirchenbau wurde viel beraten, chen.338 geplant, erwogen. Schließlich war man sich einig für eine „Sühnekirche mit ewiger Anbetung“. Am

339 Lenz S. 392 f. 338 Neuhäusler S. 67 f. 340 Siehe: Göttler S. 51.

85 1. September 1945 war die Sitzung des Preis- Friedrich Pfanzelt am 10. Juli 1946 an Reinhold richterkollegiums. Leider haben sich dann die Friedrichs: Verhandlungen verzögert – bis die Währungs- Was den Bau der Lagerkirche betrifft, so ist na- reform 1948 den schönen Plan begrub. Möge er türlich momentan ein Aufschub wegen der Mate- wiederauferstehen! Das wünschen wir Alt-Da- 341 rialbeschaffung gegeben. Aber gerne und dank- chauer und viele mit uns. barst nehme ich Deine Bereitschaft an, mir zur Josef Fischer am 16. August 1945 an Friedrich Seite zu stehen und ich hoffe, daß ich mit die- Pfanzelt: sem Werk mein Priesterleben krönen und been- Wie steht es mit der Kirche auf dem Lagerge- den kann. Sehr sehr dankbar wäre ich für den lände? Nimmt die Angelegenheit einen guten monatlichen Rundbrief[343] an die Priesterhäft- Verlauf? Gerade bezüglich der Kirche hätte ich linge und ich bin zu jeder Mitarbeit gerne bereit ein Anliegen. Wäre es Dir nicht möglich, in der und erfülle womöglich alle Wünsche, die eben in Marienkirche, Gedächtnis- und Sühnekirche eine hoc [diesbezüglich] an mich herantreten. Seitenkapelle oder einen Seitenaltar als Schön- [...] stattkapelle, -altar für die Schönstattfamilie zu Im Lager selbst immer noch reger Betrieb, Pater reservieren? Wir würden für die Mittel sorgen. Roth unermüdlich. Wir würden uns eine Ehre daraus machen, in Dachau auch von unserer Seite aus für ein ent- Aus dem Plan zur Errichtung einer Wallfahrts- und sprechendes Heiligtum zu sorgen. Sind doch Sühnekirche entstand die Todesangst-Christi-Ka- manche, die der Schönstattbewegung angehö- pelle, die am 5. August 1960 eingeweiht wurde. ren, in Dachau gestorben, sind doch viele aus verschiedenen Nationen zur Schönstattfamilie gestoßen. Und da die Familie zusehends in **************** Deutschland und in fremden Landen ganz ver- heißungsvoll wächst, wäre das für die Marienkir- Die bereits 1945 für die Internierten gebaute erste che in Dachau von segensvoller Auswirkung. Heilig Kreuz Kirche läßt sich als Nachfolgerin der Willst Du diese Anregung nicht auch einmal mit Lagerkapelle von Block 26 ansehen. dem Überbringer dieses Briefes besprechen. Wir Aus dem Memorandum von Leonhard Roth beide stehen gut miteinander und verfolgen bei- vom 8. Juli 1959: de den Plan. Nachdem die Armee das Lager zur Stadt Da- Reinhold Friedrichs am 22. Mai 1946 an Friedrich chau hin noch um 15 Baracken erweitert hatte, Pfanzelt: rückten bereits im Mai 1945 die ersten 15.000 Wenn Du meine Mitarbeit für den Bau der Wall- Waffen-SS-Leute mit ihren SS-Führern als Inter- fahrtskirche notwendig hast, so kannst Du nur nierte ein, denen im Juni 1945 weitere 10.000 342 funken, ich stehe recht gerne zur Verfügung. folgten.

343 Es gab verschiedene Rundbriefe für die KZ-Priester, 341 Lenz S. 393. bis am 1.1.1947 die 1. Nummer der „Stimmen von 342 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–39. Dachau“ erschien.

86 Johann Lenz: net und geben sie nicht heraus. Ich bin ohne al- 17. Juni. – Sonntag, 2 Uhr nachmittags, soeben les. Und ich möchte doch jeden Tag zelebrieren. auf Krankenbesuch. Da – welch eine freudige [. . . ] Könnten Sie mir leihweise das Notwendige Überraschung. Se. Eminenz Kardinal Faulhaber zur Verfügung stellen? [. . . ] von München ist da. Auch sein Besuch gilt vor- Mit großer Freude las ich gestern in der Zei- nehmlich unseren lieben Kameraden, die krank tung von der Eingabe Sr. Eminenz an die ober- sind.344 ste Amerikanische Militärbehörde, hier ein Klo- 348 Bei dieser Gelegenheit bat Kardinal Faulhaber ster zu errichten. Leonhard Roth, in Dachau zu bleiben.345 Am 13. Bericht ohne Datum, vermutlich von Leonhard Juli 1945 beauftragte Generalvikar Ferdinand Roth, für das KZ-Priester-Treffen 1955 in Dachau: Buchwieser Johann Lenz mit der Seelsorge im Wir bauten dann auf dem Appellplatz von Au- Lager Dachau.346 Diese Seelsorge galt vor allem gust bis Dezember 1945 die Lagerkirche, die den SS-Leuten, Angehörigen der Waffen-SS, Par- noch heute steht, aber von den Amis beschlag- nahmt ist. Sie wurde unter unserer Leitung von teigenossen und Kriegsverbrechern, die sich ab De- den katholischen SS-Männern gebaut. Kardinal zember 1945 vor dem Militärgerichtshof der 3. US- Faulhaber konsekrierte sie unter Beisein von et- Army verantworten mußten. wa 30.000 SS-Männern am 23.12.45 feierlich und taufte sie auf den Namen Hl. Kreuz[349].350 Johann Lenz: Leonhard Roth am 24. Dezember 1945 an Friedrich Am 20. Juli wurden die Militärgefangenen aus Pfanzelt: unserem einstigen Lager entfernt. Es kamen Dir verdanken wir, daß wir zu Weihnachten 20.000 SS-Gefangene. „Sie werden es bei uns schon die Kirche haben.351 nicht schlecht haben“, – äußert sich der ameri- Amtsblatt für Stadt und Landkreis Dachau, 2. Jahr- kanische Kommandant – „wir wollen Hitlers Me- gang, Nr. 5, vom 30. Januar 1946, S. 6: thoden nicht wiederholen.“ Demnächst wird am Sonntag, den 23.12.45 wurde von seiner Emi- Appellplatz eine Holzkirche [Heilig Kreuz] ge- nenz Kardinal Michael Faulhaber im SS-Lager baut, die 1.000 Mann fassen soll. Beim ersten Dachau die von und für ehemalige deutsche SS- Gottesdienst unter freiem Himmel, am 22. Juli Soldaten erbaute Kirche eingeweiht. [. . . ] Es öff- abends, gehalten vom G. R. [Geistlicher Rat] neten sich die Tore der Kirche, die in ihrer Länge Pfanzelt, waren etwa 500 Mann anwesend.347 von 30, Breite von 12 und Höhe von 7 Metern

Leonhard Roth am 31. Juli 1945 an Friedrich Pfan- zelt: 348 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5. Lieber Hochwürdiger Herr Geistl. Rat! 349 Göttler S. 15: [...] Die polnischen Geistlichen haben sich Am 4.8.1931 empfängt er [Leonhard Roth] in Köln, sämtliche Paramente und Meß-Geräte angeeig- in der Klosterkirche Hl. Kreuz in der Lindenstraße, die Priesterweihe. Zur Erinnerung an diesen Tag gibt er der Kirche, die er später für die SS-Inter- 344 Lenz S. 390. nierten im Lager Dachau bauen lässt, den Namen 345 Siehe: Göttler S. 49. Hl. Kreuz. 346 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5. 350 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–54/3. 347 Lenz S. 391. 351 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5.

87 einen überwältigenden Eindruck in der ganzen che mit Turm und versahen sie mit einer an- Raumgestaltung hinterläßt.352 sehnlichen Innenausstattung. Durch Bettelbriefe und viele Bittgänge hatte Pater Roth das Bau- material herbeischaffen können. Von der Anstalt Schönbrunn wurde ein kleines Harmonium zur Verfügung gestellt, die Caritas besorgte die Messgegenstände und Pater Roth gab der Kir- che den Namen „Heilig Kreuz“.353

Aus der Chronik der katholischen Gemeinde des Zivilinternierungslagers Dachau handschriftlich von Leonhard Roth: [. . . ] am 29.4.1945 von der amerikanischen Ar- mee befreit, blieb ich freiwillig zur Seelsorge (in amerikanischen Diensten) für die 5.000 typhus- kranken Häftlinge im Amerikanischen Hospital des Lagers Dachau, übernahm dann im Mai zu- sätzlich die Seelsorge für die einrückende Erste Kirche Heilig Kreuz kriegsgefangene Wehrmacht; und als diese ent-

Eleonore Philipp: lassen wurde und dafür am 16. Juli 1945 zu- nächst 15.000, kurz darauf noch 10.000 kriegs- Mit energischer Tatkraft und aufopfernder Hin- gefangene Waffen-SS ins Lager zogen, wurde gabe nahm sich Pater Roth nach seiner Ent- er [Leonhard Roth] auf Bitten des H. H. Prälaten scheidung, in Dachau zu bleiben, der Gefange- Stadtpfarrer Fr. Pfanzelt – Dachau Lagerkaplan nen im Internierungslager an. Seine Vorträge als Gehilfe des amtlichen Lagerpfarrers P. Nobis und Predigten, sein feines Einfühlungsvermögen am 16. Juli 1945. Nach Abgang des um die Pla- in die Situation der Inhaftierten verfehlten ihre nung des Lagerkirchbaues sehr verdienten La- Wirkung auf die teils hartgesottenen Männer gerpfarrers P. Nobis rückte P. Roth zum Lager- nicht, die sich nun scharenweise mit ihren Sor- pfarrer auf und war dann vom 27. August 1945 gen und seelischen Nöten vertrauensvoll an ihn bis zum 24. März 1946 der einzige Lagergeistli- wandten. Nicht weniger als 1329 SS-Männer che im SS-Lager Dachau. kehrten aufgrund seiner Seelsorgearbeit zur Kir- [. . . ] Einweihung der Heilig-Kreuz Lagerkir- che zurück. Aber Lippenbekenntnisse allein che am 23.12.1945 durch seine Eminenz Kardi- überzeugten den Dominikanerpater nicht; er ver- nal Faulhaber. langte von seiner katholischen Glaubensge- Lagerpfarrer H. P. Leo Roth OP vom Juli meinde Taten und forderte sie auf, mit ihm zu- 1945. – Lagerseelsorger H. P. Vogt OFM vom sammen eine Kirche zu bauen. Mehrere hundert Februar 1946 – April 1946; H. P. Basilius Neu- Männer aus dem „Freilager“ folgten dem Aufruf 354 bauer OFM vom April 1946. Pater Roths und errichteten in wenigen Monaten während ihrer Freizeit eine geräumige Holzkir- 353 Philipp S. 187. 352 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5. 354 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–7/1.

88 Jahr des Herrn 1946 Rücktritt und spricht Roth seine vollste Anerken- 357 Leonhard Roth am 21. Juni 1946 an Reinhold nung aus. Friedrichs: Ab 16. September 1948 übernahm Leonhard Roth 358 Wir haben hier weiter sehr viel Arbeit. Unser La- eine Kaplanstelle in München St. Andreas. ger ist seit zwei Wochen kein Kriegsgefange- In einem Bericht ohne Datum für das KZ-Prie- nenlager mehr, da sämtliche SS bis auf einen ster-Treffen 1955 in Dachau schildert Leonhard ganz kleinen Stab evakuiert wurde: alle Unter- Roth unter anderem seine „Beendigung“ der Lager- scharführer und abwärts wurden in die Freiheit seelsorge: entlassen, alle Oberscharführer und aufwärts Seit Juni 1945 bis Februar 1949 war es [das wurden in das Lager Plattling in Niederbayern ehemalige KZ] Internierungslager. überstellt, wo sie als Zivilinternierte inhaftiert [. . . ] Ich selbst war als Seelsorger da bis Ja- sind. Wir haben jetzt zwei Abteilungen: erstens nuar 1948, d. h. bis ich von den Amis wegen die sog. Kriegsverbrecher, genannt War Crimi- meines Eintretens für das Recht der Internierten nels, die zur Aburteilung kommen, und zweitens herausgeworfen wurde. die Zivilinternierten (Ministerialräte, Kreisleiter, [...] Ab März wurde das ehemalige KZ Ortsgruppenleiter usw., aber alle aus dem deut- Flüchtlingslager.359 schen Süden). Im Schreiben „Betreff: Lagerkirche Heilig Kreuz Dachau“ vom 20. Dezember 1948 an das Ordinariat Am 23. November 1946 wurde die Orgel in der in München erwähnen Leonhard Roth und Friedrich ersten Lagerkirche Heilig Kreuz feierlich einge- 355 Pfanzelt die Beschlagnahme durch die Amerikaner, weiht. obwohl die Kirche als Eigentum des Ordinariates in

München angesehen wird.360 Jahr des Herrn 1948

Chronik der katholischen Gemeinde Dachau-Ost Jahr des Herrn 1949 des Zivilinternierungslagers Dachau: Memorandum von Leonhard Roth zur Situation im Mit dem Neujahrstag 1948 d. h. mit dem Silve- sterabend schied Leonhard Roth als Seelsorger ehemaligen KZ Dachau. aus dem Lager.356 Wohnlager Dachau-Ost, den 20. Januar 1960 Norbert Göttler: An die KZ-Priesterschaft von Dachau [...] Nach zweieinhalb Jahren Lagerseelsorge ist I 2) Ende 1948 gab die amerikanische Besat- Roths Gesundheitszustand geschwächt. Er klagt zungsbehörde das gesamte KZ-Barackenlager über Schlaflosigkeit und Herzstörungen. Im Ja- Dachau, das Krematorium ausgenommen, an nuar 1948 bittet er seinen Provinzial, die Lager- den Juden Dr. Auerbach in München, ohne daß seelsorge beenden zu dürfen. Mit Schreiben jemand darum wußte. Dr. Auerbach seinerseits vom 17.1.1948 bestätigt Kardinal Faulhaber den verkaufte es bereits 1948 an den Bayerischen

357 Göttler S. 55. 355 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5. 358 Siehe: Göttler S. 57. Siehe auch: Eleonore Philipp in „Amperland“. 359 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–54/3. 356 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–7. 360 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 27–5.

89 Staat. Die damals den Bayerischen Staat ver- retten konnte. Ich mußte ganz neu mit nichts an- tretenden Staatsbehörden machten dann bereits fangen. zu Beginn 1949 – ich war damals nicht mehr anwesend[361] – das gesamte ehemaligen KZ- Barackenlager zu einem „Wohnlager Dachau- Ost“ für 2.300 volksdeutsche Heimatvertriebene aus dem „Dulag“ Dachau und den Ortschaften des Landkreises Dachau. Mit 6 bis 7 Millionen DM ließ der Bayerische Staat die KZ-Baracken, einschließlich des Priesterblocks 26, in Wohnba- racken umbauen. Bericht ohne Datum, vermutlich von Leonhard Roth für das KZ-Priester-Treffen 1955 in Dachau: Im März 1949 zogen etwa 2.300 deutsche Flüchtlinge in das ehemalige KZ ein. Die Amis hatten den Appellplatz mit der Kirche durch ei- nen Zaun abgetrennt und zu ihrem Camp neben dem KZ geschlagen. Die Kirche wurde von den Block 29, ehemals Priesterblock 26 Amis beschlagnahmt, zunächst als Kohlen-

schuppen benutzt, dann für alle Sekten freigege- [. . . ] Die Kuratie [Dachau Ost] ist selbststän- ben. dig mit eigenen Matrikelbüchern wie eine Pfarrei. Im Laufe des Jahres 1949 verließ Leonhard Roth Da uns die Kirche [erste Kirche Heilig Kreuz] von seine Kaplanstelle in München St. Andreas und den Amis genommen ist, habe ich die ehemalige kehrte nach Dachau zurück. „Strafkompanie“ auf Bar. 27 zu unserer Notkir- Bericht ohne Datum von Leonhard Roth für das che Hl. Kreuz [zweite Kirche Heilig Kreuz] mit KZ-Priester-Treffen 1955 in Dachau: Sanctissimum eingerichtet (jetzige Br. 32). Wir Da wurde ich vom Herrn Prälaten [Pfanzelt] und hoffen aber, die Lagerkirche [erste Kirche Heilig von Eminenz Faulhaber als Seelsorger gerufen, Kreuz] auf dem Appellplatz zurückzubekommen, um die ins KZ übersiedelten 2.300 Flüchtlinge zu da unser Notraum viel zu klein ist.362 betreuen. Da sich Eminenz Faulhaber mein Ja zum 80. Geburtstag [am 5. März 1949] ge- Im Block 32, ehemals 27, fanden der Tabernakel wünscht hatte, folgte ich – widerwillig. des alten Lageraltars von Block 26 mit den Kerzen- Leider war bei meiner Wiederkunft die Br. leuchtern und der Leuchterbank auf einem neuen [Baracke] 26 bereits wohnlich eingerichtet, so von einem Schreiner gefertigten Altartisch ihren daß ich unsere ehemaligen Kapelle nicht mehr Platz.

361 Leonhard Roth am 21.1.1960 an Johannes Neuhäus- ler: [...] während ich Kaplan in München war und von nichts wußte, [...] 362 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–54/3.

90 Leonhard Roth hatte das Holz für die Arbeit be- sorgt. Nach Leonhard Roths Tod bekam sein Neffe in Ottobeuren diese Madonna, in dessen Wohnung sie heute noch steht.363

Pater Roth in der zweiten Kirche Heilig Kreuz (Block 32, ehemals Block 27) bei der Feier der Erstkommunion

Auf dem Seitenaltar befand sich die in Anleh- nung an „Unsere Liebe Frau von Dachau“ von Die zweite Kirche Heilig Kreuz in Block 32 einem ehemaligen Häftling geschnitzte Madonna II. mit Lager-Altar und Madonna von Dachau II

363 Auskunft von Eleonore Philipp.

91

Liturgische Gegenstände aus der Lagerkapelle im KZ Dachau von den Häftlingen „Reliquien“ genannt

Jahr des Herrn 1955 Wichtig scheint mir zu unserer Rechtfertigung zu Zehn Jahre nach der Befreiung trafen sich die KZ- sein, daß Du den KZ-Priestern sagst, wieso die Priester dort, wo sie viel erlitten, aber zugleich frühere Kapelle auf Bar. 26 unsererseits nicht als intensiv Gottes Nähe in ihrer früheren Lagerkapelle Kapelle bewahrt wurde. Sie könnten meinen, es erfahren hatten. sei aus Pietätlosigkeit übersehen worden. Tat- sache ist: Als wir hier die Kuratie errichteten, war Rundbrief von Reinhold Friedrichs vom 5. Juli die Kapelle vom Staat bereits zu Wohnungen 1955 an die Dachau-Priester: eingerichtet, wovon wir nichts wußten.365 Sonntag, 11.9.1955 15.00 Uhr: Josef Neunzig: Feierliche Translatio der Lagermadonna „Unsere Am 10./11. September [1955] war in Dachau un- Liebe Frau von Dachau“ vom Pfarrhof aus durch ser großes KZ.-Priestertreffen. [...] Zu Beginn die Stadt zur Pfarrkirche [St. Jakob], dort Predigt 364 der Wiedersehensfeier traf man sich am Sams- und Andacht mit Weihegebet. tag Nachmittag zu einer würdigen Gedenk- stunde in der armseligen und nüchternen Ba- Leonhard Roth am 6. September 1955 an Friedrich rackenkapelle des Lagers, die heute auf Block Pfanzelt:

364 Nachlaß Johannes Sonnenschein. 365 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–54/3.

92 27[366] untergebracht ist und wo noch immer un- ligten Erinnerungsstücke heute? Schämten sich ser lieber Leo Roth die Seelsorge an den Hei- etwa die Katholiken Dachau’s dieser Kostbar- mtatvertriebenen, die jetzt im Lager unterge- keiten? – Dann bedauern wir, dass unsere pol- bracht sind, ausübt. [...] nischen Konfratres nur die Monstranz mitge- Am Nachmittag waren Tausende von Gläubi- nommen haben. gen Zeuge der festlichen Prozession, die die Johann Lenz: Translatio der Lager-Madonna „Unserer lieben Leider kam die Sühnekirche nicht zustande. „Bei Frau von Dachau“ in die Stadtpfarrkirche [St. Ja- dem KZ-Priestertreffen am 10. und 11. Septem- kob] durchführte. Dort thront sie nun auf dem ber 1955 wird die feierliche Übertragung des prachtvollen Altar im linken Seitenschiff, um hier Madonnenbildes (vom Pfarrhof) in die Stadt- als Mutter der Gnaden für alle Zeit ihren Ehren- pfarrkirche St. Jakob in Dachau den Schlußstein platz zu haben. Ein schlichter Wandschrein bilden. Und wir sind überzeugt, daß auch das schließt die Kleinodien ein, die uns im Lager so katholische Volk von Dachau nach dem Vorbild lieb geworden waren, so z. B. das erste Meßge- der Dachauer K.Z.-Priester zu ‚Unserer Lieben wand, was im Lager gebraucht wurde, Bischofs- Frau von Dachau’ pilgern wird in allen Nöten des gewand, Pectorale, Mitra und Stab von Bischof Leibes und der Seele. Und die ‚Gnadenmutter Gabriel Piguet, auch den Tabernakel mit den von Dachau’ wird auch weiterhin ihre mütterliche schlichten Engelstüren, s. Zt. [seiner Zeit] aus Segenshand schützend über das liebe Dachau 367 Konservenblech kunstvoll gemacht. breiten“ (Prälat Pfanzelt). – Die Übertragung selbst, geleitet vom Hw. H. Prälaten Pfanzelt, Otto Kohler am 1. Juni 1965 an Kardinal Döpfner: beehrt mit der Anwesenheit Sr. Emin. Kard. Jos. [...] Wendel, wird allen Beteiligten eine unvergeßlich 2.) Im Jahre 1955 befand sich an der Wand des schöne Feier bleiben. linken Seitenschiffes [von St. Jakob in Dachau] In einem Schreckensort des Terrors und des ein Schaukasten mit all den selbstgefertigten Hungers, wo Blut und Tränen so reichlich ge- Paramenten und Kultgegenständen aus dem flossen, wo Verbrechen und Gottlosigkeit so KZ, die sicherlich geheiligte historische Erinne- dämonisch gewütet, hier hat Maria gesiegt. Der rung sind. Darunter die Paramente, die der Schlange hat sie den Kopf zertreten, ihre Kinder KZ-Gefangene Bischof Gabriel Piguet bei der jedoch, Priester und Volk von Dachau, fest und einzigen Priesterweihe im Lager Dachau getra- treu unter ihren Schutzmantel genommen. Wir gen hat. Jedes Teil hat seine eigene Geschichte: aber rufen voll Begeisterung und laden alle Got- Stab, Mitra, Pektorale, Ring usw. Auch die Mon- teskinder auf Erden ein, mit uns zu beten: stranz[368] wurde dort aufbewahrt, von der wir hö- „Unsere Liebe Frau und Gnadenmutter von 369 ren mußten (Weihbischof Neuhäusler), dass sie Dachau, bitte für uns! Amen.“ jetzt im Besitz der Polen sei! Frage: Wer ist ver- September 1955 antwortlich dafür, dass dieser Schaukasten aus Zur feierlichen Übertragung der Lagermadonna der Kirche entfernt wurde? Wo sind diese gehei- vom Pfarrhaus in die Pfarrkirche von Dachau im September 1955 war ich abermals im einstigen Lager. Auf dem Appellplatz steht je ein schmuk- 366 1955 hatte der Block die Nr. 32. 367 Stimmen von Dachau Nr. 1, 1955, S. 2. 368 Die erste Monstranz, gefertigt von Karl Schmidt. 369 Lenz S. 192.

93 kes Kirchlein der europäischen Protestanten[370] bar. „Wir müßten etwa 20.000 DM in die Kirche und der USA-Besatzung[371]. In den Blöcken – stecken. Das rentiert nicht, nachdem doch das die nun teilweise gemauert (und deren Num- Lager nicht ewig bleiben wird und soll (...). So mern vertauscht sind), wohnen fast 2.000 Aus- haben wir die Rücknahme der Kirche ausge- landsdeutsche [Heimatvertriebene aus dem schlagen“ schrieb Pater Roth im August 1956 an Osten]. eine ehemalige Bewohnerin des Lagers Da- Den sehr einfachen katholischen Gottes- chau-Ost. Nur an besonderen Sonn- und hohen dienstraum finden wir im ehem. Block 27/4 – wo Festtagen wurde die geräumige Lagerkirche (1942–45) die SK [Strafkompanie] ihr leidvolles noch benützt.373 Dasein fristete. Im ehem. Block 21/2 wohnt P. Roth, der eifrige „Lagerpfarrer“. Die Beteiligung Jahr des Herrn 1957 am Sonntagsgottesdienst und am Sakramenten- Heinz Römer: empfang ist beispielgebend. Der einstige Block Der Papst stiftet Kelch für Dachau 26 (heute 29) ist zur Gänze bewohnt. Mitten auf Papst Pius XII. hat für die [von Italien geplante] der Lagerstraße kündet ein blumengeschmück- Votivkapelle auf dem Gelände des ehemaligen tes Kruzifix den Wandel der Zeiten. Konzentrationslagers Dachau einen Meßkelch Irgendwo auf Lagergrund wird nun doch eine gestiftet. Dieser wurde in Anwesenheit der Ver- Sühnekirche erstehen müssen – allein schon für treter der staatlichen und städtischen Behörden die vielen Siedler in Lagernähe. „Christus der durch den Erzbischof von Verona, Msgr. Gio- Sieger“ von Dachau soll eine würdige Wohn- vanni Urbani, dem Präsidenten des italienischen stätte erhalten und darin auch U. L. Frau von Nationalkomitees für den Bau dieser Kapelle Dachau einen Ehrenplatz finden. Vielleicht wird überreicht. Das Nationalkomitee in Verona hat das Lager einst verschwinden – das Gotteshaus es sich zum Ziel gesetzt, in Dachau eine Votiv- soll weiter künden: Christus gestern, heute und 372 kapelle zu bauen, die dem Gedenken aller in in Ewigkeit! (Hebr. 13, 8). dem KZ-Lager umgekommenen Häftlinge ge- widmet sein soll. Die Kapelle wird den Namen Jahr des Herrn 1956 „Maria regina pacis [Maria, Königin des Frie- Eleonore Philipp: dens]“ tragen. (Aus „Paulinus“ Trierer Bistums- Erst 1956 gaben die US-Behörden die [erste] blatt Nr. 8, 24. Februar 1957)374 Lagerkirche [Heilig Kreuz] auf dem Appellplatz Hans-Günter Richardi: endlich wieder frei. Doch die Enttäuschung war Vom Parkplatz unterhalb des Leitenbergs führt groß: Die Kirche zeigte sich total verwahrlost ein Weg, vorbei an vierzehn Kreuzwegstationen, und die Spranger-Orgel war nicht mehr bespiel- die mächtige, rohbehauene Marmorblöcke aus Montegrotto-Termi bei Padua mit Reliefs des Veroneser Bildhauers Vittorio di Colbertaldo bil- 370 Neben der ersten katholischen Kirche Heilig Kreuz den, zur italienischen Gedächtniskapelle „Re- hatten auch die Protestanten eine Kirche auf dem KZ- gina Pacis“ (Königin des Friedens). Der runde Gelände errichtet, die später abgerissen wurde. 371 Vermutlich meint Johann Lenz die erste Kirche Hei- lig Kreuz, die für die SS-Internierten gebaut und von 373 Philipp S. 190. den Amerikanern beschlagnahmt worden war. 374 Stimmen von Dachau Nr. 4, 1957, S. 2. Die Votivka- 372 Lenz S. 410. pelle steht auf dem Leitenberg bei Dachau.

94 Kuppelbau, den der Architekt Ronca Euena ent- Kurat P. Leonhard Roth, warf, wurde zum Gedenken an alle Italiener er- Dachau-Ost 26/II, bei München richtet, die in den nationalsozialistischen Kon- Memorandum zentrationslagern ums Leben kamen. Die Weihe betreffend Ausgestaltung des ehemaligen KZ— der VotivkapeIle nahm der Erzbischof von Bolo- Dachau zu einer internationalen KZ-Gedenk- gna, Giacomo Kardinal Lercaro, am 31. Juli stätte 1963 in Gegenwart des italienischen Staatsprä- an die Vereinigung der ehemaligen KZ-Priester sidenten Antonio Segni [1891–1972] und des Dachaus/anläßlich des Treffens in Trier zum deutschen Bundespräsidenten Heinrich Lübke 17./19. August 1959. [1894-1972] vor.375 8. Juli 1959 An die Vereinigung der Dachauer KZ-Priester Jahr des Herrn 1958 [...] Leonhard Roth am 29. Juli 1957 an Reinhold Fried- I Eine Mitteilung richs: 1) Über das Schicksal des ehemaligen KZ Da- chau: Zum Juni 1958 ist großes internationales KZ- a) Wir wurden am 29. April 1945 befreit. Das Treffen in Dachau, angeregt von den Kommuni- KZ-Barackenlager wurde von der Amerikani- sten. Und die Christen? Wir haben keinerlei schen Armee desinfiziert, die typhuskranken Kontakt – Häftlinge in die nahegelegnen SS-Unterstands- Unter der Überschrift Baracken evakuiert, das KZ-Barackenlager be- Kapelle ehrt Italiener als Nation reits im Mai 1945 von der Amerikanischen Ar- veröffentlichte P. N. (Josef Neunzig) in Stimmen mee als „Internierungslager Dachau“ beschlag- von Dachau einen Artikel von Leonhard Roth mit nahmt. [...] Als oberhirtlich bestellter Lagerpfar- der Frage nach einer deutschen Gedenkstätte. Le- rer besorgte ich dann mit den zur Kirche heim- onhard Roth hatte am 23. Dezember 1958 dazu gefundenen Waffen-SS-Leuten auf dem frühe- einen Artikel für die Tageszeitung Dachauer Nach- ren Appellplatz die heute noch stehende [erste] richten geschrieben.376 Lagerkirche Heilig Kreuz, die am 23.12.1945 von Leonhard Roth am 29. Juli 1957 an Reinhold Eminenz Faulhaber feierlich benediziert wurde. Friedrichs: b) Dies Internierungslager Dachau bestand von Mai 1945 bis Januar 1949. Vollständig unter Würde ich hier nicht dauernd wachen und kämp- Verwaltung der Amerikanischen Armee, beher- fen, so hätte man unseren Ort der Leiden längst bergte das ehemalige KZ Dachau nacheinander eingeebnet. Aber ich lasse das auf keinen Fall den Großteil ehemaliger Wehrmachts- und zu. SS-Generäle, Gestapo, Gauleiter, Kreisleiter,

Ortsgruppenleiter, sämtliche KZ-Mannschaften Jahr des Herrn 1959 einschließlich der Bonzen. Die Alliierten hielten Folgendes Memorandum von Leonhard Roth zur hier die bekannten Kriegsverbrecherprozesse Situation im ehemaligen KZ Dachau gibt einen ab. Das ehemalige KZ-Barackenlager wurde in Überblick über die Entwicklung seit der Befreiung. verschiedene Abteilungen eingeteilt; im hinteren Teil, darunter auch unser Priesterblock 26, wur- 375 Richardi S. 302. de das „Sonderlager der Kriegsverbrecher“ un- 376 Stimmen von Dachau Nr. 7, März 1959, S. 9. tergebracht. Aus dieser Internierungszeit stammt

95 die erste Verwahrlosung der ehemaligen ehemalige „Strafkompanie“ auf Block 27/4 war KZ-Baracken. Unsere Kapelle im Priesterblock für mich noch erreichbar, so daß ich hier die 26 wurde als Unterkunft für die internierte Ge- heutige [zweite] Kapelle Heilig Kreuz eingerich- stapo eingerichtet. Die Amerikanische Armee tet habe, in der Tag und Nacht das Sanctissi- zeigte keinerlei Interesse, diese Kapelle zu er- mum ist. halten. II Eine Anregung c) Im Januar 1949 waren die Kriegsverbrecher- [...] prozesse soweit unter Fach gebracht, daß die 4. Wird das Wohnlager Dachau-Ost aufgelöst, Amerikanische Armee das Barackenlager an die so ist keine Kirchgemeinde mehr hier. Die jet- deutschen Behörden übergab, selber aber den zige, von mir 1945 erbaute [erste] Lagerkirche ganzen Trakt der ehemaligen Küche, Bunker, Heilig Kreuz, hört dann als Kirche zu bestehen Krematorium in eigener Verwaltung behielt. Die auf und wird voraussichtlich „Weihe-Halle“ in- restlichen Internierten wurden, soweit sie nicht nerhalb der KZ-Gedenkstätte. [...] abgeurteilt oder entlassen waren, in andere La- Dem Memorandum sind mehrere Eingaben bei- ger nach Garmisch, Regensburg, Arolsen, Platt- gegeben: ling, Hammelburg usw. überstellt, Das KZ-Ba- Vorschlag Leonhard Roths für eine Eingabe an rackenlager selbst ging in die Verwaltung der G. Walraeve: deutschen Behörden über, [...]. Nachdem 1960 in München der [37.] Eucharisti- d) Der Bayerische Staat richtete dann ab Januar sche Weltkongreß stattfindet, in dessen Rahmen mit April 1949 das ehemalige KZ-Barackenlager wir eine Großveranstaltung im ehemaligen KZ Dachau, gewesenes Internierungslager als Dachau planen, ersuchen wir, daß diese jetzige „Wohnlager Dachau-Ost“ unter Verwaltung des Baracke 29 des Wohnlagers in absehbarer Zeit Zentralfinanzamtes München ein. von seinen jetzigen Insassen evakuiert wird, d1) Aus dem in Dachau gelegenen Massenlager damit 1960 der Priesterblock 26 für die vielen in- „Dulag Dachau“ sowie aus den umliegenden und ausländischen Besucher bereits besuchbar Dörfern wurden 2.000 volksdeutsche Heimat- ist. vertriebene aus allen Ostländern eingesiedelt, Vorschlag Leonhard Roths für eine Eingabe an die nun immer wechseln. d2) Der Bayerische Staat beließ alle KZ-Ba- Joseph Kardinal Wendel: racken, bemörtelte sie aber und richtete sie, ein- Nachdem das KZ Dachau in unmittelbarer Nähe schließlich unseres Priesterblockes 26 zu Wohn- Münchens gelegen ist, dürfte es angebracht baracken ein mit einem Kostenaufwand von 6 sein, die Besucher des Kongresses auf diese Millionen [DM]. Jede Baracke wurde in 8 Flure Katakomben des 20. Jahrhunderts aufmerksam eingeteilt jeder Flur zu 5 Zimmern. Auch die Ka- zu machen. In diesem KZ-Dachau haben Tau- pelle von Block 26 wurde zu Wohnungen umge- sende von Priestern und Laien unserer heiligen staltet. Kirche aus der Kraft der hl. Eucharistie ein Mar- d3) Die Baracken wurden numeriert. Unser Prie- tyrium bestanden, das unseren Herrn Jesus sterblock 26 trägt seitdem und bis heute die Christus im Hl. Sakrament wohl ehrt. Nummer 29, der Block der polnischen Priester, also Block 28, die Nummer 31. Da ich erst März Leonhard Roth am 4. September 1959 an Weihbi- 1949 nach Umbau der Baracken wieder herge- schof Neuhäusler mit Durchschrift an Reinhold holt wurde, konnte ich nichts retten; nur die Friedrichs:

96 [...] geworben hatte, entstand die katholische Todes- 3) Nachdem es Tatsache ist, daß die heiligste angst-Christi-Kapelle. Die Andachtsstätte wurde Eucharistie in unserer Kapelle auf Block 26 d i e anläßlich des Eucharistischen Weltkongresses am 5. Kraftquelle für die vielen christlichen KZler Da- August 1960 eingeweiht. Den Rundbau entwarf der chaus war, so wäre es vielleicht doch angemes- Münchener Professor Dr. Josef Wiedemann. Den sen, hier im KZ Dachau anläßlich des Euchari- stischen Kongresses eine ganz große Feierlich- Namen der Kapelle „Von der Todesangst Christi“ keit zur Ehrung der heiligen Eucharistie zu ver- bestimmte Joseph Kardinal Wendel, wie Johannes anstalten. Das habe ich unseren KZ-Priestern Neuhäusler schreibt, als „Hinweis auf die Todes- zur Tagung in Trier [17./19.8.1959] vorgeschla- angst, unter der in diesem Lager Zehntausende von gen, und der Vorschlag fand bei allen Teilneh- Insassen jahrelang Tag und Nacht gelitten hatten“. mern Zustimmung. Dachau ist so nahe bei Mün- Memorandum von Leonhard Roth zur Situation chen gelegen, daß doch sicher keine Schwierig- im ehemaligen KZ Dachau. keit besteht, so eine Feierlichkeit im Rahmen Wohnlager Dachau-Ost, den 20. Januar 1960 des Weltkongresses nach Dachau zu verlegen. An die KZ-Priesterschaft von Dachau Sie, Exzellenz, genießen ja mit Recht den Ruf, 5. [...] ein ausgezeichneter Organisator solcher Feier- Jedenfalls ist es Exzellenz Weihbischof Dr. lichkeiten zu sein, und auf Sie hört Eminenz Neuhäusler zu danken, daß er seit Mitte 1958 [Wendel] bestimmt. Es geht ja doch um die Eh- das Projekt einer Dachauer KZ-Kapelle „Zu Eh- rung der Hl. Eucharistie, und das eben ist Tatsa- ren der Todesangst Christi“ in das Programm che, daß das KZ Dachau 1941/45 in der Kapelle des Eucharistischen Weltkongresses aufge- auf Block 26 ihren leuchtenden Mittelpunkt und nommen hat. [...] ihr Kraftzentrum hatte. 6b) [...] Der Priesterblock 26, den ich gerne Leonhard Roth am 8. September 1959 vermutlich wiederhergestellt sehen möchte mit Kapelle, ist an Reinhold Friedrichs: noch bewohnt und dürfte wohl leider verfallen, [...] wenn wir uns nicht für den Wiederaufbau einset- 1) Die Regierung wird die Priesterbaracke 26 bis zen, was ich erwarte. Denn dieser Block ist ewig zum Eucharistischen Weltkongreß im ursprüng- denkwürdig!!! [...] lichen Zustand wiederherstellen lassen. Aber wir II 2) Wie denken wir uns die zukünftige interna- KZ-Priester sollen Weihbischof Dr. Neuhäusler tionale KZ-Gedenkstätte in Dachau? einen Plan liefern, wie die Priesterbaracke ein- 2a) [...] Zweitens müssen einige Baracken, dar- gerichtet war. Möglichst bald. Da hatte ich an unter unbedingt die ehemalige Priesterbaracke unseren Praktikus Pater Karl Schmidt, München, 26 (mit Kapelle) wiederhergestellt und im ur- Stadtpfarrei St. Wolfgang, gedacht. Oder weißt sprünglichen Zustand gezeigt werden. Du jemand? Bevor so ein Plan nicht vorliegt, kann keine Baufirma bestellt werden. Reinhold Friedrichs am 27. Juli 1960 an die KZ- Priester: Jahr des Herrn 1960 Wir feiern am Freitag, dem 5. August, um 9.00 Auf Initiative des Münchner Weihbischofs Johan- Uhr, in der alten Kapelle, Block 26, Stube I, wie nes Neuhäusler, der als ehemaliger Dachau-Häft- ehedem, die heilige Messe. Es wäre schön, ling unermüdlich in der Öffentlichkeit für den Bau wenn unser Lagerdekan Georg Schelling zele-

97 brieren würde. 13.30 Uhr nehmen wir an der Dafür lasse ich sie am 4. Aug. nach Oberam- Einweihung der Sühnekirche [Todesangst-Chri- mergau[378] fahren. sti-Kapelle] teil. Nach Möglichkeit erscheinen wir Johannes Neuhäusler am 5. August 1965 an die im Chorrock und versammeln uns 12.30 Uhr auf KZ-Priester: der Blockstraße vor Block 26. Um 17.00 Uhr hal- [...] ten wir eine Konferenz ab im Lokal Höhr- b) Altar, Madonna und die sonstigen „Reliquien“ hammer, Dachau, da wir manche Dinge zu be- der Lagerkapelle waren bis 1959 in der von un- sprechen haben und unsere Zusammenarbeit serem unvergesslichen Prälat Pfanzelt betreuten für die Zukunft festlegen können. Am Samstag, Stadtpfarrkirche St. Jakob. Als es aber aus An- dem 6. August, ist um 8.00 Uhr Gemeinschafts- lass des Eucharistischen Weltkongresses 1960 gottesdienst in der neuen Kapelle. Ich bin ge- gelang, die Kapelle des Priesterblockes wenig- beten worden, diesen zu übernehmen. stens in ihrem Hauptteil wiederherzustellen, Johann Neuhäusler am Freitag, dem 29. Juli 1960, wurden Altar, Madonna, Monstranz[379] wieder an Reinhold Friedrichs: „heimgebracht“. Viele Tausende haben die Ka- In Eile und Kürze: Selbstverständlich einver- pelle besucht und auch vor der Madonna gebe- standen mit Gottesdienst am Samstag in der al- tet; viele Priester celebrierten am Altar. Wir ten Lagerkapelle, die wir freilich nicht in der vol- glaubten und glauben, mit dieser Rückführung len Größe herstellen lassen, um nicht zuviel der Madonna u. a. ins Lager und in die Priester- Einbauten zerstören zu müssen. Schöner wäre, barackenkapelle das Rechte getan zu haben. wenn nachmittags die KZ Priester im Rochett kämen. Zusammenkunft 17.00 ist etwas spät. Ich würde etwas eher empfehlen, damit die Prie- ster doch noch rechtzeitig nach München zur Abendfeier[377] kommen können. Beiliegend noch ein besonderer Fahrtenausweis, damit Du bis vors Denkmal fahren kannst. Heute kommt schon das Gerüst weg von der Kapelle, Freitag kommt der Altar hinein. Ich glaube, es wird alles fertig, auch die Planierung, an der Deine Münsteraner (CAJ) kräftig mitma- chen, wie sie überhaupt vorbildlich tätig sind.

377 Im Programm des Eucharistischen Weltkongresses in München stand Freitag, der 5. August, unter dem Thema „Tag des Kreuzes“. Um 20.00 Uhr war auf Altar und Madonna in der Lagerkapelle dem Festplatz eine abendliche Feierstunde: „Das Ge- vermutlich nach 1960 aufgenommen heimnis des Kreuzes“ – Unsere Antwort auf die Not und Todesangst der Welt. Die Predigt hielt Pater Ge- org Waldmann SJ aus München. 378 In Oberammergau finden in der Regel alle zehn Jahre Auf Grund eines starken Unwetters ließ Kardinal Passionsspiele statt, so auch 1960. Wendel die Feier vorzeitig abbrechen. 379 Die zweite Monstranz, gefertigt von Antoni Latocha.

98 Beim Eucharistischen Weltkongreß war der „Da- Nach Angaben von Franz Pawelka, Mitarbeiter chau-Altar“ im östlichen wiederhergestellten Teil des Vereins „Zum Beispiel Dachau“, fanden die des Priesterblocks 26 aufgestellt.380 ersten Gottesdienste in der Schulbaracke (Turn- zimmer) des Wohnlagers Dachau-Ost statt.

Jahr des Herrn 1961 Von 1961 bis 1963 stand der Dachau-Altar wieder an seinem ursprünglichen Ort, in der teils wieder- hergestellten Kapelle des Priesterblocks 26, und war Gegenstand erinnernden Gedenkens.

Dachau-Altar nach 1960

Neben der neugeweihten Todesangst-Christi-Ka- pelle hängt auf einem acht Meter hohen Gerüst eine Glocke, die ehemalige österreichische Häftlinge und die österreichische Bundesregierung in Wien stifteten. Die Stiftung erfolgte auf Anregung des Innsbrucker Schlossermeisters Emmerich Hornich. Täglich um 15.00 Uhr – zur Todesstunde Christi – wird auch heute noch die Glocke geläutet. Als immer mehr Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Lager in die neu gebauten Wohnungen in Heinz Dresbach am Dachau-Altar 381 Dachau-Ost umzogen, wurde 1960 unter Pfarrer in Karl Leisners Primizgewand Josef Lechner schließlich eine dritte Notkirche Heilig Kreuz in einem Kinosaal an der Sudeten- landstraße eingerichtet.

381 Gebert 1996 zwischen S. 112 und 113. 380 Briefwechsel Otto Kohler und Johannes Neuhäusler Eucharistiefeier am Dachaualtar im Primiz-Ge- im Juni 1965. wand von Karl Leisner.

99 Hermann Gebert: Heilig Kreuz]. Frage: war das ganze Geschehen Rektor Dresbach hat bei seinen Führungen im 1955 Theater? KZ Dachau vor Abbruch der Baracken öfters mit den ihn begleitenden Gruppen an diesem Altar Am 28. April 1963 legte Weihbischof Johannes in Block 26 die hl. Messe gefeiert. Wenigstens Neuhäusler den Grundstein für den Karmel Heilig einmal war ich selbst unter den Mitfeiernden. Blut Dachau. (Siehe auch Foto von 1961 in Biographie über 382 Die heutige dritte Kirche Heilig Kreuz wurde Heinz Dresbach.). 1963/64 nach Plänen des Architekten Friedrich

Haindls erbaut. Der mit einem Kreuz gekrönte Jahr des Herrn 1963 Turm ist über 30 Meter hoch. In ihm hängen fünf 1963 wurde die Priesterbaracke 26 abgebrochen.383 Glocken. Johannes Neuhäusler am 5. August 1965 an die

KZ-Priester: Jahr des Herrn 1964 Als 3 Jahre später [1963] die Priesterbaracke gleich andern Baracken abgebrochen wurde, Im Herbst 1964 wurde die zweite Heilig Kreuz Kir- bekam all das Genannte [Altar und Madonna] che im ehemaligen KZ-Gelände abgebrochen, be- zunächst Platz in der für den allgemeinen Got- vor die Kirche des Karmel Heilig Blut Dachau tesdienst eingerichteten Lagerkapelle „Heilig fertiggestellt war. Kreuz“ [zweite Kirche Heilig Kreuz, Block 32, Johannes Neuhäusler am 22. Juni 1965 an Otto früher 27]. Erst als auch diese der allgemeinen Kohler: Neugestaltung des Lagers weichen musste, Im Herbst vergangenen Jahres musste nun auch wurden sie bis zur Fertigstellung des Karmels in die [zweite] Heilig-Kreuz-Kapelle des Lagers ab- die neue Pfarrkirche „Heilig Kreuz“ [dritte Kirche gebrochen werden, noch ehe der Karmel fertig Heilig Kreuz] gebracht, zu deren Pfarrbezirk war, darum wurde die Madonna übergangsweise auch das alte KZ Dachau gehört. Dort ist die in die neue [dritte Heilig] Kreuzkirche gebracht Madonna würdig aufgestellt und es wird vor ihr und wird dort sehr verehrt. viel gebetet. Wo nun Altar, Madonna und die übrigen „Re- Otto Kohler am 1. Juni 1965 an Kardinal Döpfner: liquien“ der KZ-Priesterbaracke endgültig hin- 1.) Im Jahre 1955 wurde die Lagermadonna fei- kommen sollen, möge dann bei der Priesterzu- erlich in die Stadtpfarrkirche St. Jakob eingeholt sammenkunft im September [1965] entschieden und dort als „Unsere liebe Frau von Dachau“ in- werden, am liebsten ohne mich. thronisiert. Zur Feier dieses Tages war Ihr ver- Am 22. November 1964 weihte Weihbischof Jo- ehrter Vorgänger Cardinal Wendel offiziell er- hannes Neuhäusler den Karmel Heilig Blut und die schienen. – Sie ist nicht mehr dort. Dachauer dazugehörige Kirche ein. Kirchenbesucher konnten mir nicht sagen, wo Johannes Neuhäusler am 5. August 1965 an die sie sich befindet. Wir entdeckten sie später in der neuen Kirche von Dachau-Ost [dritte Kirche KZ-Priester: Oktober 1964 hofften wir, bis zur Weihe der Karmelkirche (21. November) für Altar, Ma- donna, Monstranz und die sonstigen „Reliquien“ 382 Gebert o. S. eine würdige Dauerstätte dortselbst zu finden, 383 Siehe: Richardi S. 251. berieten darüber mit dem Nachfolger von Prälat

100 Pfanzelt (Dekan Jäger), mit Kamerad Salesia- stellung zu machen. Aber es wurden die ent- nerpater Schmidt u. a. Doch kamen wir zu keiner sprechenden Vorarbeiten in Kirche, Wachturm Endlösung, nicht nur, weil im Bau nicht alles früh usw. nicht fertig. genug fertig wurde, sondern weil die Figur in ih- rer ganzen Art nicht zum Stil der Karmelkirche Der Altar aus Block 26 fand einen Platz im 1. Stock passt, darum der Architekt sich mit aller Macht des Wachturmes vor dem Karmel. gegen ihre Aufstellung in der Kirche wehrt. Dies gilt noch mehr vom Altar. So müssen andere Möglichkeiten miterwogen werden. Dabei soll 1.) der Altar so aufgestellt werden, dass ehema- lige KZ Priester auch darauf zelebrieren können, 2.) bei der Muttergottes auch in Ruhe gebetet werden können. Die Diskussion im September [1965] wird zeigen, dass die Frage viel schwerer zu beant- worten ist, als man es sich vorstellt. Eines aber, glaube ich, wird von allen KZ Priestern doch zu- gegeben werden müssen: All dies gehört wirk- lich dorthin, wo es entstand, lange war und viel Trost und Kraft gab.

Johannes Neuhäusler am 16. Juni 1965 an Otto Kohler: 1.) Die von sudetendeutschen Salvatorianern ins Ehemaliger Wachturm vor dem Karmel Heilig Blut KZ geschenkte Madonna war, wie der Altar, in den letzten Jahren in der [zweiten] Heilig-Kreuz- Jahr des Herrn 1965 Kapelle des Lagers. Als diese abgebrochen Am Sonntag, dem 2. Mai 1965, war in Dachau ein werden mußte, die Karmelkirche aber noch nicht Treffen mit Gedenkgottesdienst an der Todesangst- fertig war, wurde sie vom Lagerpfarrer (H. H. Christi-Kapelle zum 20. Jahrestag der Auflösung Lechner) mit unserem Einverständnis über- des KZ Dachau mit Josef Kardinal Beran als Ze- gangsweise in die neue [dritte] Heilig- Kreuz- lebranten und Julius Kardinal Döpfner als Prediger. Kirche gebracht. Es handelt sich also, wie bei Kardinal Beran verlas ein Grußwort von Papst manch anderem, was Sie noch nicht am rechten Paul VI. Platze finden, um ein Provisorium. 2.) Auch alle im Schaukasten der Pfarrkirche [St. Johannes Neuhäusler am 14. April 1965 in der Jakob] verwahrten Gegenstände warten noch Einladung zu dem Treffen: auf einen geeigneten Platz im Karmel. Sie wur- Das Lager wird bis zu diesem Tag ein neues den samt dem Schaukasten in Zusammenarbeit Gesicht zeigen (die Baracken sind bis auf we- mit H. H. Salesianerpater Schmidt in den Karmel nige alle verschwunden). Erst recht wird der gebracht und sind dort gut verwahrt, ebenso Ta- Karmel für alle KZ’ler eine Überraschung sein, bernakel und Altar. Man wollte versuchen bis um so mehr, wenn sie zur besonderen Ehrung zum 2. Mai [1965] noch eine provisorische Auf- auch in die Klausur hinein dürfen.

101 Der Dachau-Altar wurde am 2. Mai 1965 bei der Jahr des Herrn 1966 Meßfeier in der „Todesangst-Christi-Kapelle“ be- Johannes Neuhäusler am 14. April 1966 an Heinz nutzt, offensichtlich aber ohne Tabernakel. Eine Römer: Zeitung in Bayern am 3. Mai 1965: Die Muttergottesstatue des Priesterblocks von Die ehemaligen KZ-Priester, darunter ein Abt, Dachau hat nun einen Ehrenplatz in der Kirche 388 eine Anzahl von Prälaten und Domherren, viele vom Karmel Hl. Blut erhalten. Geistliche aus der Erzdiözese München-Frei- Jahr des Herrn 1967 sing, zogen gemeinsam mit den hohen kirchli- Links neben der Todesangst-Christi-Kapelle steht chen Würdenträgern vom Sühnekloster zum Al- die vom Mannheimer Architekten Helmut Striffler tar, der vor der „Todesangst-Christi-Kapelle“ er- 384 geschaffene evangelische Versöhnungskirche. Sie richtet war. wurde am 30. April 1967 eingeweiht. Die Predigt Otto Kohler am 1. Juni 1965 an Kardinal Döpfner: hielt Pastor Martin Niemöller. 3.) Altar und Tabernakel – der KZ-Priesterka- Rechts neben der Todesangst-Christi-Kapelle pelle befanden sich zur Zeit der Seelsorgetätig- keit von Pater L. Roth in der Barackenkapelle befindet sich die vom Frankfurter Architekten Her- [zweite Kirche Heilig Kreuz] von Dachau-Ost. mann Zwi Guttmann entworfene jüdische Gedenk- Der Altar wurde am 2. Mai bei der Meßfeier in stätte. Sie wurde am 7. Mai 1967 eingeweiht. der „Todesangst Christi-Kapelle“ benutzt. Hof- fentlich existiert das Tabernakel noch. Jahr des Herrn 1969 Heinz Römer: Viele Jahre nach der Befreiung aus dem KZ fragte 16.6. Brief von N. [Neuhäusler] an Kohler: Die mancher Häftling nach dem Verbleib des Original- KZ- Priester sollen vor ihrer Konzilsfahrt im Sep- [385] altares der ehemaligen Lagerkapelle, der für viele tember diese Dinge [Verbleib der „Reliquien“] Menschen während ihrer KZ-Haft so wichtig war. besprechen, und zwar im Karmel selbst. [386] Heinz Römer: September 1965: Die Besprechung führt Ein Rbr[Rundbrief]-Leser [Heinz Dresbach] frag- zu keinem Ergebnis über das Wie, nur darin be- te mich, was eigentlich aus dem Originalaltar steht Einigkeit: Die „Reliquien“, vor allem der Al- unserer einstigen Lagerkapelle geworden sei. tar, müssen gesichert, sichtbar und der Origi- Da ich hier überfragt war, erkundigte ich mich nalaltar verwendbar im Karmel untergebracht 387 bei Weihbischof Neuhäusler, der sich eingehend werden. in Dachau erkundigte und mir antwortete: „Der

Altar der ehemaligen Priesterbaracke ist im 1. Stock des Wachtturmes, durch den man vom Lager aus in den Karmel geht. Wir haben ihn 384 Archiv Karmel Dachau. dort untergebracht, damit eventuell Geistliche, 385 Am 14.9.1965 war die VI. öffentliche Sitzung des die im Lagergelände selbst auf diesem Altar ze- Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), am lebrieren wollen, dies in aller Ruhe, Stille und 15.9. folgte die 128. Generalkongregation und an den Sammlung dort tun können. Der Altar in der To- folgenden Tagen die folgenden. desangst-Christi-Kapelle ist ja kein Erbstück aus 386 Vom 6. bis 10.9.1965 waren KZ-Priester-Exerzitien auf dem Petersberg nördlich von Dachau. 387 Stimmen von Dachau Nr. 12, 1970, S. 13 f. 388 Bistumsarchiv Speyer, Nachlaß Römer Nr. 57.

102 der Gefangenschaft, sondern vollständig neu, Jahr des Herrn 1970 ebenso jener im Karmel. Der Schlüssel zum Auch im Jahre 1970 reißt das Interesse am Verbleib Aufgang in den 1. Stock des Wachturmes ist im des Dachau-Altares nicht ab. Kloster im Karmel verwahrt.“ Ich schrieb dies Heinz Römer: dem Frager, der dann wieder bemerkte: „Da Am 21.1.1970 entscheidende Besprechung im muß auf alle Fälle eine andere und zelebrierbare Karmel (Neuhäusler, Kohler, Römer, Wiede- Lösung gefunden werden, und das mit einer mann, Priorin [Maria Theresia Vorbach] und Gemeinschaft. Wir dürfen nicht ruhen, bis es Subpriorin [Gemma Hinricher], ehem. Pfarr- soweit ist. Vielleicht können unsere ‚Stimmen’- schwester v. St. Jakob in Dachau [Schwester Leser gute Vorschläge machen.“ Wer hat einen Norberta Johanna Oblöser], Pfr. Lechner und solchen Vorschlag?389 weitere Personen). Wie in der Politik kommt es Heinz Römer am 9. April 1969 an Heinz Dresbach: zu einem Kompromiß zwischen „kirchenge- Offen gestanden – mich befriedigt diese Lösung schichtlicher“ und „künstlerischer“ Einstellung.391 nicht! Denn wenn z. B. einer von uns mal mit ei- Wie sieht nun die Lösung aus? Ich zitiere N.s ner größeren Pilgergruppe nach Dachau kommt, [Neuhäuslers] letztgenannten Brief (ich bekam dann möchte er doch sicher gern diese als Cir- dankenswerterweise eine Durchschrift): „... das cumstantes [Umstehende] bei der Feier des hl. Herzstück der Altarplatte aus dem Altar des ehe- Opfers um den echten KZ-Altar versammeln; maligen Priesterblocks wurde in einer Größe von das aber ist in der Enge der Turmstube nicht 45 cm2 herausgenommen und in den Nagelfluh- möglich. Außerdem glaube ich zu wissen, daß altar[392] der HI.-Blut-Kirche des Karmel eingelas- da gar keine Treppe mehr hinaufführt, sondern sen...[393] Es kann nun jeder KZ-Priester, der auf erst eine Leiter geholt werden müßte, auf der diesem Altar zelebriert hat und wieder nach Da- man zum Altar gelangen kann. chau kommt, auch wieder auf dem Altar des Priesterblocks zelebrieren. In diesem Herzstück Heinz Römer: des Priesterblockaltars ist ja auch das Portatile Sommer 1969: Kohler erarbeitet einen Plan für dieses Altars eingefügt. Ich freue mich wirklich, eine Einbeziehung des Originalaltars von Block daß damit eine Lösung gefunden ist, die hoffent- 26 in den Karmelaltar als Grundlage für eine Be- lich allen, die mit Recht den Holzaltar des Prie- sprechung am 8.10. in Aachen. sterblocks in ehrfurchtsvoller Erinnerung haben, Am 8.10.1969 beim großen Konveniat in Aa- gefällt.“ chen billigen die Teilnehmer Kohlers „Altarplan“ Ich schließe mich von Herzen der Freude N.s (den er durch Zeichnungen auf einer Wandtafel an, zumal in den in der Dokumentation erwähn- illustriert), fordern sogar energisch die Einbezie- hung des alten Altars in den Karmel, lehnen aber die Verbringung der andern „Reliquien“ in 391 Stimmen von Dachau Nr. 12, 1970, S. 13 f. die Karmelkirche ab, da sie – so Kard. Döpfners 392 Die Vorkommen von Silikatgestein am deutschen Al- Auffassung – Stätte des Gebetes bleiben und penrand nennt man Nagelfluh. 390 nicht Stätte des Schauens werden soll. 393 Das quadratische Holzbrettchen aus der Altarplatte hat ein Reliquiengrab von 9 x 8 cm aus Stein. In den heute auf Berg Moriah in Simmern/Ww. 389 Stimmen von Dachau Nr. 11, 1969, S. 81. befindlichen „Dachau-Altar“ ist in die entsprechende 390 Stimmen von Dachau Nr. 12, 1970, S. 13 f. Öffnung ein Ersatzbrett eingesetzt.

103 ten Briefen der letzten Jahre manch hartes und Karl Leisner am 1. Juni 1945 [Tgb. Nr. 27, S. 13]: scharfes Wort geschrieben wurde. Freilich: Allen Herrlich! Meßgarnitur etc. aus dem Lager zu- Menschen (in diesem Fall: Interessierten) recht rück. Frau Oberin [Sr. Virgilia] schenkte mir getan ist eine Kunst, die niemand kann. So sind für den [Meß-]Koffer Cingulum schönes, neues. Neuhäusler, Kohler und ich, und sicher auch der Sehr lieb!396 Architekt [Josef Wiedemann] und Kardinal Döpf- ner, der seine Zustimmung geben mußte, darauf Willi Leisner am 31. Dezember 1973 an Priorin gefaßt, daß die jetzige Lösung nicht jedem zu- Gemma Hinricher: Bestünde die Möglichkeit zur Karl Leisner-Ge- sagt. Aber wir haben alle einen breiten Buckel, [397] und wer im KZ war, ist hart im Nehmen gewor- denkwoche in Kleve aus Ihrem Kloster leih- den. Eines ist nun jedenfalls erreicht: „Unser“ Al- weise für die Ausstellung in der Stiftskirche die tar, der Altar, an dem Karl Leisner zum Priester Paramente von Karls Priesterweihe zu erhalten? geweiht wurde und sein erstes und einziges hl. Meßopfer feierte, der Altar, an dem mancher von Gemma Hinricher am 9. Januar 1974 an Willi Leis- uns in seiner KZ-Zeit zelebrieren durfte, hat end- ner: lich den einfach unmöglichen Standort in einer Wir haben uns inzwischen mit der Pfarrei Heilig engen Wachturmkammer verlassen, und sein Kreuz in Dachau-Ost in Verbindung gesetzt, weil Herzstück ist endlich dort, wohin es gehört: an das Meßgewand Ihres Bruders dort aufbewahrt der Stätte der Sühne, im Karmel! Der Altar hat wird. Wir könnten es für diesen Zweck selbstver- wirklich – das ist keine Überheblichkeit unse- ständlich ausleihen. rerseits, sondern schlichte Tatsache! – Bedeu- [...] Zudem müßte das Meßkleid dringend tung für die Kirchengeschichte des 20. Jahrhun- gereinigt werden, da es in der Pfarrei zu be- derts; der Altar der Karmelkirche wurde in keiner stimmten Anlässen immer getragen wurde. Da- Weise verunstaltet – also laßt uns froh und mit ist auch ein kleines Risiko verbunden, weil 394 dankbar sein! der Stoff ja nicht mehr so haltbar ist. Der ehemalige Lageraltar blieb vorerst weiterhin Nach Auskunft von Karl Leisners Schwester Elisa- zur Aufbewahrung im Wachtturm. beth hat ihr Mann Wilhelm Haas das Gewand zwi- schen 1975 und 1977 von der Priorin Gemma Hin- Jahr des Herrn 1973/74 richer des Karmel Heilig Blut in Dachau erbeten Zu den sogenannten „Reliquien“ gehört auch Karl und dort selbst abgeholt. Seitdem befindet es sich Leisners Primizgewand. im Nachlaß von Karl Leisner und wird zu besonde- Otto Pies’ Schwester Johanna Wieland hatte am ren Anlässen verwendet. 25. November 1944 einen Meßkoffer mit Meßge- wand, in dem sich auch ein Kelch befand, als Spen- de von einer Frau Daniel an Karl Leisner ins KZ geschickt und dazu eine Stola, die sie selbst schenk- te.395

396 Siehe: Seeger S. 44. 394 Stimmen von Dachau, Nr. 12, 1970, S. 14. 397 Vom 13. bis 20.7.1974 war eine Martyrer-Gedächt- 395 Siehe: Seeger/Latzel S. 116. niswoche in Kleve.

104 verschiedensten religiösen, politischen und gesell- schaftlichen Gruppen zu erinnern, die sich im Kle- ver Raum dem Nationalsozialismus widersetzt ha- ben. Außer an Karl Leisner und Wilhelm Frede wurde auch an Johannes Maria Verweyen und Pater Titus Brandsma erinnert. Prälat Dr. Michael Höck mahnte in seinem Ein- führungsreferat, nicht nur der Geistlichen zu ge- denken: „Jeder, der Widerstand gegen die totalitä- ren Machenschaften erhoben hat, handelte aus ethi- schen Grundsätzen heraus.“ Die Ausstellung, in der auch zum ersten Mal Exponate aus dem KZ Dachau zu sehen waren, zog mehr als 2.500 Besucher an und fand in der deutschen und niederländischen Presse der Region ein großes Echo. Ein Schreiben aus dem Karmel Heilig Blut Da- chau vom 2. Dezember 1975 weist aus, daß unter

Dachau-Altar mit dem Primizgewand Karl Leisners den ausgeliehenen Gegenständen auch zwei Taber- nakeltüren mit der Inschrift „ICH BIN BEI EUCH Jahr des Herrn 1975 ALLE TAGE“ waren, die sich jedoch nicht in der Vom 7. bis 31. Dezember 1975 fand im Städtischen Lagerkapelle im Block 26 befunden haben. Ver- Museum Haus Koekkoek in Kleve die Ausstellung mutlich stammen sie aus der Zeit nach der Be- „Widerstand aus Glaube und Verantwortung – freiung, zum Beispiel aus der ersten Lagerkirche Kleve 1933–1945“ statt. Der 30. Todestag von Karl Heilig Kreuz. Leisner und der 100. Geburtstag von Wilhelm Fre- de waren für die „Gemeinschaft zur Pflege des Erbes Klever Martyrer“ und den „Internationalen Karl-Leisner-Kreis (IKLK)“ in Verbindung mit der Stadt Kleve Anlaß, an jene Persönlichkeiten aus

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Zusammenstellung der Ausstellung „Widerstand aus Glaube und Verantwortung – Kleve 1933–1945“ im Museum Haus Koekkoek in Kleve

Jahr des Herrn 1976 Hermann Gebert: Lange Jahre stand der Dachau-Altar im Wachtturm Spätestens [1963] beim Abriß der Baracken und vor dem Karmel Heilig Blut Dachau. 1976 wurde er des Blocks 26 kam dann der Altar in einen der gleichsam aus einem Dornröschenschlaf erweckt. Wachtürme des KZ, bis ihn Dresbach für unsere Priestergemeinschaft erbeten hat. Die Holzrah- mung des Altars war derart zerfallen, daß

106 Schreinermeister Günter[398] von der Wildburg Jahr des Herrn 1980 ca. 1976 diese Holzrahmung ganz erneuern 1980 ging der Bau des „Priesterhauses Berg Mo- mußte nach dem Vorbild der alten. Aus den Re- riah“, dem Vaterhaus und Zentralhaus des interna- sten der alten Holzrahmung verfertigte er kleine tionalen Säkularinstituts der Schönstatt-Diözesan- Holzkreuzchen, von denen die meisten an Mit- priester, in Simmern nahe Vallendar der Vollen- brüder unseres Priesterverbandes (z. B. bei Ge- legenheit des Kontraktes [Eingliederung in die dung entgegen. Heinz Dresbach hat sowohl den Schönstattgemeinschaft] als Andenken überge- Bauplatz für die Gemeinschaft als auch den Namen ben wurden.399 für dieses Haus „gefunden“. Im März 1980 fand der Am 28. April 1976 war die Übergabe des Dachau- Generalkongreß dieses Säkularinstitutes statt; Kon- Altares vom Karmel Heilig Blut Dachau an Heinz greßmitglieder brachten ein Stück Betonstufe von Dresbach. In der schriftlichen Erklärung heißt es: Block 26/1 des KZ Dachau vom Priesterhaus Ma- Nach Rücksprache und mit Einverständnis von rienau zum „Berg Moriah“. Herrn Weihbischof Matthias Defregger, Mün- Zur Betonstufe von Block 26/1 berichtet Her- chen, und Herrn Stadtpfarrer Josef Lechner, mann Gebert: Pfarrei Hl. Kreuz, Dachau, übergeben wir heute Als [1963] die Baracken im KZ Dachau abgeris- den im Wachturm (Eingang zu unserem Kloster- sen wurden, war Rektor Dresbach mit Marien- vorhof) verwahrten Holzaltar mit Tabernakel aus schwestern zur Führung im ehemaligen KZ und dem Priesterblock des ehemaligen Konzentrati- besonders auch beim Block 26. Block 26 war onslagers Dachau Herrn Rektor Heinz Dresbach abgerissen und Betonstufen und Trümmer lagen für die Schönstattbewegung. Herr Rektor Dres- herum. Dresbach zeigte auf zwei Betonstufen, bach hat vor längerer Zeit darum gebeten, da er die ehemals im Block 26 zur Stube 1, also La- persönlich im KZ Dachau war und da die Schön- gerkapelle führten, und sagte zu den Schwe- stattbewegung einen besonderen, tiefen Bezug stern: „Da, sehen Sie, sind das nicht schöne zu dieser Stätte hat durch Pater Kentenich. Stufen?“ Die Schwestern handelten und ent- Die Übergabe bestätigt: sorgten die zwei Stufen in ihrem Wagen (der gez. Sr. Gemma Hinricher, Priorin. Mann denkt, die Frau handelt). Sie nahmen die Den Empfang des Holzaltars und des Taber- beiden Stufen, die sonst zur Abraumhalde ge- nakels bestätigt: kommen wären, mit auf die Liebfrauenhöhe in gez. Rektor Heinz Dresbach. Ergenzingen bei Rottenburg-Tübingen. Dort ka- Schönstatt-Jungmänner brachten den Dachau-Altar men sie zum Josef-Engling-Denkmal nahe beim in die Alte Goldschmiede, ein Nebengebäude des [Schönstatt-]Heiligtum. Priesterhauses Marienau in Schönstatt.400 Als Grundsteinlegung für Moriah sein sollte (1979), war eine erste Idee: eine solche Stufe könnte Grundstein sein oder in den Grundstein kommen. Dresbach fuhr Anfang 1979 zur Lieb- 398 Schreinermeister Günter stammte aus Hillscheid und frauenhöhe und verhandelte mit den Schwe- war Hausmeister in der Wildburg, einem Haus der stern. Sie ließen sich schließlich dazu bewegen, Schönstätter Marienschwestern. von einer Betonstufe ein Stück absägen zu las- 399 Gebert o. S. sen, das Dresbach in seinem PKW am 27.2. 400 Siehe: Familienbrief „Junger Verband“ vom 22.5. 1979 mitgenommen hat nach Schönstatt [Marie- 1976.

107 nau]. Heute ist der Teil genannter Beton-Stufe der Förderverein der Schule haben das Projekt in- vor dem Dachaualtar eingelassen. haltlich und finanziell unterstützt. Am 12. September 1980 fand der Altar aus der Schüler, Lehrer, Eltern und interessierte Bürger Lagerkapelle im KZ Dachau seinen endgültigen der Stadt Kleve haben diese Ausstellung besucht, Platz im Priesterhaus Berg Moriah in einem eigens die in vier große Themenkreise gegliedert war: dafür gestalteten Gedenkraum neben der Hauska- „Jugend in Familie, Schule und Gruppe“, „Das Jahr pelle. Dort dient der Altar zur Feier der Eucharistie 1939, Jahr der Entscheidung“, „Priesterweihe und zum Beispiel bei Tagungen der Gemeinschaft und Primiz im Konzentrationslager“, „Tod und Aus- an besonderen Gedenktagen. Außerdem steht er strahlung“. Regionale und überregionale Presse hat Besuchern und Besuchergruppen aus aller Welt zur berichtet. Der prominenteste Besucher war Bischof Verfügung. Die Begegnung mit dem Dachau-Altar Jean Dardel aus Clermont-Ferrand, der zweite und die Erinnerung an die KZ-Häftlinge läßt die Nachfolger von Bischof Gabriel Piguet. außerordentliche Bedeutung der Eucharistiefeier in Es war die erste Ausstellung, bei der die Tage- der Hölle des KZ Dachau nachempfinden. bücher im Mittelpunkt standen. Die Besucher lern- Joseph Kentenich verfaßte zu seiner ersten Ze- ten Karl aus authentischen Texten kennen und wa- lebration im KZ Dachau am St. Josefstag, dem 19. ren tief beeindruckt. Auf Schautafeln fanden sich März 1943, ein Gedicht, das heute rechts neben Kopien von Bildern und Texten, in Vitrinen waren dem Dachau-Altar aufgehängt ist; links vom Altar wertvolle Originale ausgestellt. Darunter neben 401 befindet sich ein Bild von Karl Leisner. Die erste dem Meßgewand und Primizkelch unter anderem Strophe des langen Gedichtes lautet: auch der Ring, der Stab und die Mitra, die Bischof SANCT JOSEF war’s zum ersten Male, Piguet bei der Weihe im KZ getragen hat. seit einem wechselreichen Jahre, Angesichts des überaus positiven Echos wurde dass ich an ärmlichem Altare die Ausstellung anschließend zu einer Wanderaus- in Hände nahm die Opferschale. [...] stellung umgebaut. Aus technischen Gründen blieb die Nutzung allerdings begrenzt. Am bedeutendsten Jahr des Herrn 1985 war die Präsentation auf einem Bundestag des Bun- Unter dem Titel „Karl-Leisner – ein Leben innerer des Neudeutschland. Sie wird jetzt als Daueraus- Freiheit und Parteinahme für Christus“ hat im Frei- stellung in der kleinen Gedenkstätte zu sehen sein, herr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve in der Zeit die der Verein „Karl-Leisner-begegnen e.V.“ im vom 4. bis 19. Dezember 1985 eine viel beachtete Elternhaus, Flandrische Straße 11 in Kleve, ein- Ausstellung stattgefunden. Das 40jährige Gedenken richtet. der Priesterweihe und des Todes von Karl Leisner war den Mitgliedern der Fachkonferenz für katholi- Jahr des Herrn 1994 sche Religionslehre Anlaß, diese Ausstellung zu Seit 1994 gibt es in Dachau zum Gedenken an die erstellen. Der Internationale Karl-Leisner-Kreis und zahlreichen Opfer der ehemaligen Sowjetunion auch eine russisch-orthodoxe Kapelle. Sie wurde innerhalb weniger Wochen von Soldaten der russi- 401 Siehe: S. 5.

108 schen Armee auf dem Gelände des ehemaligen KZ Abtei St. Matthias (Trier): 4 gotische Meß- beim Krematorium erbaut. kleider (rot, grün, violett, weiß), 1 Alba, 4 Pult- decken, 2 Feststolen, 1 Kelchgarnitur. Chronik der Zuwendungen für die Kapelle Pfarrprovisor Moser (Bistum Linz): 1 Kreuz- Johann Lenz: weg (Fugel), 3 Altarspitzen, 1 Ziboriummantel, 1 Alba, 1 Birett, 1 grünes Velum, 2 Kelchgarnitu- Gaben fürs Heiligtum ren, 1 weiß-violette Stola, 2 Kännchen mit Tas- Sie zeigen sehr eindrucksvoll, wie aus bethle- se. hemitischer Armut langsam ein Heiligtum er- Münster (Männerkongregation): unser gro- wuchs, das im kleinen Rahmen die große Welt- ßes Altarkreuz (Februar 1944). kirche würdig zur Darstellung brachte. Sie be- München (durch Pfarrer Muhler vermittelt): 2 weisen ferner die Sorge der Priester in Dachau Feststolen, 3 weißviolette Kommunionstolen. für ihr Heiligtum. Endlich bekunden sie auch, mit Schönstatt (v. d. [Marien]Schwestern): 1 Ta- welch opferfreudiger Liebe die Heimat an ihre bernakel[ausstattung], 1 Conopeum, 2 Sakra- verbannten Priester dachte. mentbursen, 3 Kelchgarnituren, 2 Rochettspit- Wir wollen uns mit einer beiläufigen Aufzäh- zen. lung begnügen. Endlich: Kerzen und Meßwein – vermittelt Ordinariat Breslau (Mai 1941): 100 große durch die KZ-Priester [...]. und 16 kleine Breviere zu je vier Teilen; ferner Dazu kamen noch andere Meßgeräte und am 2. Juli 1942 noch vier Meßkleider, 3 Alben, 1 Einrichtungsgegenstände, die auch zumeist, be- Ziborium, 1 Kelchgarnitur. sonders in Lebensmittelpaketen, aus der Heimat Ordinariat Branitz (Schlesien): 1 goldgelber gesandt worden waren: 1 großer Meßkelch mit Ornat mit Casula, 2 Dalmatiken, 1 Pluviale, 1 Patene, 1 Rauchfaß mit Schiffchen, 1 Custodia, Velum, 2 Rochette, 2 Antependien, 2 Halbaltäre. 2 kleine Meßkelche mit je 1 Patene – ferner je 2 – Ostern 1943 die große Marienstatue. Ziborien, große Pyxen, Hostiendosen, Verseh- Pfarramt Dachau: 1 Harmonium (Sommer pyxen, Aspergille, Altarglocken, Metallhand- 1941); später noch 2 Alben, 1 Altartuch mit Spit- kreuze ... zen, 1 Marienbild[402]. All diese Schätze mußten von einem Mann in Abtei Ettal (Dezember 1942): 1 weißes Meß- Empfang genommen, gesichtet, verwahrt, ver- kleid, 1 Alba, 1 Meßkelch, 1 Weihrauchfaß, 2 waltet und gepflegt werden. Dazu kam die Pfle- Meßkännchen. ge der Kapelle mit ihrer stets wachsenden Ein- Ordinariat Köln: 1 gotisches weißes Meß- richtung, ihrem stets wechselnden Blumen- kleid, 1 romanisches rotes Meßkleid, 2 Feststo- schmuck, ihrer Änderung je nach den Buß- und len, 1 Alba, 3 Rochette, 1 Kelchgarnitur. Festzeiten des Kirchenjahres. Die oberste Leitung und Verantwortung dar- 402 Friedrich Pfanzelt am 8.5.1943 an die KZ-Priester: über hatte selbstverständlich der Lagerkaplan Das kathol. Stadtpfarramt erlaubt sich, für die Ka- und spätere Dechant [Georg Schelling]. Die pelle des KZL [Konzentrationslagers] ein Madon- Hauptlast der Arbeit jedoch mußte er einem nenbild beizugeben. ebenso tüchtigen wie zuverlässigen Mitbruder Den Empfang eines Madonnenbildes für die übergeben. Auch dieser Mann ward uns gege- Kapelle des KZL bescheinigt: Dachau 3K den, 17. ben wie ein Geschenk für unser Heiligtum. Es Mai 1943 Georg Schelling 21855 Bl. 26/2. (Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–24.)

109 war der Pfarrer Heinrich Steiner aus Oberöster- mit Corporale, Kelch mit Patene und Löffelchen am reich. 28. März 1945; am 17. Mai 1945 bestätigt Dr. Paul Und in der Tat. Wer ihn an der Arbeit sah, Riedmatter den Empfang von Hostien und Wein, wer darauf achtete, wie er jahraus, jahrein mit dazu Kanontafeln, ein Pluviale, zwei Meßwein- einem geradezu erlesenen Geschmack alles in kännchen.405 Ordnung hielt, mußte bekennen, daß Pfr. Steiner geradezu das Ideal eines Mesners war. Fromm, selbstlos, tüchtig und voll Eifer war er selbst in Erinnerung der KZ-Priester der Plantage ein unermüdlicher und geschätzter an die Sorge um den Verlust der Kapelle Arbeiter. Einen Mithelfer in der Kapelle, ganz Die Kapelle war durch Stacheldraht vom übrigen nach seinem Stil, fand er fürs letzte Dachauer Lager eigens abgezäunt. Sie wurde durch die SS Jahr im Priesterkameraden Alban Prinz Löwen- und einflußreiche Personen aus den Kreisen der 403 stein. Häftlinge überwacht. Die SS suchte laufend nach Vorwänden, unter dem Schein des Rechtes die Im Pfarrarchiv St. Jakob Dachau gibt es zahlreiche Kapelle zu schließen und aus dem Lager zu entfer- Belege darüber, was von dort in das KZ Dachau nen. Das führte zu Kontroversen unter den Prie- geliefert wurde, angefangen vom 10. Juni 1941. Es stern. waren vor allem Hostien, Meßwein und Kerzen, Léon de Coninck: aber auch zusätzlich ein Direktorium am 7. Februar Wir hatten im Block 26 eine Kapelle; sie war 1942; ein großes Rituale am 7. September 1942; ein ausdrücklich nur für ihn bestimmt, denn der Zu- Formular Notae liturgicae pro (Liturgische Anmer- tritt zu ihr war nach dem Willen der SS streng- kungen für) 1943 am 17. November 1942; ein Di- stens allen anderen untersagt. Aber nach und rektorium mit Diözesanproprium und ein Schott- nach wurde die Kühnheit immer größer und der Missale am 20. Januar 1943; ein Madonnenbild am Wunsch, dieses widerrechtliche Verbot zu über- 8. Mai 1943; ein Altartuch und Chorrock für die treten, immer lebhafter, so daß schließlich in die Kapelle am 2. September 1943; eine Albe mit Hu- Kapelle kam, wer Lust hatte. Zwar behinderten polizeiliche Schikanen manchmal den Zutritt, merale und Kelchgarnitur, ein Direktorium 1944 aber der Erfolg eines solchen Ukasses [Verord- und eine Albe am 3. April 1944; eine Tüte Holz- nung] war wie der eines jeden – sehr gering.406 kohle und ein Pontificale Romanum am 5. Dezem- Johann Lenz: ber 1944; Anzündewachs, Kohlen und ein Direkto- Die Meßkapelle im Lager von Dachau hat uns rium (Block 26/2) am 4. Januar 1945; mit demsel- auch viel Leid, viel neue Feindschaft einge- ben Datum geht ein Direktorium an Block 31404; bracht, neue Wut und Schikanen. Unsere Feinde Holzkohle am 29. Januar 1945; Zünddraht, Holz- wetteiferten, uns dieses große Glück zu verbit- kohle, zwei Rituale und ein Gefäß mit Oleum in- tern. firmorum (Krankenöl) am 1. März 1945; für den KP [Kommunistische Partei]-Kameraden Sonderbau K. A. (Kommandantur-Arrest) Portatile wollten sich einen parteipolitischen Schulungs-

405 Siehe: Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 403 Lenz S. 193 f. 28–24. 404 Siehe S. 131. 406 de Coninck S. 876.

110 raum einrichten. Wir hatten ohne unser Zutun nach der heiligen Wandlung einem Geistlichen die Kapelle erhalten – im Lager der Gottlosigkeit. die Hostie aus der Hand und sagte: „Das soll Den Gottlosen hingegen gelang ihr Plan nicht – euer Herrgott sein?“410 im selben Lager. Wie seltsam hat doch Christus François Goldschmitt: als der Sieger sich erwiesen! Wohl aber gelang An einem Sonntag stürzten sich SS während der es den Gottlosen, viele Priester an der heiligen hl. Messe in die Kapelle, schrieen und brüllten, Messe zu hindern. Wir waren doch die „Kostträ- wie vom Teufel besessen, – „Pfaffensäue, Prie- ger“. Dadurch mußten viele ganz oder teilweise sterschweine ...“ Dabei schlugen sie mit Stöcken zur einzigen heiligen Messe zu spät kommen. auf die Geistlichen ein und teilten Ohrfeigen so- Die SS hingegen zeigte die Höhe ihrer Kultur wie Fusstritte aus. Es entstand ein beängstigen- in der Störung des Gottesdienstes. Wie oft ka- des Gedränge. Die meisten Anwesenden flohen men sie – besonders im ersten Jahr – mit ihren aus dem Gotteshaus. Nun grinsten diese Nazi Stiefeln mitten in die heilige Messe hineingepol- satanisch und lachten stolz, als ob sie eine au- tert. Die Mütze auf, die brennende Zigarre im ssergewöhnliche Heldentat vollbracht hätten. Mund. Wie oft erzitterten wir, wenn ihre Stiefel in Ich selbst war manchmal Zeuge, wie man uns der Kapelle erdröhnten! Und der Heiland duldete während der hl. Messe aus nichtigen Gründen all ihre Gemeinheiten! – Oft geschah es, daß aus der Kapelle zu Sonderappellen rief. Der am- diese Unholde sich ganz nach vorne zum Altar tierende Priester legte überstürzt die Messge- verirrten. Gewöhnlich sahen sie dann neugierig wänder ab und setzte erst nach dem Appell die oder spöttisch zu – die Mütze auf dem Kopf. hl. Handlung wieder fort. Noch im Spätherbst Endlich – als ihnen langweilig geworden war, 1944 zerriss unser Blockführer, den wir wegen zogen sie ab. Bisweilen griffen sie auch gewalt- seiner krummen Beine und drolligen Fussbeklei- [407] sam ein: „Schluß mit dem Hokuspokus!“ So dung den „gestiefelten Kater“ nannten, vor un- schrien sie drohend in die Versammlung der be- sern Augen ein Madonnenbild, das wir in unse- tenden Priester: „Auf, geht's!“ – Der Zelebrant rer Stube aufgehängt hatten. Meist liess man mußte sogleich vorzeitig das heilige Meßopfer Geistliche gerade während der Sonntagsmesse beenden. Wir aber mußten schleunigst aus der aus der Kapelle rufen, um die Strafen zu ver- 408 Kapelle verschwinden. richten, die über sie verhängt worden waren.411 Friedrich Seitz: Leopold Arthofer: Als im Jahre 1941 wir auf Betreiben des heiligen Meistens blieben wir beim Gottesdienst unge- Vaters einen Gottesdienst in unserer Baracke stört. Abgesehen davon, daß die SS, wie ja vo- [409] täglich halten durften, da stand immer vorne rauszusehen war, beim Betreten der Kapelle neben dem Altartisch ein SS-Mann mit brennen- niemals die Mütze abnahm, gab es wohl in den der Zigarette. Solch ein Bursche nahm einmal ersten Jahren wiederholt Fälle rohester Religi- onsstörung, die hier wegen ihrer Häßlichkeit 407 Die SS-Leute werden kaum die Diskussion gekannt nicht näher beschrieben sein sollen. haben, woher dieses Wort kommt. Es stammt von ei- Mehrmals drehte man uns im Gottesdienst- ner Zauberformel der Taschenspieler: hocas pocas; raum unter dem Vorwand einer Durchsuchung und nicht von den Wandlungsworten der Messe: Hoc est enim corpus meum – Dies ist mein Leib. 408 Lenz S. 82 f. 410 Seitz S. 4. 409 Vermutlich „häufig“. 411 Goldschmitt Nr. 4, S. 32.

111 nach Waffen, Geheimsendern und Geheim- tags Bettruhe). Der dicke, vollgefressene Lager- schriften alles durcheinander, ohne etwas Bela- älteste Sawerski zeigte uns deutlich seine Ab- stendes zu finden.412 neigung. Ich habe es selbst gesehen, wie er in Emil Thoma: der Lagerkapelle das Christusmonogramm vom So ging ein Jahr um das andere zu Ende. Oft Altare herunterriß. Hugo mit der Hakennase stand die Kapelle in großer Gefahr, uns verlo- (Guttmann) tat uns nichts zuleide. Unser Block- renzugehen. Der spätere Lagerkaplan Georg ältester Robert war auch ein waschechter Kom- Schelling, jetzt Pfarrer in Altach bei Feldkirch in munist; ich kam einmal dazu, wie er dem Adam Vorarlberg, hatte viele Sorgen und manche Ott eine Riesenohrfeige verpaßte wegen einer schlaflose Nacht, wenn seine vielen Schäflein Kleinigkeit. Man konnte aber immerhin mensch- 414 nicht immer so parierten, wie die Lagerleitung es lich mit ihm reden. haben wollte und wie er als Verantwortlicher für Johann Lenz: die Kapelle es verlangen mußte. Die Kapelle gerettet Der geringste Verstoß gegen die allmächtige Unser Heiligtum in Dachau war all die Jahre sei- Lagerordnung konnte von folgenschwerster Be- nes Bestandes (1941 bis 1945) ständig in sei- deutung sein. Es gab nicht nur KoIlektivstrafen, nem Dasein gefährlich bedroht. Stets mußte die alle Geistlichen auf Block 26 betrafen, son- man fürchten, die Kapelle möchte uns durch ei- dern man mußte auch ständig befürchten, daß nen Machtspruch Berlins plötzlich genommen aus einem nichtssagenden Grunde den gefan- werden. Nicht nur die gottfeindliche Lagerlei- genen Geistlichen auch die Kapelle genommen tung, auch die gottlosen Lagerbonzen unter den würde. Dies unter allen Umständen zu verhüten Häftlingen gaben sich alle Mühe, das „Wunder war die ständige Sorge unseres Lagerka- von Dachau“ zu beseitigen, das Ewige Licht des plans.413 Lagers auszulöschen. Johann Nepomuk Scherling: Der Anfang September 1944 brachte wohl Man muß wissen, daß die Kommunisten als alte die gefährlichste Krise. Die Überfüllung im Lager Lagerhasen das unbedingte Regiment in der war unheimlich geworden. Schon gab es Blöcke ganzen Verwaltung ausübten. Sie hatten alle – besonders unter den Invaliden – mit vierfa- Posten besetzt, angefangen vom Lagerältesten chem Überbelag: 1.000 Mann statt 250. Nur bis zum letzten Lagerläufer und Rasierer. Nun Block 2, als ausgesprochenes Schaustück für darf man nicht glauben, daß sie alle bösartig wa- Besucher („Besuchsblock“), bot ein völlig ande- ren gegen uns Pfarrer. Ich hatte unter ihnen ei- res Bild. Ähnlich auch mehrere anschließende nige gute Freunde, mit denen ich einen Baracken. Dort waren vor allem auch die „Bon- schwunghaften Tauschhandel betrieb (Zigaret- zen“ daheim, Mithäftlinge, die sich gegen eine ten gegen Brot). größere Überbelastung auf Kosten anderer er- Freilich konnten uns viele nicht leiden wegen folgreich zu wehren wußten. unserer Weltanschauung, wohl auch wegen un- So war nun die erwünschte Zeit gekommen, serer Vergünstigungen, die wir damals noch [bis einen entscheidenden Schlag gegen uns Prie- 19. September 1941] hatten (Wein, Kakao, mit- ster zu führen, die Kapelle auf Block 26 uns zu nehmen. Von einigen Lagerbonzen aufgesta- chelt, kam eines Tages SS-Rapportführer B. 412 Arthofer S. 50. 413 Thoma S. 837. 414 Scherling S. 921.

112 [Franz Böttger] mit der Aufforderung, wir möch- terbringen könnte. Oder soll der Tempel der ten auf die Kapelle freiwillig verzichten. Nur so Venus mehr Recht haben als der Tempel hätte die Lagerleitung den Befehl Berlins umge- Gottes? hen können. Unser Lagerkaplan Schelling wagte 7. Es besteht aufs neue die Gefahr der illegalen jedoch, diese Zumutung im Namen aller Priester Briefe. Ich kann nicht garantieren, daß nicht abzulehnen und fragte zugleich: „Darf ich Ihnen nur in Briefen, sondern auch durch mündliche unsere Gründe schriftlich mitteilen?“ Böttger gab Weitergabe die Nachricht von der Wegnahme sich erstaunlicherweise damit zufrieden und unserer Kapelle schon recht bald nach Berlin ging. gelangen werde. Sofort arbeitete nun Schelling mit Hilfe eini- Im Namen des Blocks 26 ger Kameraden ein schriftliches Gutachten aus. Der Lagerkaplan Schelling. Dann rief er uns Priester abends in die Kapelle Ein Dokument vom Standesbewußtsein der und las uns dieses Schriftstück Punkt für Punkt Priester in Dachau. Am nächsten Morgen wurde vor. Die Hauptgründe unserer Weigerung – wir es dem Rapportführer übergeben. Er kam nicht alle waren natürlich damit einverstanden – wa- mehr auf die Frage zurück, so schlagkräftig wa- ren inhaltlich folgende sieben: ren die vorgebrachten Gründe. Der Sturm war 1. Wir können nicht auf etwas verzichten, was beendet, die Kapelle gerettet. Unsere feindlichen uns die deutschen Bischöfe mit so schweren Mitgefangenen wollten uns die Kapelle nehmen, und langwierigen Verhandlungen erwirkt ha- um sich selbst einen bequemen Wohnraum zu ben. schaffen. Beides war nun mißlungen. „Der 2. Es gibt im Lager noch andere Räume! Block Mensch denkt, Gott lenkt.“ – Christus in Dachau 29 zum Beispiel hat eine private Schuhma- hatte gesiegt!415 cherei untergebracht. 3. Es ist nicht Sache der Häftlinge, Unterkünfte Die Kapelle als Vorzeigeobjekt der SS zu schaffen, sondern das ist das Amt der Un- Einerseits mißbilligte die Lagerleitung die Kapelle terkunfts-Verwaltung – vor allem durch Neu- in Block 26, andererseits diente sie neben einigen bauten. anderen Baracken als Vorzeigeobjekt. 4. Manche Häftlinge berufen sich auf die Cari- tas. Es ist doch merkwürdig, wie die Hinter- Jakob Overduin: männer dieses Antrages früher selbst die Ca- Wenn offizieller Besuch kam, wurde immer auch ritas verstanden haben, als wir Geistliche die Kapelle gezeigt als Beweis, daß der Natio- noch Lagerproletariat [ohne Privilegien] wa- nalsozialismus die Kirche schützt. [...] ren. – Wir haben dies alles noch in sehr guter Dabei wurde nicht erzählt, daß 1941–42 die Erinnerung. Geistlichen meistens verhindert wurden, wegen 5. Die Räumung unserer Kapelle würde im Pflichtarbeit oder kollektiven Strafen, die Kapelle Höchstfall für 250 Mann Raum schaffen. Das zu benutzen. Noch weniger wurde bekanntge- wäre nur eine Verschiebung der schweren macht, daß in den ersten Jahren des Bestehens der Kapelle die Geistlichen zu schwach waren Frage – keine Lösung. In 14 Tagen ginge der 416 Jammer von vorne an. zum Predigen und Zelebrieren. 6. Block 31 (das Bordell) ist sicherlich kein kriegswichtiger Betrieb. Man kann ihn auflö- 415 Lenz S. 196 f. sen. Er bietet viel Raum, wo man vieles un- 416 Overduin S. 192.

113 Johann Lenz: gezeigt, doch nur die erste und zweite Baracke, Ein Schaustück war unsere Kapelle geworden. die auch entsprechend gut eingerichtet waren. Damit aber auch – freilich ganz gegen unseren Daß aber drei Baracken weiter die Menschen zu Willen – ein Propagandastück der SS für hohe Dutzenden starben, daß man Unglückliche, die auswärtige Besuche. Diese mußten hier fest- infolge von Ruhr das Bett beschmutzten, einfach stellen, wie glänzend für die gefangenen Priester tötete (Block 7), davon erfuhr die hohe Kommis- gesorgt wäre. Die vielfache Not hingegen mußte sion nie. den Besuchern völlig verborgen bleiben. Den- Dann gelangte man zur Kapelle, deren Aus- noch – die Kapelle war schön. So verschieden stattung man bewunderte und die Toleranz der auch die Wege und Gründe waren – wir waren Lagerleitung lobte ... Man verschwieg allerdings, glücklich ob des Erfolges.417 daß diese Kapelle nur für die deutschen und Unsere Kapelle, der schönste Raum im La- nichtpolnischen Priester existierte. Man ver- ger! Mit hebender Begeisterung und Ehrfurcht schwieg auch, daß über 1.000 polnische Priester haben die Priester ständig an der Verschöne- nie die heilige Messe hören durften, daß für sie rung dieses Raumes gearbeitet. Auch unsere diese Kapelle geschlossen und das Betreten Feinde, die SS-Lagerleitung, hatten durch Got- strengstens verboten war [vom 19. September 420 tes Fügung daran viel Interesse. Ein Propagan- 1941 bis November 1944]. dastück der Gottlosen, um ihre Heuchelei zu stützen. So hat Gott, der Herr, Seine Feinde Ökumene in der Kapelle überlistet, um Sich und Seinen Priestern den Was Karl Leisner aus seiner frühen Jugend vom 418 schönsten Raum im KZ Dachau zu sichern. Dom in Altenberg, der sowohl von der evangeli- schen als auch der katholischen Konfession genutzt Stefan Biskupski: wurde, kannte, erlebte er auch am Ende seines Le- Besuche: Des öfteren entstand im Lager ein bens im KZ Dachau: Evangelische und katholische furchtbarer Lärm: „Alles in die Baracken!“ Der Christen teilten sich ein Gotteshaus. Befehl, am Lagereingang erteilt, wurde von Mund zu Mund weitergegeben, bis zum Wohn- Edmond Michelet: block. Was hatte sich ereignet? Ein hoher Be- Verschiedene Bekenntnisse teilten sich den such wurde angekündigt. Es bewegte sich alles Block 26 und die Kapelle. Die Katholiken waren in die Wohnblocks. Die ersten beiden Wohn- am zahlreichsten, aber es gab auch viele Geist- blocks, die der Straße näher lagen, wurden ge- räumt, alles in den dritten und vierten geworfen, Zámečník F. 127, S. 159: damit Ordnung herrschte, falls die Gäste sich In diesen beiden Baracken befanden sich zwei der Mühe einer Besichtigung unterziehen woll- Operationssäle (ein aseptischer und ein septi- ten. Doch es waren unnütze Befürchtungen. Der scher), ein Röntgengerät, ein Elektrokardiograph, „hohe Besuch“ wurde nach einem festgelegten eine große Ambulanz, eine Augenambulanz, eine Schema geführt. Zuerst wurde das Hospital[419] Ambulanz für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankhei- ten, die Zahnabteilung, eine Diätküche, ein Wan- nenbad, Kanzleiräume und zwei oder drei kleinere Zimmer mit normalen Krankenbetten und Nachtti- 417 Lenz S. 188. schen. Alles in diesen Blocks war modern einge- 418 Lenz S. 187. richtet. 419 Im KZ sprach man in der Regel vom Krankenrevier. 420 Biskupski S. 952.

114 liche evangelischen Bekenntnisses sowie eine gen. Aber wie kann ich das? Es ist mir ohnedies Anzahl orthodoxer Priester, meist aus Jugosla- zuwider, bei Gottesdiensten mit Zahlen zu ope- wien oder Rumänien, und selbst einen Marabut rieren, als wäre das Reich Gottes ein Rechen- aus Albanien.421 exempel, wo es doch nach dem Worte geht: „Sie Leopold Arthofer: sind allzumal EINER IN CHRISTO!“427 Die etwa siebzig evangelischen Pastoren[422], die Am Ostermontag arbeiteten wir – was wir so mit uns in bester Kameradschaft lebten, be- arbeiten hießen. Abends besuchte ich mit dem nützten die Kapelle auch zu ihren eigenen Got- Knaben Hiob heimlich die Osterpredigt, die uns tesdiensten und waren gerne Gäste bei unseren ein holländischer Geistlicher hielt namens [Wil- religiösen Feierlichkeiten.423 lem Eike] den Hertog. Sie war so gewaltig, daß Jean Kammerer: mein Begleiter meinte, so ein Kaliber habe er Sonntags wurden im Laufe des Vormittags meh- sein Lebtag noch nicht schießen hören auf einer rere Messen gefeiert. Eine davon war ein Hoch- Kanzel, und dazu müsse man ins KZ kommen! amt mit Predigt[424], feierlichem Gesang, Weih- Sie schloß erschütternd mit dem Rufe: Amen! rauch usw. Nachmittags um 15.00 Uhr wurde ei- Jesus Christus! Hallelujah! in welchen Fanfaren- ne letzte Messe gefeiert, dann wurde die Kapelle stoß der junge Geistliche noch einmal den gan- zen Osterernst und Osterjubel hineinlegte, der den Protestanten überlassen. Für die damalige 428 Zeit eine lobenswerte Bemühung um Ökumene. die Predigt durchklungen hatte. Es gab immerhin etwa 60 Pastöre (Deutsche, [Montag], 12. Juni 1944 Holländer und einen Schweizer[425]) unter uns.426 [...] So konnte ich denn schon am Vormittag Karl Adolf Groß: zum Pfarrerblock wandeln, um die Predigt zu hö- Gründonnerstag [29.3.]1944 ren. Da war Platz genug, nur zuviel. Doch war [...] Von heute abend an tagt unser [evangeli- der Besuch nicht schlecht: etwa 40 Gestreifte zählte ich, darunter die Hälfte aus dem La- scher] Bibelkreis in der Kapelle. Kaiser, der [429] treue Pfarrer aus Dresden, hat es durchgesetzt. ger. Die Altäre waren feierlich geschmückt. Das ist fein. Wir werden also jetzt singen können Die Katholiken haben dafür eine besondere Ga- und sogar vom Harmonium begleitet sein. be. Um das Bild des Gekreuzigten rankten sich Windgasse, der Evangelist, hat allerdings weiße Lilien und grüne Akanthusblätter. Auf dem das Versprechen von mir haben wollen, mich für rechten Seitenaltar zeigte ein Bild den symboli- einen Besuch von 15 bis 20 Leuten zu verbür- schen Fisch, über dem ein Korb mit Broten schwebte. Die Predigt war ziemlich farblos, so daß ich dem Schlaf nicht widerstehen konnte. 430 421 Michelet S. 119. Hoffentlich habe ich nicht geschnarcht! 422 Laut Weiler S. 46 f. waren 3,8% der Geistlichen im Montag, 28. August 1944 [...] Der Geistliche, Pfarrer Sippel [Friedrich KZ Dachau evangelisch. 423 Zippel] aus Eisenach, spendete uns gestern Brot Arthofer S. 51 f. 424 Ab Januar 1943 war die Sonntagspredigt offiziell ge- und Wein in feierlicher Liturgie. Was schadete stattet. Siehe: Lenz S. 266. 425 Laut Weiler S. 47 waren es 5 Dänen, 34 Deutsche, 3 427 Groß, Zweitausend Tage, S. 196. Franzosen, 24 Holländer, 1 Litauer, 1 Norweger, 27 428 Groß, Zweitausend Tage, S. 198. Polen, 2 Schweizer, 40 Tschechen und 1 Staatenloser. 429 Häftlinge, die nicht in Block 26 lebten. 426 Kammerer S. 102. 430 Groß, Zweitausend Tage, S. 245 f.

115 es, daß der Talar die Dürftigkeit des Häftlings- sung des Textes brüderlich mitten unter uns. kleides nicht ganz bedeckte? Unter den Falten Kaiser redete uns als „Gottesfreunde“ an, was lugten die gestreiften Fetzen hervor, und die Fü- ungewöhnlich klang, aber recht zu Herzen ging. ße staken in groben, unförmigen Kähnen, die Ein Duett, von Windgasse und Sieber [Paul Sie- man hier für Schuhe ausgibt. Was schadete es? fer] mit ihren prächtigen Stimmen vorgetragen, Niemand kümmerte sich drum, waren es doch schloß die Stunde. In Windgasses Gesang ver- die Füße eines der lieblichen Boten, die Frieden riet sich wohl die Kunst des ehemaligen Schau- predigen und Heil verkündigen [Jes 52,7].431 spielers. Aber sie war durchglüht vom Feuer des Am Dienstag nach dem Totensonntag Zeugendienstes und ging uns allen zu Herzen. Morgens predigte Pfarrer [Kurt] Walter aus Dan- Fabisch bekannte, daß er einen tiefen Eindruck zig – gedankenreich und kraftvoll. Schade, daß gewonnen, und der Knabe Hiob wüßte nicht, wie nur wenige da waren. Ein Cerberus[432] war vor sein Elend ertragen ohne das Licht, das von un- dem Tore gestanden und hatte alle abgehalten, seren Abenden ausgeht.434 indem er behauptete, es sei Gefahr im Verzuge. 20. Dezember 1944 „Heute nicht! Heute nicht!“ hob er beschwörend [...] Das, schönste ist, daß wir am Heiligen seine Hände. Ich hatte aber gerade heute Lust Abend zur Christvesper eingeladen sind nach und schlängelte mich trotz aller hindernden Block 26. Das wird fein werden, hält doch Formeln hinein. Auch das Herauskommen, das Freund Reger die Predigt. Unser Laienkreis – unter Umständen noch schwerer ist als das Hi- wir sind schon etwa 20 – muß auf eine eigene neinkommen, gelang mir mit Hilfe der schützen- Feier verzichten. Offenbar angeregt durch unser den Erklärungen Windgasses, des Evangelisten. Beispiel, haben sich die Polen, die Tschechen Abends ging die Sache unter dem Schutze der und die Holländer um einen eigenen Gottes- Dunkelheit leichter. Es waren wider Erwarten 20 dienst bemüht, so daß man des Raumes wegen Freunde gekommen, darunter fünf Hochwürden. ins Gedränge kommt.435 Mein Herz schlug höher bei dem Anblick. Den [...] hätte ich unserm lieben Grüber[433] gegönnt! 24. Dezember 1944 Mein Kleinglaube ist über die Maßen beschämt Nachher soll’s freilich noch schöner werden, da worden. (Indem ich dies niederschreibe, merke kommt der eigentliche Höhepunkt des Abends, ich, daß auch ich dabei bin, den Zahlen einen auf welchen sich einige stille Menschen schon Kotau zu machen!) Dittmer sprach sehr an- längst gefreut haben: die Christvesper auf dem schaulich über Elia. Er setzte sich nach Verle- geistlichen Block, zu welcher wir als Zaungäste eine illegale Einladung bekommen haben. Christfest, 25. Dezember 1944 431 Groß, Zweitausend Tage, S. 304. [...] Das Unbegreifliche war Ereignis geworden: 432 In der griechischen Mythologie bewacht der Höllen- sie [die Entlausung] fiel aus. So konnte er [Hiob] hund Zerberus die Unterwelt. zur Christvesper gehen, und das war, wenn 433 Himmler selbst, diejenige Instanz, die Hitler in auch das Verbotene – oder gerade deswegen? Wirklichkeit meinte, wenn er von der „Vorsehung“ –, das weitaus Schönere. sprach – Himmler hatte sich seine [Pastor Grü- [...] bers] Entlassung persönlich vorbehalten – ein Be- weis, wie sehr er sich von dem unbequemen Pa- stor auf die Zehen getreten fühlte. 434 Groß, Zweitausend Tage, S. 325 f. (Groß, Zweitausend Tage, S. 116.) 435 Groß, Zweitausend Tage, S. 334.

116 Die Christvesper am Heiligen Abend war eine hängt, dagegen war Marias Bild wieder ent- Oase in der Wüste dieses Wintertages. Die Ker- hüllt.437 zen, die lieblichen Klänge des Harmoniums, die [...] alten Weihnachtslieder, die feierliche Liturgie – Karfreitag 1945, abends. alles leitete hin in den Höhepunkt: der Weih- Auf dem Altar loderte das Feuer roter Tulipanen nachtsbotschaft, gedolmetscht uns modernen zum Gekreuzigten empor, dessen Bild nach ka- Lagermenschen durch Pfarrer Reger. Wie dank- tholischer Sitte verhüllt war, während Maria Sta- bar waren wir ihm, daß er sich nicht damit be- tue auf dem linken Seitenaltar noch ersetzt war gnügte, uns in eine billige Stimmung zu verset- durch ein leeres Kreuz, um dessen Querbalken zen. Jedes Wort eine Hand, die sich öffnete, uns ein weißes Tuch sich schlang.438 mit reicher Gabe zu beschenken, jeder Gedanke 18. April 1945 ein ungewöhnliches Licht, das angezündet wur- Der 26er Block zumal, wo sie durch die Einquar- de am Baum unserer Armut dunkler Nacht. tier der polnischen Klerisei gezwungen wurden, [...] die Kapelle tags in einen Fabriksaal und nachts Die Predigt war am Christfest so gut besucht, in einen Schlafraum zu verwandeln, leidet über daß nicht genug Platz geschafft werden konnte die Maßen an Überfüllung. Lobhausen [Pater – die meisten waren natürlich Nichtpfarrer aus Raimund Lohausen], dem feinsinnigen Priester dem Lager, Häftlinge, die etwas wagten, wenn aus Köln, unsrem alten Sigambrer [germani- sie kamen. Woher dieser Zuspruch? Mir kamen scher Volksstamm], geht diese Verwandlung der die Tränen. Welch eine Wendung seit jener Zeit, Kapelle sehr nahe, er nennt sie mit einem Seuf- wo ich der einzige war, der den Mut aufbrachte, zer einen an „Lästerung“ grenzenden Mißbrauch dem strengen Verbot zu trotzen! Bahnt sich viel- des Heiligtums, während dem Puritanismus der leicht doch eine Umkehr an vor den wuchtigen calvinischen Holländer diese Seite der Sache Schlägen des Gerichtes? Viele nahmen unter keine Beschwerden verursacht; unter der Enge den brennenden Kerzen am Heiligen Mahle teil. leiden alle: Lutheraner, Reformierte, Katholiken Der austeilende Liturg, von Preis, reichte die und Orthodoxe.439 Heilige Speise den Polen in polnischer Sprache Léon de Coninck: dar. Es war alles überaus ernst, würdig, und fei- Der Altar war ein kleiner, niedriger Tisch von ei- erlich, selbst wenn der Blick auf das Äußere der nem Quadratmeter Fläche. Die ganze Ausstat- Gäste fiel, das gegen die festliche Umgebung in tung bestand aus einem Meßkoffer! Wohlge- so schroffer Weise abstach: Jammergestalten merkt, es mußten sich alle Konfessionen in sei- mit bleichen Elendsgesichtern, angetan mit dem nen Gebrauch teilen, und das geschah immer abgelegten Trödelkram aus Warschauer Ghettos beiderseitig mit liebevoller Rücksicht.440 und unförmliche Schuhe an den Füßen, die mit Josef Neunzig bei einem Treffen der KZ-Priester 436 dicken Stricken zusammengebunden waren. am 10./11. September 1955 in Dachau: [...] 28. März 1945 Ich war diesen Morgen in der Andacht, bin ge- schwind hereingewischt. Das Kreuz war nach 437 Groß, Fünf Minuten S. 89. katholischem Brauch als in der Karwoche ver- 438 Groß, Fünf Minuten S. 97. 439 Groß, Fünf Minuten S. 150 f. 436 Groß, Fünf Minuten S. 14–19. 440 de Coninck S. 876 f.

117 Der evangelische Pfarrer [Walter] Gabriel ließ in Johann Lenz: seinen Worten noch einmal die wertvolle Begeg- Unsere Kapelle war ein katholisches Heiligtum. nung erstehen, die in Dachau zwischen katholi- Die katholische Kirche hat es uns erwirkt. Das schen und evangelischen Geistlichen zustande wußten wir alle. Darum war es uns natürlich gekommen sei und sagte zum Schluß: „Laßt uns nicht ohneweiters angenehm, daß unser Heilig- das Band heiliger Brüderschaft festhalten. Denn tum auch dem Irrglauben dienen mußte. Dop- der Herr will, daß ein Hirt und eine Herde wer- pelbenützung unseres heiligsten Raumes im La- de.“ Pater Ludwig Hiller erinnerte daran, daß im ger Dachau. Für viele von uns etwas völlig Un- Block 26 einige katholische Priester und evange- gewohntes, Fremdes. Ein sehr begreiflicher lische Geistliche übereingekommen seien, jeden Schmerz für unser religiöses Empfinden. Nur die Abend in der Lagerkapelle gemeinschaftlich für Geduld der christlichen Liebe hat uns darüber die Wiedervereinigung der Christenheit zu be- hinweggeholfen. ten. Dieses große Anliegen muß unser Anliegen Christus, der Herr, wohnte bei uns Tag und 441 bleiben. Nacht im Tabernakel. Wie schwer mußte man Alfred Berchtold: deshalb das Benehmen der anderen empfinden! Karl Leisner hat sich der am 26. Dezember 1944 Sie verkannten ja völlig den eucharistischen gegründeten Gruppe unter uns mitgefangenen Christus – während sie von Christus sprachen. katholischen und evangelischen Geistlichen an- Keine Verneigung, keine Kniebeuge bekundete geschlossen, die sich verpflichtet haben, jeden ihre Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Gott. Da Tag ein „Vater Unser“, für die zu beten, die für sagten wir uns still. „Mitten unter euch steht der, unsere Verhaftung verantwortlich waren, ein- den ihr nicht kennt ...“ (Joh. 1,26). Ganz zu schließlich Himmler und Hitler. Nicht alle Priester schweigen von ihrer Verständnislosigkeit zur im KZ haben sich dieses Versprechen zu eigen Mutter Jesu Christi, zu Maria, U. L. [Unsere Lie- gemacht. Das war höchstens ein Drittel aller mit- be] Frau von Dachau. gefangenen Geistlichen.442 Viele von ihnen nannten sich betont die Eugen Weiler: „Evangelischen“. Das fiel vor allem jenen In der Kapelle im KZ in Dachau hatten die kath. schmerzlich auf, die aus katholischer Gegend Priester, die evangelischen und sonstigen christ- stammten. Dieser Name für „Protestant“ war uns lichen Mitbrüder ein schönes Verhältnis mitein- ungewohnt. Haben nicht etwa gerade wir das ander. Aber es ging wohl über einige äußere Be- unverfälschte Evangelium Christi? So sagten wir rührungspunkte nicht hinaus. Sollte das viele uns still. Oder hatte Christus die erhabenen Blut, das geflossen ist in Dachau und anderswo, Worte über seine Felsenkirche (Matth. 16,17– umsonst gewesen sein?443 20) erst im 16. Jahrhundert gesprochen – zu Lu- ther und nicht zu Petrus?! Die in der Kapelle gepflegte Ökumene war damals Im übrigen hielten wir katholische Priester nicht für jedermann selbstverständlich, manch einer gute Kameradschaft mit den andersgläubigen hatte mit dieser Praxis recht große Probleme. Religionsdienern und sie mit uns. Es waren ge- wiß wertvolle Menschen unter ihnen, auch sol- che, die ein vorbildliches Verständnis hatten für 441 Stimmen von Dachau Nr. 1, 1955, S. 2. die Not armer Kameraden. 442 Seligsprechungsprozeß S. 1201. Ja sogar solche, die ihr Leben geopfert für 443 Weiler II, S. 33. ihre religiöse Überzeugung. Wie oft bedauerten

118 wir unter uns, daß sie den Weg zur Mutterkirche des 17. mit der Predigt eines tschechischen nicht fanden. Priesters (vermutlich in Latein) notiert. Die gläubigen Protestanten aller Richtungen Am 19. führt uns ein Vortrag ein in die Litur- sind doch in besonderer Weise unsere Brüder gie der griechisch-orthodoxen Vesper, die an- und Schwestern. Auch sie leben ja im christli- schließend gesungen wird. chen Gedankengut. Auch sie glauben an Jesus Am 20. Einführung in die allen orientalischen, Christus als Vorbild und Erlöser der Menschheit. orthodoxen und unierten Riten gemeinsame Li- Nur ist ihnen durch die Trennung von der Mut- turgie des heiligen Johannes Chrysostomus. terkirche ein Großteil der christlichen Offenba- Der Schweizer Pastor Bornand hält uns am rung verlorengegangen. [...] 23. einen Vortrag über den französischen Prote- Zwei Drittel von Deutschland sind protestan- stantismus. Es scheint aber kein gemeinsames tisch und 17 Prediger im Lager (dazu 33 Aus- Gebet stattgefunden zu haben. Die Zeit war länder). Und vom letzten Drittel Deutschlands nicht reif. Immerhin erlaubte die wechselseitige waren 190 katholische Priester in Dachau. Dies Information, einander besser zu verstehen und nach der Zählung vom März 1945. Eine spre- die Zukunft vorzubereiten.447 chende Zahl!444 Der Antifaschist – Stimme der Deutschen aus Da- Pierre Humbert: chau – Nr. 5, 11. Mai 1945: Das Fest der Einheit, das durch eine Novene Ein Sondergottesdienst für alle evangelischen vorbereitet wurde, hatte eine besondere Form; Deutschen ist am 13. Mai vorm. 11½ Uhr in der denn wir waren 23 Nationen und mehrere Kon- Kapelle von Block 26 anläßlich der Beendigung fessionen. Der Friedensgruß unter Priestern, die des Krieges. offiziell Feinde aber innerlich Freunde waren, entfaltete hier seinen wahren Sinn. Er war ein Meßfeiern und Seelsorge Echo der Worte des heiligen Paulus: „Es gibt im KZ außerhalb der Kapelle nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven Die Lagerkapelle war zwar das Zentrum der Seel- und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer’ in Christus Jesus.“ [Gal 3,28; vgl. Kol sorge im Lager, doch ein Großteil des religiösen 3,11].445 Lebens fand außerhalb von Block 26 statt. Jean Kammerer: Die Gebetswoche für die Einheit (18. bis 25. Ja- Franz Weinmann: nuar) So wuchs das Bedürfnis dieser Seelen in Not Die Anwesenheit orthodoxer Priester (eine nach Hilfe ständig. Es wuchs auch unser Mut geringe Zahl[446]) und protestantischer Pfarrer zum Helfen immer mehr. Und es war in der Tat konnte die Gestaltung der Gebetswoche nur be- ein ständiger Aufstieg der „Seelenhilfe“ in den günstigen. Ich habe ihre Eröffnung am Abend letzten zwei Jahren, eine ständige Aufwärtsent- wicklung bei Kapelle und Seelsorge. Das mutige Wagen war wirklich der rechte Weg. Es lohnte 444 Lenz S. 109 f. sich. Und es war auffallend, wie der Schutz Got- 445 Zitiert in Bernadac S. 347. tes geradezu mit Händen zu greifen war. Wir 446 Laut Weiler S. 46 f. waren 0,8% der Geistlichen im KZ Dachau orthodox, was insgesamt 22 Personen ausmacht. 447 Kammerer S. 109 f.

119 verloren trotz aller Übertretungen der Kapellen- 5.30 Uhr. In der Stube sitzen alle um die Tische Verordnung die Kapelle nie.448 versammelt. In der Mitte des Raumes ein ge- mauerter Ofen. Am Tisch, der diese „Konstruk- Neben der offiziellen Möglichkeit zur Zelebration tion“ verdeckt, befindet sich ein Priester, der le- in der Lagerkapelle von Block 26 war den Priestern diglich eine Stola (über seiner Sträflingsklei- im Ehrenbunker erlaubt, die Eucharistie zu feiern, dung) trägt. Bei der Kommunion reicht man die Eucharistie von Tisch zu Tisch weiter und bringt doch insgeheim fanden an vielen Stellen des KZ sie so zu den Mitfeiernden. Draußen passen Meßfeiern statt. Wächter auf, um das mögliche Auftauchen von Joseph Joos: SS-Männern zu melden.450 Abgesperrt in einem Sonderblock, der von der Edmond Michelet: Benutzung der Kapelle ausdrücklich ausge- Neben dem erbärmlichen Anblick, den die un- schlossen war, begannen die polnischen Prie- terjochte Kirche in Block 26 bot, bildete die lei- ster schon vor 1944 im Geheimen mit der Feier dende Kirche von Block 28 einen Gegensatz der heiligen Messe. Ohne Erlaubnis, nur unter durch den Trost und die Stärkung, die sie gab. stillschweigender Duldung des Blockpersonals – Hier erlebten wir das, was die Atmosphäre der eine Duldung, die wohl immer wieder aufs neue Katakomben unter Kaiser Diokletian [um 243– erkauft werden mußte und jeden Augenblick 313] gewesen sein muß. Die heimlichen Messen gewärtig, dennoch verraten zu werden – feierten sonntags vor Sonnenaufgang in den mit Sträflin- sie, noch bevor das Lager sich erhob, in einem gen überfüllten Räumen, ein lächerlicher Becher Schlafzimmer dicht zusammengedrängt, unter 449 aus Blech anstelle des Kelches, eine Tabletten- primitivsten Umständen das heilige Meßopfer. schachtel das armselige Ziborium mit winzigen Léon de Coninck: Hostien, der zelebrierende Priester aus Vorsicht Als ich nach zwei Monaten Aufenthalt aus dem in seinen Alltagslumpen ohne den geringsten li- Revier entlassen wurde, fand ich das Lagerle- turgischen Schmuck, das alles hatte Züge einer ben beträchtlich verändert. Die Härte der Diszi- außergewöhnlichen, einer geradezu ergreifen- plin hatte sich erheblich entspannt. Die jungen den Majestät. An jedem Ende der Baracke SS-Männer und die der ersten Stunde – die Fa- wachte ein Kamerad, damit nicht etwa ein natischen – waren an die Front geschickt wor- SS-Mann im Übereifer die nächtliche Feier stör- den. Das religiöse Leben im Lager profitierte da- te, wie es schon öfter geschehen und dann nicht von. ohne blutiges Gemetzel abgegangen war. Die polnischen Priester z. B., denen die Ka- Entdeckten polnische Priester einen Chri- pelle verboten war, kümmerten sich nicht um sten, ganz gleich welcher Nationalität, wurde er das Verbot, Gottesdienst zu feiern, sondern or- brüderlich eingeladen, am eucharistischen Mahl ganisierten in jeder Stube ihres Blocks „heimli- in Block 28 teilzunehmen; genau das Gegenteil che Sonntagsmessen“. Wie ergreifend. Als ich von dem, was sich gegenüber [in Block 26] ab- einmal im Advent bei ihnen eingeladen war, eine spielte.451 Adventspredigt zu halten, konnte ich mich davon [...] überzeugen. Es war ganz früh am Morgen um

448 Weinmann S. 192, siehe auch: Weinmann S. 194. 450 Zitiert in Bernadac S. 208. 449 Joos S. 126. 451 Michelet S. 116 f.

120 Eine originelle Persönlichkeit war in Stube „Warten Sie doch, bis Sie in den Block 26 Drei von Block 23 gestrandet. Ich hatte ihn versetzt sind“, sagte ich ihm. schon beim Einzug der „Zugänge“ bemerkt. Es Er tat, als ob er einverstanden sei. Trotzdem war ein alter humpelnder Priester mit hellen Au- wurde er am nächsten Morgen rückfällig. Ich er- gen und schütterem Haar, der sich auf einen innere mich, daß ihm an diesem Tage einer sei- Stock stützte. Im Durcheinander des Einzuges ner jungen Landsleute namens Michel Fonfrède hatte er einen kleinen Koffer retten können, der bei der Messe diente, der sein Vergehen zu ver- einen Tragaltar enthielt, so einen, wie man ihn bergen suchte, indem er sich hinter den aufge- an die Feldgeistlichen ausgab. Es war tatsäch- stapelten Strohsäcken verkroch. Da der Stuben- lich der, den er aus dem ersten Kriege zurück- älteste keine weiteren Bemerkungen gemacht gebracht hatte und an dem er deswegen wie an hatte, dachte ich, er würde sich damit abfinden seinem Augapfel hing. Dieser Tragaltar hätte ihn und das Unvermeidliche dulden. beinahe das Leben gekostet. Mit der ruhigen Si- Na also, sagte ich mir, diese Unverfrorenheit cherheit des Gerechten, der niemanden fürchtet ist ein gutes Zeichen; tatsächlich, das Ende nä- außer Gott, hatte Abbé Goutaudier, Pfarrer einer hert sich offenbar. kleinen Pfarrei im Charolais, es unternommen, Da kam mit völlig unschuldigem Gesicht ein am Tage nach seiner Ankunft zwischen zwei Krankenwärter des Reviers in den Block, um ei- Stapeln von Strohsäcken am Ende des Blocks ne Sputumuntersuchung der Neuangekomme- die Messe zu lesen. Man muß Deportierter ge- nen vorzunehmen. Da sie zu zahlreich waren, wesen sein, um die Kühnheit oder die Ah- traf er wie üblich eine willkürliche Auswahl und nungslosigkeit dieser Unternehmung richtig be- begnügte sich, den Auswurf von einem Dutzend urteilen zu können. Es war allerdings ziemlich der „Zugänge“ zu nehmen. Anscheinend zufällig vorsichtig gemacht worden, so daß Ludwig, der war auch Abbé Goutaudier dabei. Zwei Stunden Stubenälteste von den internationalen Brigaden, später wurde er in größter Eile geholt. Die Unter- es erst bemerkte, als der Pfarrer nach Beendi- suchung des Auswurfs habe ergeben, daß der gung der heiligen Handlung die Gewänder ab- alte Pfarrer in höchstem Grade tuberkulös sei. legte. Ein Bett erwartete ihn in Block 13[452], wohin er „Deine Franzosen sind verrückt“, sagte er mir sich unverzüglich begeben sollte. Sofort! „Na und zeigte mit einer bohrenden Bewegung des denn also“ sagte er ruhig mit seiner etwas Zeigefingers auf seine Stirn, eine Geste, die ich schleppenden Stimme und klaubte seine Kla- gut kannte. Es war nicht das erste Mal, daß man motten zusammen. „Ich habe bis zum 68. Le- uns so als Irre behandelte. „Sag deinem Pfarrer, bensjahre warten müssen, um zu erfahren, daß daß, wenn ein SS-Mann erfährt, was eben hier ich Tuberkulose habe. Werde ich wenigstens da geschehen ist, ich reif bin für das Krematorium; in der Krankenabteilung meine Messe lesen mach ihm klar, daß wir hier nicht in einem Klo- können?“ Und er ging mit seinem Tragaltar ster sind ...“ Ich bemühte mich also, Abbé Gou- humpelnd los. Am nächsten Morgen kam Jacob taudier beizubringen, daß es tatsächlich unter [Jakob Koch] mich besuchen. Er hatte das ern- den neuen Umständen von Ort und Zeit, in de- ste Gesicht der Tage, an denen wichtige Dinge nen er sich jetzt befand, eine gewisse Gefahr geschehen, mit denen man nicht spaßen kann. war, solche äußeren Kulthandlungen vorzuneh- men. 452 Auch Karl Leisner befand sich zu der Zeit auf Block 13.

121 „Laß sofort durch deine Kumpels vom Block Sträflinge mehr, sondern Priester. Die ersten 26 diesen Pfarrer anfordern, den Ludwig gestern Worte der Opferfeier offenbaren mir ihr Prie- in den Tuberkuloseblock expediert hat. Heute stertum. All die gefalteten Hände sind geweihte abend ist ‚Transport’ vom ganzen Block 13.“ Hände, zwei von ihnen haben sie delegiert, zu Der waghalsige Abbé Goutaudier konnte opfern und das Brot des Lebens zu brechen. All dem Schicksal, das ihn erwartete, der Spritze, das empfand ich in einer Minute einzigartiger die damals unbequeme Leute als unheilbar im Fülle. Ich hätte meinen Platz nicht für ein König- Schnellverfahren durch den allmächtigen Kapo reich getauscht. von Block 13 ins Krematorium beförderte, noch Der Priester erhebt die Hostie auf seiner rechtzeitig entrissen werden.453 Handfläche. Gibt es eine würdigere Patene als [...] diese Hände, die Handschellen getragen, die die Weihnachten 1944: Der Typhus ist noch deutsche Spitzhacke geschwungen und viel- nicht offiziell bekanntgegeben. Pater Morelli, ein leicht einem Typhuskranken in einer Ecke des junger Dominikaner mit einem gütigen Lächeln, Reviers die Absolution erteilt haben? In seiner feiert, ehe er selber schwer erkrankt – wir hätten völligen Nüchternheit läßt das Opfer des Altares ihn beinahe verloren –, eine unvergeßliche Mit- nur die wesentlichen Gesten erkennen. ternachtsmesse bei [Dr.] Roche. Ein ganz ge- Während der Konsekration hebt der Priester wöhnliches Glas dient als Kelch, der Deckel ei- ein wenig die Stimme. Mit den Augen des Glau- ner Medikamentenschachtel als Patene. Einer bens sehe ich, wie das Brot der Leib Christi wird. von uns bewacht unruhig die Umgebung.454 Ich sehe, wie die Hostie der Häftlinge, schwer Pierre Humbert: von so großer Folter und langsamem Tod, zum Nach 21 Tagen Quarantäne wurden wir auf die Opfer des Kalvarienberges wird, inmitten dieser Priesterblöcke verteilt. Am kommenden Tag gab verzweifelten zur Zwangsarbeit verurteilten Häft- es eine heimliche Messe auf Block 28. Es war linge. Hier ist die gewaltige Macht des Nazismus vielleicht die schönste Messe, an der ich jemals zu Ende. teilgenommen habe. Der Altar: ein gewöhnlicher „Hier gibt es keinen lieben Gott“ hatte ein Tisch aus weißem Holz, eine Kerze ohne Stän- SS-Mann geschrieen, und wenige Worte von der auf dem Tisch, ein Aluminiumbecher als den Lippen eines Priesters hatten genügt, um Kelch, ein Taschenmissale, ein Rosenkranz. die wahre Gegenwart Gottes in diese Hölle der Das ist alles. Ein Priester in Sträflingskleidung Erde zu bringen. Der Priester erhebt das Blut bereitet sich vor, während die Christen eintref- Christi in dem Aluminiumbecher. Entsetzliche fen. Die Fenster sind abgedichtet. Ein Priester Scheußlichkeit oder erhabene Schönheit dieses hält an der Tür Wache. Schweigen, Dunkelheit, Bechers? Niemals war die Schönheit des Myste- Sammlung. Einige Schritte entfernt qualmt das riums augenfälliger als in dieser erhabenen Ein- Krematorium. Alle antworten leise auf die Ge- fachheit. bete. Ich knie in einer Ecke, namenlos. All diese Der Priester geht mit einer Dose, die als Zi- Namenlosen, ausstaffiert mit scheußlichen An- borium dient, in die Mitte der Häftlinge und teilt zügen, diese kahlgeschorenen Köpfe, diese von das Brot des Lebens aus. Die Messe geht in Stil- Leiden ausgemergelten Gesichter, sie sind keine le zu Ende. Es gibt Intimitäten, die man nicht stören darf. 453 Michelet S. 146–148. 454 Michelet S. 228.

122 Einmal wird ein Priester diese Messe verlän- Eine weitere Messe hat in gleicher Weise in je- gern, er wird erschossen zusammenbrechen der Stube der polnischen Priester stattgefunden. und rufen: „Rächt mich nicht!“455 Wenn ich, obwohl ich alles von diesem Block Joseph de La Martinière: vergessen habe, vor meinem geistigen Auge Die letzten Wochen – April 1945 diese kurze und flüchtige Zeremonie noch immer Im Laufe des Monats Februar 1945, an einem sehe, dann deshalb, weil sie mich tief beein- Datum, das ich vergessen habe, wurde ich mit druckt hat. Hier wurde ich wirklich durch die weiteren französischen Priestern gebeten, Block Jahrhunderte in die Kirche der Katakomben zu- 26 zu verlassen und auf Block 28 überstellt. Es rückversetzt. Diese Priester haben keinen Zutritt ging zweifellos darum, in Block 26 Platz für die zur offiziell genehmigten Kapelle, die sich 10 m Neuankömmlinge zu schaffen. von ihnen entfernt befindet. Sie feiern einen Block 28 ist der Block der polnischen Prie- heimlichen unter Todesstrafe verbotenen Got- ster. Ich bin dort in Stube 1 oder 2 untergebracht tesdienst. Sie tun es aus Glaubenstreue, aus und von Menschen umgeben, mit denen ich dem Bedürfnis heraus, am Opfer Christi teilzu- mich nicht im geringsten austauschen kann, au- haben und sich verbunden zu fühlen mit dem ßer mit einigen bruchstückhaften Formulierun- Opfer von Hunderten ihrer im Lager verstorbe- gen auf Deutsch. Ich habe nur eine einzige Erin- nen polnischen Priesterbrüder. Diesen letzten nerung an meinen kurzen Aufenthalt in diesem Punkt erfuhr ich erst später, denn damals wußte 456 Block: Die Messe. ich nichts von der Vergangenheit von Dachau. Wir stehen morgens sehr früh auf, etwa ge- Ich glaube, es war René Fraysse, der es in gen 4.00 Uhr. Es ist dunkle Nacht. Wir ziehen Angriff nahm, eine heimliche Messe in einer der uns schnell an und während wir noch die letzten Stuben von Block 28 zu organisieren. Ein Tisch Kleidungsstücke überstreifen, hat im selben wurde in die Mitte der Stube gestellt. Da es Raum bereits die Messe begonnen. Der Zele- kaum Platz gab, stand dieser Tisch über den auf brant sitzt an einem Tisch, eine Stola hängt über dem Boden liegenden Kranken. Ich wurde ge- seiner Brust. Vor ihm ein Becher, der einige beten, die Messe zu feiern, meine zweite Messe Tropfen Wein enthält, Hostien, die wir uns drau- in Dachau, aber die erste unter so außerge- ßen durch Vermittlung der deutschen Priester wöhnlichen Umständen. Weitere halb invalide besorgen können, und ein kleines Meßbuch. Na- Häftlinge waren aus den anderen Stuben ge- türlich spricht er Latein, denn der Gebrauch der kommen, wir hievten sie auf die Schränke und nationalen Sprache ist in der Kirche noch nicht ich reichte ihnen mit ausgestrecktem Arm die eingeführt. Rechts und links von ihm sitzen die Hostie. Der Kelch war ein irgendwo gefundenes Priester. Weitere schließen sich an, sobald sie Senfglas. Die Priester ließen in sechs Sprachen fertig angezogen sind. Ein Priester befindet sich beten, ich habe vergessen in welchen. Späher im Hof des Blockes vor der Tür, um Zeichen zu waren am Blockeingang postiert. Der Fußboden geben, falls sich ein SS-Mann nähert. Wir rei- war bedeckt von sitzenden und liegenden Men- chen uns das geweihte Brot von Hand zu Hand. schen, die nicht stehen konnten. Viele waren Es ist beendet. Hastig wird Kaffee in die Becher keine Christen, aber sie hielten eine respektvolle gegossen, und wir drängen uns zum Ausgang der Stube, um uns für den Appell aufzustellen.

455 Zitiert in Bernadac S. 345 ff. 456 de La Martinière S. 58 f.

123 Stille. In meinem Priesterleben habe ich nicht Über die Feier von Gottesdiensten hinaus gewann 457 viele Stunden derartiger Fülle erlebt. die Seelsorge außerhalb des Priesterblocks trotz Leopold Arthofer: strengsten Verbotes zunehmend an Bedeutung. Hinter dem Ofen zelebrierte ein Priester die hei- Josef Fischer: lige Messe auf einem Tischrande. Als einzige Die Priester erhielten scharfes Verbot, irgend- kirchliche Kleidung trug er eine selbstverfertigte welche Seelsorge im Lager auszuüben. Streng Stola über dem Häftlingskleid. Messkelch war wurde vor allem im Jahre 1941 von der Lager- ein Wasserglas – Patene eine kleine Metall- leitung auf die Beobachtung dieser Bestimmung scheibe – Speisekelch ein Aluminiumbecher – geachtet, während in den letzten Jahren die SS Altarbild ein aufgeklebtes Bild aus einem alten auch in diesen Dingen sich nicht mehr so recht Kalender. So feierten sie in tiefster Andacht das 460 458 durchsetzten konnte. heilige Opfer. Léon de Coninck: François Goldschmitt: Ich sah, wie um mich herum meine Kameraden Die polnischen Priester, denen jede religiöse Be- [auf dem Invalidenblock] zu Dutzenden wegge- tätigung im Block verboten war, mußten sich an- bracht wurden. Ich nahm an Morden teil, ohne ders behelfen. Draußen in der Plantage arbei- irgendeine Möglichkeit zu haben, zu retten oder teten viele polnische Pfarrer in Gewächshäu- zu verteidigen. Aber ich besaß die Eucharistie ... sern. Während einer von ihnen Wache hielt und Man ließ sie mir in Taschentüchern, in kleinen andere Kameraden sich mit Scheinarbeit be- gefalteten Papieren, zukommen. Ein lieber Ver- schäftigten, kniete der Polenpriester, der schon storbener, der Luxemburger Abbé Wampach am längsten im Lager schmachtete, am Boden, war im Versorgungskommando: Wenn er die das Gesicht in das Gewächshaus gerichtet, um schweren Essenskübel holte, traf er einen Prie- den Schein zu erwecken, als jäte er Unkraut. ster von Block 26, der ihm das kostbare Gut an- Droben vom Beobachtungsturm aus hätten ja vertraute, zwei oder drei Partikel. Ich profitierte die SS-Posten etwas erspähen können. Der von der Mittagspause, während derer Opfer und kniende Pfarrer hatte einen kleinen Tragaltar in Folterer auf dem Boden ausgestreckt schliefen, den Boden gedrückt, und dort las er die heilige um in meiner Mütze die Teilchen in kleine Stük- Messe. Viele Kameraden eilten herbei, mit Gras ke zu schneiden. So gelang es mir, aus drei Ho- oder Pflanzen in der Hand, gleich als ob sie dort stien 60 Partikel zu bekommen: Mit der Schere etwas zu schaffen hätten. Auch sie knieten nie- vierteilte ich jede Hostie und schnitt dann jedes der und spendeten sich selbst die heilige Kom- Viertel in fünf Partikel. Jede Partikel wickelte ich munion. Nie sind die Polen bei einer solchen in Zigarettenpapier und bewahrte die „Heilige Handlung in diesen modernen Katakomben er- 459 Reserve“ in meinem Brillenetui auf. So war ich wischt worden. Tag und Nacht ein lebender Tabernakel. Wieviel Todeskandidaten konnte ich so mit der Wegzehrung versehen! Nur zwei Beispiele, die mich noch bewegen. Ich sah eines Abends beim Essen an meinem Tisch, wie ein alter pol- nischer Priester mit dem Tod kämpfte. Für die 457 de La Martinière S. 63. 458 Zitiert in Schnabel S. 151. 459 Zitiert in Schnabel S. 152. 460 Fischer Bd. I, S. 98.

124 „Invaliden“ gab es keine Möglichkeiten, ins Re- Scheipers, bereits Rekonvaleszent, suchte un- vier zu kommen. Ich setzte mich neben ihn, um ermüdlich in den Stuben die Mitbrüder und die ihm zu sagen, daß ich den großen Trost bei mir Christen auf, die Hilfe brauchten. Er erzählte mir, hätte! Welch ein Blick traf mich! Seine sterben- wie sich eines Tages, als er einem Kranken die den Hände umschlossen die meinen: Er beich- Kommunion brachte – er hatte sich so gut es tete ... kommunizierte ... am nächsten Morgen ging verkleidet – plötzlich ein Mann, den er im brachte man seinen Leichnam zum Kremato- Todeskampf wähnte, umdrehte, die Geste sah rium. Dann dieser Sonntag im Juli, als der erste und, wie auferstanden, indem er ihm beide Hän- Todesmarsch aufbrach. Unter den ausgesuch- de entgegenstreckte, inbrünstig bat: „Oh, Herr ten Opfern drei Freunde: Abbé Esch, Père Dem- Pfarrer, für mich auch ... die Kommunion.“ bowski und Abbé de Backer, [...] Welche Be- Als ich Rekonvaleszent war, vertraute man stürzung, als die schreckliche Liste verlesen mir die Obhut über das heilige Sakrament an. wurde. Ich hatte es in einer Ecke mit Lebensmitteln ver- Ich hatte mir angewöhnt, jeden Tag einige steckt und diese mit Kartons und weißen Ta- Priester zu versammeln, um die Meßgebete zu schentüchern als Tabernakel hergerichtet, Mei- sprechen, meine Erinnerung war frisch. Sie, er- ne Schlaflosigkeit wurde so zu Stunden nächtli- schöpft auf Grund von Entbehrung und Hunger, cher Anbetung. Ostern nahte. Ich machte keiner- hatten ein schwaches Gedächtnis. Ich wählte je- lei „Reklame für Ostern“, aber junge Belgier ka- den Tag die Messe von der Heiligen Dreifaltig- men zur Beichte und wollten das österliche Sa- keit. Es blieben mir noch drei Hostienpartikel, die krament empfangen. ich in Reserve hatte. Aber bei der Kommunion in Welch rührende Geschichten! Da ist ein jun- der Messe gab ich sie den Dreien, die gleich den ger Bursche ... Er geniert sich ein wenig ... er bitteren Kelch trinken würden ... Sie gingen braucht Hilfe ... es ist solange her. Er fragt mich, schicksalsergeben fort. Nach dem, was ich er- ob ich ihm die Sünden und die Gebete auf ein fuhr, habe ich allen Grund anzunehmen, daß sie Blatt Papier schreiben kann. Natürlich habe ich eine Stunde nach ihrem Weggang im Ewigen das getan. Nach der Beichte bittet er mich, einen Leben, das ihnen die Wegzehrung garantierte, Kameraden mitbringen zu dürfen ... es sei einfa- angekommen sind. cher... er habe noch nie gebeichtet... und sei Von Typhus angesteckt ging ich ins Revier. auch nicht zur Erstkommunion gegangen. Natür- Die ersten Tage der Krankheit haben in mir nur lich bringt er ihn mit ... Und so bin ich Katechet. konfuse Erinnerungen hinterlassen. Eines Mor- Gründonnerstag bin ich durch einen scheußli- gens, als ich noch ein wenig benommen vom chen Hexenschuß ans Bett gefesselt. Man be- Fieber war, sah ich neben mir einen anderen nachrichtigt meine Freunde, daß ich, da ich kranken Mitbruder, der mir die Kommunion krank sei, meine Stunde nicht erteilen könne ... brachte. Verzweiflung ... Sie kommen dennoch und bitten Oh, das heilige und köstliche Wunder... nur so inständig. Und trotz meiner qualvollen derjenige kann es verstehen, der ebenfalls krank Schmerzen [...] führe ich ihre Einführung zu ist, keinen Besuch bekommt und keinerlei Zei- Ende. Am Osterfest kommt der sozusagen Neu- chen von Sympathie empfängt und nichts ande- getaufte ganz glücklich und dankt mir für seine res hörte als: „Euer Fall ist klar: Morgen das Erstkommunion. Wie oft während meines Auf- Krematorium!“ Und da tauchte die Hostie auf. Da enthaltes im Revier baten mich Kameraden ei- verstand ich die Krankenkommunion. Pfarrer nes Kranken, ihm die Sakramente zu bringen,

125 und wie häufig waren diejenigen, die diese Bit- haben. „Jetzt ist der Augenblick, Gaby!“ sagte ten überbrachten, nicht einmal praktizierende ich und stieß ihn an. „Ja ..., nehmen Sie mir die Kirchgänger.461 Beichte ab.“ Eine überwältigende Beichte, Kopf an Kopf, in der Stille der Stube, wo man nur hier und da Schnarchen vernahm ... Es war seine letzte Kommunion, zweifellos viel inbrünstiger als seine erste. Er kam nicht aus Flossenbürg zurück: Er war 20 Jahre alt.462 Pierre Humbert: Man schloß uns in eine Stube von Block 17 ein. Das brachte etwas Entspannung nach den Erd- arbeiten. Wir organisierten unseren Tagesab- lauf: Gemeinsames Gebet, Kommunion, die uns ein Priester von Block 26 brachte, Arbeitskreise und abends Anbetung mit einer kleinen Dose als Monstranz. Am Heiligabend besuchte uns Mgr Piguet. Er brachte uns einen Kessel Suppe und sprach zu uns von Herz zu Herz. Es war tröstlich, einen KZ-Bischof zu sehen. „Dort wo der Bischof ist, ist die Kirche“ hatte Austeilung der Heiligen Kommunion im Revier Zeichnung von Ferdinand Dupuis der heilige Cyprian [200/210–258] geschrieben. In seiner Person teilte die Kirche das Leiden der Häftlinge.463 Maurice Tauzière: In der Osterwoche brachte ich die Kommu- Abends spricht mich Mgr Daguzan an: „Abbé! nion in den Typhusblock, wo ein Tabakhändler Ein lothringischer Priester hat mir einige Hostien aus Lyon lag, bei dem ich mich bediente. Ich gegeben. Wenn Sie einige Jungen haben, die hatte ihm am Vorabend die Beichte abgenom- kommunizieren möchten, teile ich.“ „Oh, ja! men. Als ich am nächsten Morgen wiederkam, Gern.“ Er nimmt eine Schuhcremedose aus der hatte er mehrere Kameraden mitgebracht, die Tasche, die das kostbare Depot enthielt. Dann auch beichteten. Ich reiche ihnen die Kommu- klettere ich in mein Bett hoch [...] drehe mich nion auf dem Bauch liegend unter den Betten. dem jungen Gaby zu, der meine Matratze teilt: Nach der Zeremonie sagte einer von ihnen: „Als „Ich habe den lieben Gott, die Eucharistie, bei Dankeschön gebe ich einen aus.“ Und er bot je- mir. Willst Du sie empfangen?“ „Ja, Herr Pfarrer, dem eine Zigarette an. morgenfrüh nach dem Aufstehen.“ Und dann be- Persönlich habe ich durch die Bekenntnisse, tet Gaby einige Augenblicke mit mir, ohne daß die mir gemacht wurden, festgestellt, daß das die so nahen Nachbarn es bemerken. Die Nacht Konzentrationslager für viele Priester ein spiritu- war kurz, aber schön mit dem Allerheiligsten, so eller Fortschritt war: „Ich kann nicht weiterma- daß wir sie nie zuvor so lebendig empfunden 462 Zitiert in Bernadac S. 299 f. 461 Zitiert in Bernadac S. 277 ff. 463 Zitiert in Bernadac S. 344 f.

126 chen wie zuvor.“ „Niemals habe ich den Preis Schulz, Prior der Barmherzigen Brüder aus des Leidens so erfahren wie hier.“ „Ich glaube, Prag, das Allerheiligste verwahrte.467 falls ich nach Hause zurückkehre, wird mein Le- Joseph Rovan: ben völlig anders verlaufen.“ Ein weiterer Konfliktstoff, an dem sich der Streit Ich habe festgestellt, daß trotz der Mischung um Geist und Buchstabe zu entzünden drohte, von Nationalitäten, Arbeit, Dreck und sprachli- zeigte sich zu Beginn des Winters, als die Seu- chen Unterschieden in den Priesterblöcken eine chen, die Kälte, der Hunger und die körperliche so große Gebetsgemeinschaft herrschte, daß Not die Zahl der Insassen des Krankenreviers man glauben konnte, sich in einem Kloster zu rasch in die Höhe trieben, so daß weitere Blocks befinden. Jeden Abend gab einer von ihnen dem Revier angegliedert werden mußten. Viele „Meditationsimpulse“ für den kommenden Tag. Franzosen, die durch Zufall gefangengenommen Jeden Tag betete man gemeinsam den Rosen- und auf das Lagerleben nur ungenügend vorbe- kranz und die Komplet. Die tägliche Messe war reitet waren, ließen sich plötzlich gehen, da sie das Zentrum des spirituellen Lebens. Spontan weder die Verhaltensregeln noch die Sprache haben wir gemeinsam die Gebete der Gabenbe- dieser feindlichen Welt verstanden; viele von ih- reitung gebetet. Die Messe machte aus uns al- nen kamen ins Krankenrevier und verließen es len, gleich welcher Nationalität, einen Leib und nicht mehr lebend. Mit Hilfe seiner deutschen 464 einen Geist in Christus [vgl. Eph 4,4]. Freunde war Edmond Michelet in das Desinfek- tionskommando versetzt worden, das zu allen Emmerich Hornich richtete am 2. August 1966 an Blocks freien Zugang hatte, also auch zum die Bischöfe Deutschlands und Österreichs, aus Krankenrevier, das von den „Gesunden“ nicht deren Diözesen Priester im KZ Dachau waren, ein betreten werden durfte. Schreiben. Es ging unter anderem um die seelsorg- Am Sonntag bat Michelet den zelebrierenden liche Tätigkeit der Laien im KZ: Priester um geweihte Hostien, die er in eine große Streichholzschachtel legte und so den Unser HERR war nicht nur im Tabernakel der Kranken brachte, die nach dem Abendmahl ver- Lagerkapelle, sondern auch in die Krankenba- langten. Da er nicht überall zugleich sein konnte, racken eingezogen, behütet vom Prior der verteilte er seine wertvolle Fracht unter den ein- Barmherzigen Brüder von Prag, Kamerad Wen- zelnen Mitgliedern seines Arbeitskommandos. zel Schulz, der als Pfleger in der Tuberkuloseba- So kam es, daß oft auch überzeugte kommuni- racke[465] tätig war.466 stische Atheisten den sterbenden Katholiken den letzten Trost überbrachten. Johann Lenz: Diese Art zu verfahren, die uns ganz natür- Der Heiland in Brotsgestalt war ständig im Kran- lich erschien, schockierte jedoch einige deut- kenbau. Einen ganz besonderen Ehrenplatz hat- sche Priester: Den Leib des Herrn in einer te er auf Block 13, wo der Kamerad Wenzel Streichholzschachtel zu transportieren, das war für sie eine grobe Respektlosigkeit gegenüber Gott. Der Konflikt schwelte eine Weile weiter und konnte erst beigelegt werden, als der Bischof 464 Zitiert in Bernadac S. 349. von Clermont-Ferrand als Häftling ins Lager von 465 1945 war das Block 13. 466 Stimmen von Dachau Nr. 7, 1966/67, S. 21. 467 Lenz S. 280.

127 Dachau eingeliefert wurde. Monsignor Piguet L.: Die Zeit unseres Dienstes in den Blocks war war ein herzensguter Mann und treuer Seelsor- vor allem Februar/März und Anfang April, um ger, aber politischen Weitblick besaß er wohl Ostern vorzubereiten. Ich erinnere mich, daß nicht. Er galt als blinder Anhänger des Mar- wir einmal eine Versammlung abhielten, um schalls Pétain, den die Ironie des Schicksals, diese Arbeit untereinander aufzuteilen. Wie- der Finger Gottes oder der Übereifer eines lo- viel waren wir? Etwa ein Dutzend, bestimmt kalen Gestapobeamten – ein Bischof ist immer nicht mehr. ein guter Fang – unter die Widerstandskämpfer M.: Insgesamt waren wir nur eine kleine Gruppe, verschlagen hatte. Obwohl er seine Verschlep- die sich sagte: Wir sind Priester, wir müssen pung nach Dachau nicht begreifen konnte, zeig- uns um die anderen kümmern. Spirituell na- te er doch sehr viel Haltung. türlich, aber auch materiell, denn das gehörte Er galt nunmehr innerhalb des Lagers als der zusammen. Wir waren zweifellos dafür prä- ranghöchste Geistliche; und obwohl er nicht der destiniert auf Grund unseres vorigen Dien- Ordinarius dieses Ortes war – Dachau unter- stes, ganz nah bei den Menschen im prote- stand dem Erzbischof von München –, erkann- stantischen Milieu. ten die deutschen Priester seine Autorität an, L.: Wir hatten das heilige Sakrament immer in ganz im Geiste von Disziplin und Gehorsam, in der Tasche. Wir schliefen damit. dem die meisten von ihnen erzogen waren. Als M.: Ja, und manchmal in Taschen, die wir selbst man den Bischof von Clermont-Ferrand wegen fabriziert hatten, oder in den Hosenaufschlä- der Streichholzschachtel als Hostienbehälter um gen. Ich glaube, zeitweise habe ich es in seinen Rat bat, entschied sich dieser für den meinen Socken getragen. Geist und gegen den Buchstaben: Die heilige L.: Wären wir erwischt worden, hätten wir Kopf Kommunion konnte weiterhin unter den Kran- und Kragen riskiert. Wir dachten nicht einmal ken, die nach ihr verlangten, ausgeteilt werden. daran. [...] Ein halbes Jahrhundert Trennung von Kirche M.: Ich erinnere mich, daß ich oft in Block 29 und und Staat und der Umstand, daß die Teilnahme dann in Block 30 gegangen bin. Ich bin noch an der Résistance auf dem Engagement Einzel- in andere gegangen. In welche, weiß ich ner außerhalb der kirchlichen Hierarchie be- nicht mehr. ruhte, machten aus den französischen Priestern L.: All das hat uns noch stärker den wahren eine Gruppe, die sich von den deutschen, polni- Sinn der Sakramente vermittelt. Welche Be- schen und sogar holländischen Geistlichen in deutung hatten wir bis dahin dem Nüchtern- vielerlei Hinsicht unterschied; jene pflegten un- heitsgebot beigemessen und all diesen klei- tereinander und zu ihren Gläubigen eher ein nen rituellen Dingen. Dort spendeten wir die förmliches Verhältnis, das in einer Art „christli- Sakramente mit einem Minimum an Riten cher Sozialfürsorge“, wie wir es damals nannten, und unsere Ansichten änderten sich. Eine zum Ausdruck kam.468 Fülle von minutiösen Rubriken hatte vorher Gespräch von Jacques Louyot (L.) und Josef Ma- das Wesentliche nicht hervorgehoben, son- chet de La Martinière (M.) über Seelsorge im KZ dern verdeckt. Ostern 1945: M.: Dort habe ich den heiligen Paulus besser verstanden, der gegen die unzähligen Forde- rungen des jüdischen Gesetzes aufbegehrte, 468 Rovan S. 166–168. das als alleiniges Ziel hatte, die Menschen

128 der Priesterkaste zu unterwerfen. Es kam oft mächtigten Priester wie Père Riquet, was auch vor, daß wenn ich mit einem Kameraden die immer ihr Eifer war, nicht mittragen konnten. Straße entlangging, dieser beichtete und ich Wir haben uns nicht gebeugt. Der Sinn unse- ihm die Absolution ohne Kreuzzeichen gab, rer priesterlichen Anwesenheit in Dachau war in wenn Gefahr bestand, entdeckt zu werden. Frage gestellt. Wir wußten übrigens um die Un- Dann gab ich ihm heimlich ein kleines, damit wirksamkeit der Drohung, da jeder Priester, es nicht wegflog in ein Stück Papier einge- auch wenn er von der Kirche suspendiert wurde, wickeltes, Teilchen der Hostie in die Hand. die Macht und das Recht hat, einer in Todesge- Ich nahm es aus meinem Ziborium, einer fahr befindlichen Person die Sakramente zu kleinen Bonbondose mit Eisbären auf dem spenden. Und in Dachau befanden wir uns alle Deckel, und ich sagte ihm, er solle selbst ständig in Todesgefahr. Die von Louyot wieder- kommunizieren, weit entfernt von den Blik- gegebene Bemerkung bezieht sich auf unsere ken der anderen. Dieses Dosen-Ziborium Reaktion. kann man heute im Deportationsmuseum in Dieses Ereignis zeigt die Originalität der pa- Besançon betrachten. storalen Einstellung der französischen Priester, L.: Wir haben leicht gelächelt, als man uns droh- oder zumindest eines Teils von ihnen, im Ver- te, uns die Vollmacht, Beichte zu hören, zu gleich zu anderen europäischen Klerikern. entziehen, falls wir weiterhin das heilige Sa- Für uns bedeutet Priesterleben, mit den krament bei uns trügen. Menschen, gläubigen oder ungläubigen, zu- In der Tat beunruhigte die Kühnheit einiger Prie- sammen zu sein, um Zeugnis der universellen ster, die meisten waren Franzosen, die konse- Liebe Christi dorthin zu tragen, um für die da zu krierten Hostien bei sich zu tragen, unsere deut- sein, die unsere Hilfe brauchen; es bedeutet schen Mitbrüder tief. Der kirchlich Verantwortli- nicht, unter uns zu bleiben, indem wir in gewis- che des Blocks, ansonsten ein ausgezeichneter ser Weise einen monastischen Lebensstil an- Mitbruder, veröffentlichte eine knappe Liste von nahmen. Natürlich gingen wir zur festgesetzten bevollmächtigten Priestern – etwa zehn, darun- Stunde oft in die Kapelle, um das Brevier mit ter zwei oder drei Franzosen – , da er davon zahlreichen Priestern anderer Nationalitäten zu überzeugt war, daß man, um die Gefahr der Pro- beten. Aber wir machten für uns daraus keine fanierung so gut wie möglich zu vermeiden, die- strikte Verpflichtung, da wir der Ansicht waren, ses Recht für eine geringe Zahl von Priestern daß gewisse Aktivitäten außerhalb von vorrangi- mit bewährter Umsicht reservieren müsse. Die- ger Bedeutung waren. Diesbezüglich wurden wir jenigen, die gegen diese restriktive Reglementie- sicherlich nicht als beispielhafte Priester ange- rung verstießen, sahen sich der Vollmacht, Ab- sehen. solution zu erteilen, enthoben, die jeder Priester Wie hätten unsere deutschen Mitbrüder rea- von seinem Ortsbischof empfangen muß. Schel- giert, wenn sie erfahren hätten, daß Alex Morelli ling, der vom Erzbischof von München eine De- sich nicht damit zufrieden gab, zahlreichen Häft- legierung seiner Jurisdiktion erhalten hatte, hielt lingen, vor allem im Revier, die Kommunion zu sich für ermächtigt, eine solche Anordnung vor- bringen, sondern daß er Ende Oktober oder An- zunehmen. fang November [1944] die Idee hatte, heimlich Das war ein schwerer Schlag gegen den sa- im Inneren von Block 26 im Dachgestühl der Ba- kramentalen Dienst, den wir in allen Baracken racke über der Stube 4 eine Messe zu feiern. des Lagers leisteten, und den die offiziell er- Wir hatten eine Holzbohle herausgenommen,

129 um auf die Balken zu klettern. Dort oben war es machten wir ihnen Angst. Sommet analysiert unmöglich, aufrecht zu stehen. Man mußte in diese Reaktion: sich zusammengekauert knien. Eine Initiative, Uns Franzosen geht der Ruf von Unru- nach deren Berechtigung man sich mit Recht hestiftern voraus, andere nennen es fragt, da es doch im selben Block möglich war, Freiheit! Wir stellen eine Gefahr für die jeden Tag an der Messe teilzunehmen, ohne je- Zukunft dar. In einer derartigen Furcht le- doch selbst zelebrieren zu dürfen. ben diese Menschen, in einer panischen Wie läßt sich dieses waghalsige Unterneh- Angst, einmal das Erlaubte zu übertreten. men verstehen? Vielleicht als Provokation ange- Wir erschütterten eine nur schwer gefun- sichts der mehr oder weniger resignierten Be- dene innere Stabilität.469 wohner von Stube 4, von denen nur einige we- Die deutschen Priester sind schon seit langem nige an der akrobatischen Zeremonie teilnah- da [...]. Sie haben in der ersten Zeit sehr gelit- men, die aber zweifellos alle davon wußten; als ten. „Sie haben eine gewisse Würde bewahrt, Zurückweisung der erlittenen religiösen Unter- aber eingeigelt in sich selbst, in ihrer kleinen drückung; als Protest gegen die verängstigte Gruppe“ (Sommet). Unterwerfung, auf die diese stieß. Es war ein Akt L.: Es waren Menschen, die vielleicht ein sehr spirituellen „Widerstandes“. tiefes spirituelles Leben hatten, die das, was Der deutsche Klerus teilte gewiß die Über- sie erlebten, mit einigen um sich herum ge- zeugung, daß wir die Erben der Kirche der Kata- teilt haben, und das war alles. Im Gegensatz komben waren. Aber da er ein Minimum an Zu- zu ihnen hatten wir das Bedürfnis, draußen geständnissen bezüglich seines Status erhalten zu sein. hatte, zog er es vor, sich damit zufrieden zu ge- Diese Zurückgezogenheit, dieses kirchliche ben, indem er auf Amtshandlungen außerhalb Ghettoverhalten, resultierte aus der Angst. Wie des Blocks verzichtete, der seiner Meinung nach dieses ewige „Verboten“. Gewiß, es ging von die erlangten Vorteile gefährden könnte. Viele Menschen aus, deren während ihrer Erziehung ausländische Priester teilten diese Meinung. erworbene Mentalität, die einerseits uneinge- L.: Vergleicht man die ausländischen und die schränkten Gehorsam gegenüber Vorschriften in französischen Priester, so bin ich der Mei- sich barg und andererseits die Weigerung, Ver- nung, daß die ausländischen Priester ohne bote zu übertreten, verbunden war mit einer ge- Ausnahme in ihrem Block zurückgezogen wissen Unfähigkeit, die Verschiedenartigkeit von blieben. Sie hatten vielleicht eine ernstzu- Situationen zu unterscheiden. Aber dieser natio- nehmende Aufgabe, aber im Block. Sie gin- nale Charakterzug verstärkte sich durch eine gen nicht nach draußen, sie waren in erster fortwährende Reaktion von Furcht, die im Block Linie gehemmt durch ihren Gehorsam, durch um sich griff.470 dieses ewige „Verboten!“, durch die Angst vor Schließung der Kapelle, was für sie eine Den „Ehrenhäftlingen“, die im Bunker (Komman- Katastrophe gewesen wäre. Wohingegen wir dantur-Arrest) des KZ Dachau inhaftiert waren, sagten: „Na gut, dann feiern wir die Messe wurde ab Weihnachten 1941 gestattet, in einer eben ‚auf stillen Örtchen’ und das war alles.“ M.: Nennen wir die Sache beim Namen. Mit dem, was in ihren Augen als Leichtsinn galt, 469 Sommet S. 77. 470 de La Martinière S. 43–46.

130 eigens für diesen Zweck geräumten Zelle die hei- silien für die Feier der Liturgie „geliefert“ wur- lige Messe zu feiern. den.471 Martin Niemöller am 5. Dezember 1972 an G. Michael Höck am 19. März 1945 an Friedrich Walraeve: Pfanzelt: Ihr freundliches Schreiben vorn 19. Juli 1972 Als „Mesner“ unserer kleinen Kapelle möchte ich liegt schon lange unbeantwortet: Ich schreibe Ihnen eine Bitte unterbreiten: Wäre es möglich, kein französisch und habe Ihre Zeilen zunächst bis zu den Kartagen ein Korporale (mit Portatile) nicht einmal verstanden, weil mir die Abkürzung zu besorgen, wie es die Feldgeistlichen benut- K.A. [Kommandantur-Arrest] ungeläufig ist. zen. Vielleicht können Sie uns auch einen klei- Ich bin vom 1. Juli 1941 bis 24.4.1945 im nen Kelch mit Patene leihweise überlassen. „Zellenbau“ des Konzentrationslagers Dachau Sonst sind wir mit allem Nötigen versehen.472 gewesen. Vom Eingang aus nach rechts gese- Johann Lenz: hen in der viertletzten Zelle auf der linken Seite. Am Abend dieses 16. April [1945] wurden un- In der Zelle neben mir war mein späterer sere „Ehrenhäftlinge“ durchs Lager geführt. Wir Freund, der katholische Priester Dr. Michael sahen unseren ehemaligen Kanzler Schusch- Höck. In der folgenden Zelle lebte der Domka- nigg und Bischof Piguet, der seit 22. Jänner in pitular und spätere Weihbischof von München Sonderhaft war. Auch Léon Blum aus Frankreich Dr. Johannes Neuhäusler, und die letzte Zelle im war dabei, ein spanischer Minister samt Frau, Gang gehörte uns „gemeinsam“. Dort bildete zwei russische Generäle ... Die kleine Zahl die- sich in Lauf der Jahre so etwas wie eine theolo- ser Sonderhäftlinge war in den letzten Tagen auf gische Bibliothek; dort konnten wir unsere „Mahl- etwa 100 angewachsen. Schuschnigg war aus zeiten“ gemeinsam einnehmen und auch tags- dem KL Sachsenhausen über Flossenbürg ge- über miteinander sprechen, lesen und uns un- kommen. terhalten. – Gegenüber hatten die beiden katho- Sie waren auf Block 31, dem ehemaligen lischen Pfarrer zusammen mit dem gleichfalls Freudenhaus des Lagers, untergebracht. Noch bei uns lebenden Domkapitular Nikolaus Jansen an diesem Abend gingen alle Katholiken beim aus Aachen ihre „Kapelle“, wo ab Weihnachten französischen Bischof zur Beichte – am näch- 1944 ich auch evangelischen Gottesdienst hal- sten Morgen zur heiligen Kommunion. Der Bi- ten durfte für die nicht römisch-katholischen Mit- schof feierte also die hl. Kommunionmesse am gefangenen im Zellenbau. [...] Den ersten Got- einstigen Ort der Schande. Der unheilige Ort tesdienst in dieser Kapelle hielt ich am 24.12. wurde entsühnt.473 1944, abends zwischen 18-19 Uhr. Joseph Fily: „Sie will die Osterkommunion empfangen.“ Eine eigene Gottesdienstmöglichkeit wurde 1945 „Was? Eine Nutte?“ „Ja, eine aus dem Bordell. auf Block 31, dem ehemaligen Freudenhaus des La- Sie haben es gerade evakuiert. Sie kommt aus gers, zugestanden, als dieser wegen Überfüllung Nancy. Na und, wenn sie die Osterkommunion des Kommandantur-Arrestes ebenfalls als Unter- empfangen will.“ kunft für „Ehrenhäftlinge“ diente. Ab Januar 1945 gibt es Belege, daß dorthin auch die nötigen Uten- 471 Siehe auch S. 110. 472 Archiv der Pfarrei St. Jakob Dachau Nr. 28–16. 473 Lenz S. 338 f.

131 An die zehn Priester versammeln sich. Der Altar, sei es in einer Kathedrale oder in der „Sie will kommunizieren.“ „Gut. Überlegen Baracke, ist ein Ort, wo Himmel und Erde sich wir. Können wir ihr die heilige Kommunion ge- berühren. Das wurde auch in der Lagerkapelle des ben?“ Der Erste: „Sie befindet sich in einem der KZ Dachau und an vielen anderen geheimen Orten Sünde ‚nahen’ Zustand, also können wir ihr kei- greifbare Wirklichkeit. ne Absolution erteilen.“ Der Zweite: „Sie hat ‚es’ gezwungenermaßen getan. Sie ist wirklich nicht Hans-Karl Seeger, Gabriele Latzel dafür verantwortlich...“ Der Dritte: „Wir haben im Studium gelernt, daß man seine Reinheit bis zum Tod bewahren muß.“ Und es beginnt von vorne. Der Erste, der Zweite, der Dritte ... ein Vierter unterbricht die Diskussion: „Es reicht. Während Ihr herumgere- det habt, bin ich hingegangen... Ich habe ihr die Absolution erteilt und die Kommunion gegeben. Wo wart Ihr gerade stehengeblieben?“474 Gabriel Piguet: Der Block, den wir bewohnten, hatte sündigen Zwecken gedient. Als ich das erfuhr, besprengte ich ihn mit Weihwasser[475] und feierte eine Süh- nemesse für die an diesem Ort begangenen Sünden. Ich weise auf folgendes hin: War es nicht göttlich gefügt, daß eine heilige Sühne, nämlich die des erlösenden Opfers vom Bischof persönlich in diesem Lager des Leidens und des Todes vollzogen wurde, das zu gewissen Stun- den durch schändliche sexuelle Ausschweifung beschmutzt worden war?476

Der Dachau-Altar steht heute in Schönstatt, aber das Portatile, das „Herzstück“, ist noch in Dachau, es ruht im Altar der Kirche im Karmel Heilig Blut.

474 Zitiert in Bernadac S. 300 f. 475 Das damals gültige Kirchenrecht (CIC/1917 [Codex Iuris Canonici – Kirchenrecht von 1917], c. 1174– 1177) sah die Entsühnung, eine liturgische Reini- gung, eines geschändeten Kirchenraumes vor. C. 1177 erlaubte die Entsühnung mit gewöhnlichem Weihwasser. 476 Piguet 1947, S. 139.

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137 Seitz, Friedrich, Der Wahrheit eine Bresche! Ein in chengeschichte, Bd. 36, München 1985, S. 61– Aschaffenburg gedrucktes Manuskript einer 92 (zit.: Vogel). Pfingstpredigt o. J. [1945] (zit.: Seitz). Weiler, Eugen, Die Geistlichen in Dachau sowie in Sommet, Jacques, L’honneur de la Liberté [Die anderen Konzentrationslagern und Gefängnis- Ehre der Freiheit], Paris 2000 (zit.: Sommet). sen, Nachlaß von Pfarrer Emil Thoma, Mödling 1971 (zit.: Weiler). Steinbock, Johann, Das Ende von Dachau, in: Wei- ders. Die Geistlichen in Dachau sowie in anderen ler S. 1069–1105 (zit.: Steinbock) Konzentrationslagern und Gefängnissen, Nach- ders., Das Ende von Dachau, Salzburg 1948 (zit.: laß von Pfarrer Emil Thoma, Band II, Lahr 1982 Steinbock 1948). (zit.: Weiler II). ders. Die Geistlichen in Dachau, Bildband, Lahr o. Steinkelderer, Josef, Weihnachten hinter Stachel- J. (zit.: Weiler Bildband). draht in: Tabernacle and Purgatory [Tabernakel und Fegefeuer], February 1947, No. 10, S. 316– Weinmann, Franz, Eine Heimsuchung, Seelsorgs- 318, (zit.: Steinkelderer). briefe aus der Verbannung in: Freiburger Diöze- san-Archiv, S. 154–197 (zit.: Weinmann). Stimmen von Dachau, Sammlung von Akten über Leben und Sterben der Dachaupriester (zit.: Wöß, Franz, Der alte Pfarrer Franz Wöß von St. Stimmen von Dachau]. Peter am Wimberg berichtet, in: Weiler S. 866– 871 (zit.: Wöß). Thoma, Emil, Kreuz hinter Stacheldraht, in: Weiler S. 832–839 (zit.: Thoma). Zámečník, Stanislav, Das war Dachau, Luxemburg ders., Braune „Schwester Pia“, in: Weiler II, S. 397 2002 (zit.: Zámečník). f. (zit.: Thoma Sr. Pia). Zeuch, Franz, Erste hl. Messe im KL Dachau, Eine Vogel, Hubert, Über die katholische Pfarrseelsorge Erinnerung an ein Geschehen vor 17 Jahren, in: bei den Häftlingen des Konzentrationslagers Stimmen von Dachau, Nr. 4, März 1957, S. 1 f. Dachau, in: Beiträge zur altbayerischen Kir- (zit.: Zeuch).

138 Glossar

Absolution Ambo – Lesepult Sündenvergebung im Sakrament der Buße. Andritzki, Alois Albe Alois Andritzki, geboren am 2.7.1914 in Radibor bei Eine Albe ist ein weißes (albus lateinisch weiß) Ge- Bautzen, Priesterweihe am 30.7.1939 in Bautzen, ge- wand, das bei liturgischen Feiern getragen wird. storben im KZ Dachau am 3.2.1943 (ermordet). Er war Kaplan an der Hofkirche in Dresden und wurde Albert am 21.1.1941 verhaftet. Am 10.10.1941 kam er ins Pater Albert Raymond Walter Durand OMI, geboren KZ Dachau. 2003 wurde für ihn ein Seligsprechungs- am 23.1.1916 in St. Hélier/Jersey (seine Mutter prozeß eröffnet. stammte aus Irland, sein Vater aus Frankreich), Ein- kleidung am 7.9.1936 in Berder, Ewige Gelübde am Antependium 8.9.1940 in Ste Foye, Priesterweihe am 31.5.1942 in Altarbekleidung. Lumières, gestorben am 6.11.1973 in Notre-Dame de Sion bei Nancy. Er kam am 18.12.1943 ins KZ Da- Arnsteiner Patres chau, am 7.6.1944 in KZ Natzweiler-Struthoff und Die 1800 in Frankreich gegründete Picpusgemein- am 5.9. 1944 wieder ins KZ Dachau. Er wurde am schaft, genannt nach der Rue de Picpus in Paris, in 29.4.1945 befreit. der diese ihr Mutterhaus hatte, ist in Deutschland nach dem Ort Arnstein/Lahn auch als „Arnsteiner Albinger, Josef Patres“ bekannt. Seit 1919 ist Arnstein ihre Hauptsitz Monsignore Josef Albinger, geboren am 20.12.1911 in Deutschland. in Neuhof-Ellers, Priesterweihe am 19.12.1936 in Fulda, gestorben am 26.10.1995 in Pappenhausen. Er Arthofer, Leopold kam am 5.2.1942 ins KZ Dachau und wurde am Geistlicher Rat Leopold Arthofer, geboren am 4.1. 4.4.1945 entlassen. 1899 in Gmunden, Priesterweihe am 29.6.1924 in Linz, gestorben am 24.7.1977 in Enns. Er kam am Albrecht 28.4.1941 ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 Dr. phil. Albrecht (Friedrich) Wagner OSB, geboren entlassen. am 19.2.1909 in Aitrang, 1929 Noviziat in St. Otti- lien, Profeß am 17.5.1930, Priesterweihe am 14.7. Aspergil 1935 in Einsiedeln, gestorben am 11.10.1987 in St. Weihwasserwedel. Ottilien. Er kam am 5.7.1941 ins KZ Dachau und wurde am 22.12.1941 entlassen. Auboiroux, Germain Der französische Kommunist Germain Auboiroux Allerheiligstes war Eisenbahner und stammte aus dem Département Das Allerheiligste ist ursprünglich in Tempeln der Corrèze. innerste Raum mit dem Götterschrein, im jüdischen Tempel der mit der Bundeslade. Im Christentum ist Auer, Heinrich die Eucharistie das Allerheiligste. Diese wird im Der Historiker Professor Heinrich Auer (1884–1951), Tabernakel aufbewahrt. Bibliothekarsdirektor beim Deutschen Caritasverband

136 in Freiburg, war als politischer Schutzhäftling ab dem racken ergab sich, daß sich jeweils zwei Stuben 23.7.1943 im KZ Dachau. Trotz des Verbotes für einen Waschraum und eine Toilette teilen mußten, Laien nahm er des öfteren am Gottesdienst in der La- die zwischen den beiden Stuben angeordnet wa- gerkapelle des KZ teil. Er schrieb am 27.9.1950 an ren. Die vier Stuben eines Blocks, die eigentlich Doppelstuben waren, lagen im langgestreckten, die Lehrerin A. Schuster in Peterstal bei Heidelberg: ebenerdigen Barackenbau nebeneinander und Das von Ihnen erwähnte Buch von Otto Pies: Ste- trugen Nummern, die von 1 bis 4 reichten. Die phanus heute habe ich gleich nach dem Erschei- Numerierung begann, von der Lagerstraße aus nen gelesen und war um so tiefer beeindruckt, weil gesehen, am Anfang des Blocks mit der „Stube 1“ ich sowohl den Verfasser wie auch Carl Leisner in und endete am Schluß der Baracke mit der „Stube Dachau persönlich kennengelernt und das erste 4“. und gleichzeitig letzte Meßopfer des Letztge- nannten selbst miterlebt habe. Barton, Josef Josef Barton, geboren am 19.9.1912 in Wagstadt/Su- Auerbach, Philipp detenland, Priesterweihe am 5.7.1937 in Olmütz, ge- Dr. Philipp Auerbach (1906–1952), ein deutscher Jude storben am 31.12.1981. Nach der Vertreibung aus Ol- und Überlebender der nationalsozialistischen Konzen- mütz war er Spiritual am Priesterseminar in König- trationslager, amtierte ab Herbst 1946 in Bayern als stein, Mitarbeiter in Schönstatt und Pfarrer im Erzbi- Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch stum Freiburg. Verfolgte, später dann als Präsident des Landesent- schädigungsamtes. Daneben engagierte er sich in Basilius zahlreichen jüdischen und anderen Verfolgtenorgani- Pater Basilius (Andreas Wolfgang) Neubauer OFM, sationen im besetzten Deutschland. Mit der Person Dr. geboren am 31.10.1906, am 26.4.1928 Noviziat bei Philipp Auerbachs verknüpft sich das Problem der den Franziskanern, am 27.4.1932 feierliche Gelübde, „Wiedergutmachung“ von nationalsozialistischem Priesterweihe am 25.7.1933 in München, gestorben Unrecht in ganz besonderer Weise. Kaum ein anderer am 2.2.1979. polarisierte die Öffentlichkeit in dieser Frage stärker als er. Bauer, Peter

Peter Bauer, geboren am 25.8.1890 in Trier, Priester- Baracke weihe am 12.8.1916 in Trier, gestorben am 20.1.1965 Die Baracken für die Häftlinge im KZ Dachau nannte in Hüllenberg. Er kam am 30.1.1941 ins KZ Bu- man Blocks. Sie waren zu beiden Seiten der Lager- chenwald, am 15.3.1941 ins KZ Ravensbrück und am straße errichtet und auf der einen Seite nach den ge- 19.5.1942 ins KZ Dachau und wurde auf dem Eva- raden und auf der gegenüberliegenden Seite nach den kuierungsmarsch vom 26.4.1945 befreit. ungeraden Zahlen geordnet. Die Straße zwischen den einzelnen Blocks nannte man Blockstraße. Bäumer, Heinrich Ein Block im KZ Dachau hatte vier Wohnstu- Der Bildhauer Heinrich Bäumer aus Münster, gebo- ben mit den dazugehörigen Schlafräumen. ren 1874, gestorben am 20.12.1951, schuf vor allem Richardi S. 271 f.: Die Blocks waren in vier Stuben gegliedert. Jede religiöse Kunst und westfälische Volkskunst. Sein Stube war wiederum in einen Wohn- und in einen Sohn Heinrich ist ebenfalls Künstler. Schlafraum unterteilt. [...] Beide Eingangstüren la- gen an der Vorderseite des Blocks, die dem Süden Baur, Eleonore zugewandt war. [...] Aus der Aufteilung der Ba- Die als Schwester Pia bekannte Eleonore Baur, gebo-

137 rene Mayer – den Namen Pia bekam sie von einer Sprache bei der Beschneidung seines Sohnes Johan- Vereinigung freier Schwestern, die den Namen „Gel- nes, vgl. Lk 1,67–79. Im Stundengebet ist es ein Teil bes Kreuz“ trug – , geboren am 7.9.1885 in Kirch- der Laudes. Siehe: Gotteslob Nr. 681. dorf/Rosenheim in ärmlichen Verhältnissen, gestor- ben am 19.5.1981, war zunächst Dienstmädchen und Beran, Josef dann Hilfspflegerin. Als 14jährige wurde sie wegen Dr. Josef Kardinal Beran, geboren am 29.12.1888 in Geschlechtskrankheiten behandelt und bekam mit 20 Pilsen, Priesterweihe am 10.6.1911 in Rom, Bi- einen unehelichen Sohn Wilhelm, den ihre Stiefmut- schofsweihe am 8.12.1946, Erzbischof von Prag, ter aufzog, und den ihr erster Ehemann Ludwig Baur, 1965 Kardinal, gestorben am 17.5.1969. Er kam am den sie 1910 geheiratet hatte, adoptierte. Die Ehe 4.9.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 be- wurde 1913 geschieden. Von Beruf war sie Kranken- freit. schwester. Sie war ab 1920 Mitglied der NSDAP und eine glühende Verehrerin Adolf Hitlers. Im Novem- Berchmans-Kolleg ber 1923 nahm sie in München am Marsch auf die Das Berchmans-Kolleg in Pullach wurde bereits Feldherrnhalle teil und bekam als einzige Frau den Anfang 1938 für den Kriegsfall der Wehrmacht als legendären Blutorden. Außerdem war sie Trägerin Lazarett angeboten in der Hoffnung, es dadurch vor des goldenen Parteiabzeichens. Sie erhielt als einzige dem Zugriff der Partei zu retten. Am 28.8.1939 wur- Frau freien Zutritt zum KZ Dachau. Weihnachten de nun aber das gesamte Anwesen für das Gene- 1942 kam sie auf den Priesterblock 26 und weckte ralkommando durch die Stadtkommandantur/Mün- Hoffnung auf Entlassungen. chen beschlagnahmt, aber noch nicht von ihm besetzt. Die Häftlinge haben sie nicht in guter Erinne- Fast gleichzeitig bemühte sich das städtische Ge- rung: Sie konnte beliebig unter ihnen Männer aus- sundheitsamt München, das Berchmanskolleg als wählen, die sie auf ihrem Grundstück in Oberhaching Hilfskrankenhaus zu erhalten. Eine schriftliche Über- mit einem Haus, das Adolf Hitler ihr geschenkt hatte, lassung an die Stadt ist auf den 9.9.1939 datiert. Im beschäftigte. Nach Aussagen vieler Häftlinge war sie Juli 1940 wurden die ersten 105 Kranken ins Haus eine Sadistin und Masochistin mit sexuellen Komple- gebracht. Dennoch zogen sich bis in den April 1943 xen. die Vereinbarungen und Widerrufe zwischen dem Am 26.8.1949 wurde sie von der Hauptspruch- Gauleiter und dem Generalkommando hin mit dem kammer in München zu 10 Jahren Arbeitslager ver- Endergebnis, daß die Jesuiten auf jeden Fall aus dem urteilt, wobei die politische Haft ab 13.7.1945 mit Haus ausziehen sollten. Der schwere Bombenangriff zwei Jahren angerechnet wurde. 1950 wurde sie aus vom 6. auf den 7.9.1943, bei dem das Dach und der gesundheitlichen Gründen freigelassen. Vorher war Mansardenstock des Berchmanskollegs abbrannten, sie wieder in die katholische Kirche eingetreten. löste insoweit das Problem, als das Krankenhaus aus dem schwer beschädigten Haus auszog. Kaum hatten Beibrief die Jesuiten das Haus wieder instandgesetzt, bezog Siehe: Post im KZ. im Dezember 1944 das Generalkommando den Ost- flügel des Hauses und die Reichsbahndirektion nahm Belloc im Südflügel Quartier. Als Ersatz wurde den Jesuiten Siehe: Abt Jean Gabriel Hondet OSB. das Minoritenkloster Maria Eck bei Traunstein zuge- wiesen. Dort lebte fortan eine kleine Jesui- Benediktus tengemeinschaft von etwa 50 Patres, Fratres und Lobgesang des Zacharias nach Wiedererlangung der Brüdern. Einige Jesuiten blieben im Haus zurück,

138 wodurch das Haus nach der Räumung durch das Amtszeichen. Der Bischof trägt ihn an der rechten Generalkommando am 29.4.1945 von einer Plünde- Hand. rung verschont blieb. Bischofsstab Berchtold, Alfred Ein Bischofsstab symbolisiert die Regierungsgewalt Alfred Berchtold, geboren am 25.7.1904 in Baye- des Bischofs. Getragen wird er bei Pontifikalhand- risch-Gmain, Priesterweihe am 5.10.1930 in Salz- lungen. burg, gestorben am 8.1.1985 in Bad Reichenhall. Er kam am 2.7.1938 ins KZ Dachau, am 27.9.1939 ins Biskupski, Stefan KZ Buchenwald und am 8.12.1940 wieder ins KZ Dr. Stefan Biskupski, geboren am 1.4.1895 in Kolus- Dachau. Er wurde beim Evakuierungsmarsch vom zik, Priester des Bistums Włocławek/Polen. Er kam 26.4.1945 befreit. am 29.9.1940 ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Berg Moriah Siehe: Priesterhaus Berg Moriah. Block Siehe: Baracke Bernard, Jean Monsignore Jean Bernard, geboren am 13.8.1907 in Blockältester Luxemburg, Priesterweihe am 30.7.1933, gestorben Bedřich Hoffmann in: „Und wer euch tötet“: am 1.9.1994 in Luxemburg. Er kam am 19.5.1941 ins Von den Blockältesten hing es ab, ob sie den Häft- KZ Dachau und wurde am 5.8.1942 entlassen. lingen das Leben im Lager erleichtern oder es auf dem Block zu einer wahren Hölle machen wollten. Bertram, Adolf Johannes Es gab eine Zeit, da wurden als Blockälteste und Adolf Johannes Bertram, geboren am 14.3.1859 in Stubenälteste für die Pfarrerblocks die schlimm- sten Leute ausgesucht. Hildesheim, Priesterweihe am 31.7.1881 in Würz- (Übersetzung aus dem Tschechischen: Bistums- burg, gestorben am 6.7.1945 auf Schloß Johannes- archiv Speyer Nachlaß Römer Nr. 58.) berg. Er wurde 1894 Domherr, 1905 Generalvikar und am 15.8.1906 Bischof von Hildesheim. Am Blockschreiber 28.10.1914 wurde er Fürstbischof von Breslau, 1916 Ein Blockschreiber hatte in dem jeweiligen Block des Kardinal und 1919 Vorsitzender der Fuldaer Bi- KZ die schriftlichen Arbeiten zu verrichten. schofskonferenz.

Blockstraße Birett Siehe: Baracke. Ein Birett ist als Kopfbedeckung Bestandteil der kle- rikalen Amtstracht. Blum, Léon Der französische sozialistische Politiker Léon Blum, Birndorfer, Johannes geboren am 9.4.1872 in Paris, gestorben am 30.3. Siehe: Bruder Konrad Birndorfer OFMCap. 1950 in Jouy-en-Josas (Yvelines), war von 1938 bis 1940 Regierungschef. Nach seiner Verhaftung 1940 Bischofsring war er von 1943 bis 1945 im KZ Buchenwald und Ein Bischofsring, meist goldener Ring mit Edelstein, KZ Dachau. Von Dezember 1946 bis Januar 1947 ursprünglich wohl ein Siegelring, ist ein bischöfliches wurde er erneut Regierungschef.

139 Bock Brasse, Theodor Der Bock war ein „Strafwerkzeug“ im KZ. Die Ge- Theodor Brasse, geboren am 26.1.1903 in Stolberg, fangenen mußten sich auf den Bock legen und be- Priesterweihe am 12.2.1931 in Köln, gestorben am kamen mit einem Ochsenziemer 25 oder 40 Schläge. 26.3.1987 in Nettetal. Er kam am 16.8.1941 ins KZ Sie mußten selber zählen, verzählten sie sich, mußten Dachau und wurde am 16.9.1943 entlassen. sie von vorne beginnen. Viele überlebten diese Tortur nicht. Diejenigen, die es aushielten, waren mit Wun- Breitenberger, Franz den bedeckt, die nicht versorgt wurden. Manche Mit- Siehe: Pater Franz Breitenberger OFMCap. gefangenen opferten dann in echter Nächstenliebe ihr seltenes Stückchen Margarine, um die Wunden zu be- Brevier handeln. Ein Brevier ist das Gebetbuch katholischer Geistli- cher mit dem Kirchlichen Stundengebet. Bockholt, Gerda Das Brevier hatte damals die Bände: Verna – Gerda Bockholt war von 1946 bis 1948 Sekretärin bei Frühling, Aestiva – Sommer, Autumnalis – Herbst, Reinhold Friedrichs. Hiemalis – Winter.

Bonaventura Bruder Konrad Pater Bonaventura (Josef) Schweizer SDS, geboren Siehe: Konrad. am 5.7.1893 in Ebnet bei Freiburg im Breisgau, Ein- tritt am 17.11.1911 bei den Salvatorianern, Erste Brustkreuz Profeß am 25.12.1912, Priesterweihe am 26.6.1921 in Ein Brustkreuz, Pektorale/Pectorale, tragen Bischöfe Passau, gestorben am 2.6.1968 in Meran. Er war von in und außerhalb der Liturgie an einer Kette auf der 1940 bis 1947 Provinzial der Norddeutschen Provinz Brust. der Salvatorianer mit Sitz in Berlin, zu der damals auch Schlesien gehörte. Buchwieser, Ferdinand Generalvikar Ferdinand Buchwieser, geboren am Bornand, Aimé 10.10.1874 in Soroki, Erzbistum Lemberg, Priester- Der evangelische Geistliche Aimé Bornand, geboren weihe am 29.6.1899 in Freising, gestorben am 16.12. am 21.4.1894 in St-Croix/Schweiz. Er kam am 1964 in München. Er wurde am 1.4.1924 Domkapi- 21.6.1944 ins KZ Dachau und wurde im April 1945 tular und am 15.9.1932 Generalvikar von Kardinal entlassen. Faulhaber. Joseph Kardinal Wendel (1901–1960) er- nannte ihn auch zu seinem Generalvikar. Am 9.9. Böttger (Böttcher), Franz 1953 wurde er emeritiert. Franz Böttger war 1933 Juwelier in München und als SS-Hauptscharführer – es ist auch von SS-Oberschar- Bund Neudeutschland (ND) führer die Rede – Rapportführer im KZ Dachau. Be- Der Bund Neudeutschland wurde am 31.7.1919 als vor er Rapportführer wurde, war er Capo des Post- Verband katholischer Schüler an höheren Schulen kommandos und wurde dort wegen seiner Gutmü- Deutschlands auf Initiative von Jesuitenpater Ludwig tigkeit „Postonkel“ genannt. Esch (1883–1956) durch Felix Kardinal von Hart- mann (1851–1919) gegründet. Ein jugendlicher Lei- Brandsma, Titus ter und ein geistlicher Führer stehen an der Spitze von Siehe: Pater Titus Brandsma OCarm. Mark, Gau und Gruppe. Das Ziel des Bundes ist die

140 Heranbildung charakterfester, gebildeter katholischer (Kopf, lateinisch caput), vermutlich übernommen aus Jungen zur Lebensgestaltung in Christus. Wölflinge, dem Sprachgebrauch der in den 1930er Jahren in Knappen und Ritter sind die Grade unter den Mit- Bayern eingesetzten italienischen Straßenarbeiter, gliedern. daher zuerst im KZ Dachau belegt. 1939 wurde der Bund ND durch die Gestapo auf- gelöst, 1948 in drei Altersstufen neu gegründet. 1968 Carls, Hans änderte die bisherige Jungengemeinschaft ihren Na- Caritasdirektor Hans Carls, geboren am 17.12.1886 in men in „Bund Neudeutschland - Schülergemein- Metz, Priesterweihe am 24.6.1915 in Köln, gestorben schaft“ und legte sich als Zeichen der Verbindung zur am 3.2.1952. Er wurde 1924 Caritasdirektor in Wup- Internationalen Katholischen Studierenden Jugend pertal und kam am 13.3.1942 ins KZ Dachau, aus (IKSJ) den Namen Katholische Studierende Jugend dem er am 29.4.1945 befreit wurde. Er gab als erster (KSJ) zu. die „Stimmen von Dachau“ heraus.

Bunker Casula Siehe: Kommandantur-Arrest (KA). Meßgewand.

Burkhart, Johannes Celebrant Johannes Burkhart, geboren am 11.3.1904 in Berg, Siehe: Zelebrant. Priesterweihe am 13.7.1930 in Dillingen, gestorben am 12.11.1985. Er kam am 18.4.1942 ins KZ Dachau Choral und wurde am 29.4.1945 befreit. Siehe: Gregorianischer Choral.

Burse Chorrock Eine Burse ist eine quadratische Tasche, in der das Siehe: Rochett. Korporale/Corporale aufbewahrt wird. Christkönigsfest - Christkönigssonntag CAJ Wahlspruch Pius XI. war „Pax Christi in Regno Die Christliche Arbeiterjugend (CAJ) wurde 1924/25 Christi – Frieden Christi im Reiche Christi“. Dieses in Belgien von Joseph Kardinal Cardijn (1882–-1967) Regierungsprogramm verkündete er in seiner Enzy- gegründet und 1925 von Pius XI. (1857–1939) gut- klika „Ubi arcano Dei consilio – Vom Tage des uner- geheißen. 1935 war sie bereits in 20 Ländern vertre- gründlichen Ratschlusses Gottes“ vom 23.12.1922. ten. Das Christkönigsfest hat er mit seiner Enzyklika „Quas primas – In der ersten Enzyklika“ vom Capo 11.12.1925 eingeführt und auf den letzten Sonntag im Im Lagerjargon des Konzentrationslagers bezeichnete Oktober festgesetzt. Seit der Liturgiereform wird das man mit Capo einen Häftling, der Anführer einer Ar- Christkönigsfest am letzten Sonntag im Kirchenjahr beitsgruppe von Häftlingen war. Capos waren Funk- begangen. tionshäftlinge, die aus der unvernünftigen, aber un- ausrottbaren Hoffnung aufs schiere Überleben den Christus vincit – Christus siegt handwerklichen Teil der nationalsozialistischen Ver- Siehe: Laudes Hincmari. nichtungspolitik übernahmen. „Kapo“ ist die deut- sche Schreibweise für das italienische Wort Capo

141 Christus-Monogramm große Schuld. Darum bitte ich die selige, allzeit Das Christus-Monogramm besteht aus den beiden reine Jungfrau Maria, den heiligen Erzengel Mi- ersten griechischen Buchstaben des Namens Christus chael, den heiligen Johannes den Täufer, die heili- gen Apostel Petrus und Paulus, alle Heiligen und – ΧΡΙΣΤΟΣ: X und P: ☧. dich, Vater, für mich zu beten bei Gott, unserm Herrn. Chrysostomus Dieser Text wurde vor der Liturgiereform in jeder Der heilige Johannes Chrysostomus (344/354–407), Messe als Schuldbekenntnis gebetet. Kirchenlehrer, empfing 369 die Taufe, wurde Mönch in einem Kloster in der Nähe von Antiochia, zog sich Confrater - Mitbruder aber nach vier Jahren zu einem strengen Einsiedlerle- ben zurück. Die nach ihm benannte Liturgie ist vor Conopeum allem in der Ostkirche üblich. Tabernakelumhang.

CIC – Codex Iuris Canonici Corporale Kirchenrecht von 1917; es wurde 1983 erneuert. Siehe: Korporale.

Cingulum Credenz Siehe: Zingulum. Siehe: Kredenz.

Codex Iuris Canonici CSSR Siehe: CIC. CSSR – Congregatio Sanctissimi Redemptoris – Redemptoristen. Compiègne Die Stadt im französischen Département Oise ist Custodia durch den angrenzenden Wald berühmt, in dem am Behälter für eine konsekrierte Hostie. 11.11.1918 der Waffenstillstand mit Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg geschlossen wurde. An Czenstochau derselben Stelle und wiederum im Eisenbahnwagen Czenstochau (Tschenstochau) an der Warthe mit dem des Marschall Ferdinand Foch ließ Adolf Hitler am über der Stadt auf dem Berg Jasna Góra 1382 ge- 22.6.1940 den Waffenstillstand mit Frankreich unter- gründeten Paulanerkloster ist das Nationalheiligtum zeichnen. In den Jahren 1940 bis 1944 hatten die der Polen und der größte polnische Wallfahrtsort. Deutschen in der Nähe ein Transitlager errichtet, von Tausende von Menschen pilgern jährlich zum Heilig- wo aus zahlreiche Deportierte in KZ geschickt wur- tum, um dort die Ikone der Schwarzen Madonna zu den. verehren.

Confiteor Dachau Ich bekenne Gott dem Allmächtigen, der seligen, Siehe: KZ Dachau. allzeit reinen Jungfrau Maria, dem heiligen Erzen- gel Michael, dem heiligen Johannes dem Täufer, den heiligen Aposteln Petrus und Paulus, allen Dachauer Messe Heiligen und dir, Vater, daß ich viel gesündigt ha- Pater Gregor Schwake OSB komponierte im KZ be in Gedanken, Worten und Werken: durch meine Dachau die „Dachauer Messe“ als „Missa antiphona- Schuld, durch meine Schuld, durch meine über- ria“ mit Blechbläsern. Sie erklang zum ersten Mal am

142 Sonntag, dem 24.9.1944, in der Lagerkapelle. theologie in Löwen. Viersprachig und mit einer gro- ßen Bandbreite an Wissen, galt er gleichzeitig als Daguzan, Marie Emile-Auguste Poet und Redner. Generalvikar der Diözese Bayonne Marie Emile- Auguste Daguzan, geboren am 28.8.1884 in Oloron- de La Martinière, Joseph Sainte-Marie (Pyrénées-Atlantiques), Priesterweihe Joseph Machet de La Martinière, geboren am 14.12. am 12.3.1910, gestorben am 13.12.1956 in Pau. Er 1908 in Angoulême, Priesterweihe am 29.6.1932 in kam am 7.7.1944 ins KZ Dachau und wurde am St. Sulpice (Paris), gestorben am 2.11.2003 in Chi- 29.4.1945 befreit. non. Er kam am 9.8.1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Dalmatik Eine Dalmatik ist das liturgische Amtsgewand des Defregger, Matthias Diakons. Weihbischof Matthias Defregger, geboren am 18.2. 1915 in München, Priesterweihe 1949, Domkapitular Dardel, Jean 1962, Weihbischof in München 1968, gestorben am Jean Dardel, geboren 1920, Priesterweihe 1946, 23.7.1995 in München. Bischof von Clermont von 1974 bis 1996. Er lebt in Toulouse. Delestraint, Charles-Antoine Charles-Antoine Delestraint, französischer General, DAW - Deutsche Ausstattungswerke geboren am 12.3.1879 in Biache--Vaast (Pas-de- Neben den Deutschen Erd- und Steinwerken (DEST) Calais). Nach der Offiziersschule wurde er im Jahre waren die Deutschen Ausstattungswerke (DAW) die 1900 Mitglied des Dritten Ordens des heiligen Fran- großen Konzerne der SS, in denen der fundamentale ziskus. Im Zweiten Weltkrieg (1939–1945) war er Widerspruch zwischen Vernichtung durch Arbeit und Oberbefehlshaber der Armée Secrète (Geheimarmee) Heranziehung zu produktiver Arbeit sichtbar wurde. in der Résistance, dort unter dem Namen Vidal be- Die Deutschen Ausstattungswerke hatten eine Spiel- kannt. 1940 stand General Charles de Gaulle unter zeugabteilung. seinem Befehl. Am 10.6.1943 wurde General Dele- straint verhaftet und kam am 8.3.1944 ins KZ de Backer, Maurice Natzweiler-Struthof und mit Bischof Gabriel Piguet Maurice de Backer, geboren am 27.5.1895 in Brüssel, am 6./7.9.1944 ins KZ Dachau. Als man beim Appell Priesterweihe am 22.12.1918. Er kam am 25.10.1941 seinen Rang erkannte, kam er in den Ehrenbunker. Er ins KZ Sachsenhausen, am 12.9.1941 ins KZ Dachau wurde am 19.4.1945 morgens aus der heiligen Messe, und starb auf einem Invalidentransport am 10.8.1942. in der er Bischof Piguet ministrierte, herausgeholt und im KZ Dachau erschossen. Der Platz am Eingang de Coninck, Léon zur Gedenkstätte Natzweiler-Struthof trägt seinen Léon de Coninck SJ, geboren am 10.1.1889 in Ant- Namen. werpen, Eintritt bei den Jesuiten am 23.9.1905 in Tronchiennes, Priesterweihe am 18.12.1920 in Lou- Dembowski, Kazimierz vain/Löwen, gestorben am 4.11.1956, begraben in Pater Kazimierz Dembowski SJ, geboren am Bruxelles/Brüssel. Er kam am 19.6.1942 ins KZ Da- 3.8.1912 in StrzyŜów, Priesterweihe 1938 in Lyon. Er chau und wurde am 29.4.1945 durch die Amerikaner kam am 20.6.1940 ins KZ Auschwitz, am 10.12.1940 befreit. Er war Universitätsprofessor für Pastoral- ins KZ Dachau und starb auf einem Invalidentrans-

143 port am 10.8.1942. Diözesanproprium In einem Diözesanproprium stehen die liturgischen den Hertog, Willem Eike Eigenheiten einer Diözese. Der evangelische Geistliche Willem Eike den Hertog, geboren am 13.11.1913 in Schoonhoven, kam am Direktorium 26.5.1942 ins KZ Amersfoort, am 7.8 1942 ins KZ In einem Direktorium stehen die Anweisungen für Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Stundengebet und Meßfeiern an allen Tagen des Jah- res. Der Antifaschist Die Häftlinge, die am 29.4.1945 ihre Befreiung durch Dittmer, Gustav die Amerikaner erlebten, legten ungehindert Zeugnis Der evangelische Geistliche Gustav Dittmer, geboren ab von all den Verbrechen, die an ihnen und ihren am 24.9.1901 in Genua, kam am 19.8.1943 ins KZ Kameraden begangen wurden. Nach dem Eintreffen Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. der amerikanischen Truppen in Dachau ließen sie im Mai 1945 eine „zwar kurzlebige aber dafür äußerst Dominikus vielfältige Presselandschaft“ entstehen. So kamen die Pater Dominikus Hoffmeister SDS, geboren am ersten freien Zeitungen in Deutschland nach dem 17.11.06 in Bredenborn/Kreis Höxter, Eintritt am Ende des SS-Terrors im befreiten Konzentrationsla- 18.4.1925 bei den Salvatorianern, Erste Profeß am ger Dachau heraus. Es handelte sich dabei um hekto- 25.3.1930, Priesterweihe am 29.6.1934 in Passau, ge- graphierte Blätter, die von den jeweiligen National- storben am 24.12.1978 in Neuwerk. Er war von 1953 komitees im DIN-A4-Format publiziert wurden. Die bis 1959 und von 1968 bis 1972 Provinzial der Nord- deutschen Häftlinge gaben ihr erstes Mitteilungsblatt deutschen Provinz der Salvatorianer. am 6.5.1945 heraus. Sie nannten es „Der Antifa- schist“, Untertitel: „Stimme der Deutschen aus Da- Döpfner, Julius chau“. Der Antifaschist gab am 28.5.1945 die 18. Nr. Julius Kardinal Döpfner, geboren am 26.8.1913 in heraus und dann eine „Schlußnummer“ ohne Datum Hausen, Priesterweihe am 29.10.1939 in Rom, 1948 und weitere Angaben unter dem Motto „Wir kehren Bischof von Würzburg, 1957 Bischof von Berlin, heim und misten aus...“ 1958 Kardinal, 1961 Erzbischof von München-Frei- sing, gestorben am 24.7.1976 in München. Deubel, Heinrich SS-Sturmbannführer Heinrich Deubel war vom Doppelfeld, Franz 10.12.1934 bis 29.4.1936 Kommandant des KZ Da- Franz Doppelfeld, geboren am 19.7.1905 in Essen- chau. Borbeck, Priesterweihe am 6.8.1929 in Köln, ge- storben am 24.11.1964. Er kam am 22.8.1941 ins KZ Diakon Dachau und von dort am 8.11.1944 zur Wehrmacht Von den Weihestufen vor der Priesterweihe gibt es (SS-Sturmbrigade „Dirlewanger“). 1950 wurde er aus heute nur noch die Weihe zum Diakon, die inzwi- Kriegsgefangenschaft entlassen. schen in der römisch katholischen Kirche auch Män- ner empfangen können, die keine Priester werden, Dresbach, Heinz sogenannte „Ständige Diakone“. Prälat Heinrich Maria Dresbach, geboren am 25.11. 1911 in Köln, Priesterweihe am 23.2.1939, gestorben am 5.7.1993. Er kam am 29.8.1941 ins KZ Dachau

144 und wurde am 5.4.1945 entlassen. Er war der erste Ehrenbunker Gruppenführer der KZ-Schönstattgruppe „Victor in Siehe: Kommandantur-Arrest (KA). vinculis (Mariae) – Sieger in Fesseln (Mariens)“. Ehrenhäftling Dulag - Durchgangslager. Siehe: Kommandantur-Arrest (KA).

Dümig, Hermann Eicke, Theodor Hermann Dümig, geboren am 13.11.1903 in Faul- Theodor Eicke, geboren am 17.10.1892 als 11. Kind bach, Priester im Bistum Würzburg, gestorben am eines Bahnbeamten in Hampont/Elsaß-Lothringen, 22.2.1997 in Würzburg. Er kam am 4.7.1941 ins KZ trat am 1.12.1928 der NSDAP und der SA bei. Am Dachau und wurde am 5.4.1945 entlassen. 20.8.1930 wurde er von der SS übernommen und SS- Obergruppenführer. Am 16.6.1933 wurde er der Dupuis, Ferdinand zweite Lagerkommandant des KZ Dachau, das er bis Ferdinand Dupuis, geboren am 23.3.1922 in Angers. zum 10.12.1934 zu einer Art Musterlager ausbaute. Er kam am 14.7.1944 als Seminarist ins KZ Dachau Am 4.7.1934 wurde er „Inspekteur der Konzentrati- und wurde am 29.4.1945 befreit. Er lebt in Angers. onslager und SS-Wachverbände (Totenkopfver- bände)“. Am 10.12.1934 endete seine Stellung als Durand, Albert Raymond Walter Kommandant des Lagers Dachau. Er kam am Siehe: Pater Albert Durand OMI. 16.2.1943 bei einem Aufklärungsflug als Obergrup- penführer der Waffen-SS an der Ostfront ums Leben. Duschak, Alfons Alfons Duschak, geboren am 27.4.1905 in Weitmar/ Eise, Albert Bochum, Priesterweihe am 1.8.1937 für die Diözese Pater Albert Eise SAC, geboren am 7.11.1896 in Dresden, am 21.7.1955 inkardiniert in der Diözese Öffingen, Eintritt bei den Pallottinern am 24.9.1919, Aachen, gestorben am 3.12.1987 in Viersen. Er kam Priesterweihe am 6.6.1925 in Limburg. Am am 2.8.1941 ins KZ Dachau. Dort kümmerte er sich 14.11.1941 kam er ins KZ Dachau. Dort starb er in vor allem um das Choralsingen bei den Gottesdien- der Frühe des 3.9.1942 in Stube 2 des Revierblocks 7. sten. Am 28.3.1945 wurde er entlassen. Eisenhower, Dwight David Ecce sacerdos magnus General Dwight David Eisenhower (1890–1969) Ecce sacerdos Magnus, qui in diebus suis placuit nahm am 8.5.1945 die deutsche Kapitulation entge- Deo, et inventus est justus: et in tempore iracun- gen. Von Mai bis November 1945 führte er den diae factus est reconciliatio. – Seht den Hohen- Oberbefehl über die amerikanischen Besatzungstrup- priester, der in seinen Tagen Gott gefallen und ge- pen in Deutschland und übernahm das Amt des Mili- recht gefunden war; zur Zeit des Zornes trat er als Mittler der Versöhnung auf. tärgouverneurs. Dieser Text aus dem Buch Jesus Sirach/Ecclesiasti- cus ist aus einzelnen Bibelstellen zusammengesetzt: Elena Sir 50,1 und 44,16 f. Er wurde in der Liturgie für ei- Siehe: Königin Elena von Italien. nen Bekennerbischof verwendet und beim Einzug ei- nes Abtes oder Bischofs in die Kirche gesungen. Elpidius Viele Komponisten haben diesen Text vertont. Pater Elpidius (Joseph) Markötter OFM, geboren am 8.10.1911 in Südlohn, Priesterweihe am 26.3.1939 in

145 Paderborn, gestorben am 28.6.1942 im KZ Dachau. Ettal Er trat am 14.4.1932 in den Orden der Franziskaner Die Benediktinerabtei Ettal in Oberbayern wurde ein und wählte seinen Ordensnamen nach Pater Elpi- 1330 von Ludwig dem Bayern gegründet. 1803 wur- dius Weiergans OFM, den er sehr verehrte. Er kam de sie säkularisiert und ist seit 1900 wieder Abtei. am 13.1.1941 ins KZ Sachsenhausen und am 26.9. Heute gehören zum Konvent 55 Mitglieder. Zu den 1941 ins KZ Dachau, wo er gemeinsam mit Karl Hauptaufgaben nach dem Gotteslob zählt die Jugend- Leisner in der Choralschola sang. erziehung in Schule und Internat.

Engels, Gottfried Evakuierungsfahrt Gottfried Engels, geboren am 20.4.1888 in Gronau, Während die einfachen Häftlinge zum Evakuie- Priesterweihe am 1.6.1912 in Münster, gestorben am rungsmarsch aufbrachen, wurden die prominenten 28.5.1961. Er kam am 21.9.1940 ins KZ Sachsenhau- Häftlinge am Dienstag, dem 24. April 1945, aus dem sen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau, von wo er im Juli KZ Dachau in Autos nach Tirol gebracht, wo sie am 1941 ins Gefängnis Oldenburg und im Mai 1942 4.5.1945 von den Amerikanern befreit wurden. wieder ins KZ Dachau kam. Am 21.5.1942 wurde er durch das Sondergericht Oldenburg zu zwei Jahren Evakuierungsfahrt Zuchthaus verurteilt und am 2.8.1944 aus dem Während die einfachen Häftlinge zum Evakuie- Zuchthaus entlassen. rungsmarsch aufbrachten, wurden die prominenten Häftlinge am Dienstag, dem 24. April 1945, aus dem Engling, Josef KZ Dachau in Autos nach Tirol gebracht, wo sie am Josef Engling wurde am 5.1.1898 in Prositten/Ost- 4.5.1945 von Amerikanern befreit wurden. preußen (heute Polen) geboren. Mit 14 Jahren kam er 1912 in das Studienheim der Pallottiner nach Schön- Evakuierungsmarsch statt. Er fiel im Ersten Weltkrieg (1914–1918) am Reichsdeutsche und sowjetische Häftlinge mußten 4.10.1918 in der Nähe von Cambrai (Nordfrank- sich am 26. April 1945 im KZ Dachau zum Ab- reich). marsch aufstellen. Dieser wurde durch verlangsamte Ausgabe der Proviantrationen verzögert. Offensicht- Epiphanie (6. Januar) lich blieb aber im Lager, wer wollte, ganz abgesehen Fest der Erscheinung des Herrn, Fest der Heiligen von den Kranken wie Karl Leisner. Viele versteckten drei Könige. sich in den Revierbaracken, welche die SS-Leute aus Furcht vor Ansteckung mieden. 21.00 Uhr Abzug des Epistelseite Evakuierungsmarsches aus dem Lager Dachau, nach- Siehe: Evangelienseite dem schon um 9.00 Uhr der Befehl ausgegeben wor- den war: „In drei Stunden hat das ganze Lager Esch, Johannes marschfertig auf dem Appellplatz anzutreten.“ Zwi- Dr. jur. Johannes Esch, geboren am 1.1.1902 in Wei- schen 21.00 und 22.00 Uhr verließen laut Lager- dingen/Wiltz, Priesterweihe am 28.7.1929. Er kam schreiber von den mehr als 30.000 Häftlingen 6.887 am 12.9.1941 ins KZ Dachau und starb auf einem Personen das KZ Dachau, unter ihnen ca. 120 Prie- Invalidentransport am 10.8.1942. Er war Redakteur ster, in Gruppen zu je 1.500 in Richtung Ötztal. beim „Luxemburger Wort“. Evangelienseite Die Seiten des Altares wurden danach benannt, wel-

146 che Texte gelesen wurden; von der Gemeinde aus ge- Limburg, gestorben am 13.6.1978 in Koblenz-Pfaf- sehen: links das Evangelium, rechts die Lesung. fendorf. Er kam am 6.6.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Ab 1961 war er Priester Ewiges Licht des Bistums Fulda, 1966 trat er dem neugegründeten Das „Ewige Licht“ brennt als Zeichen der Gegenwart Säkularinstitut der Schönstattpatres bei. des Herrn in katholischen Kirchen ununterbrochen, wenn im Tabernakel das Allerheiligste aufbewahrt Francken, Arnold wird. Prälat Dr. h. c. Arnold Francken, geboren am 6.8. 1875 in Kervenheim, Priesterweihe am 9.6.1900 in Fabing, Léon Münster, gestorben am 31.3.1954. Von 1908 bis 1948 Léon Fabing, geboren am 11.7.1905 in Schweyen, war er im Priesterseminar in Münster als Subregens Priesterweihe am 17.7.1932 in Metz, gestorben am und als Regens tätig. 1923 wurde er Domkapitular, 24.10.1987 in Schweyen. Er kam am 19.11.1942 ins 1936 Päpstlicher Hausprälat und 1948 Apostolischer KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Protonotar. Bei seiner Beerdigung waren ca. 400 Priester an seinem Grab versammelt. Familienbrief Siehe: Post im KZ. Franz Pater Franz Breitenberger OFMCap, geboren am Farwer, Eduard 13.8.1913 in Tscherms bei Meran, Eintritt am Pfarrer Eduard Farwer, geboren am 17.8.1901 in 30.5.1940 bei den Kapuzinern in Eichstätt. Er war Geseke, Priesterweihe am 24.3.1928 in Paderborn, von Beruf Schreiner und kam am 5.6.1941 ins KZ gestorben am 24.4.1971. Er wurde am 20.1.1938 ver- Dachau und wurde auf dem Evakuierungsmarsch haftet und kam am 18.4.1941 ins KZ Dachau und vom 26.4. 1945 befreit. wurde am 29.4.1945 befreit. Fraysse, René Faulhaber, Michael CAJ-Kaplan René Fraysse, geboren am 7.7.1912 in Siehe: von Faulhaber Privas. Er kam am 6.10.1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Feldpost Siehe: Post im KZ. Frede, Wilhelm Wilhelm Frede, geboren am 29.6.1875 in Duisburg- Fily, Armand Meiderich, niederländischer Konsulatsbeamter in Picpus-Pater Armand (Joseph) Fily SSCC, geboren Kleve, wurde am 3.11.1941 verhaftet und kam am am 24.6.1891 in Vannes, Ewige Gelübde am 7.2.1942 ins KZ Sachsenhausen. Dort wurde er am 25.7.1920 in St. Pierre/Belgien, Priesterweihe am 13.3.1942 ermordet. Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 22.10.1920 in Hasnuy/Belgien, gestorben am 34, S. 32–34. 15.10.1972 in Hendaye. Er kam am 7.7.1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve Aus einer protestantischen Lateinschule, die von der Fischer, Josef Dynastie der Brandenburger in der ersten Hälfte des Josef Simon Fischer SAC, geboren am 5.12.1904 in 17ten Jahrhunderts in Kleve gegründet wurde, ging Eberbach im Rheingau, Priesterweihe am 2.7.1929 in das Königlich Preußische Gymnasium hervor. 1802

147 lief es wegen fehlender Schüler und Mittel aus, wurde wurde am 24.12.1942 entlassen. aber am 21.4.1817 mit 55 Schülern wieder eröffnet. Die Namen wechselten: Königliches Gymnasium Gastager, Andreas (1817-1919), Staatliches Gymnasium (1919–1938), Andreas Gastager, geboren am 6.2.1893, Priester- Hindenburgschule – Staatliche Oberschule für Jungen weihe am 13.4.1919, gestorben am 26.6.1945. Er (1938–1945), Staatliches Gymnasium (1945–1975). wurde am 22.5.1936 Pfarrer von Hebertshausen. Seit 1975 heißt diese Schule „Freiherr-vom-Stein- Gymnasium“. Gaudete Der 3. Adventssonntag hat seinen Namen vom ersten Freilager Wort des Eingangsliedes „Gaudete –Freuet euch“. Das Freilager befand sich in der vorderen Hälfte der Baracken im KZ Dachau. Die Gefangenen wurden zu Gebert, Hermann Arbeiten eingeteilt und durften sich innerhalb dieses Msgr. Hermann Gebert, geboren am 31.8.1929 in Lagers frei bewegen. Schramberg/Schwarzwald, Priesterweihe am 24.7.1954 in Rottenburg am Neckar. Er ist ehemali- Friedrichs, Reinhold ger Generalrektor des „Schönstatt-Institut- Reinhold Friedrichs, geboren am 8.5.1886 in Hüls bei Diözesanpriester“ und lebt in Simmern. Krefeld, Priesterweihe am 1.6.1912, gestorben am 28.7.1964. Am 12.9.1941 kam er ins KZ Dachau. Gefangenenrevier - Revier Hier erwarb sich der väterlich wirkende Mann die Das Gefangenenrevier – kurz Revier genannt – war Hochachtung seiner Mitgefangenen. Als im Herbst das Lazarett bzw. Krankenhaus im KZ. 1944 die kommunistischen Blockältesten abgelöst wurden, war er ab 9.12.1944 in dieser Position in Geheime Staatspolizei Block 26 tätig. Seine Priesterkameraden nannten ihn Siehe: Gestapo liebevoll „Blockvater“. Am 5.4.1945 wurde er aus dem KZ Dachau entlassen und in Münster am 17.12. Gemeinschaft zur Pflege des Erbes Klever Marty- 1945 zum nichtresidierenden Domkapitular ernannt. rer Am 22.1.1960 erfolgte seine Ernennung zum päpstli- Die „Gemeinschaft zur Pflege des Erbes Klever chen Hausprälaten. Martyrer“ ist 1974 in Kleve entstanden und dann in die Kreise um Karl Leisner, Wilhelm Frede und Jo- Fugel, Gebhard hannes Maria Verweyen eingemündet. Der Maler Gebhard Fugel (1863–1939) hatte 1904/08 monumentale Kreuzwegfresken in St. Josef in Mün- Gemma chen gemalt. Dieser Kreuzweg war einer der Höhe- Schwester Gemma (Ursula) Hinricher, geboren am punkte in Fugels Schaffen. 4.1.1932 in Münster, 1959 Eintritt in den Karmel in Bonn-Pützchen, gestorben am 4.8.1990 in Berlin. Sie Gabriel, Walter war 1964 Mitbegründerin des Karmel Heilig Blut in Der evangelischer Pfarrer Walter Gabriel, geboren Dachau und dort von 1970 bis 1982 Priorin. Am am 5.10.1887 in Oberschmon bei Querfurt, Ordina- Pfingstsonntag 1982 gründete sie mit 11 Schwestern tion am 11.9.1912 in Magdeburg, gestorben am aus dem Karmel Heilig Blut in Dachau den Karmel 27.8.1983 in Halle, war Mitglied der Bekennenden Regina Martyrum in Berlin. Dort war sie bis zu ihrem Kirche. Er kam am 7.2.1941 ins KZ Dachau und Tod Priorin.

148 Generalabsolution kennen. Er schloß sich 1922 der NSDAP an und Eine Generalabsolution ist die sakramentale Losspre- wurde wenig später Führer der SA in München. Von chung von Sünden in Notfällen, wenn Einzelbeichte April 1933 bis Mai 1934 war er preußischer Innen- unmöglich ist. Die Betroffenen müssen ein äußeres minister und bis Mai 1945 außerdem preußischer Zeichen der Reue geben und die Einzelbeichte nach- Ministerpräsident. holen. Goutaudier, Louis Geschonneck, Erwin Louis Goutaudier, geboren am 19.8.1921 in Pouilly- Erwin Geschonneck, geboren am 27.12.1906 in Bar- les-Monins, Priesterweihe am 10.7.1904, gestorben tenstein/Ostpreußen, war Kommunist und setzte den am 7.10.1952 in Mailly. Er kam am 5.7.1944 ins KZ Priestern sehr zu. Nach der KZ-Zeit wurde er in der Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. DDR ein berühmter Schauspieler. Gregor Gesellschaft Jesu Pater Dr. Gregor (Theodor) Schwake OSB, geboren Siehe: Jesuiten am 15.4.1892 in Emmerich, Profeß am 8.9.1912, Priesterweihe am 25.7.1917, gestorben am 13.6.1967 Gestapo in Dülmen. Er wirkte von 1929 bis 1944 durch seine Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) wurde 1933 von „Volkschoralwochen“ im gesamten deutschsprachi- Hermann Göring in Preußen und Heinrich Himmler gen Raum und in Jugoslawien. Am 6.10.1943 wurde in den anderen deutschen Ländern als politische Poli- er in Österreich im Dom zu Linz von den Nationalso- zei geschaffen. 1939 wurde sie dem neugebildeten zialisten verhaftet und kam schließlich am 2.1.1944 Reichssicherheitshauptamt eingegliedert. Sie diente ins KZ Dachau, wo er bis zu seiner Entlassung am der rücksichtslosen Unterdrückung aller Gegner des 10.4.1945 zur Arbeit in der „Plantage“ eingeteilt war. Nationalsozialismus und griff zu Folterungen und Er leitete den Priesterchor und komponierte unter an- Einweisungen in Konzentrationslager. Sie war von derem die „Dachau-Messe“, die am 24.9.1944, dem Justiz- und Verwaltungsbehörden unabhängig. 1946 „Fest der allerseligsten Jungfrau Maria von der Erlö- wurde sie beim Nürnberger Prozeß zur verbrecheri- sung der Gefangenen“, zum ersten Mal in der Lager- schen Organisation erklärt. kapelle des KZ Dachau erklang.

Goldschmitt, François Gregorianischer Choral Ehrendomkapitular François Goldschmitt, geboren Der Gregorianische Choral geht auf den Papst und am 28.1.1883 in Morsbach, Priesterweihe am 17.7. Kirchenlehrer Gregor I. (590-604) zurück. Er ist ein 1910 in Metz, gestorben am 8.10.1966 in Rech. Er vornehmlich liturgischer, einstimmiger Kirchenge- kam am 16.12.1942 ins KZ Dachau und wurde am sang in lateinischer Sprache. Er soll zum größten Teil 29.4.1945 befreit. im Mittelalter vermutlich nach griechisch-römischen, sowie syrisch-jüdischen Vorbildern entstanden sein Göring und hat in verschiedenen Ländern eine Sonderent- Reichsmarschall Hermann Göring, geboren am wicklung erfahren. 12.1.1893 in Rosenheim, gestorben am 15.10.1946 (Suizid). Nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) Grocholl, Wolfgang war er als Pilot in Schweden tätig, kam jedoch nach Prälat Dr. Wolfgang Grocholl ist kanonischer Visita- Deutschland zurück und lernte 1921 Adolf Hitler tor für die Priester und Gläubigen aus dem General-

149 vikariat Branitz (Schlesien). Haas, Wilhelm Wilhelm Haas, geboren am 17.11.1914 in Kleve. Er Groß, Karl Adolf heiratete am 28.5.1947 Elisabeth Leisner, Karl Leis- Der Protestant Karl Adolf Groß war KZ-Häftling Nr. ners jüngste Schwester, und hatte mit ihr neun Kin- 16921 im KZ Dachau. Er wurde am 29.4.1945 be- der. Neben vielen anderen ehrenamtlichen Aufgaben freit. übernahm er 1975 das Amt des Geschäftsführers. Schon früh sammelte er Dokumente über Karl Leis- Grüber, Heinrich ner. Vor allem nach seiner Pensionierung setzte er im Der evangelische Geistliche Heinrich Grüber, gebo- IKLK seine ganze Kraft für die Seligsprechung seines ren am 24.6.1891 in Stolberg, gestorben am Schwagers ein. Er starb am 27.12.1993. 29.11.1975 in Berlin. Er kam am 10.10.1941 ins KZ Dachau und wurde am 23.6.1943 entlassen. Hahn, Hermann Dr. Hermann Hahn, geboren am 3.11.1901 in Karls- Guttmann, Hugo ruhe, Priesterweihe am 11.3.1928, gestorben am Hugo Guttmann war 1941 Blockältester vom Zu- 24.2.1996 in Freiburg. Er kam am 33.10.1941 ins KZ gangsblock 9 im KZ Dachau. (Siehe: StvD Nr. 5, Mai Dachau und wurde am 2.4.1942 entlassen. 1948, S. 19 u. Dümig S. 38.) Der Blockälteste – zu Herrn Paters [Kentenich] Zei- Haller, Josef ten gleichzeitig stellvertretender Lagerältester – mit Josef Haller CSSR, geboren am 22.8.1909 in Schor- Namen Hugo Guttmann, ein Kommunist, kam [...] zu bach, Priesterweihe am 29.7.1934, gestorben am uns Priestern auf den Block 26, Stube 3 zu Besuch. 19.10.2003. Er kam am 19.1.1944 ins KZ Natzweiler- Öfters stellte er sich bei uns ein, denn er liebte es, Struthof und am 2.3.1944 ins KZ Dachau. Am sich ab und zu mit geistig hochstehenden Menschen 29.4.1945 wurde er befreit. zu unterhalten, weil er von seiner philosophischen, psychologischen und pädagogischen Begabung über- Hamerszmit, Kazimierz Aleksander zeugt war. Hugo Guttmann soll früher Redakteur an Kazimierz Aleksander Hamerszmit, geboren am einer Zeitung in der Schweiz gewesen sein. 12.2.1916 in Kołaki, Priesterweihe am 30.4.1939 in (Fischer Bd. I, S. 72 f, siehe auch: Joos, Leben auf ŁomŜa, gestorben am 5.2.1996 in Suwałki. Er kam Widerruf S. 27.) am 3.5.1940 ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 Hugo Guttmann, der populärste und beliebteste Blok- ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. kälteste des Lagers. (Bernard S. 26.) Haus Koekkoek in Kleve Das nach dem Maler B. C. Koekkoek benannte Haus Haas, Elisabeth Koekkoek in Kleve auf der Kavarinerstraße kaufte Elisabeth Haas, geborene Leisner, geboren am 14.8. Anfang des 20. Jahrhunderts Dr. med. Hans van 1923 in Kleve. 1947 heiratete sie Wilhelm Haas. Sie Ackeren (1870–1942). Heute ist das Haus ein Muse- haben neun Kinder: Monika, Benedikt, Paul, Stephan, um. Maria, Elisabeth, Willibrord, Norbert und Hildegard. Nach dem Tod ihres Mannes (1993) übernahm sie bis Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf zum Jahre 2004 die Geschäftsführung des IKLK. Sie Aus einem 1878 erbauten Klinikum wurde das Hed- lebt in Kleve-Kellen. wig-Dransfeld-Haus, ein Erholungs- und Bildungs- haus für Frauen, benannt nach der Lehrerin, Schrift-

150 stellerin und Politikerin Hedwig Dransfeld (1871– Höck, Michael 1925). Es wurde 2003 nach wechselvoller Geschichte Prälat Dr. Michael Höck, geboren am 20.9.1903 in wegen Insolvenz geschlossen. Inzell, Priesterweihe am 26.10.1930 in Rom, gestor- ben am 31.5.1996 in Freising. Er kam am 23.5.1941 Hentschel, Rudolf ins KZ Sachsenhausen, am 11.7.1941 ins KZ Dachau Rudolf Hentschel war ein berüchtigter Lagercapo. in den Kommandanturarrest und wurde am 5.4.1945 entlassen. Heß, Sales Dr. phil. Franz Salesius (Johann Sigmund) Heß OSB, Hoffmann, Bedrich geboren am 1.5.1899 in Sassenfahrt (Bistum Bam- Der Tscheche Bedrich Hoffmann, geboren am berg), Profeß am 3.10.1920 in Münsterschwarzach, 10.7.1906 in Steinkirchen, Priesterweihe 1932 in Ol- Priesterweihe am 19.3.1925 in Würzburg, gestorben mütz, gestorben am 6.6.1975. Er kam am 6.11.1940 am 21.3.1989 in Münsterschwarzach. Er kam am zum ersten Mal ins KZ Dachau, am 11.12.1940 ins 12.9.1941 ins KZ Dachau, wo er Capo des Fotokom- KZ Buchenwald, am 3.10.1941 wieder ins KZ Da- mandos war. Am 28.3.1945 wurde er entlassen. chau und wurde am 29.4.1945 befreit.

Hiller Hoffmeister, Dominikus Siehe: Pater Ludwig Hiller. Siehe: Pater Dominikus Hoffmeister.

Himmler, Heinrich Hofmann, Franz Heinrich Himmler, geboren am 7.10.1900, gestorben Franz Hofmann, im Zivilberuf Metzger, Schutzhaftla- am 23.5.1945 (Suizid), war bereits in den 1920er gerführer im KZ Dachau, zuletzt Leiter des Außenla- Jahren im Dunstkreis um Adolf Hitler. 1929 wurde er gers Dautmergen (zwischen Rottweil und Balingen). Reichsführer der SS, 1934 stellvertretender preußi- Nach 1945 lebte er unter falschem Namen in Kirch- scher Gestapochef, 1936 Herr über den gesamten berg/Jagst, wurde von einem ehemaligen Häftling er- nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Terror- kannt und angezeigt. Er wurde zu 12 Jahren Zucht- apparat und 1943 Reichsinnenminister. haus verurteilt und ist in Straubing gestorben.

Hinricher, Gemma Hondet, Jean Gabriel Siehe: Schwester Gemma Hinricher. Siehe: Abt Jean Gabriel Hondet OSB.

Hirtenamt Hornich, Emmerich Hirtenamt wird die zweite der drei Weihnachtsmes- Der Schlosser Emmerich Hornich aus Innsbruck, ge- sen genannt. Die Tradition hat für die drei Messen an boren 1907, war als Häftling im KZ Dachau. Weihnachten die Begriffe: Engelamt, Hirtenamt, Kö- nigsamt. Hospital siehe: Revier Hitler, Adolf Adolf Hitler, geboren am 20.4.1889 in Braunau am Hostie Inn, beging am 30.4.1945 mit seiner Frau Eva Braun, Eine Hostie, vom lateinischen hostia – Schlachtopfer, geboren am 6.2.1912 in München, Selbstmord in Sühnopfer, ist das Opferbrot in der Eucharistiefeier. Berlin. Mit dem Übergang zum ungesäuerten Brot setzte sich

151 die Scheibenform durch, kleinere für die Austeilung Verpflegung der Überlebenden, die Versorgung der an die Gläubigen, größere für den Gebrauch der Kranken und schließlich die Rückführung der befrei- Priester. ten Gefangenen in ihre Heimatorte und -länder zu organisieren. Als 1955, zum 10. Jahrestag der Befrei- Hugo ung das erste Internationale Treffen der ehemaligen Pater Hugo (Leonhard) Montwe OFMCap, geboren Gefangenen in Dachau stattfand, beschloß man – am 31.5.1887 in Aachen, Eintritt in den Kapuzineror- angesichts des verwahrlosten Zustandes des Lagers – den am 17.9.1908, Priesterweihe am 4.8.1914, ge- die Neugründung des Comité International de Da- storben am 7.1.1952 in Bad Mergentheim. Er war chau, um als Organisation der ehemaligen „Dachau- Guardian (Oberer) in Dieburg, kam am 18.4.1941 ins er“ geschlossen die Forderung nach einer würdigen KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlassen. Mahn- und Gedenkstätte zu erheben. 1960 wurde als erstes Ergebnis dieser Bemühungen zunächst ein Humbert, Pierre provisorisches Museum im Krematoriumsgebäude Siehe: Pater Pierre Humbert OP. errichtet. Am 9.5.1965 wurde die jetzige Gedenkstät- te mit Museum feierlich eröffnet. Sie entstand nach Humerale den Vorstellungen und Plänen des Comité Internatio- Schultertuch, Teil der Meßkleidung. nal de Dachau mit finanzieller Unterstützung des Freistaates Bayern. Internationaler Karl-Leisner-Kreis (IKLK) Neben dem Ziel, Sorge zu tragen für die Erhaltung Invalidenblock im KZ des Andenkens an Karl Leisner, bemüht sich der Der Invalidenblock war der Block, in den die „unnüt- 1975 gegründete Internationale Karl-Leisner-Kreis zen Esser“ und voraussichtlich nicht mehr zu heilen- (IKLK) um Völkerverständigung in Europa. In den Kranken eingewiesen wurden, bis sie auf den so- Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Polen genannten „Invalidentransport“ nach Schloß Hart- und Spanien bildeten sich um engagierte Menschen heim kamen. kleinere und größere Freundeskreise. Durch die wechselseitige korporative Mitgliedschaft der Deut- Jäger, Johann schen St. Jakobus-Gesellschaft, der Archicofradia Johann Jäger, geboren am 6.11.1907, Priesterweihe Universal del Apostol Santiago und des IKLK kann am 29.6.1933, gestorben am 9.11.1991. Er wurde am unter anderem der Gedanke von einem vereinten Eu- 5.1.1959 Stadtpfarrer von St. Jakob in Dachau. ropa und einem neuen Zugang zum Evangelium vor allem bei jungen Menschen in Europa, die zum Bei- Jansen, Nikolaus spiel auf der Wallfahrt nach Santiago de Compostela Domkapitular Nikolaus Jansen, geboren am 4.3.1880 Völkerverbindendes erleben, gefördert werden. in Eupen, Priesterweihe am 14.3.1908 in Köln, ge- storben am 24.8.1965. 1927 wurde er Kanonikus im Internationales Dachau-Komitee Aachener Stiftskapitel und übernahm wichtige Auf- Bereits vor der Befreiung entstand im Lager das gaben bei der Errichtung des Bistums Aachen 1929. Comité International de Dachau als geheime Organi- Er kam am 26.12.1941 ins KZ Dachau und wurde am sation mit dem Ziel, einen für den letzten Moment 29.4.1945 befreit. Er war sowohl im Priesterblock als geplanten Massenmord der SS an den Häftlingen zu auch im Ehrenbunker. verhindern. In den Wochen nach der Befreiung war diese Organisation maßgeblich daran beteiligt, die

152 Jean Gabriel Jorand, Pierre Abt Jean Gabriel Hondet OSB, geboren am 10.5.1888 Pfarrer Pierre Jorand, geboren am 7.5.1907 in St- in Hendaye (Pyrénées-Atlantiques), Noviziat am Etienne. Er kam am 15.7.1944 ins KZ Neuengamme, 12.4.1906, Ewige Gelübde am 15.10.1910, Priester- am 22.9.1944 ins KZ Dachau und wurde am weihe am 14.7.1912, Abtsweihe am 15.2.1934, ge- 29.4.1945 befreit. storben am 1.12.1968 in Belloc. Er war Abt der Abtei Belloc im Bistum Bayonne (Pyrénées-Atlantiques) Kaiser, Walter und kam am 17.1.1944 nach Compiègne (Oise), von Der evangelische Geistliche Walter Kaiser, geboren dort am 15.7.1944 ins KZ Neuengamme und am am 22.6.1884 in Lößnitz, kam am 30.5.1941 ins KZ 22.12.1944 ins KZ Dachau, wo er am 29.4.1945 be- Dachau und wurde am 3.4.1945 entlassen. freit wurde. Kammerer, Jean Jedwabski, Franz Jean Kammerer, geboren am 31.12.1918 in Thann, Domkapitular Franciszek (Franz) Jedwabski, geboren Priesterweihe am 24.6.1943 in Lyon. Er kam am am 29.1.1895 in Wilkowyja (Posen), Priesterweihe 29.10.1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 am 17.12.1922, Bischofsweihe (Weihbischof in Po- befreit. Er lebt in Paris. sen) am 2.3.1947, gestorben am 26.6.1975 in Posen. Er kam am 30.10.1941 ins KZ Dachau und wurde am Kanon 29.4.1945 befreit. Kanon ist die Bezeichnung für die unveränderlichen Teile des eucharistischen Hochgebetes. Jesuiten Die Gesellschaft Jesu wurde von Ignatius von Loyola Kanontafeln gegründet. Sie ging hervor aus einer Gruppe von Die wichtigsten Texte der Eucharistiefeier standen sechs Gefährten, die am 15.8.1534 auf dem Mont- früher auf Tafeln, die auf den Altar gestellt wurden. martre in Paris ihre Gelübde ablegten. Papst Paul III. bestätigte am 27.9.1540 die Gründung. Kapo Siehe: Capo. Joos, Joseph Joseph Joos, Sozialpolitiker und Publizist, geboren Karl-Leisner-begegnen e.V. am 13.11.1878 in Wintzenheim (Haut-Rhin) im El- Am 31.10.2000 wurde das Elternhaus Karl Leisners saß, gestorben am 11.3.1965 in St. Gallen. Er war ab in Kleve, Flandrische Straße 11, von den Erben Wil- 1903 Leiter der „Westdeutschen Arbeiterzeitung“, helm Leisner und Elisabeth Haas, geborene Leisner, des Organs der Katholischen Arbeiterbewegung. an den neu gegründeten Förderverein „Karl-Leisner- 1919 war er Mitglied der Nationalversammlung und begegnen e.V.“ verkauft, dem bislang Mitglieder der von 1920 bis 1933 des Reichstages als Zentrumsab- Schönstattbewegung angehören. Das Haus trägt den geordneter. 1940 wurde er in Köln verhaftet und war Namen „Karl-Leisner-Begegnungsstätte Kleve“. von 1941 bis 1945 im KZ Dachau. Dort war er im Ehrenbunker untergebracht und wurde am 4.5.1945 Karmel Heilig Blut Dachau von den Amerikanern auf der Evakuierungsfahrt vom Am 28.4.1963 legte Weihbischof Johannes Neu- 24.4.1945 nach Südtirol in Villabassa/Niederdorf be- häusler den Grundstein für den Karmel Heilig Blut freit. Dachau; am 22.11.1964 erfolgte die Einweihung des Karmel und der dazugehörigen Kirche. Die Ordens-

153 frauen halten in Gebet und Gottesdienst das Anden- gestorben am 14.12.1941 in Berlin, wurde am ken der Häftlinge und Martyrer des KZ Dachau aus 16.7.1935 per Führererlaß Beauftragter für kirchliche vielen Völkern und Religionen in lebendiger Erinne- Angelegenheiten zum Reichskirchenminister im rung. gerade gegründeten Reichskirchenministerium er- nannt. Kašák, Karel Der tschechische Journalist aus Prag Karel Kašák, KL geboren am 15.12.1906, gestorben am 4.7.1991, war KL war die offizielle Abkürzung der Nationalsoziali- ab dem 16.6.1939 politischer Häftling im KZ Da- sten für Konzentrationslager. chau. Siehe: KZ Dachau.

Katakomben Kleinen, Heinrich Die römischen Katakomben sind besterhaltene ar- Heinrich Kleinen, geboren am 27.8.1914 in Duis- chäologische Komplexe der antiken Welt. Es handelt burg-Hamborn, Priesterweihe am 23.9.1939 in Mün- sich um unterirdische Friedhofsanlagen, nicht um ster, gestorben am 10.2.2004 in Goch. Er war Kurs- geheime Zufluchtsorte verfolgter Christen. Von den genosse von Karl Leisner und von 1948 bis 1954 Ka- verzweigten Gängen sind ca. 170 Kilometer mit plan in Kleve. Als Pfarrer von Uedem – ab 1961 – 750.000 Gräbern freigelegt, darunter ca. 50 Gräber war er von 1975 bis 1987 der Erste Vorsitzende des von Martyrern. In der Papstkapelle aus dem 3. Jahr- IKLK. hundert sind mindestens neun Päpste begraben, die meisten waren Martyrer. Klima, Leopold Leopold Klima, geboren am 10.11.1882 in Rothen- Katholische Aktion baum, Priesterweihe am 22.7.1906 in Budweis, ge- Unter Papst Pius XI. (1857–1939) nahm 1925 die storben am 18.5.1955 in Neukirchen. Er kam am Katholische Aktion reife Gestalt an. In ihr ist das 29.8.1941 ins KZ Dachau und wurde am 28.2.1942 Spezifische der Laien herausgestellt, die in der Welt entlassen. das Christentum verwirklichen. Koch, Jakob Kentenich, Joseph Jakob (Köbes) Matthias Koch, geboren am 24.2.1900 Pater Joseph Kentenich SAC, geboren am 18.11.1885 in Zell, gestorben am 28.2.1945 an Flecktyphus. Er in Gymnich/Rheinland, 1904 Eintritt ins Noviziat der kam 1940 ins KZ Dachau, hier wurde er Capo der Pallottiner, Priesterweihe am 8.7.1910 in Limburg, „Lagereinräumung“, wozu die Desinfektion des gestorben am 15.9.1968 in Vallendar-Schönstatt. Im Lagers, die Barackenreinigung und das Ausbessern Oktober 1912 wurde er Spiritual in Schönstatt und der als Matratzen dienenden Strohsäcke (Strohsack- gründete die Schönstatt-Bewegung. Vom 13.3.1942 Kommando) gehörten. Er hatte sich heimlich die bis 6.4.1945 war er im KZ Dachau. 1965 trat er aus Aufgabe gestellt, vor allem Pfarrer in sein Kom- der Gemeinschaft der Pallottiner aus und wurde im mando aufzunehmen. Man machte ihm vom Ar- Bistum Münster inkardiniert. Siehe: Rundbrief des beitseinsatz her immer Schwierigkeiten. Er aber IKLK Nr. 48. wußte sich durchzusetzen und hat so vielen Men- schen, unter anderen auch Geistlichen, das Leben Kerrl, Hanns gerettet. Hanns Kerrl, geboren am 11.12. 1887 in Fallersleben,

154 Kohler, Otto Der größere Teil des Kommandanturarrests mit Otto Kohler, geboren am 31.3.1909 in Düsseldorf, Dunkelarrest und Stehzellen diente als Lagergefäng- Priesterweihe am 22.7.1937 in Köln, gestorben am nis für „straffällig“ gewordene Häftlinge. 31.10.1984 in Essen-Karnap. Er kam am 27.8.1944 ins KZ Dachau und entfloh auf dem Evakuierungs- Königin Elena von Italien marsch vom 26.4.1945. Elena Prinzessin Petrovič Njegoš von Montenegro (1873–1952) wurde 1896 die Frau von König Viktor Kolbe, Maximilan Emanuel III. (1869–1947) von Italien. Rajmund Kolbe, geboren am 7.1.1894 in Zduńska Wola bei Lódz in Polen, 1911 Eintritt in den Minori- Konkordat tenorden der Franziskaner mit dem Namen Maximili- Das Konkordat zwischen dem Vatikan und den Na- an Maria, 1918 Priesterweihe, wurde im September tionalsozialisten, auch Reichskonkordat genannt, 1940 er verhaftet und ins Lager Oranien- wurde am 8.7.1933 paraphiert, am 20.7.1933 unter- burg/Sachsenhausen gebracht, aber im Dezember zeichnet und am 10.9.1933 ratifiziert. wieder freigelassen. Im Februar 1941 wurde er erneut verhaftet und ins Vernichtungslager in Auschwitz Konrad eingewiesen. Dort starb er am 14.8.1941 im Hunger- Bruder Johannes Evangelist Birndorfer OFMCap, bunker, in dem er anläßlich einer Strafaktion freiwil- geboren am 22.12. 1818 in Parzham, gestorben am lig an Stelle des Familievaters Franz Gajowniczek 21.4.1894, verzichtete im Jahre 1849 auf das Erbe gegangen war. Er wurde 1971 seliggesprochen. Bei eines Bauernhofes und ging in das Kloster zu den der Heiligsprechung 1982 durch den polnischen Papst Kapuzinern in Altötting. Er erhielt den Ordensnamen Johannes Paul II. war der gerettete Franz Gajownic- „Konrad“ und hütete 41 Jahre bis zu seinem Tod die zek auf dem Petersplatz in Rom zugegen. Klosterpforte im Kapuzinerkloster St. Anna, im Wallfahrtsort Altötting. Er wurde als Konrad von Kommandantur-Arrest (KA) Parzham am 15.6.1930 selig- und am 20.5.1934 Die Bezeichnung „Ehrenbunker“ galt für einen abge- heiliggesprochen. trennten Teil des Kommandanturarrests, der sich im Gefängnisbau (auch „Bunker“ genannt) befand. Die- Konsekration – konsekrieren ses langgestreckte Gebäude mit 137 Einzelzellen Wandlung der Opfergaben Brot und Wein in Leib (1937 erbaut) verläuft hinter dem Wirtschaftsgebäude und Blut Jesu in der Eucharistiefeier. des Schutzhaftlagers. Im „Ehrenbunker“ waren auch sogenannte prominente Häftlinge (Sonderhäft- Konzelebration linge/Ehrenhäftlinge) – daher auch „Prominenten- Konzelebration ist das gemeinsame Zelebrieren der bunker/block“ genannt – untergebracht, die auf aus- Priester in der Eucharistiefeier. Bis zur Liturgiere- drücklichen Befehl Adolf Hitlers in Haft genommen form gab es Konzelebration nur in der Weihemesse. worden waren. Die Sonderhäftlinge blieben von den übrigen Lagerhäftlingen völlig isoliert, erhielten eine Konzentrationslager Dachau bessere Verpflegung, durften sich gegenseitig besu- Siehe: KZ Dachau. chen und wurden tagsüber in ihren Zellen nicht ein- geschlossen. Unter anderen waren Johannes Neu- Korbinian häusler, Michael Höck und Martin Niemöller im Eh- Korbinian (Leonhard) Roth OP, geboren am 28.5. renbunker inhaftiert. 1904 in Saldenburg/Niederbayern, 1924 Eintritt in

155 den Dominikanerorden mit dem Namen Korbinian, deckter Tisch zur Bereitstellung der zum Gottesdienst Priesterweihe am 4.8.1931 im Kloster Walberberg, benötigten Gefäße, Geräte und Bücher. am 10.3.1952 Austritt aus dem Orden und Inkardinie- rung im Bistum München und Freising, gestorben am Kupfer-Koberwitz, Edgar 22.6.1960 in Braz/Vorarlberg. Er kam am 21.5.1943 Edgar Kupfer-Koberwitz (1906–1991), geboren auf ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. dem Gut Koberwitz bei Breslau, floh nach der Machtergreifung Adolf Hitlers nach Paris und lebte Korporale/Corporale später drei Jahre auf Ischia. Auf Veranlassung der Ein Korporale ist ein quadratisches weißes Leinen- deutschen Behörden wurde er aus Italien ausgewiesen tuch, das auf dem Altar als Unterlage für Hostie und und der Gestapo übergeben. 1940 kam er ins KZ Da- Kelch dient. chau und hielt ab November 1942 schriftlich fest, was er erlebte. Damit seine Aufzeichnungen nicht in fal- Kostträger sche Hände fielen, vergrub er sie immer wieder im „Kostträger“ waren die Träger der Essenskübel, die KZ Dachau. Nach der Befreiung holte er sie wieder von der Lagerküche zu den Blocks geschleppt wur- hervor und nutzte sie als Grundlage für seine Bücher. den. Kuratie Kotau Eine Kuratie, auch Pfarrvikarie genannt, ist ein selb- Der Kotau war bis Anfang des 20. Jahrhunderts in ständiger Seelsorgesprengel unter Leitung eines mit China eine Ehrenbezeugung, die im Niederknien mit ordentlicher Hirtengewalt ausgestatteten und vom Berührung der Stirn mit dem Boden bestand. Davon Pfarrer unabhängigen Geistlichen. Neben der kanoni- abgeleitet ist der Ausdruck „kriecherische Ehrerwei- schen Pfarrei gehört sie zur Untergliederung eines Bi- sung“. stums.

Kozal, Michał KZ Amersfoort Weihbischof Dr. Michał Kozal von Włocławek in Das ehemalige Polizeiliche Durchgangslager Amers- Polen, geboren am 25.9.1893 in Nowy Folwark, foort war in den Niederlanden ein zentrales KZ. Priesterweihe am 23.2.1918 in Gnesen, Bischofs- Menschen aus dem Widerstand, Geiseln, Geistliche, weihe am 13.8.1939 in Włocławek, gestorben am und auch Juden kamen von dort aus in ein deutsches 26.1.1943 an Typhus im Revier des KZ Dachau. Im Gefängnis bzw. ins KZ (insgesamt ca. 19.000), ande- Ersten Weltkrieg (1914–1918) kämpfte er als Offizier re wurden hingerichtet oder starben. auf deutscher Seite. Er feierte am 15.8.1939 sein erstes und letztes Pontifikalamt. Zu Beginn des Po- KZ Auschwitz lenfeldzuges wurde er am 6.9.1939 verhaftet und kam Auschwitz wurde für die ganze Welt zum Symbol des am 25.4. 1941 über das KZ Sachsenhausen ins KZ Terrors, des Völkermordes und des Holocaust. Das Dachau. Man hatte ihm angeboten, in den „Ehrenbun- Konzentrationslager wurde im Jahre 1940 von den ker“ zu kommen, er aber wollte bei seinen Priestern Nationalsozialisten vor den Toren der polnischen bleiben. Er wurde am 14.6.1987 in Warschau seligge- Stadt Oświęcim, in der Nähe von Krakau, errichtet, sprochen. die zusammen mit anderen Gebieten Polens während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen besetzt Kredenz war. Eine Kredenz ist ein mit einem weißen Linnen be-

156 KZ Bergen-Belsen KZ Flossenbürg Im Frühjahr 1941 wurde auf einem ehemaligen Trup- Von 1938 bis 1945 existierte in Flossenbürg (Bay- penübungsplatz in Bergen, etwa 60 Kilometer nord- ern/nördliche Oberpfalz) ein Konzentrationslager. östlich von Hannover, im Zusammenhang mit den Rund 100.000 Menschen waren im Hauptlager und Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion das den mehr als 100 Außenlagern inhaftiert. Mindestens Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen von der 30.000 überlebten den Terror nicht. Aufgabe der Wehrmacht errichtet. Wenige Wochen nach dem ersten Häftlinge, die ab Mai 1938 mit Transporten deutschen Überfall auf die Sowjetunion vom aus dem KZ Dachau kamen, war es, Erschließungs- 22.6.1941 trafen die ersten Gefangenentransporte im maßnahmen für das Lager durchzuführen und die Lager ein. Im Juli 1943 erreichten die ersten Trans- Baracken, erste Verwaltungsgebäude sowie Siche- porte mit jüdischen Häftlingen aus Polen das „Auf- rungsanlagen zu errichten. Gleichzeitig wurde bereits enthaltslager Bergen-Belsen“. Am 15.4.1945 wurde mit Arbeitseinsätzen in den Steinbrüchen des SS- das Lager von britischen Soldaten befreit. eigenen Wirtschaftsunternehmens DEST (Deutsche Erd- und Steinwerke) begonnen. KZ Buchenwald Das KZ Buchenwald, am Rande der Stadt Weimar KZ Gusen gelegen, wurde 1937 eröffnet. Das KZ Gusen war ein Außenlager des KZ Mauthau- sen. KZ Dachau Das KL Dachau war nicht das erste Konzentrati- KZ Mauthausen onslager der Nationalsozialisten in Deutschland – wie Am 8.8.1938 begann eine Gruppe von 300 österrei- immer wieder fälschlicherweise behauptet wird. chischen und deutschen Häftlingen aus dem KZ Dieses entstand vielmehr Anfang März 1933 als Dachau mit dem Aufbau des KZ Mauthausen in der „Sammellager“ für Funktionäre der KPD [Kommuni- Nähe von Linz in Oberösterreich. Der Ort war wegen stischen Partei Deutschlands] in dem kleinen Ort der nahen Steinbrüche ausgewählt worden. Dort galt Nohra, der westlich von Weimar in Thüringen liegt, „Vernichtung durch Arbeit“. und auch das KL Oranienburg [Sachsenhausen] bei Berlin war älter als das Dachauer Lager – allerdings KZ Natzweiler-Struthof nur einen Tag. Das erste Konzentrationslager in Das Konzentrationslager Struthof, etwas abseits von Preußen wurde am 21. März eröffnet, während in Natzweiler (Bas-Rhin) und 8 Kilometer vom Bahnhof Dachau die Gefangenentransporte erst am 22. März Rothau im Elsaß entfernt, war das einzige Vernich- eintrafen. tungslager des nationalsozialistischen Terrorregimes (Richardi, S. 74) auf französischem Boden. Es wurde am 21.5.1941 Das KZ Dachau galt als Musterbeispiel für alle deut- unter der Leitung der SS auf einem gerodeten Gipfel schen KZ. „KL“ war die offizielle Abkürzung der der Vogesen „in Betrieb genommen“. Die Zahl der Nationalsozialisten. Die Häftlinge gebrauchten die Verschleppten und Toten (Juden, Franzosen, Luxem- später übliche Abkürzung „KZ“ und schrieben auch burger, Polen, Russen, Sinti und Roma) ist nicht mehr „Kazett/Kazet“. Die Amerikaner befreiten das KZ zu ermitteln. Seit 1950 ist das ehemalige KZ eine na- Dachau am 29.4.1945. 1965 wurde das ehemalige tionale Nekropole für die Opfer der nationalsozialisti- Konzentrationslager Gedenkstätte. schen Konzentrationslager.

157 KZ Neuengamme Lagerkommandantur Ende 1938 errichtete die SS in einer stillgelegten Der Chef der Lagerkommandantur war der Lager- Ziegelei in Hamburg-Neuengamme ein Außenlager kommandant. Er stand im Rang eines Obersturm- des KZ Sachsenhausen, das im Frühsommer 1940 bannführers oder Sturmbannführers. Ihm unterstan- zum eigenständigen Konzentrationslager erklärt den die zwei Lagerführer, denen auf Seiten der Häft- wurde. linge der Lagerälteste entsprach.

KZ Ravensbrück Lagerstraße In dem preußischen Dorf Ravensbrück, nahe dem Siehe: Baracke. ehemals mecklenburgischen Luftkurort Fürstenberg, ließ die SS unter anderem durch Häftlinge des KZ Langhans, Alois Sachsenhausen ab November 1938 das Frauen-KZ Alois Langhans, geboren am 8.5.1902 in Lindenau/ Ravensbrück errichten. Es war das einzige große KZ Nordböhmen, Priesterweihe am 11.7.1926 in Leitme- auf deutschem Gebiet, das als sogenanntes Schutz- ritz, gestorben am 12.12.1985 in Immenstadt. Er kam haftlager für Frauen bestimmt war. am 13.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 6.4. 1945 entlassen. KZ Sachsenhausen Sachsenhausen ist ein Ortsteil der Stadt Oranienburg Lanique, René bei Berlin, das „KZ Sachsenhausen“ befand sich René Lanique, geboren am 7.2.1893 in Metz, Pries- jedoch nicht in diesem Ortsteil, sondern im Norden terweihe am 5.4.1919, gestorben am 17.1.1947 in des Stadtgebietes von Oranienburg. Dieses erste KZ l’Isle-Adam. Er kam am 19.5.1943 ins KZ Dachau wurde am 21.3.1933 von SA-Leuten der Standarte und wurde am 29.4.1945 befreit. 208 in einem ehemaligen Brauerei- und Fabrikge- bäude, das der SA von den Eigentümern eigentlich Latocha, Antoni zur Unterbringung obdachloser SA-Männer überlas- Ordensbruder Antoni Latocha, geboren am 24.8.1921 sen worden war, eingerichtet. Aber die SA sperrte in Myslowice. Er ging am 8.12.1940 für Edmund dort ihre politischen Gegner aus den Straßenkämpfen Mikołajczak ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 und Saalschlachten der vergangenen Jahre ein. befreit.

Lagerdekan – Lagerdechant im KZ Dachau Laudes Hincmari Am 10.10.1944 wurde Lagerkaplan Georg Schelling Die Laudes regiae oder Laudes Hincmari ist ein vom Erzbischöflichen Ordinariat München zum frühmittelalterlicher Lobgesang. Er beginnt mit Lagerdekan erhoben und am Sonntag, dem 15.10. „Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat – feierlich eingeführt. Christus siegt, Christus ist König, Christus herrscht“ und enthält litaneiartige Huldigungsrufe auf Christus, Lagerführer Bittrufe an die Heiligen, schließlich Heilrufe für die Siehe: Lagerkommandantur. geistlichen und weltlichen Herrscher. Man sang die Laudes regiae in Anwesenheit von Königen, Fürsten Lagerkaplan im KZ Dachau und hohen Geistlichen. Ein Priester wurde von der Lagerleitung zum Lager- Entstanden im Frankenreich um 750, wurde sie kaplan ernannt. besonders im Erzbistum Reims beliebt und darum nach dem einflußreichen Bischof Hinkmar (ca. 806–

158 882) benannt. Eindeutig lesbare musikalische Auf- war dort – mit einer kurzen Unterbrechung im KZ zeichnungen gibt es seit Ende des 12. Jahrhunderts in Mauthausen und im KZ Gusen – bis zur Befreiung mancherlei Varianten (so zum Beispiel in der Samm- am 29.4.1945. Die Gewährung seiner Bitte um Ent- lung „Laudes festivae“ von Beat Reiser OSB, Rom lassung aus der Gesellschaft Jesu zog sich aus ver- 1932 und 1940). schiedenen Gründen von 1940 bis zum 24.4.1950 hin. Die bei uns übliche Fassung steht im 4. gregoria- Am 23.6.1950 kam er ins Noviziat der Kalasantiner nischen Psalmton-Modus und ähnelt dem altiberi- und legte am 25.6.1951 Ewige Profeß ab. Im August schen Pater noster (Melodie: Gotteslob 363) und dem 1954 trat er aus dieser Gemeinschaft aus, um Welt- Gloria XV. Siehe: Gotteslob Nr. 564. priester zu werden, aber keine Diözese konnte ihn recht verwenden. Er behielt den Titel Pater für sich Lechner, Josef persönlich bei. Zuletzt wirkte er als Einsegnungsprie- Josef Lechner, geboren am 24.3.1916 in Hohenpol- ster in der Erzdiözese Wien. Ab Frühjahr 1979 lebte ding, Priesterweihe am 29.6.1947, gestorben am er bei einer befreundeten Arztfamilie in Villach. In 25.10.1982. Ab 15.5.1960 Kurat in Dachau-Ost Hei- seiner Todesanzeige heißt es: „Pater Johannes Maria lig Kreuz, ab 1.1.1962 dort Pfarrkurat und ab Lenz, Ordenspriester und katholischer Schriftsteller“, 8.4.1964 Stadtpfarrer in der neuerrichteten Pfarrei das Direktorium der Erzdiözese Wien gedenkt seines Heilig Kreuz. Todes mit dem Vermerk „P. Johannes M. Lenz, Ein- segnungspriester i. R.“ Leisner, Karl Karl Leisner, geboren am 28.2.1915 in Rees, Priester- Lercaro, Giacomo weihe am 17.12.1944 im KZ Dachau, gestorben am Giacomo Lercaro, geboren am 28.10.1891 in Quinto 12.8.1945 im Waldsanatorium in Planegg. Er kam am al Mare, 1914 Priesterweihe, am 31.1.1947 Ernen- 16.3.1940 ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins nung zum Erzbischof von Ravenna, am 22.6.1952 KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Erzbischof von Bologna, 1953 Kardinal, gestorben am 18.10.1976 in Bologna. Leisner, Willi Willi Leisner wurde am 9.5.1916 in Goch geboren. Lettner Nach Elektrolehre und Ingenieurstudium bekam er Trennwand in der Kirche zwischen Chor und Mittel- die „Dienstverpflichtung“ in der Rüstungsindustrie schiff, meist mit Bildwerken verziert. bei Telefunken in Berlin. Hier arbeitete er für das Nachrichtenwesen von 1940 bis zu seiner Pensionie- Levitenamt rung am 30.6.1979. Er heiratete am 19.7.1944 in der In Israel hatten die Nachkommen des Stammes Levi Stiftskirche in Kleve Franziska Sauer. Sie haben fünf die Aufgabe, priesterliche Ämter auszuüben. In der Kinder: Ursula, Hildegard, Rita, Karl und Norbert. Liturgie waren Leviten die dem Priester bei feierli- Willi Leisner lebt mit seiner Frau in Berlin-Lichter- chen Funktionen assistierenden Kleriker als Diakon felde. und Subdiakon. Meistens waren es aber Priester, die diese Rolle übernahmen. Da der zeitliche Abstand Lenz, Johann zwischen der Weihe zum Subdiakon und der zum Johann Nepomuk Maria Lenz, geboren am 7.4.1902 Diakon nur wenige Tage betrug, gab es bei einem in Graz, Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 7.9.1923, Levitenamt selten echte Subdiakone, eher schon Dia- Priesterweihe am 26.7.1935, gestorben am 16.7.1985 kone. in Villach. Am 9.8.1940 kam er ins KZ Dachau und

159 Levitiertes Hochamt in Lomianki k/Warszawy. Siehe: Levitenamt. Makarius Liber Usualis Pater Makarius (Gustav) Spitzig, OSB von St. Otti- Liber Usualis, Missae et Officii pro Dominicis et lien, geboren am 19.1.1887 in Würzburg, Priester- Festis cum cantu Gregoriano, ex Editione Vaticana weihe am 25.7.1921 in München, ab dem 1.9.1931 adamussim excerpto [Gebrauchsbuch für Messen und Choroblate der Trappisten (OCSO) von Stift Engels- Stundengebet an Sonntagen und Festen mit gregoria- zell/Österreich, gestorben am 7.1.1957 in Linz an den nischem Choral, Auszüge der Vatikanischen Aus- Folgen seiner im KZ erlittenen Malariaversuche. Er gabe], Parisiis, Tornaci, Romae 1935. war gelernter Kunsttischler, kam am 3.2.1941 ins KZ Ein solches Buch aus dem KZ Dachau hat Heinz Dachau und wurde auf dem Evakuierungsmarsch Dresbach mit zum Berg Moriah in Simmern gebracht. vom 26.4.1945 befreit, kehrte aber nicht nach Engels- zell zurück, sondern wirkte als Lagerseelsorger im Lohausen Bistum Würzburg. Siehe: Pater Raimund Lohausen SOCist. Malinowski, Wincenty Ludwig Wincenty Malinowski, geboren am 19.1.1900 in Pater Ludwig (Paul) Hiller SDS, am 8.1.1909 in Koliszowy/Polen. Er kam am 4.5.1940 ins KZ Sach- Berlin-Dahlem geboren, 1931 Eintritt bei den Sa- senhausen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau und wurde lesianern, Erste Profeß am 28.8.1932, Priesterweihe am 29.4.1945 befreit. am 29.6.1937 in Passau, gestorben am 18.5.1963 in Münster. Er kam am 25.8.1941 ins KZ Dachau und Marabut wurde am 27.3. 1945 entlassen. Islamischer Geistlicher, meist ein Einsiedler.

Lunula Maria Schnee Halbmondförmige Halterung in der Monstranz für die Der frühere Name des heutigen Gedenktages „Weihe Hostie. der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom“ war „Maria Schnee“ und erinnert an die Legende von ei- Magnifikat nem wunderbaren Schneefall im August, durch den Persönliches Danklied aus dem Mund Mariens in Maria gezeigt habe, wo man die Kirche bauen soll. hymnischer Form, vgl. Lk 1,46-55. Im Stundengebet ist es ein Teil der Vesper. Siehe: Gotteslob Nr. 689 f. Maria Theresia von der gekreuzigten Liebe Mutter Maria Theresia von der gekreuzigten Liebe Majdański, Kazimierz (Berta) Vorbach (1911–1970) war die Gründerin des Kazimierz Majdański, geboren am 1.3.1916 in Dachauer Karmels Heilig Blut. Sie starb am 10. März Malgów/Polen, Priesterweihe am 29.7.1945 in der 1970. polnischen Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Paris durch Bischof Karol Radonski von Włocławek, Bi- Mariä Verkündigung schofsweihe am 24.3.1963 in Włocławek durch Ste- Das Fest am 25. März hieß früher „Mariä Verkündi- fan Kardinal Wyszyñski (1901–1981). Er kam am gung“, heute „Verkündigung des Herrn“. Da 1945 der 29.8.1940 ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins 25. März auf den Palmsonntag fiel, wurde das Fest KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Er lebt am ersten Tag nach der Osteroktav nachgefeiert, das

160 war am Montag, dem 9. April. Mesner Vorwiegend in Süddeutschland gebrauchter Aus- Marienau in Schönstatt druck für den Küster oder Sakristan. Ende 1950 erwarben die Schönstattpriester von den Steyler Anbetungsschwestern Haus Marienau in Messerschmitt Schönstatt. Willy Messerschmitt, geboren am 26.6.1898 in Frankfurt/Main, gestorben am 1.5.1978 in München, Markötter, Elpidius gründete 1923 die Messerschmitt-Flugzeugbau- Siehe: Pater Elpidius Markötter OFM. Gesellschaft. In der Fabrik mußten KZler aus dem KZ Dachau arbeiten. Matutin Nachthore des Stundengebetes. Meßkoffer Für eine Meßfeier außerhalb einer Kirche sind alle Maurath, Ferdinand notwendigen liturgischen Geräte in einem Meßkoffer Geistlicher Rat Ferdinand Maurath, geboren am 28.6. untergebracht. 1908 in Bühl/Baden, Priesterweihe am 30.4.1933 in Freiburg, gestorben am 5.7.1993. Er kam am 2.8. Meyer, Wilhelm 1941 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlas- Wilhelm Meyer, geboren am 14.1.1913 in Essen- sen. Er war ab 1943 als Hilfspfleger im Krankenre- Frintrop, Priesterweihe am 6.8.1939 in Münster, vier, Block 7/2, tätig. gestorben am 5.4.1999 in Ibbenbüren. Er kam am 6.6.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.3.1945 Maurus entlassen. Pater Maurus (Jakob) Münch OSB aus der Abtei St. Matthias in Trier, geboren am 19.11.1900 in Ander- Michelet, Edmond nach, 1922 Eintritt in Trier, Priesterweihe am 8.8. Edmond Michelet, geboren am 8.10.1899 in Paris, 1926 in Trier, gestorben am 16.5.1974 Trier. Er kam kam 1940 durch die Widerstandsbewegung zur politi- am 10.10.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.3. schen Arbeit. Als Obmann der französischen Wider- 1945 entlassen. Er war später Subprior der Abtei St. standsbewegung Résistance wurde er vom Vichy-Re- Matthias in Trier. gime verfolgt und 1943 verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Nach seiner Befreiung aus dem KZ beklei- Mensa dete er verschiedene Ministerposten. So war er unter Altarplatte. anderem ab 8.1.1959 Justizminister und vom 20.6. 1969 bis zu seinem Tod am 9.10.1970 Kulturmini- Mertens, Matthias ster. Im KZ Dachau war er Vertrauensmann der fran- Matthias Mertens, geboren am 5.12.1906 in Straelen, zösischen Häftlinge. 1988 wurde ein Antrag zur Ein- Priesterweihe am 17.12.1932 in Münster, gestorben leitung eines Seligsprechungsverfahrens gestellt. am 1.2.1970 in Goch/Gaesdonck. Von 1932 bis 1935 war er Kaplan in Materborn/Kleve und als solcher Mikołajczak, Edmund Dekanatspräses des Jungmännerverbandes. Er kam Edmund Mikołajczak, geboren am 27.10.1910 in am 17.4.1942 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 Siedlemin im Bistum Poznań, Priesterweihe am entlassen. 15.6.1935 in Poznań, gestorben am 10.9.1977. Für ihn ging Ordensbruder Antoni Latocha am 8.12.1940

161 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. bis zu den Ellenbogen reicht, vor der Brust zuge- knöpft wird und vom höheren Klerus getragen wird; Missale für einen Bischof hat er eine violette Farbe. Siehe: Schott-Missale. Mruk, Antoni Mitra Antoni Mruk SJ, geboren am 21.11.1914 in Kraków. Eine Mitra ist die Kopfbedeckung und das Würdezei- Er kam am 20.6.1940 ins KZ Auschwitz, am chen der Bischöfe. 12.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Mizgalski, Gerard Domkapitular Gerard Mizgalski, geboren am 16.5. Mruk, Edward 1907 in Leszno (Lissa)/Polen, Priesterweihe am Edward Mruk SJ, geboren am 13.7.1917 in Kraków. 12.6.1932 in Poznań, gestorben am 29.1.1977 in Er kam am 20.6.1940 ins KZ Auschwitz, am Poznań. Er kam am 24.5.1940 ins KZ Dachau, am 12.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 2.8.1940 ins KZ Gusen und am 8.12. 1940 wieder ins befreit. KZ Dachau. Dort wurde er am 29.4.1945 befreit. Muhler, Emil Monstranz Dr. rer. pol. Emil Muhler, geboren am 21.4.1892 in Eine Monstranz (lateinisch monstrare-zeigen) ist in München, Priesterweihe am 21.12.1919 in München, der katholischen Kirche das liturgische Gefäß zur gestorben am 19.2.1963. Ab 1924 war er in St. An- Aussetzung der konsekrierten Hostie zur eucharisti- dreas Stadtpfarrer von München und von 1930 bis schen Verehrung. 1933 Stadtratsmitglied für die Bayerische Volkspartei sowie nach 1945 für die neugegründete CSU. Er kam Montwe, Hugo am 18.9.1944 ins KZ Dachau und floh auf dem Eva- Siehe: Hugo Montwe OFMCap. kuierungsmarsch vom 26.4.1945. Nach ihm ist seit 1969 die Straße in der Isarvorstadt in München, bei Moosbauer, Josef seiner Pfarrei, benannt. Auch Dachau hat eine Dr.- Josef Moosbauer, geboren am 15.3.1904 in Linz, Muhler-Straße. Priesterweihe am 29.6.1926 in Linz, gestorben am 8.8.1979 in Bad Mühllacken. Er kam am 22.6.1940 Müller, Robert ins KZ Dachau, am 16.8.1940 ins KZ Mauthausen, Robert Müller, geboren am 11.2.1910 in Queu- am 8.12.1940 zum zweiten Mal ins KZ Dachau und leu/Metz, Priesterweihe am 16.7.1939, gestorben am wurde beim Evakuierungsmarsch vom 26.4.1945 be- 18.1.1981 in Nizza. Er kam am 23.9.1942 ins Ge- freit. fängnis von Saarbrücken und am 16.12.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Morelli, Alexander Alexandre Morelli OP, geboren am 25.2.1919 in Münch, Maurus Marseille. Er kam am 5.5.1944 ins KZ Dachau und Siehe: Pater Maurus Münch OSB. wurde am 29.4.1945 befreit. Nathan, Joseph Martin Mozetta Weihbischof Joseph Martin Nathan, geboren am Eine Mozetta ist ein langer Schulterkragen, der etwa 11.11.1867 in Stolzmütz, Priesterweihe am 23.6.1891

162 in Breslau, Bischofsweihe am 6.6.1943 in Branitz als Gründung eines „Pfarrernotbundes“ auf, der sich ge- Titularbischof von Arcycanda, gestorben am gen die Ausgrenzung von Christen jüdischer Her- 30.1.1947 in Troppau. Er war ab 19.4.1924 General- kunft aus dem kirchlichen Leben und gegen die Ver- vikar des preußischen Anteils der Erzdiözese Olmütz fälschung biblischer Lehre durch die nationalsoziali- und ab 2.11.1938 des sudetendeutschen Anteils. Am stischen „Deutschen Christen“ wehren sollte. Aus 21.12.1946 wurde er aus Branitz ins Troppauer Exil diesem Notbund ging schließlich die Bekennende ausgewiesen. Kirche hervor, zu deren aktivsten Mitgliedern Martin Niemöller zählte. Er wurde am 1.7.1937 verhaftet. Natzweiler Anfang 1938 kam er ins KZ Sachsenhausen und am Siehe: KZ Natzweiler-Struthof. 11.6.1941 ins KZ Dachau. Am 4.5.1945 wurde er von den Amerikanern auf der Evakuierungsfahrt vom Němec, František 24.4.1945 nach Südtirol in Villabassa/Niederdorf be- Dr. František Němec SJ, geboren am 23.1.1907 in freit. Er starb am 6.3.1984 in Wiesbaden. Lovčice. Er kam am 21.2.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Nobis, Anton Pater Anton Nobis OSFS, geboren am 30.12.1913 in Neubauer, Basilius Senftenbach, 1934 Eintritt bei den Oblaten des heili- Siehe: Pater Basilius Neubauer OFM. gen Franz von Sales, Erste Profeß am 17.9.1935, Priesterweihe am 29.6.1939 in Eichstätt, gestorben Neuhäusler, Johannes am 9.12.1987 in Eichstätt. Von Juni bis Oktober 1945 Weihbischof Dr. h. c. Johannes Neuhäusler, geboren war er Kriegsgefangenenseelsorger in Fürstenfeld- am 27.1.1888 in Eisenhofen/Landkreis Dachau, Prie- bruck und Dachau. sterweihe am 29.6.1913, 1932 Domkapitular, Bi- schofsweihe am 20.4.1947 in München St. Ludwig, Norberta gestorben am 14.12.1973. Er kam am 24.5.1941 ins Schwester Norberta Johanna Oblöser, geboren am KZ Sachsenhausen und am 11.7.1941 ins KZ Dachau 18.6.1896 in Wostitz/Tschechien, gestorben am in den „Ehrenbunker“. Er wurde am 4.5.1945 von den 17.02.1999 in Wien, Eintritt in die Caritas Socialis Amerikanern auf der Evakuierungsfahrt vom 24.4. 20.11.1923, Einsatz in Dachau-Ost, zuerst im Flücht- 1945 nach Südtirol in Villabassa/Niederdorf befreit. lingslager, dann in der späteren Pfarrei Heilig Kreuz bei Stadtpfarrer Josef Lechner, vom 3.12.1952 bis Neunzig, Josef 8.8.1984. Josef Neunzig, geboren am 1.3.1904 in Bedburg bei Köln, Priesterweihe am 12.3.1932 in Trier, gestorben NSDAP am 4.8.1965 in München an den Folgen eines Auto- Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei unfalls am 1.5.1965 auf dem Weg nach Dachau zu (NSDAP) ist am 1.3.1920 aus der Deutschen Arbei- einem Treffen der Dachaupriester. Er kam am 17.10. terpartei (DAP), die am 5.1.1919 in München gegrün- 1941 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlas- det wurde und der Adolf Hitler am 16.9.1919 beitrat, sen. Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 49, S. 23–36. hervorgegangen.

Niemöller, Martin Oblöser, Norberta Martin Niemöller, evangelischer Theologe, geboren Siehe: Schwester Norberta Johanna Oblöser. am 14.1.1892 in Lippstadt. Im Herbst 1933 rief er zur

163 OCarm Ordinarium OCarm – Ordo Fratrum B. Mariae Virg. de Feststehende Teile der Eucharistiefeier. Monte Carmelo – Karmeliten. Ornat OCSO Meßgewand. OCSO – Ordo Cisterciensium Strictioris Observan- tiae – Trappisten. Orsenigo, Cesare Cesare Orsenigo, geboren am 13.12.1873 in Villa San OFM Carlo (Pfarrei Olginate/Italien) am Comersee, Prie- OFM – Ordo Fratrum Minorum – Minderbrüder – sterweihe 1896, am 23.6.1922 Apostolischer Inter- Franziskaner. nuntius in Den Haag mit der Würde eines Titularerz- bischofes, gestorben am 1.4.1946 in Eichstätt. Im OFMCap Sommer 1925 erfolgte seine Versetzung nach Un- OFMCap – Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum – garn. Am 25.4.1930 traf er als Nachfolger von Euge- Minderbrüder – Kapuziner. nio Pacelli in Berlin ein und blieb bis zum 1.4.1946 Apostolischer Nuntius, zunächst in Berlin, am 8.2. Ohnmacht, Franz 1945 ging er nach Eichstätt. Generalvikariatsreferent von Linz Dr. Franz Ohn- macht, geboren am 5.12.1893 in Raab/Österreich, OSB Priesterweihe am 15.7.1916 in Innsbruck, gestorben OSB – Ordo Sancti Benedicti – Benediktiner. am 11.4.1954 in Linz. Er kam am 17.6.1938 zum er- sten Mal ins KZ Dachau, am 27.9.1939 ins KZ Bu- OSFS chenwald und am 8.12.1940 zum zweiten Mal ins KZ OSFS – Institutum Oblatorum Sancti Francisci Sale- Dachau. Dort war er ab 19.9.1941 als Nachfolger von sii – Oblaten des heiligen Franz von Sales. Paul Prabutzki Lagerkaplan. Er wurde am 16.3.1943 entlassen. Ott, Adam Dekan Adam Ott, geboren am 23.8.1892, Priester- OMI weihe am 24.12.1914 in Mainz, gestorben am OMI – Congregatio Oblatorum Missionariorum 10.9.1978. Er kam am 24.10.1941 ins KZ Dachau B.M.V. Immaculatae – Oblaten der Unbefleckten und wurde am 29.3.1945 entlassen. Jungfrau Maria. Ott, Hugo OP Dr. Hugo Ott war Universitätsprofessor in Freiburg. OP – Ordo Fratrum Praedicatorum (OPr) – Domini- kaner Overduin, Jakob Der evangelischer Pfarrer Jakob Overduin, geboren Ordinariat am 27.9.1902 in Leyden, kam 26.6.1942 ins KZ Ein Ordinariat, auch Generalvikariat oder Diözesan- Dachau und wurde am 6.10.1942 entlassen. kurie genannt, ist die dem Generalvikar unterstellte bischöfliche Zentralbehörde für alle Angelegenheiten Pacelli, Eugenio der Diözesanverwaltung. Siehe: Pius XII.

164 Palla Dachau eingeliefert und am 29.12.1942 entlassen. Er Die Palla ist ein kleines gesteiftes, quadratisches war Kapo im Revier und hatte mit Karl Leisner zu Stück Leinen – in Deutschland meistens ein mit einer tun. Kartoneinlage versehenes Leinenstück – , mit dem während der Messe der Kelch bedeckt ist. Pétain, Philippe Philippe Pétain, geboren am 24.4.1856 in Cauchy-à- Pallottiner la-Tour (Pas-de-Calais), gestorben am 23.7.1951 in Die Bezeichnungen für die Pallottiner, 1835 gegrün- Port-Joinville auf der Ile d’Yeu (Vendée), französi- det, wechselten: zunächst SAC (Societas Apostolatus scher Marschall und Politiker, leitete als General Catholici – Gesellschaft des katholischen Apostola- 1916 die Schlacht von Verdun. Am 12.12.1918 wur- tes), von 1854 bis 1947 PSM (Pia Societas Missio- de er zum Marschall ernannt. Ab 1934 war er num – Fromme Missionsgesellschaft), dann wieder Kriegsminister und ab 16.6.1940 Ministerpräsident. SAC. Nachdem er den am 22./24.6.1940 mit Deutschland und Italien unterzeichneten Waffenstillstand verlangt Paragraph 175 hatte, wurde er durch eine Wahl der französischen § 175 des Strafgesetzbuches erlaubte den Nationalso- Nationalversammlung (649 Ja-Stimmen – darunter zialisten, jeden zu verhaften, den sie homosexueller Robert Schumann (1886–1963) – 80 Nein-Stimmen Neigung auch nur verdächtigten. Erst 1969 wurde der und 17 Enthaltungen) Staatschef von Frankreich und Paragraph endgültig abgeschafft. erhielt am 10.7.1940 in Vichy vom französischen Parlament alle verfassungsgebenden und exekutiven Patene Vollmachten. Unter der Devise „Arbeit, Familie, Die Patene ist ein flacher Goldteller für die Hostie Vaterland“ errichtete er ein antisemitisches und anti- des Priesters bei der Eucharistiefeier. Bis zur Litur- kommunistisches System, das ab Herbst 1940 eine giereform gehörte neben dem Kelch eine Patene statt Kollaboration mit Deutschland praktizierte, um einer- heute einer Opferschale zur Feier der heiligen Messe. seits in einem neuen Europa deutscher Ordnung die Bei der Gabenbereitung lag darauf die Hostie, die mit Stelle eines Partners einzunehmen und andererseits der Patene hochgehalten wurde. Ebenso wie der möglichst viel Eigenständigkeit für Frankreich zu Kelch wurde auch die Patene vom Bischof mit Chri- retten. Nach dem deutschen Einmarsch in das unbe- sam konsekriert (geweiht). setzte Frankreich im November 1942 stimmte er dem Eintritt von Faschisten in das Kabinett Laval zu und Paul VI. tolerierte die endgültige Ausbildung eines Polizei- Giovanni Battista Montini, geboren am 26.9.1897, staates. So geriet das sich dem Besetzer unterord- Priesterweihe 1920, 1954 Erzbischof von Mailand, nende System bei den Franzosen immer mehr in 1958 Kardinal, am 21.6.1963 Papst Paul VI., gestor- Mißkredit. Die Befreiung zog den endgültigen Zu- ben am 6.8.1978. sammenbruch der Vichyregierung am 20.8. 1944 nach sich. Am 8.9.1944 wurde Marschall Pétain in Pektorale Sigmaringen interniert. Am 26.4.1945 stellte er sich Siehe: Brustkreuz. den französischen Behörden und wurde am 15.8.1945 zum Tode verurteilt. General de Gaulle begnadigte Pesendorfer, Eduard ihn zu lebenslanger Festungshaft auf der Ile d’Yeu. Eduard (Edi) Pesendorfer, geboren am 1.12.1904 in Traunkirchen/Oberösterreich, am 17.6.1938 ins KZ

165 Pfaffe Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 43, S. 7–9. Als Pfaffe (althochdeutsch: Phapho, pfaffo, aus dem griechischen pappas, verwandt mit Pope) bezeichnete Piguet, Gabriel man ursprünglich einen niederen römisch- Bischof Gabriel Emmanuel Joseph Piguet von Cler- katholischen Priester. Seit Martin Luther (1483– mont, geboren am 24.2.1887 in Macon, studierte bei 1546) und der Reformation wird „Pfaffe“ im abfälli- den Jesuiten in Villefranche und wurde am 2.7.1910 gen Sinn gebraucht. in Paris (St. Sulpice) zum Priester und am 27.2.1934 in Autun zum Bischof geweiht; sein Wahlspruch Pfaffenspiegel lautete „Veritatem in caritate – Wahrhaftig in der Otto von Corvin-Wiersbitzki (1812–1886) schrieb Liebe“ (Eph 4,15). Am 11.3.1934 war seine Einfüh- eine kirchenfeindliche Hetzschrift, den Pfaffenspie- rung als Bischof von Clermont. Während der deut- gel, der 1845 erschien. schen Besatzung (1940–1944) setzte er, obwohl Ver- ehrer von Marschall Philippe Pétain (1856–1951), Pfanzelt, Friedrich den Nationalsozialisten seinen Widerstand entgegen. Friedrich Pfanzelt, geboren am 24.8.1881 in Moosen Am 28.5.1944 (Pfingstfest) wurde er in Clermont- an der Vils, Priesterweihe am 29.6.1907, gestorben Ferrand nach dem Pontifikalamt im Bischofskleid am 9.9.1958. Am 30.5.1930 Pfarrer von St. Jakob in von der Gestapo verhaftet und kam über das Gefäng- Dachau. Bis zu seinem Tode lebte er als Stadtpfarrer nis in Clermont-Ferrand und das KZ Natzweiler- (1933), Geistlicher Rat (1941), Dekan (1941), Päpst- Struthof am 6.9.1944 ins KZ Dachau, wo er am licher Hausprälat (1946) und Ehrenbürger (1955) in 25.9.1944 auf Block 26 kam. Am 17.12.1944 weihte Dachau. er dort den deutschen Diakon Karl Leisner zum Prie- ster. Am 22.1.1945 kam er in den „Ehrenbunker“ und Phlegmone am 4.5.1945 wurde er von den Amerikanern auf der Phlegmone ist eine Zellgewebsentzündung, die vor Evakuierungsfahrt vom 24.4.1945 nach Südtirol in allem an den Beinen auftritt. Viele Häftlinge litten Villabassa/Niederdorf befreit. Er starb am 3.7.1952. wegen Unterernährung an dieser Krankheit. Am 22.6.2001 verlieh ihm Yad Vashem postum den Titel eines „Gerechten der Völker“, da er während Pia des Zweiten Weltkrieges (1939–1945) jüdische Kin- Siehe: Eleonore Baur der gerettet hat. Siehe auch: Rundbrief des IKLK Nr. 46. Pierre Pater Pierre Humbert OP, geboren am 27.4.1910 in Piorkowsky, Alex Belleydoux, Er kam am 15.7.1944 ins KZ Neuen- SS-Obersturmbannführer Alex Piorkowsky, geboren gamme, am 22.12.1944 ins KZ Dachau und wurde am 11.10.1904 in Bremen, war vom 19.2.1940 bis am 29.4.1945 befreit. zum 31.8.1942 Kommandant des KZ Dachau. Er wurde dienstenthoben, 1943 aus der SS entlassen und Pies, Otto am 22.10.1948 in Landsberg a. L. gehängt. Dr. Johannes Otto Pies SJ, geboren am 26.4.1901 in Arenberg bei Koblenz, Eintritt in die Gesellschaft Pius XI. Jesu am 14.4.1920, Priesterweihe am 27.8.1930, ge- Achille Ratti, geboren am 31.5.1857, war vom storben am 1.7.1960 in Mainz. Er kam am 2.8.1941 6.2.1922 bis zum 10.2.1939 Papst. Er maß der „Ka- ins KZ Dachau und wurde am 27.3.1945 entlassen. tholischen Aktion“ sehr große Bedeutung bei. Er hat

166 das Christkönigsfest eingeführt. Pontifikale/Pontificale Siehe: Christkönigsfest. Ein Pontifikale ist das liturgische Buch des Bischofs, in dem auch der Ritus der Priesterweihe steht. Pius XII. Eugenio Pacelli, geboren am 2.3.1876 in Rom, 1899 Portatile Priesterweihe, 1917 Bischofsweihe, 1917 Nuntius für Ein Portatile ist eine konsekrierte und mit einem Reli- Bayern, 1920 bis 1929 Nuntius für das Deutsche quiengrab versehene Steinplatte – altare portatile – , Reich, 1929 Kardinal, 1930 Kardinalstaatssekretär, die benötigt wurde, wenn der gesamte Altartisch ab 2.3.1939 Papst Pius XII., gestorben am 9.10.1958. nicht konsekriert war.

Plantage Post im KZ Die Plantage war 1938/39 auf Veranlassung des Schreibtermin im KZ Dachau war im Prinzip jeder Reichsführers SS Heinrich Himmler als Heilkräuter- zweite Sonntag. Die Häftlinge durften nur auf vom kultur angelegt worden. „Deutsche Versuchsanstalt Lager ausgegebenen vorgedruckten DIN A5 Briefbo- für Ernährung und Verpflegung“ war die offizielle gen (drei Seiten à 15 Zeilen) schreiben. Diese offizi- Bezeichnung. Dort arbeiteten oft bis zu 1.000 Häft- elle Post, die durch die Zensur ging, nannte man Ter- linge, 12 Capos und 25 Untercapos besorgten die minbrief. Dieser durfte nur an eine bestimmte Adres- Aufsicht und die Arbeitszuweisung. Die Abteilungen se geschickt werden. Das war für Karl Leisner seine hießen: „Tee- und Gewürzebau“, „Lehrkultur“, „Ge- Familie in Kleve. Wegen der Kriegseinwirkungen müseland“, „sechs Gewächshäuser“, „Freiland I und stand eine Evakuierung bevor; daher schrieb er ab II“ usw. dem 23.9.1944 an seinen Bruder in Berlin, der die Die Plantage entwickelte sich zu einem wichtigen Briefe abschrieb und an Verwandte, Freunde und Be- Produzenten eines Ersatzgewürzes, des „Deutschen kannte weiterleitete. Pfeffers“, und eines Vitamin-C-Konzentrates, das In einem Terminbrief konnte ein „Beibrief“ an nach einem in Dachau entwickelten Verfahrens aus eine andere Person integriert sein. Der Platz für den dort angebauten Gladiolen in relevanten Mengen ge- „Beibrief“ ging jedoch für Nachrichten an die eigene wonnen wurde. Familie „verloren“. Neben den Terminbriefen gab es sogenannte Pluviale „Schwarzbriefe“, die aus dem Lager geschmuggelt Chormantel. und zum Beispiel mit der Post der Besoldungsstelle auf die normale Post gegeben oder durch Mittler Poethen, Heinrich überbracht wurden. In solchen Briefen wurden die Heinrich Poethen hatte eine kleine Druckerei für verdeckten Ausdrücke aus den „offiziellen“ Briefen Totenzettel u. ä. im Garten der Familie Leisner in geklärt. Erreichten die „Schwarzbriefe“ ihr Ziel und Kleve, Flandrische Straße. waren gelesen, wurden sie in der Regel sofort ver- brannt. Pontifikalamt An Soldaten und Arbeitsmännern im Reichsar- Ein Pontifikalamt ist ein feierliches Hochamt eines beitsdienst durften die Häftlinge auch außerhalb des Prälaten, dem Pontifikalien (Stab, Mitra usw.) zuste- 14tägigen Schreibtermins schreiben. Diese Briefe hen. galten als „Feldpost“. Mit Ausnahme von Feldpost durften die Häftlinge auch nur vierzehntägig Post empfangen (vier Seiten à Sam- 167 15 Zeilen). Ein solcher Brief konnte auch ein Sam- Prominentenbunker melbrief (Familienbrief) sein, in den beliebige Per- Siehe: Kommandantur-Arrest. sonen einen Gruß schrieben. Kam ein Brief vor dem „Familienbrief“ an, wurde Proprium letzterer mit dem Vermerk „Schon Post erhalten“ zu- Wechselnde Teile der Eucharistiefeier. rückgeschickt. Pujdo, Stanislaw Potempa, Wiktor Stanislaw Pujdo, geboren am 18.11.1864 in Szajce, Dr. Wiktor Potempa, geboren am 26.5.1887 in Woź- Priester des Bistums Płock/Polen. Er kam am niki, Priester des Bistums Włocławek/Polen, gestor- 1.10.1943 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 ben am 22.6.1942 in Dachau. Er kam am 29.8.1940 befreit. ins KZ Sachsenhausen und am 14.12.1940 ins KZ Dachau. Pullach Siehe: Berchmans-Kolleg. Prabutzki, Paul Paul Prabutzki (Pawel Prabucki), geboren am 3.9. Pyxis 1893 in Iwiczno/Polen, Priesterweihe am 17.6.1923, Behälter für die Custodia oder auch für die Kranken- gestorben am 30.8.1942 am Hungertod. Er kam am kommunion. 15.1.1940 ins KZ Stutthoff bei Danzig, am 10.4.1940 ins KZ Sachsenhausen und wurde dort am 5.8.1940 Radlmair, Virgilia Lagerkaplan. Am 15.12.1940 kam er ins KZ Dachau Siehe: Schwester Maria Virgilia Radlmair. und wurde dort ebenfalls Lagerkaplan bis zum 20.9.1941, als die Polen von der Kapelle ausge- Raimund schlossen wurden. Pater Raimund (Peter) Lohausen SOCist, geboren am 16.(24.)4.1897 in Siegburg, Priesterweihe am Presbyter assistens 14.6.1924, gestorben am 30.1.1948. Er kam am Ein assistierender Priester beim Levitenamt. 25.6.1943 ins KZ Dachau und wurde auf dem Eva- kuierungsmarsch vom 26.4.1945 befreit (entflohen). Presbyterium Der Altarraum einer Kirche, in dem die Priester Raphael, Tijhuis (Presbyter) ihren Platz haben. Bruder Raphael (Bernardus Antonius) Tijhuis OCarm, geboren am 10.10.1913 in Rijssen, Profeß als Priesterhaus Berg Moriah (Simmern) Karmelit in Boxmeer am 30.8.1933, gestorben am Vaterhaus und Zentralhaus des internationalen Säku- 5.6.1981 in Mainz, in Zenderen/Niederlande begra- larinstituts der Schönstatt-Diözesanpriester. ben. Er kam am 13.3.1942 ins KZ Dachau und wurde Laut der Bibel ist Moriah die Gegend, in der am 29.4.1945 befreit. Abraham nach Gen 22.2 seinen Sohn Isaak opfern sollte, vgl. 2 Chr 3,1. Rapportführer Ein Rapportführer, ein SS-Unteroffizier, hatte im KZ Primiz für Ruhe und Ordnung zu sorgen und war verant- Eine Primiz ist die erste Eucharistiefeier, die ein wortlich für die Durchführung der Appelle und den Neupriester in seiner Heimatgemeinde feiert. Zahlenstand der Häftlinge. Ihm unterstanden die SS-

168 Blockführer. Körper der Heiligen und Seligen; im weiteren Sinn sind Reliquien alle Dinge, die die Heiligen oder Redisfeder Seligen während ihres Lebens benützten oder Dinge, Die Redisfeder mit der charakteristischen runden mit denen ihre toten Leiber berührt wurden. Platte an der Spitze schreibt komplett runde Buchsta- ben in gleichmäßiger Stärke, die eine sehr sichere Résistance Strichführung erfordern. Die Résistance war eine durch zivile und militärische Organisationen in Europa geführte Untergrundbewe- Redwitz, Michael gung gegen den deutschen Besetzer während des SS-Hauptsturmführer Michael Redwitz war zur Zeit Zweiten Weltkrieges (1939–1945). In Frankreich von Lagerkommandant Martin Gottfried Weiß wurden die Résistancebewegungen 1943 unter der Schutzhaftlagerführer im KZ. Präsidentschaft von Jean Moulin (1899–1943) im Conseil national de la Résistance (CNR) – Nationaler Reger, Christian Rat des Widerstandes – vereinigt. Durch ihre Aktivi- Der evangelische Geistliche Christian Reger, geboren täten (Nachrichtendienst, Propaganda, Sabotage) hat am 10.3.1905, gestorben am 7.11.1985, kam am die Résistance stark zur Befreiung Frankreichs und 11.7.1941 ins KZ Dachau und wurde am 3.4.1945 zur Unterstützung der Aktion von General Charles de entlassen. Gaulle (1890–1970) beigetragen.

Rehling, Engelbert Revier Pater Engelbert Rehling OMI, geboren am 29.6.1906 Siehe: Gefangenenrevier. in Düpe bei Steinfeld, Ewige Profeß am 1.5.1931 in Hünfeld, Priesterweihe am 9.4.1933 in Hünfeld, ge- Richarz, Hermann storben am 25.11.1976 in Aachen. Er kam am 26.12. Hermann Richarz, geboren am 30.1.1907 in Köln, 1941 ins KZ Dachau und entfloh auf dem Evakuie- Priesterweihe am 24.2.1933 in Köln, gestorben am rungsmarsch am 27.4.1945. 15.7.1985. Er kam am 28.12.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.3.1945 entlassen. Reichsdeutsch Im Deutschen Reich und im Ausland lebende Deut- Riedmatter, Paul sche mit deutscher Staatsangehörigkeit wurden als Dr. Paul Riedmatter, geboren am 1.12.1899 in Col- Reichsdeutsche bezeichnet. mar, Priesterweihe am 29.6.1924 in Speyer, gestor- ben am 9.2.1967. Er kam am 9.2.1944 ins KZ Dachau Reichskonkordat und wurde am 29.4.1945 befreit. Siehe: Konkordat. Rieser, Andreas Reichssicherheitshauptamt - RSHA Der Österreicher Andreas Rieser, geboren am 1.7. Am 27.9.1939 wurden die beiden Polizeiorganisatio- 1908 in Dorfgastein, Priesterweihe am 10.7.1932 in nen (reguläre Polizei und Gestapo) zum Reichssicher- Salzburg, gestorben am 3.3.1966, wurde am 23.6. heitshauptamt (RSHA) zusammengelegt. 1938 verhaftet, kam zunächst ins KZ Dachau, dann ins KZ Buchenwald und am 8.12.1940 wieder ins KZ Reliquie Dachau. Er wurde auf dem Evakuierungsmarsch vom Reliquien im engeren Sinn sind die Überreste der 26.4.1945 befreit.

169 Rindermann, Hans Rösch, Adolf Hans Rindermann, geboren am 10.4.1910 in Grefrath Generalvikar Dr. iur. utr. Dr. theol. h.c. Adolf Rösch, bei Krefeld, Priesterweihe am 16.3.1935 in Aachen, geboren am 31.8.1869 in Veringenstadt, Priester- gestorben am 20.3.1988. Er kam am 7.11.1941 ins weihe am 4.7.1894 in St. Peter/Freiburg, gestorben KZ Dachau und wurde auf dem Evakuierungsmarsch am 2.10.1962 in Freiburg. 1932 Generalvikar, 1946 vom 26.4.1945 befreit. bis 1952 Generalvikar für die Hohenzollerischen Ge- biete der Erzdiözese Freiburg, mit Ausnahme der Se- Ring disvakanz vom 14.2.1948 bis 20.11.1948. Siehe: Bischofsring. Rosenkranz Riquet, Michel Der Rosenkranz gehört zu der in allen großen Reli- Pater Michel Riquet SJ, geboren am 8.9.1898 in gionen beheimateten Familie der Gebetsschnüre. Eine Paris, Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 18.11.1918, Gebetsschnur, an der verschiedene Perlen anein- Priesterweihe 1928, gestorben 1993. Er kam am andergereiht sind, dient dem Abzählen einer be- 6.4.1944 ins KZ Mauthausen, am 1.12.1944 ins KZ stimmten Anzahl von Gebeten. Mit diesen Zahlen Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. werden teils magische, teils symbolische Vorstellun- gen verbunden. Die Zahl 10 zum Beispiel symboli- Rituale siert Vollkommenheit und Harmonie. Psychologisch Ein Rituale ist das liturgische Buch des Priesters für dienen solche Kettengebete der Konzentration (eine die Spendung der Sakramente. Aussage, ein Thema, ein Anruf) und Intensität (Wie- derholungen). Rochett Der Beter des Rosenkranzes betrachtet während Bis zu den Knien reichendes Leinengewand, das des Betens verschiedene Stationen aus dem Leben während liturgischer Handlungen getragen wird, auch Jesu. Chorrock genannt. Roth, Josef Röhm, Ernst Josef Roth, geboren am 2.8.1897 in München, Prie- Ernst Röhm (1887–1934), national-sozialistischer sterweihe am 29.6.1922 in Freising, gestorben am Politiker, 1931 Stabschef der SA, erstrebte eine Ver- 5.7.1941 (ertrunken im Inn), war ein Bruder von Do- schmelzung von SA und Reichswehr. Unter dem minikanerpater Korbinian (Leonhard) Roth (1904– Vorwand, einen Putsch geplant zu haben, wurden er 1960). Bereits nach dem Ersten Weltkrieg (1914– und weitere SA-Führer und andere mißliebige Perso- 1918) fühlte sich Josef Roth vom Nationalsozialis- nen am 30.6.1934 ermordet. mus angezogen. Am 25.4.1936 wurde er zum Mini- sterialrat und Leiter der katholischen Abteilung unter Römer, Heinz Minister Hanns Kerrl ernannt. Später scheint er all- Monsignore Heinz Römer, geboren am 1.3.1913 in mählich seine Agitation gegen die Kirche eingestellt Ludwigshafen, Priesterweihe am 4.7.1937 in Speyer, oder zumindest reduziert zu haben. gestorben am 13.4.1998. Er kam am 21.2.1941 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlassen. Er war Roth, Leonhard der letzte Herausgeber der „Stimmen von Dachau“. Siehe: Pater Korbinian Roth OP.

170 Rovan, Joseph Sanctissimum Professor Joseph Rovan, geboren 1918 in München, Allerheiligstes – Altarssakrament – Eucharistie. gestorben 2004, mußte 1933 nach Frankreich emi- grieren. Dort arbeitete er in der Résistance. 1944 Sarnik, Wŀadysŀaw wurde er verhaftet, ins KZ Dachau eingeliefert und Wŀadysŀaw Sarnik, geboren am 9.2.1912 in Wielka am 29.4.1945 befreit. Wieś. Er kam am 29.8.1940 ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau und wurde am Ruppert, Friedrich 29.4.1945 befreit. Obersturmführer Friedrich Ruppert war vom Lager Natzweiler-Struthof im Elsaß als Nachfolger des Scheider, Franz Schutzhaftlagerführers Michael Redwitz ins KZ Da- Franz Scheider, geboren am 21.5.1901 in Berlin, chau gekommen. gestorben am 30.12. 1965, Priester des Bistums Leitmeritz. Er kam am 16.8.1941 ins KZ Dachau und Rust, Bernhard wurde am 28.3.1945 entlassen. Der Politiker Bernhard Rust, geboren am 30.9.1883 in Hannover, Suizid am 8.5.1945 bei der Nachricht Scheipers, Hermann von der Kapitulation Deutschlands, kam 1925 zur Prälat Hermann Scheipers, geboren am 24.7.1913 in NSDAP und war ab 1930 Mitglied des Reichstages Ochtrup, Priesterweihe am 1.8.1937. Er kam am 28.3. und bis 1940 Gauleiter von Hannover. 1933 war er 1941 ins KZ Dachau und entfloh beim Evakuie- preußischer Unterrichtsminister, 1933 bis 1945 rungsmarsch vom 26.4.1945. Nach dem Zweiten Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Weltkrieg (1939–1945) arbeitete er in der ehemaligen Volksbildung. DDR, seit 1983 lebt er im Bistum Münster. 2003 er- hielten er und seine Zwillingsschwester Anna das SA Bundesverdienstkreuz am Bande wegen ihres uner- Siehe: . schrockenen Einsatzes für Menschenwürde.

SAC Schelling, Georg Die Bezeichnungen für die Pallottiner, 1835 ge- Georg Schelling, geboren am 26.9.1906 in Kuch bei gründet, wechselten: zunächst SAC (Societas Apo- Bregenz/Österreich, Priesterweihe am 29.6.1930, stolatus Catholici – Gesellschaft des katholischen gestorben am 8.12.1981 in Nenzing. 1934 wurde er Apostolates), von 1854 bis 1947 PSM (Pia Societas mit der Redaktion des Vorarlberger Volksblattes Missionum – Fromme Missionsgesellschaft), dann betraut. Am 31.3. 1938 wurde er verhaftet und am wieder SAC. 24.5.1938 ins KZ Dachau gebracht, dort kam er in die Strafkompanie. Am 27.9.1939 kam er ins KZ Bu- Sachsenhausen chenwald und dort ebenfalls in die Strafkompanie. Siehe: KZ Sachsenhausen. Am 8.12.1940 brachte man ihn erneut ins KZ Da- chau. Dort wurde er am 16.(17.)3.1943 Lagerkaplan Salve regina als Nachfolger von Franz Ohnmacht (Linz, 1893– Text siehe: Gotteslob Nr. 570 u. 571. 1954) und ab 1.10. 1944 Lagerdekan. Am 10.4.1945 wurde er aus dem KZ Dachau entlassen. Sammelbrief Siehe: Post im KZ.

171 Scherling, Johannes Pfeiler der Liturgischen Bewegung geschaffen. Johannes Scherling, geboren am 6.10.1914 in Reisch- dorf, Priester des Bistums Leitmeritz. Er kam am Schrammel, Karl 17.10.1941 ins KZ Dachau und wurde am 17.4.1942 Karl Schrammel, geboren am 22.9.1907 in Friedek, entlassen. Priesterweihe am 13.3.1932. Er war ab 1.5.1939 Geistlicher Direktor des Erzbischöflichen Knabense- Schmidt, Karl minars in Freudenthal (Erzbistum Olmütz) und wurde Karl Schmidt SDB, geboren am 2.6.1904 in Zwei- dort am 7.7.1941 verhaftet. Am 16.11.1941 kam er brücken, 1922 Eintritt und erste Profeß am 15.8.1923 ins KZ Dachau, wurde wegen Schwarzpost strafweise in Ensdorf, Priesterweihe am 17.7.1932 in Benedikt- am 4.12.1944 ins KZ Buchenwald überstellt und dort beuern, gestorben am 13.5.1968 in München. Er kam wahrscheinlich am 5.2.1945 erschossen. am 14.12. 1940 aus dem KZ Sachsenhausen ins KZ Dachau und wurde am 10.4.1945 entlassen. Schulz, Wenzel Siehe: Václav Sulc. Schmitz, Richard Richard Schmitz, geboren am 14.12.1885 in Müglitz Schumacher, André (Mohelnice, Tschechische Republik), gestorben am André Schumacher, geboren am 16.9.1908 in 27.4.1954 in Wien, war von 1934 bis 1938 Bürger- Rougemont-le-Château, Priesterweihe am 16.7.1935. meister von Wien. Von 1938 bis 1945 war er inhaf- Er kam am 21.6.1944 ins KZ Dachau und wurde am tiert, danach Generaldirektor des Herold-Verlags. 29.4.1945 befreit.

Schneider, Richard Schuschnigg, Kurt Geistlicher Rat Richard Alois Schneider, geboren am Jurist und Politiker Kurt Schuschnigg, geboren am 5.1.1893 in Hundheim, Priesterweihe am 12.6.1921 14.12.1897 in Riva (Südtirol), gestorben am 18.11. in St. Peter (Schwarzwald/Freiburg), gestorben am 1977 in Mutters (Tirol). Vom 29.7.1934 bis 11.3. 6.9.1987 in Buchen. Er kam am 22.11.1940 ins KZ 1938 Bundeskanzler. Am 11.3.1938 trat er unter star- Dachau und wurde am 29.3.1945 entlassen. kem Druck Nazideutschlands zurück und war bis 1945 inhaftiert. 1948 wanderte er in die USA aus, Schönstatt war von 1948 bis 1967 Professor für Staatsrecht an Schönstatt ist der Gründungsort und internationales der Universität St. Louis und kehrte dann nach Tirol Zentrum der von Pallottinerpater Joseph Kentenich zurück. gegründeten Schönstatt-Bewegung. Schutzhaft Schönstätter Marienschwestern Die Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat Die Schönstätter Marienschwestern wurden 1926 von vom 28.3.1933 verfügte eine polizeiliche Verwah- Pater Joseph Kentenich gegründet. rung einer Person zum eigenen Schutz oder zur Ver- meidung einer unmittelbar bevorstehenden Begehung Schott-Missale einer Straftat. Der Benediktinermönch Anselm Schott (1843–1896), In der „Reichsbrandverordnung“ heißt es: ab 1868 in Beuron, gestorben in Maria Laach, hat mit Die Schutzhaft kann als Zwangsmaßnahme der seinem lateinisch-deutschen „Meßbuch der heiligen Geheimen Staatspolizei zur Abwehr aller volks- Kirche“, kurz „Schott“ genannt, einen tragenden und staatsfeindlichen Bestrebungen gegen Perso-

172 nen angeordnet werden, die durch ihr Verhalten Obersoldat – SS-Soldat. den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden. Schwake, Gregor Die Schutzhaft darf nicht zu Strafzwecken oder Siehe: Pater Gregor Schwake OSB. als Ersatz für Strafhaft angeordnet werden. Straf- bare Handlungen sind durch die Gerichte abzuur- teilen. Schwarzpost – Schwarzbrief Es sind daher Beschränkungen der persönli- Siehe: Post im KZ. chen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäu- ßerung einschließlich der Pressefreiheit, des Ver- Schweizer eins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Siehe: Pater Bonaventura Schweizer. Brief- , Post- , Telegraphen- und Fernsprechge- heimnis, Anordnung von Haussuchungen und von SCJ Beschlagnahmungen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür be- SCJ – Congregatio Sacerdotum a Sacro Corde Jesu – stimmten gesetzlichen Grenzen zulässig. Herz-Jesu-Priester. Die Polizei wurde ermächtigt, politische Gegner ohne gerichtliche Kontrolle unbefristet in „Schutzhaft“ zu SD nehmen. So wurde die „Schutzhaft“ eine vorbeu- Siehe: Sicherheitsdienst. gende Polizeimaßnahme zur Ausschaltung der von „staatsfeindlichen Elementen drohenden Gefahren“. SDB Die SA richtete sofort nach der „Reichsbrandver- SDB – Societas Sancti Francisci Salesii Don Bosco – ordnung“ Konzentrationslager zur Durchführung der Salesianer. „Schutzhaft“ ein. Der kommissarische Polizeipräsi- dent von München Heinrich Himmler eröffnete am SDS 22.3.1933 ein Konzentrationslager in Dachau. Am SDS – Societas Divini Salvatoris – Salvatorianer. 31.7.1933 befanden sich bereits 26.789 Personen in „Schutzhaft“. Seelig, Johann Johann Seelig, geboren am 29.12.1904 in Merlebach, - SS Priesterweihe am 20.7.1930, gestorben am 18.5.1973 1925 zunächst zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers in Rohrbach-Lès-Bitche (Moselle). Er kam am gegründeter Wehrverband der NSDAP, 1926 der SA- 10.4.1943 ins KZ Sachsenhausen, am 28.5.1943 ins Führung (Sturmabteilung) unterstellt, die aber 1934 KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. nach der Ermordung Ernst Röhms völlig an Bedeu- tung verlor. Den SS-Totenkopfverbänden wurden ab Seitz, Friedrich 1934 alle Konzentrationslager unterstellt. Friedrich (Fritz) Seitz, geboren am 28.1.1905 in Die SS hatte folgende Dienstgrade: Mayen, Priesterweihe am 1.7.1928 in Speyer, gestor- Oberstgruppenführer – Obergruppenführer – Grup- ben am 18.3.1949. Er kam am 29.6.1940 ins KZ Da- penführer – Brigadeführer – Oberführer – Standarten- chau, am 16.8.1940 ins KZ Gusen, am 8.12.1940 führer – Obersturmbannführer – Sturmbannführer – wieder ins KZ Dachau und wurde am 28.3.1945 Hauptsturmführer – Obersturmführer – Untersturm- entlassen. führer – Oberjunker – Junker – Sturmscharführer – Hauptscharführer – Oberscharführer – Scharführer – Selhorst Unterscharführer – Rottenführer – Sturmmann – SS- Domkapitular Professor Dr. theol. Heinrich Selhorst,

173 geboren am 3.9.1902 in Geldern, Priesterweihe am gestorben am 31.8.2003 in Ahaus. Am 8.3.1942 12.3.1927 in Münster, gestorben am 20.11.1979 in wurde er an seiner ersten Kaplansstelle in Ahlen ver- Aachen. Er kam am 8.5.1942 ins KZ Dachau und haftet und kam über die Gefängnisse Ahlen und wurde am 27.3.1945 entlassen. Ab 1961 war er resi- Münster am 29.5.1942 ins KZ Dachau und wurde am dierender Domkapitular am Dom zu Aachen. 9.4.1945 entlassen. Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 49, S. 37–41. Sicherheitsdienst - SD Der 1931 unter Leitung von Reinhard Heydrich Soutane (1904–1942) zur Überwachung gegnerischer Parteien Eine Soutane, auch Toga oder Talar genannt, ist ein und Organisationen eingerichtete „I c-Dienst“ erhielt bis zu den Knöcheln reichendes Obergewand der wenig später die Bezeichnung SD des Reichsführers katholischen Geistlichen. SS. 1933 begann der Ausbau unter Heydrich zu ei- nem umfassenden politischen Sicherheitsdienst, der Spießl, Ludwig alle Lebensbereiche überwachen sollte. Ludwig Spießl, geboren am 5.9.1906 in Oberde- schenried, Priesterweihe am 29.6.1932 in Regens- Siefer, Paul burg, gestorben am 23.1.1996. Er kam am 17.2.1940 Der evangelische Geistliche Paul Siefer, geboren am ins KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins KZ Da- 10.2.1903 in Brumat, kam am 22.7.1942 ins KZ chau und wurde am 29.3.1945 entlassen. Dachau und wurde am 3.4.1945 entlassen. Spitzig, Makarius Siegert, Michael Siehe: Pater Makarius Spitzig. Michael Siegert war als SS-Angestellter Verwalter in der Plantage im KZ Dachau. Spötl, Maria Die Malerin und Bildhauerin Maria Spötl (1898– SJ 1953) wurde weltweit bekannt durch die sogenannten SJ – Societas Jesu – Gesellschaft Jesu – Jesuiten. „Spötlbildchen“, kleine bei Kindern und Er- wachsenen beliebte Andachtsbilder. SOCist SOCist – Sacer Ordo Cisterciensis - Zisterzienser SS Siehe: Schutzstaffel Sommet, Jacques Pater Jacques Sommet SJ, geboren am 30.12.1912 in SSCC - Congregatio Sacrorum Cordium Jesu et Lyon, Priesterweihe am 21.12.1946. Er kam am Mariae necnon adorationis perpetuae Ss. Sacramenti 21.6.1944 als Novize ins KZ Dachau und wurde am altaris 29.4.1945 befreit. Er lebt in Paris. Siehe: Arnsteiner Patres.

Sonderhaft SS-Wikinger-Standarte Siehe: Kommandantur-Arrest. Heinrich Himmler war ein Verehrer der Wikinger und benannte eine seiner Divisionen nach ihnen. Die Sonnenschein, Johannes Division Wiking war eine der berühmtesten unter den Johannes Sonnenschein, geboren am 30.5.1912 in SS-Divisionen. An der Ostfront genoß sie höchsten Bocholt, Priesterweihe am 19.12.1936 in Münster, Respekt. Waffen-SS und Rote Armee kämpften

174 äußerst hart gegeneinander. Stephanus Der Diakon Stephanus wird als der Erzmartyrer ver- St. Matthias in Trier ehrt. Vgl. Apg 6,5–7,60. Seit dem 12. Jahrhundert wird in der romanischen Basilika der Benediktinerabtei St. Matthias im Süden Stimmen von Dachau der Stadt Trier das Grab des Apostels Matthias ver- Bald nach der Befreiung aus dem KZ Dachau sam- ehrt. melte unter anderen Caritasdirektor Hans Carls die Akten über Leben und Sterben von Dachaupriestern St. Ottilien und begann mit der Herausgabe der „Stimmen von St. Ottilien ist die oberbayerische Erzabtei der Missi- Dachau“, einer Zeitschrift, in der er die Schicksale onsbenediktiner. seiner Confratres in Dachau schilderte.

Stab Stola Siehe: Bischofsstab. Eine Stola ist ein klerikales Amtszeichen und Teil der liturgischen Gewänder. Stein, Edith Edith Stein (Sr. Teresia Benedicta a Cruce OCD), Strafbunker geboren am 12.10.1891 in Breslau, gestorben am Siehe: Kommandantur-Arrest (KA). 9.8.1942 im KZ Auschwitz, bedeutende katholische Religionsphilosophin, Pädagogin und Ordensfrau Strafkompanie jüdischer Abstammung, am 1.5.1987 seliggespro- Die Häftlinge der Strafkompanie litten an chroni- chen, am 11.10.1998 zur Heiligen erhoben. schem Hunger und vollkommener Erschöpfung. Sie waren bevorzugte Objekte für etliche Schikanen und Steinbock, Johann Mißhandlungen durch die SS und wurden schließlich Johann Steinbock, geboren am 22.6.1909 in St. Agat- meist in ein anderes Lager überführt, in dem sie als ha/Österreich, Priesterweihe am 29.6.1932 in Linz, Neuzugänge erneut massivem Terror ausgesetzt wa- gestorben am 13.5.2004. Er kam am 26.1.1942 ins ren. KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Die Menschen in dieser Strafkompanie arbeiteten geschlossen sehr schwer auf dem Bau oder am Steiner, Heinrich Kanalisationssystem, durften nur einmal im ¼ Jahr Heinrich Steiner, geboren am 25.5.1907 in Hiering- nach Hause schreiben und bekamen weit weniger Essen und Brot. Das Rauchen und die Kantinen- Grieskirchen, Priesterweihe am 29.6.1931 in Linz, besuche waren für sie verboten. Jeglicher Kontakt gestorben am 8.6.1989 in Gallspach. Er kam am zu ihnen war unmöglich. 8.12.1940 ins KZ Dachau und wurde auf dem Eva- (Kašák S. 15.) kuierungsmarsch vom 26.4.1945 befreit. Stube Steinkelderer, Josef Siehe: Baracke. Dr. phil. Josef Steinkelderer, geboren am 20.12.1904 in Innsbruck, Priesterweihe am 26.8.1932, gestorben Stubenältester am 17.6.1972 in Innsbruck. Er kam am 9.11.1939 ins Die Stubenältesten waren Häftlinge und unterstanden KZ Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau dem Blockältesten. Sie sorgten für Ordnung und Sau- und wurde am 28.3.1945 entlassen. berkeit in den Stuben.

175 Stufengebet Tantum ergo Vor der Liturgiereform begann eine Eucharistiefeier Beginn der fünften Strophe des Hymnus „Pange mit Gebeten vor den Stufen des Altares. Dazu gehör- lingua – Besinge Zunge“. Sie ist mit der letzten Stro- ten unter anderem Psalm 42/43 in der Vulgatafassung phe „Tantum ergo“ und „Genitori“ seit dem 15. Jahr- und das Confiteor/Schuldbekenntnis. hundert der Abschluß mit dem sakramentalen Segen nach der Anbetung des Allerheiligsten. Gotteslob Nr. Stundengebet 543 f. Siehe: Brevier. Tarsicius Sturmabteilung - SA Siehe: Tarzisius. 1921 gegründeter nationalsozialistischer Wehrver- band; 1923 nach dem Hitlerputsch verboten, von Tarzisius 1924 bis 1925 unter Ernst Röhm neu organisiert, von Tarzisius, eigentlich Tarsicius, starb als jugendlicher Adolf Hitler (1889–1945) als Terrororganisation Martyrer im 3. Jahrhundert, als er Gefangenen die eingesetzt. Eucharistie brachte. Sein Grab befindet sich in der Callistuskatakombe in Rom. Subdiakon Vor der Liturgiereform war der Zölibat, das Verspre- Tauzière, Pierre Maurice chen der Ehelosigkeit, noch mit der Weihe zum Sub- Pierre Maurice Tauzière, geboren am 7.9.1914 in diakon verbunden. Heute, da es keine Subdiako- Rion-des-Landes. Er kam am 7.7.1944 ins KZ Da- nenweihe mehr gibt, wird der Zölibat bei der Weihe chau und wurde am 29.4.1945 befreit. zum Diakon versprochen. Tedeum – Te Deum Sulc, Václav Dieser Hymnus wird auch „Ambrosianischer Lobge- Frater Cölestinus Václav Sulc, geboren am 24.7.1891 sang“ genannt, weil der Text der Legende nach auf in Mladá Boleslav (Jungbunzlau), Eintritt in den Or- Ambrosius und Augustinus zurückgeht. Dieser feier- den der Barmherzigen Brüder am 17.10.1919, gestor- lichste Lob- , Dank- und Bittgesang hat seinen litur- ben am 2.5.1951 in Brno (Brünn). Er war Metropoli- gischen Platz im Stundengebet der Kirche am Ende tätsprior und Provinzial der Barmherzigen Brüder in der Matutin. Großer Lobpreis, vgl. Gotteslob Nr. 706 der CSSR. Am 26.9.1941 kam er ins KZ Dachau u. 257. (Häftlingsnummer 27717). Dort wirkte er als Kran- kenpfleger bis zur Befreiung und noch darüber hinaus Tenhumberg, Heinrich in den Tuberkulosebaracken und war unter den Kran- Heinrich (Heini) Tenhumberg, geboren am 4.6.1915 ken bekannt unter dem schlichten Namen „Wenzel in Lünten, Priesterweihe am 23.9.1939 in Münster, Schulz, der Barmherzige Bruder aus Praha (Prag)“. 1958 Weihbischof, 1969 Bischof von Münster, ge- storben am 16.9.1979. Siehe: Rundbrief des IKLK Tabernakel Nr. 48. In einer katholischen Kirche Aufbewahrungsort für konsekrierte Hostien (Allerheiligstes). Terminbrief Siehe: Post im KZ. Talar Siehe: Soutane.

176 Teulings, Josef Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Josef Teulings, geboren am 27.9.1894 in ’s-Hertogen- bosch, Priesterweihe im Juni 1919. Er kam am Trenkle, Franz Xaver 2.10.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 Franz Xaver Trenkle war ein gefürchteter Rapport- befreit. führer im KZ Dachau. Er wurde 1946 im sogenannten Dachauer Prozeß zum Tode durch den Strang verur- Thoma, Emil teilt. Emil Thoma, geboren am 26.6.1889 in Freiburg, Priesterweihe am 2.7.1913 in St. Peter/Freiburg, ge- Unsere Liebe Frau storben am 1.8.1957 in Eppingen. Er kam am 12.9. Unsere Liebe Frau, Nostra Domina, Nostra Signora, 1941 ins KZ Dachau und wurde am 28.3.1945 entlas- Notre Dame, Our Blessed Lady und andere sind Be- sen. zeichnungen für die Gottesmutter Maria, die häufig unter diesem Titel verehrt wird. Viele Orden und Thurmann, Horst Kongregationen nennen sich nach Maria „Unsere Der evangelischer Pfarrer Horst Thurmann, geboren Liebe Frau (ULF)“. am 9.8.1911 in Düsseldorf, kam am 2.5.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Unsere Liebe Frau von Dachau So nannten die KZ-Priester die Marienstatue, die sie Tijhuis im April 1943 für die Lagerkapelle bekommen hat- Siehe: Bruder Raphael Tijhuis OCarm. ten.

Titus Urbani, Giovanni Dr. theol. Pater Titus (Anno Sjoerd) Brandsma Giovanni Kardinal Urbani, geboren am 26.3.1900, OCarm, Universitätsprofessor in Nijmegen, geboren Priesterweihe am 24.9.1922, Bischofsweihe am 8.12. am 23.2.1881 in Oegeklooster-Frieland, 1898 Eintritt 1946, 1955 bis 1958 Erzbischof von Verona, am in den Karmel, 1902 Ewige Profeß, Priesterweihe am 15.12.1958 Kardinal, gestorben am 17.9.1969. 17.6.1905 in ’s-Hertogenbosch. Er kam am 19.6.1942 ins KZ Dachau und starb dort nach Angaben von Karl van Gestel, Petrus Leisner am 25.7.1942 (Weiler nennt als offizielles Dr. Petrus van Gestel SJ, geboren am 10.7.1897 in Datum den 26.7.). Vor seiner Deportation ins KZ Woensel, Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 26.9. Dachau war er vom 16.5. bis 13.6.1942 im Gefängnis 1916, Priesterweihe am 15.8.1928, letzte Gelübde am von Kleve. Am 3.11.1985 wurde er in Rom se- 2.2.1934, gestorben am 6.10.1972 in Rom. Er kam liggesprochen. Siehe Rundbrief des IKLK Nr. 44, S. am 27.3.1942 ins KZ Dachau und wurde am 29.4. 73. 1945 befreit. Von 1946 bis 1965 war er Assistent des Generals in Rom. Translatio Überführung. Velum Bezeichnung für verschiedene Tücher und Hüllen. Trausch, Dominik Dominik Trausch, geboren am 21.9.1902 in Sel- Verweyen, Johannes Maria scheid, Priesterweihe am 28.7.1929, gestorben am Professor Dr. phil. Johannes Maria Verweyen, gebo- 11.6.1945 in Wiltz. Er kam am 27.11.1942 ins KZ ren am 11.5.1883 in Till/Kleve, kam am 23.5.1942

177 ins KZ Sachsenhausen und am 7.2.1945 ins KZ Ber- von Faulhaber, Michael gen-Belsen, wo er am 21.3.1945 starb. Siehe: Rund- Dr. Michael von Faulhaber, geboren am 5.3.1869 in brief des IKLK Nr. 38, S. 57–64. Klosterheidenfeld, Priesterweihe am 1.8.1892, gestor- ben am 12.6.1952 in München. 1911 wurde er Bi- Vesper schof von Speyer und wählte den Wahlspruch „Vox Eine Vesper ist das Abendlob im Stundengebet der temporis Vox Dei! – Der Ruf der Zeit ist Gottes Kirche. Ruf!“ 1917 wurde er Erzbischof von München und Freising und 1921 Kardinal. Vierzigstündiges Gebet Die Übung des Vierzigstündigen Gebetes vor dem von Galen, Clemens August ausgesetzten Allerheiligsten hat ihren Ursprung 1527 Dr. theol. h. c. Clemens August Graf von Galen, in Mailand und wurde seit 1553 besonders von den geboren am 16.3.1878 in Dinklage/Oldenburg, von Jesuiten verbreitet. Dieses Gebet soll an die 40 Stun- 1898 bis 1903 Studium der Theologie in Innsbruck, den der Grabesruhe Christi erinnern. Zuerst als An- Priesterweihe am 28.5.1904 in Münster. Von 1906 dacht in Notzeiten gedacht, wurde es bald weiterent- bis 1929 lebte er als Seelsorger in Berlin, 1929 über- wickelt in der Ewigen Anbetung oder, besonders nahm er die Pfarrei St. Lamberti in Münster. 1933 Er- während der Karnevalstage, als Sühneandacht geübt. nennung durch Papst Pius XI. zum Bischof von Mün- ster, Bischofsweihe am 28.10.1933. Die kirchen- Virgilia feindliche Politik der NSDAP verurteilte er öffentlich Schwester Maria Virgilia (Anna) Radlmair, geboren und forderte ein offensives Vorgehen des Episkopats am 10.12.1890, gestorben am 2.2.1963, Eintritt bei gegen das NS-Regime. 1941 hielt er drei Predigten, den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz die sogenannten „Brandpredigten“, in denen er die am 1.2.1915, Einkleidung am 12.3.1915, Profeß März Beschlagnahmung von Kirchengut und die Euthana- 1918. Sie war ab 8.6.1916 Verwaltungsschwester und siemaßnahmen der Nationalsozialisten anprangerte. ab 1944 Oberin im Waldsanatorium Planegg. Sie wurden als Kopien in Deutschland verbreitet und später auch von den Alliierten in Flugblättern aus- Volksdeutsch zugsweise vervielfältigt. Aufgrund seiner mutigen Volksdeutsch war die Bezeichnung für Deutsche, die Kritik am NS-Staat wurde er als „Löwe von Münster“ nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und auch im Ausland bekannt. Am 18.2.1946 wurde er außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von Kardinal. Er starb am 22.3.1946 an einem Blind- 1937 und der Grenzen Österreichs in sogenannten darmdurchbruch. deutschen Sprachinseln oder Streusiedlungen lebten. von Ledóchowski, Wlodimir von Braun, Wilhelm Wlodimir Graf von Ledóchowski, ab 1915 General Pfarrer Wilhelm von Braun, geboren am 13.11. 1883 der Jesuiten, war am 13.12.1942 gestorben. Der neue in Frankfurt/Oder, gestorben am 29.8.1941 im KZ General Johannes Baptist Janssens SJ wurde erst am Buchenwald. Er kam am 17.12.1935 als erster Geist- 15.9.1946 gewählt. licher ins KZ Dachau, am 26.9.1939 ins KZ Buchen- wald, am 15.4.1940 ins KZ Mauthausen, am Vorbach, Berta 15.8.1940 erneut ins KZ Dachau und am 12.7.1941 Siehe: Schwester Maria Theresia von der gekreu- ins KZ Buchenwald. zigten Liebe.

178 Vulgata Walraeve, G. Vulgata editio ist die allgemein gebräuchliche Aus- G. Walraeve war Generalsekretär des Internationalen gabe der Heiligen Schrift in lateinischer Sprache in Dachau-Komitees in Brüssel. der Übersetzung des heiligen Hieronymus (um 347– 420). Walter, Kurt Der evangelische Geistliche Kurt Walter, geboren am Wäckerle, Hilmar 12.11.1892 in Danzig, kam am 17.7.1942 ins KZ Da- SS-Standartenführer Hilmar Wäckerle war Lager- chau und wurde am 3.4.1945 entlassen. kommandant vom 11.4.1933 bis Juni 1933. Er ist im Juli 1941 gefallen. Wampach, Nikolaus Pater Nikolaus Wampach SCJ, geboren am 3.11.1909 Wagner, Albrecht in Bilsdorf. Er kam am 12.9.1941 ins KZ Dachau und Siehe: Pater Albrecht Wagner OSB. starb auf einem Invalidentransport am 8.9.1942.

Währungsreform Wdowiak, Jozef Die zerrüttete Reichsmarkwährung wurde in der Jozef Wdowiak, geboren am 30.9.1916 in Swinna, Währungsreform vom 21.6.1948 in „West-Deutsch- Priesterweihe 1941. Er kam am 20.8.1942 ins KZ land“ durch die Deutsche Mark (DM) Währung ab- Auschwitz, am 17.7. 1943 ins KZ Dachau und wurde gelöst. Politisch wurde die DM-Einführung in den am 29.4.1945 befreit. Westzonen durch die Einführung einer DM Ost in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) durch die So- Wealer, Michael wjetunion beantwortet. So gab es DM West und DM Michael Wealer, geboren am 12.11.1911 in Harlin- Ost. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands gab gen, Priesterweihe am 28.7.1935, gestorben am es nur noch DM. 9.11.1997 in Harlingen. Er kam am 5.2.1944 ins KZ Am 1.1.2002 wurde die DM abgelöst durch den Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Euro (€), das gemeinsame Zahlungsmittel in den mei- sten Ländern der Europäischen Union. 1,00 € = Weiler, Eugen 1,95583 DM. Eugen Weiler, geboren am 26.5.1900 in Baden-Lich- tental, Priesterweihe am 19.3.1926 in Freiburg (St. Waldsanatorium Planegg Peter), gestorben am 4.8.1992. Er kam am 20.10.1942 Diese Heilstätte wurde 1896–1898 vom Verein für ins KZ Dachau und wurde am 11.4.1945 entlassen. Volksheilstätten errichtet. Barmherzige Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul übernahmen das Weinmann, Franz Lungensanatorium, auch Waldsanatorium genannt, Geistlicher Rat Franz Weinmann, geboren am 3.1. und führten es bis zum 30.9.1984. Seitdem leben dort 1909 in Deilingen, Priesterweihe am 30.4.1933 in St. Schwestern im Ruhestand. Seit 1997 ist Planegg als Peter, gestorben am 15.11.1996 in Wittichen. Er kam öffentliches Altenheim anerkannt. Seit Beendigung am 5.6.1942 ins KZ Dachau und wurde am 11.4. der Generalsanierung im Frühjahr 2003 genügt es 1945 entlassen. modernsten Ansprüchen. Das Heim, in dem sich Or- densschwestern und weltliche Mitarbeiter die Arbeit Weiß, Martin Gottfried teilen, bietet Platz für insgesamt 86 Personen. SS-Obersturmbannführer Martin Gottfried Weiß, geboren am 3.6.1905 in Weiden, war vom 1.9.1942

179 bis 30.9.1943 Lagerkommandant des KZ Dachau. Er Wiking wurde am 26.5. 1946 in Landsberg a. L. gehängt. Siehe: SS-Wikinger-Standarte.

Weiter, Eduard Windgasse, Willi Eduard Weiter war Lagerkommandant vom 1.10. Der evangelische Geistliche Willi Windgasse, gebo- 1943 bis 26.4.1945. ren am 22.4.1887 in Wiesbaden, kam am 23.7.1943 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. Wendel, Joseph Dr. phil. et Dr. theol. Joseph Kardinal Wendel, gebo- Wöß, Franz ren am 27.5. 1901 in Blieskastel (Saarland), Priester- Franz Wöß, geboren am 16.11.1880 in Aigen, Prie- weihe am 30.10.1927 in Rom, 1941 Bischofs-Coad- sterweihe am 29.7.1906 in Linz, gestorben am jutor von Speyer, am 20.5.1943 Übernahme des Bi- 27.10.1960 in St. Peter am Wimberg. Er kam am stums, 1952 Erzbischof von München und Freising, 2.7.1938 ins KZ Dachau, wurde am 19.11.1938 ent- 1953 Kardinal, gestorben am 31.12.1960 in Mün- lassen, kam ins Gefängnis von Linz, am 25.9.1941 chen. wieder ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 be- freit. Wernicke, Albert Laut Johann Lenz (S. 306) war der KZ-Häftling Al- Würl, Siegfried bert Wernicke „aus Berlin, ein gottloser Bursche aus Siegfried Würl, geboren am 19.2.1894 in Kennel- dem Zuhälterkreis des berüchtigten Horst Wessel bach, Priesterweihe am 12.5.1918, gestorben am [1907–1930]“. Er wurde auch Lagerjudas genannt. 30.5.1971 in Tösens. Er kam am 7.11.1939 ins KZ Nach der Befreiung wurde er von den Amerikanern Sachsenhausen, am 14.12.1940 ins KZ Dachau und erschossen. wurde am 29.4.1945 befreit.

Wiedemann, Josef Zámečník, Stanislav Architekt Prof. Dr. Josef Wiedemann (1910–2001) Stanislav Zámečník, geboren am 12.11.1922 in Niv- von der TU München war von Johannes Neuhäusler nice/Mähren, wurde wegen Widerstandstätigkeit mit der Planung des Karmelklosters beauftragt wor- gegen die deutsche Besatzung als Siebzehnjähriger den. Von Wiedemann stammte bereits 1960 der verhaftet und kam nach seiner Inhaftierung in mehre- Entwurf zur Todesangst-Christi-Kapelle. ren Gefängnissen im Februar 1941 ins KZ Dachau. Er arbeitete als Krankenpfleger im Krankenrevier. Am Wieland, Johanna 29.4.1945 wurde er befreit. Johanna Wieland, geborene Pies, geboren am 1.3. 1898 in Arenberg/Koblenz, gestorben am 1.9.1958. Zelebrieren, Zelebrant Zelebrieren, lateinisch celebrare - feiern. Der Zele- Wienken, Heinrich brant ist der die Messe feiernde Priester. Die Formu- Heinrich Wienken, geboren am 14.2.1883 in Clop- lierungen für dieses Tun haben sich im Laufe der Zeit penburg, Priesterweihe am 5.6.1909, Bischofsweihe sehr verändert. Während früher ein Priester die Messe am 11.4.1937 in Münster durch die Bischöfe Clemens las und die Gläubigen sie hörten, steht heute ein August Graf von Galen und Konrad Graf Preysing als Priester der Eucharistiefeier vor oder leitet sie, und Koadjutor des Bischofs von Meißen, gestorben am von den Mitfeiernden übernehmen manche eine litur- 21.1.1961 in Berlin. gische Aufgabe.

180 Zeremoniar am 14.8.1892 in Drehnow. Er kam am 19.12.1943 ins Ein Zeremoniar oder auch Zeremonienmeister ist der KZ Dachau und wurde auf dem Evakuierungsmarsch mit der Vorbereitung und Leitung einer liturgischen vom 26.4.1945 befreit. Funktion betraute Kleriker, der für eine Bischofskir- che vorgeschrieben ist. Zuber, Franz Der Österreicher Franz Zuber, geboren am 8.9.1916 Zeuch, Franz in Eggenburg, kam am 11.7.1942 ins KZ Dachau und Pfarrer Franz Zeuch, geboren am 15.11.1883 in Küll- hat als Pfleger im Revier auch Karl Leisner gepflegt. stedt/Eichsfeld, Priesterweihe am 25.7.1910 in Pa- Er wurde am 29.4.1945 befreit. derborn, gestorben am 7.11.1964 in Lichtenfels/ Oberfranken. Er kam am 14.12.1940 ins KZ Dachau Zum Beispiel Dachau und wurde am 18.3.1941 entlassen. Der Verein „Zum Beispiel Dachau“ – Arbeitsgemein- schaft zur Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte Ziborium e.V. wurde 1981 gegründet. Als Ziel formulierten die Kelch für konsekrierte Hostien. Gründer des Vereins: „Es geht nicht darum, eine Stadt als Standort eines nationalsozialistischen Kon- Zill, Egon zentrationslagers zu verdammen oder zu verteidigen, Hauptsturmführer Egon Zill, ehemaliger Bäckermei- sondern darum, nach Ursachen und Strukturen zu su- ster, wird als roh und ordinär beschrieben. Er war chen, die diese totalitäre Herrschaft ermöglichten und Schutzhaftlagerführer im KZ Dachau bis zum anderswo in ähnlicher Form heute noch möglich ma- 3.1.1942 und wurde 1945 zu lebenslänglich und 15 chen. In diesem Sinne will die Arbeitsgemeinschaft Jahren Zuchthaus verurteilt. Er ist 1974 in Dachau die Rolle Dachaus vor und während des Nationalso- gestorben. zialismus beleuchten, den damaligen Alltag der Bür- ger kennenlernen und erforschen, sich mit dem Leben Zilliken, Josef und Leiden der KZ-Häftlinge und dem Verhalten der Josef Zilliken, geboren am 17.9.1872 in Mayen, ‚Dachauer’ SS beschäftigen und das Verhältnis Stadt Priesterweihe am 26.3.1898 in Trier. Er kam am – KZ herausarbeiten.“ 14.12.1940 ins KZ Dachau und starb dort am 3.10.1942.

Zingulum Ein Zingulum/Cingulum ist ein Gürtel zum Schürzen der Albe.

Zippel, Friedrich Der evangelische Geistliche Friedrich Zippel, gebo- ren am 25.10.1887 in Altenroda, kam am 13.6.1941 ins KZ Dachau und wurde am 3.4.1945 entlassen. zu Löwenstein-Wertheim, Alban Prinz Alban zu Löwenstein-Wertheim OFM, geboren

181 Joseph Lodde – Christ und Priester in der Gemeinde im Nationalsozialismus

das Gymnasium Paulinum.478 Sein Vater war von Beruf Bauunternehmer. Nach dem Abitur 1898 stu-

Chronik der St. Lamberti-Pfarrgemeinde zu Coesfeld (zit.: Chronik I und Chronik II). Kuropka, Joachim, Meldungen aus Münster 1924–1944; geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliede- rungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesell- schaftliche Situation in Münster. Münster 1992. Hörnemann, Daniel, Das Coesfelder Kreuz, Münster 2000 (zit.: Hörnemann). Für das Zustandekommen dieses Artikels ist beson- ders Frau Christa Bockholt zu danken, die die Texte aus der Pfarrchronik von St. Lamberti in Coesfeld abgeschrieben hat, und Herrn Norbert Damberg, dem Leiter des Stadtarchivs Coesfeld, der offengebliebene Fragen recherchiert hat, die ich nicht beantworten Joseph Lodde477 wurde am 26. Januar 1879 im konnte. Darüber hinaus gaben mir viele Personen einzelne Auskünfte, zum Beispiel Herr Hubert Rü- westfälischen Münster geboren und besuchte dort ping, der Dechant Lodde aus eigenem Erleben kennt. Ist zu Personen nichts angemerkt, so konnte diesbe- züglich, zum Teil auch aus Datenschutzgründen, 477 Die Ausführungen beruhen auf: nichts ermittelt werden. Personalbogen Joseph Lodde, Diözesanarchiv 478 Das Paulinum wurde 797 vom ersten Bischof von Münster. Münster, dem heiligen Ludgerus (um 742–26.3.809), Gedenkzettel für Joseph Lodde zum 25. Jah- als Domschule/Klosterschule gegründet. Ihr Haupt- restag seines Todes. ziel war zunächst die Ausbildung zukünftiger Prie- Brandt Hans-Jürgen; Heiger, Peter (Hg.), Bi- ster. Im Laufe der Jahrhunderte öffnete sie sich aber bliographisches Lexikon der Katholischen Mili- mehr und mehr allen Jugendlichen. Die allgemeine tärseelsorge Deutschlands 1848–1945, Paderborn mittelalterliche Studienordnung wurde zur Zeit des 2002. Humanismus durch die Sprachen Griechisch und He- Christian Frieling. Priester aus dem Bistum bräisch erweitert. Ab dem 16. Jahrhundert wurde die Münster im KZ, Münster 1992, S. 127–129; Schule durch die Jesuiten (1588–1773) und im 18. Quellen siehe dort. Siehe dazu auch: Helmut Jahrhundert zur Zeit der Aufklärung durch die neue Moll, Zeugen für Christus: das deutsche Marty- Schulordnung des Generalvikars Franz Wilhelm von rologium des 20. Jahrhunderts. Paderborn 1999, Fürstenberg (1729–1810), besonders geprägt. In der S. 439–441. Stadt Münster war sie das katholische humanistische

181 dierte er Theologie in Münster. Nach den Niederen wurde er am 15. März 1927 zum Pfarrdechanten Weihen479 am 23. Mai 1902 empfing er am 10. Au- und Standortpfarrer von Coesfeld, St. Lamberti, er- gust 1902 die Subdiakonenweihe und am 20. De- nannt. Hier wirkte er lange Jahre, allerdings ist über zember 1902 die Diakonenweihe in Münster, und diese Zeit nur wenig bekannt. Einiges läßt sich der wurde am 6. Juni 1903 im Dom zu Münster zum Pfarrchronik entnehmen: Priester geweiht. Seine ersten Anstellungen führten Wir beginnen im Namen des dreifaltigen Gottes ihn am 18. August 1903 nach St. Laurentius in und schreiben ab 12. Juni 1927, dem Feste der Warendorf, wo er drei Jahre wirkte, bis er am 21. heiligsten Dreifaltigkeit, die Historia der St. Lam- März 1906 zum Kaplan in St. Anton in Herten bertigemeinde zu Coesfeld in Westfalen. Zu die- bestellt wurde. Dort war er bis zum Kriegsbeginn ser Zeit zählte die St. Lambertigemeinde 7.023 Katholiken, für die die Geistlichen: Lodde, Jo- 1914 tätig. seph aus Münster, Pfarrdechant, geboren 26. Der Erste Weltkrieg (1914–1918) prägte ihn Januar 1879, zum Priester geweiht 6. Juni 1903, deutlich. Er war als Feldgeistlicher eingesetzt, da- zum Pfarrdechant an Lamberti ernannt 15. März von drei lange Winter in Rußland. In der seelsorg- 1927, [und viele andere] tätig waren.480 lichen Betreuung der verwundeten Soldaten kannte Die Pfarrchronik läßt deutlich erkennen, daß ab er keine Gefahren. In dieser Aufgabe hatte er sich 1933 mit dem Nationalsozialismus etwas Neues offensichtlich in den Augen seiner Vorgesetzten und anderes als bisher in Deutschland begann, ob- bewährt: Hochdekoriert mit dem Eisernen Kreuz I. wohl es kirchlich gesehen ein „Heiliges Jahr“ sein und II. Klasse kehrte er in die Diözese Münster sollte. zurück. Die Neigung zum militärisch Geordneten Das Jahr 1933 sollte nach der Weihnachtsbot- 481 war ihm geblieben; seine daraus resultierende hohe schaft des Heiligen Vaters [Pius XI. ] ein Heili- Selbsteinschätzung wurde ihm später zum Ver- ges Jahr sein, ein Jubiläumsjahr, weil 1900 Jah- hängnis. re seit dem Tode unseres Erlösers verflossen sind.482 Ab 19. Februar 1919 war Joseph Lodde als Vi- Zur Eröffnung des heiligen Jahres fand am kar in Gladbeck, St. Lamberti, tätig. Schließlich Nachmittag des Karfreitages ein Männerbuß- gang über den Großen Kreuzweg[483] statt. An Gymnasium. Nach 1803 wurde sie staatliches Gym- nasium und 1974 Städtisches Gymnasium der Stadt 480 Chronik I, S. 1. Münster. Seit 1978 ist es ein Städtisches Gymnasium 481 Achille Ratti, geboren am 31.5.1857, war vom für Jungen und Mädchen. 6.2.1922 bis zum 10.2.1939 Papst. Er maß der „Ka- In: Schola Paulina Nr. 49, Münster, Januar 1991. tholischen Aktion“ sehr große Bedeutung bei. In der S. 25 f., erschien der Artikel „Erinnerungen an De- Enzyklika „Divini Redemptoris“ in lateinischer Spra- chant Joseph Lodde“ von Bernhard Hörbelt. che vom 19.3.1937 mit dem Untertitel „Über den 479 Vor der Liturgiereform gab es für die Männer, die atheistischen Kommunismus“ führte er seine Gedan- Priester werden wollten, vier Niedere Weihen: Ostia- ken gegen den atheistischen Kommunismus und über rier (Türhüter/Pfortendienst), Lektor (Vorleser), Ex- die Katholische Aktion näher aus. orzist (Teufelsbeschwörer/Amt der Befreiung von der 482 Chronik I, S. 46. Gewalt des bösen Feindes) und Akolyth (Altardie- 483 Der Große Kreuzweg in Coesfeld, der Weg der gro- ner/Gehilfe des Subdiakons). ßen Kreuztracht, erstreckt sich über 12 km.

182 der Kleinen Kapelle[484] hielt Dr. Burlage[485] als gehalten, um Gottes Schutz und Segen auf Präses der Sodalität[486] die letzte Fastenpredigt. Deutschland und sein wirtschaftliches Aufblühen Nach Rückkehr in die Kirche wurde mit dem herabzuflehen. Die Fahnendeputationen der Kreuzpartikel der Segen gespendet. Das heilige hiesigen katholischen Vereine hatten auf dem Kreuz wurde ohne Schmuck mitgetragen. Der Chore Aufstellung genommen. Die Kirche war übliche Große Kreuzweg der Sodalität am Grün- bis auf den letzten Platz gefüllt, da sich jeder Ka- donnerstag fiel aus. Der Bußgang dauerte von tholik bewußt war, daß sich eine nationale und 13.00 bis 16.30 Uhr. Mehrere tausend Männer wirtschaftliche Erhebung des Vaterlandes nur nahmen daran teil.487 mit einer Erhebung des Herzens zu Gott verwirk- Mai 1933. Im neuen Deutschland vom 30. lichen ließ. In dem Festzuge durch die Straßen Januar 1933 war auf Anordnung der Reichsre- der Stadt zogen auch die katholischen Vereine gierung unter Führung des Reichskanzlers Adolf mit. An ihren Fahnen hatten sie die Ha- Hitler[488] der 1. Mai zum „Festtag der Nationalen kenkreuzwimpel anbringen lassen müssen.490 Arbeit“ erhoben worden. Bischöflicher Weisung Schon bald tauchen erste Schwierigkeiten mit den entsprechend wurde an diesem Tage um 8.00 neuen Machthabern auf, die Joseph Lodde gewiß [489] Uhr ein feierliches Levitenhochamt coram ex- nicht unberührt ließen: posito [vor ausgesetztem Allerheiligsten] ab- Juli 1933. Im Laufe des 4. Juli war der Coesfel- der S.A.-Führung[491] von uns unbekannter Seite 484 Am 20.8.1659 legte Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (1606–1678) den Grundstein der Kleinen Kapelle und weihte sie dem heiligen Maximus. Nach 490 Chronik I, S. 49 f. der Übertragung von dessen Gebeinen in den Dom zu 491 Sturmabteilung (SA), 1921 gegründeter national- Münster, wurde die Kapelle dem heiligen Joseph ge- sozialistischer Wehrverband; 1923 nach dem Hitler- weiht. Putsch verboten, von 1924 bis 1925 unter Ernst 485 Dr. phil. Heinrich Burlage-Koppernagel, geboren am Röhm neu organisiert, von Adolf Hitler als Terroror- 23.11.1890 in Westbevern, Priesterweihe am 29.5. ganisation eingesetzt. 1915 in Münster, gestorben am 11.9.1955, war da- Am 4.11.1923 hatte das Politbüro der Kommuni- mals Studienrat am Gymnasium in Coesfeld. stischen Partei der Sowjetunion in Moskau beschlos- 486 Katholische Bruderschaft, deren Mitglieder sich sen, am 9.11.1923, dem 5. Jahrestag der deutschen Sodalen nennen. Novemberrevolution von 1918, solle sich das deut- 487 Chronik I, S. 48 f. sche Proletariat als Auftakt zu einer Weltrevolution 488 Adolf Hitler, geboren am 20.4.1889 in Braunau am erheben. Schon am 23.10.1923 erprobten 300 Kom- Inn, beging am 30.4.1945 mit seiner Frau Eva Braun, munisten in Hamburg den Aufstand, der aber schnell geboren am 6.2.1912 in München, Selbstmord in Ber- zu Ende ging. lin. Im Herbst 1923 war die innenpolitische Lage in 489 Einem Priester assistierten vor der Liturgiereform bei Deutschland äußerst kritisch. Die Inflation hatte ihren der Feier der Eucharistie als Leviten ein Diakon und Höhepunkt erreicht, französische Truppen hielten das ein Subdiakon; meistens waren es Priester, die diese Rheinland besetzt. Nach gescheiterten kommunisti- Rolle übernahmen. Da der zeitliche Abstand zwi- schen Aufstandsversuchen in Hamburg und Mittel- schen der Weihe zum Subdiakon und der zum Diakon deutschland im Oktober versuchte die NSDAP den nur wenige Tage betrug, gab es bei einem Levitenamt italienischen Faschisten Benito Mussolini (1883– selten echte Subdiakone, eher schon Diakone. 1945) nachzuahmen und in Deutschland eine Diktatur

183 mitgeteilt worden, daß im Gesellenhause[492] gen 21.00 Uhr zum Tatort. Der Präses des Ge- „staatsfeindliche Schriften“ aufbewahrt würden. sellenvereins Vicar Bitter[495] wurde von zwei (Es handelte sich um Vereinszeitschriften älte- S.A.-Leuten aus der Wohnung zum Gesellen- ren Datums aus der Wahlzeit.) Daraufhin wurde hause geholt. Drei Vorstandsmitglieder: Vize- am Abend das Gesellenhaus von S.A.-Männern präses Lehrer Heinrich Koke[496], Senior Anton besetzt und durchsucht. Im Verlauf der Aktion, Geschermann und Geschäftsführer Wilhelm die sich schnell herumgesprochen hatte, „soll“ Sasse[497] wurden zur Sicherung ihrer Person in es zu Menschenansammlungen gekommen Schutzhaft[498] genommen und zum Walken- sein, die gegen das Gesellenhaus Stellung ge- brückenturm[499] gebracht. Das Gesellenhaus nommen und Entrüstungsrufe zum Ausdruck wurde geschlossen und von S.A.-Leuten be- gebracht haben sollen. Hiervon unterrichtet, eilte wacht, die gefährlichen Schriften beschlag- [493] [494] der Kreisleiter der N.S.D.A.P. Becker ge- partei hervorgegangen, die am 5.1.1919 in München zu errichten. Der „Führer“ der NSDAP Adolf Hitler gegründet wurde und der Adolf Hitler am 16.9.1919 erklärte am Abend des 8.11.1923 auf einer Kundge- beitrat. bung im Münchner Bürgerbräukeller die bayerische 494 Heinrich Becker, gestorben im April 1934. Regierung, die Reichsregierung und den Reichspräsi- 495 Bernhard Bitter, geboren am 31.12.1892 in Nordkir- denten für abgesetzt. chen, Priesterweihe am 18.12.1920 in Münster, ge- Einen Tag später zogen die bewaffneten Putschi- storben am 17.8.1945. Von 1930 bis 1935 war er Ka- sten durch die Münchner Innenstadt. Polizeieinheiten plan in Coesfeld St. Lamberti. lösten die Demonstration an der Münchener Feld- 496 Heinrich Koke, geboren am 3.8.1890 in Liesborn, herrnhalle mit Waffengewalt auf. Dabei gab es 16 gestorben am 16.12.1969 in Coesfeld. Tote unter den Demonstranten und vier unter den Po- 497 Bäckermeister Wilhelm Sasse, geboren am 12.12. lizisten. Adolf Hitler und einige seiner Anhänger 1904 in Coesfeld, gestorben am 21.3.1945 in Coes- wurden verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. feld. Hitler selbst wurde zur Mindeststrafe von fünf Jahren 498 Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat vom verurteilt, aber nach knapp einem Jahr aus der Fe- 28.3.1933. Polizeiliche Verwahrung einer Person stungshaft in Landsberg entlassen. zum eigenen Schutz oder zur Vermeidung einer un- Ernst Röhm (1887–1934), national-sozialistischer mittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat. Politiker, 1931 Stabschef der SA, strebte eine Ver- § 1 der Bestimmungen lautete: schmelzung von SA und Reichswehr an. Unter dem Die Schutzhaft kann als Zwangsmaßnahme der Vorwand, einen Putsch („Röhm-Putsch“) geplant zu Geheimen Staatspolizei zur Abwehr aller volks- haben, wurden er sowie andere SA-Führer und wei- und staatsfeindlichen Bestrebungen gegen Perso- tere mißliebige Personen am 30.6.1934 ermordet. nen angeordnet werden, die durch ihr Verhalten 492 Der Vorgänger des Kolpinghauses diente den Gesel- den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden. len der verschiedenen Handwerksberufe als Treff- Die Schutzhaft darf nicht zu Strafzwecken oder und Unterkunftshaus. Der Namenswechsel von Ge- als Ersatz für Strafhaft angeordnet werden. Straf- sellenverein in Kolpingsfamilie war vor allem aus po- bare Handlungen sind durch die Gerichte abzuur- litischen Gründen schon 1933 erfolgt. Der Na- teilen. menswechsel in Kolpingverein fand 1953 statt. 499 Der Walkenbrückenturm, eines der Wahrzeichen der 493 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Stadt Coesfeld, ist Bestandteil einer ehemaligen Fes- (NSDAP), am 1.3.1920 aus der Deutschen Arbeiter- tung und diente damals als Gefängnis.

184 nahmt. Beim Vizepräses wurde außerdem noch Hochwürdigsten Herrn Kardinal Bertram[502] von eine Haussuchung vorgenommen, aber darauf- Breslau geschrieben hat: „daß bezüglich der ka- hin der Vizepräses aus der Schutzhaft entlas- tholischen Verbände, soweit solche Verbände sen. Die beiden anderen Vorstandsmitglieder keine parteipolitischen, dem jetzigen Regiment blieben bis Mittwoch in Schutzhaft. Dann wurde feindliche Tendenzen pflegen, auch keine Ab- auch das Gesellenhaus wieder frei gegeben.500 sicht besteht, gegen Sie vorzugehen. Die Regie- Im August 1933 wurde in Coesfeld ein Arbeits- rung wünscht nicht mit den beiden Kirchen dienst errichtet. Deutschlands Konflikte, sondern ein aufrichtiges Zusammenarbeiten zum Nutzen des Staates so- August 1933. Ein Arbeitsdienstlager wurde vom 503 Kreise Coesfeld in unserer Pfarrei bei der Wirt- wohl als auch zum Nutzen der Kirchen.“ schaft Reddemann errichtet; die religiöse Be- Trotz gewisser Behinderungen durch die National- treuung dieses Lagers (d. i. seiner Insassen) sozialisten fand in Coesfeld und Umgebung seel- wurde den Geistlichen nicht gestattet.501 sorgliche Arbeit statt. Der Arbeitsdienst war ein von staatlichen Stellen Januar 1934. Die Stadthalle war überfüllt. Da die geleiteter gemeinnütziger Arbeitseinsatz größerer Veranstaltung neben ihrem idealen Zweck auch Gruppen, vor allem Jugendlicher. Einen freiwilli- einer echtfamiliären Unterhaltung dienen sollte, gen Arbeitsdienst (FAD) gab es von 1930 bis 1940 war für ein reichhaltiges Programm gesorgt wor- in mehreren Ländern Europas und in den USA, in den, bei dem die verschiedenen kirchlichen Ver- Deutschland galt er als Vorstufe für den allgemei- eine in edlem Wettstreite zusammenwirkten. Der Herr Dechant Lodde machte verschiedene Mit- nen Reichsarbeitsdienst (RAD). Hier bestand ab teilungen. Die Große[504] und Kleine Kapelle des 1935 die Verpflichtung für Jugendliche von 18 bis Großen Kreuzweges sollten in diesem Jahre in 25 Jahren zu sechs Monaten Reichsarbeitsdienst, stilgerechter Weise neu instand gesetzt werden. der der vormilitärischen Ausbildung diente. Für den inneren Schmuck unserer Kirche sei ein Der Einfluß des Nationalsozialismus wirkte sich neues silbernes „Ewiges Licht“ in Bearbeitung auch auf die katholischen Verbände aus. und würde zu Ostern aufgehängt werden. Hin- Die Mitgliederzahl besonders unserer kirchlichen männlichen Vereine hat eine kleine Einbuße er- litten durch das Wachsen der staatlichen Ver- 502 Adolf Johannes Bertram, geboren am 14.3.1859 in bände. Jedenfalls war es noch möglich, Ver- Hildesheim, Priesterweihe am 31.7.1881 in Würz- einsversammlungen, Weihnachtsfeiern, Thea- burg, gestorben am 6.7.1945 auf Schloß Johannes- teraufführungen auf breiterer Basis abzuhalten. berg. Er wurde 1894 Domherr, 1905 Generalvikar, Man hatte schon um den Bestand der katholi- am 15.8.1906 Bischof von Hildesheim, am 28.10. schen Vereine gefürchtet. Aber der Staat will 1914 Fürstbischof von Breslau, 1916 Kardinal und ab sich ja an das Wort des Reichskanzlers Adolf 1919 Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz. Hitler halten, das er am 28. April 1933 an den 503 Chronik I, S. 56 f. 504 Am 20.8.1659 legte Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen (1606–1678) den Grundstein der Großen Kapelle, die aber erst 1666 als „Marienkapelle auf dem Brink“ fertiggestellt wurde. Außen barock, hatte 500 Chronik I, S. 52. sie im Inneren ein Sternengewölbe gotischer Prägung. 501 Chronik I, S. 53. Sie wurde 1976 gesamtrestauriert.

185 sichtlich der Coesfelder Kreuzverehrung brachte Pater Pius O.S.B.[508] gehalten wurde, schloß Dechant Lodde den Brief eines Kaufmanns aus abends im Gesellenhause mit einer Festrede Witten zur Kenntnis, worin dieser mitteilt, daß er des Reichspräses der Gesellenvereine Dr. Nat- seit seinem 8. Lebensjahre an einem Ohrenlei- termann[509]: Mit Kolpingsgeist ins neue Deutsch- den gelitten habe. Trotz aller ärztlichen Versu- land. Gesellenvereinsfahnen und Fahnen des che habe er bisher keine Heilung gefunden. In neuen Deutschlands schmückten den Saal. Am der Pfingstwoche 1933 habe er sich an der Ver- Schluß der Feier sang man stehend das ehrung des Coesfelder Kreuzes[505] beteiligt und Deutschland[510]- und Horst-Wessel-Lied[511].512 dem schönen alten Brauch der Coesfelder [...] Kreuzverehrer folgend, habe er die Füße des Kruzifixes mit seinem Tuche berührt und dann 508 Abt Pius Buddenborg OSB, geboren am 7.12.1902, damit seine kranken Ohren berührt. Seit jener Profeß am 7.9.1924, Priesterweihe am 25.7.1929, Zeit habe sein altes Ohrenleiden sich plötzlich 506 Abtweihe am 11.11.1948, gestorben am 3.10.1987. und völlig gebessert. [...] 509 Dr. Johannes Christian Nattermann, geboren am 13.2. Am 11. März [1934] fand eine erwähnens- 1889 in Essen, Priesterweihe am 10.8.1912 in Köln, werte Kundgebung des katholischen Gesellen- gestorben am 6.9.1962. Er war von 1920 bis 1934 vereins statt. Dieser Tag, der als Einkehrtag in [507] Generalsekretär des Katholischen Gesellenvereines Gerleve von 178 Gesellen unter Leitung von (KGV). Generalpräses ab 1924 war Theodor Hürt (1877–1944). 1933 erfolgte die Bildung einer Reichs- 505 Der größte Schatz in der Lambertikirche ist das Coes- führung sowie die zentrale Mitgliedererfassung. felder Kreuz, ein gotisches Gabelkreuz aus dem 14. 510 Deutschlandlied Jahrhundert mit dem Korpus des leidenden Christus, 1. Deutschland, Deutschland über alles, über alles der die Not und den Schrecken der damaligen Zeit in der Welt, wenn es stets zu Schutz und Trutze widerspiegelt, in der die Menschen von Mißernten, brüderlich zusammenhält, von der Maas bis an die Hunger und Pest heimgesucht wurden. Memel, von der Etsch bis an den Belt, Deutsch- land, Deutschland über alles, über alles in der 506 Chronik I, S. 57 f. 507 Welt. Benediktinerkloster St. Joseph, nahe Coesfeld. Die 2. Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher drei Geschwister Wermelt wollten auf ihrem Grund Wein und deutscher Sang sollen in der Welt be- zwischen Billerbeck und Coesfeld ein Benediktiner- halten ihren alten schönen Klang, uns zu edler Tat kloster wachsen lassen. 1899 plante der Architekt Pa- begeistern unser ganzes Leben lang. Deutsche ter Ludger Rincklake aus Maria Laach dessen Bau. Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und Es wurde dem heiligen Joseph anvertraut, aber der in deutscher Sang. der Gegend als Hausname bekannte Name „Gerleve“ 3. Einigkeit und Recht und Freiheit für das deut- sche Vaterland! Danach laßt uns alle streben brü- setzte sich durch. Gründungstag des Klosters war der derlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht 19.9.1899. Am 7.7.1901 fand die Grundsteinlegung und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Blüh im statt und am Herz-Jesu-Fest, dem 10.6.1904, begann Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vater- das Chorgebet in der neu erbauten Kirche. land! Während die Mönche früher vorwiegend auf Rü- Text: Hoffmann von Fallersleben, 1841; Weise: Jo- benfeldern arbeiteten, wirken sie heute im Exerzitien- seph Hayden, 1797. Bis zum Ende des Zweiten Welt- haus Ludgerirast. Vor allem sonntags beten viele krieges war es die deutsche Nationalhymne. Seit Menschen aus nah und fern mit den Mönchen das 1952 ist nur noch die dritte Strophe die National- Stundengebet in der Abteikirche. hymne der Bundesrepublik Deutschland.

186 Am Fronleichnamsfeste fand abends auf pel und Fahnen der katholischen Vereine durften dem Marktplatze eine große Marienfeier statt. in diesem Jahre noch daran teilnehmen.514 [...] (31. Mai [1934].) Die Festpredigt hielt Pater Ma- Da der Samstag Staatsjugendtag geworden riaux S.J.[513] vor ca. 4.000 Versammelten. Wim- war und die Schulkinder als Mitglieder des deut- schen Jungvolkes und des Bundes deutscher Mädel (B.D.M.) am Samstag zu Spiel und Sport 511 Die Fahne hoch (Horst-Wessel-Lied) hinausgeführt wurden, konnte der Samstag als 1. Die Fahne hoch, die Reihen fest/dicht geschlos- Beichttag der Kinder nicht mehr angesehen sen, SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kame- werden. Deshalb wurden Beichtvorbereitung und raden, die Rotfront und Reaktion erschossen, Kinderbeichte von jetzt ab auf den Freitag ge- marschiern im Geist in unsern Reihen mit. legt.515 [...] 2. Die Straße frei den braunen Bataillonen! Die April 1935. Für die Jungmänner, die zum Ar- Straße frei dem Sturmabteilungsmann! Es schaun beitsdienst gehen mußten, wurde am 1. April im aufs Hakenkreuz voll Hoffnung schon Millionen. [516] Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an. Gerburgisheim ein Einkehrtag abgehalten. Am Abend desselben Tages sprach Domvikar 3. Zum letzten Mal wird zum Appell geblasen! Zum [517] Kampfe stehn wir alle schon bereit. Bald flattern Larsen – Münster zu einer zahlreich ver- Hitlerfahnen über allen Straßen, die Knechtschaft sammelten Elternschaft über die Aufgabe der dauert nur noch kurze Zeit! katholischen Jugendbünde für das Gottesreich. 4. Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen, Wir können stolz sein auf unsere Jungschärler SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kamera- und Jungmänner, die sich trotz unberechtigten den, die Rotfront und Reaktion erschossen, mar- Zwanges und Druckes tapfer halten und an Zahl schiern im Geist in unsern Reihen mit. 518 Der nach einem Soldatenlied gestaltete Text von beständig wachsen. Horst Wessel erschien 1929 in „Der Angriff“. Die Vom 9. bis 11. Juni 1935 zum Pfingstfest nahm der Herkunft der Melodie ist umstritten, aber seit 1930 Bischof von Münster, Clemens August Graf von 519 520 unzertrennlich mit diesem Lied verbunden. Es wurde Galen , an der Kreuztracht in Coesfeld teil. nach der Machtergreifung von der nationalsozialisti- schen Regierung neben dem Deutschlandlied zur Na- tionalhymne erhoben. 514 Chronik I, S. 62. Horst Wessel, geboren am 9.10.1907 in Bielefeld, 515 Chronik I, S. 65. entstammte einem kaiserlich gesinnten Elternhaus, 516 Internat für die Mädchenschule in Aufbauform. war Student der Rechtswissenschaft in Berlin und ab Nachfolgerin dieser Schule ist das heutige Heriburg- 1926 Mitglied der NSDAP. Als Sturmführer führte er gymnasium. in Berlin den SA-Sturm 5 an, wurde bei einem heim- 517 Friedrich (Fritz) Larsen, geboren am 7.8.1907 in tückischen Überfall am 14.1.1930 von Kommunisten Dortmund, Priesterweihe am 19.12.1931 in Münster, tödlich verwundet und starb am 23.2.1930 in Berlin. gestorben am 8.11.1967. Von 1934 bis 1936 war er Joseph Goebbels erhob Horst Wessel zum Volkshel- Domvikar in Münster. den. 518 Chronik I, S. 69 f. 512 Chronik I, S. 60. 519 Dr. theol. h. c. Clemens August Graf von Galen, ge- 513 Pater Wilhelm Mariaux SJ, geboren am 21.12.1894 in boren am 16.3.1878 in Dinklage/Oldenburg, von Uelzen, Eintritt in die Gesellschaft Jesu am 10.4. 1898 bis 1903 Studium der Theologie in Innsbruck, 1913, Priesterweihe am 27.8.1926, letzte Gelübde am Priesterweihe am 28.5.1904 in Münster. Von 1906 2.2.1934, gestorben am 30.4.1963 in München. bis 1929 lebte er als Seelsorger in Berlin, 1929 über-

187 Nach dem sakramentalen Segen wurde Bischof Abend sammelte sich besonders Coesfelds ka- Clemens August in kirchlicher Prozession zur tholische Jugend vor der Dechanei, mit „Heil“- Dechanei geleitet, während auf dem Wege eine Rufen und „Wir wollen unseren Bischof sehen“ vielhundertköpfige Menschenmenge den hohen zwangen sie den Bischof, sich der Menge zu Gast in Ehrfurcht grüßte und ihrer Liebe zum zeigen. Zuletzt, nachdem gesungen und geredet Oberhirten spontan durch schallende „Heil“- war, sagte der Bischof zur Jugend: „Nun ist es Rufe[521] Ausdruck verlieh. Auch am späten gut; geht nach Bett; heute abend will ich Euch hier nicht mehr sehen, aber morgen bei der gro-

nahm er die Pfarrei St. Lamberti in Münster. 1933 Er- nennung durch Papst Pius XI. zum Bischof von Mün- ster, Bischofsweihe am 28.10.1933. Die kirchen- Grab des heiligen Matthias war. Im selben Jahr wurde feindliche Politik der NSDAP verurteilte er öffentlich die alte, an der Losung der Papstgarden orientierte und forderte ein offensives Vorgehen des Episkopats Grußformel „Tapfer und Treu“ abgelöst und bei gegen das NS-Regime. 1941 hielt er drei Predigten, Aufmärschen und Kundgebungen sowie in Ver- die sogenannten „Brandpredigten“, in denen er die sammlungen der Grußruf „Treu Heil“ im Grundge- Beschlagnahmung von Kirchengut und die Euthana- setz des Katholischen Jungmännerverbandes festge- siemaßnahmen der Nationalsozialisten anprangerte. schrieben. Verbunden war der Treu-Heil-Gruß mit Sie wurden als Kopien in Deutschland verbreitet und der erhobenen Schwurhand. Als Gegengruß zum so- später auch von den Alliierten in Flugblättern aus- genannten Deutschen Gruß, dem Hitlergruß mit der zugsweise vervielfältigt. Aufgrund seiner mutigen erhobenen rechten Hand, wurde er ein entschiedenes Kritik am NS-Staat wurde er als „Löwe von Münster“ katholisches Bekenntniszeichen bei Wallfahrten und auch im Ausland bekannt. Am 18.2.1946 wurde er Kundgebungen katholischer Jugendlicher. Ludwig Kardinal. Er starb am 22.3.1946 an einem Blind- Wolker ermunterte immer wieder dazu, den Gruß darmdurchbruch. „Treu Heil!“ beziehungsweise „Es lebe Deutschland! 520 Peter Löffler, Bischof Clemens August Graf von Heil!“ am Ende einer Versammlung zu rufen. Siehe Galen, Akten, Briefe und Predigten 1933–1946, Pa- auch Rundbrief des IKLK Nr. 33, S. 12–21. derborn 1996, 2 Bände (zit.: Löffler), Bd. I, S. Ludwig Wolker, geboren am 8.4.1887 in Mün- LXXXVI: chen, nach Studium in München und Innsbruck Prie- Juni 10., Coesfeld, St. Lamberti, Predigt bei Emp- fang und Ansprache bei Jugendfeier. sterweihe am 29.6.1912 in Freising, gestorben am Juni 11., Coesfeld, Kreuztracht, Predigt an der 17.7.1955 in Cervia bei Ravenna (Italien). Er wurde Kleinen Kapelle, Pontifikalassistenz an der Großen im Mai 1926 Diözesanpräses des Katholischen Jung- Kapelle. männerverbandes Deutschlands in der Diözese Mün- 521 Die im 19. Jahrhundert entstandene Turnerbewegung chen-Freising und im Juni 1926 Landespräses für benutzte den Gruß „Gut Heil“. Vermutlich fand der Bayern. Vom 9.11.1926 bis zur endgültigen Auflö- Heil-Gruß über die fortschrittlichen Kerngruppen der sung des Katholischen Jungmännerverbandes im Fe- Jugendbewegung Eingang in breitere Kreise auch der bruar 1939 war er dessen Generalpräses. Nachdem katholischen Jugend. Dazu trug vor allem Ludwig Michael Kardinal Faulhaber ihn freigegeben hatte, Wolker bei. Vom 18. bis 22.6.1931 fand in Trier die zog er am 3.5.1927 als Generalpräses des Katholi- VI. Reichstagung des Katholischen Jungmännerver- schen Jungmännerverbandes und als Vorsitzender des bandes Deutschlands statt, deren Höhepunkt die Katholischen Sportverbandes DJK (Deutsche Ju- „Apostelweihe“ in den Abendstunden des 20.6. am gendkraft) nach Düsseldorf.

188 ßen Prozession will ich Euch alle wieder se- Herrn Kaplan Ridder[525] hen.“522 für die Jungfrauenkongregation Coesfeld Der Bischof hielt eine eindrucksvolle Predigt. Um ein polizeiliches Einschreiten bei der am Ein „admirabile signum“, ein wunderbares Zei- Sonntag, den 15. d. Mts. stattfindenden Prozes- chen sei somit das Kreuz für alle, die in ihm den sion zu vermeiden, mache ich auf die Polizeiver- Sieg über den Tod und die Anteilnahme an ewi- ordnungen vom 23.7.1935 und vom 8.8.1935 gem Gottesleben erworben hätten. In diesem aufmerksam. Zeichen werde jeder siegen, wenn er wolle, aber Das Tragen von geweihten Bannern und in diesem Zeichen werde auch jeder zugrunde Fahnen bei Prozessionen, Wallfahrten, Beerdi- gehen, wenn er nicht wolle. Wir aber wollen! Das gungen und Primizfeiern, welche in altherge- Volk von Coesfeld und dem ganzen Münster- brachter Weise stattfinden, ist gestattet. Bedin- lande sei entschlossen, das Kreuz als wunder- gung dazu ist jedoch, daß bei dieser Gelegen- bares Zeichen des Sieges voranzutragen in die heit keinerlei Uniformen, Trachten (Kluft) und Zukunft und hinein in die Ewigkeit. Der Kirchen- Abzeichen, welche die Zugehörigkeit zu konfes- chor hatte sich vorgenommen bei dem feierli- sionellen Verbänden dartun, getragen werden. chen Hochamte an der Großen Kapelle die Stel- Auch ist das Tragen von einheitlicher Kleidung la-maris-Messe [Meeresstern-Messe] für vier- und Uniformstücken, hierunter fällt auch das stimmigen Gemischten Chor mit Blasmusik- Tragen von Teilstücken, auch wenn sie unter begleitung zu Gehör zu bringen. Das Orchester, dem Mantel getragen werden, sowie jede ein- das dazu in Frage kommen konnte, war die Mu- heitliche Kleidung, die als Ersatz für die bishe- sikkapelle des Arbeitsdienstes. Der Dirigent des rige Uniform (Kluft) anzusehen ist, nicht mehr Chores setzte sich mit den maßgebenden Stel- gestattet. len in Verbindung. Er erhielt aber die Antwort: Banner und Fahnen dürfen vor und nach der Wir können leider nicht mitmachen, wir sind reli- Veranstaltung nicht offen geführt werden. Auch giös neutral. Gerade so wie Sie kommen, kann der geschlossene An- und Abmarsch zu den auch morgen ein evangelischer Chor kommen vorgenannten Veranstaltungen, ist nicht gestat- und um dasselbe bitten. Bei rein religiösen Ver- tet. Ich ersuche, die Anordnungen genauestens anstaltungen machen wir nicht mit. – Es wurde zu beachten. 526 deshalb die VIII. Choralmesse [De angelis] ge- I.V. (Unterschrift) Beigeordneter sungen.523 Der Einfluß der Nationalsozialisten auf das Ein Brief des Bürgermeisters Heinrich Bongard524 kirchliche und religiöse Leben der Gemeinde zeigt die immer größer werdenden Einschränkun- verstärkte sich zusehends. gen in bezug auf das religiöse Leben. Ende September [1935] wurden die katholischen Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. Arbeitervereine im Bezirk Bocholt und Coesfeld Coesfeld, den 12. September 1935.

525 Wilhelm Ridder, geboren am 25.1.1900 in Rheine, 522 Chronik I, S. 74. Priesterweihe am 7.3.1925 in Münster, gestorben am 523 Chronik I, S. 75 f. Vollständiger Text in: Löffler, Bd. 10.2.1942. Er war ab 23.11.1929 Kaplan in Coesfeld S. I, 232–236. St. Lamberti. 524 Heinrich Bongard war von 1937 bis 1945 Bürgermei- 526 Schreibmaschinendurchschlag, eingeklebt in Chronik ster von Coesfeld. I, S. 77.

189 staatspolizeilich aufgelöst und ihre Vereinshäu- ihm 1935 ein Zug von Parteigenossen, die vom ser beschlagnahmt. Das Coesfelder Arbeiterver- Reichsparteitag in Nürnberg zurückkehrten, auf der einshaus wurde der Hitlerjugend übergeben und Straße entgegen kam, reagierte er mit Nichtbeach- erhielt alsbald den Namen Herbert-Norkus- [527] 528 tung. Um den Zug nicht grüßen zu müssen, wandte Haus . er sich den Auslagen des nächstliegenden Geschäf- Am 15. Oktober [1935] wurde im Gesellen- hause ein Vortrag gehalten. „Die religiöse Ver- tes zu. In dem Geschäft war aber lediglich Damen- tiefung der Familie“. Zum ersten Male zeigten wäsche dekoriert. Er wurde von Parteimitgliedern die kirchlichen Gebäude am Beisetzungstage angezeigt und vom Regierungspräsidenten ver- (26. Oktober) des Reichsstatthalters von Mag- warnt. deburg-Anhalt Wilhelm Loeper[529] die neue März 1936. Am 13. März hielt die Polizei eine Reichsflagge: die Hakenkreuzfahne. Revision unserer Borromäusbibliothek ab, ob [...] vielleicht auch vom Staate indizierte Bücher ver- Die Hakenkreuzfahne an der Kirche sah man ausgabt würden. Unter anderem meinte ein Re- zum ersten Male am 9. November [1935530]. visor, als er ein Buch von Joseph Freiherr von Über dem Portal am Turm hängend bewies sie Eichendorff [1788–1857] in die Hände bekam, die politische Einstellung der katholischen Kirche daß dieser Autor doch wohl nicht in eine deut- in Deutschland. Eine Verfügung des Reichsmini- sche Bibliothek gehöre, denn – man lese und sters des Innern[531] anführend, hatte der Bischof staune – Eichendorff sei doch wohl (so sagt es angeordnet, daß an diesem Tage die katholi- ja der Name) ein Jude.533 schen Kirchen die Hakenkreuzfahne zeigen soll- ten. Eine Übertretung der Verfügung hätte den Mai 1936. Der nationale Feiertag, 1. Mai, fiel mit 532 Pfarrern größere Nachteile eingebracht. dem Herz-Jesu-Freitag zusammen und wurde so durch diesen festlich hervorgehoben. Das Ab- Dechant Joseph Lodde stand dem Nationalsozia- stinenzgebot war durch den Bischof aufgeho- lismus sehr kritisch und ablehnend gegenüber. Als ben. Unsere Jungmänner und Jungfrauen be- gannen ihre Eucharistische Jugendwoche am 3. Mai. Die Ordnung war die der Eucharistischen 527 Der 15jährige Berliner Hitlerjunge Herbert Norkus Familienwoche im April. Zur würdigen Feier der wurde am 24.1.1932 in Berlin von Kommunisten er- täglichen Gemeinschaftsmesse war zwischen stochen. Sein Leben war Vorbild für den Film „Hit- Hauptaltar und Kommunionbank ein eigener Al- tar aufgebaut, an dem der Priester zum Volke lerjunge Quex“. Das nach ihm benannte Schulschiff [534] lief am 7.11.1939 vom Stapel. hin die heilige Messe las. Die Teilnahme der 528 Chronik I, S. 75 f. Jugend an dieser Jugendwoche war gut. Die 529 SA-Oberführer Wilhelm Loeper (1883–1935) war Schlußfeier am 10.5. nachmittags um 4.00 Uhr von 1927 bis 1935 Gauleiter in Magdeburg-Anhalt. hatte ihren Höhepunkt in der Weihe der Jugend 530 Am 9.11. gedachten die Nationalsozialisten des Hit- ler-Putsches von 1923 in München. 531 Dr. Wilhelm Frick (1877–1946) hatte am Putsch Hitlers von 1923 teilgenommen. 1933 wurde er 533 Chronik I, S. 83. Reichsinnenminister. 534 Nach damaliger Vorstellung „las“ der Priester die 532 Chronik I, S. 78 f. Messe und der Mitfeiernde „hörte“ sie.

190 an die Muttergottes und in der Erteilung des 535 Päpstlichen Segens. Ab 1936 gehörte der „Bekenntnistag“ der katholi- schen Jugend Deutschlands am Dreifaltigkeits- Zum Dreifaltigkeitssonntag, 7. Juni [1936], hatte [536] sonntag zum Kirchenkalender aller deutschen Di- der Jugend-Bischof Bornewasser von Trier özesen. Der erste „Bekenntnistag“, das „Gott-Be- im ganzen deutschen Reich zu einer Jugend- kenntnis katholischer deutscher Jugend“, stand kundgebung aufgerufen. In Coesfeld fand diese Kundgebung für das Dekanat Coesfeld in unse- unter dem Motto: „Lobet den Herrn“. rer Pfarrkirche statt. Die Beteiligung an der heili- Es gibt einen Bericht über diesen Dreifaltig- gen Kommunion war gut. Da die öffentliche keitssonntag, den 7. Juni 1936. Er ist an Hand von Kundgebung auf dem Kirchplatze von der 17 Diözesan-Berichten aus dem Wolker-Archiv im Staatspolizei verboten wurde, mußte die Ver- Jugendhaus Düsseldorf zusammengestellt und ver- sammlung geteilt werden und zwar um 15.00 mutlich von Ludwig Wolker selbst verfaßt. Uhr in der Lambertikirche und nachher in der Seit dem Frühjahr 1934 wurden immer häufiger Jacobikirche. Beide Male predigte der Weihbi- [537] religiöse Feierstunden, Kundgebungen und schof von Münster Exzellenz Roleff . Damit Wallfahrten veranstaltet. Das Christkönigsfest im die Kirche alle männlichen und weiblichen Ju- Oktober 1934 war wieder Anlaß für ein öffentli- gendlichen fassen konnte, hatte man aus der ches Bekenntnis der katholischen Jugend. Lambertikirche alle Bänke auf den Kirchplatz ge- 30.000 Jugendliche versammelten sich im Köl- tragen. 2.500 Jugendliche hörten somit die Pre- ner Dom. [...] Durch den äußeren Druck wuchs digt des Weihbischofes. Von nah und fern waren die Zusammengehörigkeit, und das religiöse Be- sie trotz des regnerischen Wetters gekommen. kenntnis im innerkirchlichen Raum nahm auch Am Abend fand unter Beisein des Weihbi- nach außen hin – teils gewollt, teils ungewollt – schofes die Wiederaufrichtung des heiligen demonstrativen Charakter an: Das Lied „Wir sind Kreuzes statt, das von Pfingsten für die ganze im wahren Christentum“, die Huldigung an den Woche über im Mittelgang der Kirche aufgestellt 538 Bischof, der Aufmarsch der Banner und Wimpel, gewesen war. die draußen nicht mehr gezeigt werden konnten, der brausende Gesang des Deutschlandliedes. [...] Ähnliche Feiern wurden von jetzt an Tradi- 535 Chronik I, S. 84. tion am Dreifaltigkeitssonntag, dem Sonntag 536 Franz Rudolf Bornewasser, geboren am 12.3.1866 in nach Pfingsten, und am Christkönigsfest im Ok- Radevormwald, Priesterweihe 1894, Weihbischof tober. Es ist nicht verwunderlich, daß diese Ver- von Köln 1921, Bischof von Trier ab 12.3.1922, per- anstaltungen von nationalsozialistischer Seite sönlicher Titel „Erzbischof“ 1944, gestorben am als Provokation empfunden wurden. [...] 20.12.1951 in Trier. Er widersetzte sich dem Natio- Als ein praktischer Erfolg der Richtlinien [für nalsozialismus und sprach sich 1935 und 1945 für das die katholischen Jugendseelsorger, denen die Verbleiben des Saarlandes bei Deutschland aus. westdeutschen Bischöfe auf einer Konferenz in 537 Heinrich Roleff, geboren am 25.8.1878 in Unna, Kevelaer am 6.4.1936 ihre endgültige Zustim- Priesterweihe am 6.6.1903, Bischofsweihe am 26.4. mung gegeben hatten] galt der Bekenntnistag 1936 (Titularbischof von Elaea), gestorben am 5.11. am 7.6.1936. Trotz örtlicher Behinderungen mel- 1966. 538 Chronik I, S. 85.

191 dete z.B. Trier eine Beteiligung von 70-80% aller März 1937. Unser geistlicher Schulrat Joseph katholischen Jugendlichen.539 Fiedler[543] erlag am 12. März gegen 18.00 Uhr auf dem Bahnhof Lette einem Schlaganfall, als November 1936. Während einer Jungmänner- er im Begriffe stand von einer Visitationsreise predigt am Feitag 6. November abends 8.00 Uhr nach Coesfeld zurückzufahren. Der Tod trat so- wurde unter Beteiligung der S.A. vor dem Ein- fort ein. Eine schwierige und unangenehme Ar- gange unserer Kirche, gegenüber dem Haupt- beit war es für den Herrn Dechanten, der Haus- portale ein Lesekasten des S.A. Pionier-Sturmes hälterin [Elisabeth Molitor] die Tatsache des To- aufgehängt. Seit dieser Zeit haben schon man- des mitzuteilen. Der tote Schulrat wurde im che Zeitungen darin gehangen in denen uns Ka- Krankenhause, wo er seine tägliche heilige tholiken beschämende und beleidigende Auf- Messe zu zelebrieren pflegte, aufgebahrt. Nach- sätze und Bilder zu sehen waren. Gemeinnutz dem am 15. März um 9.15 Uhr für die Seelen- geht vor Eigennutz! Man wird sich wehren.540 ruhe des Verstorbenen ein Levitenamt zelebriert war, wurde der mit der Hakenkreuzfahne belegte [...] infolge der Werbetätigkeit der neuen Glau- Sarg mit den sterblichen Überresten des Schul- bensbewegung sind drei Personen aus der ka- rates vom Dechanten Lodde eingesegnet. Zur tholischen Kirche amtlich ausgetreten. In dieser Überführung der Leiche in die Heimat des Ver- schweren Zeit wurden die Gläubigen immer wie- storbenen, Silberhausen im Eichsfeld, waren der ermahnt und aufgefordert für das Wohlerge- neben der Geistlichkeit Vertreter der N.S.D.A.P, hen unseres Vaterlandes zu beten und die hei- der Arbeitsdienst, Schulkinder und Lehrperso- lige Kommunion aufzuopfern. Somit wuchs die nen angetreten. Schulrat Fiedler war Parteige- nosse, darum sprachen bei seiner Überführung Zahl der empfangenen heiligen Kommunion auf [544] 158.000. Von gegnerischer Seite nannte man Regierungspräsident Klemm von Münster, diese Zeit „das Zeitalter der Hirtenbriefe“. Tat- der Kreisleiter des Kreises Coesfeld – [Ludwig] sächlich haben wir im Jahre 1936 viele Hirten- Bielefeld und der Kreisleiter des N.S.L.B. [Natio- briefe und Erklärungen[541] unseres Bischofes nalsozialistischen Lehrerbundes] Schuhé aus Clemens August verlesen, sollten sie doch unser Dülmen. Möge ihm, der seit 1924 Schulrat des Kreises Coesfeld war, die Erde leicht sein und gutes katholisches Volk aufklären – katholische 545 Zeitungen gibt es ja nicht mehr und die Verteidi- R. i. p. [Er möge ruhen in Frieden] gung des katholischen Standpunktes war anders nicht mehr möglich – und es im Glauben an Christus und seine heilige Kirche stärken.542

543 Joseph Fiedler, geboren am 22.5.1875 in Silberhau- sen, Priesterweihe am 30.3.1901 in Paderborn, ge- 539 Barbara Schellenberger, Katholische Jugend und storben am 12.3.1937. Er war von 1924 bis zu seinem Drittes Reich, Mainz 1975, S. 128 f. u. 167. Tod Kreisschulrat in Coesfeld. 540 Chronik I, S. 88. 544 Kurt Hermann Heinrich Otto Klemm war von 1934 541 Löffler Bd. I, S. C–CII, führt für 1936 fünf Hirten- bis 1941 Regierungspräsident des Regierungsbezirkes briefe und eine Erklärung auf. Münster. 542 Chronik I, S. 90 f. 545 Chronik I, S. 93 f.

192 Am 28. Mai 1937 hielt Reichspropagandaminister faches Sieg-Heil! – Großdeutschland – Erwache! 547 Dr. Joseph Goebbels546 eine demagogische Rund- (Wozu? Weshalb? Warum?) funkansprache, in der er an die zwanzigmal betonte, er, der Propagandaminister, beschäftige sich von Vom 5. bis 10. Juli 1937 spendete Bischof von 548 Amts wegen mit Sexualverbrecher-Prozessen. Galen die Firmung im Dekanat Coesfeld. Eine große Zahl katholischer Geistlicher ist we- Nach Schluß der kirchlichen Feier wurde der Bi- gen Sexualverbrechen verhandelt worden. Das schof in die Dechanei begleitet, ungestüm um- ist nicht mehr eine Angelegenheit bedauerns- ringt von der Jugend, die immer wieder in Heil- werter Einzelverfehlungen, sondern eine solche rufen auf den Bischof ausbrach. Mehrere Male allgemein sittliche Korruption, wie sie die Ge- mußte sich der Bischof am Fenster zeigen und schichte der Zivilisation kaum jemals gekannt letzten Endes ein Gebot aussprechen, daß nun hat. Keine andere Gesellschaftsschicht hat je alle nach Hause gehen sollten. Unbeschreiblich solche Verderbtheit zu verbergen gehabt. Es ist war also an diesem Tage die Begeisterung für kein Zweifel, daß die Tausende von Fällen, die unseren Bischof und damit für unsere katholi- ans Licht gekommen sind, nur ein kleiner Bruch- sche Sache. Was mochten wohl die anderen teil des ganzen moralischen Sumpfes sind! gedacht haben? Von allen Häusern wehten die Fahnen. Die Dechanei zeigte die bischöfliche Pfarrchronik: Fahne. Am Abend dieses Tages hatte sich wie- Aus den Gründen heraus diese Rede anzuhören derum eine große Menschenmenge vor der De- und auch um beim Kaplan Ridder eine Na- chanei angesammelt, weil bekannt war, daß der menstagsfeier zu halten, war die Pfarrgeistlich- Kirchenchor von St. Lamberti dem Bischof ein keit beim letzteren versammelt. Nach Schluß der Ständchen bringen wollte. Auch die Polizei hatte Rundfunkübertragung zog eine Gruppe von S.A. davon erfahren und suchte diese Handlung zu Leuten vor die Dechanei und sang: Deutschland, unterbinden. Nach Rücksprache mit dem Herrn Dechanten, wurde das Ständchen denn nun Deutschland über alles, dann das Kommando: 549 Unserem lieben Dr. Jöppken Goebbels ein drei- auch gestattet.

September 1937. Die Feierlichkeiten am Feste Kreuzerhöhung waren wie in den Vorjahren. Nur 546 Dr. Joseph Goebbels, geboren am 29.10.1897 in war es verboten mit kirchlichen Fahnen zu flag- Rheydt, dort in bescheidenen katholischen Verhält- gen. Es durfte nur die Hakenkreuzfahne gezeigt nissen aufgewachsen, gestorben (Selbstmord) am 1.5. werden. Dies galt aber nicht für die Kirche 1945 in Berlin, war einer der radikalsten Vertreter des selbst. So wurde verkündigt: „Den Privathäusern Nationalsozialismus. Er studierte von 1917 bis 1921 ist es verboten mit kirchlichen Fahnen zu flag- mit finanzieller Unterstützung des katholischen Al- gen. Es ist aber nicht verboten, die Straßen und bertus-Magnus-Vereins. 1922 (1924) wurde er Mit- Häuser mit Blumen und Grün zu schmücken glied der NSDAP, 1926 Gauleiter von Berlin, von oder in den Fenstern Altärchen aufzustellen.“ 1927 bis 1935 gab er in Berlin die Wochenzeitschrift „Der Angriff“ heraus. Ab 1929 war er Reichspropa- gandaleiter der NSDAP und ab 1933 Reichsminister 547 Chronik I, S. 96. für Volksaufklärung und Propaganda. 1943 verkün- 548 Siehe: Löffler, Bd. I, S. LXXXIX. dete er seinen Aufruf zum totalen Krieg. 549 Chronik I, S. 98.

193 Dieser Wink genügte. Die Straßen, durch die die Stunde erlebten geht auch daraus hervor, daß Prozession zog, waren herrlich geschmückt. sich manche Kinder dieses Bildchen selbst ein- Man sah nur zwei Hakenkreuzfahnen, sonst tru- gerahmt haben und zu Hause aufhingen.551 gen die Fahnenstangen grüne Kränze und die Häuser selbst waren mit frischen Girlanden be- kränzt. In ihrem Schmuck hervorzuheben war die Ritterstraße in Jacobi. Das Kreuz blieb acht Tage zur Verehrung aufgestellt. Die Gläubigen waren dringend eingeladen, in dieser ernsten Zeit eifrig an der Verehrung des heiligen Kreu- zes teilzunehmen. Man sah auch in diesem Jah- re viele Pilgergruppen und Einzelpilger.550

Am 6. Oktober [1937] nahmen die Pfarrgeistli- chen Abschied von der Volksschule. Einem je- den von ihnen war durch den Regierungspräsi- denten [Kurt Klemm] in Münster über den Kreis- schulrat ein Schreiben zugesandt (Drucksache), des Inhaltes, daß auf die Arbeit der Geistlichen verzichtet würde, da der Religionsunterricht von Am 1. Dezember [1937] erhielten die [Vorse- jetzt ab von den Lehrpersonen erteilt würde. Ein [552] Dank für die bisher geleistete Arbeit fehlte nicht. hungs-]Schwestern im Städtischen Waisen- Die Schulkinder hatten den Ernst des Augen- hause ihre Kündigung. Bis zum 30. Dezember blicks erfaßt. Zur letzten Stunde, die die Geistli- müßten sie das Haus geräumt haben. [...] chen gaben, war das Klassenzimmer festlich mit Nach einer ersten heiligen Messe in Lamberti Blumen geschmückt. Das Pult war zu einem Al- folgte bald die letzte heilige Messe im Waisen- tar umgebaut, darauf Blumen, Kruzifix und bren- hause und zwar am Fest der Unschuldigen Kin- nende Kerzen. Auf den Tafeln standen Sprüche der [28. Dezember]. Ob dieser Tag wohl ein mit bunter Kreide wie etwa folgende: „Wir blei- Symbol bedeutet: Vor Herodes mußte der Hei- ben treu!“ – „Wir bleiben katholisch!“ – „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad in seine Kirch` 551 Chronik I, S. 101. berufen hat!“ Wir dürfen annehmen, daß die 552 Die Ordensgemeinschaft der Schwestern von der Kinder dieses alles in bestem Willen und feste- Göttlichen Vorsehung wurde am 3.11.1842 durch den stem Vorsatz niedergeschrieben haben und daß Priester Eduard Michelis (1813–1855) in Münster, St. sie diese Abschiedsstunde ihr Leben lang nicht Mauritz, gegründet. Die Schwestern übernahmen die vergessen werden. Sorge für ein Waisenhaus in St. Mauritz. Zu der ur- sprünglichen Sorge für Waisenkinder kamen im Lau- Ein Bildchen mit Aufdruck (wie beigefügt) wurde fe der Zeit missionarische, pädagogische, pastorale, jedem einzelnen Kinde als Erinnerung an diese caritative, pflegerische und hauswirtschaftliche Auf- Stunde mitgegeben. Mit welchem Ernst sie diese gaben in verschiedenen Einrichtungen. Die Or- densgemeinschaft verbreitete sich über Deutschland 550 Chronik I, S. 100. hinaus in andere Erdteile.

194 land fliehen und hier wird das ewige Licht aus- Schwein, die der Bürgermeister [Heinrich Bon- gelöscht. Der Herr Dechant Lodde las diese hei- gard] der Stadt Coesfeld öffentlich verkaufen lige Messe und hielt eine Ansprache an die lassen wollte, fanden sich keine Käufer, so daß Schwestern. Die Waisenkinder hatte man im sie – wie es heißt – bei Nacht von ortsfremden Laufe des Dezembers bei Privatfamilien unter- Personen aus dem Stall geholt werden mußten. gebracht. Man wollte das Waisenhaus für an- – Möge der liebe Gott den Schwestern alles ver- dere Zwecke einrichten. Am Nachmittage des gelten. So ging das ereignisvolle Jahr seinem 30. Dezember nahmen die Schwestern Ab- Ende zu. Aber dennoch in frohem Hoffen auf schied. Die Pfarrgeistlichkeit von Lamberti und Gottes gütige Prüfung läuteten in der Neujahrs- Jacobi, die geistlichen Herren der Ma- nacht um 12.00 Uhr die Glocken von Lamberti rienburg[553], die ganze Nachbarschaft und viele das neue Jahr ein.554 andere hatten sich eingefunden. Eine Kollekte von über 23 Mk [Reichsmark], die für ein Coes- Eine neue Methode der Seelsorge bestand dar- felder Kreuz als Abschiedsgeschenk unter der in, daß an den Sonntagen nach den heiligen Nachbarschaft gehalten war, war beschlag- Messen religiös-aufklärende Schriften an den nahmt worden. Aber trotzdem hatten hochher- Kirchentüren verkauft wurden, die restlosen Ab- zige Stifter für ein solches Abschiedsgeschenk satz fanden. Um so wichtiger war diese Sache, gesorgt, das den ehrwürdigen Schwestern von da seit Anfang des Jahres die Kirchenzeitung in- der göttlichen Vorsehung überreicht wurde. folge Verbots nicht mehr erscheinen durfte. Die Wehmütig war es allen ums Herz, als die Ab- breite Darstellung der Sittlichkeitsprozesse in schiedsstunde nahte. Könnte es auch anders unseren Zeitungen bewog viele, ja sehr viele sein, wo die Schwestern über 90 Jahre in dem unserer Katholiken, diese abzubestellen. [...] Hause gewesen waren und so viel Gutes den Hinweisend auf S. 57 dieses Buches er- Kindern und der Jugend erwiesen hatten? Als wähne ich die Auflösung unseres katholischen die Schwestern die Autos bestiegen, um zum Jugendvereins und die Beschlagnahme seines Mutterhause nach Münster zu fahren, füllten sich Eigentums durch die Geheime Staatspolizei die Augen mit Tränen. Wann werden sie wieder- [Gestapo] in Münster am 29. Oktober 1937.[555] kommen? Weshalb mußten sie gehen? Die Da die Fahnen gerade aus Anlaß des 40 Stun- kirchlichen Sachen wurden der Lambertikirche den-Gebetes[556] auf dem Chore der Kirche stan- übergeben. Die schöne Krippe wurde in die Di- aspora geschickt zum Pastor Flach in Staven- 554 Chronik I, S. 102 f. hagen in Mecklenburg, der in herzlichen Worten 555 Durch Verfügung der Gestapo vom 27.10.1937 wur- für das Geschenk im Namen seiner armen de der Diözesanverband des Katholischen Jung- Pfarrgemeinde dankte. Die Namen der letzten männerverbandes im Bistum Münster am 29.10.1937 Schwestern sind: S. Eventia (Oberin), S. Helena, aufgelöst und damit auch in allen dazugehörigen S. Evidima, S. Livarda, S. Wilhelmis, S. Egbertis Pfarreien. und S. Konehilda. Für eine Kuh und ein Am 29.10.1937 fand eine Hausdurchsuchung im Elternhaus Karl Leisners statt. Die Gestapo beschlag- 553 „Bischöfliche Erziehungsanstalt für weibliche Fürsor- nahmte unter anderem seine Tagebücher und die sei- gezöglinge mit Kapelle.” (Chronik I, S. 2). Die Mari- nes Bruders Willi. enburg gehört seit 1985 zu HAUS HALL, einer Ein- 556 Die Übung des Vierzigstündigen Gebetes vor dem richtung für Menschen mit Behinderung. ausgesetzten Allerheiligsten entstand 1527 in Mai-

195 den, wurden diese beschlagnahmt, da man nicht schäftsleute – Konfektionshaus Feldmann[560] – wagte, diese aus der Kirche zu holen und freiwil- Druck auszuüben, die katholischen Gesellen zu lig wurden sie nicht abgegeben. Das Heim des entlassen. 27 Mitglieder hat der Verein verloren. Jugendvereins an der Kirche wurde versiegelt Niemals hat der Präses gegen die deutsche Ar- und war am Ende des Jahres noch nicht wieder beitsfront Stellung genommen und auch immer offen. Zwischen dem katholischen Gesellenver- seine Mitglieder dazu angehalten. Was wird wei- ein und der deutschen Arbeitsfront[557] be- ter aus der Kolpingsfamilie werden?561 standen Schwierigkeiten. Im Januar erhielten ca. 200 Mitglieder der Kolpingsfamilie – auch Januar 1938. Am Neujahrstage wurde folgendes Nichtmitglieder – die Aufforderung, aus dem von der Kanzel verkündet: „Am letzten Don- Verein auszutreten. Da die meisten Mitglieder nerstage mußten die Schwestern im Waisen- treu blieben, erhielten sie schriftlich ihren Aus- hause ihre gesamte Arbeit aufgeben und haben schluß aus der deutschen Arbeitsfront. Der Se- Coesfeld verlassen. Wir haben im vergangenen [558] nior der Kolpingsfamilie Anton Heidemann , Jahre vor der Öffentlichkeit protestiert, aber un- den man vor die Wahl stellte, entweder die Stel- ser Protest war vergebens. So konnten die [559] le bei Firma Thies als Schlosser zu verlieren Schwestern, die über 90 Jahre im Coesfelder oder aus dem Ges.-Verein auszutreten, blieb Waisenhause gewirkt haben, gehen – höherer fest und treu. Trotz eines sehr guten Zeugnisses Macht folgend. Wir alle, Katholiken von Stadt der Firma, die besonders seine Verträglichkeit und Land, die wir von den lieben Schwestern an betont, wurde ihm gekündigt. So zum 1. Mai unserer Jugend und den Klein-Kindern so viel 1937. An anderen Stellen suchte man auf Ge- Gutes erhalten haben, fühlen uns in dem trauri- gen Gedenken an ihren Weggang verpflichtet, den guten Schwestern von Herzen zu danken. land und wurde seit 1553 besonders von den Jesuiten Wir hegen die sichere Erwartung, daß der allgü- gepflegt. Dieses Gebet soll an die 40 Stunden der tige Gott ihnen alles lohnen wird. – Der Weg- Grabesruhe Christi erinnern. Zuerst als Andacht in gang der Schwestern stellt euch, katholische El- Notzeiten gedacht, wurde es bald weiterentwickelt in tern, vor die verantwortungsvolle Pflicht, ernst- der Ewigen Anbetung oder, besonders während der lich nachzudenken mit noch größerem Eifer als Karnevalstage, als Sühneandacht geübt. bisher eure Kinder, besonders eure Kleinkinder 557 Die Deutsche Arbeitsfront (DAF) wurde am 10.5. zu betreuen und sie durch Wort und Beispiel 1933 nach der Auflösung der Gewerkschaften ge- dem göttlichen Kinderfreund zuzuführen und mit gründet. Sie hatte die Aufgabe, die in ihr zusammen- ihm allezeit verbunden zu halten. Laßt uns ge- gefaßten Arbeiter, Angestellten und Unternehmer meinschaftlich beten für die Schwestern: Vater unser…, für die katholische Jugend: Vater un- dem Machtanspruch Hitlers zu unterwerfen. Eine 562 Sonderdienststelle der DAF war die nationalsoziali- ser. stische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) für Urlaubs- und Freizeitgestaltung. 558 Anton Heidemann, geboren am 25.8.1908, gestorben am 20.4.1979, war Schlosser, Werkmeister und Gast- 560 Alois Feldmann, damals Adolf-Hitler-Straße 47, wirt. heute Letter Straße 4. 559 Maschinenfabrik Thies, damals Südwall 2, heute 561 Chronik I, S. 105 f. Borkener-Straße 155. 562 Chronik I, S. 106.

196 Die kirchliche Vorbereitung zur Schulentlassung Familie dargelegt wurden. Anschließend an die- für 79 Knaben und 72 Mädchen konnte nicht wie se Andacht wurde für die Seligsprechung Adolf in anderen Jahren abgehalten werden, da den Kolpings gebetet. [...] Geistlichen der Zutritt zur Schule verboten war. Zum Tode Papst Pius XI. am 10. Februar er- Eine Art Exerzitien wurde für diese Kinder in der tönte die Totenglocke und am 13. Februar wurde Kirche und in der Kapelle des Krankenhauses in unserer Pfarrkirche ein Leviten-Seelenamt ab- gegeben und zwar nacheinander zuerst für die gehalten, worin der Herr Dechant Lodde eine Mädchen, dann für die Knaben. Die General- Predigt hielt mit dem Thema: Das Christkönigs- Entlassungsfeier in der Kirche war am 27. März fest ein Vermächtnis Pius XI. [...] [1938] mit besonderer Feierlichkeit.563 Für die schulentlassenen Jungen hielt Ka- plan [Egon] Schmitt in Gerleve einen Einkehrtag Januar 1939. Auch der offizielle Religionsunter- ab am 26. Februar [1939]. An demselben Tage richt in der Berufsschule war im Laufe des Jah- sollten wir Zeuge sein eines einmütigen Eintre- res 1938 aufgehoben worden, dafür begann Ka- tens für die konfessionelle Schule. Nach Verle- plan Schmitt[564] von Jacobi für beide Pfarreien in sung eines bischöflichen Schreibens über die den Pfarrheimen von Lamberti und Jacobi mit Bekenntnisschule ließ der Bischof durch die dem freiwilligen Religionsunterricht nach Schluß Geistlichen die Gläubigen auffordern, durch der Berufsschule. Die Beteiligung der 14– Handaufhebung in der Kirche für die konfessio- 17jährigen an diesem freiwilligen Religionsunter- nelle Schule zu stimmen. In der Kirche verteilte richt betrug über 50%. Hoffentlich steigt der Pro- Beobachter berichteten, daß fast alle sonntägli- zentsatz noch. Zum ersten Male war es am Fe- chen Kirchenbesucher ihre Hand für die Be- ste der heiligen Drei Könige, daß staatlicherseits kenntnisschule aufhoben. [...] [565] Schule gehalten und gearbeitet wurde. In zwei Dechant Lodde, Vicar Wigger und Kaplan [566] Schulmessen (um 7.15 und 7.45 Uhr) war den Glosemeyer wurden betreffs der Erteilung Schulkindern Gelegenheit zum Besuch der heili- des Religionsunterrichtes vom hiesigen Kriminal- gen Messe gegeben. Der ganze Kirchenchor Assistenten Schmitz vernommen. Doch konnte konnte nicht in Aktion treten. Am 8.1. wurde in ihnen nichts Unrechtmäßiges oder Staatsfeindli- allen heiligen Messen ein Protest der Coesfelder ches vorgeworfen werden. Man hatte vorher aus Geistlichkeit gegen die geplante Einführung der jeder Klasse zwei Schüler über den Inhalt des „Gemeinschaftsschule“ verlesen. Dieser Tag war Religionsunterrichtes ausgefragt und glaubte 567 zugleich begangen als Tag der heiligen Familie, Belastendes erfahren zu haben. an dem in der Abendandacht in einer Predigt die dringenden Pflichten der heutigen katholischen 565 Josef Wigger, geboren am 24.3.1896 in Warendorf, Priesterweihe am 29.5.1920 in Münster, gestorben am 563 Chronik I, S. 106. 1.1.1959. Er war vom 15.9.1928 bis 1934 Kaplan in 564 Egon Schmitt, geboren am 30.7.1909 in Gelsenkir- Kleve St. Mariä Himmelfahrt und ab 29.8.1936 Ka- chen-Buer, Priesterweihe am 23.11.1933 in Münster, plan in Coesfeld St. Lamberti. gestorben am 3.2.1998. Er war ab 1934 Kaplan in 566 Friedrich Glosemeyer, geboren am 10.9.1911 in Coesfeld St. Lamberti, ab 1936 dort Religionslehrer Datteln, Priesterweihe am 19.12.1936 in Münster, ge- und ab dem 16.12.1938 Kaplan in Coesfeld St. Ja- storben am 2.10.1982. Er war ab dem 28.12.1936 Ka- kobi. Von 1964 bis 1979 war er Dechant im Dekanat plan in Coesfeld St. Lamberti. Bocholt. 567 Chronik I, S. 116 f.

197 3. Nach einer Zuglänge von etwa 100 m müssen Die Kreisleitung Ahaus-Coesfeld erkundigte sich Zwischenräume von mindestens 25 m zum beim zuständigen Ortsgruppenleiter nach der politi- Ausweichen von Fahrzeugen vorhanden sein, schen Zuverlässigkeit Joseph Loddes. Der Orts- 4. den Anweisungen der Polizei ist sofort Folge gruppenleiter klassifizierte ihn als politisch unzu- zu leisten. [...] Wegen einer Vorbereitungspredigt auf das verlässig, er greife in jeder Predigt die Partei an und Fronleichnamsfest mußte der Herr Dechant sei ein übler Hetzer und Störenfried. Spätestens zu Lodde sich vor der Geheimen Staatspolizei ver- 568 diesem Zeitpunkt wurde die Gestapo-Akte Jo- antworten. Er sollte nach Aussagen einiger Zeu- seph Lodde angelegt. Dementsprechend nahm das gen in der Predigt das Volk öffentlich zum Streik Kesseltreiben gegen ihn zu. Es wurden Verfahren am Fronleichnamstage aufgefordert haben. Bei wegen verbotener Versammlungen und Beun- der Gegenüberstellung mit den Zeugen nahmen ruhigung der Bevölkerung eröffnet. Diese boten diese ihre unwahren Behauptungen wieder zu- jedoch keine genügende Grundlage für eine Verhaf- rück. Einige von ihnen wußten weder was der Herr Dechant gepredigt, noch was sie selbst an- tung. gegeben hatten. Die Vernehmung war ohne Strafe beendet.569 [Juni 1939] Zu bemerken ist noch, daß verschie- dene Soldaten (Urlauber), die in Uniform diese Für die Soldaten, die in Coesfeld im früheren [Fronleichnams]Prozession mitmachten, von Waisenhaus und anderswo untergebracht wa- Vertretern der hiesigen Bezirks-Kommandos aus ren, ebenso für die in Coesfeld vorbereiteten La- der Prozession herausgeholt wurden. Für diese zarette wurde unser Herr Dechant Lodde zum Kreuzprozession stellte die Polizei folgende Be- Standortpfarrer und Lazarettpfarrer ernannt. [...] stimmungen auf, die in der Kirche bekannt ge- Aus Anlaß der Beendigung des 18tägigen geben wurden: siegreichen Feldzuges gegen Polen mußte vom 1. Es darf nur die rechte Straßenseite benutzt 4. bis 11. Oktober täglich von 12.00 bis 13.00 werden, Uhr geläutet werden. Zudem mußte die Kirche 2. die Aufrechterhaltung des geordneten öffentli- die Hakenkreuzfahne zeigen. Am frühen Morgen chen Verkehres auf den Straßen muß gewähr- des 9. Oktober wurde unser Küster [Bernhard leistet bleiben. 570 Wilhelm Schwering ] von der Polizei geweckt. Es wurde ihm bekannt gegeben, daß von nun an 568 Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) wurde 1933 von im Rahmen der Bekämpfung und Abwendung Hermann Göring in Preußen und Heinrich Himmler der Fliegergefahr jegliches Läuten der Kirchen- in den anderen deutschen Ländern als politische Poli- glocken eingestellt werden müßte. Am Morgen zei geschaffen. 1939 wurde sie dem neugebildeten des 9. Oktober wurde diese Verfügung auch in Reichssicherheitshauptamt eingegliedert. Sie diente den heiligen Messen den Gläubigen bekannt der rücksichtslosen Unterdrückung aller Gegner des gegeben und es wurde dabei hingewiesen auf Nationalsozialismus und griff zu Folterungen und Einweisungen in Konzentrationslager. Sie war von Justiz- und Verwaltungsbehörden unabhängig. 1946 569 Chronik I, S. 118 f. wurde sie beim Nürnberger Prozeß zur verbrecheri- 570 Bernhard Wilhelm Schwering, geboren am 20.4.1888 schen Organisation erklärt. in Coesfeld, gestorben am 23.12.1958 in Coesfeld.

198 die feststehende Ordnung der heiligen Messen störe Lülf[573] und Reuter[574] den Sonntagsdienst und Andachten an Sonn- und Werktagen. [...] versehen mußten. An demselben Tage mußte November. Zum Allerheiligenfeste wurde sich auch der derzeitige Aushilfsorganist Kam- auch unsere Kirche verdunkelt, in der Form, daß mermann zum Militär stellen, so daß die Orgel die Lampen in der Kirche mit undurchsichtigem auf jemand anders wartete. Vicar Wigger bat Papier überhängt nur das Licht nach unten wer- nun von der Kanzel herab um einen Orgelspie- fen können. [...] ler, der sich in der Person des jugendlichen Jo- Am 5. November erschien vom Hochw. seph Recker fand. Aber das Unheil wurde grö- Herrn Bischof eine Verfügung über das Läuten ßer, als auch der Küster Schwering zwecks Aus- der Kirchenglocken: teilens und Umtragens der Brot-, Butter-, Fett- Es darf wieder geläutet werden: u.s.w. Karten vom Bürgermeisteramt „be- 1. An Sonn- und Feiertagen eine viertel Stunde schlagnahmt“ wurde. Die Küsterdienste versah vor Beginn des Hochamtes; der Theologe Bernhard Wittkamp[575]. Also der 2. Am Vorabend von Sonn- und Feiertagen um erste Kriegssonntag ohne Dechant, ohne den 2. 17.00 Uhr; Kaplan, ohne den Küster, ohne den Organisten. 3. Bei Beerdigungen eine viertel Stunde vor Be- Gleich zu Beginn des Krieges hob der Bischof ginn des Hochamtes. die Fast- und Abstinenz-Gebote auf, ermahnte In allen Fällen darf das Läuten nur die Zeit aber zu eifrigem Gebete, ja Ende September von drei Minuten dauern. ordnete er die folgenden „Gebete für die Kriegs- Diese Verfügung wurde am 12. November in zeit“ an.576 der Kirche bekannt gegeben.571 Herr, gib Frieden in unseren Tagen; laß uns durch die Hilfe deiner Barmherzigkeit allezeit Betreffs Läuten der Kirchenglocken wurde im von Sünden frei und vor jeder Drangsal si- Dezember die Genehmigung erweitert, daß auch cher sein. des Werktags einmal drei Minuten lang vor dem Allmächtiger ewiger Gott! Wir bitten dich, Hochamte, d. h. der letzten Messe (8.30 Uhr) nimm unser Vaterland in deinen beständigen geläutet werden darf.572 Schutz; erleuchte seine Lenker mit dem Lich- te deiner Weisheit, damit sie erkennen, was Kriegschronik 1939. zur wahren Wohlfahrt des Volkes dient, und Zuvor sei zu bemerken, daß auch unter Oktober – Dezember einige Berichte der Kriegszeit ein- 573 Ferdinand Lülf, geboren am 20.3.1867 in Havixbeck, getragen sind. Der erste Kriegssonntag: 27. Au- Priesterweihe am 23.5.1891 in Münster, gestorben am gust. Er fiel noch in die Ferienzeit. Deshalb wa- 16.2.1948. Er lebte ab 11.10.1937 in Coesfeld. ren schon mal der Dechant und der Kaplan Rid- 574 Franz Reuter, geboren am 20.2.1869 in Coesfeld, der abwesende Brüder. Das war noch nichts Priesterweihe am 10.3.1894 in Münster, gestorben am Außergwöhnliches, daß die zwei dagebliebenen 23.1.1947. Er lebte ab 2.10.1933 in Coesfeld. Geistlichen: Vicar Wigger und Kaplan Glose- 575 Bernhard Wittkamp, geboren am 2.1.1917 in Coes- meyer mit Hilfe der beiden pensionierten Pa- feld, als Sohn des Landwirts Theodor Wittkamp und dessen Frau Maria, geborene Sueck. Er wurde am 17.3.1945 in Ostpreußen als Soldat verwundet und 571 Chronik I, S. 120 f. gilt seitdem als vermißt. 572 Chronik I, S. 122. 576 Chronik I, S. 124 f.

199 das, was recht ist, in deiner Kraft vollbringen. noch nicht zurückkam, ließ sich Herr Vicar Wig- Schütze alle Angehörigen unserer Wehr- ger als ältester Kaplan die Vollmachten als vica- macht und erhalte sie in deiner Gnade, stär- rius substitutus[578] geben.579 ke die Kämpfenden, heile die Verwundeten und gib den Seelen der Gefallenen die ewige Im Monatsbericht der Staatspolizeileitstelle Mün- Ruhe. Bewahre Herr, unsere Heimat vor ster von März 1940 heißt es: feindlichen Angriffen, vor Hunger und Not, Joseph Lodde wurde am 29.2.40 wegen Verbre- und schenke uns und allen Völkern die Si- chens gegen die Kriegssonderstrafrechtsverord- cherheit des Friedens in Gerechtigkeit und nung vom 17.8.39 festgenommen, weil er sich Freiheit. Durch Christus unsern Herrn. Amen. einem Soldaten gegenüber im defaitistischen Heiligstes Herz Jesu. Erbarme dich unser! Sinne geäußert hat mit der Absicht, den Willen Heilige Maria, Königin des Friedens. Bitte für des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbe- uns! hauptung zu lähmen. Er wurde am 7.3.40 dem Heiliger Michael, Schutzherr des deutschen Kriegsgericht des VI. A.K. [Armeekommandos] Volkes. Bitte für uns! in Münster vorgeführt, das Haftbefehl erließ. Heiliger Ludger, Apostel unserer Heimat. Bit- Darauf wurde Joseph Lodde in Schutzhaft ge- te für uns! nommen.580 Vater unser. Gegrüßet seist du, Maria. Ehre Das Verfahren vor dem Sondergericht Dortmund sei dem Vater. wurde jedoch wegen eines allgemeinen von Hitler Gelobt sei Jesus Christus. In Ewigkeit. Amen. verfügten Gnadenerlasses eingestellt. So wurde Münster, am Fest des hl. Michael, den 29. Dechant Lodde nur gerichtlich verwarnt. Im Mo- September 1939. natsbericht der Staatspolizeileitstelle Münster von Der Bischof von Münster, + Clemens Au- Juni 1940 heißt es: 577 gust 578 Nach c. 533 § 3 CIC ist dafür Sorge zu tragen, daß Der 29. Februar [1940] war für St. Lamberti ein bei fortdauernder Abwesenheit des Pfarrers die Seel- Trauertag. Nachmittags gegen 16.00 Uhr er- sorge der betroffenen Pfarrei durch einen mit den not- schien – mit einem Auto vorgefahren – die ge- wendigen Befugnissen ausgestatteten Priester sicher- heime Staatspolizei in der Dechanei. Sie durch- gestellt ist. Unter fortdauernder Abwesenheit ist eine suchte des Herrn Dechanten Arbeitszimmer, vorübergehende Verhinderung, der Urlaub oder auch nahm einige Zeitschriften und Bücher mit und eine Krankheit des Pfarrers, nicht aber die Vakanz verhaftete unseren Herrn Dechanten. Er wurde der Pfarrei oder die Behinderung des Pfarrers zu ver- mit dem Auto nach Münster gebracht. Uns aber stehen. wurde strengstens untersagt, irgendetwas über 579 Chronik I, S. 127. diesen Fall öffentlich bekannt zu geben. Die 580 Kuropka, Joachim (Hg.), Zur Sache – Das Kreuz! Fortsetzung der Fastenpredigten, die der Herr Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Dechant begonnen hatte, übernahm Herr Vicar Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs, zur Wigger. Da der Herr Dechant in einigen Tagen Wirkungsgeschichte eines Massenprotestes und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer 577 Der Gebetszettel mit dem Abbild des heiligen Ludge- agrarisch-katholischen Region, Vechta 1986 (zit.: rus ist in Chronik I, S. 125 eingeklebt. Kuropka), S. 526.

200 Das Strafverfahren wurde am 12.4.40 durch das einzelnen Gottesdienste verteilen. Wir bitten die Kriegsgericht des VI. A.K. in Münster mangels Gläubigen deshalb dringend, mehr die Früh- einer strafbaren Handlung eingestellt. Die messen zu besuchen, um dadurch die späten Schutzhaft wurde am 8.4.40 aufgehoben.581 Messen zu entlasten. Ebenfalls verlangt die Po- lizeibehörde, daß die Kirchenbesucher nach den [April 1940.] Alle diese Feierlichkeiten, wie auch Gottesdiensten nicht beisammenstehen, son- die kirchlichen Funktionen an den Kartagen, die dern unverzüglich von der Straße verschwinden. Osterfestlichkeiten litten in etwa durch den Ge- Aus den oben genannten Gründen sind auch al- 583 danken an die Inhaftierung unseres Herrn De- le Prozessionen bis auf weiteres verboten.“ chanten. Warum mußte er fehlen? Groß war aber die Freude, als durch einen Telefonanruf Am 19. Januar [1941] verkündeten wir die seitens des Herrn Dechanten aus Münster die Alarmvorschrift des hochwürdigsten Herrn Bi- sichere Nachricht eintraf, daß man ihn aus der schofs: Wenn die Entwarnung vor 24.00 Uhr er- Haft entlassen habe. Es war am Samstag, 13. folgt ist, bleiben die Gottesdienste wie gewöhn- April, am Tage vor dem Patronatsfeste des heili- lich. Erfolgt die Entwarnung erst nach 24.00 Uhr, gen Joseph, als wir drei Geistlichen gegen 14.00 dann darf vor 10.00 Uhr morgens kein öffentli- Uhr den Herrn Dechanten vom Bahnhof abholen cher Gottesdienst beginnen. Für uns haben wir durften. Wohl merkte man ihm die sechswö- die Sonntagsmessen für diesen Fall festgelegt chentliche Haft an, aber dennoch war sein Mut auf 10.00, 10.45, 11.30, 12.15 und 13.00 Uhr. und sein Gemüt nicht zu Schaden gekommen. Für die Wochentage ist um 10.00 Uhr das Nein, warum und was sich alles in diesen sechs Hochamt festgelegt. Die anderen Messen wer- Wochen zugetragen hat, darüber möchte ich den in der Frühe gelesen. In der Nacht zum 30. nicht schreiben; hoffentlich setzt der Herr De- Januar fing um 24.00 Uhr die Angelus-Glocke zu chant selbst einen kleinen Bericht darüber hinter läuten an und wollte nicht wieder aufhören. die Geschehnisse dieses Jahres. So hielt am Durch die Polizei wurden der Herr Dechant, der Patronatsfeste des heiligen Joseph der Herr De- Küster Schwering und Kaplan Ridder aus dem chant das feierliche Levitenamt und die Freude Bett getrommelt, um die Glocke abzustellen. In aller über die Rückkehr des Herrn Dechanten der Stadt war man der Meinung, daß Lamberti war überaus groß. Nicht minder groß war der den 30. Januar, den Tag der Machtübernahme Ärger der Menschen, die seine Verhaftung ver- [Adolf Hitlers], eingeläutet habe!?584 anlaßt hatten.582 Um Kriegsmaterial herzustellen, wurden auch Kir- Am Sonntag, 12.5.[1940] wurde bekannt gege- chenglocken beschlagnahmt und eingeschmolzen. ben: „Nach amtlicher Mitteilung sind in den letz- Sonntag den 17. Mai [1942] wurde auf der Kan- ten Tagen an verschiedenen Orten von feindli- zel mitgeteilt, daß die Christus-König Glocke in chen Fliegern Bomben abgeworfen worden. Aus Kürze abgenommen werden würde. Am Mitt- diesem Grunde verlangt die Polizeibehörde, daß woch den 20. Mai wurde noch eine Schallplat- die Kirchenbesucher sich gleichmäßiger auf die tenaufnahme gemacht. Zuerst sprach Herr De-

581 Kuropka S. 527 f. 583 Chronik I, S. 129. 582 Chronik I, S. 128. 584 Chronik I, S. 137.

201 chant Lodde in seiner Wohnung in das Mikro- Die Nationalsozialisten suchten immer wieder Ge- phon und nahm Abschied von der Glocke! Dann legenheit, Joseph Lodde unschädlich zu machen. Im [585] wurde vom Balkon des Kaufhauses Althoff Juli 1942 wollten sie ihn ohne speziellen Grund aus die scheidende Glocke einzeln und das ge- verhaften. Dies wußten aber einflußreiche Bürger sammelte Geläut aufgenommen, um es für spä- zu verhindern. Nicht mehr zu retten war Joseph ter zu erhalten! Dann wurden die Vorbereitungen für die Abmontierungen fortgesetzt. Am Pfingst- Lodde am 26. Oktober 1942. Er hatte einer ge- sonntag konnte noch voll geläutet werden. Am schiedenen Frau Vorhaltungen wegen ihrer Wie- Pfingstmontag nach der Vesper wurde die Glok- derverheiratung gemacht. Diese Äußerungen wur- ke zum letzten Mal geläutet. Am Pfingstdienstag den ihm zum Verhängnis: Joseph Lodde habe sich kam sie langsam von ihrer Glockenstube herun- „verächtlich gegen eine Staatseinrichtung [Zivil- ter. ehe]“ ausgesprochen. Durch den Gestapo-Mann Die Schallplattenansprache des Herrn De- Eugen Dehm wurde er in das Gefängnis nach Mün- chanten Lodde hatte folgenden Wortlaut: ster überstellt, von dort gelangte er am Silvester- „Christuskönigsglocke! Was war das ein abend 1942 ins KZ Dachau587. Freudentag für St. Lamberti und für ganz Coes- Am 26. Oktober [1942] Tag nach dem Christus- feld Stadt und Land, als Du am 23. Mai 1928 Königsfest, mußte sich Dechant Lodde zur Ver- den Turm hinaufgestiegen bist! Wie haben die nehmung in Münster bei der Gestapo, Guten- altehrwürdigen 500jährigen Glocken: Lambertus, bergstraße [17], melden. Von dort ist er nicht zu- Maria, Heilig Kreuz und Katharina gejubelt, als rückgekehrt. Später wurde festgestellt, daß er Du zu ihnen kamst! Du mußtest ihr Chorführer sich seitdem im Polizeigefängnis in Münster Ge- werden. Denn Christus dem König bist Du ge- richtsstr. 2 befindet. Vikar Wigger ist zum Vicar weiht. Auf Deinem Bronzemantel steht geschrie- substitutus ernannt.588 [...] ben: „Christus unserem Gott, dem Könige der Am 1. Dezember verließ Herr Dechant Lodde Zeiten sei ewig Ruhm und Ehre. Ich, der König, Münster mit bisher unbekanntem Ziel. Am Hei- gebe euch meinen Frieden.“ Du solltest und ligabend war kurzer Luftalarm ebenso auch am wolltest Christi Frieden verkünden im Reiche Sylvesterabend. Sonst wurden die in diesem Christi. 14 Jahre hindurch warst Du sein Herold, Jahr besonders zahlreichen Feiertage nicht ge- nun sollst Du verstummen. Aber, wenn Du nun stört.589 zum letzten Mal ertönst, dann soll Dein letzter Am 11. Januar [...] gab Dechant Lodde die Schall ein Dankesjubel an Christus den König Mitteilung an seine Schwägerin, daß er, wohl um sein für alle Gnaden, die er uns geschenkt und den 1. Januar, im Konzentrationslager Dachau ein innig flehender Bittruf: „Dona nobis pacem, angekommen ist. gib uns den Frieden“ Denn nur in Christus ist die Sicherheit des Friedens in Gerechtigkeit und Freiheit. Dona nobis pacem. Amen.“586

587 Das 1933 errichtete Konzentrationslager (KZ) Da- chau, anfänglich „K.L.“ genannt, galt als Musterbei- spiel aller deutschen KZ. 585 Damals Adolf-Hitler-Straße 2, heute Letter Straße 2. 588 Chronik I, S. 152. 586 Chronik I, S. 147 f. 589 Chronik I, S. 153.

202 Seine Adresse lautet: No 41551 Dachau son führte zu einem Bruch in seiner Persönlichkeit, [590] K3 , geb. 26.1.79 Block 20. Stube 4. Am sel- von dem er sich nicht mehr erholte. 591 ben Tage ging ein erstes Paket an ihn ab. Zwar überlebte er noch einige Zeit, insbeson- Wie alle Häftlinge wurde Joseph Lodde unter dere wurde ihm der Wunsch erfüllt, mit den ande- Schlägen und Beschimpfungen ins Lager getrieben, ren Priestern auf Block 26592 zu leben und dort an mußte seinen gesamten persönlichen Besitz abge- Heiligen Messen teilzunehmen.593 Doch erholte er ben, wurde kahlgeschoren und bekam die gestreifte sich gesundheitlich nie wieder so, daß man ihn Drillichkleidung und die Holzpantinen des Häft- einem Arbeitskommando zuteilte. Anfang Februar lings. Dann wies man ihn in den Zugangsblock ein. 1943 ereilte ihn ein leichter Schlaganfall, zusätzlich Am folgenden Morgen fiel die Entscheidung infizierte er sich mit Typhus. Seine Mitbrüder, der über sein weiteres Leben und Sterben. Nach dem Benediktinerpater Augustin Hessing594 und Johan- Wecken und vor dem Frühstück mußten die Gefan- nes Sonnenschein595, brachten ihn ins Kranken- genen, wie es im Lager hieß: „Betten bauen“, aber revier, wo er am 28. Februar 1943 starb. Dechant Joseph Lodde, alt und ungeübt, war nicht Johannes Sonnenschein erinnert sich: in der Lage, dieses in der vorgeschriebenen Weise Lassen Sie mich Ihnen drei Erlebnisse aus dem auszuführen. Er mußte deshalb die Prozedur wie- Zusammenleben berichten, welche mir mit dem derholen, während die anderen frühstückten. Als er Dechant Joseph Lodde in Erinnerung geblieben fertig war, wurde schon zum Antreten gerufen, sind: daher stellte er seinen Becher Kaffee in den Spind, 1. Meine erste Begegnung mit ihm war am um ihn später zu trinken. Da dies jedoch verboten ersten Morgen seiner Einlieferung in das KL Da- war, schlug ihn der Blockälteste derart, daß er sich chau. Es war in einer jener 30 Baracken, die von nicht mehr rühren konnte. So fand ihn ein geistli- hoher Mauer, elektrisch-geladenem Stacheldraht und tiefem Wassergraben umgeben waren und cher Mithäftling, der ihn daraufhin pflegte. ständig unter SS-Bewachung standen. Als Ar- Dieser berichtete später, die Verrohung der Sit- beiter eines Innenkommandos kam ich in die ten und der Verlust aller menschlichen und sittli- chen Werte seien für Joseph Lodde schwerer zu ertragen gewesen als die Schmerzen. Joseph Lodde, 592 Im Block 26 waren ab dem 19.9.1941 alle Priester untergebracht, die nicht Polen waren. durch und durch im militärischen, preußischen 593 Geist beheimatet und hochdekorierter Militärgeist- Im Januar 1941 war im Block 26 des KZ Dachau eine Kapelle eingerichtet worden. licher des Ersten Weltkrieges, war es gewohnt, 594 Pater Augustin (Heinrich) Hessing OSB in Gerleve, Respekt zu genießen. Die Mißachtung seiner Per- geboren am 4.11.1897 in Coesfeld, Profeß am 29.2. 1920, Priesterweihe am 6.8.1924, gestorben am 29.7. 1975. Er kam am 10.10.1941 ins KZ Dachau und 590 Die 3 steht für das 3. Postamt, das 1937 in Dachau wurde am 27.3.1945 entlassen. eingerichtet wurde; es befand sich im SS-Lager am 595 Johannes Sonnenschein, geboren am 30.5.1912 in Eickeplatz. Das damalige Postamt 2 stand gegenüber Bocholt, Priesterweihe am 19.12.1936 in Münster, dem Bahnhofsgebäude, wo sich heute der Busbahn- gestorben am 31.8.2003 in Ahaus. Er kam am 29.5. hof von Dachau befindet. 1942 ins KZ Dachau und wurde am 9.4.1945 entlas- 591 Chronik I, S. 159. sen.

203 sog. Baracke für Neuzugänge. Dort lag im Vor- Jesus Christus, der eucharistische Mitgefangene raum in der Ecke ein Mensch in Lagerlumpen seiner Priester. Kein Wunder, daß jeder neuein- gehüllt, mit Holzpantinen an den bloßen Füßen; gesperrte Priester sich darum danach sehnte, der eigenen Kleidung und Wäsche beraubt, das auf diesen Priesterblock zu kommen: „Wie freute Gesicht blutig und aufgedunsen von rohen ich mich, da man mir sagte: Sieh das Zelt Gottes Schlägen, die Brille hatte er verloren; verstört, unter den Menschen [Ps 122,1].“ So war auch verängstigt und hilflos schaute mich dieses Joseph Lodde überglücklich, als er zu uns in die Häuflein Elend an, als ich mich zu ihm auf den Priesterbaracke kommen durfte in die größte Zementboden kniete. Mit gleicher Häftlingsklei- Priestergemeinschaft, die es je in der Kirchenge- dung angetan hatte ich Mühe, ihm glaubhaft schichte gegeben hat, als Mitbruder der dort klarzumachen, wer ich sei, ihn dann zu trösten, weilenden 2.700 geistlichen Mitbrüder, die aus zu ermutigen und mit einem Butterbrot zu stär- 24 Nationen und aus allen deutschen Diözesen ken. Was war geschehen? Abends zuvor war er stammten. Von nun an verging kein Tag, daß er – der Dechant Lodde – mit Spott und Schimpf- nicht darauf bedacht war, am hl. Messopfer in al- worten, mit Fußtritten und Ohrfeigen, wie das so ler Herrgottsfrühe teilzunehmen und den zu üblich war, in das Lager eingebracht worden. empfangen, „um dessen Namens willen er hier Wahrscheinlich hatte man höhnend auch ihm leiden mußte [vgl. Apg 9,16]“. Christus ist es wie den übrigen Priestern unseres Bistums zu- gewesen, dies hl. „Brot des Lebens“ in dem er gerufen: „Na, wieder ein Opfer des Herrn von Trost und Kraft und Stärkung finden konnte. Ich Galen?“ Und dann mußte er als „alter Dreck- werde nie den letzten Sonntag im Leben Loddes pfaff“ die Einführungsrede des Lagerführers über vergessen. Durch Hunger und Entbehrung, sich ergehen lassen: „Das deutsche Volk hat durch Schnee und Kälte körperlich geschwächt, euch ausgestoßen, ihr seid keine Menschen seelisch erschüttert ob all der Ungerechtigkeit mehr, sondern nur noch Nummern. Ihr sollt hier und Willkür, der er hilflos preisgegeben war, in arbeiten, bis ihr verreckt seid, und dann gehts immer neuer Aufregung und Lebensgefahr, die durch den Kamin!“ Anschließend hatte man ihn uns bedrohte, bat er mich dringend: Trägst du in die vorgenannte Baracke geführt, die unter mir wohl einen Hocker [aus der Wohnstube] in Leitung eines Stubenältesten, aber eines Mit- die Kapelle und stell ihn vor den kalten Ofen, handlangers der SS, stand, und der eben den dann kann ich mich dort ein wenig anlehnen und Dechanten so jämmerlich zusammengehauen wenn es mir trotzdem schlecht werde sollte, hatte, als ich kam. Aus welchem Grunde? Ein kann ich schnell heraus, denn ich möchte doch Lagergebot lautete: von dem sog. Morgenkaffee unbedingt am Tag des Herrn die hl. Messe mit- darf ein Häftling niemals etwas in seinem Spinde feiern und die hl. Kommunion empfangen. So aufbewahren. In Unkenntnis dieses wichtigen innig betete er die hl. Messe mit, obwohl er den Gebotes hatte Joseph Lodde es übertreten. Und Altar nicht sehen konnte, daß er zum letzten Mal das war seine große Schuld. mit lauter Stimme in die Stille der hl. Wandlung 2. Jeder eingesperrte Geistliche kam nach in die erschreckende Priesterschar hineinrief, als einer gewissen Zeit in die Baracke 26, in der ob er’s einem Meßdiener kommandieren wollte: durch einen Sonderzaun von allen übrigen ge- „Confiteor“[596], denn jetzt wollte er den Leib des trennt, nur Priester wohnten. In dieser Baracke aber war eine schlichte Kapelle eingerichtet und 596 „Ich bekenne“. Das Schuldbekenntnis wurde vor der in ihr ein Opferaltar, ein Tabernakel und in ihm Liturgiereform nicht nur während des Stufengebetes

204 Herrn empfangen, den Trost im Leiden, die neues Übel: „Eine Laus dein Tod“, so stand es in Stärke der Mühseligen, die Wegzehrung der im jeder Stube in sechs Sprachen auf einem Plakat Herrn Sterbenden, das Unterpfand künftiger geschrieben. Trotz aller möglichen Vorsichts- Herrlichkeit. maßnahmen mußte auch Dechant Lodde ein Opfer des Flecktyphus werden, der durch dieses Ungeziefer übertragen wurde, und täglich 100 bis 150 Todesopfer forderte. Als das Fieber nicht nachließ, schlug ich ihm vor, sich die hl. Kran- kensalbung spenden zu lassen. Damit war er so- fort einverstanden. Das Sterben war ihm nicht schwer. Wer in dieser Leidensschule schon Ab- stand nehmen mußte von Amt und Ansehen, von Verwandten und Freunden, von Heimat und Gesundheit und Eigentum, dem kommt der Tod nur noch als Bote Gottes und Erlöser. Dem ist, wie St. Paulus sagt: „Sterben ein Gewinn [Phil 1,21]“. Nach dem abendlichen Zählappell schleppten Pater Augustin [Hessing OSB] und ich den Todgeweihten unter dem priesterlichen Segen seiner Mitbrüder zum Krankenrevier. Dort hat man ihn uns abgenommen. Schon zwei Ta- ge später war er tot. Auch für seine Seelenruhe feierte die Priestergemeinschaft wie für jeden der 750 dort verstorbenen Priester das Seelen- amt. Sein Leichnam wurde, wie es Vorschrift war, verbrannt. Den am Krematorium ar- beitenden Mithäftlingen spendeten wir von un- sern Lebensmitteln und konnten so das Häuflein Asche heimlich bekommen, das nun in Coesfeld ruht. Sinnvoll hat man für den Toten das Symbol des Phönix gewählt. Von diesem Wundervogel der heidnischen Sagenwelt wissen wir, daß aus seiner Asche stets junges Leben ersteht. Gebe Gott, daß aus dem Martertod dieses Priesters 3. In seinem Alter solchen Strapazen ausge- Joseph Lodde, den er für seinen Christusglau- setzt, versagten seine Kräfte bald, und er erlitt ben geopfert hat, stets neues Glaubensleben in einen leichten Schlaganfall. Dazu kam noch ein dieser Stadt erblühe. Wenn diese Feierstunde gebetet, sondern auch unmittelbar vor dem Empfang der heiligen Kommunion.

205 und die Enthüllung dieser Gedenkplakette dazu Am 4. März wurde das hinterlassene Testament beiträgt, dann hat sie sicher ihren Sinn erfüllt.597 geöffnet in Gegenwart des Bruders Bernhard Lodde, das den Kirchenvorstand zum Universal- Auf dem Gedenkzettel für Joseph Lodde zum 25. erben unter Festsetzung einer Reihe von Lega- Jahrestag seines Todes heißt es unter anderem: ten ernannte. Das feierliche Seelenamt wurde Ob sein Tod noch durch Spritzen beschleunigt auf den 11. März angesetzt mit Rücksicht auf die Fastnachtstage mit dem allerorts üblichen wurde, konnte nicht mehr festgestellt werden. 600 Den Häftlingen, die das Krematorium be- 40stündigen Gebet. dienten, wurde immer etwas Besonderes (Ziga- retten usw.) spendiert, damit die Asche unserer Todesanzeige von Pfarrdechant Joseph Lodde: verstorbenen Priester getrennt aufbewahrt wur- Christus der König nahm seinen treuen Freund, de.598 unsern guten Bruder, Schwager und Onkel, un- sern lieben Pfarrer Seine Asche ruht im oberen Teil des Friedhofkreu- Pfarrdechant Joseph Lodde zes in Coesfeld, der Stadt seines langjährigen Wir- an St. Lamberti zu Coesfeld i.W. im 65. Lebensjahre und im 40. seines Priester- kens. tumes zu sich in sein ewiges Reich. Er starb in März [1943]. In der Nacht vom 27. zum 28. Fe- der Frühe des 28. Februar, fern der Heimat, bruar starb im Lager Dachau Dechant Joseph nachdem er am Christus Königsfest zum letzten Lodde. Die Nachricht wurde am Abend des 2. Mal für seine Pfarrgemeinde das heilige Opfer März den Angehörigen in Münster weitergege- dargebracht hatte. ben, die telephonisch Coesfeld benachrichtigten. Wir bitten um das priesterliche heilige Opfer Krankheitsursache Unterleibstyphus. Wegen und das Gebet der Gläubigen. Seuchengefahr könne die Leiche nicht beerdigt Bernhard Lodde, namens der Familie werden. Sie werde verbrannt. Am folgenden Elisabeth Molitor, als Haushälterin Morgen benachrichtigte Vikar Wigger die bi- [599] Vikar J. Wigger, für den Kirchenvorstand schöfliche Behörde, die den vicarius adjutor und die Pfarrgeistlichkeit nunmehr auch zum Pfarrverwalter ernannten. Coesfeld, Wengern (Ruhr), Münster, den 3. Gleich am 3. März wurden mehrere heilige Mes- März 1943. sen für den Verstorbenen gelesen und den Am Donnerstag, den 11. März 1943 feiern wir Gläubigen in der Kirche das Ableben mitgeteilt. mit der Pfarrgemeinde um 10.00 Uhr das heilige Opfer.601 597 Konzept für eine Ansprache anläßlich des 25. Todes- tages von Joseph Lodde in Coesfeld. Der Text er- Dazu heißt es in der Chronik: schien als Zeitungsartikel auf der Sonderseite der Der Totenzettel war neu: ein Entwurf des Ge- [602] Allgemeinen Zeitung (AZ) Nr. 59 vom Samstag, dem werbeoberlehrers Gerstner – Kleve, der ihn 9. März 1968, in: Chronik II, S. 222. Kopie im IKLK- Archiv. 598 IKLK-Archiv. 599 Während der Abwesenheit von Dechant Lodde hatte Vikar Josef Wigger die Verantwortung für die Pfar- 600 Chronik I, S. 160. rei. 601 Eingeklebt in Chronik I, S. 161.

206 für eine Kreuzpalla[603] gemacht hatte! Er sollte Nimm, o Herr, von mir jegliche Traurigkeit in für Totenzettel gebraucht werden und so war meiner tiefen Trauer! Gib, daß dein heiliger Wille das Klichée des Entwurfs bereits fertig. Daß der der meine sei in meiner großen Verzagtheit. neue Totenzettel für den das Kreuz fördernden Schenke mir einen starken Glauben, eine frohe Pfarrer zuerst verwandt werden würde, war al- Hoffnung, eine unüberwindliche Liebe, damit ich lerdings nicht geahnt.604 einstens all die Meinen, die mir im Zeichen des Glaubens vorangegangen sind, wiederfinde in deiner unvergänglichen Herrlichkeit. Amen. Meine Liebe gehört euch allen in Christus Jesus! 1 Cor. 16.24. O CRUX AVE SPES UNICA IN HAC TRIUMPHIS GLORIA PIIS ADAUGE GRATIAM REISQUE DELE CRIMINA605 [Sei gegrüßt o Kreuz, einzige Hoffnung in der Herrlichkeit des Triumphes, mehre den Frommen die Gnade und tilge den Schuldigen ihr Vergehen.606] O Haupt, das anderer Ehren und Kronen würdig ist! Sei mir mit frommen Zähren, sei tausendmal gegrüßt! Zur Gebetserinnerung an Pfarrdechant Joseph Lodde an St. Lamberti zu Coesfeld. Er war geboren am 26. Januar 1876 in Münster. Text des Totenzettels: Nach Abschluß seiner Studien wurde er am 6. Juni 1903 zum Priester geweiht. Als Kaplan Liebe Brüder! Wir wollen euch nicht im Unge- wissen lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht trauert wie die andern, die keine Hoffnung 605 6. Strophe des Hymnus „Vexilla Regis prodeunt – haben. Des Königs Fahnen ziehn voran“ von Venantius For- (1 Thess. 4,13) tunatus (530–610), der in der Passionszeit gesungen wird: 602 O crux ave, spes unica, Joseph Gerstner, geboren am 5.6.1901 in Kronberg, Hoc Passionis tempora: gestorben am 6.1.1976 in Kleve, wohnte in Kleve, Piis adauge gratiam, Bresserbergstraße. Requisque dele crimina. 603 Die Palla ist ein kleines gesteiftes, quadratisches Dieser Hymnus ist zugleich das Wallfahrtslied bei der Stück Leinen – bei uns in Deutschland meist ein mit Kreuzwallfahrt in Coesfeld. Zum Fest Kreuzerhö- einer Kartoneinlage versehenes Leinenstück – , mit hung ist die zweite Zeile der 6. Strophe verändert: dem während der Messe der Kelch zugedeckt ist. In hac triumphi gloria. 604 Chronik I, S. 161. 606 Siehe: Hörnemann S. 79 f.

207 wirkte er segensreich an St. Laurentius in Wa- Der Weihbischof nahm auch die Absolution[612] rendorf, an St. Anton in Herten und an St. Lam- vor. Etwa 100 Priester nahmen an der Beerdi- berti in Gladbeck. 4 Jahre des Weltkrieges stand gung teil! Anschließend war Growe [Kaffeetrin- er als Divisionspfarrer in Ost und West, ausge- ken] im Kolpinghaus! Die Kirche war überfüllt, zeichnet mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klas- die Kinder hatten morgens 8.15 Uhr Gemein- se. In der Ruhrbesetzungszeit trat er unentwegt schaftsmesse gehabt, die gleichfalls außeror- für Heimat und Vaterland ein. Am 15. März 1927 dentlich gut besucht war. Um 6.30 Uhr war Ge- wurde er Pfarrer von St. Lamberti in Coesfeld. Er meinschaftsmesse am Kreuzaltar!613 war seiner Herde treuer Hirte, ein großer Vereh- rer und Förderer des Coesfelder Kreuzes. Fern Schreiben der Kommandantur des Konzentrations- der Heimat starb er am 28. Februar 1943. 607 lagers Dachau an Joseph Loddes Schwägerin Maria Betet für seine Seele! Pfarrchronik: Lodde: Konzentrationslager Dachau, Am Morgen nach Aschermittwoch fand um 10.00 Kommandantur Uhr das feierliche Seelenamt statt. Der Hochal- Dachau 3/K., 3.3.43 tar war mit dunklem Tannengrün verkleidet, da- Betrifft: Beisetzung der Aschenreste des am vor die silbernen Leuchter und gelbe Narzissen. 28.2.43 hier verstorbenen Lodde Joseph, geb. Die Tumba war mit roten Blumen geschmückt. 26.1.79 zu Münster/Westf. Kelch und rote Stola lagen auf der Rast [Tum- An Frau Maria Lodde, ba]. Zur Seite stand der bischöfliche Thron, auf Münster/Westf. Kanalstr. 4 dem Weihbischof Heinrich Roleff Platz nahm! [608] Die Aschenreste der im K.L. Dachau Verstorbe- Das Seelenamt hielt Dechant Prüllage und [609] nen können hier oder auf dem Friedhof der Stadt die Assistenz bildeten Direktor Röer und [610] Dachau nicht beigesetzt werden, sondern müs- Pfarrer Bleister , der sein erster Kaplan war. [611] sen lt. VO. des Reichsführers-SS und Chef der In Mitra hielt der Weihbischof die Leichen- Deutschen Polizei [Heinrich Himmler614] grund- rede, die einen warmen Ton hatte und tief ergriff! sätzlich an den Wohnort der Angehörigen ver- sandt werden, damit sie auf dem dortigen Fried- hof beigesetzt werden können. Falls der Beiset- 607 Eingeklebt in Chronik I, S. 162. zung auf dem dortigen Friedhof besondere 608 Johannes Prüllage, geboren am 27.12.1877 in Dink- Gründe und Schwierigkeiten entgegenstehen, lage, Priesterweihe am 28.5.1904 in Münster, gestor- müßten Sie den Friedhof angeben, an den das ben am 11.3.1950. Er war Pfarrer in St. Jakobi und ab 1933 Dechant. 609 Päpstlicher Geheimkämmerer Heinrich Röer, geboren 612 Abschluß des Totengottesdienstes. am 14.1.1888 in Beckum, Priesterweihe am 1.6.1912 613 Chronik I, S. 162 f. in Münster, gestorben am 26.3.1970. Er war ab 1937 614 Heinrich Himmler, geboren am 7.10.1900, gestorben bis zu seiner Pensionierung Präses und Direktor auf am 23.5.1945 (Suizid), stand bereits in den 1920er der Marienburg in Coesfeld. Jahren im Dunstkreis um Adolf Hitler. 1929 wurde er 610 Adolf Bleister, geboren am 30.9.1877 in Münster, Reichsführer der SS, 1934 stellvertretender preußi- Priesterweihe am 28.5.1904 in Münster, gestorben am scher Gestapochef, 1936 Herr über den gesamten na- 23.6.1952. tionalsozialistischen Unterdrückungs- und Terrorap- 611 Kopfbedeckung und Würdezeichen der Bischöfe. parat und 1943 Reichsinnenminister.

208 Aschenbehältnis übersandt werden soll. Ein- eingemachtes Obst in Weckgläsern, nicht ge- äscherungs- und Übersendungskosten werden trocknetes Obst. Auch hatte er den Bogen nur nicht berechnet. halb ausgenutzt. Ein Satz war sehr verdächtig: Um Ausfüllung und Rücksendung des an- Das Paket von [Heinrich] Röer kam gerade hängenden Formblattes wird gebeten. recht, um mich zu stärken. Ich habe sofort auf (Unterschrift) Unterleibsgeschichten geschlossen. Nach den Der Leiter des Krematoriums615 bisher eingegangenen Meldungen amtlicher Art ergibt sich dann noch folgendes: er hat sich am Konzentrationslager Dachau, 21. Februar krank gemeldet und ist in den Kran- Kommandantur Dachau3/K, den 10.3.43 kenbau gekommen. Trotz bester medikamentö- An die Verwaltung des St. Lamberti-Friedhofes ser und pflegerischer Behandlung ist er dann am Coesfeld/Westf. Walkenbrückenstr. 7 28. Februar in der Frühe des Sonntags um 1.00 Beifolgend werden die Aschenreste des am Uhr an Unterleibstyphus gestorben. Letzte Wün- 28.2.43 gestorbenen und am 4.3.43 im hiesigen sche hat er nicht geäußert. Er ist am 4. März im Krematorium feuerbestatteten (Nr. 7394/1943) staatlichen Krematorium verbrannt worden. Die Lodde Joseph, geb. 26.1.79 zu Münster zur Bei- Asche muß nach Münster oder sonst in einem setzung auf dem dortigen Friedhof übersandt mit Heimatfriedhof zur Beisetzung kommen. Sie wird der Bitte um Ausfüllung, Abtrennung und Rück- kostenlos übersandt. Wir haben sie angefordert sendung des anhängenden Formblattes. Die Ur- und so wird er in einigen Tagen per Einschrei- ne darf nicht an die Angehörigen ausgehändigt bepaket wohl hier eintreffen, wie ich es schon werden. am Abend vor seinem Weggang am 26.10. vor- Anschrift d. Angeh.: Schwägerin: Maria Lod- ausgesagt habe. de, Münster/Westf. Kanalstr. 4. Übersandt ge- Die Trauerfeier war sehr schön. Die Kirche mäß Ihrer nach hier gereichten Bestätigung. übervoll, so daß buchstäblich keine Nadel auf Der Leiter des Krematoriums616 den Boden fallen konnte. Etwa 100 Priester, für die alle Bänke auf der Epistelseite reserviert wa- Vikar Josef Wigger an einen Freund: ren bis zum Quergang – wir hatten die Kinder- Coesfeld, den 12. März 1943 bänke in die Quergänge gestellt und große Bän- Carissime [Wertester]! ke an ihren Platz gebracht – und viele Schwe- Nun will ich Dir einen langen ausführlichen Be- stern und Verwandte neben dem Kirchen- richt schicken, nachdem die Trauerdrucksachen vorstand auf der anderen Seite. Das Ganze ein- Dir [zugesandt wurden über das Ereignis], das gerahmt von den noch verbleibenden Fahnen. Coesfeld so sehr in diesen Tagen in Trauer ge- Den Altar hatten wir statt mit schwarzen Tüchern bracht hat. mit dunklem Tannengrün ganz verkleidet. Davor Schon am letzten Brief Loddes vom 4. Fe- die silbernen Leuchter und eine schlichte Reihe bruar [1943] merkten wir, daß er kränklich sein von 50 gelben Narzissen. Die Tumba war mit ro- mußte. Die Symptome: zitterige Schrift. Adresse ten Blumen (Lorrains und Amarillis aus unserer von anderer Hand geschrieben. Er wünschte Zucht) geschmückt. Darauf Kelch und rote Stola, was eine von Kaldenhoff[617] forcierte Sache war,

615 Original in Chronik I, S. 163. 617 Wilhelm Kaldenhoff, geboren am 27.6.1904 in We- 616 Original in Chronik I, S. 164. sel, Priesterweihe am 5.4.1930 in Münster, gestorben

209 der auch am liebsten das Seelenamt in Rot Sarkophag in Stein mit einem leeren Feld davor, gehalten hätte. Hinzu kam der bischöfliche in das man eine Platte einsetzen kann. Dort wird Thron an der Seite. So sah es nicht ganz nach in der Größe der Urne eine Höhlung gemacht Trauer, sondern nach Festtag aus. und eine Platte mit Daten still davor zementiert. Dechant Prüllage hielt das Totenamt, es mi- Nach Vollzug der liturgischen Gebete. Schöner nistrierten ihm Röer und Bleister. Der kann er dann eigentlich nicht liegen. Wir werden [Weih]Bischof Roleff legte vor dem Amt Mitra dann die Kränze der Organisationen davorstel- und Pluviale [Chormantel] an und hielt die war- len und die Partie vor dem Kreuz wird dann me, aber nicht sehr aggressive Leichenrede. Sie gleich so angelegt, daß zwar noch zwei Pastöre hat allgemein gefallen, wenn der Propst [Anton davorgelegt werden können, die ihre Namens- Laumann618] von B.[Billerbeck] auch von Gesäu- platte dann auf den Sockel des Kreuzes machen sel sprach. Er nahm auch die Absolutio vor. Das lassen können. Ein Photo des Kreuzes sollt Ihr Ganze also eine würdige Ehrung und großes nächstens haben. Der Bildhauer hat mir heute fast sensationelles Interesse, das sich nachher versprochen, daß zum 12. April alles fix und fer- besonders in der Totenzetteljagd austobte, was tig sein wird. Es wird hier aber der Zeitpunkt aber z. Z. noch anhält. Mit den heutigen Be- nicht bekanntgegeben. Vorher werden wir die schränkungen der Auflage war es natürlich noch Asche hinter dem Kreuz auf dem früheren Herz- schwieriger, alle Wünsche zu erfüllen. Der To- Jesu-Altar, der durch die roten Hintergrundstü- tenzettel enthält ein verkehrtes Geburtsjahr, das cher des Kreuzaltares verhängt ist, niederset- aber nachträglich bei einem Teil der Auflage zen, sobald die Urne eingetroffen und eingeseg- verbessert ist. Die Vorderseite ist der Entwurf ei- net ist. ner Pallenstickerei, die mir persönlich ein Ge- So, nun dürft Ihr über den langen Bericht werbeoberlehrer Gerstner, ein guter Freund aus wohl lächeln und meine Entlastung erteilen. Es Kleve, entworfen hatte. Das Photo ist aus letzter war ja auch allerlei, was ich in den letzten Wo- Zeit. 1. Corinth. 16.24 entsprach dem letzten chen alles tun mußte. Kaldenhoff behielt auch Satz, den er schrieb: Ich grüße alle in der Liebe jetzt noch die Ruhe, hat nur etwas Sorge, daß er Christi. Das Ganze ist sehr gelobt, auch vom Soldat wird, wenn nun ein junger das alte Vier- [Weih]Bischof. Wir haben auch alle das Beste gespann wiederherstellt. Was ihm dann auch getan, namentlich auch Schwering, der heute blühen wird. [...] noch ganz erschossen ist. Mit besten Grüßen Wigger. Am 12. April halten wir das Sechswochen- amt. Nachher werden die Ortsgeistlichen und die Pfarrchronik: Familie die Asche still im oberen Teil des Fried- Am 26. März [1943] trafen die Aschenreste im hofkreuzes beisetzen. Es ist dort unter dem gewöhnlichen Postpaket ein! Sie wurden einge- Kreuz auf dem viereckigen Fundament eine Art segnet und hinter dem heiligen Kreuz aufbe- wahrt, da die Beisetzung erst am Tage des am 17.9.1965. Er war von 1941 bis 1945 Kaplan in Sechswochenamtes durchgeführt werden sollte. Coesfeld St. Lamberti. In jeder Woche war eine von den Vereinen be- 618 Päpstlicher Geheimkämmerer Anton Laumann, gebo- stellte heilige Messe für den Verstorbenen. ren am 14.7.1877 in Greven, Priesterweihe am 6.6. April 1943. Am 12. April fand die Beisetzung 1903 in Münster, gestorben am 26.5.1965. Er war ab still im oberen Teil des Lambertifriedhofskreuzes 1927 Propst und Pfarrer in Billerbeck. statt. Um 8.45 Uhr war das Sechswochenamt,

210 zelebriert vom Propst Sievert[619], Borken, assi- Haupttreiber gegen den Dechanten Lodde der stiert vom Pfarrverwalter [Josef Wigger] und Gestapo-Beamte Dehm, der mittlerweile den dem Rektor [Heinrich Kemper620] von Stevede! Tod gefunden hat, war. Um 10.30 Uhr war die Beisetzung. Die Urne Nach längerem Forschen sind nun auch ei- wurde durch die granitne Grabplatte verschlos- nige Begleiter ermittelt, die mit Dechant Lodde sen! Die Beerdigung nahm Herr Landdechant jene unselige Fahrt nach Dachau erlebten. Ein Prüllage vor, assistiert von Kpl. Grothues[621] und Pfarrer der Kölner Diözese berichtet darüber, Pfarrer Kemper – Stevede. Die Urne und später wie er Dechant Lodde im Polizeigefängnis zu den Kelch trug der Pfarrverwalter! Die Kränze al- Frankfurt am Main kennenlernte. Dieser stieß ler Vereine wurden vor dem Kreuz niedergelegt mit einem holländischen Pfarrer Janus aus Bo- und dekorierten den Sockel des Kreuzes! Die denhagen[624] bei Amsterdam und einem refor- Kriminalpolizei war anwesend und prüfte den mierten Pastor Padt[625] aus Holland auf dem Vorgang.622 Transport zu ihm. Bei der Verladung von Frankfurt nach Nürn- Der „Neue Westfälische Kurier“ widmete Dechant berg, so berichtet der Pfarrer u. a.: „sahen wir Lodde einen langen Artikel.623 plötzlich unter uns noch einen Priester, erkenn- Ein Märtyrer der Heimat bar an seinem Priesterkragen, den er zum Un- Wir gedenken des hochseligen Dechanten terschied von uns stolz auch auf dem Transport weitertrug. Wir gliederten ihn gern in unsere Lodde aus Coesfeld Reisegesellschaft ein und blieben dann bis Da- Morgen, am 21. Dezember 1946, dem Festtage chau immer zusammen. Das war am 23. De- des heiligen Apostels Thomas, jährt sich wieder zember [1942]. In Nürnberg auf dem Bahnhof der Tag, da vor vier Jahren der verstorbene De- wurde er zusammen mit Janus gefesselt. Es war chant Joseph Lodde aus Coesfeld sein Todes- in der Heiligen Nacht gegen 2.30 Uhr. In der urteil empfing und vom Polizeigefängnis in Mün- Turnhalle des Gefängnisses von Nürnberg (die ster zum Lager Dachau abtransportiert wurde. durch die Vollstreckung der Nürnberger Urteile Neuere Forschungen haben ergeben, daß der so bekannt wurde) blieb er mit uns fünf Tage zu- sammen. In diesen Tagen lernte ich seinen 619 Joseph Sievert, geboren am 1.6.1878 in Gronau, Starkmut ausgiebig kennen. Ja, ich muß geste- Priesterweihe am 6.6.1903 in Münster, gestorben am hen, ich habe Dechant Lodde bewundert, mit welcher heroischen Gelassenheit er all das 27.2.1952. Er war ab dem 8.1.1927 Pfarrdechant und Furchtbare in diesem Käfig ertrug. Ja, ich war im Propst in Borken. 620 Heinrich Kemper, geboren am 2.10.1885 in Gescher, Stillen sogar etwas neidisch, daß er so abgeklärt Priesterweihe am 18.12.1920 in Münster, gestorben gegenüber dem Furchtbaren war, während sich in mir das Innerste umkehrte und empörte über am 12.3.1966. Er war ab 16.12.1930 Pfarrektor in Stevede. 621 Wilhelm Grothues, geboren am 7.10.1889 in Lies- 624 Willem Petrus Johannes Janus, geboren am 23.12. born, Priesterweihe am 6.6.1914 in Münster, gestor- 1884 in Bennesbroek, kam am 30.12.1942 ins KZ ben am 30.12.1980. Er war ab 12.12.1931 Kaplan in Dachau und wurde am 30.8.1944 entlassen. Coesfeld St. Jakobi. 625 Nikolaas Padt, geboren am 18.6.1886 in Amsterdam, 622 Chronik I, S. 164. kam am 30.12.1942 ins KZ Dachau und wurde am 623 Kopie im IKLK-Archiv. 29.4.1945 befreit.

211 die Behandlung von Menschen, die ich niemals Schon am 23. Januar [1943] brach der Ty- an Tieren für möglich gehalten hätte. Dechant phus aus, dessen Opfer der kränkelnde Dechant Lodde hatte ein Reisebrevier bei sich. Er hatte wurde, gepflegt von seinen Konfratres, nament- es durch alle Kontrollen hindurch gerettet, und lich von dem jungen Kaplan Sonnenschein, der nur dank diesem Brevier konnten wir in dieser sich seiner wie ein Kind seines Vaters an- Heiligen Weihnacht etwas von dem heiligen Ge- nahm...“ schehen dieser Nacht erleben. Sollte es nicht an der Zeit sein, das Anden- Am 30. Dezember wurden wir aus diesem ken des hochseligen Dechanten Lodde in Coes- Gefängnis befreit, und wir sollten wieder gefes- feld zu ehren durch Umbenennung der Straße, selt zum Bahnhof geführt werden. Aber ein die zu seinem Grabe auf dem St. Lam- Wachtmeister hatte in Lodde den Priester er- bertifriedhof führt, daß man also die Billerbecker kannt und ordnete an, daß er nicht gefesselt Straße in Dechant-Lodde-Allee umbenennt? würde. Ihm hatten wir drei anderen es auch zu Dadurch würde die Erinnerung an einen Märty- verdanken, daß uns die Fesseln wieder abge- rer der Heimat für alle Zeiten wachgehalten. nommen wurden. W. W.626 Am selben Tage trafen wir in Dachau ein. Gleich am folgenden Tage hatte Dechant Lodde Zeitungsartikel aus dem Jahr 1959: einen Zusammenstoß mit dem kommunistischen Der billigste Dank Stubenältesten. Der hatte übersehen, daß die Auch Dechant Lodde gehörte zu den Wider- Neuankömmlinge noch nicht zum Appell antre- standskämpfern ten durften und ließ uns mit zum Appellplatz Coesfeld. Anläßlich des 15. Jahrestages der marschieren. Es war bereits stockdunkel gewaltsamen Niederwerfung des deutschen Wi- abends. Als der Appell zu Ende war, fand De- derstandes, welcher Tag in unserer Stadt wie je- chant Lodde sich nicht auf die richtige Blockstu- der andere ablief – ohne Kranzniederlegung und be zurück, er geriet in eine fremde Stube und ohne besonderen Gottesdienst – steigen den- wurde dort angehalten. Als man dann feststellte, noch im Herzen eines Coesfelders viele Erinne- daß er erst eben angekommen und mit ihm alle rungen auf. Geht man dabei auf dem Wege zum Neuangekommenen zum Appellplatz aufmar- Coesfelder Berg durch das Walkenbrückertor, so schiert waren, bekam der Stubenälteste einen betritt man jenseits der Brücke mit der Plastik Rüffel, den der nicht verschmerzen konnte. Er des heiligen Ludgers eine schattige Lindenallee. ließ seine Wut an Dechant Lodde aus. Allerlei Das war früher der erste Teil der Billerbecker fand er an ihm zu kritisieren. Er schlug den alten Straße, seit der Nachkriegszeit trägt dieser Teil Mann immer wieder ins Gesicht, und das war es, zwischen Berkel und Fegetasche (Umflut II) den was Dechant Lodde jetzt aus der Fassung Namen Lodde–Allee. Damit ehrt die Coesfelder brachte. Darüber konnte er nicht wegkommen. Bevölkerung jenen hochwürdigen Pfarrdechan- Wir sahen mit Empörung zu, konnten aber nicht ten Joseph Lodde, der wegen seines Glaubens helfen. Wir konnten nur trösten. Mit dem Tage in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert fing Dechant Lodde an zu kränkeln, er wurde mehr und mehr melancholisch, und diese Krankheitserscheinung wurde immer schlimmer, 626 „Neue Westfälische Kurier“ vom 20. Dezember 1946 auch als wir nach acht Tagen auf den Priester- (Jg. 1, Nr. 51). Siehe auch: Zeitungsausschnitt in block kamen. Chronik I, S. 251.

212 wurde und dort am 28. Februar 1943 starb. Sei- die sich mit Wort und Tat gegen Mord und Unge- ne Asche wurde im Sockel des Hauptkreuzes rechtigkeit in ihrer Stadt zur Wehr setzten, dafür auf dem Friedhof von St. Lamberti beigesetzt. aber nach langen Foltern eines schmählichen Während man damals die Umstände, die zu sei- Todes sterben mußten, sollten in ihrer Stadt nem Tode führten, nicht nennen durfte, scheinen stellvertretend für die vielen Opfer des Systems sie heute vergessen zu sein: Nirgendwo findet einen Ehrenplatz erhalten. man an seinem Grabe den Hinweis auf sein Nach Dechant Lodde ist eine Allee benannt Martyrium in Dachau. worden. Anläßlich des 15. Jahrestages des nie- Joseph Lodde war seit 1927 Dechant an St. dergeschlagenen deutschen Widerstandes erin- Lamberti in Coesfeld und, da er sich einsetzte nert man sich seiner. Er, der schon 1943 sterben für seine Herde, ereilte ihn das Schicksal der üb- mußte, verkörperte den Widerstand der Coes- rigen 1.200 Geistlichen, die in diesem KZ den felder, die aus Gewissensgründen das System Tod fanden. (In anderen Lagern ist es ähnlich ablehnten. zugegangen und auch außerhalb Deutschlands: Und man geht über die schattige Lindenallee in Polen wurden allein über 8.000 katholische vor dem Walkenbrückertor mit wachen Gedan- Geistliche der amtlichen Zählung des Vatikans ken und offenem Herzen. Der in Vergangenheit zufolge durch Nazi-Organisationen hingerichtet.) getauchte Blick hält plötzlich Gegenwärtiges Diese Märtyrer des Glaubens starben für ei- fest: das Schild der Lodde-Allee. Aus einem ne andere Gesellschaftsordnung, als es die da- verwitterten Stück Latte unter Lindenzweigen malige war. Sie opferten sich für ein Leben aus versteckt in einer Zeit, in der die Stadt Coesfeld christlich-humanen Grundsätzen, für ein Den- bemüht ist, jedem geringsten Feldweg zwei ken, das offen ist für Christus, für einen Staat, graue Pfähle mit emaillierten Namensschildern der die Würde des einzelnen achtet, der die zu geben. Kranken schützt, keine Rasse verdammt usw. Winston Churchill[627] sagte im britischen Un- Ihre Ideen tragen heute in unserem Bundesge- terhaus 1946 zum deutschen Widerstand: „In biet erste Früchte; während sie im anderen Deutschland, in der sogenannten DDR, immer 627 Winston Churchill wurde am 30.11.1874 im Blen- noch verächtlich gemacht werden, wie es am 15. heim-Palast bei Woodstock (Oxford) geboren. Am Jahrestag des 20. Juli noch in dem Parteiblatt 10.5.1940 wurde er nach dem Beginn des deutschen „Neues Deutschland“ geschah. Die Ehre der im Westfeldzuges gegen Frankreich unter dem Druck Gefolge des gewaltsamen Endes – jenes Befrei- der öffentlichen Meinung Premier- und Verteidi- ungsversuches hingerichteten oder zur Selbst- gungsminister einer neu gebildeten Koalitionsregie- tötung gezwungenen 4.980 Männer und Frauen rung und Parteiführer der Konservativen. Während wird dort heute noch mit Füßen getreten. Da- des Krieges war er der Motor des britischen Wider- hinter steht nichts als die Verachtung von „reli- standes gegen Adolf Hitler und das Symbol des gio“ und Menschenrecht. Durchhaltewillens seiner Nation. Er war maßgebli- Jede Stadt in Deutschland hat ihre eigenen cher Initiator der „Grande Alliance“ zwischen Groß- Opfer zu beklagen. In unserer Stadt sind es end- britannien, den USA und der UdSSR. Am 14.8.1941 lose Reihen von gefallenen Soldaten, von Zivili- Veröffentlichung der gemeinsam von Churchill und sten – die der Bombenkrieg tötete – und man- Franklin D. Roosevelt verkündeten Atlantikcharta, che, die durch den Zugriff der „Gestapo“ in den die 1942 ein Grunddokument für die Vereinten Na- Tod geschickt wurden. Persönlichkeiten aber, tionen wurde. Vom 17.7. bis 2.8.1945 nahm Chur-

213 Deutschland lebte eine Opposition, die durch ih- im furchtlosen Bekenntnis unseres hl. katholi- re Opfer und eine entnervende internationale schen Glaubens.629 Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten und Größten gehört, was in der politi- schen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde. Die Männer kämpften ohne eine Hilfe von innen oder außen – einzig getrieben von der Unruhe ihres Gewissens. Solange sie lebten, waren sie für uns unsichtbar und unerkennbar, weil sie sich tarnen mußten. Aber an den Toten ist der Widerstand sichtbar geworden. Diese To- ten vermögen nicht alles zu rechtfertigen, was in Deutschland geschah. Aber ihre Taten und Op- fer sind das Fundament eines neuen Aufbaus. Wir hoffen auf die Zeit, in der das heroische Ka- pitel der innerdeutschen Geschichte seine ge- rechte Würdigung findet.“ H. K. M. Br.628

Weiterhin berichtet die Zeitung: Unser Friedhofskreuz ist in den vergangenen Wochen einer notwendig gewordenen Erneue- rung unterzogen worden. Die eiserne Einfas- sung der Kreuzesbalken, die aus Sandstein be- stehen, war im Laufe von mehr als 50 Jahren so schadhaft geworden, daß eine Erneuerung nicht mehr hinausgeschoben werden konnte. Zugleich hat der Corpus einen neuen Anstrich erhalten. Unser Friedhofskreuz hat auch dadurch et- was Ehrfurchtgebietendes an sich, daß es die geringen Aschenreste enthält, die bei der Ver- brennung der sterblichen Hülle unseres seligen Dechanten Lodde im Konzentrationslager Da- chau übriggeblieben sind. Sooft uns der Weg an diesem Kreuz vorüberführt, laßt uns den seligen Dechanten bitten um seine Fürsprache bei Gott

chill an der Potsdamer Konferenz in Schloß Cecilien- hof teil. Nach der Wahlniederlage der Konservativen mußte er als Premierminister zurücktreten. Am 24.1. 1965 starb er in London. 628 Zeitungsausschnitt in Chronik II, S. 122. 629 Zeitungsausschnitt in Chronik II, S. 122.

214 Benedicta Maria Kempner am 25. Oktober 1962 an schreiben, wäre ich Ihnen zu tiefstem Dank ver- das katholische Pfarramt St. Lamberti, Coesfeld: pflichtet. Mrs. Robert M. W. Kempner, 112 Lansdowne Auslagen, die durch evtl. Schreibarbeiten, Court, Lansdowne, PA., U.S.A. Photokopien, Bilder, etc. entstehen sollten, wer- Tel.: Philadelphia, Madison 3-6342, 25.10.1962 de ich sofort ersetzen, wenn Sie so frdl. sind mir An das Katholische Pfarramt St. Lamberti, Coes- den Betrag mitzuteilen. feld i.W. Mit ganz besonderem Dank für Ihre gütige Hochverehrter Herr Prälat: Hilfe Unterschrift Aus dem Buch unserer Freundin Frau Annedor 631 Leber und aus kirchlichen Kreisen wurde mir Ihr Bendedicta Maria Kempner Name als Informationsquelle über den Fall des Pfarrers Lodde genannt. Der 25. Todestag von Joseph Lodde im Jahre 1968 Es wird Sie interessieren, daß ich augen- war Anlaß, sich seiner zu erinnern: [630] blicklich mit der Vorbereitung eines Buches Am 28.2.1968 werden es 25 Jahre her sein, daß über die Ermordung katholischer Priester wäh- Dekan Lodde in Dachau starb. Deswegen soll im rend der Nazi-Zeit durch Volksgerichts- oder Frühjahr für ihn in Coesfeld eine Gedenkfeier mit Sondergerichtsurteile oder durch Deportierung in Enthüllung einer würdigen Gedenktafel stattfin- Nazi-Konzentrationslager beschäftigt bin. Ich den. Da Kardinal Beran[632] schon lange die Ab- habe darüber aus Rom und aus amtlichen deut- sicht hat, einmal nach Gerleve zu kommen, will schen Archiven Material erhalten, ebenso große man die Feier so legen, daß der Kardinal daran Unterstützung und Ermutigung von Seiten kirch- teilnehmen kann. Sobald der genaue Termin licher Instanzen. festliegt, wird Augustin Hessing die einzelnen Im Interesse der großen Sache, diesen Mar- Diözesanvertreter und die Vertreter der außer- tyrerpriestern ein würdiges Mahnmal zu setzen deutschen Länder verständigen; ich bitte aber (das nichts mit politischen Auseinandersetzun- dringend, daß diese dann sofort den Termin an gen irgendwelcher Art zu tun hat) ist es nötig, so die anderen weitermelden, damit recht viele viel detaillierte Information zusammenzutragen, kommen können.633 um ein lebendiges Bild des einzelnen Falles zu geben, dazu gehören Informationen über seine Allgemeine Zeitung-Sonderseite Nr. 41 vom Sams- Persönlichkeit, seinen Wirkungskreis, das Ver- tag, dem 17. Februar 1968: fahren, Urteil, Briefe aus der Haft, nachge- 3. März 1968 das Gedächtnisamt lassene Schriften, Predigten, Bilder. Wenn Sie selbst oder Personen, die Sie kennen, Bekannte oder Verwandte dazu beitragen könnten, mir durch Ihre Information zu helfen, diese große Aufgabe der Chronik der Martyrerpriester zu 631 Archiv St. Lamberti Coesfeld. 632 Dr. Josef Kardinal Beran, geboren am 29.12.1888 in Pilsen, Priesterweihe am 10.6.1911 in Rom, Bi- schofsweihe am 8.12.1946, Kardinal 1965, gestorben 630 Kempner, Benedicta Maria, Priester vor Hitlers Tri- am 17.5.1969. Er kam am 4.9.1942 ins KZ Dachau bunalen, München 1966. Joseph Lodde ist in diesem und wurde am 29.4.1945 befreit. Buch nicht erwähnt. 633 Stimmen von Dachau Nr. 9, Winter 1967/68, S. 3.

215 Am Samstag, 3. März 1968, dem 1. Fasten- Varensell[637], wurde auf der Gedenkplatte nicht sonntag, ist feierlicher Gedächtnisgottesdienst angebracht; er wird aber, wie wir von Pater Au- für Dechant Lodde zum 25. Todestag. gustin erfuhren, als Auferstehungsmotiv auf der 10.30 Uhr feierliches Hochamt in der St.-Lam- Vorderseite des Gedenkzettels erscheinen. D. berti-Pfarrkirche mit Gedächtnispredigt von De- Red.) chant E. Schmitt aus Bocholt. 17.00 Uhr Gedenkfeier auf dem St.-Lamberti- Einleitung zu einem längeren Bericht: Friedhof mit einigen kurzen Worten von Dechant „Dechant Lodde war ein großzügiger Mensch, Sonnenschein, der mit Dechant Lodde Dachau 634 herbe und wahrhaftig!“ erlebte. „Wir wollen immer an ihn denken und wachsam sein gegen Unrecht“ Allgemeine Zeitung-Sonderseite Nr. 59 vom Sams- Würdige Gedenkstunden an den aufrechten tag, dem 9. März 1968: Widerstandskämpfer zum 25. Todestag Die letzten Tage von Joseph Lodde COESFELD. Ein volles Vierteljahrhundert nach Ein Bericht über den Tod des Verewigten 635 seinem Tode erfüllte die Pfarrgemeinde von St. von J. Sonnenschein Lamberti eine Ehrenpflicht gegenüber ihrem frü- Dem Text von Johannes Sonnenschein fügte die heren Pfarrer, dem Dechant Josef Lodde, der Redaktion hinzu: am Aschermittwoch vor 25 Jahren im Konzen- (Der Entwurf des aus der Asche sich erheben- trationslager Dachau für die Ehre seines Glau- den Vogel Phönix, von der auch in Coesfeld be- bens und für die Ehre seines Volkes einen qual- kannten Benediktinerin, Frau Erentrud[636] aus vollen und erbarmungswürdigen Tod starb. Die- se Ehrung – würdig in der Form und ein- drucksvoll in der Gestaltung – erfolgte spät an- gesichts dessen, daß Dechant Lodde als einzi- ger Bürger unserer Stadt seine aufrechte politi- sche Haltung und seinen standhaften Beken- 634 Kopie im IKLK-Archiv. nermut nach schmachvoller Haft in Zuchthaus 635 Siehe: S. 203–206. und Konzentrationslager mit dem Tode bezahlen 636 Schwester Erentrud Trost OSB, Benediktinerin in der mußte. Aus welchen Gründen auch immer so Abtei Varensell, wurde 1923 in Paderborn geboren viele Jahre ins Land gehen um dieses Mannes und trat 1946 in das Kloster ein. Dort wurde ihr ehrend zu gedenken – der Rat der Stadt Coes- künstlerisches Talent entdeckt und durch ein Studium feld hat ihm in einer seiner ersten Sitzungen bei Prof. Pieper in Münster gefördert. Sie fertigte nach dem Kriege durch die Umbenennung der zahlreiche Entwürfe für die Paramenten-Stickerei des unteren Billerbecker Straße in „Lodde-Allee“ ein Klosters. Nachdem sie 1956 die neue Kloster- und bleibendes Denkmal gesetzt – , so bewies die Gemeindekirche mit Glasfenstern und Mosaiken ge- große Zahl der Teilnehmer an dem Gedenkgot- staltet hatte, erhielt sie zahlreiche Aufträge zur Ge- tesdienst in seiner alten Pfarrkirche und an- staltung weiterer Kirchen im In- und Ausland. Im Al- ter verlegte sie sich auf Handschriften-Illuminationen (Evangeliare, Pergamente etc. zum liturgischen Ge- 637 Das Benediktinerinnen-Kloster Varensell in Rietberg, brauch). Im Jahr 2000 erhielt sie das Bundesver- Kreis Gütersloh, wurde 1902 gegründet und 1948 zur dienstkreuz. Abtei erhoben.

216 schließend bei der Segnung der von Balduin rer Römer[642]. Anwesend waren auch die leiten- Romberg[638] geschaffenen Bronze-Gedenkplatte den Beamten und kommunalen Vertreter des am Sockel des Friedhofskreuzes, daß das Le- Kreises, der Stadt und des Kirchspiels, die Mit- ben, Wirken und Sterben von Dechant Lodde bei glieder des Kirchenvorstandes und des Rates seinen Pfarrkindern und bei den Bürgern von und – in selbstverständlicher Verbundenheit – Coesfeld nicht in Vergessenheit geraten ist. Ein der Klerus des Dekanates Coesfeld. dankbares Erinnern bei den noch Lebenden der Aber nicht das Schwarz der Ehrengäste und Kriegsgeneration – für die Jugend von heute ei- der Purpur der hohen Kleriker gaben dieser Ge- ne starke und glaubhafte Demonstration für mu- denkfeier das besondere Gepräge – weitaus tigen und mannhaften Widerstand in damaliger stärker beeindruckte die große Zahl der Gläubi- Zeit! gen, die im treuen Gedenken an ihren mutigen Der Bericht: Pfarrer die Kirche bis auf den letzten Platz füll- An dem festlichen Gedächtnisgottesdienst in St. ten. Lamberti am Sonntagnachmittag nahmen als Als damaliger Kaplan von St. Lamberti unter Ehren- und Trauergäste zahlreiche Verwandte Dechant Lodde würdigte Dechant E. Schmitt, von Dechant Lodde teil; sie kamen von weit her Bocholt, die starke Persönlichkeit von Joseph wie auch viele Mithäftlinge aus der „Priesterge- Lodde und stellte sein Wirken und Leben als meinschaft Dachau“, darunter der Weihbischof Pfarrer in jenen schrecklichen Jahren in das Buchkremer[639] und der Domkapitular Dr. Sel- gleißende Licht der brutalen Diktatur, die auch horst[640] aus Aachen und der Schriftleiter der vor den Türen der Gotteshäuser nicht Halt „Dachau-Hefte“ [Stimmen von Dachau641], Pfar- machte. „Zu manchen Zeiten“, so verglich er unser heutiges Leben mit den Zeiten von damals, „ar- 638 beitet der Teufel im Untergrund, im Verborge- Der Künstler Balduin Romberg, geboren 1938, lebt in Borken. nen. Er verschüttet und vergiftet die Quellen des 639 Weihbischof Josef Buchkremer, geboren am 4.10. Lebens, sät sein Unkraut unter den Weizen und wartet mit Geduld, bis seine Saat aufgeht und 1899 in Aachen, Priesterweihe am 10.8.1923 in Köln, seine Beute reift. Das sind die Zeiten, in denen Bischofsweihe am 21.12.1961 als Weihbischof in Aa- chen, gestorben am 24.8.1986. Er kam am 27.3.1942 wir heute leben. In solchen Zeiten haben es die ins KZ Dachau und wurde am 4.4.1945 entlassen. klugen Leute leicht, die Existenz von Teufeln 640 und Engeln zu leugnen. Aber wir Älteren, wir Professor Dr. theol. Heinrich Selhorst, geboren am haben in der Vergangenheit so grauenhafte Din- 3.9.1902 in Geldern, Priesterweihe am 12.3.1927 in Münster, gestorben am 20.11.1979 in Aachen. Er ge erlebt, daß wir in ihrer Erklärung nicht aus- kam am 8.5.1942 ins KZ Dachau und wurde am kommen ohne den Teufel oder die Engel. Ist das eine Entschuldigung? Nein! Wir haben eine Ver- 27.3.1945 entlassen. 641 antwortung zu tragen, niemand kann sie uns Sammlung von Akten über Leben und Sterben der Dachaupriester durch Hans Carls ab 1947. Nach ihm nehmen. Die Klugen dürfen ruhig mithören. Aber übernahmen Josef Neunzig und Heinz Römer die Herausgabe dieser Zeitschrift bis 1975. Heinz Römer 642 Prälat Heinz Römer, geboren am 1.3.1913 in Lud- verstand die Herausgabe nicht mehr als Zeitschrift, wigshafen, Priesterweihe am 4.7.1937 in Speyer, ge- sondern als Rundbrief: „gewissermaßen eine schrift- storben am 13.4.1998. Er kam am 21.2.1941 ins KZ liche Unterhaltung“. Dachau und wurde am 9.4.1945 entlassen.

217 wenn sie meinen, sie könnten Steine auf die Vä- einer modernen Diktatur, um überhaupt existie- ter werfen, dann sollen sie aufpassen, daß sie ren zu können, mitmachen zu müssen, obwohl nicht ausrutschen!“ man im Herzen dagegen ist. Wer das nicht mit- Als Dechant Lodde hier vor 25, vor 30 Jah- gemacht hat, der kann diese Situation nicht ver- ren auf der Kanzel stand, da zog Satan mit we- stehen. henden Fahnen um diese schöne, alte Kirche; Der Turm von St. Lamberti hatte seine vier mit Trommeln und Fanfaren, wir haben den Ecken. Und Dechant Lodde, der Pfarrer dieser Klang noch in den Ohren. Er konnte alle Herr- Kirche – ebenso hervorragend und festgegrün- lichkeiten der Welt anbieten, er konnte alle, die det wie dieser Turm – er hatte vielleicht noch ihm folgten, an der süßen Macht teilnehmen las- mehr Ecken. Seine Freunde und Kapläne haben sen, andere zu kommandieren. Er konnte „Wun- das manchmal bedauert. Er war ein Mensch, der wirken“, konnte 6 Millionen Arbeitslosen mit großzügig und sicherlich auch mit Fehlern, aber ihren Familien Brot geben. Reiche stürzten zu- ein Mensch von großer Gastfreundlichkeit, her- sammen. So hat der Teufel damals seine Opfer be, eckig und wahrhaftig, geradeheraus im Den- sich aussuchen können. ken und in seinem Sprechen. Ein Mann, der aus Mitten in dieser schönen, alten Stadt stand solchem Holze geschnitzt war, dem fiel es der großartige Turm von St. Lamberti – wohlge- schwer, diese Unterscheidung mitzumachen von formt und alles überragend. Als einmal mit allem äußerstem Gehorsam, von äußerer Legalität Druck der Macht der Befehl kam, daß auch die und innerer Verachtung und Abwendung. So Kirchtürme beflaggt werden sollten mit der Fah- brachte er es nicht über sich zu schweigen, ne des Bösen, da erwachte eines Morgens wenn er reden mußte. Es verging keine Predigt, Coesfeld, und der Turm prangte oben an allen 4 kein Gespräch, wo er sich nicht wehrte gegen Ecken mit langen weiß-gelben Fahnen, den das Böse und seine Partei. kirchlichen Fahnen. Aber unten an einer kleinen Und so mußte es kommen, daß er in die Ecke, da hing ein roter Lappen herab – zur Krallen der Gestapo geriet. Dieser Mann, der Freude der ganzen Stadt und zum Ärger derer, das EK 1 [Eiserne Kreuz I. Klasse] des ersten die als „Regierende“ hier im Rathaus saßen. Weltkrieges trug, er wurde beschuldigt der „Zer- Das haben sie dem Dechanten Lodde nie ver- setzung der Wehrkraft“. Das erste Mal ist es ei- gessen! nem Gericht der Wehrmacht gelungen, ihn wie- Damals konnten nur wenige durchschauen, der aus den Krallen der Gestapo herauszuholen. was für eine Lüge durch das Land „humpelte“. Beim zweiten Mal konnte ihm keiner mehr hel- Einer von den wenigen, die die Maskerade des fen: Man hat ihn geschleppt von Gefängnis zu Bösen, die alle ethischen Begriffe durcheinander Gefängnis bis hin nach Dachau. Dachau mit wirbelte, durchschaute, der hat dafür gebüßt und dem Verbrennungsofen – das war das Letzte. ist dafür gestorben. Und doch, in dieser guten Dechant Lodde war einer unter Tausenden Stadt Coesfeld waren noch viele, die einen wohl- von Priestern, die dort waren und gestorben gebildeten, christlichen Instinkt hatten und merk- sind, die das Aschekreuz ihres Lebens empfin- ten, daß hinter der Maskerade die Gemeinheit gen. Er war einer unter Millionen von jüdischen und die Unmenschlichkeit stand, die darum auch Mitbrüdern und Menschenbrüdern, die da in die- das Böse und seine Knechte verachteten, ob- sen Lägern vergast wurden. Ihnen allen wollen wohl sie der äußeren Legalität wegen mitma- wir heute wenigstens in unserem Herzen ein chen mußten. Das ist das schwierige Problem in Denkmal der Reue und Liebe setzen und ihnen

218 danken, daß sie für die Ehre ihres Glaubens und Schamoni[647], Schmedding[648], Selhorst, Son- für die Ehre unseres Volkes gestorben sind. nenschein. Erst montags kam, weil er sich im Text unter dem Foto mit Dechant Bierbaum643: Termin verschaut hatte, Schumann[649]. – Ich Dechant Bierbaum von St. Lamberti segnet die durfte Gast der Abtei Gerleve sein und konnte Gedenkplatte für Dechant Joseph Lodde, die – so zweimal das Grab von P. Gregor Schwa- [650] nach einem Entwurf von Balduin Romberg aus ke besuchen. – Vor dem Hauptfriedhofskreuz Bronze gegossen – zum 25jährigen Todestag in Coesfeld, in das die Urne mit Loddes Asche am Sockel des Friedhofskreuzes angebracht eingemauert ist, wurde ein prächtiger Kranz nie- wurde.

Stimmen von Dachau: 647 Wilhelm Schamoni, geboren am 4.1.1905 in Hamm, Über die Gedenkfeier für den 1943 in Dachau Priesterweihe am 5.4.1930 in Paderborn, gestorben verstorbenen Dechanten Joseph Lodde in Coes- am 25.8.1991. Er kam am 9.10.1940 ins KZ Dachau, feld liegt dem heutigen Rbr. ein illustrierter Son- am 11.12.1940 ins KZ Buchenwald, am 29.9.1941 derdruck einer Zeitung bei (für die Druckfehler wieder ins KZ Dachau und wurde auf dem Evakuie- darin bin ich nicht verantwortlich!), ebenso ein rungsmarsch vom 26.4.1945 befreit. Gedenkbildchen. Ergänzend dazu möchte ich 648 Laurenz Schmedding, geboren am 6.8.1894 in Sen- noch bemerken, daß das Bild des aus der Asche den, Priesterweihe am 18.12.1920 in Münster, ge- aufsteigenden Phönix ursprünglich als Grab- storben am 21.3.1972. Er kam am 19.11.1943 ins KZ schmuck gedacht war (S. 1. des Bildchens). Dachau und wurde am 10.4.1945 entlassen Anwesend waren folgende KZ-Priester bei der 649 Pater Emil Schumann MSC, geboren am 28.12.1908 [644] [645] Feier: Böhr , Bornefeld , Buchkremer, [Pa- in Düsseldorf, Eintritt in das Noviziat der Herz-Jesu- [646] ter Augustin] Hessing, Klumpe , Römer, Missionare am 30.9.1928, Ewige Profeß am 6.12. 1933 in Oeventrop, Priesterweihe am 11.8.1935 in Oeventrop, gestorben am 2.6.1981 in Bayern. Er kam am 5.12.1941 ins KZ Dachau und wurde am 29.4. 643 Hermann Bierbaum, geboren am 28.4.1890 in Be- 1945 befreit. ckum, Priesterweihe am 20.3.1915 in Münster, ge- 650 Pater Dr. Gregor (Theodor) Schwake OSB, geboren storben am 31.3.1982. Er war Nachfolger von Joseph am 15.4.1892 in Emmerich, Profeß am 8.9.1912, Lodde als Pfarrdechant in St. Lamberti Coesfeld. Priesterweihe am 25.7.1917, gestorben am 13.6.1967 644 Josef Böhr, geboren am 21.8.1895 in Warnsdorf, in Dülmen. Er wirkte von 1929 bis 1944 durch seine Priesterweihe am 27.7.1924 in Innsbruck, gestorben „Volkschoralwochen“ im gesamten deutschsprachi- am 5.9.1974 in Saarbrücken. Er kam am 27.6.1941 gen Raum und in Jugoslawien. Am 6.10.1943 wurde ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. er in Österreich im Dom zu Linz von den Nationalso- 645 Antonius Bornefeld, geboren am 20.7.1898 in Wa- zialisten verhaftet und kam am 2.1.1944 ins KZ Da- dersloh-Liesborn, Priesterweihe am 10.6.1922 in chau, wo er bis zu seiner Entlassung am 10.4.1945 Münster, gestorben am 14.3.1980. Er kam am 6.2. zur Arbeit in der Plantage eingeteilt war. Er leitete 1944 ins KZ Dachau und wurde am 29.4.1945 befreit. den Priesterchor und komponierte unter anderem die 646 Johannes Klumpe, geboren am 9.5.1893 in Münster, „Dachau-Messe“, die am 24.9.1944, dem „Fest der Priesterweihe am 17.12.1921 in Münster, gestorben allerseligsten Jungfrau Maria von der Erlösung der am 13.5.1970. Er kam am 26.12.1941 ins KZ Dachau Gefangenen“, zum ersten Mal in der Lagerkapelle des und wurde am 6.4.1945 entlassen. KZ Dachau erklang.

219 dergelegt, dessen Schleife die Aufschrift trug: „Die ehemaligen Dachau-Mitbrüder.“651

Auch das Coesfelder Volksblatt brachte am 5. März 1968 einen kurzen Artikel über Dechant Lodde. Dann wurde es still um diesen Blutzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus, bis die Allgemeine Zeitung am 13. April 1990 wiederum eine Sonder- seite brachte mit den Titeln: Josef Lodde: Priester und Gegner Hitlers Kesseltreiben endet in Dachau Dechant von St. Lamberti leistete Widerstand gegen NS-Regime

Seit Oktober 1997 ist Dechant Joseph Lodde im Fries des Portals der Versöhnung von Bert Gerres- heim, das die Priesterweihe von Karl Leisner durch Bischof Gabriel Piguet im KZ Dachau zeigt, an der Basilika in Kevelaer dargestellt. So wird er über den Raum Coesfeld hinaus vielen Menschen be- kannt.

Hans-Karl Seeger

651 Stimmen von Dachau Nr. 10, Sommer 1968, S. 36.

220 WAS MIR KARL LEISNER BEDEUTET

Schon seit einiger Zeit kann man beobachten, dass de, sich gemeinsam für Gott stark zu machen und junge Eltern bei der Wahl des Namens für ihr Neu- seiner Sehnsucht nach dem priesterlichen Leben zu geborenes zu traditionsreichen Vornamen christli- folgen. Für uns ist seine Weihemesse ein Blick in cher Heiliger zurückkehren. Es ist daher zunächst den Himmel.“ nicht erwähnenswert, wenn Eltern ihren Sohn Karl nennen. Überraschend ist es allerdings, dass die ▬ Eltern dabei nicht an den heiligen Karl Borromaeus als Namenspatron, sondern an den seligen Karl Vor vielen Jahren schon hat eine niederländische Leisner denken. In einem Brief an Pfarrer Seeger Verehrerin Karl Leisners, die nicht weit von Kleve erläutert der Vater die Entscheidung folgender- in Nijmegen wohnt, in einem Brief dem damaligen maßen: Präsidenten des IKLK, Pfarrer Walterfang, ihre „Meine Frau und ich leben eine konfessionsver- besondere Erfahrung mit Karl Leisner erzählt: bindende Ehe. Wir sind beide auf eigene Weise Irgendwann hat sie einmal ein Bild Karl Leisners unseren Kirchen verbunden und haben daraus die bekommen. Sie maß ihm zunächst keinen besonde- Konfession des anderen lieben gelernt. Aus der ren Wert bei, legte es in ein Buch und vergaß es. Sehnsucht nach der Einheit der Kirche haben wir Erst Jahre später bekam sie es wieder in die Hand, einen sensiblen Blick für die Zeichen Gottes in dem betrachtete es, nahm die Lebensdaten wahr und Bemühen um die Einheit des Leibes Christi in der machte sich bewusst, dass dieser beeindruckende Kirche entwickelt. Karl Leisner und Dietrich Bon- Mensch gar nicht weit von ihr hinter der deutsch- hoeffer sind uns durch ihr Lebenszeugnis solche niederländischen Grenze gelebt hat. Zeichen der liebenden Einheit, die nur Gott selbst Sie fuhr nach Xanten, um sein Grab zu besuchen. stiften kann, geworden. Das kostete sie zunächst große Überwindung, denn Wir haben an Karl Leisner bewundert, dass er seine ihre Gefühle gegenüber den Deutschen waren ange- Bestimmung uneingeschränkt bejaht hat. Er hat sich sichts der jüngsten Geschichte im Nationalsozia- bereit gehalten für Gottes Handeln an ihm. So sehr lismus sehr belastet. Sie spricht sogar von einem er in Freiheit aktiv geistliches Leben mit Jugendli- Hass gegen das deutsche Volk. Von der Reise chen gestaltet hat, so sehr hat er sich in der Haft brachte sie ein kleines Büchlein mit Auszügen aus darin ergeben an sich geschehen zu lassen. Mit Karls Tagebüchern mit. Später las sie das Buch seiner unerschütterlichen Sehnsucht und Hoffnung „Christus meine Leidenschaft“. So lernte sie den Gott als Priester zu dienen hat er vielen Mitgefan- großartigen Charakter Karl Leisners kennen, be- genen Mut gemacht. Er hat sie befreit dazu an ihm wunderte seine innere Kraft aus dem Glauben, mit zu handeln. Und damit hat er auch Gott die Hand- der er sein Leben geformt hat. Ein weiteres Buch lungsfreiheit gelassen. Es hat uns vor allem faszi- zeigte ihr die Zerstörung Kleves und das Leid der niert, wie Karl Leisner dadurch der Anlass für so Menschen, an dem auch Karl Leisner mit seinem viele Menschen unterschiedlichsten Glaubens wur- eigenen Schicksal in ganz besonderer Weise teilge-

221 nommen hat. Da überfiel sie plötzlich eine große ße Not der Menschen, die durch die Zerstörung des Traurigkeit über sich selbst. Dieser junge Deutsche Krieges Unsägliches gelitten haben. Sie erkannte ließ sie ihr eigenes Unrecht erkennen, wenn sie ihren Haß als schweren Verstoß gegen die Liebe. über Jahre alle Deutschen nur nach dem Unrecht Seitdem ist Karl ihr großer Freund, und in ihrer der Nazis beurteilt hatte. Dieser junge Mann, des- Begeisterung erzählt sie jedem von ihm, der es sen Leben und Haltung sie so faszinierte, hatte ihr hören will. die Augen geöffnet für die vielen anderen Deut- Klaus Riße schen, die sich gegen politischen Druck behauptet und bewahrt hatten. Sie sah plötzlich auch die gro-

222 Nachrufe

Heinrich Kleinen haben ihn als glaubensstarken und unermüdli- Erinnerungen an den Ehrenvorsitzenden chen Seelsorger erleben dürfen. Die Feier der des IKLK e.V. Eucharistie war für ihn der Mittelpunkt seines 27.8.1914 – 10.2.2004 Wirkens, und wenn er predigte, dann schloss er immer wieder für einige Momente seine Augen,

sprach weiter, ohne die Menschen anzuschau- en, die ihm zuhörten. Dies wirkte wie eine Einla- dung, sich ganz auf Gottes Wort einzulassen. Heinrich Kleinen ging es um die Frohe Botschaft und nicht um seine eigene Person. In seinem Wohn- und Arbeitszimmer hing das Bild von Karl Leisner, seinem Kursgenossen aus gemeinsamer Studienzeit. Immer wieder hat Pa- stor Kleinen von ihm erzählt, und zwar in einer Art und Weise, die es einem leicht machte, ei- nen Zugang zu finden zu diesem Glaubenszeu- gen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Mit Hilfe von Lichtbildern hat Heinrich Kleinen in vie- len Vorträgen Menschen den Weg Karl Leisners aufgezeigt und mit Zitaten aus den Tagebüchern dessen Christusbegeisterung und Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge belegt. Als Vorsitzender des IKLK e.V. und als Vizepostulator engagierte sich Pastor Kleinen für die Seligsprechung Karl Leisners. Da vor Jahren nicht abzusehen war, ob und wann die Seligsprechung erfolgen wür- de, hat Pfarrer Kleinen die Mitglieder des IKLK immer wieder dazu ermutigt, einen langen Atem Mit festen Schritten und auffallend aufrechter Kör- zu haben und vor allem auch junge Menschen perhaltung war Pastor Heinrich Kleinen viele Jahre mit Karl Leisner vertraut zu machen. kreuz und quer unterwegs durch seine Pfarrge- Als Ehrenvorsitzender des IKLK hat er die Ent- meinde St. Laurentius in Uedem. Da er keinen wicklung des Verfahrens mit großem Interesse Führerschein besaß, steuerte er seine Ziele meistens weiter verfolgt und dankbar den Tag der Selig- sprechung Karl Leisners erlebt. zu Fuß an. Er hatte stets einen freundlichen Blick und ein gutes Wort für die Menschen, die ihm be- In seinen letzten Lebensjahren, die Pastor Kleinen gegneten. in Kevelaer und Goch verbracht hat, wurden seine Heinrich Kleinen fühlte sich den Menschen sei- ner Gemeinde zutiefst verbunden und für sie Kräfte geringer. Solange er es konnte, versah er verantwortlich. Er war vertraut mit ihnen. Viele seinen Dienst als Beichtvater in der Wallfahrts-

224 pfarrei St. Marien und als Seelsorger bei den Kla- Josef Perau rissen in Kevelaer. Den Franziskusschwestern in 8.11.1910 – 29.7.2004 Kleve, für die er viele Jahre hindurch als bischöfli- cher Kommissar bestellt war, war er stets dankbar, gewährten sie doch in ihrem Haus dem IKLK Gast- freundschaft für die Sitzungen des Präsidiums. Pastor Kleinen ist immer ein Uedemer geblie- ben. Er freute sich riesig, wenn Gemeindemit- glieder aus Uedem ihn besuchten. Ausführlich ließ er sich dann erzählen, wie es einzelnen Menschen ging, und er verfolgte mit regem In- teresse, wie im Laufe der Zeit aus kleinen Kin- dern große Leute wurden. Mit zunehmendem Alter spürte er, wie sehr er auf Hilfe angewiesen war. Seine langjährige Haushälterin, Frau Irmgard Verbücheln, war ihm bis zu seinem Tod eine wertvolle Stütze. Sie hat seinen priesterlichen Dienst in der Gemeinde und sein Engagement für den IKLK nach Kräften unterstützt und sich auch persönlich einge- bracht. Dass sie einen Führerschein hatte, war für Pastor Kleinen oft ein Segen, besonders dann, wenn Wege zu weit waren, um sie zu Fuß bewältigen zu können. Inzwischen ist Pastor Kleinen auf dem Friedhof in Uedem beerdigt worden, ganz so, wie er es sich gewünscht hatte. Den Menschen in Uedem, den Mitgliedern des IKLK und allen, die ihn ge- kannt haben, wird er in Erinnerung bleiben nicht nur als ein Priester mit aufrechtem Gang, son- Gemeinsam traten sie im Mai 1934 in Münster ins dern auch als ein aufrechter Christ und Seelsor- Collegium Borromaeum ein, das Theologenkonvikt ger. des Bistums Münster: Josef Perau und Karl Leisner. Berthold Steeger Karl Leisner begann sein erstes Semester; Josef Perau, 1911 geboren, hatte bereits vier Semester in Salzburg studiert. Da beide vom Niederrhein stammten, hatten sie immer wieder miteinander zu tun. Vor allem 1934 taucht der Name Perau oft in Karl Leisners Tagebüchern auf. Am Dienstag, dem 22. Mai 1934, gab es ein Treffen bei Peraus in Wis- sel.

228 Um 13.30 Uhr zu Paul Dyckmans gefahren und Freitag, 15. Juni 1934. dann mit ihm weiter über Erfgen-Till nach Wis- Mit Theo van Aaken, Perau und Wem von sel zu Perau, einem Gaesdoncker Borromaeer Gemmeren suche ich im Antiquariat Schöhning des 3. Kursus. Mit Perau und meinem Kursusge- rum und bummele dann mit Wem von Gemme- nossen Wilhelm van Gemmeren aus Kalkar zo- ren wieder zum lieben „Kasten“ [Collegium gen wir dann in die Wisseler Dünen, wo wir uns Borromaeum] zurück. ein wenig hinlegten und über alles Mögliche Unsinn zusammenphilosophierten. – Bis 17.30 Sonntag, 24. Juni 1934 Uhr strolchten wir so körperlicherweise durch Nachher nur mit Paul Dyckmans, Perau und die „im Umbau befindlichen“ Dünen, durch die van Gemmeren los und – unnötigerweise – über Wiesen und an den Kolken und Baggerlöchern die „Geit“ [Dr. Wihelm Verleger] geschimpft. vorbei, und strolchten dabei geistigerweise in Ich muß das sein lassen, wenn ich ein ganzer etwas burschikoser Art durch die neueste Politik Christusjünger sein will! Weg damit! und ergingen uns in mehr oder minder kühnen Zukunftsphantasien, die zum Teil optimistisch, Im Reichsarbeitsdienst denkt Karl Leisner an Josef zum Teil pessimistisch gehalten waren. Um Peraus Priesterweihe. 17.30 Uhr gab’s Kaffee mit Kuchen bei Perau’s. Samstag, 24. Juli 1937 Gegen 20.15 Uhr zu Hause. An Jupp Perau, der morgen Primiz hat, muß ich denken, wo ich [auf der Fahrt nach Kleve] die Josef Perau schrieb dazu in seiner Familienchronik, Türme von Wissel sehe. in dem er ein Kapitel Karl Leisner widmete: Solche anspruchslosen Zusammenkünfte im Wegen „Priesterreichtums“ bekamen nicht alle kleinen Kreis ohne Plan und Programm waren Neupriester eine Stelle. Josef Perau ging nach einer gerade in der damaligen Zeit wichtig und uner- Aushilfe in Rees nach Sachsen, wo er als Schloß- setzlich für das Vertrautwerden der Theologen geistlicher in Moritzburg, Pfarrei Dresden-Rade- eines Landstriches miteinander und die Bergung beul, Dienst tat. des Einzelnen in einer verläßlichen Gemein- schaft, die der Kontrolle und dem Zugriff der 652 Donnerstag, 2. Dezember 1937 Partei entzogen war. Nachmittags mit Diakon Willi Grave – Kevelaer spazieren. Primizgedanken. Er erzählt von Jupp Ohne im strengen Sinn Freunde zu sein, machten Peraus Wirken in Sachsen – fein! sie doch als Niederrheiner manches gemeinsam: Karl Leisner und Josef Perau verlieren sich danach aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. In seinen Briefen aus dem KZ erwähnt Karl Leisner ein Pa- 652 Josef Perau, Chronik einer niederrheinischen Familie ket, das ihm Familie Perau zukommen ließ. – Wurzelgrund und Lebensraum – Die Nachkommen der Eheleute Gerhard Peerenboom 1771–1861 und Hendrina Kellewald 1777–1846, Goch 2004.

229 Freitag, 26. Februar 1943 An Paketen landeten inzwischen: Perau – Wis- sel, [...].

Josef Perau ist in englischer Kriegsgefangenschaft, als Karl Leisner in Planegg bei München am 12. August 1945 stirbt. Aber das ist kein Ende der Be- ziehungen. Josef Perau macht sich Gedanken dar- über, was Karl Leisner vor allem für junge Men- schen bedeuten kann. Bei Familie Leisner entdeckt er, daß vieles von Karl Leisner gesammelt ist. So zum Beispiel die Tagebücher, die aber auf dem Speicher in einem Koffer „vor sich hindösen“. Er will sie zum sprechen bringen. Als er 1973 den Seligsprechungsprozeß anstößt653, beauftragt ihn Bischof Heinrich Tenhumberg, eine Biographie zu schreiben. Sie bleibt unvollendet, dient aber im Seligsprechungsprozeß als Grundlage für eine Er- forschung von Karl Leisners Leben. Als ich 1993 meine Aufgabe im IKLK über- nahm und mich intensiv mit der Lebensgeschichte Karl Leisner beschäftigte, stand mir Josef Perau immer mit Rat und Tat zur Seite. Der IKLK wird sich seiner stets dankbar erinnern. Hans-Karl Seeger

653 Siehe: Rundbrief des IKLK Nr. 33, S. 24–29 u. Nr. 48, S. 135 ff.

230

NACHRICHTEN AUS ALLER WELT

Deutschland

Geschäftsstelle des IKLK unter neuer Adresse

Über Jahrzehnte war die Adresse „Kleve, Leitgra- dieser Adresse nicht etwa ein kirchliches Gebäude ben 26“ mit der Arbeit des IKLK auf das Engste verbarg, sondern das Einfamilienhaus des Ehepaa- verbunden und wurde weltweit bekannt. Hier war res Elisabeth und Wilhelm Haas, der Schwester und die Anlaufstelle für unzählige Besucher „in Sachen des Schwagers von Karl Leisner. Was zunächst Karl Leisner“. Von hier ging eine unübersehbare noch auf dem Schreibtisch, im Regal, auf herange- Zahl von Briefen, Päckchen und Paketen aus: um- rückten Beistelltischen und der Fensterbank im fangreiche Korrespondenz mit Pfarrern, Kateche- Arbeitszimmer des pensionierten Hauptschulrektors ten, Bischöfen und Verehrern Karl Leisners in aller Platz fand, beanspruchte im Laufe der Zeit immer Welt, mit ehemaligen Häftlingen und Verfolgten mehr Raum im Haus. Geschäftsstelle und privater des Naziregimes und ebenso mit Schülern, Studen- Bereich überlappten sich zusehends, und nach dem ten und Journalisten, die für ihre Arbeit Auskunft Auszug der erwachsenen Kinder belegte die Ge- aus dem immer umfangreicher werdenden Archiv schäftsstelle schließlich drei Räume vollständig und wünschten. Von hier wurden bis vor einigen Jahren weitere Flächen in Fluren und Nebenräumen. Aus die Rundbriefe in immer höherer Auflagenhöhe der kleinen Familienküche sind viele Besucher verschickt. Von hier sind die vielen Initiativen liebevoll beköstigt worden, und unter dem Dach der ausgegangen, mit denen der Fortgang der Selig- Familie Haas haben viele internationale Gäste und sprechung unterstützt und entscheidend gefördert hohe Würdenträger ein erholsames Nachtlager worden ist. Wer immer Auskunft wünschte, bekam gefunden. Antwort und erhielt Informationsmaterial. Nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 1993 hat Mancher Besucher mag überrascht gewesen Frau Haas die Geschäftsführung übernommen und sein, wenn er feststellen musste, dass sich hinter insbesondere vor und kurz nach der Seligsprechung

227 in ihrem Hause viele Aktivitäten organisiert, Besu- der Regionalstelle der katholischen Jugend, unter cher empfangen und beherbergt und die anfallenden einem Dach. Die neue Adresse 47533 Kleve, Was- Arbeiten erledigt. Da waren viele Tage über das serstraße 1 wird sich rasch einprägen. erträgliche Maß hinaus gefüllt. Auch wenn manche Am 1. Juni 2004 haben wir den Umzug mit ei- Hilfe von außen kam und sich in den letzten Jahren nigen Helfern in privaten Pkws und mit einem ge- ihre Nachfolgerin, Frau Monika Peusen, bereits mieteten Transporter durchgeführt. Die größte Last eingearbeitet hat, so wurde die Arbeit doch immer haben dabei zwei Zivildienstleistende getragen, anstrengender. Frau Haas hat alles in bewunderns- Sebastian Löhr und Felix Köther. Das Gewicht der werter Treue und Gelassenheit geleistet. Dafür gilt Akten und die sommerliche Hitze haben reichlich ihr ganz außerordentlicher Dank! Schweiß getrieben. Am Ende haben wir alles gut geschafft, wäre da nicht noch eine ärgerliche Delle an dem gemieteten Transporter entstanden, für die wir den Selbstkostenanteil der Kaskoversicherung tragen mussten. Frau Haas hat nun seit Jahrzehnten endlich ihren uneingeschränkten privaten Bereich zurück erhalten und jetzt auch eine eigene Telefonnummer. Die Telefon- und Faxnummer des IKLK haben wir für die neuen Räume der Geschäftsstelle beibehalten. Besucher können uns sehr bequem erreichen: Die Wasserstraße geht von der Großen Straße ab, einer der Haupteinkaufsstraßen in Kleve, liegt nur fünf Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt und hat in nächster Umgebung verschiedene Parkmöglichkei- ten. Obwohl die Geschäftsstelle nur zu sehr unre- Auszug aus Leitgraben 26 gelmäßigen Zeiten besetzt ist, erreichen uns Post Nachdem das Präsidium des IKLK schon länger und weitere Informationen über das uns sehr unter- die personelle Entlastung vorbereitet und in der stützende Büro des Kreisdekanates. Telefonische Wahl von Frau Peusen zur Sekretärin auch geschaf- Anrufe werden, wenn sie nicht in der Geschäfts- fen hatte, ergab sich nach vielen ergebnislosen stelle entgegengenommen werden können, entwe- Überlegungen plötzlich eine glückliche Lösung: In der zu Frau Peusen umgeschaltet oder auf dem An- dem Haus, das die Diözese Münster für das Kreis- rufbeantworter gespeichert. Im übrigen dürfte sich dekanatsbüro und das Katholische Bildungswerk die Kommunikation per E-Mail immer mehr ein- des Kreises Kleve angemietet hat, wurden Räume bürgern. Besucher sind uns jederzeit nach vorheri- frei, die wir zu günstigen Konditionen als Unter- ger telefonischer oder schriftlicher Anmeldung mieter übernehmen konnten. Hier nun sind wir mit herzlich willkommen. Wer in Unterlagen des Ar- weiteren katholischen Einrichtungen, der kfd und chivs studieren möchte, findet bei uns einen ruhigen Arbeitsplatz. Wir haben auch genügend Raum zur

228 Verfügung, um kleinere Gruppen zu Gesprächen empfangen zu können. Rechtzeitige vorherige Ab- sprache ist die einzige Bedingung. Am 16. November 2004 haben wir die fertig eingerichteten Räume mit einem Pressetermin der Öffentlichkeit vorgestellt. Präsident Hans-Karl Seeger hat nach einer kleinen Ansprache die Räume gesegnet. Dabei hat er auf die Fürsprache des Seli- gen Karl Leisner um den Segen für die hier zu lei- stende Arbeit und für diejenigen gebeten, die hier ein- und ausgehen.

In der Wasserstraße 1 Klaus Risse

Mitgliederversammlung 2004

Vor der Mitgliederversammlung am Gaudetesonn- verzierte Kerze am Grab Karl Leisners mit dem tag (12. Dezember) 2004 feierten die Mitglieder mit Anliegen für ein christliches Europa. Erzbischof Dr. Ludwig Averkamp, der auch die Am Samstag hatte bei der Präsidiumssitzung Predigt hielt, im Xantener Dom die Eucharistie. In Wilhelm Elshoff aus Altersgründen um Entlastung der Predigt ging Erzbischof Averkamp ausführlich als Archivar und Kassenprüfer des IKLK gebeten. auf die Priesterweihe Karl Leisners vor 60 Jahren Hans-Karl Seeger und alle Anwesenden dankten ein. Bei diesem Gottesdienst und in der anschlie- ihm für seine langjährige und wertvolle Mitarbeit. ßenden Mitgliederversammlung gedachten alle der Diesen Dank wiederholte die Mitgliederversamm- Toten des letzten Jahres. In der Krypta brennt seit lung, sie wählte Kordi Altgassen als Kassenprüfe- diesem Sonntag wieder eine mit dem Santiagokreuz rin.

Aus den Berichten der Kontaktpersonen in Europa

Frankreich

Liebe Freunde des IKLK Für unsere Arbeit im IKLK war diese Reise schon I. Unsere Pilgerreise nach Kleve und Xanten vom ein Bedürfnis. Es war wichtig für uns, den Nieder- 23. bis 25. April 2004 rhein zu durchqueren und so alles aufs Neue zu sehen und einzuatmen. Wesentlich war, der Heimat

229 des Seligen Karls ganz nahe zu kommen und all die an diese mutigen Zeugen für Christus und für Orte, an denen er gelebt hat, so richtig kennenzu- die Kirche so lebendig halten, um die Flamme lernen. Dazu hat Frau Haas wunderbar beigetragen, der Zeugen von heute zu erwecken. In tiefer und wir sind Ihr sehr dankbar dafür. Mit Ihrer Hilfe Gedanken- und Gebetsverbundenheit, in „muti- wurde unsere Fahrt wirklich zu einer Pilgerfahrt. ger“ Treue herzlichst Fr. Coudreau. Der beste Empfang wurde uns auch durch den III. Das schöne Buch: Karl Leisner, Priesterweihe Herrn Präsidenten Hans-Karl Seeger und durch und Primiz im KZ Dachau Frau Latzel in Billerbeck gewährt. So konnten wir Besten Glückwunsch für beide Autoren, aber auch mit Ihnen den Stand von allem ermitteln. für all diejenigen, die dazu beigetragen haben. Wir II. Unsere Arbeit 2004. freuen uns sehr darüber, und es ist uns eine Ehre, es Die Übersetzungen und die Herausgabe unseres weiter zu fördern und dadurch die aktuelle priester- letzten „Circulaire“ im Oktober über Bischof Piguet liche Gestalt Karls besser kennenzulernen. nahmen uns viel in Anspruch. Es gab auch viel IV. Dachau vom 18. bis 19. Dezember 2004 Freude dabei, und Dank dieses Rundbriefes kamen Eine Gruppe Jugendlicher von Bitche, Franziskani- wir in Verbindung mit vielen Leuten. Wir möchten sche Gruppe des seligen Angedenkens an P. Marie- ganz besonders erwähnen: Joseph, wird bei der Feier anwesend sein. Es wird a) die neue Karl-Leisner Pfarrgemeinschaft in bestimmt eine Feier von ganz großer Bedeutung Cambrai; sein, wenn Völker miteinander Frieden und Ver- b) Abbé Fleury, der frühere Pfarrer; söhnung suchen gerade an der Stelle, wo so vieles c) P. Pradeau, ein junger Priester aus Draguignan, Böses gegenseitig angetan wurde. der uns die Dias und Texte von Karl auf CD Da hat unser christlicher Glaube auch mitzuwir- gebrannt hat; ken um die Hingabe Christi und seiner Jünger als d) Die Diözese Clermont; Sühnopfer für eine Welt des Friedens zu ermög- e) Eine Jungschargruppe in Draguignan, die Karl lichen. Leisner als Patron gewählt hat; V. Projekte 2005 f) Mehrere ehemalige KZler aus Dachau: Dupuis, Wir werden demnächst das große Treffen, den WJT Kammerer, Louyot, de La Martinière. 2005 in Köln, feiern dürfen. Wir denken besonders g) Mgr François Coudreau. Kurz vor seiner Heim- an Bildchen oder Sonstiges, was wir unter den kehr zu Gott, haben wir noch ein kostbares Jugendlichen verteilen könnten. Schreiben von ihm bekommen: Unser nächster „circulaire“ wird das Buch Ich habe Mgr Piguet zwischen 1945 und 1950 „Priesterweihe und Primiz in Dachau“ angehen. gut gekannt. Er war Vorgesetzter und Vater und In Anbetracht, daß wir viele Nachfragen über stand den Jugendlichen sehr nahe... Ich habe das den IKLK und über Karl haben, wäre es ganz inter- Buch „Mgr Piguet, un évêque discuté [ein um- essant, eine Website in französischer Sprache zu strittener Bischof]“ gelesen und die Berichte, schaffen. Wir haben einen Freund, der bereit ist, die sie mir zukommen lassen, rufen mir die uns diese Arbeit zu leisten, nur hat es auch einen schmerzliche Vergangenheit in Erinnerung. Was Preis. für ein Zeugnis! Danke, daß Sie die Erinnerung Ehepaar Rimlinger

230 Niederlande

Liebe Freunde des IKLK! Ergänzung: In diesem Jahr gibt es aus den Niederlanden nichts Bei den Feierlichkeiten in Dachau teilte unser Mit- Nennenswertes zu berichten. Wir hoffen, daß mehr glied Adrianus van Luyn, Bischof von Rotterdam, Menschen Karl Leisner als Vorbild und Hilfe zur mit, er fahre zum Weltjugendtag mit 1.000 Jugend- Orientierung entdecken. Louise C.D. Brugmans lichen per Schiff von Rotterdam auf Waal und Rhein nach Köln. Er werde in Xanten anlegen, um die Jugendlichen in der Krypta des Domes Karl Leisner nahezubringen.

Spanien

Bericht von Bischof Hippolyte Simon

Vom 17. bis 24. April 2004 hat die COMECE654 Herz und unseren Geist zu öffnen für die Transzen- eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela orga- denz und das Universelle. Schließlich wollten wir nisiert. Wir wollten in feierlicher und etwas origi- in diesem Heiligen Jahr einer Einladung des Bi- neller Form die Aufnahme der zehn neuen Mit- schofs von Santiago de Compostela folgen. Wir gliedsstaaten in den „Schoß“ der Europäischen machten die Erfahrung, daß die Jakobswege eine Union begehen. Uns war es wichtig, an ein „Fini- spirituelle Verbindung für alle Völker Europas sterre“, ein Ende der Welt zu gehen, um für dieses bilden. Ereignis zu danken; denn es ist ein glücklicher Diese dreitägige Pilgerfahrt versammelte um die Augenblick für ganz Europa und für den Frieden in Bischöfe der COMECE eine Delegation aus jedem der Welt. Gleichzeitig wollten wir davor warnen, der 25 Mitgliedstaaten und aus einigen Ländern, die daß Europa sich abschottet und zu einer Festung für den Beitritt kandidieren. Im Anschluß an die von reichen Ländern wird. Es muß offen bleiben für Pilgerfahrt blieben die Bischöfe zu einem zweitägi- die ganze Welt und für seinen Schöpfer. Es gibt gen theologischen Kongreß in Santiago. Schließlich nichts Symbolischeres als den Ozean, um unser hielten wir die Vollversammlung unserer Kommis- sion ab. Dabei wurden die Vertreter der zehn neuen Staaten als Vollmitglieder in die COMECE aufge- 654 Com.E.C.E. – COMMISSIO EPISCOPATUUM nommen. COMMUNITATIS EUROPENSIS – Commission Für die Eröffnung des theologischen Kongresses des Episcopats de la Communauté Européenne – war ich beauftragt, die Kommentare, Bemerkungen Kommission der Bischofkonferenzen der Europä- und Änderungen darzulegen, die man für den auf ischen Gemeinschaft. Die COMECE setzt sich aus den delegierten Bia- unserer Internetseite vorgestellten Text „Laßt uns schöfen der Bischofskonferenzen auf dem Gebiet der unsere Herzen öffnen“ vorgeschlagen hatte. Dieser Europäischen Union zusammen. Ihr ständiges Sekre- Text ist eine an alle Katholiken der Europäischen tariat hat seinen Sitz in Brüssel. Union gerichtete Einladung, darüber nachzudenken,

231 was dieses völlig neue politische Gebilde bedeutet. August 2005 in Köln. Was uns betrifft, so werden Wir genießen das außerordentliche Privileg, in der wir uns, bevor wir nach Köln fahren, mit den Dele- Geschichte eine Zeit des Friedens und des wirt- gationen der Jugendlichen aus der Auvergne in die schaftlichen Wohlstandes ohnegleichen zu erleben. Diözese Münster begeben, um eine Wallfahrt auf Diese in jeder Beziehung außergewöhnliche Zeit den Spuren Karl Leisners zu machen. beruht auf spirituellen Entscheidungen von er- Außerdem habe ich mit Freude von einer Initia- staunlicher Tiefe, die wir der Generation verdan- tive Stefan Luntes, dem derzeitigen stellvertreten- ken, die die Tragödie der beiden totalitären Systeme den Generalsekretär der COMECE, erfahren. Er in Europa erlebt hat. Das dürfen wir nie vergessen. lebt mit seiner Familie im Département Allier und Daher habe ich meinen Beitrag mit tiefer Freude will mit Freunden einen Jakobsweg wiedereröffnen, unter das Patronat von Karl Leisner gestellt. Die der über Clermont-Ferrand führt. Priesterweihe von Karl Leisner scheint in der Tat Ich wünsche, daß dieser Weg den Pilgern, die ein symbolischer Akt für die Aussöhnung in Europa von Norden und Osten kommen, wieder angezeigt zu sein. Der Augenblick, in dem ein französischer wird. Sie können in Clermont-Ferrand Halt machen Bischof, mein Vorgänger Mgr Piguet, einem deut- und dort in der Kathedrale am Grab von Bischof schen Diakon in einem Konzentrationslager die Piguet beten. Wir versuchen vor Ort, Karl Leisner Hände auflegt, während der Krieg noch zwischen bekannter zu machen. dem französischen und dem deutschen Volk wütet, Im Augenblick bereiten wir die Feier des 60. läßt in ganz außerordentlicher Weise alle Zeichen Jahrestages der Priesterweihe Karl Leisners durch gegenseitigen Verzeihens und Versöhnens erahnen, Bischof Piguet vor. Eine Delegation von Pilgern die seit der Befreiung von 1945 die Geburt der aus der Auvergne fährt am 19. Dezember 2004 Europäischen Union ermöglicht haben. Ich hoffe nach Dachau. Zu dieser Delegation gehört insbe- auf diese Weise ein wenig zum Bekanntwerden von sondere eine Klasse von jungen Deutsch lernenden Karl Leisner in Europa beizutragen. Schülern, die zu ihrer Partnerschule in Deutschland In der Tat sind die Geschichte und die Persön- fahren. Gemeinsam mit ihren deutschen Partner- lichkeit Karl Leisners noch zu wenig bekannt in schaftsschülern nehmen sie an der Eucharistiefeier Europa, zumindest in Frankreich. teil, in der der Kardinal und Erzbischof von Mün- Was mich persönlich betrifft, so hatte ich bis zu chen, der Bischof von Münster und ich selbst kon- meiner Ernennung als Bischof von Clermont noch zelebrieren. Ich wünsche mir, daß diese Feier des nichts von dieser Priesterweihe gehört. Ich kam 60. Jahrestages das Echo findet, das ihr gebührt, 1996 einige Wochen vor der Seligsprechung Karl damit das bemerkenswerte Beispiel Karl Leisners Leisners durch Papst Johannes Paul II. in diese die jungen Katholiken in Europa anspornt und lei- Diözese. tet. Ich wünsche mir, daß wir alles nur mögliche PS. Dieser Bericht erschien, ergänzt durch eine tun, um die Persönlichkeit und das Engagement Kurzbiographie über Karl Leisner, in der Mitglieds- dieses jungen Deutschen der heutigen Generation zeitschrift der Erzbruderschaft des Apostels Jako- von Europäern nahezubringen. Die Möglichkeit bus (Compostela Nr. 33/34, Oktober 2004). dazu haben wir während der Weltjugendtage im

232 Europäische Jugendwallfahrt

Apostel Jakobus die Aufwartung zu machen, ver- trieben sie sich mit Tanz, Spiel und Gesang und steckten andere geduldig wartende Pilger mit ihrer Freude an. Das Lied „Wenn du singst, sing nicht allein, steck andre an, singen kann Kreise ziehn. Wenn du singst, sing nicht für dich, bring andre mit: Zieh den Kreis nicht zu klein! Zieh den Kreis nicht zu klein!“ wurde Anfang August in Santiago An die 40.000 Jugendliche nahmen vom 5. bis 8. im wahrsten Sinne des Wortes Wirklichkeit. August im Heiligen Jahr 2004 unter dem Motto Während der viertägigen Veranstaltung schick- „Zeugen Christi für ein Europa der Hoffnung“ an ten an die 200 Journalisten ihre Berichte in die der europäischen Jugendwallfahrt nach Santiago de ganze Welt. Jeden Tag erschien eine achtseitige Compostela teil. „Europa der Hoffnung bedeutet, Sonderausgabe rund um die Ereignisse der europäi- daß wir die Hoffnung nicht verlieren dürfen und schen Jugendwallfahrt, gedruckt von der regionalen immer etwas brauchen, an das wir glauben“ kom- Zeitung „El Correo Gallego“. mentierte ein jugendlicher Pilger das Motto der Einer der Höhepunkte der Veranstaltung war die Veranstaltung. Die meisten Teilnehmer waren min- liturgische Nacht am 7./8. August auf dem Monte destens die letzten 100 km aus unterschiedlichen del Gozo, präsidiert von Monsegnor Antonio Maria Richtungen zu Fuß nach Santiago gepilgert. Auf Rouco Varela, dem Vorsitzenden der spanischen dem Weg und in Santiago selbst kamen sie in Be- Bischofskonferenz, Kardinal von Madrid und Legat rührung mit Karl Leisner; denn ich war zur gleichen des Papstes. „Virtuell“ war auch Papst Johannes Zeit auf dem Camino unterwegs und legte auf den Paul II. anwesend, indem er mittels eines Video- letzten 300 km, angefangen vom Refugio Karl bandes zu den Jugendlichen sprach und sie unter Leisner in Hospital de Órbigo bis nach Santiago anderem aufrief, dazu beizutragen, daß das Licht Kopien vom „Jugendbild“ von Karl Leisner mit Christi durch ihre Ideale, ihren Einsatz und ihr viersprachigem Text in den Kirchen am Weg aus. Gebet den „Camino de Europa“ in eine neue Zeit Dabei fand ich hilfreiche Unterstützung durch die des Glaubens und der Hoffnung führe. Zum Ab- freiwilligen Mitarbeiter der Erzbruderschaft des schluß der liturgischen Nacht entzündete sich ein Apostels Santiago. Ihnen allen ein herzliches Dan- Meer von Kerzen, und Lucas Schreiber, der Ver- keschön! treter des deutschen Komitees für das Programm In den zwanzig Jahren, die ich auf dem Jakobs- des 20. Weltjugendtages 2005 in Köln, lud die weg unterwegs bin, habe ich Santiago noch nie so Anwesenden ein, daran teilzunehmen und sich der voller lebendiger, fröhlicher junger Menschen er- Verpflichtung bewußt zu sein, die der Aufbau eines lebt. Die bis zu dreistündige Wartezeit vor dem neuen Europas verlange. Pilgerbüro, um die Urkunde für die Pilgerschaft zu Das europäische Treffen endete am Sonntag- bekommen, und vor der Heiligen Pforte, um dem vormittag mit einem leider völlig verregneten Ab-

233 schlußgottesdienst auf dem Monte del Gozo, bei Gespräch mit dem Hauptverantwortlichen für die dem Kardinal Rouco Varela, Erzbischof Barrio europäische Jugendwallfahrt und den kommenden Barrio von Santiago und zahlreiche weitere Bi- Weltjugendtag in Köln Roberto Martínez Díaz. Wir schöfe aus Spanien und dem übrigen Europa kon- übergaben ihm unser spanisches Informationsmate- zelebrierten. Die Jugendlichen gingen auseinander rial, das er ins Internet stellen will. Damit wächst mit dem Gruß „Hasta pronto! Nos vemos en Colo- der Bekanntheitsgrad Karl Leisners in Spanien und nia 2500! – Bis bald! Wir sehen uns 2005 in Köln darüber hinaus. So läßt sich auch in diesem Sinne wieder!“ der Ruf der mittelalterlichen Jakobspilger verste- Am Montagmorgen hatten unsere spanische hen: E Ultreia! Vorwärts! Weiter! Kontaktperson Paula Achermann und ich noch ein Gabriele Latzel

Polen

Liebe Freunde des IKLK! 60jährige Jubiläum der Priesterweihe des einzigen Alle Mitglieder des IKLK in Polen senden allen Priesters, der im Konzentrationslager Dachau ge- anderen Mitgliedern herzliche Grüße. Ständig – weiht wurde. Die Agentur informierte auch, daβ während des Rosenkranzes um die Barmherzigkeit Bischöfe aus Deutschland, Frankreich, Polen und Gottes – bleiben wir im Gebet zu Karl Leisner, aber den Niederlanden am 19. Dezember 2004 in Da- auch mit allen Märtyrern aus dem KZ Dachau ver- chau eine Messe lesen werden, zur Ehre des Seligen bunden. Karl Leisner, der im Jahre 1996 vom Papst Johan- Die ständig von Kranken gehaltene Novene um nes Paul II. selig gesprochen wurde. die Fürsprache des Seligen Karl Leisner ist eine Ich hatte auch persönlich eine Möglichkeit, in Hilfe beim Leiden und es Gott aufzuopfern. Die dieser Meinung in der Todesangst-Christi-Kapelle, Gebete werden von Kranken in Warschauer, Stetti- die sich auf dem Gelände des ehemaligen Lagers ner und Posener Krankenhäusern, Pfarren, Privat- befindet, zu beten; es wurde mir auch die Möglich- häusern und Bibliotheken benutzt. keit gegeben, bei den Karmelitinnen in Dachau zu Wir bleiben stets im Gebet um Heiligsprechung weilen. Karl Leisners. Im Namen der Karl-Leisner-Kreis-Mitglieder Die katholische Informationsagentur hatte eine und Freunde in Polen eingehende Information bekannt gegeben über das Alina Skurska

Großbritannien

Aus Großbritannien liegt kein Jahresbericht vor.

234 VERÖFFENTLICHUNGEN ÜBER KARL LEISNER

Zum 60. Jahrestag der Priesterweihe und Primiz Rom zu überreichen. Er schrieb in der Rheinischen Karl Leisners ist im Auftrag des IKLK im August Post: 2004 im LIT Verlag in Münster ein Buch über Trotz der zunehmenden Mühe des 84-jährigen dieses kirchengeschichtlich einmalige Ereignis Oberhauptes der katholischen Kirche beim erschienen. Im Buchhandel ist es unter der ISBN 3- Sprechen, erlebten die etwa 7000 Anwesenden 8258-7277-7 zum Preis von 14,90 € erhältlich: in der Audienzhalle den Papst, wie er mit wa- chem Geist seine Ansprache und Grußworte Hans-Karl Seeger, Gabriele Latzel (Hgg.) vortrug und die Menschen, darunter zahlreiche Karl Leisner begeisterte Jugendliche, grüßte und ihnen zu- Priesterweihe und Primiz im KZ Dachau winkte. Er zeigte sich bei der Übergabe des Der Pressesprecher des IKLK, Werner Stalder, Leisner-Buches sichtlich interessiert. hatte die Gelegenheit, dieses Buch dem Papst in

236 Kurz vor der Drucklegung des Rundbriefes erreichte uns die Einladung zu einer Lesung im Geistlichen Zentrum Haus Aspel der Töchter vom Heiligen Kreuz in Rees am Niederrhein für den 22. Januar 2005.

Zwischen Auschwitz und Dachau – über Edith Stein und Karl Leisner

Anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Der Abend beginnt mit einem fiktiven Dialog Befreiung von Auschwitz (27.1.1945) entwer- zwischen Edith Stein und Karl Leisner. Dann fen Silvia Steinberg und Gregor Bohnensack folgen, von Musik unterbrochen, begleitet oder Lebensbilder von Edith Stein und Karl Leisner kommentiert, Texte von und über Edith Stein. Nach der Produktion „Vom Grab aus“, eine Der Beitrag zu Karl Leisner schließt die Veran- Annäherung an die Clemensschwester Maria staltung ab. Eine Klammer zwischen beiden, Euthymia, thematisieren Silvia Steinberg und die ja nicht miteinander bekannt waren, bilden Gregor Bohnensack nun das Leben, Wirken die Lebensabschnitte in Münster und – damit und Sterben von Edith Stein und Karl Leisner. verbunden – der Kontakt mit dem Philosophen Edith Stein wurde 1891 in Breslau geboren; Peter Wust. Karl Leisner erblickte 1915 in Rees am Nieder- Ein wesentliches Element der Lesung sind die rhein das Licht der Welt. Für beide bildete die letzten Äußerungen Karl Leisners im Lun- Bischofsstadt Münster eine wesentliche Station gensanatorium Planegg. Seine letzten Worte auf ihrem christlichen Lebensweg. gestalten wir zu einer Abschiedsrede, zu ei- „Aber Jesus kann auserwählten Seelen etwas nem Monolog über Krankheit, Widerstand und von dieser äußersten Bitterkeit zu kosten ge- Gottesliebe. Der Sterbende erinnert sich an ben. Es sind seine teuersten Freunde, denen seine Priesterweihe, seine Primiz, sein Ringen er es als letzte Probe ihrer Liebe zumutet“, um die Berufung, seine erste Liebe... die Hei- schreibt Edith Stein in ihrem letzten Werk mat. Weggefährten tauchen auf: Otto Pies, „Kreuzeswissenschaft“. Und Karl Leisner no- Peter Wust, Gregor Schwake, die Eltern, seine tiert am 25. Juli 1945; es ist seine letzte Tage- Schwester Maria. Karl Leisner, der „Sieger in bucheintragung: „Segne auch, Höchster, mei- Fesseln“, liegt danieder; er wird sich auf Erden ne Feinde.“ nicht mehr erheben. Sein Zustand verschlech- Beiden geht es um die christliche Liebe; beide tert sich immer mehr; es ist ein Schweben werden durch das nationalsozialistische Ter- zwischen Leben und Tod. rorsystem physisch zugrunde gerichtet. Die Auseinandersetzung mit Karl Leisner ist für Im Mittelpunkt ihres Wirkens steht das ge- uns beides: Erinnerung an die Barbarei der sprochene, sowie das geschriebene Wort, nationalsozialistischen Herrschaft und die Auf- hieran orientieren sich Silvia Steinberg und forderung, das Suchen nach Gott, auch in Gregor Bohnensack in ihrer Text- und Musikin- Sträflingskleidern, nicht aufzugeben. szenierung.

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Christuskopf vom Kreuz aus der Lagerkapelle, heute im Karmel Heilig Blut Dachau

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Der Dachau-Altar im Priesterhaus Berg Moriah (Simmern)

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