<<

Andi Schoon Die Ordnung der Klänge

Andi Schoon (Dr. phil.) lebt als freier Autor, Musiker und Dozent in Hamburg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt an den Schnittstellen von Musik, Performance und bildender Kunst. Andi Schoon Die Ordnung der Klänge. Das Wechselspiel der Künste vom zum Black Mountain College

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2006 transcript Verlag, Bielefeld

This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: , Fuge, 1925; © The Josef and Anni Albers Foundation/ VG Bild-Kunst, Bonn 2005 Lektorat & Satz: Andi Schoon Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-450-6

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de

Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] INHALT

Einleitung: Das Prinzip Bauhaus 7

1. Verflechtungen von Musik und Kunst – Linien, die zum Bauhaus führen 13 1.1 Lessings Laokoon – Ästhetik statt Nachahmung 14 1.2 Wettstreit der Künste im 19. Jahrhundert 16 1.3 Strukturäquivalenzen im 20. Jahrhundert 21

2. Das Streben nach Kontrolle – Musik am Bauhaus 31 2.1 Utopien einer krisenhaften Zeit 31 2.2 Musikalische Maler und die Harmonisierung 33 2.3 Musik außerhalb der Werkstätten 50 2.4 Die Bauhaus-Bühne 54 Einschub: Schulpolitik 75 2.5 László Moholy-Nagy und das konstruktivistische Bauhaus 76 2.6 Der beherrschte 82

5 3. Die Suche nach der offenen Form – Musik am Black Mountain College 89 3.1 Die Schulgeschichte im Spiegel der US-Kultur 89 3.2 An American Salzburg: der Unterricht 98 3.3. Musik und Alltag 109 3.4 Kompositionen und wissenschaftliche Arbeiten 114 Einschub: Schulpolitik 120 3.5 Auf dem Weg zum neuen Theater 125 3.6. : Open Forms 133

4. Formen und Funktionen – Linien, die vom Bauhaus ausgehen 153 4.1 Einlösungen zur Stunde Null 153 4.2 Einsickernde Utopien 159 4.3 Ordnung und Unordnung 172

5. Fazit: Ein Labor für visionäres Scheitern 177

Nachschrift 191

Literatur- und Quellenverzeichnis 199

6 EINLEITUNG: DAS PRINZIP BAUHAUS

„kunst?! alle kunst ist ordnung. ordnung ist auseinandersetzung mit diesseits und jenseits, ordnung der sinneseindrücke des menschenauges, und je nachdem subjektiv, persönlich gebunden, und je nachdem objektiv, gesellschaftsbedingt. kunst ist kein schönheitsmittel, kunst ist keine affektleistung, kunst ist nur ordnung.“1 (Hannes Meyer, Bauhaus-Direktor 1929)

Das Bauhaus ist bekannt für den Strukturwillen seiner Protagonisten. Mit der rhythmischen Verwendung von Grundfarben und -formen ist die 1919 gegründete Hochschule für Gestaltung in das kollektive Bewusst- sein gerückt. Neben dem Moment der Reduktion finden sich am Bauhaus zahlreiche Ansätze zur Schaffung von Ordnungssystemen, Formenalpha- beten, definitiven Zuordnungen und Entsprechungen. Die Tendenz zur klaren Organisation künstlerischer Belange hat Bühnenleiter Oskar Schlemmer als „instinktive Rettung vor dem Chaos [...] unserer Zeit“2 beschrieben. Die „Ordnung“ im Titel dieser Arbeit bezieht sich jedoch nicht allein auf die Institution Bauhaus, sondern auch auf die Musik, denn diese ist „organisierter Klang“, wie es in der berühmten Definition des Kompo- nisten Edgard Varèse heißt. Man sollte meinen, dies habe ganz besonders für Klänge zu gelten, die in einem Umfeld entstehen, das sich der Er- stellung von Ordnungsprinzipien verschrieben hat. Allein: Es gab am Bauhaus keine Werkstatt für Musik, und die Anzahl und Qualität der hier entstandenen Kompositionen böten für sich genommen keinen zwingen-

1 Meyer, Hannes: bauhaus und gesellschaft, zitiert nach: Winkler, Klaus- Jürgen: Der Architekt Hannes Meyer. Anschauungen und Werk, Berlin: Verlag für Bauwesen 1989, S. 234. Viele der schriftlichen Erzeugnisse aus dem Bauhaus-Umfeld bedienen sich durchgehend kleiner Schreibweise. Der Duktus des Originals wird in den entsprechenden Zitaten beibehalten. 2 Schlemmer, Oskar: Briefe und Tagebücher, Stuttgart: Hatje 1977, S. 87.

7 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE den Anlass für eine wissenschaftliche Untersuchung. Es ist vielmehr die Musik als Ordnung schaffendes Prinzip der bildenden Künste, die das Bauhaus zu einem musikwissenschaftlichen Gegenstand macht. Joseph von Eichendorffs romantischer Ausspruch: „Schläft ein Lied in allen Dingen“, erfuhr in Weimar und Dessau eine zweckorientierte Wendung, die typisch für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ist. Wiederum war es Oskar Schlemmer, der die Allgemeingültigkeit der Bauhaus-Arbeit 1923 treffend reflektierte: „Eine solche Schule, bewe- gend und in sich bewegt, wird ungewollt zum Gradmesser der Erschütte- rungen des politischen und geistigen Lebens der Zeit, und die Geschichte des Bauhaus wird zur Geschichte gegenwärtiger Kunst.“3 Im Sinne dieses Zitats schreibt das Thema Bauhaus eine ausholende Bewegung und die Berücksichtigung möglichst weit reichender Implika- tionen vor – künstlerischer, gesellschaftlicher, politischer. Trotzdem soll der musikalische Blickwinkel in der vorliegenden Arbeit nur insoweit verlassen werden, wie es eine erhellende Darstellung der Gesamtlage er- fordert. In dem Wissen, dass es eine objektive Geschichte der Einflüsse und Wirkungen des Bauhaus nicht geben kann, ist dies der Versuch einer Beschreibung aus musikalischer Sicht, die sich für das Ganze interessiert. Ich möchte die Schule sinnbildlich als Sammel- und Streulinse be- trachten: Das Bauhaus bündelte und verdichtete bestehenden Zeitgeist, um bei der Schließung 1933 neuen Zeitgeist auszustrahlen. Zum einen war es Kind und Spiegel seiner Zeit, zum anderen Brutstätte neuer Ideen. Die Struktur meiner Arbeit berücksichtigt das beschriebene Phänomen als doppelte Bewegung: Sie beginnt mit einer überblicksartigen Vorstel- lung der Strömungen und Tendenzen, die bei der Schulgründung eine Rolle spielten und endet auf einigen der vom Bauhaus bereiteten Pfade, die ideengeschichtlich bis in die 1950er und 1960er Jahre führen. Ein Weiterverfolgen dieser Pfade ist auch deswegen angezeigt, weil eine utopische Beschaffenheit sich fast leitmotivisch durch die Geschichte der Bauhaus-Entwürfe zieht: Die Aussicht auf eine praktische Verwirkli- chung erst außerhalb der eigenen Lebenszeit wurde seitens der Künstler in vielen Fällen bewusst in Kauf genommen – als Stichworte seien die exakte Kontrollierbarkeit von Klängen und das abstrakte Totaltheater ge- nannt. Die unbedingte Zukunftsorientiertheit des Bauhaus machte ein dauerndes Scheitern an den Beschränkungen der aktuellen Gegebenhei- ten unausweichlich. Auch erwiesen sich naturgemäß nicht alle erdachten Ansätze als fruchtbar: Manche Ideen endeten in Sackgassen, während andere ein weites Feld eröffneten.

3 Schlemmer im Werbeblatt zur ersten Bauhaus-Ausstellung in Weimar 1923, zitiert nach: Fiedler, Jeannine/ Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999, S. 280.

8 EINLEITUNG

Das Bauhaus vereinte die Künste unter einem Dach; es wagte zudem ei- ne Annäherung zwischen Kunst und Alltag, die sich in den zeitgenössi- schen Beschreibungen des Schullebens wie auch in der Funktionalität der Kunsterzeugnisse äußert. Im gemeinschaftlichen Dasein an der Schule bestand bereits der erste Schritt des kreativen Prozesses. Diese spezifi- sche Disposition, die interdisziplinären Ambitionen ein günstiges Umfeld bot, war auch am Black Mountain College gegeben. Unter der Mitwir- kung von Bauhaus-Personal wurden einige der in Europa entstandenen Fokussierungen ab 1933 in North Carolina nahezu übergangslos wieder aufgenommen. Der reformpädagogische Einfluss John Deweys machte das Black Mountain College zu einer praxisorientierten Anstalt, die als- bald den modernistischen Geist des Bauhaus in sich trug und mit zur Ausbildung einer originären amerikanischen Kunst beisteuerte. Für die Loslösung von der legitimen Überlieferung brauchte es – wie in den his- torischen Avantgarde-Bewegungen Europas – einen radikalen Neuan- fang, der provokativer nicht entbehrte.4 Als Einstieg in das Thema befasst sich Kapitel 1 mit den Formen, in denen Musik und Kunst einander bis zur Bauhaus-Gründung umspielten: Ausgehend von Lessings Schrift Laokoon verschob sich der Fokus der bildenden Künste von der Naturnachahmung hin zur inneren Logik, etwa der strukturellen Ordnung einer „reinen“ Malerei. Hatte Lessing mit den materiellen Eigenschaften der Gattungen ihre Unterschiedlichkeit be- gründet, so trat im 19. Jahrhundert zunehmend die Idee von verborgenen Entsprechungen zwischen Malerei und Musik auf. Sie entwickelte sich zur Annahme vermeintlich naturwissenschaftlich begründbarer Struktur- äquivalenzen im 20. Jahrhundert. Die Kapitel 2 und 3 beleuchten die Musik am Bauhaus und am Black Mountain College. In beiden Fällen spielen interdisziplinäre Überlegun- gen eine gewichtigere Rolle als die vor Ort komponierten Klänge. Auf der Suche nach musikalischen Spuren zeigte sich bei der Erstellung der Arbeit immer wieder, wie die Kunst im gegebenen Themenkreis aus der politisch-gesellschaftlichen Zeitgeschichte heraus entstanden ist. Die An- fänge und Einschübe der Kapitel 2 und 3 behandeln dieses Phänomen und versuchen, die historischen Hintergründe zu klären. Die Konsequenzen, Anschlüsse und Ausläufer der Arbeiten am Bau- haus und am Black Mountain College nach dem Zweiten Weltkrieg sind Gegenstand von Kapitel 4. Künstlerische Ereignisse der Jahre 1952/53 bilden dabei eine Art vorläufigen Fluchtpunkt, an dem die ausgelegten Bauhaus-Linien zusammenlaufen, um sich danach wieder zu zerstreuen.

4 Die Nachschrift dieser Arbeit behandelt zwei weitere Einrichtungen, deren Satzungen stark an der des Bauhaus orientiert waren: Das New Bauhaus in Chicago und die Ulmer Hochschule für Gestaltung.

9 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Nach der Darstellung zahlreicher interdisziplinärer Entwürfe, die ihren Fokus von der Arbeit am Material auf die Wahrnehmung des Publikums verlagerten, endet das Kapitel mit einem materialistischen Kontrapunkt: Die Untersuchung eines Essays von Theodor W. Adorno schlägt den Bo- gen zurück zur Frage nach den Grenzen der Gattungen. Die vorliegende Arbeit ist die erste längere, deutschsprachige Veröf- fentlichung zum Black Mountain College. Ich habe die Schulgeschichte daher ausführlicher dargestellt als die bereits gut dokumentierte des Bau- haus. Die Musik am Bauhaus wurde dagegen im Speziellen bisher nur wenig erforscht. Die übersichtlichen Abschnitte, die sich dem Thema widmeten, stellten vornehmlich rein musikalische Aspekte in den Vor- dergrund, die in Kapitel 2 zugunsten gattungsübergreifender Arbeiten eher am Rande abgehandelt werden: Der Komponist Hans Heinz Stuckenschmidt berichtete in einem Aufsatz von seinen Erfahrungen bei einem kurzzeitigen Engagement am Bauhaus als Musiker 1923.5 Christoph Metzger erzählte Eine kleine Musikgeschichte des Bauhaus6. Steffen Schleiermachers Klavieraufnahme Music at the Bauhaus trug rekonstruierte Stücke von mit dem Bauhaus assoziierten Komponisten zusammen. In einem beiliegenden Text schilderte Schleiermacher seine Sicht der dortigen musikalischen Zusammenhänge. Volker Scherliess widmete sich am Fallbeispiel Bauhaus der Wechselbeziehung zwischen bildender Kunst und Musik um 1920.7 Alle vier Beiträge geben nur einen groben Einblick in die Materie, der Bericht von Stuckenschmidt zudem zeitlich begrenzt auf ein paar Monate. Der Forschungsstand zum Black Mountain College ist ähnlich gela- gert: Es gibt zwei ausgezeichnete Monografien zum College – von Martin Duberman8 und Mary Emma Harris9 –, die ihrer Übersetzung aus dem Englischen harren. Die Musik wurde bislang lediglich in einem Beitrag von Martin Brody zu dem Sammelband Black Mountain College – Experiment in Art10 gesondert betrachtet. Eine unveröffentlichte Dissertation11 beschäftigt sich minutiös mit dem am College erteilten

5 Stuckenschmidt, Hans Heinz: Musik am Bauhaus, Berlin: Bauhaus-Archiv 1976, S. 3-9. 6 Fiedler/Feierabend 1999, S. 140-152. 7 Scherliess, Volker: Musik am Bauhaus oder: Komponierte Bilder und gemalte Musik - zur Wechselbeziehung zwischen bildender Kunst und Musik um 1920, in: Neubauer, Carsten u.a.: Form Follows Function. Zwischen Musik, Form und Funktion, Hamburg: von Bockel 2005, S. 23-48. 8 Duberman, Martin: Experiment in Community, New York: Dutton 1972. 9 Harris, Mary Emma: The Arts at BMC, Cambridge: MIT Press 1987. 10 Brody, Martin: The Scheme of the Whole: Black Mountain and the Course of American Modern Music, in: Katz, Vincent (Hrsg.): Black Mountain College – Experiment in Art, Cambridge: MIT Press 2002, S. 237-268. 11 Hines, Anna M.: Music at Black Mountain College. A Study of Experimental Ideas in Music (Dissertation), Kansas City: 1973.

10 EINLEITUNG

Musikunterricht, dessen Relevanz in Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit in Frage gestellt wird. Ein Großteil der Originaldokumente zum Black Mountain College lagert in Raleigh, North Carolina, geordnet im Rah- men des BMC-Projects.12 Zum Verhältnis von Kunst und Musik gibt es ein kaum überschauba- res Meer an Veröffentlichungen. Für den deutschsprachigen Raum sind besonders der Ausstellungskatalog Vom Klang der Bilder13 sowie die entsprechenden Arbeiten von Franzsepp Würtenberger14 und Helga de la Motte-Haber15 zu nennen. Das Zentrum für Kunst und Medientechnolo- gie in Karlsruhe (ZKM) hat in jüngster Zeit mit dem Internetprojekt Medienkunstnetz16 einen wichtigen Beitrag für die Dokumentation der Medienkunst und ihrer Vorläufer geleistet. Die Schaffung eigener Fach- bereiche zur Koordination interdisziplinärer Aktivitäten an Kunsthoch- schulen und Universitäten zeugt von der nachhaltigen Bedeutung künst- lerischer Interdisziplinarität.17

12 http://www.bmcproject.org vom 20. Dezember 2005. 13 von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985. 14 Würtenberger, Franzsepp (Hrsg.): Malerei und Musik. Die Geschichte des Verhaltens zweier Künste zueinander, Frankfurt: Lang 1979. 15 Von de la Motte-Habers zahlreichen Arbeiten zum Thema seien die Schrift Musik und Bildende Kunst. Von der Tonmalerei zur Klangskulptur, Laaber 1990 sowie der von ihr herausgegebene Sammelband Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber 1999 hervorgehoben. 16 http://www.medienkunstnetz.de vom 20. Dezember 2005. 17 Zu nennen wären hier etwa das Institut syn der Hochschule für Künste Bre- men und das Institut für Transdisziplinarität an der Hochschule der Künste Bern sowie der Sonderforschungsbereich 626 an der Freien Universität Berlin: Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste.

11

1. VERFLECHTUNGEN VON MUSIK UND KUNST – LINIEN, DIE ZUM BAUHAUS FÜHREN

„Ich tappe noch immer im Dunkeln, aber ich glaube, daß ich etwas finden kann zwischen Sehen und Hören und eine Fuge mit Farben wie Bach mit seiner Musik erschaffen kann.“1 (Frantisek Kupka 1913)

Als Gotthold Ephraim Lessing 1766 seine Aufsatzsammlung Laokoon2 veröffentlichte, entbrannte augenblicklich eine Diskussion über die Geltung ihrer Thesen. Obwohl Lessings Studie Über die Grenzen der Malerei und Poesie als Ausdruck der klassizistischen Ästhetik gilt, wir- ken die Auseinandersetzungen bis heute nach. Wie einen Befreiungs- schlag beschrieb Lessings Zeitgenosse Johann Wolfgang von Goethe das Auftauchen der Schrift: „Man muß Jüngling sein, um sich zu vergegen- wärtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte, indem die- ses Werk uns aus der Region eines kümmerlichen Anschauens in die freien Gefilde der Gedanken hinriß.“3 Was aber Goethe als Aufbruch empfand, brachte gut 150 Jahre später zu der Forderung, sich endlich vom Korsett dieser Überlie- ferung zu befreien: „In Lessings Laokoon, an dem wir unsere Denkkraft noch immer schulen zu müssen vermeinen, wird viel Wesens aus dem Unterschied von zeitlicher und räumlicher Kunst gemacht. Und bei ge- nauerem Hinsehen ist es nur gelehrter Wahn.“4 Die Zitate deuten an, wie unterschiedlich der Laokoon offenbar gele- sen und gedeutet wurde. Um die starken Polarisierungen zu verstehen, gilt es, seine Setzungen in den jeweiligen Zeitzusammenhang zu stellen. Zunächst aber: Was war Lessings Anliegen, als er den Laokoon verfasste?

1 Zitiert nach: Rowell, Margit (Hrsg.): Frank Kupka 1871-1957, Zürich: Kunsthaus 1976, S. 247. 2 Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart: Reclam 1987. 3 von Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit, Darmstadt: Wissen- schaftliche Buchgesellschaft 1998, S. 307. 4 Klee, Paul: Schriften, Rezensionen und Aufsätze (Herausgegeben von Chris- tian Geelhaar), Köln: DuMont Schauberg 1976, S. 119 ff.

13 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

1.1 Lessings Laokoon – Ästhetik statt Nachahmung

Die Laokoon-Gruppe, eine Arbeit der rhodischen Bildhauer Polydoros, Athenodoros und Hagesandros aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., wurde 1506 in Rom wiederentdeckt und galt fortan als das Idealbild griechi- scher Skulptur. Lessing reihte sich mit seinem Kommentar in eine Viel- zahl theoretischer Schriften über die Plastik ein. Sie diente ihm jedoch eher als Anlass zu Betrachtungen, die weit über das Einzelphänomen hinausgingen. Lessings These lautet, dass die Künstler in der abgebilde- ten Kampfszene aus ästhetischen Erwägungen auf eine realistische Dar- stellung des körperlichen Schmerzes verzichtet hätten. In seiner Argu- mentation weist er auf die materiellen Eigenschaften der bildenden Künste hin: „Die bloße weite Öffnung des Mundes [...] ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt tut.“5 Mit dieser Einschätzung entbindet Lessing die Künste von der Darstellung der Realität, welche das Hässliche um- schließt, während sich das künstlerische Bildwerk ausschließlich der „Schönheit“6 zu widmen habe. In der Konsequenz stellt er die Einbil- dungskraft des Künstlers über die bis dahin gültige Lehre der imitatio naturae. Der auf diese Weise geebnete Weg zur Autonomie der Künste war es, der Goethe die „freien Gefilde der Gedanken“ so euphorisch be- grüßen ließ. Im Zusammenhang mit der Malerei und Skulptur spricht Lessing von „Fleck“ bzw. „Vertiefung“. Dieser Hinweis auf die Materialität impli- ziert nicht nur die Abkehr von der Nachahmungsästhetik, sondern auch eine Abgrenzung der Künste untereinander. Die Verpflichtung auf das Schöne gilt ihm nur für die bildenden Künste, deren Medium der Raum ist, nicht aber für die Dichtkunst, deren zeitlicher, also flüchtiger Cha- rakter andere Strategien ermöglicht. Auch wenn Lessing nicht der erste war, der Raum- und Zeitkünste voneinander unterschieden hat7, so waren

5 Ebd., S. 20. 6 Ebd. 7 Ingrid Kreuzer hat in ihrem Nachwort zum Laokoon auf eine Reihe ver- gleichbarer Schriften hingewiesen: „Die Grenzbestimmung der Künste wird schon in der Antike versucht; über wesentliche seiner [, Lessings,] Frage- stellungen haben vor ihm Shaftesbury, Harris, Richardson, Burke und andere, unter den Franzosen besonders Dubos und Diderot gehandelt.“ Kreuzer, Ingrid: Nachwort, in: Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart: Reclam 1987, S. 218 (Her- vorhebungen dort). Franzsepp Würtenberger hat übersichtlich dargestellt, wie die Musik im Mittelalter noch als Teil der geistigen Artes liberales be- griffen wurde, zu denen man auch die Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie zählte, während die bildenden Künste als handwerkliche Artes mechanicae galten. Erst in der Renaissance

14 MUSIK UND KUNST es doch seine Definitionen, die die Grundlage für einen Großteil der nachfolgenden Diskussionen um die Grenzen der Künste darstellten. Lessing begreift das plastische Kunstwerk als eingefrorene Bewe- gung, als statischen Ausschnitt in einer erstarrten Zeit. Weil sich das Geistige jedoch nur in der lebendigen Bewegung einer Handlung dar- stellen lässt, sind Malerei und Bildhauerei durch die materiellen Schran- ken von der höheren Sphäre des Geistig-Moralischen ausgeschlossen. Sie haben sich vornehmlich mit der Güte ihrer handwerklichen Leistung und der Erzeugung von ästhetischem „Vergnügen“8 zu profilieren. Ein zeitli- ches Moment erkennt Lessing dagegen in der Wirkung des Kunstwerks auf den Rezipienten. Er kann durch Leistung seiner Fantasie ein Vorher und Nachher der Momentaufnahme konstruieren und somit das statische Kunstwerk in einen sukzessiven Ablauf überführen. Goethes Einschät- zung der Laokoon-Gruppe wirkt in diesem Sinne fast wie die Beschrei- bung eines filmischen Standbilds: „Sie ist ein fixierter Blitz, eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt.“9 Trotz ihrer höheren Stellung ist auch die Dichtkunst an die Eigen- schaften ihres Materials gebunden. Sie kann zwar über die Beschreibung inhaltlicher Vorgänge geistig-moralisch wirken, doch der Darstellung von Körpern und Gegenständen hat sie sich zu enthalten, denn für das Ohr „sind die vernommenen Teile verloren, wann sie nicht in dem Ge- dächtnisse zurückbleiben.“10 Die Einschränkung der Zeitkünste besteht also in ihrer mangelnden Eignung, einen Gesamteindruck zu vermitteln, der in den bildenden Künsten „mit einmal erfaßbar“11 ist. Herder entgegnete dieser Sichtweise in seinem Ersten Kritischen Wäldchen (1769), die Dichtung verfüge über eine „Kraft, die zwar durch das Ohr geht, aber unmittelbar auf die Seele wirket. Diese Kraft ist das Wesen der Poesie“12, mittels derer sie dem „inneren Sinn“ auch Gegen- ständliches einprägen könne. In Herders Verweis auf eine ganzheitlich wirkende, verborgene Energie zeichnet sich der Übergang von der Auf- klärung zum Sturm und Drang ab – und damit zu der romantischen Hal- tung, die wenig später zur Herleitung von Analogien zwischen Musik und Kunst führte. Lessings neu formulierte Trennung der Künste, die

entstanden die Künste als selbstständige Gattungen im heutigen Sinne. Würtenberger 1979, S. 13 f. 8 Lessing 1987, S. 15. 9 Zitiert nach: Kreuzer 1987, S. 224. An gleicher Stelle formulierte Goethe diese Sichtweise auch allgemeingültig: „Der höchste pathetische Ausdruck, den sie [die bildende Kunst] darstellen kann, schwebt auf dem Übergange eines Zustandes in den anderen.“ 10 Lessing 1987, S. 123. 11 Ebd. 12 Zitiert nach: Kreuzer 1987, S. 228 (Hervorhebungen dort).

15 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Paul Klee später als „gelehrten Wahn“ bezeichnen sollte, war bereits hier wieder in der Auflösung begriffen.

1.2 Wettstreit der Künste im 19. Jahrhundert

Obwohl Lessing im Laokoon eine Inhalts- und keine Formästhetik auf- stellte13, ging er mit der Verpflichtung der Künste auf die Bedingungen ihres Materials einen ersten Schritt in Richtung Abstraktion.14 Dadurch, dass er einer Zeitkunst den höchsten Rang zuteilte, läutete er zudem eine neue Runde im vergleichenden Wettstreit der Künste, dem Paragone, ein.15 Nach Lessing stellte sich die Frage, welcher Gattung es im Rahmen der neuen philosophischen Setzungen gelingen würde, eine Führungs- rolle auszubilden und den übrigen Künsten als Leitbild zu dienen. Die im Laokoon entworfenen Prinzipien legten die Übertragung von der Dich- tung auf eine andere Zeitkunst nahe: die Musik, die Lessing nur am Ran- de thematisiert und welche seit der Renaissance ob ihrer mangelhaften Fähigkeit zur Nachahmung visueller Ereignisse als minderwertig gegol- ten hatte. Nun aber standen die Dinge anders, und das Schlagwort einer „reinen Kunst“16 machte die Runde, die sich durch möglichst weitgehen- de Emanzipation von natürlichen Vorbildern auszuzeichnen hätte. Fried- rich Schiller forderte 1793, „die bildende Kunst in ihrer höchsten

13 Für die bildenden Künste forderte Lessing die Darstellung „schöner“ Au- genblicke, weil die statische, also dauerhafte Abbildung des Hässlichen beim Betrachter „Unlust“ erzeuge. Der ästhetische Wert einer Arbeit steigt damit durch „den Wert ihrer Gegenstände“ (Zitiert nach: Kreuzer 1987, S. 220). Ihres transitorischen Charakters wegen ist es der Dichtkunst erlaubt, auch das Hässliche vorübergehend abzuhandeln. Übertragen auf die Musik (ein Vergleich, den Lessing selbst nicht unternahm), ließe sich dies als Geneh- migung von Dissonanzen vorstellen, sofern sie alsbald wieder aufgelöst werden. 14 Die größere Autonomie der Künste ging mit der zunehmenden strukturellen Freiheit der Künstler einher, da sie sich nicht weiter als Dienstleister ihrer Mäzenen verstanden – womit sich ebenfalls ein enger Zusammenhang von Freiheit und Verarmung einstellte. Vgl. de la Motte-Haber 1999, S. 70. 15 Der Paragone geht zurück auf die Renaissance, als bildende Künstler wie Leonardo da Vinci eine höhere soziale Wertschätzung ihrer Leistungen an- strebten. In seinem Traktat über Malerei grenzte Leonardo seine malerische Arbeit gegenüber der Bildhauerei ab. Eines seiner Argumente lautete, dass der Malvorgang durch Musik begleitet werden könne, während der material- bedingte Lärm bei der Bildhauerei diese Inspirationsquelle von vornherein verhindere. Erst 1817 überschrieb Giuglielmo Manzi seine Edition von Leonardos Traktat Paragone oder der Vergleich der Künste. Vgl. Reck, Hans Ulrich: Der Streit der Kunstgattungen im Kontext der Entwicklung neuer Medientechnologien, in: Daniels, Dieter (Hrsg.): Fluxus – ein Nachruf zu Lebzeiten, Köln: Kunstforum 1991, S. 83. 16 Vgl. de la Motte-Haber 2000, S. 52.

16 MUSIK UND KUNST

Vollendung muß Musik werden“17. Arthur Schopenhauer vollzog den Paradigmenwechsel in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vor- stellung (1818) theoretisch nach und ordnete der Musik als Symbol der totalen Autonomie die erste Rangstufe unter den Künsten zu: „Denn überall drückt die Musik nur die Quintessenz des Lebens und seiner Vor- gänge aus, nie diese selbst [...]. Wie die Musik zu werden, ist das Ziel je- der Kunst“18. Die Entstehung der absoluten (Instrumental-)Musik ist in diesem Zusammenhang als eine Reinigung von der Ding- und Wortsphä- re zugunsten der Phantasie des Komponisten zu verstehen. Ihr vermeint- lich formvollendeter Ausdruck, die Sinfonie, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Maßstab und Orientierungsmodell aller Künste. Zunehmend trat auch das Fugenprinzip in den Blickpunkt des gattungs- übergreifenden Interesses, vor allem nach der Wiederentdeckung von Johann Sebastian Bach durch Mendelssohns Aufführung der Matthäus- passion 1829. Schon 1802 schrieb der Maler Philipp Otto Runge zu sei- nem Bild Die Lehrstunde der Nachtigall, in dem verschiedene Motive durch Wiederholung in der Rahmenkonstruktion mehrfach auftauchen:

„Dieses Bild wird dasselbe, was eine Fuge in der Musik ist. Dadurch ist mir begreiflich geworden, daß dergleichen in unserer Kunst ebensowohl stattfin- det, nämlich, wie viel man sich erleichtert, wenn man den musikalischen Satz, der in einer Komposition im Ganzen liegt, heraus hat und ihn variiert durch das Ganze immer wieder durchblicken läßt. [...] Auf diese Weise kommt eins und dasselbe dreimal in dem Gemälde vor und wird immer abstrakter und symbolischer, je mehr es aus dem Bilde heraustritt.“19

Bemerkenswert an dieser Reflexion Runges ist sein Vorgriff auf die Konstruktion struktureller Äquivalenzen, wie sie eigentlich erst zu Be- ginn des 20. Jahrhunderts verstärkt auftauchte. Abgesehen von dieser Ausnahme beschäftigte sich Runge, wie viele andere Maler des 19. Jahr- hunderts, mit der Vorstellung von Farben, die wie Klänge wirken sollten. Die Übertragungsleistung hatte der Betrachter durch seine Kontemplati- on zu erbringen. Künstler wie Runge und Caspar David Friedrich gaben jedoch regelrechte Aufführungsanweisungen, um die Andacht und Ver- tiefung zu unterstützen: Neben genau festgelegter Musikbegleitung for- derte Friedrich im Ausstellungsraum abgedämpftes , um das Auge

17 Zitiert nach: Würtenberger 1979, S. 14. 18 Ebd. 19 Zitiert nach: Dömling, Wolfgang: Wiedervereinigung der Künste. Skizzen zur Geschichte einer Idee, in: Schmierer, Elisabeth: Töne, Farben, Formen. Über Musik und die bildenden Künste, Laaber: Laaber 1995, S. 121 f.

17 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE von den minutiösen Bilddetails auf die atmosphärische Gesamtheit zu lenken.20 Trotz erster Bestrebungen zu einer Musikalisierung der Malerei hielten Friedrich und Runge noch die medialen Grenzen im Sinne einer Trennung der Kunstgattungen ein. Doch früher als bei anderen deutete sich in Runges Werk die Sehnsucht nach einem Gesamtkunstwerk an. In dem Bilderzyklus Zeiten (1803-10) orientierte er sich schon bei der Ein- teilung der vier bildlichen Abschnitte an der Struktur der Sinfonie. Runge schwebte hier eine Ausweitung der Malerei vor, in der bereits etwas Wagnerianisches mitschwang: „Meine vier Bilder, das ganze Große da- von und was daraus entstehen kann: kurz, wenn sich das erst entwickelt, es wird eine abstrakte phantastisch-musikalische Dichtung mit Chören, eine Komposition für alle drei Künste zusammen, wofür die Baukunst ein ganz eigenes Gebäude aufführen – sollte.“21 Wolfgang Dömling weist darauf hin, dass der Gedankenstrich vor dem letzten Wort auf Runges Bewusstsein um den letztlich utopischen Charakter seiner Vorstellungen deutet.22 Der sich hier abzeichnende Trend zur Vereinnahmung angrenzender Kunstbereiche setzte sich je- doch in den 1830er Jahren fort, nun auch von musikalischer Seite: Wäh- rend etwa Hector Berlioz der Idee einer poetischen Musik nachhing, komponierte Franz Liszt 1839 mit Sposalizio ein Klavierstück, das sich tonmalerisch23 auf ein Gemälde des italienischen Malers Raffael bezog. Für die Aufführung seiner Dante-Sinfonie hatte sich Liszt das Pariser Diorama ausgesucht, eine Art Vorform des Kinos, in der die Illusion be- wegter Abläufe erzeugt wurde.24 Die Bilder zur Musik sollte Bonaventu- ra Genelli beisteuern. Auch wenn dieses Projekt nicht zustande kam, zählt es zu den sich häufenden Anzeichen für einen Trend zur Grenz-

20 Vgl. de la Motte-Haber, Helga: Virtuelle Zeit, in: Schmierer, Elisabeth u.a.: Töne, Farben, Formen. Über Musik und die bildenden Künste, Laaber 1995, S. 147. 21 Dömling 1995, S. 122. Der romantische Charakter von Runges Vorstellungen wird auch in folgendem Zitat deutlich: „Die Musik ist doch immer das, was wir Harmonie und Ruhe in allen drei Künsten nennen. So muß in einer schönen Dichtung durch Worte Musik sein, wie auch Musik sein muß in einem schönen Bilde, und in einem schönen Gebäude, oder in irgendwelchen Ideen, die durch Linien ausgedrückt sind.“ Zitiert nach: Würtenberger 1979, S. 53. 22 Dömling 1995, S. 122 f. 23 Die Tonmalerei diente neben Liszt auch vielen anderen Komponisten als grundlegende Methode, mit der sie die Vorstellungsbilder der Rezipienten bis zu einem gewissen Grad lenkten: Hauptstrategien waren die instrumentale Nachahmung von Alltags- und Naturgeräuschen, die Darstellung von Bewe- gungsabläufen durch Rhythmus und das Hervorrufen bestimmter Emotionen durch den Einsatz allgemeinverständlicher musikalischer Hinweise (langsa- mes Tempo und tiefe Töne in Moll für Trauer etc.). Zum Begriff der Ton- malerei vgl. Rösing, Helmut: Musikalische Stilisierung akustischer Vorbilder in der Tonmalerei, München: Katzbichler 1977. 24 Dömling 1995, S. 123.

18 MUSIK UND KUNST

überschreitung, der noch immer von der Konkurrenz zwischen den Künsten lebte: Die Einverleibung der einen Kunst durch die andere ge- schah in der Absicht, ihren Rangunterschied zu demonstrieren.25 Eine Abkehr vom klassizistischen Denken in Differenzen findet sich erst bei Wagner, der den antiken Gedanken der hierarchischen Gleichheit der Künste vertrat. Er verstand die klassische griechische Tragödie als Ausdruck der ursprünglichen Einheit der Künste und sein Musikdrama als Versuch, diesen Mythos wiederzubeleben. Als paradigmatisch gilt der Ausspruch des sterbenden Tristan in Wagners Tristan und Isolde: „Wie – hör’ ich das Licht?“. Unter dem Einfluss einer Pariser Tannhäuser- Aufführung verfasste der symbolistische Dichter Charles Baudelaire 1861 seine Theorie der verborgenen Entsprechungen („Correspondan- ces“). Die Forschung zur Synästhesie, also der Miterregung eines Sin- nesorgans bei Reizung eines anderen, war zu diesem Zeitpunkt durchaus keine neue Disziplin: Seit Jahrhunderten bereits versuchten Künstler, Wissenschaftler und Philosophen, die Phänomene des Tönesehens und Farbenhörens durch regelhafte Zuordnungen von Farben und Klängen zu systematisieren26; nun aber setzte eine regelrechte Synästhesie-Euphorie ein, die sich durch die erste Vorstellung des Ring- in Bayreuth 1876 noch verstärkte.27 Wagner strebte die Integration und Flexibilisierung von Szenenfolge, Text und Musik an. In der Absicht, den Sängern mehr Raum zur Dar- stellung zu gewähren, hob er den dramaturgischen Gegensatz zwischen

25 Vgl. de la Motte-Haber, Helga: Ist die Idee einer Kunstsynthese einlösbar?, in: Jank, Werner und Jung, Herrmann (Hrsg.): Musik und Kunst. Erfahrung - Deutung - Darstellung, Mannheim: Palatium 2000, S. 54. 26 Die Synästhesieforschung lässt sich bis zu der antiken Vorstellung einer durch harmonische Zahlenproportionen geregelten, kosmischen Weltordnung zu- rückverfolgen. Ein erster neuzeitlicher Versuch der wissenschaftlichen Un- termauerung synästhetischer Annahmen stammt von Isaac Newton, der in sei-nen Opticks (1704) eine rechnerische Zuordnung der sieben Spektral- farben zu den sieben Tönen der diatonischen Skala unternahm (vgl. Rösing, Helmut: Synästhesie, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Band 9, Kassel, Stuttgart: Bärenreiter 1998a, S. 170). Noch vor der Erfindung der Elektrizität führte seine Theorie zu ersten Versuchen mit einem Farben- klavier. Der Jesuitenpater Louis Bertrand Castel konstruierte ein solches Klavier als „Augenorgel“, mit der er „fast ganz Paris bestücken“ wollte (de la Motte-Haber 1990, S. 65 f.). Castels Unterfangen scheiterte nicht nur an der mangelnden Technik, es rief auch eine ganze Reihe von Gegentheorien auf den Plan. So ist die Schrift Falsche Analogien zwischen Farben und Tönen (1760) von Jean-Jacques Rousseau als direkte Reaktion auf die Versuche Castels zu verstehen. Hier plädierte Rousseau, wie einige Jahre später Lessing, für eine strikte Trennung der Künste. Auch Goethe lehnte direkte Zuordnungen ab. Seine Farbenlehre lieferte mit ihrem Verweis auf eine gemeinsame „höhere “ (vgl. ebd., S. 63 f.) jedoch einen Ansatzpunkt für die synästhetischen Verknüpfungen am Bauhaus. 27 Vgl. von Maur, Karin: Musikalische Strukturen in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts, in: Jank, Werner und Jung, Herrmann (Hrsg.): Musik und Kunst. Erfahrung – Deutung – Darstellung, Mannheim: Palatium 2000, S. 26.

19 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Arien und Rezitativen auf.28 Die Bewegungsabläufe ordnete er dem Takt unter, während sich die regelhafte Viertaktigkeit zu einer leitmotivisch generierten „unendlichen Melodie“29 erweiterte. Trotz des Anspruchs, Text und Aufführung der Musik gleichzustellen, blieb Wagner im An- schluss an Schopenhauer überzeugt davon, dass einzig die Musik „uns in unser Inneres [...] wie in das innere Wesen aller Dinge blicken“30 lasse. Dennoch legte Wagner Anknüpfungspunkte aus, die das interdisziplinäre Denken an der Grenze zum 20. Jahrhundert entscheidend mitprägten. Der Wettstreit der Künste mündete hier erstmals in die Absicht, die Gattungshierarchien für nichtig zu erklären.31 Eine Wendung ins mystisch Übersteigerte erfuhr die Verschmelzung der Künste bei Alexander Skrjabin. Wie Runge erträumte er eine utopi- sche Architektur: einen Tempelbezirk in Indien, der zum Schauplatz ei- nes gigantischen Erlösungsrituals, des Mysteriums, werden sollte. Skrja- bin skizzierte den Tempel flüchtig als kugelförmiges Gebäude. Für sein Orchesterwerk (1909/10) erdachte er ein Zuordnungssystem für Licht und Klang. Als Grundlage dienten ihm der Quintenzirkel und die Farben des Regenbogens, die er nach Maßgabe der Farbwirkung bestimmter Harmonien übersetzte. Skrjabin notierte eine zweistimmige Luce-Stimme für ein noch zu entwickelndes Farbklavier, aus dessen mit der Tastatur gekoppelten Öffnungen buntes Licht sollte. In

28 In der Oper vor Wagner waren sowohl die Darstellung auf der Bühne als auch der textliche Inhalt an die musikalische Vortragsweise gebunden: Während der Rezitative, die im Sprechgesang von den handelnden Personen berich- teten, durften die Sänger körperlich agieren. Die Arien, die das lyrische Moment in Versform brachten, wurden dagegen zumeist in statischer Haltung vorgetragen. 29 Allende-Blin, Juan: Gesamtkunstwerke – von Wagners Musikdramen zu Schreyers Bühnenrevolution, in: Günther, Hans (Hrsg.): Gesamtkunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos, Bielefeld: Aisthesis 1994, S. 177 f. 30 Zitiert nach: Würtenberger 1979, S. 15. Aufgrund von Wagners Verherrli- chung der Musik als höchste Kunst veranschlagt Helga de la Motte-Haber seine Bühnenwerke letztlich als Teil der Musikgeschichte: „Wagners Musik- dramen [...] führten jedoch nicht zu Kunstäußerungen, die als neue Gattun- gen zwischen den Künsten hätten gelten können. [...] Die Wagnerschen Mu- sikdramen haben, ohne dass das Neuartige dabei nicht gewürdigt würde, ihren Platz in der Geschichte der Oper.“ de la Motte-Haber 1990, S. 97. Wolfgang Dömling hat hervorgehoben, dass Wagner selbst – wie Runge – das Gesamtkunstwerk als nicht zu verwirklichende Utopie verstanden habe. Vgl. Dömling 1995, S. 124. 31 Dieser Wunsch setzte sich mit den Wagnerianern in der Wiener Secession fort, die anlässlich der Ehrung von Max Klingers Beethovenfigur ihre XIV. Ausstellung 1902 als „Raum-Kunstwerk“ konzipierten, um „der ernsten und herrlichen Huldigung, die Klinger dem großen Beethoven darbringt, eine würdige Umgebung [zu] schaffen“. Gustav Klimt steuerte einen monu- mentalen (Beethoven-)Fries bei, Josef Hoffmann entwarf geometrische Gips- reliefs und Gustav Mahler führte bei einer privaten Voreröffnung der Aus- stellung einige für Bläser bearbeitete Motive der Neunten Symphonie auf. Vgl. von Maur 1985, S. 346.

20 MUSIK UND KUNST

Skrjabins Planungen oblag es dem Publikum, die Zuordnungen während der Aufführung nachzuvollziehen.32 Der russische Schriftsteller Leonid Sabanejew feierte den Prometheus im Almanach des Künstlerkreises Der Blaue Reiter begeistert:

„Es ist die Zeit der Wiedervereinigung dieser sämtlichen verstreuten Künste gekommen. Diese Idee, die unklar schon von Wagner formuliert wurde, ist heute viel klarer von Skrjabin aufgefaßt. Alle Künste [...] müssen, in einem Werk vereinigt, die eines so titanischen Aufschwunges geben, daß ihm unbedingt eine richtige Ekstase, ein richtiges Sehen in höheren Plänen folgen muss.“33

Auch , der wie Skrjabin synästhetisch begabt war, bewegte sich im geistigen Umfeld solch euphorischer Vorstellungen von der Summierung der Mittel. Hier entwickelte er grundlegende Ideen sei- ner späteren Lehre, während sich am künstlerischen Horizont langsam die Umrisse des Bauhaus zu formen begannen. Hinsichtlich Lessings Laokoon lässt sich für das 19. Jahrhundert eine paradoxe Konsequenz feststellen: Das Postulat der Grenzziehungen zwi- schen den Künsten führte über die Konkurrenz um den höchsten Rang zu einer Annäherung der Gattungen. Die gegenseitigen Vereinnahmungs- tendenzen machten eine Neuformulierung der ästhetischen Kategorien unumgänglich. Auf diese erstaunliche Dynamik gilt es besonders deswe- gen hinzuweisen, weil Lessing im Verschwimmen der Künste des 20. Jahrhunderts vielfach lediglich als zu überwindender Gegenpol rezipiert wurde.

1.3 Strukturäquivalenzen im 20. Jahrhundert

Schon in Wagners „unendlicher Melodie“ kündigte sich der Wegfall von gerichteter Zeit an. Bei Claude Debussy erschienen Zeit und Musik dann wie in einem statischen Zustand, den Theodor W. Adorno „als ein Ne- beneinander von Farben und Flächen, wie auf einem Bild“ umschrieb.34

32 Die Spezialanfertigung von Wallace Rimington wurde zur Uraufführung am 15. März 1911 nicht fertig, so dass das Werk ohne visuelle Unterstützung gespielt werden musste. Die Luce-Stimme kam erst bei einer New Yorker Aufführung am 20. März 1915 erstmalig zum Einsatz. 33 Kandinsky, Wassily/Marc, Franz (Hrsg.): Der Blaue Reiter, München: Piper 1984, S. 109. 34 „Das arglose Ohr spannt das ganze Stück hindurch, ob ,es komme‘; alles er- scheint wie Vorspiel, Präludieren zu musikalischen Erfüllungen, zum ,Abge- sang‘, der dann ausbleibt. Das Gehör muß sich umschulen, um Debussy

21 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Während sich etwa Franz Liszt mit Sposalizio noch motivisch an einem Gemälde orientierte, tauchte in zeitgenössischen Beschreibungen von Debussys Musik um 1890 der Begriff der „Klangfarbe“ auf. Als Anre- gung diente Debussy eine Malerei, die sich selbst in der Abkehr vom Gegenständlichen befand: die atmosphärischen Studien von William Turner und James Whistler, in denen die Landschaft nur noch den An- stoß zum Schwelgen in reiner Farblichkeit gab.35 Solch innere Verwandt- schaftsverhältnisse zwischen den Künsten traten im 20. Jahrhundert an die Stelle gegenseitiger Nachahmung.

a. Ideengeschichtliche Voraussetzungen

Die Zeitwahrnehmung des Menschen ist eine Frage grundsätzlicher Weltanschauung: In fernöstlichen Kulturen vergeht die Zeit nicht, son- dern sie kehrt wieder. Das zyklische Zeitempfinden steht in Verbindung mit dem Glauben an die Reinkarnation. Noch im Mittelalter lebten auch die Europäer im wiederkehrenden Rhythmus der Tages- und Jahreszei- ten. Erst zu Beginn der Neuzeit bildete sich das Bewusstsein um eine fortschreitende Zeit aus, die eine stetige Höherentwicklung implizierte. Dieser zivilisatorische Zukunftsoptimismus schwächte sich im 19. Jahr- hundert wieder ab, als sich in der Verarmung der Arbeiter die Kehrseite der Industrialisierung offenbarte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es naturwissenschaftliche Einsichten, die die Vorstellung eines finalen Zeitverlaufs in Frage stellten: Der Mathematiker Henri Poincaré schrieb 1906, dass die Kategorien Zeit und Raum reine Bewusstseinskonstrukte ohne faktische Entsprechung in der Realität seien.36 Albert Einstein defi- nierte die Zeit in seiner Speziellen Relativitätstheorie (1905) als unsicht- bare vierte Dimension des Raumes. Beide Theorien gingen von einem wechselseitigen Verhältnis zwischen den Dimensionen aus, das strikte Trennungen hinfällig machte. Neben der populärwissenschaftlichen Re- zeption solcher Erkenntnisse waren es technische Errungenschaften wie der filmische Rücklauf, die auch zahlreiche Künstler dazu brachten, die chronologischen Begrifflichkeiten einer kritischen Prüfung zu unterzie- hen. Die Reaktion der Kunst auf die erneuerten Kategorien erfolgte so prompt, weil sie die theoretische Begründung dafür lieferten, einem

richtig wahrzunehmen, nicht als Prozeß mit Stauung und Auslösung, sondern als ein Nebeneinander von Farben und Flächen, wie auf einem Bild.“ Adorno, Theodor W.: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt: Suhrkamp 1978a, S. 171 f. 35 Bemerkenswert ist, dass Debussy sich für die Maler des Impressionismus kaum interessiert hat, obwohl er selbst dem musikalischen Impressionismus zugerechnet wird. Vgl. von Maur 2000, S. 26 f. 36 Poincaré, Henri: Der Wert des Wissens, Leipzig: Teubner 1906, S. 4 und 42 f.

22 MUSIK UND KUNST schon lange schwelenden Bedürfnis nachzugehen: die Verpflichtung der Künste auf ihr spezifisches Material für obsolet zu erklären und so einer Vermischung von Zeit- und Raumkünsten den Weg zu ebnen. Von der Jahrhundertwende bis zur Bauhaus-Gründung befassten sich etliche Strömungen mit den Konsequenzen und neuen Möglichkeiten, die sich aus der Relativierung von Zeit und Raum ergaben. Ihnen war gemein, dass immaterielle Ideen an die Stelle der von Lessing geforderten Kon- zentration auf das eigene Medium traten. Etwa zeitgleich trieb die Male- rei den als Musikalisierung verstandenen Trend zur Abstraktion voran. Fortan machten Annahmen von „verborgener Entsprechung“ und „inne- rem Klang“ die Runde – Vorstellungen also, deren Stimmigkeit vorerst nicht zu beweisen war. Schon 1904 thematisierte der Kunstlehrer Adolf Hölzel die Sehnsucht der Maler, nach dem Wegfall der Verpflichtung auf das Gegenständliche zu einer neuen Form verbindlicher Gesetzgebung zu gelangen: „Ich meine, es müsse, wie es in der Musik einen Kontrapunkt und eine Harmonielehre gibt, auch in der Malerei eine bestimmte Lehre über künstlerische Kontraste jeder Art und deren harmonischen Aus- gleich angestrebt werden.“37 Die Suche nach struktureller Ordnung ver- band sich hier mit der Hoffnung, die abstrakte Kunst durch neue Sinn- stiftung vor dem Abrutschen ins rein Dekorative zu bewahren. Es waren dabei nicht nur die Künstler, die ihre Arbeit umfassend zu überdenken hatten. Auch den Betrachtern fiel eine neue Aufgabe zu, nämlich die Selbstpositionierung im Angesicht abstrakter Gemälde, die den Standort nicht mehr qua Zentralperspektive festschrieben. Die indi- viduelle Wahrnehmung der Rezipienten wurde zum integralen Bestand- teil der Werke: Die Kunst entdeckte ihr Publikum. Dieses kommunikati- ve Moment bildete wiederum die Grundlage performativer Kunstformen (wie Dada und Futurismus), die sich in provokativer oder politisch- agitatorischer Absicht direkt an die Öffentlichkeit wendeten. Das ästhe- tisch gestaltete Objekt verlor durch die Aufwertung der situativen Prä- sentation an Gewicht. Als Katalysator der Entwicklung von Kunstsyn- thesen wirkte die kurz nach der Jahrhundertwende aufgekommene Idee der ganzheitlichen Wahrnehmung des Menschen: Wenn die Sinne als Einheit arbeiteten, dann erschien es folgerichtig, sie alle zugleich anzu- sprechen.38

37 Hölzel, Adolf: Über die künstlerischen Ausdrucksmittel und deren Verhältnis zu Natur und Bild, in: Kunst für Alle 20 (1904), S. 132. 38 Dieser Gedanke wurde bis heute in unterschiedlicher Weise immer wieder aufgenommen: Etwa in dem Entwurf von „Ursynästhesien“ bei Albert Wellek (1928, zusammengefasst in: Wellek, Albert: Musikpsychologie und Musik- ästhetik. Grundriß der Systematischen Musikwissenschaft, Frankfurt: Akade- mische Verlagsgesellschaft 1963.) sowie in den Untersuchungen des Entwick- lungspsychologen Heinz Werner zum ganzheitlichen „Ursinn“, der bei Kin- dern und in vorzivilisatorischen Kulturen ausgeprägter sei als beim

23 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Neben dem Verhältnis zwischen Kunstwerk und Publikum revolutio- nierten die neuen Ausdrucksformen auch den Bezug zur Wirklichkeit. Die Auseinandersetzung mit aktuellen Phänomenen fand ihre Entspre- chung in der Polemik gegen die bürgerliche Kunst, deren traditionelle Maximen von Schönheit und Kontemplation zwar ihre Selbstständigkeit begründeten, dafür aber die Erscheinungen der fortschreitenden Techni- sierung ausklammerten. Demgegenüber war die Autonomie der Avant- gardekunst des frühen 20. Jahrhunderts nicht gleichbedeutend mit einer Trennung von der Realität. Ihre Aufgabe war es jedoch nicht, die äußere Welt abzubilden, sondern sie zu erforschen und ihre Fehler und Mög- lichkeiten aufzuzeigen.39 Der utopische Charakter vieler avantgardisti- scher Entwürfe ist dabei nicht ausschließlich als Heilsversprechen zu ver- stehen, sondern auch als emanzipatorische Geste, als Maximalforderung, die es brauchte, um der seit Lessing legitimierten Überlieferung vom ge- schlossenen Werk die Stirn zu bieten.

b. Richtungen und Kristallisationen

Man nimmt einen Gegenstand unterschiedlich wahr, je nachdem, wie schnell man sich an ihm vorbei bewegt. Aus dieser Implikation der Rela- tivitätstheorie zogen die Kubisten ab 1908 praktische Schlüsse für ihre Arbeit. Sie schufen zersplitterte Bildräume, die sich aus Teilansichten zusammensetzen. Es scheint, als seien die gesamten Eindrücke einer Um- rundung des dargestellten Gegenstandes als Fragmente simultan auf die zweidimensionale Leinwand gebracht. Die Malerei des Kubismus ver- hielt sich in mehrfacher Weise zur Musik: Zum einen fiel die Wahl der Motive vielfach auf Musikinstrumente, zum anderen häuften sich die musikalischen Bildtitel, deren Schriftzüge mitunter ins Gemälde eingear- beitet wurden. Tiefgreifender war das strukturelle Merkmal der Veran- schaulichung von Bewegung: Die Gleichzeitigkeit mehrerer Blickwinkel implizierte einen zeitlichen Verlauf, den die Kritik als musikalisch auf- fasste – die Übergänge zwischen Farb- und Klangpalette, Bild- und Ton- raum verschwammen. Zwar hielten sich Künstler wie Georges Braque und Pablo Picasso an ihr Material, die malerische Gestaltung von Lein- wänden, doch ihre Darstellungen waren den Kategorien Zeit und Raum

„sachlichen“ Menschen (vgl. Werner, Heinz: Einführung in die Entwicklungs- psychologie, Leipzig: Barth 1926, vgl. Kap. 2.2.c). Jüngere Arbeiten in der Neurophysiologie haben die gemeinsame Verarbeitung optischer und akus- tischer Signale auf einer vorbewussten Ebene zum Thema. Vgl. Rösing 1998a, S. 175 ff. 39 Vgl. Sanio, Sabine: Autonomie, Intentionalität, Situation. Aspekte eines er- weiterten Kunstbegriffs, in: de la Motte-Haber, Helga: Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber 1999, S. 70 ff.

24 MUSIK UND KUNST nicht eindeutig zuzuordnen. Paul Erich Küppers jubilierte 1920 in seiner Abhandlung über den Kubismus:

„Aus blassen Harmonien der Farbe steigen Linien empor, Prismen schieben sich hoch, wachsen uns entgegen, springen zurück, brechen Stufen in den un- endlichen Raum, führen nach oben und in die Tiefe, verbreitern, vervielfälti- gen sich, sammeln sich zu Akkorden, werden vom Rhythmus beschwingt und tanzen nun auf in der absoluten Musik des Raumes. Man erlebt diese - zendente Dynamik nicht anders als die wirklichkeitsferne Kontrapunktik Bachscher Fugen.“40

Der von Küppers angeführte Verweis auf die strenge Fugentechnik Johann Sebastian Bachs wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr- hunderts häufig herangezogen. Nicht nur die Kubisten begeisterten sich für die innere Logik der Bachschen Musik41 – ihr Einfluss sollte noch am Bauhaus deutlich zu spüren sein. Als zeitgenössische Komponisten stan- den Igor Strawinsky und Edgard Varèse dem Kubismus mit je eigenen Strategien nahe: Sie organisierten ihre Musik als Klangräume und die Klänge als Objekte. Helga de la Motte-Haber hat auf das Fehlen einer einheitlichen Zeitkonstruktion in der Musik Strawinskys hingewiesen.42 Als Beispiel führt sie eine Passage aus Le Sacre du Printemps (1911- 1913, 1. Satz, Ziffer 9) an, in der sich verschiedene Tempi überlagern, so dass das rhythmische Gesamtbild bruchstückhaft erscheint. An gleicher Stelle erzeugt die Hervorhebung einer Klarinette aus der Kontrabass- Grundierung einen räumlichen Eindruck. In Pétrouchka (1911) montierte Strawinsky unterschiedliche Tonarten zu einem vielgestaltigen Klang- bild, das sich weniger dramatisch entwickelt als vielmehr einen in sich bewegten Gegenstand assoziieren lässt. Schon 1870 erkannte Hermann von Helmholtz „eine große Ähnlich- keit der Tonleiter mit dem Raume“43, die Edgard Varèse zu seinem formbildenden Prinzip dynamisch bewegter Klangmassen (sound mas- ses) anregte. In der Komposition Intégrales (1924) arbeitete er mit unter- schiedlichen Zeitebenen und ordnete ihnen zudem voneinander unabhän- gige Dynamikentwicklungen zu. Es war der Kontakt zu Malern wie Robert Delaunay und Pablo Picasso, der Varèse dazu brachte, nach einer

40 Küppers, Paul Erich: Der Kubismus. Ein künstlerisches Formproblem unserer Zeit, Leipzig: Klinkhardt & Biermann 1920, S. 40. 41 Etliche Maler, unter ihnen Frantisek Kupka (Amorpha – Fuge in zwei Farben, 1912) und Mikalojus Konstantinas Ciurlionis (Präludium und Fuge, 1907), versuchten sich noch vor der Bauhaus-Gründung an malerischen Fugen. 42 Vgl. de la Motte-Haber 2000, S. 58 ff. 43 von Helmholtz, Hermann: Die Lehre von den Tonempfindungen, Braun- schweig: Vieweg 1870, S. 576 f.

25 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE ihrer Malweise entsprechenden Kompositionsart zu suchen. In Intégrales entwarf Varèse eine musikalische „Projektion geometrischer Figuren auf die Fläche“44, wie sie in seinen Augen auf kubistischen Gemälden vor sich ging. Als Analogie zu der malerischen Fläche setzte er eine festste- hende Intervallkonstruktion als Konstante ein, um die sich die Klangkör- per bewegen. Allerdings störte er die Konstante durch den Einsatz von Unregelmäßigkeiten, in denen Wilfried Gruhn eine Parallele zum kubis- tischen Prinzip „der Simultanität mit ihren perspektivischen Verzerrun- gen“45 erkannt hat. Varèse benutzte für seine Kompositionen ab 1920 den Ausdruck spatial music, also räumliche Musik. Während das Räumliche aber in der Malerei perspektivisch dargestellt werden kann, war Varèse in der Musik auf Metaphern angewiesen: Der plastische Eindruck ent- steht in der Wahrnehmung. Das Interesse des Publikums durch schockhafte Aktionen auf sich zu lenken, war das vornehmliche Ziel der dadaistischen Soireen, die 1916 im Züricher Cabaret Voltaire ihren Ausgang nahmen. Die Aufführungen kombinierten Elemente aus Literaturlesung, Konzert und Theater; Stil- mittel waren die Provokation, Irritation und allgemeine Infragestellung geltender künstlerischer Regeln.46 Die Dadaisten delegierten das Problem, was als Kunst zu gelten habe, an die Geisteshaltung der Zuschauer. Die Montage von disparaten Materialien in dadaistischen Collagen fand auf der Bühne ihre Entsprechung in der gemeinsamen, aber unvermittelten Präsentation unterschiedlicher Gattungen. So ent- standen hybride Formen wie die Lautpoesie, bei der die Sprache zum Rohstoff musikalischer Kompositionstechniken wurde. Der den Dadais-

44 Varèse erläuterte sein Arbeitsprinzip bei Intégrales unter Zuhilfenahme optischer Metaphern: „Während wir in unserem musikalischen System Klänge anordnen, deren Werte festgelegt sind, suchte ich eine Verwirklichung, bei der die Werte fortwährend im Verhältnis zu einer Konstanten verändert werden. [...] Um dies besser zu begreifen, übertragen wir, da das Auge viel schneller und geübter ist als das Ohr, diese Vorstellung ins Optische und betrachten die wechselnde Projektion einer geometrischen Figur auf eine Fläche, wobei Figur und Fläche sich beide im Raum bewegen, aber jede nach ihren eigenen Geschwindigkeiten, die veränderlich und verschieden sind, sich verschieben und rotieren.“ Varèse, Edgard: Erinnerungen und Gedanken, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik III, Mainz: Schott 1960, S. 67. 45 Vgl. Gruhn, Wilfried: Raum und Zeit bei Edgard Varèse, in: de la Motte- Haber, Helga (Hrsg.): Edgard Varèse: Die Befreiung des Klangs, Hamburg: Christians 1991, S. 117. 46 Vgl. Richter, Hans: DADA - Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln: DuMont Schauberg 1978, S. 12-31, 110-140 und 171-180. Odo Marquard grenzt das „negative Gesamtkunstwerk“ der Dadaisten und Futuristen in seiner zerstörerischen Qualität vom uto- pistischen, „positiven Gesamtkunstwerk“ Wagners ab. Marquard, Odo: Ge- samtkunstwerk und Identitätssystem, in: Szeemann, Harald (Hrsg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Ausstellungskatalog), Aarau: Sauerländer 1983, S. 44 ff.

26 MUSIK UND KUNST ten nahestehende Kurt Schwitters setzte mit seiner Ursonate (1921- 1932), die Dichtung, Musik und Typographie miteinander vereinte, eine wichtige Wegmarke. Der reine Sprachklang diente ihm als Material, des- sen Eigenschaften und Grenzen er erprobte und neu auslotete: „Weil das Material unwesentlich ist, nehme ich jedes beliebige [...]. Mein Ziel ist das Merzgesamtkunstwerk, das alle Kunstarten zusammenfasst.“47 Schwitters, der als Maler angefangen hatte, erhob unter seinem Marken- zeichen Merz den Medienwechsel zum Arbeitsprinzip. Bezugnehmend auf die Kritik der Dadaisten an der bürgerlichen Hochkultur entwickelte der Komponist Erik Satie eine Musik, die in der Annäherung von Kunst und Alltag nach neuen Formen der Aufführung strebte. Zwischen 1917 und 1920 entstand seine Musique d’ameublement (dt. Möbelmusik): Die fünf Stücke für ein im Raum verteiltes Kammer- sollen nicht zum Zuhören animieren. Ihre Funktion ist es, als beiläufige Klangtapete an öffentlichen Orten für angenehme Atmosphäre zu sorgen, Gesprächspausen zu füllen und Nebengeräusche zu über- decken. Die Abschnitte sind acht bis zwölf Takte lang und zur stetigen Wiederholung gedacht; sie bestehen aus der Aneinanderreihung musika- lischer Phrasen, die Satie dem als klischeehaft empfundenen Musikbe- trieb abgelauscht hatte.48 Er provozierte nicht nur durch die Komposition selbst – es war auch die Verlagerung der (Nicht-)Kunst vor die Tore des Konzertsaals und ihre Funktionalisierung zum banalen Zweck. Mit sei- nem Hinweis, dass diese Musik keinerlei künstlerischen Wert habe, son- dern „die gleiche Rolle wie das Licht, die Wärme“49 erfülle, entzog Satie seinem Stück den geschlossenen Werkcharakter. Doch gerade durch das Verlassen der erhabenen Kunstsphäre wurde der Komposition erhöhte Aufmerksamkeit zuteil.50 Der erweiterte Kunstbegriff, der die Idee über das Material stellte, machte strukturelle Grenzüberschreitungen innerhalb einer Gattung

47 Schwitters, Kurt: Das literarische Werk, Köln: DuMont Schauberg 1973, S. 19 und 23. 48 Drei der fünf Abschnitte sind inzwischen publiziert. Sie tragen die Titel Tönender Steinfußboden, Schmiedeeiserne Tapete und Vorhang eines Raums der Stadtverwaltung. Schon 1893 komponierte Satie das Stück Vexations, dessen Aufführungsanweisung eine 840fache Wiederholung zweier Notenzeilen vorschreibt. 49 Zitiert nach: Volta, Ornella: Satie/Cocteau. Eine Verständigung in Missver- ständnissen, Hofheim: Wolke 1994, S. 124. 50 Der dauerhafte Erfolg der Musique d’ameublement mag in ihrer mehrfachen Wirkungsweise begründet liegen, denn bei aller Ironie formulierte Satie hier wichtige Gedanken zur funktionalen Musik, die ihren Niederschlag u.a. in Brian Enos Entwurf der Ambient Music fanden (vgl. Kap. 4.2). Auf kompo- sitorischer Seite lieferte Satie den Prototyp der repetitiven Minimal Music. Schließlich ist es sein anarchischer Umgang mit traditionellen Kunstwerten, der Satie im Rahmen der amerikanischen Neo-Dada-Bewegung zu neuem Ansehen verhalf.

27 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE sowie die Addition und den Wechsel von Medien möglich. Alle drei Strategien finden sich im Futurismus: Filippo Tommaso Marinetti veröf- fentlichte sein erstes futuristisches Manifest am 2. Februar 1909 auf dem Titelblatt der Zeitung Le Figaro. Er propagierte darin eine „Kunst, die den Lebensformen der modernen Zivilisation entspricht“51. Neben allge- meiner Technikeuphorie spricht aus seinen Forderungen eine Begeiste- rung für den geräuschhaften Klang, die sich im Weiteren durch die viel- seitige Produktion der Futuristen zog. Marinetti selbst konzipierte die Worte in Freiheit, die im reinen Ausdruck von Schriftzeichen und Wort- klang auf die Lautpoesie vorauswiesen. Die futuristischen Maler ver- suchten sich in der Darstellung von Rhythmus und Gleichzeitigkeit. So ist Giacomo Ballas Die Hand des Geigers (1912) als sukzessive Studie zu lesen: Die Griffhand des Musikers erscheint als Wiederholung in mehreren Phasen. Die visuelle Umsetzung des Zeitverlaufs erfolgt hier durch Verdopplung der Form. Diese Strategie erinnert an die Verfah- rensweise im Kubismus, doch der Beschaulichkeit kubistischer Stillleben setzten die Futuristen über den Bildrand hinausdeutende Szenen des Großstadtlebens entgegen. Auf dem Gemälde Rumoristische Plastik Baltrr (1914) notierte Balla die Geräusche während der Benutzung eines Treppenhauses. Es entstand die bildliche Choreographie eines alltägli- chen Vorgangs. Auch Luigi Russolo bewegte sich auf seinem Bild Musik (1911) an der Grenze zum Hörbaren: Es ging ihm um die Dynamik der Klangwellen, die er in scharf akzentuierten Farbkreisen greifbar zu ma- chen versuchte. Wenig später ging Russolo noch einen Schritt weiter und wechselte das Medium. Am 1. März 1913 erschien sein Manifest über Geräuschkunst. Der darin formulierten Forderung nach Systematisierung von Geräuschen und dem Bau passender Instrumente kam er selbst nach: Die Intonarumori waren schwere Kästen mit Schalltrichtern, die zu- nächst durch Handkurbeln bedient wurden. Erwachen einer Stadt war die erste Komposition für Intonarumori; er führte sie ab 1916 auf. Obwohl Russolos Gerätschaften einen Meilenstein in der Geschichte der techni- schen Klangsynthese darstellen, war es nicht die unbedingte Verherrli- chung von Maschinen, die ihn zu ihrer Konstruktion trieb, sondern die Suche nach angemessenen Mitteln zur Darstellung der pulsierenden Energie seiner Umwelt.52 Ganz anders verhielt es sich diesbezüglich im russischen Zweig des Futurismus. In Michail Matjuschins Oper Sieg über die Sonne geht es um die Glorifizierung der Elektrizität als Sinnbild für die Naturbeherrschung. Bei der St. Petersburger Aufführung 1913 kamen

51 Zitiert nach: von Maur 1985, S. 380. 52 Vgl. von Maur 2000, S. 38 ff.

28 MUSIK UND KUNST in einem Bühnenbild von Kasimir Malewitsch auch Propellergeräusche zum Einsatz.53 Futurismus, Kubismus und Dadaismus überschnitten sich nicht nur zeitlich. Aus den mitunter ähnlichen Strategien lässt sich ein künstleri- scher Zeitgeist herauslesen: Die Collage, die Darstellung von Bewegung, die Autonomisierung der Laute in Schrift und Klang – dies sind die übergreifenden Themen und Entwicklungen der gesamten Kunstwelt in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.54 Am Bauhaus sollten sie unter einem gemeinsamen Dach miteinander konkurrieren. In einigen Unternehmungen im frühen 20. Jahrhundert waren die Bauhaus-Bezüge nicht nur inhaltlicher, sondern bereits personeller Na- tur. Die Künstlergruppe Der Blaue Reiter formierte sich 1911 in Mün- chen. Zu den Mitgliedern zählten Franz Marc, August Macke, Alexey Jawlensky und Wassily Kandinsky.55 Sie einte die Annahme einer ge- meinsamen geistigen Basis hinter den Erscheinungen, die sich nur per besonders feiner Seelenvibrationen erspüren ließe. Grundgedanke dieser Überlegungen war die Synästhesie, deren Praxisbezug Jawlensky mit russischem Akzent einfach nachvollziehbar schilderte: „Ich schließe Au- gen und Orgel spielt in mir und dann ich male.“56 Die wohl wichtigste Aktion des Künstlerkreises bestand in der Veröffentlichung des Alma- nachs Der Blaue Reiter (1912), in dem vornehmlich Künstler versuchten, die Gattungen theoretisch miteinander in Beziehung zu setzen (vgl. Kap. 2.4.a). Auch Arnold Schönberg stützte mit seinem Beitrag Das Verhält- nis zum Text die These einer inneren Verwandtschaft der Künste.

53 Matjuschin gehörte zu den eifrigsten Verfechtern einer totalen Klang- kontrolle. Seine 1926 verfasste Forderung nach Definierbarkeit des Aufbaus einzelner Töne liest sich wie eine Antizipation der Elektronischen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Kap. 4.1): „Die reinen Töne der Musik sind auf bestimmte Weise farbig, aber ihre Farbigkeit muß im Chaos aus Licht, Tönen und Geräuschen erst aufgefunden werden und kann nicht aus einer einfachen Analogie der Schwingungen erschlossen werden. Aus den einfachen, zusam- mengesetzten Tönen muß die kleinste Einheit herauskristallisiert werden. So wie die kleinste Farbschattierung, wenn sie mit Hilfe eines Prismas zerlegt wird, ein ganzes Farbspektrum offenbart, so sollte auch jeder Laut der Natur (jeder Ton als Geräusch) seine Tonalität offenbaren (d.h. sein Aufbau sollte definierbar werden).“ Zitiert nach: ebd., S. 40. 54 So verwundert es nicht weiter, dass 1917 mit Giacomo Balla ein futu- ristischer Künstler das Bühnenbild für eine Aufführung von Feu d’artifice entwarf, einem Stück des in diesem Abschnitt als „kubistisch“ vorgestellten Komponisten Igor Strawinsky. 55 Die Fensterbilder (1912) des französischen Malers Robert Delaunay wurden für den Kreis des Blauen Reiters zum Vorbild. Delaunay erprobte hier u.a. den Einsatz eines extremen Querformats zur Darstellung von Bewegung. Gegenständliches ließ Delaunay im der Farbkontraste nur in Spuren durchscheinen. Vgl. ebd., S. 30. 56 Zitiert nach: Weiler, Clemens: Alexej von Jawlensky, der Maler und Mensch, Wiesbaden: Limes 1955, S. 28 f.

29 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Schönbergs eigenes Schaffen spiegelte diese Tendenz in mehrfacher Weise: Er malte selbst und setzte schon 1910 in seinem Musikdrama Die glückliche Hand farbiges Licht ein. Ab 1923 arbeitete Schönberg mit den dicht gewobenen Strukturen der Zwölfton-Technik. Ausgangspunkt war eine Grundreihe aus sämtlichen Tönen der chromatischen Tonleiter, die permanent variiert wird, aber das ganze Stück über präsent bleibt. Schönberg entfernte die einzelnen Klangereignisse aus dem dramatischen Zusammenhang und entband sie davon, eine finale Bewegung zu veran- schaulichen. Auch verbot er sich Konsonanzen, denn das Fortschreiten von einer Dissonanz zu ihrer Auflösung hätte eine Distanz vorausgesetzt, die er in seiner Musik zu vermeiden gedachte. Die Aufhebung von Ab- ständen im Tonraum entsprach in dieser Sichtweise der Aufhebung von zielgerichteter Zeit. Durch seine Freundschaft mit Kandinsky kam Schönberg dem Bauhaus persönlich so nahe wie kaum ein anderer Kom- ponist (vgl. Kap. 2.2.b). In Sachen Reduktion und Geometrisierung orientierte sich das Bau- haus an der holländischen Künstlergruppe De Stijl. Ihr Mitbegründer lehrte in Weimar das Potenzial des rechten Winkels und der drei Grundfarben, „die Vorherrschaft des Individuums“ zu bre- chen und „kollektivistische Lösungen“ möglich zu machen.57 Die Ideen des De Stijl-Malers beeinflussten das Bauhaus auch in musikalischer Hinsicht (vgl. Kap. 2.6). Er entwickelte genaue Prinzipien zur malerischen Umsetzung rhythmischer Strukturmuster und schuf asymmetrische Konstruktionen, die im Bildrahmen wie der Ausschnitt aus einem größeren Zusammenhang wirken. Die kunstgeschichtlichen Voraussetzungen der Bauhaus-Gründung, die hier aufgezeigt wurden, äußern sich im Fall Mondrian als expliziter Einfluss auf die Lehre.

57 Zitiert nach: Droste, Magdalena/Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): Bauhaus 1919-1933, Köln: Taschen 1990, S. 54.

30 2. DAS STREBEN NACH KONTROLLE — MUSIK AM BAUHAUS

„Jedes Gramm Ersparnis — bei gleichbleibender Wirkung — bedeutete oft 1 einen kleinen Sieg des Erfinderischen.“ (László Moholy-Nagy 1929)

Kunst und Lehre am Bauhaus waren geprägt von Konzepten, die über den aktuellen Gegenstand hinauswiesen. Zum besseren Verständnis der weitreichenden Implikationen vieler Entwürfe, beschäftigt sich Kapitel 2.1 mit dem historischen Hintergrund der Schulgründung von 1919. „Musik am Bauhaus“ meint in erster Linie die Beziehung zwischen der Musik und den übrigen Künsten. Die wechselseitigen Verhältnisse durchliefen verschiedene Phasen, von den expressionistisch geprägten Vorstellungen der ersten Jahre (Kapitel 2.2) bis hin zur konstruktivisti- schen Spätphase (Kapitel 2.5). Dreh- und Angelpunkt der interdis- ziplinären Aktivitäten war die Bauhaus-Bühne, der das Kapitel 2.4 ge- widmet ist. Die „reine“ Musik ist das Thema der Kapitel 2.3 und 2.6, wobei sich ersteres mit der Musik im Bauhaus-Alltag beschäftigt, wäh- rend zweiteres die zunehmende Tendenz zur Mechanisierung in der Mu- sikdiskussion behandelt.

2.1 Utopien einer krisenhaften Zeit

Die sozialphilosophischen Wurzeln des Bauhaus reichen zurück bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts2: Das Arts and Crafts Movement um William Morris richtete sich zu dieser Zeit gegen die (in Großbritan- nien besonders vorangeschrittene) Technisierung der Arbeit und unter- stützte das Kunstgewerbe, dessen Handwerksästhetik die Einheit von Kunst und Leben symbolisierte. Die Bewegung gründete sich auf den

1 Moholy-Nagy, László: Von Material zu Architektur, München: Langen 1929, S. 134. 2 Hierzu und zum Folgenden vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 14-25, 180 ff., 188-203 sowie Droste 1990, S. 10-19.

31 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Idealen des Schriftstellers John Ruskin, der in seinem Buch The Stones of Venice (1851-53) mittelalterliche Arbeitsweisen als bessere Alternative zur maschinellen Produktion beschrieben hatte. Morris übernahm diesen Gedanken und ließ in seinen Werkstätten Dinge des alltäglichen Gebrauchs neu erfinden. Er stellte das dekorative Moment bewusst in den Vordergrund: Die Produktion hatte sozialutopischen und nicht wirt- schaftlich orientierten Charakter. Zeitgleich aber schritt in England auch die Massenproduktion weiter voran, und es entstand eine Vielzahl an Kunstgewerbeschulen, deren Ausbildung auf das marktgerechte Geschäft mit mechanisch gefertigten Gegenständen zielte. Diese Strömung er- reichte zur Jahrhundertwende auch Deutschland und führte zur Gründung des Deutschen Werkbundes (1907), der die Interessen von Kunst und Wirtschaft enger miteinander verzahnen sollte. In den Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs herrschte in Deutschland ein funktionalistischer Pragmatismus vor: Die Kunst half mit bei der Lösung technisch-logistischer Probleme wie der Organisation des weltweiten Verkehrs und Handels. Die grausamen Materialschlach- ten des Krieges beendeten die Technikeuphorie der Vorkriegsjahre jedoch abrupt, und mit dem Ende des Kaiserreichs verschwand auch der unbedingte Glaube an die maschinelle Innovation. Die Bauhaus- Gründung im Jahre 1919 fiel somit in eine politisch und gesellschaftlich schwierige Zeit, aber auch in eine Phase neuerlicher Aufbruchsstimmung mit zahlreichen Utopien, die den Zusammenbruch als Chance begriffen: In breiten öffentlichen Bereichen setzte ein Hinterfragen genereller Werte ein, und der künstlerische Fokus verschob sich von der Gestaltung des Gegenstands abermals auf das Wohlergehen des Individuums. Verschiedene expressionistische Strömungen, denen der spirituelle Umschlag ins Irrationale gemein war, boten sich als Mittel zur geistigen Wiederherstellung der Menschen an. Obwohl es manche dieser Heilsleh- ren schon lange vor dem Krieg gegeben hatte, kam ihnen erst jetzt breite- re Aufmerksamkeit zu: Rudolf Steiner suchte in seiner Anthroposophie nach einer wissenschaftlichen Begründung des Glaubens, während sich die von H.P. Blawatsky bereits 1894 gegründete Theosophische Gesell- schaft dem Mystizismus verschrieb. Die Lebensphilosophie Henri Bergsons behauptete die beschränkte Fähigkeit der menschlichen ratio. Bergson führte den Begriff der „Intuition“ ein, die es dem Menschen an- hand metaphysischer Erfahrungen erlauben sollte, Einblick in das Innere der Dinge zu erlangen. Auch verneinte er die mechanische Messbarkeit von Zeit und setzte den subjektiv empfundenen Augenblick an die Stelle finaler Abläufe. Ernst Bloch forderte 1918 in seiner programmatischen Schrift Geist der Utopie, dass jede avantgardistische Kunst sich die Suche nach Gegenwelten zur Handlungsmaxime zu setzen habe.

32 MUSIK AM BAUHAUS

Der Zeitgeist postulierte demnach eine Verbindung von Kunst und Leben und stellte den individuellen Ausdruck über den kritischen Intellekt. In diesem geistigen Klima der Suche nach einer neuen Einheit des Men- schen mit seiner Umwelt entwickelte der spätere Bauhaus-Direktor Walter Gropius den Entwurf einer Schule, die selbst eine Einheit verkör- pern sollte. 1919 ergab sich für Gropius die Gelegenheit zur Umsetzung seiner Ideen, als er zum Leiter der Weimarer Hochschule für Bildende Kunst ernannt wurde. Gropius vereinigte die Hochschule sogleich mit der Großherzoglichen Kunstgewerbeschule, die 1915 geschlossen worden war, nachdem deren fortschrittlicher Direktor Henry van de Velde zu- rückgetreten war. An der Wiege des Staatlichen Bauhaus, wie es bei der Gründung zunächst hieß, stand also die Fusion der Lehrstätten für hohe und angewandte Kunst. In Gropius’ eigener Biografie spiegeln sich gleichermaßen die Vor- geschichte und der Wandel des Bauhaus: 1911 war er 28-jährig in den Deutschen Werkbund eingetreten und hatte dort mit einer Mischung aus Künstlertum und Technikbegeisterung von sich Reden gemacht. Als er mit 36 Jahren das Bauhaus gründete, plädierte er für eine Rückkehr zum Handwerk – eine Forderung, die er 1923 revidieren sollte. Gropius besaß das Talent, Zeitströmungen früh zu erkennen und mit seinem sozialromantischen Enthusiasmus für moderne Formen der Architektur zu verbinden. Er verankerte die Utopie einer harmonischen Gemeinschaft von Kunstschaffenden schon in der Namensgebung der neuen Unter- richtsstätte: Das Bauhaus trug wörtlich das Vorbild der mittelalterlichen Bauhütten in sich, die schon Ruskin und Morris als Ideal freiheitlicher Arbeitsorganisation gegolten hatten. Gropius zielte auf die „Wiederver- einigung aller werkkünstlerischen Disziplinen“ unter dem Dach der Architektur: „Das letzte, wenn auch ferne Ziel des Bauhaus ist das Ein- heitskunstwerk – der große Bau –, in dem es keine Grenze gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst“.3

2.2 Musikalische Maler und die Harmonisierung

Die ersten (Weimarer) Jahre des Bauhaus werden oft als die „expressio- nistischen“ zusammengefasst.4 Die Bezeichnung bezieht sich auf den anti-aufklärerischen Gestus, mit dem das frühe Bauhaus einem aus heu- tiger Sicht verklärt wirkenden Musterbild nachhing. In dem Aufsatz

3 Aus dem Programm des Staatlichen Bauhaus in Weimar, Bauhaus-Archiv Berlin. Zitiert nach: Fiedler/Feierabend 1999, S. 181. 4 Vgl. Droste 1990, S. 21 ff.

33 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Baukunst im freien Volksstaat (1919) beschrieb Gropius seine Vision mit feierlichen, fast schwärmerischen Worten:

„Eine große allumfassende Kunst setzt die geistige Einheit ihrer Zeit voraus, sie braucht die innigste Verbindung mit der Umwelt, mit dem lebendigen Menschen [...] Das heutige Geschlecht muss von Grund auf neu beginnen, sich selbst verjüngen, erst eine neue Menschlichkeit, eine neue Lebensform des Volkes schaffen. Dann wird die Kunst kommen [...] dann wird das Volk wieder mitbauen an den großen Kunstwerken seiner Zeit. Die Künste werden aus ihrer vereinsamten Abgeschiedenheit in den Schoß der allumfassenden Bau- kunst zurückfinden.“5

Wie zu zeigen sein wird, blieb das Bauhaus diesem Hochziel auch nach der konstruktivistischen Wende in Teilen verpflichtet. Für die ersten Jahre gab das Ideal einen anschlussfähigen Leitfaden, der Meister und Schüler unterschiedlicher Strömungen nach Weimar lockte – das Bauhaus wurde zu einem Konglomerat von Weltanschauungen, die der romantische Einheitsgedanke miteinander verband. Zu den einfluss- reichsten Kräften der Frühzeit gehörte Paul Klee, in dessen Biografie, Lehre und Schaffen sich eine Vielzahl an Verbindungslinien zwischen Malerei und Musik findet.

a. Paul Klee

Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, die sich in ihrer Arbeit an der Integration von Musik versuchten, war Paul Klee kein musikalischer Dilettant. Geboren 1879 in Bern, hatte er schon als Kind mit dem Gei- genspiel begonnen und es früh zum außerordentlichen Orchestermitglied seiner Heimatstadt gebracht. Neben dem Musizieren schrieb er Konzert- kritiken und versuchte sich auch als Dichter. Tagebucheinträge aus seiner Jugendzeit verraten, dass Klee seine Mehrfachbegabung nicht eupho- risch, sondern eher als Belastung empfand, die ihm die Konzentration auf ein Hauptgebiet erschwerte.6 Erst als Student an der Münchner Kunst- akademie entschied er sich endgültig gegen den Musikerberuf und verla- gerte sein Schaffen stärker auf die Malerei. Klee spielte fortan nur noch im privatgesellschaftlichen Rahmen. Bei einer solchen Gelegenheit lernte er auch seine spätere Frau, die Pianistin Lily Stumpf, kennen. Hans Heinz Stuckenschmidt äußerte sich viele Jahre später bei einem Besuch am Weimarer Bauhaus über die Qualität ihres gemeinsamen Duospiels: „Die beiden musizierten für mich musikalisch intelligent und technisch

5 Zitiert nach: Fiedler/Feierabend 1999, S. 17. 6 Vgl. Würtenberger 1979, S. 160 ff.

34 MUSIK AM BAUHAUS einwandfrei Sonaten von Mozart“7. Trotz oder gerade wegen seines musikalischen Wissens tendierte Klee nicht dazu, die Musik zu verklä- ren. Vielmehr war es die allgemeine Einschätzung der historischen Situ- ation beider Künste, die ihn mit dazu veranlasste, die Künstlerlaufbahn einzuschlagen. Klee hoffte auf einen malerischen Kulminationspunkt, der die musikalische Polyphonie an Vielschichtigkeit noch übertreffen kön- ne: „Die polyphone Malerei ist der Musik dadurch überlegen, als das Zeitliche hier mehr ein Räumliches ist. Der Begriff der Gleichzeitigkeit tritt hier noch reicher hervor.“8 Klees Bildschöpfung deutete schon seit den Münchener Jahren in Richtung Abstraktion: Sein Ausgangspunkt war kein feststehendes Mo- tiv, sondern ein unbewusster Einfall. Diese erste, intuitive Formgebung verfolgte er unter Einbezug gegenständlicher Assoziationen weiter. Im Wechselspiel von Kontemplation und Kenntnis der bildgesetzlichen Möglichkeiten näherte er sich der Fertigstellung an, um den Bildtitel erst im Nachhinein festzulegen. Die musikalischen Implikationen dieser Vor- gehensweise lagen für Klee auf der Hand: „Die Bildentstehung entspricht am ehesten dem Werden einer musikalischen Komposition, bei der sich ebenso Erfindung an Erfindung reiht und die Titelgebung entweder ganz unterbleibt oder erst nach Beendigung des Werkes erfolgt.“9 Gemälde wie Polyphonie und Ad Parnassum, beide von 1932, tragen den Musikbezug schon im Titel (Gradus ad Parnassum ist ein Kontra- punktik-Lehrbuch von Johann Joseph Fux aus dem 18. Jahrhundert). Strukturell beschreiben sie ein Ineinanderrücken in sich changierender Flächen. Das Mehrschichtige erscheint im musikalischen Sinne als simultan. Anschaulich stellen sich die kompositorischen Prinzipien auch auf dem Bild Hauptweg und Nebenwege (1929) dar. Die Art, wie Klee hier den Bildraum scheinbar nach streng mathematischen Prinzipien un- terteilte, erinnert an polyphone Stimmenführung und legt den Gedanken an eine künstlerische Partitur nahe. Eine theoretische Fundierung solcher Implikationen erarbeitete er anlässlich seiner Lehrtätigkeit in Weimar und Dessau. Klees Eignung für das Bauhaus zeigte sich nicht nur auf kunstprakti- schem Gebiet, sondern auch in seiner Reaktion auf das Ende der Mün- chener Räterepublik (Mai 1919), als er forderte, dass die Künstler zur Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft beizutragen hätten. Ihm schwebte eine „Kunstschule für Handwerker“10 vor, die ihre Erkenntnis-

7 Stuckenschmidt 1976, S. 7. 8 Klee, Paul: Tagebücher von Paul Klee, Köln: DuMont Schauberg 1957, S. 382 f. 9 Zitiert nach: Bilzer, Bert/Eyssen, Jürgen/Stelzer, Otto (Hrsg.): Das große Buch der Kunst, Braunschweig: Westermann 1958, S. 489. 10 Zitiert nach: Glaesmer, Jürgen: Paul Klee, Basel: Schwabe 1976, S. 134 f.

35 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE se möglichst vielen Menschen zugänglich machen sollte. Damit stand Klee der Grundidee des frühen Bauhaus, festgehalten in der ersten Satzung von 1919, sehr nahe. Als er 1921 nach Weimar berufen wurde, geschah dies auch aus politischen Gründen: Das Bauhaus sollte, in den Worten Johannes Ittens, „durch moderne gleichgesinnte Künstler [...] un- einnehmbar von der Reaktion“11 gemacht werden. Klee übernahm zunächst die Werkstätten für Buchbinderei, Glasma- lerei und den Formunterricht in der Weberei. Besonders stilprägend aber wurden seine Theorieklassen: Im Compositionspraktikum analysierte er Schülerarbeiten und eigene Werke. Im jeweils darauffolgenden Semester brachte Klee seinen Studenten anhand der Bildnerischen Formlehre die Grundausprägungen der Gestaltung näher. Seine Ambition war umfas- send: Schon Goethe hatte in der Farbenlehre einen „Generalbaß der Malerei“12 gefordert; am Bauhaus erneuerte Klee zusammen mit Kan- dinsky den Anspruch auf die Schaffung eines verbindlichen Regelwerks nach Vorbild musikalischer Kompositionsgesetze.13 In dem Aufsatz exakte versuche im bereich der kunst schrieb Klee: „was für die musik schon bis zum ablauf des achtzehnten jahrhunderts getan ist, bleibt auf dem bildnerischen gebiet wenigstens beginn“14. Klee benutzte zur Schil- derung malerischer Probleme mitunter musikalisches Vokabular – allerdings nicht aus Gründen romantischer Musikverherrlichung, sondern im genauen Wissen um die musikinhärenten Strukturen, die er für die Malerei brauchbar zu machen gedachte. In diesem Sinne hielt er es für möglich, zeitliche (also musikalische) Periodizität für die bildnerische Darstellung von Bewegung zu übernehmen:

„Bewegung liegt dem Werden aller Dinge zugrunde. [...] auch der Raum ist ein zeitlicher Begriff. Wenn ein Punkt in Bewegung kommt und zur Linie wird, erfordert das Zeit. Ebenso wenn sich eine Linie zur Fläche verschiebt. Desgleichen die Bewegung von Flächen zu Räumen. Entsteht vielleicht ein Bildwerk auf einmal? Nein, es wird Stück für Stück aufgebaut, nicht anders als ein Haus. [...] Und der Beschauer, wird er auf einmal fertig mit dem Werk? Dem [...] Beschauer sind auf dem Kunstwerk Wege eingerichtet. [...]

11 Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Johannes Itten, Weimar: Hatje 1994, S. 387. 12 Vgl. von Goethe, Johann Wolfgang: Farbenlehre, Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2003 und Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli 1952, S. 114 ff. 13 Klees Aufzeichnungen aus dem Unterricht wurden unter dem Titel Das bildnerische Denken veröffentlicht (Basel: Schwabe 1971.). 14 Klee, Paul: Schriften, Rezensionen und Aufsätze, Köln: DuMont Schauberg 1976, S. 130 f.

36 MUSIK AM BAUHAUS

Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung, ist selber festgelegte Be- wegung und wird aufgenommen in der Bewegung.“15

Klee definierte Bewegung also nicht nur über die Illustration von Zeit- lichkeit auf dem Gemälde. Auch der Malvorgang und die spätere Bild- betrachtung durch den Rezipienten waren für ihn Vorgänge, die Zeit in Anspruch nahmen. Durch letzteren Aspekt widersprach Klee der These Lessings, dass der Betrachter das Kunstwerk auf einen Blick erkennen und gedanklich in sich aufnehmen könne. Drei Begriffe standen im Mittelpunkt von Klees theoretischen Be- trachtungen zur Bilddynamik: Rhythmus, Polyphonie und Variation: „Ich greife in das musikalische Gebiet über. Grundlegende Struktur ist hier der Takt“16, hieß es in einer Vorlesung vom 16. Januar 1922. Klee führte weiter aus, dass es auch in der Malerei sich wiederholende Strukturen gebe, die das Bild wie ein durchgehender Takt aufgliederten.17 Von diesem Grundmuster ausgehend nehme der Rhythmus verschiedene Betonungen vor, die das Geschehen differenzierten. Zur direkten Veran- schaulichung versuchte Klee sich in der grafischen Darstellung eines musikalischen Abschnitts: „Ich wähle zwei Takte eines dreistimmigen Themas von Bach und mikroskopiere ihn nach folgendem Schema“18. Das „Schema“ war ein Koordinatensystem, in dem die Tonhöhen auf der vertikalen Achse und die Tondauern horizontal eingetragen wurden. Beide Parameter konnte Klee exakt notieren. „Da Musik ohne Dynamik ausdruckslos klingt“, führte er noch eine dritte, weniger genaue Darstel- lungsart ein, nämlich Linien von veränderlicher Breite „analog der Ton- qualität“19, deren Ausprägung im subjektiven Ermessen lag. Die malerische Polyphonie verstand Klee als mehrdimensionales Geschehen im Bildraum. In der Umsetzung arbeitete er mit der Überlage- rung nach Farbe und Helligkeit abgestufter Flächen, oder auch mit ein- ander umspielenden Linien im Sinne einer Melodie und ihrer Begleitung. Mit der Variation bezeichnete Klee schließlich fugenartige Verfahren, mit denen er seine Bildmotive bearbeitete: „schiebung, drehung, spiege- lung“20. Auch anhand solcher Prinzipien lassen sich die eingangs

15 Ebd., S. 119 ff. 16 Klee 1971, S. 271. 17 Für die visuelle Umsetzung verschiedener Taktarten orientierte sich Klee u.a. an den Bewegungen eines Dirigenten: „Mehrflächige Taktbilder können wir aus der Beobachtung des Musikdirigenten gewinnen. Ein kurzer Blick auf seinen Taktstock kann sie uns lehren.“ ebd., S. 273. 18 Ebd., S. 285. Klee transkribierte die Anfangstakte des Adagios aus der 6. Sonate für Violine und Cembalo, G-Dur. Siehe Abbildung ebd., S. 52. 19 Ebd. 20 Geelhaar, Christian: Paul Klee und das Bauhaus, Köln: DuMont Schauberg 1972, S. 149.

37 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE erwähnten späteren Arbeiten Klees, wie Polyphonie und Ad Parnassum, deuten. Allerdings gehen sie in der Analyse nicht gänzlich auf, denn Klee hielt trotz aller theoretischen Grundierung an dem kontemplativen Bild- gedanken als Ausgangspunkt fest. Durch das naturhaft-intuitive Moment seiner Kunst geriet Klee um 1930 am Bauhaus zunehmend in eine Außenseiterposition. Überhaupt galten die Maler vielen Bauhäuslern nun als ein überkommenes Relikt aus expressiveren Tagen, und die freien Malklassen, die Klee und Kandinsky ab 1927 leiteten, gerieten inhaltlich zum Sonderfall. Selbst der in konstruktivistischer Hinsicht gemäßigte Oskar Schlemmer urteilte über die Lehre Klees und Kandinskys: „Was ist sie anderes als ein Schlüssel zu ihrem eigenen Reich?“21 Auch bezüglich seiner Musikpräferenzen setzte sich Klee dem Verdacht aus, nicht zeitgemäß zu sein, denn Werke aus dem Barock und der Klassik blieben seine klangliche Heimat, ungeachtet der Diskussion vornehmlich zeitgenössischer Strömungen am Bauhaus. Klee sah die Musik seit Mozart auf einer absteigenden Linie, weil die als räumlich verstandene Polyphonie seither der finalen Bewegung gewichen sei. Sein Standpunkt war somit nicht ausschließlich geschmäcklerischer Natur, sondern be- ruhte auch auf musikhistorischen Überlegungen:

„Ein Quintett wie in Don Giovanni steht uns näher als die epische Bewegung im Tristan. Mozart und Bach sind moderner als das Neunzehnte. Wenn in der Musik das Zeitliche durch eine zum Bewusstsein durchdringende Rückwärts- bewegung überwunden werden könnte, so wäre eine Nachblüte noch denkbar [...] Um die Rückwärtsbewegung, die ich mir für die Musik ausdenke, zu ver- anschaulichen, erinnere ich an das Spiegelbild in den Seitenfenstern in der fahrenden Trambahn.“22

Klee forderte hier eine mehrdimensionale Musik, und seine Vorstellung einer „Rückwärtsbewegung“ trug durchaus etwas von Arnold Schönbergs Gedanken zum musikalischen Raum in sich. Klee lässt sich somit kein eindimensionaler Konservatismus unterstellen; seine musik- theoretische Position war potentiell zeitgenössisch, auch wenn er privat konventionellere Klänge bevorzugt haben mag.

b. Wassily Kandinsky

War Klees Hauptthema die malerische Auseinandersetzung mit seinem großen musikalischen Wissen, so stellt sich Kandinskys Ausgangspunkt weniger greifbar dar: Das interdisziplinäre Interesse lag in seinem sinnli-

21 Zitiert nach: Droste 1990, S. 161. 22 Klee 1957, S. 382 f.

38 MUSIK AM BAUHAUS chen Erleben begründet, denn er war synästhetisch begabt. In der Schrift Rückblicke berichtete Kandinsky von prägenden Wahrnehmungserlebnis- sen während seiner Jugend, die katalytische Wirkung auf seine Kunst hatten. Die grundlegende Erfahrung war nach Kandinsky der Anblick Moskaus während eines Sonnenuntergangs:

„Die Sonne schmilzt ganz Moskau zu einem Fleck zusammen, der wie eine tolle Tuba das ganze Innere, die ganze Seele in Vibration versetzt. Nein, nicht diese rote Einheitlichkeit ist die schönste Stunde! Das ist nur der Schlußakkord der Symphonie, die jede Farbe zum höchsten Leben bringt, die ganz Moskau wie das fff eines Riesenorchesters klingen läßt und zwingt. Rosa, lila, gelbe, weiße, blaue, pistaziengrüne, flammenrote Häuser, Kirchen — jede ein selbstständiges Lied —, der rasend grüne Rasen, die tiefer brum- menden Bäume oder der mit tausend Stimmen singende Schnee oder das Allegretto der kahlen Äste ...“23

Gleichermaßen deutlich spiegeln sich in diesem Zitat die Intensität und die Unfassbarkeit des Erlebens. Kandinsky erfühlte hier bereits die Mög- lichkeit der regelhaften Verknüpfung verschiedener Sinnesebenen, doch seine Assoziationen sprudelten angesichts des überwältigenden Ein- drucks noch einigermaßen ungeordnet. Seine musikalische Entsprechung fand das Phänomen in einer Aufführung von Wagners Lohengrin, bei der sich der Hör- in einen Seheindruck verwandelte:

„Lohengrin schien mir aber eine vollkommene Verwirklichung dieses Moskau zu sein. Die Geigen, die tiefen Baßtöne und ganz besonders die Blasinstru- mente verkörperten damals für mich die ganze Kraft dieser Vorabendstunde. Ich sah alle meine Farben im Geiste, sie standen vor meinen Augen. Wilde, fast tolle Linien zeichneten sich vor mir. Ich traute mich nicht, den Ausdruck zu gebrauchen, daß Wagner musikalisch ‚meine Stunde’ gemalt hatte.“24

Zeitgleich machte Kandinsky angesichts des impressionistischen Gemäl- des Der Heuhaufen von Claude Monet eine weitere Entdeckung: Da- durch, dass Monet auf eine genaue Darstellung des Gegenstandes ver- zichtet hatte, trat die farbliche Wirkung des Bildes stärker hervor. Trotz dieser einschneidenden Erfahrungen studierte der 1866 gebo- rene Kandinsky zunächst Rechtswissenschaft und kam erst mit 30 Jahren zum Kunststudium nach München. Dort etablierte er sich als Präsident der Künstlergruppe Phalanx (1901) und Mitbegründer der Neuen Künst- lervereinigung München (1909). Seine Schrift Über das Geistige in der

23 Kandinsky, Wassily: Gesammelte Schriften 1, Bern: Benteli 1980, S. 29. 24 Ebd. , S. 33.

39 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Kunst (veröffentlicht 1911) entstand, „für mich unbemerkt“25, aus Noti- zen und Aufzeichnungen dieser Jahre. Kandinsky entwarf hier die Idee einer immateriellen Ordnung der Künste, in der die einzelnen Gattungen nicht mehr als Erscheinungen eines gemeinsamen Geistigen waren. Kandinsky machte in der inneren Notwendigkeit das einzig un- veränderliche Gesetz der Kunst aus, wies allerdings schon 1913 auf die Vorläufigkeit dieser Annahme hin:

„Nichts lag mir aber ferner, als an den Verstand, an das Gehirn zu appellie- ren. Diese Aufgabe wäre heute noch verfrüht gewesen und wird sich als nächstes, wichtiges und unvermeidliches Ziel [...] vor die Künstler stellen. [...] Das von uns durch Nebel der Unendlichkeit weit entfernte Kunstwerk wird vielleicht auch durch Errechnung geschaffen, wobei die genaue Errech- nung nur dem ‚Talent’ sich eröffnen wird.“26

Während sich in diesem Zitat bereits Kandinskys späteres Wandeln zwi- schen Intuition und Logik abzeichnet, setzte er um 1911 die spirituelle Eingebung absolut. Der Malakt und die Deutung durch den Betrachter verlangten gleichermaßen nach einem geistigen Erleben, und seine Schriften waren von dem Wunsch motiviert, „diese beglückende Fähig- keit in den Menschen, die sie noch nicht hatten, hervorzurufen“27. Kandinskys Leitbild war die reine Klanglichkeit der Musik. Fast hat es etwas Manisches, wenn er die Bildentstehung aus „Katastrophen“ beschreibt, „die aus dem chaotischen Gebrüll der Instrumente eine Sym- phonie bilden, die Sphärenmusik heißt“28. Da Kandinsky lediglich über musikalisches Grundwissen verfügte, erschöpfte sich seine Annäherung an die Musik zunächst in Form von klanglich assoziierten Bildtiteln29 und der vagen Imagination einer idealen „Vereinigung der eigenen Kräfte verschiedener Künste“ zu einer „geistigen Pyramide, die bis zum Himmel reichen wird“30. Deutlich war Kandinsky hier noch in den romantischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verwurzelt. Neben dem musikalischen Empfinden war es die Entdeckung der Radioaktivität durch Alexandre Edmond Becquerel im Jahre 1896, die

25 Kandinsky 1913, zitiert nach: Bill, Max: Einführung, in: Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli 1952, S. 5. 26 Ebd., S. 6 f. 27 Ebd. 28 Kandinsky, Wassily: Rückblicke, Baden-Baden: Klein 1955, S. 25. 29 So unterschied Kandinsky etwa zwischen freien „Kompositionen“ und „Impro- visationen“, die gänzlich ohne gegenständliches Vorbild auskamen sowie den „Impressionen“, die einen äußeren Eindruck verarbeiteten. Vgl. Hahl-Koch, Jelena: Kandinsky und der ‚Blaue Reiter’, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstel- lungskatalog), München: Prestel 1985, S. 356. 30 Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli 1952, S. 56.

40 MUSIK AM BAUHAUS

Kandinsky bei der Herausbildung seiner Position beeinflusste. Der ungewisse Moment des Zerfalls eines Atoms war ihm Sinnbild für die allgemeine Unsicherheit seiner Zeit überhaupt. In der Kunst glaubte er sie durch die Vereinigung von Widersprüchen darstellen zu können.31 Auf Kandinskys abstrakten Bildern finden sich Brüche und Ungleich- heiten, deren musikalische Entsprechung er in der Emanzipation der Dissonanz durch Arnold Schönberg fand, dessen atonale Werke er als „Zukunftsmusik“32 bezeichnete. Die philosophischen Überschneidungen zwischen beiden Künstlern sind in der Literatur ausführlich behandelt worden:33 Unabhängig voneinander hatten sie schon vor ihrem Kennen- lernen an vergleichbaren Projekten gearbeitet, die sie auch diskursiv ähnlich begleiteten. Sowohl Kandinskys Bühnenstück Der gelbe Klang (1912) als auch Schönbergs Musikdrama Die glückliche Hand (1910) waren vom Gedanken einer gleichberechtigten Kunstsynthese geprägt. Beide bezogen sich bei der jeweiligen Beleuchtungsregie auf Goethes Farbenlehre, also die polare Anordnung von Farben auf der Grundlage von Parametern wie Ruhe und Aktivität.34 Von beiden sind schriftstelle- rische Versuche dokumentiert35, und Schönberg malte, vor allem zwi- schen 1906 und 1912, zunehmend abstrakte Bilder. Die Künstler des Blauen Reiters hatten sich das Auftauchen eben solcher Korresponden- zen erhofft. Nach einem Konzertbesuch mit von Schönberg am 1. Januar 1911 im Münchner Odeon schrieb Franz Marc an August Macke:

31 Er äußerte sich deshalb kritisch zu Paul Klees Bevorzugung älterer Musik, etwa der von Mozart. In Über das Geistige in der Kunst heißt es: „Vielleicht neidisch, mit trauriger Sympathie können wir die Mozartschen Werke em- pfangen. Sie sind uns eine willkommene Pause im Brausen unseres inneren Lebens, ein Trostbild und eine Hoffnung, aber wir hören sie doch wie Klänge aus anderer, vergangener, im Grunde uns fremder Zeit.“ ebd., S. 108. 32 Kandinsky ebd., S. 49. 33 Eine ausführliche Darstellung ihres Austauschs findet sich etwa bei Hahl- Koch, Jelena (Hrsg.): Arnold Schönberg, Wassily Kandinsky: Briefe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung, Salzburg: Residenz 1980. 34 Bei Kandinsky entsprach Orange einer Kirchenglocke oder tiefen Altstimme, Hellblau der Flöte und Dunkelblau dem Cello. Dem Hochrot stellte er den Trompetenklang zur Seite. Kandinsky räumte allerdings selbst ein, dass es sich lediglich um relative Korrespondenzen handelte: „Das Korrespondieren der farbigen und musikalischen Töne ist selbstverständlich nur relativ. Ebenso wie eine Geige sehr verschiedene Töne entwickeln kann, die ver- schiedenen Farben entsprechen können, so ist es z.B. auch bei dem Gelb, welches in verschiedenen Nuancen durch verschiedene Instrumente aus- gedrückt werden kann. Man denkt sich bei solchen hier stehenden Parallelismen hauptsächlich den mittelklingenden reinen farbigen Ton und in der Musik den mittleren Ton ohne Variierung desselben durch Vibrieren, Dämpfer usw.“ Kandinsky 1952, S. 91. 35 Überliefert sind etwa Kandinskys Prosagedichte Klänge.

41 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

„Kannst du dir eine Musik denken, in der die Tonalität [...] völlig aufgehoben ist? Ich mußte stets an Kandinskys große Komposition denken, die auch keine Spur von Tonart zuläßt [...] und auch an Kandinskys ‚springende Flecken’ beim Anhören dieser Musik, die jeden angeschlagenen Ton für sich stehen läßt (eine Art weiße Leinwand zwischen den Farbflecken!).“36

Auch Kandinsky war bei dem Konzert zugegen gewesen und malte unter dem Eindruck der Musik das Bild Impression III (Concert), eine nahezu ungegenständliche Farbstudie. Kandinsky bekundete Schönberg im April 1911 brieflich seine Bewunderung und lud ihn zur Teilnahme an der geplanten Buchveröffentlichung des Blauen Reiters ein. Im Almanach bezeichnete Schönberg Kandinskys Bilder als „Symptome für eine sich allmählich ausbreitende Erkenntnis vom wahren Wesen der Kunst“37, wohl auch als Replik auf Kandinskys Feststellung in Über das Geistige in der Kunst: „Schönbergsche Musik führt uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen sind, sondern rein seeli- sche“38. Das gemeinsame Empfinden „innerer Klänge“39 mag hier die eupho- rische Entdeckung von Analogien im Denken des jeweils anderen bewirkt haben. Im Hinblick auf Kandinskys Arbeit am Bauhaus enthält sein erster Brief an Schönberg noch eine weitere interessante Tendenz. Er schildert dem Komponisten seinen eigenen (wenn auch gutwilligen) Neid ob des Abstraktionsgrades, die dessen Kunst erreicht habe:

„Ich beneide Sie sehr! Sie haben Ihre Harmonielehre schon in Druck. Wie unendlich gut [...] haben es die Musiker in ihrer so weit gekommenen Kunst. Wirklich Kunst, die das Glück schon besitzt, auf rein praktische Zwecke voll- kommen zu verzichten. Wie lange wird wohl die Malerei darauf warten müs- sen? [...] Ich träume schon und hoffe, daß ich wenigstens die ersten Sätze zu diesem großen kommenden Buch aufstellen werde.“40

Kandinsky macht hier klar, daß er langfristig auf die Erstellung einer verbindlichen, d.h. objektiv überprüfbaren Struktur zielte. Implizit deu- tete er damit eine Unzufriedenheit mit den bis dahin erstellten, allzu subjektiven Farbe-Klang-Zuordnungen an. Es waren somit drei Dinge, die Kandinsky zu Schönberg führten: Die allgemeine, synästhetisch

36 Macke, Wolfgang (Hrsg.): August Macke/Franz Marc, Briefwechsel, Köln: DuMont Schauberg 1964, S. 40 ff. 37 Zitiert nach: Kandinsky/Marc 1984, S. 74. 38 Kandinsky 1952, S. 49 (Hervorhebung dort). 39 Kandinsky, Wassily: Essays über Kunst und Künstler, Bern: Benteli 1973, S. 81. 40 Zitiert nach: Hahl-Koch 1983, S. 60.

42 MUSIK AM BAUHAUS begründete Musikbegeisterung, der Wille zur Veranschaulichung von „dissonanter“ Brüchigkeit sowie das Streben nach einer „Harmonielehre der Malerei“41. In einem Brief vom 22.8.1912 gestand er dem Kompo- nisten seinen Ärger darüber, „daß ich die Werke der Musik nicht lesen kann“42. Kandinsky glaubte, daß ein genaueres Wissen um strukturelle Eigenheiten der Musik ihm bei einem Vergleich der Künste, der „nicht äußerlich, sondern prinzipiell ist“43, hätte behilflich sein können. Die Suche nach anwendbaren Regeln für die Kunst im Ganzen setzte Kandinsky auch fort, als er 1914 zurück nach Moskau ging, wo er zum Mitglied der Kunstsektion im Volkskommissariat ernannt wurde und als Professor an der Kunstakademie unterrichtete. 1918 gründete er das Institut für künstlerische Kultur, das an die Ideen des Blauen Reiters an- knüpfte und an dem der Komponist Michail Matjuschin eine Farb- und Klanglehre erarbeitete. Weil Kandinsky eine inhaltliche Bevormundung staatlicherseits beklagte, zog er 1921 ein zweites Mal nach Deutschland und begann 1922 seine Lehrtätigkeit am Bauhaus. Zu dieser Zeit galt er durch die breite Wirkung seiner Schriften bereits als führender Theoreti- ker der abstrakten Kunst, der den rationalistischen Geist der Aufklärung ablehnte und stattdessen auf eine neue Vergeistigung drängte. Formale Grundregeln hatten Kandinsky zunächst als Werkzeuge gegolten, die erst der Künstler zum Leben erweckte. Sie waren die Vorstufe zu einer allumfassenden Kunstsynthese. Doch auch Goethes Vorstellung von einem „malerischen Generalbaß“ hatte Kandinsky schon im Blauen Reiter als prophetisches „Vorgefühl der Lage, in welcher sich heute die Malerei befindet“44 gegolten. Am Bauhaus übernahm Kandins- ky die Werkstatt für Wandmalerei und eine mehrteilige Formlehre, zu der neben dem Gestaltungsunterricht Farbe auch Analytisches Zeichnen gehörte. In der beständigen Frage nach der Wirkung und den Beziehun- gen von Farben und Formen, versuchte er den Weg in die Abstraktion nachvollziehbar zu machen. In der Analyse Alter Meister veranschau- lichte er die historischen Bezüge seiner Überlegungen und stellte sie als logische Schlußfolgerung aus der Kunstgeschichte dar. So ließ er seine Studenten im Nachzeichnen älterer Gemälde deren Hauptlinien heraus- filtern und forderte sie auf, die so gewonnenen Elemente unter rein formalem Aspekt zu betrachten.45 Die Ergebnisse seiner Unterrichtsarbeit fasste Kandinsky 1926 unter dem Titel Punkt und Linie zu Fläche zusammen. Die Linie definierte er darin als Bewegungsspur des Punktes. Je nach Lage der Linien zueinan-

41 Kandinsky 1952, S. 130. 42 Zitiert nach: Hahl-Koch 1983, S. 71. 43 Kandinsky 1952, S. 55. 44 Zitiert nach: Kandinsky/Marc 1984, S. 331. 45 Vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 387.

43 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE der hatten sie kalten oder warmen Charakter und bekamen entsprechende Farben zugeordnet. In dieser Schrift findet sich auch der Versuch einer Übersetzung von Noten in eine künstlerische Grafik. Wie Klee in seiner Bach-Übertragung, verzichtete Kandinsky auf eine exakte Durchstruk- turierung. Versehen mit dem schlichten Hinweis „Dasselbe in übersetzt“46, bildete er die Notenwerte der Anfangstakte von Beethovens V. Symphonie als Punkte unterschiedlicher Größe ab, die Tonhöhe veran- schaulichte er durch freie Höhenpositionierung der Zeichen auf einem weißen Blatt. Längeres Halten einer Note stellte er durch einen Schweif dar und zusammenhängende Auf- und Abwärtsbewegungen durch Schlangenlinien. Dieses Schema mag unterkomplex, fast banal wirken. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Punkt und Linie zu Fläche zwar ein umfassendes Formenalphabet beinhaltet, aber für Kan- dinsky doch wieder nur einen Zwischenschritt darstellte: „Nur auf die- sem Wege einer mikroskopischen Analyse wird die Kunstwissenschaft zur umfassenden Synthese führen, die sich schließlich weit über die Grenzen der Kunst hinaus in das Gebiet der ‚Einheit’ des ‚Menschlichen’ und des ‚Göttlichen’ erstrecken wird.“47 Kandinskys nach wie vor romantisches Schwelgen in Gesamtkunst- werk-Phantasien konterkariert seinen Ausflug in die musikalische Grafik. Das produktive Schwanken zwischen Geistesblitz und Berechnung, das seine eigenen Werke durchgehend bestimmt, bleibt auch in seiner theo- retischen Arbeit unaufgelöst. Norbert M. Schmitz sieht gerade in diesem Zwiespalt den eigentlichen Nutzen Kandinskys für das Bauhaus: „Das Changieren zwischen Gesetz und Intuition [entsprach] der Widersprüch- lichkeit des gesamten Bauhaus und eines nicht geringen Teils der internationalen Avantgarde überhaupt. Das machte ihn zur idealen In- tegrations- und Identifikationsfigur der so heterogenen Reformschule.“48 Die Entwicklung Kandinskys verdeutlicht besonders anschaulich, wie das Bauhaus zur Verdichtung bestehender Ideen beitrug: Auf Grund- lage der geistigen Arbeit seiner Münchener Jahre prägte Kandinsky die inhaltlichen Geschicke des Bauhaus entscheidend mit. Das Bauhaus gab umgekehrt den Anlaß zur Systematisierung seines Gedankengebäudes. Kandinskys theoretische Setzungen brachten gerade in ihrer Vorläufig- keit nachfolgende Künstler dazu, weiter an ihnen zu arbeiten.49

46 Kandinsky, Wassily: Punkt und Linie zu Fläche, Bern: Benteli 1969, S. 44 f. 47 Ebd., S. 15. 48 Schmitz, Norbert M.: Wassily Kandinsky, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999a, S. 266. 49 Kandinskys Bühnenarbeit am Bauhaus, die ebenfalls von seinen frühen Ideen zur Kunstsynthese geprägt ist, betrachte ich in Kapitel 2.4.a.

44 MUSIK AM BAUHAUS

c. Gertrud Grunow, Johannes Itten und Josef Matthias Hauer

Mit Johannes Itten und der Musikpädagogin Gertrud Grunow befand sich das frühe Bauhaus auf der Suche nach dem individuellen Ausdruck. Die 1870 in Berlin geborene Grunow kam als Hilfslehrerin Ende 1919 nach Weimar. Ihre Harmonisierungslehre beruhte auf der Annahme, dass im Menschen ein Gleichgewicht von Farben, Formen, Tönen und Empfin- dungen angelegt sei. Diese Balance war, so Grunow, von zivilisatori- schen Einflüssen überdeckt, konnte aber durch Konzentrations- und Bewegungsübungen wieder hergestellt werden. Grunow hielt die Aus- gewogenheit des Menschen für die Grundlage allen Schaffens. Sie hielt mit ihren Schülern ausschließlich Einzelstunden ab, beriet sie bei der Wahl der Werkstatt und schrieb Gutachten, sowohl über ihre künstleri- sche Arbeit als auch über ihren geistigen Zustand. Walter Gropius integrierte die Harmonisierungslehre in einer Neuauflage der Satzung 1922 als tragendes Element des gesamten Bauhaus: „Während der ganzen Dauer der Ausbildung wird auf der Einheitsgrundlage von Ton, Farbe und Form eine praktische Harmonisierungslehre erteilt mit dem Ziele, die physischen und psychischen Eigenschaften des Einzelnen zum Ausgleich zu bringen.“50 Grunow hatte während ihrer Gesangsausbildung beobachtet, dass Sänger für bestimmte Tonhöhen bestimmte Haltungen einnahmen. Davon ausgehend entwickelte sie Analogien zwischen Klängen und Be- wegungen; später erweiterte sie das System um farbliche und förmliche Entsprechungen. Im Rahmen ihres künstlerischen Körperkonzepts maß Grunow dem physischen Klangempfinden besonderes Gewicht bei:

„Das oberste Gesetz, nach dem jede Ordnung aufgebaut ist, heißt Gleichge- wicht. Dadurch, daß die Natur dem Menschen durch das Gleichgewichtsorgan im Ohre einen Wächter und Hüter der Ordnung verliehen hat, ist das Ohr zum unmittelbarsten, obersten Richter der Ordnung im menschlichen Organismus bestimmt. Die starke Wirkung der Töne auf den Menschen ist auf das Gleich- gewicht zurückzuführen. Das Ohr empfindet bei Anspannung des Organismus dessen lebendige Ordnung in eigner höchster spezifischer Empfindungsform, nämlich als einen Ton (in jeder Art, auch als Geräusch). Aus der Einheit von Ton und Farbe geht eine Lebensform hervor, [...] welche sich am einfachsten

50 Gropius, Walter: Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhaus, 1923, in: Schneede, Uwe: Künstlerschriften der 20er Jahre. Dokumente und Manifeste aus der Weimarer Republik, Köln: DuMont 1986, S. 200.

45 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE und stärksten in der aufgerichteten Menschengestalt und deren geistigem und seelischem Ausdruck offenbart.“51

Wie sehr die Harmonisierungslehre zu Beginn der 1920er Jahre das Bauhaus prägte, zeigt der Text Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhaus Weimar, den Walter Gropius in enger Anlehnung an die Ideen Grunows verfasste. Hier schrieb er davon, dass die neue Einheit „im Menschen selbst verankert ist“ und „von dem richtigen Gleichgewicht der Arbeit aller schöpferischen Organe“ abhinge. „Es genügt nicht, das eine oder andere zu schulen, sondern alles zugleich bedarf der gründlichen Bildung“52. Wenn man Grunows zeitweilige Popularität am Bauhaus bedenkt, erstaunt es, daß ihr Unterricht weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Das plötzliche Verschwinden ihrer Person aus dem kollektiven Bauhaus- Gedächtnis mag mit den Anfeindungen seitens der konservativen Wei- marer Öffentlichkeit zu tun gehabt haben. Wem das frühe Bauhaus ein Dorn im Auge war, dem diente zumeist der Unterricht von Grunow als Aufhänger zur Kritik. Die konkrete Unterrichtssituation soll deshalb anhand einer Polemik der Weimarischen Zeitung dargestellt werden, die zu den eifrigsten Kritikern des Bauhaus gehörte. Die folgende Beschrei- bung der Farbenlehre, die einen Teil der Harmonisierungslehre aus- machte, veranschaulicht die Abscheu, die ein Teil der Weimarer Bürger gegen das Bauhaus hegte:

„Diese sogenannte Farbenlehre ward im Einzelunterricht beigebracht, und die Unterrichtsmethode schien den Zöglingen oft so auf die Nerven zu fallen, daß Ohnmacht und Krämpfe ärztliche Hilfe nötig machten, ja daß in einem bekannt gewordenen Falle – die Methode arbeitete ja ohne jeden Zeugen – das Opfer dieser Methode schließlich für die Irrenanstalt reif gemacht worden war. Diese Farbenlehre bestand nämlich darin, daß die Zöglinge durch Anstarren von gewissen Farbflecken in eine Art Traumzustand versetzt und mit Hilfe von angeschlagenen Tönen vielleicht auch hypnotisch beeinflußt wurden, und daß man dann schließlich mit einem wichtigen Anschlage auf dem Klavier den Zustand zu lösen versuchte, also daß man das strafgesetzlich verbotene Experiment der Schreckhypnose verwandte und die Gesundheit der Zöglinge bedenklich gefährdete.“53

51 Zitiert nach: Wingler, Hans M.: Das Bauhaus. 1919-1933, Bramsche: Rasch 1962, S. 83. 52 Gropius, in: Schneede 1986, S. 199. 53 Weimarische Zeitung vom 13. Mai 1924, zitiert nach: Anschütz, Georg (Hrsg.): Farbe-Ton-Forschungen. Band 3, Hamburg: 1931, S. 53.

46 MUSIK AM BAUHAUS

Trotz Grunows Ausscheiden im Frühjahr 1924 blieb die Harmonisie- rungslehre am Bauhaus präsent.54 Der ganzheitlich geprägte Bühnenleiter Lothar Schreyer, der ihre Lehre fast direkt übernahm (vgl. Kap. 2.4.b), ging in seiner Einschätzung der Bedeutung Grunows für das Bauhaus be- sonders weit: „Ich weiß: Weder die Vorlehre noch die Hauptlehre wäre ohne Gertrud Grunow mit Erfolg durchführbar gewesen, und das Bauhaus hätte ohne sie sein schöpferisches Werk nicht vollbracht.“55 Auch Paul Klee zeigte eine Affinität zu Grunows Lehre, und selbst László Moholy-Nagy berücksichtigte noch in späteren Jahren Grunows Gedanken vom harmonischen Ausgleich. Für Grunow selbst ergab sich beim Betrachten der malerischen Arbeiten verschiedener Bauhaus- Meister „im Ohre eine Empfindung [...]: alle Bilder Feiningers weckten deutlich Orgelklänge, die Bilder Kandinskys später Holzbläserklänge, die Gebilde Klees dagegen kleine musikalische Motive“. Grunow berichtete weiter, dass Kandinsky sich ihr gegenüber entsann, „zu der Zeit, da er die Bilder malte, oft Holzbläser zu hören glaubte.“56 Ihren engsten Verbündeten am Bauhaus hatte Grunow in Johannes Itten, den Gropius mit der Konzeption der Grundausbildung betraut hatte. 1888 im Berner Oberland geboren, hatte Itten bei Adolf Hölzel in Stutt- gart studiert. Hölzel, der auch den späteren Bauhausmeister Oskar Schlemmer unterrichtete, forderte schon 1904 ein neues malerisches Regelwerk. Auf Grundlage der Farbtheorien von Goethe, Runge und Helmholtz entwickelte Hölzel eine Kontrastlehre, die Itten übernahm und zu einem „Kontrapunkt der Malerei“57 erweiterte. Als Itten 1916 in Wien eine Privatschule eröffnete, hatte er die grundlegenden Ansätze seiner späteren Bauhaus-Lehrmethode bereits entwickelt und konnte sie hier in der Praxis erproben. 1919 kam er auf Empfehlung Alma Mahlers nach Weimar.58 In seinem stilbildenden Vorkurs legte Itten den Schülern keine ferti- gen Gegenstände zum zeichnerischen Kopieren vor, wie es bis dahin an Kunstschulen üblich gewesen war, sondern vermittelte ihnen zunächst

54 Grunow arbeitete nach ihrem Weggang vom Bauhaus an der Hamburger Universität an ähnlichen Experimenten weiter, wie eine Aussage ihres Mit- arbeiters Heinz Werner zeigt: „Man kann interessanterweise [...] Schichten beim Kulturmenschen bloßlegen, die genetisch vor den Wahrnehmungen stehen, und die als ursprüngliche Erlebniswelten beim ,sachlichen’ Men- schentyp teilweise verschüttet sind. In dieser Schicht ist es tatsächlich so, daß Töne und Farben viel mehr ,gefühlt’ als wahrgenommen werden.“ Wer- ner 1926, S. 69. 55 Schreyer, Lothar: Erinnerungen an Sturm und Bauhaus, München: Langen- Müller 1956, S. 172. 56 Zitiert nach: Anschütz 1931, S. 239. 57 Vgl. Schmitz, Norbert M.: Der Vorkurs unter Johannes Itten – Menschen- bildung, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999c, S. 360 ff. 58 Vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 237.

47 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE die Grundgesetze der Farb- und Formlehre, der Komposition und der Gestaltung – eben jenen objektivierbaren „Kontrapunkt“. Auch in den Analysen alter Meister lehrte er keine Epochenmerkmale, sondern versuchte, überzeitliche ästhetische Kriterien zu extrahieren. Ittens Un- terricht legt den Vergleich mit Kandinsky und seinem „Generalbaß der Malerei“ nahe, der sich bei genauer Betrachtung als das strengere Konzept erweist: Zwar schwankte Kandinsky in seiner eigenen Kunst zwischen Berechnung und individueller Formgebung, doch sein „Generalbaß“ sollte ein sachlich anwendbares Regelwerk sein. Für Itten stand dagegen die ganzheitliche Schulung des Menschen im Mittel- punkt.59 Der Rationalismus der Form war hier ein Mittel zur Heranbil- dung eines metaphysischen Empfindens. So achtete Itten auch bei der Bewertung von Studienarbeiten auf die Individualität des Ausdrucks. Ein wichtiger Lehrbegriff war der des „Rhythmus“ als Sinnbild für die Einheit von Körper und Seele. Der Vorkurs begann mit Gymnastik und Atemübungen auf dem Dach des Bauhaus, denn die Schüler sollten sich zunächst entkrampfen und ihre innere Ruhe finden, um danach unter Ittens Anleitung ihren Fokus auf die Kunst zu richten.60 Itten bezog sich dabei explizit auf die Methoden Gertrud Grunows, die den Körper in das Zentrum ihrer Lehre stellte: „Sie sagt: ‚Klang und Farbe lösen im Men- schen Bewegungen aus, und zwar in ganz bestimmten Zentren, für ganz bestimmte Töne und Farben.’ So hat sie ein System von übereinstim- menden Tönen und Farben gefunden durch das Mittel der Bewegungs- konsequenzen.“61 Ittens Anwendung Grunowscher Arbeitsweisen steht sein enger Kon- takt mit dem Wiener Komponisten Josef Matthias Hauer gegenüber. Die

59 Itten führte auch die fernöstliche Mazdaznan-Lehre am Bauhaus ein, der alsbald Teile der Schülerschaft angehörten. Mazdaznan beinhaltete Vor- schriften zur (vegetarischen) Ernährung, Atem- und Sexualregeln sowie zahlreiche Gesundheitsmaßnahmen. Auch eine „Rassenlehre“, nach der die weiße Kultur auf der höchsten Entwicklungsstufe stand, war Teil dieser Philosophie. Nach Ittens Weggang verschwand auch die Mazdaznan-Lehre vom Bauhaus (vgl. Droste 1990, S. 32 f.). Er selbst verabschiedete sich später von den problematischen Inhalten seiner Lehre und wurde in solch ideologisch entschärfter Form nach dem Zweiten Weltkrieg zum Vorbild vieler Designer. 60 Dieses Vorgehen kann im Zusammenhang mit dem expressionistisch begrün- deten Ausdruckstanz betrachtet werden, der in diesen Jahren von Mary Wigman an der Hochschule in Dresden-Hellerau gelehrt wurde. Ihre ganz- heitlichen Ideen der Umsetzung von Klang in Bewegung stießen auch am Bauhaus auf Interesse. Wigman selbst half bei einer Aufführung des Triadischen Balletts 1923 in Dresden aus. Auch ihre Schülerin Gret Palucca unterhielt enge Beziehungen nach Weimar und Dessau. Vgl. Wesemann, Arnd: Die Bauhausbühne, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999, S. 548 f. 61 Itten, Anneliese/Rotzler, Wilhelm (Hrsg.): Johannes Itten, Zürich: Orell Füssli 1972, S. 67.

48 MUSIK AM BAUHAUS schöpferische Beziehung zwischen Itten und Hauer verhielt sich ähnlich wie die zwischen Kandinsky und Schönberg: Beide Künstler entdeckten im Werk des anderen Entsprechungen zur eigenen Arbeit und nahmen gegenseitige Anregungen auf. Hauer war von der Geistesverwandtschaft Ittens so beeindruckt, dass er eine künstlerische Symbiose beider für möglich hielt: „[...] so soll die Welt langsam spüren lernen, daß immer keiner von uns fehlt, daß wir zusammen ein Ganzes bilden (Aug und Ohr), aus dem die neue Welt der Intuition hervorgehen wird.“62 Hauer entwickelte einen Klangfarbenkreis, in dem er die kalten Farben mit dem Quintenzirkel und die warmen Farben mit dem Quartenzirkel korrespon- dieren ließ. Itten integrierte Hauers Intervallehre in seine Theorie der Farben, welche er als „ein traumhaftes Klingen“ und „Musik gewordenes Licht“63 bezeichnete. In Ittens offensichtlicher Euphorie zeigen sich Freude und Erleichterung darüber, dass die Suche nach exakten Farbe-Klang-Zuordnungen eine tatsächliche Entsprechung im interdis- ziplinären Austausch gefunden zu haben schien. Die Anschauung von Ittens Bildern half Hauer 1919 über eine kom- positorische Krise hinweg. Im Gegenzug regte er Itten dazu an, Klavier zu spielen und Musikstücke zu komponieren. Beide schmiedeten auch Pläne für eine Weimarer Musikschule unter der künstlerischen Leitung Hauers, die sich allerdings aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen ließen. Stattdessen erarbeitete Hauer eine einfache Notenschrift und ermunterte Itten, anhand dieser selbst am Bauhaus Musik zu unterrich- ten: „Erteilen Sie in Weimar auch ungeniert Musikunterricht von Grund auf, ich erkläre hochoffiziell und feierlich, daß Sie hierzu vollkommen befähigt sind. Die Methode ist die denkbar einfachste der Welt, aller- dings nur bei ausgesprochen musikalischen Individuen anwendbar.“64 Da Itten im Kern bildender Künstler blieb, kam die hier geforderte Musiklehre nicht zustande. Dies ist bedauerlich, weil eine Lehrver- pflichtung Hauers für einige Zeit durchaus in der Luft gelegen zu haben scheint. Dass weder Schönberg noch Hauer längere Zeit in Weimar verbrachten, ist als doppelt verpasste Chance für die Musik am Bauhaus zu bewerten.65

62 Zitiert nach: Bothe 1994, S. 367. 63 Itten, Johannes: Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Erken- nen als Wege zur Kunst, Ravensburg: Maier 1961, S. 15. 64 Zitiert nach: Bothe 1994, S. 364 ff. 65 Hauers Vorstellungen von einer total kontrollierbaren Musik betrachte ich in Kapitel 2.6.

49 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

2.3 Musik außerhalb der Werkstätten

Da Musik am Bauhaus kein Unterrichtsfach war und es weder eine Lehr- kraft, noch ein eigenes Budget für sie gab, fanden musikalische Experi- mente und Aufführungen zumeist außerhalb des Unterrichts statt. Dieses Kapitel sammelt und kommentiert die musikalischen Aktivitäten, die sich ohne interdisziplinäre (Theater-)Einbindung ereigneten. Sie fanden auf den Bauhaus-Festen und der Bauhaus-Woche 1923 statt. Im privaten Rahmen zeitigte die Auseinandersetzung mit der Musik von Johann Sebastian Bach auch Arbeiten, die über die Musik hinausgingen. a. Bach-Rezeption — Kompositionen und Übersetzungen in den Raum

Als gemeinsamer musikalischer Nenner lässt sich am Bauhaus eine Vorliebe für das Werk von Johann Sebastian Bach ausmachen. Ob im direkten kompositorischen Ausdruck, in bildlichen Übersetzungen oder theoretischen Schriften: Bachs Fugentechnik, die „Kunst, alles aus einem zu erzeugen“66, galt als ideale Verbindung von Mathematik und kontrol- liertem Ausdruck. Auch wenn die Bevorzugung von Barockmusik in dem sonst so radikal auf Modernität pochenden Bauhaus seltsam anmu- tet, kann den Bach-Liebhabern wie Paul Klee, Lyonel Feininger und Henri Nouveau nicht ohne weiteres der Vorwurf des Konservatismus gemacht werden. In ihrer musikalischen Präferenz zeigt sich vielmehr die innere Verwandtschaft von Bachs Komposition nach Maß und Zahl zum Bauhaus – und der historische Standort des Bauhaus am Scheidepunkt zwischen Tradition und Moderne. Die Bach-Bezüge in Paul Klees Werk und Unterricht habe ich bereits in Kapitel 2.2.a geschildert. Wie Klee, so stammte auch Lyonel Feininger aus einer musikalischen Familie: Sein Vater war Violinist an der New Yorker Metropolitan Opera und brachte seinem Sohn schon früh das Geigenspiel bei. Seine Fähigkeiten am Klavier erarbeitete sich Lyonel Feininger als Autodidakt. Er entschied sich erst spät für die Malerei und blieb auch danach der Barockmusik eng verbunden. Als ihn Gropius für das Bauhaus verpflichtete, hatte Feininger des Weiteren bereits eine Kar- riere als Zeitungs-Karikaturist hinter sich. Um 1911 geriet er unter den Einfluss des Kubismus und stellte in der Berliner Sturm-Galerie aus. Ei- nes seiner kubistisch-zergliederten Kathedralenbilder zierte auch das erste Bauhaus-Manifest. Zwischen 1921 und 1927 schrieb Feininger drei Klavier- und neun Orgelfugen, die meisten von ihnen am Bauhaus in

66 Arnold Schönberg, zitiert nach: von Maur 1985, S. 328.

50 MUSIK AM BAUHAUS

Weimar.67 Stilistisch hielt er sich dabei eng an die Kompositionsweise Johann Sebastian Bachs. Ein Teil von Feiningers Fugen wurde 1994 un- ter dem Titel Das Klavierwerk veröffentlicht. Zwar betrachtete Feininger Malerei und Musik als in sich geschlossene Kunstformen, doch lässt sich im handwerklich ausgerichteten Charakter der Fugentechnik durchaus ein Zusammenhang zwischen dem kompositorischen und dem maleri- schen Werk Feiningers ausmachen. Schon 1914 schrieb er von seinem Vorhaben, „die Ausdrucksmittel zu vereinfachen. Immer mehr wird mir das klar, wenn ich zu Bach komme“68. Der Bauhaus-Schüler Heinrich Neugeboren, der sich später Henri Nouveau nannte, erstellte 1928 auf Anregung Kandinskys sein berühmtes Bach-Monument, in dem er einen Teil (die Takte 52 bis 55) der Es-Moll- Fuge ins Plastische übersetzte. Neugeboren erklärte sein Vorgehen dabei wie folgt: „In zwei hintereinanderliegenden Zonen werden plastisch ge- zeigt: (1) horizontal der konstruktive Verlauf, (2) vertikal die Entfernung eines jeden Tones vom Grundton, der Tonika, (3) von vorn nach hinten – sowohl auf der Basis wie auch im Winkel von 45 Grad ansteigend – die Entfernung der Stimmen voneinander.“69 Auch Kurt Schmidt, von dessen Theaterarbeiten noch die Rede sein wird, versuchte sich an dem bildnerischen Einbezug einer musikalischen Dimension. In der Holzarbeit Konstruktives Relief (1923) „wurden hori- zontal – und vertikal – gegliederte Holzleisten in verschiedenen Varian- ten komponiert und in einer musikalisch klingenden Farbgestaltung zu einem Charakter einer Farborgel gefügt“70. In eine ähnliche Richtung wies das seriell organisierte Glasrelief Fuge von Josef Albers, dessen kontrapunktische Struktur der Künstler anschaulich erläuterte:

„Was die Instrumentierung angeht, so besteht sie aus drei kontrastierenden Stimmen, Weiß und Schwarz auf dem hellroten Grund, der nicht nur die bei- den ersten Stimmen trägt, sondern zugleich an ihrer vertikalen und horizon-

67 Über weitere Musikkompositionen außerhalb der Bühnenwerkstatt geben die Archive keine Auskunft. Trotzdem wagte der Pianist Steffen Schleiermacher 1999 eine Aufnahme mit Rekonstruktionen von Stücken einiger Komponisten, die mehr oder weniger stark mit dem Bauhaus assoziiert waren: Josef Matthias Hauer, Stefan Wolpe, Wladimir Vogel, George Antheil und Hans Heinz Stuckenschmidt. Es handelt sich bei den ausgewählten Stücken um zeittypische Arbeiten, die weniger für das Bauhaus, als vielmehr für allge- meine Strömungen der 1920er Jahre stehen. Keines der Stücke ist nach- weislich am Bauhaus entstanden. Vgl. Schleiermacher, Steffen: Musik am Bauhaus (Beiheft zur CD Music At The Bauhaus), Detmold: Dabringhaus & Grimm 1999. 68 Zitiert nach: Ness, June L. (Hrsg.): Lyonel Feininger, London: Lane 1975, S. 114. 69 Zitiert nach: Fiedler/Feierabend 1999, S. 145. 70 Schmidt, zitiert nach: von Maur 1985, S. 205.

51 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE talen Interaktion teilnimmt. Analog zur akustischen Klangmischung in der Mu- sik erzeugt sie in der Wahrnehmung eine Vielfalt von Nuancen.“71

Albers und Neugeboren stellten die Fuge als zeitlichen Ablauf dar. In dieser Arbeitsweise waren bereits die frühen Experimente im abstrakten Film (etwa von Viking Eggeling und Hans Richter) angelegt, bei denen die bildliche Kontrapunktik in der realen Zeit verlief (vgl. Kap. 2.4.e).

b. Konzerte

Mit der Bauhaus-Woche 1923 präsentierte sich die Hochschule zum ersten Mal einer größeren Öffentlichkeit.72 Neben einer umfassenden Ausstellung in den eigenen Räumlichkeiten, Vorträgen und Filmvorfüh- rungen, fanden im Weimarer Nationaltheater verschiedene Konzerte und Aufführungen statt. Auf dem Theaterprogramm standen Oskar Schlem- mers Triadisches Ballett und ein Mechanisches Kabarett, welches auch Das mechanische Ballett mit der Musik von Hans Heinz Stuckenschmidt umfasste. Die Konzerte fanden an zwei aufeinander folgenden Tagen statt. Am ersten Abend wurden die Marienlieder von und Sechs Klavierstücke von Ferruccio Busoni gespielt. Am zweiten Tag spielte das Weimarische Staatsorchester das Concerto Grosso für sechs Soloinstru- mente von Ernst Krenek und Igor Stravinskys Geschichte vom Soldaten. Die musikalische Gesamtleitung hatte Hermann Scherchen. Alle aufge- führten Komponisten waren zu den Konzerten anwesend. An einer Aus- sage Busonis wird deutlich, dass die Vorgänge am Bauhaus auch außer- halb der Landesgrenzen aufmerksam beobachtet wurden:

„Ein Konzert, das ich im Bauhaus in Weimar gab, brachte mich mit allen Künstlern dieses Hauses, welches unter der Leitung des Architekten Walter Gropius stand, in freundschaftliche Beziehung, so zu Kandinsky, Klee, Feinin- ger, Gertrud Grunow und anderen. Zum Bauhaus stand auch der Begründer der ‚Zwölftontechnik’, Matthias Hauer in Beziehung. Sein Buch ‚Die Zwölfton- technik’ war früher erschienen als ‚Die Harmonielehre’ von Schönberg.“73

Obwohl geplant war, Konzerte nach der Bauhaus-Woche zu einer regelmäßigen Einrichtung werden zu lassen, ist lediglich etwas über die zahlreichen Auftritte der Bauhaus-Kapelle bekannt.

71 Albers, zitiert nach: ebd., S. 34. 72 Hierzu und zum Folgenden vgl. Stuckenschmidt 1976, S. 17 ff. 73 Zitiert nach: Kosnick, Heinrich: Busoni. Gestaltung durch Gestalt, Regensburg: Bosse 1971, S. 134.

52 MUSIK AM BAUHAUS

c. Die Bauhaus-Kapelle

Die Bauhaus-Kapelle wurde 1924 von Andreas Weininger ins Leben gerufen. Die Besetzung wechselte über die Jahre, da die Kapelle aus- schließlich aus Studierenden bestand. Gastauftritte in verschiedenen Städten bescherten ihr den Ruf, eine der temperamentvollsten Jazz-Bands Deutschlands zu sein. Die Kapelle bestand bis zur Auflösung des Bauhaus 1933. Offizielle Aufnahmen sind nicht erhalten. Die Band arbeitete hauptsächlich mit Klavier und selbstgebauten Schlag-, Streich- und Blasinstrumenten. Auch die Musik selbst richtete sich nicht nach starren Formen: Die Musiker, zumeist Autodidakten, im- provisierten über Gesellschafts- und Volkstänze und eigentümlich adap- tierte Avantgardemusik, später auch über amerikanische Jazzstandards. Im Vordergrund stand die humoristische Begleitung von Festivitäten am Bauhaus und rund um Weimar. Der ehemalige Student Friedhelm Stren- ger beschreibt die experimentelle Frühzeit der Kapelle:

„Wir spielten in der ‚klassischen’ Fünfer-Besetzung mit 10 Instrumenten. Ich spielte außer dem Piano noch Ziehharmonika (bayr. Okarina). [...] Mit ganz wenigen Ausnahmen haben wir nie ausländische noch deutsche ‚Schlager’ (oder heute ‚Hits’) gespielt. Es waren amerikanische, russische, französische, englische, ungarische und jüdische Lieder, die wir aus Notenmaterial zusam- menstellten; oft mehrere dieser Lieder in entsprechenden Teilen zusammen- gestellt und dann im Dixie- bzw. Orleans-Sound gespielt. [...] Wir haben, da kaum einer von uns richtig Noten konnte, nach Plattenmaterial gearbeitet, bzw. richtige Notencollagen hergestellt, die wir dann mit Buchstaben und Zif- fern und Tonart uns gegenseitig zuriefen bzw. notierten. Also so etwas wie ‚Folk-Song in Jam-Session’.“74

Auch Lux Feininger spricht der Bauhaus-Kapelle ein eigenes musikali- sches Profil zu. Sie habe in den Jahren unter Weininger keineswegs Jazz-Musik kopiert, sondern sich vielmehr auf eigenständige Weise ost- europäischer Musik gewidmet. Feininger erzählt in seinen Erinnerungen von der Begebenheit, dass eine „ernsthafte“ Berliner Jazz-Band, die zur Eröffnung des Bauhaus in Dessau eingeladen worden war, von der „arkadischen Einfachheit“ der Bauhaus-Kapelle „an die Wand gespielt“ worden sei.75 Zu dieser Zeit war auch Alexander Schawinsky, der selbst aus Ungarn stammte, Mitglied der Kapelle. Schawinsky hatte in früheren Jahren auf Reisen und bei Arbeiten für das Kabarett traditionelle Stücke

74 Strenger, Friedhelm. Bauhaus-Kapelle. Brief an das Bauhaus-Archiv (Manu- skript), 13.5.1976. 75 Zitiert nach: Bothe 1994, S. 377.

53 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE gesammelt und bearbeitet, die nun zum Einsatz kamen: „Er spielte Kla- vier und sang dazu, wenn auch beinahe unhörbar, im Ansturm der vielen Rhythmus- und Radau-Instrumente.“76 Das berühmteste Stück der Kapel- le war der Bauhaus-Pfiff, eine „Aufforderung zum Tanz“, die auf den ersten sieben Tönen eines Liedes ungarischer Rekruten beruhte. Das Stück galt gemeinhin als „Erkennungsmelodie“ der Bauhäusler.77 Lux Feininger kritisierte die Entwicklung der Kapelle, die sich in den Dessau- er Jahren dem amerikanischen Jazz und populärer Tanzmusik annäherte. Die neue Ausrichtung führte laut Feininger zur „Bourgeoisierung der einstmals einer lebenskräftigen Bohème entsprungenen Gruppe“78. Der Performance-Charakter, der gerade aus der offensiven Nicht-Beher- rschung der Instrumente hergerührt haben mag, sei danach zugunsten se- riöserer musikalischer Unterhaltung in den Hintergrund getreten. Die stürmischen Auftritte der Kapelle begleiteten auch die Feste der Bauhaus-Bühne, die von improvisierten Theater-Aufführungen berei- chert wurden. Der Kunsthistoriker Angel Gonzáles bescheinigt solchen Feiern eine besondere Qualität, denn „nur durch Tanzen konnte das Bauhaus die entgegengesetzten Kräfte vereinen und versöhnen, die es zu zerstören drohten“79. Zwar lässt sich aus dem musikalischen Gehalt der Kapelle kein struktureller Zusammenhang zu den bildenden Künsten herleiten; in der sozialen Funktion der Gruppe spiegelt sich jedoch das experimentelle und aufgeheizte Klima, das den Rahmen für die Arbeit am Bauhaus gab.

2.4 Die Bauhaus-Bühne

Walter Gropius erklärte zur Bauhaus-Woche 1923:

„Das Bühnenwerk ist als orchestrale Einheit dem Werk der Baukunst innerlich verwandt, beide empfangen und geben einander wechselseitig. Wie im Bau- werk alle Glieder ihr eigenes Ich verlassen, zugunsten einer höheren gemein- samen Lebendigkeit des Gesamtwerks, so sammelt sich auch im Bühnenwerk eine Vielheit künstlerischer Probleme, nach diesem übergeordneten eigenen Gesetz, zu einer neuen größeren Einheit.“80

76 Lux Feininger, zitiert nach: ebd., S. 374. 77 Gelegentlich wurde der Text „Itten, Muche, Masdaznan, ist nun endlich abgetan“ darüber skandiert. Masdaznan, bzw. Mazdaznan war die zeitweilig von Johannes Itten, Georg Muche und anderen proklamierte fernöstliche Heilslehre, die nach dem Weggang von Itten am Bauhaus in Verruf geriet. Vgl. Kap. 2.2.c., Fußnote 59. 78 Lux Feininger, zitiert nach: ebd., S. 378. 79 Zitiert nach: Wesemann 1999, S. 543. 80 Gropius, in: Schneede 1986, S. 207.

54 MUSIK AM BAUHAUS

Während Gropius in diesem Zitat die Bühne als den Ort der großen Zusammenkunft beschreibt, erfüllte sie am Bauhaus auch die Funktion als Labor: Für die im Programm von 1919 erklärte Absicht, die gesamte Umwelt ästhetisch gestalten zu wollen, brauchte es zunächst exemplari- sche Versuche im kleinen Maßstab. An der Bühne konnten übergreifende Ideen trotz begrenzter Mittel am einfachsten und radikalsten erprobt werden. Dass sie als einzige Werkstatt keine abgeschlossene Ausbildung anbot, war der experimentellen Atmosphäre durchaus zuträglich; ihre Mitglieder waren Schüler anderer Werkstätten, in denen sie ihr Diplom anstrebten. So trafen in der Bühnenarbeit auch die unterschiedlichen, am Bauhaus wirkenden Kräfte auf besonders engem Raum zusammen. Die- se, sich mitunter erheblich widerstrebenden Strömungen machten es den jeweiligen Leitern der Bühne schwer, ihr eine einheitliche Färbung zu verleihen.81 Die Arbeit teilte sich in den theoretischen Entwurf, die Herstellung der Bühnenmittel und die Erprobung der praktischen Umsetzbarkeit. Die Entwürfe schwankten zwischen realistisch umzusetzenden Projekten und visionären Planungen, deren utopischer Charakter von vornherein einkal- kuliert wurde. Doch selbst Entwürfe, die eigentlich nicht als ferne Zu- kunftsszenarien gedacht gewesen waren, scheiterten häufig an der man- gelnden Ausstattung. So verblieben viele Ideen im Planungsstadium – manche von ihnen aber gaben wichtige Impulse für spätere Strömungen außerhalb des Bauhaus. Die Musik spielte an der Bühne eine entscheidende Rolle. Zum einen trat sie hier besonders klar als abstraktes Bezugssystem hervor, anderer- seits zeitigte die Verlegenheit um die passenden Klänge hier die deut- lichsten Konsequenzen.

a. Kandinskys Bühnenarbeit

Seine theoretische Position in Bezug auf das Theater entwickelte Kandinsky schon 1912 in dem Aufsatz Über Bühnenkomposition, der im Almanach Der Blaue Reiter abgedruckt wurde. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die allgemeine Lage von Drama, Oper und Ballett. Er schildert, wie „das Konzentrieren auf materielle Erscheinungen“ im 19. Jahrhundert zu einer Spezialisierung geführt habe, „die immer sofort entsteht, wenn keine neuen Formen geschaffen werden“82. Als Folge hätten sich die drei bekannten Arten von Bühnenwerk „versteinert“, deren Schwächen er aufzählt: Das Drama ergehe sich für gewöhnlich in der „Beschreibung des äußeren Lebens“, während seelische Vorgänge

81 Vgl. Wesemann 1999, S. 540 ff. 82 Hierzu und zum Folgenden vgl. Kandinsky 1973, S. 52 ff.

55 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE ausgespart blieben. Dem Ballett wirft Kandinsky vor, dass es sich mit der „Liebe in einer kindlichen Märchenform“ begnüge. Im Bereich der Oper lobt er zwar Wagners Versuche, Musik, Text und Bewegung enger miteinander zu verknüpfen; allerdings verblieben die einzelnen Teile in einem „äußeren Zusammenhang“, da sie einander im Sinne einer „positi- ven Addierung“ nachahmten: Einer dramatischen Zuspitzung der Hand- lung etwa entspreche die Musik meistens durch zunehmende Lautstärke. In dieser Parallelführung sieht Kandinsky aber lediglich eine von zahlrei- chen Möglichkeiten, die Elemente untereinander in Beziehung zu setzen. Zur Erweiterung des Spektrums definiert er das Kunstwerk abseits seiner Materialität: In Klang, Farbe und Wort sei es gleichermaßen Ausdruck der „feineren Seelenvibrationen“ des Künstlers. Die Kunst habe ihr Ziel darin, „eine beinahe identische Vibration in der Seele des Empfängers“83 auszulösen. In diesem Sinne fordert Kandinsky, die Bühnenkomposition „auf den Boden des Innerlichen“84 zu stellen und den äußeren Vorgang einer Handlung fallen zu lassen. Dieser Schritt könne die theatralen Ausdrucksmöglichkeiten erweitern, da sie sich fortan keiner Erzählung mehr unterzuordnen hätten. Weitergehend schlägt er vor, auf die äußere Einheitlichkeit der Mittel (und somit auf die gegenseitige Nachahmung) zu verzichten und analog zur musikalischen Dissonanz auch das Dispa- rate zuzulassen. Für die Bühnenmittel bedeute dies eine emanzipierte Gleichbehandlung von Musik, Tanz und farbigem Licht „zwischen den zwei Polen [...] Mitwirkung und Gegenwirkung. Graphisch gedacht können die drei Elemente vollkommen eigene, voneinander äußerlich unabhängige Wege laufen.“ Zumindest in der Theorie ist die Musik somit von ihrem Begleitcharakter entbunden. Hinsichtlich der Funktion des Wortes wirkt Kandinsky unentschieden: Neben dem reinen Stimm- klang könne Sprache „eine gewisse Stimmung“ bilden, „die den Seelen- boden bereit und empfänglich macht“. Die im Blauen Reiter nachstehende „kleine Komposition“ Der gelbe Klang85 beginnt Kandinsky mit einer Relativierung: Der Leser solle „die Schwächen“ des Stücks „nicht dem Prinzip zuschreiben, sondern sie auf die Rechnung des Verfassers“86 stellen. Der gelbe Klang besteht aus einer Einleitung und sechs Bildern, deren Einzelelemente Kandinsky in unterschiedlich detaillierten Regieanweisungen festschreibt. Die farbli- che Ausgestaltung etwa ist weitaus genauer geregelt als der Musikein-

83 Ebd., S. 49 f. 84 Ebd., S. 58 f. 85 Es ist die einzige seiner Farbopern, die zu Lebzeiten publiziert wurde, während die übrigen (Violett, Grüner Klang und Schwarz und Weiß) im Entwurfsstadium blieben. Vgl. Kandinsky, Wassily: Über das Theater (Heraus- gegeben von Jessica Boissel), Köln: DuMont 1998. 86 Kandinsky/Marc 1984, S. 208.

56 MUSIK AM BAUHAUS satz, der zumeist vage bleibt. Als Hauptpersonen agieren stilisierte Menschen in Trikots, deren Farbigkeit sich bis auf die Haare und Gesichter erstreckt. Sie bewegen sich nach genau festgelegten Mustern. Der Tenor und ein Chor sind, für das Publikum unsichtbar, hinter der Bühne postiert. In der Einleitung schreibt Kandinsky für das „Orchester einige unbe- stimmte Akkorde“87 und eine nicht weiter charakterisierte „Introduktion“ vor. In Bild 1 „beginnt die Musik, erst in hohen Lagen. Dann unmittelbar und schnell zu unteren übergehend.“ Der Chor soll daraufhin „ganz hölzern und mechanisch“ klingen. Bald danach „fliegen von links nach rechts rote undeutliche Wesen“. Mit der folgenden Anweisung „Dieser Flug spiegelt sich in der Musik ab“, setzt Kandinsky ein tonmalerisches Mittel ein. In Bild 2 gibt er „mit sich oft wiederholenden a und h und h und as“ erstmals Tonhöhen an. Das as taucht im weiteren nicht mehr auf, während Kandinsky noch mehrfach a und h vorgibt. Bis auf die Anmerkung „Sprünge vom ff. zum pp.“ (ebenfalls in Bild 2) sind Kan- dinskys Musikvorgaben ansonsten rein assoziativer oder metaphorischer Natur. Aus Bild 3 geht bezüglich der Musik lediglich hervor, dass sie „immer dunkler“ wird, vergleichbar dem „Hineindrücken einer Schnecke in ihre Muschel“, bis die Klänge „ganz geschmolzen“ sind. Bild 4 enthält keine Musikvorschriften, und in Bild 5 beschreibt Kandinsky eine Szene, die sich mehrfach ereignen soll, um erst in einer Fußnote hinzuzufügen, dass „natürlich auch die Musik wiederholt werden“ müsse, wobei er ihren Charakter nicht weiter umschreibt. In einem anschließenden Tanz ändert sich das Tempo der Bewegungen, „wobei es manchmal mit der Musik zusammengeht und manchmal auseinander“. Im Finale von Bild 5 fangen im Orchester zunächst „einige Farben an zu sprechen“, um sich dann zu einem „Durcheinander“ zu steigern. Bild 6 charakterisiert die Musik im Schlussbild als „ausdrucksvoll, dem Vorgang auf der Bühne ähnlich“. Der Einsatz von Stimmen und Gesang veranschaulicht eine breite Ausdruckspalette: Gesprochene Passagen mit eindeutiger Textvorgabe (vor allem in Bild 2) wechseln sich mit Angaben wie „undeutlich“ und „ohne Worte“ ab. In Bild 3 schlägt Kandinsky ein Fantasiewort vor („z.B. Kalasimunafakola!“). Gelegentlich umschreibt er den abstrakten Stimmklang, etwa als „hölzern“, „nasal“ oder „grell, angsterfüllt“. Während Kandinskys Musik- und Sprachklangangaben ungenau bleiben, ließe sich aus seiner kleinteiliger abgestuften Farbregie durchaus eine Partitur für den Einsatz bestimmter Lichtstrahler ableiten. Deutlich wird auch Kandinskys Bemühen, die Elemente einander im Sinne von „Mitwirkung und Gegenwirkung“ zuzuordnen, wie er es selbst in dem

87 Hierzu und zum Folgenden vgl. ebd., S. 212 ff.

57 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Aufsatz Über Bühnenkomposition empfohlen hatte: „Das grellste Licht ist erreicht, die Musik ist ganz geschmolzen“ (Bild 3) beschreibt die Ge- genwirkung, während in der letzten Szene der Einklang aller Mittel auf eine Art abstraktes Pathos hinzielt, das in seiner Schlusswirkung durch- aus noch ein narratives Moment durchschimmern lässt. Kandinsky beteiligte den Komponisten Thomas von Hartmann (ge- boren 1883) an Der gelbe Klang. In einem Brief schrieb Kandinsky ihm: „Die Musik soll kein musikalisches Poem sein, sondern eine der drei Linien, aus denen das Gewebe des Werkes wird“88. Tatsächlich scheint Kandinsky in Hartmann keinen eigenständigen Künstler, sondern eher einen musikalischen Mitarbeiter gesehen zu haben, der lediglich damit betraut war, Kandinskys Ideen ohne eigenen künstlerischen Impetus um- zusetzen. Kandinsky wurde sogar schon verdächtigt, aus diesem Grund mit Absicht keinen profilierteren Komponisten verpflichtet zu haben.89 Für die Uneigenständigkeit Hartmanns spricht sein Beitrag zum Blauen Reiter: Der Aufsatz Über Anarchie in der Musik zeigt eine, wenn auch eigenwillige, musikalische Auslegung der Gedanken Kandinskys. Die Instanz der „inneren Stimme“ steht bei Hartmann für die Missachtung von „äußeren Gesetzen“.90 Musikalische „Anarchie“ aber meint nichts anderes als den Einsatz von Dissonanzen. Das regelhafte Moment von Kandinskys Theorie kommt bei Hartmann nicht vor. Seine Komposition und ihren Bezug zur Bühnenhandlung in Der gelbe Klang hielt er nur ansatzweise in schriftlicher Form fest, ansonsten tat er es Kandinsky mit diffusen Anweisungen gleich („Die Musik trägt während des gesamten ersten Bildes nur die Stimmung bei“91). Die unpräzise Dokumentation lässt sich mit der spontanen Arbeitsweise erklären: „Hartmann saß meis- tens improvisierend am Klavier, während Kandinsky die Bühnenhand- lung vorstellte.“92 So wegweisend Der gelbe Klang in seiner Grundanlage gewesen sein mag (was durch obige Darstellung durchaus nicht in Zweifel gezogen werden soll), so muss doch klar festgestellt werden, dass weder Kandinsky noch Hartmann ein schlüssiges Konzept zur Musik vorlegen konnte. Dies mag mit dazu beigetragen haben, dass es Kandinskys Ver- suche, seine Farboper auf die Bühne zu bringen, kein einziges Mal zur

88 Eller-Rüter, Ulrika-Maria: Kandinsky. Bühnenkomposition und Dichtung als Realisation seines Synthese-Konzepts, Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1990, S. 218. 89 Vgl. Dömling, Wolfgang: „Die reine abstrakte Form des Theaters“. Kandins- ky, Schönberg und das experimentelle Theater, in: Floros, Constantin/ Geiger, Friedrich/Schäfer, Thomas (Hrsg.): Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Lang 2000, S. 30. 90 Kandinsky/Marc 1984, S. 88 f. 91 Zitiert nach: Hahl-Koch 1985, S. 355. 92 Eller-Rüter 1990, S. 66.

58 MUSIK AM BAUHAUS

Aufführungsreife brachten – auch nicht am Bauhaus, wo gemeinsame Planungen mit Oskar Schlemmer in einem frühen Stadium scheiterten. Doch allein das Vorhaben zeigt, dass Kandinsky seinen in München entwickelten Theaterstrategien auch am Bauhaus noch ihre Geltung zusprach. In Dessau ergab sich für Kandinsky die erste und einzige Gelegen- heit, ein abstraktes Bühnenstück in der Praxis zu erproben – und zwar ohne, dass ihm die Verlegenheit um eine passende Musik hätte in die Quere kommen können: 1928 entwarf er das Bühnenbild zu einer Insze- nierung von Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung. Mussorgsky hatte die Musik 1874 anlässlich des Todes eines befreundeten Malers und unter dem Eindruck von dessen Bildern geschrieben.93 Die Kompo- sition bestand aus zehn Klavierstücken, die durch die variierte Wieder- kehr einer Promenade miteinander verbunden wurden. War das Stück als assoziative Übersetzung von Malerei in Musik entstanden, so handelte es sich bei Kandinskys Arbeit um eine Rückübersetzung der Musik in ein malerisches Bühnenbild.94 Kandinsky setzte lediglich in einer einzigen Szene Tänzer ein, ansonsten wirkte allein die Kulisse in abstrakten Formen und Farben. Wegen der einfachen technischen Ausstattung der Bühne kam allerdings weniger ausgefeilte Mechanik als vielmehr menschliches Geschick zum Einsatz. Felix Klee, Kandinskys Assistent während der Produktion, berichtete von den komplexen Vorgängen wäh- rend der Aufführung: „Wir mussten furchtbar arbeiten. Ich hatte ständig eine Dekoration oder Lampe zu bewegen“95. Felix Klee betonte auch die musikalische Methode, nach der das Bühnenbild konzipiert war: „Das Hauptprinzip der Inszenierung ist die Entwicklung der Bilder in der Zeit, das heißt allmählicher Auf- und Abbau der farbigen Formen – der musi- kalischen Entwicklung entsprechend.“96 Kandinsky hielt sich in seiner Interpretation eng an Mussorgskys Musik. Die Uraufführung von Bilder einer Ausstellung fand im April 1928 im Dessauer Friedrich-Theater statt. Als Relikte der Aufführung sind die Bühnenbilder, stark voneinander abweichende Augenzeugenberichte sowie ein Aufsatz Kandinskys erhalten, aus dem sich das Bühnengesche-

93 Victor Hartmann (1834-1873, nicht zu verwechseln mit dem an Der gelbe Klang beteiligten Komponisten Thomas von Hartmann) hatte eine Reihe von naturalistischen Zeichnungen, Aquarellen und Ölbildern von Genreszenen und Architekturmotiven angefertigt (Vgl. von Maur 1990, S. 192), die ein Jahr nach seinem Tod in St. Petersburg ausgestellt wurden. Mussorgskys hiervon angeregtes Klavierwerk wurde u.a. von Maurice Ravel instrumentiert. 94 Vgl. de la Motte-Haber 1990, S. 138 ff. 95 Zitiert nach: Kandinsky, Nina: Kandinsky und ich, München: Kindler 1976, S. 154. 96 Zitiert nach: von Maur 1990, S. 192.

59 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE hen jedoch kaum rekonstruieren lässt.97 Kandinsky selbst soll mit der Aufführung nicht zufrieden gewesen sein. Die Unterordnung der Büh- nenmittel unter die musikalische Vorgabe widersprach seiner Vorstellung vollkommen autonomer Elemente. Fast mutet es wie eine Ironie an, dass Kandinsky bei seiner einzigen aktiven Teilnahme an einer Theaterinsze- nierung mit der bühnenbildnerischen Nachahmung der Musik auf ein Prinzip zurückfiel, das er zuvor theoretisch kritisiert hatte.98 Die engen technischen Grenzen mögen Kandinsky zudem das Utopische der ange- strebten Synthese vor Augen geführt haben. In seinen Theaterexperi- menten zeigen sich somit Züge eines Scheiterns auf hohem Niveau, das für die Bauhaus-Bühne genauso paradigmatisch war, wie für ihr Wieder- auftauchen in den Theaterideen der 1950er und 1960er Jahre. Es muss in diesem Zusammenhang allerdings auch auf Kandinskys Aufsatz Über die abstrakte Bühnensynthese (1923)99 hingewiesen werden, der besonders hinsichtlich der Zielsetzung der Bauhaus-Bühne aufschlussreich ist. Kandinsky beschreibt hier zunächst die „äußere Möglichkeit“ des Theaters: „Das Gebäude [...] saugt durch die geöffne- ten Türen Menschenströme in sich und ordnet sie in schematische stren- ge Reihen. Alle Augen in einer Richtung, alle Ohren zu einer Quelle.“ Wenn Kandinsky weiter urteilt, dass diese architektonische Disposition „auf die neue Gestaltung wartet“, so lässt sich dies als Hinweis in Rich- tung der zahlreichen Entwürfe für Kugel- und Totaltheater lesen, die an der Bauhausbühne entstanden (vgl. Kap. 2.4.f). Die „innere Möglichkeit“ des Theaters meint dagegen das Geschehen auf der Bühne. Im Sinne der Schaffung einer umfassenden Kunstsynthese wartet auch dieser zentrale Schauplatz „auf die neue Gestaltung“. Wie schon über 20 Jahre früher in seiner Schrift Über das Geistige in der Kunst weist Kandinsky darauf hin, dass jede Kunst ihre eigene Spra- che habe und „von allen anderen grundsätzlich verschieden“ sei. Das Theater aber besitze die Kraft „alle diese Sprachen an sich zu ziehen“. Die Künste, die abseits der Bühne weiter für sich bestehen würden, sol- len im Theater „auf eigene Ziele“ verzichten, „um dem Gesetz der Büh- nenkomposition zu unterliegen“. Voraussetzung für die „monumentale abstrakte Kunst“ aber sei die theoretische Erforschung der Einzelkünste

97 Vgl. ebd., S. 141 ff. 98 Auch die Einschätzung von Kandinskys Vorgehensweise bei Ulrika-Maria Eller- Rüter lässt an das Prinzip der bloßen Verdopplung der Musik durch die übrigen Bühnenmittel denken, welches er bei Wagner gescholten hatte: „Kandinsky [übersetzt] die musikalische Dynamik in Farb- und Formcrescendi, [...] nach dem Prinzip des ,Gleichklanges’, aktiviert also den ,Bildraum’ als ,Resonanzraum’. Die vielgliedrigen Formen erinnern dabei an Akkorde, [...] hier ist das Klangliche der Katalysator des Geschehens.“ Eller- Rüter 1990, S. 144. 99 Hierzu und zum Folgenden vgl. Kandinsky 1973, S. 80 ff.

60 MUSIK AM BAUHAUS sowie der Möglichkeiten ihrer Kombination. Deshalb fordert Kandinsky: „Es sollen Theaterlaboratorien veranstaltet werden“, mit der Aussicht darauf, dass „diese Vorarbeiten zum Schaffen des lebenden Werkes als Werkzeuge dienen“ werden. Mit anderen Worten: Kandinsky scheint seine Theaterversuche lediglich als Erprobungen einer zukünftigen Büh- nensynthese eingeschätzt zu haben, nicht als tatsächliche Einlösung sei- ner theoretischen Forderungen. Auch Der gelbe Klang, dessen „Schwä- chen“ Kandinsky selbst einleitend eingestand, wäre so gesehen kein misslungenes Projekt, sondern ein Versuch mit Erkenntnisgewinn. Ließe sich dieser Ansatz sogar für die gesamte Bauhaus-Bühne verallgemei- nern (und tatsächlich sprach auch Oskar Schlemmer von der Bühne in Dessau als einem „Versuchsballon“100), so wäre ihre Geschichte nicht als die eines Scheiterns, sondern als Erfolgsgeschichte zu bewerten.

b. Lothar Schreyer

Kandinsky beeinflusste mit seinen Bühnenaufsätzen zahlreiche Theater- macher. Zu ihnen zählte auch Lothar Schreyer, der als erster Leiter der Bauhaus-Bühne von 1919 bis 1921 in Weimar tätig war. In seiner Arbeit finden sich ebenso Versatzstücke aus der Lehre Gertrud Grunows. Schreyer war von 1911 bis 1918 Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Wie einige spätere Bauhaus-Meister arbei- tete er dann für einige Zeit an der Sturm-Bühne in Berlin, bevor er die Hamburger Kampfbühne gründete. Obwohl Schreyer aus einem ex- pressionistischen Umfeld kam, versuchte er, die Bühnenelemente in höchstmöglicher Stilisierung zu bündeln. Im Geiste Kandinskys war es seine Absicht, den „Bühnenraum [als] eine Entsprechung des kosmischen Raums“101 zu behandeln. Zur Versachlichung der Aktion schränkte er die Bewegungsmöglichkeiten der Schauspieler durch Ganzkörpermasken ein. Aus einer zeitgenössischen Kritik spricht großes Befremden ob der damit einhergehenden Ent-Individualisierung:

„[Man hat] den einfachen erotisch-psychischen Vorgängen durch eine gewalt- same Stilisierung des Bühnenbildes und der gesamten technischen Mittel, wie Kleidung, Sprechweise, Bewegung und Mimik, die angeblich insgesamt von einem einheitlichen Rhythmus getragen werden sollten, Zwang angetan, so daß alle natürliche Empfindungs- und Stimmungstiefe der Handlung genom-

100 Schlemmer, Oskar: Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften, Leipzig: Reclam 1990, S. 161, vgl. Kap. 2.4.c. 101 Scheper, Dirk: Oskar Schlemmer - Das Triadische Ballett und die Bauhaus- bühne, Berlin: Akademie der Künste 1989, S. 66.

61 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE men wurde und nur eine marionettenhafte, unverständliche und seelenlose Phantasmagorie übrig blieb.“102

Selbst aus dieser negativen Beurteilung lässt sich der Einfluss Kandinskys früher Schriften auf Schreyers Theater ersehen. Schreyer fasste jedoch zudem alle zur Verfügung stehenden Parameter sehr genau in einer gemeinsamen Partitur zusammen, die er „Spielgang“ nannte. In Anlehnung an die Harmonisierungslehre Grunows brachte er hier Gestik, Bewegung, Wort und Klang in einen „einheitlichen Rhythmus“103. Die schriftlich fixierte Analogisierung der Bühnenelemente mag zu einer hö- heren Präzision und Verbindlichkeit als bei Kandinsky geführt haben; andererseits waren Schreyers Stücke – wohl auch aufgrund der strengen Zuordnungen – von statischem Charakter. In dem am Bauhaus erarbei- teten Stück Mondspiel (1922/23) traten nur zwei Personen auf: Maria im Mond, als das bewegungslose Objekt der Verehrung, und ein Tänzer, der sie mit einem Tanzschild spärlich umspielt. Die Einschätzung Joachim Nollers deutet auf ein Verschwinden der Kunst in der Sachlichkeit des Ausdrucks: „Minimal Dance und Entpersonalisierung hatten sich radika- lisiert. Der Tänzer tanzte nicht, wurde aber immer noch als solcher bezeichnet. Es handelte sich um Choreographie am Rande ihrer Selbst- aufhebung.“104 Schreyer versuchte, das Sprechen als musikalische Kategorie zu organisieren, indem er den Spracheinsatz zusammen mit den übrigen Bühnenelementen in exakter Takteinteilung notierte. Im Vordergrund stand die lautmalerische Rezitation, das „Klangsprechen“. Um diese Form des Gesangs korrekt ausführen zu können, sollte jeder Darsteller zunächst in einem Prozess intensiver Selbstfindung zu seinem „inneren Grundton“ finden: „Klangsprech-Proben waren kultische Übung und geistliches Exerzitium, dem sich kein Schauspieler entziehen durfte“.105 Während der Probearbeiten kam es immer wieder zu Auseinandersetzun- gen mit Akteuren, die sich vom Expressionismus losgesagt hatten. Die Proteste der Studierenden gingen so weit, dass Schreyer nach einer

102 Zitiert nach: Vogelsang, Bernd: Lothar Schreyer und das Scheitern der Weimarer Bauhausbühne, in: Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Johannes Itten (Ausstellungskatalog), Weimar: Hatje 1994, S. 333. 103 ebd. sowie von Maur 1985, S. 204. 104 Noller, Joachim: KLANG/BEWEGUNG. Musik und Tanz im modernen Ge- samtkunstwerk, in: Floros, Constantin/Geiger, Friedrich/Schäfer, Thomas (Hrsg.): Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Lang 2000, S. 21. 105 Allende-Blin, Juan: Gesamtkunstwerke – von Wagners Musikdramen zu Schreyers Bühnenrevolution, in: Günther, Hans (Hrsg.): Gesamtkunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos, Bielefeld: Aisthesis 1994, S. 178 ff.

62 MUSIK AM BAUHAUS gescheiterten Probeaufführung 1923 als Bühnenleiter zurücktrat und das Bauhaus verließ. Über die Musik, die während der Aufführungen von Schreyers Stücken erklang bzw. erklingen sollte, ist nur wenig bekannt. Juan Allende-Blin, der sich in den 1980er Jahren an Rekonstruktionen von Schreyers Stücken versuchte, gibt einige Hinweise:

„In ‚Mann’ [einem frühen Stück von Schreyer] verwendet er nur eine große Trommel als musikalische Komponente; in anderen Werken kommen Glas- harmonika, Marimbaphon und sonstige Schlagzeuginstrumente vor; sie alle erhalten eine logische aber unkonventionelle Behandlung.“106

An anderer Stelle ist von einem Marienlied die Rede, das während des Mondspiels zu hören gewesen sein soll, „mit Rhythmen, die auf einem afrikanischen Kalabassen-Xylophon gespielt wurden“107. Der Umgang mit Musik stellt sich bei Schreyer ähnlich wie bei den meisten Aktivisten an der Bauhaus-Bühne dar: Beachtenswert ist weni- ger der Soundtrack, als vielmehr die Musikalisierung der Bühnenele- mente, die Schreyer über ihre taktgenaue Festlegung in einer Partitur als Zeitkünste definierte. Dirk Scheper erkennt in dieser Strategie eine histo- rische Leistung: „Die Schöpfung des Spielgangs und seiner Zeichen hat für die Bühnenkunst die gleiche Bedeutung wie die Schöpfung des Notensystems und der Noten für die Musik.“108 Trotz der Konflikte, die zu seinem Weggang führten, war Schreyers Einfluss in der weiteren Arbeit an der Bauhaus-Bühne spürbar, etwa im Einsatz von Ganzkör- permasken bei Oskar Schlemmer.

c. Oskar Schlemmer

Die Kunst und Lehre Oskar Schlemmers (geboren 1888) sorgte für Aus- gleich zwischen den Strömungen, die das Bauhaus zeitweise entzweiten. Schlemmer stand der Abstraktion genauso skeptisch gegenüber wie dem Kult um das Individuum. Für ihn markierte der Mensch das Zentrum, jedoch nicht als Einzelwesen, sondern als Typus mit spezifischen Pro- portionen. Schlemmer suchte das Regelhafte in der menschlichen Figur, die „Darstellung der romantischsten Idee in der abgeklärtesten Form“109. Es ging ihm um eine Erneuerung des künstlerischen Humanismus durch ein modernes Formenvokabular – ein Konzept, das er am Bauhaus in

106 Ebd., S. 183. 107 Droste, Magdalena/Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): Experiment Bauhaus, Berlin: Kupfergraben 1988, S. 202. 108 Scheper 1989, S. 67. 109 Schlemmer 1977, S. 21.

63 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE dem Kurs Der Mensch theoretisch vermittelte und an der Bühne prak- tisch untersuchte.110 Schlemmers Beschäftigung mit dem Tanztheater lässt sich bis in das Jahr 1912 zurückverfolgen. Sein Interesse an der Materie wurde durch den Besuch eines Konzertes mit Musik von Arnold Schönberg geweckt. Unter dem Eindruck des Pierrot Lunaire und aus der Freundschaft zu dem Stuttgarter Tänzerpaar Albert Burger und Elsa Hölzel entstand ein erster Entwurf des Triadischen Balletts, mit dem Schlemmer später seine größten Erfolge feiern sollte. Schlemmer war Meisterschüler von Adolf Hölzel an der Stuttgarter Akademie gewesen. Sein Versuch, Paul Klee 1919 als Nachfolger für den scheidenden Hölzel zu verpflichten, schei- terte an dem konservativen Flügel der Akademie, die er bald darauf selbst verließ. 1921 trat Schlemmer seine Meisterstelle am Bauhaus an, arbeitete aber zeitgleich in Stuttgart am Triadischen Ballett weiter. Schlemmer übernahm die Bauhaus-Bühne nach dem Weggang Schreyers zunächst nur provisorisch, um von 1925 bis 1929 als ihr offizieller Leiter zu fungieren. Formal hatten seine Ideen zur Bauhaus-Zeit große Ähn- lichkeit mit denen Schreyers. Kandinskys allgemeingültiger Analogisie- rung von Formen und Farben stand er dagegen kritisch gegenüber.111 1925 versuchte sich Schlemmer im vierten Bauhaus-Buch (Die Bühne am Bauhaus) an einer Standortbestimmung. Er sah die Bühne darin als „Versuchsballon“, der durch radikale Experimente den Werkstätten als Ideengeber und Korrektiv dienen könne:

„[Die Bühne] soll nicht das Chaos nur spiegeln und spiegelflechten. Sie soll - oh, gelänge es – ‚bezaubernde Pädagogik’ üben und schillerisch Tribunal wer- den. [...] Sie, diese so gedachte Bühne, könnte am Bauhaus ein mächtiges Regulativ werden. Nach dieser Seite muß ich in nächster Zeit sehr tätig sein.“112

Besondere Bekanntheit erlangte Schlemmers Arbeit an der Bauhaus- Bühne durch das Triadische Ballett, obwohl die Idee dazu gar nicht in Weimar entstanden war. Schlemmer untersuchte in dem handlungslosen Kostümballett die gegenseitige Durchdringung von Mensch und Raum: Das Naturhafte des menschlichen Körpers relativierte er mittels schwerer

110 Schlemmer leitete überdies zeitweilig die Werkstätten für Wandmalerei, Stein- und Holzbildhauerei. Er lehrte auch Akt- und Figurenzeichnen. 111 Über die Zuordnungen Kandinskys schrieb er in einem Brief an Otto Meyer- Amden: „Kreis blau, Quadrat rot, Dreieck gelb. Über das gelbe Dreieck sind sich alle Gelehrten einig. Über den Rest nicht. Ich mache jedenfalls unbewußt stets den Kreis rot, das Quadrat blau. Ich weiß nicht genügend über die Erklärungen Kandinskys, nur ungefähr, [...]. Muß ich mein Gefühl einer Verstandeserkenntnis opfern?“ Schlemmer 1990, S. 159 f. 112 Ebd., S. 161.

64 MUSIK AM BAUHAUS

Ganzkörpermasken. Die architektonisch konstruierten Figurinen agierten als Teil der Bühne, so dass der Raum gleichsam in Bewegung geriet. Diese Vorgehensweise wirkte besonders drastisch, weil der ausdrucks- tänzerische Trend der Zeit die Befreiung des Körpers zum Thema hatte. Das Triadische Ballett wurde von der Zahl „Drei“ bestimmt: Drei Tänzer tanzten in drei Abschnitten; die Bühne und die Kostüme waren in den drei Grundformen (Kreis, Dreieck, Quadrat) und Grundfarben (Rot, Gelb, Blau) gehalten. Zudem sollte das Stück die Dreiheit von Kostüm, Tanzbewegung und Musik veranschaulichen. Die Umsetzung des Balletts fand seinerzeit unter schwierigen Bedingungen statt, denn die Herstellung der Kostüme war teuer und der Erfolg zunächst bescheiden. Erst Rekonstruktionen seit den 1960er Jahren113 sorgten dafür, dass die Figurinen heute zu den prominentesten (wenn auch nur vermeintlichen) Bauhaus-Erzeugnissen zählen. In Dessau setzte Schlemmer die Untersuchung der theatralen Grund- elemente ab 1927 in den Bauhaustänzen fort, mit denen die Bühne noch 1929 eine erfolgreiche Tournee bestritt. Zur geräuschhaften Rhythmisie- rung eines dieser Tänze, dem Metalltanz, komponierte Schlemmer mit dem Studenten Alfred Ehrhardt einige perkussive Musikstücke. Auch in der Equilibristik, einer Pantomime von 1927, agierten die Tänzer „zu Pauken- und Gongschlägen“.114 Überhaupt sah Schlemmer in dem Verhältnis Mensch-Raum nur einen ersten Schritt zur Erneuerung des Theaters. Die grundsätzliche Klärung der Bühnenmittel sollte sich im Weiteren auch auf die Sprache und Musik beziehen. Aus den musikali- schen Andeutungen Schlemmers spricht allerdings eine eher unklare Vorstellung hinsichtlich der akustischen Ebene. Ein vorbereitender Tagebucheintrag, der „Entwicklung vom alten zum neuen Tanz“ über- schrieben ist, gemahnt im Tonfall an Kandinskys Anweisungen zu Der gelbe Klang: „verworren dumpf die Musik, [...] Die Musik in den unteren Lagen, die gleichsam braun klingen [...] Die Musik tief, Moll. Trauer“.115 Die ersten Aufführungen des Triadischen Balletts unterlegte Schlemmer mit Kompositionen von Mario Tarenghi, Marco Enrico Bossi, Domenico Paradies, Baldassare Galuppi, Claude Debussy, Wolfgang Amadeus Mozart und Georg Friedrich Händel. Konzeptionell stellte diese Musik- auswahl aus drei Jahrhunderten einen weitere Facette der zentralen Zahl Drei dar. Wenn man aber bedenkt, dass Schlemmer (wie auch Kandins- ky) auf eine den übrigen Bühnenmitteln gleichwertige Musik zielte, so

113 Die Figurinen hatten inzwischen über ihre Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art die Aufmerksamkeit eines neuen Publikums auf sich gezogen. 114 Vgl. Droste 1988, S. 256 f., 270. 115 Dezember 1912, zitiert nach: Schlemmer 1990, S. 6.

65 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE scheint es doch eher aus Verlegenheit um eine passendere Lösung zu dieser Auswahl gekommen zu sein. Für eine Aufführung des Triadischen Balletts bei den Donaueschin- ger Musiktagen 1926 entwarf Paul Hindemith eine Musik für mechani- sche Orgel. Schlemmer, der schon einmal ein Bühnenbild für Hindemith entworfen hatte,116 zeigte sich von der Idee zunächst begeistert:

„Und warum nun eine mechanische Orgel? Weil der mechanische Spielapparat der Stereotypie der Tanzweise [...] im Gegensatz zu dem heute sehr gebräuchlichen seelisch-dramatischen Überschwang entgegenkommt, ande- rerseits die Parallele bildet zu den körpermechanischen, mathematischen Kostümen. Zudem wird das etwas Puppenhafte der Tänze mit dem spieldo- senähnlichen Musikalischen konform gehen oder aller Voraussicht nach eine Einheit schaffen, die dem Begriff Stil entspricht.“117

Bei der Aufführung vermisste Schlemmer jedoch in Teilen der Kompo- sition den Bezug zu den Tänzen. Das Ballett wurde in Donaueschingen zudem nur in Fragmenten aufgeführt und fungierte im Rahmen des Musikfestivals eher als Dreingabe zur vielbeachteten Arbeit Hindemiths. Die gestanzten Originalwalzen für Hindemiths Stücke, welche unter den damaligen Zuhörern Assoziationen an eine Drehorgel weckten, gelten als verschollen.118 Es ist aber eine Schellackaufnahme der Suite für eine mechanische Orgel (Umsetzung des ersten Teils des Triadischen Balletts) erhalten. Hindemiths Komposition erklang nur dieses eine Mal in der Öffentlichkeit, weil die für die Walzen benötigte mechanische Orgel belgischer Bauart schwer erhältlich war.119 Schlemmer hatte wegen der Komposition zu unterschiedlichen Mu- sikern Kontakt aufgenommen, unter ihnen Hans Heinz Stuckenschmidt und Ernst Toch. Auch eine Verbindung seiner Kunst mit Schönbergs Musik scheint für Schlemmer denkbar gewesen zu sein: „Wir schrieben dem Schönberg, ob er sich für Musikkomposition zu modernem Tanz interessiere.“ Schönbergs Reaktion fiel positiv aus: „Wenn sie meine Musik, der jeglicher Tanzrhythmus fehlt, dennoch für möglich halten, dann halte ich sie auch für möglich“120. Dieser Kontakt führte jedoch nicht zu einer Schlemmer zugedachten Komposition Schönbergs, son-

116 1921 hatte Schlemmer anlässlich der Tagung des Deutschen Werkbundes die Ausstattung der Uraufführungen von Hindemiths Operneinaktern Mörder, Hoffnung der Frauen und Das Nusch-Nuschi übernommen. Vgl. ebd., S. 398. 117 Ebd., S. 166. 118 Vgl. Stuckenschmidt 1976, S. 7. 119 Vgl. Kämper, Dietrich (Hrsg.): Der musikalische Futurismus, Laaber 1999, S. 249. 120 Schlemmer 1990, S. 7.

66 MUSIK AM BAUHAUS dern umgekehrt zu einem Bühnenbildentwurf Schlemmers für das Schönberg-Drama Die glückliche Hand, aufgeführt 1930 an der Kroll- oper in Berlin. Auch ein Treffen mit dem Dirigenten Hermann Scherchen 1927 in Ascona zeitigte keine konkreten Ergebnisse für Schlemmers Werk.121 Wie für Kandinsky und Schreyer, so gilt auch im Falle Schlemmers, dass sein Theater weniger durch klingende Musikalität, als vielmehr durch musikalische Prinzipien überzeugt. Joachim Noller bescheinigt den Bauhaustänzen, in denen Schlemmer das Expressive auf elementare Formen zurückführte, dass in ihnen das Musikalische bereits enthalten sei:

„Und obwohl er diesen Tänzen Musik unterlegt, wäre der reale Klang doch zu entbehren. Musik scheint aufzugehen im Tanz, in der Bewegung, in der Gestaltung von Figur und Raum. Es ist ein musikalisches Theater, das keiner Töne bedarf (und damit gestische Kompositionen der sechziger und siebziger Jahre antizipiert).“122

Intern spitzte sich die Situation für Schlemmer in Dessau zu. War er angetreten, um die Bühne „als Sammelpunkt des Metaphysischen gegenüber den allzusachlichen Tendenzen“123 zu etablieren, so kam die Hauptkritik nun aus einer anderen Richtung: Die zunehmend sozialis- tisch ausgerichtete Studentenschaft unter dem Direktorat Hannes Meyers zeigte wenig Interesse an Schlemmers abstrakten Ideen und forderte stattdessen eine stärkere Integration politischer Inhalte. 1929 folgte Schlemmer der Berufung an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau.

d. Kurt Schmidt und Hans Heinz Stuckenschmidt

Der Kandinsky-Schüler Kurt Schmidt war Kopf der Gruppe B, die sich bis 1925 an der Bauhaus-Bühne engagierte. Kern seiner Theaterarbeiten war, im Geiste Schlemmers, der Einsatz von Schauspielern als Teil eines beweglichen Bühnenbildes. Während aber Schlemmers Arbeiten auf einem metaphysischen Ansatz fußten, erging sich die Gruppe B in der konstruktivistischen Apotheose des Maschinenhaften. Schmidt wollte die Bühnenelemente wie auf einem bewegten, abstrakten Gemälde agieren lassen, also streng zweidimensional. Im Mechanischen Ballett (1923)

121 Vgl. Droste 1988, S. 203. 122 Noller, in: Floros/Geiger/Schäfer 2000, S. 25. Zum hier erwähnten Bezug auf das musikalische Theater in den 1960er Jahren, s. Kap. 4.2. 123 Zitiert nach: Droste 1988, S. 250.

67 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

„sollten die dynamischen Kräfte, die in den Formen der abstrakten Bilder verfestigt sind, losgelöst von der Bildkomposition, in Bewegung darge- stellt werden.“124 Die Figuren durften sich nur seitwärts bewegen, um den Eindruck von Raumtiefe zu vermeiden. Das Mechanische Ballett ist eines der wenigen Bauhaus-Bühnen- stücke, von deren Musikbegleitung mehr als ungefähre Anweisungen (wenn auch keine Aufnahmen) erhalten geblieben sind. László Moholy- Nagy hatte Hans Heinz Stuckenschmidt als Komponisten für diese The- aterproduktion eingeladen, die während der Bauhaus-Woche 1923 urauf- geführt werden sollte. Stuckenschmidts Erinnerungen an die Probearbeit geben einen der raren musikalischen Einblicke in die interdisziplinäre Arbeit am Bauhaus:

„Nach dem ersten gemeinsamen Essen ging ich mit Kurt Schmidt in sein Atelier. Da standen mannshohe Konstruktionen aus Pappe, Draht, Leinwand und Holz, alle in geometrischen Grundformen: Kreise, Dreiecke, Quadrate, Rechtecke, Trapeze, und natürlich in den Grundfarben Gelb, Rot und Blau. Schmidt hängte sich ein rotes Quadrat um, befestigte es mit Lederriemen so, daß er dahinter verschwand. Das gleiche taten zwei seiner Mitarbeiter mit einem Kreis und einem Dreieck. Dann tanzten diese seltsamen geometrischen Figuren, hinter denen unsichtbar ihre Träger verschwanden, einen geisterhaf- ten Reigen. An der Wand stand ein altes Klavier. Es hielt keine Stimmung und klirrte abscheulich. Ich improvisierte ein paar Akkorde und scharfe Rhyth- men. Sofort begannen die Pappfiguren zu reagieren. Ein abstrakter Tanz von Quadrat, Kreis und Dreieck wurde aus dem Stegreif erfunden. Nach vielleicht einer Viertelstunde stieg Kurt Schmidt aus seinem Quadrat, etwas atemlos zwar, aber durchaus zufrieden. Ich hatte instinktiv erraten und durchgeführt, was er sich vorstellte und was ihm vage vorschwebte: eine primitive Begleitungsmusik, die etwa den geometrischen Grundformen entsprach. Harmonisch bestand sie nur aus verketteten Dreiklängen, melodisch aus Volksliedfloskeln, rhythmisch aus Tanz- und Marschelementen. Das Klavier bearbeitete ich auf die Art George Antheils, mit Fortissimo-Explosionen und rasenden Glissandos quer über die Tastatur.“125

Hier klingen alle drei Prinzipien an, die das Verhältnis zwischen bilden- der Kunst, Theater und Musik am Bauhaus definierten: Es gibt syn- ästhetische Verknüpfungen, also assoziative Zuordnungen von Klängen und Farben. Das Stück strebt eine Art bewegte Malerei an, also eine Verzeitlichung der Bühnenelemente – hier bewegen sich sogar die Schauspieler, als seien sie ein Teil der Kulisse. Schließlich findet sich

124 Zitiert nach: ebd., S. 264. 125 Stuckenschmidt 1976, S. 6 f.

68 MUSIK AM BAUHAUS auch das Moment der Abstraktion, denn es gibt keine narrative Hand- lung. Das Bühnenkonzept ist (wie bei Kandinsky, Schlemmer und Schreyer) hochmodern und radikal, der angestrebte, gleichwertige musi- kalische Anteil der großen Bühnensynthese entsteht aber auch bei Kurt Schmidt eher zufällig: Es ist gerade ein junger Pianist anwesend, der sich an das verstimmte Instrument setzt und „floskelhafte Dreiklänge“ impro- visiert. Aus Stuckenschmidts weiterem Bericht geht jedoch hervor, dass unter der Studentenschaft großes Interesse an seinem speziellen Musik- wissen bestand:

„Von mir wollten sie wissen, was es Neues in der Musik gebe. Ich erzählte ih- nen von Erik Satie und den jungen Franzosen um Satie und Jean Cocteau, von Darius Milhaud, Francis Poulenc und Georges Auric, von dem Interesse für Jazz, das auch Igor Strawinsky teilte. Zu meinen jüngsten Berliner Eindrücken gehörten die Konzerte des amerikanischen Pianist-Futuristen George Antheil, der gerade in den Kreisen der Novembergruppe Aufsehen gemacht hatte.“126

Diese Episode deutet an, dass die Bauhäusler durch Stuckenschmidt für einige Monate die Gelegenheit erhielten, Einblick in den musikalischen Zeitgeist zu nehmen. Für Stuckenschmidts Ambition in der theoretischen Vermittlung spricht, dass er sich schon bald nach seinen Erfahrungen in Weimar vom Komponieren auf das Verfassen von Büchern und Essays verlegte.

e. Die Farbenlichtspiele als Übergangsform

Ging es Künstlern seit dem Kubismus um die Illustration von Bewegung im Bild, übertrugen Wassily Kandinsky, Kurt Schmidt und andere dieses Vorhaben als abstraktes Spiel der Farben und Formen auf die Bühne. Auch die Farbenlichtspiele (oder Farblicht- bzw. Farbtonmusik) gehören in den Kosmos der Ideen von einer kinetischen Darstellungsform. Ob- gleich den Farblichtprojektionen kein dauerhafter Erfolg beschieden war, markiert diese Kunstform in ihrem aufschlussreichen Scheitern den Übergang von der musikalisierten Malerei zum abstrakten Film. Die kurze Geschichte der Farbenlichtspiele am Bauhaus ist untrenn- bar mit dem Namen Ludwig Hirschfeld-Mack verbunden, der seine Arbeit als Fortsetzung der Malerei von Kandinsky und Klee mit anderen Mitteln verstand. Zu ihren abstrakten Studien schrieb er: „Hier sind alle Elemente für die tatsächliche Bewegung – Spannungen von Fläche zu Fläche im Raum, Rhythmus und musikalische Beziehungen im unzeitli-

126 Ebd.

69 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE chen Bilde vorhanden.“127 In einem Farbseminar untersuchte Hirschfeld- Mack 1922 die Wechselwirkungen der Primärfarben, indem er sie auf Tafeln in unterschiedlicher Weise miteinander kombinierte und zu Farb- intervallen und -akkorden systematisierte. Eine Anordnung von vier Farbflächen aus je drei Segmenten überschrieb er: „Die Quinten. Die vier Dreiklänge des zwölfteiligen Farbkreises.“128 Seine ersten praktischen Versuche mit farbigem Licht unternahm Hirschfeld-Mack ebenfalls 1922 zusammen mit Kurt Schwerdtfeger. Ei- ne frühe Fassung der Reflektorischen Lichtspiele zeigten beide auf der Bauhaus-Woche 1923. Sie projizierten das Licht dabei durch unter- schiedliche Schablonen auf eine transparente Leinwand.129 Es entstand ein quasi-filmisches Wechselspiel bewegter Lichtfelder:

„Lampen und Schablonen und die übrigen Hilfsmittel werden entsprechend der musikalischen Bewegung geführt. [...] So entsteht eine Art Orchester, in dem jeder der Mitwirkenden nach unserer notenblattartigen Niederschrift die Verrichtungen vornimmt, die [...] im Verlauf der Darstellung notwendig wer- den.“130

Die hier erwähnte „notenblattartige Niederschrift“ ist leider nicht erhal- ten geblieben – wohl aber eine „Modellpartitur“, die Hirschfeld-Mack 1925 zu dem Farbenlichtspiel Dreiteilige Farbsonatine anfertigte. Hier deutete er über nur drei Takte an, in welcher Weise die unterschiedlichen Elemente miteinander in Verbindung stehen sollten: Farben, Ton, Lam- pen und Schablonen koordinierte er, wie Lothar Schreyer in seinem Büh- nen-„Spielgang“, über die Takteinteilung. Hirschfeld-Mack mag die explizierte Eröffnungsszene ihrer Übersichtlichkeit wegen als Demons- trationsobjekt gewählt haben. Da das Spielgeschehen hier jedoch erst langsam in Gang zu kommen scheint, lässt sich etwa über die musikali- sche Strategie kaum etwas aus ihr ableiten: Hirschfeld-Mack nutzt durchgängige Viertelnoten und nur wenige Tonhöhen (allerdings ist auch in der Farbzeile lediglich dreimal „weiß“ notiert). Aus seiner Erläu- terung zu den Farbenspielen geht jedoch hervor, dass er eine Musik- begleitung für unerlässlich hielt, da eine „zeitlich-rhythmische Darstel-

127 Zitiert nach: Moholy-Nagy, László: Malerei, Fotografie, Film (Heraus- gegeben von Hans M. Wingler), Mainz: Kupferberg 1978, S. 78. 128 Vgl. Metzger, Christoph: Musik am laufenden Band – eine kleine Musik- geschichte des Bauhaus, in: Fiedler, Jeannine/ Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999, S. 143. 129 Adrian Klein beschrieb die Verfahrensweise als „aufeinanderfolgende Farbgruppen, die der Komponist frei variieren konnte, die aber während der Projektion ihre Position im Bild beibehielten“. Klein, Adrian B.: Colour Music. The Art Of Light, London: Lockwood 1926, S. 163. 130 Zitiert nach: Moholy-Nagy 1978, S. 79.

70 MUSIK AM BAUHAUS lung“, wie die der bewegten Farbformflächen, durch akustische Gliede- rung verständlicher würde: „Jedenfalls haben wir in der Erkenntnis dieser Notwendigkeit bei einigen der Spiele eine mit ihnen verflochtene Musik in einfachen Rhythmen festgelegt.“131 Obwohl Hirschfeld-Macks Äuße- rung so gedeutet werden könnte, als habe er die Musik als eine Zutat be- trachtet, die nun einmal nicht zu vermeiden sei132, komponierte er die Klavierbegleitung zu seinen Lichtspielen überwiegend selbst. Hirschfeld-Mack hoffte, „mit den Farbenlichtspielen einer neuen Kunstgattung näher zu kommen.“133 Die ihm zur Verfügung stehenden Mittel erwiesen sich aber schon bald als begrenzt. Obwohl er behauptete, nach vielen Versuchen „der Zufälligkeiten Herr“134 geworden zu sein, galt die gesamte Farblichtmusik kritischen Zeitgenossen als unflexibel und willkürlich. In seinem Standardwerk Colour Music. The Art Of Light (1926) zweifelte Adrian Klein den künstlerischen Wert der neuen Gattung an, weil die Farblichtmusiker keinen vergleichbar exakten Ein- fluss auf ihre Werke hätten wie Maler auf ihr Bild. Zu den technischen Unzulänglichkeiten der Farblicht-Gerätschaften gesellte sich das alte Problem aller Farbe-Klang-Zuordnungen, von den Systemen Isaac Newtons und Louis Bertrand Castels135 bis zu denen von Skrjabin oder Kandinsky: ihre Subjektivität. Bekannte Vertreter der Farblichtmusik wie Alexander László, Alexander Wallace Rimington oder Vladimir Bara- noff-Rossiné verfolgten in der Analogiebildung ebenfalls keine einheitli- che Strategie. Die Einlösung der mit der Farblichtmusik verbundenen Hoffnungen sah dagegen manch einer durch die Möglichkeiten des abstrakten Films gegeben.136 Schon im April 1921 erschien anlässlich des Films Pho-

131 Ebd. 132 Steffen Schleiermacher unterstützt diesen Eindruck durch seinen Hinweis, dass die Komposition für Hirschfeld-Mack weniger von ästhetischer Notwendigkeit gewesen sei, sondern „eindeutig (und eingestandener- maßen) die Funktion hatte, die Stille während der Vorführungen zu überdecken, die Geräusche der Projektoren zu kaschieren.“ Schlei- ermacher 1999, S. 30. 133 Zitiert nach: Moholy-Nagy 1978, S. 78. 134 Ebd. 135 Vgl. Kap. 1.2, Fußnote 26. 136 Adrian Klein bezeichnete den Film als das „direkteste Mittel, nahezu alles, was sich die Pioniere der Farblichtmusik erträumt hatten, zu realisieren.“ Klein 1926, S. 19. Ebenfalls 1926 prognostizierte der Filmemacher Victor Schamoni: „Reizvoller dürfte es für jeden Schaffenden sein, seine Gestaltungen in endgültiger, unverderbbarer, seinem eigenen Willen entsprechender Fassung zu wissen, die überall vorzuführen ist. Das Lichtspiel dürfte im absoluten Film seine idealste Verkörperung finden, jenes Lichtspiel, das Licht durch bewegte Farben und Formen reizvoll für das Auge so organisiert, wie seither für das Ohr die Töne gestaltet sind.“ Schamoni, Victor: Das Lichtspiel. Möglichkeiten des absoluten Films, Hamm: Reimann 1926, S. 38.

71 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE todram op.1 von Walther Ruttmann in der Frankfurter Zeitung ein eu- phorischer Artikel unter dem Titel Eine neue Kunst. Die Augenmusik des Films:

„Das Drängen der expressionistischen Malerei nach Bewegung, die kinohafte Hast im rasenden Durcheinander der tausend Anspielungen eines futuristi- schen Bildes – diese ganze Unmöglichkeit, eine zeitliche Reihe von Vorgängen und Assoziationen im räumlichen Nebeneinander zu bannen: sie findet in der neuen Filmkunst ihre Erfüllung – ihre Erlösung aus dem Raum in die Zeit. Die Malerei hat sich mit der Musik vermählt. Die Grenzsetzungen in Lessings „Laokoon“ sind unbestimmter geworden. Es gibt eine Augenmusik.“137

Zahllose Musikmetaphern in der Auseinandersetzung mit dem abstrakten Film sprechen für die dichte Orientierung dieser neuen Kunstform an der Musik. Der Filmemacher Hans Richter schrieb sogar, dass Ferruccio Busoni ihm das Kontrapunktstudium empfohlen habe, um seine Versu- che mit „positiven und negativen Formen“ zu unterstützen.138 Der schwedische Filmkünstler Viking Eggeling nutzte Goethes und Kandins- kys Wendung vom „Generalbaß der Malerei“ zur Beschreibung seines Ansatzes, durch Anlehnung an musikalische Prinzipien zu einer „neuen Ordnung“ zu gelangen.139 Wieder waren es vornehmlich die abstrakten Strukturprinzipien der Musik, die den Künstlern als Vorbild dienten. Theo van Doesburg brachte 1921 das ungelöste Problem einer angemes- senen Musikbegleitung ins Spiel, als er den abstrakten Film in der Zeit- schrift De Stijl als „Dynamo-Plastik“ bezeichnete, die durch musikali- sche Kompositionen unterstützt werden könne, „wobei sowohl die Instrumentation als auch der Inhalt völlig neu sein muß.“140 Ich werde in Kapitel 2.6 zeigen, dass dieser Gedanke einer generellen Neudefinition von Musik durch László Moholy-Nagy auch am Bauhaus aufgenommen und weiterentwickelt wurde.

137 Bernhard Diebold, zitiert nach: de la Motte-Haber 1990, S. 199. 138 Richter, Hans: DADA - Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln: DuMont Schauberg 1978, S. 62. In seinem Film Rhythmus 23 (1921/24) verwendete Richter ausschließlich die Bewegung von geometrischen Formen unterschiedlicher Größe. Richter glaubte, an einer allgemein verständlichen Kunstform zu arbeiten: „Die abstrakten Formen bieten die Möglichkeit, alle nationalen Sprachgrenzen zu über- winden. Eine Grundlage dafür bildet die bei allen Menschen gleiche Wahr- nehmungsfähigkeit. Sie läßt auf eine universale Kunst hoffen, die es vorher nie gegeben hat.“ Richter, Hans: Meine Erfahrungen mit Bewegung in Malerei und Film, in: Kepes, G.: Wesen und Kunst der Bewegung, Brüssel: La Connaissance 1969, S. 144. 139 Richter 1978, S. 78 f. 140 Zitiert nach: von Maur 1985, S. 224.

72 MUSIK AM BAUHAUS

Hinsichtlich der Arbeiten Hirschfeld-Macks lässt sich feststellen, dass sie aus dem typischen Ideenmaterial der Bauhaus-Bühne schöpften. Deshalb hat für die Lichtspiele der gleiche Hinweis zu gelten wie für das Theater von Kandinsky, Schreyer, Schmidt und Schlemmer: Die beschriebenen Mängel (vor allem aus musikalischer Sicht) verlieren an Signifikanz, wenn man die Bauhaus-Bühne vornehmlich als „Versuchsballon“ oder Laboratorium versteht. Trotz dieser Einschränkung zeigt sich im direkten Vergleich zwischen den Farbenlichtspielen und dem abstrakten Film eine allgemeine Tendenz: Die Übernahme zeitlicher Strukturen in der bilden- den Kunst funktioniert überzeugender als die künstlerische Analogiebil- dung zwischen Farben und Klängen. Im gegebenen Fall: Das kontra- punktische Prinzip des abstrakten Films eröffnet zahlreiche Möglichkei- ten, während die Farblichtmusik beständig droht, in eine künstlerische Klemme zu geraten. Dabei lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten zwi- schen beiden Kunstformen ausmachen, denn sie befinde sich gleicher- maßen auf der Suche nach einem Regelwerk als Ersatz für die weggefal- lene Verpflichtung auf das Gegenständliche. Zudem veranschlagen sie beide den Ausgangspunkt einer neuen Ordnung in der Musik. Ein ent- scheidender Unterschied liegt in ihrem Verhältnis zur (Natur-)Wis- senschaft: Die Farbe-Klang-Forschung versucht bis in die 1920er Jahre, Analogien mit mathematischen oder physikalischen Mitteln zu berech- nen, während heutige Erkenntnisse die Aussage erlauben, dass sich Ü- bereinstimmungen auf der Materialebene nicht wissenschaftlich begrün- den lassen: Farbe und Klang besitzen unterschiedliche Formalstrukturen, die objektive Übertragungen verhindern.141 Deswegen erscheint es nur folgerichtig, dass die Analogiebildungen zwischen Tönen und Farben so unterschiedlich ausfallen und sich somit der regelhaften Erkenntnis ent- ziehen. Die Annahme der Materialgleichheit kann auch im 20. Jahrhun- dert nicht anders, als dem romantischen (und tief subjektiven) Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet zu bleiben. Im abstrakten Film liegen die Dinge anders, obwohl auch die ange- nommenen Strukturäquivalenzen zwischen den Raum- und den Zeit- künsten besonderen Antrieb durch wissenschaftliche Erkenntnisse er-

141 Die begrenzte Vergleichbarkeit von Farbe und Klang lässt sich etwa dadurch veranschaulichen, dass Schallwellen im Bereich von maximal 16- 20.000 Hz zu hören sind, während das Farbspektrum einen Bereich von 400-800 Billionen Schwingungen pro Sekunde abdeckt. Das für den Hörvorgang wesentliche psychische Phänomen der Oktavempfindung (durch Verdoppelung der Ausgangsschwingung) kann somit auf optischer Ebene nicht stattfinden, da mit einer einzigen Verdoppelung bereits der gesamte, für das menschliche Auge wahrnehmbare Wellenbereich ausgeschöpft ist. Vgl. Rösing, Helmut: Musik und bildende Kunst. Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Medien, in: International Review Of The Aesthetics And Sociology Of Music 2, Zagreb: Yugoslav Academy of Sciences and Art 1971, S. 71.

73 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE hielten. Albert Einsteins Definition der Zeit als der vierten Dimension des Raumes löste eine ganze Welle pseudo-wissenschaftlicher Kunstbe- trachtungen aus, deren Hauptthema ein Zusammendenken von Kunst und Musik war. Nur standen hier weniger die Komplexität und Beweiskraft der Relativitätstheorie zur Debatte als vielmehr ihre pragmatische An- wendung zur Legitimation von Gattungsüberschreitungen. Mithin lassen sich zwei entgegengesetzte Blickrichtungen zwischen Kunst und Wissenschaft feststellen: Während die Arbeit an räumlich- zeitlichen Wechselwirkungen den Kunstbereich nicht verlässt, wird zur Erstellung definitiver Farbe-Klang-Analogien die mathematische Berechnung auf ein Gebiet vorgelassen, das letzten Endes in der Subjek- tivität zu verbleiben hat. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass die künstlerische Erforschung intermodaler Sinneseindrücke in den 1920er Jahren an Bedeutung verlor, während das Verhältnis von Zeit und Raum seinen Platz im Zentrum interdisziplinärer Fragestellungen bis heute be- hauptet hat.

f. Utopische Konstruktionen und Politisierung

Viele Arbeiten der Bauhaus-Bühne ergingen sich in Theaterarchitektu- ren, deren praktische Umsetzbarkeit in weiter Ferne lag. Ihnen gemein war eine ausgefeilte Bühnenmechanik zur Umwandlung der traditionel- len Guckkastenperspektive in ein mehrdimensionales Gebilde, wie es schon Alexander Skrjabin vorgeschwebt hatte142: Alexander Schawinsky stellte 1926 das Modell für ein Raumtheater vor; Andor Weininger zog mit seinem Kugeltheater nach. Weiningers Konstruktion war ausschließ- lich für mechanische Darstellungen gedacht. Das Publikum gruppierte sich um ein bis zur Decke reichendes Spielgerüst aus Plattformen, Stegen und -Bändern. In Schawinskys Raumbühne waren die Spielorte auf unterschiedlichen Höhenniveaus angeordnet. Mechanische Schauspiele sollten hier mit den Aktionen menschlicher Darsteller kombiniert werden können. Die Zuschauer waren auf „Inseln“ zwischen den Spielorten positioniert und konnten dem Schauspiel aus verschiedenen Blickwin- keln heraus folgen.143 Weitere Entwürfe dieser Art waren das U-Theater von Farkas Molnar und Joost Schmidts Mechanische Bühne, die später als Modell von Heinz Loew verwirklicht wurde; Walter Gropius plante in Berlin für die Stücke Erwin Piscators ein Totaltheater; Roman Clemens präsentierte 1929 sein Spiel aus Form, Farbe, Licht und Ton, das mit „jazzartiger Musik“144 untermalt werden sollte.

142 Hierzu und zum Folgenden vgl. Wesemann 1999, S. 536 ff. 143 Vgl. Droste 1988, S. 254 f. 144 Zitiert nach: von Maur 1985, S. 206.

74 MUSIK AM BAUHAUS

Eine gänzlich andersartige Abspaltung innerhalb der Bühne ergab sich unter dem Direktorat von Hannes Meyer, der zwar darum bemüht war, die Bühne zu erhalten, den schon geringen Etat aber weiter kürzte. 1928 fand sich die Junge Gruppe zusammen, die im Wesentlichen zwei Ziel- setzungen verfolgte: die Arbeit im Kollektiv sowie den Einbezug politi- scher Inhalte, der einen verstärkten Rückgriff auf das gesprochene Wort mit sich brachte. Die Junge Gruppe erarbeitete den Sketsch Nr.1: Drei gegen eine und die Bauhausrevue: Besuch aus der Stadt bei Professor L.. Letzteres Stück thematisierte die internen Verhältnisse am Bauhaus. Auch Schlemmer geriet dabei in die Schusslinie, weil er sich weiter mit der vermeintlich unpolitischen Erforschung elementarer Bühnenelemente beschäftigte. Trotz der gegensätzlichen Auffassungen von Theater integ- rierte Schlemmer den Sketsch in das Tournee-Programm, mit dem die Bauhaus-Bühne 1928 in verschiedenen deutschen Städten gastierte.

Einschub: Schulpolitik

Walter Gropius etablierte das Bauhaus nicht nur in seiner frühen, expressionistischen Ausprägung; vier Jahre nach der Gründung war er auch für den inhaltlichen Umschwung der Hochschule verantwortlich.145 Schon 1922 deutete sich in den Planungen für eine (allerdings nicht realisierte) Bauhaus-Siedlung an, dass er zu seinem technisch-konstruk- tiven Interesse der Vorkriegszeit zurückfand. Statt Holz trat die Ver- wendung von Stahlbeton und großer Glasflächen in den Vordergrund. Zunehmend ornamentlose Typenproduktion verdrängte die individuelle Einzelanfertigung. Anlässlich der Bauhaus-Ausstellung 1923 verkündete Gropius einen neuen Leitspruch, der von nun an für das Bauhaus gelten sollte: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“. Aufgrund dieser Haltung geriet Gropius in Konflikt mit dem weiterhin expressionistisch orientierten Johannes Itten. Die Auseinandersetzungen führten schließ- lich zum Weggang Ittens vom Bauhaus. Als paradigmatischen Ersatz stellte Gropius den Ungarn László Moholy-Nagy ein, der die konstrukti- vistische Wende des Bauhaus einleitete. Die politischen Umstände in Weimar wurden für das Bauhaus ungünstiger, als sich im Februar 1924 die Mehrheitsverhältnisse im Thü- ringischen Landtag änderten. Bis dahin war die Schule von der sozialde- mokratischen Regierung als Teil einer umfassenden Ausbildungsreform gefördert worden. Im direkten Weimarer Umfeld sah sich das Bauhaus dagegen beharrlichen Anfeindungen seitens der eingestammten Instituti- onen des konservativen Bürgertums ausgesetzt. Obwohl Gropius darum

145 Hierzu und zum Folgenden vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 26-32, 180 ff.

75 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE bemüht war, das Bauhaus nach außen hin als politisch neutral darzustel- len, stand die Schule im Verdacht, ein Hort subversiver Quertreiberei zu sein. Als die Rechtsparteien die Landtagsmehrheit erhielten und eine weitere Förderung versagten, stand das Bauhaus in Weimar vor dem Aus. In Erwartung dieser Entwicklung hatten Gropius und der Meisterrat Übernahmegespräche mit den Verantwortlichen in verschiedenen Städten aufgenommen. Der Dessauer Bürgermeister Fritz Hesse gab Ende 1924 die Zusage, das Bauhaus zu fördern und ein Schulgebäude errichten zu lassen. Der Umzug nach Dessau erfolgte zum April 1925. In Dessau wurde erstmals die eigentlich schon seit der Schulgrün- dung angestrebte Architektenausbildung verwirklicht. Die Leitung der Architekturabteilung übernahm der Schweizer Hannes Meyer, der 1928 auch Gropius’ Nachfolger als Direktor wurde. Mit Meyer als Direktor verstärkte sich die sozialistische Strömung innerhalb der Schule. Er war vom sowjetischen Konstruktivismus beeinflusst, dessen Erzeugnisse sich nach den Bedürfnissen der (sozialistischen) Arbeiterschaft richteten.146 Schon 1930 löste ihn allerdings Ludwig Mies van der Rohe ab, der die Schule wieder entpolitisierte und die Architektur endgültig in den Mittel- punkt der Ausbildung stellte. Nach der Selbstauflösung des Bauhaus 1933 wurde Mies ein allzu neutrales Verhalten im Umgang mit den Nationalsozialisten vorgeworfen – eine Haltung, mit der der letzte Di- rektor vergeblich versuchte, der drohenden Schließung des Bauhaus zu begegnen.

2.5 László Moholy-Nagy und das konstruktivistische Bauhaus

Obwohl László Moholy-Nagy für die Begeisterung von den Möglich- keiten moderner Technik bekannt wurde, trägt seine Philosophie durch- aus humanistische Züge. Er glaubte an das Versprechen einer neuen Welt aus dem Geist der Gestaltung:

„das gesamtziel: der ganze mensch, der mensch, der von seiner biologischen mitte her allen dingen des lebens gegenüber wieder mit instinktiver sicher- heit stellung nehmen kann, der sich heute genau so wenig von industrie,

146 Hannes Meyer leistete der Kritik an seinem politischen Führungsstil nach seiner Entlassung 1930 weiteren Vorschub, als er mit einigen Studenten, der „roten Bauhaus-Brigade“, eine Reise nach Moskau antrat, „um dort beim Aufbau des Sozialismus mitzuhelfen.“ Zitiert nach: Droste 1990, S. 200.

76 MUSIK AM BAUHAUS eiltempo, äußerlichkeiten einer oft missverstandenen ‚maschinenkultur’ überrumpeln lässt.“147

Moholy-Nagy wollte den Menschen systematische Werkzeuge zur sinn- lichen Aneignung ihrer Lebenswelt an die Hand geben. Seine Arbeit lässt sich somit nicht allein als Verherrlichung der Moderne verstehen, son- dern ebenso als pragmatischer Versuch, den negativen Seiten des Fort- schritts zu begegnen. Symbolistische und dekorative Elemente hatten bei Moholy-Nagy der übersichtlichen Organisation der Sinneserfahrung zu weichen, die in der Reduktion ihr Stilmittel fand. Aus dem Verständnis der Einzelelemente sollte die Auffassung des undurchschaubaren Ganzen erwachsen. Von Haus aus Maler, strebte er stets nach der Grenzüber- schreitung und interessierte sich jeweils früh für den Einsatz neuer Medien. Der 1895 in Ungarn geborene Moholy-Nagy veröffentlichte ab 1918 Aufsätze in der kommunistischen Avantgarde-Zeitschrift MA (dt. heute). 1922 hatte er seine erste Einzelausstellung in Herwarth Waldens Berliner Galerie Der Sturm, bevor ihn Walter Gropius 1923 nach Weimar holte. Noch in den ersten Jahren am Bauhaus hatte Moholy-Nagys konstrukti- vistischer Ansatz auch eine politische Dimension: Mit der Idee einer uni- versellen Erziehbarkeit des Menschen verband er die Hoffnung auf eine Verständigung über nationale Grenzen hinweg – dies sollte helfen, den Sozialismus weiter zu tragen und „die Revolution in materielle Realität zu übersetzen“148. Ideologisch derart aufgeladene Äußerungen fanden sich bei Moholy-Nagy später nicht mehr. Es ging ihm zunehmend darum, soziale Gegensätze durch die neue Gestaltung aller Lebensbereiche auf- zuheben. In Absetzung zum frühen, expressionistischen Bauhaus setzte er dabei auf die industrielle Produktionsweise. Moholy-Nagy sah im tra- ditionellen Handwerk aufgrund hoher Kosten die Gefahr der Luxusfabri- kation – eine Entwicklung, die sich an den teuren Liebhaberstücken, die mitunter in den Bauhaus-Werkstätten entstanden, durchaus ablesen lässt. Als 1928 mit Hannes Meyer ein engagierter Sozialist das Direktorat übernahm, verließ Moholy-Nagy das Bauhaus, obwohl sich beide über die positiven Effekte der Typenproduktion einig waren. Dass sich der Ex-Kommunist Moholy-Nagy über Umwege sogar in den Vereinigten Staaten niederließ, um dort das New Bauhaus zu einer amerikanischen Designerschmiede zu machen, mag viel mit Zufall zu tun gehabt haben – möglich aber wurde diese Entwicklung erst durch seine Abkehr von kon-

147 Moholy-Nagy 1929, S. 18. 148 Moholy-Nagy, Sibyl: Moholy-Nagy. Experiment in Totality, Cambridge: MIT Press 1969, S. 44.

77 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE kret politischen Inhalten, hin zu einer aufklärerischen Gestaltungsphilo- sophie.149

a. Moholy-Nagy am Bauhaus

Als Moholy-Nagy 1923 die Metallwerkstatt und einen Teil des Vorkur- ses übernahm, hatten sich die konstruktivistischen Tendenzen am Bauhaus bereits auszubreiten begonnen.150 Moholy-Nagy verlängerte den Vorkurs von einem halben auf ein ganzes Jahr und verlieh ihm sachlich- wissenschaftlichen Anstrich. Statt des ausführlichen Zeichenunterrichts bei Itten ließ er vor allem dreidimensionale Gleichgewichtsstudien bau- en. Ergaben sich Anknüpfungspunkte zu Itten, wenn etwa Moholy-Nagy seine Studenten die Beschaffenheit verschiedener Materialien ertasten ließ, so geschah dies nicht zur Bildung des individuellen Charakters, sondern zur Erstellung objektiver Wertigkeiten. Einen Verbündeten hatte Moholy-Nagy in Josef Albers, der den größeren Teil des Vorkurses, die sogenannte Werklehre, unterrichtete. Albers, der selbst schon 1920 an das Bauhaus gekommen war, betrieb eine philosophische Umdeutung expressionistischer Lehrinhalte: Die Schulung der Sinneskompetenz hatte in seinem Unterricht nichts Metaphysisches, sondern diente dem Umgang mit den Erfordernissen der modernen (Arbeits-)Welt.151 Auch in ihren eigenen Arbeiten verfolgten Moholy-Nagy und Albers eine ge- meinsame Strategie: Das In-Bewegung-Setzen des Blickes. Wo Albers versuchte, der zweidimensionalen Bildfläche mit zeichnerischen Mitteln eine dritte Dimension zu verleihen, da verlagerte sich Moholy-Nagys Interesse von der Malerei auf die Lichtskulptur, die die Aufmerksamkeit des Betrachters in verschiedene Richtungen lenkte und der Wahrneh- mung so mehrere Optionen überließ. Moholy-Nagy interessierte sich besonders für die Darstellung der veränderlichen Wechselwirkungen von Licht und Schatten. Er hatte schon auf Bildern, Fotografien und Fotogrammen versucht, anhand impliziter Streckenverläufe eine Bewegungsebene zu integrieren. Das

149 Tatsächlich findet sich bei Moholy-Nagy als Grenzgänger zwischen den Systemen eine interessante Überschneidung zwischen den Gedankenwelten des Kommunismus und des amerikanischen Fordismus, denn beide Philo- sophien standen den gesellschaftlichen Auswirkungen moderner Produktion optimistisch gegenüber (auch Marx richtete sich lediglich gegen die kapita- listische Ausbeutung der Arbeiter, nicht aber gegen den Einzug der Technik selbst). Vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 24. 150 Hierzu und zum Folgenden vgl. Schmitz, Norbert M.: László Moholy-Nagy, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999b, S. 292-307. 151 Vgl. Schmitz, Norbert M.: Der Vorkurs unter Josef Albers – Kreativitätsschule, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bau- haus, Köln: Könemann 1999d, S. 376 ff.

78 MUSIK AM BAUHAUS

Bewusstsein um die begrenzten kinetischen Möglichkeiten in letztlich statischen Medien brachte ihn dazu, seine Vorstellungen auf einem ande- ren Gebiet zu verwirklichen: „Ich träume von Lichtapparaten [...], nur der Bauherr fehlt, der mir den Auftrag gibt für ein Lichtfresko, eine Lichtarchitektur“152. Moholy-Nagy konstruierte seine bewegten Licht- spiele schließlich auch ohne Auftraggeber. Veit Loers beschreibt den Licht-Raum-Modulator, an dem Moholy-Nagy von 1922 bis 1930 arbei- tete, als eine Art utopisches Instrument:

„Der ‚Licht-Raum-Modulator’ [war] kein phantastisches Spielzeug für Licht- und Schattenwirkungen, sondern eine kosmische Maschine, die über Punkt, Linie und Fläche räumliche Vorstellungen evozieren sollte. In seiner ur- sprünglichen Präsentation, umgeben von einem Kasten und von unsichtbaren Farbbirnchen wechselnd beleuchtet, konnte es Einblick geben in den Vorhof der Vierten Dimension, begreifbar für jeden.“153

Moholy-Nagy bezeichnete sich selbst bisweilen als „Lichtner“154. Er betrachtete schon das Farbpigment in der herkömmlichen Malerei in erster Linie als Lichtträger und glaubte, dass die Gestaltung von direktem Licht die in der Malerei angestrebte Wirkung intensivieren könne. Die Beherrschung der Lichtprojektion in dem Maße, wie große Maler ihre Farbpalette beherrschten, sah Moholy-Nagy als zukünftige Aufgabe an. Schon in der Filmarbeit lichtspiel scharz-weiss-grau (1930), einer Bewe- gungsstudie des Licht-Raum-Modulators, wurde die Nähe seiner Überle- gungen zum abstrakten Film deutlich. Auch in seinen theoretischen Büh- nenarbeiten ging er von der Lichtgestaltung als formbildendes Element aus.

b. Moholy-Nagys Bühnenprojekte

Moholy-Nagy war kein festes Mitglied der Bauhaus-Bühne, doch er veröffentlichte seine Ideen zum Theater in den Bauhaus-Büchern, die er zusammen mit Gropius herausgab. Auch inhaltlich war der Ungar als „Lichtner“ an der Bühne ein Sonderfall, zumal es ihm in Abgrenzung zu Hirschfeld-Mack und dessen Lichtprojektionen nicht um synästhetische Zuschreibungen ging. Die musikalischen Implikationen seiner Arbeit wa- ren anderer Natur, wie etwa die Mechanische Exzentrik zeigt, die eine abstrakte Verbindung der Bühnenelemente vorsah: Moholy-Nagy plante

152 Schmohl 1998. 153 Veit Loers, in: Jäger, Gottfried/Wessing, Gudrun (Hrsg.): Über Moholy- Nagy. Ergebnisse aus dem Internationalen László Moholy-Nagy Symposium, Bielefeld 1995, Bielefeld: Kerber 1997, S. 162. 154 Zitiert nach: Schmitz 1999b, S. 299.

79 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE eine dreigeteilte Tribüne, die durch Projektionen gestaltet werden sollte. In einem erläuternden Aufsatz beschrieb er die damit verbundenen Hoff- nungen: „Die Unzulänglichkeit ‚menschlicher’ Exzentrik155 führte zu der Forderung einer bis ins Letzte beherrschbaren, exakten Form- und Be- wegungsorganisation, welche die Synthese der dynamisch konstrastie- renden Erscheinungen (von Raum, Form, Bewegung, Ton und Licht) sein sollte.“156 Moholy-Nagy erwartete von der Beschränkung auf mechanisch ge- steuerte Bewegungsvorgänge ein „Theater der Totalität“, in dem der per- sönliche Ausdruck keinen Platz haben sollte. Auch die Musik war Teil dieser Überlegungen:

„Die TONGESTALTUNG wird sich in Zukunft der verschiedenen Schallapparate mit elektrischem und anderem mechanischen Betrieb bedienen. An unerwar- teten Stellen auftretende Schallwellen – z.B. eine sprechende oder singende Bogenlampe, unter den Sitzplätzen oder unter dem Theaterboden ertönende Lautsprecher, Schallverstärker – werden u.a. das akustische Überraschungsni- veau des Publikums so heben, daß eine auf anderen Gebieten nicht gleich- wertige Leistung enttäuschen muß.“157

Die Mechanische Exzentrik bestand aus drei Bühnen auf unterschiedli- chen Höhenniveaus. Eines dieser Podeste war für mechanische Musikap- parate vorgesehen, die beiden anderen für kleinere und größere Bewe- gungen, Film- und Lichtprojektionen.158 Die Partitur war in vier „Kolon- nen“ aufgeteilt: In den ersten beiden waren „in senkrecht abwärtsgehen- der Kontinuität“ Formen und Bewegungen der Projektionen notiert. Die dritte Kolonne schrieb die Farbigkeit des Lichts vor, wobei die Breite der Streifen die Dauer anzeigte. Die vierte Kolonne war der Musik zugeord- net. Zur Koordination der verschiedenen Elemente schrieb Moholy-

155 Das Wort „Exzentrik” benutzte Moholy-Nagy in seiner Nebenbedeutung als „körperliche Akrobatik“. 156 Moholy-Nagy 1978, S. 46. 157 Ebd., S. 53. 158 Eine wichtige Anregung für diese Konstruktion ging von Piet Mondrian aus, der für die Präsentation der „Musik der Neuen Gestaltung“ ein umfas- sendes audiovisuelles Environment erdacht hatte: „Der neue Musiksaal muß das Kommen und Gehen erleichtern, die Sitze sollen ohne Störung eingenommen und verlassen werden können. Die Akustik muß sich den Forderungen der Tongeräusche - flächig, primär, präzis - anpassen. Die Kompositionen werden von Zeit zu Zeit wiederholt und die Zwischenakte werden durch Lichtbild-Projektionen mit Malerei der ,Neuen Gestaltung’ ausgefüllt. Später könnte man dazu übergehen, parallel zur Musik farbige und farblose Rechteck-Kompositionen in filmischem Ablauf zu projizieren und so eine Art Totalkunstwerk von Malerei und Musik zu schaffen. Auf diese Weise wird die Musik [...] plastisch und die Bildkunst zeitlich dargestellt.“ Zitiert nach v. Maur 1985, S. 401.

80 MUSIK AM BAUHAUS

Nagy: „Die Gleichzeitigkeit ist in der Partitur aus der Horizontalen zu lesen“159. Wie die Musik zu klingen habe, war in dieser Planung „nur in den Absichten angedeutet. Die farbigen Vertikalstreifen bedeuten verschie- denartig heulende Sirenentöne, die einen Großteil der Vorgänge beglei- ten.“160 Moholy-Nagy wies im Untertitel der Mechanischen Exzentrik explizit darauf hin, dass es sich lediglich um eine Skizze handelte, die enthaltenen Angaben also nicht endgültig waren. Doch selbst wenn man den vorläufigen Charakter der Partitur berücksichtigt, reihen sich die hier dokumentierten klanglichen Vorstellungen in die musikalische Ratlosig- keit aller Bühnenprojekte am Bauhaus ein. Diese Unzulänglichkeit rela- tiviert sich – deutlicher noch als bei den übrigen Bühnenschaffenden – durch einen Blick auf das Gesamtwerk Moholy-Nagys: Seine Arbeiten gewannen ihre Bedeutung nicht immer durch die Funktionstüchtigkeit eines Endprodukts, sondern häufig daraus, dass sie Horizonte eröffneten und Denkanstöße gaben. Manche seiner Ideen lesen sich fast wie Vorla- gen für Künstler, die in technisch besser gestellten Zeiten an ihnen wei- terarbeiten sollten. So ist auch die Mechanische Exzentrik laut Dirk Scheper „allenfalls computergesteuert denkbar“161. Die praktische Be- deutung solch visionärer Entwürfe ist Moholy-Nagy durchaus bewusst gewesen: Er glaubte, dass es „nur der richtigen fragestellung“162 bedürfe, um eine künstlerische Entwicklung auf den Weg zu bringen. Ähnlich wie Kandinsky in seinen Bühnenaufsätzen, benutzte Moholy-Nagy den Aus- druck des „vorbereitungsstadiums“ zur Charakterisierung seiner Arbeit. Moholy-Nagy verließ das Bauhaus 1928 aus Solidarität mit Gropius, der intern in die Kritik geraten war.163 Zunächst leitete Moholy-Nagy ein Büro für Grafikdesign in Berlin, bevor er 1934 über Amsterdam nach London emigrierte. Ab 1937 setzte er seine Arbeit in Amerika fort. Wiederum war es Gropius, der ihn als Leiter des neu gegründeten New Bauhaus in Chicago vorschlug.

159 Moholy-Nagy 1978, S. 44. 160 Ebd. 161 Scheper, in: Droste 1988, S. 280. 162 Zitiert nach: Schmitz 1999b, S. 297 ff. 163 Moholy-Nagy zeigte sich bei seinem Rücktritt enttäuscht über die seiner Meinung nach mangelnde Experimentierfreude am Bauhaus: „Das Bauhaus hat aufgehört, gegen den Strom zu schwimmen. Wir sind in Gefahr, genau das zu werden, was wir als Revolutionäre bekämpften: eine Schule, die nur das Endprodukt bewertet und die Gesamtentwicklung des ganzen Menschen ignoriert.“ Zitiert nach: Schmohl 1996.

81 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

2.6 Der beherrschte Klang

Die 1920er Jahre waren in musikalischer Hinsicht vom Verhältnis zur Technik geprägt. Eine die Musiklandschaft in ihren Grundfesten er- schütternde Diskussion entbrannte um die Möglichkeiten und Konse- quenzen mechanischer Klangerzeugung. Die Mechanisierung stellte in Aussicht, die Vorstellungen der Komponisten vom Können der Interpre- ten zu befreien, denn die Technik sollte eine präzise Reproduktion auch schwierigster Stücke sicher stellen. Unter den veränderten Bedingungen eines neuen Mediums ließ sich zudem die Schaffung einer neuen Musik erwarten. Die mögliche Ablösung der Musiker durch die Musikmaschine markierte für ihre Verfechter, unter ihnen die Futuristen, den unaus- weichlichen Weg in die Zukunft. Konservativeren Kräften galt sie als Zeichen für den Untergang der Musikkultur schlechthin. Unmenschlich- keit und Sterilität des Klangbilds wurden befürchtet, ganz abgesehen von der in Frage gestellten Funktion der Instrumentalisten. Paul Hindemith gehörte zu den Komponisten, die zwischen diesen beiden Positionen abzuwägen wussten. Er hatte 1927 einen Aufsatz mit dem Titel Zur mechanischen Musik veröffentlicht und schon seit 1925 gemeinsam mit Ernst Toch und Hans Haass in der Freiburger Firma Welte-Mignon mit mechanischen Klavieren experimentiert. Hindemith und seine Mitarbeiter hielten die Kompositionen nicht in herkömmlicher Notation fest, sondern stanzten sie direkt auf eine Walze. Aus diesen Versuchen entstand zum Beispiel die Musik für Oskar Schlemmers Tria- disches Ballett (vgl. Kap. 2.4.c). Hindemith ging es bei seiner Arbeit mit mechanischen Klangerzeugern um die Abkehr vom Expressionismus zugunsten der Rationalität einer Neuen Sachlichkeit. Er warnte aber auch vor einer künstlerisch sinnlosen Anhäufung technischer Höchstschwie- rigkeiten. Sein Mitarbeiter Hans Haass forderte hingegen „die grenzenlo- se Ausnutzung der Klaviatur“ und wies auf die „Verwendungsmöglich- keit eines unerhört raschen Tempos“ hin.164 Haass zeichnete geometri- sche Figuren und Körper auf die Abspielrollen, um grafische Formen auf dem direkten Weg akustisch umzusetzen.165 Die Reaktionen auf die ersten Aufführungen mechanisch erzeugter Musik fielen überwiegend negativ aus. Tatsächlich war zunächst das ein- getreten, was die Befürworter befürchtet und die Kritiker erwartet hatten. Nach einem Konzert mit Musik von Ernst Toch auf den Kammermusik- tagen in Baden-Baden 1927 äußerte sich der Verleger Hans Heinsheimer enttäuscht, aber auch vorsichtig optimistisch: „Die Apparate waren unge-

164 Becker-Carsten 1988 (ohne Paginierung). 165 Eine erstaunliche Parallele zeigt sich hier nicht nur zu Moholy-Nagys Versuchen am Bauhaus, sondern auch zu den zahllosen Arbeiten für Player Piano von Conlon Nancarrow.

82 MUSIK AM BAUHAUS schickt, farblos, hart, verschwommen in den Konturen, roh im Klang.“ Daraus folgerte er, dass für eine fruchtbare mechanische Musik auch ein Instrumentarium gebraucht werde, das nicht nur herkömmliche Klänge reproduziert, sondern sie nach eigenen Bedingungen schafft: „Der Schritt zu diesem Instrument der Zukunft [...] ist klein. Ist er getan, so ist die wahrhaft ‚mechanisierte’ Musik geboren. [...] Seine spezifischen Klang- möglichkeiten, seine technische, seine materielle Beschaffenheit wird Werke entstehen lassen, die für dieses Instrument erdacht, aus ihm zum Klingen gebracht [sind].“166 Aus der Arbeit von Hindemith, Toch und Haass bei Welte-Mignon waren auch Versuche mit Plattenspielern hervorgegangenen. Sie ver- suchten, durch Überblendungen und Variation der Abspielgeschwindig- keit den musikalischen Zusammenhang zu verändern und neue Klangfar- ben zu finden. Bei ähnlichen Untersuchungen am Bauhaus war abermals Moholy-Nagy die treibende Kraft. Schon seit 1922 versuchte er sich in dem Entwurf einer zeichnerischen Ritzschrift, anhand derer er Platten- rillen direkt bearbeitet wollte. Obwohl die Umsetzung dieses Plans unter den gegebenen technischen Voraussetzungen zum Scheitern verurteilt war, ist sein begleitender Kommentar äußerst bezugsreich: „Da die Rit- zen in der auf mechanischem Wege entstandenen Platte mikroskopisch klein sind, muß zuallererst ein Mittel gefunden werden, von einer großen Ritzschriftplatte, die mit der Hand bequem zu bearbeiten ist, auf techni- schem Wege Verkleinerungen im Format der heute üblichen Platten zu erzielen.“167 Ein ähnliches Verfahren hatte Moholy-Nagy auf dem Gebiet der Fo- tografie bereits umgesetzt. In seinen Fotogrammen verzichtete er auf den Einsatz einer Kamera und belichtete das Fotopapier, auf das er verschie- dene Gegenstände legte, stattdessen direkt. So veränderte er die übliche Abbildung der natürlichen Umwelt. In seinen musikalischen Überlegun- gen entsprach dem direkten Licht die Ritznadel. Er erhoffte sich, dass mittels dieser Technik eine eigenständige Musik abseits herkömmlicher Klangbildung entstehen könnte. Über Moholy-Nagys Experimente mit einer zeichnerischen Ritzschrift schrieb Hans Heinz Stuckenschmidt:

„Moholy-Nagy [interessierte sich] nur für modernste Musik. Vor allem fessel- ten ihn die Möglichkeiten, Kunst mechanisch zu reproduzieren, über die er sich schon vor Walter Benjamin Gedanken machte. Moholy-Nagy sah in der Schallplatte musikalische Zukunft. Aber er protestierte dagegen, sie nur als Mittel der Reproduktion von Aufführungen zu gebrauchen. Wir experimentier-

166 Zitiert nach: Kämper, Dietrich (Hrsg.): Der musikalische Futurismus, Laa- ber: Laaber 1999, S. 251. 167 Moholy-Nagy, László: Neue Gestaltung in der Musik. Möglichkeiten des Grammophons, in: Der Sturm 7, Berlin: 1923, S. 102 f.

83 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE ten zusammen, ließen sie rückwärts laufen, was vor allem bei Klavierplatten überraschende Effekte ergab. Wir bohrten sie exzentrisch an, so daß sie nicht regelmäßig liefen, sondern ‚eierten’ und groteske Glissandotöne produzier- ten. Wir kratzten sogar mit feinen Nadeln in die Rillen und brachten so rythmische Figuren zustande, die den Sinn der Musik radikal veränderten. Moholy-Nagy meinte, man könne auf Platten mit leeren Rillen direkt mit Na- deln einwirken und so authentische Schallplatten-Musik erschaffen.“168

Moholy-Nagy forderte das „Studium der grafischen Zeichen der [...] akustischen Phänomene“ sowie den „Versuch, daraus – vorläufig grafisch – eine eigene Sprache zu entwickeln.“169 Diesen Ansatz übertrug Moholy-Nagy auch auf die Arbeit an der Tonspur für den Film. In dem Buch Vision in Motion fasste er seine dahin gehenden Versuche rück- blickend zusammen:

“I suggested […] original compositions made by hand or machine without re- producing any existing music. […] In an experiment, ,The Sound ABC’, I used all types of signs, symbols, even the letters of the alphabet, and my own finger prints. Each visual pattern on the sound track produced a sound which had the character of whistling and other noises. I had especially good results with profiles of persons.”170

Moholy-Nagy beschrieb damit nicht nur das Wunschbild einer präzisen Reproduktion von Musik; das Vorhaben, grafische Zeichen auf regel- hafte Weise in Klang zu übersetzen, lässt auch die Idee einer absolut kontrollierbaren Klangerzeugung durchschimmern. Auch wenn das akustische Ergebnis der Ritzschrift-Versuche am Bauhaus nicht dokumentiert ist, so lässt sich doch das Bedürfnis nachvollziehen, aus dem sie entstanden. Eine wichtige Inspiration für Moholy-Nagy war die Auseinandersetzung mit den Ideen Piet Mon- drians, der zuerst 1921 in der Zeitschrift De Stijl seine musikalische Vi- sion umschrieben hatte. Moholy-Nagy veröffentlichte Mondrians Aufsatz Die neue Gestaltung in der Musik und die italienischen Bruitisten im fünften Bauhaus-Buch. Hier heißt es:

„Um zu einer mehr universalen Gestaltung zu gelangen, wird die neue Musik eine neue Ordnung der Töne und Nicht-Töne (bestimmter Geräusche) wagen müssen. Man kann sich ohne eine andere Technik und ohne andere Instru- mente diese Gestaltung nicht vorstellen. Ein mechanistischer Eingriff wird

168 Stuckenschmidt 1976, S. 7. 169 Ebd. 170 Moholy-Nagy, László: Vision in Motion, Chicago: Theobald 1947, S. 277.

84 MUSIK AM BAUHAUS sich als notwendig erweisen, denn das menschliche Gefühl bedingt immer mehr oder weniger ein individuelles Eindringen. Es verhindert eine vollkom- mene Bestimmtheit des Tones. Will man Wellenbewegungen vermeiden, [...] so sind andere Instrumente unbedingte Forderung. Wenn man den Ton abstrahieren will, müssen zunächst die Instrumente Töne derart bilden, daß sowohl Wellenlänge wie Schwingungszahl so gleichmäßig wie nur möglich bleiben. Demnach müssen die Instrumente derart gebaut sein, daß es möglich wird, jedes Nachschwingen mit plötzlichem Ruck abzubrechen.“171

Mondrian hatte zu Beginn des Jahres 1921 ein Konzert der Futuristen besucht, die ihre Musik „Bruitismus“ benannt hatten. Er war zwar be- geistert von dem Einsatz neuer Technik, zeigte sich aber unzufrieden mit der Nachahmung maschinen- und naturhafter Geräusche. Das Konzert inspirierte ihn dazu, die Klangbildung grundsätzlich zu überdenken: „Durch Mehrung der Töne um Geräusche haben die Bruitisten einen ersten Schritt getan. Und doch verlangt der ‚reine’ Ausdruck des neuen Geistes mehr als das.“172 Obwohl das chaotische Geräusch auch in Mondrians Überlegungen noch seinen Platz hatte, träumte er ebenso von einem in „Wellenlänge wie Schwingungszahl“ total kontrollierten Klangverlauf. Mondrian versuchte fortan, sein bildnerisches Vokabular theoretisch auf die Musik zu übertragen. Der geschlossenen Form seiner Bilder sollte der Verzicht auf Melodie zugunsten des Rhythmus entspre- chen. Um eine Ausgeglichenheit der Komposition unter strenger Vermeidung von Symmetrien zu gewährleisten, sprach er sich für stark kontrastierende Klänge aus. Die Musik hatte pausenlos zu erklingen, um den Zuhörern keinen Freiraum zur Projektion ihrer Persönlichkeit in et- waige Leerstellen zu gewähren. Die künstliche Geradlinigkeit in Mondri- ans Bildern fand ihre Entsprechung in der absoluten Schnelligkeit der musikalischen Ereignisse. Durch diese prinzipielle Abwendung vom Individuellen sollte die musikalische Gestaltung des Universalen möglich werden.173 Schon in der Frühphase des Bauhaus hatte es Überlegungen hin- sichtlich der Klangkontrolle gegeben. Josef Matthias Hauers musikali- sche Visionen sind denen Mondrians ähnlich, obwohl Hauer durch seine Bekanntschaft mit Itten eher dem expressionistischen Bauhaus zugerech-

171 Mondrian, Piet: Die Neue Gestaltung in der Musik und die futuristischen italienischen Bruitisten, in: Bauhausbuch 5, München: Langen 1925, S. 38. 172 Ebd. 173 Die große Leidenschaft, die Mondrian in späteren Jahren für den Jazz entwickelte und auf den er fortan seine Visionen projizierte, erscheint eher als Ausweichmanöver. So wie Moholy-Nagy sich mangels elektroni- scher Klangerzeuger lieber mit Fotogrammen und Film beschäftigte, so fand Mondrian im Boogie-Woogie die für ihn naheliegendste Alternative. Vgl. von Maur 1985, S. 400 ff.

85 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE net wird. Doch auch Hauer wollte die Musik von allem Individuellen und Zufälligen, zudem von allem Geräuschhaften befreien.174 Im Gegensatz zu Mondrians Anregungen verlegte er sich dabei allerdings auf die aus- schließliche Verwendung von Melodie und den totalen Verzicht auf Rhythmus. Er beabsichtigte, die Musik in reine Intervallbeziehungen aufzulösen, die von allen Naturqualitäten gereinigt sein sollten. Die Töne wollte er zu „wesenlosen, für sich allein nichtssagenden Schemen (Punkten) herabdrücken.“175 Hauer komponierte mit Zwölftonreihen, die er in 44 sogenannte Tropen zu Sechstongruppen aufgeteilt hatte. Diesen ordnete er gewisse Eigenschaften und Stimmungsgehalte zu. Die so entstandene Musik klingt ruhig und besonnen; sie verläuft ohne größere Akzentuierungen. Hauer selbst war besorgt um die Konsequen- zen seiner Kompositionsstrategie: „[Das] Chaos, dessen Überwindung mein Lebenswerk war, ist durch die Temperatur zum ‚Nichts’ organisiert und die ‚Musik’, die ich mein Leben lang immer hoffte, wächst immer mehr ins Schweigen, ins Denken, in die Ruhe hinein.“176 Diese Befürchtung klingt fast voreilig, wenn man bedenkt, dass Hau- er die, auch von Mondrian angedachten, obertonfreien Klänge noch gar nicht in Aussicht, geschweige denn zur Verfügung hatte. Es lässt sich mutmaßen, dass Hauers Musik unter den Bedingungen elektronischer Klangerzeugung durchaus noch weiter „in die Ruhe hinein“ gewachsen wäre.

Der das Bauhaus prägende Drang zur Ordnung äußerte sich also nach- weisbar auch in musikalischen Versuchen. Gerade im Vorgehen László Moholy-Nagys spiegelt sich dabei jedoch das ambivalente Verhältnis des gesamten Bauhaus zur Musik: Es gab ambitionierte Pläne und intensive Versuche – doch zumeist auch den schnellen Rückzug auf Gebiete, in denen sich der Weg zum künstlerischen Ziel schon klarer abzeichnete. Vielleicht war die mangelnde Aussicht auf eine technische Innovation der Grund dafür, dass Moholy-Nagy und andere die Musik auf sich beru- hen ließen. Theodor W. Adorno vertraut in seiner Apologie der mechani- schen Klangerzeugung auf die Gewissheit, „daß die Bereitschaft der Mittel einer Bereitschaft des Bewußtseins entspricht“177. Mit der be- schriebenen Annahme ließe sich ihm entgegnen, dass die technischen Möglichkeiten dem visionären Geist der Bauhaus-Zeit hinterherhinkten.

174 Vgl. Bogner, Dieter: Musik und bildende Kunst in Wien, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 350 ff. 175 Hauer, Josef Matthias: Deutung des Melos, Wien: Tal 1920a, S. 37 f. 176 Zitiert nach: Bogner, in: von Maur 1985, S. 351. 177 Adorno, Theodor W.: Entwürfe, Exposés, Memoranden (Gesammelte Schrif- ten, Band 19), Frankfurt: Suhrkamp 1984, S. 607.

86 MUSIK AM BAUHAUS

Zu Beginn dieser Arbeit wurde das Bauhaus als eine Forschungsstätte beschrieben, die bestehenden Zeitgeist einfing und bündelte. Zum Ende dieses Kapitels ist jedoch festzustellen, dass sich eine solche Bündelung in Musikfragen letztlich nicht vollzogen hat. Dafür verweisen die Über- legungen von Moholy-Nagy, Mondrian und Hauer mitunter verblüffend genau auf spätere Innovationen, wie das Arbeiten mit Speichermedien, eine „Schallplattenmusik“178, die musique concrète oder die Verwendung komponierter Einzelklänge in der frühen elektronischen Musik. Die abstrakte Verbindung der Bühnenelemente bei Kandinsky, Moholy-Nagy und anderen beschreibt eine zweite Linie, die aus dem Bauhaus in die (auch musikalische) Nachfolge führt. Die hier genutzten Stilmittel von Gleichzeitigkeit und Entpersonalisierung tauchen in den Theaterexperimenten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf und mün- den in die verstärkte Forderung nach Kunstwerken, die erst der Betrach- ter zu vollenden habe.

178 Das DJ-ing, das seinen Ursprung im frühen Hip Hop der ausgehenden 1970er Jahre hatte (vgl. Toop, David: Rap Attack 2. African Rap To Global Hip Hop, London: Serpent’s Tail 1991.), machte aus dem Plattenspieler als Instrument ein gleichermaßen künstlerisch wie kommerziell erfolgreiches Modell. Überlegungen hinsichtlich einer autonomen Schallplattenmusik finden sich auch bei John Cage (vgl. Kap. 3.6).

87

3. DIE SUCHE NACH DER OFFENEN FORM – MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

„Ich möchte wie neugeboren sein und nichts, absolut nichts über Europa wissen.“1 (John Cage 1948, in einem nicht belegten Zitat von Paul Klee)

Das Black Mountain College (BMC) in North Carolina bestand von 1933 bis 1956. Anfänglich eine europäische Enklave in der Neuen Welt, wur- de es zum Schauplatz einer Weichenstellung, deren Ergebnis erst in den 1960er Jahren voll zum Tragen kam: Die amerikanische Kunst fand zu sich selbst und emanzipierte sich so vom dominierenden Einfluss Euro- pas. Paradoxer Weise trugen die europäischen Immigranten am BMC entscheidend zu diesem Prozess bei – auch, indem sie die Ideen des Bauhaus mit nach Amerika brachten. In Kapitel 3.1 beschreibe ich die kunstpädagogischen Ideale, die das BMC in seinen Anfangsjahren bestimmten. Kapitel 3.2 beschäftigt sich mit dem Musikunterricht, seinen Inhalten und Potenzialen. In den Kapi- teln 3.3 und 3.4 versuche ich, die engen Verknüpfungen von Musik und Alltag sowie Theorie und Praxis am College herauszuarbeiten. Ziel ist es, den spezifischen Hintergrund der Theater- und Musikinnovationen zu klären, denen die Kapitel 3.5 und 3.6 gewidmet sind.

3.1 Die Schulgeschichte im Spiegel der US-Kultur

Während seiner ersten Jahre stand das College unter dem Einfluss zweier erzieherischer Strömungen, die eng miteinander verflochten waren: der Neuausrichtung der Pädagogik auf demokratische Ideale und der Idee

1 Cage in seinem Plädoyer für Satie, deutsche Übersetzung in: Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. Köln: DuMont Schauberg 1973, S. 112. Der Satz stammt laut Cage aus der „mündlichen Überlieferung von Anni Albers“ (ebd.).

89 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE von Kunst als Mittel zur Bildung des Charakters.2 Reformpädagogen hatten Eigeninitiative, Kooperation und soziale Verantwortung als Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgemacht. John Dewey, der wohl einflussreichste Pädagoge dieser Jahre, forderte in seinen Schriften die Förderung der individuellen Neigungen jedes Einzelnen.3 Der ent- sprechend ausgerichtete Unterricht hatte weniger die Vermittlung fest- gelegter Inhalte zur Aufgabe; vielmehr sollte er es den Schülern aller Schichten ermöglichen, ihre persönlichen Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln, um so ihren Platz in der Gesellschaft zu finden: „Demo- cracy is more than a form of government; it is primarily a mode of associated living, of conjoint communicated experience […] the wide- ning of the area of shared concerns, and the liberation of a greater di- versity of personal capacities.“4 Für Dewey war die Herausbildung sozialer Kompetenz an eine ganz- heitliche, auf persönlicher Erfahrung basierende Erziehung geknüpft. Der künstlerischen Ausbildung und vor allem der künstlerischen Praxis maß er dabei entscheidenden Einfluss bei. Der Musikpädagoge Thomas Whitney Surette wies aus gleichem Antrieb auf die Wichtigkeit breit ge- streuter musikalischer Erziehung hin. Surette gründete mit der Concord Summer School of Music einen direkten Vorläufer des BMC. Zunächst aber fanden Deweys und Surettes reformerische Ideen hauptsächlich im Grundschulunterricht und an High Schools Verwendung. Erst in den 1930er Jahren gaben ihre demokratischen Erziehungsideale den Überbau bei der Gründung neuer Colleges mit einem flexiblen Lehrplan bzw. zur Umbildung bestehender Universitäten, an denen bis dahin ein verschultes System mit genau festgelegtem und für alle Studenten verbindlichem Kursplan vorgeherrscht hatte. Den Nährboden zur Entwicklung größerer pädagogischer Freiheit be- reiteten die Krise der US-Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit. Die allgemeine Notlage führte in breiten Bevölkerungsteilen zu einer kriti- schen Beurteilung der bestehenden Gesellschaft, und Heilslehren ganz unterschiedlicher Couleur fanden zunehmend Gehör und Unterstützung. Neben Bestrebungen zu religiöser und politischer Erneuerung gewannen auch die Reformpädagogik und die Kunstförderung zahlreiche Anhänger. So gründete der neu gewählte Präsident Franklin D. Roosevelt zeitgleich

2 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris 1987, S. XX f. (Introduction). 3 John Dewey (geb. 1859) wies in seinen zahlreichen Schriften auf den engen Zusammenhang von Erziehung, Gesellschaft und Politik hin. Er gilt als Begründer des progressive education movements, das die Bildung eines kritischen Bewusstseins in der Schule als Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie bezeichnete. Vgl. Dewey, John: Democracy and Education, New York: The Macmillan Company 1916 sowie Dewey, John: Art as Experience, New York: Minton 1934. 4 Dewey, zitiert nach: Harris 1987, S. 1.

90 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE mit der Eröffnung des BMC eine Institution, die sich der öffentlichen Ausschreibung von Kunstprojekten und dem Aufbau von Orchestern, Galerien, Museen und Theatergruppen annahm – das „Public Works Art Project“ (PWAP)5 sollte die Kultur im Alltag der US-Bürger verwurzeln. Noch um 1900 war Kultur in den Vereinigten Staaten eher als Status- symbol gehandelt worden: Vornehmlich ältere europäische Kunst gab den Rahmen für mondäne Treffs der sozial Bessergestellten. Das gängige Künstlerbild entsprach dem des kuriosen Spezialisten. Als Reaktion darauf verankerten pädagogisch-motivierte Kunstförderer ihren Impetus sogar in den Satzungen: So verbat sich Albert C. Barnes in seinen Muse- umsräumlichkeiten6 jegliche Form von clubähnlicher Zusammenkunft in Form von Konzerten oder Lesungen. Katherine S. Dreier, Gründerin der Société Anonyme und Tante des BMC-Mitbegründers Theodore Dreier, wies ausdrücklich darauf hin, dass ihre Sammlung „erzieherischen“ Cha- rakter habe.7 Zahlreiche amerikanische Künstler befanden sich zu Beginn der 1930er Jahre in einem Zwiespalt zwischen dem Willen zur Emanzipation und dem Respekt vor der europäischen Tradition. Viele von ihnen gingen nach Europa, weil der dortige Aufenthalt als Voraussetzung für eine er- folgreiche Karriere galt, aber auch, weil es dort ein größeres Publikum für experimentelle Arbeiten gab. Andere US-Künstler versuchten, sich amerikanischer Thematiken anzunehmen und so den Graben zwischen Hochkultur und Volkskunst zu überbrücken: Maler und Dichter porträ- tierten den US-Alltag, und Komponisten versuchten, den unmittelbaren Duktus von Folksongs zu integrieren. Häufig ging dieser inhaltliche Brückenschlag auf Kosten formaler Innovation. Auf dem BMC-Campus konzentrierte sich die Verhandlung der an- gesprochenen Gegensätze: Diskussionen um Tradition und Avantgarde, Alte und Neue Welt, Kunst und Alltag, Individualität und Gemeinschaft, Idealismus und Pragmatismus bildeten die Folie der College-Arbeit. Wie Jahre zuvor am Bauhaus, wurden die Zeichen der Zeit am BMC ver- dichtet und verändert.

5 Aus dem PWAP wurde später das Work Progress Administration’s Federal Arts Project (WPA/FAP). Vgl. ebd., S. XXI. 6 Die Barnes Foundation Galleries in Merion/Pennsylvania bestehen bis heute. 7 Originalzitat: „[...] is educational and to stimulate thought and reaction in the world of art, to keep it vital and alive like a flowing stream, not a stagnant pool.“ Dreier, Katherine S.: Foreword, in: Modern Art (Ausstel- lungskatalog der Société Anonyme für das Brooklyn Museum), New York: 1926 (ohne Paginierung). Mitbegründer der Société waren Marcel Duchamp und Man Ray.

91 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

a. Die Gründungsphase und ihre Protagonisten

Das Rollins-College in Winter Park/Florida stand in mehrfacher Hinsicht mit der Gründung des BMC in Verbindung.8 1885 von der Congregatio- nal Church eingerichtet, hatte das College unter Hamilton Holt ab 1925 einen gemäßigt progressiven Kurs eingeschlagen: Der von Holt erdachte Conference Plan integrierte praktische Projektarbeit in einen achtstündi- gen Tagesplan. Außerhalb des Unterrichts blieb das College freilich kon- ventionell, denn die Mitgliedschaft in einer christlichen Verbindung war für alle Studenten so obligatorisch wie der dreimal-wöchentliche Kir- chenbesuch. Das oberste Verwaltungsgremium war das Board of Trustees – es sicherte den Financiers des Colleges ihren Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung des Lehrplans. Hierarchisch unterhalb der Trustees stand der Direktor, also Holt, dessen Anweisungen wiederum der Lehrkörper Folge zu leisten hatte. 1931 nahm das Rollins-College einen alternativen Lehrplan auf, der das Studium in zwei Abschnitte unterteilte und den unabhängigen Studien außerhalb des Unterrichts grö- ßeres Gewicht verlieh. Zur Koordination beider Lehrpläne war ein Curriculum Committee eingerichtet worden, dem auch der Philosophie- Professor John Andrew Rice angehörte, der sich zum Sprachrohr der fortschrittlichen Kräfte am Rollins-College gemacht hatte. Im Februar 1933 empfahl das Komitee die Abschaffung des Conference Plan zugunsten der flexibleren Lehrplangestaltung. Einige Tage danach sprach die College-Leitung gegen Rice die Kündigung aus. Als er sich weigerte, den Lehrstuhl aufzugeben und stattdessen drohte, den Fall vor einen unabhängigen Untersuchungsausschuss zu tragen, be- kam Rice die Anweisung, den Campus mitsamt seiner Habe binnen 48 Stunden zu verlassen. Noch vor Beginn des Wintersemesters verließen neben zahlreichen Studenten auch acht weitere Professoren das Rollins- College – manche wurden wegen ihrer Solidarität zu Rice entlassen, an- dere kündigten ihren Dienst aus eigenem Antrieb. Das Untersuchungs- verfahren der American Association of University Professors (AAUP) ergab zwar Monate später, dass Rice’ Entlassung unrechtmäßig erfolgt war, doch im Sommer 1933, mitten in der wirtschaftlichen Depression, standen Rice und seine Kollegen vor dem Problem, arbeitslos und ohne große Aussicht auf eine erneute Anstellung zu sein. Diese Verlegenheit veranlasste Rice, seine schon lange gehegte Vision eines Reform- Colleges wahr zu machen. Rice’ engster Mitarbeiter während der Gründung war Theodore Drei- er.9 Dreier hatte am Rollins-College Physik unterrichtet und stammte aus

8 Hierzu und zum Folgenden vgl. Duberman 1972, S. 19-27; Harris 1987, S. 2 ff. 9 Vgl. Harris 1987, S. 13 ff.

92 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE einer wohlhabenden Familie von Kunstsammlern und -mäzenen, die das BMC bald mit großzügigen Spenden unterstützen sollten. Rice und Dreier mieteten einen abgelegenen Gebäudekomplex südlich des Dorfes Black Mountain in North Carolina an, der im Sommer von der YMCA genutzt wurde, im Winter aber leer stand. Lediglich die Rekrutierung von Studenten erwies sich als schwierig, und erst ein wohlwollender Artikel in der Herald Tribune vom 26. August 1933 gab den endgültigen Aus- schlag dafür, das College im September wirklich zu eröffnen. Von den zum Wintersemester eingeschriebenen 22 Studenten und zwölf Lehr- kräften kamen die meisten vom Rollins-College. Der Text des ersten BMC-Programms, das auch als Pressemeldung veröffentlicht wurde, verortete das College klar als Institution im Geiste John Deweys, „[…] where students may receive instruction in those branches of learning which will aid in qualifying them for honorably and effectively discharging their obligations to society and their duties as citizens.“10 Die Punkte, in denen sich das BMC von anderen Colleges abzugrenzen gedachte, fanden als kaum verschleierter Seitenhieb auf das Rollins-College in diese erste schriftliche Selbstverortung:

„[We will] place emphasis upon combining those experiments and the results of those experiences which have already shown their value in educational institutions of the western world, but which are often isolated and hampe- red from giving their full value because of their existence side by side with thoughtless tradition.“11

Das Curriculum basierte auf Eigeninitiative: Es gab keine vorgeschriebe- nen Kurse, stattdessen hatte jeder Student einen persönlichen Lehrplan für sich selbst zu erstellen. Neben künstlerischen Fächern wurden auch Natur- und Geisteswissenschaften gelehrt. Die Studenten konnten zwar keinen staatlich anerkannten Abschluss erwerben, sich die erbrachten Leistungen jedoch an vielen der weiterführenden Colleges anrechnen las- sen; die Examens-Anforderungen entsprachen dem eines Bachelor of Arts. Üblicherweise dienten die ersten zwei Jahre allgemeinen Studien; die Studenten wurden ermutigt, sich auch in Bereichen weiterzubilden, die bisher nicht in ihr Interessengebiet gefallen waren. Den Übergang von der junior division zur senior division bildete eine Prüfung des Stoffes aus den besuchten Kursen. In der zweiten Phase des Studiums spezialisierten sich die Studenten und betrieben ihre Arbeit hauptsächlich in unabhängigen Studien außerhalb der angebotenen Schulkurse. Bei der Erstellung eines Studienplans stand ihnen ein Betreuer zur Seite. Für das

10 BMC Catalogue, Winter 1933. BMC-Papers. 11 Ebd.

93 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Examen wurden outside examiners eingeladen, also Fachkundige für das Spezialgebiet des Kandidaten. Falls der Student sich bereits ein weiter- führendes College ausgesucht hatte, so versuchte der Betreuer, einen Prü- fer von eben diesem College zu engagieren. Die Prüfer waren angehal- ten, herauszufinden, „ob der Student weiß, was er behauptet zu wissen und ob er in der Lage ist, das Wissen anzuwenden“12. Unter den gelade- nen Prüfern waren auch angesehene Künstler wie Marcel Breuer, Marli Ehrmann und Franz Kline.

b. Ein freies College

Neben der inhaltlichen Ausrichtung auf das individuelle Engagement, sollten verschiedene strukturelle Maßnahmen dem College Freiheit und einen unhierarchischen Charakter garantieren: Die Schule gehörte dem Lehrkörper im Rahmen einer non-stock corporation.13 Die Fakultät hatte damit vollständige Kontrolle über den Unterrichtsplan und die Verwal- tung. Für die Finanzen war das Board of Fellows zuständig, ein Gremi- um, das der Lehrkörper aus seinen eigenen Reihen zusammenstellte. Auch die Verpflichtung und Entlassung von Professoren oblag dem Board. Für die Sitzungen des Gremiums waren auch Studentenvertreter zugelassen; ab 1937 wurde ihnen ein fester Platz im Board zugespro- chen. Der Lehrkörper wählte einen rector, der die Gremiumssitzungen leitete und das College nach außen repräsentierte. Darüber hinaus besaß dieser Rektor keinerlei Machtbefugnisse, er war bei allen anstehenden Entscheidungen allein auf seine persönliche Überzeugungskraft angewie- sen. Auch der Advisory Council diente lediglich dem öffentlichen Anse- hen des Colleges. Vergleichbar dem Kreis der Freunde des Bauhaus, bestand der Ausschuss aus bekannten Künstlern und Wissenschaftlern, die außer der Repräsentation keine festgelegte Aufgabe und Autorität hatten. Unter den Mitgliedern des Council befanden sich John Dewey, Walter Gropius, Carl Jung, Franz Kline, Max Lerner, John Burchard und Albert Einstein. Teile der reformerischen Prinzipien hatten ihr Vorbild in Oxford und Cambridge, wo die Studenten ebenfalls ihren eigenen Lehrplan erstellten und das jeweilige College dem Lehrkörper gehörte. Eine Besonderheit des BMC bestand in dem kommunalen Aspekt des Zusammenlebens. Die Professoren wohnten mit ihren Familien auf dem Campus, in direkter Nachbarschaft zu den Studenten. Lehrende und Lernende waren gemein-

12 Originalzitat: „The outside examiner’s task is simply that of determining whether, in the examiner’s opinion, the student actually knows what he professes to know.” John Evarts in einem Brief an Bruce Simonds, 1. Oktober 1941. BMC-Papers. 13 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris, S. 6 f.

94 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE sam für die Haushaltsführung zuständig, aßen zusammen in der dining hall und arbeiteten auf der angeschlossenen Farm, die das College mit einem Großteil der benötigten Nahrungsmittel versorgte. Die Teilnahme am öffentlichen Leben außerhalb des Unterrichts gehörte zum erzieheri- schen Konzept: „Here they should learn to know that their relationship to each other, both while they are in college and afterwards, is to be, in the main, not one of opposites, but of those who live upon the common ground of humanity.“14 Die Idee der praktizierten Demokratie blieb in einer von Totalitaris- men gekennzeichneten Zeit für das College sinnstiftend.

c. Josef Albers als Schnittstelle zwischen Bauhaus und BMC

Neben den reformpädagogischen Gedanken John Deweys spielte das Bauhaus am BMC eine einflussreiche Rolle, vor allem durch die Ver- pflichtung von Josef Albers als Kunstlehrer.15 Der Kontakt zu Albers kam über Philip Johnson zustande, der 1933 Architektur-Kurator am Museum of Modern Art (MoMA) in New York war und Albers’ Vorkurs am Bauhaus besucht hatte. Johnson empfahl Albers und stellte die Ver- bindung her, als Rice und Dreier nach einer geeigneten Lehrkraft such- ten. Albers selbst fühlte die Freiheit seiner Kunst nach der Bauhaus- Schließung durch die Nazis bedroht und war trotz mangelnder Englisch- kenntnisse daran interessiert, im Ausland zu lehren, besonders an einer Schule mit gleichfalls modernem Konzept.16 Albers zeigte sich in einem Brief an Emmy Zastrow, die am BMC Deutsch unterrichtete, „beein- druckt über die junge organisation ihres institutes und seine lebendigen absichten“17. Edward M.M. Warburg und Abby Aldrich Rockefeller spendeten je 500 $ für die Anreise und das erste Jahreshonorar von Josef und Anni Albers, die das BMC Ende November 1933 erreichten. Schon im darauf folgenden Mai gewährte das BMC dem Ehepaar Albers unbe- fristete Anstellung – nicht zuletzt, weil sich inzwischen auch renom- mierte Universitäten für Albers interessierten: Walter Gropius etwa ver- suchte über Jahre, Albers nach Harvard zu holen. Doch obwohl Gropius dort hohes Ansehen genoss, konnte er Albers zu keinem Zeitpunkt eine

14 Rice, John Andrew: Black Mountain College, in: Progressive Education 11, September 1933, S. 271. BMC-Papers. 15 Hierzu und zum Folgenden vgl. Duberman 1972, S. 55 ff.; Harris 1987, S. 9 ff.; Katz, Vincent (Hrsg.): Black Mountain College – Experiment in Art, Cambridge: MIT Press 2002, S. 22 ff. 16 Albers erinnerte sich später: „I was afraid to go, but glad to leave ... no pumpernickel, such red and green drinks in America. All I knew was Buster Keaton and Henry Ford. I spoke no English.” Zitiert nach: Harris 1987, S. 9. 17 Ebd.

95 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Festanstellung bieten.18 Albers wirkte ab 1936 in Harvard und an einigen anderen Colleges als Gastdozent. Die damit einhergehenden Erfahrungen mit dem amerikanischen Bildungssystem führten ihm die besondere Freiheit vor Augen, die der Lehrkörper am BMC genoss. Bis 1949 blieb Albers am BMC, jedoch machte er sich durch seine überregionale Lehrtätigkeit und eine Reihe von Einzelausstellungen19 landesweit einen Namen. Albers war 1888 in Bottrop als Sohn eines Handwerkers geboren worden. Er durchlief zunächst eine Lehrerausbildung. Während er in Westfalen als Grundschullehrer arbeitete, studierte er weiter an der Kunstakademie Berlin (1913 bis 1915), an der Kunstgewerbeschule Essen (1916 bis 1919) und bei Franz von Stuck an der Akademie in München (1919 bis 1920). Die Münchener Studien sowie seinen Lehrer- beruf brach Albers 1920 ab, um sich als ältester Student am Bauhaus einzuschreiben. 1923 erhielt er sein Diplom und begann, am Bauhaus zu unterrichten; 1925 wurde er zum Meister ernannt. Albers war von dem Gedanken angetrieben, durch Kunst Modernität und Zeitgenossenschaft auszudrücken – eine Einstellung, die ihn in Amerika dazu brachte, sich gegen die Idealisierung von älterer, europäischer Kunst auszusprechen:

„to be modern is to be responsive to the mentality of the present; or, to answer present spiritual needs; or, in creative work, to express our thought and feeling in a form of our own, as in a language of our own. […] it is futi- le, if not decadent, to believe, or make believe, that our grand uncles and grand aunts were more and did better than ourselves. or to assume that pla- to or marx, rembrandt or shakespeare were ultimate.“20

Albers’ Arbeit am BMC stellte sich inhaltlich als unmittelbare Fortset- zung seiner Bauhaus-Zeit dar. Auch vermittelte er seinen ehemaligen Kollegen Alexander Schawinsky an das College. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere arbeiteten Rice und Albers anfänglich gut zusammen, denn ihre Lehrphilosophien ergänzten sich: Beide sahen eine untrennbare Verbindung zwischen Theorie und Praxis; im anti-akademischen Geist ging es ihnen um die Herausbildung indivi-

18 Dieser Abwerbungsversuch hat freilich zwiespältigen Charakter, war doch Gropius auch Teil des Advisory Councils des BMC. 19 In den 1930er Jahren hatte Albers Einzelausstellungen u.a. in J.B. Neumanns New Art Circle in New York (9.-30. März 1936), in der Katharine Kuh Gallery in Chicago (20. September - 30. Oktober 1937), sowie in Havanna und Mexico City. Seine Werke wurden auch im Rahmen der Bauhaus-Ausstellung 1938 im MoMA und in verschiedenen Gruppenausstellungen zur abstrakten US-Kunst gezeigt. ebd., S. 10. 20 Josef Albers in einem Vortrag im MoMA am 9. Januar 1940, zitiert nach ebd., S. 15.

96 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE dueller künstlerischer Handlungsweisen. Schon das erste Programm des Colleges propagierte die Kunstpraxis am BMC als gleichberechtigten Teil der Lehre:

„Dramatics, Music, and the Fine Arts, which often exist precariously on the fringes of the curriculum, are regarded as an integral part of the life of the college and of importance equal to that of the subjects that usually occupy the center of the curriculum. In fact, in the early part of the student’s ca- reer, they are considered of greater importance; […] because of the convic- tion that, through some kind of art-experience, which is not necessarily the same as self-expression, the student can come to the realization of order in the world; and, by being sensitized to movement, form, sound, and the other media of the arts, gets a firmer control of himself and his environ- ment than is possible through purely intellectual effort.”21

Zunächst waren die Künste lediglich als Teil der umfassenden Bildung gedacht, als Mittel zum pädagogischen Zweck. Ziel war es nicht gewe- sen, professionelle Künstler auszubilden, sondern verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft. Mit den Jahren aber emanzipierten sich die künstlerischen Fächer im Lehrplan, während die übrigen Bereiche zu- nehmend in den Hintergrund rückten. Diese Entwicklung offenbarte im Lehrkörper die unterschiedlichen Sichtweisen zum Wesen und Aufga- benbereich von Kunst: Während Rice im Künstler einen pflichtbe- wussten Diener der Demokratie sah, war Albers auch an künstlerischen Fragestellungen interessiert, die sich nicht unmittelbar auf den Alltag übertragen ließen. Albers’ Blick auf die Kunstgeschichte lässt sich anhand seiner slide concerts veranschaulichen: Hier konfrontierte er kommentarlos Dias von Kunstwerken aus unterschiedlichen Stilen, Epochen und Kulturkreisen, unter Verzicht auf eine chronologische oder hierarchische Anordnung. Auch wenn es Albers in erster Linie um die Wechselwirkungen unter- schiedlicher Farben und Formen ging22, so lässt der grenzenlos suchende Blick in den slide concerts bereits die Möglichkeit von Mixed Media- Ereignissen aufscheinen.23

21 BMC Catalogue, Winter 1933. BMC-Papers. 22 Seine Erkenntnisse zur gegenseitigen Beeinflussung der Farben fasste Albers in der Schrift Interaction of Colour zusammen. Albers, Josef: Interaction Of Colour, New Haven: Yale University Press 1963. 23 Einen weiteren Hinweis auf Albers’ gattungsübergreifendes Denken gibt sein Engagement für die abstrakte Kunst, der er das „musikalische“ Recht einräumte, sich selbst zu genügen: „non-representative form, form that exists for its own sake, namely for form reasons [...] which have life within themselves as music has.” Albers, Josef: Why I favor , in: 4

97 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

3.2 An American Salzburg: der Unterricht

Der Musikunterricht am BMC war in den 1930er Jahren von pädagogi- schem Pragmatismus und dem Einfluss europäischer Komponisten geprägt. Bereits in dieser Zeit zeigte sich die musikalische Sonderstel- lung des Colleges, auch wenn sich die formalen Innovationen späterer Jahre erst in Details erahnen ließen.

a. „I hear America singing“ (Walt Whitman)

Der landesweit gefragte Musikpädagoge Thomas Whitney Surette rich- tete 1933 seine Aufmerksamkeit auf das BMC.24 Geboren 1861, war Surette schon seit der Jahrhundertwende eine der treibenden Kräfte in der musikalischen Erziehung Amerikas gewesen. Er wendete sich gegen die demütige Haltung gegenüber der europäischen Kultur und die Musikun- terweisung als Privileg der Reichen. Surette forderte stattdessen die Ver- ankerung der Musik im Leben der Amerikaner. Ihm schwebte eine breite und lebenslange Musikförderung vor, die ihr Ziel nicht in großer Virtuo- sität, sondern in der Freude am Musikhören und -machen haben sollte. Sein Buch The Appreciation of Music (1907) gehörte schon vor dem Zweiten Weltkrieg zu den Standardwerken im Musikschulunterricht; in einem weiteren Werk, The Concord Series of Music and Books on the Teaching of Music, versammelte er traditionelle Folksongs, Märsche und Choräle zur alltäglichen Aufführung. Mit der Concord Summer School of Music gründete Surette 1915 eine musikalische Weiterbildungsstätte. Ted Dreier und einige Rollins-Studenten besuchten die Concord School im Sommer 1932. Als Dreier ihn bat, die Funktion als musikalischer Be- rater des BMC zu übernehmen, empfahl Surette als ersten Musiklehrer John Evarts. Surette selbst unterrichtete ab 1937 am BMC und wurde 1938 zur festen Lehrkraft ernannt. Im Dezember des gleichen Jahres erlitt er einen Schlaganfall, der es ihm unmöglich machte, den Lehrauf- trag weiter wahrzunehmen. Bei seinem Tod 1941 vermachte Surette dem BMC seine Musikbibliothek. John Evarts schrieb zum Einfluss Surettes auf das College: „Mr. Surette died in 1941, but his philosophy – his approach to music and its place in life continued to provide the basis of music life in the college; the growth of activities, the contributions of [Heinrich] Jalowetz and the others were entirely in harmony with his ideas.”25

Painters: Albers Dreier Drewes Kelpe (MoMA-Katalog), New York: 1936 (ohne Paginierung). 24 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris 1987, S. 28 ff.; Brody 2002, S. 240 ff. 25 Evarts, John: Music at BMC, 1933-1942: 1971, S. 4. BMC-Papers. Der erwähnte Heinrich Jalowetz kam 1939 als Musiklehrkraft an das College.

98 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

John Evarts war bei seiner Einstellung am BMC 1933 erst 25 Jahre alt.26 Er hatte die Hochschule für Musik in Berlin besucht, die David Mannes School of Music in New York, die Yale University und die Concord Summer School of Music. Nebenher arbeitete er als Kinopianist sowie als Musikkritiker des Brooklyn Daily . Evarts begann erst während seines Studiums in Yale, Klavierpartituren zu lesen. Vorher hatte er als Autodidakt vor allem improvisiert27 – eine Gabe, die ihm am BMC besonders zugute kam: Er begleitete den musikalischen Alltag und kom- ponierte Musik für verschiedene Theaterproduktionen. Wieder war es Surette, der 1935 mit Allan Sly eine weitere Musik- lehrkraft an das College empfahl.28 Der gebürtige Engländer Sly hatte zu- nächst eine Karriere als Konzertpianist und Komponist eingeschlagen. Erst nach seiner Emigration begann er in Kanada und den USA zu leh- ren. Am BMC komponierte er einige seiner wichtigsten Werke (vgl. Kap. 3.4). Seine Frau Betty Ware Sly unterrichtete Geige. Als Allan Sly das BMC 1939 wieder verließ, wurde er von Heinrich Jalowetz ersetzt, der zu diesem Zeitpunkt bereits eine glanzvolle Karriere als Dirigent hinter sich hatte und zudem als Schönberg-Spezialist galt. Jalowetz (geboren 1882 im tschechischen Brno) studierte in Wien bei Guido Adler Musikwissenschaft.29 1904 gehörte er, zusammen mit Anton von Webern und Alban Berg, zu den ersten Schülern Arnold Schönbergs. Als Dirigent am Neuen Theater in Prag (1916-1923) leitete Jalowetz verschiedene Uraufführungen Neuer Musik aus Wien. So dirigierte er etwa die Premiere von Schönbergs Gurreliedern auf der Österreichi- schen Musikwoche 1923 in Berlin. Am 13. März 1926 fand unter seiner Leitung die erste Wiener Teil-Aufführung von Alban Bergs Wozzeck statt (Drei Bruchstücke op. 7). 1933 verlor Jalowetz seine Stellung in Köln und floh über Wien, Reichenberg und Prag in die Vereinigten Staaten. 1939 lehrte er am Toronto Conservatory of Music, wo ihn seine Kollegen Ernst Krenek und Mark Brunswick schließlich an das BMC vermittelten und für seine Gehaltszahlung Stiftungsgelder des Oberlaender Trusts einwarben. In einem Empfehlungsschreiben an das College bezeichnete ihn Schönberg als einen seiner engsten Freunde.30 Jalowetz blieb mit sei- ner Frau Johanna bis zu seinem Tod 1946 am BMC. Johanna Jalowetz

26 Hierzu und zum Folgenden vgl. Duberman 1972, S. 34 ff.; Harris 1987, S. 32; Brody 2002, S. 240 ff. 27 In einem Bewerbungsbrief an John Andrew Rice vom 7. September 1933 schrieb Evarts von seinem „dubious gift of being able to approximate the effect of a piece of music without reading it”. BMC-Papers. 28 Vgl. Harris 1987, S. 32 f. 29 Vgl. ebd., S. 35.; Duberman 1972, S. 172 ff. 30 „among these six (or should I not better say, four?) who always were the dearest to me”. Arnold Schönberg in einem Brief an Frederick Mangold am 17. Mai 1939. BMC-Papers.

99 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE unterrichtete bis dahin als Tutorin Gesang; nach dem Tod ihres Mannes wurde sie offiziell in den Lehrkörper aufgenommen. Im musikalischen Curriculum der ersten Jahre des Colleges spiegel- ten sich die Ideale, die Thomas Whitney Surette für den Unterricht an Musikschulen veranschlagt hatte.31 John Evarts beschrieb sie in seinem Aufsatz Music at BMC 1933-1942:

„Expose students to only the best in musical literature: the best in ,serious’ music, the best in folk music.

Learn as much as possible through doing: through singing and through play- ing an instrument.

Learn to listen to music in its own terms: learn about the language of music, its elements and its forms.

Music should be a part of a general education: on a par with other studies and disciplines and not merely for aspiring professionals.

Music is not only important as a field of study; it should become a part of daily life.”32

Evarts entwarf den dreiteiligen Einführungskurs Music Appreciation. Der erste Teil diente dazu, Studenten ohne Vorkenntnisse einen groben Überblick zur Musiktheorie und -geschichte zu vermitteln. Ein Großteil der Kursarbeit bestand im gezielten Hören von Werken aus der Renaissance, dem Barock und der Romantik. Bei der Vermittlung von Harmonie und Kontrapunkt ermutigte Evarts die Studenten, jeden theo- retischen Lernschritt sofort in eine kompositorische Übung umzusetzen. Der Anschlusskurs setzte diese Arbeitsweise mit der Musik von Beetho- ven und Brahms fort, während der dritte Kurs sich mit der Zeit nach Brahms bis ins 20. Jahrhundert beschäftigte. Verschiedene Ensembles unter der Leitung von Allan Sly ergänzten die Einführungskurse: Der Chor war offen für alle Studenten, während im Orchester und im Kammermusik-Ensemble grundlegende Fähigkeiten vorausgesetzt wur- den. Fortgeschrittenen Studenten gab Sly Einzelunterricht. Die dreiteilige Einführung bestand bis 1942, als John Evarts zum Kriegsdienst eingezo- gen wurde. Mit Frederic Cohen und Edward Lowinsky wurde er von

31 Hierzu und zum Folgenden vgl. Hines 1973, S. 108 ff. BMC-Papers. 32 Evarts 1971, S. 1. BMC-Papers.

100 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE zwei europäischen Lehrkräften ersetzt, die größeres Gewicht auf Kurse aus ihren jeweiligen Spezialgebieten legten.33 Der Komponist, Pianist und Dirigent Frederic Cohen hatte in Leipzig studiert und an den Stadttheatern in Münster und Würzburg sowie am Folkwang Tanztheater Studio in Essen gearbeitet. Er kam mit 38 Jahren an das College, nachdem er über acht Jahre als musikalischer Leiter mit dem Ballet Jooss international getourt war. Ein Stipendium der William C. Whitney-Stiftung ermöglichte ihm und seiner Frau Elsa Kahl, die im Ballet Jooss Solotänzerin gewesen war, die Arbeit am BMC. Zeitgleich kam mit Edward Lowinsky (geboren 1908 in Stuttgart) ein Experte für Renaissance-Musik an das College. Lowinsky war russisch-jüdischer Herkunft und hatte in Heidelberg bei Karl Jaspers Philosophie und bei Heinrich Besseler Musikwissenschaft studiert. 1933 floh er mit seiner Frau Gretel über Holland und Kuba nach New York, wo er privaten Musikunterricht gab und sich einen Namen als Autor machte, u.a. mit ei- nem Theoriewerk über Orlando di Lasso. Seine Anstellung am BMC wurde durch eine Spende des Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars finanziert. Während die alteingesessenen amerikanischen Bildungsinstitutionen um 1940 kein großes Interesse an den europäischen Immigranten zeigten, stand ihnen die Tür zum inhaltlich noch nicht ganz ausdefinierten BMC offen. Das College profitierte erheblich davon: Der Musikunterricht erhielt durch die fachlich kompetenten Neuzugänge professionelleren Charakter und eine größere Bandbreite. Die Einführungskurse wurden ausdifferenziert34 und um weiterführende Seminare ergänzt, die das Werk großer europäischer Komponisten zum Thema hatten. Der Musik- abschluss am BMC war nun in den Fächern Musikgeschichte, Geige, Klavier und Gesang möglich. Der Unterricht fand seine praktische Fort- setzung in einigen neugegründeten Ensembles: Neben dem allgemeinen Chor gab es ein Vokal- und ein Instrumental-Ensemble sowie Edward Lowinskys collegium musicum (vgl. Kap. 3.3.b). Auch wenn über die Jahre nur wenige Studenten davon Gebrauch machten, so war es doch möglich, am BMC einen halboffiziellen, aber weithin anerkannten Bachelor-Abschluss in Musik zu erwerben.35 Die inhaltlichen Anforderungen für das Examen entsprachen den üblichen Hochschulstandards, auch wenn das BMC keinen festgelegten Studien-

33 Vgl. Harris 1987, S. 75 f. 34 Statt der drei Kurse Music Appreciation gab es nun eine Einführung, drei Kurse in Harmonielehre, zwei in Kontrapunkt sowie Kurse in Gehörbildung, Komposition und Instrumentierung. BMC Bulletin, Dezember 1942, S. 20 f. BMC-Papers. 35 Anna M. Hines spricht von nur sieben Studenten, die über die Jahre ihr Examen in Musik absolviert hätten. Vgl. Hines 1973, S. 139 ff. BMC-Papers.

101 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE ablauf vorschrieb. Beim Übergang zwischen junior und senior division mussten sich auch Studenten, die nur nebenbei Musikkurse belegt hatten, mit musikalischen Fragestellungen auseinander setzen. Die senior divisi- on stand im Zeichen der Spezialisierung auf ein Instrument oder ein mu- siktheoretisches Gebiet. Während dieser Studienphase wurden keine Leistungsnachweise gefordert, aber jeder Student hatte seinem Betreuer mehrmals pro Semester zu schildern bzw. vorzuspielen, womit er sich in letzter Zeit beschäftigt hatte. Den Zeitpunkt des Examens konnten sich die Studenten frei wählen. Zu den musikalischen outside examiners am BMC gehörten Ernst Krenek und Bruce Simonds von der Yale Universi- ty.36

b. Summer Music Institutes

Heinrich Jalowetz stellte aufgrund seiner integrativen Fähigkeiten das Zentrum des Musikbereichs dar. Seine Rolle war die des Vermittlers zwischen verschiedenen Lagern und Meinungen. 1944 rief Jalowetz die Summer Music Institutes ins Leben, die dem College den Ruf bescheren sollten, „An American Salzburg“ zu sein.37 Sie richteten sich nach dem Vorbild der Concord Summer School of Music, die nach Thomas Whitney Surettes krankheitsbedingtem Ausscheiden geschlossen worden war. Zeitgleich zum Music Institute fand auch ein Art Institute unter der Leitung von Josef Albers statt. Die Grundidee der Summer Institutes war eine (auch finanziell) intensivere Nutzung des Colleges, das durch den Militärdienst viele männliche Studenten verloren hatte.38 Das übergreifende Motto des ersten Music Institutes lautete Inter- pretation. In einer Ankündigung sprach Heinrich Jalowetz den Künsten die Aufgabe zu, die von Unheil gebeutelte Welt neu zu konstituieren. Der Interpret hatte seinerseits die Kulturerzeugnisse zu deuten, ohne das Material seinem Willen zu unterwerfen.39 Das Institute war Elizabeth Sprague Coolidge gewidmet, der Gründerin des Berkshire Festivals of Chamber Music. Eigentlicher Anlass aber war der 70. Geburtstag Arnold Schönbergs, der krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte. Vom 3. Juli

36 Examination Files. BMC-Papers. 37 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris 1987, S. 93 ff.; Hines 1973, S. 48 ff. BMC-Papers; Brody 2002, S. 244 ff. 38 Bereits seit 1941 veranstaltete das College sogenannte work camps: Studenten, die den Sommer auf dem Campus verbringen wollten, arbeiteten auf der College-Farm und führten anfallende Reparaturen durch. Der Aufenthalt und Besuch von Kursen der Summer Session waren für sie kostenlos. Vgl. Harris 1987, S. 91. 39 „[...] to grasp the works of the past as they really were: works of a present time, and therefore to give them the character they had in the time they were written: the character of something amazing and new.“ BMC Bulletin, Januar 1944. BMC-Papers.

102 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE bis zum 6. September versammelten sich am BMC zahlreiche Mitglieder des Schönberg-Kreises zu ihrem bis dahin größten Treffen im Exil. Dazu gesellten sich Musiker, Theoretiker, Dirigenten, Komponisten und Kriti- ker aus ganz Amerika. Zu den vortragenden Gästen gehörten Ernst Krenek, die Columbia-Professorin Yella Pessl und Roger Sessions von der Princeton University. Aus der Fülle an Ereignissen dieses Sommers seien einige herausgegriffen, die besonderen Zuspruch fanden: Schön- bergs Schwager Rudolf Kolisch, der ein exklusives Streichquartett zusammengestellt hatte, gab den Kurs Democratic Practices of Ensemble Playing. Er bestand aus 20 öffentlichen Proben von Schönbergs Streich- quartett Nr. 1. Die Partitur wurde auf eine Leinwand projiziert, so dass alle Besucher sehen konnten, worüber die Musiker diskutierten. In Robert Wunschs Beschreibung der ersten Probe zeigt sich, welchen Ein- druck dieses Ereignis gerade auf Musiklaien ausübte:

„These musicians had never played together before so we had the privilege of watching them begin work. There were differences of opinion, of course, about how a phrase should be played. There were discussions. There were explanations. There was […] concentrated work. It was […] an adventure in dramatics for me, this seeing of order coming through hard work, out of a beginning unfamiliarity.”40

Das pädagogische College-Ideal der anschaulichen Vermittlung war in diesem Fall erfolgreich, denn Schönbergs Streichquartett, das bei seiner Premiere 1907 Kontroversen ausgelöst hatte, wurde in der Version des Kolisch Quartetts enthusiastisch aufgenommen. Aus den Vorlesungen und Workshops zum Thema Interpretation sta- chen besonders Ernst Kreneks Vorträge heraus, der zu dieser Zeit an der Hamline University in St. Paul/Minnesota lehrte. Kreneks Themen lau- teten The Composer and the Interpreter und Schönberg at Seventy. In der Diskussionsreihe The Composer and the American Music Market sprach Roger Sessions zu dem Thema Music and Business. Ernest Bacon, Leiter des Musikbereichs am Converse College, leitete das Panel Learning and Intuition in Music Education und Mark Brunswick, Webern-Schüler und Vorsitzender der US-Sektion der Internationalen Gesellschaft für zeitge- nössische Musik, führte durch die Diskussion zur Musical Community. Roger Sessions bezeichnete das BMC bei seiner Rückkehr in einem Ar- tikel für die New York Times als „one of the most vital signs of what must and can be achieved for music in the United States“.41 Mit dem Summer Music Institute 1944 ließ das BMC erstmals landesweit aufhorchen.

40 Zitiert nach: Harris 1987, S. 94. 41 Sessions 1944. BMC-Papers.

103 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Die Neuauflage 1945 wurde von Edward Lowinsky organisiert.42 Diesmal stand das Institute unter dem Motto Polyphony and Ensemble und war dem verstorbenen Thomas Whitney Surette gewidmet. Lowinsky wies in der Ausschreibung darauf hin, dass der Trend zur Po- lyphonie und zum kleineren Ensemble im 20. Jahrhundert als ein Modell der idealen Kommunikation zwischen freien Individuen sowie als Zei- chen für die Bereitschaft zur Versöhnung von Individuum und Gesell- schaft zu verstehen sei.43 Zu den Gästen gehörten in diesem Sommer der Pianist Erwin Bodky, ein Spezialist auf dem Feld der Alten Musik, der 1948 als Professor an das BMC zurückkehrte; des Weiteren der renom- mierte Musikwissenschaftler Alfred Einstein, der Wiener Komponist Hugo Kauder und der Tenor Roland Hayes. Das Thema „Polyphony“ wurde in vier chronologisch zusammenhängenden Kursen von Einstein, Lowinsky, Jalowetz und Bodky behandelt. Zu den beliebtesten Veran- staltungen zählte Bodkys Kurs Three Hundred Years of Keyboard Music (1500-1800), dessen Motivation er auf der ersten Versammlung des In- stitutes folgendermaßen umschrieb: „Music is realizing that by going back it can find its way out of the impasse of the nineteenth century and can go toward a new influence in musical writing.“44 Heinrich Jalowetz schloss mit dem Gedanken an: „our tendency now is to get rid of a style too much concerned with harmony“.45 Auch wenn dieser Satz schon die späteren Besuche John Cages vorwegzunehmen scheint, so war das Col- lege zu dieser Zeit doch fest in der Hand der europäischen Musiktraditon. Der gesamte Musik-Lehrkörper bestand aus europäischen Immigranten, was sich in der inhaltlichen Ausrichtung deutlich niederschlug: Das BMC war gleichermaßen zum Zentrum der Schönberg-Anhänger in der Emigration geworden, als auch – durch Lowinsky und später Bodky – zu einer angesehenen Forschungsstätte Alter Musik. Die Einschätzung des Reporters der Asheville Citizen Times vom 9. September 1945 ist so ge- sehen als durchaus realistische Momentaufnahme anzusehen:

„Once more that unique venture in modern education, BMC has made this mountain region the site and center of a promising cultural development. Black Mountain’s Second Annual Music Institute has brought together artists of the first rank and students and music lovers from many parts of the Eas- tern United States. Conceivably the future could bring a sort of American Salzburg Festival to our own mountains, centering about the best talent available in the music world.”46

42 Vgl. Harris 1987, S. 101 ff. 43 BMC Newsletter, April 1945. BMC-Papers. 44 BMC Newsletter, August 1945. BMC-Papers. 45 Ebd. 46 Asheville Citizen Times, 9. September 1945. BMC-Papers.

104 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Angesichts des öffentlichen Erfolgs stellte Edward Lowinsky nach dem Ende des Music Institutes 1945 fest, dass die Veranstaltung dem College über den Kopf gewachsen war und sich in der Erwartung steigender Be- sucherzahlen nicht mehr seriös bewältigen ließe.47 Für das Folgejahr wurde die Reihe ausgesetzt, und ab 1947 fanden die Music und Art Institutes als gemeinsame Summer Sessions statt.

c. Der Unterricht in den späteren Jahren des Colleges

1947 war für die Musik am BMC ein Jahr des Übergangs. Frederic Cohen hatte das College schon 1944 verlassen, Heinrich Jalowetz war 1946 gestorben und Edward Lowinsky nahm 1947 ein Guggenheim- Stipendium an. Danach war Charlotte Schlesinger neben Johanna Jalowetz die einzige Musiklehrende am BMC.48 Schlesinger hatte in Berlin bei Franz Schreker studiert, 1929 den Beethoven-Preis für Kam- mermusik-Kompositionen gewonnen und 1930 die erste europäische Aufführung von Paul Hindemiths Oper Wir bauen eine Stadt geleitet. Sie lehrte in Berlin, Wien und Kiew, bevor sie 1938 nach Amerika kam und zunächst eine Anstellung an der Foxhollow School in Lenox/Massa- chusetts erhielt. Wohl auch aus Personalmangel etablierte Schlesinger 1947 wieder den von John Evarts erdachten Einführungskurs, in wel- chem sie gleichermaßen Theorie und Geschichte unterrichtete. 1948 kam Erwin Bodky, der schon während der beiden vorangegan- genen Sommer als Gastdozent gewirkt hatte, als Professor an das College.49 Bodky, geboren in Ostpreußen, hatte zweimal den Felix Mendelssohn-Bartholdy-Preis für Komposition gewonnen und zu den wenigen Schülern von Richard Strauss gehört. Sein Buch Der Vortrag alter Klaviermusik (1932) hatte ihm den Ruf eines Spezialisten für die Interpretation Alter Musik eingebracht. 1933 flüchtete Bodky von Berlin nach Holland und 1938 weiter in die Vereinigten Staaten, wo er an der Longy School of Music in Cambridge unterrichtete und 1945 die Cam- bridge Society for Early Music gründete. Im Sommer 1947 gab er am BMC den Kurs From Romanticism to Modern Music, in dem er die mu- sikalischen Vorboten des 20. Jahrhunderts thematisierte. Trotzdem wurde Bodky nach dem Auftreten John Cages zu dessen konservativem Gegen- spieler am BMC. Nachdem Cage die Summer Session 1948 dominiert hatte (vgl. Kap. 3.6.b.), widmete Bodky den darauf folgenden Sommer ausschließlich barocker Musik: Das dreitägige Bach-Festival im Juli 1949 stellte den Höhepunkt seiner Bemühungen dar, den traditionellen

47 Summer Institute File, BMC-Papers. 48 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris 1987, S. 117 ff.; Hines 1973, S. 96 f., 131 ff. BMC-Papers. 49 Vgl. Hines, S. 95 f., 134 ff. BMC-Papers.

105 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Anteil der Musiklehre am BMC nicht vollends eingehen zu lassen. Bodky verließ das College 1949 in Richtung Brandeis University, kurz nachdem der Weggang von Dreier, Albers und Schlesinger endgültig das Ende der europäischen Prägung des BMC eingeläutet hatte. Der Sommer 1950 war geprägt von Aufführungen zeitgenössischer Musik. Den Lehrkörper bildeten zu dieser Zeit Vollmer Hetherington und Margaret Freeman. Obwohl beide konventionell unterrichteten, bemühten sie sich für die Summer Sessions um ein modernes Konzert- programm. So spielte das zu diesem Anlass gegründete Summer String Quartett50 die Uraufführung von Cages String Quartett in Four Parts. Die beiden letzten wichtigen Musik-Lehrkräfte des BMC kompo- nierten avantgardistisch, lehrten jedoch ebenfalls eher klassisch: Lou Harrison besuchte das College zuerst im Sommer 1951 und wurde zum Herbst in den Lehrkörper aufgenommen.51 Harrison, geboren 1917 in Portland, studierte in Kalifornien bei Henry Cowell, Virgil Thomson und Arnold Schönberg. In New York arbeitete er als Musikkritiker und unter- richtete an der Greenwich House Music School. Als Harrison an das BMC kam, erholte er sich gerade von einem Nervenzusammenbruch. Cage hatte Harrison an das BMC empfohlen, weil er glaubte, dass ihm das vermeintlich ruhigere Leben in der Provinz gut tun werde. Tatsäch- lich blieb Harrison sogar am Black Mountain, als er 1952 ein Guggen- heim-Stipendium für die Komposition einer Oper erhielt: Rapunzel ent- stand in der Zwölftontechnik, enthielt aber auch fernöstlich inspirierte Passagen in reiner Stimmung. Den Grund dafür, dass er trotz seiner eige- nen Experimentierfreude am BMC traditionell unterrichtete, sah Harrison in der fehlenden Vermittelbarkeit von Avantgarde-Musik: „How are you going to teach if there isn’t anything to teach, don’t you see? […] And now, of course, aleatory and wiring for musicians has taken over. When I meet an avant garde composer now who’s a teacher, I just ask whether he’s giving beginning or advanced aleatory.“52 Mit dieser Einstellung entsprach Harrison der am College gängigen Methode, den Studenten ein breites handwerkliches Wissen zu vermit- teln, um ihnen stilistische Entscheidungen selbst zu überlassen. Als Harrison 1952 die Lehrtätigkeit niederlegte, um seine Oper zu schreiben, kam Stefan Wolpe an das BMC, der als Musikdirektor bis kurz vor der Schließung 1956 blieb.53 Wolpe, geboren 1902 in Berlin, hatte an der Staatlichen Hochschule in Berlin studiert und privaten Unterricht bei Paul Juon und Ferruccio Busoni genommen. Wolpe stand den Dadaisten

50 Das Quartett bestand aus Hetherington, Robert Brink, Eleftherios Elef- therakis und Arthur Fiedler. BMC Bulletin, Juli 1950. BMC-Papers. 51 Vgl. Hines 1973, S. 137 f.; Harris 1987, S. 204 ff.; Brody 2002, S. 257. 52 Lou Harrison im Interview mit Mary Emma Harris, 5.1.1972. BMC-Papers. 53 Vgl. Harris 1987, S. 206 ff.; Brody 2002, S. 262 ff.

106 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE nahe und komponierte als Mitglied der Novembergruppe politisch enga- gierte Lieder. In den 1920er Jahren besuchte er mehrfach das Bauhaus: „We all travelled there like pilgrims to Jerusalem or Mecca“54, erinnerte sich Wolpe in der Emigration. Er gehörte damit (neben Albers und Schawinsky) zu den Personen, die eine direkte Verbindungslinie zwi- schen Bauhaus und BMC darstellten. 1933 trat Wolpe eine lange Flucht an: Sie führte ihn über die Schweiz und Russland nach Wien, wo er bei Anton von Webern Kompositionsunterricht nahm, dann weiter über Ru- mänien und Brüssel bis nach Palästina. In Jerusalem lehrte Wolpe am Palestine Conservatory of Music. 1938 kam er in die USA und unter- richtete in New York an der Brooklyn Free Music Society. In Philadel- phia verpflichteten ihn die Settlement Music School und die Academy of Music. Zu seinen Schülern gehörten mit und der Kern der später so benannten New York School, aber auch Jazz-Musiker wie Gil Evans und John Carisi. Wolpe suchte als Komponist die Nähe zu Künstlern; in New York etwa bewegte er sich im Umfeld der Abstrakten Expressionisten. Am BMC fühlte er sich neben seiner Freundschaft zu Malern wie Franz Kline der Dichtung und Person des letzten Rektors Charles Olson verbunden, der wie Wolpe auf einen tief im Inneren des Künstlerindividuums lie- genden, energetischen Impuls als strukturbildendes Element vertraute. Beide sahen in der Kunst vor allem ihren Aktions- und Ereignischarakter. Wolpes Denken war von der Idee bestimmt, disparate Elemente mit- einander zu verbinden. In seinen Kompositionen treffen Versatzstücke von unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Charakter aufein- ander: Er verband Zwölftonmusik, Jazz, europäische und arabische Folklore zu einer expressiven Spielart, die sich keiner Schule vollständig zuordnen lässt. Da sich die avancierte Musikwelt der 1950er Jahre in strengen Serialismus und den Einsatz von Aleatorik aufteilte, blieb Wolpe mit seinem gleichermaßen abstrakten wie emotional-eruptiven Stil ein Außenseiter. Sein Unterricht am BMC war zweigeteilt: Die general studies hatten Grundlagen der Komposition, Gehörbildung sowie Workshops in Vokal- und Instrumentalmusik zum Gegenstand. In den special studies wagte er sich kurzzeitig an die Vermittlung der Funda- mente zeitgenössischer, auch serieller Komposition.55 Wolpes Lehre am BMC war jedoch weniger stilbildend als sein New Yorker Unterricht, weil sich das College in den 1950er Jahren bereits auf finanzieller Tal- fahrt befand: Die Studentenzahlen waren stark zurückgegangen und die Arbeitsbedingungen so widrig, dass Wolpe sich nach einer anderen

54 Zitiert nach: Brody 2002, S. 263. 55 BMC Bulletin, November 1951. BMC-Papers.

107 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Stellung umsah, obwohl er mit den Grundsätzen des Colleges überein- stimmte.56 Ein Sonderfall in der Musiklehre war Pete Jennerjahns Percussion- Workshop in den Jahren 1950/51, der ein gemeinsames Experimentieren zum Gegenstand hatte.57 Der Kurs war auf Anregung von Jennerjahns Frau Betty entstanden und von keinerlei Gremium erlaubt oder begut- achtet worden. Organisation und Durchführung deuten auf eine unkon- ventionelle Herangehensweise:

„I didn’t really learn to play the drums. But the matter of this percussion class was an investigation of rhythms more than drumming itself. […] We in- vestigated the possibility of what we could get our hands on that would make sounds. We used everything from stones to pitchforks. […] After that, I wrote rhythmic exercises where people would do things like play some kind of rhythmic passage in fours against somebody else’s doing threes and some- body else doing it in sevens at the same time. And then we would have these incidents of resulting rhythm.”58

Der offenkundig improvisierte Charakter des Unterrichts sollte nicht dar- über hinwegtäuschen, dass Jennerjahns Ansatz dem Gründungskonzept des BMC durchaus nahe kam: Wie Dewey und Surette es gefordert hat- ten, ermutigte er seine Studenten dazu, aus einer sinnlichen Erfahrung heraus zu agieren – in diesem Fall, die Grundbedingungen der Klanger- zeugung zu erforschen. Zwar stellt der Percussion-Kurs in der Ge- schichte des Musikunterrichts eher eine episodische Randnotiz dar, doch inhaltlich lieferte Jennerjahn das bis dahin einzig schlüssige Konzept, die Spezifika des Colleges mit der Musiklehre zu verbinden. Dem offiziellen Unterricht fehlte dagegen das Unverkennbare: Er blieb im soliden, aber üblichen Rahmen des amerikanischen Musikhoch- schulangebots der 1930er bis 1950er Jahre. Trotz der vielen großen Namen entsprach die (vornehmlich europäisch geprägte) Lehre kei- neswegs den fortschrittlichen Zielen des Colleges, obwohl zumindest die interdisziplinär interessierten Lou Harrison und Stefan Wolpe zweifels- ohne das Potenzial für eine den Umständen angemessene Unterrichts- gestaltung besaßen – während Wolpe am ungünstigen Zeitpunkt gescheitert sein mag, glaubte Harrison schlicht nicht an die Möglichkeit einer Lehre abseits der klassischen Form. Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang bezeichnend: Mit Pete Jennerjahn ging die einzige Lehrinnovation von einem „Ungeschulten“

56 Vgl. Brody 2002, S. 267. 57 BMC Bulletin, August 1950. BMC-Papers. 58 Pete Jennerjahn im Interview mit Mary Emma Harris am 28. Juni 1981. BMC- Papers.

108 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE aus, der eigentlich gar nicht als Musik- sondern als Kunstdozent am BMC beschäftigt war (ähnlich wie Moholy-Nagy am Bauhaus). Zum an- deren wurde John Cage zweimal an das College eingeladen, um Lehve- ran-staltungen abzuhalten, doch beide Male suchte er sich für die Ver- mittlung seiner Ideen Foren außerhalb der Klassenräume (vgl. Kapitel 3.6.b).

3.3 Musik und Alltag

„Chairs were arranged around two pianos. [They] were playing Debussy’s Etude en blanc et noir. People were intended, absorbed. Lights dim. Nothing casual about it. For me this was amazing, exciting, very otherworldly. I had been used to […] Antioch Students for whom a concert was a performance, something formal and a little remote, part of ‚culture’. Here music was ob- viously something different from that; it appeared to be part of the way these people lived.”59

Dies ist die Beschreibung des ersten Eindrucks von Wilfrid Gardiner Hamlin beim Betreten des BMC-Foyers Mitte der 1930er Jahre. Er war seinerzeit Student des Antioch College, das ebenfalls den Ruf genoss, fortschrittlich eingestellt zu sein. Hamlin entschloss sich nach seinem Besuch jedoch, an das BMC zu wechseln. Ein zweites Zitat, das sich auf eine Begebenheit etwa 15 Jahre später (nämlich 1951) bezieht, veran- schaulicht die kontinuierliche Intensität, mit der der Alltag am BMC mu- sikalisch gestaltet wurde:

„Every evening you came to dinner – we all ate in the common dining-room – and you never knew what in the hell was going to happen – a concert, a show, a dance, a reading. I’d never heard of David Tudor, but suddenly there was a concert by a pianist named David Tudor on a sunday afternoon. We all played ball […] and I can remember we came in and were so embarrassed, because we were full of sweat. So we sort of went out and sneaked onto the porch to lie down and listen to this man. And that’s when I first heard Bou- lez’s Second Sonata – all covered with dust from playing first base, and full of sweat. I thought I’d flip. I hadn’t heard anything as interesting as that since I once heard Bach. The only other piece of music I’ve heard in my life, practically, was this goddamned Tudor playing the Second Sonata of Boulez.”60

59 Zitiert nach: Duberman 1972, S. 96. 60 Zitiert nach: Clayre, Alasdair: The Rise and Fall of BMC, in: The Listener, 27. März 1969, S. 412. BMC-Papers.

109 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Thomas Whitney Surettes Wunsch nach Verankerung der Musik im All- tag scheint in der beschriebenen Szene in nahezu idealtypischer Weise verwirklicht. Obwohl informelle musikalische Veranstaltungen naturge- mäß nicht an feste Zeiten und Orte geknüpft waren, lassen sich verschie- dene Personen und wiederkehrende Gelegenheiten ausmachen, die der Musik im Alltag des Colleges fast rituellen Charakter verliehen.

a. Gelegenheits-Musik

John Evarts war als erster Musiklehrender am BMC auch außerhalb der Kurse die treibende musikalische Kraft während der ersten Jahre.61 Mehrmals pro Woche spielte er nach dem Abendessen in der dining hall Klaviermusik: Die Studenten tanzten zu Walzern, Polkas und Folksongs, bevor die Abendkurse begannen. Zur festen Institution wurden die samstäglichen Konzerte, bei denen Musiklehrende gemeinsam mit ihren Studenten auftraten. Den Konzerten gingen in der Regel kurze Einfüh- rungen voraus. Häufig waren die Veranstaltungen bestimmten Themen oder Anlässen gewidmet. So gab es jährlich drei Abende, die sich aus- schließlich mit Bach, Mozart und Beethoven beschäftigten.62 Heinrich Jalowetz leitete regelmäßig Aufführungen mit Musik von Arnold Schön- berg; ansonsten fanden Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert erst En- de der 1940er Jahre in das Programm der Samstagskonzerte. Da nur eine begrenzte Auswahl an Konzertliteratur und an Instrumenten zur Verfü- gung stand, arrangierten Studenten die Stücke nach Bedarf um. Andere Kompositionen, deren Aufführung am BMC technisch nicht machbar war, wurden in recording concerts per Tonträger vorgestellt, ebenfalls begleitet von einem einleitenden Vortrag. Das gemeinsame Anhören einer Aufnahme von Mozarts Don Gio- vanni begleiteten im Oktober 1944 Josef Albers und Alexander Reed mit Pappfiguren, die der Dramaturgie szenisch folgten.63 Im Jahr zuvor hatte Albers einen Fotovortrag über den Maler Matthias Grünewald gehalten. Im Anschluss daran wurde eine Plattenaufnahme von Hindemiths Oper abgespielt und später von Frederic Cohen analysiert.64 Anfang 1947 stand ein Abend im Zeichen von Shakespeare, als Kooperation der Musik-, Theater- und Literatur-Fachbereiche. Neben ei- nigen Szenen wurden Lieder vorgetragen, die in Shakespeares Stücken auftauchen. Im Programmheft waren gedichtete Passagen abgedruckt, die Musik zum Thema hatten.65

61 Hierzu und zum Folgenden vgl. Hines 1973, S. 17 ff. BMC-Papers. 62 Ebd., S. 22. 63 BMC Bulletin, 30. Oktober 1944. BMC-Papers. 64 BMC Bulletin, 5. Juni 1943. BMC-Papers. 65 BMC Bulletin, 17. Januar 1947. BMC-Papers.

110 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Musikalische Darbietungen fanden auch zu besonderen Terminen im Jahr statt: Beschreibungen überschäumender Thanksgiving- und Hallo- ween-Partys gemahnen durchaus an die legendären Bauhaus-Feste.66 Zum Thanksgiving 1938 entwarf John Evarts zusammen mit dem Dichter William McCleery Songs, die das Leben am College persiflierten.67 Im Jahr darauf erarbeiteten beide die musikalische Komödie Let Me Have Air, in der ein junger Mann aus der Provinz sein Glück in der großen Stadt versucht. Als McCleery das College 1943 noch einmal besuchte, stellte er fest, dass in der inzwischen intellektualisierten Atmosphäre ein Stück wie Let Me Have Air aufgrund seiner Naivität („simpleminded idealism“) fehl am Platz gewesen wäre.68 Konzerte mit entsprechender Musik fanden statt, wenn es Anlass zu besonderer Freude gab, etwa bei der Ankunft von Gästen. Für traurige Momente galt das gleiche: Als Heinrich Jalowetz 1944 überraschend starb, leitete Edward Lowinsky eine Aufführung von Brahms’ Requiem.69 Ab Anfang 1944 fanden sich an Sonntagabenden Musikinteressierte im Haus der Lowinskys zusammen: Üblicherweise spielte Edward Lowins- ky ein Stück, das er im Anschluss mit den Anwesenden diskutierte.70 Lowinsky leitete auch die Einrichtung und Katalogisierung einer Musik- bibliothek, bestehend u.a. aus den Büchern, Partituren und Platten, die Thomas Whitney Surette dem College vermacht hatte. Das Round House stand den Studenten als Proberaum und Bibliothek zur Verfügung.

b. Chöre und Ensembles

Schon in den ersten Jahren des Colleges trafen sich regelmäßig Gruppen auf unterschiedlichem musikalischen Niveau: Der Chor war ausdrücklich für alle Studenten offen, unabhängig von ihrer Gesangs-Vorbildung.71 Die Instrumental-Ensembles erforderten naturgemäß Vorkenntnisse. Da- neben wurden über die Jahre immer wieder Ensembles gegründet, die sich mit spezieller Musiklektüre auseinander setzten: 1942 etwa gab es einen A-Capella-Chor, ein Vokalensemble, ein Instrumentalensemble und das collegium musicum, das sich unter der Leitung von Edward Lowinsky vornehmlich Alter Musik annahm.72 Erwin Bodky übernahm das collegium Ende der 1940er Jahre. Nur selten arbeiteten die verschie- denen Ensembles professionell auf bestimmte Auftritte hin; die Konzerte

66 BMC Bulletin, 27. November 1944. BMC-Papers. 67 BMC Newsletter, Dezember 1938. BMC-Papers. 68 Dargestellt nach: Harris 1987, S. 39 f., 70. 69 Hines 1973, S. 21. BMC-Papers. 70 BMC Bulletin, 7. Februar 1944. BMC-Papers. 71 Vgl. Harris 1987, S. 32 f, 75 f. 72 Evarts 1971, S. 15. BMC-Papers.

111 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE hatten häufig den Charakter öffentlicher Proben. Die Musikpraxis diente der Umsetzung der Lehrinhalte und der musikalischen Gestaltung des Zusammenlebens. Jane Mayhall beschreibt, wie sich Musik aus den schon informellen Chören und Ensembles weiter in den Alltag trug: „It may sound peculiar or eccentric, but everybody went around whistling or humming themes from Mozart operas, Bach fugues, etc. more or less un- consciously because that was the general atmosphere.“73

c. Radio- und Theaterprogramme

Die meisten Gelegenheiten, bei denen sich Musik mit anderen Kunstfor- men vermischte, fanden außerhalb des offiziellen Unterrichts statt; bei einigen von ihnen war der alltägliche Bezug sogar bewusstes Stilmittel. Die vielfältigen Kollaborationen, die es am BMC gegeben hat, sollen für sich genommen in den Kapiteln 3.5 und 3.6 behandelt werden. Wegen ihrer vornehmlich pädagogischen Ausrichtung gilt eine Ausnahme für die Programme, die Studenten und Lehrende regelmäßig für die in Ashe- ville ansässigen Radioanstalten WWNC und WISE produzierten. Dies ist besonders erwähnenswert angesichts der Skepsis, die viele Bewohner der konservativen Region dem College entgegenbrachten. Die Sendungen für WWNC wurden nach erzieherischen Maßstäben konzipiert und funktio- nierten zumeist als Kooperation der Musik- und Theaterbereiche. Im November 1941 beschäftigten sich drei Sendungen mit dem Thema The American Myth: Es gab Features zu Benjamin Franklin, Thomas Jeffer- son und David Crockett. Nachgestellte Szenen aus dem Leben der jewei- ligen Person wurden von Diskussionen zu ihrem Wirken und für diesen Anlass komponierter oder bearbeiteter Musik ergänzt – für den Beitrag zu Benjamin Franklin etwa arrangierten Studenten ältere Folksongs für Violine und Klavier. Für eine Präsentation von Molières Les Précieuses Ridicules spielte das College String Quartet Musik aus der Zeit der Ent- stehung des Stückes.74 1943 lud die Radiostation WISE das BMC ein, einige Sendungen für Kinder zu produzieren, die mittwochs vormittags in die Schulklassen der Umgebung ausgestrahlt wurden. Die erste Produktion befasste sich im Januar mit Edvard Griegs Peer Gynt. Vor der Ausstrahlung wurden den Schulen handouts zugesendet, verfasst von den Studentinnen Maja Bentley und Ruth Miller. Nach dem Erfolg der Sendung kam ein Folge- auftrag für zwei Beiträge zu Stephen Foster zustande, die im März gesendet wurden.75

73 Brief von Jane Mayhall an Anna Hines, 1. Oktober 1972. BMC-Papers. 74 BMC Newsletter, November 1941. BMC-Papers. 75 BMC Bulletin, 3. Januar 1943. BMC-Papers.

112 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Das BMC gestaltete auch Kinderprogramme im Asheviller Plaza Thea- ter, so etwa im April 1942 The Elves and the Shoemaker, ein Stück von Charlotte Chorpennings, für das Frederic Cohen die Musik schrieb und seine Frau Elsa die Choreographie entwarf. Eine weitere Aufführung des Stückes fand an der Stephens Lee High School für farbige Kinder statt.76 An beiden Stätten sowie über beide genannten Radiostationen wurde im April 1944 das Stück More Straw for the Scarecrow gespielt, das zwei BMC-Studentinnen geschrieben hatten: Elizabeth Kelley (Text) und Bar- bara Pollet (Musik).77 Das Kindertheater Asheville lud das BMC darauf- hin ein, mit einem neuen Stück die Saison 1945 zu eröffnen. Elizabeth Kelley schrieb An Almost Lonely Christmas, zu dem die Klasse von Edward Lowinsky die Musik und Choreographie beisteuerte.78 Das Stück wurde noch mehrfach wiederaufgeführt und in Auszügen über WWNC und WISE ausgestrahlt. Zum musikalischen Charakter der erwähnten Produktionen ist kaum etwas überliefert, doch der pä- dagogisch motivierte Anlass legt eine kindergerechte, also einfach strukturierte Musik nahe. Allemal zeigen diese Radio- und Theaterpro- duktionen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen offen- sichtlich gut funktionierte und Auftragsarbeiten zur Zufriedenheit eines größeren Publikums erfüllt wurden. BMC-Studenten spielten auch in den Gottesdiensten eines Krankenhauses in Black Mountain und gaben Kon- zerte in den umliegenden Schulen.

d. Konzerte

Über die Jahre fanden am BMC unzählige Konzerte statt – sie gehörten fest zum Wochenablauf und halfen mit, die Zeit in dem abgelegenen College zu strukturieren. Überdauert haben, in Form von persönlichen Berichten und Programmheften, vor allem die Darbietungen in den Sommermonaten, wenn die Gäste des Colleges konzertierten. So gilt die Konzertreihe anlässlich von Schönbergs 70. Geburtstag während des Music Institutes 1944 als wichtigste Werkschau des Komponisten in Amerika bis dahin. Ein Großteil der exilierten Schönberg-Schüler und -Vertrauten war an den Darbietungen beteiligt, unter ihnen Heinrich Jalowetz als Gastgeber, Ernst Krenek, Rudolf Kolisch, Lorna Freedman Kolisch, Mark Brunswick, Eduard Steuermann, Marcel Dick und Roger Sessions. Gespielt wurden u.a. die Gurrelieder und die Kammersinfonie Nr.2.79

76 BMC Newsletter, April 1942. BMC-Papers. 77 BMC Newsletter, April 1944. BMC-Papers. 78 BMC Bulletin, 20. November 1944. BMC-Papers. 79 BMC Bulletin, 4. September 1944. BMC-Papers.

113 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Im Jahr darauf erregte das Konzert des farbigen Tenors Roland Hayes besonderes Aufsehen, der in Europa berühmt geworden war, nachdem man ihm aufgrund seiner Hautfarbe das Musikstudium in den USA versagt hatte. Sein Konzert am BMC war gleichzeitig die Veran- staltung mit der höchsten Besucherzahl am College überhaupt: Etwa 300 Zuschauer unterschiedlicher Hautfarbe sahen, wie Hayes mit Klavierbe- gleitung sowohl Südstaaten-Spirituals als auch Werke von Bach, Haydn und Mozart vortrug.80 In doppelter Hinsicht bedeutsam war das dreitägige Bach-Festival, das Erwin Bodky während der Summer Sessions 1949 veranstaltete: Zum einen waren die Konzerte hochrangig besetzt, zum anderen kann das Festival als letztes Aufbäumen der konservativeren Kräfte am BMC betrachtet werden, der Avantgarde-Strömung dieser Jahre etwas entge- gen zu setzen. Auf dem Programm standen u.a. das Brandenburgische Konzert Nr.5 und das Musikalische Opfer. Zu den Gastmusikern gehör- ten Frances Snow Drinker (University of Louisville), Klaus Liepmann (M.I.T.), Paul Matthen (Bennington College), Olivia Silberberg und Raymond Toubman (beide vom Oklahoma Symphony Orchestra).81 Wie im Eingangszitat des Kapitels beschrieben, öffnete das Konzert von David Tudor am 18. August 1951 einem Teil der Studenten die Ohren für zuvor noch nie Gehörtes. Es bestand aus folgenden Stücken: Schönbergs Fünf Klavierstücke op. 23 (1920, 1923), Morton Feldmans Three Intermissions, Christian Wolffs Four Pieces for Prepared Piano, John Cages Music of Changes, Pt.1 (alle 1951) sowie Pierre Boulez’ Deuxième Sonata (1948). Bei zwei Gelegenheiten spielte John Cage seine Sonatas and Interludes für präpariertes Klavier: kurz nach ihrer Fertigstellung, als Cage und Cunningham das BMC im Frühjahr 1948 zuerst besuchten sowie am 16. August 1952. Die Ankündigung zum zweiten Konzert wurde auf Zigarettenpapier gedruckt.82

3.4 Kompositionen und wissenschaftliche Arbeiten

Um ein enges Nebeneinander von Theorie und Praxis zu gewährleisten, sollten die musischen Fächer am BMC von künstlerisch produktiven Personen unterrichtet werden. Das kreative Schaffen war neben dem Nachweis der Lehrbefähigung bei der Auswahl von Personal mit entscheidend, und es galt als selbstverständlich, dass die Lehrkräfte sich

80 BMC Newsletter, April 1945. BMC-Papers. 81 Hines 1973, S. 77 ff. BMC-Papers. 82 Vgl. Harris 1987, S. 221, 231.

114 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE neben ihrer Lehrverpflichtung mit eigenen Arbeiten beschäftigten. Die enge Bindung zwischen Lehrpersonal und Studenten sowie der Ansatz, den Unterricht als Teil des Alltags zu organisieren, ließ indes nicht viel Zeit zur privaten Verfügung. Die meisten Kompositionen und Manu- skripte entstanden entsprechend während der unterrichtsfreien Zeit und über Urlaubssemester. Da viele Lehrende und Lernende die Abgeschie- denheit und das Zusammenleben mit anderen Künstlern am BMC als be- sonders inspirierend empfanden, wurde in den späten 1940er Jahren die Möglichkeit diskutiert, das BMC in eine Künstlerkolonie umzuwan- deln.83 Auch wenn es nie dazu kam, so war das BMC doch über die Jahre Entstehungsort zahlreicher Werke, von denen einige zu großer Berühmt- heit gelangten. Allen Sly, der 1935 als zweite Musiklehrkraft an das College kam, komponierte bis zu seinem Weggang 1939 seine Symphonie, die er mit dem North Carolina Symphonie Orchestra probte, sowie verschiedene kürzere Stücke: The Alcestis of Euripides, nach einer Übersetzung aus dem Griechischen von Dudley Fitts und Robert Fitzgerald, Passacaglia for Piano, The Song after Campion, ebenfalls eine Fitzgerald-Vertonung, Evening Sky sowie Good Wives of Pioneers, nach einem Gedicht von Reuel Denney.84 Dante Fiorillo gastierte im akademischen Jahr 1935/36 sowie noch einmal vom 4. Februar bis zum 15. März 1937 als composer in residen- ce: Fiorillo, geboren 1905 in New York, war in erster Linie Autodidakt, hatte aber auch an der Greenwich House Music School Cello studiert. Er schaffte es, zwischen 1935 und 1938 vier Stipendien der Guggenheim- Stiftung in Folge zu bekommen, und fand am BMC eine Zeit lang die für ihn passende Arbeitsatmosphäre. Am College entstanden vier Suiten: The Adamic Suite, The Black Mountain Suite, The Children’s Suite und The Surette Suite. Allen Sly beschrieb Fiorillos Stil als traditionell: „Dante’s style was consonant. It seemed to flow from a deep well of Italian fecundity, with facility.“85 Sly leitete auch Fiorillos letztlich unehrenhafte Abreise ein: Auf der Suche nach einem amerikanischen Verlag, hatte ein unbekannter deutscher Komponist Fiorillo einige seiner Werke geschickt. Sly nahm Monate später Einblick in diese Stücke und entdeckte Ähnlichkeiten zu einer Komposition Fiorillos. Der Plagiats- vorwurf wurde nicht offiziell; trotzdem verließ der Verdächtigte das College. Zurück in New York, erhielt er weitere Stipendien und Preise, bevor er sich in den 1950er Jahren aus der Musiklandschaft zurückzog.86

83 Hines 1973, S. 107. BMC-Papers. 84 Harris 1987, S. 32. 85 Zitiert nach: Harris 1987, S. 35. 86 Vgl. ebd.; Brody 2002, S. 243 f.

115 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Neben Kompositionen entstanden am BMC auch verschiedene theoreti- sche Arbeiten. Ein vielversprechendes Werk blieb freilich unvollendet, nämlich das geplante Schönberg-Buch von Heinrich Jalowetz, das er kurz vor seinem Tod 1946 begonnen hatte.87 Jalowetz gehörte seinerzeit zu den angesehensten Schönberg-Experten. In einem Brief an den Komponisten beschrieb Jalowetz sein Projekt folgendermaßen: „very little biographical material, but mainly an interpretation of the spiritual meaning of your work in our time.“88 Luigi Dallapiccola hatte Jalowetz um ein Buch über Schönberg für den italienischen Verlag Giulio Einaudi gebeten, nachdem er einen Beitrag von Jalowetz zur Spontaneität in Schönbergs Musik89 in The Musical Quarterly gelesen hatte. Edward Lowinsky verfasste am BMC eine Studie über ein bis dahin unbekanntes Phänomen in der Renaissancemusik.90 1943 hatte Lowinsky in Berkeley recherchiert und sein Buch in verschiedenen Aufsätzen und Vorträgen vorbereitet. Die Hauptarbeit trug den Titel Secret Chromatic Art in the Netherlands Motet; sie wurde 1946 von Columbia Press veröf- fentlicht. Lowinsky deckte darin exemplarisch den Zusammenhang zwi- schen Komposition, gesellschaftlichem Handeln und Zeitpolitik auf: Im 16. Jahrhundert hatte die Kirche in den Niederlanden einen Bann über die Chromatik erlassen. Um dieses Verbot zu umgehen, entwickelten verschiedene Komponisten Spielanweisungen, die der Chromatik ähnli- che Effekte erzielten, allerdings ohne die Notation der für die Chromatik benötigten Vorzeichen – eine Strategie, die sich nur den Eingeweihten erschloss. Lowinsky beschrieb in seinem Buch nicht nur die technische Verfahrensweise, sondern diskutierte auch den allgemeinen Einfluss doppelter Bedeutungen im 16. Jahrhundert: „[…] how a mental attitude of duplicity – produced by the impact of revolutionary new ideas on the repression exercised by the traditional powers – led to an ambiguity of expression in almost all fields of human activity.“91 In dem Ansatz, von musikalischen auf gesellschaftliche Phänomene zu schließen, lässt sich der Einfluss erahnen, den das BMC auf diese Arbeit gehabt haben mag. Frederic Cohen komponierte während seiner zwei Jahre am College (1942-44) verschiedene Begleitungen für die Tanzchoreographien seiner Frau Elsa Kahl und schrieb Neuarrangements von Ballett- und Opernmu- siken für zwei Klaviere.92 Zudem begleitete Cohen die erste englisch-

87 Hines 1973, S. 87 f. BMC-Papers. 88 Brief von Heinrich Jalowetz an Arnold Schönberg, Herbst 1945. BMC-Papers. 89 Jalowetz, Heinrich: On the Spontaneity of Schoenberg’s Music, in: The Musi- cal Quarterly 30, Oktober 1944, S. 385-408. BMC-Papers. 90 Hines 1973, S. 91 ff. BMC-Papers; Brody 2002, S. 239. 91 Lowinsky, Edward: Music History and Its Relation to the History of Ideas, in: Music Journal 4, November 1946, S. 54. BMC-Papers. Beschreibung seines Buchprojekts s. BMC Newsletter, April 1945. BMC-Papers. 92 Harris 1987, S. 75; Hines 1973, S. 90 f. BMC-Papers.

116 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE sprachige Aufführung von Bertolt Brechts The Private Life of the Master Race93 am 26. Februar 1944. Eric Bentley, der Philosophie und Ge- schichte unterrichtete und nur nebenbei inszenierte, hatte Brechts Stück übersetzt. Der Student Egbert Swackhammer erinnerte sich an Cohens besonders eindringliche, verzerrte Orgel-Version des Horst-Wessel- Lieds.94 Cohen verließ das College als Reaktion auf die Entlassung Bentleys, dem eine sozialistische Indoktrination seiner Studenten vorge- worfen wurde. Lou Harrison befand sich während seiner Zeit am BMC (1951-52) in einem kompositorischen Übergangsstadium:95 Die Lektüre von A.-H. Fox-Strangeways The Music of Hindostan weckte Harrisons Interesse an fernöstlicher Musik und reiner Stimmung, die sein weiteres Schaffen bestimmen sollten. Martin Brody sieht in Harrisons Beschäftigung mit reiner Stimmung einen Sonderweg zwischen traditioneller Komposi- tionsweise und Cages Abschaffung der kompositorischen Souveränität: „an alternative to the emotional turbulence of German music, but a link to traditional notions of compositional control, in contradiction to Cage’s evolving ideas about unimpededness, chance, the ‚unaesthetic choice’.“96 Die am BMC entstandenen Kompositionen spiegeln Harrisons Wandlung. Zum einen beendete er zwölftönige Werke, die er noch vor seiner Ankunft begonnen hatte: Alma Redemptoris Mater, Seven Pasto- rales, Mass und Symphonie in G. Zum anderen begann er die Four Strict Songs, die er in reiner Stimmung notierte und erst 1955 beendete. Die komplett am College erarbeiteten Stücke tragen beide Idiome in sich: Praise for the Beauty of Hummingbirds und seine Oper Rapunzel bein- halten sowohl Reihentechnik als auch drones in reiner Stimmung. Rapunzel gewann auf dem International Congress for Cultural Freedom 1954 in Rom den Twentieth-Century Masterpiece Award. Neben den eigenständigen Kompositionen verfasste Harrison auch Begleitungen für Katherine Litz’ Tanzstücke. Die Anweisungen für die Musik zu der Choreographie The Glyph lauten: „for prepared piano, 2 bells, claves, pitch-fork, &, perhaps, gong. piano preparation consists of someones pressing firmly against all the low strings, & at a ‚nodal ang- le’, a heavy piece of wood, as, perhaps 2“ x 2“, & on the sharp edge.“97 Harrison verwendete hier mit dem präparierten Klavier eine Erfindung

93 Der Titel des deutschen Originals lautet Furcht und Elend des Dritten Reiches. 94 Egbert Swackhammer in einem Interview mit Mary Emma Harris am 14. Januar 1972. BMC-Papers. 95 Brody 2002, S. 257 ff. 96 Ebd., S. 262. 97 Aus den Anmerkungen zu der Partitur The Glyph, Kopie in den BMC-Papers.

117 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE seines Freundes John Cage. Eine Partitur Cages war auch die erste und einzige Erscheinung des Musikverlags, den Harrison am BMC gründete: The Black Mountain College Music Press veröffentlichte im September 1952 die Komposition Haiku in einer Auflage von 300 Exemplaren.98 Auch Cage arbeitete am BMC an Kompositionen. In der Ankündi- gung seines Kompositionsunterrichts während der Summer Sessions 1952 hatte er die Studenten eingeladen, ihn bei der kleinteiligen Arbeit an seinem Williams Mix zu unterstützen.99 Da sich kein einziger Student für diesen Kurs anmeldete, entschied sich Cage gegen den offiziellen Unter- richt und arbeitete stattdessen mit David Tudor an der Partitur: Der Williams Mix, eine komplexe Tonband-Komposition, war nach dem Cage-Förderer und BMC-Financier Paul Williams benannt und entstand unter dem Einfluss von und seiner musique concrète. Als Tonmaterial klassifizierte Cage aufgenommene Klänge zu themati- schen Gruppen (Land, Stadt, Elektronik usw.) und ordnete sie den musi- kalischen Parametern (Tonhöhe, Klangfarbe, Lautstärke, Dauer) zu. Die Partitur gab an, wie das Tonband zu schneiden war; Cage erstellte sie durch Zufallsoperationen, die er aus dem I Ging ableitete, dem alten chinesischen Buch der Wandlungen. Ein zweites, ebenfalls wegweisen- des Stück schrieb Cage kurz nach den Summer Sessions 1952 unter dem Eindruck seiner dortigen Zusammenarbeit mit dem Maler Robert Rauschenberg100: 4’33’’, ein Stück, das ohne einen einzigen komponier- ten Klang auskommt und dessen alleinige Aktion darin besteht, dass ein Pianist den Klavierdeckel hebt und gut viereinhalb Minuten später wie- der schließt. Wegen seiner nachhaltigen Wirkung möchte ich das Zu- standekommen dieser Komposition in dem Cage gewidmeten Kapitel 3.6 noch einmal aufgreifen. Stefan Wolpe verarbeitete in seiner Musik Einflüsse aus verschiede- nen sozialen Umfeldern und Kulturkreisen. Theodor W. Adorno be- schrieb ihn 1940 als einen „Outsider im besten Sinne des Wortes, es ist unmöglich, ihn zu subsumieren“101. Tatsächlich hatte Wolpe Zeit seines Lebens Schwierigkeiten, Anschluss an eine Bewegung zu finden, weil sich sein Kompositionsstil von allen anderen absetzte. Immer wieder fand er für seine Musik Bilder, die auf ein räumliches Denken schließen lassen: Während seiner Zeit am BMC strebte er „eine sehr bewegliche

98 Harris 1987, S. 206 f.; Brody 2002, S. 262. 99 Vgl. Duberman 1972, S. 348 f.; Brody 2002, S. 257. 100 Vgl. Kostelanetz, Richard: Conversing With Cage, New York, London: Limelight 2003, S. 71. 101 Zitiert nach: Clarkson, Austin: Stefan Wolpe – eine biografische Skizze, in: Stefan Wolpe: Berlin - Jerusalem - New York, Berlin: Konzerthaus Berlin 2002, S. 6.

118 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Polyphonie“ an, „in der sich Teiltöne eines Klanges wie Strömungen in einem Fluss verhalten, wodurch der Klang eine größere Ausdehnung und eine größere Beweglichkeit im Raum gewinnt“102. Wolpe schwebte ein diskontinuierlicher Zustand an der Grenze zum Chaotischen vor – hier sollten sich kontrastierende Klänge frei von tonalen Regulierungen be- wegen können. Er überließ das abrupte Durcheinander jedoch nicht sich selbst, sondern notierte sämtliche Passagen genau aus. Wolpe ordnete be- stimmten Intervallgruppen assoziative, außermusikalische Qualitäten zu: „organic, structural phenomenon“, „pictorial sensations“ und „expres- sive sensations“.103 Sein Denken in Proportionen und wechselseitigen Verhältnissen äußerte sich in Werken, die nicht nur durchlässig für ver- schiedenste musikalische Stilrichtungen waren, sondern auch für Politik, Kunst und Naturwissenschaft. Am BMC stellte er seine Enactments for Three Pianos fertig, deren unüberschaubare Gleichzeitigkeit disparater Klangbewegungen er assoziativ umschrieb: „Grand Chant, Stones Sing, flowers, throats, the chlorophyll, the dead leaves, the traces, the history with chemical reactions, the pulses of cells, of what is in the making and in the changing phase.“104 Aufgrund des gestischen Ausdrucks seiner Musik wurde Wolpe mehrfach in die Nähe der Abstrakten Expressionisten gestellt. Zu seiner am BMC komponierten Sinfonie etwa schrieb Austin Clarkson: „Er be- wegt sich mit dieser Kompositionsmethode auf der Grenze zwischen Farbe und Kontur, vergleichbar einem Maler, der auf der Leinwand die Stöße zwischen Farbflächen verreibt und aufweicht, Farbe in Tropfen einfließen und zwischen den Flächen verlaufen lässt, der die Unterschie- de zwischen Figur und deren Hintergrund aufhebt.“105 Neben den Enactments verfasste Wolpe während seiner Zeit am College (1952-56) folgende Kompositionen: Music for Any Instruments (1952), Three Pieces for Mixed Chorus (1954), Quartet for Oboe, Cello, Percussion and Piano (1955) und Symphonie No.1 (1956). Seine hier begonnene Komposition Quintet with Voice, dessen zweiter Satz eine Vertonung des Gedichtes Here the sun, violet seiner Frau Hilda Morley ist, schloss Wolpe erst 1957 in Rom ab. Er steuerte außerdem Musik für verschiede- ne Theaterproduktionen des Colleges bei.106

102 Zitiert nach: ebd., S. 7. 103 Dargestellt nach: Brody 2002, S. 266. Seine musiktheoretischen Gedanken fasste Wolpe 1959 in dem Aufsatz Thinking Twice zusammen. 104 Zitiert nach: Harris 1987, S. 206. 105 Clarkson 2002, S. 32. 106 Harris 1987, S. 206 ff.; Brody 2002, S. 264 ff.; Hines 1973, S. 98 f. BMC- Papers.

119 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Einschub: Schulpolitik

Die Gründer des BMC hatten es sich zum Ziel erklärt, auf dem Campus die künstlerische und strukturelle Utopie einer demokratischen Gesell- schaft freier Individuen zu verwirklichen. Obwohl das College einen Großteil seiner Einnahmen aus dem Schulgeld bezog, gab es Ausnahme- regelungen und Förderprogramme für Studenten, deren Familien nicht in der Lage waren, das Schulgeld aufzubringen. Um der Entstehung einer Zweiklassengesellschaft innerhalb der Studentenschaft entgegen zu wir- ken, wurden solche Sonderregelungen diskret behandelt. Es waren ande- re als finanzielle Gründe, die manche Studenten anderer Colleges von ei- ner Bewerbung abhielten: „Black Mountain […] became a dream that only some rare few people could ever aspire to. I could never do anything like that, but for those lucky people this is the kind of utopia that could be reached.“107 Auch wenn Elizabeth Schmitt Jennerjahn, von der das Zitat stammt, es 1948 sogar bis zur BMC-Lehrkraft für Tanz schaffte, zeigt diese Erin- nerung an den Beginn ihrer Studienzeit, welchen Ruf das College in manchen Kreisen genoss: Es galt als utopischer Ort, als das ideale College, das John Andrew Rice sich bei der Gründung erträumt hatte. Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte, die die Schule in einem solchen Licht erscheinen lassen; in anderen Episoden jedoch schimmern deutlich Momente von Repression und Konservatismus durch. Zwar geht es im folgenden Abschnitt nicht in erster Linie um Musik, doch der Bezug auf das College als soziales System erscheint wichtig zum Verständnis inter- ner Dynamiken, die auch bei der Verhandlung neuer künstlerischer Ideen eine Rolle spielten.

a. Machtkämpfe

Das BMC profitierte über die Jahre immer wieder von der Anwesenheit (und dem Unterricht) berühmter Lehrkräfte, von Koryphäen auf ihrem jeweiligen Fachgebiet; dabei war es dem College finanziell nie möglich, für viel mehr als Unterkunft und Spesen aufzukommen. Josef Albers selbst entschied sich mehrfach gegen Angebote angesehener Forschungs- stätten, weil er die Lehrfreiheit am BMC schätzte.108 Dennoch gab es ei- nige Fälle, in denen sich aus unterschiedlichem Anlass die Grenzen der liberalen Haltung zeigten:

107 Elizabeth Schmitt Jennerjahn im Interview mit Mary Emma Harris, 28. Juni 1981. BMC-Papers. 108 Vgl. Harris 1987, S. 10.

120 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Es waren zwischenmenschliche als auch künstlerische Gründe, die den Lehrkörper um Albers 1938 dazu veranlassten, Alexander Schawinskys Anstellung nicht zu erneuern.109 Schawinsky war durch seinen tempera- mentvollen Charakter aufgefallen, den manch einer als „exhibitionis- tisch“110 empfand. Auf der anderen Seite trafen Schawinskys avantgar- distische Theaterexperimente auf Unverständnis, während Albers in ih- nen deutlich die Handschrift Oskar Schlemmers und der Bauhaus-Bühne erkannte. Wie in späteren Fällen, wenn eine Lehrkraft sich inhaltlich oder charakterlich von den anderen abhob, sammelte sich um Scha- winsky ein Kreis ergebener Schüler, die mit seinem Weggang ihren Mentor verloren. Im Hinblick auf den nachfolgenden, weitaus konfron- tativer verlaufenden Fall Eric Bentleys ließe sich deuten, dass die Ver- antwortlichen schon bei der Trennung von Schawinsky der Entstehung einer abtrünnigen Gruppierung innerhalb des Colleges vorbeugen woll- ten.111 Der gebürtige Engländer Eric Bentley war erst Mitte 20, als er (als instructor, d.h. ohne Professorenstatus) 1942 an das BMC kam, um Phi- losophie und Geschichte zu lehren.112 Vorher hatte er in Los Angeles unterrichtet und Bertolt Brecht kennen gelernt, von dem er einige Werke ins Englische übersetzte. Bentley stimmte in mehreren Punkten nicht mit den eingestammten Ideen des BMC überein: Er sah die Aufgabe eines Lehrenden darin, den Studenten Einblick in sein Wissen zu geben, anstatt sie in erster Linie zu eigener Arbeit zu animieren („... the students loo- king over his shoulder, watching his work“113). Seine offene Sympathie für das politische System der Sowjetunion, die er auch in seinen Kursen vertrat, führte zu Schwierigkeiten mit der Schulleitung, obgleich Bentley ausdrücklich darauf hinwies, kein Kommunist zu sein. Neben der ab- strakten Politik waren es Bentleys energisches Auftreten und sein Hinter- fragen der College-Ideale, die schließlich zum Bruch führten. Bentley lehnte den „religiösen Arbeitskult“114 auf der angeschlossenen Farm ab und kritisierte einige Professoren als konservativ und mittelmäßig. Er forderte eine strengere Organisation der Verwaltung und die bedin- gungslose Öffnung des Colleges für Schwarze. Besonders in den Punkten

109 Vgl. ebd., S. 45. 110 Fritz Moellenhoff im Interview mit Mary Emma Harris, 4. November 1971, BMC-Papers. 111 John Cage blieb von einem solchen Schritt verschont, obwohl auch er ab 1948 eine wachsende Gruppe Fürsprecher am College hatte. Cage hielt sich allerdings nie länger als ein paar Wochen am BMC auf; sein Status als Gastdozent gab ihm größeren Handlungsspielraum als den festangestellten Kräften. 112 Hierzu und zum Folgenden vgl. Harris 1987, S. 69, 72. 113 Bentley in einem Brief an Frederick Mangold am 22. April 1942. BMC- Papers. 114 „the religious cult of work”, ebd.

121 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Administration und Integration wusste Bentley mehrere Lehrkräfte und viele Studenten auf seiner Seite. Theodore Dreier warf Bentley daraufhin Quertreiberei vor: „[you] would enjoy building up a loud-mouthed clique who were really less socially aware and thoughtful than others“115. Als Bentleys Vertrag 1944 nicht verlängert wurde, verließen Fritz Cohen, El- sa Kahl, der Politikdozent Clark Foreman sowie eine größere Gruppe Studenten das College aus Solidarität mit ihm. Das Board of Fellows veröffentlichte als Begründung der Maßnahme: „since it is not possible to build two different kinds of colleges in the same place at the same time“116. Mit Kündigungen an der Spitze des Colleges, auch wenn sie von der jeweils betroffenen Person selbst eingereicht wurden, zeichnete sich mehrfach ein Paradigmenwechsel ab. John Andrew Rice zog sich 1940 vom BMC zurück. In den vorangegangenen zwei Jahren war die Kritik an ihm gewachsen; seine schwindende Kontrolle über das College mischte sich mit Desillusionierung hinsichtlich der Ideale, die ihn zur Gründung des BMC bewogen hatten. So empfand er als Verfechter der demokratischen Kunst die anwachsende avantgardistische Strömung als zu selbstbezogen. Schließlich scheiterte Rice an den eigenen Maßstäben, als die familiären und beruflichen Spannungen sich steigerten und ihm eine Affäre zu einer Studentin nachgesagt wurde.117 Gehörten seine frü- hen Mitstreiter Theodore Dreier und Josef Albers in diesem Fall noch zu Rices schärfsten Kritikern, so läutete die vom Board of Fellows erbetene Ablösung Dreiers als finanziellem Kopf 1949 den endgültigen Zeiten- wandel ein, weil Josef und Anni Albers sich aus Protest gegen diesen Schritt ebenfalls vom BMC zurückzogen – womit die wichtigsten Kräfte der Aufbauphase samt einem Großteil ihrer grundsätzlichen Ansichten vom College verschwanden. Albers und insbesondere Rice und Dreier hatten das BMC nicht bloß als Ausbildungsstätte verantwortungsvoller Bürger, sondern auch als Modell einer freiheitlichen Gesellschaft betrachtet. Konkurrierende An- sichten und Verhaltensweisen waren für das College in zweifacher Hin- sicht gefährlich: Zum einen gab es keine Machtinstanz zur Verteidigung der Richtlinien. Wurden die eingestammten Ideen trotzdem mit repressi- ven Mitteln durchgesetzt, so gerieten die Akteure in Konflikt mit ihren freiheitlichen Idealen. In den Fällen von Schawinsky und Bentley stellten sich die dialektischen Fragen, wie sich Freiheit und Gesetz, Kollektiv und Individualität gegenseitig bedingen: Wer hatte zu entscheiden, wenn sich keine Lösung über den Austausch von Argumenten ergab, Macht-

115 Dreier in einem Brief an Bentley am 3. Dezember 1942. BMC-Papers. 116 Board of Fellows Minutes, 18. August 1944. BMC-Papers. 117 Dargestellt nach: Harris 1987, S. 56 f.

122 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE ausübung aber vermieden werden sollte? Und wie viele Kompromisse hatte der Einzelne zu schließen, um die übergeordnete Freiheit nicht zu gefährden? Zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens waren es zum einen diese permanent schwelenden Grundsatzfragen, die Rice und Dreier ermüdet hatten. Zum anderen brachten die gesetzten Ziele für die Verantwortli- chen ein hohes Maß an Vorbildfunktion mit sich. Sie wollten Kunst, Er- ziehung und Gesellschaft zusammendenken und mussten sich entspre- chend in der öffentlichen Sphäre des BMC an ihrem alltäglichen Ver- halten messen lassen. Doch die Utopie vom freiheitlichen College verlangte nicht nur nach idealen Professoren, sondern auch nach Studenten, die bereit waren, die Philosophie des Ortes mitzutragen und das Projekt mit Finanzmitteln zu unterstützen. Das College deckte, wie bereits erwähnt, einen Großteil seiner Kosten durch das Schulgeld, auch wenn es grundsätzlich möglich war, einen Teil der Beiträge erlassen zu bekommen.118 Dieser Punkt sagt durchaus etwas über das soziale Profil der Studentenschaft aus: Es waren eher Kinder aus finanziell gesicherten Verhältnissen, die sich den Luxus der Erziehung zur Selbsterkenntnis leisten konnten oder durften, zumal das BMC keinen allgemein anerkannten Abschluss anbot.

b. Politik und Moral

Die „Rassen“-Integration war seit der College-Gründung ein beständig wiederkehrendes Thema.119 Obwohl es über die Jahre mehrere Professo- ren gab, die sich die Integration zur Aufgabe machten, erscheint eine 1944 in dieser Hinsicht getroffene Regelung halbherzig: „It is agreed that in principle the college is in favor of taking Negro members in the Summer Institutes, but that for practical reasons the number should be limited to one qualified female member.”120 Eric Bentley kritisierte die- sen Kompromiss als Einrichtung eines „Hofjuden“121. 1945, also bald nachdem Bentley und andere links orientierte Kräfte das BMC verlassen hatten, wurden auf das Betreiben Edward Lowinskys hin Schwarze für den Lehrkörper und die Studentenschaft zugelassen – als sei es den verbliebenen Verantwortlichen am College um eine Demonstration neu erlangter Handlungsfähigkeit gegangen. Wenn im Zusammenhang mit dem BMC von einer „Kommune“ die Rede ist, die in mancherlei Hinsicht gesellschaftliche Ideale der späten

118 Das jährliche Schulgeld betrug zwischen 500 und 1600 $. Vgl. Duberman 1972, S. 275. 119 Vgl. ebd., S. 78 f., 210 f. 120 Faculty Meeting Minutes, 24. April 1944. BMC-Papers. 121 Zitiert nach: Duberman 1972, S. 182.

123 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

1960er Jahre vorweggenommen hat122, so muss gleichzeitig erwähnt werden, dass sich das College in Fragen der Moral mehrfach als durch- aus im Einklang mit den damals gängigen Vorstellungen erwies: Die Schlafräume waren nach Geschlechtern aufgeteilt und gegenseitige Be- suche nur im Krankheitsfall erlaubt. Fragen nach angemessener Kleidung zu verschiedenen Anlässen standen regelmäßig auf der Tagesordnung offizieller Besprechungen. Beziehungen zwischen Studenten wurden bis 1950 nur geduldet, wenn sie „verantwortungsvoll“123 waren, d.h. nicht flüchtiger und rein körperlicher Natur sowie ohne auf Kosten Dritter (etwa betrogener Ehefrauen oder -männer) zu gehen – „Verantwortung“ war hier also ein dehnbarer Begriff, der über die Jahre unterschiedlich ausgelegt wurde. Ebenso ungeklärt war die Einstellung des Colleges zur Homosexualität: Martin Duberman berichtet von einem Fall, in dem John Andrew Rice einem homosexuellen Studenten erlaubte, am College zu bleiben, unter der Bedingung, dass er seine Neigung verheimliche („on the tacit agreement that he’d never act on them“124). Weit schwerwiegender war das nahezu spurlose Verschwinden von Robert Wunsch 1945, der zu dieser Zeit immerhin Rektor des Colleges war. Die Polizei entdeckte Wunsch im nahe gelegenen Asheville mit ei- nem Liebhaber und verhaftete ihn aufgrund von „crimes against na- ture“125. Sein Fall wurde als schwebendes Verfahren eingestuft; nach seiner Freilassung traf Wunsch mit dem Board of Fellows die Absprache, dass er bis 1 Uhr morgens warten werde, um seine Habe über nacht vom College zu entfernen und für immer abzureisen. Wunsch hatte seinen Posten unmittelbar nach seiner Verhaftung gekündigt und wollte am College niemandem unter die Augen treten. Der Plan wurde in die Tat umgesetzt und Wunsch verschwand in die sprichwörtliche Anonymität: Außer einem Studenten, der ihn Jahre später in Kalifornien als Postbe- amten erkannt haben will, ist über seinen Verbleib nichts bekannt.126 Zwar hatten die Verantwortlichen am BMC diesen Schritt nicht von Wunsch eingefordert, aber auch nicht versucht, ihn von seiner Entschei- dung abzubringen. Allemal wirft Wunschs Verhalten ein Schlaglicht auf die moralischen Wertvorstellungen, denen zumindest ein Teil des Colleges (und auch Wunsch selbst) unterlag. Erst ab etwa 1950 blieb das Privatleben zunehmend dem Einzelnen überlassen.

122 Dubermans Monografie stellt die kommunalen Aspekte des Zusammen- lebens am College in den Vordergrund, freilich ohne die konservativeren Strömungen dabei zu übergehen. 123 Ebd., S. 330. 124 Ebd., S. 80. 125 Ebd., S. 225. 126 Dargestellt nach: ebd., S. 225 ff.

124 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Die beschriebenen Episoden zeigen, dass das BMC trotz seiner abge- schiedenen Lage nicht von den Normen der Außenwelt isoliert war. Viele der Entscheidungen, die in den 1930er und 1940er Jahren am Col- lege getroffen wurden, kamen unter Berücksichtigung des Geistes der Zeit und des Ortes zustande: North Carolina galt seinerzeit als tief religi- ös und konservativ, und schon bald nach der Öffnung geriet das College bei den Einheimischen in den Ruf, in Fragen der Politik und Sexualmoral allzu liberal zu sein. Wenn sich das BMC etwa um einen vor- sichtigen Umgang mit der „Rassen“-Integration bemühte, so muss dies im Hinblick auf die reale Bedrohung durch Denunziation und Selbstjustiz betrachtet werden. Das College arbeitete an einem gesellschaftlichen Übergang und stellte selbst diesen Übergang mit all seinen Konflikten dar; es stand für eine Utopie und gleichzeitig für deren Gefährdung. Bei allen Unstimmigkeiten, die sich im Nachhinein finden und darstellen las- sen, sollte bedacht werden, dass es seinen Protagonisten immer auch um Handlungsoptionen für die Zukunft ging – und damit um den strategi- schen Schutz und Erhalt des Colleges.

3.5 Auf dem Weg zum neuen Theater

Die Theaterexperimente am BMC fußten auf dem praktischen Sinn sei- ner Protagonisten, d.h. auf dem Willen, einmal gefasste Ideen möglichst unmittelbar in die Tat umzusetzen. Die theoretische Ausrichtung vieler Arbeiten der Bauhaus-Bühne wandelte sich am BMC zu einem agilen Austausch der Künste; die Tendenz zur offenen Form127 ergab sich aus der Praxis. Unausgesprochen grenzte John Evarts das gattungsübergrei- fende Verständnis am Bauhaus von dem am BMC ab:

„[...] it was felt that comparisons and analogies between the visual and the time arts – between painting and music – were sometimes impossible and of- ten inexact and misleading. A collaboration, however, which brought to- gether several of the arts in their own terms – such as poetry, music, design, theatre, dance – that was another and more realistic matter.”128

Der Hang zum theatralen Experiment zeichnete sich schon in der ersten Phase des Colleges ab, ästhetisch geprägt allerdings noch von Prinzipien, die in Europa entwickelt worden waren.

127 Die Wendung Das offene Kunstwerk stammt aus Umberto Ecos gleich- namiger Schrift von 1962, auf die ich in Kapitel 4.2 eingehen werde. 128 Evarts 1971, S. 4. BMC-Papers.

125 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

a. Bauhaus in der Neuen Welt: Alexander Schawinsky

Alexander („Xanti“) Schawinsky arbeitete nach seinem Weggang vom Bauhaus 1929 zunächst als Designer in Magdeburg, Berlin und Zürich. 1933 ging er nach Mailand, veranstaltete Ausstellungen und arbeitete als Werbegrafiker. 1938 vermittelte ihn Josef Albers an das BMC, wo er Zeichnen und Theater unterrichtete und bis 1938 zwei Bühnenprojekte verwirklichte: Das mehrteilige Spectodrama: Play, Life, Illusion erar- beitete Schawinsky mit den Studenten in dem Kurs Stage Studies, der in- haltlich einen Bogen vom Bauhaus zum BMC schlug. Im Vergleich bei- der Schulen hob er die humanistische Ausrichtung des (frühen) BMC hervor: „while work at the Bauhaus Theatre aimed at the modernization of theatrical means and concepts, and had a definite professional and artistic scope, at Black Mountain College an educational crack at the whole man seemed to be in order.”129 Schawinsky hatte das Spectodrama in den Grundzügen schon 1926/27 in Dessau entworfen. Es spiegelten sich deutlich die Einflüsse ehemaliger Bauhaus-Kollegen darin: Als Schüler und Assistent von Oskar Schlemmer hatte Schawinsky die Grundbedingungen der Bühne erforscht; jetzt schienen ihm die Umstände günstig, um die einzeln defi- nierten Elemente zu einem Ganzen zu kombinieren: „realizing the at- mosphere at black mountain was favorable to experimentation, i thought why not get a total experience? had not my slumbering plans from eleven years before, at the Bauhaus in dessau, laid a foundation for this under- taking?“130 In seinen Stücken am BMC verzichtete Schawinsky auf narrative Handlung und untersuchte stattdessen die Wechselwirkungen von Mensch, Raum, Zeit, Bewegung, Klang, Farbe und Form; die Schau- spieler agierten nicht als Individuen, sondern als abstrakte Körper, die vollständig unter Masken und Kostümen verschwanden. Ihre genau fest- gelegten Bewegungen entstanden aus Improvisationen; Schawinsky un- terstützte sie durch Farblicht-Projektionen im Geiste Ludwig Hirschfeld- Macks. Die ersten Stage Studies hatten einführenden Charakter. Bereits Ende November 1936, also zwei Monate nach seinem Eintreffen am BMC, brachte Schawinsky ein auf den Studies basierendes Stück auf die Bühne: Play, Life, Illusion (1924-1937). Die Jahreszahlen deuten an, dass Schawinsky das Projekt als Fortführung seiner Experimente am Bauhaus einstufte. John Evarts begleitete das pantomimische Geschehen mit einer Musik, die er während der Bühnenproben auf dem Klavier improvisiert

129 Schawinsky, Alexander: Spectodrama: ‚Play, Life, Illusion’ (1924-37), in: Form 8, September 1968, S. 16. BMC-Papers. 130 Schawinsky, Alexander: My 2 years at Black Mountain College, N.C.: 1973. BMC-Papers (Hervorhebung dort).

126 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE und nicht ausnotiert hatte.131 Die Lichtprojektionen führte Schawinsky mit Allan Sly und zwei Studenten, Beverly Coleman und George Hendrickson, durch. Für den zweiten Teil von Play, Life, Illusion (1924- 1937) verwendete Schawinsky 1937 Kurt Schwitters’ Ur-Sonate. Thema der Fortsetzung war die Demonstration illusionistischer Effekte. Scha- winsky fasste beide Stücke in einer späteren Schrift132 als Spectodramen zusammen und erklärte sie zu einer pädagogischen Erprobungsstätte in- terdisziplinärer Zusammenhänge:

„‚Spectodrama’ is an educational method aiming at the interchange between the Arts and the Sciences and using the theatre as a laboratory and place of action and experimentation. The working group is composed of representati- ves of all disciplines. […] ‚Spectodrama’ focuses on the visual – on symphonic inter-action and effect.”133

1938 verarbeitete Schawinsky die in den Stage Studies gewonnenen Erkenntnisse in einer aufwändigeren Produktion: Für den Danse Macabre134 schrieb John Evarts (wiederum basierend auf Improvisatio- nen während der Proben) eine Partitur für Klavier, Flöten, Geige, Brat- sche und Posaune, deren Aufführung Allan Sly leitete. Der Text basierte auf einer Sequenz aus der mittelalterlichen Totenmesse135, die Scha- winsky schon seit seiner Kindheit vom Karneval in Basel her kannte. Die Studenten Morton Steinau und Robert Sunley übersetzten den Original- text ins Englische; er wurde während der Aufführung über Lautsprecher verlesen.136 Schawinsky hatte anfänglich vorgehabt, anhand des Stückes Analogien zwischen Mittelalter und Gegenwart aufzuzeigen, doch die Studenten überzeugten ihn davon, eine moderne Fassung des Originals ohne geschichtlichen Überbau zu inszenieren. Bei der Aufführung saß das Publikum in der Art einer Manege im Kreis um das Geschehen. Die Besucher bekamen am Eingang dunkle Umhänge mit Kapuzen ausge- händigt, so dass sie das düstere Schauspiel im Kleidungsstil der Akteure rahmten. Die Integration einer passenden Musik stellte sich offenbar ähnlich problematisch wie bei ähnlichen Arbeiten an der Bauhaus-Bühne dar: John Evarts, der Schawinskys Arbeiten als „absorbing for the au- dience, provocative, ‚eye-opening’“ bezeichnete, empfand seinen musi- kalischen Beitrag selbst als nicht gleichwertig: „Perhaps the music ad-

131 „a steady background of music on the piano“ ebd., S. 5. 132 Schawinsky 1968, S. 16. 133 Schawinsky im Interview mit Martin Duberman, 20. März 1971, zitiert nach Duberman 1972, S. 98. 134 Dargestellt nach: Schawinsky 1973. BMC-Papers. 135 Der lateinische Originaltext Dies Irae wird Thomas von Celano zugeschrie- ben. Er stammt aus dem Jahr 1215. 136 Evarts 1971, S. 6.

127 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE ded a certain humanizing sauce to the whole“137. Martin Brody be- schreibt Evarts’ Partitur als nachlässig gearbeitet und eher konventionell:

„The composition appears to have been notated in haste; there are no dy- namics, articulations, or phrase markings in the score. And Evarts’s music is conventional in its texture, phrasing, and melodic structure, though inflec- ted with hints of ‚exotism’: temperate modal inflections and gently jazzed- up harmonies.”138

Immerhin kam es im vorliegenden Fall (im Gegensatz zu manch geplan- tem Projekt der Bauhaus-Bühne) überhaupt zu Aufführungen mit eigens komponierter Musik, die im Falle des Danse Macabre sogar als Partitur überliefert ist. Trotzdem zeigt sich in Evarts’ eigenen Aussagen eine Verunsicherung, die sowohl das Wesen der Musik als auch ihre Funktion betroffen haben dürfte: Er beschrieb den Eindruck, dass seine Komposi- tion dem Bühnenstück unterlegen war. Schawinsky vermied durch reduktive Abstraktion des Geschehens alles Narrative und deutete damit (wenn auch nicht als erster) konsequent um, wofür Theater über Jahr- hunderte gestanden hatte. Evarts’ Musik hätte sich als gleichwertiges Bühnenmittel jeglichen Begleitcharakters enthalten und in sich selbst eine radikale Neuaussage treffen müssen – eine quasi unlösbare Aufgabe, wenn man bedenkt, dass Evarts nicht einmal in erster Linie als Komponist tätig war. Er handelte intuitiv ähnlich wie Hans Heinz Stuckenschmidt, als jener sich in Weimar mit Kurt Schmidts Mechani- schem Ballett konfrontiert sah: er improvisierte. Auch wenn sich Schawinskys Theaterarbeiten nachweislich stark an der Bauhaus-Bühne orientierten und sie naturgemäß nicht ausschließlich Zuspruch fanden, so legten sie am BMC doch den Grundstein für die spätere Erarbeitung originärer Theatermethoden. Schawinsky zeigte, dass Experimente dieser Art am College einen mindestens genauso fruchtba- ren Boden vorfanden wie am Bauhaus.

b. Der Theater-Unterricht

Theater gehörte fest zum BMC-Curriculum. Robert Wunsch stand der Bühne von 1934 bis zu seinem tragischen Ausscheiden 1945 vor. Wunsch kam (wie auch Rice und Dreier) vom Rollins College. Sein Schauspielunterricht verfolgte ähnliche Ziele wie die Musiklehre Thomas Whitney Surettes, denn Theater diente ihm als Mittel zum sozialpädago- gischen Zweck: „[I am] particularly interested in dramatics as an edu-

137 Ebd., S. 5. 138 Brody 2002, S. 243.

128 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE cational discipline, as a meeting place of all the arts, as the ‚best substi- tute for experience’, as a social force in a community.“139 Wunsch stand seit seiner Studienzeit in Chapel Hill/North Carolina dem von Frederick H. Koch gegründeten folk drama movement nahe.140 Koch befand sich wie Surette auf der Suche nach einer originär amerika- nischen Ausdrucksform und propagierte ein Theater, das sich mit den Problemen der einfachen Leute auseinander setzte. Am BMC waren die Studenten ungeachtet ihres Talents zum Mitwirken an der Bühne aufge- rufen. Neben Folk-Stücken integrierte Wunsch auch Klassiker und zeit- genössische Stücke, die mit einfachsten Mitteln umgesetzt wurden. Er ermunterte die Studenten außerdem, eigene Stücke zu schreiben. Trotz des Ansatzes, der die Erarbeitung über das Ergebnis stellte, gewannen Produktionen des BMC mehrfach Auszeichnungen der Carolina Drama- tic Association.141 Das traditionelle Theater behielt auch seinen Platz, als die Performance-Kunst am College Einzug gehalten hatte. Wesley Huss kam 1950 als Bühnenleiter an das BMC. Huss hatte in Philadelphia bei Jasper Dieter am Hedgerow Theatre studiert; seine ers- ten Produktionen am College waren konventionell inszenierte Stücke von Molière und eine Kafka-Lesung. Erst das unmittelbare Erlebnis von John Cages Happening (vgl. Kap. 3.6.b) öffnete seinen Unterricht für experi- mentellere Formen. Stefan Wolpe schrieb zwischen 1953 und 1955 die Musikbegleitung für drei von Huss’ Produktionen: Bertolt Brechts The Good Woman of Setzuan (Der gute Mensch von Sezuan), Hendrik Ibsens Peer Gynt und Robert Duncans Faust Foutu. Huss arbeitete ab 1955 eng mit Duncan zusammen, der selbst Literatur unterrichtete. Nach der Schließung des Colleges versuchten beide, das Black Mountain Theater Project in San Francisco weiterzuführen. Das Unterfangen scheiterte allerdings noch während der ersten Produktion aus finanziellen Gründen.

c. Light Sound Movement Workshop

Nach Alexander Schawinskys Fortgang 1938 blieben die Kollaboratio- nen zwischen den Fachbereichen für zehn Jahre im unauffälligen Rah- men, bevor sich die Ereignisse ab 1948 in dieser Hinsicht überschlugen. Die Protagonisten der Theaterexperimente, von denen einige später zu Weltruf kamen, waren in den späten 1940er Jahren noch unbekannt –

139 Wunsch in einem Brief an Charlotte B. Chorpening, 16. November 1939. BMC-Papers. 140 Koch gründete die Gruppe der Carolina Playmakers an der Universität von Chapel Hill/North Carolina. Sein Buch Making a Folk Theatre gilt als Schrift, die das Genre des Folk Dramas mit definierte. 141 Unter den Preisträgern befand sich auch William McCleerys Stück The Practical Woman, das der Autor am College geschrieben hatte und 1939 zu inszenieren half. Vgl. Harris 1987, S. 40.

129 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE vielleicht wurde das Ausloten neuer Formen dadurch begünstigt, dass es für John Cage, Merce Cunningham, Robert Rauschenberg, Buckminster Fuller und andere zu dieser Zeit noch keinen künstlerischen oder akade- mischen Ruf zu verlieren gab. Ein Nischenprojekt des Colleges, das in den einschlägigen Abhand- lungen zum BMC nur am Rande auftaucht, ist hinsichtlich seines gattungsübergreifenden Charakters besonders interessant: In den Jahren 1949 bis 1951 leiteten Elizabeth („Betty“) Jennerjahn und ihr Mann Pete einen Light Sound Movement Workshop, in dem abstrakte Bühnenstücke entstanden. Um der Entstehung eines erzählerischen Zusammenhangs entgegen zu wirken, fanden einige dieser Performances auf der Grundla- ge knapper Zeitvorgaben statt. In durchorganisierten Miniaturen von 30 Sekunden Dauer sollten Licht, Klang und Bewegung so eng wie möglich miteinander verknüpft werden: „Many of the things that we did at that time seem to me to be sort of prototypes of a lot of the concerns that are going on now.[…] In fact, the whole idea of this was the coordination of the visual and the audible, conceived as much as possible altogether.”142 Elizabeth Jennerjahn beschrieb in ihren Erinnerungen Tanzchoreo- graphien mit bunten Diaprojektionen. Den musikalischen Anteil bildeten Geräuschkompositionen, zum Teil unter Verzicht auf den Einsatz her- kömmlicher Instrumente („sound meant anything audible“143). Einen Hinweis auf die klangliche Strategie gibt der in Kapitel 3.2 beschriebene Percussion-Workshop Pete Jennerjahns 1950/51, der nicht das Einüben bekannter Techniken, sondern die Erforschung neuer Klangmöglichkei- ten zum Inhalt hatte. Auch wenn das kompositorische Ergebnis eher tas- tenden, unfertigen Charakter gehabt haben dürfte, so deutet die Taktik doch einen potenziellen Lösungsweg zur Integration einer eigenständigen musikalischen Ebene im Avantgarde-Theater an: Wie die übrigen Büh- nenmittel wird die Musik als Unbekannte behandelt und in ihren Grund- zügen erforscht. Ausgangspunkt ist eine freie Improvisation, die im Stück zu einer vorläufigen Form findet. In den Stücken des Light Sound Movement Workshops wurden die einzelnen Bühnenelemente schließlich wie ein polyphones Stück zueinander in Beziehung gesetzt: „We tried to treat this much more as one would be scoring a trio, so that one is aware of all three voices at the same time.“144 Leider sind keine detaillierten Aufführungs-Beschreibungen solcher Performances erhalten geblieben; Szenen-Fotografien erinnern an die Ästhetik der Bühnenexperimente Alexander Schawinskys in den 1930er Jahren. Die begleitenden Überle- gungen der Jennerjahns zeigen, wie produktiv in diesen Jahren am BMC

142 Elizabeth Schmitt Jennerjahn im Interview mit Mary Emma Harris, 28. Juni 1981. BMC-Papers. 143 Ebd. 144 Ebd.

130 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE an neuen Theater-Formen gearbeitet wurde – auch abseits der kanonisch überlieferten Ereignisse. Neben den streng durchkomponierten Performance-Miniaturen ent- standen im Light Sound Movement Workshop auch Performances, in de- nen die Grenze zwischen Akteuren und Zuschauern verschwamm. So mündeten einige Präsentationen des Workshops in Feierlichkeiten für das ganze College. Andersherum stellte das Bühnenbild für Marriage on the Eiffel Tower eine Aussichts-Plattform dar, auf der vor der Aufführung das Abendessen serviert wurde. Mary Caroline Richards inszenierte das eigenhändig übersetzte Stück Jean Cocteaus zum Thanksgiving 1950.145 Weitere wichtige Mitglieder des Workshops neben Richards und den Jennerjahns waren der Tänzer und spätere Lichtkünstler Nick Cernovich sowie Mark Hedden, der als Schüler von Lou Harrison mehrfach den musikalischen Anteil zu Performances beisteuerte. Der Workshop war aus einem Kurs des späteren Rektors Charles Ol- son im Sommer 1949 hervorgegangen. Olson (geboren 1910) hatte in Harvard promoviert und gelehrt, bevor er einige Jahre unter Roosevelt politische Arbeit leistete. 1945 entschloss er sich unter dem persönlichen Einfluss Ezra Pounds, fortan als Schriftsteller zu arbeiten; 1948 erschien sein erster Gedichtband Y&X. Nebenher war Olson weiterhin wissen- schaftlich tätig: 1947 veröffentlichte er eine Studie über Melville146, und ab Herbst 1948 reiste er regelmäßig für Schreibseminare an das BMC.147 Er arbeitete zu dieser Zeit außerdem in Washington mit der Gruppe The New Company an Theaterexperimenten, die er am BMC weiterzuführen gedachte. Das angestrebte, neue Theater hatte sich nach Olson dem narrativen Zusammenhang des konventionellen Dramas zu verweigern. Er verstand die Verwendung rein abstrakter Verhältnisse („a jointure of speech- sound-motion, projection-melody-gesture“148) als eine Hinwendung zum Rituellen. Das abstrakte Gesamtkunstwerk galt ihm als karthatische Su- che nach der Wahrheit im Ursprung. Aufgrund dieser Haltung empfand Olson die späteren Happenings am College als selbstbezogen und ober- flächlich. In seinem Kurs Verse & the Theatre fanden Ritual und Avant- garde noch zusammen: Es entstand ein Programm mit Exercises in The- atre, vornehmlich nach alten Motiven aus dem griechischen und japanischen Theater sowie aus dem Hindu-Tanz. Obwohl den Stücken zumeist ein Textabschnitt zugrunde lag, sollte sich die Bedeutung aus einem sinnlichen Gesamteindruck heraus ergeben. Am 28./29. August 1949 führte Olsons Klasse ihre Exercises in acht Abschnitten auf: Waga-

145 Vgl. Harris 1987, S. 210. 146 Olson, Charles: Call me Ishmael, New York: Reynal & Hitchcock 1947. 147 Tentative Program for 1949-1950. BMC-Papers. 148 Zitiert nach: Duberman 1972, S. 317.

131 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE du nach Leo Frobenius, Kyclops auf Euripides basierend, die Tanzstücke Frantic Atlantic und Otumba, Fielding Dawsons Bazzball sowie Drama- tisierungen der Texte The Figure of the Stair von T.S. Eliot, The Gyres von William Butler Yeats und Charles Olsons Gedicht Not the Fall of a Sparrow. Als Musiker wirkten Pete Jennerjahn, James Herndon, Emer- son Woelffer, Nataraj Vashi, Mark Hedden und Ray Toubman.149 Bemerkenswert ist hierbei die Mischung von Akteuren aus ganz un- terschiedlichen Bereichen: Während etwa Nataraj Vashi Hindu-Tanz unterrichtete, war Ray Toubman eigentlich am College als Interpret für das Bach-Festival, mit dem Erwin Bodky ein Zeichen gegen eben jene Theater-Avantgarde setzen wollte, die sich hier Bahn brach. Es fanden im Sommer 1949 noch weitere Einzelaufführungen aus dem Verse & the Theatre-Umfeld statt: So inszenierten Betty und Pete Jennerjahn Olsons Gedicht The Kingfisher, das er kurz zuvor am College geschrieben hatte. Olson fungierte dabei als Sprecher und Betty Jennerjahn als Tänzerin, während Pete Jennerjahn eine Komposition für präpariertes Klavier spielte.150 1951 initiierte Olson das interdisziplinäre Projekt The Glyph: Er schrieb ein Gedicht, das um die doppelte Bedeutung des Wortes race (Rasse, Rennen) kreiste. Der Maler Ben Shahn steuerte eine bildnerische Assoziation dazu bei. Lou Harrison komponierte zu dem Gemälde ein Stück für präpariertes Klavier, das Katherine Litz choreographierte.151 Das Stück wurde am 24. August 1951 in der dining hall aufgeführt, zu- sammen mit den Chorales for Spring, einer weiteren Kollaboration von Litz und Harrison. Katherine Litz kam im Sommer 1950 auf Empfehlung Merce Cunninghams an das College; 1951-52 gehörte sie fest zum Lehrkörper. Litz war Solotänzerin in der Humphrey-Weidman Dance Group gewesen und hatte in den späten 1940er Jahren angefangen, selbst Choreographien zu entwerfen. Am BMC entstanden ihre Aufführungen im Geiste des Light Sound Movement Workshops; zum Ende der Summer Sessions 1950 präsentierten ihre Schüler eigene Arbeiten zu Percussion-Arrangements aus dem Jennerjahn-Kreis.152 Während Litz’ Zeit am College entstanden neben The Glyph und den Chorales for Spring die Choreographien The

149 Weitere Ausführende waren Olson, Mary Fiore und Jack Rice als Sprecher, Dan Rice, Joe Fiore, Sewell Sillman, Paul Williams und Tim LaFarge für Bühnen- und Lichtgestaltung sowie Betty Jennerjahn, Maxine Haleff und June Rice Christensen als Tänzerinnen. Zusammengestellt aus den Interviews von Mary Emma Harris mit Dan Rice (April 1976) und Fielding Dawson (1. Dezember 1975). BMC-Papers. 150 Dargestellt nach: Elizabeth Schmitt Jennerjahn im Interview mit Mary Emma Harris, 28. Juni 1981. BMC-Papers. 151 Dargestellt nach: Katherine Litz im Interview mit Huston Paschal, 16. Mai 1972. BMC-Papers. 152 Vgl. Hines 1972, S. 37. BMC-Papers.

132 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Long Night, nach Musik von Scarlatti, Thoughts Out of Season nach Morton Feldman, Transmutations nach Jay Watt sowie Montage, die dritte Zusammenarbeit mit Lou Harrison.153 Harrisons konzeptionelle Offenheit veranschaulichen nicht nur seine zahlreichen Beiträge zu inter- disziplinären Projekten, sondern auch eine kleine Begebenheit aus dem Jahr 1952, als er den Pianisten William Masselos dazu einlud, ein Kon- zert mit First Piano Sonata zu spielen. Harrison hing zur Aufführung ein großes schwarz-weißes Gemälde des ebenfalls anwesen- den Franz Kline über das Klavier. Die Farbigkeit der Musik erschien ihm als interessante Ergänzung beziehungsweise als Ausdeutung des farblosen Bildes; andersherum empfand er das Bild als eine Erweiterung der Musik („as a kind of intermediary place between concert and bal- let“).154 Die ungebremste Vielfalt an Theaterexperimenten wurde möglich durch ein college-politisches Machtvakuum: Im August 1949 war der innere Zirkel um Albers und Dreier abgetreten, und es hatte sich noch keine neue Führungsriege formiert. Erst als Charles Olson 1953 die Rektorenschaft übernahm (nachdem er sie mehrfach abgelehnt hatte), war diese Übergangszeit beendet, und das College verschrieb sich fortan dem Schwerpunkt Literatur.

3.6 John Cage: Open Forms

Obwohl John Cage insgesamt nur wenige Monate am BMC verbrachte, ist das folgende Kapitel vornehmlich seiner Person gewidmet. Dies hat drei Gründe: Zum einen ist das künstlerische Schaffen Cages nur vor dem Hintergrund seiner philosophischen Implikationen verständlich. Zum zweiten soll gezeigt werden, dass Cage am BMC Ideen umsetzte, die er bereits über Jahre angedacht und entwickelt hatte. Schließlich möchte ich herausarbeiten, dass Cages Experimente der Jahre 1948 bis 1952 durchaus nicht zufällig gerade am BMC stattfanden: Das Umfeld bot eine spezifische Disposition, die Cage voll ausnutzte. Seine Strate- gien standen bei genauem Hinsehen mit den Zielen der Schule seit ihren Gründungsjahren im Einklang – auch wenn es sich in der Darstellung Buckminster Fullers nicht so anhört: „I spent that summer with them [Cage und Cunningham] on a fun, schematic new school, and I called it ‚the finishing school’. We would finish anything. In other words, we

153 Dargestellt nach: Harris 1987, S. 206 ff; Hines 1973, S. 36 ff. BMC-Papers. 154 Harrison im Interview mit Mary Emma Harris, 5. Januar 1972. BMC-Papers.

133 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE would really break down all of the conventional ways of approaching school. […] We had some devastating portfolios …”155 Das hier angedeutete, radikale Potenzial war schon vor Cages Auf- tauchen im Schulkonzept angelegt. Sein Anteil bestand lediglich darin, es zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt zum Leben zu erwecken.

a. Cages Einflüsse

Cage wurde 1912 in Los Angeles geboren, sein Vater war Erfinder. Cage entschied sich erst zu Beginn der 1930er Jahre für die Musik und (zu- nächst) gegen Literatur und Malerei, die er ebenfalls betrieben hatte. Nach einem anderthalbjährigen Studienaufenthalt in Paris begann er, bei Henry Cowell in New York Komposition zu studieren. Cowell weckte in Cage das Interesse an der Musik unterschiedlicher Kulturen und empfahl ihm, Unterricht bei Arnold Schönberg zu nehmen, was er ab 1934 zwei Jahre lang tat. Cage verehrte Schönberg seinerzeit als größten lebenden Komponisten, obwohl er nicht mit dessen Harmoniekonzept überein- stimmte. Cage interessierte sich in erster Linie für Geräusche: Auf Schönbergs Einwand, sein fehlendes Gespür für Harmonie werde ihm als Komponist im Weg stehen, antwortete Cage, dass er in diesem Fall sein Leben damit zubringen werde, gegen dieses Hindernis anzurennen.156 Wichtig blieb für Cage die Frage der strukturellen Einteilung von Musik; er erklärte jedoch die Tondauer, und nicht wie Schönberg die Tonhöhe, zum entscheidenden Mittel der Formbildung:

„the important parameter of sound is not frequency but rather duration, because duration is open to noise, as well as to what has been called musi- cal. […] pitch can be expressed only by sound. It can’t be expressed by the absence of sound. […] So I deduced that the parameter of duration was, shall we say, more hospitable, a more reasonable structural means for music, than pitch has been.”157

Cages Fokus verschob sich mit den Jahren von Schönberg auf dessen Schüler: In Anton von Weberns symmetrischen Kleinstrukturen erkannte Cage eine zeitbasierte Klangorganisation, die theoretisch offen für Ge- räuschhaftes war: „Webern […] gives one the feeling he could break with the past. For he shook the foundation of sound as discourse in favor of sound as sound itself.”158

155 Fuller im Interview mit Mary Emma Harris, ohne Datum. BMC-Papers. 156 Cage berichtete von dieser Begebenheit u.a. 1965 in einem Interview mit Calvin Tomkins. Vgl. Kostelanetz 2003, S. 5. 157 Cage im Interview mit Frans Boenders (1980), zitiert nach: ebd., S. 54. 158 Cage im Interview mit Joan Peyser (1976), zitiert nach: ebd., S. 48.

134 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

1935 komponierte Cage Musik für einen abstrakten Film von Oskar Fi- schinger, der vor seiner Emigration dem Bauhaus nahe gestanden hatte. Cages Beschreibung dieses Films159 lässt sowohl an die Farb- lichtspiele am Bauhaus als auch an Schawinskys etwa zeitgleiche Thea- ter-Experimente am BMC denken: „it was a beautiful film in which these squares, triangles, and circles and other things moved and changed co- lor.“ Neben einer ersten Erfahrung mit interdisziplinärer Kooperation brachte Fischinger Cage auch in Berührung mit der Idee einer Musikali- sierung der Künste: „He said that every thing in the world has a spirit which is released by its sound, and that set me on fire, so to speak.”160 Diesen Impuls bezeichnete Cage später als Auslöser für seine komposito- rische Beschäftigung mit Perkussion.161 Es war spätestens hier nicht mehr der futuristische Lärmcharakter, der Cage an Geräuschen interes- sierte, sondern ihre offene, unfertige Verfassung. Perkussionsmusik er- schien Cage für die Umsetzung seiner Ideen am geeignetesten, weil sie selbst geräuschhaft war und damit Platz zur Erweiterung durch anderes ließ: „One characteristic of percussion is that it’s open to anything else than what it already has. The strings in the orchestra are not that way – they want to become more and more what they are; but percussion wants to become other than what it is.“162 Cages Auseinandersetzung mit Perkussion fand ihren Höhepunkt 1940 in der Konstruktion des prepared piano, die eigentlich aus einer Verlegenheit heraus entstand: Cage arbeitete an der Cornish School for Modern Dance in Seattle und hatte den Auftrag, eine Begleitung für ein afrikanisches Stück der Tänzerin Syvilla Fort zu komponieren. Weil die räumlichen und finanziellen Möglichkeiten den Einsatz eines Perkus- sions-Ensembles nicht zuließen, suchte Cage nach Alternativen. Er ma- nipulierte die Klaviersaiten mit Schrauben und Gummipfropfen derart, dass nur wenige Töne wie gewohnt stehen blieben, die meisten aber abgedämpft wurden und perkussiven Charakter bekamen. Mit der so veränderten Klangpalette komponierte Cage über 15 Jahre lang für Tanz

159 Leider konnte der Titel des Films nicht geklärt werden. Fischingers Filmografie gibt als erste in Amerika entstandene Arbeit Allegretto an. Möglicherweise wirkte Cage an einer frühen Fassung dieses Werkes mit, das erst 1943 mit Musik von Ralph Rainger vollendet wurde. 1937 drehte Fischinger An Optical Poem zur Musik von Liszts Ungarischer Rhapsodie. 1940 entwarf Fischinger für Walt Disneys Fantasia eine bewegte Illustration zu Bachs Toccata und Fuge in D-Moll. Vgl. von Maur 1985, S. 225. 160 Cage im Interview mit Joel Eric Suben (1983), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 8. 161 „I explored everything through its sound. This led to my first percussion orchestra.” Cage im Interview mit Joan Peyser (1976), zitiert nach: ebd., S. 43. 162 Cage im Interview mit Richard Kostelanetz (1984), zitiert nach: ebd., S. 10 f.

135 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE und Film163, aber auch selbständige Werke; am bekanntesten wurden die Sonatas and Interludes, die er auch bei seinem ersten Besuch am BMC vortrug. 1941 wendete sich Cage landesweit an Universitäten mit dem Vorschlag, ein Institut für experimentelle Musik einzurichten, das von der Perkussion ausgehend an der Integration weiterer Elemente arbeiten sollte.164 Verschiedene Colleges, darunter auch das BMC und László Moholy-Nagys New Bauhaus, zeigten Interesse an dem Projekt, doch niemand konnte ihm eine Finanzierung in Aussicht stellen.165 Das Wesen des Geräuschs erhielt eine zusätzliche Dimension durch Cages Beschäftigung mit fernöstlicher Philosophie. Um 1946 befand er sich auf der Suche nach einer Begründung für das künstlerische Schaffen an sich. Die Lektüre psychoanalytischer Studien führte ihn nicht weiter; erst die Begegnung mit der indischen Musikstudentin Gita Sarabhai und die Vorlesungen des japanischen Philosophen Daisetz Suzuki an der Columbia University eröffneten Cage einen neuen Horizont. Sarabhai brachte ihm den indischen Urgrund allen Kunstschaffens näher: ‚to quiet the mind thus making it susceptible to divine influences’. Der Bezug zu Cages eigenem Schaffen stellt sich durch seine Ergänzung her, dass das Göttliche eigentlich das Alltägliche meine: „We learned from Oriental thought that those divine influences are, in fact, the environment in which we are”166. Von Suzuki lernte Cage, dass das Ego nach zen-buddhistischem Ver- ständnis der freien Entfaltung im Weg steht: Nur der ruhige, willenlose Geist akzeptiert die Schöpfung und ermöglicht einen ungehinderten Fluss aller Dinge. Einige der wichtigsten Stilmittel Cages lassen sich auf dieses Prinzip beziehen: Um die Klänge von seinem eigenen Willen zu befreien, integrierte Cage schon während des Komponierens Zufallsoperationen, die er aus dem I Ging ableitete. Auch die buddhistische Vorstellung, dass

163 Z.B. Credo in Us (1942) und Forever and Sunsmell (1943) für Tänze von Jean Erdman und Merce Cunnungham. 164 Für Cage markierte die Perkussions-Musik einen grundsätzlichen Paradig- menwechsel in der Musikgeschichte: „Percussion music is a contemporary transition from keyboard-influenced music to the all-sound music of the future.“ Cage, John: Silence. Lectures and Writings, Middletown/Connec- ticut: Wesleyan University Press 1986, S. 5. 165 Vgl. Nachschrift dieser Arbeit. Cages Vorstellungen vom Unterricht, die er während eines Lehrauftrags an der Cornish School in Seattle entwickelt hatte, kamen zu dieser Zeit der Praxis am BMC nahe: „I wanted them to find out who they were and what they were doing. I wasn’t concerned with a teaching situation that involved a body of material to be trans- mitted by me to them.” Cage im Interview mit Michael Kirby und Richard Schechner (1965), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 21. 166 Cage im Interview mit Stanley Kauffmann (1966), zitiert nach: ebd., S. 43. An anderer Stelle bemühte sich Cage um eine weniger sakrale Ausdrucks- weise: „the function of music is to change the mind so that it does be- come open to experience.” Cage im Interview mit Allan Gillmor (1973), zitiert nach: ebd., S. 45.

136 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE sich das Göttliche in allen Dingen zeige, wendete Cage auf die Musik an. Sie erlaubte ihm die Verarbeitung beliebiger Alltagsgeräusche, auf deren Charakter er keinen Einfluss hatte. Des Weiteren beschäftigte Cage die Idee der hierarchiefreien Verhältnisse, in denen die autonomen Elemente dazu tendieren, sich gegenseitig zu durchdringen: Dieser Grundsatz er- schien ihm als Sinnbild für das Verhältnis der Künste untereinander;167 er übertrug es aber auch auf die Beziehung zwischen Akteuren und Publi- kum, Lehrer und Student, Kunst und Alltag. Schließlich war mit der Hinwendung zum Fernöstlichen ein zyklisches Zeitkonzept verbunden, das der fortlaufenden Zeit in westlichen Kompositionen entgegenstand. Tatsächlich ist Cages Zen-Ausübung kaum als puristisch zu bezeichnen; vielmehr integrierte er die fernöstlichen Prinzipien in eine eigene Ästhe- tik, deren Grundzüge schon vorher angelegt gewesen waren:

„Suzuki said Zen wants us to diminish that kind of activity of the ego and to increase the activity that accepts the rest of the creation. […] And I would do it with a means that was as strict as sitting cross-legged, namely, the use of chance operations, and the shifting of my responsibility from the making of choices to that of asking questions.”168

Statt die im Zen obligatorischen Meditationen durchzuführen, kompo- nierte Cage als Ausdruck seines Glaubens also auf eine Weise, die er als „genauso streng“ bezeichnete. Zu Cages unorthodoxer Religions ausle- gung kommt die auffällige Nähe des von Suzuki vermittelten Zen- Verständnisses zu manchen Gedanken der amerikanischen Romantik und des daraus hervorgegangenen Pragmatismus. Wie Wilfried Raussert in seinem Buch Avantgarden in den USA169 aufzeigt, sind es namentlich die Gedanken John Deweys und Henry David Thoreaus, die Cage deutlich beeinflusst haben: Deweys Art as Experience (1934) verdankte seine große Attraktivität in Amerika der anti-idealistischen Haltung, die vom Publikum als emanzipatorisches Statement gegen die etablierte Kunst Europas gelesen wurde. Dewey verband Theorie mit Praxis sowie Kunst und Lehre mit dem Alltag. Der Alltag war für Dewey die Quelle ästheti-

167 Ab 1950 unterhielt Cage mit den Komponisten Morton Feldman, Christian Wolff und dem Pianisten David Tudor regelmäßige Treffen; später stieß noch der Komponist zu ihnen. Alle fünf Mitglieder der später als New York School bezeichneten Komponistengruppe teilten ein besonderes Interesse an der bildenden Kunst. Im Eighth Street Artists’ Club, dem geistigen Zentrum des Abstrakten Expressionismus, waren außer Cage nur drei weitere Komponisten regelmäßig anwesend: Edgard Varèse, Morton Feldman und Stefan Wolpe. Vgl. ebd., S. 53. 168 Cage im Interview mit Bill Womack (1979), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 45. 169 Raussert, Wilfried: Avantgarden in den USA. Zwischen Mainstream und kritischer Erneuerung 1940-1970, Frankfurt: Campus 2003, S. 89-105.

137 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE scher Erfahrung, weil der Künstler aus der Beobachtung scheinbar bana- ler Dinge Material und Inspiration schöpfe. Deshalb entstehe Kunst nicht in einem autonomen Raum, sondern durch Interaktion des Individuums mit seinem Umfeld: „Experience is [...] heightened vitality [...]; at its height it signifies complete interpenetration of self and the world of ob- jects and events.“170 Auch wenn Cage das hier angesprochene „Umfeld der Dinge und Ereignisse“ mit dem göttlichen Prinzip des Zen ausdeute- te, ist unübersehbar, wie nahe sich Zen und Pragmatismus in seiner Interpretation standen. Es ist zudem auffällig, wie Cage sich in der Deu- tung seiner eigenen Arbeit für die fernöstliche Seite entschied, obwohl er nachweislich auch mit dem Gedankengut Deweys vertraut war.171 Auch bei Henry David Thoreau (1817-1862) finden sich Überschnei- dungen mit buddhistischem Gedankengut. Thoreau versuchte, den Ge- gensatz von Natur und Mensch aufzulösen: Er vertrat „the nondual view that the world includes us and is already unified, thus putting an end to the conceit that our universe is somehow dependent upon us for comple- tion.”172 Weiter unterschied Thoreau zwischen der „Musik der Natur“ und der „Musik der Kunst“.173 Er maß den Naturklängen im Vergleich weitaus größere Bedeutung bei, weil der Mensch, während er ihnen lauscht, in enge Verbindung mit dem Natürlichen trete. Cage fügte dem Natur- bzw. Alltagsgeräusch sein Konzept der Stille hinzu, das ich im nächsten Abschnitt an den Beispielen Happening und 4’33“ erläutern möchte. Neben Thoreaus nondualistischem Denken faszinierte Cage die anar- chistische Geisteshaltung, die in Thoreaus Buch On the Duty of Civil Disobedience zum Ausdruck kam. Auf diese Einstellung wiederum sprach Cage auch im Dadaismus an, mit dem er während seines Studien- aufenthalts in Paris in Berührung gekommen war. Es waren besonders

170 Dewey 1934, S. 540. 171 Es ist nicht nur die Vorstellung der Wechselwirkungen von Kunst und Alltag, die Cage mit Dewey verbindet, sondern auch der Antrieb zur Erneuerung: Das Leben befindet sich nach Dewey in einem ständigen Prozess, der fortwährenden Wandel mit sich bringt. Diese Zukunftsorientierung verneint die ewige Wahrheit des Kunstwerks und sollte den Künstler dazu veran- lassen, nach neuen, der Zeit angemessenen Formen zu suchen. Das Denken Deweys spiegelt in diesem Punkt gleichermaßen den am-erikanischen Vorbehalt gegenüber historischer Überlieferung als auch die Nähe zu avant- gardistischem Gedankengut – und beschreibt somit gleichzeitig Cages dop- pelte Position als US-Bürger und Avantgardist. Vgl. Raussert 2003, S. 89 ff. 172 Shultis, Christopher: Silencing the Sounded Self: John Cage and the American Experimental Tradition, Boston: Northeastern University Press 1998, S. 44. Die unser Leben bestimmenden Prinzipien der Natur sind nach Thoreau Bewegung und Unberechenbarkeit; deshalb kommt er, genau wie Dewey, zu dem Ergebnis, dass der naturhafte Prozess der Veränderung den Künstler zur Erneuerung verpflichtet. 173 Ebd.

138 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Marcel Duchamps zu Kunstwerken erklärte Alltagsgegenstände (Ready- mades), die Cage begeisterten: „I’m out to blur the distinctions between art and life, as I think Duchamp was. And between teacher and student. And between performer and audience, etc.”174 Mit den Readymades in Verbindung stand die Forderung Duchamps, dass der Betrachter ein Kunstwerk durch eigenes, assoziatives Zutun zu vervollständigen hat. Auch der dadaistische Sinn für das Absurde sowie die Aktionen und schockierenden Effekte, mit denen sich die Dadaisten gegen die bürgerli- che Kunst richteten, hinterließen bei Cage ihre Spuren.175 So wie Cage kein orthodoxer Anhänger der Zen-Philosophie war, so lässt sich auch keine Deckungsgleichheit seines Denkens mit den ande- ren genannten Richtungen feststellen. Cage abstrahierte seine Einflüsse vielmehr von ihrem kulturellen Hintergrund, um sie in sein Weltbild zu integrieren, das gleichermaßen durch Komplexität wie durch Geschlos- senheit beeindruckt. Zwar gibt es viele Punkte, an denen sich Unstim- migkeiten zwischen den genutzten Idealbildern ergeben176, doch Cage nivelliert sie durch seine Abwendung von westlicher Logik und dem in fernöstlicher Philosophie geerdeten Zulassen des Unvereinbaren. Dem Vorwurf, Cage habe hier weltanschaulich taktiert, um sich unangreifbar zu machen, ließe sich entgegenhalten, dass der multikulturelle Ansatz in seinem Umfeld schlicht „in der Luft lag“: Buckminster Fuller sprach von der Unabdingbarkeit weltweiter Interaktion (lange bevor das Sprichwort vom global village die Runde machte), und Daisetz Suzuki griff in sei- nen Vorlesungen auf das Vokabular des Pragmatismus zurück, um den Dewey-geschulten Studenten den Einstieg in die Materie zu erleichtern. Während Cage in philosophischem Sinne die Gleichzeitigkeit des Ungleichartigen propagierte, konzentrierte er sich zur musikalischen Umsetzung seiner Ideen auf Rhythmus und Improvisation: In seiner Sichtweise strukturiert Rhythmus die Musik zu Zeiteinheiten, die offen sind für die Integration von Elementen jeglicher Art. Improvisation beschreibt die Zelebrierung des Moments, in dem grundsätzlich alles möglich ist. Mit den Zufallsoperationen ersetzte Cage die menschliche gewissermaßen durch eine naturhafte Improvisation.

174 Cage im Interview mit Moira und William Roth (1973), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 24. 175 Mit Veröffentlichung der Anthologie The Dada Painters and Poets löste Robert Motherwell 1951 die New Yorker Neo-Dada-Bewegung aus, in deren Zuge Marcel Duchamp auch in Amerika größere Beachtung fand. Mother- well, Robert (Hrsg.): The Dada Painters and Poets: An Anthology, New York: Wittenborn, Schulz 1951. 176 Ungeklärt bleibt etwa, wie sich der Begriff der Leere im Zen zu dem des Nihilismus im Dadaismus verhält. Disparat stellt sich auch der Vergleich von Cages aleatorischer Kompositionsweise mit der Unterwerfung der gesamten Persönlichkeit unter ein göttliches Prinzip im Zen-Buddhismus dar.

139 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

b. Cage am BMC

Cage besuchte das BMC zum ersten Mal im Frühjahr 1948, zwischen zwei Auftritten auf einer Tour mit dem Tänzer Merce Cunningham. Cage spielte bei dieser Gelegenheit die eben fertig gestellten Sonatas and In- terludes für präpariertes Klavier, und Cunningham tanzte ein Solopro- gramm. Josef Albers empfand ihre Darbietungen als auch ihre Präsenz in Gesprächen177 während dieses mehrtägigen Aufenthalts als so anspre- chend, dass er sie einlud, für die Sommerkurse ans College zurückzukeh- ren. War Cages erster Eindruck vom College der einer außergewöhnlich freigeistigen Einrichtung gewesen, so stellte er bald nach seiner Ankunft im Sommer 1948 weniger begeistert fest: “The whole feeling was German”178. Mit der herrschenden Grundhaltung des Colleges geriet Cage durch den Plan in Konflikt, seine Sommeraktivitäten in Form einer Konzertserie dem Schaffen des französischen Komponisten Erik Satie zu widmen: „Albers’ first question to me was, ‚Won’t you also give a series of lectures, because we see no reason for listening to French music. And you will have to explain to us why we should listen to something so trivi- al’, and so un-germanic, you see, as the music of Satie.”179 Trotz der Ressentiments gab Cage insgesamt 26 halbstündige Kon- zerte (an jeweils drei Terminen pro Woche), in denen er alle ihm be- kannten Stücke Saties spielte. Er gab der Serie die Überschrift Amateur Festival, weil er sich selbst als Pianisten mit eng begrenzten Fähigkeiten einstufte. Cage glaubte, dass Saties Musik gerade von Laien am besten, weil unbelastet von musikakademischen Maßstäben, gespielt werden könne.180 Cage berücksichtigte auch Albers’ Bitte um einführende Vor- träge. Er bezog sich darin allerdings nicht nur auf Satie, sondern gab auch persönliche Einschätzungen der Musik von Beethoven, Bach und Mozart. Der Vortrag Defense of Satie löste einen, seitens Cage wohl kal- kulierten, Eklat aus: Er bezeichnete Beethovens Musik darin als falsch, weil sie den Klängen durch kompositorischen Ausdruckswillen ihre Freiheit genommen habe. Dem harmonischen Konzept Beethovens hielt

177 Cage erinnerte sich später an persönliche Übereinstimmungen mit Albers: „So it’s a dialectic between the mind and the heart, and that is precisely the thing that interested German aestheticians - the marriage of form and content […] Therefore, I saw eye-to-eye with Albers at that time”. John Cage im Interview mit Mary Emma Harris am 1. Mai 1974. BMC-Papers. 178 Ebd. 179 Ebd. 180 „I think people try to make it something rather than letting it happen. […] Ives seems to me to be best played, and Satie too, by people who don’t play very well, who aren’t, as Satie would say, paralyzed.” Cage im Interview mit Ellsworth Snyder (1985), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 49.

140 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE er das rhythmische Konzept Saties181 (und das Anton von Weberns) ent- gegen. Als Grundlage dieser Gegenüberstellung nutzte Cage seine Überlegungen bezüglich der musikalischen Parameter Tonhöhe und Tondauer, die er schon lange vor seinen BMC-Besuchen angestellt hatte: „Beethoven was in error, and his influence, which has been as extensive as it is lamentable, has been deadening to the art of music […] Silence cannot be heard in terms of pitch or harmony: It is heard in terms of time length. It took a Satie […] to rediscover this musical truth”.182 Zwei Dinge sind zu Cages Verteidigung Saties gegen Beethoven an- zumerken: Zum einen spielt Cage hier keine objektiven Positionen deut- scher und französischer Musik gegeneinander aus; er reduziert vielmehr zwei subjektiv gewählte Repräsentanten auf ein subjektiv gewähltes Un- terscheidungsmerkmal, welches zudem auf seiner eigenen Überlegung beruht. Cage stellt also keinen historisch dokumentierten Konflikt dar, sondern wendet schlicht seine Sicht der Dinge auf ein Fallbeispiel an. Zum anderen ist Cages Polemik als ein Statement gegen die deutsche Musikdominanz am BMC zu verstehen183. Cage wollte kein American Salzburg, sondern ein experimentelles College als Versuchslabor für die zeitgenössische US-Avantgarde. Seine Einschätzung „From Satie’s point of view, all that he was doing was getting rid of sauerkraut“184 mag durchaus ihre Berechtigung haben, doch in der Satie-Apotheose geht es vornehmlich um Cages persönliche Auflehnung gegen die dominante Tradition am BMC. Auch die Kritik an Beethoven ist strategischer Natur, denn er fungiert hier nicht als Einzelperson, sondern als unangefochtener Repräsentant der deutschen Musik, dessen Schelte das größte Provokati- onspotenzial besitzt. Cages vermeintlicher Plan ging auf, denn der Vor- trag teilte die Studentenschaft: Während die Cage- und New Theatre- Anhänger applaudierten, fühlten sich Erwin Bodky und seine Studenten

181 In einem späteren Kommentar zu Saties Stück Vexations (1893), das aus der 840fachen Wiederholung einer einzelnen Phrase besteht, verglich Cage die Rhythmik bei Satie mit der Beethovens: „you will find that the phrases are not repeated, but are in fact varied in the most interesting way. I would say that they’re far more interesting, say, than Beethoven, from a rhythmic point of view.” Cage im Interview mit Allan Gillmor und Roger Shattuck (1973), zitiert nach: ebd., S. 50. 182 Zitiert nach: Duberman 1972, S. 471 f. 183 Auch seinem Lehrer Schönberg unterstellte Cage, dass er sich mit der Deutschland-zentrierten Einstellung am College im Einklang befunden habe: „And even with Schoenberg. He said in one of his letters that his discovery of a way of composing music by means of the twelve tones ensured the supremacy of German music for the next hundred years. And that attitude was not separated from Black Mountain thinking; it was essentially through Albers a Germanic situation.” John Cage im Interview mit Mary Emma Harris am 1. Mai 1974. BMC-Papers. 184 Cage im Interview mit Robert Cordier (1973), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 52.

141 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE persönlich angegriffen, schließlich zielte die Argumentation auch auf Bodkys beliebten und ebenfalls in diesem Sommer stattfindenden Kurs über Beethovens Sonaten. Auch wenn Bodky es mit der Organisation ei- nes Bach-Festivals im folgenden Jahr noch einmal vorübergehend schaffte, das College europäisch zu färben, war die Zeitenwende mit Cages Vortrag theoretisch eingeläutet. Selbst die unmittelbare Auflösung des Konflikts im Sommer 1948 dürfte Cages Sinn fürs Absurde entspro- chen haben: Seine Anhänger und Gegner bewarfen sich in einer Essens- schlacht mit Crêpes und Wienerschnitzel.185 Künstlerischer Höhepunkt des Satie-Festivals war die Aufführung des Theaterstücks Le Piège de Méduse, an der neben Cage auch Arthur Penn, Buckminster Fuller, Merce Cunningham sowie Elaine und William de Kooning mitwirkten. Penn, der später zum prominenten Erneuerer des Hollywood-Kinos avancierte186, hatte sich nach Black Mountain zurück- gezogen, um ein neues Stück zu schreiben. Cage und Mary Caroline Richards baten ihn, für Le Piège de Méduse die Regie zu übernehmen und insbesondere mit Fuller zu arbeiten, der in seiner Hauptrolle als Baron Medusa zum ersten Mal auf einer Theaterbühne stand; eigentlich war Fuller an das College gekommen, um seine avantgardistischen Ar- chitekturideen vorzustellen. Saties einziges Theaterstück von 1913, das Cage in der New Yorker Public Library entdeckt hatte, war zuvor nur ein einziges Mal aufgeführt worden. Richards übersetzte es zu Beginn des Sommers aus dem Französischen und Elaine de Kooning gestaltete mit ihrem Mann William das Bühnenbild. Penn erinnerte sich später, dass ihm die Probearbeiten Gelegenheit gaben, neue theatrale Möglichkeiten zu erproben:

„the opening up of the space, the disappearance of lines of demarcation, the play flowing out into the auditorium, temporarily catching up the au- dience, then flowing back onto the stage. […] I don’t think that I would have had the natural adventuresome character to do that had I not had this expe- rience with Merce [Cunningham] and John [Cage], they breathed liberty into that whole experience.”187

Cunningham spielte einen mechanischen Affen und Cage übernahm die Klavierbegleitung; beide erarbeiteten ihre Teile durch Improvisationen während der öffentlichen Proben. Penn beschrieb die Aufführung am 14. August als „one of those experiences which grew as myth in time“188.

185 Vgl. Duberman 1972, S. 288 f. 186 Penn drehte u.a. den Film Bonnie & Clyde (1967), der als ästhetischer Aufbruch einer neuen Hollywood-Generation gilt. 187 Duberman 1972, S. 289 ff. 188 Ebd., S. 291.

142 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Aufgrund der illustren Hauptakteure gilt die Aufführung von Le Piège de Méduse am BMC als Meilenstein für das New Theatre189 – obgleich eini- ge der dafür konstituierenden Merkmale offensichtlich nicht gegeben waren: Das Stück hatte am Aufführungstag eine festgelegte Form, zudem wurde eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Zwar beschreibt Penn eine Öffnung des Bühnenraums, doch Abstraktion und Zufall ge- hörten nicht zu den Stilmitteln. Trotz des Engagements und der Begeiste- rung aller Beteiligten, hatte laut Penn seinerzeit niemand das Gefühl, an einem historischen Moment mitzuwirken. Die angedachte Wiederholung der Aufführung in New York wurde genauso wenig in die Tat umgesetzt wie der Auftrag des dortigen Museum of Modern Art an Penn, das Stück für einen Fototermin nachzustellen.190 Als Cage 1952 für die Sommerkurse an das College kam, war das fernöstliche Denken in seiner Arbeit endgültig manifest geworden. In ei- ner mehrstündigen Lesung stellte er seinen Zuhörern den kompletten Text der Huang Po Doctrine of Universal Mind vor, den er für das es- senzielle Schriftstück des Zen-Buddhismus hielt. Cage war zu dieser Zeit an einer Kombination von Zen mit dem Denken Antonin Artauds interes- siert. Die Zen-Grundsätze erwiesen sich auch in diesem Fall als an- schlussfähig: Der französische Schauspieler, Regisseur und Theore-tiker Artaud propagierte ein von Textvorlagen unabhängiges Theater. Pierre Boulez hatte Cage 1948 in Paris auf Artauds Buch The Theatre and its Double aufmerksam gemacht. Cage gab es zunächst an David Tudor191 und später an Mary Caroline Richards weiter, die es schließlich ins Eng- lische übersetzte.192 In einem Gespräch zwischen Cage und Tudor ent-

189 Der Ausdruck stammt von Michael Kirby, der handlungsfreie Bühnenstücke in seinem gleichnamigen Buch als The New Theatre zusammenfasste. Kirby, Michael: The New Theatre – Happenings and other Acts, London, New York: Routledge 1995. 190 Dargestellt nach: ebd., S. 287-291. 191 Tudor las Artauds Buch als Vorbereitung auf die Proben zur Uraufführung von Pierre Boulez’ Deuxième Sonata. Tudor erhoffte sich davon ein besseres Verständnis der Sonate, weil Boulez es während des Kompo- nierens ebenfalls gelesen hatte. Duberman 1972, S. 350. 192 Aus Richards Einschätzung wird deutlich, wie gut sich Artaud in Cages Melange aus Zen und New Theatre-Ambitionen fügte: „Theater is not a branch of literature, […] Nor is it a branch of applied psychology. It is an art with a language of its own, and its practices are much closer to magic and to ritual than to reporting. Artaud begged for release from the dictatorship of the written text.” Richards, M.C.: The Theater of Antonin Artaud, in: Ararat: A Decade of Armenian-American Writing: New York 1969, S. 350. BMC-Papers. Cage selbst schrieb in verschiedenen Interviews Artaud eine entscheidende Rolle bei der gedanklichen Entwicklung von Happenings und Fluxus zu: „we got the idea from Artaud that theater could take place free of text, that if a text were in it, that it needn’t determine the other actions, that sounds, that activities, and so forth, could all be free rather than tied together. […] There is a deep relation between Fluxus and Antonin Artaud. Isn’t there? Not enough has been said

143 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE stand die Idee für ein Theater-Event auf der Grundlage von Zen, Artauds Konzepten und Duchamps Forderung, dass Kunst vom Betrachter ver- vollständigt werden müsse: „[it] all fused together into the possibility of making a theatrical event in which the things that took place were not causally related to one another – but in which there is penetration, anything that happened after that happened in the observer himself.“193 Wie etwa der Williams Mix zeigt (vgl. Kap. 3.4), hatten Cages Ar- beiten ein hohes Maß an Komplexität entwickelt. Vielleicht war es die Aussicht auf eine übersichtliche Konstellation, die Cage und Tudor dazu brachte, die einmal gefasste Idee unmittelbar umzusetzen. Cage entwarf eine Partitur auf der Grundlage von sich überschneidenden Zeitabschnit- ten (time brackets), deren Länge und Verteilung er durch Zufallsoperati- onen ermittelte. Die Zeitabschnitte bestimmten nichts anderes als das Einsetzen und Ausbleiben von Aktion, nicht aber die Aktion selbst – die Akteure durften mit der ihnen zugeteilten Zeit anfangen, was sie wollten. Zur Ausgestaltung der time brackets lud Cage sechs Personen ein, die sich in diesem Sommer ebenfalls am College aufhielten: Merce Cun- ningham, David Tudor, Buckminster Fuller, Robert Rauschenberg, Charles Olson und Mary Caroline Richards. „I had no knowledge of what they were going to do. […] The thing had not been rehearsed. It simply had been planned. In fact, that very day before lunch it was plan- ned, and it was performed before dinner. And we all got together and did these things at once.”194 Die Sitzordnung folgte einem Prinzip, das man als Erweiterung der Manege bei Schawinsky und Evarts 1938 bezeichnen könnte: Das Publikum saß in konzentrischen Kreisen, die durch freiblei- bende Gänge zu vier Dreiecken geteilt waren. Der Hauptteil der Aktion fand nicht in der Mitte, sondern außerhalb des Kreises sowie in den Gän- gen statt. Auf die Frage von Johanna Jalowetz nach den besten Plätzen erwiderte Cage, dass sie alle gleich gut seien.195 In den Worten Cages spielte sich das Geschehen folgendermaßen ab:

„At one end […] was a movie and at the other end were slides. I was up on a ladder delivering a lecture which included silences and there was another ladder which M.C. Richards and Charles Olson went up at different times. During periods that I called time brackets, the performers were free within limitations […]. Until this compartment began, they were not free to act, but once it had begun they could act as long as they wanted to during it. Robert Rauschenberg was playing an old-fashioned phonograph […], and

about this.” John Cage im Interview mit Mary Emma Harris am 1. Mai 1974. BMC-Papers. 193 Cage, zitiert nach: Duberman 1972, S. 350. 194 Ebd., S. 225. 195 Vgl. Harris 1987, S. 228.

144 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

David Tudor was playing a piano, and Merce Cunningham and other dancers were moving through the audience and around the audience. Rauschenberg’s pictures were suspended about the audience.”196

Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse führte zusammen mit der nicht- zentrierten Ausrichtung des Publikums dazu, dass sich die Beschreibun- gen des Happenings stark voneinander unterscheiden; je nach Blickwin- kel sah jeder Zuschauer ein anderes Ereignis.197 Was genau gesagt und gespielt wurde, lässt sich demnach nicht rekonstruieren; von größerer Bedeutung ist das Konzept: Das später so benannte Theatre Piece No.1198 verzichtete auf Schauspieler, Kostüme und Handlung. Es gab keine Hierarchien im Sinne von Bedeutung oder Qualität. Die Dramaturgie wurde durch Zufall bestimmt und die Akteure konnten über ihre Hand- lungsweise spontan entscheiden. Mit Blick auf Cages zahlreiche Einflüs- se lassen sich im Theatre Piece No.1 weitere Implikationen ausmachen: Es durchdringen sich in Cages Sinne Kunst und Alltag, denn er charakte- risiert Alltag als parallelen Ablauf voneinander unabhängiger Ereignis- se.199 Des Weiteren stellt das Happening kein fertiges Produkt dar, son- dern einen Moment gemeinschaftlicher Praxis, der sich im Sinne Deweys lesen lässt: als Gleichzeitigkeit von Erfahrung und Ausdruck. Schließlich betreibt Cage mit der Organisationsform auf Grundlage von time bra- ckets eine konsequente Verzeitlichung der Künste, die ihr gleichberech- tigtes Erscheinen auf einer Bühne möglich macht. Michael Kirby gibt in seinem Buch The New Theatre eine entsprechende Einschätzung: „Cage presented a work at Black Mountain College which combined dance, motion pictures, poetry, prose readings, and recorded music. These materials were handled exactly as if they had been sounds. […] a wide variety of performance material well ‚orchestrated’.”200 Trotz seiner zahlreichen Bedeutungsebenen ist das Theatre Piece No.1 eine Skizze, die naturgemäß – und im Sinne Cages – viele Fragen offen lässt, etwa die nach dem Vorgehen der Künstler: Agieren sie wirk- lich ohne Intention, oder handelt es sich hier vielmehr um ein gleichzei- tiges Ablaufen vorbereiteter Beiträge? Cage trug mutmaßlich (darin

196 Cage im Interview mit Michael Kirby und Richard Schechner (1965), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 110. 197 Martin Duberman trug in seiner BMC-Monografie Augenzeugenberichte zusammen, aus denen hervorgeht, dass neben Rauschenbergs Gemälden auch Franz Klines schwarz-weißes Bild noch einmal zum Einsatz kam, das Lou Harrison schon als optische Ergänzung zu dem musikalischen Vortrag von William Masselos aufgehängt hatte. Duberman 1972, S. 352-357. 198 Zunächst firmierte es unter dem Titel Untitled Event. 199 Neben der Integration von Alltag im Theater glaubte Cage auch an die umgekehrte Möglichkeit, dass die Betrachtung der Alltagswelt als Theater den Umgang mit ihr erleichtern könne. Vgl. Kostelanetz 2003, S. 75. 200 Kirby 1995, S. 33.

145 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE stimmen einige Augenzeugenberichte überein) persönliche Zen Reflek- tionen vor, also einen Text, den man durchaus als intentional und für den Anlass passend bezeichnen könnte. Cage erwähnte in einem Interview 1965, dass er die Vorbereitung der einzelnen Teilnehmer eines Hap- penings für nützlich halte und dass das Moment der Absichtslosigkeit erst aus dem Gesamtgebilde heraus entstehe – daraus, dass keiner der Akteure wisse, was die anderen tun werden.201 Eine weitere Frage hin- sichtlich der Akteure ist die nach ihrer Rolle: Sie stellen keine narrativen Charaktere dar, sie tragen aber auch keine Masken, die sie, wie bei Schlemmer und Schawinsky, zu abstrakten Körpermaschinen machen würden – spielen sie also sich selbst? Cage hätte diese Frage mit dem Hinweis auf die wechselseitige Nähe von Alltag und Happening wohl bejaht. Hier schließt das Problem an, ob es sich bei dem Setting des Theatre Piece No.1 wirklich um eine alltagsnahe Situation handelt, oder ob nicht gerade das Aufbrechen herkömmlicher Theaterformen zu einer hochgradig artifiziellen Konstellation führt. Schließlich stellt sich die Frage nach Wert und Bedeutung: Ist Cages Happening lediglich eine strategische Provokation, oder ist ihm hier der erste funktionierende Prototyp eines abstrakten Gesamtkunstwerks gelungen? Unter musikali- schem Gesichtspunkt und mit Blick auf ähnliche Versuche am Bauhaus lässt sich zumindest feststellen, dass Cage der Musik ihren Begleitcha- rakter nimmt – und zwar dadurch, dass er sie neu denkt. Zur Veran- schaulichung dieser Neudefinition von Musik ist Cages wahrscheinlich berühmtestes Stück 4’33“ hilfreich, das er kurz nach den Sommerkursen 1952 unter dem Einfluss der Geschehnisse am BMC komponierte. Cage hatte sich schon mehrere Jahre mit dem Gedanken an ein Stück getragen, in dem es keine komponierten Klänge geben sollte. Erst das Vorbild von Rauschenbergs monochromen Bildern, die auch im Happe- ning zum Einsatz kamen, ermutigte Cage dazu, seine Idee umzusetzen:

„You see I was afraid that my making a piece that had no sounds in it would appear as if I were making a joke. In fact, I probably worked longer on my ‘silent’ piece than I worked on any other. I worked four years - Actually what pushed me into it was […] the example of Robert Rauschenberg. His white paintings […]: When I saw those, I said, “Oh yes, I must; otherwise I’m lagging, otherwise music is lagging.”202

4’33” besteht aus nichts anderem als einer Spielanweisung: Der Pianist öffnet den Klavierdeckel und schließt ihn 4 Minuten und 33 Sekunden

201 Vgl. Kostelanetz 2003, S. 76 f. sowie Allan Kaprows 18 Happenings in 6 Parts (vgl. Kap. 4.2). 202 Cage im Interview mit Allan Gillmor und Roger Shattuck (1973), zitiert nach: ebd., S. 71.

146 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE später wieder. Das Stück wird akustisch ausschließlich durch die Geräu- sche gestaltet, die während dieser Zeit im Umfeld entstehen, etwa durch sich räuspernde Zuschauer, das Pfeifen des Windes durch die Fensterrit- zen etc. Cage sah einen Zusammenhang zwischen dem stillen Musik- stück, „where anything we do is apparent as music“ und dem Happe- ning, „where anything we do is apparent as theatre“203. In Cages Erläu- terungen findet sich auch Thoreaus Gegenüberstellung von „Musik der Natur“ und „Musik der Kunst“ wieder, die Cage implizit schon in seiner Beethoven-Polemik benutzt hatte:

„I wanted my work to be free of my own likes and dislikes, because I think music should be free of the feelings and ideas of the composer. I have felt and hoped to have led other people to feel that the sounds of their envi- ronment constitute a music which is more interesting than the music which they would hear if they went into a concert hall.”204

Verbunden mit Thoreau (und dessen fernöstlichen Einflüssen) hat einmal mehr die Zen-Philosophie entscheidenden Anteil am Überbau: In der Meditation versuchen Zen-Anhänger das Zentrum ihres Geistes zu errei- chen, in dem Ruhe und Gelassenheit herrschen. Dieser Zustand der Abwesenheit von Aktivität erlaubt die besonnene Wahrnehmung der Aktivität der Umwelt205 – die Verbindung zwischen dieser Vorstellung von Stille und 4’33“ liegt auf der Hand. Einen weiteren Bezugspunkt stellt auch in diesem Stück der Einfluss Erik Saties dar: In seiner Musi- que d’ameublement (1917-1920) hatte Satie mit der Montage klischee- hafter Musikphrasen gearbeitet, die er nicht als autonome Kunst, sondern als Hintergrundmusik verstanden wissen wollte (vgl. Kap. 1.3). Neben dem kulturkritischen Ansatz erkannte Cage in der Möbelmusik auch ein wichtiges künstlerisches Konzept: „,Furniture Music’ was Satie’s most far-reaching discovery, the concept of a music to which one did not have to listen.”206 In 4’33“ dreht Cage die Idee Saties um: Das Publikum soll zuhören, aber es gibt keine Musik. Auch das Prinzip der unberechenba- ren Variation, die bei Cage von Alltags- und Umweltgeräuschen verur- sacht wird, ist von Satie inspiriert: In dem Stück Vexations (1893) soll

203 Cage im Interview mit Lars Gunnar Bodin und Bengt Emil Johnson (1965), zitiert nach: ebd., S. 205. 204 Cage im Interview mit Jeff Goldberg (1974), zitiert nach: ebd., S. 70. 205 „[…] tranquility is in the center and freedom from likes and dislikes. It stands to reason, the absence of activity which is also characteristically Buddhist. […] The marvelous thing about it is when activity comes to , what is immediately seen is that the rest of the world has not stopped.” Cage im Interview mit Gillmor und Shattock (1973), zitiert nach: ebd., S. 70. 206 Cage im Interview mit Don Finegan et al. (1969), zitiert nach: ebd., S. 51.

147 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE eine Reihe von 36 Akkorden 840 Mal wiederholt werden. Cage, der 1963 die fast 19-stündige Uraufführung dieses Stücks leitete, erkannte, dass die übersichtliche Konstellation in Vexations eine Wahrnehmung kleins- ter Abweichungen in Tempo und Phrasierung ermöglichte, die sich über die stundenlange Wiederholung des immer Gleichen unweigerlich erge- ben.207

c. Cage und Merce Cunningham

Schon Ende der 1930er Jahre begann Cages Zusammenarbeit mit dem Tänzer Merce Cunningham. Cunningham erweiterte die bis dahin gültige Formensprache des Modern Dance durch das Gebot, dass grundsätzlich alle Bewegungen erlaubt seien: „Anything natural, that is, any movement meaningful to the dancer, became matter for a dance.“208 Zudem inte- grierte er fernöstliche Stilmittel wie den gezielten Einsatz von Gesichtsausdrücken. Von 1939 bis 1945 war Cunningham Mitglied der Martha Graham Company. Die Keimzelle seiner eigenen Company entstand 1953 am BMC. Cunningham brach mit der choreografischen Tradition nicht weniger unbeirrt als Cage mit der musikalischen: Er propagierte einen autonomen Tanz, der weder eine Handlung symbolisch repräsentieren, noch nach Bewegungsäquivalenzen zu vorgegebener Mu- sik suchen sollte. Cunningham richtete sich nach seinem Ausstieg bei Martha Graham gegen ihren psychologisierenden Ansatz, durch Bewe- gung bestimmte Gefühlslagen darstellen zu wollen.209 Teil dieser Loslö- sung war der Einsatz von Zufallsoperationen, die jeglichen Bezug auf ei- ne außerhalb der reinen Bewegung liegende Bedeutungsebene verhindern sollten. Er gilt damit als Begründer des postmodernen Tanzes, in dem der kreative Prozess sich selbst genügt. Auch sonst lassen sich manche Prin- zipien Cunninghams als Übertragung von Gedanken Cages auf den Tanz verstehen: – Da Cunningham in seinen Choreografien auf narrative Handlung ver- zichtet, haben die Zuschauer des Gesehene im Sinne Cages (bzw. Duchamps) selbst zu deuten.

207 „This goes on for eighteen hours and forty minutes. Now what happens when something so simple is repeated for such a long time? What actually happens is the subtle falling away from the norm, a constant flux with regard to such things as speed and accent, all the things in fact which we could connect with rhythm. The most subtle things become evident that would not be evident in a more complex rhythmic situation.” Cage im Interview mit Gillmor und Shattock (1973), zitiert nach: ebd., S. 49. 208 McDonagh, Don: The Rise and Fall of Modern Dance, New York: Dutton 1970, S. 52. 209 Vgl. Raussert 2003, S. 143.

148 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

– Stille wird bei Cunningham als Bewegungslosigkeit gedeutet: Sta- tisches Verharren gehört zu seinen Performances genauso wie die Be- wegung. – Die Bewegungsverläufe richten sich nicht nach metrischen Maßstäben, denn Cunningham möchte die Zeit tänzerisch relativieren. Der verhar- rende Körper hält die Zeit im übertragenen Sinne an, der sich blitzartig wendende Körper beschleunigt die subjektive Wahrnehmung des Ab- laufs. Cunningham versucht, bedeutungshaltige oder emotional aufge- ladene Posen zugunsten reiner Bewegungs-Logik zu vermeiden. – Dem Happening vergleichbar gehört es zu Cunninghams Strategien, die einzelnen Elemente einer Aufführung (also Choreografie und Mu- sik) erst bei der Premiere aufeinander treffen zu lassen; vorher abge- sprochen ist lediglich die rhythmische Struktur. Die Anwendung der Methoden Cages auf den Tanz hat bei Cunningham ihre Grenzen: So steigt in Ensemblestücken, die während der Aufführung Zufalls- elemente integrieren, die Verletzungsgefahr durch Zusammenstöße der Tänzer. Das bei Cage zu beobachtende Verschwinden des Kunst- ausdrucks in der Stille hätte in der Übertragung auf den Tanz letztlich die Abschaffung von organisierter Bewegung zur Folge – eine Konse- quenz, der offenbar auch die sparsamen Choreografien Lothar Schrey- ers an der Bauhaus-Bühne unterlagen (vgl. Kap. 2.4.b). Cunningham besuchte das BMC zu drei Sommerkursen. 1948 stellte er A Program of Dances vor, bestehend aus drei Choreografien zu prepared piano-Musik von John Cage, die beide zusammen schon mehrfach aufge- führt hatten: Totem Ancestor, Root of an Unfocus und Dream. Drei wei- tere Tänze entstanden direkt am College: A Diversion (zu Cages Suite for Toy Piano), The Monkey Dances (für die Aufführung des Satie-Stücks Le Piège de Méduse) und Orestes, ebenfalls zu Musik von Cage.210 Während Cunningham wegen Blinddarmbeschwerden bei seinem Besuch 1952 gezwungen war, fast alle Vorhaben abzusagen, führten die Sommerkurse 1953 zur Gründung der heute weithin bekannten Merce Cunningham Dance Company: Zwar hatte Cunningham mit einem Teil der Gruppe schon in New York zusammengearbeitet, doch erst die Abge- schiedenheit des Colleges gab ihm die Möglichkeit, seine Ensemble- Ideen (für zunächst sieben Tänzerinnen und Tänzer211) konzentriert um- zusetzen. Statt Cage hatte Cunningham 1953 David Tudor als geistes- verwandten Musiker an seiner Seite. Cunningham entwarf vier neue Choreografien: Banjo ist durch die gleichnamige Musik von Louis Moreau Gottschalk inspiriert, und Septet wurde zu Erik Saties Trois

210 Vgl. Harris 1987, S. 156. 211 Zur ersten Besetzung gehörten Remy Charlip, Carolyn Brown, Marianne Preger Simon, Jo Anne Melscher, Paul Taylor, Anita Dencks und Viola Farber. ebd., S. 234.

149 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE morceaux en forme de poire aufgeführt. In Dime a Dance durfte das Publikum die Auswahl der Tänze bestimmen, indem die Zuschauer nach Zahlung einer Münze (dime) Karten aus einem Stapel zogen, der alle vorbereiteten Tänze enthielt. David Tudor begleitete die Aufführung mit nicht näher bezeichneter Musik des 19. Jahrhunderts. Die Dauer des Mu- sikvortrags richtete sich nach der Dauer der Tänze: War eine Choreogra- fie nach Beendigung des Musikstücks noch im Gange, begann Tudor, das Stück von neuem zu spielen; war hingegen der Tanz vorbei, während die Musik noch lief, brach Tudor das Stück ab. In dem Stück Untitled entwarf Cunningham die Bewegungsabläufe anhand von Zufalls- operationen; Tudor begleitete ihn mit Musik von Christian Wolff.212 Auch in späteren Jahren suchte Cunningham den Austausch mit Künstlern aus unterschiedlichen Bereichen; die Kooperation mit Cage, Rauschenberg und anderen am BMC markierte diesbezüglich einen frü- hen Höhepunkt.213 Die Zusammenarbeit mit John Cage dauerte bis zu dessen Tod 1992 an. Cage begleitete die Merce Cunningham Dance Company über viele Jahre als musikalischer Leiter auf Tourneen. Beide zogen 1954 in eine von Paul Williams initiierte Künstler-Kommune in Stony Point, New York. Williams, der das BMC über Jahre finanziell unterstützt hatte, machte damit seine Idee von einer Künstler-Kolonie wahr, die ihm eine zeitlang auch für das BMC vorgeschwebt hatte. Cage umschrieb den gemeinsamen Geist des Stony Point-Zirkels mit „we all had Black Mountain College in common“214. Martin Duberman hat das BMC als einzigen Ort bezeichnet, an dem die beschriebenen künst- lerischen Entwicklungen des Cage-Kreises Anfang der 1950er Jahre ihren Ausgang nehmen konnten: „Just as Cage may be said to be the individual most responsible for the theoretical thrust that underlay the aesthetic of these men, Black Mountain may be said to be the place where that aesthetic received encouragement at a critical juncture. Black Mountain was the only place at that time ...”215

Im dritten Kapitel dieser Arbeit habe ich versucht, die Geschichte des BMC aus musikalischem Blickwinkel heraus zu beschreiben. Ich bin am

212 Vgl. ebd., S. 238. 213 In den 1960er Jahren wurde Cunningham zum Vorreiter im Einsatz von Videotechnik im Tanz. 1965 entstand das Stück Variations V: Sämtliche Requisiten sind in dieser Video-Arbeit mit Kontaktmikrofonen ausgestattet, so dass Cunningham durch seine Tanzbewegungen Geräusche erzeugt (vgl. Kap. 4.2). In den 1980er Jahren arbeitete Cunningham u.a. mit den Filmemachern Charles und Elliot Caplan zusammen. Vgl. Raussert 2001, S. 139 ff.; Robertson, Allen und Hutera, Donald: The Dance Handbook, Boston: Longman 1988, S. 202. 214 Cage im Interview mit Max Blechman (1992), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 278. 215 Duberman 1972, S. 362.

150 MUSIK AM BLACK MOUNTAIN COLLEGE

Ende von Abschnitt 3.2 zu dem Zwischenergebnis gekommen, dass der Musikunterricht trotz ausgezeichneter Lehrkräfte und einzelner interes- santer Episoden im Ganzen kein eigenes Profil ausbilden konnte. Im Weiteren habe ich mein Augenmerk auf das Heraufziehen einer spezifi- schen Beschaffenheit des Colleges gelegt, die den innovativen Theater- experimenten der Jahre 1948 bis 1952 den Boden bereitete. Die Wurzeln dieser besonderen Disposition finden sich schon im Gründungskonzept von John Andrew Rice: Im Geiste John Deweys und Thomas Whitney Surettes sollte das BMC eine Stätte zur Verknüpfung von Musik und Alltag sein, an der die gemeinschaftliche Kunstpraxis mehr zählte als in- dividuelle Virtuosität. Ziel war es nicht, einen überlieferten Wissenska- non zu vermitteln, sondern in den Studenten die kreativen und gesell- schaftlich wertvollen Kräfte zu schulen. Obwohl in dieser Absicht auch die Schaffung einer originären US-Kunst mitgedacht war, wurde das College während seiner ersten Jahre zu einem Sammelbecken von Flüchtlingen aus der Kulturelite Europas. Mit der Zeit formierten sich zwei Lager: die Vertreter der bis dahin dominanten Kultur des Alten Kontinents und die emanzipatorischen Kräfte der noch ungenau defi- nierten Künste der Vereinigten Staaten. Es war just dieses Aufeinander- treffen polarer Ansichten auf dem engen Raum des ländlich abgelegenen Colleges, das einer grundsätzlichen Richtungsdiskussion Vorschub leis- tete. Eine wichtige Rolle als Vermittler und Anreger spielten die Lehr- kräfte vom Bauhaus wie Josef Albers und Alexander Schawinsky, die als Bindeglied zwischen neuer europäischer Modernität und der künstleri- schen Selbstfindung ihrer neuen Heimat fungierten. In den 1930er Jahren wurden am BMC auch manche Planungen der Bauhaus-Bühne in die Tat umgesetzt. Die Präsenz der Kultur-Repräsentanten Europas mobilisierte die Autonomiebestrebungen amerikanischer Künstler wie John Cage. Cage glaubte, dass die Unabhängigkeit von der legitimen Tradition nur durch grundsätzliche Neudefinition aller künstlerischen Kategorien zu errei- chen sei. Zu diesem Zweck schuf er sich ein eigentümliches philosophi- sches Instrument aus Versatzstücken unterschiedlicher Denkrichtungen. Er erkannte auch den strategisch günstigen Charakter des BMC, das er unmittelbar als Ort zur praktischen Umsetzung seiner theoretischen Er- wägungen in Betracht zog – zumal, nachdem in der College-Führung 1949 ein Machtvakuum entstanden war. Cages wichtigste Arbeiten am BMC – das Theatre Piece No. 1 und die stille Komposition 4’33“ – verknüpften Aspekte von Alltag und kollektiver Erfahrung (also ein- gestammte College-Themen) mit der radikalen Abkehr von gängigen Kunstvorstellungen.

151

FORMEN UND FUNKTIONEN – LINIEN, DIE VOM BAUHAUS AUSGEHEN

„At the turn of the century […] music so greatly influenced the visual arts as to be the excuse for the turn toward abstraction […]. All the manifestos spoke of music as having already accomplished this that was now being done in painting. I think that much of what is being done since 1950 in music is a response to […] the visual arts which was a response to music, and the dia- logue continued because the physical circumstances are different to bring about changes.”1 (John Cage 1969)

Zu Beginn der 1950er Jahre erreichten einige der künstlerischen Ent- wicklungen, die in den 1910er und 1920er Jahren auf den Weg gebracht worden waren, ihre Fluchtpunkte. Während John Cage in seinem Bestre- ben zur Entsubjektivierung die Kunstfähigkeit des Alltags ins Feld führ- te, gipfelte im europäischen Serialismus die Suche nach Methoden zur Klangkontrolle in der elektronischen Musik. Zur Konstruktion neuer Musikapparate gesellte sich in dieser Zeit die Nutzbarmachung beste- hender Mediensysteme für den künstlerischen Zweck. In der vermeintli- chen Einlösung Jahrzehnte alter Utopien zeigte sich in diesem flüchtigen und kunstgeschichtlich singulären Moment eine grundsätzliche philoso- phische Spaltung zwischen Amerika und Europa.

4.1 Einlösungen zur Stunde Null

In Kapitel 2.6. ist beschrieben worden, wie das Begehren nach Klang- kontrolle am Bauhaus viele interessante Ansätze und Überlegungen hervorgebracht hat, die in der Praxis jedoch immer wieder an der man- gelnden Technik scheiterten: László Moholy-Nagy forderte eine zeichne- rische Ritzschrift als ordnendes Element, Josef Matthias Hauer machte

1 Cage im Interview mit Don Finegan et al. (1969), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 196.

153 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE die „Überwindung des Chaos“2 zu seinem Lebenswerk, und Piet Mondri- an imaginierte Instrumente, die eine „vollkommene Bestimmtheit des Tones“3 zulassen würden. Die am Bauhaus beginnende Linie lässt sich bis zu Karlheinz Stock- hausen weiterführen, dem es unter besseren technischen Bedingungen gelang, mit Klängen zu arbeiten, deren Obertonspektrum er genau bestimmen konnte. Im Dezember 1952 stand Stockhausen noch vor der gleichen Problematik wie die musiktheoretisch Interessierten am Bauhaus. In Briefen hielt er den befreundeten belgischen Komponisten auf dem neuesten Stand der Entwicklung: „[...] mit aufgenommenen Tönen, die bereits ‚fertig’ vor dem Mikrophon gemacht werden, läßt sich für uns nicht viel anfangen. [...] Es ist unwahrschein- lich, was für ein chaotisches Gewühle in einem einzigen Ton steckt!!“4 Nur ein halbes Jahr später erschien Stockhausen die kompositorische Nutzung von Sinuswellen als unmittelbarer Ausweg aus dem Dilemma der „chaotischen“ Klangwelt: „Ich baue für ein neues Stück Klänge aus Sinustönen zusammen. Das geht sehr gut, und ich habe schon ganz viel Erfahrung damit [...] Ich habe bspw. jetzt Klänge bzw. Sinustöne über- einander gebaut (‚komponiert’), die völlig stehen bleiben [...] “.5 Nach der Fertigstellung des ersten Teils der Elektronischen Studie im August 1953 gab sich Stockhausen euphorisch: „Ich bin ganz glücklich: Diese Musik klingt unsagbar schön und rein!!! Man fragt sich wirklich, wie kann man noch so lange anders gedacht und vorgestellt haben! [...] und da ich zum erstenmal ganz rein arbeiten konnte, kommt es wie lauter Gnade, daß diese Musik der Schönheit so nahe ist.“6 Auch im unmittelbar anschließenden zweiten Teil der Elektronischen Studie setzte Stockhausen das Material sparsam ein. Die Klänge baute er aus jeweils fünf Teiltönen mit konstantem Abstand auf. Er beabsichtigte, in der Zusammenstellung der Tongemische die Struktur des gesamten Werkes zu spiegeln. Die technische Umsetzung war aufwendig: Stock- hausen nahm die Sinustöne einzeln auf Tonband auf, isolierte sie, klebte sie aneinander und regelte sie als Bandschleife von Hand. Ihm war die Vorläufigkeit dieses Arbeitsvorganges durchaus bewusst: „[...] die ge-

2 Zitiert nach: Bogner, Dieter: Musik und bildende Kunst in Wien, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahr- hunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 351. 3 Mondrian, Piet: Die Neue Gestaltung in der Musik und die futuristischen italienischen Bruitisten, in: Bauhausbuch 5, München: Langen 1925, S. 38. 4 Stockhausen, Karlheinz: ... wie die Zeit verging ... (Musik-Konzepte, Band 19), München: Edition Text und Kritik 1981, S. 42. 5 Stockhausen, Karlheinz: Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, Band 1. Aufsätze 1952-1962 zur Theorie des Komponierens, Köln: DuMont Schauberg 1963, S. 44. 6 Ebd., S. 45.

154 FORMEN UND FUNKTIONEN genwärtigen [technischen Rahmenbedingungen] können unmöglich so primitiv bleiben, wie sie sind.“7 Ungeachtet dessen deutet einiges darauf hin, dass Stockhausen mit seinen Elektronischen Studien ein künstleri- sches Verlangen zumindest in Teilen verwirklichen konnte, das es schon am Bauhaus gegeben hat. So erinnern seine Klänge, „die völlig stehen bleiben“, auffallend an Mondrians Forderung nach Tönen, deren „Wel- lenlänge und Schwingungszahl so gleichmäßig wie nur möglich blei- ben“8. Die Erfindung der Elektronenröhre um 1930 hatte den Bau erster elektronischer Musikinstrumente erlaubt, deren Klang allerdings (wie Leo Ätherophon) vornehmlich den herkömmlicher Instru- mente nachahmte. Dagegen verwendete Stockhausen für seine Experi- mente Gerätschaften, die bei ihrer Konstruktion gar nicht zur Hervor- bringung musikalischer Klänge gedacht gewesen waren, denn die Sinus- generatoren dienten eigentlich sendetechnischen Messzwecken. Die Gestaltung des Einzelklanges war Ende der 1940er Jahre durch die serielle Kompositionsart, der auch Stockhausen anhing, abermals in den Blickpunkt geraten. Die Organisation aller musikalischen Parameter nach einer übergeordneten Struktur sollte sich anhand dieser Methode bis auf das Klangspektrum ausweiten lassen. Auch John Cage interessierte sich früh für die Möglichkeiten der Synthetisierung von Musik. In seinem 1937 verfassten Aufsatz The Future Of Music – Credo ging es ihm um die kompositorische Verfü- gung über alle Geräusche, nicht nur die bislang als musikalisch definier- ten. Auch wenn dieser Ansatz bereits auf Cages Verwendung unbearbei- teter Alltagsklänge hinausdeutet, findet sich in der Schrift auch ein Ver- weis auf die Klangkontrolle: „The special function of electrical instru- ments will be to provide complete control of the overtone structure of tones (as opposed to noises) and to make these tones available in any frequency, amplitude, and duration.”9 Dieser übereinstimmende Aspekt verwundert im Hinblick auf die Situation, wie sie sich zwischen Stockhausen und Cage in den frühen 1950er Jahren darstellte. Sie vertraten nun gegensätzliche Positionen: Während Stockhausen die Klangkontrolle mit der Verwendung von Messtechnik auf die Spitze trieb, hatte sich Cage auf dem weiten Feld zwischen Alltagsgeräusch und Zufallskomposition eingerichtet. Mit der Bestimmung von Musik als entsubjektiviertem Bereich, der sich dem Zugriff des Komponisten entzieht, lieferte Cage eine philosophische Neudefinition mit weitreichenden Folgen – für die Musik selbst, aber

7 Ebd., S. 188. 8 Mondrian 1925, S. 38. 9 Cage, John: The Future of Music: Credo, in: Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. An Anthology, New York: Da Capo Press 1991a, S. 55.

155 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE auch für ihre Funktion im abstrakten Theaterstück. Am Bauhaus war die Musik zwar als prinzipielles Leitbild aller Künste behandelt worden, ihre Integration auf der Bühne hatte jedoch (wie in Kapitel 2.4 gezeigt) ein ums andere Mal unbefriedigende Ergebnisse gezeitigt. Cage löste dieses Problem, indem er die Musik selbst neu dachte und sie in seinem Theatre Piece No. 1 am BMC egalitär zu den übrigen Bühnenelementen zum Einsatz brachte: im Rahmen einer verzeitlichten Struktur, organisiert durch time brackets. Als Voraussetzung zur Komposition von 4’33“ und des Theatre Piece No. 1 errichtete Cage einen komplexen gedanklichen Überbau, der sich aus verschiedenen Denkrichtungen speiste (vgl. Kap. 3.6.a). Dage- gen benötigte Stockhausen für die Verwirklichung seiner Elektronischen Studien vor allem eine neue maschinelle Technik. Beide Strategien las- sen in ihrer Rigorosität etwas von der Atmosphäre zur künstlerischen „Stunde Null“ nach dem Zweiten Weltkrieg erahnen, an dem ein Teil der Utopien der 1920er Jahre (also der „Stunde Null“ nach dem Ersten Welt- krieg) in die Praxis umgesetzt wurde. Stockhausens und Cages Innovati- onen der Jahre 1952/53 können somit als vorläufige Einlösung von Problemaufwerfungen gelesen werden, die am Bauhaus verdichtet wor- den waren. Die Unterschiedlichkeit der Ansätze veranschaulicht jedoch einen tiefgreifenden Antagonismus, der sich zwischen den Polen Naturbeherr- schung und Naturapotheose aufspannt – ein Dualismus mit zahlreichen Implikationen: Cage plädiert mittels seiner Arbeit für die Entmachtung des Komponisten gegenüber den Klängen, die er als Einzelklänge ohne übergeordnete Struktur zu verwenden gedenkt. Dieser Methode ent- spricht eine Öffnung des Kunstwerks für akustische Umwelteinflüsse. An die Stelle des genialen Künstler-Einfalls und der strengen Form als ordnungsbildendes Prinzip tritt der Zufall, dem durch die Komposition lediglich ein Rahmen geschaffen wird. Cage nivelliert die Arbeit am Material und bringt stattdessen die Wahrnehmung der Rezipienten ins Spiel: Erst im individuellen Akt der Kunstempfindung vollendet sich das offene Werk. Stockhausen indessen hält am geschlossenen Werkbegriff fest. In der totalen Berechenbarkeit des Einzelklangs versucht er, die Materialgestaltung durch musikalische Form absolut werden zu lassen. Berücksichtigt man die Traditionen, in denen sich Cage und Stock- hausen begreifen, so schält sich ihre damalige Position als Exponenten der Kunstphilosophien ihrer Kulturkreise heraus: Stockhausen führt im seriellen Prinzip die Zwölftonmusik Schönbergs weiter ins Detail. Ver- bunden mit der Ordnung durch möglichst exakte Determination ist das überlieferte, europäischer Ästhetik verhaftete Verhältnis zwischen dem Künstlersubjekt, seinem Werk und dem Publikum, das eine im Material

156 FORMEN UND FUNKTIONEN angelegte Intention zu dekodieren hat. Cage bewegt sich hingegen in einer originär amerikanischen Kunsttradition. Henry David Thoreaus Konzept der intentionslosen „Musik der Natur“ findet sich darin ebenso wie die von John Dewey vertretene Lehrmethode, die Anregung gegen- wärtiger Erfahrung über die Vermittlung eines Wissenskatalogs zu stel- len (vgl. Kap. 3.1). Dass sich beide Ansatzpunkte in bewusster Abgrenzung aufeinander bezogen, lässt sich aus den zahlreichen Polemiken ablesen, die besonders während der 1950er Jahre zum Thema Klangkontrolle und Zufallskom- position verfasst wurden. Wegen seiner expliziten Wortwahl sei stell- vertretend für die europäische Seite der spätere Aufsatz Zufall als Ideologie des seriellen Komponisten Konrad Böhmer zitiert:

„[...] so kehrt bei Cage das Mitleid mit der versklavten Natur in deren Herr- schaft über die Menschen sich um. Denn die Reduktion des musikalischen Zu- sammenhangs auf die Exposition isolierter Klangphänomene, Einzelgeräusche, liquidiert den musikalischen Klang, dem erst sein kontextueller Bezug Sinn verleiht, und ersetzt ihn durch vormusikalisches Naturmaterial. [...] Begrün- det wird dies mit dem Postulat einer Einheit von Kunst und Leben, welches aber vor der konsequenten Forderung sich scheut, dass Leben erst einmal besser werden sollte als es ist, um jene Einheit gut machen zu können.“10

Im Gegenzug beschrieb Cage noch in den 1970er Jahren seine Hinwen- dung zum Geräuschhaften in Abgrenzung zum strengen Formbewusst- sein im Serialismus:

„Sound became important to me – and noise is so rich in terms of sound. Surprisingly, you can even read statements in the early fifties from young composers in Europe, who are otherwise revolutionary and adventurous, to the effect that sound has no importance in music. Do you realize that? They tended to think that the thoughts, the constructions, the ideas that form the relationships of sounds were important, but that the sounds themselves were of no importance.”11

Als Schnittstelle und Bezugspunkt beider Seiten lässt sich das Denken und Wirken von László Moholy-Nagy betrachten. Er hatte sich schon am

10 Böhmer, Konrad: Zur Theorie der offenen Form in der Neuen Musik, Darm- stadt: Tonos 1967, S. 177. Schon 1957 hatte Pierre Boulez die Zufallskom- position in seinem Aufsatz Alea scharf angegriffen, allerdings auch die Mög- lichkeit eines strengeren Einsatzes von Indetermination aufgezeigt. Boulez, Pierre: Werkstatt-Texte, Frankfurt/Main: Ullstein 1972, S. 100-113. 11 Cage im Interview mit Allan Gillmor (1973), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 41.

157 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Bauhaus nicht allein für Klangkontrolle durch neue Musikapparate inter- essiert, sondern auch für abstrakte Theaterexperimente. So sahen seine Planungen für die Mechanische Exzentrik (vgl. Kap. 2.5.b) eine dem Zeitraster späterer Happenings vergleichbare Organisation der unter- schiedlichen Geschehnisse vor.12 Als Moholy-Nagy 1937 zur Gründung des New Bauhaus nach Chicago kam, galt er als Vertreter einer europä- ischen Kunstästhetik. Mit den Jahren aber richtete er seine Lehre auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten der Vereinigten Staaten aus. 1941 ver- pflichtete er Cage, an der Schule (die inzwischen School of Design hieß) einen Kurs über experimentelle Musik abzuhalten.13 Weitere Über- schneidungen zwischen Moholy-Nagy und Cage ergaben sich aus ihrer gemeinsamen Faszination für Geräusche, die sich u.a. in Experimenten mit Schallplatten äußerte. Schon 1923 hatte Moholy-Nagy Tonträger radikal gegen ihre übliche Gebrauchsart behandelt und forderte beglei- tend, „aus einem Reproduktionsinstrument ein produktives zu schaf- fen“14. Moholy-Nagys Manipulation der Schallplatte selbst sowie ihrer Ablaufrichtung und -geschwindigkeit zählte noch ab 1948 zu den Mitteln von Pierre Schaeffers musique concrète, die von gesammeltem Ge- räuschmaterial ausging und es durch zahlreiche Bearbeitungen colla- gierte und verfremdete.15 Gleichzeitig gilt Moholy-Nagy durch seine Erforschung des Gram- mophons als Vorläufer der Medienkunst, die ebenfalls zu Beginn der 1950er Jahre einen Schub erhielt. In diesem Kontext setzte Cage seine mit Schallplatten begonnene Beschäftigung mit Speichermedien 1952 in der Tonband-Komposition Williams Mix fort, deren hochkomplexe Par- titur er mit David Tudor am BMC erarbeitet hatte. Jene eher technische Herangehensweise wurde zeitgleich von einer medienkritischen ergänzt: Schon 1932 verlangte Bertolt Brecht, dass der Rundfunk „aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln“16 sei. Cage setzte das Radio in einer Umdeutung dieser Forderung als Musikinstrument ein, so zum Beispiel 1942 in der Komposition Credo

12 Andererseits ähnelt die Partitur der Mechanischen Exzentrik auch der grafischen Partitur zu Stockhausens Elektronischer Studie II, die ebenfalls ein exaktes Zeitraster integrierte. 13 Vgl. Nachschrift dieser Arbeit. 14 Moholy-Nagy 1923, S. 102. 15 Der Kreis der Serialisten bezweifelte den künstlerischen Wert von Schaeffers Ansatz, den Klängen keine übergeordnete Struktur aufzuzwingen, sondern ihre Natur zur Grundlage der Komposition zu erklären. In einem Brief an Karel Goeyvaerts urteilte Stockhausen während der Entstehung der Elektronischen Studien: „Die ,musique concrète’, und das spürte ich vom ersten Tag an, ist nichts als die Kapitulation vor dem Unbestimmten, ist ein arg dilettantisches Glücksspiel und ungezügelte Improvisation.“ Stockhausen 1981, S. 42. 16 Brecht, Bertolt: Werke. Band 21, Schriften 1, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992, S. 553.

158 FORMEN UND FUNKTIONEN in US. Mit Imaginary Landscape No. 4 drehte er 1951 das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger im Rahmen seines Zufallskonzeptes um: An zwölf Radios werden nach Partituranweisung Sender, Lautstärke und Tonhöhe eingestellt. Die Partitur des vierminütigen Stücks erstellte Cage erstmals mit Hilfe des I Ging. Dazu gesellte sich ein zweites Zufallsmoment durch die unterschiedliche Lage der Sendeanstalten an verschiedenen Spielorten sowie das unberechenbare Programm zur je- weiligen Zeit der Aufführung. Kurz vor der Komposition von 4’33“ und des Theatre Piece No. 1 am BMC schuf Cage mit Imaginary Landscape No. 4 eine offene Situation, um die Zuhörer zum Hineinlauschen in eine alltagsähnliche Situation anzuregen. Das Medium und seine Sendeinhalte ließ er entgegen Brechts Appell zugunsten der Arbeit an einer veränder- ten Wahrnehmung der Konsumenten unangetastet. Mit den Filmexperimenten von Guy Debord, des Lettristen und spä- teren Gründers der situationistischen Bewegung, avancierte die Medien- kunst zur Kritik an den Massenmedien. Debords am 30. Juni 1952 urauf- geführter Film Hurlements en faveur de Sade kommt gänzlich ohne Bil- der aus. Zu sehen sind lediglich die abwechselnd hell erleuchtete und gänzlich abgedunkelte Leinwand; in den hellen Sequenzen sind Gesprä- che zu hören. Der Film endet mit 24 Minuten Dunkelheit und Stille.17 Neben der Klangkomposition Stockhausens und Cages Happening stellt die Medienkunst der frühen 1950er Jahre einen weiteren Flucht- und Ausgangspunkt dar, der auf das Bauhaus zurückverweist und gleich- zeitig Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte antizipiert.

4.2 Einsickernde Utopien

1962 veröffentlichte Umberto Eco sein Buch Das offene Kunstwerk. Er entwarf darin das Modell einer Kunst, die den Akt der Wahrnehmung mit einbezieht. Eco forderte „eine Offenheit, die auf einer theoretischen, mentalen Mitarbeit des Rezipierenden beruht, der in Freiheit ein schon hervorgebrachtes Kunstwerk interpretieren soll, das abgeschlossen und in sich vollständig ist (wenn auch so strukturiert, dass es eine unbestimmte Anzahl von Interpretationen zulässt).“18 Im ersten Kapitel beschrieb Eco die Grundanlage des Klavierstücks XI von : Der Komponist schlägt „dem Ausführen- den auf einem einzigen Blatt eine Reihe von Gruppen vor, unter denen

17 Bei einer Aufführung am 13. Oktober 1952 hinderten die Lettristen das Publikum am Verlassen des 90-minütigen Films. Die Situation hat Greil Marcus beschrieben. Marcus, Greil: Lipstick Traces. Von Dada bis Punk, Reinbek: Rowohlt 1996, S. 320-327. 18 Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt: Suhrkamp 1977, S. 116.

159 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE dieser wählen soll“.19 Der hier als Vertreter des offenen Kunstwerks cha- rakterisierte Stockhausen führte am 26. Oktober 1961 im Kölner Theater am Dom zum ersten Mal sein musikalisches Theaterstück auf: ein unschwer als Happening zu identifizierendes Bühnenwerk im neo- dadaistischen Geiste der Fluxus-Bewegung, in dem die Akteure sich selbst spielten. Ihre Handlungen waren durch genaue Vorschriften gere- gelt und auf Teile von Stockhausens Komposition abgestimmt. Die sieben Abschnitte der Partitur durften jedoch in beliebiger Reihen- folge aufgeführt werden. Handelt es sich bei Ecos Begriffsentwurf und Stockhausens Theater- arbeit um Zugeständnisse an die Offenheit einer Ästhetik im Sinne Cages? Zumindest sind es Anhaltspunkte, die für eine Vermischung der Philosophien sprechen. Stockhausen hatte sich bereits mit dem Stück Gesang der Jünglinge (1956) wieder vom ausschließlichen Einsatz elek- tronischer Klangerzeuger abgewendet. In einem Text für ein Nachtpro- gramm des Westdeutschen Rundfunks (WDR) sprach er 1957 von der europäischen Musik, die sich „unter dem Druck unserer Tradition, zum Kontrollierten, zum Systematischen, bis ins Detail Organisierten hin entwickelt“. Die resultierenden Kompositionen machten mitunter den Eindruck „elektrisch geladener Drähte [...], an denen man jeden Augen- blick einen gewischt kriegen könnte“. Im gleichen Absatz äußerte sich Stockhausen vorsichtig positiv zu Cages Musik und schlug eine Annähe- rung zwischen den Positionen vor:

„Hört man solche Musik, so hat sie der augenblicklich avancierten europäi- schen ein Wesentliches entgegenzustellen: sie erscheint ungezwungener, großzügiger, einfacher; aber auch primitiver, ungeformter, verspielter. So- weit man das heute sagen kann, könnte eine Synthese der beiden Strömungen der Quell einer reichen und lebendigen neuen Musik sein, in der zwischen den extremen des Unkontrollierten und des äußerst Organisierten eine weite Skala von Ordnungsgraden erlebbar würde. Wie sehr Cage auch von uns manchmal belächelt wird im eitlen Selbstbewusstsein unseres hochdifferen- zierten musikalischen Standards, so sehr hat er uns doch schon durch seine Streiche heimlich verändert.“20

Der sich hier andeutende Trend zu Kunstäußerungen, die die innere Lo- gik des Werkes nicht mehr absolut setzten, ging einher mit einer Auf- wertung des Publikums. Sie zog sich als roter Faden durch die 1950er und vor allem die 1960er Jahre. Die Strategien, mit denen der Rezipient

19 Ebd., S. 27. 20 Stockhausen, Karlheinz: Texte zu eigenen Werken und zur Kunst anderer, Aktuelles, Band 2. Aufsätze 1952-1962 zur musikalischen Praxis, Köln: DuMont Schauberg 1964, S. 148.

160 FORMEN UND FUNKTIONEN aus der optischen und akustischen Zentralperspektive entlassen wurde, unterschieden sich erheblich. Neben Happening und Aktionskunst sind als Hauptströmungen die Raumkomposition und die Klanginstallation zu nennen. Im Folgenden soll anhand ausgewählter Beispiele gezeigt wer- den, wie in diesen Entwicklungen Ideenmaterial zum Einsatz kam, das am Bauhaus und am BMC entscheidend mitgeformt worden war. Die Raumkomposition wurde in Weimar und Dessau unter dem As- pekt ihrer architektonischen Voraussetzungen behandelt. Moholy-Nagy forderte „an unerwarteten Stellen auftretende Schallwellen – z.B. eine sprechende oder singende Bogenlampe, unter den Sitzplätzen oder unter dem Theaterboden ertönende Lautsprecher“.21 Mit der Konstruktion von (sämtlich im Planungsstadium verbleibenden) Kugel- und Totaltheatern zeigten auch Alexander Schawinsky, Andor Weininger, Farkas Molnar, Walter Gropius und andere ihr Interesse daran, die traditionelle Guck- kastenperspektive durch mehrdimensionale Architekturen zu ersetzen (vgl. Kap. 2.4.f). Nach dem Zweiten Weltkrieg präzisierten Komponisten das musikalische Potenzial solcher Gebilde: Im Zentrum ihres Interesses stand die Demonstration von Klangbewegungen, die gleichsam den Raum in die musikalische Zeitkonstruktion hineinzogen. Die Verteilung von Musikern und Lautsprechern bewirkte, dass das Publikum dem Klang nicht mehr frontal gegenüber positioniert war, sondern von ihm umspielt wurde. Der aktive Prozess des Richtungshörens ergänzte dabei die herkömmliche Musikwahrnehmung während eines Konzerts. Werke, in denen wandernde Klänge vorkamen, benötigten zur bestmöglichen Aufführung eine spezielle Architektur. Für die Weltausstellung in Brüssel 1958 schufen Le Corbusier, und Edgard Varèse eine Musikarchitektur, die nur auf Fotos und in schematischen Darstellungen erhalten geblieben ist. Das Projekt ver- sprach eine angemessene Umsetzung von Varèses Konzept dynamisch bewegter Klangmassen, an der er seit den 1920er Jahren gearbeitet hatte (vgl. Kap. 1.3.b). Rückblickend schrieb Varèse zu einer seiner frühen spatial music Kompositionen, er habe sie „für eine räumliche Projektion entworfen. Ich konstruierte sie für gewisse Mittel, die noch nicht existier- ten, die aber, dessen war ich gewiß, einmal erreicht werden könnten“22. Iannis Xenakis erbaute den Brüsseler Philips-Pavillon als zeltartiges Betongebilde. Für die Aufführung von Varèses Poème électronique wa- ren 350 Lautsprecher bis in die Spitze des Gebäudes angebracht worden. Durch ihr sukzessives An- und Ausschalten wurden die in der Komposi- tion angelegten Klangrouten für das frei im Raum verteilte Publikum

21 Moholy-Nagy 1978, S. 46, vgl. Kap. 2.5.b. 22 Varèse, Edgard: Erinnerungen und Gedanken, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik III, Mainz: Schott 1960, S. 67.

161 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE sinnlich erfahrbar. Zeitgenössischen Beschreibungen zufolge gewannen die konkreten und synthetischen Klänge auf ihren virtuellen Wegen an Plastizität.23 Visuell wurde das akustische Geschehen durch Le Corbu- siers Licht- und Filmprojektionen unterstützt. Xenakis’ Entwurf des Pavillons wies Parallelen zu einer seiner Mu- sikkompositionen auf: In dem Stück Metastaseis arbeitete er 1954 mit mathematischen Proportionen, die er als gleichermaßen auf verschiedene Medien übertragbar begriff.24 Xenakis erdachte auch Anordnungen, die an synästhetische Vorstellungen vom Gesamtkunstwerk anknüpften: Sei- ne Licht-Klang-Installationen Polytopen waren in Partituren organisiert, die zwar keine direkten Zuordnungen zwischen Farbe und Klang vor- nahmen, das Licht jedoch nach den gleichen Prinzipien wie die Musik gestalteten. Für das Polytop auf der Weltausstellung 1967 in Montréal positionierte Xenakis das Publikum auf unterschiedlichen Höhenniveaus. Das Arrangement bestand aus einer sechsminütigen Komposition für vier Orchester, begleitet durch ein 9000faches Aufflackern der installierten Lampen. Hatte Varèse das sinnliche Erleben von Klangbewegung und – volumina in den Mittelpunkt gestellt, so ging es Xenakis stets eher um die Demonstration objektiver Strukturen.25 Karlheinz Stockhausen verwendete das Konzept der zwischen den Lautsprechern wandernden Klänge seit dem Gesang der Jünglinge (1956). In seinem Aufsatz Musik im Raum gab er die Art der Aufführung vor: „Das Werk ist für fünf Lautsprechergruppen komponiert, die rings um die Hörer im Raum verteilt sein sollen.“26 Neben kinetischen Klän- gen setzte Stockhausen auch die Positionierung von Orchestern an verschiedenen Standorten (Gruppen für drei Orchester, 1957) sowie die Bewegung einzelner Musiker im Raum (Zyklus, 1959) ein. Ein Kugelthe- ater, in dem die Zuschauer von der Musik vollständig umgeben sind, erschien Stockhausen für die Präsentation seiner Musik ideal: „Im Klang zu sitzen, vom Klang umgeben zu sein, die Bewegungen der Klänge, ihre Geschwindigkeiten und Bewegungsformen verfolgen und erleben zu können, schafft tatsächlich eine neue Situation des musikalischen Erleb- nisses.“27

23 Schematische und fotografische Darstellungen des Pavillons finden sich u.a. bei de la Motte-Haber 1999, S. 245 ff. 24 Xenakis versuchte sich in der akustischen Umsetzung von Parabeln und Hy- perbeln, die er auch in der Konstruktion des Philips-Pavillons zum Einsatz brachte. Die Glissando-Passagen zu Beginn und am Ende von Metastaseis beschreibt Helga de la Motte-Haber als „Drehung im Raum um einen Halbton- schritt“. ebd., S. 248. 25 Vgl. ebd., S. 250 ff. 26 Stockhausen 1963, S. 153. 27 Stockhausen, Karlheinz: Texte zur Musik 1963-1970, Köln: DuMont Schauberg 1971, S. 154 f.

162 FORMEN UND FUNKTIONEN

Nachdem Stockhausen schon 1959/60 in den Aufsätzen Musik im Raum und Momentform über seine Vision einer angemessenen Räumlichkeit theoretisiert hatte28, bekam er auf der Weltausstellung in Osaka 1970 die Gelegenheit, sie umzusetzen. Stockhausens Pläne gaben den Bau eines kugelförmigen Raumes mit 30 Metern Durchmesser vor, in dem seine Werke während der viermonatigen Ausstellung täglich über sechs Stun- den aufgeführt wurden. Das Publikum saß in diesem Theater auf einer schalldurchlässigen Plattform und wurde aus 50 Lautsprechern von allen Richtungen her beschallt. Der Einsatz von Nachhall-Technik ermöglichte dabei auch die Gestaltung künstlicher Distanzen.29 Die zahlreichen Versuche zur Einbeziehung des Raumes in die Komposition30 dokumentieren zwar eine Annäherung an das Publikum; der geschlossene Werkcharakter aber blieb auch unter den Bedingungen des Richtungshörens weitgehend bestehen. Einen radikalen Bruch stellte in dieser Hinsicht die situationale Ästhetik der Fluxus-Bewegung dar, de- ren geistige Wurzeln auf Cages Theaterexperimente am BMC, aber ebenso auf die dadaistischen Soireen des Cabaret Voltaire zurückgehen. Der Skandal fungierte hier jeweils als kalkuliertes Stilmittel einer Anti- Kunst. Auch wenn sich Fluxus nicht als Strömung mit zusammenhän- gendem Programm verstehen lässt, so gibt es doch Begriffe und Strate- gien, die in vielen Arbeiten auf unterschiedliche Weise ausgeleuchtet wurden: die Schaffung von alltagsähnlichen Situationen, die Beteiligung des Publikums, die Grenzüberschreitung zwischen den Kunstgattungen sowie eine unterschiedlich weit gehende Unbestimmtheit der Vorgänge. Statt Zusammenhang zu organisieren, standen die genutzten Mittel zumeist isoliert nebeneinander, verbunden nur durch einen mehr oder weniger grob gesetzten Rahmen.31 Neben den genannten Überschneidun- gen war die Bewegung, die auch mit dem Begriff Intermedia belegt wurde, von zahlreichen Grundsatzkonflikten und Widersprüchlichkeiten geprägt – ungeklärt blieb vor allem die Frage, ob eine Festlegung von Fluxus als Genre wünschenswert sei. Während die einen aus Protest ge- gen den Kunstbetrieb die Herausbildung verständlicher Stilmittel zu ver-

28 Stockhausen spricht hier u.a. von „Orchesteraufstellungen [...] rund um die Zuhörer oder - und - inmitten von Zuhörern, [einer] großen Anzahl kleiner Podeste, [...] beliebig veränderbarer Sitzordnung [und] gesteuertem Nachhall.“ Er formulierte diese Vorstellungen in Form einer Forderung: „So ist Akustikern und Architekten eine Aufgabe gestellt, die keine Spielerei mit Zukunftsträumen wäre, sondern eine dringende Lösung der gegenwärtigen Schwierigkeiten.“ Stockhausen 1963, S. 157 ff. 29 Vgl. de la Motte-Haber 1990, S. 252 ff. 30 Als herausragende Beispiele seien genannt: Pierre Boulez’ Poesie pour pouvoir (1958), Luigi Nonos Intolleranza (1960) und Mauricio Kagels Klang- wehr (1970). 31 Vgl. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia, München: Fink 2001, S. 58 ff.

163 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE hindern suchten, waren andere an einer Festschreibung wiederholbarer Prinzipien durchaus interessiert.32 Scheinbare Differenzen ergaben sich auch zwischen den Happenings, die mit der Multiplizität von Ereignissen arbeiteten, und monothematischen Arbeiten, etwa denen La Monte Youngs. Als Keimzelle von Fluxus gilt John Cages Kompositionsklasse an der New School for Social Research in New York, die ab 1956 zu einem Sammelbecken für künstlerische Außenseiter wurde. Unter ihnen befand sich auch Allan Kaprow, der für seine Aktionen erstmals den Ausdruck Happening benutzte. Seine 18 Happenings in 6 Parts führte Kaprow zu- erst am 4.10.1959 in der New Yorker Reuben Gallery auf. Verglichen mit Cages Theatre Piece No. 1 war Kaprows Ansatz jedoch weit weniger spontan: Bereits zwei Wochen vor der Aufführung begann er mit den sechs participants zu proben.33 Er stellte ihnen in ausnotierter Form ver- schiedene Handlungsoptionen zur Auswahl, darunter gymnastische Übungen, das Bemalen der Bühnenwände, Lesungen von eigens gefer- tigten Plakaten sowie das Auspressen von Orangen. Die Bühne war durch transparente Wände in drei Bereiche unterteilt, in denen das Ge- schehen simultan ablief. Seine Aktionspartitur hatte Kaprow nicht wie Cage per Zufall, sondern nach Maßgabe eines stetigen Flusses der Ereig- nisse erstellt, wobei sich zwischen den Bühnenteilen geplante Bezüge (etwa in Form von Parallelaktionen) ergaben. Das Publikum hatte seine Plätze während der zwei Aufführungspausen nach genauer Anweisung zu wechseln. Der musikalische Anteil wurde von Tonbandeinspielungen bestritten, die Kaprow als „steady complex of sounds [...] changing only subtly as it stretches on“34 beschrieb. Zudem gehörte auch die Benutzung von auf der Bühne bereit liegenden Instrumenten zu den möglichen Aktionen. Kaprow hatte sich als participants allerdings musikalische Laien ausgesucht. In seinem Buch Assemblage, Environments & Happe- nings versuchte sich Kaprow 1966 an einer Systematisierung der aus dem Cage-Kurs hervorgegangen Strategien. Eine ganz andere, doch für Intermedia/Fluxus ebenso bedeutsame Strömung setzte sich 1960 mit dem Umzug La Monte Youngs und eini- ger anderer Künstler von San Francisco nach New York in Gang. An der New School for Social Research führte seit 1958 Richard Maxfield Cages ehemalige Klasse weiter. Dort traf Young auf den anarchischen George Maciunas, dem die Wortschöpfung Fluxus zugeschrieben wird, der sich aber strikt gegen alle Kategorisierungsversuche richtete. Young sorgte

32 Vgl. Daniels, Dieter (Hrsg.): Fluxus – ein Nachruf zu Lebzeiten (Kunstforum Band 115), Köln: Kunstforum 1991, S. 99 ff. 33 Die Darstellung folgt Dreher 2001, S. 91 ff. 34 Zitiert nach: Kirby, Michael: Happenings. An Illustrated Anthology, New York: Dutton 1965, S. 59.

164 FORMEN UND FUNKTIONEN bald nach seiner Ankunft in New York mit einer schlicht durchnumme- rierten Serie von Kompositionen für Aufsehen. Für die Partitur der Com- position 1960 # 7 zog Young die Notenlinien frei Hand und notierte nicht mehr als die Quinte H-Fis, versehen mit der Anmerkung „to be held for a long time“; Composition 1960 # 9 besteht lediglich aus einer horizontalen schwarzen Linie auf einem weißen Briefumschlag, und Composition 1960 # 10 – to Bob Morris gibt ausschließlich die schriftliche Anweisung „Draw a straight line and follow it.“ Die drei Kompositionen ergänzen einander, weil sie jeweils zeitlich unbegrenzte Prozesse in Gang setzen, die in ihrem Verlauf jedoch vollkommen sta- tisch bleiben. Diese radikale Reduktion unterscheidet sich auf den ersten Blick grundlegend vom Prinzip der Gleichzeitigkeit in den Happenings; der Eindruck relativiert sich durch die gängige Charakterisierung von Happenings als „Rückbesinnung [...] auf die elementarsten Ausdrucks- mittel der jeweiligen Medien, Farbe, Klang, Bewegung, Wort und Text“35. In dieser Beschreibung offenbart sich eine deutliche Parallele zur Auslotung theatraler Grundelemente an der Bauhaus-Bühne durch Oskar Schlemmer, Lothar Schreyer und andere (vgl. Kap. 2.4). Zum geografischen Mittelpunkt der europäischen Fluxus-Aktivitäten wurde Köln. Karlheinz Stockhausen vermittelte amerikanischen Künst- lern den Kontakt zum WDR36 sowie zu verschiedenen ortsansässigen Galerien. In Stockhausens eingangs erwähntem Fluxus-Beitrag Originale lassen sich Bezüge zu Cage als auch zu Kaprow ausmachen. Wie Kaprow überließ Stockhausen die Handlungen nicht den Akteuren. Er legte sie vielmehr in einer Textpartitur mit genauer Zeitangabe fest. Allerdings vermerkte er nach den ersten Vorstellungen, dass „sich die Aufführenden nicht strikt an die Uhrzeit gebunden“37 fühlten. Zum Mit- wirkenden Nam June Paik vermerkte Stockhausen, dass jener „täglich seine Aufführung änderte“. Schließlich empfand Stockhausen die Partitur als hinderlich beim Reagieren auf spontane Ereignisse und „improvi- sierte dann in jeder Aufführung eine neue Struktur“38. Trotz dieser Zuge- ständnisse an das Prozessuale handelt es sich bei Originale um eine strukturierte, musikalisch dominierte Arbeit. Stockhausen legte dies mit seiner eigenen Bühnenrolle offen: In Szene 10 erhebt sich „der Dirigent“ aus der ersten Reihe, von wo aus er die Bühnenvorgänge bis dahin stumm verfolgt hat, und beginnt damit, nicht-musikalisches Geschehen

35 Raussert 2003, S. 129. Wolfgang Rausserts Definition stimmt in diesem Punkt mit der kanonisierten Happening-Darstellung Michael Kirbys überein. Vgl. Kirby 1965. 36 Höhepunkt der Fluxus-Aktivitäten des WDR war die Produktion Black Gate Cologne (1968), ein Fernseh-Happening von Otto Piene und Aldo Tambellini. 37 Stockhausen 1964, S. 128. 38 Ebd.

165 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE zu dirigieren. Er gibt dem Beleuchter und den Schauspielern ihre Einsät- ze und schickt sie „nacheinander – in unregelmäßigen Abständen – zu ih- ren Plätzen.“39 Während die musikalischen Angaben in der Partitur sehr genau sind, findet sich kaum Lichtregie. Auch Gestik und Wortbeiträge werden nur selten spezifiziert. In Szene 8 etwa dürfen sich die Schauspieler selbst für Textabschnitte aus verschiedenen Genres (Komödie, griechisches Dra- ma, Volksstück etc.) entscheiden. Stockhausens Komposition Kontakte bildet dagegen das Grundmotiv von Originale; wo sie auftaucht, über- nimmt sie die Hauptrolle, während die übrigen Bühnenelemente tenden- ziell innehalten. Vergleicht man die Originale mit den Arbeiten der Bauhaus-Bühne, so zeigt sich eine ähnliche Problematik unter anderen Vorzeichen: Stockhausen vernachlässigt das Visuelle und Gesprochene zugunsten der Musik, so wie die Musik am Bauhaus (etwa in Kandinskys Theaterarbeiten) zugunsten des Visuellen vernachlässigt wurde. Dem freilich noch näher liegenden Theatre Piece No. 1 scheint Stockhausen in Szene 17 Tribut gezollt zu haben: Der Regisseur, gespielt von Carlheinz Caspari, „kommt langsam vom Hochsitz, [...] aus einem Buch Theorien über das Theater laut vor sich hin lesend. Kunstpausen.“40 Diese Szene ruft Erinnerungen an Cages Rolle im Event am BMC hervor („I was up on a ladder delivering a lecture which included silences“41), zumal sich ein Teil des Publikums daran erinnerte, dass Cage aus Antonin Artauds Theatertheorien vorgelesen habe.42 Eine von Allan Kaprow organisierte Aufführung der Originale 1964 in New York führte zum endgültigen Bruch zwischen den sich wider- strebenden Kräften innerhalb von Fluxus. Der Kreis um George Maciu- nas störte die Vorstellungen massiv, unter anderem durch ein Flugblatt gegen die „Dominanz der weißen, europäisch-amerikanischen Kunst der herrschenden Klasse“43. John Cage hielt sich aus den Fluxus-Lager- kämpfen weitgehend heraus, arbeitete aber an situativen Aktionsformen weiter, die die Selbständigkeit der einzelnen Elemente in den Vorder- grund stellten. Für Cages interaktives Tanzprojekt Variations V (1965) entwickelte der Ingenieur Billy Klüver ein technisches System, in dem Antennen und fotoelektrische Zellen auf die Bewegungen von Tänzern (Merce Cunningham und Mitgliedern seiner Company) reagierten und in Klang umwandelten. Auch Nam June Paiks verzerrte Fernsehbilder wur-

39 Ebd., S. 118. 40 Ebd., S. 126. 41 Cage im Interview mit Michael Kirby und Richard Schechner (1965), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 110. 42 Vgl. Duberman 1972, S. 352 ff. 43 Zitiert nach: Kellein, Thomas: Intermediäre Tendenzen nach 1945, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 441.

166 FORMEN UND FUNKTIONEN den von den Sensoren erkannt und dienten als Material zur Umwandlung in Sound. Ein weiteres Thema, das Cage mit den Fluxus-Künstlern verband, war die Arbeit mit visuellen Partituren. Hatten die gattungsübergreifen- den Notationen am Bauhaus vornehmlich dazu gedient, die abstrakten Bühnenelemente miteinander in Beziehung zu setzen, tauchte die visuelle Partitur nach dem Zweiten Weltkrieg in den reduzierten Anweisungen von Fluxus als Proto-Konzeptkunst wieder auf. George Brechts als Word Event überschriebene Partitur Exit (1961) zeigt lediglich einen schwarzen Punkt, sein Solo for Violin, Viola, Cello or Contrabass (1962) gibt dem Interpreten auf einem Kärtchen nicht mehr als das Wort polishing vor. Mit Handlungsanweisungen, die den Akteuren Spielraum zur individu- ellen Ausdeutung geben, beschäftigte sich auch die sogenannte New York School, zu der neben Cage die Komponisten Morton Feldman, Earle Brown und Christian Wolff zählten. In der grafischen Notation der Projections (1950/51) gestand Feldman den Ausführenden die Wahl von Klängen nach bestimmten Kriterien zu. Brown ging in dem Stück December 1952 noch einen Schritt weiter: Die Partitur ist mit ihren hori- zontalen und vertikalen Strichen als Modell für eine freie Improvisation gedacht; ihre Anmutung gemahnt eher an ein abstraktes Gemälde als an eine Notation. In Browns Calder Piece (1965/66) dient Alexander Calders für diesen Zweck angefertigtes Chef d’Orchestre glei- chermaßen als Instrument und Dirigent: In der Partitur ist beschrieben, wie sich die vier zum Einsatz kommenden Schlagzeuggruppen an den Bewegungen des Mobiles zu orientieren haben.44 Auch Cage setzte in vielen seiner Kompositionen grafische Elemente ein. Auf die Initiative von Robert Rauschenberg und Jasper Johns wurden einige seiner Partitu- ren 1958 erstmals als selbstgenügsame Kunstwerke ausgestellt.45 Die Partitur des Fontana Mix (1958) besteht aus transparenten Grafiken, die übereinander gelegt eine spezifische Konstellation aus Punkten und Li- nien ergeben; diese Gruppierung bestimmt die Zeitdauer von Aktionen, deren Form und Charakter Cage nicht weiter umreißt. Er setzte die Vor- lage auf unterschiedliche Weise um, etwa in dem Theatre Piece (1960), einer Variation des Theatre Piece No. 1, in der die Ausführenden belie- bige Verben und Substantive auf Karten notieren. Die Worte verweisen im Verlauf des Stückes auf Handlungen, die der jeweilige Interpret mit ihnen in Verbindung bringt und für die vorgegebene Zeitdauer ausführt. Einen gänzlich durchorganisierten Kontrapunkt zu den Zufallskom- positionen der New York School bildet Karlheinz Stockhausens zu Beginn von Kapitel 4.1 beschriebene Elektronische Studie II – auch in

44 Vgl. von Maur 1985, S. 313. 45 Vgl. Kostelanetz 2003, S. 191.

167 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE grafischer Hinsicht: Die 1956 veröffentlichte Partitur „gibt dem Ton- techniker alle für eine klangliche Realisation nötigen Daten“46. In seiner verbalen Partitur der Originale griff Stockhausen dagegen auf die an der Bauhaus-Bühne erprobte Taktik zurück, Licht, Sprache, Musik und Dar- stellung in einer gemeinsamen Notation zu koordinieren. In Annäherung an Cage und Fluxus brachte Stockhausen hier Körper in Alltagsaktionen auf die Bühne. Ein künstlerischer Alltagseinbezug, der gänzlich ohne Körper und ohne Bühne auskommt, findet sich auf dem weiten Feld der Klanginstal- lationen. Dabei steht auch hier die Involvierung des Rezipienten und seiner Wahrnehmung im Mittelpunkt des Interesses, während sich das expressive Künstlerindividuum auf dem Rückzug befindet. Schon 1920 hatte Erik Satie eine Musik gefordert, die die Aufmerksamkeit der Zuhö- rer nicht blockiere und sich stattdessen den besonderen Raumgegeben- heiten anpasse. Wie in Kapitel 1.3.b beschrieben, war seine Musique d’ameublement als dezente und beiläufig zu rezipierende Klangtapete gedacht; die Titel der einzelnen Abschnitte, etwa Vorhang eines Raums der Stadtverwaltung, deuten auf die Ausrichtung der Komposition zum konkreten Zweck. Ende der 1960er Jahre entwickelten Künstler wie Maryanne Amacher und Max Neuhaus eine Musik für den öffentlichen Raum. Neuhaus, der den Begriff „Klanginstallation“ prägte, schrieb: „Traditionally, composers have located the elements of a composition in time. One idea which I am interested in is locating them, instead, in space, and letting the listener place them in their own time.”47 Neuhaus wies darauf hin, dass das Publikum im öffentlichen Raum, anders als im Konzertsaal, die eigene Verweildauer bestimme und fol- gerte daraus für eine öffentliche Musik, dass sie schlicht und gleichblei- bend abzulaufen habe. Das gemeinsame Ziel vieler Klanginstallationen war und ist es, das Publikum zur Auseinandersetzung mit der eigenen Umgebung anzuregen und den vielerorts sozial verödeten öffentlichen Raum neu erfahren zu lassen. Die Künstler schaffen hierbei nur Bedin- gungen zur weiteren Ausgestaltung in der Wahrnehmung der Besucher des Ortes. Ein häufig verwendetes Stilmittel zur akustischen Sensibilisie- rung ist das der Translokation, also der Versetzung von Soundscapes, vorzugsweise an einen für sie untypischen Ort. So arbeitete Maryanne Amacher in ihrer Werkreihe City Links ab 1967 mit Umweltgeräuschen, die sie per Telekommunikation transferierte und zum Teil elektronisch

46 Stockhausen in der Einführung zur Partitur der Studie II, zitiert nach: von Maur 1985, S. 314. 47 Neuhaus, Max: Inscription, Ostfildern: Cantz 1994, S. 34. Hierzu und zum Folgenden vgl. Föllmer, Golo: Klangorganisation im öffentlichen Raum, in: de la Motte-Haber, Helga: Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber, S. 193 ff.

168 FORMEN UND FUNKTIONEN bearbeitete. Den Effekt, dass bestimmte Klänge bestimmte Orte imagi- nieren lassen, machte sich auch Bill Fontana zunutze. Wie viele andere Klangkünstler erzeugte er mit seinen Arbeiten Irritationen, die den Zuhö- rer dazu bringen, über den eigenen Standort zu reflektieren. Fontana berief sich auf Cages Strategie, Alltagsgeräusche durch die Schaffung ästhetischer Situationen (wie etwa in 4’33“) zu musikalischen Klängen umzudeuten: Auch Fontanas Deplatzierung von Sounds sorgt für Auf- merksamkeit; im Idealfall hört das Publikum seiner Umgebung andächtig zu. Max Neuhaus versuchte sich in Arbeiten wie (1977) an einer dauerhaften, aber möglichst unauffälligen Klanggestaltung be- stimmter Orte, etwa der Beschallung des Fußweges aus einem Lüftungs- schacht heraus. Seine Werke geben häufig keinerlei visuellen Anhalts- punkt, dass hier etwas installiert ist; der Rezipient wird mit dem zunächst unerklärlichen Soundphänomen allein gelassen. überführte Mitte der 1970er Jahre Versatzstücke der Ideen Erik Saties und der Klangkunst in den populären Entwurf seiner Ambient Music. Eno gedachte, den schlechten Ruf der Hintergrundmusik, verkör- pert durch die kommerziellen Muzak-Produktionen, künstlerisch aufzu- werten: „I believe that we are moving towards a position of using music and recorded sound with the variety of options that we presently use color – we might use it to ‘tint’ the environment, we might use it ,diagramatically’, we might use it to modify our moods in almost sub- liminal ways.”48 Enos 1978 veröffentlichte Aufnahme Ambient 1: Music for Airports verbindet Max Neuhaus’ Forderung nach einer dezenten, beiläufig wahrzunehmenden Musik mit den sich verschiebenden Klang- schichten der amerikanischen Minimal Music, deren Hauptvertreter wie sich ebenfalls auf Satie bezogen. Den Versuch einer philosophischen Annäherung an die Ästhetik der Klanginstallation wagte in den 1990er Jahren Gernot Böhme. Sein Be- griff der „Atmosphäre“49 deutet zurück auf Cages Verständnis der Ver- bindung von Kunst und Alltag: Böhme beschreibt die wechselseitigen Wirkungen zwischen den akustischen und visuellen Reizen, den Bedin- gungen des Raumes und der aktiven sinnlichen Aneignung durch das Publikum. Der geschlossene Werkbegriff und seine Kategorien der Form und Harmonie sind hier außer Kraft gesetzt. Die Klangskulptur verweist als Variante der Klangkunst auf die mit- unter abenteuerlichen Entwürfe von Musik- und Lichtapparaten während der 1920er Jahre (etwa von Moholy-Nagy), die ihrerseits um die Integra- tion einer zeitlichen Ebene in die Plastik bemüht waren. Nicolas

48 Zitiert nach: Toop, David: Ocean Of Sound. Aether Talk, Ambient Sound And Imaginary Worlds, London: Serpent’s Tail 1995, S. 9. 49 Vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zu einer neuen Ästhetik, Frankfurt/ Main: Suhrkamp 1995.

169 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Schöffers Spatiodynamische Türme, die der Maler und Bildhauer 1954 in Paris und 1961 in Lüttich errichtete, waren Konstruktionen zum Eingriff der Kunst in das Leben und schlossen somit auch unter gesellschafts- utopischer Perspektive an das Bauhaus an: Erklärte Absicht war es, „ei- nen Klanghintergrund für eine Stadt zu schaffen“, um so „ein glückhaftes Aufblühen der menschlichen Gesellschaft“50 voranzutreiben. Ein kyber- netisch gesteuertes System nahm Umweltgeräusche und Wetterdaten auf, wandelte sie in musikalisch organisierte Klänge um und strahlte sie über Lautsprecher in die Umgebung ab. Schöffer arbeitete für die Skulptur mit dem musique concrète-Komponisten zusammen, der zwölf Tonbänder erstellte, die in Abhängigkeit von der Datenlage an- und aus- geschaltet wurden. Einen weniger gesellschaftspolitisch motivierten Klangturm entwarf 1953/54 für seine Música para la torre in Mendoza/Argentinien. Vier Schallplattenspieler erzeugten Ma- schinengeräusche, die von Lautsprechern am Turm und in den umgeben- den Bäumen ausgestrahlt wurden. Unabhängig von der akustischen Ebe- ne lief eine Lichtchoreographie mit zwölf leuchtenden Tetraedern ab. Im Vergleich zu Schöffers Versuch, sich mit seiner Arbeit unauffällig in den Stadtalltag zu mischen, hatte Kagels Klangturm eher den Charakter eines Blickfangs. Neben den idealtypischen Ausprägungen einzelner Klang- und Akti- onskunstgenres finden sich zahlreiche Vermischungen der Strategien und Stile. Auf seiner Wuppertaler Ausstellung Exposition of Music räumte etwa Nam June Paik 1963 dem Publikum mittels interaktiver Klang- skulpturen Interpretenstatus ein: Mit einem frei beweglichen Tonarm konnten die Besucher eine beliebige der zahlreich sich drehenden Schall- platten auf dem Schallplatten-Schaschlik abhören. Das gleiche Prinzip kam in Random Access zur Anwendung: Hier waren es aufgeklebte Ton- bandfetzen, die mit einem Tonkopf zum Klingen gebracht werden konn- ten.51 Auch La Monte Youngs Dream House-Installationen entziehen sich eindeutigen Zuordnungen. Seit 1963 verwendet er für sein konti- nuierliches Klangenvironment im eigenen New Yorker Loft Sinus- schwingungen in reiner Stimmung, visuell unterstützt durch die Lichtin- stallationen seiner Frau Marian Zazeela. An unterschiedlichen Stellen im Raum bilden sich stehende Wellen und Klangmaxima, so dass die Bewe- gung des Besuchers integral zur Klangerfahrung gehört. Das Dream House lässt sich mit gleichem Recht als Raumkomposition und als (halb-)öffentliches Wahrnehmungsexperiment bezeichnen; dazu sind

50 Zitiert nach: Föllmer 1999, S. 215. 51 Vgl. von Maur 1985, S. 296 f.

170 FORMEN UND FUNKTIONEN deutlich die Wurzeln der Installation in der Monothematik von Youngs Fluxus-Arbeiten auszumachen.52 Das experimentelle Feld zwischen Aktions- und Klangkunst, Mixed Media und Intermedia bekam im Jahr 1966 einen Impuls, der bis heute spürbar geblieben ist. Robert Rauschenbergs und Billy Klüvers Initiative Experiments in Art and Technology (EAT) trieb das Zusammenwirken von Kunst und Technik im wirtschaftlich geförderten Rahmen voran. Als wegweisend erwies sich die Veranstaltungsreihe 9 Evenings: Theater & Engineering in der New Yorker Armory Hall. Mit technischer Unterstüt- zung des Forschungs- und Entwicklungsunternehmens Bell Telephone Laboratories wurde hier an einer multimedialen Aufbereitung verschie- denartiger Performances gearbeitet. In Rauschenbergs Beitrag Open Score befanden sich mehrere Hundert Menschen mit Kontaktmikro- phonen auf einer abgedunkelten, nur mit Infrarotlicht beleuchteten Büh- ne. Ihre Aktionen wurden von einer besonders lichtempfindlichen TV- Kamera aufgenommen und in Echtzeit auf eine Großleinwand übertra- gen, so dass das Publikum das Geschehen medial vermittelt verfolgte. Neben der Übertragungstechnik kamen während der 9 Evenings auch Techniken zum Einsatz, die ein Reagieren von Licht- und Klangquellen auf Bewegungen möglich machten – ein Verfahren also, das Billy Klüver schon 1965 für Cages Tanzperformance Variations V verwendet hatte. Kritiker monierten an den Aufführungen in der Armory Hall, dass hier oberflächliche Effekthascherei an die Stelle des künstlerischen Experi- ments getreten sei.53 Auch gelten die 9 Evenings als direkte Vorläufer der Multimedia-Spektakel, mit denen sowohl Rockbands als auch große Tanztheater-Produktionen (etwa von Robert Wilson und William Forsythe) in den 1970er Jahren aufwarteten.54 Unter heutigen Bedingungen bestehen vergleichsweise niedrige Zu- gangsvoraussetzungen zu avancierter Multimedia-Technik, wie sie noch am Bauhaus nur theoretisch denkbar gewesen ist. Zahlreiche Bühnen- produktionen arbeiten extensiv mit Videoeinspielungen, dekorative visuals kommen in Clubs zur atmosphärischen Unterstützung zum Ein- satz und das Musikfernsehen zeigt multimediale Kunstäußerungen in kommerziellen Videoclips rund um die Uhr. Es lässt sich, gerade im Mu- sikfernsehen, eine beliebige Vermischung von Versatzstücken gänzlich unterschiedlicher Herkunft und eine inhaltliche Tendenz zur Stereotypi- sierung beobachten. Das interdisziplinäre (und gewerblich motivierte) Durcheinander rückt abermals die Frage nach Sinn und Zweck gattungs- übergreifender Strategien auf die Tagesordnung. Ihre Beantwortung führt

52 Vgl. de la Motte-Haber 1999, S. 59 f. 53 Vgl. Maur 1985, S. 442. 54 Vgl. Dreher 2001, S. 156.

171 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

über eine Neubewertung der Kategorien Werk und Material, die im fol- genden Abschnitt versucht werden soll.

4.3 Ordnung und Unordnung

In Kapitel 2.4.e sind die Schwächen definitiver Zuordnungsversuche zwischen Farbe und Klang am Beispiel der Farblichtmusik dargestellt worden. Als Begründung für ihr Scheitern wurde vermutet, dass Verglei- che zwischen den Künsten nur fruchtbar sind, wenn sie die Materialebe- ne zugunsten der subjektiven Wahrnehmungsebene verlassen. Nach 1930 ging es Künstlern zunehmend seltener darum, eine allgemeingültige Ordnung des Kosmos zu enttarnen, wie etwa Wassily Kandinsky oder Lothar Schreyer es am Bauhaus versucht hatten. Stattdessen wurde es zum Ziel interdisziplinärer Kunst, den Betrachter dazu anzuregen, in der Rezeption selbst eine subjektive Ordnung vorzunehmen. Die Wahrneh- mung aber wird nicht nur durch das Kunstwerk selbst, sondern auch durch die vielgestaltige Disposition des Rezipienten strukturiert.55 Dies sind die gedanklichen Voraussetzungen sowohl der Aktions- als auch der Klangkunst. Auch Theodor W. Adorno richtet sich in seiner Schrift Über einige Relationen zwischen Musik und Malerei (1965) gegen synästhetisch motivierte Zuordnungssysteme mit Absolutheitsanspruch; die in den Diskussionen um das Gesamtkunstwerk wortreich herbeigeführte Annä- herung zwischen den Gattungen bezeichnet er polemisch als „Pseudo- morphose“. Er stellt weiter fest, dass die Künste nur konvergieren, also miteinander in Beziehung treten, „wo jede ihr immanentes Prinzip rein verfolgt“56. Mit dem „reinen Material“ meint Adorno das Abstrakte und Atonale, mithin den Verzicht auf jede Form von Abbild – sowohl der Natur, als auch der jeweils anderen Kunst. Erst ohne Bezug auf ein Äu- ßeres bestehe die Chance „des Übergangs des einen ins andere durch das eigene Extrem hindurch“57. Adorno begründet dies folgendermaßen: Im Zustand der reinen künstlerischen Durchbildung erfährt das Material einen Wandel und bekommt den Charakter einer Schrift (bzw. écriture). Da dieses Phänomen für die Musik und die Malerei gleichermaßen gilt, drängen beide Kunstformen gerade in größter Unabhängigkeit voneinan-

55 Vgl. Rösing, Helmut: Wechselbeziehungen zwischen Musik und Malerei. Strukturelle, rezeptionstheoretische und didaktische Aspekte, in: Musik und Diskurs. Band 3, Regensburg: Bosse 1988, S. 23 ff. 56 Adorno, Theodor W.: Musikalische Schriften I-III: Klangfiguren. Quasi una fantasia. Musikalische Schriften (Gesammelte Schriften, Band 16), Frankfurt: Suhrkamp 1978b, S. 629. 57 Ebd., S. 637.

172 FORMEN UND FUNKTIONEN der auf Konvergenz. Für dieses Paradox findet Adorno den Ausdruck „knistern“.58 Als Beispiel führt er die Klangfarbe an, die es „zufällig“ schon im- mer gegeben habe, deren Thematisierung aber erst durch das Verlangen nach „Einheit der musikalischen Dimensionen“59 ausgelöst worden sei. Die optische Korrespondenz habe sich daher erst durch die konzentrierte Arbeit am musikalischen Detail ergeben und ging somit aus einem ge- schlossenen Werkbegriff hervor. Als negatives Gegenbild setzt Adorno Kandinskys Verwendung von Musikmetaphern ein und nennt gleich noch einen weiteren Fall dieser Pseudomorphose: „‚Klangfarbe’ hat et- was Zwingendes, ‚Bildklänge’ etwas kunstgewerblich Modernistisches wie die während der zwanziger Jahre propagierte Farbtonmusik“. Die Zuordnung von Farben und Klängen auf der Materialebene, wie sie in Kapitel 2.4.e kritisiert wurde, greift Adorno also mithilfe eines radikale- ren Materialismus an, der keine Vereinfachungen zugunsten der gattungsübergreifenden Arbeit duldet. Immerhin räumt er ein, dass „die überflüssige und sektiererhafte Farbtonmusik, wie nicht selten apokryphe Versuche, eine genuine neue Erfahrung in verkehrter Gestalt“ zum Aus- druck gebracht habe. Schon in den Vorstellungen vom Gesamtkunstwerk bei Wagner und Skrjabin spiegele sich „der Traum jener Konvergenz als abstrakte Utopie, ehe die Medien selbst sie gestatteten.“60 Voreilige Gleichmacherei vermutet Adorno aber nicht nur in den Verfehlungen synästhetischer Kunstwerke, sondern auch in den Arbeiten des raum-zeitlichen Ansatzes. Er stellt schlicht fest, dass Zeit „eben doch nicht zur Identität mit dem Raum zu zwingen“61 sei, so dass etwa „Male- rei, die sich dynamisch gebärdet, [...] sich im äußersten Fall in der Illusion von Zeit“62 erschöpfe. In vorliegender Arbeit wurde die Plausi- bilität der künstlerischen Rezeption von Einsteins Ideen zur Relativität der Dimensionen hervorgehoben: Die „Verzeitlichung“ der bildenden Künste erwies sich als vielversprechende Strategie. Ohne nun grundsätz- lich von dieser Einschätzung abzuweichen, sei hier auf die kontroverse Entstehung der Versuche zur Raum-Zeit in Musik und Malerei hingewie- sen, an die Adorno mit seiner Schrift erinnert. Die prompte Nutzbarma- chung von Einsteins Theorie ging, ebenso wie die synästhetischen Farbe- Klang-Analogien, auf den verschärften Drang zum Gesamtkunstwerk zurück (vgl. Kap. 1.3). Deshalb muss in Erwägung gezogen werden, dass das ausgeprägte Begehren nach einer faktischen Rechtfertigung der Gat- tungsüberschreitung zu einer oberflächlichen Vereinnahmung von kom-

58 Ebd., S. 635. 59 Ebd., S. 636. 60 Ebd., S. 637. 61 Ebd., S. 631. 62 Ebd., S. 629.

173 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE plexem wissenschaftlichem Ideenmaterial geführt hat. Zumindest aber lässt sich feststellen, dass Kunst, die die Identität von Raum und Zeit annimmt, hierfür so wenig über Beweise verfügt wie die Synästhe- sie-Forschung für die Identität von Farbe und Klang. Die Arbeitsgrund- lage ist in beiden Fällen eine freie künstlerische Deutung. Trotz seiner Kritik an der Raum-Zeit in Musik und Malerei räumt Adorno (wie im Fall der Klangfarbe) ein, dass unter bestimmten Voraus- setzungen die Möglichkeit zur Konvergenz bestehe. Auf besonders span- nungsreich organisierten Gemälden finde sich „sedimentierte Zeit“63. Auch bekennt Adorno seine Vorliebe für die Kunst von Paul Klee. Er siedelt Klees Werke nicht nur „in den Ursprüngen malerischer écriture“64 an, sondern verwendet auch eines von Klees Argumenten zur Veran- schaulichung des zeitlichen Elements: die implizite Bildzeit, die eine „angemessene Betrachtung des Bildes“65 verlangt. Dass auf der anderen Seite hochorganisierte Musik zur Verräumlichung tendiere, zeige sich in der Notation als „Bedingung ihrer Objektivation“. Des Weiteren habe sich sogar schon vor dem überfälligen Schritt in die Atonalität bei Anton Bruckner eine räumliche Qualität angedeutet, die „des Klangwaldes, der um den Hörer sich wölbt“66. Adornos Beharren auf der Arbeit am geschlossenen Werk verbindet sich mit einer Nichtbeachtung der Rezeptionsseite. Er hält eine Anpas- sung des Materials an bestimmte Kategorien der Wahrnehmung – etwa die der Gestalttheorie – für kontraproduktiv. Kunst werde erst zur Schrift, wenn sie sich nicht kommunikativ an einen Adressaten richtet, sondern ausschließlich den eigenen Gesetzmäßigkeiten verpflichtet bleibt. Der für die Klangkunst konstitutive Ansatz der aktiven Aneignung kommt bei Adorno lediglich in der Forderung nach einer Verbesserung des allgemeinen Hörniveaus zugunsten der Musik vor. Seine Missach- tung des Rezipienten ist aber auch als Kritik an der Warenförmigkeit von Kunst zu verstehen: „Die [...] Versuche der Ästhetik, Kunst als ein Für anderes zu begreifen anstatt aus sich heraus, werden um so ideologischer, je mehr der Betrieb die Kunst zum Für anderes relegiert.“67 Adornos Argumente ließen sich in zweifacher Weise auf heutige Verhältnisse und insbesondere auf die kommerzialisierte Videoclip- Ästhetik übertragen: Zum einen zeigt sich im nivellierten Überfluss an kombinierten Bildern und Klängen, wie die „Ausfransung der Künste“ auf Kosten der „Durchbildung des je Einzelnen“68 geht. Zum anderen

63 Ebd., S. 632. 64 Ebd., S. 635. 65 Ebd., S. 633. Vgl. Kap. 2.2.a sowie Klee 1976, S. 119 ff. 66 Adorno 1978b, S. 632. 67 Ebd., S. 639. 68 Ebd., S. 640.

174 FORMEN UND FUNKTIONEN wird deutlich, dass der Videoclip solange dazu verurteilt ist, unkünstle- risch zu sein, wie er in erster Linie als Marketinginstrument eingesetzt wird. Adornos Forderungen nach Werkautonomie und Konzentration auf die Ordnung des Materials wirken in diesem Zusammenhang zeitgemäß und einsichtig. Sein Essay ist kein umfassendes Gegenmodell zu rezep- tionsfokussierten Formen der Gattungsüberschreitung – als Zwischenruf von jenseits der zeitgenössischen Diskurse ist sein Beitrag jedoch hilf- reich. Gerade weil Interdisziplinarität heute eine künstlerische Selbstver- ständlichkeit ist, lässt sich vielerorts die Tendenz zur vorschnellen „Pseudomorphose“ ausmachen. In dieser Situation kann eine Schärfung der Konturen der einzelnen Disziplinen einem emanzipierteren Aus- tausch zwischen den Künsten nur förderlich sein. Erinnert sei hier noch einmal an Gotthold Ephraim Lessing und seine Schrift Laokoon, in der jener die Künste auf ihr jeweiliges Material verpflichtete und sie so nicht nur von der bis dahin gültigen Nachahmungsästhetik freisprach, sondern auch den Wettstreit der Disziplinen anfachte. In Kapitel 1.2 habe ich ver- sucht zu zeigen, dass aus dieser Grenzziehung eine Annäherung zwi- schen den Gattungen hervorging. Adornos These, dass die Künste nur in der Verpflichtung auf ihr eigenes Material konvergieren, ist ideenge- schichtlich unmittelbar benachbart. Hinsichtlich der in Kapitel 2.6 thematisierten Kontrolle des Klang- materials ist Adornos Kritik an der „absoluten Verfahrungsweise“ im Serialismus69 eine gesonderte Betrachtung wert. Zwar setzt der Schrift- charakter (bzw. die Konvergenz oder das Knistern) die Beherrschung des „Naturmaterials“ voraus, doch der anzustrebende Zustand verflüchtigt sich wieder, wenn die Rationalität total wird. Die Idealform einer Kunst hat für Adorno konstruktiven Charakter, sie ist „unabhängig von der signifikativen Beziehung auf ein Auszudrückendes“70, aber auch unab- hängig von einem sich ausdrückenden Subjekt. Zugleich braucht es eine entsubjektivierte Form des Expressiven, um die Konstruktion davor zu bewahren, zu „barbarischer Buchstäblichkeit“71 zu regredieren. Der seri- ellen Kompositionsweise bescheinigt Adorno in diesem Sinne zwar das Potenzial zur Konvergenz: „Zeit wird [...] geplant, disponiert, von oben her organisiert wie einst nur visuelle Flächen“. Gleichzeitig aber be- obachtet er „eine gewisse Verarmung, das Verkümmern zahlreicher mu- sikalischer Elemente“ sowie das „Vergessen des Erworbenen“72. In ähn- lichem Sinne hatte sich Adorno einige Jahre zuvor in dem Aufsatz Vers une musique informelle (1961) positiv zu Cages „Protest gegen die sture

69 Ebd., S. 642. Adorno nennt den Serialismus zwar nicht ausdrücklich, doch seine Beschreibung der Kompositionsmethode deutet erkennbar darauf hin. 70 Ebd., S. 635. 71 Ebd., S. 642. 72 Ebd., S. 630.

175 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Komplizität von Musik mit Naturbeherrschung“73 geäußert. Der musik- ästhetische Materialismus scheint hier relativiert, und die Kluft zwischen Europa und Amerika in Fragen der Klangkontrolle stellt sich weniger tief dar als noch zu Beginn der 1950er Jahre. Aus heutiger Sicht lässt sich feststellen, dass der Hang zur totalen kompositorischen Durchorganisation seit dem Verfassen von Adornos Schrift Mitte der 1960er Jahre weiter abgenommen hat. Wie in Kapitel 4.2 beschrieben, gab mit Karlheinz Stockhausen einer der Protagonisten des Serialismus schon Mitte der 1950er Jahre wieder einen Teil der Kontrolle auf. Doch sogar bei einer nachträglichen Betrachtung so durchkonstruierter Werke wie Stockhausens Elektronischer Studien stellt sich die Frage, ob das seinerzeit vermeintlich eingelöste Kontrollideal ei- gentlich naturwissenschaftlich objektivierbar ist, oder ob es sich nicht vielmehr um eine lediglich relative Kontrolle handelte; bei aller techni- schen Innovation verwendete Stockhausen zur Bandbearbeitung schließ- lich noch Schere und Klebstoff. Weiter ließe sich Fragen, ob es die absolute Klangkontrolle im mathematischen Sinne überhaupt geben kann, oder ob ihre Widerlegung immer nur eine Frage der Güte des akustischen Mikroskops ist, mit der man sie überprüft. In diesem Fall wäre der determinierte Klang, wie er schon am Bauhaus erträumt wurde, gar kein technischer oder naturwissenschaftlicher, sondern vielmehr ein philosophischer Gegenstand. Falls es die totale Klangbeherrschung aber doch geben sollte, so wäre sie wohl künstlerisch nicht sonderlich frucht- bar – ganz gleich, ob man als Effekt nun eine Regression zum Barbari- schen oder schlicht eine künstlerische Sackgasse diagnostizierte.

73 Ebd., S. 534.

176 FAZIT: EIN LABOR FÜR VISIONÄRES SCHEITERN

„je préfère utiliser l’expression ‘son organisé’“1 (Edgard Varèse 1940)

Das Bauhaus und das Black Mountain College (BMC) boten günstige Voraussetzungen für künstlerische Neuerkundungen. Politische und wirt- schaftliche Krisen hatten einen Bedarf an grundsätzlichen Vorschlägen geschaffen. Als Konsequenz war in den jeweiligen Schulkonzepten ein hohes Maß an Lehrfreiheit institutionalisiert. Beide Schulen setzten auf eine umfassende Bildung und veranschlagten deshalb den Austausch zwischen den Künsten in ihren Satzungen (vgl. Kap. 2.1 und 3.1). Der Schulalltag war von Begegnungen, von Austausch und Reibung geprägt. Auf den ersten Blick konnte die Musik am Bauhaus nur wenig von dieser fruchtbaren Konstellation profitieren: Zwar wurde sie in zahlrei- chen Arbeiten der bildenden Kunst und des Theaters als abstraktes Prin- zip mit einbezogen, doch explizit musikalische Ansätze blieben zumeist in einem frühen Stadium stecken. Am BMC dagegen demonstrierten ge- rade die Arbeiten John Cages eine sinnvolle musikalische Nutzung der spezifischen Dispositionen des gattungsübergreifenden „Prinzips Bauhaus“ (s. Einleitung). Dass aber nicht nur an dieser amerikanischen Bauhaus-Nachfolge-Einrichtung musikalische Innovationen entstanden, sondern durchaus auch am Bauhaus selbst, offenbart sich erst in der Konstruktion eines Vorher und Nachher: In Weimar und Dessau wurde Ideenmaterial verhandelt, das weite Teile der Kunstwelt mitunter schon Jahrzehnte lang bewegt hatte. In der heutigen Rückschau bestand die musikalische Leistung des Bauhaus jedoch nicht in einem weiteren Bei- trag zu bestehenden Strömungen, sondern im Aufwerfen von Problemen, im Ausloten sich andeutender Pfade, in der Produktion unfertiger Proto- typen. Diese Feststellung führt zu dem Phänomen, dass die Musik am Bauhaus zwar an den selbst gestellten Aufgaben gescheitert ist, jedoch in diesem Scheitern wichtige Impulse für musikalische Entwicklungen der 1950er und 1960er Jahre gegeben hat. Erst im verdichteten Nebeneinan-

1 Varèse, Edgard: Écrits (Herausgegeben von Louise Hirbour), Paris: Bourgois 1983, S. 108.

177 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE der der Künste am Bauhaus sowie durch die rigorose „Einmischung“ bildender Künstler zeigte sich in der Musik die Existenz ungelöster Aspekte, die in Zukunft zu behandeln sein würden. Eben diese Dynamik scheint Laszlo Moholy-Nagy vorgeschwebt zu haben, als er konstatierte, dass es zur Förderung künstlerischer Entwicklungen „nur der richtigen fragestellung“2 bedürfe. Zu den am Bauhaus diskutierten Themen gehörte der Verlauf der Gattungsgrenzen, die sich seit Lessings Schrift Laokoon mehrfach ver- schoben und in der Absicht vieler Künstler und Komponisten bereits aufgelöst hatten (vgl. Kap. 1.1). Als Ordnung schaffendes Prinzip fungierte die Musik, seit sich die bildenden Künste als Konsequenz aus ihrem Schritt in die Abstraktion auf der Suche nach einem neuen Regel- werk befanden. Ihre nur auf sich selbst bezogene Logik hatte die Musik schon im 19. Jahrhundert zu einem Leitbild der Künste werden lassen (vgl. Kap. 1.2). An die Seite von synästhetisch angeregten Versuchen zur Erstellung definitiver Zuordnungen zwischen Farben und Klängen trat zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Zeit eine Dimension des Raumes sei. Ein Zusammendenken der von Les- sing als getrennt definierten Raum- und Zeitkünste erschien möglich und zeitigte im Kubismus, im Dadaismus und im Futurismus künstlerische Ergebnisse (vgl. Kap. 1.3). Auch das Bauhaus trieb die Vorstellung um, dass die Zeit (und die Musik als Zeitkunst) in allen Künsten walte. Die veränderten Kategorien machten auch eine Neudefinition der Rolle des Betrachters notwendig, dessen Standpunkt im Angesicht ungegenständli- cher und nicht-narrativer Arbeiten nicht mehr über die Zentralperspekti- ve oder einen dramaturgischen Handlungsfaden festgeschrieben war. Nun durfte sich der Blick nach eigenem Ermessen in der simultanen Dar- stellung von Bild- oder Bühnencollagen verlieren. Mit Paul Klee und Wassily Kandinsky verfügte das frühe Bauhaus über zwei prominente Lehrkräfte, die sich ganz unterschiedlich zur Mu- sik verhielten (vgl. Kap. 2.2). Klee war selbst ein guter Musiker, der sich erst spät endgültig für die Malerei entschieden hatte. Seine Sicht auf die klangliche Materie war weit weniger verklärt als die vieler anderer Künstler. Er integrierte in seine Bilder eine zeitliche Ebene und nutzte zu ihrer Erläuterung musikalisches Vokabular: Mit der kompositorischen Methode der Polyphonie verband sich für ihn allerdings nicht die Hoff- nung auf gattungsübergreifende Zusammenarbeit, sondern die auf eine Weiterentwicklung der Malerei. Seine in der malerischen Praxis erwor- benen Erkenntnisse versuchte er für den Bauhaus-Unterricht in eine all- gemein verbindliche Systematik zu fassen und probierte in diesem Zuge auch eine grafische Übersetzung einiger Takte von Johann Sebastian

2 Zitiert nach: Schmitz 1999b, S. 297 ff.

178 FAZIT

Bach. Eine totale Berechnung der malerischen Konstruktion lehnte er je- doch stets ab und verblieb stattdessen bei der Bildfindung im intuitiv- naturhaften Rahmen. Wassily Kandinskys Wille zur regelhaften Verknüpfung von Musik und Malerei wurde von der Rauschhaftigkeit seines synästhetischen Empfindens überlagert. Die malerische Abstraktion, die er konsequent vorangetrieben hatte, diente ihm als Grundlage von Mutmaßungen hin- sichtlich verborgener Entsprechungen zwischen Farben und Klängen. Der enge Austausch mit dem Komponisten Arnold Schönberg stärkte noch seinen Glauben an die Existenz „innerer Klänge“3, deren Gültigkeit über die Gattungsgrenzen hinaus reiche. Weil Kandinsky eine, Schön- bergs Harmonielehre vergleichbare, Formenlehre auch in der Malerei anstrebte, versuchte er sich, ebenso wie Klee, in einer Methodisierung seiner Erkenntnisse für den Unterricht. Für Klee und Kandinsky gilt gleichermaßen, dass die Arbeit am Bauhaus ihnen als Anlass gereichte, ihr angesammeltes Ideenmaterial zu einer Ordnung zu verdichten. Die daraus hervorgegangenen Schriften beider4 gelten noch heute als wichti- ge Wegmarken der Integration musikalischer Elemente in die Maltheorie. Dass der Musik eine räumliche Komponente zueigen sein könnte, hatte sich bei Schönberg, Igor Strawinsky und Edgard Varèse gezeigt. Am Bauhaus wurde zu diesem Komplex aus kompositorischer Hinsicht kaum etwas beigetragen (vgl. Kap. 2.3); eher war es die architektonische Planung von „Totaltheatern“5, die der gattungsübergreifenden Raum- komposition Aufführungsorte in der Art zudachte, wie sie erst ab den 1960er Jahren (etwa von Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen) verwirklicht wurden. Künstler wie Heinrich Neugeboren, Kurt Schmidt und Josef Albers versuchten sich am Bauhaus in der Übsetzung musika- lischer Strukturen ins Räumliche. Wie bei Paul Klee kam die Anregung jeweils von der als mathematisch empfundenen Musik Johann Sebastian Bachs; interdisziplinäre Arbeiten nach solchem Muster fanden zumeist im Dunstkreis der Bauhaus-Bühne statt. Die Bühne galt in Weimar und Dessau als Ort der großen Zusam- menkunft aller Künste; mit ihr verbanden sich weitreichende Hoffnungen von oft utopischem Charakter (vgl. Kap. 2.4). Die Musik spielte hier eine gleichermaßen entscheidende Rolle als abstraktes Bezugssystem und als Hemmnis der Praxis. Kandinsky hatte schon 1912 mit Über Bühnenkom- position eine wichtige theatertheoretische Schrift vorgelegt. Darin dachte er den einzelnen Bühnenelementen voneinander unabhängige Sphären zu, die er nicht nur im Prinzip der Mit- sondern auch der Gegenwirkung

3 Kandinsky 1973, S. 81. 4 Klee 1971 sowie Kandinsky 1969. 5 Moholy-Nagy 1978, S. 53.

179 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE zu organisieren gedachte. Die Musik war dabei ihres theaterüblichen Be- gleitcharakters entbunden. Die musikalischen Schwächen dieses in der Theorie schlüssigen Konzepts zeigten sich schon im zeitgleich verfassten Skript zu dem Bühnenstück Der Gelbe Klang. In Kapitel 2.4.a wurde ge- zeigt, dass die Klanggestaltung sich über weite Strecken diffus darstellte und auch in der praktischen Umsetzung eine (vom Komponisten Thomas von Hartmann) nur halbherzig gefüllte Leerstelle blieb. Auch am Bau- haus schafften es dieses und konzeptionell ähnlich gelagerte Stücke nicht bis zur Aufführungsreife – wohl nicht ausschließlich, aber doch mit be- dingt durch ihre musikalische Ratlosigkeit. Lothar Schreyer entwarf mit dem „Spielgang“ eine Partitur zur Koordination der Bühnengeschehnisse. Während diese Abstimmung der Elemente nach musikalischer Form als Strategie überdauerte, ist von der zum Einsatz gebrachten Musik kaum etwas bekannt. Der expressionis- tisch geprägte Schreyer verwendete mitunter Ganzkörpermasken, die die Darsteller in ihrem individuellen Ausdruck ebenso einschränkten, wie dies in den Bühnenstücken von Oskar Schlemmer der Fall war. Schlem- mer verfolgte in Werken wie dem Triadischen Ballett eine Zusammen- führung seiner Untersuchungen zu den Proportionen des menschlichen Körpers mit größtmöglicher Objektivierung. Trotz ambitionierter Pla- nungen und einer zeitweiligen Zusammenarbeit mit dem Komponisten Paul Hindemith, aus der 1926 eine frühe mechanische Musik hervorging, zeigten sich bei Schlemmer ähnlich unklare Vorstellungen zur Musik wie bei Kandinsky. Für weitere Aufführungen des radikal modernen Triadi- schen Balletts wich Schlemmer auf die Verwendung von Musik vergan- gener Jahrhunderte aus. Auch in der Kooperation von Theatermacher Kurt Schmidt mit dem Komponisten Hans Heinz Stuckenschmidt ergab sich durchaus bühnentechnische, jedoch keinerlei musikalische Innovati- on: Stuckenschmidt improvisierte zum Tanz der abstrakten Bühnenele- mente „eine primitive Begleitungsmusik“ (vgl. Kap. 2.4.d). In allen der hier genannten Entwürfe der Bauhaus-Bühne hinkte die Musik in Eigenständigkeit und Erfindungsreichtum der Musikalisierung des nicht-narrativen Bühnengeschehens hinterher. Kandinsky relativierte diese Sichtweise in der 1923 am Bauhaus entstandenen Schrift Über die abstrakte Bühnensynthese. Er charakterisiert seine Experimente darin als „Vorarbeiten“ und fordert die Schaffung von „Theaterlaboratorien“6, um dem Ausloten neuer Formen günstige Voraussetzungen zu schaffen. Die- se Einschätzung wirft ein verändertes Licht auf die gesamte Bauhaus- Bühne: Verstanden als Laboratorium oder auch als „Versuchsballon“7, wie sie Oskar Schlemmer bezeichnete, zeigt die Bauhaus-Bühne visionä-

6 Kandinsky 1973, S. 83. 7 Schlemmer 1990, S. 161.

180 FAZIT re Züge; selbst ihr Scheitern in Fragen der Musik erhält wertvollen Cha- rakter – allein dadurch, dass hier ein bestehendes Problem aufgedeckt und damit zur weiteren Bearbeitung freigegeben wurde. Die ebenfalls der Bauhaus-Bühne zugehörige Farblichtmusik Ludwig Hirschfeld-Macks wurde in Kapitel 2.4.e als unmittelbarer Vorläufer des abstrakten Films betrachtet. Als Leitbild diente Hirschfeld-Mack die Vorstellung von einer in Bewegung gesetzten Malerei, wie sie an der Bühne auch Kandinsky und Schmidt interessiert hatte. Als Hauptstrategie seiner musikalisch begleiteten Farblichtprojektionen erstellte Hirschfeld- Mack verbindliche Verknüpfungen zwischen Farben und Klängen. Wegen der Subjektivität dieser Zuordnungen beurteilte die zeitgenössi- sche Kritik seine Versuche überwiegend negativ; der Bezug der von Hirschfeld-Mack selbst komponierten Begleitmusik zum farbigen Licht stellte sich nicht ausreichend verbindlich dar. Die Projektionen selbst galten als unflexibel und nur ungenau zu handhaben. Als fortschrittliche- re Alternative traten alsbald, allerdings außerhalb des Bauhaus, die filmi- schen Versuche von Künstlern wie Hans Richter und Viking Eggeling auf den Plan, die ihre präzise ablaufenden Formen nach dem kontra- punktischen Prinzip entwickelten. Der euphorisch als „Augenmusik“8 begrüßte abstrakte Film arbeitete nicht mit dem Farbe-Klang-Prinzip Hirschfeld-Macks, sondern funktionierte nach dem zeit-räumlichen An- satz, der in der Farblichtmusik eine untergeordnete Rolle spielte. Beide Strategien sind von der Suche nach einer neuen Ordnung in der Musik motiviert. Ihr Unterschied liegt im jeweiligen Verhältnis zur Wissen- schaft begründet: Im Fall der Farblichtmusik scheitert die Kunst am wis- senschaftlichen Beweis; ohne eine verlässliche Analogie zwischen Farbe und Klang ist ihr die Grundlage entzogen. Der abstrakte Film macht sich in der Annahme der Übertragbarkeit von zeitlichen in räumliche Katego- rien eine wissenschaftliche Theorie zueigen, ohne jedoch auf deren Beweisbarkeit im künstlerischen Rahmen angewiesen zu sein. Weil die angenommene Identität von Zeit und Raum keine Objektivierung ver- langt, eröffnet sie dem abstrakten Film ein weites Feld, während die Farblichtmusik in einer künstlerischen Sackgasse landet, die ihr baldiges Verschwinden nach sich zieht. Dem Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy wurde in vorliegender Arbeit wegen seines Engagements auf mehreren relevanten Gebieten ei- ne Schlüsselrolle zuerkannt. Er installierte nach der konstruktivistischen Wende des Bauhaus 1925 eine aufklärerische Gestaltungsphilosophie, die ohne den bis dahin gültigen metaphysischen Aspekt der Lehre aus- kam (vgl. Kap. 2.5). Sein Ansatz, die gesamte moderne Lebenswelt zum Gegenstand gestalterischer Ausformung zu erklären, führte ihn immer

8 Bernhard Diebold, zitiert nach: de la Motte-Haber 1990, S. 199.

181 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE wieder auf künstlerisches Neuland: Versuche in der kinetischen Kunst (etwa der Licht-Raum-Modulator) finden sich in seinem Bauhaus- Schaffen ebenso wie die Mechanische Exzentrik, eine fantastisch anmu- tende Planskizze zur Kombination verschiedener Medien in einer multi- dimensionalen Bühnenlandschaft, die zur Koordination ein Zeitraster in- tegrierte. Moholy-Nagy befasste sich auch mit Fragen der Tongestaltung, die er allerdings nach einer Phase intensiven Durchforschens zugunsten neu- er Herausforderungen wieder fallen ließ (vgl. Kap. 2.6). Wie in anderen Fällen begnügte er sich auch hinsichtlich der Musik mit dem Erzeugen von Denkanstößen und der Andeutung möglicher Pfade. Moholy-Nagys musikalische Versuche zielten gleichermaßen auf die Mechanisierung der Musik, die Schaffung einer autonomen Geräuschkunst und die Er- möglichung einer Kontrolle des Klangverlaufs. Bezugsreich sind seine Experimente zur direkten Bearbeitung von Schallplatten auf dem Wege einer „Ritzschrift“9. Er schlug vor, grafische Zeichen so weit zu verklei- nern, dass sie unmittelbar in Plattenrillen eingeschrieben werden könn- ten; weiter sollten die Zeichen zu einer Sprache systematisiert werden. Schallplatte und Grammophon dienten in diesem Ansatz nicht mehr zur Reproduktion von Musik, sondern wurden als Musikinstrument einge- setzt. Moholy-Nagy wies mit dieser Idee nicht nur auf die musique con- crète, sondern sogar auf das erst Ende der 1970er Jahre entstehende Dj-ing voraus. Der Wille zur Klangkontrolle, welcher aus Moholy-Nagys Wunsch nach einem „Sound ABC“10 spricht, findet sich ebenfalls bei Piet Mondrian, der auf eine „vollkommene Bestimmtheit des Tones“ in „Wellenlänge wie Schwingungszahl“11 drängte und damit die serielle Kompositionsweise der 1950er Jahre antizipierte. Auch Josef Matthias Hauer, der über seinen engen Kontakt zu Johannes Itten mit dem Bauhaus in Verbindung stand, erträumte eine von allem Geräuschhaften befreite Musik. Der dem Bauhaus inhärente Drang zur Erstellung von künstlerischer Ordnung erstreckte sich bis auf die klangliche Ebene. Die ebenfalls Bauhaus-typische Verdichtung von Ideenmaterial vollzog sich hinsicht- lich der Musik jedoch nicht. Auch die vielversprechenden Versuche Moholy-Nagys führte weder er selbst, noch ein anderer am Bauhaus fort. Dies wurde in einem Zwischenfazit zum Ende von Kapitel 2 mit der mangelnden Aussicht auf eine Technik zur Verwirklichung des verfolg- ten klanglichen Kontrollideals erklärt.

9 Moholy-Nagy 1923: 102. 10 Moholy-Nagy 1947, S. 277. 11 Mondrian 1925, S. 38.

182 FAZIT

Das BMC ist als eine direkte Nachfolge-Institution des Bauhaus zu be- trachten; zwischen beiden Schulen finden sich personelle Überschnei- dungen und zahlreiche inhaltliche Parallelen. Im Gegensatz zur Situation am Bauhaus gehörte die Musik am BMC zum offiziellen Lehrplan. Ob- wohl besonders in den späteren Jahren des Colleges einige experimentell arbeitende Komponisten wie Stefan Wolpe und Lou Harrison zum Lehr- körper zählten, blieb der Musikunterricht zumeist im konventionellen Rahmen (vgl. Kap. 3.2). Wichtiger als die Lehre war der Ruf des Colleges als europäische Komponisten-Enklave und vor allem als Zentrum der Anhänger Arnold Schönbergs im Exil – ein Ruf, für den die Musiklehrkraft Heinrich Jalowetz durch die Organisation eines Schön- berg gewidmeten Summer Music Institutes im Jahr 1944 hauptverant- wortlich zeichnete. Die schon für das Bauhaus konstatierte günstige Disposition zur Er- forschung künstlerischer Tendenzen war am BMC ebenso gegeben. Wie schon in der Schulsatzung von 1933 verankert, nahmen die Künste nicht nur einen gewichtigen Teil der Lehre ein, sondern bestimmten auch in fast ritueller Weise den Alltag (vgl. Kap. 3.3). Die Musik trug in dem einsam gelegenen College mit dazu bei, die Tage und Wochen durch wiederkehrende Ereignisse zu strukturieren. In Vorträgen, Konzerten und durch verschiedene Chor- und Ensemble-Angebote bekamen auch Laien einen Einblick in verschiedene Formen der Musik, sowohl traditioneller als auch avancierter Natur. In der von vielen Besuchern als musikalisiert empfundenen Atmosphäre entstanden zahlreiche Kompositionen und musikwissenschaftliche Arbeiten (vgl. Kap. 3.4). Das Zentrum experimenteller und interdisziplinärer Arbeiten war am BMC, wie zuvor am Bauhaus, die Bühne. Allerdings zeigte sich am College ein stärkerer Hang zur Praxis: Einmal gefasste Ideen wurde zumeist ohne Umschweife auf die Bühne gebracht. Dabei ergaben sich jedoch in musikalischer Hinsicht zunächst die gleichen Schwierigkeiten wie am Bauhaus. Alexander Schawinsky, der in Dessau unter Oskar Schlemmer gearbeitet hatte und 1938 an das BMC kam, suchte für seine abstrakten Bühnenstücke die Zusammenarbeit mit John Evarts, der am College Musik unterrichtete und nur nebenbei komponierte. Während die von Schlemmers Ästhetik geprägten Spectodramen und der Danse Macabre optisch überzeugten, empfand Evarts seine begleitenden Kla- vierimprovisationen gegenüber der bis dahin in Amerika ungekannten Radikalität der Bühnenabstraktion als rückständig. Ungeachtet dessen demonstrierten Schawinskys Arbeiten die guten Vorzeichen für gattungs- übergreifende Versuche, die am College bestanden (vgl. Kap. 3.5.a). Das Potenzial dieser Bedingungen wurde allerdings erst ein Jahrzehnt später voll ausgenutzt – nicht von den reformpädagogisch orientierten Kräften,

183 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE die sie geschaffen hatten, sondern von einer Gruppe aufbegehrender amerikanischer Avantgardisten, die ein Ende der 1940er Jahre entstande- nes Machtvakuum in der College-Führung für ihre Zwecke nutzten. 1949 gründete sich ein Light Sound Movement Workshop, der bis 1951 bestand (vgl. Kap. 3.5.c). Er wurde von Elizabeth Jennerjahn und ihrem Mann Pete Jennerjahn geleitet, der mit seinem Percussion- Workshop 1951 auch für die einzige experimentelle Ausnahme im offi- ziell erteilten Musikunterricht sorgen sollte. Der Light Sound Movement Workshop wurde zu einem Sammelbecken spontaner Kooperationen ganz unterschiedlicher Künstler: So initiierte der Dichter und zeitweilige Rektor Charles Olson 1951 das Projekt The Glyph, in welchem sein gleichnamiges Gedicht von einem Gemälde Ben Shahns, einer Komposi- tion Lou Harrisons und einer Choreographie von Katherine Litz assozia- tiv ergänzt wurde. Die abstrakten Performances des Workshops waren in ihrer Organisation der Bühnenelemente nach musikalischen Prinzipien sowohl vom Bauhaus als auch von John Cage beeinflusst, der das College zuerst 1948 besucht hatte. Obwohl Cage während seiner zwei Aufenthalte nur wenige Monate am BMC verbrachte, konnte er dort einige lang gehegte Pläne in die Praxis umsetzen, weil das College ihm in mehrfacher Hinsicht ideale Voraussetzungen bot: Schon das dem amerikanischen Pragmatismus entlehnte Lehrprinzip, die unmittelbare Erfahrung über die Vermittlung eines festgelegten Wissenskatalogs zu stellen, kam Cages wenig ehr- fürchtigem Umgang mit der musikalischen Überlieferung entgegen (vgl. Kap. 3.6). Einflüsse aus ganz unterschiedlichen Denkrichtungen nutzte er zur Konstruktion eines philosophischen Instruments, das es ihm erlaubte, Musik als entsubjektiviert zu denken. Dem zufälligen Charakter von Alltagsgeräuschen erteilte Cage den gleichen Stellenwert wie kompo- nierten Klängen. Er zielte damit nicht nur auf eine Abschaffung von Hierarchien zwischen Klängen, sondern auch zwischen Kunst und Alltag sowie Künstler und Publikum. Aus dieser Haltung sprach der Wille zur Emanzipation von der europäischen Kulturtradition, deren Repräsentan- ten bei Cages erstem Besuch 1948 am BMC noch massiv vertreten wa- ren. Als Akt der Auflehnung organisierte Cage am College ein Festival zu Ehren Erik Saties, der mit seiner Definition von Musik als alltägli- chem Gestaltungsmittel gegen den geschlossenen Werkbegriff der euro- päischen Ästhetik protestiert hatte. Im Rahmen des Satie-Festivals trug Cage eine Beethoven-Polemik vor, in der seine Haltung manifest wurde: Cage wollte kein American Salzburg, wie das College in der Presse schon betitelt worden war, sondern ein experimentelles Labor zur Erfor- schung neuer (amerikanischer) Musikformen.

184 FAZIT

Bei seinem zweiten Besuch am College 1952 führte Cage das spontan entwickelte Theatre Piece No. 1 auf: Unter den Mitwirkenden befanden sich David Tudor, Merce Cunningham, Buckminster Fuller und Robert Rauschenberg, die innerhalb ihnen zugeteilter Zeitabschnitt selbst be- stimmen durften, worin ihre Aktion bestehen sollte. Das Stück gilt durch seine offene und auf Gleichzeitigkeit ausgerichtete Anlage als Prototyp der Happenings, die in den 1960er Jahren weite Verbreitung fanden. Auch unter musikalischem Gesichtspunkt ist das Theatre Piece No. 1 in- teressant: In der Definition Cages hatte jedes Geräusch, das während der Aufführung zu hören war, als Musik zu gelten. Diese Strategie spiegelt sich idealtypisch in dem Stück 4’33“, welches Cage unmittelbar nach seiner Rückkehr vom BMC komponierte und das aus nichts anderem als den Geräuschen der Umgebung während einer festgelegten Zeitdauer be- steht. Im Hinblick auf die musikalischen Probleme der Theaterversuche am Bauhaus lässt sich konstatieren, dass Cage im Theatre Piece No. 1 einen einfachen Lösungsweg zur Integration einer gleichwertigen musikali- schen Ebene im nicht-narrativen Bühnenstück anbot: Mittels einer Ent- subjektivierung sämtlicher Vorgänge auf der Grundlage eines gemeinsa- men, per Zufallsmethode ermittelten Zeitrasters brachte Cage die Einzel- elemente auf eine gemeinsame Ebene.12 Die Verzeitlichung des Gesche- hens war dabei auch als Musikalisierung gedacht. Auch an der Bauhaus-Bühne arbeiteten Künstler wie Schlemmer und Kandinsky an einer Musikalisierung der Künste, vernachlässigten dabei aber die Musik selbst. Ein Grund dafür mag die fehlgehende Annahme gewesen sein, die Musik bedürfe keiner grundlegenden Erneuerung, weil sich ihre Leitbildfunktion ja darauf gründete, dass sie seit jeher abstrakt gewesen ist. Aus der mangelnden Beschäftigung mit dem Wesen der Klänge ergab sich die Schwierigkeit, dass die verfügbare Musik struktu- rell nicht zu den übrigen, rundum erneuerten Bühnenmitteln passte. Cage nimmt am BMC den überfälligen Schritt einer Neudefinition von Musik vor, indem er sie anders denkt: durch Emanzipation des Geräuschs, Ent- Personalisierung und den Wegfall von dramaturgischer Entwicklung. Er braucht für diesen Schritt den in Kapitel 3.5.a beschriebenen gedankli- chen Überbau, weil sich die Frage nach einer passenden Theatermusik nur philosophisch lösen ließ. So betrachtet, hat Cage im Theatre Piece No. 1 die Antwort auf eine der „richtigen fragestellungen“ (Moholy- Nagy) gegeben, die am Bauhaus aufgeworfen wurden.

12 Thomas Dreher stellte fest, dass bei Cage das „Gesamtkunstwerk der Bauhaus-Bühne [...] in simultane Präsentationen von isolierten Ereignissen“ zerfallen sei. Dreher 2001, S. 58.

185 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Eine weitere, in diesem Fall technisch zu lösende musikalische Problem- aufwerfung des Bauhaus wurde in Kapitel 4.1 behandelt: die der Klang- kontrolle. Durch den Einsatz von Sinustönen, deren Obertonspek- trum er genau bestimmen konnte, kam Karlheinz Stockhausen in den Elektronischen Studien (1953) der Forderung der seriellen Musik nach totaler Klangdetermination nach. Die rigorosen sowie fast zeitgleichen Musikentwürfe Stockhausens und Cages veranschaulichen einen grund- legenden Antagonismus, der sich an den gegensätzlichen Idealen der Naturbeherrschung im Serialismus und der Naturapotheose in der Zu- fallskomposition festmachen lässt. Obwohl sich beide Strömungen auf das Bauhaus zurückbeziehen lassen, spiegeln sie die fundamental unter- schiedlichen Auffassungen von avancierter Musik in Europa und Ameri- ka zu Beginn der 1950er Jahre. Als gemeinsamer Bezugspunkt beider Philosophien am Bauhaus lässt sich Moholy-Nagy einstufen, weil er sich sowohl mit Fragen der Klangkontrolle als auch mit abstrakten Bühnen- formen auf der Grundlage von Zeitrastern beschäftigte. Auch die musique concrète und die Medienkunst, die ebenfalls um 1950 ihren Ausgang nahmen, verweisen zurück auf das Bauhaus und Moholy-Nagys Versuche, das Grammophon als Instrument einzusetzen. Die Verbin- dungslinien und Überschneidungen kamen nicht zufällig zustande, son- dern sind Zeugnis vergleichbarer historischer Zeitpunkte: der Situationen nach beiden Weltkriegen, als zahlreiche Künstler das Empfinden des Beginns einer neuen Zeitrechnung zum Anlass für radikale Aufbrüche nahmen. Dass nicht nur die beschriebenen Ansätze Cages und Stockhausens mit Ideenmaterial arbeiteten, dass am Bauhaus mitgeformt worden war, wurde in Kapitel 4.2 angedeutet: Auch die Aktionskunst, die Raumkom- position und die Klangkunst der 1950er und 1960er Jahre trugen Antizi- pationen aus Weimar und Dessau in sich. Diesen Entwicklungen war gemein, dass die innere Logik des Werkes, welche die serielle Komposi- tionsmethode geprägt hatte, zugunsten einer Aufwertung der subjektiven Wahrnehmung des Publikums zurücktrat. Edgard Varèse, Le Corbusier und Iannis Xenakis evozierten mit ihrem Phillips-Pavillon auf der Welt- ausstellung 1958 in Brüssel Assoziationen an die Totaltheater-Entwürfe der 1920er Jahre; Stockhausen verwirklichte 1970 die am Bauhaus wei- terentwickelte Vorstellung von einem Kugeltheater. Die Fluxus-Bewe- gung schloss an Cages Modifikationen des abstrakten Bühnenwerks an; auch die an der Bauhaus-Bühne verfolgte Untersuchung der elementaren Ausdrucksmittel gehörte zu den bestimmenden Fluxus-Themen. In Stockhausens Fluxus-Bühnenwerk Originale zeigte sich 1961 eine An- näherung seiner ehemals materialästhetisch geprägten Position an die of- fene Ästhetik Cages. Die Verwendung einer Koordinationspartitur ver-

186 FAZIT weist in diesem Werk auf die entsprechenden Versuche Lothar Schreyers und anderer an der Bauhaus-Bühne. Die Ende der 1960er Jahre einsetzenden Klanginstallationen schlie- ßen gleichermaßen an Saties akustische Gestaltung des öffentlichen Raumes und Cages Versuche der Sensibilisierung des Publikums für die Geräusche der Umgebung an. Als Wahrnehmungsexperimente kombinie- ren viele solcher Arbeiten die Wechselwirkung zwischen der akustischen und visuellen Ebene mit den speziellen Gegebenheiten des Ortes. Noch bei Kandinsky war der Rezipient ein kontemplativ Versunkener, der die codierte Intention des Künstlers zu entschlüsseln hatte. Die Klangkunst schafft im Vergleich dazu nur noch Rahmen, in denen das Publikum da- zu angeregt wird, über die eigene Position in der umgebenden, realen Situation nachzudenken. Noch immer steckt in der Strategie zur „Desautomatisierung der Wahrnehmung“13 auch die Notwendigkeit zu einer Neupositionierung des Betrachters nach dem Wegfall der Zentral- perspektive. Der Verzicht auf dieses ordnende Stilmittel war durch die zunehmende Unübersichtlichkeit der modernen Lebenswelt motiviert worden – die Klangkunst ist gehört zu den Versuchen, die Zentral- perspektive durch eine andere, zeitgemäßere Ordnung zu ersetzen. Ein weit weniger ausgeprägtes Ordnungsbedürfnis spricht aus einem Großteil der heutigen, massenhaften Produktion multimedialer Kunst- äußerungen: Inhaltliche Überlegungen hinsichtlich der Betrachterposition oder des Verhältnisses der Disziplinen zueinander werden hier durch ei- nen nivellierten Strom an Bildern und Klängen ersetzt. Angesichts der unreflektierten Gattungsüberschreitung, die sich etwa im kommerziellen Videoclip manifestiert, wurde in Kapitel 4.3 noch einmal die Frage nach den Grenzen der Künste diskutiert. Dies geschah anhand der Schrift Über einige Relationen zwischen Musik und Malerei von Theodor W. Adorno, die innerhalb der vorliegenden Arbeit einen Bogen zurück zu Lessing und seiner im Laokoon postulierten Gattungstrennung schlägt. Adorno stellt fest, dass jeder Versuch einer Annäherung zwischen den Künsten in nur äußerlicher Nachahmung verbleiben muss. Die einzige Möglichkeit zur Konvergenz bestehe in der Konzentration auf das eigene Material. Er kritisiert sowohl die Strategie der Farbe-Klang-Zuordnung als auch die künstlerische Auflösung der Kategorien Zeit und Raum. Als Ergänzung zur positiven Darstellung des raum-zeitlichen Ansat- zes in Kapitel 2.4.e soll hier festgestellt werden, dass Adorno mit seinem zur Vorsicht mahnenden Text einen wichtigen Hinweis gibt: Auch die Konzentration auf das Einzelphänomen ist ein fruchtbarer Ausgangs- punkt für interdisziplinäre Unternehmungen – zumal solche, denen es um eine Rückgewinnung der Ordnung geht, welche das Bauhaus trotz aller

13 Sanio 1999, S. 76.

187 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE multimedialen Bestrebungen grundsätzlich ausgezeichnet hat. Durch den Hang zur Reduktion, zur Strenge und Objektivierung schufen sich Künstler in Weimar, Dessau und Black Mountain eine solide Basis für Ausflüge ins Ungewisse. Bei aller Wertschätzung der Arbeit am Material äußert sich Adorno kritisch zur „absoluten Verfahrungsweise“14 in der seriellen Musik, denn in der totalen Klangkontrolle vermutet er das Unkünstlerische. Schon als Adorno den Text 1965 verfasste, hatte die Klangdetermination allerdings für viele Komponisten an Reiz eingebüßt; diese Tendenz hat seither an- gehalten, nach Adorno vermutlich bedingt durch die Erkenntnis, dass im Zustand der absoluten Kontrolle der künstlerische Handlungsspielraum knapp wird. Zum Ende von Kapitel 4.3 wurde die benachbarte Frage aufgeworfen, ob es eine totale Verfügung über den Klang je gegeben hat und überhaupt geben kann, oder ob jeder so geartete Versuch nicht viel- mehr immer nur von der Güte des Gegenbeweises abhängt. Resoluter formuliert: Ein definitiver Beweis der Klangkontrolle ist mutmaßlich ebenso wenig zu führen wie der Beweis zur Identität von Farbe und Klang oder der Korrektheit künstlerischer Bezüge zwischen Zeit und Raum. Auch die Kontrolle ist im ästhetischen Rahmen lediglich eine relative Kategorie.15 Das Zwischenfazit aus Kapitel 2.6, dem Bauhaus habe es in erster Linie an der nötigen Technik zur (total kontrollierten) Musikproduktion gefehlt, soll aus diesem Grund nicht ganz revidiert, aber doch relativiert und durch eine viel einfachere Diagnose ergänzt werden: Vielleicht ermangelte es der Bauhaus-Musik schlicht am richtigen Personal. Dass weder Josef Matthias Hauer noch Arnold Schönberg das Bauhaus für längere Zeit besuchten, obwohl beide eine Weile mit dem Gedanken ge- spielt haben, dort zu lehren und zu arbeiten (vgl. Kap. 2.2), ist für die Musik – die dortige, aber auch die Musik als solche – als zweifach verpasste Chance zu bewerten. Um so erstaunlicher wirkt es, dass vom Bauhaus trotzdem die hier erläuterten musikalischen Anregungen ausge- hen konnten. In seinem programmatisch betitelten Text The Future of Music: Credo zeichnete John Cage 1937 das Bild einer zukünftigen Klang- gestaltung, die er in Anlehnung an Edgard Varèse nicht mehr als Musik, sondern als „organization of sound“ bezeichnet wissen wollte. Die Chance zu ihrer Verwirklichung knüpfte er an eine Bedingung:

14 Adorno 1978b, S. 642. 15 Das Begehren nach diesem unerreichbaren und künstlerisch nicht einmal wünschenswerten Hochziel mag am Bauhaus durch die Nähe zur Architektur entstanden sein, der dort die Rolle als gemeinsames Dach aller Künste angetragen worden war und deren Metier die Berechnung ist.

188 FAZIT

„Before this happens, centers of must be established. In these centers, the new materials, oscillators, turntables, generators, means for amplifying small sounds, film phonographs, etc., available for use. Com- posers at work using twentieth-century means for making music. Perform- ances of results. Organization of sound for extra-musical purposes (theatre, dance, radio, film).”16

Legt man Cages Interesse am Austausch zwischen den Künsten zugrun- de, scheint es eine Einrichtung ähnlichen Geistes gewesen zu sein, die Kandinsky im Sinn hatte, als er 1923 in dem Aufsatz Über die abstrakte Bühnensynthese forderte:

„Es sollen Theaterlaboratorien veranstaltet werden, wo einzelne Elemente im Sinne und zum Zweck des Theaters geprüft werden sollen [...] – Farbe, Klang, Bewegung in daraus entstehenden Zusammenhängen und zeitlichen Zusammenwirkungen.“17

Sowohl das Bauhaus als auch das Black Mountain College wiesen Züge der hier imaginierten Laboratorien auf. Die anhaltende Nachwirkung beider Schulen deutet an, dass es sich um Modelle von überzeitlicher Brauchbarkeit handelt, deren musikalisches Potenzial bis heute unausge- schöpft ist.

16 Cage 1991, S. 57. 17 Kandinsky 1973, S. 83 (Hervorhebung dort).

189

NACHSCHRIFT

Ursprünglich war es meine Absicht, auch das Chicagoer New Bauhaus (gegründet 1937) und die Ulmer Hochschule für Gestaltung (1953 bis 1968) ausführlich in die Untersuchung mit einzubeziehen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage, besonders bezüglich der Musik, habe ich schließlich Abstand davon genommen. Was für diesen zusammenfassen- den Abschnitt zur Situation an beiden Institutionen bleibt, ist eine Andeutung davon zu geben, dass Musik auch in Ulm und Chicago aus- führlich diskutiert wurde – wenn sie wenig belegbaren Widerhall in der künstlerischen Praxis gefunden hat, so ist dies auch einer Beschränkung auf gestalterische Kernkompetenzen zuzuschreiben, die sich hier wie dort vor allem aus finanziellen Sachzwängen ergab.

Das New Bauhaus in Chicago (School of Design/ Institute of Design)

László Moholy-Nagy hatte schon am Bauhaus zu den visionärsten Kräf- ten gehört – auch in Fragen der Musik (vgl. Kap. 2.6). Walter Gropius bat ihn 1937 erfolgreich, die Leitung des geplanten New Bauhaus in Chicago zu übernehmen. Gegen Ende seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus in Dessau hatte Moholy-Nagy den Trend zum Spezialistentum kritisiert. Die Ausbildung in Chicago war deshalb in allgemeinbildende Studien eingebettet. Hin- sichtlich des strukturellen Rahmens war die Schule jedoch kein idealisti- sches Projekt. Mit der Chicago Association of Arts and Industries stand eine dem Deutschen Werkbund vergleichbare Vereinigung mit wirt- schaftlichem Interesse hinter der Gründung. Von Beginn an war das New Bauhaus daher dem Druck ausgesetzt, marktgängige Entwürfe liefern zu müssen. Während des Zweiten Weltkriegs entstand sogar eine Abteilung zur Entwicklung von militärischer Camouflage-Technik. Die finanzielle Grundlage der Schule blieb Zeit ihres Bestehens gefährdet.1

1 Hierzu und zum Folgenden vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 66 f. sowie Hahn 1988, S. 100 ff.

191 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Schon ein Jahr nach der Gründung wurde das defizitäre New Bauhaus zum ersten Mal geschlossen. Die Wiedereröffnung als School of Design erfolgte 1939. Noch unter dem Direktorat Moholy-Nagys kam es 1944 zu einer weiteren Einstellung des Lehrbetriebs mit anschließender Umbe- nennung der Schule: Das Institute of Design wurde 1949 dem Illinois Institute of Technology angegliedert, das seinerzeit unter der Leitung des ehemaligen Bauhaus-Direktors Mies van der Rohe stand. Der Musikunterricht am New Bauhaus und seinen Nachfolgeein- richtungen wurde von zeitgenössischen Komponisten sowie von Musik- professoren anderer Hochschulen abgehalten. Der Musikpädagoge David Dushkin leitete zwischen 1937 und 1941 „Workshops for Music“, in denen er Musik analysieren und spielen ließ, aber auch den Bau einfa- cher Instrumente anleitete, die anschließend für grundlegende Klangex- perimente genutzt wurden.2 Das ausführlichste Dokument zu Dushkins Unterricht wie überhaupt zur Musik in der Chicagoer Bauhaus-Nach- folge stammt von Moholy-Nagy. In seiner ästhetischen Grundsatzschrift Vision in Motion beschrieb er kurz vor seinem Tod den musikalischen Anteil der Lehre zur Gründungszeit: „When [the school] was founded, music was one of the required classes – as essential as other arts for a basic training.” Im Weiteren zitiert Moholy-Nagy David Dushkins Aus- führungen zur Musiklehre von 1938. Sie sollen hier in voller Länge wie- dergegeben werden. Dushkin stellt zunächst die dreiteilige Anlage des Unterrichts vor:

„The course is designed to promote the understanding and enjoyment of mu- sic by a three-fold participation: first, through musical crafts; second, through playing, and third, through analytic listening. In order to make the first type of participation possible, a study is made in the workshop, of the tonal characteristics of common materials such as vari- ous types of wood and metal, etc., with the attempt to adapt them to musi- cal uses by giving them definite pitch and providing resonance. In addition to these more common materials, others such as reeds, strings, tubes and skins are studied from the same point of view. A specific way in which these stu- dies are realized, for example, is the formation of a diatonic scale of one octave, using any one of the tonal media mentioned above or others. Problems involving a more developed study of instrumental design and the acoustical and musical properties of the more developed instruments have not yet been entered into, since a proper understanding of these involves considerably more background and time for investigation and analysis. It is possible that some students more interested in this phase of music can make further studies.

2 Ebd., S. 253 f.

192 NACHSCHRIFT

Second, the students have been loaned instruments, either which utilized knowledge previously acquired – for example, piano, violins, cellos – or in- struments that could be mastered under the time limitations imposed by their other activities – for example, recorders and straight flutes. In the analytic phase, the basic materials of music (rhythm, melody, scale and tonal characteristics, harmony and form) are discussed and illustrated. The emphasis here is analysis through hearing rather than through purely mental concepts. Hence, the ability to recognize rhythmic patterns, melodic and tonal characteristics and the elements of form and harmony should be the ability to recognize them when sounded rather than when seen on pa- per.”

Dushkins Erläuterungen verdeutlichen die praktische Orientierung und niedrige Zugangsvoraussetzung seines Unterrichts – ein Ansatz, der auch die Grundlage der Musikangebote am Black Mountain College (BMC) bildete. Tatsächlich beschließt Dushkin seine Darstellung mit einer Be- merkung, die an den musikalisierten Alltag am BMC denken lässt (vgl. Kap. 3.3.b):

„Almost everyone in the school is at present playing some kind of musical in- strument, the more advanced meeting together for orchestra playing while the less advanced play only in sections of their particular instrument and join the orchestra when ready. In the study of the nature of music itself, also, it should be possible for stu- dents with a richer background and with exceptional musical energy to take more advanced work. A number of requests have already been made for opportunities of this kind.”3

Duskins Beschreibung zeichnet das Bild einer lebendigen Musikpraxis am New Bauhaus – dass sie zu interdisziplinärem Austausch führte, muss an dieser Stelle eine nahe liegende Vermutung bleiben. Nach seinem Weggang wurde David Dushkin als Musiklehrkraft von John Cage ersetzt. Cage war 1941/42 in Chicago als „Dozent für Tonex- perimente" beschäftigt. Zuvor war sein Vorschlag, an der School of Design ein groß angelegtes Zentrum für experimentelle Musik einzu- richten, gescheitert:

„I wrote letters […] to corporations and universities all over the country trying to establish a Center for Experimental Music, and didn’t get any- where. The University of Iowa’s psychology department was interested […]. So was Moholy-Nagy at the School of Design in Chicago. But none of these

3 Moholy-Nagy 1947, S. 65 f.

193 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE people had any money. They said, if I could raise the money to establish it, they would be willing to have it as part of their activities. For two years I kept trying to do that, and that’s when I, so to speak, didn’t get any- where.”4

Cages zeitweilige Aufnahme in den Lehrkörper belegt Moholy-Nagys Interesse am musikalischen Experiment. Sein kurzes Fazit zu Cages kaum dokumentierter Arbeit an der School of Design deutet darauf hin, dass Cage zumindest im Instrumentenbau die Unterrichtstradition seines Vorgängers weiterführte: „John Cage took up the teaching of music which then became an elective subject. The group formed by him ex- celled in improvisations with self made percussion instruments.”5 Lakonisch beschrieb Moholy-Nagy 1946 das vorläufige Ende der Musik als offiziellem Teil der Lehre am Institute of Design: „Meanwhile, music had to be dropped from the curriculum (mainly for economic rea- sons) except for casual lectures and concerts.”6 Nach Moholy-Nagys Tod lehrte die aus Ungarn stammende Margit Varro Musik im Rahmen der Cultural Studies (1948 bis 1953). Das Institute of Design besteht noch heute als Teil des Illinois Institute of Technology – ohne integrier- ten Musikunterricht.

Die Hochschule für Gestaltung in Ulm

Die Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) wurde mit dem Anspruch gegründet, einen Beitrag für den geistigen Neuanfang in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu leisten. Das Bauhaus galt nun weithin als Symbol eines aufgeklärten, „besseren“ Deutschlands.7 Die Schul- gründung ging auf das Betreiben Inge Scholls zurück, der Schwester von Sophie und Hans Scholl, die als Mitglieder der Widerstandsbewegung Weiße Rose 1943 von den Nationalsozialisten hingerichtet worden wa- ren. Zusammen mit dem Grafiker Otl Aicher erarbeitete Inge Scholl das Konzept einer freiheitlich ausgerichteten Schule zur politischen wie technischen Bildung. Gründungsrektor der HfG war der Maler, Bildhauer und ehemalige Bauhaus-Schüler Max Bill. Zur Eröffnung verortete er die Hochschule in einer klaren Traditionslinie: „Die Schule ist die Weiterführung des Bau- haus (Weimar-Dessau-Berlin). Neu hinzugekommen sind jene Aufga-

4 Cage im Interview mit Richard Kostelanetz (1984), zitiert nach: Kostelanetz 2003, S. 10 f. 5 Moholy-Nagy, ebd. 6 Ebd. 7 Fiedler/Feierabend 1999, S. 74.

194 NACHSCHRIFT bengebiete, denen vor zwanzig bis dreißig Jahren im Rahmen der Ge- staltung noch nicht die heutige Bedeutung beigemessen wurde.“8 Mit seinem Verweis auf die neu hinzukommenden Aufgabengebiete deutete Bill auf die Intellektuelle Integration hin, einen Teil des Lehrpro- gramms, der es dem modernen Gestalter erlauben sollte, sein Tun reflek- tieren und als gesellschaftlich relevant erkennen zu können; Kenntnisse aus allen Wissenschaftsbereichen sollten die Studenten zudem unemp- findlich gegen ideologische Einflussnahme machen. Zu den vom Bauhaus übernommenen Lehrinhalten kamen Gastvorträge von Professo- ren unterschiedlicher Fachrichtungen. Vorlesungen in den Fächern Öko- nomie, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Zeit- und Kunstgeschichte waren für alle Studenten verpflichtend. Umfassender als am Bauhaus wurde damit in Ulm die Einheit von Kunst, Wissenschaft und Politik propagiert. Max Bill hatte über Jahre in engem Austausch mit Moholy- Nagy gestanden, und der Lehrplan der frühen HfG orientierte sich stark an dem des Institute for Design.9 Parallelen zum Bauhaus zeigten sich alsbald in den Auseinanderset- zungen um die inhaltliche Ausrichtung der Schule. Max Bills Hauptan- liegen bestand in der Gestaltung von Alltagsgegenständen als künstle- risch wertvolle Kulturgüter. Jüngere Lehrkräfte wie Tomás Maldonado pochten dagegen auf die Orientierung der Ausbildung an streng wissen- schaftlich-technischen Standards sowie der zukünftigen Arbeit des Gestalters in der freien Wirtschaft – eine Tendenz, die sich nach Bills Weggang 1956 unter Maldonados Direktorat in zahlreichen Auftragsar- beiten für externe Unternehmen (etwa die Braun AG) äußerte.10 Zum festen Kreis der HfG-Dozenten gehörten Jürgen Uhde von der Stuttgarter Hochschule für Musik sowie der Komponist Helmut Lachen- mann. Beide referierten regelmäßig über musiktheoretische Grundlagen. Uhdes Lehrauftrag lief von 1958 bis 1961, Lachenmanns von 1963 bis 1968. Darüber hinaus kamen Gastdozenten für die allgemeinbildenden Mittwoch-Seminare nach Ulm. Auch der Komponist Mauricio Kagel hielt Seminare ab, betreute Diplomarbeiten und schrieb für die Hoch- schulzeitschrift Ulm, etwa einen Aufsatz mit dem Titel Zur musikali- schen Graphik (Ausgabe 7/1962). Allgemein lässt sich zum Musikunter- richt an der HfG eine ähnliche Feststellung treffen wie zu dem am BMC (vgl. Kap. 3.2.c): Trotz bekannter Lehrkräfte, die in ihren eigenen Arbeiten stets neue Formen erprobten, verblieb der Unterricht im allge- mein einführenden Rahmen – auch aufgrund eines zeitlich begrenzten Umfangs von wenigen Stunden pro Semester. Musikalisch innovativere

8 Bill, Max: Form, Basel: Werner 1952a, S. 167. Anlässlich der Eröffnung komponierte Wladimir Vogel als Auftragsarbeit ein Bläserseptett. 9 Vgl. Hahn 1988, S. 90. 10 Vgl. Fiedler/Feierabend 1999, S. 74 ff.

195 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Ansätze finden sich an der HfG – eine weitere Parallele zum BMC – außerhalb des Musikunterrichts, nämlich in der Arbeit der Filmabteilung. Der Ulmer Filmunterricht kam durch seine beiden Dozenten, Alexander Kluge und Edgar Reitz, zu einiger Berühmtheit. 1962 hatten beide das Oberhausener Manifest mit verfasst, in dem die Erneuerung des deutschen Films gefordert wurde. Eines der Hauptanliegen der Un- terzeichner war die Schaffung einer Ausbildungsstätte für junge Filmer. Die Gründung des Instituts für Filmgestaltung als Teil der HfG galt 1963 als einstweilige Einlösung dieser Forderung.11 Kluge und Reitz waren zu dieser Zeit nicht nur stark von der Kri- tischen Theorie der Frankfurter Schule beeinflusst, sondern auch von musikalischen Prinzipien. 1965 schrieb Reitz der Musik eine „Vorreiter- rolle“ für den Film zu12, und Alexander Kluge behauptete: „Richard Wagner versteht vom Film soviel mehr, als ganz Hollywood davon ver- steht.“13 Noch 1995 reflektierten Kluge und Reitz ihre Musikbegeiste- rung auf eine Weise, die an die euphorische Begrüßung des abstrakten Films als „Augenmusik“ um 1920 denken lässt (vgl. Kap. 2.4.c):

Edgar Reitz: „Was hat Film mit Musik gemeinsam? Gibt es nicht grundlegende Unterschiede?“ Alexander Kluge: „Ich sehe keinen Unterschied. Die Bilder, die Bewegung des Lichts, sind auch musikalisch. Musik macht man nicht nur mit Geigen oder Orchester, sondern sie ist alles, was sich in einer konstruktiven Weise poly- phon bewegen kann, und das können Filmbilder genauso. Der Film ist eigent- lich ein Zweig der Musik. Er ist in meinen Augen überhaupt nichts, was nen- nenswert mit Photographie zu tun hat.“14

Die am Ulmer Institut produzierten Filme spiegeln die Orientierung an der Musik auf unterschiedliche Weise: In den ersten Jahren entstanden hauptsächlich kurze Filmarbeiten, die sogenannten „Miniaturen“, die mitunter zu längeren Filmen von episodenhaftem Charakter zusammen- gefügt wurden. Es galt die Forderung nach Auflösung narrativer Logik: Der Betrachter sollte die dargestellten Wirklichkeitsfragmente in seiner

11 Schon seit 1961 wurde an der HfG Film unterrichtet. Erst mit der Einstellung von Reitz und Kluge wurde der Filmabteilung jedoch größere öffentliche Aufmerksamkeit zuteil. Vgl. Kluge u.a.: Anschauung und Begriff. Die Arbei- ten des Instituts für Filmgestaltung Ulm 1962-1995. (Ausstellungskatalog), Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft 1995, S. 15. 12 Reitz, Edgar: Liebe zum Kino. Utopien und Gedanken zum Autorenfilm, 1962- 1983, Köln: Verlag Köln 78 1984, S. 25. 13 Amberg, Elke: Der eigene Weg der Abteilung für Filmgestaltung an der Ulmer Hochschule für Gestaltung (Magisterschrift), München: 1989, S. 71. 14 Reitz, Edgar: Bilder in Bewegung. Essays. Gespräche zum Kino, Hamburg: Rowohlt 1995, S. 81 f.

196 NACHSCHRIFT

Fantasie neu kombinieren. Diese inhaltliche Taktik führte technisch zu abstrakten Schnittfolgen, die sich „augenmusikalisch“ deuten lassen. Zum anderen stand der Filmabteilung von 1963 bis 1966 ein Studio für elektronische Musik zur Verfügung, in dem die Tonspuren einiger Filme produziert wurden. Das Studio war ein Geschenk der Firma Siemens an die Geschwister-Scholl-Stiftung und stand unter der künstle- rischen Leitung des Münchener Komponisten Josef Anton Riedl, des Begründers der einflussreichen Konzertreihe Neue Musik München – Klang-Aktionen. Riedl schrieb seit den frühen 1950er Jahren zahlreiche Stücke für Schlagzeug sowie Lautgedichte, elektronische und konkrete Musik. Als eine seiner wichtigsten Arbeiten der 1960er Jahre gilt der Soundtrack für Solo-Schlagzeug zu dem Film Geschwindigkeit von Edgar Reitz (1963). Mit seinen hektischen Impressionen aus der techni- schen Welt beruhte der Film auf einer rasanten Schnittfolge (347 Schnitte in 13 Minuten), die sich eng an Riedls Partitur hielt.15 1965 entstand das Projekt Varia Vision, eine Auftragsarbeit für die Deutsche Bundesbahn, zu der Josef Anton Riedl eine elektronische Komposition beisteuerte. Anlässlich der Internationalen Verkehrsaus- stellung war dieses „Experiment für hundert Tage“ in einer eigenen Halle installiert: 16 unterschiedliche Filmschleifen wurden dafür auf 16 dreh- bare Leinwände projiziert, die der Architekt Paolo Nestler entworfen hatte. Riedls grafische Partitur war als musikalischer „Schnittplan“ minutiös auf die Bilder abgestimmt. Von Alexander Kluge verfasste Assoziationen zu einer Bahnfahrt schallten zusammen mit Riedls elektronischen Klängen über Lautsprecher in den Raum.16 Varia Vision trägt in seiner Demonstration von Bewegung und Gleichzeitigkeit durchaus etwas vom abstrakten Gesamtkunstwerk in sich, wie es etwa von Moholy-Nagy an der Bauhaus-Bühne erträumt wurde (vgl. Kap. 2.5.b). Eine vertiefende Systematisierung der struktu- rellen Zusammenhänge zwischen den Künsten fand in Ulm jedoch nicht statt; trotz einiger Filmarbeiten, aus denen sich ein musikalischer Bezug herauslesen lässt, blieb die „Vorreiterrolle“ der Musik für den Film ein Schlagwort. Die historische Leistung der Ulmer Filmabteilung liegt weniger in der Erarbeitung interdisziplinärer Ansätze, sondern vielmehr in ihrem Beitrag zu einer neuen Filmsprache. Das Institut für Filmge- staltung widmet sich als eigenständige Stiftung seit 1995 Entwicklungen im Bereich Neuer Medien. Die HfG wurde dagegen 1968 geschlossen, nachdem die Landesregierung von Baden-Württemberg der Schule eine weitere finanzielle Unterstützung versagt hatte.

15 Vgl. Rauh, Reinhold: Edgar Reitz. Film als Heimat, München: Heyne 1993. 16 Vgl. Reitz, Edgar/Nestler, Paolo: Varia Vision (Ausstellungsbroschüre), München: Deutsche Bundesbahn 1965 (ohne Paginierung).

197

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Black Mountain College-Papers, North Carolina State Archives, Raleigh

College-Veröffentlichungen

BMC Catalogue, Winter 1933. BMC Newsletter, Dezember 1938. BMC Newsletter, November 1941. BMC Bulletin, April 1942. BMC Bulletin, Dezember 1942. BMC Bulletin, 3. Januar 1943. BMC Bulletin, 5. Juni 1943. BMC Bulletin, Januar 1944. BMC Bulletin, 7. Februar 1944. BMC Newsletter, April 1944. BMC Bulletin, 4. September 1944. BMC Bulletin, 30. Oktober 1944. BMC Bulletin, 20. November 1944. BMC Bulletin, 27. November 1944. BMC Newsletter, April 1945. BMC Newsletter, August 1945. Konzertprogramm, 15. Juni 1946. BMC Bulletin, 17. Januar 1947. BMC Bulletin, Juli 1950. BMC Bulletin, August 1950. BMC Bulletin, November 1951.

199 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Briefe

John Evarts an John Rice, 7. September 1933. Arnold Schönberg an Frederick Mangold, 17. Mai 1939. Robert Wunsch an Charlotte B. Chorpening, 16. November 1939. John Evarts an Bruce Simonds, 1. Oktober 1941. Eric Bentley an Frederick Mangold, 22. April 1942. Theodore Dreier an Eric Bentley, 3. Dezember 1942. Heinrich Jalowetz an Arnold Schönberg, Herbst 1945. Jane Mayhall an Anna Hines, 1. Oktober 1972.

Unveröffentlichte Manuskripte

Evarts, John: Music at BMC, 1933-1942: Paris 1971. Hines, Anna M.: Music at Black Mountain College. A Study of Experi- mental Ideas in Music (Dissertation), Kansas City: 1973. Schawinsky, Alexander: My 2 years at Black Mountain College, N.C.: 1973.

Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften

N.N.: An American Salzburg, in: Asheville Citizen-Times, 9. September 1945. Clayre, Alasdair: The Rise and Fall of BMC, in: The Listener, 27. März 1969. Dewey, John: Democracy for the Teacher, in: Progressive Education 8, März 1931. Jalowetz, Heinrich: On the Spontaneity of Schoenberg’s Music, in: The Musical Quarterly 30, Oktober 1944, S. 385-408. Lowinsky, Edward: Music History and Its Relation to the History of Ideas, in: Music Journal 4, November 1946. Rice, John Andrew: Black Mountain College, in: Progressive Education 11, September 1933. Richards, M.C.: The Theater of Antonin Artaud, in: Ararat: A Decade of Armenian-American Writing: New York 1969, S. 347-354. Schawinsky, Alexander: Spectodrama: ‚Play, Life, Illusion’ (1924-37), in: Form 8, September 1968. Sessions, Roger: Report on Black Mountain, in: New York Times, 24. September 1944.

200 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Interviews (Interviewer in Klammern)

Cage, John (Mary Emma Harris), 1. Mai 1974. Dawson, Fielding (Mary Emma Harris), 1. Dezember 1975. Fuller, Buckminster (Mary Emma Harris), ohne Datum. Harrison, Lou (Mary Emma Harris), 5.1.1972. Jennerjahn, Pete (Mary Emma Harris), 28. Juni 1981. Litz, Katherine (Huston Paschal), 16. Mai 1972. Moellenhoff, Fritz (Mary Emma Harris), 4. November 1971. Rice, Dan (Mary Emma Harris), April 1976. Schmitt Jennerjahn, Elizabeth (Mary Emma Harris), 28. Juni 1981. Swackhammer, Egbert (Mary Emma Harris), 14. Januar 1972.

Partitur

Harrison, Lou: The Glyph (Kopie). 1951.

Interne Dokumente

Faculty Meeting Minutes, 24. April 1944. Board of Fellows Minutes, 18. August 1944. Summer Institute File, August 1945. Examination Files. Tentative Program for 1949-1950.

Literatur

Adorno, Theodor W.: Philosophie der neuen Musik, Frankfurt: Suhr- kamp 1978a. Adorno, Theodor W.: Musikalische Schriften I-III: Klangfiguren. Quasi una fantasia. Musikalische Schriften (Gesammelte Schriften, Band 16), Frankfurt: Suhrkamp 1978b. Adorno, Theodor W.: Entwürfe, Exposés, Memoranden (Gesammelte Schriften, Band 19), Frankfurt: Suhrkamp 1984. Albers, Josef: Why I favor Abstract Art, in: 4 Painters: Albers Dreier Drewes Kelpe (MoMA-Katalog), New York: 1936. Albers, Josef: Interaction Of Colour, New Haven: Yale University Press 1963.

201 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Allende-Blin, Juan: Gesamtkunstwerke – von Wagners Musikdramen zu Schreyers Bühnenrevolution, in: Günther, Hans (Hrsg.): Gesamt- kunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos, Bielefeld: Aisthesis 1994, S. 175-183. Amberg, Elke: Der eigene Weg der Abteilung für Filmgestaltung an der Ulmer Hochschule für Gestaltung (Magisterschrift), München: 1989. Anschütz, Georg (Hrsg.): Farbe-Ton-Forschungen. Band 3, Hamburg: 1931. Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double, Frankfurt: Fischer 1979. Becker-Carsten, Wolfgang (Hrsg.): Musik und Maschine (Programmheft Kölner Philharmonie 15.10.1988), Köln: 1988. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt: Suhrkamp 1963. Bergson, Henri: Schöpferische Entwicklung, Jena: Diederichs 1921. Bill, Max: Form, Basel: Werner 1952a. Bill, Max: Einführung, in: Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli 1952, S. 5-16. Bill, Max: Einführung, in: Kandinsky, Wassily: Punkt und Linie zu Flä- che, Bern: Benteli 1969, S. 7-10. Bilzer, Bert/Eyssen, Jürgen/Stelzer, Otto (Hrsg.): Das große Buch der Kunst, Braunschweig: Westermann 1958. Blawatzky, H.P.: Der Schlüssel der Theosophie, Leipzig: Altmann 1907. Bloch, Ernst: Geist der Utopie, Berlin: Cassirer 1923. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zu einer neuen Ästhetik, Frank- furt/Main: Suhrkamp 1995. Böhmer, Konrad: Zur Theorie der offenen Form in der Neuen Musik, Darmstadt: Tonos 1967. Bogner, Dieter: Musik und bildende Kunst in Wien, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahr- hunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 346-353. Bogner, Dieter: Eine Musikschule für Weimar?, in: Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Johannes Itten (Ausstellungskatalog), Wei- mar: Hatje 1994, S. 364-373. Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Johannes Itten, Weimar: Hatje 1994. Boulez, Pierre: Werkstatt-Texte, Frankfurt/Main: Ullstein 1972. Boulez, Pierre: Anhaltspunkte. Essays, Stuttgart, Zürich: Belser 1975. Brauneck, Manfred: Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle, Hamburg: Rowohlt 1982. Brecht, Bertolt: Werke. Band 21, Schriften 1, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1992.

202 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Brody, Martin: The Scheme of the Whole: Black Mountain and the Course of American Modern Music, in: Katz, Vincent (Hrsg.): Black Mountain College – Experiment in Art, Cambridge: MIT Press 2002, S. 237-268. Cage, John: Silence. Lectures and Writings, Middletown/Connecticut: Wesleyan University Press 1986. Cage, John: The Future of Music: Credo, in: Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. An Anthology, New York: Da Capo Press 1991a, S. 54-57. Cage, John: Defense of Satie, in: Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. An Anthology, New York: Da Capo Press 1991b, S. 77-84. Clarkson, Austin: Stefan Wolpe – eine biografische Skizze, in: Stefan Wolpe: Berlin – Jerusalem – New York, Berlin: Konzerthaus Berlin 2002, S. 2-9. Dahlhaus, Carl: Musikästhetik, Köln: Gerig 1976. Daniels, Dieter (Hrsg.): Fluxus – ein Nachruf zu Lebzeiten (Kunstforum Band 115), Köln: Kunstforum 1991. Dewey, John: Democracy and Education, New York: The Macmillan Company 1916. Dewey, John: Art as Experience, New York: Minton 1934. Dexel, Walter: Der Bauhausstil – Ein Mythos. Texte 1921-1965, Starn- berg: Keller 1976. Dibelius, Ulrich: Moderne Musik nach 1945, München: Piper 1998. Dömling, Wolfgang: Wiedervereinigung der Künste. Skizzen zur Ge- schichte einer Idee, in: Schmierer, Elisabeth u.a.: Töne, Farben, For- men. Über Musik und die bildenden Künste, Laaber: Laaber 1995, S. 119-126. Dömling, Wolfgang: „Die reine abstrakte Form des Theaters“. Kandins- ky, Schönberg und das experimentelle Theater, in: Floros, Constan- tin/Geiger, Friedrich/Schäfer, Thomas (Hrsg.): Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Lang 2000, S. 27-33. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Inter- media, München: Fink 2001. Dreier, Katherine S.: Foreword, in: Modern Art (Ausstellungskatalog der Société Anonyme für das Brooklyn Museum), New York: 1926. Droste, Magdalena/Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): Experiment Bauhaus, Berlin: Kupfergraben 1988. Droste, Magdalena/Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): Bauhaus 1919-1933, Köln: Taschen 1990. Duberman, Martin: Experiment in Community, New York: Dutton 1972.

203 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Düchting, Hajo: Farbe am Bauhaus. Synthese und Synästhesie, Berlin: Mann 1996. Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Frankfurt: Suhrkamp 1977. Eller-Rüter, Ulrika-Maria: Kandinsky. Bühnenkomposition und Dichtung als Realisation seines Synthese-Konzepts, Hildesheim, Zürich, New York: Olms 1990. Feininger, Lux: Die Bauhauskapelle, in: Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Johannes Itten (Ausstellungskatalog), Weimar: Hatje 1994, S. 374-380. Fetterman, William Benson: John Cage’s theatre pieces: Notations and performances, New York: University Microfilms International 1992. Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999. Floros, Constantin/Geiger, Friedrich/Schäfer, Thomas (Hrsg.): Komposi- tion als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, Frank- furt/Main: Lang 2000. Föllmer, Golo: Klangorganisation im öffentlichen Raum, in: de la Motte- Haber, Helga: Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber: Laaber 1999, S. 192-227. Geelhaar, Christian: Paul Klee und das Bauhaus, Köln: DuMont Schau- berg 1972. Glaesmer, Jürgen: Paul Klee, Basel: Schwabe 1976. von Goethe, Johann Wolfgang: Farbenlehre, Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2003. von Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit (Herausgegeben von Klaus-Detlef Müller), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell- schaft 1998. Grohmann, Will: Paul Klee 1923/24, in: Der Cicerone. Halbmonats- schrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler 16 (1924), S. 787- 798. Gropius, Walter: Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhaus, 1923, in: Schneede, Uwe: Künstlerschriften der 20er Jahre. Dokumente und Manifeste aus der Weimarer Republik, Köln: DuMont 1986, S. 196- 208. Gruhn, Wilfried: Raum und Zeit bei Edgard Varèse, in: de la Motte- Haber, Helga (Hrsg.): Edgard Varèse: Die Befreiung des Klangs, Hamburg: Christians 1991, S. 106-120. Grunow, Gertrud: Der Aufbau der lebendigen Form durch Farbe, Form, Ton, in: Wingler, Hans M.: Das Bauhaus 1919-1933, Bramsche: Rasch 1962, S. 20-23

204 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Hahl-Koch, Jelena (Hrsg.): Arnold Schönberg, Wassily Kandinsky: Brie- fe, Bilder und Dokumente einer außergewöhnlichen Begegnung, Salzburg: Residenz 1980. Hahl-Koch, Jelena: Kandinsky und der ‚Blaue Reiter’, in: von Maur, Ka- rin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 354- 359. Hahn, Peter/Bauhaus-Archiv Berlin (Hrsg.): 50 Jahre Bauhaus-Nach- folge in Chicago, Berlin: Argon 1988. Harris, Mary Emma: The Arts at BMC, Cambridge: MIT Press 1987. Hauer, Josef Matthias: Deutung des Melos, Wien: Tal 1920a. Hauer, Josef Matthias: Vom Wesen des Musikalischen, Wien: Haslinger 1920b. von Helmholtz, Hermann: Die Lehre von den Tonempfindungen, Braun- schweig: Vieweg 1870. Hirschfeld-Mack, Ludwig: Farbenlicht-Spiele, in: Wingler, Hans M.: Das Bauhaus. 1919-1933, Bramsche: Rasch 1962, S. 92-98. Hölzel, Adolf: Über die künstlerischen Ausdrucksmittel und deren Ver- hältnis zu Natur und Bild, in: Kunst für Alle 20 (1904), S. 4-6. Itten, Anneliese/Rotzler, Wilhelm (Hrsg.): Johannes Itten, Zürich: Orell Füssli 1972. Itten, Johannes: Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Er- kennen als Wege zur Kunst, Ravensburg: Maier 1961. Jäger, Gottfried/Wessing, Gudrun (Hrsg.): Über Moholy-Nagy. Ergeb- nisse aus dem Internationalen László Moholy-Nagy Symposium, Bielefeld 1995, Bielefeld: Kerber 1997. Kahn, Douglas: Noise, Water, Meat: A History Of Sound In The Art, Cambridge: MIT Press 1999. Kämper, Dietrich (Hrsg.): Der musikalische Futurismus, Laaber: Laaber 1999. Kandinsky, Nina: Kandinsky und ich, München: Kindler 1976. Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli 1952. Kandinsky, Wassily: Rückblicke, Baden-Baden: Klein 1955. Kandinsky, Wassily: Punkt und Linie zu Fläche, Bern: Benteli 1969. Kandinsky, Wassily: Essays über Kunst und Künstler, Bern: Benteli 1973. Kandinsky, Wassily: Gesammelte Schriften 1, Bern: Benteli 1980. Kandinsky, Wassily/Marc, Franz (Hrsg.): Der Blaue Reiter (Dokumenta- rische Neuausgabe von Klaus Lankheit), München: Piper 1984. Kandinsky, Wassily: Über das Theater (Herausgegeben von Jessica Boissel), Köln: DuMont 1998.

205 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Kaprow, Allan: Assemblage, Environments & Happenings, New York: Abrams 1966. Katz, Vincent (Hrsg.): Black Mountain College – Experiment in Art, Cambridge: MIT Press 2002. Kellein, Thomas: Intermediäre Tendenzen nach 1945, in: von Maur, Ka- rin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 438- 434. Kienscherf, Barbara: Das Auge hört mit. Die Idee der Farblichtmusik und ihre Problematik, Frankfurt/Main: Lang 1996. Kirby, Michael: Happenings. An Illustrated Anthology, New York: Dutton 1965. Kirby, Michael: The New Theatre – Happenings and other Acts, London, New York: Routledge 1995. Klee, Paul: Tagebücher von Paul Klee (Herausgegeben von Felix Klee), Köln: DuMont Schauberg 1957. Klee, Paul: Das bildnerische Denken. Schriften zur Form- und Gestal- tungslehre. Band 1 (Herausgegeben von Jürg Spiller), Basel: Schwa- be 1971. Klee, Paul: Schriften, Rezensionen und Aufsätze (Herausgegeben von Christian Geelhaar), Köln: DuMont Schauberg 1976. Klein, Adrian B.: Colour Music. The Art Of Light, London: Lockwood 1926. Kluge, Alexander/Eder, Klaus (Hrsg.): Ulmer Dramaturgien. Reibungs- verluste, München: Hanser 1980. Kluge, Alexander/Eder, Klaus/Hörmann, Günther/Sannwald, Daniela/ Saurien, Detlef: Anschauung und Begriff. Die Arbeiten des Instituts für Filmgestaltung Ulm 1962-1995. (Ausstellungskatalog), Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft 1995. Kosnick, Heinrich: Busoni. Gestaltung durch Gestalt, Regensburg: Bosse 1971. Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. Köln: DuMont Schauberg 1973. Kostelanetz, Richard (Hrsg.): John Cage. An Anthology, New York: Da Capo Press 1991. Kostelanetz, Richard: Conversing With Cage, New York, London: Limelight 2003. Krenek, Ernst: Die amerikanischen Tagebücher 1937-1942, Wien: Böh- lau 1992.

206 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Kreuzer, Ingrid: Nachwort, in: Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart: Reclam 1987, S. 215-232. Küppers, Paul Erich: Der Kubismus. Ein künstlerisches Formproblem unserer Zeit, Leipzig: Klinkhardt & Biermann 1920. Lane, Melvin: BMC: Sprouted Seeds, Knoxville: University of Tennes- see Press 1990. Lankheit, Klaus: Die Geschichte des Almanachs, in: Kandinsky, Wassi- ly/Marc, Franz (Hrsg.): Der Blaue Reiter (Dokumentarische Neuaus- gabe), München: Piper 1984, S. 253-304. László, Alexander: Die Farblichtmusik, Leipzig: Breitkopf & Härtel 1925. Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart: Reclam 1987. Lindinger, Herbert (Hrsg.): Hochschule für Gestaltung Ulm – Die Moral der Gegenstände, Berlin: Ernst und Sohn 1987. Macke, Wolfgang (Hrsg.): August Macke/Franz Marc, Briefwechsel, Köln: DuMont Schauberg 1964. Marcus, Greil: Lipstick Traces. Von Dada bis Punk, Reinbek: Rowohlt 1996. Marquard, Odo: Gesamtkunstwerk und Identitätssystem, in: Szeemann, Harald (Hrsg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Uto- pien seit 1800 (Ausstellungskatalog), Aarau: Sauerländer 1983, S. 40-49. von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985. von Maur, Karin: Musikalische Strukturen in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts, in: Jank, Werner und Jung, Herrmann (Hrsg.): Mu- sik und Kunst. Erfahrung – Deutung – Darstellung, Mannheim: Pala- tium 2000, S. 22-50. McDonagh, Don: The Rise and Fall of Modern Dance, New York: Dutton 1970. Metzger, Christoph: Musik am laufenden Band – eine kleine Musikge- schichte des Bauhaus, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999, S. 140-151. Metzger, Heinz-Klaus/Riehn, Rainer (Hrsg.): Darmstadt-Dokumente I (Musik-Konzepte Sonderband), München: Edition Text und Kritik 1999. Meyer, Hannes: bauhaus und gesellschaft, zitiert nach: Winkler, Klaus Jürgen: Der Architekt Hannes Meyer. Anschauungen und Werk, Berlin: Verlag für Bauwesen 1989, S. 234.

207 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Moholy-Nagy, László: Neue Gestaltung in der Musik. Möglichkeiten des Grammophons, in: Der Sturm 7, Berlin: 1923, S. 102-106. Moholy-Nagy, László: Von Material zu Architektur, München: Langen 1929. Moholy-Nagy, László: Vision in Motion, Chicago: Theobald 1947. Moholy-Nagy, László: Malerei, Fotografie, Film (Herausgegeben von Hans M. Wingler), Mainz: Kupferberg 1978. Moholy-Nagy, Sibyl: Moholy-Nagy. Experiment in Totality, Cambridge: MIT Press 1969. Mondrian, Piet: Die Neue Gestaltung in der Musik und die futuristischen italienischen Bruitisten, in: Bauhausbuch 5, München: Langen 1925, S. 29-42. Motherwell, Robert (Hrsg.): The Dada Painters and Poets: An Antho- logy, New York: Wittenborn, Schulz 1951. de la Motte-Haber, Helga: Musik und Bildende Kunst. Von der Tonmale- rei zur Klangskulptur, Laaber: Laaber 1990. de la Motte-Haber, Helga: Virtuelle Zeit, in: Schmierer, Elisabeth u.a.: Töne, Farben, Formen. Über Musik und die bildenden Künste, Laa- ber: Laaber 1995, S. 147-154. de la Motte-Haber, Helga (Hrsg.): Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber: Laaber 1999. de la Motte-Haber, Helga: Ist die Idee einer Kunstsynthese einlösbar?, in: Jank, Werner und Jung, Herrmann (Hrsg.): Musik und Kunst. Erfah- rung – Deutung – Darstellung, Mannheim: Palatium 2000, S. 51-62. Ness, June L. (Hrsg.): Lyonel Feininger, London: Lane 1975. Neuhaus, Max: Inscription, Ostfildern: Cantz 1994. Noller, Joachim: KLANG/BEWEGUNG. Musik und Tanz im modernen Gesamtkunstwerk, in: Floros, Constantin/Geiger, Friedrich/Schäfer, Thomas (Hrsg.): Komposition als Kommunikation. Zur Musik des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Lang 2000, S. 15-25. Olson, Charles: Call me Ishmael, New York: Reynal & Hitchcock 1947. Poincaré, Henri: Der Wert des Wissens, Leipzig: Teubner 1906. Poling, Clark V.: Kandinsky. Unterricht am Bauhaus, Weingarten: Kunstverlag Weingarten 1982. Rauh, Reinhold: Edgar Reitz. Film als Heimat, München: Heyne 1993. Raussert, Wilfried: Avantgarden in den USA. Zwischen Mainstream und kritischer Erneuerung 1940-1970, Frankfurt: Campus 2003. Reck, Hans Ulrich: Der Streit der Kunstgattungen im Kontext der Ent- wicklung neuer Medientechnologien, in: Daniels, Dieter (Hrsg.): Fluxus – ein Nachruf zu Lebzeiten (Kunstforum, Band 115), Köln: Kunstforum 1991, S. 81-98.

208 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Reitz, Edgar/Nestler, Paolo: Varia Vision (Ausstellungsbroschüre), Mün- chen: Deutsche Bundesbahn 1965. Reitz, Edgar: Liebe zum Kino. Utopien und Gedanken zum Autorenfilm, 1962-1983, Köln: Verlag Köln 78 1984. Reitz, Edgar: Bilder in Bewegung. Essays. Gespräche zum Kino, Ham- burg: Rowohlt 1995. Revill, David: Tosende Stille. Eine John-Cage-Biographie, München, Leipzig: List 1992. Reynolds, Katherine C.: Visions and Vanities. John Andrew Rice of Black Mountain College, Baton Rouge: Louisiana State University Press 1998. Richter, Hans: Meine Erfahrungen mit Bewegung in Malerei und Film, in: Kepes, G.: Wesen und Kunst der Bewegung, Brüssel: La Con- naissance 1969. Richter, Hans: DADA - Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln: DuMont Schauberg 1978. Robertson, Allen und Hutera, Donald: The Dance Handbook, Boston: Longman 1988. Rösing, Helmut: Musik und bildende Kunst. Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Medien, in: International Review Of The Aes- thetics And Sociology Of Music 2, Zagreb: Yugoslav Academy of Sciences and Art 1971, S. 65-76. Rösing, Helmut: Musikalische Stilisierung akustischer Vorbilder in der Tonmalerei, München: Katzbichler 1977. Rösing, Helmut: Wechselbeziehungen zwischen Musik und Malerei. Strukturelle, rezeptionstheoretische und didaktische Aspekte, in: Mu- sik und Diskurs. Band 3, Regensburg: Bosse 1988, S. 13-39. Rösing, Helmut (Hrsg.): Spektakel/Happening/Performance. Rockmusik als „Gesamtkunstwerk“. Mainz: Villa Musica 1991. Rösing, Helmut: Synästhesie, in: Die Musik in Geschichte und Gegen- wart. Band 9, Kassel, Stuttgart: Bärenreiter 1998a, S. 168-185. Rösing, Helmut: Musik – ein audiovisuelles Medium. Über die optische Komponente der Musikwahrnehmung, in: Reinhard Kopiez u.a. (Hrsg.): Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experi- ment, Würzburg: Königshausen & Neumann 1998b, S. 451-463. Rowell, Margit (Hrsg.): Frank Kupka 1871-1957, Zürich: Kunsthaus 1976. Rumaker, Michael: Black Mountain Days, Asheville: Black Mountain Press 2003. Ruskin, John: The Stones Of Venice, London: Dent 1910. Sacher, Reinhard: Musik als Theater, Regensburg: Bosse 1985.

209 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Sanio, Sabine: Autonomie, Intentionalität, Situation. Aspekte eines erweiterten Kunstbegriffs, in: de la Motte-Haber, Helga: Klangkunst. Tönende Objekte und klingende Räume, Laaber: Laaber 1999, S. 67- 118. Sannwald, Daniela: Labor der Nachkriegsmoderne. Die Hochschule für Gestaltung in Ulm, Berlin: Spiess 1995. Schamoni, Victor: Das Lichtspiel. Möglichkeiten des absoluten Films, Hamm: Reimann 1926. Scheper, Dirk: Oskar Schlemmer - Das Triadische Ballett und die Bau- hausbühne, Berlin: Akademie der Künste 1989. Scherliess, Volker: Musik am Bauhaus oder: komponierte Bilder und gemalte Musik - zur Wechselbeziehung zwischen bildender Kunst und Musik um 1920, in: Neubauer, Carsten u.a.: Form Follows Function. Zwischen Musik, Form und Funktion, Hamburg: von Bo- ckel 2005, S. 23-48. Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in ei- ner Reihe von Briefen, Hamburg: Honeit 1946. Schleiermacher, Steffen: Musik am Bauhaus (Beiheft zur CD Music At The Bauhaus), Detmold: Dabringhaus & Grimm 1999. Schlemmer, Oskar/Moholy-Nagy, László/Molnár, Farkas: Die Bühne im Bauhaus (Herausgegeben von Hans M. Wingler), Mainz: Kupferberg 1965. Schlemmer, Oskar: Der Mensch. Unterricht am Bauhaus, Mainz: Kup- ferberg 1969. Schlemmer, Oskar: Briefe und Tagebücher, Stuttgart: Hatje 1977. Schlemmer, Oskar: Idealist der Form. Briefe, Tagebücher, Schriften, Leipzig: Reclam 1990. Schmitz, Norbert M.: Wassily Kandinsky, in: Fiedler, Jeanni- ne/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999a, S. 256-267. Schmitz, Norbert M.: László Moholy-Nagy, in: Fiedler, Jeannine/Feier- abend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999b, S. 292-307. Schmitz, Norbert M.: Der Vorkurs unter Johannes Itten – Menschenbil- dung, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999c, S. 360-367. Schmitz, Norbert M.: Der Vorkurs unter Josef Albers – Kreativitäts- schule, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999d, S. 374-381. Schmohl, Jens: Vision in Motion. László Moholy-Nagy (Fernsehdoku- mentation), München: Bayerischer Rundfunk 1996.

210 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Schoon, Andi: Musik am Bauhaus und am Black Mountain College. Funktionale und interdisziplinäre Aspekte, in: Neubauer, Carsten u.a.: Form Follows Function. Zwischen Musik, Form und Funktion, Hamburg: von Bockel 2005, S. 49-58. Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung, München: Piper 1924. Schreyer, Lothar: Erinnerungen an Sturm und Bauhaus, München: Lan- gen-Müller 1956. Schwitters, Kurt: Das literarische Werk (Herausgegeben von Friedhelm Lach), Köln: DuMont Schauberg 1973. Seckendorff, Eva: Die Hochschule für Gestaltung in Ulm, Marburg: Jonas 1986. Selwood, Sara: Farblichtmusik und abstrakter Film, in: von Maur, Karin (Hrsg.): Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahr- hunderts (Ausstellungskatalog), München: Prestel 1985, S. 414-421. Shultis, Christopher: Silencing the Sounded Self: John Cage and the American Experimental Tradition, Boston: Northeastern University Press 1998. Steckner, Cornelius: Zur Ästhetik des Bauhaus. Ein Beitrag zur Erfor- schung synästhetischer Grundsätze und Elementarerziehung am Bau- haus, Stuttgart: Selbstverlag 1985. Stern, Robert A./Mellins, Thomas/Fishman, David: New York 1960. Ar- chitecture and Urbanism Between the Second World War and the Bi- centennial, New York: Rizzoli 1995. Stockhausen, Karlheinz: Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik, Band 1. Aufsätze 1952-1962 zur Theorie des Komponierens, Köln: DuMont Schauberg 1963. Stockhausen, Karlheinz: Texte zu eigenen Werken und zur Kunst ande- rer, Aktuelles, Band 2. Aufsätze 1952-1962 zur musikalischen Pra- xis, Köln: DuMont Schauberg 1964. Stockhausen, Karlheinz: Texte zur Musik 1963-1970, Köln: DuMont Schauberg 1971. Stockhausen, Karlheinz: ... wie die Zeit verging ... (Musik-Konzepte, Band 19), München: Edition Text und Kritik 1981. Strenger, Friedhelm. Bauhaus-Kapelle. Brief an das Bauhaus-Archiv (Manuskript), 13.5.1976. Stuckenschmidt, Hans Heinz: Musik am Bauhaus, Berlin: Bauhaus- Archiv 1978. Szeemann, Harald (Hrsg.): Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäi- sche Utopien seit 1800 (Ausstellungskatalog), Aarau: Sauerländer 1983.

211 DIE ORDNUNG DER KLÄNGE

Toop, David: Rap Attack 2. African Rap To Global Hip Hop, London, New York: Serpents’s Tail 1991. Toop, David: Ocean Of Sound. Aether Talk, Ambient Sound And Imagi- nary Worlds, London, New York: Serpents’s Tail 1995. Varèse, Edgard: Erinnerungen und Gedanken, in: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik III, Mainz: Schott 1960, S. 65-71. Varèse, Edgard: Écrits (Herausgegeben von Louise Hirbour), Paris: Bourgois 1983. Vogelsang, Bernd: Lothar Schreyer und das Scheitern der Weimarer Bauhausbühne, in: Bothe, Rolf (Hrsg.): Das frühe Bauhaus und Jo- hannes Itten (Ausstellungskatalog), Weimar: Hatje 1994, S. 321-363. Volta, Ornella: Satie/Cocteau. Eine Verständigung in Missverständnis- sen, Hofheim: Wolke 1994. Wagner, Richard: Beethoven. Über das Dirigieren, Stuttgart: Kohlham- mer 1953. Weber, Horst: Ein Konzert auf dem Zweig: Über Klee und die Musik, in: Schmierer, Elisabeth u.a.: Töne, Farben, Formen. Über Musik und die bildenden Künste, Laaber: Laaber 1995, S. 155-164. Weiler, Clemens: Alexej von Jawlensky, der Maler und Mensch, Wies- baden: Limes 1955. Wellek, Albert: Musikpsychologie und Musikästhetik. Grundriß der Systematischen Musikwissenschaft, Frankfurt: Akademische Ver- lagsgesellschaft 1963. Werner, Heinz: Einführung in die Entwicklungspsychologie, Leipzig: Barth 1926. Wesemann, Arnd: Die Bauhausbühne, in: Fiedler, Jeannine/Feierabend, Peter (Hrsg.): Bauhaus, Köln: Könemann 1999, S. 532-551. Wingler, Hans M.: Das Bauhaus. 1919-1933, Bramsche: Rasch 1962. Würtenberger, Franzsepp (Hrsg.): Malerei und Musik. Die Geschichte des Verhaltens zweier Künste zueinander, Frankfurt: Lang 1979.

Internet http://www.medienkunstnetz.de vom 20. Dezember 2005. http://www.bmcproject.org vom 20. Dezember 2005.

212 Die vorliegende Arbeit wurde im April 2005 als Dissertation am Fachbe- reich Kulturgeschichte und Kulturkunde der Universität Hamburg einge- reicht. Für die Unterstützung der Arbeit danke ich sehr herzlich:

Elisabeth und Hinrich Schoon, Sandra Ziegelmüller, Prof. Dr. Helmut Rösing, Prof. Dr. Peter Petersen, Jens-Rainer Berg, Dr. Patrick Ziegel- müller, Christel Hinrichs, Ingeborg und Heinrich Hinrichs, Dr. Johannes Schoon-Janßen, Christoph Schoon, Jörg Kleemann, Arne Kittler, James Merle Thomas, Jochen Briesen, Ilan Hamra, Prof. Dr. Florian Dombois, Sven Opitz, everyone at Shape Shoppe, Catherine Bruck, Nicole Nitsch- ke und der Universität Hamburg, dem DAAD sowie den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern des Bauhaus-Archivs in Berlin und des North Ca- rolina State Archives in Raleigh/North Carolina.

Andi Schoon, Januar 2006. Die Neuerscheinungen dieser Reihe

Simone Dietz, Susanne Regener Timo Skrandies (Hg.) Visuelle Gewalt Mediale Markierungen Menschenbilder aus Studien zur Anatomie der Psychiatrie des medienkultureller Praktiken 20. Jahrhunderts Juni 2006, 270 Seiten, April 2006, ca. 220 Seiten, kart., ca. 26,80 €, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-482-4 ISBN: 3-89942-420-4

Ralf Adelmann, Barbara Becker, Jan-Otmar Hesse, Josef Wehner (Hg.) Judith Keilbach, Kulturindustrie reviewed Markus Stauff, Ansätze zur kritischen Matthias Thiele (Hg.) Reflexion der Medien- Ökonomien des Medialen gesellschaft Tausch, Wert und Zirkulation April 2006, ca. 250 Seiten, in den Medien- und Kultur- kart., ca. 26,80 €, wissenschaften ISBN: 3-89942-430-1 Juni 2006, ca. 300 Seiten, kart., 19,80 €, Annette Runte ISBN: 3-89942-499-9 Über die Grenze Zur Kulturpoetik der Jens Schröter, Geschlechter in Literatur Gregor Schwering, und Kunst Urs Stäheli (Hg.) April 2006, 380 Seiten, Media Marx kart., ca. 25,80 €, Ein Handbuch ISBN: 3-89942-422-0 Juni 2006, ca. 500 Seiten, kart., ca. 29,80 €, Michael Leicht ISBN: 3-89942-481-6 Wie Katie Tingle sich weigerte, ordentlich zu Helga Lutz, posieren und Walker Evans Jan-Friedrich Mißfelder, darüber nicht grollte Tilo Renz (Hg.) Eine kritische Bildbetrachtung Äpfel und Birnen sozialdokumentarischer Illegitimes Vergleichen in den Fotografie Kulturwissenschaften April 2006, ca. 180 Seiten, Juni 2006, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 22,80 €, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-436-0 ISBN: 3-89942-498-0 Petra Gropp Annett Zinsmeister (Hg.) Szenen der Schrift welt[stadt]raum Medienästhetische Reflexionen mediale inszenierungen in der literarischen Avantgarde Mai 2006, ca. 130 Seiten, nach 1945 kart., zahlr. Abb., ca. 16,80 €, April 2006, ca. 420 Seiten, ISBN: 3-89942-419-0 kart., ca. 32,80 €, ISBN: 3-89942-404-2

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de Die Neuerscheinungen dieser Reihe

Birgit Käufer Sebastian Gießmann Die Obsession der Puppe in Netze und Netzwerke der Fotografie Archäologie einer Hans Bellmer, Pierre Molinier, Kulturtechnik, 1740-1840 Cindy Sherman April 2006, 120 Seiten, April 2006, 230 Seiten, kart., ca. 15,80 €, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-438-7 ISBN: 3-89942-501-4 Meike Becker-Adden Peter Widmer Nahtstellen Metamorphosen des Strukturelle Analogien Signifikanten der »Kreisleriana« von Zur Bedeutung des Körperbilds E.T.A. Hoffmann und für die Realität des Subjekts Robert Schumann April 2006, ca. 150 Seiten, März 2006, 290 Seiten, kart., ca. 17,80 €, kart., 28,80 €, ISBN: 3-89942-467-0 ISBN: 3-89942-472-7

Heide Volkening Jürgen Straub, Am Rand der Autobiographie Doris Weidemann, Ghostwriting – Signatur – Carlos Kölbl, Geschlecht Barbara Zielke (eds.) April 2006, ca. 300 Seiten, Pursuit of Meaning kart., ca. 27,80 €, Advances in Cultural and ISBN: 3-89942-375-5 Cross-Cultural Psychology März 2006, 518 Seiten, Achim Geisenhanslüke, kart., 32,80 €, Christian Steltz (Hg.) ISBN: 3-89942-234-1 Unfinished Business Quentin Tarantinos »Kill Bill« Arne Höcker, Jeannie Moser, und die offenen Rechnungen Philippe Weber (Hg.) der Kulturwissenschaften Wissen. Erzählen. April 2006, ca. 240 Seiten, Narrative der Human- kart., ca. 25,80 €, wissenschaften ISBN: 3-89942-437-9 März 2006, 222 Seiten, kart., 25,80 €, Markus Fellner ISBN: 3-89942-446-8 »psycho movie« Zur Konstruktion psychischer Volker Pantenburg Störung im Spielfilm Film als Theorie April 2006, ca. 500 Seiten, Bildforschung bei kart., ca. 29,80 €, Harun Farocki und ISBN: 3-89942-471-9 Jean-Luc Godard März 2006, 324 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 3-89942-440-9

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de Die Neuerscheinungen dieser Reihe

Sibylle Peters, Andreas Jahn-Sudmann Martin Jörg Schäfer (Hg.) Der Widerspenstigen »Intellektuelle Anschauung« Zähmung? Figurationen von Evidenz Zur Politik der Repräsentation zwischen Kunst und Wissen im gegenwärtigen März 2006, 360 Seiten, US-amerikanischen kart., 30,80 €, Independent-Film ISBN: 3-89942-354-2 Januar 2006, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, Andi Schoon ISBN: 3-89942-401-8 Die Ordnung der Klänge Das Wechselspiel der Künste Tanja Jankowiak, vom Bauhaus zum Black Karl-Josef Pazzini, Mountain College Claus-Dieter Rath (Hg.) März 2006, 216 Seiten, Von Freud und Lacan aus: kart., 25,80 €, Literatur, Medien, Übersetzen ISBN: 3-89942-450-6 Zur »Rücksicht auf Darstellbarkeit« in der Peter Glotz, Stefan Bertschi, Psychoanalyse Chris Locke (Hg.) Januar 2006, 286 Seiten, Daumenkultur kart., 26,80 €, Das Mobiltelefon in der ISBN: 3-89942-466-2 Gesellschaft. Übersetzt von Henning Thies Bernard Robben März 2006, 348 Seiten, Der Computer als Medium kart., 28,80 €, Eine transdisziplinäre Theorie ISBN: 3-89942-473-5 Januar 2006, 316 Seiten, kart., 28,80 €, Martin Heller, Lutz Liffers, ISBN: 3-89942-429-8 Ulrike Osten Bremer Weltspiel Heike Piehler (Hg.) Stadt und Kultur. Ein Modell Weißes Rauschen März 2006, 248 Seiten, 1. Ästhetik-Festival der kart., 22,80 €, Universität Bielefeld ISBN: 3-89942-485-9 Januar 2006, 110 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 15,80 €, Ulf Schmidt ISBN: 3-89942-462-X Platons Schauspiel der Ideen Das »geistige Auge« im Christina Bartz, Medien-Streit zwischen Schrift Jens Ruchatz (Hg.) und Theater Mit Telemann durch die Februar 2006, 446 Seiten, deutsche Fernsehgeschichte kart., 32,80 €, Kommentare und Glossen ISBN: 3-89942-461-1 des Fernsehkritikers Martin Morlock Januar 2006, 260 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-327-5

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de