Aus den Instituten

französische Historiker waren, die die Gewalt des NS- Regimes am eigenen Leib erfahren hatten. Zu ihnen „Une institution gehörte der Mediävist Robert Fawtier, der als Wider- standskämpfer mehrfach festgenommen, gefoltert und schließlich nach Mauthausen deportiert worden sur base war, wo er dem Tod nur knapp entrinnen konnte. Zum 25-jährigen Jubiläum des DHI 1983 erinnerte sich Hübinger an die spontane Reaktion von Fawtier, universitaire“ der nach seiner Ansprache „tief bewegt auf mich zugegangen ist und mir dankte, indem er hinzusetzte ‚Vous savez, ce qui m’est arrivé‘. Ich drückte ihm die Hand – wir verstanden uns vollkommen […]“2.

Die Gründung des Eugen Ewig – DHI Paris vor 60 Jahren Mittler zwischen Frankreich und Deutschland Die Eröffnung der Forschungsstelle war der Ab- schluss eines mehrjährigen Prozesses, bei dem der Erfolg des Projekts regelmäßig am seidenen Faden gehangen hatte. Den Anfang machte im Sommer Die Gründung des Deutschen Histo­ 1952 der Mediävist Eugen Ewig, der Bundeskanzler rischen Instituts (DHI) Paris im Konrad Adenauer mit Blick auf das geplante deutsch- französische Kulturabkommen den Vorschlag unter- Jahre 1958 ist Teil der Geschichte der breitete, in Paris eine kleine Struktur für die Ausbil- deutsch-französischen Verständigung, dung junger Historiker in einem europäischen Geist galt es doch nach dem Zweiten Welt­ zu schaffen: „Denn die Kernfrage der europäischen Zukunft ist das deutsch-französische Verhältnis, das krieg das Vertrauen der französischen hier von den Grundlagen, dem politisch völlig neutra- Historikerzunft wiederzugewinnen. len Boden der mittelalterlichen Geschichtsforschung her, revidiert und zugleich vertieft werden könnte“3. Ewig weihte Außenminister in seine Pläne ein, galt es doch auch, das Projekt auf französi- scher Seite abzusichern. Ewig war als Mittler prädes- Vorsichtige Annäherungen tiniert. Da einer Historikerkarriere im „Dritten Reich“ seine katholische Gesinnung im Wege stand, hatte „Ich werde nie den Blitzschlag und die von mir emp- fundene Schande vergessen, als ich einige Zeit nach dem Krieg vom Tod und von den besonders grausa- men Umständen bei der Ermordung des großen Ge- lehrten und französischen Patrioten erfuhr, der Marc Eugen Ewig, Initiator und erster Geschäftsführer Bloch war“1. Mit Bedacht hatte Paul Egon Hübinger der Forschungsstelle diese Worte anlässlich der feierlichen Eröffnung der Deutschen Historischen Forschungsstelle in Paris am 21. November 1958 gewählt. Er wusste zum einen, dass sich die deutsche Historikerschaft nach 1945 zu viel Zeit gelassen hatte, um der Ermordung von Marc 1 Abgedruckt in Ulrich Bloch (1886 – 1944) durch die deutschen Besatzer Pfeil, Vorgeschichte angemessen zu gedenken, zum anderen konnte und Gründung des die Einweihungsfeier kein Moment für historische Deutschen Histo- Schlussstriche sein, hatte die Forschungsstelle doch rischen Instituts eine Vorgeschichte. Paris. Darstellung und Dokumentation, Es hatte bereits 1902/03 und 1941 – 43 Versuche Ostfildern 2007, Dok. zur Gründung eines Deutschen Historischen Instituts 193, S. 434ff. in der französischen Hauptstadt gegeben und nach dem Zweiten Weltkrieg hatten viele Pariser Intellek- 2 Ebenda, Dok. 221, tuelle noch das Deutsche Institut in Erinnerung, das,

S. 473f. 1940 als kulturpolitisches Propagandainstrument Weber © Hermann Foto: eingerichtet, ein Ort der intellektuellen Kollaboration 3  Ebenda, Dok. 29, gewesen war. Nicht zu vergessen ist zudem, dass un- S. 285f. ter den Anwesenden bei der Einweihungszeremonie 02 2018 Max Weber Stiftung 10 11 er sich für den Archivdienst entschieden. Ab 1941 Gemeinsam mit Her- leitete er das Staatsarchiv in , wo er die privaten mann Weber, dem ers- Papiere von Schuman vor der Gestapo versteckte. ten Wissenschaftlichen Nach Kriegs­ende holte dieser ihn aus der Internie- Mitarbeiter, erwarb rung. 1946 wurde Ewig eine Lektorenstelle an der Eugen Ewig eine Woh- Universität Nancy übertragen und nachdem er bei der nung in der vierten Gründung der Universität eng mit der franzö- Etage des Hauses Nr. sischen Militärregierung zusammengearbeitet hatte, 5 in der Rue du Havre, wollte er die Konjunktur der deutsch-französischen die zur ersten Heimat Annäherung für seine Idee einer Forschungsstelle in der Forschungsstelle Paris nutzen. wurde.

Forschungsstelle auf „universitärer Basis“

Ewigs Projekt geriet jedoch in die Mühlen der Minis- AUTOR terialbürokratie und drohte schon im Anfangsstadium Ulrich Pfeil ist Pro- zu scheitern. Erst als Adenauer im November 1954 fessor für Deutsch- Mittel für wissenschaftliche Forschung in Aussicht landstudien an der stellte, kam Bewegung in die Sache. Der Mediävist Université de Lorraine Paul Egon Hübinger, Ministerialdirektor für kulturelle in Metz. Zuvor war er Angelegenheiten im Bundesministerium des Innern, DAAD-Lektor an der wurde zur Schlüsselfigur: Er spann die Fäden und Universität Sorbonne spielte seinem Bonner Freund Ewig die Bälle zu. Nouvelle und von 2002 Dieser brach im Februar 1956 nach Paris auf. Weder bis 2009 Forscher am

Robert Schuman, mit dem er von Metz aus zusam- Weber © Hermann Foto: DHI Paris. men gereist war, noch die Pariser Gesprächspart- ner aus Politik und Wissenschaft hatten Einwände gegen seine Idee. Nach ihren Erfahrungen mit dem Deutschen Institut war jedoch Bedingung, dass die Deutsche Historische Forschungsstelle in Paris „sur base universitaire“ errichtet werden sollte, um den Eindruck einer politischen Zweckbestimmung zu ver- meiden. Auch wenn die Mittel aus dem Bundesinnen- ministerium kamen, Träger war die am 2. April 1957 in Mainz gegründete „Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der deutsch-französi- schen Beziehungen“, eine Gesellschaft bürgerlichen Die Gründung des DHI Paris: ein Spiegel 4 Vgl. Ulrich Pfeil, Rechts. der deutsch-französischen Annäherung Gründung und Auf- bau des Deutschen Ein Ort der transnationalen wissenschaftlichen Vor- und Frühgeschichte des DHI Paris spiegeln in Historischen Instituts Begegnung in Paris vielerlei Hinsicht die Mechanismen der deutsch-fran- in Paris (1958 – 1968) zösischen Annäherung nach Krieg und deutscher Be- / Création et Nachdem das Deutsche Historische Institut in Rom satzung wider. Auf wissenschaftlicher und politischer développement de 1953 wiedereröffnet worden war, stand nun auch in Ebene wurde um Vertrauen geworben, um auf neuer l’institut (1958 – Paris ein Ort der Begegnung zur Verfügung, der der Grundlage über die Verständigung zur Kooperation zu 1968), in: Das Deut- Internationalisierung der deutschen Geschichtswis- gelangen. Schritt für Schritt setzte sich die Erkenntnis sche Historische In- senschaft dienlich werden sollte. Weitere fünf Jahre durch, dass eine fruchtbare wissenschaftliche Arbeit stitut Paris/Institut später eröffnete der Élysée-Vertrag vom 22. Januar ohne Beteiligung der Partner jenseits des Rheins historique allemand 1963 die Chance, die Forschungsstelle zu versteti- nicht betrieben werden kann. Über die Vertiefung der 1958 – 2008, hg. von gen: Am 1. Juli 1964 wurde sie unselbständige Bun- bilateralen Beziehungen waren damit die Vorausset- Rainer Babel und desanstalt im Geschäftsbereich des Bundesministers zungen für Wissenschaftstransfer gelegt. Rolf Große, Ostfil- für wissenschaftliche Forschung. Von Beginn an war dern 2008, S. 1 – 84. es zentrales Anliegen der Forschungsstelle, den Die Gründung des DHI Paris war nur möglich, weil Kontakt zu den französischen Kollegen herzustellen Politik und Wissenschaft eng zusammenarbeiteten. bzw. auszubauen. Es galt dabei, die von französischer Die Forschungsstelle war ein Schritt auf dem langen Seite angemahnte „base universitaire“ auf keinen Fall Weg zu der von de Gaulle und Adenauer immer zu verlassen. Symptomatisch für die damalige Zeit wieder beschworenen Versöhnung. Sie war einer der war, dass bei wissenschaftlichen Veranstaltungen oft Kommunikationskanäle, die nach der Zäsur des Zwei- weniger der fachliche Austausch als vielmehr die Be- ten Weltkriegs auf den verschiedensten gesellschaft- gegnung, das Kennenlernen und der kontinuierliche lichen Ebenen zwischen Frankreich und Deutschland Ausbau der Kontakte im Mittelpunkt standen. 4 vertrauensbildend und verständigend wirkten. Aus den Instituten Ein Ort der Begegnung und der Reflexion

Das DHI Paris im Netzwerk der deutsch-französischen geschichtswissenschaftlichen Kooperationen

ie deutsch-französische Kooperation ist nen. Wenn einige Zäsuren auch übereinstimmen in den Geschichtswissenschaften, wie in (Karl der Große, die Weltkriege), haben sie nicht im- D anderen Bereichen auch, ein kostbares, er- mer den gleichen Stellenwert. Andere sind hingegen haltenswertes Gut. Austausch und Begegnung haben nur in einer der beiden Wissenschaftstraditionen erste Priorität. Illustriert wird dies durch die wunder- zu finden (Luther oder der Westfälische Frieden, baren Räumlichkeiten des DHI Paris, die Forschenden der Hundertjährige Krieg, das Gesetz von 1905 zur aus Frankreich und darüber hinaus offenstehen. Auf Trennung von Staat und Kirche oder die Entkoloniali- intellektueller Ebene ist die Zeitschrift „“ ein sierung, um hier nur einige Beispiele zu nennen). So Zeugnis dieses Geistes der Öffnung und Großzü- können die deutschen Historikerinnen und Historiker gigkeit. Doch die wissenschaftlichen Früchte dieser den Übergang zur Moderne im 18. und 19. Jahrhun- Kooperation gehen weit über die gegenseitige dert aus einer Perspektive betrachten, die sich ihren Kenntnis und die Annäherung beim Umgang mit der französischen Kolleginnen und Kollegen allzu oft ver- gemeinsamen, oft konfliktreichen, Vergangenheit bietet, da die zwei Jahrhunderte von der Revolution hinaus. Der Dialog zwischen der deutschen und der in zwei nahezu hermetisch voneinander abgeschotte- französischen Geschichtsschreibung, die sich so nahe te Forschungsbereiche getrennt werden. Im Kontext stehen und doch sehr verschieden sind, bietet auch dieser Daten und ihrer Einordnung in die Chronologie die Gelegenheit, Komplementarität zu erforschen wird die Geschichte also weder auf die gleiche Weise und sich selbst zu reflektieren: Die Feststellung, dass noch denselben Rhythmen folgend verstanden. eine angenommene Selbstverständlichkeit für das Wieder ist es so, dass die Erben der drei Zeitebenen Gegenüber keine ist, hält dazu an, eingehender über von Braudel einerseits und die Epochen mit Konzep- die Grundannahmen der eigenen Wissenschaftstradi- ten gleichsetzenden Geschichtswissenschaftlerinnen tion nachzudenken. und -wissenschaftlern andererseits davon profitieren können, ihre Denkweisen gemeinsam komplexer und Die Grenzen dessen, was zur Geschichtswissen­ reflexiver zu gestalten. Die hier beschriebenen und schaft gezählt wird, sowie die Beziehungen zu weitere Elemente verleihen den links- und rechts- benachbarten Disziplinen sind in den beiden Ländern rheinischen Formen der Geschichtsschreibung einen verschieden. Beispielsweise ist es für französische eigenen „Stil“ und gewisse, oft ungeschriebene, Re- Historikerinnen und Historiker selbstverständlich, geln. Wer schon einmal die Einleitung eines französi- dass Geschichte und Geografie Hand in Hand gehen. schen und eines deutschen Geschichtsbuchs gelesen Für ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen gilt dies hat, kann diese Unterschiede ermessen. Einzig die nicht in gleichem Maße. Auch die Einteilung der histo- gegenseitige Kenntnis der Traditionen erlaubt es, rischen Epochen basiert auf verschiedenen Traditio- scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen. 02 2018 Max Weber Stiftung 12 13

Nur eine stetige, langanhaltende Zusammenar- Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. beit an einem gemeinsamen Ort kann zum Aufbau Wie bei der deutsch-französischen Schulbuchreihe des Vertrauens führen, das nötig ist, um jenseits von Histoire/Geschichte (erschienen zwischen 2006 und fachlichen Konventionen, die mindestens genauso 2011), öffnet diese neue Herangehensweise die Tür schwer wiegen wie verschiedene „Interpretationen“, für ähnliche Initiativen im europäischen Kontext, zusammen an einer wahrhaft deutsch-französischen zum Beispiel zwischen Deutschland und Polen. Die Geschichte der deutsch-französischen und euro- Arbeit des DHI Paris hat also nicht nur Auswirkun- päischen Vergangenheit zu arbeiten, und sogar gen auf die Geschichte der Beziehungen zwischen gemeinsam über die Zeitlichkeit und Modalität der Deutschland und Frankreich. Auch der Blick auf Globalgeschichte nachzudenken. Die zahlreichen andere Weltregionen wird bereichert, wie die Schaf- Initiativen, die in den vergangenen Jahrzehnten fung von neuen Forschungsprogrammen und die vom DHI Paris entweder getragen oder angesto- Öffnung nach Afrika mit der Etablierung einer Au- ßen wurden, sind hervorragende Beispiele für die ßenstelle des Instituts in Dakar zeigen. Stets nimmt zu leistende Arbeit. Exemplarisch kann das um die die Kooperation zunächst die Gestalt einer Inventur Jahrtausendwende vom DHI Paris und der École an: Gemeinsam werden Methoden, Konzepte, Tra- des hautes études en sciences sociales (EHESS) ini­ ditionen und Gepflogenheiten betrachtet. Das war tiierte und inzwischen fast vollendete Projekt einer über viele Jahre die Zielsetzung eines Seminars mit Deutsch-Französischen Geschichte in elf Bänden französischen und deutschen Teilnehmerinnen und genannt werden, die entweder im Wechsel oder Teilnehmern, das am DHI Paris unter dem Titel „Les gemeinsam von französischen und deutschen Auto- mots de l’histoire“ veranstaltet wurde. Es ging nicht rinnen und Autoren verantwortet wurden. Es ist der nur darum, die jeweiligen Werkzeuge zu untersu- Versuch, das Konzept der Histoire croisée in die Tat chen, mit denen die Historikerinnen und Historiker Veranstaltungen am umzusetzen. Durch die Diversifizierung von Quellen, der beiden Länder arbeiten, sondern auch darum, DHI Paris: Austausch das Variieren von Maßstäben und die Berücksich- sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, diese und Begegnung sind tigung neuer Untersuchungsgegenstände ist die Werkzeuge zu hinterfragen, um sie korrekt verwen- zentral Deutsch-Französische Geschichte mehr als nur eine den zu können. Foto: DHI Paris, Martin Steffen DHI Martin Paris, Foto: Aus den Instituten

Die Arbeit des DHI Paris ist umso wichtiger, da sie dazu stellen die Reflexion über die Spezifitäten und sich in ein dichtes Netzwerk von Kooperationen Verschiedenheiten der Sprachen und Denkweisen, zwischen Historikerinnen und Historikern der beiden über die Unebenheit der Vergangenheiten, über die Länder eingliedert. Derart tiefe bilaterale Bezie- schwierigen Prozesse der Friedensbildung und deren hungen sind, in Europa und der Welt, sehr selten. geschichtswissenschaftliche Betrachtungen, über die Binationale, von der Deutsch-Französischen Hoch- Geschichte als geteiltes Erbe sowie die Wachsamkeit schule getragene Studienprogramme auf Master- und gegenüber den Gefahren ihrer Instrumentalisierung Promotionsniveau; Dissertationen im Cotutelle-Ver- ein Labor der Europäisierung und Internationalisie- fahren, die unbedingt gegen den stetigen Widerstand rung dar, das die Vielfalt der Sichtweisen auf die Welt seitens der Verwaltungen zu verteidigen sind; die hervorhebt. Programme des Centre interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’Allemagne, des DAAD und des Deutsch-Französischen Jugendwerks; die Förderung AUTOREN von Agence nationale de la recherche und DFG; Corine Defrance ist Professorin für Zeitge- Stipendien und Forschungspreise für Exzellenz in der schichte des Centre national de la recherche Forschung (vor allem diejenigen der Alexander von scientifique (CNRS) und lehrt an der Univer- Humboldt-Stiftung, die Forschenden aller Länder und sität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, Christophe Disziplinen offenstehen); Institutionen wie das Deut- Duhamelle ist Professor für Frühe Neuzeit an sche Forum für Kunstgeschichte in Paris, das Centre der École des hautes études en sciences sociales Marc Bloch in , das Institut franco-allemand de (EHESS) in Paris und Olivier Richard ist Profes- sciences historiques et sociales in Frankfurt – sie alle sor für Geschichte des Mittelalters an der Uni- bilden ein produktives Netzwerk, das synergetisch versität Straßburg. Corine Defrance und Olivier arbeitet und von dem das DHI Paris ein Teil ist. Diese Richard sind Mitglieder des Wissenschaftlichen Akteure der deutsch-französischen Kooperation teilen Beirats des DHI Paris. Alle drei sind langjährige eine europäische Überzeugung. Der (positive) Trend, Wegbegleiter des DHI Paris. dass die internationale wissenschaftliche Kommunika- tion über den kleinsten gemeinsamen Nenner einer Übersetzung aus dem Französischen: universalen Sprache läuft, wird immer stärker. Parallel Volker Zimmermann

Die Deutsch-Franzö­ sische Geschichte in elf Bänden Foto: DHI Paris, Martin Steffen DHI Martin Paris, Foto: 02 2018 Max Weber Stiftung 14 15 Im Zeichen der Internatio­nalisierung

Das DHI Paris im 21. Jahrhundert

Das DHI Paris feiert 2018 sein 60-jähriges Jubiläum. Es war bezeichnend, dass die prä­ genden Figuren der ersten drei Jahrzehnte des DHI Paris Mediävisten und Frühneuzeit­ ler waren. So widmete sich etwa Karl Ferdi­ nand Werner den merowingisch-fränkischen Anfängen und Gemeinsamkeiten, ohne an die noch spürbaren Verwerfungen des 20. Jahrhunderts rühren zu müssen. Insofern Steffen DHI Martin Paris, Foto: ist es eine große Errungenschaft und keine Selbstverständlichkeit, wenn seit 2005 die Die Bedeutung des Franco-allemand liegt in sei- Reihe Deutsch-Französische Geschichte in elf nem Laboratoriumscharakter. Der methodische und Bänden erscheint, die von der Kaiserkrönung theoretische Austausch, oft kollegial und freund- Karls des Großen bis ins 21. Jahrhundert schaftlich, zeitweise auch in feindlicher Konkurrenz, ist seit vielen Jahrhunderten intensiv. Das ermög- führt. licht nicht nur vielfältige Lernprozesse, sondern Selbstaufklärung über die Standortgebundenheit, die eigenen Traditionen, die blinden Flecken, spe- zifische Interessen. Wenn die Wissenschaftswelt sich in einem universellen Englisch verständigt, in dem sich alle Gemeinschaften wiedererkennen, dann ist es aus wissenschaftlichen wie politischen Gründen wichtig, dass der Gegenpol dazu nicht as bedeutet nicht, dass sich alle politischen, die Nation mit ihrer einen Sprache und ihren vielen historiografischen und vergangenheitspo- Engführungen ist. Vielmehr muss dies eine Nation D litischen Probleme erledigt hätten, die um sein, die sich im Spiegel einer anderen wahrnimmt, 1960 aktuell waren. Doch sie werden heute in einem welch Letztere so verstehbar anders tickt, dass die Umfeld diskutiert, das die deutsch-französische zahlreichen Differenzen scharf herausgearbeitet Freundschaft als gegeben ansieht. Zugleich wird sie werden können. jedoch nicht mehr als entscheidende Basis erkannt, um die Herausforderungen in Europa oder gar welt- Ein deutsch-französisches Laboratorium ist kein weit anzugehen. Das Englische ist für die Sozial- Standort, sondern ein Netzwerk für das DHI Paris: wissenschaften längst die Lingua franca geworden mit französischen Partnern in Deutschland und deut- und wird es ebenso für die Geisteswissenschaften. schen Partnern in Paris und im übrigen Frankreich, Weshalb auch sollte das Französische, in Kombina- akademischen Institutionen ebenso wie Kulturein- tion mit dem Deutschen, hier eine Sonderstellung richtungen. In diesen Netzwerken hat sich der Fokus beanspruchen? Der Verweis auf die großen Wis- der MWS-Institute verschoben: weg von Langzeit- senschaftstraditionen reicht nicht aus, zumal wenn projekten, die durch fest angestellte Entsandte deren Erträge immer einfacher durch Übersetzungen verfolgt wurden, hin zu Qualifikationsarbeiten des greifbar werden. wissenschaftlichen Nachwuchses. Aus den Instituten

Der Campus der Die digitale Wissen- Université Cheikh schaftspublikation Anta Diop (UCAD) in und -kommunikation Dakar. Gemeinsam sind Schwerpunkte der mit der UCAD und Arbeit des DHI Paris. anderen Partnern hat das DHI Paris in Dakar ein transnatio- nales Forschungspro- gramm aufgebaut.

Besondere Bedeutung hat das deutsch-franzö- Solche Fragen haben die drei Etappen begleitet, sische Laboratorium für die Konzeption von neuen in denen das DHI Paris seine Forschungspräsenz internationalen Forschungsprojekten und -verbün- in Dakar (Senegal) mit der Universität Cheikh Anta den. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob deutsche Diop und dem dortigen Centre de recherches sur les Institutionen von Deutschland aus nach Kooperations- politiques sociales (CREPOS) aufgebaut hat: zuerst partnern suchen oder ob sie dies mit einer binatio- eine fünfköpfige Projektgruppe unter Leitung einer nalen Basis angehen, wie dies das DHI Paris in den französischen Kollegin (Ende 2015), dann eine trans- letzten Jahren bei seinem Engagement in Westafrika nationale MWS-Forschungsgruppe mit einem Dut- getan hat. Im Pariser Laboratorium war es vor allem zend Promovierenden und Postdocs unter deutscher die Zusammenarbeit mit Sciences Po, welche dafür Leitung (ab Januar 2017) und schließlich ab Herbst den Weg bereitet hat. Die Diskussionen in diesem 2018 ein vom BMBF finanziertes Merian Institute for Rahmen eröffneten den Blick auf ungewohnte me- Advanced Studies in Africa (MIASA) mit Sitz in Accra thodische Herangehensweisen, fremdartige Lektü- (Ghana) und Dakar. Auf deutscher Seite bringt das rekanons, unvertraute historische Implikationen, ei- Konsortium des MIASA die Universitäten Freiburg, gentümliche Konflikt- und Streitkulturen. All das trägt Frankfurt und Konstanz sowie das German Institute dazu bei, die Untersuchungsgegenstände zu ent- of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg mit selbstverständlichen, zu verfremden und gleichzeitig dem DHI Paris zusammen. unterschiedliche Zugänge anzubieten. Wie verändert sich das Verständnis von Bürokratie, wenn man von Die Gedenkrituale und die begleitende Forschung Max Weber oder von Michel Foucault ausgeht? Ist haben gezeigt, dass das deutsch-französische La- die Religion ein eigenständiger Untersuchungsgegen- boratorium auch beim Thema Erster Weltkrieg eine stand, oder lässt sie sich als „fait social“ den Sozial- gewichtige Rolle spielt, obwohl die unterschiedlichen wissenschaften unterordnen? Wo drängen Positionen nationalen Erfahrungen an Bedeutung verloren haben der jahrhundertelangen Kolonialmacht durch, wo die gegenüber einem Narrativ des gemeinsamen Lei- Verarbeitung von extremer Gewalt, wie sie die deut- dens. Dahinter können aber jederzeit divergierende sche Geschichtswissenschaft prägen, aber auch ihre Deutungen etwa des Kriegsendes wieder auftau- Rezeption in Afrika interessant machen kann? chen, wie es heuer durchaus konfliktträchtig der Fall 02 2018 Max Weber Stiftung 16 17

Eröffnung der Tagung „National History and New Nationalism in the 21st Century“ – Foto: DHI Paris, Martin Steffen DHI Martin Paris, Foto: aktuelle politische Entwicklungen werden am DHI Paris in inter- nationalem Rahmen diskutiert.

war. Erfreulich ist, dass einzelne Divergenzen nicht keiten, Grenzen und Gefahren der digital bedingten AUTOR mehr zu nationalen Schulterschlüssen führen. Noch Änderungen unserer Wissenschaftskultur, die sich Thomas Maissen ist sind die meisten historiografischen Institutionen unter anderem in gigantischen digitalen Quellenkor- seit dem 1. September pluralistisch aufgestellt. Doch in vielen Ländern steigt pora und den damit verknüpften Möglichkeiten ihrer 2013 Direktor des DHI der Druck durch staatliche Institutionen, die Vergan- computergestützten Interpretation zeigen. Ebenso Paris. Seit 2004 hat genheitspolitik als Mittel der Identitätsstiftung und ermöglichen und begleiten die Digital Humanities er den Lehrstuhl für national(istisch)en Homogenisierung ansehen und den Formatwandel bei wissenschaftlichen Veröffent- Neuere Geschichte Fördermittel entsprechend verteilen. Wenn das DHI lichungen, der sich am DHI Paris in einem neuen mit Schwerpunkt Paris solche Entwicklungen mit Sorge verfolgt und Publikationskonzept niedergeschlagen hat. Die Frühe Neuzeit an in internationalem Rahmen diskutieren lässt, dann bisherigen Buchreihen werden wir 2019 unter dem der Ruprecht-Karls- nicht zuletzt im Wissen darum, dass auch in demo- Titel Pariser Historische Studien zusammenfassen, Universität Hei- kratischen Systemen die Wissenschaften sich sehr deren Monografien in hybridem Format, online und delberg inne. Seine schnell nach dem Wind von Macht und Ressourcen als Print-on-Demand, bei Heidelberg University Forschungsschwer- ausrichten. Publishing (heiUP) erscheinen und als Golden Open punkte sind Histo- Access unmittelbar greifbar werden. Herkömm- riografiegeschichte, In dieser Konstellation hat es eine durchaus wis- liche Sammelbände aufgrund von Tagungen will die Geschichte des senschaftspolitische Dimension, dass das DHI Paris das DHI Paris nicht mehr publizieren, doch wirken politischen Denkens, seit einem Jahrzehnt ein besonderes Interesse an die Forschenden bei neuartigen Experimenten wie Mentalitätsgeschich- den Digital Humanities pflegt und damit in der MWS Open-Peer-Review ebenso mit wie in den vertrauten te, Geschichtsbilder, ebenso wie im (inter-)nationalen Umfeld in den Be- Formaten etwa unserer international renommierten die Geschichte der reichen digitale Wissenschaftspublikation und -kom- Zeitschrift „Francia“. In dieser kreativen Verbindung Schweiz sowie Bil- munikation führend unterwegs ist. Soziale Medien von Innovation und Bewährtem, wozu beispiels- dungs- und Schulge- sprengen und korrigieren nationale Grenzen des weise auch das mediävistische Editionsprojekt der schichte. Informationsaustauschs – und sind gleichzeitig Ma- Gallia Pontificia gehört, wird das DHI Paris weiterhin nipulationen und Disziplinierungen ausgesetzt, wenn seinen wichtigen Beitrag zum deutsch-französischen es um wirtschaftliche oder politische Interessen Laboratorium leisten. geht. Mit seinen Veranstaltungen leistet das DHI Paris einen Beitrag zur Reflexion über die Möglich-