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René Jacobs V/2009 VON EN HL O F P M E

W. A. MOZART (1756-1791) (Dramma per musica in drei Akten) Richard Croft (Idomeneo) – Bernarda Fink (Idamante) – Sunhae Im (Ilia) – Alexandrina Pendatchanska (Elettra) – Kenneth Tarver (Arbace) u. a. – RIAS Kammerchor – Freiburger Barockorchester, Leitung: René Jacobs HMC 902036.8 (M03)

CD Tipp

Klassik verpflichtet. Idomeneo – ein janusköpfiges Werk Auszüge aus einem Interview von Henning Bey mit René Jacobs

Du hast ja als Partitur die neueste schlechte Schauspieler waren, und daß dies wollte, sondern wegen äußerer Revision der NMA [Neue Mozart- z. B. ihr langer Dialog, wo der Sohn Umstände. Darum will ich die natür- Ausgabe] vorliegen, die es im Druck den Vater und der Vater den Sohn lich auch machen. noch gar nicht gibt. Was kann man erkennt, von ihnen nicht adäquat da denn Neues erwarten, wenn man dargestellt wurde. Obwohl er wirk- Siehst Du den Idomeneo in einer das jetzt mit Dir und dem Orchester lich alles davon bereits vertont hatte. gewissen Tradition? Nikolaus hört? Du führst alles auf, was Mozart Darum kürzte er den Dialog, obwohl Harnoncourt hat ja erst kürzlich in seinem Autograph notiert hat, er gerne alles gehabt hätte. Aber die den Idomeneo in Graz inszeniert und also auch das, was er später gestri- Voraussetzung dafür ist natürlich, dirigiert und gesagt, für ihn wäre chen oder überklebt hat. daß die Sänger diese Rezitative nicht diese Oper eine Tragédie lyrique eintönig absingen, sondern daß sie und keine italienische Opera seria? Ich habe für mich selber die Striche, Theater machen. Damit ist nicht nur Ist das für Dich auch so eine aus- die Mozart für die Münchner das Gestische gemeint; obwohl das schließliche Sache, daß man hier Uraufführung in seiner Partitur wohl auch sehr schlecht bei den bei- sagen muss ‚entweder-oder’? vorgenommen hat, und die man den war, denn Mozart sagte „Der Raaf kennt, in zwei Gruppen eingeteilt. [Sänger des Idomeneo] singt come una Nein, nein. Das ist mir ein wenig Die erste Gruppe sind Striche, die statua“, also wie eine Statue. Nötig zu sophistisch. Die Heidelberger er sich sehr früh, also bereits in der sind aber Farben in der Stimme, so Musikwissenschaftlerin Silke Leopold Komponierphase, vorgenommen und daß auch ein Blinder in den Tönen die hat einmal geschrieben, daß Idomeneo genau überlegt hat. Eigentlich gibt es Gesten sieht. ein „janusköpfiges Werk“ sei. Das ist sogar drei Gruppen, zählt man noch Und diese ganzen Striche wollen wir sehr gut gesagt, finde ich. Nach rechts die Gruppe der Striche hinzu, die er daher trotzdem machen. Ich habe extra schaut der Kopf in die Zukunft mit gar nicht erst komponiert hat. Aber Sänger ausgewählt, die das können, Erwartung und Liebe, und nach links, die können wir nicht machen, da sie obwohl das auch für sie schwierig sein in die Vergangenheit, mit Erinnerung nur in seinem Kopf existierten. wird, in den nun längeren Rezitativen und Liebe. Es gibt hier sehr moder- Die letzte Gruppe sind die Striche den Bogen zu halten. […] ne Musik, in bestimmten Momenten im Autograph, vor allem in den Um zu verstehen, warum Mozart am sogar moderner als in allen anderen Rezitativen, wo er alles schwarz Ende noch einiges gestrichen hat, Mozart-Opern. Aber es gibt andere gemacht, also ausgekreuzt hat, so ist es wichtig zu wissen, daß sein Musik im Idomeneo, die wiederum in daß niemand mehr die ursprüngliche Auftraggeber Graf Seeau ihm auch die Vergangenheit guckt. Beide sind Lesart entziffern konnte – obwohl man Kürzungen befohlen hatte, weil die mit der gleichen Liebe und dem glei- selbst diese Striche mit Mühe lesen Oper um 18 Uhr anfangen und um chen Einfallsreichtum komponiert. kann, aber das macht natürlich keinen 22 Uhr enden sollte, denn danach gab Das ist immer personenabhängig. Sinn. Alle anderen Striche, und das es einen Ball. Also nicht das Ballett aus Der alte Idomeneo singt natürlich in sind jetzt sehr viele, sind unter Druck Idomeneo, sondern ein Society-Ball. einem älteren Stil, der fast schon an zustandegekommen: Zum einen fand Und das ist tödlich gewesen, weil dem den Barock erinnert. Wie übrigens Mozart, daß sein Idomeneo und einiges zum Opfer fiel, z. B. Elettras auch Arbace. In diesem Sinne haben sein Idamante [also die Sänger] sehr Wahnsinnsarie – nicht weil Mozart wir dann durchaus Musik aus der

2 magazin Opera seria. Ein anderes Beispiel ist Idomeneos letzte Arie Torna la pace – der Frieden kommt wieder –, wo er nicht mehr an die Zukunft denken muss, da er nicht mehr König ist. Für ihn ist also keine Zukunftsmusik mehr drin, und er singt in einem Stil wie in den letzten Opern von Hasse. So ist das mit dieser Oper, Mozart ist 25, er hat zwei Jahre lang keine Oper komponiert, es ist die Zeit des „Sturm und Drang“, und er will nun zeigen, daß er nicht nur Stile imitieren, sondern sie auch noch dazu besser komponieren kann. Der andere, den er imitie- ren und übertreffen will, ist Gluck. Die tragédie lyrique „via Gluck“ findet sich hier in den Chören und in der großen Menge an orchester- begleiteten Rezitativen. Überbieten will er Gluck beispielsweise in einer Elettra-Arie, die in einen Sturmchor übergeht – ohne daß die Arie auf- hört. Man hört nicht genau, wo die Arie aufhört und der Chor anfängt, denn es geht hier vom Sturm in Elettras Seele direkt in den Sturm in der Natur. Und der dritte Stil in Mozarts Oper ist der moder- ne Stil, verkörpert durch moderne Charaktere, wie etwa Ilia, die die modernste Musik bekommen, eine moderne Musik, die wir z. B. in der Entführung aus dem Serail wiederfin- den. Etwa beim einzigen Duett der Liebenden im 3. Akt, wo man ein Thema hört, das in der Entführung in Belmontes Arie Oh wie ängstlich, oh wie feurig erklingt.

René Jacobs Fotos: Eric Larrayadieu

bereits erschienen: „Es gibt sie noch, die Auf-

N N VO nahmen, die man braucht.“ E HL O F P M E WELT AM SONNTAG W. A. MOZART des Mark Padmore (Tito) – Bernarda Fink (Sesto) – „Ein„Ein Höhepunkt des AlexandrinaAlexandrina PendatchanskaPendatchanska (V(Vitellia)itellia) – SunhaeSunhae ImIm (Servilia)(Servilia) – Mozartjahres“Mozartjahres“ Marie-Claude Chappuis (Annio) – Sergio Foresti (Publio) – DIE ZEIT RIAS Kammerchor – Freiburger Barockorchester, Leitung: René Jacobs „Ein Kabinettstück sonder gleichen“ HMC 801923.4 (T02) BAYERISCHER RUNDFUNK

Erlebnis“ „Ein„Ein echtes Erlebnis“ HESSISCHERE RUNDFUNK

harmonia mundi magazin 3 Kriminalistisches Notenpuzzle

G. F. HÄNDEL (1685-1759) 12 Solosonaten op. 1 Academy of Ancient Music, Leitung: Richard Egarr HMU 907465.6 (P02)

CD Tipp

Klassik verpflichtet.

Georg Philipp Telemann lernte John Walsh in London erschienen ist. sogar das Notenstechen, um die Beide Ausgaben sind zu großen Teilen Fehlerlosigkeit von Kompositionen, von den gleichen Druckplatten ange- Richard Egarr die ihm besonders am Herzen lagen, fertigt worden; es ist jedoch unwahr- Foto: Marco Borggreve sicherzustellen. Händel selbst griff seit scheinlich, daß Walsh im Besitz von 1711 auf den Londoner Musikverleger Amsterdamer Druckplatten gewesen Im 18. Jahrhundert brachten Walsh zurück, wenn er sich seiner ist, da keinerlei Verbindungen zwi- Komponisten gern von ihnen selbst Sache sicher sein wollte. So auto- schen beiden Verlagshäusern nachweis- autorisierte gedruckte Ausgaben risierte er 1738 eine Ausgabe sei- bar sind. Die „Amsterdamer“ Ausgabe ihrer Werke in Umlauf, um schlech- ner Orgelkonzerte op. 4 bei Walsh, da war offensichtlich eine Fälschung von te Ausgaben ihrer Musik auf Grund „eine nicht autorisierte und fehlerhaf- Walsh, die unter dem Namen eines von fehlerhaften Abschriften aus te Ausgabe in Umlauf ist, die ohne nicht mehr existenten Konkurrenten dem Verkehr zu ziehen. In Zeiten das Wissen oder Einverständnis des den Markt für Kammermusik vor der Erfindung von Gema und Autors erschienen ist“. Händels sondieren sollte. Dieser Copyright waren solche Drucke Die Veröffentlichungsgeschichte von war ja in London hauptsächlich als mit Echtheitszertifikat das einzige Händels Opus 1 konfrontiert den Opernkomponisten bekannt, doch Mittel der Komponisten, sich vor Musikforscher allerdings mit einem offenbar glückte das Experiment, entstellenden „Raubkopien“ ihrer veritablen Puzzle. Von den zwölf denn die nächste Auflage erschien Werke zu schützen. Gelegentlich Sonaten der Sammlung existieren unter Walshs eigenem Namen. braucht man indes kriminalisti- zwei Ausgaben: eine des 1722 erlo- Eine Mitarbeit Händels an beiden schen Spürsinn, um die Echtheit schenen Amsterdamer Verlagshauses Ausgaben ist unwahrscheinlich, da von Notendrucken zu überprüfen. Roger und eine, die um 1732 bei sie sowohl untereinander Differenzen aufweisen und auch mit einigen über- lieferten Autographen der Werke mit der Academy of Ancient Music unter Richard Egarr bereits erschienen: nicht genau übereinstimmen. In der G. F. HÄNDEL Musikforschung hat dieser Umstand Concerti grossi op. 3 gelegentlich zu Zweifeln an der HMU 807415 (U01) Echtheit einzelner Teile der Solosonaten op. 1 geführt, Richard Egarr ist jedoch von der Authentizität dieser Musik überzeugt: „Nur zu gerne glaube ich, daß diese Musik von Händel ist. Und wenn nicht – welches Genie ist dann dafür verantwortlich?“, fragt er im Beiheft und liefert damit den besten „Präsentiert sich dabei voller Energie und Tatendrang in Grund, sich nicht durch kleinliche Bestform“ Zweifel vom Genuß dieser großarti- FONO FORUM „Ein wunderbar inspirierender gen Musik abhalten zu lassen. Höreindruck“ HESSISCHER RUNDFUNK 4 harmonia mundi magazin Kriminalistisches Notenpuzzle Erotische Dichtung in der Bibel Canticum canticorum, Lied der Lieder (bei Martin Luther das Hohelied): So lautet der Name eines der seltsamsten Bücher des Alten Song of Songs – Testaments, das nicht von Gott und Das Hohelied in der den Menschen, nicht von Sünde, Renaissance Strafe und Vergebung erzählt, Werke von Palestrina, Lasso, sondern in durchaus erotischem Victoria u. a. Tonfall von der Liebe zwischen zwei Menschen. Wie kommt ein solches Stile Antico Buch in die Bibel? Ein Rabbiner HMU 807489 (T01) des ersten nachchristlichen Jahrhun-

N N VO LE derts antwortete: „Ein Buch von H O F P M solcher Schönheit kann nur von E CD Tipp Gott kommen.“ Klassik verpflichtet.

Und das zählte als ge wichtiges Argument in der De batte, an deren Ende das Hohelied endgültig unter dem Na men Schîr haschîrîm (Lied der Lieder) in die jüdi sche Bibel aufgenom men wurde. Als Liebespaar dieser Dichtungen galt lange König Salomo und seine Geliebte Sulamith; zu Salomos Zeiten ist das Hohelied freilich nicht entstanden, schon gar nicht ist er selbst der Ver fasser. Es wurde ein hal bes Jahr tausend nach Stile Antico seiner Zeit aus ver schiedenen Quellen Foto: Marco Borggreve zusammengestellt und unter dem Namen dieses Kö nigs veröffentlicht, druckend: Aus Texten, die verschiede- mit der jüdischen Bibel im Alten der für Israel Inbegriff der größten nen Jahrhun derten ent stammen (die Testament übernommen und hat eigenen Macht und Prächtigkeit war, genaue Entstehungszeit aller einzelnen damit auch die Schwierig keiten als na tionaler Mythos vergleichbar der Teile ist nicht zweifelsfrei be kannt) geerbt, das Buch als Gottes Wort zu Stellung, die Ludwig XIV. für die wurde das Buch im dritten oder vier- in terpretieren. Das Liebesverhältnis Franzosen einnimmt. ten Jahr hundert vor Christus zusam- allego risch als die Be ziehung Gottes Das Schîr haschîrîm gehört ohne jeden mengestellt und fand wei tere drei bis zu seinem Volk Israel zu deuten, lag Zweifel zu den bedeutendsten lite- vier Jahrhun derte später endgültigen auf der Hand, ebenso jene Gottes rarischen Schöpfungen der hebrä- Ein gang in die Reihe der heiligen zur Gottesmut ter Maria oder Jesu zu ischen Sprache, und der zeitliche Schriften. seiner Kirche (noch heute ist es in wei- Horizont der Entstehung ist beein- Das Christentum hat das Hohelied ten Teilen des Katholizismus üblich, Erstkommunikantin nen als „Bräute mit Stile Antico zuletzt erschienen: Jesu“ zu kleiden).

VON EN HL O F P Diese allegorischen Gleichsetzungen M HEAVENLY HARMONIES E Psalme und Motetten von führten zu einer außerordentlichen Thomas TALLIS & William BYRD Beliebtheit des Canticum canticorum HMU 807463 (U01) in Mittelalter und Renaissance. Pier Luigi Palestrina, der größte Meister der Renaissance-Polyphonie, schrieb im VVorwortorwort zu seiner 1584 vveröffent-eröffent- lichten S Sammlungammlung v vonon 29 H Hohelied-ohelied- „Gehört fraglos zu den bemer- motetten: „I„Ichch habe ein WerkWerk geschaf- Zeit“ kenswertesten musikalischender jüngsten fen, das die göttliche Liebe zwischen EntdeckungenEntdeckungen der jüngsten Zeit“ UM Christus und seiner Geliebten,Geliebten, der FONO FORUMFOR Seele,Seele, behandelt, das Lied der Lieder „Ungemein homogen, kultiviert, klangschön, zugleich ebenso aus- Salomons.“Salomons.“ drucksintensiv“ BAYERISCHER RUNDFUNK harmonia mundi magazin 5 Bruno MANTOVANI (*1974) Philippe SCHOELLER (*1957) Gilbert AMY (*1936) Cellokonzerte Jean-Guihen Queyras, Violoncello – Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken, Leitung: Günther Herbig Orchestre Philharmonique de Radio France, Leitung: Alexander Briger

VON EN HL O F P Orchestre de Paris, Leitung: Gilbert Amy M E HMC 901973 (T01)

Der Interpret, „Hebamme der Musik“ Jean-Guihen Queyras im Gespräch Sie haben mehr als zehn Jahre im Wenn es in unserem Beruf einen Bereich Ein gewaltiges Crescendo in die- Ensemble InterContemporain gespielt gibt, in dem kein Platz für Routine sem Prozeß ist die Arbeit mit dem und bei zahlreichen Uraufführungen ist, dann ist es die Uraufführung, Komponisten unter vier Augen. Der mitgewirkt. Kann sich da noch Magie die Mitwirkung bei der Geburt eines eine studiert mit seinem Interpreten einstellen? Werkes. Sie macht uns unversehens zu Note für Note alles ein, der ande- Hebammen der Musik mit der ganzen re kommentiert sein Werk in gro- wundervollen Verantwortung, die das ßen Zügen, spricht in Bildern... Es mit sich bringt. Wenn man nicht in ist von unschätzbarem Wert, dieses Stimmung ist und wenn man sich Zusammentreffen, wenn sich zwei nicht voll und ganz mit dem Werk, Welten von Angesicht zu Angesicht das man zur Aufführung bringen soll, gegenüberstehen. Kennzeichnend identifiziert, wird es das „Baby“ schwer für diesen Prozeß ist eine spürbare haben, zu gedeihen und seinen Platz und fruchtbare Unsicherheit. Beide in der Musikwelt zu finden. Seiten kämpfen gleichermaßen mit dem Lampenfieber: Der Interpret, alle Wie geht das im einzel- Antennen ausgefahren, möchte ein nen vor sich, wenn ein getreuer und lebendiger Spiegel des neues Konzert entsteht, Komponisten sein, und dieser erlebt bevor es im Konzertsaal zum ersten Mal physisch, was er zu erklingt? Papier gebracht hat. Da ist zunächst ein- mal das persönliche Welche Bedeutung hat die erste Probe Gespräch mit dem mit Orchester? Komponisten, die Entdeckung Zum ersten Mal sind alle Komponenten seiner Klangwelt und der vereint, kommt alles zur Sprache. Die Wunsch, daran teilzuha- formale Struktur wird sichtbar. Alles ben, selbst etwas dazu beizutragen. ist da... bis auf das Wesentliche natür- Wenn der Plan zu einem Konzert lich. gefaßt worden ist, vergehen viele Monate, in denen man sich schon Das Wesentliche? eine Vorstellung von Klangfarben, Das Wesentliche ist dem Konzert vor- Klanggebärden macht. Dann kommt behalten. Erst im Konzert zeigt sich, die Partitur... man blättert darin in was in einem Werk steckt, was es uns fieberhafter Erregung. Man greift zu bieten hat an Gemeinschaft, an zum Instrument, interpretiert die Teilhabe, uns, den Interpreten, dem Zeichen. Klänge entstehen, durch Publikum, dem Komponisten, in einer ihre Verknüpfung nimmt eine Form „Dreiecksbeziehung“, die intensiv und Gestalt an, die oft völlig verschieden wahrhaftig sein soll. Jean-Guihen Queyras ist von dem, was man erwartet hatte. Foto: Marco Borggreve

6 harmonia mundi magazin – Porträt einer Stimme Ein Film von Benoît Jacquot HMD 9909018 (U01)

Alfred Deller (1912-1979) – „unvergeßlich, unerreicht…“ So charakterisierte Kastraten, die durch ihre Alten Musik nicht mehr wegzudenken Verstümmelung die Knabenstimme ist, sondern daß sogar im Laufe des Alfred Deller. Diesem behielten, waren ein hauptsäch- letzten halben Jahrhunderts zahlreiche außerordentlichen Künstler lich italienisches Modephänomen Komponisten von gebührt das Verdienst, die Kunst des 18. Jahrhunderts, sie beherrsch- bis zu direkten Zeitgenossen wie des hohen Männergesangs wie- ten als Stars die Opernbühnen ganz Aribert Reimann und Olga Neuwirth der zum Leben erweckt zu haben. Europas. In der geistlichen Musik den Countertenor mit überaus reizvol- Über Jahrhunderte spielten diese waren Kastraten nördlich der Alpen lem Repertoire bedacht haben. Sänger, die dank einer spe- kaum zu finden, hier dominierten, Alfred Deller ist nicht häufig in Film ziellen Falsettechnik in Alt- da Frauen an der Kirchenmusik nicht und Fernsehen dokumentiert worden. oder gar Sopranlage sin- teilnehmen durften, Knabenstimmen Diese DVD präsentiert den einzigar- gen konnten, besonders und „Altisten“, wie Countertenöre im tigen Interview-Dokumentarfilm, den in der geistlichen Musik deutschen Sprachraum meist genannt der damals kaum dreißigjährige Benoît eine bedeutende Rolle, wurden. Seit den 1940er Jahren beleb- Jacquot 1976 über Alfred Deller dreh- sogar Bach hat noch te Alfred Deller auf Anregung des te. Eine CD mit Studioaufnahmen „Altisten“ eingesetzt. englischen Komponisten Michael einiger Stücke, die im Film zu Tippett diese alte Kunst von neuem, hören sind, ergänzt diese wertvolle und es ist seiner außerordentlichen Veröffentlichung. Künstlerpersönlichkeit zu verdanken, daß diese Stimmlage „Die Begegnung mit Alfred Deller war die heute nicht nur aus wichtigste und aufregendste Begegnung der Pflege der meines Berufslebens.“ , Gründer und General- direktor von harmonia mundi „Als ich seine Stimme hörte, öffnete sich eine neue Welt für mich.“ René Jacobs „Seine wunderbare Gabe des Gesangs- vortrags ist mir bis heute in lebhafter Erinnerung, aber auch seine herzliche und liebevolle Freundschaft.“ „Ein herrlicher, raffiniert modulierter Klang – mühelos leicht, ideal zu unseren alten Instrumenten; sehr eigenwillig und mit größtem Ausdruck eingesetzt. Ihn zu begleiten war ein reines Vergnügen.“ Nikolaus Harnoncourt

harmonia mundi magazin 7 VON EN HL O F P M NEUEINSPIELUNG E

Joseph HAYDN (1732-1809) Streichquartette f-moll op. 20/5, C-Dur op. 33/3 & D-Dur op. 76/5 Jerusalem Quartet HMX 2962030 (K01)

CD Tipp

Klassik verpflichtet.

Joseph HAYDN (1732-1809) NEUEINSPIELUNG Die späten Klaviersonaten – Nr. 58 C-Dur, Nr. 59 Es-Dur, Nr. 60 C-Dur, Nr. 62 Es-Dur AlainAlain Planès,Planès, Klavier HMX 2961994 (K01)

VON EN HL O F P M E CD Tipp

Klassik verpflichtet.

Aufnahmen von Scarlatti bis Debussy eine eindrucksvolle Diskographie bei Der dritte Jubilar harmonia mundi aufzuweisen hat. Nicht nur Händel und Mendelssohn „Schön balanciert Planès zwischen Das Jerusalem Quartett wurde 1993 werden 2009 gefeiert: Ein weite- gebotener Haydn-Sachlichkeit und gegründet, und schnell spielte es sich res Gedenkdatum dieses Jahres einer unverstellt-spontanen, fast naiven an die Spitze der Quartettformationen – Joseph Haydns 200. Todestag Spielfreude. ... Ein intelligentes, spritzi- ihrer Generation. Hier legen sie am 31. Mai – gerät bei harmonia ges und durchaus raffiniertes Plädoyer ihren zweiten Band mit Haydn- mundi nicht aus dem Blickfeld. für die unverbrauchte Modernität Quartetten vor. „Hier sind vier innig Fünf Veröffentlichungen, zwei und die tiefe Humanität der bislang verschmolzene Musiker auf höchstem Neueinspielungen und drei wert- eher unterschätzten Klaviermusik Kammermusik-Niveau zu erleben.“ volle Aufnahmen aus dem Katalog, Haydns“, schrieb Stereoplay über die lobten die Kieler Nachrichten die erweitern und bereichern die Haydn- erste Aufnahme von Haydn-Sonaten erste Folge der vier jungen israelischen Edition bei harmonia mundi. durch Alain Planès, der mit seinen Musiker.

Joseph HAYDN Joseph HAYDN Joseph HAYDN (1732-1809) (1732-1809) (1732-1809) 13 Klaviersonaten, Cellokonzerte C-Dur & D-Dur Sinfonien Nr. 91 Es-Dur & Nr. 92 Fantasie C-Dur, Andante Jean-Guihen Queyras, Violoncello – G-Dur, Scena di Berenice und Variationen f-moll Freiburger Barockorchester, Bernarda Fink, Mezzosopran – Alain Planès, Klavier Leitung: Petra Müllejans Freiburger Barockorchester, 3 CDs: HMX 2961761- (I03) HMX 2961816 (K01) Leitung: René Jacobs HMX 2961849 (K01)

8 harmonia mundi magazin Die Katalog-CDs sind seit langem populäre Höhepunkte des Jahres bei harmonia mundi. Und auch dieses Jahr begleiten zwei Ausnahmeeinspielungen zum Sonderpreis die

Veröffentlichung des aktuellen Katalogs 2009. ^ Antonín DVORÁK (1841-1904)

Cellokonzert h-moll op. 104, Klaviertrio Nr. 4 e-moll op. 90

^ Jean-Guihen Queyras, Violoncello^ – The Prague Philharmonia, Leitung: Jirí Belohlávek – Isabelle Faust, Violine – Alexander Melnikov, Klavier HMX 2901867 (H01)

J. S. BACH (1685-1750) Cembalokonzerte d-moll BWV 1052 & E-Dur BWV 1053, Tripelkonzert a-moll BWV 1044 The Academy of Ancient Music, Cembalo & Leitung: Richard Egarr HMX 2907283 (H01)

Der Zauber jahrhundertealter Traditionen Im Unterschied zu der seit frühen gemacht, die vor der Armut ihrer der keltischen Musik beläuft sich auf Zeiten in Notenschrift festgehaltenen Heimat nach Amerika flüchteten. Nur die Jahre 1977-78, als Hespèrion XX musikalischen Überlieferung der west- wenige Stücke der irischen und schot- in Kilkenny für ein Konzert gastier- europäischen Kulturen ist das kel- tischen Tradition sind während der te. Während des Festivals waren tische musikalische Erbe durch die Jahrhunderte von Sammlern aufge- die Straßen, Plätze und Pubs vol- mündliche Überlieferung vom Vater zeichnet worden. ler Musiker aller Art (Geigen, Flöten an den Sohn und vom Lehrer an den hat diese Quellen natür- usw.), die ohne Pause spielten, solo Schüler weitergegeben worden. Sogar lich studiert, doch das direkte oder in Begleitung (einer Gitarre oder den Sprung in die Neue Welt hat Zusammentreffen mit den heutigen kleinen Harfe). Die vielen Musiker, diese uralte Musik mit den irischen Erben der lebendigen Tradition in die die Musik mit so starker Intensität Auswanderern des 19. Jahrhunderts Irland und Schottland war nach eige- und Gefühlskraft erlebten, strahlten nem Bekunden mindestens ebenso eine solche Lebenskraft, einen solchen wichtig: „Meine erste Begegnung mit Zauber aus!“

THE CELTIC Airs & Dances – Eine Hommage an die irische und schottische musikalische Tradition Jordi Savall, Gambe & Andrew Lawrence-King, Harfe & Psalterium AVSA 9865 (Q01)

Jordi Savall

harmonia mundi magazin 9 Vorausahnungen höchster Meisterschaft

Mit dem sechsten Band ist Michael Korstick in seinem weitgehend chro- nologisch aufgebauten Beethoven- Ludwig van BEETHOVEN Zyklus an einem Wendepunkt ange - (1770-1827) langt: In diesen Werken gibt Beet- Klaviersonaten Vol. 6: hoven einen Ausblick auf seine wei- Sonate Nr. 15 D-Dur op. 28, tere Entwicklung bis zur höchsten Variationen op. 34 & 35 Meisterschaft des Spätwerks. Die Michael Korstick, Klavier Sonate op. 28 entfernt sich allmählich von dem klassischen Charakterpaar OC 619 (Q01) der Haupt- und Nebenthematik zu - gunsten einer durchgängigen motivi- schen Entwicklung. Die beiden Variationswerke hat Beet - Jede Variation steht in einer eigenen lotet extreme Gestaltungsformen aus, hoven selbst als „ganz neu“ bezeich- Tonart und verkörpert einen individu- die grandiose Schlußfuge weist bereits net. Opus 34 zeigt eine neue Ent- ellen musikalischen Typus. Opus 35 auf die Hammerklaviersonate op. 106. wicklungsstufe der Variationsform: schließlich greift zu den Sternen und Immense Leuchtkraft des Klangbildes bescheinigte die Kritik dem jun- In der umjubelten Interpretation des Tugenden reifen Kammermusikspiels, gen französischen Trio Cérès, als es Ravel-Klaviertrios zeigten die Inter- die gerade beim Klaviertrio auch soli- beim ARD-Musikwettbewerb 2007 in preten einen unverwechselbaren stische Reife aller Ensemblespieler München den dritten Preis gewann. Zugang zu der Farbenwelt und der erfordern. eigentümlichen Emotionalität von Dieser rundherum überzeugende und Ravels Musik, gepaart mit allen absolut eigenständige Wettbewerbs- beitrag und der Eindruck, daß diese G. FAURÉ (1845-1924) Musiker „etwas zu sagen“ haben, M. RAVEL (1875-1937) waren Grund genug, das Trio Cérès P. HERSANT (*1948) für ein CD-Porträt in der Debut- Reihe von OehmsClassics einzu laden. Klaviertrios Die CD umfaßt neben Ravels Stück Trio Cérès noch das Klaviertrio d-moll op. 120 OC 730 (M01) von Gabriel Fauré und ein Werk des 1948 geborenen Komponisten Philippe Hersant, das sich auf ein Thema von Marin Marais bezieht. Musik für die Einsamkeit Morton FELDMAN „Dies ist eine Musik, die völlige Einsamkeit von ihren Hörern for- (1926-1987) dert.“ So charakterisierte der russische For Bunita Marcus Pianist Anatol Ugorski einmal Olivier Hildegard Kleeb, Klavier Messiaens Klaviermusik, dieser Satz HAT CD 174 (T01) gilt in gleicher Weise für Morton Feldmans Kompositionen für Klavier. Hildegard Kleebs Einspielung des 1985 komponierten For Bunita Mar- cus aus dem Jahr 1991 eroberte sich einfach alles: Homogen im Klangbild, gradlinig und schnörkellos durch das schnell Kultstatus unter den Freunden versiert im Rhythmischen wie in der äußerst fragile Klanggebilde“, schrieb der introvertierten Musik des amerika- (geforderten) monochromen An - Jens E. Kaiser in der Zeitschrift nischen Komponisten. „Dort stimmt schlagskultur, bewegt sich Kleeb Piano.

10 harmonia mundi magazin Sigismund NEUKOMM mit La Grande Écurie et la Chambre du Roy (1778-1858) unter Jean-Claude Malgoire bereits erschienen: Missa Solemnis Sigismund NEUKOMM , Marche funèbre Cœur de chambre de Namur – & Miserere La Grande Écurie et la K 617210 (T01) Chambre du Roy, Leitung: Jean-Claude Malgoire

CD Tipp K 617212 (T01)

Klassik verpflichtet. „Eine durchaus gelungene CD Tipp und in sich stimmige Deutung“ Feudaler Treueschwur in Rio Klassik verpflichtet. KLASSIK.COM

1807 floh der portugiesische Hof vor den Wiener Kongreß 1815 zu zwei zum feudalen Treueschwur. Die dem herannahenden Heer Napoleons Königreichen erklärt, die einander in Zeremonien schlossen mit einer in die sichere Kolonie Brasilien. Personalunion verbunden sein soll- Dankesmesse ab, die der Salzburger Der französische Kaiser wollte nicht ten. Nach dem Tod von Königin Sigismund Neukomm kompo- dulden, daß Portugal sich an der Maria 1816 wurde der Prinzregent niert hatte. Neukomm hielt sich seit Kolonialsperre gegen England nicht als Johann VI. König von Portugal, 1816 in Brasilien auf, nach enger beteiligen wollte und schickte folg- in Brasilien war er Johann I. – der Zusammenarbeit mit Joseph Haydn lich eine Armee zur Bestrafung des Regierungssitz beider Reiche blieb und einer Kapellmeistertätigkeit am iberischen Königreiches. Prinzregent zunächst in Brasilien. Zarenhof scheint er die Unabhängigkeit Johann, der seit 1792 für seine ent- 1818 wurde eine Akklamation für in Brasilien geschätzt zu haben. Erst mündigte Mutter Maria I. regierte, den neuen König zweier Reiche in 1821 kehrte der Komponist im Zuge verlegte daraufhin die Hauptstadt des Rio de Janeiro vollzogen. Brasilien der politischen Unruhen, die der Königreiches nach Rio de Janeiro. erlebte einen historischen Augenblick: Unabhängigkeitserklärung Brasiliens Nach dem Sieg der europäischen Erstmalig erschienen Vasallen der vorausgingen, nach Europa zurück Fürstenkoalition über Napoleon wur- Neuen Welt vor einem Monarchen und ließ sich für den Rest seiner Tage den Portugal und Brasilien durch eines alten europäischen Königreiches in Paris nieder.

W. A. MOZART (1756-1791) Sinfonien Nr. 36 C-Dur KV 425 & Nr. 41 C-Dur KV 551 Mozarteum Orchester, Leitung: Ivor Bolton OC 742 (M01)

Ivor Bolton

Sinfonie in vier Tagen Mozarts „Linzer“ Sinfonie verdankt Sinfonie im Gepäck, die doch zu Niedergang Mozarts Konzerterfolge ihre Entstehung einer Notlage: Auf der einem solchen Konzert unbedingt in Wien ernstlich bedrohte. Dennoch Rückreise von Salzburg, wo Mozart erforderlich war. So setzte sich Mozart entstand in diesem Jahr die Trias seiner seine junge Frau schließlich dem auf den Hosenboden, und innerhalb letzten Sinfonien, von denen die letz- ungeduldigen Vater und der Schwester von vier Tagen entstand die Linzer te mit dem Beinamen Jupiter-Sinfonie vorgestellt hatte, nach Wien legte das Sinfonie, einer der Höhepunkte seines bereits auf das Schaffen Beethovens junge Paar in Linz einen Zwischenstop sinfonischen Schaffens. Die C-Dur- vorauszuweisen scheint. ein. Ein Konzert wurde angesetzt, Sinfonie KV 551 wurde 1788 geschrie- doch es fehlten die Noten zu einer ben, zu einer Zeit, als wirtschaftlicher

harmonia mundi magazin 11 Herrn als nächtliche Unterhaltung auf Experimente mit Bach dem Cembalo vorspielte. Unter dem Titel Contemplations hat Für den schlaflosen Grafen Keyserlingk er bringt so die Fülle der Klangfarben Anne Queffélec ein Programm langsa- komponierte Bach seine Goldberg- eines glanzvollen Neubaus einer fran- mer Sätze aus dem Bachschen Œuvre, Variationen, aber offensichtlich nicht zösischen Barockorgel mit, um die aus Originalwerken oder Transkrip- als Schlaflied, sonst hätte er wohl Gedankenfülle von Bachs Musik tionen von Busoni, Hess, Kempff u. a. kaum seine ganze kompositorische darzustellen, die sein Schüler Johann zu einer ganz persönlichen Hommage Fantasie aufgebracht, um eines der Gottlieb Goldberg seinem schlaflosen an Bach zusammengestellt. aufregendsten Variationswerke seiner Zeit zustandezubringen. Da er es selbst in seiner Clavier-Übung veröffentlicht hat, wird er sich über den Rang seiner Komposition im klaren gewesen sein. J. S. BACH (1685-1750) Im Titel bestimmt Bach, der sonst mit Goldberg-Variationen BWV 988 Besetzungsangaben sparsam war, das Gunther Rost, Orgel Werk ausdrücklich für das Cembalo. Gunther Rost geht also ein Wagnis OC 636 (Q01) ein, wenn er das Werk notengetreu auf den Manualen der Orgel spielt. Doch

Johann Sebastian Bach – Contemplation Klavierstücke von Bach und Transkriptionen Anne Queffélec, Klavier MIR 082 (T01)

Wechselnde Geschicke „Wir werden Indien [= die Kolonien die Katastrophen in einer anderen der französischen Bourbonen verlo- in Mittel- und Südamerika] verlie- Reihenfolge eintrafen: Zunächst ren. Die amerikanischen Kolonien ren, danach Flandern und Italien und erkämpften sich die Niederlande ihre trennten sich erst zu Beginn des 19. schließlich auch Spanien.“ Am Beginn Freiheit – 1648 mußte Spanien die Jahrhunderts vom Mutterland, doch des 17. Jahrhunderts befürchtete ein Unabhängigkeit der Generalstaaten ging mit der Herrschaft der Habsburger spanischer Minister so den drohen- anerkennen. Neapel und Sizilien in Spanien auch das Goldene Zeitalter den Zerfall des Imperiums der spani- und auch der spanische Königsthron des iberischen Königreichs zuende, schen Habsburger, und der Pessimist selbst gingen bis zum Beginn des das noch unter Karl V. ein Weltreich sollte Recht behalten, obwohl 18. Jahrhunderts an die Konkurrenz beherrscht hatte. Wechselvoll scheint sich auch Entre el cielo y el infierno das Leben José Maríns gestaltet zu haben, der zwischen Raubmord und Pasacalles und Tonos humanos Mönchskutte Spuren hinterlassen hat, von Francisco Guerau

ON die sich nicht zu einem plausiblen V EN HL O F (1649-1722) & P M E biographischen Puzzle ordnen wol- José Marín (1618-1699) len. Doch heute braucht uns nur die Ensemble Laberintos Ingeniosos Qualität seiner Musik zu interessieren, ZZT 090301 (T01) genau wie im Falle Francisco Gueraus, der nicht mit pikanten biographischen Details aufwarten kann, doch überaus CD Tipp feinsinnige Lautenmusik hinterlassen Klassik verpflichtet. hat.

12 harmonia mundi magazin Gemeinsam auf der Suche

In Köln, dem lebendigsten Zentrum der üblichen Bezeichnung Sängerin: der Frauen zur Musik vergangener der Alten Musik in Deutschland, wirkt Eine Trobairitz war im südlichen Jahrhunderte. In der Romanischen Maria Jonas als eine der kreativsten Frankreich das weibliche Gegenstück Nacht 2004 in Köln gab das Ensemble und vielseitigsten Persönlichkeiten, die zu den Trobadors im 11. bis 13. sein großes Debütkonzert und hat es als Interpretin Alter Musik und immer Jahrhundert, beide Bezeichnungen seit dieser Zeit geschafft, sich national häufiger auch improvisierter Musik zu leiten sich vom provenzalischen Wort wie international zu etablieren. Eine erleben ist. Stets auf der Suche nach trobar her, das finden bzw. erfinden erfolgreiche Zusammenarbeit verbin- einer lebendigen Auseinandersetzung bedeutet. det Ars Choralis Coeln mit Ensembles mit der Musik, als Solistin sowie im Mit der Frauenschola Ars Choralis wie Sequentia, Ioculatores, Amarcord Ensemble, empfindet die Künstlerin Coeln ist Maria Jonas seit der und Oni Wytars. ihr Wirken durch den Begriff Gründung des Ensembles auf der Trobairitz besser umschrieben als mit gemeinsamen Suche nach dem Beitrag

HILDEGARD VON BINGEN zuletzt mit Ars Choralis Coeln erschienen: (1098-1179) Rose van Jhericho Marienvesper Das Liederbuch der Anna von Köln ArsArs ChoralisChoralis Coeln, RK 2604 (T01) CD Tipp Leitung: Maria Jonas Klassik verpflichtet. RK 2806 (T01)

„Eine CD, die zutiefst beeindruckt.“ RADIO BERLIN BRANDENBURG

Abt Abbo – ein streitbarer Gelehrter

Um das Jahr 940 geboren und als Cluniazensischen Reformen für eine nannte Organisten Klosterschüler in der Abtei Fleury und strenge Klosterzucht. ( O r g a n u m - später als Student in Paris und Reims In seine Zeit fällt die erste Blüte des Sänger) zu beglei- ausgebildet, wirkte der Mönch Abbo mehrstimmigen Gesangs, in dem sich ten, auf „dumme zunächst als Lehrer an der Klosterschule das Kloster Fleury nach Auskunft des Ablehnung“, wie des englischen Ramsey. Später machte Mönchs Thierry von Fleury beson- Thierry süffisant er als Abt seines Heimatklosters Fleury ders hervortat. Auch in England an bemerkt. Seine von sich reden: Nicht nur erregte er der Kathedrale von Winchester wurde Unerbittlichkeit als hervorragender Gelehrter in sei- dieser neue Gesangsstil gepflegt und kostete Abbo ner Zeit weithin Aufsehen, er kämpf- in einer Sammlung schriftlich nie- das Leben: te auch für die Unabhängigkeit der dergelegt. In Deutschland hingegen 1004 wurde er Klöster von bischöflicher Gewalt und stieß die neue Mode, die hergekom- bei einer Revolte wirkte im Orden als Vorkämpfer der mene Choralmelodie durch soge- der Mönche des von Fleury abhängi- gen Klosters La Réole in der Gascogne durch Abbo Abbas einen Lanzenstich tödlich Französische und verwundet. englische Mehrstimmigkeit um das Jahr 1000 Dialogos – Katarina Livljani´c Katarina Livljani´c AMY 017 (T01)

harmonia mundi magazin 13 mungen seiner Folk Songs, die er Volksmusik und Hochliteratur 1964 seiner Frau, der amerikani- schen Sängerin Cathy Berberian, als „Meine eigene Erfahrung mit Volks- fen.“ Diese Aussage Luciano Berios, einen „Tribut an ihre außerordentliche musik ist oft emotionaler Natur. der 1925 in der ligurischen Kleinstadt Kunstfertigkeit“ widmete. Ein Werk Wenn ich mit Volksmusik arbeite, Oneglia geboren wurde, erklärt gut des 27jährigen ist die Kammermusik werde ich vom Entdeckergeist ergrif- die mannigfachen Farben und Stim- nach Texten von James Joyce – Berio fühlte sich dem rätselhaften Schrift- Luciano BERIO (1925-2003) steller sehr verbunden, 1958 widmete Folk Songs, Chamber Music er ihm mit Thema (Hommage an Joyce) nach James Joyce ein weiteres Werk. Edison DENISSOW (1929-1996) Edison Denissow, der russische Avant- La vie en rouge nach Boris Vian gardist, fühlte sich der französischen Ensemble für Neue Musik Zürich Kultur stets sehr verbunden. Dem HAT CD 168 (T01) Jazzmusiker und existentialistischen Dichter Boris Vian (1920-1959) hat er zwei Werke gewidmet: La vie en rouge im Jahr 1973 und 1981 die Oper Der Schaum der Tage.

Bilder der Vergangenheit

Innerhalb des Œuvre von Michael Michael JARRELL (*1958) Jarrell stellt Cassandre den Höhe- Cassandre (Eine gesprochene Oper für punkt und die Synthese einer ersten Ensemble und Schauspielerin) und besonders fruchtbaren Schaffens- Astrid Bas, Schauspielerin – periode dar, wobei ihm die Wahl des Ensemble intercontemporain, Textes von Christa Wolf sowohl von Leitung: Susanna Mälkki musikalischen als auch expressiven KAI 0012912 (T01) Gesichtspunkten „diktiert“ wurde. Die Figur der trojanischen Priesterin, von der deutschen Schriftstellerin neu interpretiert, ist hin- und hergerissen selbst versetzen uns nicht mitten in zwischen Bildern der Vergangenheit die Tragödie des Trojanischen Krieges: und denen der hereindrohenden Kata- Kassandras Rede besteht nur aus dem strophe. Christa Wolf und Jarrell Erinnern des Geschehens.

die musikalischen Strukturen wie Fragile Klanggebilde knapp unter der Wasseroberfläche schimmern oder hinter einer Wol- Durch die lichten Klangportale seines Musik (COL 20274), nun widmet kendecke durchscheinen läßt. In den Landsmannes Castiglioni ist der italie- sich der ebenso sensible wie virtuose Tiefen der Klangmaterie verlaufen die nische Pianist Alfonso Alberti einge- Musiker auf seiner zweiten CD den Spuren musikalischer Traditionen, die treten in die col legno-Welt der Neuen fragilen und schleierhaften Klang- in den kompositorischen Reflexionen gebilden des Franzosen Gérard Pesson. und Impulsen Pessons für Augenblicke Mit dem Komponisten gemeinsam wieder lebendig werden. hat er eine Auswahl von dessen Kla- vierstücken erarbeitet, in der Alberti Gérard PESSON (*1958) Dispositions furtives Alfonso Alberti, Klavier COL 20285 (T01)

Gérard Pesson

14 harmonia mundi magazin … weitere interessante Neuheiten

Deutsche Lautenmusik des 18. Jahrhunderts Vol. 3 Kompositionen von E. G. Baron, A. Falckenhagen, K. Kohaut u. a. Alberto Crugnola, Barocklaute SY 07226 (T01)

Johann Friedrich Kleinknecht (1722-1794) Sonaten op. 1 Ildikó Kertész, Traversflöte – Nicholas Selo, Violoncello – Geoffrey Thomas, Cembalo NCA 60201 (Q01)

Tomás de TORREJÓN Y VELASCO (1644-1728) La púrpura de la rosa Mieke van der Sluis (Venus) – Mark Tucker (Adonis) u. a. – Vokalensemble La Cappella – Clemencic Consort, Leitung: René Clemencic NEI 232587 (L01)

Gaetano DONIZETTI (1797-1848) Pia de’ Tolomei (Auszüge) Jolanda Meneguzzer (Pia) u. a. – Chor und Orchester der Radiotelevisione della Svizzera Italiana, Leitung: Bruno Rigacci NEI 232588 (L01)

Maria Chershintseva – PIANO Klavierwerke von Liszt, Scriabin & Schostakowitsch NCA 60190 (I01)

IMPRESSUM Herausgeber: harmonia mundi GmbH Redaktion: Michael Blümke Wernher-von-Braun-Straße 13 Texte: Detmar Huchting D-69214 Eppelheim Graphik/Layout: globalmediaweb.de

harmonia mundi magazin 15 Herausragende Aufführungen auf DVD

Der bleibende Wert eines Theater- Wohnzimmer zugänglich gemacht. Drama Lulu des skandalumwitter- klassikers erschließt sich erst Neben der Veröffentlichung von ten Schriftstellers Frank Wedekind, beim genaueren Hinsehen. Genau Michael Thalheimers Inszenierung das auch Alban Berg zu seiner gleich- dazu ist die THEATEREDITION, der Emilia Galotti wird in diesem namigen Oper inspirierte – zum Deutschlands erstes DVD- Monat die Bedeutung des Films anderen Goethes Die Leiden des Theaterlabel, gedacht. Erstmals wer- als wichtiges dramatisches Medium jungen Werther, am Ende des 18. den herausragende Inszenierungen der Gegenwart mit Uwe Jansons Jahrhunderts auf den Nachttischen des Theaterlebens unserer Zeit Verfilmungen zweier denkwürdiger einer ganzen Generation zu finden. für die Bildschirmbühne unserer Stoffe gewürdigt: Zum einen das

EMILIA GALOTTI Schauspiel in fünf Akten von Gotthold Ephraim Lessing LULU WERTHER Regine Zimmermann Film von Uwe Janson Film von Uwe Janson (Emilia Galotti) – nach dem Theaterstück von nach Johann Wolfgang Sven Lehmann (Ettore Gonzaga) – Frank Wedekind von Goethe Nina Hoss (Gräfin Orsina) u. a. – Jessica Schwarz (Lulu) – Stefan Konarske (Werther) – Inszenierung: Michael Thalheimer – Sylvester Groth (Dr. Schön) – Hannah Herzsprung (Lotte) – Aufführung des Deutschen Theaters Matthias Schweighöfer (Jack) u. a. David Rott (Albert) u. a. Berlin THE 101112 (U01) THE 101105 (U01) THE 101129 (V01)

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