Wiens Johann Sebastian Bach

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Wiens Johann Sebastian Bach Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2009 Wiens Johann Sebastian Bach Johann Georg Albrechtsberger Ein Name, der im Musikjahr 2009 (und auch sonst) viel zu selten genannt wird, taucht nun im Programm der Wiener Hofmusikkapelle auf: Johann Georg Albrechtsberger. Hommage an einen Musiker, der die Wiener Klassik entscheidend mitgeprägt hat. „Daß Albrechtsberger am 7. März und Haydn am 31sten May gestorben ist, wirst Du wissen? – Welch großer Verlust ist des ersteren Todt für die Kunst, er hätte bey seinem Fleiße gewiß noch viel schönes gemacht; Haydn ist nicht so sehr zu bedauern, denn er war schon seit mehreren Jahren Kind.“ Diesen Satz finden wir 1809 in einem Brief des neunzehnjährigen Wolfgang Amadeus Mozart Sohn an einen Freund. Tatsächlich war Haydn in seinen letzten Lebensjahren schwach und gebrechlich, und die letzten fünf Jahre seines Lebens hat er nichts mehr komponiert. Aber sollten wir uns nicht doch ein bisschen mehr für jenen Komponisten interessieren, der, wie Haydn, vor zweihundert Jahren gestorben ist, und dessen Tod der Mozart-Sohn viel mehr bedauert als den seines Förderers Joseph Haydn? Haydn, Mozart, Albrechtsberger Das Urteil klingt hart, aber Johann Georg Albrechtsberger, vier Jahre jünger als Haydn, war zwar von einem Steinleiden beeinträchtigt, aber kein Greis. Nicht lang vor seinem Tod hat noch der große Musikästhet Ignaz von Mosel ein besonderes Lob für ihn gefunden: „Herrn Albrechtsberger, Musikdirector an der hiesigen Metropolitankirche, vielleicht den ersten Orgelspieler in der Welt, darf Wien als seinen Sebastian Bach betrachten, und verehrt ihn auch als solchen.“ Mit Joseph Haydn war er seit seiner Jugendzeit befreundet, spielte gemeinsam mit ihm dessen erste Streichquartette, und noch vierzig Jahre später betrieben sie gemeinsam Kammermusik. Nicht so lange, aber gleich herzlich war er mit Mozart befreundet, der in Albrechtsberger seinen idealen Nachfolger sah. Die Trias Haydn–Mozart–Albrechtsberger und deren gegenseitige Hochachtung können wir uns vielleicht am besten anhand eines Satzes aus einem 1789 geschriebenen Brief Haydns vorstellen: „Küssen Sie stat meiner die 2 grossen Männer Mozart und Albrechtsberger.“ Für seinen Ruhm und seinen Rang unter den Zeitgenossen spricht, dass er 1798 gemeinsam mit Joseph Haydn und Antonio Salieri zu einem der drei ersten ausländischen Mitglieder der Königlich Schwedischen Musikalischen Akademie in Stockholm gewählt wurde. Geschätzter Lehrmeister Albrechtsberger galt europaweit als erste Autorität in Fragen der Musiktheorie, des Kontrapunkts und des strengen Satzes. Das Leipziger Verlagshaus Breitkopf & Härtel gewann ihn 1789 für die Publikation einer Kompositionslehre, die für mindestens zwei Komponistengenerationen verbindlich war, und aus seinem Nachlass wurden 1826 seine gesammelten musiktheoretischen Schriften herausgegeben, die in mehreren deutschen Auflagen erschienen, auch ins Englische und Französische übersetzt wurden, 1842 sogar eine Ausgabe in Philadelphia erlebten und in London letztmals 1855 aufgelegt wurden. Er hatte 1 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2009 zahlreiche Schüler, die sich auch von weit her von ihm angezogen fühlten. Der berühmteste unter ihnen: Ludwig van Beethoven, der als Schüler Haydns von Bonn nach Wien kam und, als Haydn seine zweite Londoner Reise antrat, zu Albrechtsberger wechselte. Legendär wurde Beethovens Antwort auf die 1817 an ihn gerichtete Frage, wen er selbst als Lehrer empfehlen könne: „Ich habe meinen Albrechtsberger verloren und habe kein Vertrauen zu irgend einem anderen.“ Erstaunen in Gis-Dur 1736 ist Albrechtsberger in Klosterneuburg geboren worden. In seiner Heimatstadt und im Stift Melk war er Sängerknabe, er begann seine musikalische Laufbahn als Organist an der Jesuitenkirche in Raab (Györ/Ungarn) und Maria Taferl, wurde 1760 Stiftsorganist in Melk; sechs Jahre später zog er nach Wien, wo er hauptsächlich als „Clavier Meyster“ tätig war. 1771 wurde er Chorregent an der Karmeliterkirche in der Wiener Leopoldstadt. An bestimmten Festtagen feierte das Kaiserhaus hier den Gottesdienst, bei dem dann auch Mitglieder der Hofmusikkapelle musizierten. Ein solcher Anlass lenkte die Aufmerksamkeit des Hofkapellmeisters Johann Georg Reutter auf Albrechtsberger: Die dortige Orgel war um einen Halbton tiefer gestimmt als die von den Hofkapellmusikern mitgebrachten Blasinstrumente; kurzerhand spielte Albrechtsberger in einer Messe in G-Dur den Orgelpart prima vista in Gis-Dur. Im Jahr darauf wurde er zum zweiten Hoforganisten bestellt. 1791 wurde er erster Hoforganist und als Nachfolger Mozarts Domkapellmeister-Adjunkt, zwei Jahre später schließlich Domkapellmeister. Über alle Moden erhaben Diese Stationen seines Künstlerlebens zeigen einen Schwerpunkt im Orgelspiel und in der Kirchenmusik, doch schrieb er schon in Raab und dann in Melk Bühnenwerke, er verkehrte in Wien in den führenden musikalischen Salons, die wir auch aus Mozarts und Haydns Biographie kennen, komponierte wie seine beiden Freunde für diese und musizierte dort so wie sie. 1773 nannte ihn der englische Musikgelehrte Charles Burney einen „eminent harpsichord player“, und 1800 wird in einer Weimarer Zeitschrift berichtet, dass er „mit einer Delicatesse und Präzision“ das Violoncello spiele, „die man desto mehr bewundert, da er den Bogen wie der Violinspieler führt“. Albrechtsberger schrieb auch Werke für die Konzerte der Wiener Tonkünstlersozietät und hinterließ ein reiches Schaffen an Kammer- und Orchestermusik, zum Teil sehr persönlichen Charakters. Für ihn stand, wie er selbst erklärte, „das künstliche, und erhabene der Musick“ immer höher als vordergründige Moden; gerade mit dieser Einstellung hat er einen enormen Beitrag zum Wiener klassischen Stil geleistet. Meisterwerke der Kirchenmusik Aber zwangsläufig war die Kirchenmusik jenes Feld, auf dem er sich am meisten gefordert fühlte. Sie war sein primärer Brotberuf, und dort musste er sich immer aufs neue beweisen. Nach den damaligen Usancen war diese nicht nur Vokalmusik, sondern an zwei Stellen im Gottesdienst – vor dem Evangelium und nach dem Credo – konnte auch rein instrumentale Kirchenmusik erklingen. Das waren regelrechte dreisätzige Konzerte oder zweisätzige Kirchensonaten – ein für die Kirche geschriebenes Posaunenkonzert ist denn auch am 24. und 25. Oktober im Konzert der Wiener Hofmusikkapelle im Großen Musikvereinssaal zu hören. 2 / 4 Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Sept/Okt 2009 An Kirchenmusik im engeren Sinn schrieb Albrechtsberger Werke in allen Gattungen – darunter Meisterwerke, bei denen man sich nur wundern kann, wie sie überhaupt ihren Platz im Repertoire haben verlieren können: etwa eine Messe, in der er vom Kyrie bis zum Agnus Dei mit genau jener absteigenden chromatischen Basslinie arbeitet, die wir aus Bachs h-Moll- Messe kennen. (Dass er mit dieser Messe – genau so wie mit vielen anderen Werken seines großen Vorbildes und Vorgängers – vertraut war, steht außer Frage.) Oder die Krönungsmesse für die Krönung von Kaiser Franz II. zum König von Ungarn im Jahr 1792, die am 11. Oktober beim Gottesdienst in der Burgkapelle von der Wiener Hofmusikkapelle aufgeführt wird. Oder kleinere Kirchenwerke, in denen er Themen aus dem Gregorianischen Choral im Gewand klassischer Kirchenmusik verarbeitet. (Einige von ihnen werden zusammen mit der Krönungsmesse auf einer CD zu hören sein, die von der Wiener Hofmusikkapelle im Herbst dieses Jahres eingespielt wird.) Erregende Fugen Das vielleicht schönste Urteil über Albrechtsbergers Orgelspiel hat 1791 der damalige Leipziger Thomaskantor Johann Adam Hiller formuliert: „Man hat, seit des großen Orgelspielers Johann Sebastian Bachs Tode, oft die Klage gehört, dass die Kunst des Orgelspielens nach und nach aussterbe.“ Aber: „Noch hat die Orgel ihren Albrechtsberger.“ Zwei Jahre davor hat Mozart ein Urteil über den Dresdener Organisten (und Enkelschüler Bachs) Johann Wilhelm Häßler nicht ohne einen Vergleich mit Albrechtsberger formulieren können: „ … übrigens hat er nur Harmonik und Modulationen vom alten Sebastian Bach auswendig gelernt, und ist nicht im Stande eine fuge ordentlich auszuführen – und hat kein solides Spiel – ist folglich noch lange kein Albrechtsberger.“ Vielsagend ist schließlich der Bericht, den der ebenfalls mit Haydn, Mozart und Albrechtsberger befreundete Komponist Maximilian Stadler von dem Komponisten Franz Aumann überliefert, der als Chorherr im Stift St. Florian lebte und die dortige Kirchenmusik leitete. 1792 kam Albrechtsberger von Linz aus überraschend nach St. Florian, um seinen Jugendfreund Aumann zu besuchen. „Man sagte ihm, er halte eben ein Amt in der Kirche. Albrechtsberger ging sogleich auf den Chor, setzte sich zur Orgel. Das Benedictus war vorbei. Vor dem Agnus Dei präludirte Albrechtsberger so vortrefflich, dass er den frommen Mann ganz außer Fassung brachte; es dauerte lange, bis er sich wieder sammelte und zur Communion fortschritt. Nach dem Ite missa spielte Albrechtsberger eine Fuge, die den Aumann so erregte, dass er beynahe vergaß, vom Altar in die Sakristey wegzugehen, wo er, ohne zu wissen, welcher Fremdling da sey, auf der Stelle ausrief: entweder spielt Albrechtsberger oder ein Engel heute auf unserer Orgel.“ Am Wendepunkt der Musikgeschichte Albrechtsbergers so gerühmte Improvisationen sind verklungen. Die von ihm zu Lebzeiten publizierten Orgelwerke wurden bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder neu aufgelegt sind heute weitgehend in Neuausgaben wieder zugänglich. Herausheben muss man aus diesen Neuausgaben
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