Madagaskar Vor Der Stichwahl : Duell Der Schattenpräsidenten
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PERSPEKTIVE | FES MADAGASKAR Madagaskar vor der Stichwahl Duell der Schattenpräsidenten MARCUS SCHNEIDER Dezember 2013 n Der erste Wahlgang der lang erwarteten madagassischen Präsidentschaftswahlen ist nahezu reibungslos verlaufen. »Frei, fair und glaubwürdig« lautet das geteilte Urteil der internationalen Wahlbeobachter. n Bei einer Wahlbeteiligung von 62 Prozent gibt es entgegen mancher Befürchtungen zwei klare Sieger. Jean-Louis Robinson und Hery Rajaonarimampianina ziehen mit 21 bzw. 16 Prozent in die Stichwahl ein. Die beiden Kontrahenten, die vor wenigen Wochen noch niemand auf der Rechnung hatte, sind die Stellvertreter von Marc Ravalomanana und von Andry Rajoelina. n In der Stichwahl ist nun erstmals das ganze Volk aufgerufen, den politischen Kampf zwischen Ex-Präsident Ravalomanana und Transitionspräsident Rajoelina zu ent- scheiden. Es kommt zu einem Duell der Schattenpräsidenten, dessen Ausgang vor- erst ungewiss ist. n Sollte der zweite Wahlgang ein allgemein akzeptiertes und klares Ergebnis produ- zieren, stünde der ins Amt kommende neue Präsident vor einer Mammutaufgabe. Nach dem desaströsen Niedergang der letzten fünf Jahre müsste er die Inselrepublik politisch und wirtschaftlich wieder stabilisieren. MarCus Schneider | Madagaskar VOR der StichWahL Madagaskar hat gewählt. Nach den Präsidentschafts- es nicht zu Anfechtungen kam. Die Kandidaten auf den wahlen von 2006 war das madagassische Volk zum Rängen unmittelbar hinter den beiden Erstplatzierten ersten Mal wieder aufgerufen, sein Staatsoberhaupt in haben ihre Niederlage eingeräumt. Der Stichwahl steht freien Wahlen zu bestimmen. Allein das ist bereits ein so nichts mehr im Wege. Erfolg. Denn seit dem Umsturz von 2009, der das Land in eine massive politische und sozioökonomische Krise stürzte, wurden ein gefühltes Dutzend Mal Wahlen an- »Frei, fair und glaubwürdig« gekündigt und dann doch wieder verschoben. Noch im – ein großes Ja, aber! Juli dieses Jahres stand die Durchführung der Abstim- mung Spitz auf Knopf (vgl. Schneider 2013). Erst unter Das positive Bild hat freilich eine Kehrseite, die von der massivem internationalem Druck konnte sie ermöglicht madagassischen Zivilgesellschaft nicht verschwiegen werden. Die nationalistischen Kampagnen gegen inter- wird (SeFaFi 2013). Ganz vorne firmiert dabei die Kritik nationale Einmischung, furios betrieben von einem nicht am Wahlregister. Trotz monatelangem Registrierungs- geringen Teil der politischen Eliten, verfingen letzten En- prozess hat die unabhängige Wahlkommission CENIT des nicht. Laut einer Befragung des Afrobarometers for- nur 7,8 Millionen Madagassen erfasst. Zu wenig bei ei- derten 80 Prozent der Bevölkerung Wahlen als Lösung ner Bevölkerung von 22 Millionen, von denen mindes- der politischen Krise. Eine auf unbestimmte Zeit in die tens die Hälfte im wahlfähigen Alter ist. Drei Millionen Zukunft verlängerte Transition, wie sie der Kirchenbund Madagassen wurde so das Wahlrecht verwehrt. Eine FFKM mit Unterstützung der Altpräsidenten Didier Ratsi- Öffnung des Wahlregisters vor der Stichwahl schließt raka und Albert Zafy propagierte, entsprach ganz offen- die CENIT aus technischen Gründen aber aus. Auch die sichtlich nicht dem Willen der Bevölkerung. Wahlkampffinanzierung steht in der Kritik. Kaum ein Kandidat hat die Herkunft seiner Finanzmittel aufge- Genau wie die Bürger setzte auch die internationale deckt. Der Import hunderter Geländewagen, dutzender Gemeinschaft darauf, den politischen Konflikt über die Helikopter, eine Insel überzogen mit Plakaten, T-Shirts Urnen zu befrieden. Die Vermittlung durch die Entwick- und anderen Wahlkampfdevotionalien, bis hin zur plum- lungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) war pen Aushändigung kleiner Geldbeträge deuten darauf mehrfach an ihre Grenzen gestoßen. Eine endgültige hin, dass erhebliche Mittel im Einsatz waren. Der »Kan- Einigung zwischen dem exilierten Ex-Präsidenten Marc didat des Staates«, Hery Rajaonarimampianina, kann Be- Ravalomanana und dem jetzigen Machthaber Andry Ra- obachtern zufolge auf ein Budget von sage und schreibe joelina konnte nie erzielt werden. Durch ihren erzwunge- 43 Millionen Dollar zurückgreifen (Africa Confidential nen Verzicht auf eine eigene Kandidatur sollte der Weg 2013). frei gemacht werden für einen politischen Neuanfang. Ob dieser gelingt, ist jedoch fraglich. Im Wahlergebnis Das Wahlergebnis selbst schmeckt nicht allen. All dieje- spiegelt sich nicht der Neuanfang, sondern die Bestäti- nigen, die fest daran glaubten, das tiefe Misstrauen der gung der beiden Krisenprotagonisten als die stärksten Madagassen in ihre politische Klasse würde zu deren politischen Kräfte der Inselrepublik. Abstrafung führen (siehe Friedrich-Ebert-Stiftung 2013), haben sich getäuscht. Das Duell der Stichwahl lautet Immerhin hat diese erste Runde der Präsidentschafts- Jean-Louis Robinson gegen Hery Rajaonarimampianina. wahlen all jene, die nicht an ihren Erfolg glauben moch- Hinter den zwei Kandidaten, die vor Vierteljahresfrist ten, eines Besseren belehrt. 4,8 von 7,8 Millionen Ma- noch niemand auf der Rechnung hatte, stehen die bei- dagassen haben sich an der Abstimmung beteiligt. Die den starken Männer der Insel, die das Schicksal der Re- Wahlbeteiligung von 62 Prozent ist solide genug, um publik seit 2007 quasi unter sich ausmachen: der 2009 dem Wahlergebnis zur notwendigen Legitimität zu ver- ins südafrikanische Exil gedrängte Marc Ravalomanana helfen. Die Reaktionen der internationalen Beobachter, und der seitdem amtierende Transitionspräsident Andry zuvorderst von EU und SADC, sind unisono positiv. Trotz Rajoelina. Ihr Ringen um die politische Vorherrschaft im enormer logistischer Herausforderungen wurde der Ab- Inselstaat kulminiert am 20. Dezember in der Stichwahl stimmung das Etikett »frei, fair und glaubwürdig« verlie- zwischen ihren Statthaltern. Auch auf den Rängen hin- hen. Die Resultate waren zudem hinreichend klar, sodass ter den beiden Erstplatzierten stehen mit der Ausnah- 2 MarCus Schneider | Madagaskar VOR der StichWahL Das Ergebnis des ersten Wahlgangs Kandidat Partei/Richtung Ergebnis Zahl gewonnener Regionen Jean-Louis Robinson Avana, 21,1 Prozent 8 (vor allem im nördlichen Hoch- Mouvance Ravalomanana land und im Westen) Hery Rajaonarimampianina Hery Vaovao, 15,9 Prozent 7 (vor allem im südlichen Hoch- Mouvance Rajoelina land, im Süden und Südosten) Hajo Andrianainarivelo MMM, 10,5 Prozent 1 (im Südosten) ehemals Mouvance Rajo- elina Roland Ratsiraka MTS 9,0 Prozent 4 (im Norden und im Nordosten) Camille Vital Hiaraka Isika, 6,9 Prozent 1 (im Südwesten) Mouvance Rajoelina Saraha Georget Grüne Partei 4,5 Prozent - Edgard Razafindravahy TGV, 4,4 Prozent - Mouvance Rajoelina Pierrot Rajaonarivelo MDM 2,7 Prozent - Quelle: Unabhängige Wahlkommission CENIT: http://www.cenit-madagascar.mg/res/Recap_National_.php me der Kandidatin der Grünen Partei, Saraha Georget, nördliche, östliche und südliche Peripherie der Inselre- die immerhin mehr Stimmen holte als jemals zuvor eine publik geht, desto geringer fallen die Stimmenanteile Frau bei Präsidentschaftswahlen, alles alte Bekannte. Die Robinsons aus. Zwischen vier und acht Prozent kann er meisten davon sind hohe Funktionsträger des seit 2009 in den östlichen und nördlichen Küstenregionen für sich amtierenden Transitionsregimes. gewinnen. Im äußersten Süden rutscht er mit drei Pro- zent auf das Resultat eines Splitterkandidaten ab. Hery Rajaonarimampianina kann zwar in keiner Region eine Das Wahlergebnis: eine Lektion in politischer ähnliche Dominanz entfalten wie Jean-Louis Robinson, Geografie der Insel seine Ergebnisse sind mit zwischen acht und 33 Prozent jedoch erheblich gleichmäßiger verteilt. Zwar kann er Mit 21,1 Prozent liegt der Kandidat des Ravalomanana- mit sieben Regionen eine weniger gewinnen als Robin- Lagers, Jean-Louis Robinson, ehemaliger Gesundheits- son, der in acht Regionen zumeist mit großem Abstand minister unter dem Ex-Präsidenten, klar vorne. Hery siegt. Anders als sein Stichwahlgegner kommt er aber in Rajaonarimampianina, der bis vor kurzem amtierende 20 von 22 Regionen unter die ersten Zwei. Im direkten Finanzminister und offiziöse Kandidat der Staatsmacht Vergleich der Finalgegner liegt Hery Rajaonarimampia- folgt auf Rang zwei, hat seinerseits jedoch großen Vor- nina in 14 Regionen vorn, während Robinson acht für sprung vor dem Drittplatzierten, dem ehemaligen Vize- sich entscheiden kann. Außer den beiden Stichwahlkan- premier Hajo Andrianainarivelo. Das nationale Ender- didaten kann nur noch Roland Ratsiraka mehr als eine gebnis spiegelt sich dergestalt allerdings in kaum einer Region für sich gewinnen. Der ehemalige Bürgermeister der 22 Regionen wider. Es dominieren vielmehr enorme der Ostküstenstadt Tamatave siegt in vier Regionen im wahlgeografische Unterschiede. In den vier Regionen Norden und Osten des Landes. Drei weitere Kandidaten des zentralen Hochlands holt Robinson Traumresultate können jeweils eine Region für sich entscheiden. von 36 bis zu 52 Prozent. Das Herzland des Merinavol- kes hat sich auch fast fünf Jahre nach seiner Entmach- Die geografische Stimmenverteilung erinnert stark an tung und allen Unkenrufen zum Trotz als Marc Ravalo- historische Konfliktlinien, die das politische und ge- mananas Hochburg erwiesen. Je weiter es jedoch in die sellschaftliche Leben der Insel lange prägten. Der von 3 MarCus Schneider | Madagaskar VOR der StichWahL Frankreich geschürte Gegensatz zwischen dem Merina- Aushängeschild vorgesehen, weitergehende politische volk im zentralen Hochland, dessen Herrscher Ende des Ambitionen hatte man ihm nicht