Medien

SPIEGEL-GESPRÄCH „Ich halte Distanz“ ARD-Frontfrau , 40, über ihre neue Herausforderung als Christiansen-Nachfolgerin und Talkshows in Zeiten grassierender Politik-Müdigkeit, Nähe zur Macht und Frauen im Fernsehen

SPIEGEL: Frau Will, ab Sep- Ich werde nicht unter tember sollen Sie den Druck gesetzt. Mir schreibt sonntäglichen Talkplatz von niemand vor, welche Fra- Sabine Christiansen über- gen ich zu stellen habe. Und nehmen. Wieso wurde die- ein Parteibuch habe ich se schlichte Personalie vor- auch nicht. her monatelang zu einer SPIEGEL: Bis wann wollen von Medien und Öffent- Sie die „“ ei- lichkeit debattierten Fast- gentlich noch moderieren? Staatsaffäre? Will: Ich würde gern Ende Will: Wir schrammen hart Juni, Anfang Juli gehen. an der Bigotterie vorbei, Aber das hängt natürlich wenn der SPIEGEL mich auch davon ab, wann meine einerseits für würdig erach- Nachfolgerin hier anfangen tet, mit ihm ein Interview wird. zu führen, in dem ich ande- SPIEGEL: Die „Tagesthemen“ rerseits aber dann selbst sind ein nüchternes Format. den Grund dafür erklären Dennoch scheinen Sie gele- soll. Ich werde mich je- gentlich mit den Zuschau- denfalls nicht über die ern zu flirten. Aufmerksamkeit beklagen Will: Manchmal tu ich das, und wäre auch mit dem ja. Als ich beim Fernsehen Klammerbeutel gepudert. anfing, habe ich mir noch Schließlich handelt die ein, zwei Menschen konkret ARD just mit Aufmerksam- vorgestellt, zu denen ich keit. Deshalb hoffe ich sprach. Inzwischen hat sich auch, dass sie noch lange das verselbständigt. anhält. SPIEGEL: Trotz Ihrer per- SPIEGEL: Sogar „Tages- sönlichen Charme-Offensi- schau“ und Ihr Noch-Ar- ve dröppeln die „Tagesthe- beitgeber „Tagesthemen“ men“-Marktanteile. haben Ihren Wechsel ge- Will: In absoluten Zahlen meldet. Wie hoch schätzen haben wir dazugewonnen, Sie Ihren persönlichen Nach- haben also mehr Zu- richtenwert ein? schauerinnen und Zuschau- Will: Wir haben vorher in er, derweil alle anderen ver- der Redaktion darüber ge- loren haben. Die Nachrich- redet, wie wir das Problem tenlage ist seit geraumer lösen, über mich selbst be- Zeit eher mau. Das kann

richten zu müssen. Aber die SUSE WALCZAK man an jenen Tagen able- Personalie war nun mal „Tagesthemen“-Moderatorin Will: „Permanente Charme-Erwartung“ sen, an denen wirklich mal eindeutig ein Tagesthema. was passiert. Wenn dann Ich musste den Beitrag dann wenigstens regelmäßigen Austausch mit ihnen als sehr ein Orkan über Deutschland fegt, sind un- nicht anmoderieren. Sonst wäre mir wohl fruchtbar. sere Zahlen plötzlich super. Aber es fehlt mehr als die linke Augenbraue verrutscht. SPIEGEL: Christiansen unterstand der Un- zum Beispiel der klassische Parteienstreit SPIEGEL: Eigentlich sollte der Christiansen- terhaltungsabteilung … aus jener Zeit, als es noch eine kraftvolle Job an Günther Jauch gehen, der aber im Will: … während ich mit meiner politischen Opposition gab, die gegen eine knappe Januar die Verhandlungen abbrach. Er Talkshow künftig von der Chefredaktion Kanzlermehrheit antrat. Da wurden uns schien am Ende zermürbt von Proporz- betreut werde. Das finde ich auch richtig so. die Konflikte doch frei Haus geliefert. geschrei und der Aussicht, künftig von et- SPIEGEL: Vielleicht sind Sie als ARD-Ge- SPIEGEL: Das ist nicht nur ein Problem der lichen ARD-Chefredakteuren überwacht wächs im Gegensatz zu Jauch einfach „Tagesthemen“. zu werden. Haben Sie Verständnis für ihn? schmerzfrei, wenn’s um Kontrolle geht. Will: Stimmt. Das betrifft auch den Sonn- Will: Aus seiner Sicht: ja. Aus meiner Per- Will: Ich glaube, dass Außenstehende sich tagabend. spektive: nein. Ich bin die Arbeit mit den diese Debatten viel leidvoller vorstellen, SPIEGEL: Ist die Große Koalition der Haupt- Chefredakteuren aus fünfeinhalb Jahren als sie sind. Auch bei meiner jetzigen Ar- grund für die grassierende Politikmüdig- „Tagesthemen“ ja gewohnt und erlebe den beit werde ich nicht damit konfrontiert. keit der Leute?

116 der spiegel 7/2007 Will: Nein. Ich würde auch eh nicht von SPIEGEL: Wie wollen Sie das machen? Will: Es geht mir nicht darum, krampfhaft Müdigkeit sprechen, eher von Frust. Und Will: Ich werde häufiger nicht-prominente etwas anders zu machen. Es gibt wenige da hat die Große Koalition eine riesige Ver- Menschen, Nicht-Funktionsträger ihre Ge- Sendeplätze, die so gut erforscht sind wie antwortung. Wer, wenn nicht sie, kann und schichten erzählen lassen. Im zurücklie- dieser. Wir wissen sehr genau, was da wie muss jetzt Großes leisten? Gelingt das der genden Bundestagswahlkampf zum Beispiel mit welchen Gästen warum funktioniert. Regierung nicht, bekommen die Volkspar- wurde auch von Bürgern Ich wäre töricht, wenn ich daran nicht an- teien ein echtes Problem, sich überhaupt befragt. In solchen Fällen sitzen die einge- knüpfen würde. noch so zu nennen. stanzten Worthülsen von Politikern nicht SPIEGEL: Wissen Sie, wie alt der durch- SPIEGEL: Würden Sie uns zustimmen, dass mehr. Ich werde mir die Gäste jedenfalls schnittliche Christiansen-Zuschauer ist? Politik ein langwieriges und mühsames Ge- nicht nach Status, Prominenz oder Titel aus- Will: 65? schäft ist? suchen, sondern nach der Relevanz ihrer SPIEGEL: 62. Will: Ja, und ein ernsthaftes obendrein. Geschichten. Will: Hm. SPIEGEL: TV-Talkshows leben dagegen da- SPIEGEL: Wieso glauben Sie eigentlich, SPIEGEL: Haben Sie den Ehrgeiz, das Pu- von, dass sich Leute wenigstens gelegent- dass Sie die große Talkshow beherrschen blikum zu verjüngen? lich verbal auf die Glocke hauen. werden? Will: Klar, doch ich verfalle auch keinem Will: Ich denke, dass das Medium wie das Will: Weil mir die Mechanismen klar sind. Jugendwahn, sondern freue mich über Format Raum für tiefgründige Gespräche Weil ich in meinem Leben schon ein paar wirklich jeden, der einschaltet. Ich will bieten. Ich will sonntags nach dem „Tat- tausend Interviews geführt habe, auch in allerdings mehr Frauen in die Runde ort“ allerdings weder einen lauen Kamin- großer Runde. Weil ich mir sehr klar bringen. abend inszenieren noch eine gehetzte Kra- darüber bin, welche interviewtechnischen SPIEGEL: Sie werden weiterhin aus der alten wallsendung. Ich weiß ja nicht, wie’s Ihnen Unterschiede es gibt zwischen einer 60- Glaskuppel im Schatten der Berliner Ge- geht, aber ich lese sonntags weniger ziel- minütigen Talkshow und einem 3-minüti- dächtniskirche senden? gerichtet, weniger gehetzt, sondern gen Interview in den „Tagesthemen“. So Will: Wohl nicht. Wir werden wahrschein- schmökere eher. Und ich schaue anders viel Selbstbewusstsein bringe ich schon lich in ein neues Studio umziehen. fern. Das muss auch eine Gesprächsrunde mit. SPIEGEL: Sind Sie selbst nicht gerade erst am Abend berücksichtigen. SPIEGEL: Klingt gar nicht so „antriebslos von Berlin nach Hamburg gezogen? SPIEGEL: Wer es mit der Christiansen-Talk- und lahmarschig“, wie Sie sich selbst mal Will: Daran sehen Sie, wie langfristig ich show gut meinte, nannte sie ein Ersatz- charakterisiert haben. meine Karriere durchgeplant habe. Astrei- parlament. Weniger freundliche Stimmen Will: So zu sein, könnte ich mir heute gar nes Timing. Ende Februar kommen meine sprachen von einer patinierten Bühne für nicht mehr leisten. Im Übrigen: Ich habe letzten Kisten aus Berlin. Und nun kann MARCEL METTELSIEFEN / PICTURE-ALLIANCE/ DPA / PICTURE-ALLIANCE/ METTELSIEFEN MARCEL Talk-Gastgeberin Christiansen, Gäste: „Es geht mir nicht darum, krampfhaft etwas anders zu machen“ routinierte Partei-Wichtigtuer. Ihr Ansatz mich zwar nie um Positionen beworben, ich mir dort schon wieder eine neue Blei- ist eher gesellschaftspolitisch? aber ich habe auch nicht gepennt, wenn be suchen. Will: So ist es. sich mir eine Chance bot, sondern mich SPIEGEL: Die Talkshow wird „Anne Will“ SPIEGEL: Und Sie wollen weg von diesen ri- dann sehr konzentriert in den jeweiligen heißen? tualisierten Runden, wo ein Christdemo- Job gestürzt – früher bei der „Sportschau“, Will: Das ist eine Möglichkeit. Die Ent- krat, ein Sozi, ein Gewerkschafter und ein heute bei den „Tagesthemen“. Es ist ja scheidung darüber steht aber noch aus. Unternehmer einander beharken, gern de- nicht so, dass ich tagsüber zu Hause auf SPIEGEL: Warum wollen Sie die Show auch koriert von einem bunten Vogel aus Kultur, dem Sofa liege und abends um 22 Uhr selbst produzieren? Das machen manche Sport oder Showbiz? von der Kosmetikerin direkt ins Studio Ihrer Kollegen doch vor allem, um einen Will: In zwei Jahren ist Bundestagswahl. plumpse. Teil der eigenen Gage im Gesamtbudget Da können solche Runden durchaus span- SPIEGEL: Für das Talkshow-Projekt mussten verstecken zu können. nend sein. Ich glaube aber generell, dass Sie die ARD-Intendanten mit einem Kon- Will: Wir sind derzeit noch in der Konzep- man die Textsorte, die manche Politiker zept überzeugen. Was also werden Sie an- tionierungsphase. Ich will auf jeden Fall anschlagen, brechen kann. ders machen als Christiansen? gewährleisten, dass ich mir mein Team zu-

der spiegel 7/2007 117 HARTMUT SCHWARZBACH / ARGUS SCHWARZBACH HARTMUT / AP WINFRIED ROTHERMEL ADDRESS PUBLIC TV-Journalistinnen Illner, Slomka, Maischberger: „Wir brauchen eher Netzwerke als Konkurrenz“ sammenstellen kann, um meine journalis- Will: Tja. Dafür gibt es ein ganzes Spektrum gangenen Jahr kamen zum Beispiel May- tischen Ansprüche realisieren zu können. von Gründen, die Sie alle kennen. Frauen brit Illner und Marietta Slomka. Nachts SPIEGEL: Die Christiansen-Show kostete die sind fürs Fernsehen jedenfalls besonders grölten wir Karnevalslieder, bis die Polizei ARD rund neun Millionen Euro jährlich. begabt – weil sie in der Regel anders kom- kam, weil’s zu laut war. Die Beamten wa- Sind Sie günstiger? munizieren und anders Interviews führen. ren am Ende ziemlich fertig, denn wir ha- Will: Ich bin mir vor allem mit der ARD ei- SPIEGEL: Ihre ZDF-Kollegin Marietta Slom- ben so lange auf die eingeredet, bis sie nig – auch darin, solche Details nicht öf- ka hat mal gesagt, dass Frauen die kriti- wieder abzogen. fentlich zu debattieren. scheren Fragen stellen können als Männer, SPIEGEL: Dabei haben Sie doch den Ruf, SPIEGEL: Auf der einen Seite müssen Sie solange sie dazu lächeln. immer strebsam und artig gewesen zu sein. unter Beweis stellen, wie hart Sie als Will: Das gehört zur permanenten Char- Das Revolutionärste an Ihrer Jugend Journalistin sein können. Auf der anderen me-Erwartung des Mediums an uns Frau- scheint die Tatsache, dass Sie mal Messdie- Seite werden Sie in eigener Sache immer en. Fast ein Grunderfordernis, das wir zu nerin werden wollten wie Ihr großer Bru- diplomatischer. bedienen haben. So wie ich ja auch nicht der. Hatten Sie Phasen, in denen Sie gern Will: Nicht diplomatischer. Vorsichtiger. ungeschminkt vor die Kamera gehe. wilder gewesen wären? SPIEGEL: Warum eigentlich? Von Verrissen SPIEGEL: Wie unterscheiden sich weiblicher Will: Ja, hatte ich. Es würde allerdings blieben Sie bislang doch völlig verschont. und männlicher Journalismus? nichts bringen, mich anders zu inszenie- Will: (lacht) Vielleicht liegt das daran, dass Will: Ich beobachte, dass Frauen fragen, ren. Das wäre mittlerweile auch bemerkt ich so nett bin? weil sie wirklich etwas wissen wollen – worden und dann ziemlich peinlich. SPIEGEL: Haben Sie Angst davor, dass Ih- nicht, um bestätigt zu bekommen, was sie SPIEGEL: Sie wollen sich aber auch nicht nen demnächst ein schärferer Wind ins Ge- schon zu wissen glauben. Aber es gibt gemein machen mit den Mächtigen. sicht weht? natürlich auch hervorragende Interviewer. Will: Ich halte Distanz. Das liegt auch dar- Will: Ich rechne schon damit. Vielleicht ist SPIEGEL: Zwischen all den TV-Frauen gibt an, dass ich abends lieber auf dem Sofa das dann aber auch hilfreich, wenn man es keinerlei Rivalitäten? liege, als auf einer Parteiveranstaltung oder mich darauf aufmerksam macht, was ich Will: Nein. Und wir sind uns auch einig, Premiere herumzulungern. Manchmal fra- besser machen könnte. dass wir alle das nicht nötig haben. Wir ge ich mich: Musste da hin? Kannste es SPIEGEL: Haben es Frauen im Fernsehjour- brauchen eher Netzwerke als Konkurrenz. lassen? Ich denke da durchaus strategisch. nalismus mittlerweile leichter? Zur Party meines 40. Geburtstags im ver- SPIEGEL: Ihr Privatleben schotten Sie ab. Will: Jemand wie Sabine Christiansen Will: Das ist auch mein Recht. Ich ach- musste bei den „Tagesthemen“ noch dar- te ja auch das Privatleben anderer. um kämpfen, als Frau neben einem ge- SPIEGEL: Halten Sie schon die Fragen standenen grauhaarigen Journalisten wie danach für unanständig? Hajo Friedrichs überhaupt eine Chance zu Will: Ich beantworte sie jedenfalls bekommen. Das liegt zum Glück lange hin- nicht. ter uns. Aber ich bin froh, dass sie das für SPIEGEL: Eine Ihrer größten Obses- uns alle ausgehalten hat. Dass es mehr sionen verraten wir hier dennoch. Frauen auf dem Schirm gibt, hat einen eher Will: Jetzt kommt’s. symbolischen Wert – heißt ja aber nicht, SPIEGEL: Sie wollen irgendwann mal dass wir in großer Zahl auch schon in den vom Prunkwagen im Kölner Rosen- Führungspositionen der Rundfunkanstal- montagszug Kamelle werfen. ten angekommen wären. Will: Ich gebe es zu. Aber da können SPIEGEL: Woran liegt es, dass Frauen mitt- Sie mal sehen, wie begrenzt mein lerweile vor der Kamera, aber noch selten Promi-Wert ist: Ich habe noch nie

dahinter Karriere machen? SUSE WALCZAK eine Einladung bekommen. Will, SPIEGEL-Redakteure* SPIEGEL: Frau Will, wir danken Ihnen * Thomas Tuma und Michaela Schießl in Hamburg. „Frauen sind fürs Fernsehen besonders begabt“ für dieses Gespräch.

118 der spiegel 7/2007