Jenseits Der Mauer, I & II
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Brigham Young University BYU ScholarsArchive Prose Fiction Sophie 1912 Jenseits der Mauer, I & II Elisabeth Heinroth Follow this and additional works at: https://scholarsarchive.byu.edu/sophiefiction Part of the German Literature Commons BYU ScholarsArchive Citation Heinroth, Elisabeth, "Jenseits der Mauer, I & II" (1912). Prose Fiction. 152. https://scholarsarchive.byu.edu/sophiefiction/152 This Article is brought to you for free and open access by the Sophie at BYU ScholarsArchive. It has been accepted for inclusion in Prose Fiction by an authorized administrator of BYU ScholarsArchive. For more information, please contact [email protected], [email protected]. Jenseits der Mauer, I & II (Novel) Jenseits der Mauer Von Elisabeth Heinroth (Klaus Rittland) Editor's Introduction The original for this text is located in the Königliche Bibliothek-Berlin. All spelling in this electronic version of the text reproduces that of the original. Textual usage and spelling conventions conform to those of modern German with minor exceptions. For example, contrary to modern usage, Nachbar is not declined with the -n: den Nachbar, des Nachbars. In addition, the relative pronoun das is most frequently used to refer to indefinite pronouns such as etwas. As in many early texts, ward is used instead of wurde in the preterite. For convenience in quoting from this text, each page number from the original is given on the left margin at the beginning of the page, and the page breaks are indicated by a colored line. Where the page number does not actually appear on the page, as in the introduction, the number is shown in brackets. Likewise, where the page numbering is inconsistent, the original number is given, with the correct number in brackets. Words which were hyphenated at the end of a page in the original are not broken in this version; instead, the entire word is included on the page on which its initial syllables were printed in the original. Obvious typographical errors have been silently corrected; in questionable cases, the original spelling is given, followed by the correct form in brackets. This text may be duplicated for classroom and research purposes. Titelseite [i] Jenseits der Mauer [ii] Erster Band Königl.- Bibliothek Berlin Dresden Verlag von Carl Reißner 1912 [iii] Gedrukt bei Petzschke & Gretschel, Dresden-A. I [1] Vorfrühling in der Heide. Ein leiser Wind strich über die wellige braune Ebene dahin, ein Wind, der bei all seiner Frische doch schon einen Hauch von Wärme, von lebenweckender feuchter Wärme mit sich führte. Die Heide selber trug noch ihr schmuckloses Winterkleid; aber dort, am Rande des Föhrenwäldchens, zog sich ein schlängelnder Streifen von zartem, lichtem Laubgrün dahin. Das mußten die Weiden am Ufer des kleinen Moorflusses sein. Der junge Radler, der von der fernen Landstraße über den Sommerweg daherkam, faßte den hellgrünen Streifen als Ziel ins Auge. Dort wollte er rasten und einen Schluck trinken. Wenn das dunkle Moorwasser auch abscheulich schmeckte, sein Durst war zu groß. Die Fahrt auf dem schlechten Sommerwege strengte an; fortwährend klemmte sich das Rad in den tiefen Furchen fest. Jetzt hatte er sein Ziel erreicht und warf sich, nachdem er seinen Durst nicht eben genußreich gestillt hatte, auf den feuchten Moosboden nieder. Da leuchtete etwas Weißes aus dem Gebüsch. Er griff danach: ein Brief, geschlossen und frankiert. "Freifrau von Hadersloh auf Eicken bei Lüneburg", las er und überlegte: "Ich will menschenfreundlich sein und 2 den Brief in den nächsten Postkasten stecken. Es ist wohl niemand in Sicht?" Doch ja, dort, wo der Nadelwald sich über eine niedere Anhöhe hinzog, saß ein weibliches Wesen auf einem Baumstamm, ein Skizzenbuch oder Zeichenbrett auf den Knien. Ein Malweib? Die machten doch sonst erst zur Sommerzeit die Heide unsicher. Der junge Mann sprang auf und schritt, sein Rad mit sich führend, auf die Dame zu. Beim Näherkommen konstatierte er, daß sie nicht mehr jung war, aber gut aussah, schlank und bräunlich, mit stark ausgeprägten, linienstrengen Zügen. Er grüßte und reichte ihr den Brief hin. "Haben Sie das vielleicht veloren?" Erfreut blitzte ihr Auge auf. "O, vielen Dank. Ich bin vorhin schon ein großes Stück Weges darum zurückgelaufen. Es ist so lästig, einen Brief doppelt schreiben zu müssen." "Und doch auch peinlich, wenn so etwas in indiskrete Hände kommt", fügte er lächelnd hinzu, "wer weiß, was für Geheimnisse in dem kleinen Kuvert enthalten sind?" Im ersten Moment trat ein kühl abweisender Zug auf ihr Gesicht. Eigentlich dreist — gleich dieser neckische Ton. Aber es lag etwas harmlos Natürliches in seiner Art. Und dann — was war er für ein schönes, junges Menschenkind, so strahlend von vollsaftiger Lebensfrische, so heiter und kraftvoll. Sie schüttelte freundlich den Kopf. "Nein, dieser Brief würde den Neugierigen sehr enttäuscht haben. Er enthält nur eine schlichte Anmeldung." 3 "Sie wollen nach Eicken? Das interessiert mich." Er warf sich zu ihren Füßen ins Moos, ohne erst eine Aufforderung abzuwarten. Abenteurersituation. Da fragt man nicht lange. "Die Frau von Hadersloh ist eigentlich das einzig Interessante in dieser gottverlassenen Gegend — außer den Ölquellen." Fragend sah sie zu ihm nieder. "Ich bin bei den Ölbohrungen in Lühstedt beschäftigt, als Ingenieur. Ja. Also — diese Gutsfrau von Eicken, das muß ein famoses Frauenzimmer sein. Eine äußerst tatkräftige Geschäftsfrau, Gutsherrin in großem Stil. Von dem Ertrag ihrer Fischteiche erzählt man sich ja Wunder. Na, man ist hier wohl nicht an blendende Erfolge gewöhnt. Neulich kriegte auch unser Direktor mal einen Brief von ihr, in dem sie auf ein ihr gehöriges Ackerland aufmerksam macht, das nach ihrer Meinung in die Ölzone hineinreicht. Kann auch sein. Vielleicht bohren wir dort nächstens. Übrigens hab' ich die Frau erst einmal von weitem gesehen, sie ritt mit ihrem Inspektor durch die Felder — ein Prachtweib. Ich möchte sie wohl kennenlernen." "Ja", meinte das Mädchen sinnend, "Jutta ist schön — mehr als schön." "Ihre Freundin?" fragte er. Sie nickte. "Und bald meine Herrin. Ich bin als Obergärtnerin dort engagiert." "Nanu?" Erstaunt sah er an der schlanken Gestalt empor. So ganz Dame — und Gärtnerin? Sie lachte. "Ja, wirklich. Ich habe mich in der Gärtnerei ausgebildet, nachdem ich eingesehen hatte, 4 daß es damit" — sie zeigte auf ihre Skizze — "nichts war." Er erhob sich und guckte ungeniert über ihre Schulter weg auf die Zeichnung. "Also Malwei — pardon, Künstlerin a. D.? Übrigens, Sie können doch was. Sehr gut wiedergegeben. Sieh, sogar meine Bohrtürme im Hintergrunde. Die Heidemaler sind bescheiden." "Sie lieben diese Natur nicht?" fragte sie, ihre Arbeit wieder aufnehmend. Er schüttelte energisch den Kopf. "Ich bin vom Rhein." In diesem stolzen Bekenntnis schien ihm alles zu liegen. "Ingenieur Gervissen aus Köln", fiel es ihm jetzt ein, sich vorzustellen. "Luise Schott", sagte das Fräulein. Und dann erzählte er, daß er schon den ganzen vorigen Sommer in Lühstedt die Bohrungen geleitet hätte und sich nachgerade hier recht zu langweilen anfinge. Auch von seinem Kölner Elternhause erzählte er, von den fremden Ländern, in die sein Beruf ihn geführt hatte, von Rußland, Galizien, Amerika — und renommierte ein wenig mit kühnen Zukunftsplänen. Hans Gervissen war mitteilsamer Natur und hatte sich schon lange nicht mehr mit einem angenehmen weiblichen Wesen ausgesprochen. Er hungerte nach Frauensympathie. Und diese hier verstand so wundervoll zuzuhören. Ihre schwarzen Augen — schwarz und sehr sanft, was man selten findet — ruhten so verständnisvoll auf ihm, so gütig wissend, als ob sie eigentlich schon sein ganzes Inneres kennte und nur 5 aus seinem Munde die Bestätigung längst vertrauter Dinge hören wollte. Von sich selber sprach sie wenig, nur daß sie in dem nahegelegenen Städtchen Reimersloh bei Verwandten zu Besuch wäre, erfuhr er, und daß sie übermorgen ihre Stellung auf Eicken antreten würde. Als sie endlich zur Mittagszeit ihre Malsachen zusammenpackte, bat er, sie ein Stück Weges begleiten zu dürfen. Munter plaudernd schritt er an ihrer Seite durch die stille Landschaft. Und über ihre Seele kam ein wunderlich frohes Jugendgefühl. Als ob das keimende Leben ringsumher, die heimliche Werdelust, die allerorten sich regte, tief unten im feuchtherb duftenden Erdboden und in den Zweigen, deren aufsteigende Säfte zum Quellen und Knospen drängten, als ob all dieses sonnendürstende neue Leben sich verkörpert hätte in der Gestalt des jungen Menschen, der da neben ihr ging und ihr so fröhlich vertraut ins Gesicht schaute mit seinen lachenden Blauaugen. Ein Übermut ergriff sie, eine kindische Freude, ohne Grund, ohne Berechtigung — aber die Freude blieb tief verschlossen. Er hatte nur den Eindruck: ein liebes, ernstes Mädchen, das keine Ansprüche mehr macht und sehr wohl zu leiden ist, ein famoses werdendes Tantchen! Als sie die ersten Häuser vor sich sahen, verabschiedete er sich mit dem Versprechen: "Vielleicht such ich Sie mal in Eicken auf." Die Medizinalrätin, ihre Tante, empfing sie mit 6 einer spitzen Bemerkung über ihre verspätete Heimkehr. "Verzeih', es war so schön da draußen." Aber von ihrer Begegnung sagte sie nichts. Bei Tische erzählte sie, daß sie übermorgen nach Eicken fahren würde. "Schade, schade, schon so bald?" bedauerte der freundliche, dicke Medizinalrat. Und seine Frau stimmte ihm bei. "Eigentlich ist es mir überhaupt nicht ganz recht, Luising, daß du zu der Hadersloh gehst." Fragend sah der Gast auf. "Weshalb nicht? Es ist eine sehr gute Stellung. Alle, die mit mir zusammen ausgebildet