PROJEKTCRUPPE Jj KULTURRAUH INTERNET

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PROJEKTCRUPPE Jj KULTURRAUH INTERNET Veröffentlichungsreihe der Abteilung „Organisation und Technikgenese“ des Forschungsschwerpunkts Technik-Arbeit-Umwelt am WZB in Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinären Forschungsprojekt (IFP) Sozialgeschichte der Informatik der TU Berlin FS II 95-101 Die Datenautobahn - Sinn und Unsinn einer populären Metapher Weert Canzler, Sabine Helmers Q Ute Hoffmann PROJEKTCRUPPE jj KULTURRAUH INTERNET Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50,10785 Berlin Telefon (030) 254 91-0, Fax (030) 254 91-684 Zusammenfassung Die „Datenautobahn“ hat innerhalb kurzer Zeit eine rasante Karriere erfahren. Sie ist zum beliebten Etikett und attraktiven Symbol des technischen Aufbruchs in das vernetzte Computerzeitalter geworden. Doch ist aller rhetorischen Verbreitung zum Trotz völlig unklar, was denn auf der technischen Ebene mit der Datenauto­ bahn gemeint sein soll, schließlich stehen mehr noch als die Elemente der infor­ mationstechnischen Infrastruktur der Zukunft vor allem die erhofften Anwen­ dungen und Nutzungen erst am Anfang der Entwicklung. Der vorliegende Text erörtert - ausgehend von der Hypothese einer besonderen Leitbildsensibilität noch offener Techniken - die begriffliche Analogiebildung, die zur Datenautobahn geführt hat. Nach einem Überblick über Entstehung und Aufstieg der Metapher Datenautobahn wird vor dem Hintergrund eines historischen Rückblicks auf das erfolgreiche Technikprojekt Autobahn ein Vergleich zwischen der Autobahn und der vernetzten Informationsübertragung angestellt. Angesichts erheblicher Unter­ schiede schließt sich die Frage an, ob und welche Alternativen sich anbieten, die Besonderheiten der technischen Vision einer ubiquitären Computervernetzung begrifflich angemessen zu erfassen. Es lohnt gleichwohl der Blick auf die Gemein­ samkeiten. Die auf den zweiten Blick aufscheinenden Gemeinsamkeiten und möglichen Komplementaritäten beider Technikfelder könnten die Metapher von der Datenautobahn sogar als besonders tiefgründig ausweisen... Inhaltsübersicht Aus gegebenem Anlaß... 1. Eine atemberaubende Begriffskarriere 2. Die deutschen Autobahnen: „Pyramiden des Dritten Reiches“ 3. Ambivalente Assoziationen 4. Datenautobahnen und Autobahnen: Ein Vergleich von Äpfeln und Birnen 5. Überredende Ähnlichkeiten 6. Vor einer neuen Beziehung von Verkehrs- und Informationstechnik? 7. Horizonte Literatur Abbildungsnachweise Aus gegebenem Anlaß... Die neuen Kommunikationsnetze, die derzeit mit Eifer an vielen Orten der Erde geknüpft werden, werden mit großem Medienrummel gefeiert. Man läßt sie als eine High-Tech-Chance für alle und Technik für das nächste Jahrtausend hoch­ leben. Noch befinden sich die Netz-Träume, vor allem was Anwendungen und Nutzungsformen angeht, erst am Anfang ihrer Realisierung. Gleichwohl werden gegenwärtig die Weichen für die weitere informations- und kommunikations­ technische Entwicklung gestellt. Weltweit verändern sich die Telekommunikations­ regimes, neue Anbieter drängen auf die „Wachstumsmärkte der Zukunft“, mit dem Durchbruch in die „Multimedia-Welt“ wird stündlich gerechnet. Leitbilder, verstanden als miteinander verwobene Wunsch- und Machbarkeitsvorstellungen zentral an diesem Technikprojekt Beteiligter, bestimmen mit, wohin die tech­ nische Reise geht. Deshalb ist es nicht unwesentlich, welche Vorstellungen und Begriffe in der Aufbauphase einer umfassenden datentechnischen Infrastruktur kursieren und welche dieser Vorstellungen und Begriffe sich im Diskurs um die Datenkommunikation der Zukunft schließlich durchsetzen. Es dürfte im Bereich der Neuen Techniken derzeit keine prominentere Begriffsschöpfung geben als die „Datenautobahn“. Es wird also im folgenden um die Rhetorik eines potentiell neuen Leitbildes gehen. Diese Rhetorik lehnt sich eng 4 an das machtvolle verkehrstechnische Projekt der Autobahn an, welche ihrerseits eine Geschichte hat. Der anscheinend unaufhaltsamen Karriere der Datenauto­ bahn-Metapher zum Trotz ist zu fragen, ob dieses Bild den technischen Charakte­ ristika der schnellen und vernetzten Datenübertragung überhaupt entspricht. Warum ist das sprachlich eher brachial anmutende Wortgebilde eigentlich so erfolgreich? Ein erklärungsbedürftiger Erfolg, denn die Assoziationen einer Autobahn-Metapher sind im Zeichen der Krise des Automobilismus durchaus ambivalent. Ist nicht die Rede vom „globalen Dorf“ der Netzwelt eher angemessen angesichts der dezentralen und eigentümlich kommunikativen Verfaßtheit des real existiemden weltumspannenden Computernetzes Intemt, das in jüngster Zeit oftmals und gerne als Referenz einer Datenautobahn herangezogen wird? Neben offenkundigen Unterschieden der physischen gegenüber der informationellen Raumüberwindung lassen die beiden Technikprojekte auf den zweiten Blick aller­ dings auch erstaunliche Komplementaritäten erkennen, die der „Datenautobahn“ einen überraschenden Sinn geben und am Ende sogar auf eine versteckte Ver­ wandtschaft von Verkehrs- und Kommunikationstechnik deuten. Die „Datenautobahn“ reizt nicht nur zu tiefgründigen Reflexionen. Berliner Hacker sollen jüngst über das Internet ein Virus ausgesandt haben, das MS-DOS- und Windows-Systeme befällt und dort sämtliche Dateien auf das „Wortmonster , Datenautobahn'“ hin durchsucht.1 Wird es fündig, zerstört das Progamm alle gespeicherten Daten. Lügenmärchen oder bittere Realität - die Botschaft, die das Virus nach Vollendung des Vernichtungswerks auf dem Bildschirm erscheinen lassen soll, zeugt nicht nur von der sprachlichen Sensibilität seiner Schöpfer, sondern auch von ihrem Hedonismus: „...,Datenautobahn'...? Wie das schon klingt! Daten? Autos? Hey, es geht um Spaß, Kommunikation und bunte Bilder.“ i. Eine atemberaubende Begriffskarriere Irgendwann im Sommer 1994 war die „Datenautobahn“ hierzulande plötzlich in aller Munde. Innerhalb weniger Monate hat diese Metapher Datennetze, bislang dem Diskurs von Spezialisten überlassen, in einen Gemeinplatz verwandelt. Eine kleine Chronik von (Medien-)Ereignissen: Im September 1993 kündigen der US-amerikanische Vizepräsident Al Gore und Handelsminister Ron Brown eine Initiative zum Ausbau einer nationalen Informationsinfrastruktur (Nil) an und legen einen Aktionsplan dazu vor. In einer Rede vor dem nationalen Presseclub veranschaulicht Al Gore, wie man sich diese nationale Informationsinfrastruktur vorzustellen habe.2 1 Die Zeit Nr. 47, 18.11.1994, S. 88 2 Die Rede AL Gores vor dem Presseclub im Dezember 1993 ist online über h t t p : //www. h p c c . gov/white-house/gore.n i i . html verfügbar und gedruckt nachzulesen in v. Grote et al., 1994,17-26. Die NII-Agenda (National Information Infrastructure: Agenda for Action) sowie wei­ tere NII-bezogene Dokumente finden sich unter h ttp : //su n site.unc. edu/nii/toc.html. 5 One helpful way is to think of the National Information Infrastructure as a network of highways much like the Interstates begun in the ’50s. These are highways carrying information rather than people or goods. And I'm not talking about just one eight-lane turnpike. I mean a collection of Interstates and feeder roads made up of different materials in the same way that roads can be concrete or macadam - or gravel. Some highways will be made up of fiber optics. Others will be built out of coaxial or wireless. But - a key point - they must be and will be two way roads. These highways will be wider than today's technology permits. This is important because a television program contains more information than a telephone conversation; and because new uses of video and voice and computers will consist of even more information moving at even faster speeds. These are the computer equivalent of wide loads. They need wide roads. And these roads must go in both directions. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 1994 gibt Präsident Clinton das Datum für den Vollzug der Nil-Initiative vor: bis zum Jahr 2000 solle jedes Klas­ senzimmer, jede Bibliothek und jedes Krankenhaus an den „national information superhighway" angeschlossen sein. Inzwischen hat die Nil-Initiative in den USA schon eine breite öffentliche Debatte ausgelöst und beinahe wäre der „Information Superhighway" in den USA zum Wort des Jahres 1993 avanciert (Shade, 1994, S. 148). Die Magazine Time und Newsweek bringen Titelgeschichten über den „data-highway". Computer-Fachleute äußern ihre Besorgnis, daß über dem Bau von Datenfernverbindungen nach dem Vorbild der Interstate Highways die An- und Abfahrten für die einzelnen Nutzer vernachlässigt werden könnten (CPSR, 1993). In der Zeitschrift Whole Earth Review bringt Howard Rheingold (1994) den Kern der Debatte auf den Punkt: „If you had an Information Superhighway: Where would you go?" Einige Bundesstaaten wollen nicht auf das landesweite Netz warten und installieren vorsorglich eigene Datenautobahnen. Seit März 1994 werden auf dem Texas Information Highway „guided highway tours" angeboten, die „Information Highway Patrol" offeriert Statistiken über Computerkriminalität.? Im August wird der North Carolina Information Highway eröffnet, der für interessierte Unter­ nehmen alle erdenklichen Angaben über mögliche Standorte im Bundesstaat online bereithalten soll.4 Pizza Hut startet in Kalifornien „PizzaNet“ - Computer­ freaks können ihre Pizza nun auch per Datenautobahn bestellen.5 Im September läßt der Senat die von der Clinton/Gore-Administration eingebrachte Reform des 3 Wayne McDilda, Architekt der texanischen Datenautobahn (gopher: // s o l . st a c . di r . te x a s . gov:70/) erläutert zur Philosophie des Netzes: “The fourth reason for 'The Highway' was to see how far the cliche
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