Diplomarbeit Eingereicht im April 2018 Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Albrich

Schachspieler in der Fremde Erfolgreich für die neue Heimat

Unter Berücksichtigung des Themas im Unterricht: Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung

Daniel Schnegg 01118033 C 190 313 333 April 2018 [email protected] Inhaltsverzeichnis Danksagung ...... 4 Vorwort ...... 4 Der Weltschachverband FIDE ...... 5 Alexander Alexandrovich Aljechin ...... 7 Von der Jugend über die Todeszelle nach Frankreich ...... 7 Französischer Staatsbürger und Aufstieg zum Weltmeister ...... 14 Bruch mit der Sowjetunion, Verlust und Wiedergewinn des Titels ...... 22 Rehabilitation und Revanche ...... 28 Aljechin zwischen 1938 und 1945 ...... 31 Aljechins Rolle in ...... 33 Deutschenfeind, Deutschenfreund, Kollaborateur ...... 35 Aljechins Tod: Unfall oder nicht? ...... 42 Samuel Herman Reshevsky ...... 50 Das Wunderkind, das das Schachspiel der Schule vorzog ...... 50 Vorherrschaft in der amerikanischen Schachwelt ...... 53 Stärkster westlicher Spieler und Herausforderer der Sowjetunion ...... 57 Der neue Rivale: Robert „Bobby“ Fischer ...... 62 Stark im Schatten Fischers und Vermächtnis ...... 65 ...... 70 Aufstieg in die nationale Elite ...... 70 Von Bad Nauheim nach Argentinien ...... 71 Buenos Aires 1939 ...... 73 Engels in Brasilien während des Krieges ...... 77 Engels in der Nachkriegszeit ...... 78 ...... 82 Von den Anfängen in bis zur Schacholympiade ...... 82 Vorherrschaft in Österreich bis zum Anschluss ...... 84 „Anschluss“ und „Eroberung“ Deutschlands ...... 87 Von der Schacholympiade 1939 bis zum argentinischen Staatsbürger ...... 90

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Erfolgreich für Argentinien ...... 92 Verbundenheit mit Österreich in der Nachkriegszeit ...... 95 ...... 98 Jugend in Polen bis zur Heimolympiade in Warschau...... 98 Erfolgreich für Polen bis Buenos Aires ...... 99 Verbleib in Argentinien inklusive Weltrekord ...... 100 Galionsfigur für Argentinien ...... 104 Najdorf-Variante als sein größtes Erbe ...... 111 Fazit ...... 113 Fachdidaktischer Teil ...... 115 Teil 1: Doppelstunde ...... 116 Fragen zu Alexander Aljechin ...... 119 Fragen zu ...... 120 Fragen zu Ludwig Engels ...... 121 Fragen zu Erich Eliskases ...... 122 Fragen zu Miguel Najdorf ...... 123 Teil 2: Präsentationen ...... 125 Bibliographie ...... 127 Literatur ...... 127 Verwendete Internetressourcen ...... 128 Verwendete Zeitschriften...... 131 Verwendete Zeitungen ...... 131 Verwendete Programme ...... 131 Verwendetes Bildmaterial ...... 132 Anhang ...... 133 Glossar ...... 133 Stundenbild I und II ...... 135 Stundenbild III ...... 137

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Danksagung

In erster Linie möchte ich mich bei Herrn Mag. Dr. Albrich Thomas für die kompetente Betreuung und Begleitung meiner Diplomarbeit bedanken. Ein besonderer Dank gilt Mag. Mirko Kaloperovic für seine Übersetzungstätigkeit der russischsprachigen Zeitungsberichte. Für die angenehme Studienzeit möchte ich mich bei allen Professoren und Mitstudierenden bedanken. Schlussendlich gebührt der größte Dank aber meinen Eltern und meiner Familie, die mich auf meinem Weg unterstützt haben.

Vorwort

Die folgende Diplomarbeit soll dem Leser bzw. der Leserin einen Überblick über einige der stärksten Schachspieler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geben, wobei auch die erbrachten Leistungen während des Kalten Krieges bearbeitet werden. Neben den wichtigsten biographischen Daten und den einschneidenden Veränderungen im Leben der Protagonisten sollen auch die schachlichen Aktivitäten analysiert und aufgelistet werden.

Alle Spieler hatten im Verlauf ihres Lebens in mindestens einem Land den Status des stärksten Spielers inne. Da bis auf Reshevsky jeder Spieler mindestens einmal für eine andere Nation spielte, wird auch auf die Gründe eingegangen, wegen denen der betreffende Spieler sein ursprüngliches Heimatland verlassen musste.

Um für den Leser bzw. der Leserin Zusammenhänge zu bieten und die Leistungen der Spieler besser einordnen zu können, wurden zusätzliche Informationen zu den besten Spielern der damaligen Zeit in den Fußnoten gegeben. Diese wurden vor allem aus Klaus Lindörfers Standardwerk „Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z“1 entnommen. Die Ergebnisse der Schacholympiaden wurden auf der Homepage http://www.olimpbase.org/ eingesehen und ausgewertet. Ebendiese Schacholympiaden waren für mehr oder weniger alle Spieler der damaligen Zeit die einzige Möglichkeit, ihr Land zu repräsentieren und wurden neben direkten Wettkämpfen auch teilweise herangezogen, um sich in der Weltspitze zu etablieren bzw. „heraufzuarbeiten“. Erst die

1 Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991. 4

Einführung der ELO-Zahlen als Gradmesser der Spielstärke (siehe Seite 6) führte dazu, dass die aktiven Spielerinnen und Spieler der ganzen Welt direkt gegenübergestellt werden können.

Für die Gewinnung der biographischen Informationen wurde neben der vorhandenen deutschsprachigen Literatur auch auf fremdsprachige Quellen zurückgegriffen, um auch die Einschätzungen aus der Perspektive der „Aufnahmeländer“ miteinzubeziehen. Für die Übersetzungen aus der russischen Sprache soll hier auf die Danksagung verwiesen werden.

Ein sehr wichtiges Element dieser Arbeit stellt die aktuell größte Sammlung an Schachpartien dar, die in das Programm Chessbase eingearbeitet ist. Die Mega Database umfasst 6.161.344 Partien (Stand 2017) und bildete die Basis für die Analyse von einzelnen Partien bzw. Wettkämpfen, die die Protagonisten gespielt haben.

Der Weltschachverband FIDE

Die offizielle Gründung des Weltschachverbandes erfolgte am 20. Juli 1924 in Paris, was auch die französische Schreibweise „Federation Internationale des Echecs“ erklärt. Der Weltschachverband hatte ursprünglich, abgesehen von der Wahrung und ggf. Anpassung der Spielregeln (siehe beispielsweise die Änderung der Schachuhren durch Robert „Bobby“ Fischer, Seite 17f.), nur wenig Einfluss bzgl. des Weltmeistertitels. Dieser Titel wurde bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ausgespielt, allerdings nicht unter der Schirmherrschaft der FIDE, sondern im Rahmen von privaten Wettkämpfen zwischen dem amtierenden Weltmeister und seinem Herausforderer.2

An Einfluss gewann die FIDE aber unter anderem durch die Organisation der Schacholympiaden, die 1924 zum ersten Mal stattfand, allerdings noch in Form eines Einzelspielerturnieres.3 Zwei Jahre später dagegen wurde das Turnier zum ersten Mal in Mannschaftsform ausgetragen, die Veranstaltung war mit nur vier teilnehmenden Mannschaften aber nur spärlich besetzt. Was von diesem Turnier jedoch blieb ist der Sieg der ungarischen Nationalmannschaft vor den Jugoslawen und den Rumänen, während Deutschland sieglos den vierten Platz belegte.4

2 Vgl. http://www.fide.com/fide.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 3 Vgl. http://www.olimpbase.org/1924x/1924fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 4 Vgl. http://www.olimpbase.org/1926x/1926in.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 5

Nach dem Tod Aljechins im Jahr 1946 organisierte die FIDE das Nachfolgerturnier, das der sowjetische Teilnehmer gewinnen konnte und damit die Vorherrschaft des sowjetischen Schachs einleitete. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion gelang es nur Fischer den Weltmeistertitel (kurzzeitig) aus dem Ostblock zu entführen.

1950 verlieh die FIDE offiziell die ersten Titel an ausgewählte Spieler, zuvor kamen nur einzelne Personen zu dieser Ehre. Erst nachdem die FIDE die Festlegung der Kriterien und die Verleihung organisierte, setzte sich die Akzeptanz auf der ganzen Welt durch. Seit dieser ersten Vergabe haben sich einige Titel etabliert, die bekanntesten sind Großmeister (GM), Internationaler Meister (IM) und Fidemeister (FM). Für alle dieser Titel gibt es bestimmte Voraussetzungen, beispielsweise das Erreichen einer bestimmten Elozahl und bestimmte Ergebnisse in Turnieren, wobei auch die Gegner in diesen Turnieren eine bestimmte Spielstärke aufweisen mussten.5

Das System der Elozahlen wurde von der FIDE erst 1970 offiziell übernommen. Die Idee dahinter war, dass die Spieler anhand einer Wertungszahl leichter miteinander verglichen werden konnten.6 Im Rahmen dieser Diplomarbeit wird unter anderem von historischen Elozahlen gesprochen. Diese wurden im Nachhinein vom Statistiker Jeff Sonas errechnet und sind auf der Homepage http://www.chessmetrics.com/cm/CM2/Introduction.asp?Params=1840AASSSSS3S0000000 00000111000000000000010100 einsehbar. Das größte Problem bei der Berechnung der Spielstärken ist, dass nur direkte Duelle berechnet werden konnten, nicht miteingerechnet wurden äußere Faktoren wie beispielsweise die einsetzende Computerunterstützung etc.7 Aus den historischen Elowertungen kann allerdings abgelesen werden, welche Spieler in welchem Zeitraum die Schachwelt dominierten und wann sie in etwa von ihren Nachfolgern abgelöst wurden.

Der höchste Wert seit der Einführung dieses Wertungssystemes wurde im Mai 2014 vom amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen erreicht (2.882).8

5 Vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1241163 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 6 Vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/364427 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 7 Vgl. http://www.chessmetrics.com/cm/CM2/Introduction.asp?Params=1840AASSSSS3S00000000000011100000000 0000010100 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 8 https://ratings.fide.com/top_files.phtml?id=1503014 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 6

Alexander Alexandrovich Aljechin

Von der Jugend über die Todeszelle nach Frankreich

Alexander Aljechin wurde am 1. November 1892 in Moskau geboren. Aufgrund seiner Herkunft konnte er sich bereits früh in seinem Leben neben der Schule anderen Aktivitäten widmen:

„Sein Vater Alexander Iwanowitsch Aljechin gehörte dem Adel an und war Mitglied der Duma, seine Mutter Anissja Iwanowa Aljechina (geborene Prochorowa) war die Tochter eines Industriellen. Aljechin wuchs in großem Luxus in Moskaus auf. […] Schach lernte Aljechin im Alter von sieben Jahren zunächst von seiner Mutter. Sein Vater und sein vier Jahre älterer Bruder zeigten ihm dann weitere Kniffe des Spiels.“9 Während dieser frühen Phase seines Lebens besuchte er die Schule, in der er laut Uwe Neumann in allen Fächern sehr gute Leistungen zeigte. Neben der Schule beschäftigte er sich sehr häufig mit dem Schachspiel, vor allem das Blindschach schien ihn zu faszinieren. Die Schachbegeisterung, sowohl im zaristischen Russland, als auch der späteren Sowjetunion, schlug sich auch auf die Schulen nieder. Dort wurden regelmäßig Turniere abgehalten und die besten Schüler durften an Simultanvorstellungen oder Jugendturnieren teilnehmen.10

Diese Privilegien galten aber wohl nur den wohlhabenderen Kindern, ohne den familiären Wohlstand hätte Aljechin wohl neben dem „normalen“ Schulbesuch keine Möglichkeiten gehabt, sich seinem Hobby so ausgiebig widmen zu können. Schulz führt für die spezielle Förderung des Vaters für seinen sehr talentierten Sohn unter anderem die Fremdsprachen an, die der Schachspieler bereits in seinen jungen Jahren erlernte: „Aljechins Vater sorgte dafür, dass sein Sohn neben der Gymnasialbildung früh die Fremdsprachen Französisch und Deutsch lernte.“11

Neben dieser schulischen Ausbildung forcierte er seinen schachlichen Werdegang. Bereits mit 14 Jahren nahm er an einem kleineren Wettkampf in Düsseldorf teil, im Rahmen dessen er zum ersten Mal international auf sich aufmerksam machen konnte. Vor allem die Siege gegen den amtierenden Weltmeister Emanuel Lasker12 und den damals sehr prominenten deutschen

9 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 78. 10 http://www.uwe-neumann.info/Schach/site-aljechin.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 11 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 78. 12 Emanuel Lasker (geboren am 24.12.1868, gestorben am 11.1.1941) war der erste und bisher einzige deutsche Schachweltmeister. Er übernahm den Titel 1894 vom in die Jahre gekommenen österreichischen Weltmeister Wilhelm Steinitz (1836-1900, ab 1888 für die USA spielend) und konnte ihn 27 Jahre lang 7

Schachspieler Curt von Bardeleben13 waren wohl im Vorfeld von niemandem erwartet worden.14

1909 konnte er zum ersten Mal ein größeres russisches Turnier gewinnen und somit bestätigen, dass von ihm in Zukunft auf den 64 Feldern einiges zu erwarten sein würde. Vor allem, dass er das Turnier mit vier Punkten Vorsprung auf den Turnierfavoriten Sergey Fedorovich Lebedev, der bis dahin mehrfach an den „normalen“ Landesmeisterschaften mit den besten russischen Spielern teilnehmen durfte, abschließen konnte, machte ihn endgültig russlandweit bekannt.15

Aufgrund dieses Erfolges qualifizierte er sich für den 17. Kongress des DSB. Dieses Turnier, im Rahmen dessen der stärkste deutsche Spieler ermittelt wurde, war zu dieser Zeit noch offen. Aus diesem Grund durften auch ausgewählte ausländische Spieler mitspielen, ein Hintergedanke war, dass dadurch die deutschen Spieler ihre Spielstärke im direkten Duell mit internationalen Größen erproben und steigern konnten. Der 17-jährige Aljechin konnte 8,5 Punkte erzielen und somit den geteilten siebten Platz erreichen. Dass er sich damit in der Tabelle noch vor Spielern wie Tarrasch und Tartakower16 einreihen konnte, machte ihn auch in den Schachkreisen Deutschlands und Polens bekannt.17

In diese Zeit fällt auch das Ende seiner gymnasialen Laufbahn. Dass Aljechin wohl keine Zukunft als Berufsspieler in Betracht zog, zeigt die Wahl, die er nach dem Absolvieren des „normalen“ Gymnasiums traf: „Nach dem Gymnasium setzte Aljechin seine Ausbildung an

verteidigen. Diesen Rekord konnte bis heute niemand brechen. Er teilte aufgrund seiner jüdischen Herkunft das Schicksal vieler Spitzensportler und musste 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen. Über die Niederlande und Moskau gelangte er in die USA, wo er 1941 starb. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 152f. 13 Curt von Bardeleben (geboren 1861 in Berlin, gestorben 1924 in Berlin) war einer der bedeutendsten Schachspieler Deutschlands seiner Zeit und auch weltweit, unter anderem neben Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker, einer der stärksten Spieler. Sein größter Erfolg war der Gewinn des deutschen Landesmeistertitels, allerdings lag seine Bedeutung vor allem in seinen theoretischen Arbeiten, die teilweise heute noch gültig sind bzw. die Grundlage für heutige Strategien bilden. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 27. 14 Vgl. Chessbase: Mega Database, Duesseldorf 1908. 15 Vgl. Chessbase: Mega Database, St Petersburg All Russian 1909. 16 Savielly (Xaver) Tartakower (geboren 1887 in Rostow am Don, gestorben 1956 in Paris) war zu Beginn seiner Schachkarriere russischer Staatsbürger, der aber aufgrund seines österreichischen Vaters in seiner Jugend in Genf und in Wien studieren und promovieren (Jura) konnte. Tartakower war einer der aktivsten Spieler in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1956 (knapp 150 internationale Turniere und ca. 20 direkte Wettkämpfe sind von ihm überliefert), der sich nicht nur als Weltklassespieler einen Namen machte, sondern auch als Kommentator und Trainer großen Einfluss auf die Schachwelt in Europa hatte. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 287f. 17 Vgl. Chessbase: Mega Database, DSB-17.Kongress 1910. 8 der ‚Provedenie‘ in St. Petersburg fort, einer Rechtsuniversität für Adelige, die eine Tätigkeit im Staatsdienst anstrebten.“18

Laut Neumann brachte der Wechsel von Moskau nach St. Petersburg auch im schachlichen Bereich Vorteile, von denen er neben seinem Studium profitierte: „Sein Studium belastete ihn nicht übermäßig, obwohl er großen Wert auf das juristische Diplom legte. Das Schachleben war in Petersburg viel reger als in Moskau – sehr zur Freude Aljechins.“19

Zwischen 1910 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sind von Aljechin 182 Partien in 21 Turnieren überliefert.20 Anzunehmen ist allerdings, dass aufgrund der damaligen Situation nicht alle gespielten Partien aufgezeichnet wurden bzw. die beiden Weltkriege sowie die Revolutionen in Russland, die großen Einfluss auf Aljechins Leben hatten, überstanden haben. Dennoch zeigen diese Zahlen Aljechins Aktivitäten und bieten die Möglichkeit, seinen schachlichen Weg bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nachzuvollziehen.

1912 konnte er den in ausgetragenen nordischen Kongress gewinnen. Wenn man sich das Abschneiden Spielmanns, damals stärkster Spieler Österreichs, vor Augen führt, der mit 3,5 Punkten Rückstand auf Aljechin nur den fünften Platz belegte, kann man Aljechins Spielstärke zur damaligen Zeit einschätzen und die Steigerung seiner Spielstärke seit seinem Umzug nach St. Petersburg erkennen.21

Im selben Jahr konnte er sich in Vilnius endgültig an die Spitze des russischen Schachsports setzen. In diesem Turnier setzte er sich gegen nahezu alle seiner stärksten nationalen Konkurrenten durch:

18 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 78. 19 http://www.uwe-neumann.info/Schach/site-aljechin.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 20 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 21 Vgl. Chessbase: Mega Database, Nordic Congress 5th 1912. 9

Aaron Nimzowitsch22, Akiba Rubinstein23, Ossip Bernstein, Grigory Levenfisch und Simon Alapin werden laut der Endtabelle des Turniers hinter ihm aufgeführt.24

1913 setzte er sich im internationalen Turnier in Scheveningen durch. Bei diesem Turnier war er der einzige teilnehmende Russe und konnte sich mit diesem Sieg auch in den „westlichen“ Teilen der Welt einen Namen machen: Mit Frederick Yates25 und Edward Lasker26 konnte er

22 Aaron Nimzwotisch (geboren am 7. November 1886 in , gestorben am 16. März 1935 in Kopen Hagen) war einer der besten Schachspieler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da Lettland seit 1721 zu Russland gehörte, kam er in seiner Kindheit und Jugend mit den russischen Schachgrößen in Kontakt. Nimzowitschs spielerischer Höhepunkt war in der Zwischenkriegszeit, als er sich zwischen 1925 und 1930 in Turnieren regelmäßig vor Weltmeistern bzw. Exweltmeistern platzieren konnte. Seine größten Errungenschaften sind allerdings im theoretischen Bereich anzusiedeln, beispielsweise sein Werk „Mein System“ ist heute noch aktuell. Nach ihm sind sehr viele Eröffnungsvarianten benannt, die zweifellos bekannteste in die Ninzowitsch- Verteidigung, die auch heute noch gegen die Eröffnung mit dem weißen Damenbauern eingesetzt wird: ECO- Codes E20-E59. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 179; http://de.chessbase.com/post/nimzowitsch-mein-system-band-eins-zwei-und-drei- [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und http://www.grinis.de/eco-code.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 23 (geboren im Oktober 1880 in Stawski (POL), gestorben im März 1961 in Antwerpen) kam auf ehemaligem polnischen Staatsgebiet zur Welt, da es aber seit der dritten polnischen Teilung 1795 diesen Staat nicht mehr gab, spielte er bis nach der Neugründung im Zuge des Ersten Weltkrieges für Russland. Zwischen 1900 bis zur Mitte der 1920er Jahre zählte er zu den stärksten Spielern der Welt. Dies beweisen unter anderem die mehrfach geforderten, aber nie durchgeführten Weltmeisterschaftskämpfe gegen Lasker und Capablanca. Rubinstein nahm für Polen an zwei Schacholympiaden teil, 1930 konnte die Nationalmannschaft mit ihm am Spitzenbrett das Turnier 1930 gewinnen, während sie 1931 nur den USA den Vortritt lassen mussten. Aufgrund geistiger Beeinträchtigungen musste er sich 1932 vom Schachsport zurückziehen und starb vergessen in einem Altersheim in Antwerpen. Nach Rubinstein sind insgesamt 11 Eröffnungsvarianten mit den folgenden ECO-Codes benannt: B29, C10, C48, D69, E40-E46. Zusätzlich dazu lebt er in der sogenannten „Unsterblichen Partie“ (eine Partie, die aufgrund der ihr zugeschriebenen Schönheit bis heute in vielen Schachbüchern behandelt wird und die jeder Schachspieler ab einer gewissen Spielstärke kennen sollte) weiter, die er 1907 gewann: Rotlewi-Rubinstein, gespielt in Lodz. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 215f.; http://de.chessbase.com/post/akiva- rubinstein [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und http://www.grinis.de/eco-code.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 24 Vgl. Chessbase: Mega Database, RUS-ch Vilnius, 1912. 25 Frederick Dewhurst Yates (geboren am 16. Januar 1884 in Yorkshire, gestorben am 11. November 1932 in London) war einer der stärksten Schachspieler des Britischen Empires in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Yates war zwischen 1913 und 1931 sechsfacher Meister Großbritanniens und vertrat das Britische Empire bis zu seinem Unfalltod 1932 bei 3 Schacholympiaden. Er war Teil des Teams, das 1927 nur Ungarn und Dänemark den Vortritt lassen musste und somit den dritten Platz erreichte. Vgl. https://www.chess.com/article/view/a-great-little-fighter [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und http://www.olimpbase.org/players/thhrbr7g.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 26 Edward Lasker (geboren am 3. Dezember 1885 in Berlin, gestorben am 25. März 1981) war weder verwandt mit dem Weltmeister Emanuel Lasker, noch mit Eduard Lasker, dem preußischen Politiker des 19. Jahrhunderts. Lasker wanderte Anfang der 1910er Jahre nach Amerika aus und prägte dann das amerikanische Schach für einige Jahre. Er gewann unter anderem zwischen 1916 und 1921 fünfmal hintereinander die amerikanische Meisterschaft. Lasker hatte ein Studium der Mathematik und des Maschinenbaus abgeschlossen und war kein Berufsspieler, was wohl einer der Gründe war, warum er nie an einer Schacholympiade teilgenommen hatte. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A- Z, München 1991, S. 152; https://www.geni.com/people/Edward-Lasker/6000000014850697720 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und http://www.olimpbase.org/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 10 sowohl einen britischen, als auch einen amerikanischen Spitzenspieler deutlich (3 Punkte vor Yates, 3,5 vor Lasker) hinter sich lassen.27

1914 fand in St. Petersburg ein großes Turnier statt, das nach zwei Durchläufen in ein sogenanntes „Großmeisterturnier“ münden sollte, bei dem nur noch die Besten der Besten vertreten sein sollten. Beim ersten Durchgang belegte Aljechin in der zweiten Gruppe hinter dem späteren polnischen Staatsbürger und Spitzenspieler Alexander Flamberg den zweiten Platz, der ihn für die zweite Phase qualifizierte.28 In der Vorausscheidung teilte Aljechin sich den vierten Platz mit dem Amerikaner Marshall29 und qualifizierte sich somit für das Finale.30

Bei diesem Finale platzierte sich der 22-jährige Aljechin mit 4 Punkten aus neun Partien auf dem dritten Platz, hinter dem amtierenden Weltmeister Lasker und dessen Nachfolger Capablanca31, aber noch vor dem Deutschen Tarrasch und dem Amerikaner Marshall. Dieser Erfolg bedeutete Aljechins endgültige Ankunft in der Weltspitze. Außerdem wurde er nach dem Turnier gemeinsam mit den anderen vier Finalisten zu einem der ersten fünf Großmeister der Schachgeschichte ernannt.32

Nach diesem Turnier reiste er als einer der Titelfavoriten zum 19. DSB-Kongress in Mannheim, wo sich sein Leben aufgrund einer geopolitischen Katastrophe für immer grundlegend verändern sollte:

„Als dort die siebte Runde ausgetragen wurde, am 28. Juli 1914, erklärte Österreich-Ungarn als Antwort auf die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und

27 Vgl. Chessbase: Mega Database, Scheveningen 1913. 28 Vgl. Chessbase: Mega Database, St. Petersburg2 1914. 29 Frank James Marshall (geboren am 10. August 1877 in New York City, gestorben am 9. November 1944 in New York City) war einer der besten amerikanischen Schachspieler seiner Zeit und spielte auch zweimal um den Weltmeistertitel. Diese beiden Duelle mit Emanuel Lasker und Jose Raul Capablanca verlor er allerdings deutlich. Im Turnierschach zeigte einer der ersten Berufsschachspieler jahrzehntelang sehr gute Leistungen, unter anderem zwei DSB-Kongresse (1906 in Nürnberg und 1908 in Düsseldorf) sowie das renommierte Turnier in Havanna 1913, wo er sich unter anderem vor den aufstrebenden Capablanca platzieren konnte. Marshall vertrat die amerikanische Nationalmannschaft zwischen 1930 und 1937 fünfmal bei einer Schacholympiade, bei den vier Siegen 1931, 1933, 1935 und 1937 war er mit immer über 60% der erreichten Punkte eine Stütze seines Teams. Nach ihm sind Eröffnungsvarianten benannt, die auch heute noch teilweise ‚ „im Original“ gespielt werden, beispielsweise das Marshall-Gambit und die Marshall-Variante. Vgl. https://www.chess.com/article/view/frank-j-marshall-the-great-swindler [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]; Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 164ff. und http://www.olimpbase.org/players/e86aaawl.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 30 Vgl. Chessbase: Mega Database, St. Petersburg preliminary 1914. 31 Jose Raul Capablanca (geboren 1888 in Havanna, gestorben 1942 in New York) war der dritte Schachweltmeister der Geschichte. Capablanca war der Sohn eines spanischen Kolonialbeamten, lehnte einen Verbandswechsel nach Spanien Zeit seines Lebens ab, wohl unter anderem, weil er aufgrund seiner Erfolge kubanischer Diplomat wurde, materiell abgesichert war und alle Freiheiten genoss. Er eroberte den Titel 1921 von Emanuel Lasker und behielt in bis zu seinem WM-Kampf gegen Alexander Aljechin 1927. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 52f. 32 Vgl. Chessbase: Mega Database, St. Petersburg final 1914. 11 dessen Frau in Sarajevo Serbien den Krieg. […] Am 1. August 1914 um 19 Uhr erklärte Deutschland nach Ablauf eines Ultimatums Russland den Krieg. Das Turnier wurde abgebrochen und Aljechin zusammen mit zehn anderen Russen – Efim Bogoljubow, Fjodor Bohatyrtschuk, Alexander Flemberg, N. Koppelman, Boris Maljutin, Ilja Rabinowitsch, Peter Romanowski, Peter Saburow, Alexei Selesniew und Samuel Weinstein – interniert.“33 Während dieser Internierungszeit waren die russischen Schachspieler meist schlechten Haftbedingungen ausgesetzt und vertrieben sich die Zeit mit Blindschachpartien. Mitte September wurde Aljechin gemeinsam mit Bohatyrtschuk, Saburo und Koppelman aus der Haft entlassen, da er als militäruntauglich eingestuft wurde. Diese vier Spieler reisten über die lange Route Schweiz – Genua – Gibraltar – London – Stockholm – Finnland wieder zurück nach St. Petersburg.34

Nach seiner Rückkehr wurde Aljechin einberufen und war als Sanitäter für das Rote Kreuz an der Front tätig. Wann genau er diesen Dienst antrat ist nicht gesichert, dass er allerdings regelmäßig in Lebensgefahr geriet, beschreibt unter anderem auch Ulrich Geilmann in seinem Buch über Aljechin. Geilmann stellt zudem die Überlegung auf, dass das Durcheinander und das Grauen an der Front Aljechin abgehärtet hatten und zu seinem späteren, eiskalten, berechnenden und teilweise überfallsartigen Spielstil während der Zwischenkriegszeit beigetragen haben.35

Das Schachleben im zaristischen Russland litt unter dem Ersten Weltkrieg, um den besten Spielern trotzdem etwas Spielpraxis gewähren zu können, wurde 1915 ein Turnier veranstaltet:

„Trotz der Kriegswirren bemühte sich die Moskauer Schachgesellschaft mit Unterstützung des Zaren zum Jahresende um die Ausrichtung eines Meisterturniers. Natürlich erhielt auch Großmeister Aljechin, der zu dieser Zeit zweifellos der stärkste russische Spieler war, eine Einladung. Das Turnier wurde zu einem Triumphzug. Aljechin gewann 10 Partien und ließ nur ein Remis zu.“36 Abgesehen von diesem Turnier gab Aljechin laut der Mega Database in diesem Jahr nur einmal eine Simultanvorstellung in Serpukhov. Von dieser Veranstaltung sind jedoch nur zwei Partien überliefert, die er beide gewann.37 Ob er tatsächlich nur zwei Gegner hatte, darf bezweifelt werden. Es ist durchaus möglich, dass einige Dokumente bzw. Partieaufzeichnungen den ersten Weltkrieg nicht überstanden haben.

33 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 79. 34 Vgl. Ebd., S. 79. 35 Vgl. Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 30. 36 Ebd., S. 29. 37 Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 12

Im August 1916 erlitt Aljechin an der Front eine schwere Rückenverletzung. Nach einer langen Genesungszeit musste er seinen Dienst beim Roten Kreuz beenden und fand in Odessa als Untersuchungsrichter eine neue Arbeit, um sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Dass die Oktoberrevolution 1917 schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung hatte, vor allem aber auf die reichen und wohlhabendenden Bürger, zeigt das Beispiel Aljechins deutlich:

„Eine weitere Maßnahme der neuen Regierung war dann die Entmachtung aller Gutsherren und Kapitalisten. Alexander Aljechin traf die Oktoberrevolution damit doppelt. Zum einen war er als Mitglied eines Adelshauses gleichsam geächtet. Zum anderen führte die Verstaatlichung der Produktionsmittel und des Eigentums zum vollständigen Entzug seines Geld-, Grund- und Immobilienvermögens. Er war von einem Tag auf den anderen obdach- und mittellos.“38 Eine Denunziation als Adeliger führte dazu, dass er in Odessa in ein Massengefängnis eingesperrt wurde. Aljechin wurde zum Tod verurteilt, allerdings kurz darauf aus der Haft entlassen. Die genauen Gründe für seine Entlassung sind nicht bekannt, allerdings gibt es darüber viele Gerüchte und Spekulationen. Schulz zählt in seinem Buch einige davon auf:

„Aljechin entkam dem Vollzug des Todesurteils nur deshalb, weil der ukrainische Schachmeister Yakow Vilner Aljechin kannte und sich an den ukrainischen Politkommissar Christian Rakowski (nach anderer Version an den Landwirtschaftskommissar Dimitry Manuilsky) wandte und um Hilfe bat. In einer weiteren Version dieser Geschichte sei eines Tages Leo Trotzki, selber ein guter Schachspieler, in Aljechins Zelle erschienen und hätte mit diesem eine Partie um Aljechins Leben gespielt – und Aljechin gewann.“39 Für die These, dass Aljechin sein Leben tatsächlich in einem Duell mit Trotzki gewonnen hat, spricht nur sehr wenig. Dafür spricht, dass für Trotzki eine Partie mit dem besten russischen Schachspieler sicher reizvoll gewesen wäre. Dagegen spricht, dass weder in der Mega Database noch in irgendeiner anderen verwendeten schachspezifischen Literatur eine Partie zwischen dem sowjetischen Politiker und dem Schachspieler überliefert ist – wobei eine solche Partie aufgrund des Prestiges und der Hintergrundgeschichte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Art und Weise „überlebt“ hätte.

Aus welchem Grund Aljechin nicht nur dem Todesurteil entkam, sondern zusätzlich entlassen wurde und nach Moskau zurückkehren durfte, ist nicht bekannt. Am wahrscheinlichsten ist, dass Aljechin tatsächlich von jemanden mit (viel) Einfluss erkannt wurde. Die von Schulz erwähnte Möglichkeit, dass ein anderer Schachspieler dafür verantwortlich war, dürfte am ehesten der Wahrheit entsprechen.

38 Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 35. 39 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 80. 13

Nach seiner Rückkehr in seine Geburtsstadt Moskau beschloss Aljechin, dem Schachspiel den Rücken zu kehren. Er wollte Schauspieler werden, laut Schulz gab er dieses Vorhaben aber bereits 1919 wieder auf.40 1919 sind von ihm nur acht Partien in der Mega Database überliefert. Diese für ihn sehr geringe Anzahl trotz seiner (vorläufigen) Freiheit untermauert seine Ambitionen, den Schachsport aufzugeben, selbst 1918, bevor er in der Todeszelle landete, spielte er 20 Partien.41

1920 nahm er an der ersten sowjetischen Schachmeisterschaft teil, im Rahmen derer er den dritten Platz belegen konnte.42 Neben diesem Turnier hatte er wiederum Probleme mit der kommunistischen Regierung, die ihn im November 1920 aufgrund antirevolutionärer Gesinnung festsetzte und erst 1921 wieder freiließ. Auch seine Arbeit als Übersetzer für die Komintern schützte ihn 1920 nicht davor, in den Fokus der Polizei zu geraten.43 Während dieser Übersetzungstätigkeit konnte er jedoch eine Bekanntschaft schließen, die seinem Leben eine entscheidende Wende gab:

„1920 hatte Aljechin bei seiner Arbeit als Übersetzer für die Komintern (Kommunistische Internationale) die damals schon 41-jährige Schweizer Schriftstellerin Anneliese Rüeg kennengelernt. […] Die beiden heirateten am 15. März 1921 und da Rüegg gute Kontakte zur bolschewistischen Führung hatte, sogar mit Lenin persönlich bekannt war, erreichte sie eine Ausreisegenehmigung für ihren Mann. Die Bewilligung erteilte der Lenin-Vertraute Karl Radek, mit der Begründung: ‚Mag Aljechin auch ein Gegenrevolutionär sein, er ist ein großes Schachgenie. Seine Begabung kann sich nur außerhalb Rußlands auswirken‘.“44 Aljechin verließ daraufhin die Sowjetunion und übersiedelte nach Frankreich.

Französischer Staatsbürger und Aufstieg zum Weltmeister

1921 zog Aljechin nach Paris, um dort sein Studium der Rechtswissenschaft fortzusetzen bzw. den Doktortitel zu erlangen. Während dieser Zeit widmete er sich wieder vermehrt dem Schachspiel, wie 57 überlieferte Partien beweisen.45 Aus schachlicher Perspektive war die Verlagerung seines Lebensmittelpunktes von Vorteil: Während er in der Sowjetunion als stärkster Spieler des Landes galt, hatte er Probleme, sich auf internationaler Bühne zu beweisen. Diese Probleme resultierten einerseits aus seinen Problemen mit der Regierung und

40 Vgl. Ebd. 41 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alkehine Alexander. 42 Vgl. Chessbase: Mega Database, URS-ch01 Moskau 1920. 43 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 80. 44 Ebd., S. 80. 45 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 14 damit einhergehend mit seinen Problemen, das Land zu verlassen und andererseits aufgrund der abschreckenden politischen Situation in der Sowjetunion für international renommierte Spieler.

Diese neu erlangte Freiheit hatte zur Folge, dass Aljechin bereits 1921 zwei stark besetzte Turniere gewinnen konnte, die ihn international wieder in den Vordergrund rückten: Er konnte das Turnier in Budapest mit 8,5 Punkten aus elf Partien für sich entscheiden (unter anderem vor Spielern wie Grünfeld, Tartakower, dem jungen Bogoljubow46 und Sämisch), in Den Haag setzte er sich mit 8 Punkten aus neun Partien (vor Tartakower, Rubinstein, Maroczy, Mieses, Euwe47 und Yates) durch.48

1922 nahm er am Londoner BCF Congress teil, an dem die meisten der damaligen Weltklassespieler teilnahmen. Aljechin konnte hinter Capablanca den zweiten Platz belegen und qualifizierte sich somit für das Mitspracherecht an einer Vereinbarung, die zwischen den acht besten Spielern der Welt geschlossen wurde: der sogenannten Londoner Vereinbarung von 1922.49

Im Rahmen dieser Vereinbarung wurden von den Unterzeichnenden erstmals Regelungen vereinbart, die Weltmeisterschaftswettkämpfe vereinheitlichen sollten: Es wurde unter anderem festgelegt, wie viele Partien in einem Duell zwischen zwei Spielern gespielt und gewonnen werden mussten, um einen Sieger ermitteln zu können. Ein Spieler musste sechs Siege errungen haben, Unentschieden wurden nicht gezählt. Die Idee hinter dieser Regelung

46 Ewfim Bogoljubow (geboren 1889 in der Ukraine, gestorben 1952 im Schwarzwald) erhielt 1927 die deutsche Staatsbürgerschaft, gewann im Lauf seiner Karriere viele hochkarätige Turniere und forderte Alexander Aljechin im Kampf um den Weltmeistertitel zweimal erfolglos heraus. Bogoljubow wurde nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten aufgrund seiner Herkunft systematisch von deutschen Turnieren ausgeschlossen. Bogoljubow blieb nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland und durfte 1931 seine einzige Schacholympiade bestreiten, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten war seine Olympialaufbahn beendet. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 43. und http://www.olimpbase.org/players/ztljjbtg.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 47 (geboren am 20.5.1901 in Amsterdam, gestorben am 26.11.1981 in Amsterdam) war nach dem Sieg im Duell mit Aljechin zwischen 1935 und 1937 der fünfte Weltmeister der Schachgeschichte. Euwe lebte nicht vom Schachspielen, sondern war hauptberuflich Mathematiklehrer. Er war nicht nur Weltmeister, sondern gewann auch die meisten bedeutenden Turniere zur damaligen Zeit. Für die niederländische Nationalmannschaft trat er siebenmal an, wobei fünf Teilnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg waren. Während des Krieges verweigerte Euwe die Teilnahme an Schachturnieren auf dem Gebiet des Dritten Reichs, nach dem Krieg wurde er Präsident der FIDE. Während seiner Präsidentschaft wurden viele neue Mitgliedsstaaten aufgenommen, neben seinem normalen Beruf schrieb er viele Schachbücher, die teilweise noch bis heute verwendet werden. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 87, http://www.olimpbase.org/players/kq0ciyag.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und https://chess24.com/de/lesen/spieler/max-euwe [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 48 Vgl. Chessbase: Mega Database, Budapest und The Hague 1921. 49 Vgl. Chessbase: Mega Database, London BCF Congress 1922. 15 war, am Ende einen eindeutig siegreichen Spieler zu haben, problematisch war aber, dass Wettkämpfe aufgrund der Nichtberücksichtigung von Remisen sehr lange dauern konnten (was 1927 zwischen Capablanca und Aljechin auch geschah, siehe Seite 20f.). Um dem Weltmeister zusätzlich zur möglichen Titelverteidigung einen finanziellen Anreiz zu bieten, musste der Herausforderer im Vorfeld mindestens 10.000$ sicherstellen, wovon 20% direkt an den Weltmeister ausgezahlt werden sollten, der Rest im Verhältnis 60:40 an den Sieger gehen sollte. Zusätzlich dazu wurde erstmals festgelegt, wie viele Partien pro Tag maximal gespielt werden durften und wieviel Bedenkzeit die Spieler zur Verfügung haben sollten.50

Einige dieser Regelungen sind heute noch gültig bzw. wurden nur geringfügig verändert. 1922 wurde festgelegt, dass jeder Spieler zweieinhalb Stunden Zeit für 40 Züge haben sollte, wobei nach 40 Zügen jeder Spieler ein Anrecht auf zusätzliche Bedenkzeit erhielt (wobei je nach Turnier und Schiedsrichter unterschiedlich viel gewährt wurde). Diese Regel gilt in ihren Grundzügen auch heute noch bzw. wurde aufgrund des technologischen Fortschritts der Schachuhren angepasst.

Über 50 Jahre lang wurden mechanische Uhren verwendet, wenn allerdings ein Spieler nur noch weniger als fünf Minuten Zeit hatte, war es nur sehr schwer abzuschätzen, wie viele Minuten bzw. Sekunden noch verblieben. Aus diesem Grund durfte die Mitschrift in diesem Zeitraum an einen Mitspieler abgegeben werden und der Schiedsrichter sollte in dieser Phase anwesend sein. Problematisch an der Notationsabgabe konnte sein, dass dadurch Manipulationen ermöglicht wurden, während im Notfall der Schiedsrichter bei einem anderen Brett mit ähnlicher Situation gebunden war. In den 1970er Jahren fand Robert „Bobby“ Fischer51 eine Lösung für das Problem mit den bis dahin verwendeten mechanischen Uhren:

„Ex-Schachweltmeister erkannte das Problem und ‚sein‘ Fischermodus nahm sich diesem Punkt an. Gemäss Delegiertenbeschluss erhalten die Spieler nun für 40 Züge 90 Minuten, gefolgt von 30 Minuten für den Rest der Partie und einem Zeitzuschlag von 30

50 Vgl. Edward Winter: London Rules, http://www.chesshistory.com/winter/extra/london.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 51 Robert „Bobby“ Fischer (geboren am 9. März 1943 in Chicago, gestorben am 17. Januar 2008 in Reykjavik) war der elfte Weltmeister der Schachgeschichte. Fischer war ein Exzentriker, der jederzeit für einen Skandal zu haben war. In älteren Jahren stellte Fischer seinen Antisemitismus offen zur Schau, was für viele durchaus überraschend kam, da er selbst aufgrund seiner jüdischen Mutter vom Antisemitismus betroffen gewesen wäre. 1972 beendete Fischer als einziger Spieler der restlichen Welt durch seinen Wettkampfsieg über Boris Spasski kurzzeitig das Abonnement der sowjetischen Schachspieler auf den Weltmeistertitel, der zwischen 1948 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis auf die Jahre 1972 bis 1975 immer in der Hand eines Spielers des Ostblockes war. Dass Fischer sich 1975 weigerte, seinen Titel zu verteidigen und zwischen 1972 und 1992 untertauchte, unterstreicht seinen „schwierigen Charakter“. Fischer nahm zwischen 1960 und 1970 an insgesamt vier Schacholympiaden für die USA teil, bei denen er jeweils am Spitzenbrett starke Ergebnisse erzielte. Vgl. https://de.chessbase.com/post/robert-james-fischer-1943-2008 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und vgl. http://www.olimpbase.org/players/q8aycaol.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 16

Sekunden pro Zug ab Beginn. Dafür muss man jeden (!) Zug bis zum Schluss notieren, Remis reklamieren in ausgeglichenen Stellungen ist nicht mehr möglich, genau so wenig wie Hängepartien.“52 Das sogenannte Fischer-System gilt bis heute und findet normalerweise Anwendung sowohl im professionellen Schach, als auch im Amateurbereich.

In den Jahren 1921-1923 muss Aljechin endgültig beschlossen haben, seinen zukünftigen Lebensunterhalt als professioneller Spieler zu bestreiten. Dafür spricht der starke Anstieg seiner Aktivität: Aus dem Jahr 1921, nach seiner Emigration nach Paris, sind 57 Partien überliefert, 1922 sind es bereits 88, aus dem Jahr 1923 kann man 124 Partien nachspielen.53

Gemäß der Londoner Vereinbarung hätte der erste offizielle Herausforderer Akiba Rubinstein, der sich durch einige Turniererfolge Anfang der 1920er Jahre qualifiziert hatte, bis zum 1. Januar 1924 die Chance gehabt, Capablanca herauszufordern. Laut Schulz konnte Rubinstein die benötigten 10.000$ nicht auftreiben, weshalb Alexander Aljechin als nächster die Chance bekommen hatte.54

Aljechin wurde diese Ehre zuteil, nachdem er 1923 bei den drei hochklassig besetzten Turnieren in Margate (dritter Platz)55, Portsmouth (erster Platz)56 und Karlsbad (erster Platz)57 aufzeigen konnte. Vor allem der Sieg in Karlsbad mit 11,5 Punkte aus 17 Partien, bei denen er (abgesehen von den abwesenden Capablanca und Lasker) wohl die besten Spieler der damaligen Zeit hinter sich lassen konnte (der vorherige Herausforderer Akiba Rubinstein beispielsweise belegte mit vier Punkten Rückstand auf Aljechin nur den zwölften Platz), trug entscheidend zu seinem Anspruch als Herausforderer bei.

Capablanca akzeptierte den Russen als Herausforderer, vorausgesetzt, dieser könnte die festgelegten 10.000$ aufbringen. Der Herausforderer begab sich dafür auf eine Sponsorensuche in Südamerika, wo er auch aktiv Werbung machte: „Aljechin begab sich zudem auf eine fünfmonatige Werbetour durch Südamerika, wo er eine Reihe von Blindschachvorstellungen gab.“58 Vor der Machtübernahme der Kommunisten hätte er diese Summe wohl problemlos aus seinem Familienvermögen bezahlen können.

52 https://www.chesspoint.ch/blog/schach/schachuhren-fuer-vereine [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 53 Vgl. Chessbase: Mega Database: Alekhine Alexander. 54 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 81. 55 Vgl. Chessbase: Mega Database, Margate 1923. 56 Vgl. Chessbase: Mega Database, Portsmouth 1923. 57 Vgl. Chessbase: Mega Database, Karlsbad 1923. 58 Ebd., S. 81. 17

Dieses Vorhaben war von Erfolg gekrönt, 1927 konnte der Wettkampf zwischen Capablanca und Aljechin in Buenos Aires ausgetragen werden (siehe Seite 20f.).

1925/26 waren zwei wichtige Jahre im Leben des Schachspielers: einerseits nahm er die französische Staatsbürgerschaft an, andererseits erwarb er (laut eigenen Angaben) den Doktortitel an der Universität von Sorbonne.

Interessant an diesem Doktortitel ist, dass bis heute kein Beweis existiert, dass er tatsächlich erworben wurde. Willi Sauberer beschreibt das im Gästebuch der Schachweltmeisterschaften detaillierter als im Großteil der übrigen Literatur: „Er soll 1926 an der Pariser Universität Sorbenne zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert haben. Das Dissertationsthema ist bekannt (das chinesische Haftsystem), doch finden sich in Paris weder diese Arbeit noch ein Hinweis auf die Titelverleihung.“59

1925 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an, aus sportlicher Perspektive spielte er nun nicht mehr für die Sowjetunion. Dies beweist unter anderem das geänderte Spielerprofil der Mega Database, das in der folgenden Abbildung dargestellt wird.

59 Rainer Buland [hrsg.], Bernadette Edtmaier, Georg Schweiger: Das Gästebuch der Schachweltmeisterschaft 1934 in Deutschland, Wien 2014, S. 23. 18

Chessbase: Mega Database: Alekhine Alexander Der Wechsel der Staatsbürgerschaft war von der Sowjetunion anfänglich ohne größere Probleme akzeptiert worden, der endgültige Bruch mit der Sowjetunion erfolgte erst nach der gewonnenen Weltmeisterschaft 1927 (siehe Kapitel „Bruch mit der Sowjetunion, Verlust und Wiedergewinn des Titels“).

Bis zu dieser Weltmeisterschaft war Aljechin damit beschäftigt, die geforderten 10.000$ aufzutreiben und spielte neben zahlreichen Simultan- und Blindvorstellungen auch mehrere Turniere, um sich an die zu erwartenden anstrengenden Wettkampfbedingungen zu gewöhnen. Die Vorbereitung der beiden Kontrahenten verlief sehr unterschiedlich.

Capablanca galt als klarer Favorit für diesen Wettkampf, er hatte sich seit dem Februar 1916 (Niederlage gegen Oscar Chajes in einem New Yorker Turnier60) einen Nimbus der Unbesiegbarkeit zugelegt:

„Capablanca galt als Schachgenie, der (das [sic!]) seine Partien mit großer Leichtigkeit führte – und trotzdem zumeist gewann. Vor allem war er schwer zu schlagen. In seiner Karriere als Erwachsener verlor er gerade mal 34 seiner Turnierpartien. Vom 10. Februar 1916

60 Chessbase: Mega Database: Chajes – Capablanca (1-0), New York Rice final 1916. 19

(Niederlage gegen Oscar Chajes) bis zum 21. März 1924 (Niederlage gegen Richard Reti) verlor er von 63 Partien (inklusive des WM-Kampfes gegen Lasker) keine einzige und gewann 40 Partien.“61 Die Vorbereitung auf den Wettkampf legte Capablanca offenbar anders an als sein Herausforderer. Die von ihm zwischen 1924 und 1927 überlieferten Turnierpartien belegen, dass er sich in dieser Zeit eher mit privaten bzw. organisatorischen Angelegenheiten befasst haben muss als mit aktivem Schachspielen. Von Capablanca sind in diesen drei Jahren 111 Partien in der Mega Database erfasst62, sein (ab 1925 französischer) Herausforderer Aljechin war rund dreimal so aktiv, wie 338 Partien belegen.63

Erschwerend kam zu dieser Passivität hinzu, dass Capablanca zwischen 1924 und dem Wettkampf 1927 nur vier Einzelturniere bestritt, von denen er nur zwei (Lake Hopatcong64 und das kurz vor der Weltmeisterschaft stattfindende Turnier in New York65) gewinnen konnte. Aljechin dagegen bestritt zwölf Einzelturniere, von denen er sechs gewann. An einigen dieser Turniere nahmen (oft mit Ausnahme Capablancas und Laskers) die stärksten Spieler der Welt teil. Sein größter Erfolg während der Vorbereitung für den Weltmeisterschaftswettkampf war wohl der Triumph in Baden-Baden, wo er sich mit 16 Punkten aus 20 Partien überlegen vor seiner prominenten Konkurrenz platzieren konnte.66 Zusätzlich dazu spielte er zu Trainingszwecken „private“ Duelle gegen starke Gegner, unter anderem 1926 in Amsterdam gegen Max Euwe, den er mit 5,5:4,5 schlagen konnte.67

Der Weltmeisterschaftswettkampf wurde zwischen 16. September und 27. November 1927 in Buenos Aires gespielt. Die Wahl des Standortes in einem Land, das bis dahin keine großen Spieler herausgebracht hatte und keine großen Turniere ausgetragen hatte, ist wohl auf die Sponsorengelder zurückzuführen, die Aljechin im Rahmen seiner Südamerikatour gefunden hatte.

Gespielt wurde nach den Regeln des Londoner Protokolls. Nach diesen Regeln wurde der Spieler der Sieger und Weltmeister, welcher zuerst sechs Siege verzeichnen konnte. Nach 34 Partien stand Aljechin mit einem Gesamtscore von 6:3 als Sieger fest, im Lauf des Turnieres schien sich Aljechins bessere Vorbereitung bezahlt zu machen.

61 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 85. 62 Vgl. Chessbase: Mega Database, Capablanca Jose Raul. 63 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 64 Vgl. Chessbase: Mega Database, Lake Hopatcong 1926. 65 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York 1927. 66 Vgl. Chessbase: Mega Database, Baden-Baden 1925. 67 Chessbase: Mega Database, Amsterdam m2 1926. 20

Die erste Partie ging an Aljechin, der Capablancas Passivität während der Eröffnung ausnutzte, sich einen kleinen strategischen Vorteil verschaffte und diesen zur 1:0 Führung ausbaute.68 Im Anschluss daran begann Capablancas beste Zeit des Turnieres, er konnte die Runden drei und sieben für sich entscheiden und mit 2:1 in Führung gehen. Die Partien zehn und elf gingen wiederum an den Herausforderer, der nach der 21. Runde auf 4:2 erhöhen konnte, was einer kleinen Vorentscheidung gleichkam. In der 28. Partie war Capablanca siegreich und verkürzte noch einmal auf 3:4. Nach Niederlagen in der 32. und 34. Partie war der Wettkampf entschieden.69

Capablanca gab die 34. Partie im 82. Zug auf und gratulierte Aljechin in einem Brief mit folgenden Worten: „Lieber Herr Aljechin! Ich gebe die Partie auf. Sie sind nun der neue Weltmeister. Nehmen Sie meine Gratulation und die besten Wünsche entgegen. Herzlichst, Ihr J. R. Capablanca.“70

Dieser Ausgang war durchaus sensationell, Schulz beschreibt die anschließende Situation wie folgt:

„Aljechin gewann den Wettkampf mit 6:3 (bei 25 Remis) und wurde damit der vierte Schachweltmeister. Der Ausgang des Wettkampfes kam nicht nur für Capablanca, sondern auch für die ganze Schachwelt überraschend. Aljechin erklärte seinen Sieg später damit, dass Capablanca wohl zuvor zu sehr von seinem Sieg überzeugt gewesen war.“71 Die Einschätzung, dass Capablanca zu sehr von sich überzeugt gewesen wäre und seinen Kontrahenten möglicherweise unterschätzt hat, wird wohl neben der oben beschriebenen unterschiedlichen Vorbereitung auf das Turnier entscheidend gewesen sein. Für Aljechin war seine Ausdauer ein großer Vorteil, die im Endeffekt dazu führte, dass er den Wettkampf mit einem 6:3 Sieg überzeugend für sich entscheiden konnte.

Dass er sich über diesen (von Capablancas Seite aus veränderbaren) Vorteil seinem unterlegenen Kontrahenten gegenüber bewusst war, zeigt die Ablehnung eines Revancheduells mit veränderten Bedingungen:

„Unmittelbar nach dem Wettkampf hatte Aljechin in einem Interview mit der Zeitung ‚La Prensa‘ bekräftigt, dass er zu einem Revanche-Wettkampf mit Capablanca bereit sei – allerdings nur zu den gleichen Bedingungen, unter denen der Wettkampf in Buenos Aires ausgetragen worden war. Capablanca hatte noch in Buenos Aires vorgeschlagen, die Anzahl der Partien zu limitieren, doch Aljechin beharrte auf unveränderten Bedingungen.“72

68 Chessbase: Mega Database, Capablanca – Alekhine (0-1), A, World Championship 13th 16.9.1927. 69 Vgl. Chessbase: Mega Database, Capablanca – Alekhine, World Championship 13th 1927. 70 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 84f. 71 Ebd., S. 85. 72 Ebd., S. 85. 21

Nach seiner Rückkehr nach Frankreich ließ sich Aljechin als erster und bis heute einziger französischer Schachweltmeister feiern. Eine Rede bei einem Festbankett nach seiner Rückkehr hatte aber weitreichende Folgen, die zum Bruch mit seiner ursprünglichen Heimat führten.

Bruch mit der Sowjetunion, Verlust und Wiedergewinn des Titels

„Der triumphale Sieg über Capablanca brachte Alehin nicht nur den Weltmeistertitel, sondern auch auf indirekte Weise führte er auch zum skandalösen Bruch seiner Beziehungen zu Russland. Es ist unbekannt, ob Alehin vorhatte in seine Heimat zurückzukehren, auf jeden Fall lehnte er bis 1927 solch eine Möglichkeit nicht ab. Als Alehin das Match gewann, erschienen in sowjetischen Zeitungen Artikel, die berichteten, dass der neue Champion nach Russland zurückkehrt. Plötzlich endete alles anders.“73 Aljechin kam als Weltmeister nach Frankreich zurück, wo er im Rahmen eines Festbanketts geehrt wurde und auch eine Rede halten sollte. Während dieser Ansprache soll sich Aljechin abfällig gegenüber dem Kommunismus geäußert haben:

„Bei seiner Rede bei diesem Bankett sagte Alehin, dass er sich freut, dass er den Mythos von Capablancas Unbesiegbarkeit zerstört hätte. Doch am nächsten Tag wurden in manchen Auswandererzeitungen Artikel veröffentlich, wo zu Alehins Worten hinzugefügt wurde: ‚…so soll das Schattenspiel (фантасмагория: wörtlich übersetzt Schattenspiel. Unter Berücksichtigung von Aljechins Vorgeschichte und seiner Meinung über den Kommunismus wären beispielsweise Trugbild oder System der Heimat eine besser geeignete Übersetzungs- und Interpretationsmöglichkeit [sic!]) zerstört werden, das in unserer Heimat herrscht‘. Tatsächlich ist es nicht bekannt, ob Alehin wirklich diese Worte gesagt hat.“74 Puminov weist in seinem Artikel darauf hin, dass nicht gesichert ist, ob Aljechin tatsächlich den Mythos der „bolschewistischen Unbesiegbarkeit“ zerstören wollte bzw. einen dahingehenden Wunsch geäußert hatte. Neben möglichen Rachegedanken, da der Kommunismus Aljechins Vermögen und sein Leben in Russland in kürzester Zeit verändert bzw. zerstört hatte und er aufgrund seiner adeligen Abstammung sogar zum Tod verurteilt worden war, gibt es einen weiteren Hinweis darauf, dass Aljechin während dieser Veranstaltung etwas Negatives von sich gegeben hat:

„Bis zu diesem Augenblick (dem Bankett nach seiner Rückkehr nach Frankreich [sic!]) erlaubte er sich keine öffentlichen Aussagen, die gegen die Sowjetunion, die sowjetische Regierung, Kommunisten gerichtet war, obwohl es mehr als üblich war, dass die Auswandererzeitungen in Westeuropa ständig negative Aussagen gegen die UdSSR brachten.

73 Andrej Puminov, Aleksandr Alehin. In: ljudi. Peoples.ru. http://www.peoples.ru/sport/chees_player/alexander_alekhine/index2.html vom 2.2.2002 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 74 Ebd. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 22

Natürlich konnte sich Alehin öffentlich von dieser Aussage distanzieren, was er aber nicht tat.“75 Vor allem die abgelehnte Distanzierung dieser Aussagen lassen Zweifel aufkommen, ob Aljechin diese Worte tatsächlich nur nachträglich von Journalisten in den Mund gelegt worden waren.

Ein weiteres Indiz für antikommunistische Aussagen war auch die Reaktion von Alexei Aljechin, dem Bruder des Weltmeisters: „Sogar sein Bruder Aleksei Aleksandr sagte sich von ihm los und sah in ihm einen ‚Volksfeind‘.“76

Dass Aljechin nach diesem Vorfall nie wieder in der Sowjetunion war, gilt neben der Tatsache, dass von ihm nach 1927 keine in der Sowjetunion gespielte Partie überliefert ist,77 auch aufgrund der Reaktion der sowjetischen Schachspieler als erwiesen:

„Einige Monate später erschien in der Zeitung ‚Schach in der UdSSR‘ ein Artikel von N.V. Krylenko78, in dem es hieß: ‚Nach den Worten Alehins im russischen Klub sind wir mit dem Bürger Alehin durch – er ist unser Feind und wir können ihn nur als Feind betrachten‘. Einige Zeit danach wurde eine Aussage von Alehins Bruder, Aleksej veröffentlicht: ‚Ich verurteile jede antisowjetische Rede, egal ob es, wie in diesem Fall, mein Bruder oder jemand anders ist. Aleksej Alehin.‘ Somit waren alle Bindungen Alehins zur Heimat gebrochen. Er kehrte somit nie wieder nach Russland zurück.“79 Nachdem Aljechin den Weltmeistertitel gegen Capablanca gewonnen hatte und sich endgültig von seiner ehemaligen Heimat gelöst hatte, nahm er erst 1929 wieder an einem Einzelturnier teil, welches er in Bradley Beach souverän mit 8,5 Punkten aus neun Partien gewinnen konnte.80

Die Annahme, dass er sich nach dem Sieg über Capablanca seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich mit dem Schachspielen finanziert hat, wird durch seine Aktivitäten gestützt: Zwischen dem Weltmeistertitel und der ersten Titelverteidigung gegen Bogoljubow zwischen September und November 1929 spielte Aljechin 150 Partien. Von diesen Partien wurden

75 Ebd. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 76 Georgij Šakov, Aleksandr Alehin. Weltbürger, in: Čempionat https://www.championat.com/other/article- 193097-24-marta--godovshhina-smerti-aleksandra-alekhina.html vom 24. März 2014 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 77 Vgl. Chessbase: Mega Database: Alekhine Alexander. 78 Nikolai Vasilyevich Kyrlenko begann das Schachspiel 1924 möglichst flächendeckend in der Sowjetunion bekannt zu machen. Talentierte Jugendspieler wurden vom kommunistischen Regime gezielt gefördert, die absolute schachliche Dominanz der Sowjets nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Titelgewinn Fischers gegen Spasski war die Folge der Bemühungen Kyrlenkos. Vgl. Daniel King, Peter Lewis: Tessloffs Schachbuch: vom ersten Zug zum Matt, Nürnberg 2006, S. 52f. 79 Andrej Puminov, Aleksandr Alehin. In: ljudi. Peoples.ru. http://www.peoples.ru/sport/chees_player/alexander_alekhine/index2.html vom 2.2.2002 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 80 Vgl. Chessbase: Mega Database, Bradley Beach 1929. 23 allerdings nur 34 im Rahmen eines Turnieres (Bradley Beach: neun Partien, Weltmeisterschaftskampf gegen Bogoljubow: 25 Partien) gespielt, während sich die restlichen 116 Partien auf diverse (in den meisten Fällen wohl gut bezahlte) Simultanvorstellungen auf der ganzen Welt verteilten.81

Da sich Capablanca und Aljechin nach ihrem Wettkampf auf keine Revanche einigen konnten (unter anderem aufgrund der von Aljechin aufgestellten Bedingungen) durfte sich Aljechin einen Gegner aussuchen, der die Bedingungen des Londoner Protokolls erfüllte. Die einzige Änderung gegenüber dem Wettkampf mit Capablanca war, dass die Anzahl der Partien begrenzt wurde, um einem ähnlich langen Wettkampf wie beim vorhergehenden vorzubeugen (bei Gleichstand behielt der Weltmeister den Titel). Seine Wahl fiel auf seinen ehemaligen russischen Landsmann Efim Bogoljubow, den er mit 15,5 Punkten aus 25 Partien eindeutig besiegen konnte.82

Die Zeit zwischen dem Titelgewinn gegen Capablanca und dem Titelverlust gegen den Niederländer Max Euwe gilt als Aljechins Höhepunkt. Während diesen knapp sieben Jahren sind von Aljechin 680 Partien überliefert83, Capablanca spielte während seinen fünf Jahren als Weltmeister nur 156 Partien.84

In diesen Jahren bestritt Aljechin seinen Lebensunterhalt nicht nur durch Simultanvorstellungen, sondern nahm auch an neun Einzelturnieren teil. Von diesen neun Turnieren unter französischer Flagge konnte er sieben gewinnen, bei den anderen beiden belegte er den zweiten Platz (1932 in Mexiko City hinter Isaac Kashdan85, allerdings punktegleich und mit derselben Feinwertung, 1933 in Hastings hinter ).86

Neben diesen Erfolgen bei Einzelturnieren verteidigte der französische Weltmeister seinen Titel in den Jahren 1929 und 1934 gegen den in Deutschland eingebürgerten ehemaligen sowjetischen Staatsbürger Bogoljubow, ein Revanchekampf gegen Capablanca kam nie zustande. Bogoljubow konnte die geforderte Summe wie der Großteil der damals aktiven

81 Vgl. Chessbase: Mega Database: . 82 Chessbase: Mega Database, Alekhine – Bogoljubow, World Championship 14th 1929. 83 Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 84 Chessbase: Mega Database, Capablanca Jose Raul. 85 Isaac Kashdan (geboren am 19. November 1905 in New York, gestorben am 20. Februar 1985 in Los Angeles) war in den 1930er Jahren einer der stärksten Schachspieler der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog er sich vom aktiven Schach immer mehr zurück, blieb dem Schachsport aber als Schiedsrichter und Organisator großer Turniere erhalten. Kashdan nahm zwischen 1928 und 1937 an fünf Schacholympiaden teil, wo er mit Ergebnisse zwischen 70,6% und 87,5% großen Anteil an den drei Siegen 1931, 1933 und 1937 sowie dem zweiten Platz 1928 hatte. Vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/665696#Organisator [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und http://www.olimpbase.org/players/vxx9939e.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 86 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 24

Schachspieler nicht aus eigenen Mitteln aufbringen, hatte allerdings die zur damaligen Zeit schachbegeisterte Nation Deutschland hinter sich, die ihn unterstützte. Andre Schulz zeigt in seinem Buch, wie wichtig die Unterstützung durch einzelne (Kur)Städte bzw. einen Staat war, da dadurch weniger Zeit für das Auffinden privater Sponsoren (in diesem Fall einen New Yorker Rechtsanwalt) benötigt wurde, die dann für die Vorbereitung für den schachlichen Wettkampf verwendet werden konnte:

„Aljechin begnügte sich außerdem mit einem festen Honorar von 25200 Reichsmark (plus Spesen). Die Organisation des Wettkampfes blieb Bogoljubow überlassen. Dieser hatte sich an verschiedene deutsche Kurstädte gewandt und diesen Vorschläge zur Refinanzierung gemacht. Aus Baden-Baden und Bad Kissingen erhielt er Absagen. Die Kurverwaltung von Wiesbaden war hingegen stark interessiert, hatte zuvor schon ein paar Schachturniere ausgerichtet und übernahm von den Gesamtkosten 12500 Reichsmark von denen 3000 Reichsmark vom Preußischen Innenministerium zugeschossen wurden und 500 Dollar (=2100 Reichsmark) vom New Yorker Rechtsanwalt Herbert R. Limburg stammten, dem Vizepräsidenten des Manhattan Chess Clubs.“87 Beim ersten Wettkampf gewann Aljechin mit dem eindeutigen Ergebnis von 15,5:9,5 Punkten88, das zweite Duell wurde 1934 wiederum in verschiedenen deutschen Städten ausgetragen und endete nach 26 Partien mit 15,5:10,5 Punkten für den Franzosen.89

In diese Phase seines Lebens fällt Aljechins Karriere für eine Nationalmannschaft. Für die sowjetische Mannschaft hat er nie gespielt, sein erster Einsatz war bei der Schacholympiade 1930 in . Dort stellte er seine Weltklasse in den Dienst seines neuen Heimatlandes und erzielte 9 Punkte aus neun Partien, konnte allerdings nicht verhindern, dass die französische Mannschaft nur den zwölften Platz von 18 Mannschaften belegte.90

Aljechin konnte sich, genau wie sein Vorgänger Jose Raul Capablanca und zeitweiliger Nachfolger Max Euwe, während seines Lebens „nur“ zum Weltmeister krönen. Ein Sieg bei einer Schacholympiade war den drei wichtigsten Weltmeistern der Zwischenkriegszeit aufgrund fehlender nationaler Mitstreiter mit entsprechender Spielstärke nicht vergönnt.91

Auffällig ist jedoch, dass Aljechin mit seinen herausragenden Leistungen den Franzosen regelmäßig wichtige Punkte einbrachte. Vor allem bei den drei Teilnahmen 1933, 1935 und 1939 konnte sich die Nationalmannschaft in den Top Ten platzieren. 1933 steuerte Aljechin

87 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 88f. 88 Chessbase: Mega Database, Alekhine – Bogoljubow, World Championship 14th 1929. 89 Chessbase: Mega Database, Alekhine – Bogoljubow, World Championship 15th 1934. 90 Vgl. http://www.olimpbase.org/1930/1930fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 91 Vgl. Capablanca: http://www.olimpbase.org/players/n979xb3l.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017] und Euwe: http://www.olimpbase.org/players/kq0ciyag.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 25

9,5 Punkte aus zwölf Partien (79,2%) bei, Frankreich wurde am Ende die achtbeste teilnehmende Mannschaft.92

1935 konnte er nur 12 Punkte aus 17 Partien (70,6%) erringen, was sein schlechtestes Resultat bei einem solchen Mannschaftsturnier war. Eine Erklärungsmöglichkeit hierfür könnte sein, dass die Olympiade vom 16. August bis zum 31. August ausgetragen wurde und somit direkt im Vorfeld seines am 3. Oktober startenden Weltmeisterschaftswettkampfes gegen Euwe war und Aljechin sich in erster Linie darauf konzentrierte.93 Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieses (für ihn schlechte) Ergebnis auf seinen übermäßigen Alkoholkonsum in dieser Phase seines Lebens zurückzuführen war. Diese Alkoholproblematik setzte allerdings nicht erst 1935 ein. Andre Schulz berichtet beispielsweise von offensichtlichem Alkoholgenuss während eines Turnieres in Zürich im Jahr 1934.94

Der Weltmeisterschaftswettkampf gegen Euwe, der zwischen dem 3. Oktober und dem 15. Dezember 1935 stattfinden sollte, wurde ähnlich wie die beiden Duelle gegen Bogoljubow hauptsächlich von Städten finanziert, die sich einzelne Runden gekauft hatten. Ausgetragen wurde der Wettkampf in 13 Städten: Euwes Geburtsstadt Amsterdam, Delft, Rotterdam, Utrecht, Gouda, Den Haag, Groningen, Baarn, ‘s-Hertogenbosch, Eindhoven, Zeist, Ermelo und Zaandvoort. Als Favorit galt Aljechin, obwohl Euwe auf die Unterstützung seiner beiden sehr prominenten Sekundanten Capablanca und Reuben Fine95 setzen konnte.96

Zu Beginn schien die Einschätzung Aljechins als Favoriten zuzutreffen, nach neun Runden führte er bereits mit 6:3. Danach lässt sich ein Einbruch feststellen, die folgenden fünf Partien wurden deutlich zugunsten von Euwe entschieden, der mit drei Siegen und zwei Unentschieden einen 7:7 Ausgleich nach 14 Runden herbeiführte.97

Möglicherweise begann Aljechin nach seiner deutlichen Führung seinen Gegner zu unterschätzen und sich regelmäßig zu betrinken, wie er es in der späteren Wettkampfphase

92 Vgl. http://www.olimpbase.org/1933/1933fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 93 Vgl. http://www.olimpbase.org/1933/1933fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 94 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 100. 95 (geboren im Oktober 1914 in New York, gestorben im März 1993 in New York) war einer der stärksten Schachspieler in den 1940er und 1950er Jahren, obwohl er seinen Hauptberuf als Psychoanalytiker in der Regel dem Schach vorzog (siehe Weltmeisterschaftsturnier 1948 in Den Haag und Moskau). Fine gewann vor allem in der Zwischenkriegszeit einige hochkarätig besetzte internationale Turniere. Für die amerikanische Nationalmannschaft spielte er dreimal – bei diesen drei Turnieren 1933, 1935 und 1937 gewannen die USA die Schacholympiade schlussendlich auch. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 92 und http://www.olimpbase.org/players/rn9fvv7c.html [zuletzt eingesehen am 27.3.2018]. 96 Vgl. Ebd., S. 98f. 97 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine – Euwe, World Championship 16th. 26 nachgewiesenermaßen getan hatte. Dafür würde sprechen, dass er in allen drei verlorenen Partien bereits in der Eröffnung ungewöhnlich viele strategisch fragwürdige Entscheidungen getroffen hatte, die ihn in allen Partien bereits früh in eine schwierige (aber nicht hoffnungslose) Lage gebracht hatten, er dann aber im weiteren Spielverlauf seine Stellungen systematisch verschlechterte, was jeweils zu Niederlagen führte.98 Möglich ist aber auch, dass Euwe seine Vorteile aus Analysen seiner Sekundanten gezogen hatte. Dies würde allerdings nur die Vorteile nach den Eröffnungen erklären, aber nicht Aljechins regelmäßige Fehler im restlichen Verlauf der Partie.

Zwischen den Partien 15 und 19 stabilisierte er seine Spielweise wieder ein wenig und ging mit zwei Punkten Vorsprung in Führung (10,5:8,5). Nach dieser erneuten Führung brachen beim Weltmeister aber offenbar alle Dämme, Aljechin verlor wohl aufgrund seines Alkoholkonsums zwei Spiele in Folge zum Ausgleich. Vor allem die Berichterstattung zur 21. Partie zeigt Aljechins Verhalten deutlich:

„Zur 21. Partie erschien Aljechin verspätet und so betrunken, dass es jedermann sehen konnte. Er zettelte einen Streit an, beschimpfte Euwe, weigerte sich zu spielen und musste praktisch gezwungen werden, die Partie aufzunehmen. Er spielte diese dann auch wie von Sinnen. Während der Partie warf er beim Ziehen ständig die Figuren um und Euwe verließ wegen des starken Alkoholgeruchs so oft wie möglich den Raum.“99 Die Analyse der dritten Partie lässt durchaus den Schluss zu, dass Aljechin sich mit den weißen Steinen (aufgrund seines Alkoholspiegels) nicht wirklich im Griff hatte. Nach der Eröffnung war die Stellung noch durchaus ausgeglichen, der tendenziell leichte strategische Vorteil für Schwarz wäre für Euwe wohl ohne Hilfe des Gegners nur schwer zum Sieg auszubauen gewesen. Beispielsweise vor Aljechins 15. Zug gibt die Engine eine ausgeglichene Stellung wieder (= (-0.05))100, nach dem 19. Zug hingegen wird die Stellung bereits mit einem deutlichen Vorsprung für Schwarz bewertet (-/+ (-0.95)). Dieser klare Vorteil wurde von Euwe im weiteren Verlauf der Partie stetig erweitert und schlussendlich zum Sieg ausgebaut, wobei Aljechin seine Stellung weiterhin zumeist grundlos verschlechterte.101

98 Die Partien wurden mithilfe der Engine Fritz 15 analysiert. 99 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 101. 100 Eine Stellungsbewertung einer Engine wird einerseits aufgrund des vorhandenen Materials auf dem Schachbrett vorgenommen, zusätzlich dazu fließen strategische und taktische Besonderheiten in die Bewertung ein. Eine komplett ausgeglichene Stellung wird mit (= (0.00)) angegeben, wenn ein Spieler einen kleinen Vorteil hat wird dies als (+= bzw. =+ (0.00 – 0.69)) gekennzeichnet. Ein klarer Vorteil wird mit den Symbolen +/- bzw. - /+ (0,70 – 1,6) angegeben, einen spielentscheidenden Vorteil (+- bzw. -+) erreicht ein Spieler ab einer Bewertung von 1,61 – #1. Vgl. http://www.herderschach.de/Training/Online/tr21pics.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 101 Chessbase: Mega Database, Alekhine – Euwe (0-1), World Championship 16th 1935. 27

Die Partien 22 bis 25 gingen Unentschieden aus, die 26. und 27. Runde gingen an Euwe, der somit erstmals in diesem Wettkampf eindeutig in Führung ging (12:14). Mit einem Sieg in der 27. Partie näherte sich Aljechin noch einmal an (13:14), die letzten drei Partien wurden allerdings remisiert, wodurch Euwe mit dem Endstand von (14,5:15,5) zum fünften Weltmeister der Schachgeschichte wurde.102

Bis heute wird der Titelgewinn Euwes allerdings nicht aufgrund seiner Spielstärke und seiner Leistung während des Wettkampfes anerkannt, vielmehr wird angenommen, dass er vor allem wegen Aljechins Alkoholkonsum zustande kam. Auch Euwe selbst beschrieb später, wie der Name seines Kontrahenten zu dieser Zeit buchstabiert worden war: „AL wie Alkohol, JE wie Jenever, CH wie Champagner, IN wie Ingwerbier.“103

Für Aljechin hatte die Niederlage und der Verlust des Weltmeistertitels nicht nur einen Reputationsverlust zur Folge, auch eine mögliche Aussöhnung mit der Sowjetunion wurde zunichtegemacht. Laut Schulz hatte Aljechin während des Wettkampfs bzw. nach der 6:3 Führung Kontakt zu Kyrlenko aufgenommen und versucht, einen Startplatz beim Großmeisterturnier 1936 in Moskau zu bekommen. Nach seiner Niederlage zog er seine Bemühungen aber wieder zurück, ihm war wohl bewusstgeworden, dass er nur als amtierender Weltmeister eine echte Chance auf Versöhnung nach seinen 1927 getätigten Aussagen gehabt hätte.104

Rehabilitation und Revanche Für Aljechin schienen die vorangegangenen Jahre auch eine Art Weckruf gewesen zu sein. Zwischen der Niederlage gegen Euwe und dem Revanchewettkampf, der ab dem 5. Oktober 1937 beginnen sollte, konzentrierte er sich wieder mehr aufs professionelle Spielen und Trainieren. Dies legen vor allem seine in diesen beiden Jahren gespielten Partien und Turniere nahe: Insgesamt sind 119 Partien überliefert, von denen nur 17 im Rahmen einer Simultanvorstellung gespielt wurden. Die restlichen 102 Partien verteilten sich auf neun Turniere, von denen der ehemalige Weltmeister zwar „nur“ drei gewinnen konnte (Hastings 1936, Dresden 1936 und Bad Nauheim 1936), aber vom Sieger nur minimal entfernt war.105

102 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine – Euwe, World Championship 16th 1935. 103 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 101, zit. n. Münninghoff, E.: Max Euwe, The Biography, New in Chess, Alkmaar 2001. 104 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 103. 105 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 28

Als Beispiel für ein solches Turnier sei hier die Veranstaltung in Kemeri 1937 angeführt, die im Juni 1937, also kurz vor dem Revanchekampf, stattfand. Aljechin erzielte 11,5 Punkte aus 17 Partien, womit er den vierten Platz hinter Reshevsky, Petrovs106 und Flohr (alle 12 Punkte) belegte. Hervorzuheben ist bei diesem Turnier nicht nur die starke Besetzung (hinter Aljechin waren unter anderem Keres107, Steiner, Tartakower, Fine, Stahlberg, Rellstab etc.), sondern auch, dass er die Chancen auf den Gesamtsieg wohl mit einer Niederlage gegen den Litauer Mikenas Vladas verspielte, nachdem er unter anderem Reshevsky und Fine besiegen konnte.108

Ab dem 5. Oktober 1937 begann der Revanchekampf um den Weltmeistertitel zwischen Euwe und Aljechin, der in den niederländischen Städten Den Haag, Rotterdam, Amsterdam, Haarlem, Leiden, Groningen und Delft stattfand.109

Dieses Duell stand unter anderen Vorzeichen als das erste:

„Anders als vor dem ersten Wettkampf galt diesmal Euwe als Favorit (diese Favoritenrolle, die Euwe von der Allgemeinheit zugesprochen worden war, war wohl einerseits Aljechins im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren eher schlechten Turnierergebnissen geschuldet und andererseits, dass niemand wusste, in welcher Verfassung sich der Exweltmeister befand und ob er unter Druck wieder zu trinken beginnen würde [sic!]). Aljechin hatte sich in der Vorbereitung auf das Revanchematch und für den Wettkampf selber eine absolute Alkohol- Abstinenz auferlegt.“110 Der Beginn des Wettkampfes war dieses Mal anders als der vorherige: Während sich Aljechin beim ersten Mal bereits früh mit 6:3 absetzen konnte und seinen Vorsprung aus oben genannten Gründen leichtsinnig verspielte, musste er jetzt von Anfang an sein ganzes Können aufbieten, um Euwe nach Niederlagen in der ersten und fünften Runde nicht davonziehen zu

106 (geboren am 27. September 1908 in Riga (LAT), gestorben am 26. August 1943 im Gulag Vorkuta) war ein lettischer Spitzenschachspieler, der in den 1930er Jahren zur Weltspitze zählte. Petrovs nahm an vielen international renommierten Turnieren, bei denen er regelmäßig gegen die besten Spieler der Welt bestehen konnte. Er nahm zwischen 1928 und 1939 an sieben Schacholympiaden teil, wo er für Lettland regelmäßig sehr gute Ergebnisse erzielen konnte. Petrovs wurde während des Zweiten Weltkrieges aufgrund kritischer Äußerungen gegenüber dem bolschewistischen System verhaftet und zu zehn Jahren Haft im Gulag Vorkuta verurteilt, wo er nach knapp über einem Jahr verstarb. Nach Petrov ist das Petrov-Memorial benannt, bei dem regelmäßig einige der stärksten Spieler der Welt dem verstorbenen Spieler Tribut zollen. Vgl. http://www.chessgames.com/player/vladimir_petrov.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 107 (geboren am 7.1.1916 in Narva, gestorben am 5.6.1975 in Helsinki) spielte bis zum zweiten Weltkrieg für Estland, nach dem Krieg für die UdSSR. Er gehörte ca. 40 Jahren lang zur Weltspitze und gewann im Lauf seiner Karriere gegen 9 der insgesamt 16 Schachweltmeister, dieser Rekord ist bis heute unerreicht. Keres führte Estland 1939 sensationell zum dritten Platz bei der Schacholympiade, nach dem zweiten Weltkrieg gewann er mit der sowjetischen Auswahl siebenmal dieses Turnier. Vgl. Lindörfer, Klaus: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 136f. und vgl. http://www.olimpbase.org/players/cq6agwkb.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 108 Vgl. Chessbase: Mega Database, Kemeri 1937. 109 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 104. 110 Ebd., S. 104. 29 lassen. Es gelang ihm, diese beiden Niederlagen jeweils durch Siege in den Runden zwei und sechs auszugleichen. Durch Siege in den Runden sieben und acht konnte er sich sogar eine 5:3 Führung erarbeiten. Während den Runden neun bis zwanzig verlief der Wettkampf sehr ausgeglichen, von den 11 Punkten gingen jeweils 5,5 an Euwe und seinen Herausforderer. Im Schlussteil des Turnieres schien sich Aljechins größere Spielpraxis durchzusetzen, da er zwischen den beiden Wettkämpfen mit 102 Wettkampfpartien111 im Vergleich zu Euwes 54112 knapp doppelt so viel Spielpraxis gesammelt hatte. Im Verlauf der letzten fünf Partien vernichtete er Euwes Hoffnungen auf die Titelverteidigung auf brutale Art und Weise mit 4,5:0,5 und setzte sich mit 15,5:9,5 durch.113

Die zwei Jahre lang dauernde Phase, als die Niederlande den Schachweltmeister stellten, wurde später als „der verliehene Weltmeistertitel“ bekannt. Zu dieser Bezeichnung hat auch Aljechin beigetragen, indem er nach seinem Sieg ähnliche Äußerungen getätigt hat.114

Im Anschluss an den Wettkampf versuchte Aljechin offenbar, sich wieder mit der Sowjetunion zu versöhnen. Dies geht aus einem Brief an Kyrlenko hervor, der 1967 in einer russischsprachigen Schachzeitung veröffentlicht wurde:

„Es wäre für mich eine große Freude, wieder eine Rolle in der Schachorganisation der UdSSR zu spielen. Ich hoffe, dass meine Fehler in der Vergangenheit, deren ich mir nun voll bewusst bin, kein unüberwindliches Hindernis darstellen. Ich bedaure diese Fehler aufs Tiefste, so dass in jüngster Zeit sich meine indifferente Haltung zu dem gewaltigen Zuwachs an Errungenschaften in der UdSSR in Bewunderung verwandelt hat.“115 Aljechin erhielt laut Schulz keine Antwort auf diese Briefe.116 Warum er versucht hat, sich mit der Sowjetunion zu versöhnen, ist nicht bekannt. Dies zeigt allerdings Aljechins Fähigkeit zum Opportunismus, sich relativ problemlos mit (politischen) Tatsachen abzufinden, die er prinzipiell ablehnte. Dieser Opportunismus wurde ihm später zum Verhängnis, als er aufgrund unbekannter Umstände während des Zweiten Weltkrieges auf einmal mit den Nationalsozialisten kollaborierte (siehe Kapitel „Deutschenfeind, Deutschenfreund, Kollaborateur“).

Für Frankreich hatte die Rückeroberung des Titels eine historische Bedeutung: Es war das erste Mal in der Geschichte des Schachsports, dass ein entthronter Weltmeister seinen Titel

111 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 112 Vgl. Chessbase: Mega Database, Euwe Max. 113 Vgl. Chessbase: Vgl. Chessbase: Mega Database, Euwe – Alekhine, World Championship 17th 1937. 114 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 106. 115 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 101, zit. n. Shakmaty v SSSR, Nr. 9, o.S. 1967. 116 Vgl. Ebd., S. 106. 30 zurückgewinnen konnte. Bis zum heutigen Zeitpunkt gab es nur einen Spieler, der dies ebenfalls schaffte: Der sowjetische Spieler Mikhail Botvinnik (Weltmeister von 1948-1957, 1958-1960 und 1961-1963) konnte sich seinen Titel zunächst von seinem sowjetischen Landsmann Smyslov117 zurückholen, nach dem erneuten Titelverlust gegen Mikhail Tal 1960 eroberte er diesen 1961 wieder zurück.118

Aljechin zwischen 1938 und 1945

Nach seinem Weltmeistertitel blieb Aljechin der Turnierszene aktiv verbunden. Bis zur am 24. August 1939 beginnenden Schacholympiade in Buenos Aires spielte er 87 Partien, von denen 61 im Rahmen von Schachturnieren gespielt wurden. In dieser Zeit hatte der Weltmeister erkennbare Formschwankungen, seine Dominanz der späten 1920er und frühen 1930er Jahre konnte er nicht mehr erreichen. Während er Siege in international besetzten Turnieren wie Carrasco119, Plymouth120, Margate121 und Montevideo122 feiern konnte, erlitt der Weltmeister beim AVRO Turnier in Holland als sechstplatzierter von acht Spielern einen herben Rückschlag.123 Das AVRO Turnier wurde von der niederländischen Rundfunkgesellschaft AVRO organisiert, war damals einzigartig und gilt auch bis heute als „ideales Turnier“:

„Das AVRO-Turnier 1938 nimmt in der 150-jährigen Tradition der internationalen Schachturniere einen exklusiven Rang ein; bis auf dieses eine Mal nämlich hat ein Kräftevergleich der unbestritten acht besten Spieler der Welt im Grunde nie stattgefunden. Sei es, dass einer der ganz Großen fehlte, oder sei es, dass der Wettkampf durch die Teilnahme Schwächerer beeinträchtigt war. Hier waren zweifelsfrei die besten Spieler der unmittelbaren Vorkriegsperiode zusammengeführt: der amtierende Weltmeister Aljechin, der künftige Weltmeister Botwinnik, die ehemaligen Weltmeister Capablanca und Euwe, ferner die Großmeister Fine, Flohr, Keres und Reshevsky.“124

117 Wassilij Smyslow (geboren im März 1921 in Moskau, gestorben im März 2010 in Moskau) war ein sowjetischer Weltmeister zwischen 1957 und 1958. Er gilt gemeinsam mit Botwinnik als der stärkste Spieler der Sowjetunion der Nachkriegszeit bis ca. 1960. Zwischen 1952 und 1972 nahm er an neun Schacholympiaden teil, die alle von der Sowjetunion gewonnen wurden. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 267f. und http://www.olimpbase.org/players/4o26ckqg.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 118 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mikhail Botvinnik, Dossier. 119 Vgl. Chessbase: Mega Database, Carrasco 1938. 120 Vgl. Chessbase: Mega Database, Plymouth 1938. 121 Vgl. Chessbase: Mega Database, Margate 1938. 122 Vgl. Chessbase: Mega Database, Montevideo 1939. 123 Vgl. Chessbase: Mega Database, AVRO Holland 1938. 124 Frank Wenzel: 64 berühmte Felder: ein Schach-Lesebuch, Berlin 2010, S. 183. 31

Ohne ein fehlendes Wertungssystem war es damals sehr schwierig, die tatsächlich besten Spieler der Welt zu finden, weshalb sich die Organisatoren des Turnieres nach Rücksprachen mit den besten Spielern der Welt auf dieses Teilnehmerfeld festgelegt hatten.

Beispielsweise Najdorf und vor allem Eliskases waren zwar spielerisch zu diesem Zeitpunkt den meisten Teilnehmern wohl ebenbürtig, hatten zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht so viele Prestigeerfolge vorzuweisen wie beispielsweise Keres, Flohr oder der aufstrebende sowjetische Spieler Botvinnik.

Um einen möglichst fairen Turnierablauf zu gewährleisten, wurde das Turnier in einem altbewährten (Runden)System gespielt, das allerdings für die Teilnehmer anstrengend war:

„Der Turniermodus sah vor, dass jeder Teilnehmer einmal mit Schwarz und einmal mit Weiß gegen jeden anderen anzutreten hatte. Ein im Grunde ideales System. In beschaulicherer Zeit, z.B. 1851 in London, lieferte jeder Konkurrent dem anderen sogar einen kleinen Wettkampf auf 3, 5 oder 7 Partien; der Sieger kam eine Runde weiter, der Verlierer schied aus oder stieg ins Trostturnier ab.“125 Aufgrund der Regelung, dass jeder Spieler gegen jeden anderen jeweils einmal mit Weiß und einmal mit Schwarz spielte, wurden insgesamt 56 Partien bestritten. Die Ausgeglichenheit des Teilnehmerfeldes wird deutlich, wenn man die Endtabelle betrachtet: Von den 56 Partien endeten insgesamt 32 mit einem Remis, was einer Quote von 57,1% entspricht. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass sechs der acht Teilnehmer mit mindestens 7 Punkten aus 14 Partien die 50% Grenze erreichten (zwischen den geteilten Siegern Keres und Fine mit 8,5 Punkten platzierte sich Botvinnik mit 7,5 Punkten, während das Trio Euwe, Reshevsky und Aljechin jeweils 7 Punkte erreichte).126

Dieses Turnier war gleichzeitig auch Aljechins letztes Turnier, das er vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa spielte. Nach seiner Abreise aus den Niederlanden nahm er an vergleichsweise kleineren Turnieren in Südamerika teil und gab Simultanvorstellungen, bevor er Frankreich bei der Schacholympiade in Argentinien vertrat.

125 Ebd. 126 Vgl. Chessbase: Mega Database: AVRO Holland 1938. 32

Aljechins Rolle in Buenos Aires

Bei der Schacholympiade in Argentinien, die das Leben von einigen der besten Spieler der Welt veränderte (siehe Kapitel „Buenos Aires 1939“), war Aljechin als Mannschaftsführer und stärkster Spieler der französischen Nationalmannschaft anwesend.

Aufgrund des großen Starterfeldes wurden die Mannschaften zu Beginn in Vierergruppen zu jeweils sieben Teams eingeteilt, in der vierten Gruppe waren aus mathematischen Gründen allerdings nur sechs Mannschaften vertreten. Frankreich wurde in die Gruppe zwei gelost. Dort belegten die Franzosen den vierten Rang hinter Lettland, Deutschland und Chile, der dazu berechtigte, in die Finalgruppe A umzusteigen und dort um den Olympiatitel mitzuspielen.127

Aljechin hatte an dieser Platzierung einen großen Anteil: Er erzielte 5,5 Punkte aus sechs Partien (er spielte nur gegen den lettischen Spieler Petrovs unentschieden, schlug aber unter anderem Eliskases). Die gesamte Mannschaft erzielte 13,5 Punkte von 24 möglichen, weshalb Aljechins 5,5 Punkte rund 41% aller erzielten Punkte der gesamten Mannschaft waren, was zeigt, was für eine Stütze er für sein Team war.128

Die erste Runde des Finales der Gruppe A begann am 1. September 1939, am selben Tag, an dem Polen von den Nationalsozialisten überfallen wurde. Dies brachte auch die Organisation des Turnieres durcheinander, unter anderem deshalb, weil das britische Team freiwillig auf die weitere Teilnahme verzichtete und in die Heimat zurückkehrte. Aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges gab es Mannschaften, die sich weigerten, gegen die deutsche Auswahl zu spielen. Im Brief Beckers, des deutschen Delegationsleiters, an Max Blümich, einen seiner Schachfreunde und Herausgeber einer Schachzeitung in Deutschland, wird beschrieben, wer für diese Boykotts (aus deutscher Sicht) verantwortlich gemacht wurde:

„Sie werden gelesen haben, daß einige Kämpfe ohne Spiel 2:2 unentschieden gegeben wurden (insgesamt 6). Wie es dazu kam, ist hochinteressant. Die Idee hierzu ging von Dr. Aljechin und Dr. Tartakower aus, die die Wettkämpfe Frankreich-Deutschland und Polen-Deutschland nicht spielen wollten (moralischer Boykott D.'s).“129

127 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939eb.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 128 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939fra.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 129 Brief von Becker an Max Blümich. http://de.chessbase.com/portals/3/files/2008/geschichteschacholympiade/3/Brief%20von%20Becker.pdf, 5. 10. 1939 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 33

Aljechin und Tartakower wurden von Becker dafür verantwortlich gemacht, dass einige Begegnungen des Turnieres nicht ausgetragen wurden, diese Problematik wird im Kapitel „Buenos Aires 1939“ genauer behandelt.

Die von Aljechin und Tartakower gemeinsam begonnene Aktion hatte allerdings auch Auswirkungen, mit denen Aljechin nicht einverstanden war:

„Allerdings verlangten wir die Einbeziehung Böhmen-Mährens in die Vereinbarung und erreichten dies auch; sehr zum Mißvergnügen Aljechins, der die Tschechen nicht auf unserer Seite sehen wollte und ihnen zuredete, nicht mit Deutschland zu gehen; aber die Tschechen verhielten sich vollkommen korrekt und blieben fest.“130 Diese „Begegnungsverweigerungen“ führten dazu, dass auch die Begegnungen Böhmen- Mähren gegen Frankreich und Böhmen-Mähren gegen Polen mit 2:2 gewertet wurden. Dieses Ergebnis wiederum passte der polnischen Mannschaft und Tartakower nicht so recht, da diese in einer ausgetragenen Begegnung wahrscheinlich gewonnen hätten und durch dieses Unentschieden Punkte verloren hatten.

Demgegenüber wurde Palästina gegen Deutschland „instrumentalisiert“, denn wenn Böhmen- Mähren als deutsches Protektorat nicht gegen Polen spielen müsste, müssten auch die Palästinenser als britisches Protektorat nicht gegen Deutschland antreten (obwohl Becker argumentierte, dass Palästina zu diesem Zeitpunkt kein britisches Protektorat mehr war, sondern ein Völkerbundsprotektorat131), was den Deutschen ebenfalls (wahrscheinliche) Punkte vorenthalten sollte.

Problematisch an dieser ursprünglich von Aljechin und Tartakower ausgelösten Situation war, dass in dieser Konstellation Palästina gegen alle direkten Titelanwärter 2:2 „gespielt“ hätte, was dann den Argentiniern aufgrund dieser Punkteschieberei wieder rechnerische Möglichkeiten auf den Titelgewinn gegeben hätte. Zusätzlich dazu mischte sich Aljechin aktiv ein, indem er laut Becker (der in diesem Fall wohl Recht hatte) Deutschlands Gegner auf seine Art und Weise unterstütze:

„Dr. Aljechin arbeitete überhaupt in jeder Beziehung gegen uns, verbot seinen Leuten jeden Verkehr mit uns, war in Presse und Rundfunk unserer Gegner, und schädigte uns bewußt weiterhin, indem er (für Frankreich) nicht gegen Polen und Argentinien antrat und ihnen so einen Punkt schenkte (der französische 5. Mann Dez war eigentlich kein Spieler, sondern nur Delegierter bei der FIDE).“132

130 Ebd. 131 Ebd. 132 Ebd. 34

Aus diesem Grund akzeptierte die deutsche Nationalmannschaft das Angebot Palästinas unter der Bedingung, dass auch die Begegnung Argentinien gegen Palästina mit 2:2 gewertet würde. Die Palästinenser setzten allerdings noch ein Druckmittel gegen die Deutschen ein, um auf keinen Fall gegen diese antreten zu müssen:

„Um die Sache für uns schmackhafter zu machen, sei Argentinien bereit, ebenfalls ohne Spiel 2:2 zu geben, so daß alle Konkurrenten um den 1. Preis gegen Palästina 2:2 erzielten. Ansonsten ‚drohte‘ Palästina, uns alle 4 Punkte zu schenken, und der eventuelle Endsieg Deutschlands sei dann durch das Geschenk und die Gnade der Juden erfolgt, für uns also wertlos!“133 Trotz dieser Versuche Aljechins und Tartakowers, Einfluss auf den Ausgang des Turnieres zu nehmen, setzte sich die deutsche Nationalmannschaft schlussendlich durch. Auch die Hoffnung, dass der Sieg durch die Punkteschiebereien entwertet werden würde, hat sich nicht bewahrheitet (siehe Kapitel „Buenos Aires 1939“).

Deutschenfeind, Deutschenfreund, Kollaborateur

Diese Zeilen zeigen, dass Aljechin zu Beginn des Zweiten Weltkrieges dem Dritten Reich keineswegs positiv gesinnt war. Aus diesem Grund plante er nach der Rückeroberung seines Titels keine Verteidigung gegen einen deutschen Spieler, seine erste Wahl war ein Spieler aus der Sowjetunion.

Seine Hoffnung auf einen Weltmeisterschaftswettkampf gegen Mikhail Botvinnik, mit dem er sich wohl endgültig mit seiner ehemaligen Heimat ausgesöhnt hätte, wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zunächst aufgeschoben, später komplett ad acta gelegt.134

Aufgrund von Eliskases‘ großen Erfolgen in den Jahren 1938 und 1939 wurde auch ein Wettkampf zwischen Aljechin und seinem Sekundanten während dem Duell gegen Euwe 1937 in den Raum gestellt (siehe Kapitel „Anschluss und „Eroberung“ Deutschlands“). Nach der Schacholympiade verweigerte Eliskases allerdings gemeinsam mit seinen Teamkollegen die Rückreise nach Europa, weshalb dieser als potentieller Herausforderer ebenfalls ausschied.

Aljechin dagegen reiste nach der Schacholympiade über Trinidad und Tobago und Portugal wieder zurück nach Frankreich. Dass er einen Zwischenstopp in Portugal eingelegt hatte bzw.

133 Ebd. 134 Vgl. Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 75. 35

1940 dort war, ist durch zwei Simultanvorstellungen in Estoril135 und Lissabon136 belegt. Laut Geilmann arbeitete Aljechin nach seiner Rückkehr nach Frankreich als Dolmetscher für die französische Armee, nach der Kapitulation Frankreichs übersiedelten seine Frau und er nach Marseille, den „Etat Francais“137. Im sogenannten Vichy-Frankreich wurde Aljechin aus dem Militärdienst entlassen und musste sich somit wieder eine neue Arbeit suchen, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sich im nationalsozialistisch besetzten Frankreich Geld durch Schachspielen zu verdienen, war kaum möglich, vor allem aufgrund seiner seit Buenos Aires offensichtlichen Ablehnung des Nationalsozialismus. Laut Geilmann konnte Aljechin auch nicht in das Ausland reisen, da seine Frau jüdischstämmiger Abstammung war und das Ehepaar deshalb unter Hausarrest gestellt wurde.138

Laut Geilmann bekam Aljechin zu Beginn des Jahres 1941 Besuch von Hans Frank, dem Gouverneur von Krakau.139 Ob tatsächlich Frank persönlich mit Aljechin gesprochen hat, ist nicht gesichert. Dass Frank ein begeisterter Schachspieler war und während des zweiten Weltkrieges Kontakt mit Alexander Aljechin hatte, gilt aber als gesichert. Von Franks Verbindungen mit dem Schachspiel sind einige eindeutige Bilder überliefert, als Beispiel werden hier zwei Bilder angeführt:

135 Vgl. Chessbase: Mega Database, Estoril sim 1940. 136 Vgl. Chessbase: Mega Database, Lisbon sim 1940. 137 Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 75. 138 Vgl. Ebd. und vgl. https://www.chess.com/article/view/alexander-alekhine-and-the-naz [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 139 Vgl. Ebd., S. 76f. 36

http://www.chesshistory.com/winter/pics/ Dass Frank sich nicht nur für seinen Bereich in Krakau interessierte, sondern sich um den gesamten Schachsport auf nationalsozialistischem Gebiet „kümmern“ wollte, zeigt folgende Abbildung:

37

http://www.chesshistory.com/winter/pics/cn3527_frank3.jpg

38

Dass Aljechin kurz nach dem angeblichen Besuch Franks mit den Nationalsozialisten kollaborierte ist gesichert, einerseits durch die Tatsache, dass er 1941 seine schachlichen Aktivitäten wiederaufnahm (allerdings hauptsächlich im deutschsprachigen Raum, obwohl er auch auf der iberischen Halbinsel nach 1941 mehrere Simultanvorstellungen gegeben hat und bei kleineren Turnieren mitspielte140) und andererseits durch seine Artikel.

Ebendiese Artikel zerstörten Aljechins Reputation nachhaltig und führten auch dazu, dass er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine Chance mehr hatte, wieder ein normales Leben zu führen. Die Artikel brachten ihm sogar einen Eintrag in Wolfgang Benz‘ „Handbuch des Antisemitismus“ ein, eine traurige Ehre. Benz beginnt den Eintrag über Aljechins Publikationen treffend:

„Unter dem Titel ‚Jüdisches und arisches Schach‘ (niederländische Version) wie auch umgekehrt, als ‚Arisches und jüdisches Schach‘ (Paris) erschienen im März 1941 einige Artikel, die das Perfideste sein dürften, was je über Schach geschrieben wurde. Autor war der amtierende Weltmeister Dr. Alexander Aljechin (1892-1946), der als emigrierter Russe im deutsch besetzten Paris lebte.“141 In diesen Artikeln beschreibt Aljechin folgende zwei Spielstile: der arische Spielstil wäre der aktivere und attraktivere, da der arische Spieler gern auf Angriff spielen würde und auch nicht vor Figurenopfern zurückschreckt, um letztendlich den Sieg zu erringen. Der jüdische Spielstil dagegen „[…] sei charakterisiert durch materiellen Gewinn um jeden Preis und Opportunismus, der jede Gefahr und jedes Risiko vermeidet.“142 Aljechin bezeichnet sich selbst als einen der besten arischen Spieler aller Zeiten. Die Einschätzung in diese „verdrehten“ Kategorien stimmt allerdings, Aljechins Partien waren so gut wie immer geprägt von Angriff, Kombinationen und Opfern. Außerdem teilte Aljechin auch die Schachgeschichte bzw. die Spieler in arisch/jüdisch ein, wobei er hier laut Benz auch die Gelegenheit ergriff, Spieler, die ihm aus unterschiedlichen Gründen nicht zusagten, zu verunglimpfen. Während er die beiden ersten Weltmeister Steinitz und Lasker (die zusammen 55 Jahre am Stück den Weltmeisterthron behaupten konnten!) aufgrund ihrer jüdischen Abstammung „auseinandernahm“, schrieb er beispielsweise Euwe, der keine jüdischen Vorfahren hatte und auch nicht der jüdischen Religion folgte, einfach zu, sich ganz „[…] in die Hand der jüdischen Verschwörung […]“ begeben zu haben.143 Der Grund dafür dürfte

140 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 141 Juliana Wetzel, Rainer Kampling, Ulrich Wyrwa, Werner Bergmann, Wolfgang Benz [hrsg.]: Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Berlin/Boston 2013, Band 6: Publikationen S. 381. 142 Ebd., S. 382. 143 Ebd., S. 382. 39 wohl einfach rachsüchtiger Natur sein, da Euwe Aljechin den Weltmeistertitel für zwei Jahre abnehmen konnte und sich im Gegensatz zu Aljechin weigerte, mit den Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. Aufgrund dieser Weigerung stand Euwe Aljechin weder als Trainingspartner zur Verfügung, noch konnte er gegen diesen einen Weltmeisterschaftskampf austragen, um seinen Titel zu „stärken“.

Die Kollaboration mit den Nationalsozialisten dürfte aber wahrscheinlich nicht aus Überzeugung gegenüber der vorherrschenden Ideologie des Dritten Reiches erfolgt sein. Dafür sprechen zwar die von Aljechin verfassten Artikel sowie die Tatsache, dass die Nationalsozialisten der Sowjetunion im Juni 1941 den Krieg erklärten, mit der Aljechin bereits nach seinem Sieg über Capablanca endgültig gebrochen hatte. Dagegen spricht, dass Aljechin vor 1941 nie antisemitisch aufgefallen ist, laut Benz 1934 sogar noch eine Lobrede auf Emanuel Lasker gehalten hatte.144 Zusätzlich dagegen spricht, dass Aljechin laut Max Blümich sogar nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bei der Schacholympiade in Buenos Aires gegen Deutschland handelte (siehe Kapitel „Buenos Aires 1939“).

Dass Aljechin sich seinen Lebensunterhalt neben dem Verfassen solcher Artikel auch wieder mit dem Schachspiel an sich verdiente, zeigt seine Aktivität zwischen 1941 und dem Ende des Krieges 1945. Von den gespielten 214 Partien fanden 77 im Rahmen von Simultanvorstellungen hauptsächlich auf der iberischen Halbinsel statt. Zu erwähnen ist hier allerdings, dass von einigen Simultanvorstellungen nur eine einzelne bzw. zwei Partien in der Mega Database überliefert sind, was darauf schließen lässt, dass die Zahl von 77 Partien zu niedrig ist.145

Die restlichen 137 Partien sind von diversen Turnieren überliefert, die er ausschließlich im Deutschen Reich gespielt hat. Auch diese Tatsache zeigt, dass er mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben muss, da er ansonsten wohl kaum in diesem Ausmaß die Möglichkeit gehabt hätte, an so gut besetzten Turnieren teilzunehmen. 1941 und 1942 nahm er an Turnieren im von Hans Frank kontrollierten Gebiet teil, was eine Bekanntschaft mit diesem zusätzlich zum Foto auf Seite 36 (Aljechin/Bogoljubow/Frank) nahelegt. Diese Turniere konnte Aljechin gewinnen, was allerdings wohl mit der fehlenden (Weltklasse)Konkurrenz zu erklären ist.146

144 Vgl., S. 383. 145 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 146 Vgl. Chessbase: Mega Database, Krakow/ 1941 und vgl. Chessbase: Mega Database, Lublin/Warsaw/Krakow 1942. 40

Dass Aljechin sich aber auch während des Zweiten Weltkriegs immer noch als bester Spieler der Welt feierte, zeigen die Begegnungen mit dem letzten verfügbaren verbliebenen Weltklassespieler Paul Keres, der sich im Gegensatz zu Euwe nicht dem aktiven Spiel verweigerte. Bei den Turnieren in Salzburg und München 1942 und dem stark besetzten Turnier in Prag 1943, an dem auch die tschechoslowakischen Spieler teilnahmen, trug Aljechin vor Keres den Sieg davon.147 Einzig beim Turnier in Salzburg 1943 musste sich Aljechin aufgrund der geringfügig schlechteren Feinwertung beugen und Keres als Sieger akzeptieren.148

Dieses Turnier sollte Aljechins letztes großes Turnier auf internationaler Ebene mit Weltklassekonkurrenz bleiben.

1943 bekam er eine Einladung zu einem Turnier in Spanien und suchte erfolgreich um eine Ausreisegenehmigung auf die iberische Halbinsel an, um dort Geld durch Schachspielen zu verdienen. Seine Frau dagegen bekam von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft keine solche Erlaubnis und musste in Frankreich bleiben.149

Die beiden Eheleute sollten sich nie wiedersehen, da sich auch seine Ehefrau nach der Befreiung Frankreichs und den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit für die Taten ihres Mannes rechtfertigen musste, was auch zum Bruch der Ehe beitrug.150 Vor allem die Artikel, die in Aljechins Namen veröffentlicht wurden, brachten beide Eheleute in große Bedrängnis. Auch die nach dem Ende des Krieges veröffentlichte Distanzierung Aljechins änderte nichts daran, dass sein Ruf zerstört war und er vom größten Teil der Schachgemeinschaft abgelehnt wurde.

Ob Aljechin die Artikel tatsächlich aus freien Stücken geschrieben hat oder ob seine Version stimmt, dass die Nationalsozialisten ihn zur „Hergabe seines Namens“ durch eine Unterschrift gezwungen haben, wird wohl nur schwer zu beweisen sein. Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass Aljechin selbst aufgrund seiner russischen Abstammung, seiner Tätigkeit für die französische Armee sowie seiner Ablehnung des Nationalsozialismus vor dem Zweiten Weltkrieg (siehe Kapitel „Aljechins Rolle in Buenos Aires“) in der „nationalsozialistischen Hierarchie“ keine gute „Ausgangsposition“ für das Leben im Gebiet des Dritten Reiches mitbrachte. Zusätzlich dazu war seine Frau jüdischer Abstammung, was den

147 Vgl. Chessbase: Mega Database, Salzburg 1942, Vgl. Chessbase: Mega Database, 1942 und vgl. Chessbase: Mega Database, 1943. 148 Vgl. Chessbase: Mega Database, Salzburg 1943. 149 Vgl. Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 84. 150 Vgl. Ebd, S. 87. 41

Nationalsozialisten ein zusätzliches Druckmittel gegen den Schachweltmeister gegeben hatte. Auf der anderen Seite ist gesichert, dass Aljechin ein Opportunist war, der das Schachspiel zwischen 1939 und 1945 nur „auf der Seite der Nationalsozialisten“ ausüben konnte, was ihm nicht nur eine Einkommensquelle sicherte, sondern möglicherweise auch zur Rettung seines eigenen Lebens und dem seiner Frau beitrug. Eduard Winter fasst die Problematik bzgl. der Artikel auf den Punkt gebracht zusammen: „Auch wenn es bei dieser Sachlage schwierig ist, eine brauchbare Verteidigung für Alekhine aufzubauen, würde nur der Fund der Artikel in seiner eigenen Handschrift die Angelegenheit zweifellos klären können.“151

Ebendiese Artikel in seiner eigenen Handschrift wurden von seiner Ehefrau Grace übergeben152, was beweist, dass er zumindest Teile der veröffentlichten Artikel selbst verfasst hat. Offen ist allerdings nach wie vor die Frage, ob er diese Machwerke tatsächlich freiwillig geschrieben hat oder möglicherweise präzise Aufträge „von oben“ bekommen hat, die er ausgeführt hat.

Aljechins Tod: Unfall oder nicht?

Nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands befand sich Aljechin in Spanien, wo er sich seit 1944 mit kleineren Turnieren und Simultanvorstellungen über Wasser hielt.153

Einladungen zu größeren Turnieren bzw. Simultanvorstellungen blieben aufgrund seiner Kollaboration mit den Nationalsozialisten aus, wenngleich die Zusammenarbeit mit diesen wohl nicht aufgrund der Überzeugung erfolgte, sondern aufgrund seines Opportunismus und möglicherweise auch unter Druck zustande kam.

1945 war Aljechin noch in Spanien, wie die Teilnahme an einem Turnier im katalonischen Sabadell belegt154, während er 1946 in Portugal war, was durch zwei Wettkämpfe mit dem portugiesischen Spieler Lupi in Estoril155 und Anderson in Lissabon156 bewiesen wird. Diese Aktivitäten sind die letzten, die von Alexander Aljechin überliefert sind.

151 http://www.chesshistory.com/winter/extra/alekhine.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 152 Vgl. Georgij Šakov, Aleksandr Alehin. Weltbürger, in: Čempionat https://www.championat.com/other/article-193097-24-marta--godovshhina-smerti-aleksandra-alekhina.html vom 24. März 2014 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 153 Vgl. Chessbase: Mega Database, Alekhine Alexander. 154 Vgl. Chessbase: Mega Database, Sabadell 1945. 155 Vgl. Chessbase: Mega Database, Estoril 1946. 156 Vgl. Chessbase: Mega Database, Lisbon 1946. 42

Mit der höchsten schachlichen Ebene hatte Aljechin nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwar Kontakt, wurde aufgrund seiner Vergangenheit aber immer wieder abgewiesen. Auch Aljechins Rechtfertigungen an die Organisatoren der Turniere halfen nicht. Einer dieser Briefe wurde laut Schulz 1946 im „British Chess Magazine“ und „Chess“ veröffentlicht:

„Tatsache ist, dass wir in Deutschland und den besetzten Gebieten unter ständiger Beobachtung durch die Gestapo standen und der Drohung ausgesetzt waren, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Ich habe in Deutschland und den besetzten Gebieten Schach gespielt, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, damit aber auch den Preis für die Freiheit meiner Frau bezahlt.“157 Zusätzlich dazu gab es offenbar Bestrebungen, einen Wettkampf um den Weltmeisterschaftstitel zwischen Aljechin und Botvinnik auszutragen158, der allerdings aufgrund dreier Probleme nie zustande kommen sollte. Das erste Problem war, dass Aljechins Ruf so beschädigt war, dass er bei einer erfolgreichen Verteidigung von großen Teilen der globalen Schachgemeinschaft nicht als Weltmeister akzeptiert worden wäre. Das zweite Problem war, dass ein Wettkampf zwischen Botvinnik als stärkstem Spieler der Sowjetunion und Aljechin, als französischem Staatsbürger und somit Angehöriger des Westblocks nach dem Ausbruch des Kalten Krieges nicht so einfach zu organisieren gewesen wäre. Das größte Problem stellte jedoch der plötzliche und überraschende Tod Aljechins am 23./24. März 1946 dar.

Die Todesursache ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Der obduzierende Arzt Dr. Antonio Ferreira schrieb:

„[…] Aljechin war in seinem Zimmer in einem Hotel in Estoril unter Umständen tot aufgefunden worden, die als verdächtig angesehen wurden und die Notwendigkeit einer Autopsie angezeigt erschienen lassen, um die Todesursache festzustellen. Die Autopsie ergab als Aljechins Todesursache Erstickung durch ein Stück Fleisch, offensichtlich Teil einer Mahlzeit, die im Kehlkopf steckte. Es gab keinerlei Hinweise, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war, weder Selbstmord noch Totschlag. Es gab keine anderen Krankheiten, auf die sein plötzlicher und unerwarteter Tod zurückgeführt werden können.“159 Der offizielle Totenschein existiert noch und befindet sich momentan im Besitz von Guy Gignac, einem Sammler in Kanada.160

157 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 112. 158 Vgl. Ebd, S. 112. 159 Ebd., S. 113. 160 https://de.chessbase.com/post/aljechins-tod-ein-ungelstes-rtsel- [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 43

Eines der ersten Fotos, die vom Hotelzimmer gemacht wurden, wirft einige Fragen auf, die in Verbindung mit mehreren Aussagen Zweifel an dieser offiziellen Todesursache aufkommen lassen können:

https://en.chessbase.com/news/2006/alekhine03b.jpg Bereits von Anfang an gab es Zeitungsberichte, in denen von einer anderen natürlichen Todesursache gesprochen wurde. Als Beispiel sei hier bereits ein Eintrag in der Zeitung Neues Österreich angeführt, der bereits am 26. März 1946 und somit sehr zeitnah zum festgestellten Todeszeitpunkt veröffentlicht wurde: „Der Schachweltmeister Dr. Alexander Aljechin ist Sonntag im Alter von 54 Jahren in Lissabon gestorben. Aljechin, gebürtiger Russe und naturalisierter Franzose, starb nach Aussage des Arztes an Angina pectoris.“161

Interessant ist einerseits, dass es die angesprochene Aussage des Arztes bereits so schnell in die Zeitung schaffte und andererseits, dass die Todesursache Angina pectoris aus medizinischer Sicht ein Herzinfarkt bzw. ein herzinfarktähnliches Ereignis ist162, was auf jeden Fall der offiziellen Diagnose des Erstickungstodes widerspricht. Diese beiden

161 Neues Österreich, 26. März 1946, Nr. 286, S. 3. 162 Vgl. http://www.medizin-lexikon.de/Angina_pectoris [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 44

Todesformen werden in der Literatur am häufigsten für einen natürlichen Tod Aljechins angeführt. Die offizielle Diagnose des Erstickungstodes wird vor allem aufgrund eines Einwandes immer wieder kritisiert. Diese Kritik hat unter anderem der kanadische Schachgroßmeister Kevin Spraggett 1999 gut zusammenfassend geäußert:

„Was stimmt mit der offiziellen Geschichte nicht? (Ich meine, abgesehen vom Umstand, dass ein ‚normaler‘ Mensch, wenn er sich hinsetzt und erstickt, aufstehen und ziemlich wild werden würde, und vielleicht dabei sogar das Brett und die Figuren umwerfen könnte…!?).“163 Bei der Betrachtung des Bildes fällt tatsächlich auf, dass das Schachbrett inklusive der (korrekt aufgestellten) Figuren sowie das Geschirr offenbar nicht von einem „herumfuchtelnden“ Aljechin getroffen wurden, der aber direkt davorsaß und bei „Abwehrbewegungen“ die vorhandene Ordnung nur schwer nicht hätte stören können. Aus diesem Grund wird die Erstickungshypothese immer wieder kritisiert, während bei einem Herzanfall diese „Abwehrbemühungen“ wohl in einem kleineren Rahmen erfolgt wären oder womöglich ganz ausgeblieben sein könnten. Sollte Aljechin tatsächlich an seinem Essen erstickt sein, hätte er wohl sehr viel Pech gehabt: auf dem Geschirr vor ihm ist kein Essen mehr zu sehen, in diesem Fall wäre er tatsächlich beim letzten Bissen erstickt. Dies ist zwar durchaus möglich und wäre noch Essen vorhanden gewesen, hätte dies die offizielle Todesursache durchaus glaubwürdiger wirken lassen, in diesem Fall jedoch bewirkt die sichtbare Tatsache jedoch eher das Gegenteil.

Die Möglichkeit, dass Aljechin keines natürlichen Todes gestorben sein könnte, sondern an den Folgen einer Vergiftung, wird ebenfalls angeführt. Gelegentlich wird auch Selbstmord nicht ausgeschlossen, wenn Aljechin die Hoffnung auf Rehabilitation und die Hoffnung auf ein „normales“ Leben aufgegeben hätte, was aufgrund der Absagen für diverse Schachveranstaltungen auch möglich wäre. Die Möglichkeit, dass sich Aljechin selbst das Leben genommen haben soll, wird kurz nach seinem Ableben in Die Weltpresse veröffentlicht: „[…] Weltschachmeister Aljechin, der kürzlich im Alter von 54 Jahren in Estoril gestorben ist. Seine Freunde behaupten, daß die Sorgen um das Daseinsproblem seinen Lebensfaden frühzeitig abgeschnitten hätten.“164

Sollte sich Aljechin selbst vergiftet haben (offensichtliche Arten von Selbstmord wie Erhängen, Erschießen etc. hätten wohl keiner Autopsie bedurft) stellt sich die Frage, warum dies bei der Autopsie nicht herausgefunden wurde bzw. warum der Arzt so eindeutig andere,

163 https://de.chessbase.com/post/aljechins-tod-ein-ungelstes-rtsel- [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 164 Die Weltpresse, 18. April 1946, Nr. 92, S. 4. 45 nicht natürliche Todesursachen ausgeschlossen hat. Hier setzen die Kritiker an, die daran glauben, dass Aljechin umgebracht wurde und der Arzt das Obduktionsprotokoll nicht wahrheitsgemäß ausfüllte bzw. ausfüllen durfte. Einer der prominentesten Vertreter dieser Möglichkeit ist der Exweltmeister Boris Spasski165, der in einem Interview mit Dagobert Kohlmeyer, der das Gespräch für Chessbase führte, folgendes zu Protokoll gab: „Ich denke, auf ihn wurde wahrscheinlich ein Doppelanschlag verübt. Beim ersten Mal erhielt er Gift. Dann lief er auf die Straße, um Hilfe zu holen. Vielleicht wollte er auch in eine Apotheke. Und draußen hat man ihn dann getötet.“166

Spasski gibt außerdem wieder, dass der Arzt Ferreira gegen Ende seines Lebens gesagt haben soll, dass er Aljechins Todesursache unter (sowjetischem) Druck bestätigen musste.167 Sollte dies der Wahrheit entsprechen, wäre die Möglichkeit gegeben, dass Aljechin umgebracht wurde. Laut Schulz ist auch Aljechins Sohn, Alexander Junior, der Meinung, „[…] dass ‚die Hand Moskaus‘ für den Tod seines Vaters verantwortlich gewesen sei.“168 Sollte Aljechin tatsächlich ermordet worden sein, gäbe es einige Personen bzw. Nationen, die ein Interesse an seinem Tod gehabt haben könnte. In der russischsprachigen Presse werden vor allem zwei Nationen bzw. deren Geheimdienste angeführt, die für einen gewaltsamen Tod verantwortlich gewesen sein könnten, ausreichend Gründe für einen Tod Aljechins gehabt hätten und wohl genügend Einfluss auf die portugiesischen Ärzte gehabt hätten, die wahre Todesursache zu verschweigen und stattdessen den Erstickungstod festzustellen:

„Es stellen sich zahlreiche Versionen auf: Mal sind es Mitglieder des französischen Wiederstandes, die ein Sonderkommando für die Bekämpfung von Nazikomplizen gegründet haben, mal sind es die sowjetischen Geheimdienste, denen ein Spiel (ein Wettkampf [sic!])

165 Boris Spasski (geboren am 30. Januar 1937 in Leningrad) ist der zehnte Weltmeister der Schachgeschichte. Spasski wurde bereits in jungen Jahren in den sowjetischen „Schachkreislauf“ aufgenommen und entwickelte sich schnell zu einem der stärksten Spieler des kommunistischen Länderkonglomerats. 1969 errang er den Weltmeistertitel nach einem siegreichen Wettkampf von Petrosjan. 1972 unterlag er trotz großer Unterstützung vieler sowjetischer Weltklassespieler seinem amerikanischen Herausforderer Fischer – seine alte Spielstärke, die er als Weltmeister gehabt hatte, erlangte er nie wieder. 1977 heiratete Spasski eine Französin und lebt seitdem in Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er im Anschluss daran auch annahm. Spasski nahm zwischen 1962 und 1988 an 10 Schachweltmeisterschaften teil, von 1962 bis 1978 spielte er siebenmal für die Sowjetunion, mit der er sechsmal gewinnen konnte und einmal den zweiten Platz belegte. 1984, 1986 und 1988 spielte er für Frankreich am Spitzenbrett, wo er gute Ergebnisse erzielte und mit der Mannschaft zweimal (1984 und 1986) in den Top Ten landete. Vgl. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 270f., vgl. https://chess24.com/de/lesen/spieler/boris- spasski [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und vgl. http://www.olimpbase.org/players/59pz3v1e.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 166https://de.chessbase.com/post/zum-65-todestag-von-alexander-aljechin [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 167 Ebd. 168 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 113. 46

Alehin-Botvinnik zu unangenehm war, und eine Blamage vermeiden wollten. Die Wahrheit kennt niemand derzeitig.“169 Bezüglich Aljechins Tod kann zum heutigen Stand nur folgendes festgehalten werden: Wenn die offizielle Todesursache stimmt und der Arzt diese aus freien Stücken und richtig wiedergegeben hat, ist Aljechin tatsächlich eines natürlichen Todes gestorben, wobei bei Betrachtung des Bildes und Berücksichtigung der offenbar fehlenden „Abwehrbewegungen“ wohl eher eine Herzattacke als ein Erstickungstod stattgefunden hat. Sollte Ferreira tatsächlich aus irgendeinem Grund eine falsche Todesursache angegeben haben, kann eine (freiwillige) Vergiftung zum Eintritt des Todes geführt haben. Möglicherweise haben in diesem Fall auch die Vertreter eines gewaltsamen Todes, wie beispielsweise Spasski oder Aljechin Junior, recht, für Gründe, ihn „aus dem Verkehr zu ziehen“, hat Aljechin Senior im Lauf seines Lebens selbst mehrfach gesorgt.

Selbst nach seinem Tod fand Aljechin, verglichen mit „normalen“ Menschen wenig Ruhe: Er wurde zuerst in Estoril beigesetzt, da 1946 offenbar weder Frankreich noch die UdSSR ernsthafte Anstrengungen unternahmen, ihn in ihren Ländern zu bestatten. 1956 wurde Aljechin wieder exhumiert und auf Wunsch seiner Frau in Paris begraben. Schulz schreibt, dass Aljechin auf Initiative der FIDE nach Paris gebracht wurde170, während in der russischen Literatur geschrieben wird, dass die UdSSR 1956 Interesse daran gezeigt hätten, Aljechin zurück nach Russland zu bringen, um ihm dort ein Denkmal zu setzen171 – er war trotz allem der allererste (gebürtige) russische Schachweltmeister und die sowjetischen Spieler, die im Kalten Krieg im Bereich des Schachsports dem Westblock bis Robert „Bobby“ Fischer weit voraus waren, hatten vor dem Zweiten Weltkrieg und wohl auch danach noch regelmäßig Partien und Strategien Aljechins zum Trainieren verwendet. Ein Interesse der Sowjetunion könnte zu diesem Zeitpunkt durchaus gegeben gewesen sein, da sich die UdSSR 1956 unter Chrustschov in der sogenannten Tauwetterperiode befand, die die Einstellung der Bevölkerung (und vor allem auch die der russischen Schachgemeinschaft) gegenüber dem ehemaligen Weltmeister veränderte.

169 Vgl. Georgij Šakov, Aleksandr Alehin. Weltbürger, in: Čempionat https://www.championat.com/other/article-193097-24-marta--godovshhina-smerti-aleksandra-alekhina.html vom 24. März 2014 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 170 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 114. 171 Vgl. Georgij Šakov, Aleksandr Alehin. Weltbürger, in: Čempionat https://www.championat.com/other/article-193097-24-marta--godovshhina-smerti-aleksandra-alekhina.html vom 24. März 2014 [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 47

Laut Sakov sei die Überführung von Aljechin in die UdSSR vor allem wegen Aljechins Frau Grace gescheitert, die es kurz vor dem Abschluss der Überführung schaffte, Aljechin auf dem Friedhof Montparnasse in Paris beisetzen zu lassen.172

http://www.kwabc.org/archive/Homepage-UK/graves_2.htm Die beiden Bilder ergeben zusammen Aljechins letzte Ruhestätte in Paris. Zu beachten ist, dass die Inschriften zweisprachig sind, wobei die russische Inschrift noch oberhalb der französischen Übersetzung steht.

Interessant ist vor allem die Inschrift unterhalb des Schachbrettes:

„Dieser Gedenkstein wurde am 25. März 1956 von der FIDE, dem Weltschachverband, errichtet – Folke Bogard, Präsident, Schweden; Viatcheslav Ragosin, Vizepräsident, Russland; Marcel Berman, Vizepräsident, Franzkreich; Mikhail Botvinnik, Weltmeister, UdSSR; Gian Carlo Dal Verme, Italien; Pierre Dierman, Belgien.“173 Die erwähnten Personen waren zu diesem Zeitpunkt die Einflussreichsten, die neben dem aktiven Spiel die Entscheidungsgewalt in den verschiedensten Bereichen des Weltschachverbandes innehatten. Dies könnte darauf hinweisen, dass Aljechins Verfehlungen während des Zweiten Weltkriegs zwar nicht vergeben wurden, die Errichtung des Grabsteins aber wenigstens dazu geführt hatte, dass die „totale Ächtung“ abgemildert wurde und

172 Vgl. Ebd. Aus dem Russischen übersetzt von Mag. Kaloperovic. 173 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 114. 48

Aljechins herausragende schachliche Aktivitäten wieder mehr in den Vordergrund gerückt wurden.

Neben einem Leben voller Aufreger, Skandale und einigen opportunistischen Handlungen sind es neben einem mysteriösen und bis heute ungeklärten Tod nämlich vor allem diese Aktivitäten, die das Schachspiel bis heute mitprägen. Neben hervorragenden Partien voller taktischer Meisterleistungen und Trainingsvorlagen für nachfolgende Schachspielergenerationen hat sich Aljechin auch in den Benennungen für Schacheröffnungen verewigt. Hier ist vor allem die Aljechin-Verteidigung (1. e4 Sf6), die mit dem ECO-Code B02-B05 bis heute auch auf allerhöchsten Ebenen gespielt wird, zu nennen. Daneben sind mit dem ECO-Code C13 (Aljechin-Chatard-Anrgiff) eine Untervariante der französischen Verteidigung und mit D88 (Aljechin-Variante) eine Untervariante der Grünfeld-Verteidigung nach ihm benannt.174

Ein weiteres Merkmal sorgt dafür, dass er bis heute im kollektiven Schachgedächtnis fest verankert ist: Aljechin ist bis heute der einzige Schachweltmeister, der als amtierender Titelträger starb.

174 Vgl. http://www.grinis.de/eco-code.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 49

Samuel Herman Reshevsky

Das Wunderkind, das das Schachspiel der Schule vorzog

Samuel Herman Reshevsky wurde am 26. November 1911 im (heute polnischen) Lodz geboren.175

Er lernte das Spiel bereits im Alter von vier Jahren und wurde von seinen Eltern sehr gefördert. Obwohl sein Vater als Rabbi über genügend Einkommen verfügt hätte, um seinen Sohn zur Schule schicken zu können, wurde Samuel ab diesen sehr jungen Jahren regelmäßig vor Schachbretter gesetzt, um sein Talent zu fördern. Einer seiner ersten öffentlichen Auftritte im Ausland ist bis heute sehr bekannt, Reshevsky spielte in Berlin gegen 20 Gegner Simultan.176

http://jewishcurrents.org/wp-content/uploads/2013/11/786px- Samuel_Reshevsky_versus_the_World.jpg

175 Vgl. https://en.chessbase.com/post/samuel-reshevsky-would-have-turned-100-today [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 176 Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46415441.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 50

Nach sechs (!) Stunden beendete der achtjährige Reshevsky die letzte Partie und erzielte folgendes herausragende Ergebnis: Nur einer Niederlage standen zehn Unentschieden und neun Siege gegenüber.177

Die Analyse Reshevskys durch eine Berliner Psychologin deckte allerdings auch die Nachteile der Fokussierung auf das Schachspiel auf:

„Ergebnis: Reshevsky hatte keine Schule besucht und konnte ‚nur mühsam lesen‘. Er vermochte lediglich vier Farben zu unterscheiden und kannte an Tieren nur Pferd, Hund und Katze. Dafür löste er im Kopf Rechenaufgaben wie 72 mal 22. Sein Gedächtnis leistete Verblüffendes. Fünf Reihen mit insgesamt 40 Ziffern lernte er in vier Minuten auswendig. Dann lokalisierte er jede gewünschte Zahl richtig nach Platz und Reihe.“178 Ebensolche Gedächtnisleistungen sind allen Schachspielern (auch in jungen Jahren) zu eigen, die wirklich an die Weltspitze vordringen konnten, wie beispielsweise auch der von Najdorf aufgestellte Weltrekord im Blindsimultan zeigt (siehe Kapitel „Verbleib in Argentinien inklusive Weltrekord“).

Obwohl seinen Eltern bewusst sein musste, dass ihr Sohn im Bereich der Bildung große Defizite aufwies, zogen sie für ihn weiterhin die schachliche Karriere der Schule vor. Kurze Zeit später zog Reshevsky mit seiner Familie in die USA, wobei der genaue Zeitpunkt allerdings nicht gesichert ist. Übereinstimmend wird jedoch berichtet, dass das Wunderkind im Alter von neun bzw. zehn Jahren nach Amerika gebracht wurde. Der Grund für die Auswanderung in die USA dürften vor allem wirtschaftliche Interessen der Eltern gewesen sein, wie beispielsweise Schulz beschreibt: „1920 wanderten seine Eltern in die USA aus, um dort die Fähigkeiten ihres Sohnes zu Geld zu machen.“179 Im Nachruf der New York Times vom 7. April 1992 wird auch beschrieben, dass er Bekanntschaft mit einigen der bekanntesten Prominenten machte, was wohl auch Geld eingebracht haben muss: „Er wurde als große Persönlichkeit der 20erJahre bekannt, beim Zeitvertreib mit Charlie Chaplin, Jackie Coogan und anderen Stars und bezauberte Millionäre beim Besiegen in ihren Wohnzimmern.“180

Dass er in diesem Alter tatsächlich dort war und schachliche Ausrufezeichen setzte, zeigt auch das sehr starke Turnierergebnis im Rahmen des Manhattaner Schachklubs181, bei dem er

177 Ebd. 178 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46415441.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 179 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 116. 180 http://www.nytimes.com/1992/04/07/nyregion/samuel-reshevsky-is-dead-chess--was- 80.html?pagewanted=all [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 181 Der Manhattan Chess-Club wurde ursprünglich von Frank James Marshall gegründet und später in Marshall Chess-Club umbenannt. In diesen Räumlichkeiten waren regelmäßig die stärksten Spieler zu Gast, beispielsweise um Wettkämpfe auszutragen oder gegen die New Yorker Schachszene Simultanvorstellungen zu geben. Vgl. http://www.schachmuseum.com/orte-des-schachspiels.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 51 gemeinsam mit Dawid Janowski182 den ersten Platz belegte, während Marshall selbst auf den dritten Platz verwiesen wurde.183

Zwischen dem Turnier im MCC 1920 und 1924 sind von Reshevsky in der Mega Database nur 16 Partien überliefert, wovon neun Partien im Rahmen von stark besetzten Turnieren ausgetragen wurden und „nur“ sieben Partien bei Simultanvorstellungen gespielt wurden. Bei der Simultanvorstellung in San Francisco 1921 waren allerdings neben amerikanischen Teilnehmern auch einige internationale Spieler vertreten (beispielsweise die beiden Deutschen Bernstein und Tevis, sowie der Brite Duncan). Dieses internationale Teilnehmerfeld zeigt die Spielstärke Reshevskys zu diesem Zeitpunkt, da die Veranstalter offenbar an ihn glaubten, obwohl er zum einen noch ein Kind war und zum anderen keine amerikanischen Vorfahren hatte.184

Beeindruckend ist auch seine Leistung bei der New Yorker Meisterschaft 1922, als er nur Eduard Lasker den Vortritt lassen musste, aber unter anderem mit einem Sieg gegen Janowksi aufzeigte.185

Zwischen 1924 und 1933/34 zog er sich vom aktiven Schachspiel weitgehend zurück, um eine Ausbildung nachzuholen. Auch dank der Mithilfe von Julius Rosenwald konnte er 1934 seinen Abschluss zum Buchhalter machen, was ihm in seinem späteren Leben half, sich seinen Lebensunterhalt nicht ausschließlich als Berufsschachspieler verdienen zu müssen.186

182 Dawid Janowski (geboren 1868 in Wolkowysk (POL), gestorben 1927 in Hyeres (FR)) zählte zwischen 1894 und 1926 zu den stärksten Spielern der Welt. Er war einer der ersten Berufsschachspieler und konnte sich auch dank seinem Mäzen Pierre Nardus auf das Schachspiel konzentrieren. Dank seiner Turnierleistungen konnte er Emanuel Lasker zweimal zum Duell um den Weltmeisterschaftstitel herausfordern, verlor aber sowohl 1909 (-7) als auch 1910 (-8) eindeutig. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 131f. und http://www.chessgames.com/player/david_janowski.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 183 Vgl. Chessbase: Mega Database, Manhattan CC-ch 1920. 184 Vgl. Chessbase: Mega Database, San Francisco sim 1921. 185 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York CCl 1922. 186 Vgl. http://jewishcurrents.org/november-26-orthodox-chess-grandmaster/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 52

Vorherrschaft in der amerikanischen Schachwelt

Wann genau Reshevsky die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm ist nicht gesichert, wahrscheinlich ist ein Zeitpunkt während seiner Ausbildung bzw. seit der Volljährigkeit. Er muss sie allerdings vor 1937 angenommen haben, da er in diesem Jahr die amerikanische Nationalmannschaft bei der Schacholympiade vertrat. Dass er definitiv amerikanischer Staatsbürger war, geht auch aus dem Spielerprofil der Mega Database hervor:

Chessbase: Mega Database, Reshevsky Samuel Gegen Ende seiner Ausbildung hat er seine Tätigkeit als Schachspieler wiederaufgenommen. Dass er während seiner Auszeit aber weiterhin trainiert haben muss, zeigen seine Ergebnisse bei den ersten Turnieren nach bzw. während der Pause. Bereits beim Turnier in Pasadena belegte er den fünften Platz, hatte aber unter anderem mit Aljechin, Kashdan und Fine sehr starke Konkurrenz, die zusätzlich zu ihren Fähigkeiten über Turnierpraxis verfügten.187

Beim Turnier in Syrakus zwei Jahre später hatte er mehr Spielpraxis, dort konnte er sich mit 3 Punkten Vorsprung auf Fine durchsetzen und durch diesen Abstand seinen Anspruch auf den

187 Vgl. Chessbase: Mega Database, Pasadena 1932. 53 besten Spieler Amerikas untermauern.188 Auf internationaler Ebene meldete er sich in Margate zurück, wo er den ersten Platz belegen und dabei den Exweltmeister Capablanca besiegen und hinter sich lassen konnte.189

Der Gewinn der ersten amerikanischen Meisterschaft 1936 legt nahe, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt amerikanischer Staatsbürger war, wobei zur damaligen Zeit die Staatsbürgerschaft eines Landes keineswegs zwingend notwendig war, um teilnehmen zu können (siehe beispielsweise Aljechins Teilnahme am deutschen Kongress in Mannheim 1914). Bei diesem Turnier erzielte er 11,5 Punkte aus 15 Partien, wobei das Teilnehmerfeld sehr stark besetzt war, wie man unter anderem an den Platzierungen von Fine (dritter Platz) und Kashdan (fünfter Platz), oder auch dem mehrfachen amerikanischen Nationalspieler Horowitz (neunter Platz) erkennen kann.190

1936 nahm er am hochkarätig besetzten Turnier in Nottingham teil und konnte mit 9,5 Punkten aus 14 Partien den vierten Platz belegen. Dieses Ergebnis war allerdings sehr beachtenswert, vor allem, wenn man die Teilnehmer der Endtabelle betrachtet: Capablanca (erster Platz), der aufstrebende Botvinnik (zweiter Platz), Fine (dritter Platz), Euwe (fünfter Platz), Aljechin (sechster Platz), Flohr (siebter Platz), Emanuel Lasker (achter Platz), Vidmar (neunter Platz), Tartakower (zehnter Platz), Bogoljubow (elfter Platz) etc. Dieses Turnier wird als eines der bestbesetzten Turniere aller Zeiten angesehen, wobei diese Einschätzung unter anderem durch die Teilnahme dreier Exweltmeister (Capablanca, Lasker und Aljechin, der seinen Titel zwischen 1935 und 1937 abgeben musste), dem amtierenden Weltmeister Euwe sowie dem zukünftigen langjährigen Weltmeister Botvinnik untermauert wird. Reshevsky selbst konnte bei diesem Turnier mit Aljechin und Capablanca zwei der stärksten Spieler der damaligen Zeit besiegen, was ihn endgültig in den Kreis der weltbesten Spieler brachte.191

Diese Ergebnisse führten auch dazu, dass Reshevsky in die amerikanische Nationalmannschaft aufgenommen wurde. Zur Vorbereitung auf die Schacholympiade 1937 in Stockholm nahm er am internationalen Turnier in Kemeri teil, welches er mit 12 Punkten aus 17 Partien dank der besseren Feinwertung vor den punktegleichen Spielern Petrovs und Flohr gewinnen konnte. Reshevsky musste sich zwar dem wiedererstarkten Aljechin

188 Vgl. Chessbase: Mega Database, Syracuse 1934. 189 Vgl. Chessbase: Mega Database, Margate 1935. 190 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch 1st New York 1936. 191 Vgl. Chessbase: Mega Database, Nottingham 1936. 54 geschlagen geben, konnte aber unter anderem mit Siegen gegen Petrovs, Keres und Fine entscheidende Punkte sammeln.192

Reshevsky durfte die amerikanische Nationalmannschaft auf dem Spitzenbrett bei der Schacholympiade 1937 in Stockholm vertreten, wo er gemeinsam mit Fine, Kashdan, Marshall und Horowitz als Ersatzmann den Titel gewinnen konnte. Bei diesem Turnier steuerte Reshevsky 9,5 Punkte aus 16 Partien (59,5%) bei, wobei er unter anderem mit seinem Sieg gegen den polnischen Spitzenspieler Tartakower sowie den Unentschieden gegen Stahlberg, Flohr und Euwe international auf sich aufmerksam machen konnte.193

Nach diesem Triumph wurde Reshevsky immer aktiver, bis zum Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und dem damit „zusammenbrechenden“ amerikanischen Schachleben spielte er 153 Turnierpartien, den größten Teil davon bei hochkarätig besetzten Turnieren. Auffallend ist, dass er im Gegensatz zu den anderen damaligen Spitzenspielern keine Simultanvorstellungen gab bzw. keine überliefert sind. Dies ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass er beispielsweise im Gegensatz zu Aljechin kein Berufsspieler war und somit das Einkommen aus Simultanvorstellungen nicht nötig hatte.194

1938 gewann er die zweite US-Meisterschaft und errang somit seinen zweiten Titel. Sein größter Konkurrent Fine hatte mit 12,5 Punkten aus 16 Partien nur einen halben Punkt Rückstand, aber die Vormachtstellung dieser beiden Spieler im amerikanischen Schach wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Simonsen auf dem dritten Platz mit 6,5 Punkten bereits 6 (!) Punkte Rückstand auf den zweitplatzierten Fine hatte.195

Dem amerikanischen Schach machte er vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit Siegen beim internationalen Turnier in Hastings196 vor dem Briten Alexander, Keres, Fine und Flohr, durch die Teilnahme am AVRO Turnier 1938197, bei dem er mit 7 Punkten aus 14 Partien den respektablen fünften Platz belegen konnte und durch den zweiten Platz beim Einladungsturnier in Leningrad/Moscow198 hinter Flohr, aber vor den besten Spielern der Sowjetunion, alle Ehre.

192 Vgl. Chessbase: Mega Database, Kemeri 1937. 193 Vgl. http://www.olimpbase.org/1937/1937usa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 194 Vgl. Chessbase: Mega Database, Reshevsky Samuel. 195 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1938. 196 Vgl. Chessbase: Mega Database, Hastings 3738 1937. 197 Vgl. Chessbase: Mega Database, AVRO Holland 1938. 198 Vgl. Chessbase: Mega Database, Leningrad/Moscow 1939. 55

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges spielte Reshevsky nur noch bei inneramerikanischen Turnieren mit, die er allerdings sehr erfolgreich bestreiten konnte. Er konnte beispielsweise die beiden amerikanischen Meisterschaften 1940199 und 1942200 gewinnen, womit er sich zum vierten Mal in Folge die amerikanische Schachkrone aufsetzte. Zusätzlich dazu gewann er 1941 einen Wettkampf gegen seinen Teamkollegen Horowitz eindeutig mit 9,5:6,5, wobei Reshevsky keine einzige Niederlage hinnehmen musste.201

Im Vergleich zu seinen Aktivitäten vor dem Ausbruch des Weltkrieges war Reshevsky allerdings nur selten an einem Schachbrett anzutreffen, von Turnierpartien gegen andere der damals lebenden Weltklassespielern (wie beispielsweise die in Buenos Aires gestrandeten Teilnehmer der Schacholympiade von Buenos Aires 1939) ganz zu schweigen.

James Eade gibt in seinem Buch wohl den Hauptgrund dafür bekannt:

„Zwischen 1935 und 1950 nahm Reshevsky an 14 großen Turnieren teil und gewann die Hälfte davon. Nur einmal wurde er schlechter als Dritter. Diese Serie ist besonders bemerkenswert, denn er war nur Gelegenheitsspieler und hatte eine ganztägige Arbeit, die nichts mit dem Schach zu tun hatte.“202 Eade sind hier wohl Recherchefehler unterlaufen: Reshevsky nahm zwischen 1935 und 1950 an insgesamt 15 großen Turnieren teil (inklusive Margate 1935, der Schacholympiade 1937 sowie der Qualifikation für die 1945 stattgefundene Panamerican-Meisterschaft 1942 wären es sogar 18). Gewinnen konnte er acht dieser Turniere, zwischen Platz drei und Platz fünf war er insgesamt viermal platziert: Platz drei bei der Weltmeisterschaft 1948203, vierte Plätze bei den Turnieren in Nottingham204 und Semmering/Baden205, fünfter Platz beim AVRO- Turnier206. Allerdings sind diese 15 Jahre tatsächlich sehr bemerkenswert, da er sich bei vielen dieser Turniere gegen die stärksten Spieler der Welt durchsetzen musste und oft konnte. Eade ist vor allem bei der Feststellung zuzustimmen, dass Reshevskys Serie bemerkenswert war, da er kein Berufsschachspieler war, sondern diese Erfolge zusätzlich zu seiner Arbeit als Buchhalter feiern konnte.

199 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1940. 200 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1942. 201 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA m New York 1941. 202 James Eade: Schach für Dummies, Weinheim 2014, S. 216. 203 Vgl. Chessbase: Mega Database, World Championship 18th 1948. 204 Vgl. Chessbase: Mega Database, Nottingham 1936. 205 Vgl. Chessbase: Mega Database, Semmering/Baden 1937. 206 Vgl. Chessbase: Mega Database, AVRO-Holland 1938. 56

Stärkster westlicher Spieler und Herausforderer der Sowjetunion

Die beiden bedeutendsten Schachspieler, die während des Krieges in Europa geblieben waren, waren Aljechin in seinem portugiesischen Exil und Max Euwe in den Niederlanden. Vom Zweiten Weltkrieg „profitieren“ konnten hauptsächlich die südamerikanischen Staaten, die vielen Europäern nach der Schacholympiade Asyl gewährten und sie in ihre Gesellschaften aufnahmen.

Diese Schwächung der europäischen Schachlandschaft war wohl noch ein Grund dafür, dass 1948 die sogenannte „sowjetische Ära“207 beginnen konnte. Die Zeit zwischen 1948 und 1972 hatte diesen Namen bekommen, da der amtierende Schachweltmeister immer aus der Sowjetunion stammte: Botvinnik, Smyslov, Botvinnik, Tal, Botvinnik, Petrosjan208 und Spasski. Erst 1972 konnte Robert „Bobby“ Fischer den Titel von Boris Spasski erobern und (kurzzeitig) den Weltmeistertitel aus der Sowjetunion entführen.209

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und dem mysteriösen Tod Aljechins sollte der Weltmeisterschaftstitel im Rahmen eines Einladungsturnieres neu vergeben werden. Neben den drei sowjetischen Spielern Botvinnik, Smyslov und Keres sollten die drei stärksten Spieler aus „dem Rest der Welt“ teilnehmen, allerdings wurde Najdorf im Nachhinein wieder ausgeladen (siehe Kapitel „Galionsfigur für Argentinien“), weshalb nur noch Reshevsky und der Exweltmeister Euwe das Teilnehmerfeld komplettierten. Reshevsky qualifizierte sich neben seinen Erfolgen vor dem Zweiten Weltkrieg unter anderem durch seinen Sieg bei der panamerikanischen Meisterschaft 1945, als sich er mit 1,5 Punkten Vorsprung auf seinen „ewigen Kontrahenten“ Fine und 2 Punkten Vorsprung auf den Argentinier Pilnik210 den Titel

207 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 109. 208 Tigran Petrosjan (geboren im Juni 1929 in Tiflis, gestorben im August 1984 in Moskau) war Weltmeister von 1963 bis 1966. Für die sowjetische Nationalmannschaft spielte er 10 Mal, bei der Siegesserie zwischen 1958 und 1974 war er jedesmal dabei, sechsmal konnte er auf seinem Brett das beste Ergebnis aller Teilnehmer erzielen. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 43 und http://www.olimpbase.org/players/ikkqkgyh.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 209 Vgl. Ebd., S. 109. 210 Hermann Pilnik (geboren 1914 in Stuttgart, gestorben 1981 in Caracas) wanderte mit 16 Jahren gemeinsam mit seiner Familie nach Argentinien aus. Mit dem Schachsport kam er schon in Deutschland in Berührung, er gewann bereits mit 15 die Stuttgarter Schachmeisterschaft, beschloss aber erst nach einem Treffen mit Aljechin während der Olympiade 1939 in Buenos Aires Berufsspieler zu werden. Wann genau er die argentinische Staatsbürgerschaft annahm ist nicht überliefert, es muss aber noch vor 1945 gewesen sein, da er in diesem Jahr bei der Pan-American-Meisterschaft für Argentinien spielberechtigt war. Pilnik gewann die argentinische Meisterschaft 1942, 1945 und 1958, an Schacholympiaden nahm er zwischen 1950 und 1958 fünfmal teil. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 195 und vgl. http://www.olimpbase.org/players/yiy0iyee.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 57 sicherte.211 Der nächste Sieg bei der amerikanischen Meisterschaft 1946212 tat sein Übriges, Reshevskys Vormachtstellung in Amerika zu unterstreichen.

Es gab von Anfang an Befürchtungen, dass die sowjetischen Spieler ihre Partien und Ergebnisse absprechen könnten. Diese Befürchtungen wurden durch die Tatsache, dass nach der „Ausladung“ Najdorfs und der Absage Fines (inklusive der Nichtnominierung eines Ersatzmannes für Fine durch den amerikanischen Schachverband, beispielsweise Kashdan, Horowitz, Denker etc.) die sowjetischen Spieler in der Überzahl waren, nicht abgeschwächt.213

Aus diesem Grund waren Reshevsky und Euwe die „einzige Hoffnung der westlichen Welt“ im beginnenden Kalten Krieg. Es wurde allerdings befürchtet, dass Euwe nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund fehlender Spielpraxis nicht mehr die nötige Klasse hätte, um mit den Sowjets mithalten zu können. Diese Befürchtungen werden von der Tatsache untermauert, dass der Mathematiklehrer zwischen seiner Niederlage gegen Aljechin 1937 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur 198 Partien bestritten hatte, wobei der allergrößte Teil (vor allem während des Krieges) aber gegen schwächere Landsleute ausgetragen wurde, da Euwe aufgrund der Nichtkooperation mit den Nationalsozialisten von den wichtigsten Turnieren ausgeschlossen wurde.214 Auch nach dem Krieg konnte er nur noch selten an seine alte Form anknüpfen: Während er beim Staunton Memorial 1946 noch den zweiten Platz hinter Botvinnik belegen konnte und unter anderem Smyslow, Najdorf, Flohr und Boleslavski hinter sich lassen konnte215, musste er bei den anderen großen Turnieren, an denen er teilnahm, anderen Spielern den Vortritt lassen und konnte sich nicht mehr unter den besten drei platzieren. Beispielsweise in Buenos Aires216, Mar del Plata217, New York218 und Venice219 musste er erkennen, dass vor allem Najdorf, aber auch Eliskases, Pilnik, und Fine ihn regelmäßig besiegen und übertrumpfen konnten.

Aus diesem Grund galt Reshevsky als größte Hoffnung des Westblocks, den Weltmeistertitel nicht in den Ostblock abgeben zu müssen. Den Stellenwert, den Reshevsky sowohl bei den Organisatoren des zweigeteilten Turnieres (eine Hälfte wurde in Den Haag gespielt, die

211 Vgl. Chessbase: Mega Database, Pan American 1945. 212 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1946. 213 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 115f. 214 Vgl. Chessbase: Mega Database, Euwe Max. 215 Vgl. Chessbase: Mega Database, Staunton Memorial 1946. 216 Vgl. Chessbase: Mega Database, Buenos Aires/La Plata 1947. 217 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mar del Plata 1947. 218 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York 1948. 219 Vgl. Chessbase, Mega Database, Venice 1948. 58 andere in Moskau), als auch bei seinen Kontrahenten genoss, veranschaulicht folgende Situation:

„Die Veranstalter der Moskauer Hälfte des Weltmeisterturniers wollten begreiflicherweise jeden Anlaß zu einer begründeten Beschwerde ihres amerikanischen Gastes vermeiden. Sie waren doch sogar so unglaublich zuvorkommend gewesen, daß sie Reshevsky die telephonische Verbindung mit Boston (USA) herstellten, damit er die ersten Laute aus dem Munde seines soeben geborenen Söhnchens hören konnte.“220 Diese Rücksichtnahme resultierte wohl auch daraus, dass die sowjetischen Organisatoren und Spieler nicht riskieren wollten, dass Reshevsky abspringen würde, der Weltmeistertitel somit mehr oder weniger nur zwischen sowjetischen Spielern ausgespielt würde und damit dem Rest der Welt Kritik möglich gewesen wäre. Vorangegangen war dieser Situation die „Problematik“, dass Reshevsky gläubiger Jude war und sich deshalb weigerte, eine abgebrochene Hängepartie am nächsten Tag fortzusetzen, sofern dieser Tag auf den Sabbat fiele.221

Im Endeffekt konnten sich die Sowjets durch Botvinnik mit 14 Punkten aus 20 Partien eindeutig durchsetzen, der drei Punkten Vorsprung auf seinen Landsmann Smyslov heruasspielte. Reshevsky konnte sich mit 10,5 Punkten dank der besseren Feinwertung den dritten Platz vor dem dritten sowjetischen Teilnehmer Keres durchsetzen, während der ehemalige Weltmeister Euwe mit 4 Punkten aus 20 Partien abgeschlagen den letzten Platz belegte.222

Im Anschluss an dieses Turnier verkündete Reshevsky seinen Rückzug vom aktiven Turnierschach223, allerdings gab er etwa zwei Jahre später bei der Schacholympiade in Dubrovnik sein Comeback. Bei diesem Turnier belegten die Vereinigten Staaten von Amerika knapp hinter der BRD den vierten Platz, während die Mannschaften aus Jugoslawien und Argentinien mit relativ großem Vorsprung die beiden ersten Plätze belegten.224 Bei den Amerikanern war Reshevsky der wohl wichtigste Spieler der ganzen Mannschaft: Mit 8,5 Punkten aus elf Partien (77,3%) am Spitzenbrett war er zwar prozentuell schwächer als der zweite Ersatzmann Evans225, der 9 Punkte aus zehn Partien (90%) erringen konnte,

220 Milan Vidmar, Goldene Schachzeiten: Erinnerungen, Berlin 1974, S. 128. 221 Vgl. Ebd., S. 128f. 222 Vgl. Chessbase: Mega Database, World Championship 18th 1948. 223 Vgl. http://www.nytimes.com/1992/04/07/nyregion/samuel-reshevsky-is-dead-chess-grandmaster-was- 80.html?pagewanted=all [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 224 Vgl. http://www.olimpbase.org/1950/1950fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 225 Larry Evans (geboren am 22. März 1932 in Manhattan, gestorben am 15. November 2010 in Reno) wurde anfänglich bekannt, als er drei Jahre nacheinander die Klubmeisterschaft des MCC gewinnen konnte. Bis zum Erscheinen von Robert „Bobby“ Fischer konnte er sich sowohl national als auch international einen Namen machen, als er beispielsweise US-Champion wurde und zu den Vergleichskämpfen zwischen den USA und der 59

Reshevskys Leistung muss allerdings um einiges höher eingeschätzt werden: Vor allem die Siege gegen den Jugoslawen Gligoric und den nun für Frankreich spielenden gebürtigen Polen Tartakower und die Tatsache, dass Reshevsky bei der gesamten Olympiade ungeschlagen blieb, zeigten, dass Reshevsky nach wie vor einer der stärksten Spieler der Welt war.226

Nach der Olympiade nahm er am international stark besetzten Turnier in Amsterdam teil, bei dem bis auf die sowjetischen Spieler und einigen wenigen anderen Ausnahmen wie beispielsweise Fine und Eliskases die stärksten Spieler der westlichen Welt anwesend waren. Reshevsky belegte hinter Najdorf den zweiten Platz, was gleichzeitig mehr oder weniger eine „Herausforderung“ an den Argentinier um die Vormachtstellung der westlichen Welt darstellte.227

Nach Reshevskys Sieg vor dem zweitplatzierten Najdorf beim Wertheim Memorial228 im folgenden Jahr vereinbarten die beiden Spieler einen Wettkampf, der 1952 stattfinden sollte. Bei diesem Wettkampf wurden 18 Partien gespielt, das Ergebnis von 11:7 zugunsten von Reshevsky führte dazu, dass er von da an als „Champion der freien Welt“229 angesehen wurde.

1952 gewann Reshevsky das hochkarätig besetzte Turnier in Havanna vor Najdorf, Gligoric und Eliskases230, im Anschluss daran entschied er als Vorbereitung für die Schacholympiade in Helsinki einen Wettkampf auf 10 Partien gegen Gligoric mit 5,5:4,5 für sich.231

Bei ebendieser Olympiade nahm die Sowjetunion erstmals teil und gewann diese auch direkt. Die USA lagen mit 4 Punkten Rückstand auf dem fünften Platz232, Reshevsky war mit 9,5 Punkten aus 13 Partien (73,1%) am ersten Brett der stärkste Spieler seiner Mannschaft. Er musste sich nur dem Schweden Stahlberg geschlagen geben, während er gegen den Argentinier Najdorf einen wichtigen Sieg erringen konnte und mit den beiden Unentschieden

UdSSR eingeladen wurde, wobei er 1954 sogar Mark Taimanov mit 2,5:1,5 besiegen konnte. Zwischen 1950 und 1976 nahm er an acht Schacholympiaden teil, bei denen er vor allem 1950, 1958 und 1976 gute bis sehr gute Ergebnisse erzielen konnte. Vgl. http://www.nytimes.com/2010/11/18/us/18evans.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018], http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/829312 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/a408ye8j.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 226 Ebd. 227 Vgl. Chessbase: Mega Database, Amsterdam 1950. 228 Vgl. Chessbase: Mega Database, Wertheim Memorial 1951. 229 http://www.nytimes.com/1992/04/07/nyregion/samuel-reshevsky-is-dead-chess-grandmaster-was- 80.html?pagewanted=all [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 230 Vgl. Chessbase: Mega Database, Havanna 1952. 231 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York m 1952. 232 http://www.olimpbase.org/1952/1952fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 60 gegen den Sowjet Keres und den Jugoslawen Gligoric ebenfalls gute Ergebnisse gegen die direkten Konkurrenten erzielte.233

1953 bestätigte Reshevsky seine Vormachtstellung in der westlichen Welt einerseits durch seinen Wettkampfsieg gegen Najdorf (9,5:8,9 aus 18 Partien)234 und andererseits durch sein Ergebnis beim Kandidatenturnier in Zürich, für das er als Teilnehmer des Weltmeisterschaftsturniers 1948 vorqualifiziert war. Bei diesem Turnier belegte Reshevksy mit 16 Punkten aus 28 Partien den dritten Platz hinter den beiden Sowjets Smyslov (18 Punkte) und Bronstein (16 Punkte, dank der besseren Feinwertung allerdings vor Reshevsky). Der zweitbeste nichtsowjetische Spieler war Najdorf, der hinter Keres und Petrosjan den sechsten Platz belegte, aber bereits 3,5 Punkte Rückstand auf Smyslov aufwies.235

1954 wurde Reshevsky die große Ehre zuteil, die USA im Vergleichskampf zwischen den USA und der Sowjetunion zu vertreten. Reshevsky war als Spitzenspieler gegen den sowjetischen Weltmeisterschaftsherausforderer Smyslov eingeteilt, der in Abwesenheit des amtierenden Weltmeisters Botvinnik als stärkster Spieler des Vergleichskampfs galt. Das Duell der beiden Spieler endete nach vier Unentschieden mit 2:2, für Reshevsky ein durchaus gutes Ergebnis, obwohl er die 20:12 Niederlage des amerikanischen Teams nicht verhindern konnte.236

Diese Leistung führte dazu, dass Reshevsky für den Revanchekampf im Folgejahr in Moskau wiederum für das Spitzenbrett nominiert wurde, diesmal jedoch gegen den Weltmeister Botvinnik antreten musste. Reshevsky konnte die erste Partie gewinnen und im Anschluss daran drei Unentschieden erzielen – was dazu führte, dass er den amtierenden Weltmeister mit 2,5:1,5 Punkten schlug237. Dieser Sieg blieb nicht unbemerkt, die New York Times schreibt, dass Reshevsky auch in der Sowjetunion endgültig zu einer berühmten Persönlichkeit wurde und sogar Nikita Chrustschov vorgestellt wurde.238

233 http://www.olimpbase.org/1952/1952usa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2017]. 234 Vgl. Chessbase: Mega Database, Buenos Aires m 1953. 235 Vgl. Chessbase: Mega Database, 1953. 236 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-URS New York 1954. 237 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-URS Moskau 1955. 238 Vgl. http://www.nytimes.com/1992/04/07/nyregion/samuel-reshevsky-is-dead-chess-grandmaster-was- 80.html?pagewanted=all [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 61

Der neue Rivale: Robert „Bobby“ Fischer

Nach seinem Sieg über Botvinnik war Reshevsky wieder vor allem bei nationalen Turnieren vertreten, bei denen er immer stärkere Konkurrenz von den jüngeren amerikanischen Spielern bekam. Dies zeigt beispielsweise das Ergebnis eines New Yorker Turnieres, bei dem Reshevsky den jüngeren Arthur Bisguier239 und Evans Larry den Vortritt lassen musste.

Um seine Vormachtstellung aber dennoch unter Beweis zu stellen, spielte Reshevsky 1957 gegen Bisguier einen Wettkampf auf zehn Partien, den er mit 6:4 gewinnen konnte.240 Zusätzlich dazu spielte er gegen Donald Byrne einen Wettkampf auf zehn Partien, den er mit 7:3 für sich entscheiden konnte.241

Bei der amerikanischen Meisterschaft im selben Jahr musste er erstmals Robert „Bobby“ Fischer als Turniersieger anerkennen, während er selbst den zweiten Platz belegte.242 Seit diesem Turnier musste Reshevsky seinem Konkurrenten bei fast jedem Turnier, bei dem sie gemeinsam spielten, den Vortritt lassen. Vor allem bei nationalen Meisterschaften wurde Fischers Vorherrschaft deutlich: In den Jahren 1957, 1958, 1960, 1962, 1963, 1965 und 1966 nahmen beiden an der Meisterschaft teil, in allen diesen sieben Jahren gewann Fischer, was verdeutlich, dass sich Reshevskys Zeit als bester Spieler der USA ab ca. den 1960er Jahren dem Ende zuneigte.243

Zwischen 1957 und 1960 gewann Fischer nicht nur einige internationale Turniere und vier amerikanische Meisterschaften in Folge, sondern untermauerte seinen Anspruch auf den besten Spieler seines Landes auch durch folgende Tatsachen:

„Mit dem Gewinn der amerikanischen Meisterschaft zum vierten Mal in Folge (im Jahr 1960 [sic!]) hat Bobby Fischer, ein 17jähriger internationaler Großmeister, einen dauerhaften Eindruck in der amerikanischen Schachgeschichte hinterlassen und sowohl bewiesen, dass er der stärkste Spieler ist, den sein Land je hervorgebracht hat und dass er einer der stärksten

239 Arthur Bisguier (geboren am 8. Oktober 1929 in New York, gestorben am 5. April 2017 in Framingham) erlernte das Schachspielen im Alter von sieben Jahren beim Zuschauen, wenn seine Verwandten spielten. Er gewann mehrere nationale Jugendturniere und nationale Open (beispielsweise das US Open gewann er seit 1950 fünfmal), bis er schließlich 1954 zum ersten Mal US-Amerikanischer Champion wurde. Anschließend beerbte er den nicht anwesenden Reshevsky bei der Panamerikameisterschaft, wurde aber dann vom aufstrebenden Robert „Bobby“ Fischer in den Schatten gedrängt. Bisguier nahm zwischen 1952 und 1972 an fünf Schacholympiaden teil, bis auf das Jahr 1960 allerdings nur mit mäßigen Erfolg. Vgl. http://www.chessgames.com/player/arthur_bisguier.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018], https://en.chessbase.com/post/us-chess-legend-arthur-bisguier-passes-at-87 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/yy4cukgo.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 240 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York m2 1957. 241 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York m1 1957. 242 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1957. 243 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch. 62

Spieler der Welt ist. Fischer hat in keinem amerikanischen Turnier seit 1957 mehr eine Partie verloren.“244 Es gab allerdings ein Problem mit dieser Einschätzung: „Reshevsky war nicht damit einverstanden, viele seiner Anhänger auch nicht.“245 Verkompliziert wurde die Situation auch dadurch, dass Fischer selbst solchen Meinungen nie entgegentrat, während Reshevsky nach jedem Turnier immer weniger Legitimation hatte, sich selbst als stärkster Spieler des Landes bezeichnen zu können.

Die Beziehung zwischen den beiden Spielern war auch zwischenmenschlich kompliziert, was aber auch Fischers Charakter geschuldet war. Die folgende Situation zeigt die Meinung Reshevskys Fischer gegenüber recht deutlich: „Vor dem Turnier in Buenos Aires 1960 sagte Reshevsky Berichten zufolge: ‘Ich würde mich auf Platz 19 (von 20 Plätzen [sic!]) setzen – wenn Fischer zwanzigster wird.“246

1961 wurde dann erstmals ein Wettkampf zwischen Fischer und Reshevsky vereinbart, der klären sollte, wer der stärkere Spieler sei. Insgesamt sollten 16 Partien gespielt werden, allerdings wurde der Wettkampf nach 11 Runden beim Stand von 5,5:5,5 abgebrochen – da Fischer sich weigerte, weiterzuspielen. Laut New York Times hatten allerdings beide Spieler die Eigenheiten bzw. Marotten des jeweiligen Gegenübers nicht mehr ausgehalten, weshalb Fischer die Gelegenheit zum Abbruch aus Protest annahm und den Wettkampf nach einem Streit abbrach. Zum Sieger des Wettkampfes wurde Reshevsky erklärt, da Fischers Weigerung zur Fortsetzung offiziell als Aufgabe gewertet wurde. Zur Entspannung der Lage führte dieses Ende allerdings nicht, da die beiden Lager aufgrund des ausgeglichenen Endresultates weiterhin auf ihrer Sichtweise beharren konnten und dies auch taten.247

Es dürfte aber wohl nicht nur an der Konkurrenzsituation gelegen haben, dass Reshevsky seinem jüngeren Landsmann gegenüber so eingestellt war. Es soll nun an einigen Beispielen Fischers „wandelbarer“ Charakter dargestellt werden.

Der erwähnte Streit, der zum Abbruch des Wettkampfes 1961 geführt hatte, hatte einen religiösen Hintergrund. Da Reshevsky als strenggläubiger Jude am Sabbat nicht spielen durfte, wurde die zwölfte Partie vom Samstag auf Sonntag um 13:30 verlegt, allerdings

244 Frank Brady: Endgame: Bobby Fischer’s Remarkable Rise and Fall – from America’s Brightest Prodigy to the Edge of Madness, Hachette 2011, o.S., Kapitel 7 (Einstein’s Theory). 245 Ebd. 246 https://en.chessbase.com/post/samuel-reshevsky-would-have-turned-100-today [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 247 http://www.nytimes.com/1992/04/07/nyregion/samuel-reshevsky-is-dead-chess-grandmaster-was- 80.html?pagewanted=all [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 63 aufgrund des Wunsches der Frau des Veranstalters auf 11:00 vorverlegt. Fischer war wohl weder mit der Verlegung, noch mit der Uhrzeit einverstanden, weshalb er aus Protest weder zur zwölften, noch zur dreizehnten Partie erschien.248

Dieser Vorfall fand auch in der Öffentlichkeit Beachtung und wird wohl durchaus auch Einfluss auf Fischers späteres Leben gehabt haben, wie beispielsweise auch von einem der stärksten Schachspieler aller Zeiten festgehalten wurde: „Kasparow vermutet diesen Vorfall als Ausgangspunkt für Fischers späteren Antisemitismus.“249

1964 wurde er in einem Interview gefragt, wer seiner Meinung nach die zehn besten Spieler aller Zeiten seien, die Antwort zeigt auf, dass er Reshevsky bzw. dessen Leistungen durchaus respektierte:

„[…] Paul Morphy, Howard Staunton, Wilhelm Steinitz, , Mikhail Tchigorin (deutsche Schreibweise: Tschigorin [sic!]), Alexander Alekhine, Jose Capablanca, Boris Spasski, Mikail Tal und Samuel Reshevsky. Bemerkenswert, dass Fischer (Emanuel [sic!]) Lasker, Rubinstein und Petrosjan, den amtierenden Weltmeister zu diesem Zeitpunkt, zugunsten von Reshevsky ausgelassen hatte.“250 Dass er Reshevsky einen Platz in dieser Liste einräumte zeigt, dass er zumindest Reshevskys Leistungen auf dem Schachbrett respektierte. Inwiefern sich Fischers späterer Antisemitismus 1964 bereits manifestiert hatte, ist nur schwer zu sagen, allerdings dürfte sich seine Meinung über den strenggläubigen Juden Reshevsky aus religiösen Gründen immer weiter ins Negative gewandelt haben, je älter Fischer wurde.

Zwischen dem direkten Wettkampf 1961 und der Begegnung beim Interzonenturnier 1967 in Sousse trafen die beiden nur sechsmal aufeinander: viermal im Rahmen einer amerikanischen Meisterschaft und zweimal im Piatigorski-Cup251. Diese Begegnungen waren alle recht einseitig, Fischer setzte sich mit 4,5:1,5 durch und musste sich nur bei der amerikanischen Meisterschaft 1965 geschlagen geben. 1967 kam es dann wieder zu einem Eklat zwischen den

248 Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 174. 249 Ebd. 250 https://en.chessbase.com/post/samuel-reshevsky-would-have-turned-100-today [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 251 Der Piatigorski-Cup wurde nach dem Sponsor und Organisator Gregor Piatigorski, einem bekannten Cellisten, benannt. Die Initiative ging von dessen Frau Jaqueline aus, die selbst schachspielerisch aktiv war und die besten Spieler der Welt bei einem Turnier in Amerika versammeln wollte. Dass dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt war, zeigen die Endtabellen: während beim ersten Cup 1963 in Los Angeles Petrosjan vor Keres und Najdorf siegte, gewann beim zweiten Turnier 1966 in Santa Monica Spasski knappt vor Fischer, während mit auf dem dritten Platz ebenfalls einer der damals stärksten Spieler der Welt auf dem Podest landete. Vgl. Terry King: Gregor Piatigorski: The Life and Career of the Virtuoso Cellist, Jefferson (North Carolina) 2010, S. 258 und Chessbase: Mega Database: Turniere: Piatigorsky-Cup. 64 beiden Spielern, der das ohnehin schon angespannte Verhältnis der beiden weiter verschlechterte:

„Beim Interzonenturnier in Sousse kam Fischer 53 Minuten zu spät (7 Minuten bevor die Partie als kampfloser Sieg für Reshevsky gewertet worden wäre) zu seiner Partie gegen Reshevsky und spielte die Eröffnung ohne ein einziges entschuldigendes Wort. Reshevsky, der davon überzeugt war, dass Fischer das Turnier abgebrochen hatte, verlor die Partie und regte sich furchtbar bei den Organisatoren auf.“252 Gemäß den Regeln war Fischers Verhalten zwar in Ordnung und für keine Sanktionierung vorgesehen, extrem unsportlich war es allerdings auf jeden Fall. Da er sich nicht einmal entschuldigte, könnte man davon ausgehen, dass er dies geplant hatte. Da Fischer wusste, dass Reshevsky Planung und Organisation sehr schätzte, könnte er damit spekuliert haben, durch dieses Verhalten seinen Gegner zu provozieren und anschließend durch diese Provokation entstandene Schwächen während der Partie auszunutzen. Inwiefern Fischer solche Psychospielchen nötig hatte ist angesichts der Resultate der letzten Partien zu hinterfragen, konnte er sich doch durchaus eindeutig gegen seinen älteren Landsmann durchsetzen und langsam aber sicher in den 1960er Jahren zur unumstrittenen Nummer eins in den USA aufsteigen.

Stark im Schatten Fischers und Vermächtnis

Obwohl Reshevsky den Status Fischers als bester Spieler der USA spätestens zu Beginn der 1960er Jahre langsam akzeptieren musste, war er dennoch nach wie vor einer der besten Spieler der Welt.

1964 war nahm er am Interzonenturnier in Amsterdam teil und belegte mit 14,5 Punkten aus 23 Partien den achten Platz. Damit war er immer noch der zweitbeste Spieler „der freien Welt“, einzig der Däne Bent Larsen253 war eindeutig besser als Reshevsky platziert und

252 https://en.chessbase.com/post/samuel-reshevsky-would-have-turned-100-today [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 253 Bent Larsen (geboren am 4. März 1935 in Tilsted (DEN), gestorben am 9. September 2010 in Buenos Aires) absolvierte ein Studium als Bauingenieur, entschied sich aber 1954 für eine Laufbahn als Berufsschachspieler. Spätestens seit dem mit Smyslov geteilten Sieg beim Interzonenturnier in Amsterdam zählte er zur Weltspitze, gegen Ende der 1960er Jahre galt er nach einer Reihe von Siegen bei stark besetzten Turnieren gemeinsam mit Fischer als stärkster Spieler des Westens. Larsen nahm für Dänemark zwischen 1954 und 1970 an sechs Schacholympiaden teil, wo er mit sehr guten Ergebnissen regelmäßig den Großteil der Punkte der dänischen Mannschaft erzielte. Für eine Spitzenplatzierung reichte es für Dänemark jedoch nie, was allerdings dem Fehlen anderer hochkarätiger Spieler vom Format Larsens geschuldet war. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 150f., http://www.chessgames.com/player/bent_larsen.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/2oiguimc.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 65 musste sich dem Sieger Smyslov nur sehr knapp aufgrund der schlechteren Feinwertung geschlagen geben.254

Wohl auch aus diesem Grund wurde Reshevsky für die Schacholympiade in für das erste Brett nominiert, was dazu führte, dass Fischer nicht spielen wollte. Dieses Verhalten von Fischer war allerdings auch von Reshevsky bereits praktiziert worden, der sich seinerseits weigerte, bei den Schacholympiaden 1960, 1962 und anschließend auch 1966 für die USA auf dem zweiten Brett hinter seinem Rivalen anzutreten.255

Gegen Ende der 1960er Jahre schien sich bei Reshevsky doch allmählich das Alter bemerkbar zu machen, er spielte zwar nach wie vor viele Turniere auf höchstem Niveau, konnte diese aber immer seltener für sich entscheiden.256 Nachdem er beim Interzonenturnier 1967 den sechsten Platz erreichte, qualifizierte er sich noch einmal für ein Kandidatenturnier, wo er sich im Viertelfinale allerdings Viktor Kortschnoi257 mit einem Endstand von 5,5:2,5 deutlich geschlagen geben musste.258

Seine schachliche Größe stellte Reshevsky auf internationaler Ebene sowohl bei der Olympiade 1968 in Lugnano, als auch 1970 in Siegen und 1974 in Nizza unter Beweis, während er 1969 noch zwei Erfolge beim Turnierschach feiern konnte.

Während sich das Team der USA mit Reshevsky am Spitzenbrett 1968 im Kampf um die Plätze zwei und drei knapp Jugoslawien (1,5 Punkte Rückstand) und Bulgarien (0,5 Punkte Rückstand) geschlagen geben musste, musste Reshevsky nur Niederlagen gegen den Dänen

254 Vgl. Chessbase: Mega Database: Amsterdam Interzonal 1964. 255Vgl. https://en.chessbase.com/post/samuel-reshevsky-would-have-turned-100-today [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/mgmygkuo.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 256 Vgl. Chessbase: Mega Database: Reshevsky Samuel. 257 Viktor Kortschnoi (geboren am 23. März 1931 in Leningrad, gestorben am 6. Juni 2016 in Wohlen (CH)) war gebürtiger Russe, der seit dem fünften Platz beim 1962 stattfindenden Kandidatenturnier zur absoluten Weltspitze zählte. Von Kortschnoi sind über 5000 Partien überliefert, wobei er den Großteil bei den stärksten Turnieren der Welt betritt. Die Zahl der Partien zeigt seine unglaubliche Aktivität, dies wird vor allem dann deutlich, wenn man sie mit der Anzahl seiner Konkurrenten vergleicht, beispielsweise: von Bobby Fischer sind „nur“ 2780 Partien überliefert, von Kortschnois anderem großen Konkurrenten Anatoli Karpow sind es 3875. Kortschnoi gilt bis heute als stärkster Turnierschachspieler und als bester Spieler, der den Weltmeistertitel nicht erreichen konnte. Auf schachlicher Ebene bleibt Kortschnoi vor allem wegen der beiden (verlorenen) Weltmeisterschaftskämpfe gegen Karpov 1978 (14,5:15,5) und 1981 (7:9) in Erinnerung. Die Duelle mit dem Sowjet Karpov hatten auch eine politische Brisanz, da Kortschnoi 1976 in die Schweiz flüchtete bzw. emigrierte. Dies zeigt auch seine Aktivität bei Schacholympiaden: zwischen 1960 und 2008 nahm er an insgesamt 17 Olympiaden teil, die ersten sechs noch unter sowjetischer Flagge und ab 1978 dann elfmal als Schweizer. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 144f., http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/793196 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018], http://www.olimpbase.org/players/c6ak4qqi.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und Chessbase: Mega Datase: Kortschnoj Viktor. 258 Chessbase: Mega Database, Candidates qf1 1968. 66

Larsen und den Sowjet Petrosjan hinnehmen, während er mit einem Sieg über Najdorf zumindest die Argentinier auf Abstand hielt. Eine Reihe von Unentschieden gegen die übrigen Nationen (unter anderem gegen den aufstrebenden Westdeutschen Unzicker259, den Ungarn Portisch, den Jugoslawen Gligoric und den Ostdeutschen Uhlmann) zeigten, dass er durchaus noch mit der teilweise erheblich jüngeren Konkurrenz an der Spitze der Welt mithalten konnte.260

1969 fand im israelischen Netanya ein Turnier statt bei dem neben den amerikanischen Spitzenspielern (mit Ausnahme Fischers) auch der erste kanadische Großmeister Daniel Yanofsky261 und einige der stärksten israelischen Spieler eingeladen waren. Bei diesem international besetzten Turnier setzte sich Reshevsky ungeschlagen und mit zwei Punkten Vorsprung auf den zweitplatzierten Benko durch.262

Im selben Jahr gewann Reshevsky in Abwesenheit von Fischer im Alter von 58 Jahren zum letzten Mal die amerikanische Meisterschaft, wo er sich ungeschlagen und mit einem halben Punkt Vorsprung auf Addison und Benko durchsetzen konnte. Die Meisterschaft war durchaus stark besetzt, wie beispielsweise die Platzierungen von Byrne (fünfter Platz), Evans (siebter Platz) und Bisguier (neunter Platz) zeigen.263

1970 gab es eine Premiere, die sich allerdings nicht mehr wiederholen sollte: am Spitzenbrett erzielte Robert „Bobby“ Fischer 10 Punkte aus 13 Partien (76,9%), während Reshevsky am zweiten Brett 8,5 Punkte aus 13 Partien beisteuerte (65,4%). Während Fischer sein Talent mit

259 Wolfgang Unzicker (geboren 1925 in Pirmasens, gestorben 2006 in Albufeira) war einer der stärksten deutschen Schachspieler der Nachkriegszeit. Er gewann sechsmal die (west)deutsche Meisterschaft (1948, 1950, 1952, 1953, 1959, 1963) und spielte zwischen 1950 und 1982 13mal für die BRD bei einer Schacholympiade, wo er teilweise herausragende Leistungen erbrachte. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 302f. und http://www.olimpbase.org/players/cmkmci2i.html [zuletzt eingesehen am 28.3.2018]. 260 Vgl. http://www.olimpbase.org/1968/1968fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/mgmygkuo.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 261 Daniel Abraham Yanofsky (geboren am 25. März 1925 in Brody (POL), gestorben am 5. März 2000 in Winnipeg (CAN)) war der erste kanadische Spieler, der den Titel eines Großmeisters erhielt. Er gewann die kanadische Meisterschaft insgesamt achtmal und hatte auch auf internationaler Ebene größere Erfolge. Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied er sich gegen eine Laufbahn als Berufsschachspieler und arbeitete stattdessen als Rechtsanwalt. Er nahm für Kanada zwischen 1939 und 1980 an insgesamt elf Schacholympiaden teil, hatte am Spitzenbrett gegen die teilweise um einiges stärkere Konkurrenz jedoch nur wenige Erfolgserlebnisse. Bemerkenswert ist vor allem sein Ergebnis bei der Schacholympiade 1939, bei der er als 14 (!) jähriger der jüngste aller Spieler war, jedoch mit 13,5 Punkten aus 16 Partien am zweiten Brett starke 84,4% aller möglichen Punkte erzielen konnte. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 317, https://www.britannica.com/biography/Daniel-Abraham-Yanofsky [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/1f1dnlvo.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 262 Vgl. Chessbase: Mega Database, Netanya 1969. 263 Vgl. Chessbase: Mega Database, USA-ch New York 1969. 67 starken Ergebnissen untermauerte, spielte Reshevsky nur noch ein solides Turnier, was aus der Niederlage gegen den Westdeutschen Schmid, dem Sieg über den Ungar Lengyel und einer Reihe von Unentschieden, unter anderem gegen den Argentinier Panno264, den Sowjet Petrosjan, den Jugoslawen Ivkov und den Tschechoslowaken Filip hervorgeht.265 Bei dieser Olympiade belegten die Amerikaner wiederum den vierten Platz, diesmal aber deutlicher hinter den Ungarn (2 Punkte Rückstand) und den Jugoslawen (1,5 Punkte Rückstand), während die sich die UdSSR 3 Punkte Vorsprung auf die Amerikaner herausspielen konnte.266

Im selben Jahr gab es für Reshevsky noch einmal eine besondere Ehre, da er beim Wettkampf der UdSSR gegen den Rest der Welt für das neunte von zehn Brettern nominiert wurde. Gemeinsam mit dem ebenfalls in die Jahre gekommenen Miguel Najdorf und dem ebenfalls aufgestellten Bobby Fischer war der 59jährige einer der drei aufgestellten Spieler aus dem nord- bzw. südamerikanischen Raum. Reshevsky spielte allerdings nur drei der vier vorgesehenen Spiele gegen Smyslov, die zu einem 1,5:1,5 Unentschieden führten. Die vierte Partie gegen Smyslov bestritt Friedrik Olafsson, der aber eine Niederlage hinnehmen musste.267

1974 spielte Reshevsky zum letzten Mal bei einer Schacholympiade mit. Bei diesem Turnier war er nur noch am vierten Brett aufgestellt, erzielte aber dennoch 7 Punkte aus elf Partien (63,6%) und leistete damit einen guten Anteil am dritten Endrang der USA, die sich hinter der übermächtigen Sowjetunion (8,5 Punkte Vorsprung auf die Jugoslawen) und Jugoslawien (1 Punkt Vorsprung auf die USA) einreihten.268

Während der folgenden Jahre musste Reshevsky seinem Alter aber immer mehr Tribut zollen, obwohl er nach wie vor gelegentliche Erfolgserlebnisse vorweisen konnte. Beispielweise beim stark besetzten Turnier in Reykjavik 1984 konnte der 73jährige Reshevsky aufgrund der

264 (geboren im März 1935 in Buenos Aires) ist hauptberuflich Ingenieur, war aber vor allem in jüngeren Jahren einer der besten Spieler Argentiniens, bis er seine Aktivität aufgrund seines Berufes einzustellen begann. Panno wurde 1953 Jugendweltmeister und argentinischer Landesmeister. 1954 gewann er das südamerikanische Zonenturnier und qualifizierte sich für das Interzonenturnier 1955 in Gothenburg. Dort belegte er den dritten Rang und qualifizierte sich somit für das Kandidatenturnier, bei dem er allerdings nur den vorletzten Platz belegen konnte. Panno spielte zwischen 1954 und 1992 elfmal für die argentinische Nationalmannschaft, beim zweiten Platz 1954 war er als Ersatz für Eliskases aufgestellt worden. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 187 und http://www.olimpbase.org/players/82yekggc.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 265 Vgl. http://www.olimpbase.org/1970/1970usa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 266 http://www.olimpbase.org/1970/1970fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 267 Vgl. Chessbase: Mega Database, URS-World Belgrade 1970. 268 Vgl. http://www.olimpbase.org/1974/1974fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/1974/1974usa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 68 schlechteren Feinwertung den zweiten Platz belegen und musste nur dem Isländer Johann Hjartarson den Vortritt lassen.269

Sein letztes Turnier spielte Reshevsky im Alter von 80 Jahren bei einem Veteranenturnier in Moskau, wo er den für dieses Alter beachtlichen sechsten Platz belegte. Er musste sich bei diesem Turnier nur dem zweitplatzierten Vasiukov geschlagen geben, besiegte aber den Exweltmeister Smyslov noch ein letztes Mal.270

Am 26. November 1992 starb Reshevsky in New York. Neben vielen starken Schachpartien und einigen theoretischen Neuerungen bleibt Reshevsky vor allem als Wunderkind in Erinnerung, welches nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit Najdorf der sowjetischen Übermacht die Stirn bieten konnte. Außerdem war Reshevsky mehrere Jahrzehnte lang der unbestritten stärkste Spieler der USA, bis ihm schließlich Fischer langsam aber sicher den Rang ablaufen konnte.

269 Vgl. Chessbase: Mega Database, Reykjavik op 1984. 270 Vgl. Chessbase: Mega Database, Moscow Veterans 1991. 69

Ludwig Engels

Aufstieg in die nationale Elite

Geboren am 11. Dezember 1905 in Düsseldorf trat Engels mit 17 Jahren dem Düsseldorfer Schachverein bei. Dieser Verein wurde bereits 1856 gegründet und hatte aufgrund dieser langen Tradition auch potente Geldgeber, was vor allem nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg einen relativ raschen Neustart ermöglichte und für die junge Generation relativ gute Voraussetzungen bot. Dies drückte sich unter anderem dadurch aus, dass der Verein in der Lage war, bereits am 12.Oktober 1919 Emanuel Lasker zu einer Simultanvorstellung einladen konnte.

Wie genau Engels den Weg zum Schachspiel und in den Schachklub fand, ist bis heute nicht nachweisbar. In einem mit Alberto Witte geführten Interview im Jahr 1947 gibt Engels nur zu Protokoll, während seiner Schulzeit mit dem Spiel in Berührung gekommen zu sein, 1922 auf der Suche nach neuen Gegnern dem städtischen Verein beigetreten zu sein und 1923 erstmals die Klubmeisterschaft des Düsseldorfer Schachvereins gewonnen zu haben.271

Zwischen 1923 und 1930 machte sich Engels einen Namen im Rheinland, unter anderem durch den mit Gerhard Weißberger geteilten Sieg im Frankfurter Hauptturnier A, einem überregional bekannten Turnier. Zwischen 1930 und 1933 konnte Engels seinen Aufstieg nicht fortsetzen, bei den deutschen Meisterschaften 1931 konnte er nur den geteilten elften Platz belegen und musste sich in den folgenden beiden Jahren wieder mit regionalen Turnieren begnügen, wobei ihm in diesen drei Jahren wohl auch die Weltwirtschaftskrise zu schaffen machte und ihn daran hinderte, sich ausschließlich dem Schachspiel widmen zu können.

Das Training hatte er während dieser Jahre aber nicht vernachlässigt, um die Jahreswende 1933/34 gewann er die Rheinmeisterschaften, im April 1935 teilte er sich mit Ludwig Rellstab den Sieg im Zonenturnier Westdeutschlands und qualifizierte sich zum zweiten Mal für die deutschen Meisterschaften im Juli desselben Jahres. Dieses Turnier wurde laut Hebeker mit „[…] einer nie erreichten, außergewöhnlich spielstarken Besetzung“272 ausgespielt – wobei, wie Hebeker anmerkt, Ewfim Bogoljubow fehlte.273

271 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 44f. 272 Ebd., S. 98. 273 Vgl. Ebd. 70

Am Ende dieses Turniers wurde Ludwig Engels mit dem Titel „deutscher Kampfmeister“274 ausgezeichnet und war somit endgültig in der deutschen Schachelite angekommen.

Von Bad Nauheim nach Argentinien

1936 sollte anlässlich zum 100jährigen Bestehen des Schachklubs in München die Schacholympiade veranstaltet werden. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und den damit einhergehenden Drangsalierungen „nicht-arischer“ Spieler (beispielsweise Bogoljubow, der ab 1934 aufgrund seiner russischen Abstammung nicht mehr an den nationalen Meisterschaften teilnehmen durfte) bemühten sich die Nationalsozialisten, bei der FIDE ein besseres Ansehen zu erreichen und veranstalteten bis 1936 einige offene Turniere, um allen infrage kommenden Spielern eine Chance zu geben.

Eines dieser Turniere fand im August 1935 in Bad Nauheim statt. Ludwig Engels erreichte den mit Eliskases geteilten zweiten Platz hinter Bogoljubow. Vor allem aber die Tatsache, dass Engels sowohl Eliskases als auch Bogoljubow besiegen konnte275, zeigt seine Fortschritte seit 1933 und führte dazu, dass er sich nun auch in der internationalen Elite präsentieren und etablieren konnte.

Nach einigen kleineren Turnieren, die Engels erfolgreich bestreiten konnte, folgte 1936 ein hochkarätig besetztes Turnier in Dresden, das zur Vorbereitung für die Olympiade in München dienen sollte. Das Programm mit neun Partien in nur acht Tagen war wohl absichtlich so anstrengend angesetzt worden, da mit Ludwig Engels, Ludwig Rödl und Fritz Sämisch drei Spieler der deutschen Nationalmannschaft am Start waren, die auf die Wettkampfbedingungen eingestimmt werden sollten. Am Ende des Turniers erreichte Engels vor internationalen Spitzenspielern wie Maroczy, Stahlberg, Bogoljubow und Keres den zweiten Platz hinter Aljechin, der nach dem Turnier vor allem Engels Leistungen hervorhob:

„Ludwig Engels war die Entdeckung des Turniers. Er besiegte nicht nur – und zwar überzeugend – Maroczy, Keres und mich, sondern spielte auch die mit Abstand brillanteste

274 Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler wurden die Meisterschaften nicht mehr im Rahmen eines DSB-Kongresses ausgespielt, sondern ab 1933 bei den Großdeutschen Meisterschaften. Aus diesem Grund wurden die Sieger dieser Turniere nicht mehr als „Deutscher Meister“ nun mit dem neuen Titel „Deutscher Kampfmeister“ ausgezeichnet. 275 Es sollte sein einziger Sieg gegen seinen späteren Rivalen Eliskases bleiben, in 14 Partien erreichte Engels insgesamt nur 4,5 Punkte (32,14%). Auch gegen Bogoljubow konnte er im Lauf seiner späteren Karriere nicht mehr gewinnen und musste sich mit insgesamt 2 Punkte aus 8 Partien zufriedengeben (25%). Vgl. Chessbase: Mega Database: Bad Nauheim 1935 und vgl. Chessbase: Mega Database: Engels Ludwig. 71

Partie des Turniers (gegen Helling). Nach meiner Ansicht hätte er die Teilung des ersten Preises verdient gehabt.“276 Bei der vom 17. August bis 1. September 1936 in München stattfindenden (inoffiziellen277) Schacholympiade erreichte Engels gemeinsam mit der deutschen Auswahl den dritten Platz hinter Ungarn und Polen. Er erreichte am dritten Brett 10,5 Punkte aus 17 Partien, wobei er aufgrund des dichten Turnierplans offenbar in der zweiten Hälfte des Turnieres große physische Probleme bekam – er erreichte in den ersten acht Partien 6,5 Punkte, in den letzten neun Runden konnte er nur noch 4 Punkte sammeln.

Am 25. November 1936 reiste Engels für drei Monate als Trainer des isländischen Nationalteams nach Reykjavik, um die Spieler im Hinblick auf die Olympiade 1937 in Stockholm zu trainieren. Dies war einer seiner wenigen Auftritte außerhalb Deutschlands bis zu seiner Reise nach Buenos Aires 1939, da die deutsche Auswahl nicht in Stockholm mitspielte.

Das war aber auch nicht notwendig, da die Nationalsozialisten sich bemühten, möglichst viele Schachturniere innerhalb Deutschlands auszurichten. Sportliche Erfolge sollten einerseits die Bevölkerung von den anderen Plänen des Regimes ablenken und andererseits die (intellektuelle) Überlegenheit des Nationalsozialismus gegenüber anderen Systemen demonstrieren. Für Engels und die anderen „deutschen Kampfmeister“ war das zwar von Vorteil, da sie nicht mehr so große Reisestrapazen auf sich nehmen mussten, allerdings konnten diese dann nur selten bzw. überhaupt nicht gegen Weltklassespieler mit jüdischen Hintergrund oder Kritiker des Nationalsozialismus spielen.278

Ein weiterer Grund, warum „deutsche Kampfmeister“ zwischen 1937 und 1939 nicht oft außerhalb des Deutschen Reiches spielten, war, dass der großdeutsche Schachbund die Qualifikationskriterien für die deutsche Meisterschaft geändert hatte. Es wurden sogenannte Wertungsturniere eingeführt, von denen jeder, der an der nationalen Meisterschaft teilnehmen wollte, eine bestimmte Anzahl spielen (und auch gewinnen) musste. Der Plan war, dass dadurch auch die normalen Spieler „des Volkes“ gegen Spitzenspieler Erfahrungen sammeln

276 Alexander Aljechin: CHESS, Bd. 1, S: 416 in: Friedrich-Karl, Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 112. 277 Der deutsche Schachbund verließ die FIDE 1933, um „nicht-arische“ Spieler aus der Nationalmannschaft ausschließen zu können. Für die Olympiade 1936 wurde den allen Schachverbänden freigestellt, ob sie teilnehmen wollten. Insgesamt nahmen 21 Nationen teil, so viele teilnehmende Schachverbände hatten bis dahin nie mitgespielt. 278 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S.128f. 72 konnten und somit die Breite des deutschen Schachspielerpools dichter wurde, aus dem die Spieler für die Schacholympiade 1939 in Buenos Aires ausgewählt wurden.279

Buenos Aires 1939

Die Schacholympiade 1939 wurde vom 24.August 1939 bis zum 19.September 1939 zum ersten Mal außerhalb von Europa ausgetragen und vom Kriegsausbruch am 1. September 1939 überschattet. Buenos Aires stellte mit 27 teilnehmenden Nationen den Rekord von München 1936 ein, offiziell beendeten aber nur 26 Teams das Turnier. Vor allem für viele Verbände aus Südamerika bot die geographische Nähe die Möglichkeit zur Teilnahme, auch wenn sich die meisten der südamerikanischen Mannschaften nur für das B-Finale qualifizieren konnten.280 Von den zehn am Turnier teilnehmenden Mannschaften war nur Argentinien bereits seit 1927 viermal vertreten.281 Auf Anhieb in das A-Finale schafften es auch Chile, Brasilien und Kuba (mit dem ehemaligen Weltmeister Capablanca, der 11,5 Punkte und somit über die Hälfte der Punkte der ganzen Mannschaft erzielte).282 Das B-Finale wurde von Uruguay, Ecuador, Guatemala, Peru, Bolivien und Paraguay zum ersten Mal beschickt.283

Aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges, der durch den Überfall auf Polen am 1. September 1939 begann, gab es Verstimmungen und Probleme, die dazu führten, dass einige Begegnungen aufgrund politischer Differenzen nicht ausgetragen, sondern mit 2:2 gewertet wurden.

Der Meinung einiger Spieler nach dem Ende des Turnieres war, dass das Turnier aufgrund dieser Probleme (Ausstieg Englands, nicht ausgetragene Begegnungen etc.) komplett entwertet worden war und Deutschland den Sieg nicht verdient hätte. Hebeker widerspricht diesen Kritikern zurecht, die angegebenen Tabellen von olimpbase.org unterstützen diesen Widerspruch:

279 Ebd. S.130f. 280 Zuerst spielten die Mannschaften im Vorrundenmodus in Gruppen zu je 7 Teams und einer 6ergruppe ein Rundenturnier, wo jede Mannschaft gegen jede andere Mannschaft einmal spielen musste. Nur die vier besten Nationen der jeweiligen Gruppen qualifizierten sich für das A-Finale. Bei den vorangegangenen Olympiaden wurde das gesamte Turnier im Rundenmodus gespielt, aufgrund der hohen Teilnehmeranzahl wurde der Modus geändert. 281 Vgl. http://www.olimpbase.org/teams/arg_tea.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 282 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939fa.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 283 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939fb.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 73

„Der Olympiasieg wurde von vielen Seiten als verdient eingeschätzt. Die drei kampflosen Unentschieden der Deutschen unterstreichen dies, denn nach Ansicht von Gillem wären ein 2:2 Unentschieden gegen Polen und klare Siege gegen Frankreich und Palästina die zu erwartenden Resultate dieser Begegnungen gewesen. Das deutsche Team blieb überdies dank seiner ausgeglichenen Besetzung ungeschlagen.“284 Bis heute konnte keine deutsche Nationalmannschaft erneut eine Schacholympiade gewinnen, die Nationalsozialisten konnten diesen Erfolg aber nicht wirklich vermarkten, da die gesamte Mannschaft in Südamerika blieb.

Vor allem Argentinien und Brasilien waren die neue Heimat für einige Spitzenspieler aus Europa, die aufgrund des Zweiten Weltkriegs in Südamerika blieben. Während Argentinien sich unter anderem mit Erich Eliskases und Miguel (Mendel) Najdorf verstärkte, blieb Ludwig Engels in Brasilien.

Warum die großdeutsche Nationalmannschaft in Argentinien blieb und nicht zurückreiste, hatte mehrere verschiedene Gründe. Vor allem dem männlichen Teil der Nationalmannschaft war aufgrund ihres Alters bewusst, dass eine Rückkehr nach Europa den Militärdienst und somit möglicherweise die Front bedeuten konnte, was sicher einen großen Anteil an der Entscheidung hatte. Diese Theorie, dass das Alter und somit der mögliche Einzug in die Wehrmacht die Entscheidung beeinflusste wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wer nach Deutschland zurückreiste: Der Schatzmeister des großdeutschen Schachbundes Karl Miehe war laut Hebeker für das Militär bereits zu alt285 und Frieda „Friedl“ Rinder war als Frau ohnehin nicht gefährdet.286 Demgegenüber waren die männlichen Teilnehmer „im besten Alter“, im September 1939 war Erich Eliskases 26 Jahre alt, Ludwig Engels und Paul Michel waren 33 Jahre alt, war mit 36 Jahren ebenfalls noch in einem Alter, in dem er möglicherweise mit dem Einzug hätte rechnen müssen.

Einzig Albert Becker, neben Eliskases der zweite Österreicher im Kader des GSB, der nicht nur Spieler, sondern auch Delegationsleiter der Mannschaft war, war während des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges bereits 43 Jahre alt. Damit war er aber immer noch unter der „erlaubten“ Altersgrenze der Wehrmacht von 45 Jahren. Er hatte aber laut Hebeker, der sich auf Wolfgang Unzicker bezieht, noch ein anderes Problem: „Der Wiener war bereits früh ein

284 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 145. 285 Vgl. Ebd., S. 149. 286 Frieda Rinder (geboren 1905 in Schrobenhausen, gestorben 2001 in München) begann ihre schachliche Karriere in der Zwischenkriegszeit und reiste nach der parallel zur Olympiade stattfindenden Damenweltmeisterschaft in Argentinien nach Deutschland zurück. Sie prägte den westdeutschen Schachsport der Nachkriegszeit und wurde unter anderem 1949, 1955, 1956 und 1959 (west)deutsche Meisterin. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 211. 74

Anhänger des Nationalsozialismus und des ‚Anschlusses‘ von Österreich an das Deutsche Reich; er hatte aber nach Ansicht von Wolfgang Unzicker möglicherweise eine ‚nichtarische‘ Großmutter.“287

Becker wäre somit ein Vierteljude gewesen, was laut den 1935 erlassenen Nürnberger Rassegesetzen aufgrund der Rechtslage zwar nicht unmittelbar gefährlich war, aber einer möglichen Rückkehr wohl auch entgegenstand. Als „jüdischer Mischling“288 war er prinzipiell den übrigen deutschen Reichsbürgern gleichgestellt:

„§2: (1) Die Vorschriften des §1 gelten auch für die Staatsangehörigen jüdischen Mischlinge. (2) Jüdischer Mischling ist, wer von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt, sofern er nicht nach § 5 Abs. 2 als Jude gilt. Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.“289 Möglich ist, dass Becker bereits in Deutschland antisemitischen Äußerungen ausgesetzt war, was seine Motivation zur Rückkehr wohl nicht gesteigert hat.

Ein weiterer wichtiger Grund für den Verbleib der großdeutschen Nationalmannschaft in Argentinien war die nicht gesicherte gefahrlose Rückkehrmöglichkeit. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der damit einhergehenden Kriegserklärung Großbritanniens an das nationalsozialistische Deutschland war die Überfahrt für die deutschen Schachspieler nicht mehr gefahrlos gewährleistet.

Diese ernstzunehmende Problematik geht aus einem Brief hervor, den Becker in seiner Funktion als Delegationsleiter an Max Blümich, den Redakteur des Partienteils der deutschen Schachzeitung, geschrieben hat:

„[…] Unsere persönliche Lage ist jetzt nicht rosig, wir können schwer heim! Mit der ‚Copacabana‘ sind am 28. September etwa 2/3 der Europäer heimgefahren, fast nur von neutralen Nationen. Wir Deutsche konnten nicht mit, wir wollen ja nicht in ein englisches Konzentrationslager kommen... Hart ist es für uns, von daheim abgeschnitten zu sein, gerade in dieser Zeit!“290 Beckers Bedenken waren aber nicht unbegründet, auch die deutsche Botschaft soll den Schachspielern aufgrund der Internierungsgefahr von einer Rückreise über Italien abgeraten

287 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 148. 288 Rudolf Beyer (hrsg.): Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 (Reichsflaggengesetz, Reichsbürgergesetz, Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre) und das Ehegesundheitsgesetz vom 18. Oktober 1935. Sämtliche Gesetze mit den bisher erschienenen Verordnungen und Erlässen, Vierte Auflage Leipzig 1938, S. 26. 289 Ebd., S. 25f. 290 Brief von Becker an Max Blümich. http://de.chessbase.com/portals/3/files/2008/geschichteschacholympiade/3/Brief%20von%20Becker.pdf, 5. 10. 1939 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 75 haben. Tatsächlich wurde das italienische Schiff Copacabana in Gibraltar vier Tage lang festgehalten, bevor es weiterfahren durfte. Laut Hebeker wäre es aber unwahrscheinlich gewesen, dass die Spieler tatsächlich verhaftet und interniert worden wären, da Italien zu diesem Zeitpunkt noch offiziell neutral war und Großbritannien Mussolini wohl nicht durch die Verhaftung von Passagieren eines italienischen Schiffes provoziert hätte.291

Dass auf diesem Schiff der Schatzmeister Karl Miehe und die Schachspielerin Frieda Rinder erfolgreich und - von der viertägigen Unterbrechung in Gibraltar abgesehen – unproblematisch heimgekehrt sind zeigt, dass die Rückkehr auch für die anderen Teilnehmer möglich gewesen wäre, wobei die Betreffenden diese Tatsachen im Vorhinein nicht wissen konnten.

Interessant ist auch die Veränderung der Berichterstattung bzgl. der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires: Während vor und während des Turniers regelmäßig und durchaus ausführlich berichtet wurde, wird über das Ergebnis (wenn überhaupt) nur in kürzester Form geschrieben, beispielsweise in der Kleinen Volkszeitung vom 24.September 1939: „Buenos Aires. In der Schacholympiade siegte Deutschland glänzend vor Polen, Estland, Schweden, Böhmen, Mähren, Argentinien.“292

Diese Veränderung in der Berichterstattung muss wohl damit begründet werden, dass die Nationalmannschaft die Heimreise (u.a. beispielsweise aus den im Brief von Becker geschilderten Gründen) verweigert hatte und somit mehr oder weniger zu Deserteuren wurden.

291 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016 S. 149. 292 Kleine Volkszeitung, 24.9.1939, Nr. 263 S. 14. 76

Engels in Brasilien während des Krieges

Der Beginn seines neuen Lebens in Südamerika gestaltete sich für Ludwig Engels schwer. Er war zwar Olympiasieger und zur damaligen Zeit der wohl stärkste Schachspieler in seiner neuen Heimat, allerdings waren dort die Rahmenbedingungen nicht gut genug, um wie vor dem Krieg vom Sport zu leben.

Für die erste Zeit war er abgesichert, hatte aber Probleme:

„[…] Engels brachte keine Qualitäten und keine Bildung mit, die ihn für ein Leben in fremder und exotischer Umgebung gewappnet hätten. Wie alle anderen in Argentinien gebliebenen Europäer lebte er eine Weile von dem Erlös der nicht mehr benötigten Fahrkarte für die Rückreise nach Europa.“293 Zwischen 1939 und der Kriegserklärung Brasiliens an das Dritte Reich am 22. August 1942 konnten Deutsche ihr Leben relativ normal weiterführen. Engels hatte jedoch außer Schachspielen nichts „Verwertbares“ gelernt, laut Hebeker wurden die Schachspieler von der deutschen Botschaft unterstützt und er selbst sei bei einem Wohlfahrtsverein angestellt gewesen.294

Wie die meisten anderen blieb er dem Schach erhalten, verdiente sich aber hauptsächlich als Simultanspieler und Trainer zusätzliches Geld. In diesen drei Jahren spielte er nur bei drei Turnieren mit. Alle drei fanden 1941 statt und bei allen belegte er durchwegs gute Plätze: Mar del Plata295 (vierter Platz), Montevideo296 (dritter Platz) und Aguas de Sao Pedro297 (dritter Platz). Vor allem die Begegnung mit Lourenco Cordioli im Rahmen des letztgenannten Turnieres sollte für Engels nach dem Weltkrieg von großer Bedeutung sein.

1942 wurde in Brasilien härter gegen nationalsozialistische Agitationen vorgegangen, was auch für normale deutschstämmige Personen Einschränkungen zur Folge hatte:

„Ab Jänner 1942 mußte jede Reise eines Emigranten innerhalb Brasiliens polizeilich bestätigt werden. Die Polizei kontrollierte, ob Ausgangssperren eingehalten wurden; deutschsprachige Brasilianer wurden denunziert und bestraft, Razzien sollten NS-Spione und Agenten aufdecken. […] Reisen über die Gleba (=Bezirk) Roland hinaus mußten selbst auf kurzen Distanzen erst polizeilich genehmigt werden.“298 Vor allem die Reisebestimmungen waren für Schachspieler wie Engels und auch Eliskases (der im Juli 1941 zum Turnier nach Sao Paulo gereist war und sich mit einem Rückreisevisum

293 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 152. 294 Vgl. Ebd., S. 152. 295 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mar del Plata 1941. 296 Vgl. Chessbase: Mega Database, Montevideo 1941. 297 Vgl. Chessbase: Mega Database, Aguas de Sao Pedro 1941. 298 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S.180. 77 nach Argentinien abgesichert hatte, diesen Bestimmungen in Brasilien als deutscher Staatsbürger dennoch unterlag) problematisch, da die Tätigkeit als Schachspieler sehr viel Mobilität erforderte.

Wann und wo genau sich Engels während den Kriegsjahren 1942-1945 aufgehalten hatte, ist nur bruchstückhaft nachvollziehbar, vor allem in den brasilianischen Südstaaten gibt es immer wieder Berichte über seine Aktivitäten, hauptsächlich Simultanvorstellungen betreffend.299

Für diese Lücke dürften hauptsächlich drei Gründe verantwortlich sein: 1942 wurde der Gebrauch der deutschen Sprache in Brasilien offiziell verboten, die Infrastruktur und schachliche Vernetzung im südbrasilianischen Raum war mangelhaft ausgebaut, weshalb seine Reisen wohl häufig im privaten Rahmen abliefen und die Sammelwut bzgl. Tabellen oder gar Schachpartien war bei weitem nicht so ausgebaut wie in Rio oder Europa.

Engels in der Nachkriegszeit

Auch wenn Engels nach dem Krieg nicht mehr so oft aktiv zu den Figuren griff, hatte er vor allem als Trainer300 und Redakteur301 der Zeitungen Xeque! (Schach!) bis 1947 und O Estado de S. Paulo ab 1947 einen großen Einfluss auf die brasilianischen Talente. Die Entwicklung des brasilianischen Schachs konnte er auch durch seine Vorreiterrolle im landesweit angesehenen CXSP (Club de Xadrez Sao Paulo), den in Sao Paulo ansässigen Schachclub, vorantreiben.

1946 trainierte Engels den erst 20jährigen Marcio Elisio de Freitas und spielte einen Wettkampf auf sechs Partien gegen ihn, der 4,5:1,5 für Engels ausging. Dass das Training und die Partien gegen Engels Wirkung zeigten, zeigt der brasilianische Meistertitel von de Freitas 1947.

Auch zum ersten offiziellen Internationalen Meister Brasiliens, Eusebio German, gibt es Verbindungen, unter anderem fünf überlieferte Partien. German spielte für Brasilien bei drei

299 Vgl. Ebd., S.200f. 300 Da zur damaligen Zeit noch keine elektronischen Hilfsmittel verfügbar waren, war das persönliche Training, das Spielen gegeneinander und die Analyse von Partien viel wichtiger als heute. 301 Ohne elektronische Hilfsmittel war für Talente ohne Zugang zu einem persönlichen Trainer der Zugang und die Analyse von Schachbüchern bzw. Zeitungsartikeln oft die einzige Möglichkeit, selbstständig zu trainieren. Dementsprechend groß dürfte Engels Einfluss als Redakteur auf die Schachspieler in Brasilien gewesen sein. 78

Schacholympiaden302 und erzielte überdurchschnittlich gute Ergebnisse, zweimal am ersten und einmal am zweiten Brett.

Engels war aber nicht nur in der Lage, Spieler mit bereits vorhandenem Schachwissen weiterzuentwickeln, sondern auch Anfänger zu starken Spielern zu machen. Das beste Beispiel ist Lourenco Cordioli, der zu einem von Engels besten Freunden wurde:

„Es dürfte in dieser Zeit (1946 [sic!]) gewesen sein, daß Lourenco Cordioli Ludwig Engels eines Abends im CXSP wiedertraf; beide hatten sich bereits beim Turnier von 1941 flüchtig kennengelernt. Cordioli spendierte Engels ein (statt einen [sic!]) Sandwich und bemerkte dabei, daß dieser finanziell bedürftig war. […] Als Gegenleistung für das kostenlose Mittagessen – dank seiner Bescheidenheit begnügte er sich häufig mit einer Suppe – unterrichtete Engels Cordioli in der Schachkunst. So entwickelte sich Lourenco zu einem starken Schachspieler.“303 Der von Engels trainierte Cordioli gewann die Meisterschaft von Sao Paulo in den Jahren 1947, 1948 und 1949 hintereinander, diese Serie hat bis heute Bestand, auch Hermann C. van Riemsdijk304 gewann das Turnier insgesamt siebenmal, konnte den Rekord aber nicht brechen.305

In seinen letzten Lebensjahren machte Engels noch Bekanntschaft mit Henrique da Costa Mecking306, dem er 1966 in einer Partie im CXSP unterlag, in dem Engels seit 1946 als „technischer Angestellter (diese Umschreibung beinhaltet auch heute noch nicht nur die Tätigkeit als Trainer, sondern auch als Organisator von Turnieren, Vereinsabenden etc. [sic!])“307 und als Schachtrainer engagiert war. Mecking war 1978 mit einer Elozahl von 2630 die Nummer drei der Welt308 und gewann im Verlauf seiner Karriere mehrere Internationale Turniere, unter anderem die Interzonenturniere in Petropolis (1971) und Manila

302 http://www.olimpbase.org/players/q8oao0gf.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 303 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 245. 304 Herman Claudius van Riemsdjik (geboren 1948 in den Niederlanden, im Kindesalter mit der Familie nach Brasilien emigriert) ist IM seit 1981. Er nahm bisher an elf Olympiaden für Brasilien teil. Seine höchste Elozahl war 2429 im Juni 2007, eine historische Wertung wurde bisher nicht berechnet. Vgl. http://www.olimpbase.org/players/ke6mi4ku.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018] und vgl. https://ratings.fide.com/id.phtml?event=2100053 [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 305 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 251. 306 Henrique Costa da Mecking (geboren 1952) ist ein brasilianischer Großmeister, der mit 13 Jahren der jüngste brasilianische Landesmeister aller Zeiten wurde und gegen Ende der 1970er Jahre zu den besten Spielern der Welt gehörte. Bekannt wurde er nicht nur durch seine Erfolge, sondern auch durch die häufigen Vergleiche mit Robert „Bobby“ Fischer, die angesichts seines Talents und seines Charakters durchaus zutrafen. Aufgrund einer Muskelkrankheit musste er seine Karriere 1979 beenden und wurde Geistlicher, nach einigen Jahren Pause kehrte er auf die Schachbühne zurück und spielt auch heute noch gelegentlich bei Turnieren mit. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 168f. 307 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 246. 308 http://fidelists.blogspot.co.at/2008/01/january-1978-fide-rating-list.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 79

(1976). Er nahm für Brasilien an drei Schacholympiaden309 teil, wo er zweimal am ersten und einmal am dritten Brett jeweils über 50% der möglichen Punkte erreichte.

Engels selbst war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr wirklich aktiv, aber die wenigen Turniere, die er spielte, gestaltete er erfolgreich. Bis 1957 spielte er ausschließlich unter „deutscher Fahne“, da er laut deutschsprachiger Literatur die brasilianische Staatsbürgerschaft Zeit seines Lebens nicht annehmen wollte. Ab 1957 spielte er jedoch drei Turniere, laut brasilianischer Literatur310 als Brasilianer. Vor allem für die Zonenturniere 1957 in Rio de Janeiro und Sao Paulo 1960 müsste er aber die brasilianische Staatsbürgerschaft vorgewiesen haben können, da entweder diese als Startberechtigung gefordert war oder er brasilianischer Landesmeister hätte sein müssen, wobei er diesen Titel nachweislich nie errungen hat. Als Deutscher ohne den Nachweis der Staatsbürgerschaft bzw. den Landesmeistertitel hätte er keine Startberechtigung erhalten.

Beim Zonenturnier 1957 erreichte er den fünften Platz311, ein so gutes Ergebnis war bis zum Sieg von Mecking 1966 keinem Brasilianer mehr vergönnt. Dieser Erfolg war gleichzeitig auch ein Achtungserfolg (die vier Spieler vor ihm waren allesamt Argentinier der goldenen Generation) obwohl er angesichts der Erfolge der brasilianischen Fußballnationalmannschaft nur vergleichsweise wenig Resonanz innerhalb der Bevölkerung erzeugte. 1960 konnte er nur noch den zehnten Platz erreichen, wobei er (für Brasilien spielend) aus der brasilianischen Delegation nur German und De Freitas den Vortritt lassen musste.312 Auch in der alljährlichen Meisterschaft des CXSP in Sao Paulo 1963 wird der viertplatzierte Ludwig Engels als Brasilianer ausgewiesen.313

Für das Problem der Staatsbürgerschaft gibt es zwei mögliche Erklärungen: die wahrscheinlichste Variante ist, dass Ludwig Engels die brasilianische Staatsbürgerschaft annahm, was aber aufgrund seiner Irrelevanz für den deutschen Schachsport in Europa nicht wahrgenommen wurde. Dafür sprechen neben der brasilianischen Literatur unter anderem die Nachrufe314 von Helder Camara, der Brasilien fünf Mal bei einer Olympiade vertrat315, und

309 http://www.olimpbase.org/players/r7zrnj7h.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 310 Von Hebeker wird das „Boletim 3. Torneio Zonal Sul-Americano, Rio de Janeiro 1957“ (Bulletin zum 3. Südamerikanischen Zonenturnier) als verwendete Quelle angegeben. 311 Vgl. Chessbase: Mega Database, Rio de Janeiro zt 1957. 312 Vgl. Chessbase: Mega Database, Sao Paulo zt 1960. 313 Vgl. „Boletim Campeonato Anual do CXSP, Sao Paulo (1963)“ (Bulletin der jährlichen Meisterschaft des CXSP (1963), in Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 296. 314 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 315f. 315 http://www.olimpbase.org/players/tnt3vv1e.html [zuletzt eingesehen am 26.3.2018]. 80

Herman C. van Riemsdjik sowie die Teilnahme an den Zonenturnieren 1957 in Rio de Janeiro und 1960 in Sao Paulo. Dagegen sprechen vor allem die deutschsprachige Literatur und der Nachruf von Alberto Witte316 und ein Bericht von Paulo Goncalves-Guimaraes317, der nach Engels Tod verfasst wurde. Auch das Spielerprofil in der Mega Database des Schachprogramms Chessbase wurde nicht verändert, wie die folgende Abbildung zeigt.

Chessbase: Mega Database: Ludwig Engels Selbst wenn Engels ungerechtfertigterweise als Brasilianer ausgewiesen wurde und möglicherweise eine Art „Wild Card“ für die Zonenturniere 1957 und 1960 erhalten haben sollte318, bleibt sein Erfolg und die positive Wirkung durch seine Tätigkeiten als Trainer und Redakteur für den Schachsport und die Entwicklung desselben in ganz Brasilien erhalten.

Ludwig Engels starb laut seinem langjährigen Weggefährten Camara an den Folgen eines Schlaganfalls am 10. Januar 1967 in einem Krankenhaus in Sao Paulo.

316 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 318f. 317 Vgl. Ebd., S. 311f und S. 320f. 318 In der Literatur ist nichts über eine mögliche Ausnahmeregelung bekannt, auch in der Geschichte der FIDE scheint kein solcher Eintrag auf. 81

Erich Eliskases

Von den Anfängen in Innsbruck bis zur Schacholympiade

Eliskases wurde am 15. Februar 1913 in Innsbruck geboren. Von seinen frühen Lebensjahren ist nichts bekannt, die Aufzeichnungen über sein Leben beginnen erst, nachdem ihm sein älterer Bruder das Schachspielen nähergebracht hatte. Von seinen ersten Schritten im Bereich des Schachspiels ist nicht viel überliefert, allerdings geben alle Aufzeichnungen Auskunft darüber, dass er sich als Autodidakt bis zu einer guten Spielstärke ganz allein verhelfen musste.

Eliskases begann mit etwa zwölf Jahren selbstständig zu trainieren, Frank Meyer beschreibt, wie er dabei vorgegangen ist: „Zuerst studierte ich die in den Zeitungen niedergeschriebenen Partien und später jene, die ich Büchern entnehmen konnte, die ich mir nach und nach anschaffte.“319

Diese absolut eigenständige Trainingsmethode war damals ungewöhnlich, aber es gab offenbar keine andere Möglichkeit, da Eliskases Vater Schneider war und die Familie sich einen Trainer wohl nicht leisten konnte. Er hatte auch keine Trainings- bzw. Spielpartner, da in seiner Familie niemand Schachspielen konnte und ihm die Aufnahme in einen Schachklub aus Altersgründen zunächst verweigert wurde. Als er mit 13 Jahren der „Innsbrucker Schachvereinigung“ beitreten wollte, wurde er für zu jung befunden und abgelehnt, erst ein Jahr später sollte sich seine Situation grundlegend verändern. Eliskases durfte dem „Schachklub Schlechter Innsbruck“ beitreten, dem auch Karl Wagner angehörte. Wagner war zu diesem Zeitpunkt einer der besten Spieler in Tirol, erkannte das Talent des neuen Vereinsmitglieds und begann Eliskases zu fördern.320

Dass Eliskases in diesem Alter tatsächlich dem „Schachklub Schlechter Innsbruck“ beigetreten war beweist eine kurze Nachricht im Tiroler Anzeiger vom 2. September 1927: „Für Hall waren siegreich die Herren Lang und Rieder, für Innsbruck die Herren König, Riescher, Sippmann, Liebl und Eliskases.“321 Diese Nachricht ist gleichzeitig auch die erste Erwähnung des jungen Schachspielers in der wichtigsten Tiroler Zeitung.

319 Frank, Meyer: Schach und Kultur, Saarbrücken 2012, Band 2, S. 113. 320 Vgl. http://www.schachundspiele.at/wissenschaft/eliskases.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 321 Tiroler Anzeiger, 2.9.1927, Nr. 209, S. 9. 82

In den folgenden Jahren entwickelte sich Eliskases sehr schnell weiter und gewann im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal die Tiroler Landesmeisterschaft, wie auch im Tiroler Anzeiger am 24. November 1928 berichtet wurde:

„Das vom Tiroler Schachverbande veranstaltete Turnier um die Landesmeisterschaft im Schach ist nun zu Ende. Es war ein erbittertes Ringen um die Palme des Sieges und der allerjüngste der Kämpen, der fünfzehnjährige Handelsschüler Eliskases, ging als Sieger hervor. Trotzdem die stärksten Spieler Tirols antraten, hat Eliskases keine Verlustpartie erlitten und nur zwei Remisen gestattet. Eliskases erreichte den Stand von 7 Zählern, ein ungewöhnlich gutes Ergebnis.“322 Das bedeutete nicht nur den Durchbruch in seiner Heimat Tirol, sondern hatte noch einen Nebeneffekt, der ihm einen gute Chance für seine spätere Karriere bot, da er sich dadurch für die österreichische (Amateur)Staatsmeisterschaft323 qualifizierte. Ebendieses Turnier wurde im Jahr 1929 in Innsbruck ausgetragen und erlaubte Eliskases erstmals, sich österreichweit zu präsentieren.

Eliskases setzte sich mit 16 Jahren in diesem Turnier durch, musste sich den ersten Platz aber mit dem Wiener Esra Glaß teilen. Dieses Ergebnis wurde am 26. September 1929 im Tiroler Anzeiger mit folgenden Worten verlautbart:

„Österreichische Meister: Eliskases-Innsbruck und Glaß-Wien. […] Eliskases-Tirol und Glaß- Wien stehen mit 6,5 Zählern an der Spitze und erhalten beide den Titel eines österreichischen Meisters. […] Für Tirol ist es besonders erfreulich, daß der erst 16jährige Handelsschüler Eliskases nun vom Tiroler Landesmeister zum österreichischen Meister aufgestiegen ist.“324 Dieses Ergebnis brachte Eliskases nicht nur einen österreichweiten Titel und Aufmerksamkeit ein, sondern führte auch dazu, dass er im Jahr darauf mit 17 Jahren im österreichischen Nationalteam bei der Schacholympiade in Hamburg debütierte.

Bei der Schacholympiade 1930, gespielt vom 13. bis 27. Juli, erreichte Österreich den vierten Platz hinter Polen, Ungarn und Deutschland, wobei sie am Ende unter anderem vor den als Mannschaft geschlossen starken USA und den Niederlanden waren. Auch die Mannschaften der Tschechoslowakei und Frankreich waren mit ihren Weltklassespielern Flohr und Aljechin hinter Österreich platziert, bei denen vor allem Eliskases mit 11 Punkten aus 15 Partien (73,3%) zum ersten Mal auf internationaler Ebene für Aufsehen sorgte.325

322 Tiroler Anzeiger, 24.11.1928, Nr. 271, S. 8. 323 Damals waren Staatsmeisterschaften noch „eine geschlossene Gesellschaft“, für die man sich qualifizieren musste. Berufsspieler nahmen zu diesem Zeitpunkt noch nicht an diesem Turnier teil, um den besten Spieler Österreichs zu ermitteln spielten die einzelnen Spieler Wettkämpfe gegeneinander. 324 Tiroler Anzeiger, 26.9.1929, Nr. 222, S. 7. 325 Vgl. http://www.olimpbase.org/1930/1930fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 83

Vorherrschaft in Österreich bis zum Anschluss

Nach diesem Turnier in Hamburg blieben weitere ähnlich aufmerksamkeitserregende Erfolge zunächst aus, wobei Eliskases in diesem Jahr nur zwei weitere große Turniere bestritten hat. Die Ausgabe des Linzer Tagblattes vom 3. Juli 1937 gibt dafür folgenden Grund an:

„Im Sommerturnier zu Ebensee 1930 besetzte er hinter Knoch den zweiten Platz. In Bad Stuben (in der Mega Database: Stubanske Teplice [sic!]) 1930 erlitt dagegen Eliskases einen argen Rückschlag: Teilung des elften und zwölften Platzes. Wahrscheinlich nahmen ihn die Vorbereitungen für die Matura zu stark in Anspruch.“326 Diesen Abschluss schaffte er 1930 und übersiedelte 1931 nach Wien, um dort Welthandel an der Hochschule zu studieren.327 Von diesem Jahr sind von Eliskases auch keine Partien überliefert, was damit zu erklären ist, dass er in diesem Jahr kein großes Turnier bestritt. Dass Eliskases ein Leben als professioneller Schachspieler anstrebte, war damals noch nicht gesichert. Er hat nach seinem Abschluss angefangen für den Tiroler Anzeiger zu schreiben, sein erster Artikel erschien in der Ausgabe vom 11. Juli 1931 auf Seite 17. Michael Ehn schreibt, dass Eliskases nach seinem Umzug nach Wien und dem Beitritt zum Wiener Schachklub „Hietzing“ einen Wettkampf auf zehn Partien gegen Ernst Grünfeld gespielt hat, den er laut Ehn knapp verloren hat.328 Zu diesem Wettkampf gibt es keine Aufzeichnungen, bis auf eine Partie vom 12. Dezember 1931, die unter der Anleitung von Eliskases selbst am 19. Dezember 1931 im Tiroler Anzeiger auf der Seite 24 erschien.

1932 wurde anlässlich des 25jährigen Bestehens des Linzer Schachklubs ein Wettkampf zwischen Eliskases und veranstaltet. Spielmann wurde bis zu diesem Zeitpunkt als stärkster Spieler Österreichs betrachtet, durch Eliskases knappem 5,5:4,5 Sieg wurde die Ablösung eingeleitet, ab diesem Zeitpunkt konnte kein Österreicher dem Tiroler nochmals ernsthaft gefährlich werden. Der letzte Versuch, Eliskases diese Position streitig zu machen, wurde ebenfalls von Spielmann 1936 unternommen, aber wieder mit demselben Ergebnis abgewehrt.329

1932 nahm Eliskases einen Job bei der Wiener Schachzeitung an, laut Ehn „damals eines der führenden Organe der Welt.“330 Diese Tätigkeit hatte einerseits den Vorteil, dass er ein regelmäßiges Einkommen hatte, was bei professionellen Schachspielern damals nicht zwangsläufig gesichert war, und andererseits, dass er im Rahmen seiner Arbeit Partien der

326 Linzer Tagblatt, 3.7.1937, Nr. 150, S. 8. 327 Vgl. http://www.schachundspiele.at/wissenschaft/eliskases.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 328 Vgl. Ebd. 329 Vgl. Chessbase: Mega Database, Semmering m 1936. 330 Vgl. Ebd. 84 stärksten Spieler der Welt zu analysieren und kommentieren hatte, was für seine eigene spielerische Entwicklung förderlich war. Der Nachteil war, dass er nicht mehr flexibel genug war, um regelmäßig große internationale Turniere bestreiten zu können. Wenn er an einem Turnier bzw. einem Wettkampf teilnahm war er im Normalfall im Spitzenfeld gemeinsam mit den besten Spielern der Welt zu finden.

Besonders hervorzuheben sind seine Leistungen für Österreich, vor allem im Rahmen von Schacholympiaden. Zwischen seinem Debüt 1930 und dem „Anschluss“ an Deutschland 1938 nahm er an drei offiziellen Olympiaden teil, die Schacholympiade 1936 in München wurde offiziell nicht anerkannt (siehe Kapitel „Vom Bad Nauheim nach Argentinien“). Bei jedem einzelnen Turnier erzielte Eliskases über 60% aller möglichen Punkte, 1935 in Warschau konnte er 15 von 19 möglichen Punkten erzielen, was einem Wert von 78,9% entspricht und einen der besten Werte aller Spieler aller Mannschaften darstellte. Trotz dieses Ergebnisses konnte Eliskases den alles in allem eher enttäuschenden siebenten Platz des österreichischen Teams nicht verhindern, wobei die Berichterstattung zu diesem Turnier vor allem den Tiroler in den Vordergrund stellt:

„Uns interessiert natürlich besonders das Abschneiden unserer Mannschaft und da muß man leider feststellen, daß sich unsere Hoffnungen nicht erfüllten: Österreich kam nicht einmal unter die Preisträger. […] Stolz können wir nur auf das Abschneiden von Meister Eliskases sein. Der junge, auch in Salzburg bestbekannte Tiroler hat unter seinen Gegner geradezu gewütet und eines der besten Einzelergebnisse aller Beteiligten erzielt. Nebenbei bemerkt gewann er ebensoviele Partien wie seine Kollegen zusammen!“331 1936 übernahm er von Albert Becker den Posten des Chefredakteurs der Wiener Schachzeitung, was seine Möglichkeiten zur Teilnahme an Turnieren bis zum „Anschluss“ weiter einschränkte. Bei den Teilnahmen schnitt er ungewöhnlich schlecht ab, beispielsweise in 1936 in Moskau und beim Turnier auf dem Semmering 1937 musste er sich mit Ergebnissen unter 50% begnügen. In der Märzausgabe des österreichischen Schachmagazins Aktiv Schach von 1983 wird dieser veränderten Jobsituation eine Mitschuld an den vergleichsweise schlechten Resultaten gegeben, obwohl er auch in dieser „Krise“ den Anschluss an die Weltspitze nicht verloren hatte, wie einige Achtungserfolge gegen Spitzenspieler zeigen.332

Unter anderem der Sieg gegen den kubanischen Exweltmeister Capablanca im Endspiel beim Turnier am Semmering 1937 und auch das Ergebnis bei der inoffiziellen Schacholympiade

331 Salzburger Chronik, 28.9.1935, Nr. 223, S. 9. 332 Aktiv Schach, S. 80. 85

1936 in München, wo er 13,5 von 20 möglichen Punkten (67,5%)333 erzielte, sorgten dafür, dass er auch spielerisch nach wie vor zur Weltspitze gehörte.

Diese Tatsache, gepaart mit seinen Analysefähigkeiten, die er im Rahmen seiner Arbeit bei der Wiener Schachzeitung unter Beweis gestellt und ausgebaut hatte sorgte dafür, dass er 1937 von Aljechin als Sekundant ausgewählt wurde. Aljechin war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr Weltmeister, da er diesen Titel überraschend 1935 an den Niederlänger Max Euwe verloren hatte, galt aber nach wie vor gemeinsam mit Capablanca als wahrscheinlich stärkster Spieler der Welt. Warum Aljechin für diesen überaus wichtigen Wettkampf ausgerechnet einen zu diesem Zeitpunkt 24jährigen Tiroler für die sehr wichtige Aufgabe des Sekundierens ausgewählt hat, obwohl durchaus erfahrenere und zu diesem Zeitpunkt spielerisch stärkere Spieler verfügbar gewesen wären, ist bis heute unklar.

Man muss bedenken, dass Eliskases den Ruf hatte, ein akribisch genauer Arbeiter zu sein, dessen Stärken vor allem im Bereich des Verteidigens und der Analyse angesiedelt waren. Aljechins Spielstil dagegen war vor allem aggressiv und taktisch geprägt, im Bereich der Genauigkeit und des gewissenhaften Arbeitens während des erfolgreichsten Teils seiner Laufbahn war er aufgrund seiner Erfahrung gegenüber Eliskases im Vorteil. Warum also erhielt der 24jährige Tiroler den Vorzug gegenüber allen anderen Weltklassespielern, aus deren Reihen Aljechin (fast) jeden hätte beauftragen können? Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der französische Nationalspieler jemanden gesucht hat, dessen Spiel komplett konträr zu seinem eigenen aufgebaut war, um mit diesem gemeinsam möglichst alle Aspekte des Spiels abzudecken und dementsprechend schwer besiegbar zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte Aljechin aber beispielsweise auch den ehemaligen Weltmeister Emanuel Lasker engagieren können, der aufgrund seiner Erfahrung möglicherweise besser geeignet gewesen wäre. Möglicherweise wollte Aljechin einfach nur verhindern, dass sich sein Kontrahent die Dienste des jungen Österreichers sichern konnte, um sich nicht dessen Analysen und strategischen Aufgaben stellen zu müssen. Ein weiterer wichtiger Grund dürfte gewesen sein, dass Aljechin sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens durchaus gelegentlich vom Alkohol und „anderen Genüssen“ verleiten lies, was ein Mitgrund für den Verlust des Titels 1935 war.334 Möglicherweise erhoffte er sich von einem jungen, akribischen Sekundanten den benötigten Motivationsschub, um selbst wieder „in die Spur zu kommen“. Was aber mit Sicherheit für Eliskases gesprochen hat war die Tatsache, dass dieser Euwe

333 Vgl. http://www.olimpbase.org/playersx/ndp1rffg.html [zuletzt eingesehen am 08.04.2018]. 334 Vgl. Ulrich Geilmann: Aljechin: Leben und Sterben eines Schachgenies, Eltmann 2017, S. 64f. 86

1935 zweimal in Folge besiegen konnte, während Aljechin im selben Jahr die Weltmeisterschaftskrone an Euwe abgeben musste.

Sein letztes Turnier unter österreichischer Flagge bestritt Eliskases im September 1937 am Semmering. Dieses Turnier war außerordentlich stark besetzt, Eliskases konnte mit 6 Punkten auf 14 Partien nur den sechsten Platz belegen, wobei vor ihm neben dem Exweltmeister Capablanca mit Paul Keres, Reuben Fine, Samuel Reshevsky und Salo Flohr nur weltweit anerkannte Spitzenspieler platziert waren.335

Eliskases war dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im März 1938 grundsätzlich nicht abgeneigt, wie Hebeker schreibt:

„Aus seiner Sympathie für das deutsche Regime machte er keinen Hehl, was seine Startbedingungen in Sao Paulo sicher gefördert hat. Eliskases erklärte später, daß er ‚kein Judenhasser und kein Anhänger der NSDAP war, wohl aber deren Gedanken zum Teil, wie den Zusammenschluß aller Deutschen, guthieß.“336 Diese Einstellung lässt sich unter anderem mit einem Interview belegen, das in der Badener Zeitung am 29. September 1937, also noch vor dem Anschluss, abgedruckt wurde:

„Seit dem Semmeringer Wettkampfe vom Jahre 1936 bin ich ‚Vorkämpfer von Österreich‘. Ich habe nämlich das Wort ‚Champion‘ aus meinem Sprachschatze entfernt und bediene mich des ebenso guten deutschen Wortes ‚Vorkämpfer‘. Man muss nämlich auch nicht das Wort ‚remis‘ gebrauchen, sondern kann auch das gleichbedeutende ‚unentschieden‘ viel besser sagen.“337 Diese Ablehnung „fremdsprachiger“ Wörter war damals im deutschsprachigen Raum vor allem von der NSDAP forciert worden. Am Beispiel von Erich Eliskases kann man erkennen, dass diese Bemühungen nicht nur „im Volk in Deutschland“ Früchte getragen haben, sondern auch von hochintelligenten Personen im Ausland vorangetrieben wurden.

„Anschluss“ und „Eroberung“ Deutschlands

Nach der Angliederung Österreichs an Deutschland spielte Eliskases zum ersten Mal in seiner Karriere für ein neues Land. In Deutschland gab es zwischen 1937 und 1939 die Regelung, dass jeder Spieler, der an der deutschen Meisterschaft teilnehmen wollte, eine bestimmte Anzahl an Turnieren spielen musste (siehe Kapitel „Von Bad Nauheim nach Argentinien“). Eliskases musste dementsprechend wieder aktiver spielen, während er in den letzten Jahren

335 Vgl. Chessbase: Mega Database, Semmering 1937. 336 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 220. 337 Badener Zeitung, 29.7.1937, Nr. 77, S. 2. 87 des österreichischen Ständestaates noch vergleichsweise viel Zeit in seine analytische Arbeit für die Wiener Schachzeitung investieren musste. Damit ist auch die Steigerung der gespielten Turniere erklärbar: Während er zwischen 1936 und 1938 nur zehnmal aktiv am Turniergeschehen teilnahm, spielte er zwischen 1938 und 1939 16 Bewerbe.338

Diese beiden Jahre waren die erfolgreichsten in seiner Schachkarriere. Eingeleitet wurde diese Phase durch seinen Sieg in Noordwjik im Sommer 1938, wo er mit Keres, Pirc339, Euwe und Bogoljubow starke Gegner hinter sich lassen konnte. Das Neue Wiener Abendblatt veröffentlichte anlässlich dieses ersten wichtigen Turniersieges, welcher außerhalb von Deutschland stattfand, einen kurzen Lebenslauf des Tirolers und leitete diesen wie folgt ein: „Eliskases – der Held von Noordwijk. Ein Lebensbild des stärksten Schachmeisters unseres Vaterlandes, der kürzlich in bestechender Weise den ersten Preis im Großmeisterturnier von Noordwijk erringen konnte.“340 Interessanterweise wird in diesem Bericht bzgl. eines großen, wichtigen Turnieres von „unserem Vaterland“ gesprochen, während bei Berichterstattungen über Siege in kleineren Turnieren durchaus die österreichische Herkunft des Spielers hervorgehoben wird. Nach der Teilnahme eines kleineren Turnieres in Mailand, das Eliskases nicht allein für sich entscheiden konnte, sondern den Titel mit einem Italiener teilen musste, veröffentlichte Das kleine Volksblatt folgende Nachricht: „Der Vorkämpfer der Ostmark errang im Turnier zu Mailand mit Monticelli gemeinsam den 1. und 2. Preis.“341

Nach diesem Erfolg konnte Eliskases weitere hochkarätig besetzte Turniere für sich entscheiden, der Sieg der deutschen Meisterschaft 1938 fiel mit 12,5 Punkten aus 15 Partien eindeutig aus.342 Auf den zweitplatzierten Georg Kieninger und seinen späteren Olympiakameraden Paul Michel hatte Eliskases 2,5 Punkte Vorsprung, Ludwig Engels belegte mit bereits 3,5 Punkten Rückstand den vierten Rang. Dieser Sieg brachte Eliskases den offiziellen Titel „Deutschlandmeister“, er war der jüngste der diesen je errungen hatte.

338 Vgl. Chessbase: Mega Database, Eliskases Erich. 339 (geboren am 19.12.1907 in Idria, gestorben am 2.6.1980 in Ljubjana) war ein jugoslawischer Schachprofi, der nach seiner Ankunft in der Weltspitze im Jahr 1935 über 30 Jahre lang starke Ergebnisse erzielen konnte. Er nahm für Jugoslawien an sechs Schacholympiaden teil und war Teil des Teams, das 1950 die Olympiade in Abwesenheit der UdSSR gewinnen konnte. Nach Pirc ist die sogenannte Pirc-Ufimzew- Verteidigung benannt, diese Eröffnung hat den ECO-Code B08, wird aber heute auf professioneller Ebene nur noch vereinzelt gespielt. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 195 und vgl. http://www.olimpbase.org/players/3pl7rbbb.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 340 Neues Wiener Abendblatt, 2.7.1938, Nr. 180, S. 4. 341 Das kleine Volksblatt, 26.6.1938, Nr. 174, S. 25. 342 Vgl. Chessbase: Mega Database, GER-ch 05th Bad Oeynhausen 1938. 88

Nachdem im selben Jahr der „Anschluss“ vollzogen wurde, wurde er auch des Öfteren als „Schachmeister Großdeutschlands“ bezeichnet.

Nach diesen Erfolgen fühlte sich Ewfim Bogoljubow von Eliskases hinsichtlich der Frage des „Vorkämpfers von Großdeutschland“ bedroht, woraufhin ein Wettkampf zwischen diesen beiden vereinbart wurde.

Dieser Wettkampf wurde im Januar und Februar 1939 im Rahmen von 20 Partien ausgetragen. Eliskases konnte Bogoljubow mit 11,5:8,5 deutlich besiegen, was zur Folge hatte, dass Eliskases nun auch „Vorkämpfer von Deutschland“ war.343 Wie die nationalsozialistische Führung diese Neuigkeit aufgenommen hat, ist nicht überliefert, allerdings kann angenommen werden, dass diese den neuen Umständen wohl positiv gegenüberstanden. Für diese Annahme spricht, dass Eliskases im Gegensatz zu Bogoljubow immer schon ein „Deutscher“ war und somit kein eingebürgerter, aber gebürtiger Russe als stärkster Spieler Großdeutschlands galt. Eliskases konnte etwas tun, wozu Bogoljubow von der Führung aus Berlin die Befähigung versagt worden war:

„Eliskases, dessen unheimlich sichere Spielweise nun auch die nötige Schärfe aufweist, hat seine Weltklasse überzeugend unter Beweis gestellt. Daher darf sich unsere Mannschaft bei den bevorstehenden olympischen Kämpfen in Buenos Aires ruhig seiner Leitung anvertrauen!“344 Für die leitenden Funktionäre der deutschen Schachwelt war es wohl eine gute Nachricht, dass die Nationalmannschaft bei der der Schacholympiade antreten konnte, ohne sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, den stärksten Spieler aufgrund seiner Herkunft nicht nominiert zu haben.

Mit der Titelverteidigung der deutschen Meisterschaft im Jahr 1939345 schrieb Eliskases ein Stück deutsche Schachgeschichte:

„Eliskases wieder Schachmeister von Deutschland. Am Samstag, dem vorletzten Tag im Turnier des Großdeutschen Schachbundes, stand es bereits fest, daß der 26 Jahre alte Tiroler Erich Eliskases sich neuerdings den Titel eines Schachmeisters von Deutschland geholt hat. Der neue Turniersieg von Eliskases stellt eine außerordentliche Leistung dar. In der ganzen deutschen Schachgeschichte hat es bisher nur Post-Berlin fertiggebracht, die Meisterschaft von Deutschland zweimal hintereinander zu gewinnen.“346 Interessant ist, dass die Zählung „der ganzen deutschen Schachgeschichte“ erst nach dem Ersten Weltkrieg nach der ersten Meisterschaft 1920 zu beginnen scheint. Die Behauptung,

343 Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 17.2.1939, Nr. 48, S. 10. 344 Ebd. S. 10. 345 Vgl. Chessbase: Mega Database, GER-ch 06th Bad Oeynhausen 1939. 346 Salzburger Volksblatt, 24.7.1939, Nr. 168, S. 11. 89 dass Eliskases der erste Titelverteidiger sei, stimmt nur bei dieser Betrachtungsweise, tatsächlich gab es in der „ganzen deutschen Schachgeschichte“ bereits zwei Spieler, die den Titel erfolgreich verteidigen konnten: Siegbert Tarrasch 1889/1892347 und Frank James Marshall348 1906/1908, wobei zur Zeit des Letzteren auch ausgewählte ausländische Spieler mitspielen durften.

Bei der Schacholympiade, die, wie bereits beschrieben, vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überschattet wurde und das Leben vieler Teilnehmer entscheidend beeinflusst hat, war Eliskases am Spitzenbrett gesetzt und sollte dort gegen die stärksten Spieler der Welt bestehen.

Er erreichte 9,5 Punkte aus 14 Partien (67,9%) und erzielte somit das viertbeste Ergebnis aller Spieler am ersten Brett. Während er sich Aljechin und Opocensky beugen musste, konnte er gegen Keres einen wichtigen Sieg erringen.349 Eliskases war ein wichtiger Bestandteil jener Mannschaft, die für Deutschland zum ersten Mal die Schacholympiade gewinnen konnte, bis heute konnte dieser Sieg nicht wiederholt werden.

Von der Schacholympiade 1939 bis zum argentinischen Staatsbürger

Im Gegensatz zu Ludwig Engels brachte Eliskases bessere Voraussetzungen für sein neues Leben in Südamerika mit. Während Engels nach dem Ausbruch des Krieges versuchte, vom Schachspielen und als Schachtrainer zu leben und dabei auch häufig auf die Hilfe von anderen angewiesen war, arbeitete Eliskases für seinen Lebensunterhalt zum größten Teil und war nicht von seinen schachlich bedingten Einkünften abhängig. Laut Hebeker war die in Brasilien vorhandene relativ große deutsche Community für Eliskases von großem Wert:

„Erich Eliskases ‚erhielt den Schutz der Führer der deutschen Kolonie. Mit guter Schulausbildung und guten Manieren machte er mühelos wertvolle Bekanntschaften. Auch die Brasilianer respektierten ihn. Schnell lernte er die Landessprache und beherrschte sie gut. Er fand Unterstützung durch die großen Firmen in Sao Paulo, auch wenn er für einen Schachgroßmeister wenige schachliche Aktivitäten zeigte.“350 Obwohl er nicht auf das Schachspielen angewiesen war, spielte er dennoch regelmäßig Turniere, bei denen er im Normalfall auch gut abschneiden konnte.

347 Vgl. Chessbase: Mega Database, Tarrasch Siegbert. 348 Vgl. Chessbase: Mega Database, Marshall Frank James. 349 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939ger.html [zuletzt eingesehen am 08.04.2018]. 350 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 219. 90

Aus dem Jahr 1940 sind von Eliskases keine Partien überliefert und auch keine Teilnahmen an Turnieren belegbar, 1941 bestritt er drei Turniere. Während er die Wettbewerbe in Montevideo und Sao Pedro aufgrund von fehlender ernsthafter Konkurrenz souverän gewinnen konnte, war das Turnier in Mar del Plata hochkarätig besetzt. Eliskases musste sich in diesem Turnier mit dem dritten Platz hinter dem schwedischen Großmeister Stahlberg und dem (zu diesem Zeitpunkt noch) polnischen Weltklassespieler Najdorf begnügen.351

1942 spielte Eliskases nur zwei Partien352, im Mai 1943 folgte er einer Einladung von Francisco Vieira Agarez, dem Herausgeber der Schachzeitschrift Xadrex Brasileiro nach Rio de Janeiro. Dort wurde Eliskases gleich wie Ludwig Engels mit den verschärften Bedingungen für deutschstämmige Personen konfrontiert und wurde „Zivil-Interniert“353. Während seines Aufenthaltes in Brasilien bis 1951 lebte er offenbar wieder vermehrt vom Schachsport, bis 1947 war er Chefredakteur der Schachzeitschrift Xadrex Brasileiro. Nebenbei schrieb er sein Buch „Jogo de Posicao“, welches 2000 als „Das Stellungsspiel“ in deutscher Sprache erschien. Laut Hebeker war Eliskases ab 1947 als Trainer in einem Schachklub tätig, sein erstes „richtiges“ Turnier der Nachkriegszeit bestritt er erst 1947 in Buenos Aires354, wo er hinter Stahlberg und Najdorf, aber noch vor dem Exweltmeister Euwe, den dritten Platz erzielte.355

Die stark besetzten Turniere in Mar del Plata bestritt er jährlich, 1947356 (dritter Platz), 1948357 (erster Platz) und 1949358 (dritter Platz) war er immer unter den besten drei Spielern platziert. In diese Phase seines Lebens fällt auch seine höchste erreichte (historische) Elo- Zahl, im Januar 1949 war er mit einer Wertung von 2733 die Nr. 8 der Welt.359

1951 kehrte Eliskases wieder nach Argentinien zurück, wo er auch die Staatsbürgerschaft Argentiniens annahm. Dass er diese bis zu seinem Tod am 2. Februar 1997 behalten hat, zeigt auch sein Profil bei der Mega Database:

351 Vgl. Chessbase: Mega Database, Eliskases Erich. 352 Ebd. 353 Ebd., S. 221. 354 Vgl. Chessbase: Mega Database, Buenos Aires/La Plata 1947. 355 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 221. 356 Vgl. Chessbase: Mega Database: Mar del Plata 1947. 357 Vgl. Chessbase: Mega Database: Mar del Plata 1948. 358 Vgl. Chessbase: Mega Database: Mar del Plata 1949. 359 http://www.chessmetrics.com/cm/CM2/PlayerProfile.asp?Params=196601SSSSS3S0341621966091311003376 00000010100 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 91

Chessbase: Mega Database: Erich Eliskases

Erfolgreich für Argentinien

Sein erstes Turnier für Argentinien war das Zonenturnier in Mar del Plata, wo Eliskases noch einmal versuchte, offiziell in der Weltspitze Fuß zu fassen. In der öffentlichen Wahrnehmung wurden seine Chancen nicht so schlecht eingeschätzt: „Man traute ihm sogar einen Neuaufstieg bis in die Kandidatennähe zu.“360 Er konnte dieses Turnier gemeinsam mit dem gebürtigen Argentinier Julio Bolbochan361 gewinnen, wurde aber aufgrund der besseren Feinwertung362

360 Anton Strauß: Ein Tiroler setzt sich durch: Erich Eliskases siebzig, in: Aktiv Schach 1983, Heft 3, S. 80. 361 Julio Bolbochan (geboren 1920 in Buenos Aires, gestorben 1996 in Caracas) gewann mehrere nationale Turniere in Argentinien, unter anderem zweimal in Mar del Plata 1952 und 1956. 1960 gewann er das Zonenturnier in Sao Paulo und qualifizierte sich dadurch für das Interzonenturnier in Stockholm 1962, wo er den dreizehnten Rang erreichte. Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 44f. und vgl. Chessbase: Mega Database, Bolbochan Julio. 362 Bei Punktegleichstand entscheidet seit 1932 in erster Linie die sogenannte Buchholz-Wertung über die Reihenfolge in der Endtabelle. Dabei werden die Punkte der Gegner der Spieler während des Turniers zusammengezählt, damit soll ermittelt werden, welcher Spieler im Verlauf des Turniers gegen stärkere Gegner zu bestehen hatte und somit vor andere Spieler mit derselben Punktezahl gereiht wird. Sollten mehrere Spieler auch hier den gleichen Wert aufweisen, wird die Sonneborn-Berger-Wertung für die Platzierung herangezogen. 92 der Sieger des Turniers und qualifizierte sich damit für die nächste Stufe, dem Interzonenturnier im folgenden Jahr.363

Bei diesem Turnier musste er offenbar seiner schachlichen Inaktivität der vorangegangenen Jahre Tribut zollen, er konnte beim Interzonenturnier in Saltsjobaden (SWE) 1952 nur 10,5 Punkte aus 20 Partien erringen, mit diesem für ihn schwachen Ergebnis hatte vor diesem Turnier wohl niemand gerechnet.364 Dass der Schachsport für ihn nicht mehr denselben Stellenwert im Leben hatte wie noch vor dem Krieg, geht unter anderem auch aus einem Artikel aus dem österreichischen Schachmagazin Aktiv Schach hervor:

„Sein Abschneiden dort (in Saltjobaden [sic!] mit knapp über fünfzig Prozent war kein Versager, aber eine kleine Enttäuschung für jene, die Schicksal und Zeitablauf nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Er selbst zeigte keine Verbitterung, eher ein wenig Melancholie. Sein bürgerliches Dasein im Kreise seiner neu gegründeten Familie war ihm durchaus lebenswert geworden.“365 Nichtsdestotrotz konnte er damit für Argentinien ein gutes Ergebnis erzielen, ähnliche Erfolge konnten „nicht-eingebürgerte“ argentinische Spieler bis zu diesem Zeitpunkt nur selten erreichen. Dass Eliskases im Lauf seiner Schachkarriere vor allem im Bereich der Mannschaftsbewerbe sehr erfolgreich war, was im Sieg in Buenos Aires 1939 gipfelte, war auch den Argentiniern nicht verborgen geblieben. Da er seit 1951 argentinischer Staatsbürger war, war er auch für die Nationalmannschaft spielberechtigt und nahm für sein neues Heimatland an insgesamt vier Olympiaden teil. Bei seiner ersten Teilnahme musste sich Argentinien nur der „übermächtigen“ Sowjetunion unterordnen, die das Turnier mit 2,5 Punkten Vorsprung gewinnen konnten.366 Erwähnt werden muss, dass von den fünf Spielern drei eingebürgert wurden: Erich Eliskases blieb wie Miguel (Mendel) Najdorf (siehe Kapitel „Verbleib in Argentinien inklusive Weltrekord“) nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Argentinien, der Großmeister Herman (ehemals Hermann) Pilnik war mit seiner Familie bereits 1930 von Deutschland nach Argentinien ausgewandert.

Dieser Erfolg war der zweite der drei zweiten Plätze in Folge, die Argentinien zwischen 1950 und 1954 erreichen konnte. Bei allen diesen Erfolgen fällt auf, dass vor allem eingebürgerte Spieler das Grundgerüst für die Erfolge ab 1950 bildeten, wobei auch die dritten Plätze von 1958 und 1962 vor allem auch den drei eingebürgerten Spielern zu verdanken waren.

Bei dieser Wertung werden die Punkte der geschlagenen Gegner voll gezählt, bei unentschieden wird die halbe Punktezahl der Gegner miteinbezogen und bei einer Niederlage werden die Punkte des Gegners ausgelassen. 363 Chessbase: Mega Database, Mar del Plata (Zt) 1951. 364 Vgl. Chessbase: Mega Database: Saltsjobaden Interzonal 1952. 365 Anton Strauß: Ein Tiroler setzt sich durch: Erich Eliskases siebzig, in: Aktiv Schach 1983, Heft 3, S. 80f. 366 Vgl. http://www.olimpbase.org/1952/1952fa.html [zuletzt eingesehen am 08.04.2018]. 93

1950 erzielte Najdorf am ersten Brett 11 von 14 möglichen Punkten (78,6%), Pilnik steuerte 7,5 von maximal 10 Punkten (75%) bei. 1952 war Najdorf wieder als stärkster Spieler auf dem ersten Brett aufgestellt und konnte mit 12,5 von 16 Punkten (78,1%) viele wichtige Punkte für Argentinien erzielen. Eliskases spielte auf dem dritten Brett und erreichte mit insgesamt 6 von 10 Punkten (60%) ein gutes Ergebnis. Pilnik erzielte auf dem vierten Brett 9,5 von 14 Punkten (67,9%) und war ebenfalls ein sicherer Rückhalt. 1954 erreichte Najdorf 10,5 von 15 Punkten (70%), Pilnik steuerte zum bis heute letzten zweiten Platz der argentinischen Nationalmannschaft 4 von 7 Punkten (57,1%) bei. Beim dritten Rang 1958 war Najdorf nicht dabei, Pilnik mit 9 Punkten aus 15 Partien (60%) und Eliskases mit 10,5 aus 17 Partien (61,8%) spielten aber gut genug, um wieder die Basis für ein Spitzenergebnis zu legen. Beim bis heute letzten Mal, dass Argentinien beim Turnier 1962 die Medaillenränge erreichen konnte, war von den drei wichtigen Stützen nur Najdorf dabei, der aber 12,5 Punkte aus 17 Partien (73,5%) erringen konnte.367

Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse kann gesagt werden, dass das argentinische Schach von den Ereignissen in Europa in der Zwischenkriegszeit und während des zweiten Weltkriegs profitieren konnte, da Najdorf, Eliskases und Pilnik aufgrund der Vorgänge in Europa und insbesondere Deutschlands den Verbleib bzw. die Auswanderung nach Südamerika beschlossen. Zusätzlich zu den Erfolgen der Nationalmannschaft profitierte das Turnierschach im Allgemeinen von der Anwesenheit europäischer Spitzenspieler, das Turnier in Mar del Plata konnte mit diesen Spielern Werbung machen und somit andere Teilnehmer anlocken. Das führte wiederum dazu, dass die argentinischen Jungendspieler sich mit stärkeren Spielern messen und von diesen lernen konnten, was deren Spielstärke gesteigert hat.

Julio Bolbochan und Hector Rossetto368 sind zwei Beispiele für Spieler, die unter anderem im Rahmen der Turniere in Mar del Plata zum ersten Mal Kontakt mit Weltklassespielern hatten. Während ihrer ganzen Karriere waren sie die nationalen Konkurrenten von Eliskases und Najdorf, obwohl sie deren Spielstärke nie erreichen konnten (Bolbochans höhste Elozahl war

367 Vgl. http://www.olimpbase.org/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 368 Hector Rossetto (geboren 1922 in Bahia Blanca, gestorben 2009 in Buenos Aires) gewann das Turnier in Mar del Plata 1949. 1957 qualifizierte er sich mit dem zweiten Platz im Zonenturnier in Rio de Janeiro für das Interzonenturnier in Protoroz 1958, wo er den 18. Platz erreichte. 1963 gewann er das Zonenturnier in Fortaleza und wurde im Interzonenturnier in Amsterdam 17. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 215 und vgl. Chessbase: Mega Database, Rossetto Hector. 94

2703 im November 1954369, Rossetto erreichte im April 1950 die Wertungszahl 2653370). Beide waren als Ergänzung zu den drei eingebürgerten Spielern Najdorf, Eliskases und Pilnik bei den drei zweiten Plätzen 1950, 1952 und 1954 aufgestellt und somit Teil der erfolgreichsten Phase der argentinischen Nationalmannschaft im Rahmen der Schacholympiaden bis heute.

Verbundenheit mit Österreich in der Nachkriegszeit

Während über Eliskases im Lauf seiner Karriere von den Anfängen bis zur Schacholympiade 1939 in Buonos Aires mehrere hundert Mal berichtet wurde, gibt es seit seiner Entscheidung, nicht mehr in seine alte Heimat zurückzukehren, kaum noch Erwähnungen, obwohl er auch während dem Krieg und in der Nachkriegszeit nach wie vor Erfolge feiern konnte.371 Dieser Umstand wird wohl auch der Tatsache geschuldet sein, dass Eliskases gemeinsam mit dem Rest der 1939 siegreichen Mannschaft als Deserteure betrachtet wurde, da diese aufgrund der geographischen Entfernung für das Deutsche Reich und die Wehrmacht nicht greifbar waren.

Wenn über Eliskases berichtet wurde, dann in den meisten Fällen nur dann, wenn es mehr oder weniger unmöglich war, ihn in der Berichterstattung zu umgehen. Als Beispiel seien hier zwei Artikel aus der Tiroler Tageszeitung angeführt, die während der Olympiade 1958 veröffentlicht wurden.

Im ersten Artikel wird Eliskases erwähnt, da Argentinien dank seiner Mithilfe die DDR in der Siegerrunde mit 3:1 besiegen konnte: „Die Argentinier, in deren Reihen auch der Ex-Tiroler Eliskases steht, gewannen hoch gegen die DDR.“372

Während dieses Turniers spielte Österreich in der Siegerrunde gegen Argentinien, womit eine direkte Auseinandersetzung mit dem neuen Land des ursprünglichen Tirolers unausweichlich

369 http://chessmetrics.com/cm/CM2/PlayerProfile.asp?Params=199510SSSSS3S014095000000111000000000002 910100 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 370 http://www.chessmetrics.com/cm/CM2/PlayerProfile.asp?Params=199510SSSSS3S1114701944011110000000 00000010100 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 371 Nach der Durchsuchung der Datenbank der österreichischen Nationalbibliothek und unter Zuhilfenahme der „Anno“ Suchfunktion gab es genau 26 Treffer im Zeitraum zwischen dem 2.9.1939 und dem 31.12.1945, dem Ende der eingescannten Zeitungen und Zeitschriften. Auch in der Tiroler Tageszeitung, der Nachfolgezeitung des Tiroler Anzeigers gibt es trotz Eliskases‘ ursprünglich tirolerischer Abstammung zwischen dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und seinem Todestag am 2.2.1997 nur sehr wenige Berichterstattungen. Die Daten nach dem Ende der eingescannten Artikel wurden vor Ort im Tiroler Landesmuseum erhoben. 372 Tiroler Tageszeitung, 17.10.1958, Nr. 240, S. 3. 95 wurde: „Nach den ersten vier Runden der Siegerrunde konnte gegen Argentinien mit 2:2 ausgezeichnet abgeschnitten werden. In sportlicher Weise verzichtete Eliskases in den Reihen der Argentinier auf ein Antreten gegen seine früheren Landsleute.“373 Dass Eliskases auf eine Begegnung mit dem österreichischen IM Alfred Beni verzichtete, dürfte wohl einer der Gründe für das 2:2 gewesen sein, da die beiden letzten Bretter 1,5 der insgesamt 2 Punkte erzielen konnte.374

Diese beiden Artikel sind die einzigen bzgl. Eliskases in der argentinischen Nationalmannschaft, die im Zusammenhang mit seinen Erfolgen in der Tiroler Tageszeitung, der Nachfolgerin des Tiroler Anzeigers publiziert wurden.

Dass Eliskases seine alte Heimat nach dem Zweiten Weltkrieg dennoch besucht hat wird in der Literatur berichtet. Die längste Phase, während der er in Tirol war, war zwischen 1976 und 1977. Ob eine dauerhafte Rückkehr nach Österreich geplant war, wird nicht festgehalten, Hebeker berichtet im Einklang mit der übrigen verwendeten Literatur nur, dass die Familie wieder nach Argentinien zurückgekehrt ist und führt klimatische Gründe dafür an.375

Ein Telefonat mit Hans E.376 bestätigt diese Berichte, E. gibt auch zu Protokoll, warum Eliskases immer wieder in Österreich war: „Eliskases erbte ein Haus in der Anichstraße in Innsbruck und machte dort nach dem Krieg immer wieder Urlaub.“377

Einige von den wenigen Personen, die sich mit Eliskases beschäftigt haben, fassen diesen längeren Zeitraum in Innsbruck als Anzeichen dafür auf, dass er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Österreich verlegen wollte. Michael Ehn ist ebenfalls dieser Meinung:

„1976 kam er mit Frau und Sohn nach Tirol, mit der Absicht, hier wieder seßhaft zu werden, und er spielte auch Schach - sogar für die österreichische Nationalmannschaft - aber schon nach ca. einem halben Jahr mußte das Paar wieder nach Cordoba zurückkehren, die Entwurzelung war zu groß, zudem vertrug seine Frau das rauhe Klima der Alpen nicht.“378 Dass er während dieser Zeit Schach gespielt hat ist nicht nachweisbar, weder in der Tiroler Tageszeitung gibt es Ankündigungen zu einer Veranstaltung bzw. Ergebnisse noch sind in der Mega Database Partien überliefert, die er in diesem Zeitraum gespielt hat. Dass er wieder für die österreichische Nationalmannschaft gespielt hat, ist mit Sicherheit auszuschließen. Bei der

373 Tiroler Tageszeitung, 25.10.1958, Nr. 247, S. 16. 374 Vgl. http://www.olimpbase.org/1958/1958fa05.html [zuletzt eingesehen am 08.04.2018]. 375 Vgl. Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 222. 376 Hans E. spielte viele Jahre für den Schachklub Schlechter, in dem auch Eliskases begann. Er war dort auch im organisatorischen Bereich tätig und war durch den Schachklub so gut über den Großmeister informiert, wie es den Umständen entsprechend möglich war. 377 Telefonat mit Hans E. Geführt am 18.8.2017. 378 http://www.schachundspiele.at/wissenschaft/eliskases.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 96 infrage kommenden Schacholympiade 1976 in Haifa trat Österreich mit folgender Besetzung an: GM Robatsch Karl (erstes Brett), IM Dückstein Andreas (zweites Brett), Hölzl Franz (drittes Brett), Janetschek Karl (viertes Brett), Wittmann Walter (erster Ersatzmann), Röhrl Karl (zweiter Ersatzmann).379

Auch das Telefonat mit Hans E. legt nahe, dass Eliskases wohl keine dauerhafte Rückkehr geplant hatte: „Meines Wissens nach nicht, er war nur zum Urlaub machen in Tirol, Schach gespielt hat er hier nur selten. Er hat ja in Argentinien geheiratet und dann dort gelebt.“380

Generell kann festgestellt werden, dass Eliskases nach dem Zweiten Weltkrieg seine schachlichen Aktivitäten zugunsten seiner Familie und seines „normalen“ Lebens eingeschränkt hat, obwohl er für seine neue Heimat noch mehrfach starke Leistungen abliefern konnte.

Am 2. Februar 1997 starb Eliskases in Cordoba, er ist bisher der einzige Spieler, der mit drei verschiedenen Nationalmannschaften bei Schacholympiaden eine Platzierung unter den besten fünf teilnehmenden Nationen (Platz vier für Österreich 1930, Platz eins für Deutschland 1939, mehrere Plätze in den Medaillenrängen für Argentinien ab 1952) erreichen konnte.381

379 http://www.olimpbase.org/1976/1976aut.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 380 Telefonat mit Hans E. Geführt am 18.8.2017. 381 Vgl. http://www.olimpbase.org/players/ndp1rffg.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 97

Miguel Najdorf

Jugend in Polen bis zur Heimolympiade in Warschau

Wenn man sich mit der Geschichte des Schachspiels in Südamerika und insbesondere in Argentinien beschäftigt, kann man dem Namen Najdorf nicht ausweichen. Mendel (Miecyslaw) Najdorf wurde am 15. April 1910 in Warschau geboren.382 Mit dem Schachspiel kam er bereits relativ früh in Berührung und hatte sofort einen sehr prominenten Mentor: „Mit 12 Jahren erlernte er Schach und entwickelte bereits frühzeitig unter dem Einfluss von Großmeister und Schachschriftsteller Tartakower, einem späteren Kämpfer der Resistance, einen originellen Stil.“383

Seine frühen Partien sind nicht überliefert, seine erste Partie in der Mega Database wurde 1929 in Lodz gespielt. Dass er aber im Zeitraum zwischen 1922 und 1929 nicht nur trainiert, sondern auch selbst gespielt hat, muss aber angenommen werden, da in der erwähnten Partie gegen Gliksberg (Glücksberg) bereits sein spezieller Spielstil erkennbar ist: Zwischen dem zehnten Zug und dem Schachmatt im 21. Zug gab Najdorf gekonnt drei Figuren auf, um Gliksbergs Position zu zerstören und ihn schlussendlich zu besiegen. Diese Beherrschung der Figuren und sein taktisches Wissen (unter anderem erkannte er bereits nach dem 15. Zug, dass er bei der richtigen Reihenfolge der Züge seinen Gegner im 21. Zug besiegen würde) lassen darauf schließen, dass er 1929 schon ein recht weit fortgeschrittener Spieler gewesen sein musste.384

Im Jahr darauf spielte Najdorf einen Wettkampf gegen Moshe Czerniak385, den er mit 6:2 deutlich besiegen konnte. Zwischen 1930 und der Schacholympiade 1935 in Warschau sind von Najdorf keine Partien überliefert, wahrscheinlich konzentrierte er sich während dieser

382 Vgl. https://www.chess.com/article/view/a-little-bit-about-miguel-najdorf [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 383 https://www.ila-web.de/ausgaben/256/miguel-najdorf-1910-1997 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 384 Chessbase: Mega Database: Najdorf – Gliksberg, 1-0; Lodz 1929. 385 (geboren im Jahr 1910 in Polen, gestorben 1984 in ) machte seine ersten schachlichen Erfahrungen in seinem Geburtsland Polen. Er emigrierte zwischen 1930 und 1935 nach Palästina, wann genau ist nicht überliefert. 1935 nahm er bereits für Palästina an der Schacholympiade in Warschau teil, nach dem Zweiten Weltkrieg galt er als erster professioneller Schachspieler Israels. Czerniak war Palästinas Meister 1936 und 1938 und spielte für Palästina bei den Olympiaden 1935 und 1939 in Buenos Aires. Er vertrat Israel nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1952 und 1974 bei neun Olympiaden. Vgl. https://www.chess.com/chessopedia/view/czerniak-moshe [zuletzt eingesehen am 8.1.2018] und http://www.olimpbase.org/players/3hfnl3xf.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 98

Zeit auf sein berufliches Fortkommen. Laut Lindörfer war Najdorf ursprünglich Kaufmann, bevor er sich dafür entschied, Profispieler zu werden.386

Bei seinem ersten großen internationalen Auftritt bei der Heimolympiade in Warschau spielte Najdorf am dritten Brett für die polnische Mannschaft, die hinter den USA und Schweden den dritten Platz erreichen konnte. Najdorf erreichte mit 12 Punkten aus 17 Partien (70,6%) das zweitbeste Ergebnis seiner Mannschaft, nur Paulin Frydman war mit 11,5 Punkten aus 16 Partien (71,9%) erfolgreicher. Bei diesem Turnier spielte er zum ersten Mal gegen seinen späteren Teamkollegen Eliskases, die beiden trennten sich am 18. August 1935 mit einem Remis. Angeführt wurde die Mannschaft von Tartakower. Najdorf spielte mit seinem Mentor bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erfolgreich in einer Mannschaft, wobei Tartakower beim Turnier in München nicht dabei war.387

Erfolgreich für Polen bis Buenos Aires

Obwohl sich Najdorf nach der Olympiade 1935 in Warschau unter den europäischen Spitzenspielern etablieren konnte, war er in der Zwischenkriegszeit im Vergleich zu anderen Spielern eher wenig aktiv. Inklusive den Olympiaden 1935 und 1939 spielte er nur 10 Turniere (111 Partien)388, die er aber durchwegs erfolgreich gestalten konnte. Dies lag wohl vor allem an seiner finanziellen Lage. Najdorf war beispielsweise im Gegensatz zu Aljechin kein Berufsspieler, der seinen Lebensunterhalt zum größten Teil aus Preisgeldern und Sponsoring bestritt. Er hatte wohl auch keine Unterstützung der polnischen Regierung, während beispielsweise Capablanca als kubanischer Diplomat oder Eliskases/Engels von den Nationalsozialisten für die Teilnahme an Turnieren und/oder für die Arbeit im Rahmen von Schachzeitungen gut genug entlohnt worden waren, um neben dem Schachspielen keiner anderen Arbeit nachgehen zu müssen. Die Tatsache, dass von den zehn gespielten Turnieren vier Schacholympiaden, im Rahmen derer er Kost und Logis im Gegensatz zu „privaten“ Turnieren gestellt bekam, überliefert sind, verstärkt diesen Eindruck zusätzlich.

Die Generalprobe für das Turnier in München gestaltete er positiv, mit 12 Punkten aus 15 Partien musste er sich den Turniersieg zwar mit dem Ungarn teilen, konnte aber vor allem seine direkten Konkurrenten um den Turniersieg alle besiegen. 1,5 seiner 3

386 Vgl. Klaus Lindörfer: Das große Schachlexikon: Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A-Z, München 1991, S. 176. 387 Vgl. http://www.olimpbase.org/1935/1935fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 388 Vgl. Chessbase: Mega Database: Najdorf Miguel. 99 abgegebenen Punkte waren Remis gegen Nachzügler, die einzige Niederlage musste er gegen den späteren Schweizer Nationalspieler Erno Gereben hinnehmen.389

Bei der inoffiziellen Schacholympiade 1936 in München belegte Polen mit Najdorf am zweiten Brett den zweiten Platz hinter Ungarn, Najdorf ragte mit 16 Punkten aus 20 Partien (80%) aus der Mannschaft hervor.390

Zwischen dem Turnier in München und der 1937 in Stockholm stattfindenden Schacholympiade spielte Najdorf nur vier Partien im Rahmen eines polnischen Auswahlturnieres. Diese mangelnde Spielpraxis dürfte auch Auswirkungen auf seine spätere Leistung gehabt haben. 1937 belegte die polnische Mannschaft hinter den USA und Ungarn den dritten Platz, Najdorfs Ergebnis war mit 9,5 Punkte aus 16 Spielen (59,6%) nicht mehr so stark wie bei den Turnieren davor, aber nach wie vor sehr wichtig für sein Team.391

1938 spielte er in Lodz sein letztes Turnier auf dem europäischen Festland unter polnischer Flagge. Dies war gleichzeitig auch sein einziges Turnier, das er in diesem Jahr bestritt und sein Endergebnis war seiner mangelnden Spielpraxis angemessen: aus 15 Partien konnte er nur 7 Punkte erringen, was den zehnten Platz von 16 Teilnehmern bedeutete.392

1939 nahm er an drei Turnieren teil, bei seinem ersten Auftritt in Südamerika gewann er ein Turnier in Buenos Aires aufgrund der besseren Feinwertung vor Paul Keres.393 Im stark besetzten Turnier in Margate (Großbritannien) konnte er diese Leistung nicht wiederholen und erreichte mit 4 von 9 Punkten nur den sechsten Platz von zehn Teilnehmern.394

Verbleib in Argentinien inklusive Weltrekord

Bei der Olympiade in Buenos Aires erreichte Polen den zweiten Platz hinter der Auswahl des Deutschen Reiches. Der Rückstand von nur einem halben Punkt war denkbar knapp, auf die drittplatzierten Esten hatten die Polen zwei Punkte Vorsprung. Najdorf erzielte starke 14 von 18 möglichen Punkten (77,8%), sein wichtigster Sieg in diesem Turnier war wohl der Sieg

389 Vgl. Chessbase: Mega Database, Budapest 1936. 390 Vgl. http://www.olimpbase.org/1936x/1936fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 391 Vgl. http://www.olimpbase.org/1937/1937fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 392 Vgl. Chessbase: Mega Database, Lodz 1938. 393 Vgl. Chessbase: Mega Database, Buenos Aires Circulo 1939. 394 Vgl. Chessbase: Mega Database, Margate 1939. 100

über den Esten Ilmar Raud395, der den Sieg der polnischen Mannschaft über den direkten Konkurrenten einleitete.396

Die Schacholympiade in Buenos Aires hatte auf die polnischen Nationalspieler die wohl größten Auswirkungen, da ihr Heimatland noch vor dem Ende des Turniers von den Nationalsozialisten in einem Blitzkrieg besetzt worden war. Von den polnischen Olympiazweiten von 1939 kehrte gleich wie bei den Siegern aus Deutschland kein einziger (mit Ausnahme der teilnehmenden Dame Rinder und des „Schatzmeisters“ Miehe) jemals wieder in die Heimat zurück. Für die für Polen antretenden Spieler wäre eine Rückkehr in ihre Heimat nicht nur deswegen gefährlich gewesen, weil ihre Heimat inzwischen Teil des Deutschen Reiches geworden war, sondern vor allem für die jüdischen Teilnehmer (beispielsweise Najdorf und Tartakower) hätten dann die Nürnberger Gesetze gegolten. Aufgrund dieser Gesetze wären sie mindestens sozialer Ächtung und Diskriminierungen ausgesetzt gewesen, wahrscheinlicher wäre allerdings gewesen, dass sie das tödliche Schicksal ihrer Familien geteilt hätten (siehe Seite 102f.).

Laut Herman von Riemsdjik hatte Najdorf eine schlechte Ausgangsposition in Südamerika:

„Ab dem Herbst 1939 mußte Miguel (so nannte sich Najdorf ab Mitte 1940) mit 320 Dollar Startkapital (sein Antrittsgeld und der Erlös seines Rückreisetickets), aber vorerst ohne spanische Sprachkenntnisse, in der neuen Welt auf eigenen Füßen stehen. Zunächst versuchte er sich als Handelsvertreter (u.a. für nahtlose Nylon-Damenstrümpfe) und beteiligte sich 1940 an keinerlei offiziellen Schachturnieren. Doch der Pole erwarb sich rasch eine Reputation als nicht nur starker, sondern auch unterhaltsamer Simultan- und Blindspieler. Gleichzeitig stellte sich in der Versicherungsbranche der geschäftliche Erfolg ein.“397 Die Ausgangslage war mit der von Ludwig Engels vergleichbar, da es in Argentinien und Südamerika generell aber eine relativ große deutsche Community gab, hatte der Deutsche doch einen Startvorteil dem Polen gegenüber.

Nicht allen Spielern, die in Südamerika geblieben waren, gelang es, sich eine neue Existenz aufzubauen. Am Beispiel von Ilmar Raud werden die Probleme der in Südamerika gebliebenen deutlich, vor allem die derjenigen, die auf keine breite (deutsche) Community zurückgreifen konnten und/oder neben dem Schachspiel eine geregelte Arbeit fanden. Diese

395 Ilmar Raud wurde am 30.4.1924 in Vijandi geboren und ist am 13.7.1941 in Buenos Aires gestorben. Raud war ein estnischer Jude, der nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht in seine Heimat zurückreiste. Raud war mehrfacher estnischer Meister und vertrat sein Heimatland bei den Olympiaden 1935, 1937 und 1939. Vgl. https://www.geni.com/people/Ilmar-Raud/6000000040801318610 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]) und http://en.chessbase.com/post/che-in-the-war [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 396 Vgl. http://www.olimpbase.org/1939/1939fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 397 Herman C. van Riemsdjik: Najdorfs legendary blindful simul. Alkmaar 1998, S. 67 in: Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 150. 101

Spieler hatten in der Regel finanzielle Probleme, da sie sich vom Preisgeld der wenigen Turniere nur schwer ernähren konnten. Raud war einer derjenigen, die vom Einkommen von Schachturnieren abhängig waren. Nachdem er nach einem Rundenturnier die Organisatoren verärgerte, indem er eine offizielle Einladung zu einem Abendessen ausgeschlagen hatte, wurde er bei der (zwei Monate nach dem Ende des Turniers am 29. Juni 1941 stattfindenden!) Preisverleihung mehr oder weniger übergangen, was für ihn gravierende Folgen hatte:

„Rauds Preis waren nur ein paar Schillinge. Um 10:00 Uhr an jenem 29. Juni, verließ er seine ärmliche Herberge, in welche er nie wieder zurückkehren sollte. Er wurde auf den Straßen umherstreifend gefunden und von der Polizei festgenommen. Es heißt, dass es einen Kampf gab und Besucher bemerkten daraufhin offensichtliche Beweise für Schläge. Er verbrachte eine bitterkalte Nacht auf dem Polizeihof und wurde am nächsten Tag in eine Irrenanstalt geschickt, wo er um 02:00, am 13. Juli [1941], mit nur 27 Jahren verstarb. Die Bescheinigung des Arztes gab als Todesursache allgemeine Schwäche und Typhus an, aber das Urteil der Jury lautete: Tod durch Verhungern!“398 Najdorf dagegen baute sich ein Standbein neben dem professionellen Schach auf, 1941 kehrte er wieder aktiv zum Schachbrett zurück. In diesem Jahr teilte er sich einerseits den ersten Platz bei einem stark besetzten Rundenturnier in Buenos Aires mit Stahlberg und wurde zweiter im Turnier in Mar del Plata.399

Zusätzlich dazu dachte er sich etwas aus, wie er möglicherweise einerseits seiner in Polen zurückgebliebenen Familie ein Lebenszeichen zukommen lassen könnte und andererseits seinen eigenen schachlichen Marktwert steigern würde: Er spielte gegen 222 Spieler simultan, von diesen 222 Partien konnte er innerhalb von 13,5 Stunden 202 gewinnen und musste nur 13 Remis sowie 8 Niederlagen hinnehmen.400

1943 unternahm er einen neuen Versuch, im Rahmen einer spektakulären Veranstaltung seine Familie zu benachrichtigen, das zusätzliche Einkommen war ihm aber wohl auch willkommen. In diesem Jahr spielte er gegen 40 Gegner gleichzeitig Simultan – allerdings blind.401

Ob er mit diesen Weltrekorden seine in Polen gebliebene Familie erreichen konnte ist nicht überliefert, aber eher unwahrscheinlich: „Während Najdorf selbst also emigrieren konnte, überlebten seine Frau, seine Tochter, seine Eltern, vier Brüder und etliche seiner Freunde die

398 http://en.chessbase.com/post/che-in-the-war [zuletzt eingesehen am 08.01.2018]. 399 Vgl. Chessbase: Mega Database: Najdorf Miguel. 400 Vgl. http://www.chesshistory.com/winter/extra/simultaneous.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 401 Vgl. http://www.blindfoldchess.net/blog/2011/12/after_64_years_new_world_blindfold_record_set_by_marc_lan g_playing_46_games/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 102

Shoa nicht. Sie wurden in verschiedenen Konzentrationslagern hingerichtet, übrigens ebenso wie auch die Familie Tartakowers.“402

Diese beiden Weltrekorde waren Najdorfs wohl größte Leistungen zwischen dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und dem Ende desselben. Solche Aktionen gepaart mit dem sich während dem Krieg etablierenden Spitzenspielerturnier in Mar del Plata sowie anderen, etwas kleineren Turnieren, sorgten dafür, dass nicht nur die bereits vorhandenen autochthonen Argentinier (siehe Bolbochan und Rossetto in Kapitel „Verbundenheit mit Österreich in der Nachkriegszeit“) stärker wurden, sondern auch eine breitere Masse mit dem Schachsport in Berührung kam.

402 https://www.ila-web.de/ausgaben/256/miguel-najdorf-1910-1997 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 103

Galionsfigur für Argentinien

Najdorf wurde bereits 1944 argentinischer Staatsbürger und begann neben seiner normalen Arbeit immer mehr auf professioneller Ebene zu spielen, wobei er sich der absoluten Weltspitze direkt nach dem Krieg immer weiter näherte bzw. zu ihr zurückkehrte.403

Dass er nach seiner Einbürgerung für den Rest seines Lebens nur noch unter argentinischer Flagge gespielt hat und nie wieder für ein anderes Land, zeigt auch sein Eintrag in der Mega Database:

Chessbase: Mega Database: Najdorf Miguel Zwischen 1941 und 1945 spielte Najdorf bei insgesamt neun Turnieren mit, fünf davon waren die Turniere in Mar del Plata. 1941 und 1943 musste er sich knapp dem Schweden Stahlberg geschlagen geben, 1944 hatte er das Nachsehen gegenüber Herman Pilnik. 1942 und 1945 konnte er das Turnier gewinnen, bei seinem zweiten Sieg war er bereits argentinischer Staatsbürger.404

403 Vgl. http://www.nytimes.com/1997/07/17/arts/miguel-najdorf-87-famed-for-sparkling-chess- dies.html?mcubz=0 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 404 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mar del Plata 1941, 1942, 1943, 1944 und 1945. 104

Sein erster großer internationaler Auftritt für sein neues Heimatland war in Prag. Im Rahmen dieses Turnieres sollte der achte Spieler für das Rundenturnier um den Weltmeisterschaftstitel 1948 ermittelt werden.405 Diese Neuerung war notwendig, da Aljechin seinen Titel mit ins Grab genommen hatte, bevor ein anderer Spieler diesen Titel von ihm erringen konnte. Najdorf nahm 1946 am Treybal-Memorial teil und konnte das Turnier auch für sich entscheiden, er durfte allerdings nicht an der Endrunde teilnehmen, da im Nachhinein entschieden wurde, „[…] dass das Prager Turnier zu schwach besetzt gewesen wäre […].“406

Im Jahr darauf steigerte er seine eigene Bekanntheit und die des argentinischen Schachsports durch die Verbesserung eines eigenen Weltrekordes erneut: „Am 24./25.1.1947 – nach dem internationalen Turnier – stellte Miguel Najdorf in Sao Paulo einen neuen Rekord im Blindsimultanspiel auf. Er traf auf 45 Gegner und beendete die Veranstaltung nach 24 Stunden mit dem Ergebnis (+39 =4 -2).“407

Für die Durchführung dieser Veranstaltung, die besser organisiert werden sollte als die im Jahr 1941, hatte Najdorf nicht nur prominente Unterstützer, sondern auch ärztliche Betreuung:

„Erich Eliskases und Ludwig Engels überwachten bei diesem Großereignis die Bretter 1-15 bzw. 31-45, während Nr. 16-30 unter der Kontrolle von Dr. Porto Alegre standen, dem Organisator des Blindsimultanspiels. Najdorfs Gesundheitszustand wurde ständig von drei Ärzten beobachtet.“408 Nachdem er diese unglaubliche Veranstaltung beendet hatte, stellte Argentinien für die nächsten 64 Jahre den Weltrekordhalter. Erst am 26./27. November 2011 konnte der deutsche FM Marc Lang diesen Rekord brechen, er spielte an diesem Wochenende in 21 Stunden gegen insgesamt 46 Gegner, davon konnte er 25 besiegen, beendete 19 Partien mit einem Unentschieden und musste sich nur 2 Gegner geschlagen geben. Dass aber solche Veranstaltungen für die Spieler auch im Nachhinein Folgen haben können, macht folgende Aussage von Lang gegenüber der Zeitung taz in einem Interview deutlich:

„Daran, den Weltrekord auf 50 Blindpartien zu schrauben, verschwendet der Fide-Meister vorerst noch keinen Gedanken: ‚Neee, das war schon jetzt grenzwertig!‘. Die Qual geht

405 Die vermeintlich 6 besten Spieler (Botwinnik, Smyslow, Keres (alle UdSSR), Fine und Reshevsky (USA) sowie Euwe (NED)) wurden direkt eingeladen, zwei zusätzliche Startplätze waren den Siegern des Staunton- Memorials und des Treybal-Memorials versprochen worden. Staunton wurde von Botwinnik gewonnen, der ohnehin qualifiziert war, Treybal (Prag) wurde im Nachhinein für zu schwach besetzt empfunden, weshalb Najdorf keinen Startplatz erhielt. Vgl. Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 115. 406 Ebd., S. 115. 407 Friedrich-Karl Hebeker: Vom Rhein nach Sao Paulo: Ludwig Engels 1905-1967, Neunkirchen 2016, S. 257. 408 Ebd. 105 schließlich weiter: Der Denkakrobat brauchte im Vorjahr nach dem Europarekord ‚zwei bis drei Monate, bis alle Partien wieder in meinem Schädel zerfielen‘.“409 Nach seinem Weltrekord spielte Najdorf wohl auch aufgrund der Strapazen dieser Veranstaltung bis zum nächsten Turnier in Mar del Plata 1947 kein hochkarätig besetztes Turnier mehr, dieses Turnier konnte er dann aber vor Stahlberg, Eliskases, Pilnik und Euwe gewinnen.410

In den neuen Zyklus um die Weltmeisterschaft stieg Najdorf erst beim Interzonenturnier 1948 in Saltsjobaden ein. Qualifiziert hatte er sich durch seinen Sieg beim Treybal-Memorial, er erhielt diesen Startplatz mehr oder weniger als Kompensation für die nachträgliche „Ausladung“ aus der Endrunde beim Wettkampf um die Weltmeisterschaft 1948. Bei diesem Turnier erzielte er 10,5 Punkte aus 19 Partien, dadurch belegte er den geteilten sechsten bis neunten Platz gemeinsam mit Stahlberg, Bondarevsky und Flohr, da alle nicht nur dieselbe Punktezahl, sondern auch die gleiche Feinwertung hatten.411

In diese Zeit fällt auch Najdorfs beste historische Elo-Wertung, die Berechnung ergibt 2797. Diese Wertung bestätigt, dass er eindeutig in die Weltspitze einzuordnen war, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass er mit dieser Wertung zwischen 1946 und 1949 33 Monate lang die Nummer zwei der Welt gewesen wäre.412 Hätte man solche Wertungen damals zur Verfügung gehabt, wäre der Name Najdorf mit Sicherheit auf der Einladungsliste für das Turnier um die Weltmeisterschaft in Den Haag und Moskau gestanden.

1949 fand die erste argentinische Landesmeisterschaft statt, die im Rahmen eines Zweikampfs ausgetragen wurde. Für diesen Wettkampf wurde vereinbart, dass zwischen Najdorf und Julio Bolbochan 10 Partien gespielt werden sollten und der Sieger den Titel des besten argentinischen Spielers erhalten sollte. Nach diesen 10 Runden konnte sich Najdorf mit 5,5:4,5 durchsetzen, wobei er diese Entscheidung erst mit einem Sieg in der letzten Runde herbeiführen konnte.413

Im selben Jahr spielte er in New York einen Wettkampf gegen Reuben Fine, der 1948 für das Turnier in Den Haag und Moskau spielberechtigt gewesen wäre, aber aufgrund seiner normalen Arbeit abgesagt hatte. Nach acht Partien trennten sich die beiden mit einem 4:4

409 http://www.taz.de/!5106580/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 410 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mar del Plata 1947. 411 Vgl. Chessbase: Mega Database, Saltsjobaden 1948. 412 http://www.chessmetrics.com/cm/CM2/PlayerProfile.asp?Params=199510SSSSS3S0910450000001110000000 00000010100 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 413 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch m Buenos Aires 1949. 106

Gleichstand, nachdem Fine nach den ersten beiden Partien bereits mit 2:0 in Führung gelegen hatte. Dass Najdorf mit den Partien drei und vier ausgleichen konnte, zeigt einerseits seine psychische Stärke und brachte andererseits auch in Nordamerika positive Werbung für den argentinischen Schachsport.414

1950 nahm Najdorf am Kandidatenturnier in Budapest teil, wo er mit 9 Punkten aus 18 Partien (50%) den fünften Platz belegte. Gewonnen wurde dieses Turnier vom Sowjet David Bronstein, der sich punktegleich aber mit einer besseren Feinwertung vor seinem Landsmann Boleslavsky und mit zwei Punkten Vorsprung auf Vassily Smsylov, einem der späteren sowjetischen Weltmeister, durchsetzen konnte. Najdorf hatte einen entscheidenden Anteil an der besseren Feinwertung Bronsteins, da er gegen diesen zwei Niederlagen hinnehmen musste. Mit dem fünften Platz schrieb Najdorf argentinische Schachgeschichte, nach ihm konnte sich bis heute kein Argentinier mehr so weit vorne in der Weltspitze platzieren.415

1950 fand die erste Schacholympiade der Nachkriegszeit statt, es war die erste von Najdorfs insgesamt elf Olympiaden für Argentinien. Najdorf war gemeinsam mit Erich Eliskases und Herman Pilnik hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die argentinische Nationalmannschaft in den drei Turnieren 1950, 1952 und 1954 den zweiten Platz erreichen konnte. Najdorfs Leistung war vor allem 1950 und 1952 herausragend, als er mit 11 Punkten aus 14 Partien (78,6%) bzw. mit 12,5 aus 16 (78,1%) jeweils das beste Ergebnis von allen Spielern am ersten Brett erreichen konnte. 1954 konnte er nur 10,5 Punkte aus 15 Partien (70%) erzielen, was allerdings immer noch das viertbeste Ergebnis am Spitzenbrett bedeutete.416

Einen seiner größten Erfolge feierte Najdorf 1950 bei einem sehr stark besetzten Turnier in Amsterdam. Dieses konnte er mit 15 Punkten aus 19 Partien für sich entscheiden, hinter sich ließ er mit teilweise großem Abstand unter anderem Reshevsky, Stahlberg, Pirc, Gligoric und Euwe.417

1952 kam es zu einem Wettkampf mit Samuel Reshevsky, der in den USA, Mexiko und San Salvador ausgetragen wurde. Dieser Wettkampf über 18 Partien wurde später inoffiziell als „Das Spiel um die Weltmeisterschaft der freien Welt“418 bekannt. Dieser Titel wurde offenbar so gewählt, da sich der Weltmeister und der Großteil der Herausforderer auf sowjetischen

414 Vgl. Chessbase: Mega Database, New York 1949. 415 Vgl. Chessbase; Mega Database, Candidates Tournament (Budapest) 1950. 416 Vgl. http://www.olimpbase.org/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018], Dubrovnik 1950, Helsinki 1952 und Amsterdam 1954. 417 Vgl. Chessbase: Mega Database, Amsterdam 1950. 418 http://www.chessgames.com/perl/chess.pl?tid=82131 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 107

Boden befanden und die USA sich während des Kalten Krieges selbst als Schutzmacht „der freien Welt“ betrachteten, der die „unfreie“ Sowjetunion gegenüberstand. Najdorf musste sich in diesem Duell mit 7:11 beugen.419

1953 wurde Najdorf zum zweiten Mal argentinischer Meister, in einem Zweikampf mit Ruben Shocron setzte er sich mit 4,5:0,5 überlegen durch.420

Im selben Jahr hatte Najdorf seinen zweiten Auftritt bei einem Kandidatenturnier, für das Turnier war er aufgrund seines fünften Platzes im Jahr 1950 automatisch spielberechtigt.421 Mit 14,5 Punkten aus 28 Partien konnte er sein Ergebnis vom Jahr 1950 zwar knapp verbessern, musste sich aber trotzdem mit dem sechsten Platz begnügen. Mit diesem Ergebnis war Najdorf dennoch hinter Reshevsky der zweitbeste Spieler, der nicht für die Sowjetunion spielberechtigt war.422

1954 wurde im Vorfeld der Schacholympiade ein Wettkampf zwischen Argentinien und der Sowjetunion vereinbart, im Rahmen dessen jeweils acht Spieler vier Partien gegeneinander spielen sollten. Den drei stärksten argentinischen Spielern Najdorf, Eliskases und Pilnik wurden die drei zu dieser Zeit stärksten sowjetischen Spieler zugeteilt. Najdorf musste sich Bronstein mit 1,5:2,5 beugen, Pilnik verlor mit demselben Ergebnis gegen den späteren Weltmeister Petrosjan, Eliskases musste sich Mark Taimanov mit 1:3 geschlagen geben. Der Wettkampf gegen die damals mit Abstand stärkste Schachnation der Welt wurde zwar mit 20,5:11,5 verloren, die drei eingebürgerten argentinischen Spieler erreichten mit 4 Punkten dennoch knapp über ein Drittel aller Punkte „des Restes der Welt“.423

Dass die Argentinier aber dennoch neben den Jugoslawen die wohl ernsthaftesten Herausforderer der Sowjetunion waren, verdeutlicht die Schacholympiade 1954 in Amsterdam. In diesem Turnier wurden die Argentinier zum letzten Mal Zweiter, allerdings mit dem Respektabstand von 7 Punkten hinter der UdSSR. Najdorf musste in diesem Turnier nur eine einzige Niederlage hinnehmen – gegen den damaligen sowjetischen Weltmeister Botwinnik.424

1955 fand die argentinische Meisterschaft zum ersten Mal in Form eines offenen Turnieres statt, bisher war der Meister seit dem Zweiten Weltkrieg immer nur im Rahmen eines

419 Vgl. Chessbase: Mega Database, America m Mex/NY/Salvador 1952. 420 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch m Buenos Aires 1953. 421 Andre Schulz: Das große Buch der Schachweltmeisterschaften, Alkmaar 2015, S. 132. 422 Vgl. Chessbase: Mega Database, Candidates Tournament (Neuhausen/Zürich) 1953. 423 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-URS Buenos Aires 1954. 424 Vgl. http://www.olimpbase.org/1954/1954fa.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 108

Zweikampfes ermittelt worden. Najdorf konnte das Turnier mit 1,5 Punkten Vorsprung auf Hector Rossetto gewinnen, den Grundstein für den Gesamtsieg legte er mit einem Erfolg über ebenjenen autochthonen Argentinier. Den dritten Platz belegte mit bereits 2,5 Punkte Rückstand Erich Eliskases.425

Najdorf war aufgrund des sechsten Platzes beim Kandidatenturnier nicht mehr automatisch für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert, bekam aber aufgrund seiner Platzierung einen Startplatz beim Interzonenturnier in Gothenburg 1955. Bei diesem Turnier konnte er nur 9,5 Punkte aus 20 Partien erreichen, was den zwölften Platz bedeutete, aber nicht zur Teilnahme am Kandidatenturnier berechtigte.426

Dieses Interzonenturnier war das Letzte dieser Art, das Najdorf bis zu seinem Tod bestreiten konnte, wenngleich er noch zwei Zonenturniere spielte. Beim Zonenturnier 1957 in Rio de Janeiro erreichte er den vierten Platz427, der nicht zur Teilnahme an einem Interzonenturnier berechtigte, 1969 konnte er das Zonenturnier in Mar del Plata zwar gewinnen428, verzichtete aber auf eine Teilnahme am Interzonenturnier in Palma 1970.

Seit 1955 versuchte Najdorf nicht mehr (argentinischer) Weltmeister zu werden, vertrat sein neues Heimatland aber nach wie vor bei einigen wichtigen internationalen Bewerben. Neben den Erfolgen der Nationalmannschaft, an denen er großen Anteil hatte, beispielsweise 1958, konnte er Argentinien bei der ersten Südamerikameisterschaft (Torneo de las Americas 1st) würdig vertreten, indem er gemeinsam mit Oscar Panno für einen argentinischen Doppelsieg sorgte.429

Ab 1960 nahm Najdorfs schachliche Aktivität gemessen an Turnierteilnahmen wieder zu, vor allem auf nationaler Ebene war er wohl in diesem Jahrzehnt nach wie vor der stärkste Spieler in Argentinien. Das zeigen beispielsweise die Siege der nun regelmäßiger stattfindenden argentinischen Landesmeisterschaft: 1960 konnte er das Turnier mit 2 Punkten Vorsprung auf den zweitplatzierten Bolbochan gewinnen430, 1964 gewann er mit 3 Punkten Vorsprung auf Raul Cruz.431 1968 wurde die Landesmeisterschaft zuerst als offenes Turnier ausgetragen, in dem die sechs stärksten Spieler in einem Rundenturnier den Landesmeister ermitteln sollten.

425 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Buenos Aires 1955. 426 Vgl. Chessbase: Mega Database, Gothenburg Interzonal 1955. 427 Vgl. Chessbase: Mega Database, Rio de Janeiro zt 1957. 428 Vgl. Chessbase: Mega Database, Mar del Plata zt 1969. 429 Vgl. Chessbase: Mega Database, Torneo de las Americas 1st 1958. 430 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Buenos Aires 1960. 431 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Buenos Aires 1964. 109

Das offene Turnier gewann er vor Oscar Panno, das Rundenturnier entschied er mit 5,5 Punkten aus 6 Partien für sich.432

1962 sorgte er dafür, dass das argentinische Schach auf internationaler Bühne an Prestige gewann, vor allem in der UdSSR und Jugoslawien. Beim Capablanca Memorial setzte er sich mit 16,5 Punkten aus 21 Partien durch und konnte damit eine Reihe der damals besten Spieler hinter sich lassen. Unter diesen Spielern waren mit dem ehemaligen Weltmeister Smyslow und dem zukünftigen Weltmeister Spasski sowie den mehrfach bei Kandidatenturnieren vertretenen Spielern Polugaevsky, Gligoric, Ivkov und Pachmann vor allem Spieler aus dem Ostblock bzw. der Sowjetunion.433

Zwischen 1960 und 1970 vertrat er Argentinien bei fünf Schacholympiaden, wobei er jeweils am Spitzenbrett respektable Ergebnisse erzielen konnte. Nachdem das Hoch des argentinischen Schachs, das zwischen 1952 und 1956 in drei zweiten Plätzen gegipfelt hatte, zu Beginn des nächsten Jahrzehnts nicht mehr erreicht werden konnte, spielte die Form Najdorfs als Galionsfigur für den Rest der Mannschaft bei den Turnieren offenbar eine wichtige Rolle. Dies wird deutlich, wenn man die Ergebnisse dieser fünf Turniere vergleicht: Bei den Turnieren 1960 (63,2%), 1966 (55,9%), 1968 (50%) und 1970 (61,8%) konnte er nur vergleichsweise wenig von seiner Weltklasse in Punkte umwandeln, die Mannschaft war in diesen Fällen (siebter Platz, fünfter Platz, siebter Platz. achter Platz) von den Podestplätzen relativ weit entfernt. 1962 dagegen konnte er 12,5 Punkte aus 17 Partien erzielen (73,5%), die Mannschaft belegte am Ende des Turnieres den dritten Platz.434

In diesem Jahrzehnt gewann er noch mehrere andere hochkarätig besetzte Turniere, was ihm 1970 einen Startplatz beim Vergleichskampf zwischen der Sowjetunion und dem Rest der Welt einbrachte. Bei diesem Wettkampf sollten 10 Spieler der UdSSR gegen 10 Spieler aus dem Rest der Welt antreten, Miguel Najdorf wurde der Ex-Weltmeister Mikhail Tal zugeteilt. Dieser Wettkampf war der einzige von allen gespielten, der mit einem 2:2 unentschieden endete. Bei diesem Turnier wurde der Rest der Welt u.a. von Robert „Bobby“ Fischer vertreten, der seinen Kontrahenten, den Ex-Weltmeister Petrosjan, mit 3:1 besiegen konnte und somit gemeinsam mit Paul Keres (3:1 Sieger gegen ) das beste Ergebnis aller Duelle erzielen konnte.435

432 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Mar del Plata und ARG-ch sf-A Mar del Plata 1968. 433 Vgl. Chessbase: Mega Database, Havanna 1962. 434 Vgl. http://www.olimpbase.org/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 435 Vgl. Chessbase: Mega Database, URS – World Belgrade 1970. 110

1972 spielte er nicht bei der Olympiade mit, 1974 und 1976 waren seine beiden letzten Auftritte für sein neues Heimatland. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Höhepunkt seiner schachspielerischen Stärke schon lange überschritten, war für die Nationalmannschaft aber trotzdem noch ein sicherer Rückhalt, der zum Gesamtergebnis einige Punkte beisteuern konnte: 1974 erzielte er 9 Punkte aus 16 Partien (56,3%), 1976 spielte er nur zehnmal und erzielte 5 Punkte (50%).436

1975 gewann er im Alter von 65 Jahren noch ein letztes Mal die argentinische Landesmeisterschaft – bis heute konnte kein älterer Spieler diesen Titel erringen.437

Bei seiner vorletzten Landesmeisterschaft 1980 musste der 70-jährige Najdorf seinem Alter bereits Tribut zollen, er konnte mit 7 Punkten aus 13 Partien nur knapp über 50% aller Punkte erringen und nur den achten Platz belegen.438

1986 spielte er zum letzten Mal bei einer argentinischen Landesmeisterschaft mit, gemessen an seiner Elozahl war er mit 2495 hinter mit 2520 dennoch der zweitstärkste teilnehmende Spieler. Dass er mit 76 Jahren am Ende des Turnieres geteilt mit Ricardi den dritten Platz belegen konnte, war ebenfalls ein Rekord, der bis heute nicht gebrochen werden konnte: Najdorf ist bis heute der älteste Spieler, der bei einer argentinischen Landesmeisterschaft einen Platz unter den besten drei erreichen konnte.439

Najdorf-Variante als sein größtes Erbe

Ob Najdorf während des Krieges antisemitischen Diskriminierungen abseits des Schachbretts ausgesetzt war ist nicht bekannt, würde allerdings aufgrund der relativ großen deutschen Gesellschaft in Argentinien nicht verwundern. Im Zusammenhang mit dem Schachspiel gab es bereits vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus antisemitische Strömungen, die versuchten, jüdischen bzw. jüdischstämmigen Spielern bestimmte negative Attribute zuzuschreiben, der Höhepunkt wurde von Alexander Aljechin im Rahmen seiner Artikel erreicht (siehe Kapitel „Deutschenfeind, Deutschenfreund, Kollaborateur“). Ein Beispiel von vielen war Franz Gutmayer, der Anfang des 20. Jahrhunderts den jüdischen Spielern vorwarf,

436 Vgl. http://www.olimpbase.org/players/c6mc60wj.html [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 437 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Buenos Aires 1975. 438 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Quilmes 1980. 439 Vgl. Chessbase: Mega Database, ARG-ch Buenos Aires 1986. 111 hauptsächlich strategisch zu spielen, da sie für ein aggressives, taktisches Spiel „zu geizig“ mit ihren Figuren umgehen würden.440

Tatsache ist jedoch, dass Najdorf im Lauf seines Lebens etwas schaffte, das nur sehr wenigen anderen Schachspielern gelungen war – nach ihm wurde eine Eröffnung benannt. Die Eröffnung mit dem ECO-Code B90- B99 wurde nach dem polnisch/argentinischen Großmeister bekannt, der diese Eröffnung vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen vieler gespielter Partien weiterentwickelt und bekannt gemacht hat. Diese Eröffnung gilt als eine der kompliziertesten und aggressivsten Eröffnungen überhaupt, was die antisemitischen Strömungen bzgl. des Schachspiels (unter anderem den von Gutmayer, Aljechin etc. aufgestellten „Thesen“) endgültig ad absurdum geführt hat.

Um die Bedeutung der Najdorf-Variante zwischen dem Zweiten Weltkrieg bis heute zu untersuchen, wurde in der Mega Database untersucht, wie viele Großmeister (über 2500 Elo, beide Spieler) diese Variante gespielt haben. Die beiden populärsten Eröffnungszüge 1.e4 (85730 Partien) und 1.d4 (85066) liegen anteilsmäßig knapp beieinander, wenn der weiße Spieler mit dem Königsbauern eröffnete, wurde in 7859 Partien (9,2%) die grundlegende Position der Najdorf-Variante gewählt (beispielsweise die Aljechin Verteidigung wurde nur 915-mal gewählt, was 1,05% entspricht). Obwohl es diese Eröffnung seit Jahrzehnten gibt, ist sie auch heute unter den besten Spielern der Welt noch sehr populär, von jedem einzelnen Weltmeister seit dem Tod Aljechins 1946 ist mindestens eine Partie auf diese Art und Weise eröffnet worden.441

Miguel (Mendel) Najdorf starb am 5. Juli 1997 in Cordoba, seine schachlich größte Erneuerung in Form der nach ihm benannten Eröffnung lebt bis heute weiter und wird nach wie vor auch auf der höchsten schachlichen Ebene regelmäßig verwendet.

440 https://www.ila-web.de/ausgaben/256/miguel-najdorf-1910-1997 [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 441 Vgl. Chessbase: Mega Database. 112

Fazit

Die Zeit, während der die bearbeiteten Spieler aktiv waren, war geprägt von Verfolgungen und Kriegen, wobei der Zweite Weltkrieg alles überschattete und das Leben von großen Teilen der Weltbevölkerung für immer veränderte.

Alexander Aljechin erlebte beide Weltkriege und fasste diese Zeit in einem Brief an den Journalisten Juan Fernandez Rua kurz zusammen:

„Der beste Teil meines Lebens verging zwischen zwei Weltkriegen, die Europa verwüstet haben. Beide Kriege haben mich ruiniert, doch mit folgendem Unterschied: Am Ende des ersten Krieges war ich 26 Jahre alt, mit grenzenlosem Enthusiasmus, über den ich jetzt nicht mehr verfüge. Wenn ich einmal meine Memoiren schreibe – was sehr gut möglich ist – dann werden die Leute erkennen, dass Schach einen kleinen Teil meines Lebens ausgemacht hat. Es gab mir die Möglichkeit, nach etwas zu streben und zugleich überzeugte es mich von der Sinnlosigkeit dieses Strebens. Heute spiele ich weiterhin Schach, da es meinen Geist beschäftigt hält und mich davon abhält zu grübeln und in Erinnerungen zu verfallen.“442 Diese Erfahrungen wurden wohl vom größten Teil seiner Generation (Aljechin wurde kurz vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts im Jahr 1892 geboren) geteilt. Gesunde Männer dieses Alters waren oft für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg kriegsverwendungsfähig und wurden oft auch bei beiden eingesetzt.

Während Aljechins Situation nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund seiner Verfehlungen mehr als schlecht war, haben die anderen bearbeiteten Spieler, vor allem Engels, Eliskases und Najdorf, bereits während des Krieges damit begonnen, sich ein neues Leben in ihrer neuen Heimat aufzubauen.

Ebendiese Bestrebungen, sich ihren Lebensunterhalt nicht mehr mit Schachspielen verdienen zu müssen, konnten zur damaligen Zeit durchaus dazu führen, dass die schachlichen Aktivitäten zurückgingen. Dies zeigt am besten Erich Eliskases, der nach dem Ende des Krieges bei weitem nicht mehr so viel spielte wie davor und aufgrund seiner Leistungen wohl auch nicht mehr so viel trainierte.

Miguel Najdorfs Ausgangslage als potentieller Herausforderer der sowjetischen Übermacht war in Südamerika auch schlechter, als sie wohl in Europa gewesen wäre. Dies ist wohl vor allem seinen Bemühungen geschuldet, nicht mehr vom Schachspielen abhängig zu sein und die geographischen Entfernungen nach Europa dürften auch ihren Teil dazu beigetragen

442 https://de.chessbase.com/post/aljechins-tod-ein-ungelstes-rtsel- [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. 113 haben, dass er zwar nach wie vor einer der besten Spieler der Welt war, dies aber nicht mehr so oft im Rahmen von internationalen Großmeisterturnieren (die zum größten Teil in Europa stattfanden) unter Beweis stellen konnte.

Auch bei Ludwig Engels hat der Zweite Weltkrieg nicht nur zur Entwurzelung geführt, sondern auch seine vor der Schacholympiade in Buenos Aires aufstrebende Schachspielerkarriere nachhaltig verzögert bzw. zerstört. Engels verdiente sich im Gegensatz zu seinen in Südamerika gebliebenen Kollegen Eliskases und Najdorf in Brasilien weiterhin einen Teil seines Lebensunterhaltes mit dem Schachspiel, einerseits als Zeitungsmitarbeiter und andererseits auch als Trainer. Dies zeigen unter anderem die Trainings(Wettkämpfe) mit Henrique Costa da Mecking, dem nach wie vor besten Schachspieler, den Brasilien je hervorgebracht hat.

Samuel Reshevskys Einschränkungen aufgrund des Weltkriegs waren vergleichsweise klein. Er spielte bis kurz nach dem Kriegseintritt der USA in den Weltkrieg regelmäßig Schachturniere, allerdings vorrangig in seiner neuen Heimat. Reshevskys große Zeit auf der weltweiten Schachbühne begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als er sich als wohl stärkster verbliebener Spieler der westlichen Welt mehr oder weniger gemeinsam mit Najdorf als zwei Einzelkämpfer den sowjetischen Großmeistern gegenüberstellte. Das zeigt unter anderem auch das Turnier um den Weltmeistertitel auf, das 1948 in Den Haag und Moskau abgehalten wurde.443

Schlussendlich wird deutlich, dass der Zweite Weltkrieg gravierende Veränderungen in der Schachwelt auslöste. Im späteren Westblock waren neben den Schachspielerkarrieren der stärksten Spieler vor dem Krieg auch die Schachspielerkarrieren der zweiten Reihe durch die Kriegsereignisse (Verfolgungen, Entwurzelungen etc.) gefährdet bzw. sogar zerstört worden.

Profitiert haben davon vor allem die aufnehmenden Nationen (Argentinien war schachspielerisch nie so stark wie zu der Zeit, als sich mit Eliskases und Najdorf zwei Weltklassespieler zur Niederlassung im südamerikanischen Land entschieden, auch Brasiliens Schachlandschaft profitierte von Engels). Frankreich profitierte von Aljechins Schachkünsten zwar nicht aufgrund des Zweiten Weltkrieges, sondern bereits davor. Der russischstämmige Einwanderer ist bis heute der einzige amtierende Weltmeister, der unter französischer Fahne spielte.

443 Vgl. Chessbase: Mega Database, World Championship 18th 1948. 114

Fachdidaktischer Teil

Da dieses Thema recht komplex für Schülerinnen und Schüler sein kann, empfiehlt es sich, vor allem mit Klassen aus der Oberstufe zu arbeiten. Im Idealfall besuchen die Schülerinnen und Schülern zusätzlich zum regulären Geschichteunterricht dieses Fach vertiefend, was bedeutet, dass die Motivation und ggf. das Vorwissen der Lernenden größer sind als im Regelunterricht. Der neue Lehrplan legt bei der Themenwahl folgendes fest:

„Für die Bearbeitung der historischen und politischen Themen sind Module mit Längs- und Querschnitten vorgesehen. Dabei soll der Unterricht – gemäß dem Zusammenhang von globalen, kontinentalen, nationalen, regionalen und lokalen Aspekten – Einblick in die Geschichte und Politik unterschiedlicher Räume geben, deren Vernetzungen deutlich machen und sich somit insbesondere auch auf Interkulturelles und Globales Lernen beziehen.“444 Wie das Zitat zeigt, eignet sich das hier gewählte Thema sehr gut für den Unterricht, da es auf viele räumliche Ebenen anspricht und Vernetzungen aufzeigt. Zudem wird ein persönlicher Zugang geschafften, da die Schülerinnen und Schüler sind mit einzelnen Personen beschäftigen: „Sowohl zur Orientierung des eigenen Handelns als auch zur Beantwortung grosser geschichtlicher Fragen trägt die Begegnung mit Menschen, ihrem Handeln und den jeweiligen Lebenszusammenhängen viel bei.“445

Die Sinnhaftigkeit dieser Vorgehensweise spiegelt sich auch in den „didaktischen Prinzipien“446, welche im Lehrplan genannt werden wieder, wobei auch die darin genannten „historischen und politischen Kompetenzen“447 gefördert werden. Bezogen auf die im Lehrplan genannten Module lässt sich das gewählte Thema nicht konkret einordnen, da sehr viele Bereiche (Zweiter Weltkrieg, Verfolgung, Migration, Antisemitismus, europäische und

444 Bundesministerium für Bildung, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich: Änderung der Verordnung über die Lehrpläne der Hauptschulen, der Verordnung über die Lehrpläne der Neuen Mittelschulen sowie der Verordnung über die Lehrpläne der allgemein bildenden höheren Schulen, Wien, 2016. http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2016_II_113/BGBLA_2016_II_113.html [zuletzt eingesehen am 08.01.2018]. 445 Peter Gautschi (2015): Vom Nutzen des Biographischen für das historische Lernen. In: Bernet, Paul; Gautschi, Peter; Mattioli, Aram; Müller, Julia (hrsg.): Menschen mit Zivilcourage. Mut, Widerstand und verantwortliches Handeln in Geschichte und Gegenwart. Luzern: Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern (BKD), S. 171. 446 Vgl. Bundesministerium für Bildung, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Wien, 2016. http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2016_II_113/BGBLA_2016_II_113.html [zuletzt eingesehen am 08.01.2018]. 447 Vgl. Ebd.

115 außereuropäische Geschichte uvm.) angesprochen werden, trotzdem empfiehlt es sich, das Thema als Vertiefung zum Zweiten Weltkrieg zu behandeln.

Im Folgenden sollen nun drei Unterrichtseinheiten (insgesamt 150 Minuten) vorgestellt werden, wobei nicht nur auf die Unterrichtsabläufe eingegangen werden soll, sondern auch aufgezeigt wird, inwiefern die gewählten Themen für die Lernenden ertragreich sind. Die entsprechenden Stundenbilder sind im Anhang ersichtlich. Der erste Teil des Unterrichts soll im Rahmen einer Doppelstunde erfolgen, wobei die Schülerinnen und Schüler Zugang zu einem Computerraum inklusive Internetzugang haben müssen. Für die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist die Lehrperson verantwortlich, die sich ggf. im Vorfeld um einen geeigneten Raum zu kümmern hat.

Teil 1: Doppelstunde

In der oben beschriebenen Arbeit ging es vor allem um folgende fünf Spieler, die im Lauf ihres Lebens aus unterschiedlichen Gründen in andere Länder auswandern und sich dort ein neues Leben aufbauen mussten:

- Alexander Aljechin (Sowjetunion und Frankreich) - Samuel Reshevsky (Polen und USA) - Ludwig Engels (Deutschland und Brasilien) - Erich Eliskases (Österreich/Deutschland und Argentinien) - Miguel Najdorf (Polen und Argentinien)

Die Schülerinnen und Schüler werden in angemessene Gruppen eingeteilt (beispielsweise in einer Klasse mit 20 Schülerinnen und Schülern werden fünf Gruppen zu je vier Personen gebildet), anschließend werden die Arbeitsaufträge ausgeteilt, die im Folgenden erklärt werden.

Die Schülerinnen und Schüler sollen zuerst selbstständig recherchieren und anschließend in den Kleingruppen die verschiedenen Arbeitsaufträge bearbeiten. Prinzipiell haben die Arbeitsaufträge alle folgende Eigenschaften und ähnliche historische Hintergründe:

- Die Schülerinnen und Schüler sollen sich einerseits mit biographischen Arbeiten auseinandersetzen, was in der Oberstufe auch behandelt werden soll.

116

- Die Schülerinnen und Schüler sollen das (richtige) Zitieren üben, was vor allem im Hinblick auf Vorwissenschaftliche Arbeiten (VWAs) und diverse Studiengänge wichtig ist. - Die Schülerinnen und Schüler setzen sich vertiefend mit dem Zweiten Weltkrieg und den jeweiligen betreffenden Staaten (Polen, Frankreich, Deutschland/Österreich, USA, Brasilien, Argentinien und der neutralen iberischen Halbinsel) auseinander und sollen beispielsweise wissen, wie die Situation in Südamerika war etc. - Die Schülerinnen und Schüler sollen erkennen, wie unterschiedlich man Personen aus verschiedenen Ländern aufgenommen hat. Hier bieten sich beispielsweise der Umgang mit Najdorf als jüdischem Pole, dem Deutschen Engels und dem Österreicher Eliskases an, die nach der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires alle in Südamerika geblieben sind. - Die Schülerinnen und Schüler lernen, aus einer (großen) Menge an Informationen die wichtigsten zu extrahieren, zu verdichten und angemessen weiterzugeben. Ebendiese Weitergabe erfolgt sowohl im Rahmen einer Beantwortung vorgegebener Fragen, die über eine Internetplattform wie beispielsweise Moodle den anderen Mitschülerinnen und Mitschülern zur Verfügung gestellt werden sollen als auch in Form einer kurzen Präsentation, die in der dritten Unterrichtseinheit gehalten werden soll.

Die Schülerinnen und Schüler sollen am Ende dieser Unterrichtseinheit vorgegebene Fragen für die anderen Schülerinnen und Schüler beantwortet haben, die den Mitschülerinnen und Mitschülern zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese Unterlagen könnten von der Lehrperson ggf. im Rahmen eines Tests verwendet werden, sollen die Schülerinnen und Schüler aber hauptsächlich in die Lage versetzen, sich über die Vergangenheit von Personen informieren zu können und bestimmte lebensverändernde Zusammenhänge verstehen zu können. Dabei werden neben historischen auch politische Kompetenzen gefördert .448 So haben die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit „selbst Geschichte zu erzählen“449, ihre Kenntnisse (von Begriffen und Konzepten) zu vertiefen, sich über ihre Erkenntnisse (auch in Bezug auf die Gegenwart) auszutauschen und historische Fragen zu beantworten bzw. selbst zu stellen (zum einen durch die Recherche selbst, zum anderen z.B.: weiterführende Fragen welche sich während der Recherche ergeben). Es erfolgt auch eine kontextualisierte

448 Vgl. http://www.geschichtsdidaktik.eu/fileadmin/user_upload/fachdidaktik8_2.Auflage_02.pdf [zuletzt eingesehen am 08.01.2018], S.9f. 449 Vgl. Ebd. S.9. 117

Beschäftigung mit „Begriffen und Konzepten des Politischen“450, wobei sich dies besonders auf den Nationalsozialismus bezieht.

Auf den folgenden Seiten werden nun die Arbeitsblätter bzw. die Fragen vorgestellt, die die Schülerinnen und Schüler im Rahmen ihrer Recherche beantworten sollen. Den Schülerinnen und Schüler wird als Hilfestellung folgender Link zur Verfügung gestellt, bei dem sie Informationen zu allen Schacholympiaden gewinnen können: http://www.olimpbase.org/.

Die Fragen sind dabei als W-Fragen formuliert, da der Einsatz von Operatoren lediglich dazu dient „auf sprachlicher Ebene zu klären, welche Art der Leistung von den Lernenden erwartet wird“451, was durch die präzise gestellten W-Fragen und die Möglichkeit zur Rücksprache mit der Lehrperson absolut obsolet ist, da die SuS zudem selbstständig denken und effektiv arbeiten sollen, was inkludiert, dass sie selbstständig dazu in der Lage sein sollen auf Fragen in einer angemessen Länge zu antworten.

450 Vgl. Ebd., S. 10. 451 Christoph Kühberger, Leistungsfeststellung im Geschichtsunterricht: Diagnose – Bewertung – Beurteilung, Schwalbach/Ts., 2014, S.31. 118

Fragen zu Alexander Aljechin 1) Woher kam Aljechin ursprünglich? Aus welchem Grund musste er seine Heimat verlassen? Gibt es Besonderheiten auf seinem Weg in sein neues Heimatland?

2) In welches Land emigrierte Aljechin? Wie hat er sich gegenüber seinem ursprünglichen Heimatland verhalten? Was hat er für sein neues Heimatland geleistet?

3) Was hat Aljechin während des Zweiten Weltkrieges getan? Wie haben sich seine Aktivitäten auf sein Leben nach dem Weltkrieg ausgewirkt? Optional: Beschreibe Aljechins Rolle während der Schacholympiade in Buenos Aires!

4) Optional: Sieh dir folgendes Bild an: https://en.chessbase.com/news/2006/alekhine03b.jpg. Aljechin ist laut einem Obduktionsbericht an einem Stück Fleisch erstickt. Widerspricht das Bild (die Position Aljechins und seine Umgebung) dieser Aussage oder stützt sie diese?

119

Fragen zu Samuel Reshevsky 1) Woher stammte Reshevsky ursprünglich und in welches Land emigrierte er? Aus welchem Grund verließ er sein Heimatland?

2) Wie verlief Reshvskys Kindheit und Jugend? Was war daran besonders? Inwiefern unterscheidet sich diese von einer „normalen“ Kindheit und Jugend der heutigen Zeit?

3) Was leistete Reshevsky für sein neues Heimatland? Wie verdiente er sich seinen Lebensunterhalt? Optional: Was für eine Rolle spielte sein jüdischer Glaube in Bezug auf das Schachspiel?

4) Reshevsky bekam ab dem Ende der 1950er Jahre einen Konkurrenten, der als stärkster Schachspieler der USA aller Zeiten gilt. Wer ist gemeint? Was hat diese Person in seinem Leben geleistet?

5) Optional: Ebendiese Person verursachte im Lauf ihres Lebens einige Skandale. Welche Skandale sind gemeint? Was war so besonders daran, wenn man dessen Abstammung und Lebenslauf betrachtet?

120

Fragen zu Ludwig Engels 1) Woher stammte Ludwig Engels? Wie und wann kam er zum Schachspiel?

2) Skizziere Ludwig Engels‘ Weg zu einem der stärksten Spieler Deutschlands. War Engels ein reiner Berufsspieler? Optional: Engels lebte zu einer Zeit, als man in Deutschland versuchte, möglichst vielen Amateuren Chancen zu verschaffen, gegen starke Spieler zu spielen. Was könnte das Ziel der Politiker gewesen sein?

3) Engels war ein sogenannter Kampfmeister. Was ist damit gemeint? Warum hat man nicht einfach die bereits existierende englische Bezeichnung verwendet?

4) In welchem Land verbrachte Engels sein Leben nach der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires? Wie hat er sich seinen Lebensunterhalt verdient?

121

Fragen zu Erich Eliskases 1) Woher stammt Erich Eliskases ursprünglich? Wie kam er zum Schachspiel? Welche Rolle nahm er in seinem ursprünglichen Heimatland ein?

2) Eliskases wurde im Zuge des Anschlusses zu einem deutschen Staatsbürger. Wie war seine Stellung im deutschen Schach? Optional: Wie stand er zum Nationalsozialismus?

3) Was hatte Eliskases für eine Rolle innerhalb der deutschen Mannschaft, die 1939 die Schacholympiade gewinnen konnte?

4) In welchem Land ließ sich Eliskases nach dem Zweiten Weltkrieg nieder? Wie verdiente er seinen Lebensunterhalt? Wie war seine Beziehung zu seinem ursprünglichen Heimatland?

5) Optional: Wie war seine Beziehung zu seinem ursprünglichen Herkunftsland? Hatte er Bestrebungen, dorthin zurückzukehren? Warum dachte er darüber nach, was für Gründe könnte er gehabt haben, auf eine Rückkehr zu verzichten?

122

Fragen zu Miguel Najdorf 1) Aus welchem Land stammte Miguel Najdorf ursprünglich? Wie verbrachte er seine Kindheit und Jugend?

2) Wie kam Najdorf zum Schachspiel? In welchem Alter begann er damit? Optional: Wie verdiente er sich seinen Lebensunterhalt vor dem Zweiten Weltkrieg?

3) Wo war Najdorf zum Zeitpunkt des Beginns des Zweiten Weltkrieges? Was hat er dort gemacht? Inwiefern veränderte der Zweite Weltkrieg sein Leben?

4) Was tat Najdorf nach dem Zweiten Weltkrieg? Worin bestand sein Wert für seine neue Heimat? Optional: Najdorf stellte Weltrekorde auf. Welche? Wie lange hatten sie Bestand?

5) Wie verdiente Najdorf seinen Lebensunterhalt nach dem Zweiten Weltkrieg? Optional: Nach Najdorf ist etwas Wichtiges im Schachspiel benannt, was nach wie vor auch auf den allerhöchsten Ebenen angewandt wird. Was ist gemeint?

123

Nachdem die Schülerinnen und Schüler ungefähr eine Unterrichtseinheit (ca. 40-50 Minuten, unter anderem auch von den Schülerinnen und Schülern sowie der Klassenzusammensetzung abhängig) Zeit hatten, in Einzelarbeit Fragen auf die Antworten zu finden, sollen sie noch einmal ca. eine Unterrichtseinheit Zeit bekommen, um in den Kleingruppen weiterzuarbeiten. Prinzipiell wäre es ideal, wenn eine komplette Doppelstunde zur Verfügung stünde, was aber gerade für den Geschichteunterricht eher die Ausnahme als die Regel ist. Sollte keine Doppelstunde verfügbar sein, kann nach der Einzelarbeit ein „Schlussstrich“ gezogen werden und die Arbeit in den Kleingruppen in der folgenden Unterrichtseinheit fortgesetzt werden.

In ebendieser Unterrichtseinheit haben die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, in den Kleingruppen mögliche offengebliebene Fragen zu beantworten und die Präsentationen für die dritte Unterrichtseinheit vorzubereiten. Diese Aufgabe hat auch die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern im Fall der Fälle zu helfen und ihnen Tipps zu geben, allerdings ohne die Antworten zu verraten.

Eine Möglichkeit für die Präsentationen der Schülerinnen und Schüler könnte folgende sein: da jeweils 5 Schülerinnen bzw. Schüler in einer Kleingruppe sind und jeweils fünf Fragen (inklusive der optionalen) zu beantworten sind, könnte jeder Schüler bzw. jede Schülerin eine Frage zur Präsentation vor der ganzen Klasse vorbereiten und auch präsentieren. Eine kurze Präsentation der Personen ist bei diesem Thema wohl von Vorteil, damit alle Schülerinnen und Schüler die relevanten Informationen zu den Spielern zusätzlich zu den auf Moodle bereitgestellten beantworteten Fragen bekommen.

Zu beachten ist, dass die Antworten auf die Fragen ggf. richtig zitiert werden sollen, was den Schwierigkeitsgrad zwar erhöht, allerdings wichtig im Hinblick auf die vorwissenschaftliche Arbeit (VWA) und den zukünftigen Lebensweg der Schülerinnen und Schüler ist.

124

Teil 2: Präsentationen

Für diese Unterrichtseinheit ist vorgesehen, dass die Schülerinnen- und Schülergruppen ihre Erkenntnisse im Plenum präsentieren. Die Präsentationsform können die Lernenden frei wählen. Aber auch für diese Unterrichtseinheit ist ein Computer von Vorteil, falls die Präsentation in Form einer PowerPoint Präsentation erfolgen soll.

Jede Kleingruppe bekommt ca. 10 Minuten zur Verfügung gestellt, was dazu führt, dass pro Frage ungefähr 2 Minuten zur Verfügung stehen. Prinzipiell sollen sich alle Gruppenmitglieder beteiligen, man könnte als Lehrperson im Fall der Fälle aber auch die Möglichkeit einräumen, ggf. nur einzelne Schülerinnen bzw. Schüler präsentieren zu lassen. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn einzelne Personen beschließen sollten, ähnliche Thematiken für ihre Geschichtematura zu wählen und/oder eine Zwischennotenfrage dringend geklärt werden muss.

Die Präsentationen können durchaus bewertet werden, eine Möglichkeit dafür wäre die Vergabe von 10 Punkten für folgende fünf Aspekte:

- Historische Korrektheit (2 Punkte) - Angemessene Sprache und Sprachrichtigkeit (2 Punkte) - Angemessene Präsentationsform (je 1 Punkt für die untenstehenden Aspekte) o Wahl der Präsentationstechnik (PPP, Plakat etc.), verbunden mit o Angemessener Verwendung von Hilfsmitteln (ablesen von Hilfsblättern vs. Frei sprechen - Präsentationsstil (Rhetorik, Mimik, Gestik) (2 Punkte) - Zeitmanagement (2 Punkte)

Aus diesen 10 Punkten kann sich ggf. auch eine Bewertung ergeben, beispielsweise:

- 0 – 5 Punkte (Nicht Genügend) - 6-7 (Genügend) - 7-8 (Befriedigend) - 8-9 (Gut) - 9-10 (Sehr Gut)

Im Endeffekt sind diese drei Unterrichtseinheiten für die Förderung folgender Aspekte gut geeignet:

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- Recherche und Verwendung (Extraktion, Verdichtung, Wiedergabe und ggf. Zitation einer Thematik) von Informationen. - Präsentation der Informationen einerseits in schriftlicher Form (Beantwortung der Fragen) als auch in mündlicher Form (Präsentation vor einem Publikum, in diesem Fall einer Schulklasse). - Für die Lehrperson: Möglichkeit zur Bewertung von Leistungen, ein Aspekt des Lehrberufs, der nicht vernachlässigt werden darf.

Die Rahmenbedingungen für diesen Unterrichtsblock können bei Bedarf angepasst werden, je nach Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung(en) kann man den Schülerinnen und Schülern mehr Zeit für die Recherche sowie der anschließenden Gruppenarbeit zur Verfügung stellen, die Zeit aber durchaus auch reduzieren. Die Vorgehensweise eignet sich nicht nur für die Arbeit von Biographien von Sportlern bzw. Sportlerinnen, sondern prinzipiell für jede Person, die im Unterricht behandelt werden soll.

126

Bibliographie

Literatur

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Verwendete Zeitungen

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Verwendete Programme

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Verwendetes Bildmaterial http://www.chesshistory.com/winter/pics/ [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. http://www.chesshistory.com/winter/pics/cn3527_frank3.jpg [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. https://en.chessbase.com/news/2006/alekhine03b.jpg [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. http://www.kwabc.org/archive/Homepage-UK/graves_2.htm [zuletzt eingesehen am 8.1.2018]. http://jewishcurrents.org/wp-content/uploads/2013/11/786px- Samuel_Reshevsky_versus_the_World.jpg [zuletzt eingesehen am 8.1.2018].

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Anhang

Glossar

Blindschach:

Als Blindschachpartien werden Partien bezeichnet, wenn mindestens eine der beiden beteiligten Personen das Schachbrett nicht sieht. Diese Form des Schachspielens ist besonders fordernd, vor allem über eine längere Spieldauer, da die Spieler bzw. Spielerinnen in jeder Situation konzentriert sein müssen.

ECO-Code:

Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten, wie eine Schachpartie beginnen kann. Um diese Möglichkeiten besser einteilen und voneinander unterscheiden zu können, werden diesen Namen und sogenannte ECO-Codes zugewiesen. Eine Übersicht über die ECO-Codes gibt es auf der folgenden Homepage: http://www.grinis.de/eco-code.htm.

Mega Database:

Diese Datenbank stellt mit aktuell 6.161.344 (Stand 2017) Partien die größte Partiensammlung der Welt dar. Diese Datenbank wird regelmäßig aktualisiert, wobei vor allem zeitgenössische Partien eingespeist werden.

Schachprogramme/Engines:

Schachprogramme bzw. Engines haben sich seit des Aufkommens von Computern auch im Schachsport einen fixen Platz erarbeitet. Aufgrund der Berechnung der Stellung durch verschiedene Parameter (Materialverteilung, Aktivität der Figuren etc.) sind diese Hilfsmittel aus dem Schachsport nicht mehr wegzudenken. Vor allem im Bereich der Partievorbereitung sowie Analysen gibt es weltweit nur noch wenige Personen, die mit diesen Programmen mithalten oder diese sogar besiegen können.

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Sekundant:

Sekundanten werden von Spielern nach wie vor für wichtige Wettkämpfe, vor allem bei Zweikämpfen um die Weltmeisterschaft, herangezogen. Diese haben die Aufgabe, den Wettkämpfer nach Möglichkeit zu entlasten. Die größten Betätigungsfelder sind in der heutigen Zeit die Eröffnungsanalysen des Gegners, um dem eigenen Spieler eine möglichst gute Ausgangsposition zu verschaffen und teilweise die Eröffnungsvorbereitung des eigenen Teams zu steuern. Der Spielstil des Gegners wurde auch soweit wie möglich untersucht, um dem eigenen Spieler mitteilen zu können, ob er eine Partie eher aggressiv oder defensiv angehen soll. Zur Zeit des Rückkampfs zwischen Aljechin und Euwe war auch die Analyse der Stellung der „Hängepartie“ wichtig. Als Hängepartie wird ein Spiel bezeichnet, wenn es nach dem Ablauf einer bestimmten Zeitdauer (in der Regel mehrere Stunden, je nach Turnier unterschiedlich) noch keinen Sieger gibt, die Stellung ‚eingefroren‘ und am folgenden Tag fortgesetzt wird. „Hängepartien“ gibt es nicht mehr, in der heutigen Zeit wird solange gespielt, bis ein Ergebnis vorliegt.

Simultanvorstellung:

Von einer Simultanvorstellung wird gesprochen, wenn ein Spieler bzw. eine Spielerin parallel auf mehreren Brettern spielt. Normalerweise gilt folgender Ablauf: Der Spieler bzw. die Spielerin führt den Zug aus, geht zum nächsten Brett, führt den Zug aus, geht zum nächsten Brett etc. Aus Fairnessgründen bzw. um die Anstrengung für den Spieler bzw. die Spielerin so gering wie möglich zu halten, führen die Gegner bzw. Gegnerinnen ihre Züge erst aus, sobald der Simultanspieler bzw. die Simultanspielerin beim Brett angekommen ist.

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Stundenbild I und II

Zeit Inhalt Ablauf/Methoden Gründe/Kompetenzen Material 0 – 5 Begrüßung und Die Lehrperson (LP) begrüßt die Die SuS sollen eine Orientierung erhalten evtl. Tafel zum Min. Erklärung der Schülerinnen und Schüler (SuS), erklärt und wissen was sie erwartet. Festhalten Vorgehensweise ihnen wie die folgenden Stunden ablaufen wichtiger Punkte sollen und erklärt die zu erledigenden Aufgaben grob. 5 – 10 Gruppeneinteilung Die SuS werden durch eine frei wählbare Die SuS sollen möglichst rasch in Gruppen Arbeitsblätter Min. und Austeilen der einfache und schnelle Methode (z.B.: eingeteilt werden und sich mit den Arbeitsblätter abzählen) in fünf Gruppen eingeteilt. Unterlagen vertraut machen. Anschließend teilt die LP die Arbeitsblätter aus. Die SuS haben Zeit diese durchzulesen und Fragen zu stellen. 10 – 50 Recherche durch SuS Die SuS recherchieren selbstständig zu den Die SuS sollen das selbstständige Arbeiten Computer mit Min. gewählten Personen und versuchen die und den Umgang mit dem Internet zur Internetzugang gestellten Fragen zu beantworten. Recherche üben. für alle SuS (Computertraum) Einzelarbeit Historische Sachkompetenz Historische Fragekompetenz Arbeitsblätter Historische Methodenkompetenz Historische Orientierungskompetenz Politische Sachkompetenz 50 – 100 Besprechen der Die SuS besprechen Ihre Ergebnisse in den Die SuS sollen gemeinsam ihre Ergebnisse Arbeitsblätter Min. Ergebnisse in fünf Gruppen und stellen die überprüfen und besprechen, was auch der Gruppen und Arbeitsaufträge gemeinsam fertig. Im Festigung dient. Zudem sollen sie das Computer zum Vorbereiten der Anschluss daran sollen sie ihre zitieren von Quellen und das Erstellen von Überprüfen von Präsentationen Präsentationen für die folgende Einheit Präsentationen üben. Aussagen/Quellen vorbereiten, wobei sie auf das korrekte Zitieren achten. Historische Sachkompetenz Historische Fragekompetenz Gruppenarbeit Historische Methodenkompetenz Historische Orientierungskompetenz Politische Sachkompetenz Soziale Kompetenzen

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Stundenbild III

Zeit Inhalt Ablauf/Methoden Gründe/Kompetenzen Material 0 – 5 Begrüßung und Die LP begrüßt die SuS und gibt ihnen Die SuS sollen ihre Präsentationen vor Arbeitsblätter Min. Puffer (Zeit für evtl. kurz Zeit ihre Präsentationen der ersten Präsentation fertig haben, Fertigstellung der fertigzustellen und auf Moodle damit sie den anderen ungestört zuhören Präsentationsunterlagen Präsentationen) (Lernplattform) hochzuladen. können bzw. nicht abgelenkt sind. Zudem sollen die SuS ihre Präsentationen auf Moodle hochladen, um sie so der Klasse zur Verfügung zu stellen. 5 – 50 Präsentationen durch Die SuS präsentieren in Gruppen ihre Die SuS teilen ihre Erkenntnisse mit der Arbeitsblätter Min. SuS Ergebnisse zu den verschiedenen Klasse, wobei Diskussionen angeregt Schachspielern, wobei alphabetisch werden (LP stellt Fragen). Die Präsentationsunterlagen vorgegangen wird: alphabetische Reihenfolge dient der - Aljechin schnellen und einfachen Abwicklung der PC/Projektor - Eliskases Organisation. - Engels Die SuS können frei wählen, ob sie jede - Najdorf Frage des Arbeitsauftrages gemeinsam - Reshevsky besprechen oder eine Person je eine Frage übernimmt, was von der Lehrperson empfohlen wird.

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Historische Sachkompetenz Historische Orientierungskompetenz Politische Sachkompetenz Soziale Kompetenzen Präsentationskompetenzen

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