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Philipp Stroh Eine Reise durch den Horrorfilm Von Zombies, Monstern, Serienkillern und dem ultimativen Bösen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d- nb.de abrufbar.

Impressum

Copyright © 2014 GRIN & Movie

Ein Imprint der GRIN Verlag GmbH

Lektorat: Elena Zharikova, Peter Schmid-Meil Eine Reise durch den Horrorfilm

Von Zombies, Monstern, Serienkillern und dem ultimativen Bösen

Vorwort ...... 7

TEIL 1: VON DR. CALIGARI (1920) BIS ALIEN (1979) ...... 9

1 Stumm in Deutschland ...... 10 Düstere Zukunft ...... 10 Der Urheberrechtsvampir ...... 12

2 Universal, Hammer und die Bedrohung von oben ...... 15 Blutdürstiger Verführer ...... 15 Es lebt ...... 18 Monströse Ausschlachtung ...... 21 Das war der Hammer ...... 22 Alles Schlechte kommt von oben ...... 24 Horror meets Thriller ...... 25 Alien-Trash ...... 26

3 Spukhäuser und Psychopathen ...... 29 Die Gotik kehrt zurück ...... 29 Zart und hart ...... 30 Psychos im Dreierpack ...... 32

4 Okkultismus und Zombies ...... 38 Der reale Horror ...... 38 Das Böse im Unschuldigen ...... 40 Zurück von den Toten...... 42 Unter der Lupe: George A. Romeros „… of the Dead“ ...... 44

5 Horror wird Terror ...... 60 Gelb – Farbe des Todes ...... 60 Nerven-Sägen ...... 61 “The Night He Came Home” ...... 64 Afro des Grauens ...... 67 Comeback und Durchbruch ...... 68

Glossar der (Horror-)Filmbegriffe (Teil 1) ...... 72

TEIL 2: VON FREITAG DER 13. (1980) BIS SAW 3D (2010) ...... 77

1 Der Horror-Boom der 80er: Der Fortsetzungswahn beginnt ...... 78 Kommerz-Horror und Ausnahmeerscheinungen ...... 78 Lang, länger, Franchise ...... 82

5 2 Die großen Messerstecher: Freddy vs. Jason ...... 86 Pioniere und Nachahmer, Gewinner und Verlierer ...... 86 Unter der Lupe: Freitag der 13. – Die Reihe ...... 89 Unter der Lupe: Nightmare on Elm Street – Die Reihe ...... 105

3 Sackgasse und Renaissance ...... 120 Ein Genre im Schönheitsschlaf ...... 120 Der große Aufschrei ...... 122 Die Messer schlitzen wieder ...... 124 Der deutsche Slasher – ein dunkles Kapitel? ...... 126 Die Revolution der unsichtbaren Mörder ...... 128 Unter der Lupe: Final Destination – Die Reihe ...... 131

4 Neue Härte ...... 141 Warum wir so blutrünstig sind ...... 141 Nouvelle vague ...... 142 Gorenography ...... 145 Unter der Lupe: Saw – Die Reihe ...... 148

5 Selbstmachästhetik: Found Footage-Horror ...... 163 Die Pioniere des Homevideo-Schockers ...... 163 Selbst ist der Amateurfilmer ...... 168 Statements und Datenmüll ...... 170

6 Remake, Reboot, Rip-Off, Spoof – Endstation für neue Ideen? ...... 173 Alles wiederholt sich, alles wiederholt sich ...... 173 Ohne Wartezeit ...... 176 Platte Witze, scharfe Zähne ...... 178 Lichtblicke ...... 180

Anhang: Glossar der (Horror-)Filmbegriffe (Teil 2) ...... 182

Bildnachweise: ...... 184

6 Vorwort Kino existiert, weil die Realität allein zu beschränkt und langweilig ist – ob- wohl ich sie nicht missen möchte. Kino ist nicht „unrealistisch“; Kino muss Emotionen und Träume anregen, die ein grundlegender Teil von uns sind. Kino muss Grenzen durchbrechen. Kino muss Realität verarbeiten – egal wie abstrakt – und Botschaften vermitteln.

Und welche Emotion ist schon packender als Angst? Welche Träume sind intensiver als Albträume? Welcher Grenzübertritt ist spannender als jener der psychischen und physischen Gewalt? Und wie vermittelt sich eine Botschaft wirksamer als auf dem expliziten, radikalen Weg der Furcht?

Reale Gewalt ist böse, gut gemachte künstliche Gewalt ist ein spannendes Ausdrucksmittel. Deshalb schauen wir Horrorfilme. Wir wollen erfahren, was möglich ist. Wir brauchen zwar Sicherheit, aber auch Nervenkitzel. Also wol- len wir den Kick, den uns das wahre Leben – in diesem Fall aus gutem Grund – versagt. Dieser Kick ist etwas, das man kontrollieren kann, das in einem begrenzten Raum stattfindet. Daher setzen wir uns beim Horrorfilm mutwillig Gefühlsregungen aus, die äußerst negativ sind. Wir Horrorfans sind nicht krank – wir sind abenteuerlustig. Und dabei auch noch sehr vernünftig, denn im Kino- oder Wohnzimmersessel kann uns eigentlich nichts passieren.

Dieses Buch arbeitet sich in zwei Teilen chronologisch durch die Geschichte des Horrorfilms, von den stummen Ursprüngen der 20er bis zu den überirdi- schen Auswüchsen der späten 70er sowie von den schrillen 80ern bis hin zu ganz aktuellen Trends. Dabei beleuchtet es die Entwicklungen, die die Filme – und parallel dazu ihr Publikum – vollzogen haben. Es soll einen Überblick verschaffen, erinnern, unterhalten und die Faszination für das Genre näher- bringen – egal, ob man schon ganz in seinem Bann ist oder gerade erst versu- chen will, die Lust am filmischen Schrecken zu verstehen.

Das Beste daran: Es ist alles nahezu frei von Spoilern! Alle in diesem Buch erwähnten Filme, die man noch nicht kennt, kann man sich später ansehen, ohne dass hier schon die Überraschungen im Detail vorweggenommen wurden. Schließlich sind plötzliche Spoiler immer eine der größten Gefahren beim Lesen von Filmsachbüchern. Hier nicht! Geringfügige Ausnahmen sind

7 verständlicherweise Inhaltsangaben zu Fortsetzungen, die die Kenntnis des Vorgängers voraussetzen.

Stichprobenartig und subjektiv gehe ich auf zahlreiche bedeutende oder be- rüchtigte Genrebeiträge und Modeerscheinungen näher ein. Weniger als Histo- riker, Ethiker oder Feuilletonist, dafür als junger aber erfahrener, leidenschaft- licher Filmliebhaber, und hoffentlich nicht so trocken wie in einer wissen- schaftlichen Arbeit. Für einen besseren Lesefluss werden Filme grundsätzlich mit ihrem deutschen Titel aufgeführt (abweichende Originaltitel bei Erstnen- nung in Klammern). Sollte ich dann und wann einen unbekannten Begriff verwenden, so wird er mit großer Wahrscheinlichkeit im Anhang im Glossar der Horrorfilmbegriffe erklärt.

Dies ist meine Reise durch hundert Jahre Horrorfilmgeschichte – Lesen auf eigene Gefahr.

Philipp Stroh

8 Teil 1: Von Dr. Caligari (1920) bis Alien (1979) 1 Stumm in Deutschland

Düstere Zukunft Die Filmgeschichte reicht bis kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. 1895 stellten die französischen Brüder Auguste und Louis Lumière mit ihrem „Cinématographe“ den Vorläufer der heutigen Filmkamera vor. Ihre ersten filmischen Werke dokumentierten lediglich kurze Szenen aus dem Alltag in einer statischen Einstellung. Einer dieser Kurzfilme, Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat (L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat), zeigt, nun ja, wie besagter Zug in besagten Bahnhof einfährt und Fahrgäste aussteigen.

Weil die Perspektive so gewählt worden war, dass der Zug nah an der Kamera vorbeifuhr, soll das Publikum bei der Erstvorführung der Erzählung nach fluchtartig den Saal verlassen haben, aus Angst, gleich überfahren zu werden. Schließlich hatten diese Leute niemals zuvor solche bewegten Bilder in Le- bensgröße gesehen. Das war dann wohl sozusagen die allererste bekannte Horrorerfahrung im Kino.

Die eigentliche Geschichte des Horrorfilms beginnt jedoch in Deutschland. Denn dort erschien 1920 Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene – einer der vielen Künstler, die das neue Medium für sich entdeckt hatten und nach diversen Experimenten bei abendfüllenden Spielfilmen angekommen waren. Es handelt sich hierbei wohlgemerkt immer noch um Stummfilme. Eine albtraumhafte Atmosphäre, kombiniert mit einer düsteren Geschichte, ließ erahnen, wozu Filme einmal fähig sein würden: Das Cabinet des Dr. Caligari übte immensen Einfluss auf andere Filmmacher aus.

Der unheimliche Dr. Caligari kommt in die Stadt, um auf der Kirmes seine Attraktion vorzustellen: einen hochgewachsenen „Schlafwandler“, der Men- schen ihre Zukunft voraussagen kann. Mit Caligaris Erscheinen beginnt eine rätselhafte Mordserie. Kirmesgast Francis spürt die Gefahr und versucht, das Geheimnis zu lüften.

Das Cabinet des Dr. Caligari ist ein Wegweiser in mehrfacher Hinsicht. Er ist ein Musterbeispiel für den expressionistischen Film, der in den 20er Jahren in Deutschland seine Blütezeit erlebte. Allerdings weniger durch den

10 übertriebenen Gestus der Darsteller, sondern vielmehr durch die im wahrsten Sinne des Wortes schrägen Kulissen – eine spannende Mischung aus Bauwerken und Gemälden, die in Zusammenhang mit der kontrastreichen Bildgestaltung eine surreale, rätselhafte Atmosphäre versprühen.

Darsteller Werner Krauß (auch Nathan in Nathan der Weise, 1922) brilliert als Dr. Caligari mit starker Präsenz. Des Weiteren zeugen Szenen wie die mit dem ersten Erwachen des Schlafwandlers – ein mindestens genauso starker Moment wie das Erwachen des künstlichen Menschen in Metropolis – von der intensi- ven Bildsprache der Inszenierung. Allerdings sind es nicht schauspielerische, sondern formale und inhaltliche Kniffe, die Das Cabinet des Dr. Caligari seinen Pionierstatus einbringen.

Nicht nur, dass der Film die damals noch sehr, sehr junge Erfindung der Flash- back-Erzählung verwendet, er beinhaltet vor allem einen der ersten echten Plottwists der Filmgeschichte. Und diese Wendung gegen Ende ist nicht nur um der Wendung willen interessant, denn selbst aus heutiger Sicht entsteht dabei ein wirklich raffinierter Überraschungseffekt. Angesichts der Tatsache, wie viele Kinofilme sich immer noch dieser Technik bedienen, war dieses Debütwerk der Autoren Hans Janowitz und Carl Mayer sowie des Regisseurs Robert Wiene seiner Zeit weit voraus.

Ob man die polit- und gesellschaftskritischen Ansätze in der stark symbolhaf- ten Inszenierung wahrnimmt oder nicht, ist nicht so wichtig, denn die Atmo- sphäre macht den Faszinationseffekt dieses Films aus. Seinen Low-Budget- Charakter kann er zuweilen aber nicht verhehlen und auch die Spannung ist nicht immer präsent. Trotzdem ist Das Cabinet des Dr. Caligari raffinierter, sanfter Grusel mit eigenem Look und dezent rätselhafter Stimmung. Stark gespielt ist der Film eines der ersten Beispiele für Suspense und ein geeigneter Anfangspunkt, wenn man sich mit den wichtigsten Stationen des deutschen Films beschäftigen will.

Übrigens: Die amerikanische Version des Films gilt als gemeinfrei und ist damit legal als kostenloser Stream im Internet zu sehen.

11 Der Urheberrechtsvampir 1922 erschien, ebenfalls als deutsche Produktion, der Film Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von Friedrich Wilhelm Murnau. Es geht darin um Hutter, den jungen Mitarbeiter eines Maklers. Hutter lässt seine besorge Frau Ellen in der Hafenstadt Wisborg zurück und reist im Zuge eines Auftrags zu dem in den Kaparten lebenden Graf Orlok, um eine Immobilie in Wisborg vorzustellen. Bei einem Zwischenstopp in einem Gasthaus wird der junge Mann vor dem unheimlichen Grafen gewarnt, setzt seine Reise jedoch fort.

In Form dieser nicht autorisierten, sehr freien Verfilmung von Bram Stokers 1897 erschienenen Roman begründete F. W. Murnau seinen Ruf als einer der wichtigsten deutschen Regisseure.

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens lässt sich als erster vollständig erhal- tener Vampirfilm, wenn nicht sogar als erster Horrorfilm überhaupt bezeich- nen. So immens wie sein Einfluss auf unzählige spätere Werke und das Genre allgemein auch war – es handelt sich um ein Low-Budget-Projekt, das per Gerichtsbeschluss fast unwiederbringlich vernichtet worden wäre, da sich die Witwe Stokers gar nicht erfreut über die unbefugte Adaption zeigte.

Auch Nosferatu ist dem Expressionismus zuzuordnen; allerdings arbeitet der Film nicht mit verzerrten, surrealen Kulissen wie das berühmteste Gegenbei- spiel Das Cabinet des Dr. Caligari, sondern lediglich mit überzogenen schau- spielerischen Gesten und Symbolen aus der Natur. Murnau verlegt die Roman- handlung weitgehend an Originalschauplätze in Deutschland und reduziert die Zahl der handelnden Personen auf ein Minimum. Dafür gibt er sich ausführlich seinem Hang zur Romantik hin, stark inspiriert von der Malerei. So zelebriert er das Motiv der Sehnsucht, gerade bei der einsam zurückgelassenen Ellen, und setzt den düsteren Grafen durch zahlreiche stimmig eingeschobene Land- schaftsaufnahmen immer wieder in den Kontext der Natur.

Mit seinem animalischen Aussehen und seinen natürlichen Trieben wird Orlok als Teil vom ewigen Lauf des Lebens und der tierischen Nahrungskette darge- stellt. Gleichzeitig zeichnet sich der Vampir aber auch durch unwirkliche Be- wegungen und übernatürliche Eigenschaften aus. So entzieht er sich dem Greifbaren, lässt sich keiner bestimmten Lebensform zuordnen und wird zum Objekt der Angst. Der Vampir steht als Sinnbild für die kollektiven Ängste einer vom Ersten Weltkrieg erschütterten Nation. Da gibt es keinen zur Ret-

12 tung eilenden Van Helsing wie in Stokers Dracula-Roman – das Verderben überrollt die fassungslosen Menschen.

Graf Orlok alias Nosferatu (Max Schreck) schreckt von seinem Opfer hoch. | © Transit Film

Murnaus Inszenierungsstil ist hervorragend. Jede Einstellung sitzt, der Schnitt ist für damalige Verhältnisse flott und elegant, in jeder Szene äußert sich ein hohes Maß an Kreativität. Selbst die Erzählweise durch die Zwischentitel ist gewitzt: Berichtet wird aus Sicht eines anonymen Chronisten, der nieder- schrieb, was er zuvor gehört hatte. Neben den Dialogen wird die Erzählung durch vielerlei andere Mittel getragen, so z. B. durch einen Zeitungsausschnitt, ein Tagebuch, Romanauszüge oder durch Briefe.

Nur die Spezialeffekte sind von schwankender Qualität. Eine Doppelbelichtung für eine geisterhafte Erscheinung hier und ein Zeitraffer da erzielen die gewünschte Wirkung, aber ein Negativbild für einen „weißen Wald“ und diverse Stopptricks zur Darstellung sich von selbst bewegender Gegenstände sind selbst für damalige Verhältnisse wenig authentisch und überflüssige Spielereien. Auch geht der filmische Bann ein Stück weit

13 verloren, wenn Graf Orlock mit Sarg unterm Arm völlig offensichtlich über die Schatten der Mittagssonne stiefelt, obwohl die blaue Tonung frech suggeriert, es sei eine Nachtszene. Dass Nosferatu eine kleine, schnelle Produktion war, lässt sich eben nie ganz verleugnen.

Kleine Lücken und Ungereimtheiten in der Handlung werden meist akzeptabel durch die „Traumlogik“ der Handlung entschuldigt; das unerreicht schaurige Antlitz des damals noch unbekannten Hauptdarstellers Max Schreck und sein faszinierendes, erhabenes Spiel lassen kleine inszenatorische Schnitzer weit- gehend verzeihen. Gerne vergessen wird die Figur des Häusermaklers Knock, der mit Orlok in Verbindung steht, ebenfalls recht eindringlich und unheimlich gespielt von Alexander Granach.

Bei all der Symbolik verliert Murnau jedoch fast die Konzentration auf die Handlung. Werner Herzog gelang es in seiner Neuverfilmung rund 55 Jahre später, die Tragik der titelgebenden Figur einfühlsamer und zugänglicher her- auszuarbeiten – allerdings mithilfe des gesprochenen Wortes. Nosferatu, eine Symphonie des Grauens bebildert auf bemerkenswerte Weise eine heranna- hende Bedrohung und erzeugt so beim Betrachter eine wachsende Panik, die durch mysteriöse geistige Verbindungen zwischen den Figuren geschürt wird und so eine recht einzigartig beklemmende Wirkung erzielt.

Wirklich furchteinflößend ist das heute nur noch sehr bedingt. Die sorgfältige Originalmusik von Hans Erdmann kümmert sich auch lieber um anspruchsvol- le Leitmotive als um schauriges Dröhnen. Doch hat man die in ihrer vorder- gründigen Schlichtheit zunächst schräge und somit teils anstrengende Schau- ermär erst einmal ein bisschen entwirrt und entschlüsselt, lässt sie sich gut verarbeiten und schätzen.

Die obige Rezension bezieht sich auf die DVD-Version von Transit Film, mit der 2005/2006 restaurierten Fassung, die dem einstigen Original wohl am nächsten kommt.

14 2 Universal, Hammer und die Bedrohung von oben

Blutdürstiger Verführer Hollywood hatte früh begonnen, talentierte Filmkünstler aus Deutschland abzuwerben und sich während der 1920er Jahre zur weltweit führenden Film- industrie gemausert. Die Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 löste schließlich eine Abwanderungswelle deutscher Filmmacher aus und das hohe internatio- nale Ansehen, das deutsche Produktionen vormals genossen, war endgültig dahin.

In den USA hatte ein gewisser Carl Laemmle – man glaubt es kaum: schon wieder ein Deutscher, allerdings bereits 1884 im Alter von 17 Jahren emigriert – die Universal Studios gegründet. Ende der 20er Jahre, als Filme schließlich sprechen lernten, übertrug er die Führung seinem Sohn, Carl Laemmle Jr.

Mit dem Vorhaben, höhere Qualität und frische Konzepte zu liefern, leitete der Junior in den 30er Jahren eine Serie von Monsterfilmen ein. Diese ließ die Universal Studios zu einer der wichtigsten Filmfabriken der Welt aufsteigen und löste den ersten Horror-Boom Hollywoods aus. Den Anfang markierte 1931 Dracula, in diesem Fall mit ordnungsgemäß erworbenen Rechten an der Romanvorlage.

Darin reist der englische Makler Renfield nach Transsilvanien und besucht – entgegen aller Warnungen – das Schloss des Grafen Dracula, um mit diesem ein Immobiliengeschäft abzuschließen. Dracula entpuppt sich als Vampir und macht Renfield zu seinem Sklaven. Daraufhin begibt sich der Graf selbst nach London und sucht nach weiblichen Opfern. Nur der weise Wissenschaftler Abraham Van Helsing ahnt, was sich hinter der Fassade des eleganten Adligen verbirgt.

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Dracula (Bela Lugosi) verführt, bis sich die Frauen seinem Blutdurst hingeben. | Quelle: DVD & Blu-ray "Universal Monsters Collection" (© 2012 Universal Studios. Alle Rechte vorbehalten.)

Es sollte ein pompöser Auftakt für die kommende Horrorfilmreihe werden, doch leider machte die Weltwirtschaftskrise Laemmle einen Strich durch die Rechnung. Deshalb orientiert sich Dracula weniger an Bram Stokers komple- xem Roman, sondern mehr an dem schlichteren Bühnenstück von , das auf dem Roman basiert. Dafür punktet die kleine Produktion, be- wusst im Theaterstil gefilmt, mit großen Schauspielleistungen.

16 Hauptdarsteller Bela Lugosi hat weder ein besonders markantes Gesicht noch eine spektakuläre Statur, aber sein ungarischer Akzent, seine erhabenen Bewe- gungen, seine manierierte Sprache, sein hintersinniges Grinsen und seine ein- dringlichen Blicke verschaffen ihm eine sagenhafte Präsenz, mit der er den Grafen Dracula nicht nur als Vampir, sondern auch als männlichen Vamp etabliert. Im Gegensatz zur ersten bekannten Filmadaption des Stoffs durch Nosferatu, eine Symphonie des Grauens wird hier aus dem Vollstrecker ein Verführer. Lugosi, der die Rolle bereits in der Theaterfassung gespielt hatte, definiert hier das weltweite Dracula-Bild mit dem Vampir als erotisches Ver- hängnis. Der charmante Graf, dessen Image sich schließlich über die Jahre durchgesetzt hat, funktioniert auf seine Weise ebenso gut wie der abscheuli- che.

Doch eben nicht nur Lugosi, auch seine Leinwandpartner sind ein Genuss. Insbesondere natürlich Dwight Frye als Renfield, der mit faszinierender Hin- gabe vom Gentleman zum Wahnsinnigen mutiert; ebenso Edward Van Sloan als Professor Van Helsing mit seinem grenzenlos kultivierten Auftreten (wirkt nur im Originalton!).

Das erstklassige Ensemble tröstet über die arg brave und insgesamt etwas fad geratene Inszenierung hinweg. Die Fassung ist jedoch immer noch besser als die spanische Version, die mangels Synchronisationstechnik im gleichen Zeit- raum an den gleichen Sets mit anderer Besetzung entstand. Diese gilt als tech- nisch etwas ausgereifter und ist eine Spur freizügiger, zieht sich in den einzel- nen Szenen aber massiv in die Länge, sodass sie glatt eine unnötige halbe Stunde länger läuft.

Einen kleinen Abbruch tut der Spannung auch die fehlende Filmmusikspur, die bei frühen Tonfilmen noch nicht üblich war. Lediglich der Vorspann ist von einem Stück aus „Schwanensee“ begleitet. Doch die vorherrschende Stille passt irgendwie zu den langsamen, geheimnisvollen Bewegungen Draculas und seiner Ausstrahlung, sodass man die Musik weniger vermisst als etwa im Universal-Nachfolger .

Oft wird weggeschwenkt und ausgeblendet, und zwar immer dann, wenn es um die entscheidenden Akte geht – nicht einmal spitze Zähne gibt es zu sehen. Das macht es dem Film leicht, sich nach dem strengen Hollywood-Kodex hinsichtlich Sex und Gewalt zu richten, es wird damit aber auch das

17 Mysteriöse und Unnahbare an der Geschichte geschürt. Schließlich ist es oft sinnvoll, wenn man gewisse Szenen selbst zu Ende denken muss. Keine Entschuldigung gibt es jedoch für das sehr lasche Finale und den allgemein schwerfälligen Spannungsbogen. So bleibt Universals Dracula die wohl prägendste und vielleicht auch die am schönsten gespielte Version der Geschichte um den weltberühmten Blutsauger, nicht aber die aufregendste.

Es lebt Wie eben schon angerissen, folgte noch im gleichen Jahr James Whales Fran- kenstein. Darin geht es um den jungen Dr. Henry Frankenstein. Der Wissen- schaftler wendet sich von der Universität ab und geht im Alleingang seinen eigenartigen Experimenten nach, denen nur sein Gehilfe Fritz beiwohnen darf: Aus ausgegrabenen Leichenteilen setzt er einen menschlichen Körper zusam- men. Das letzte Teil ist ein Gehirn, das Fritz aus der Präparatensammlung von Dr. Frankensteins ehemaligem Professor entwendet. Bei einem Gewitter wird der tote Körper mithilfe eines Blitzes zum Leben erweckt. Der begeisterte Doktor schafft jedoch ein Monster, das sich anders verhält als geplant.

Ein absoluter Klassiker, aber nicht immun gegen eine kritische Betrachtung: In diesem schnell durchgeguckten Schinken stolpern die Figuren durch Studioku- lissen, die nur zu gut als solche zu identifizieren sind – auch, weil die Tonbe- arbeitung damals noch in den Kinderschuhen steckte. Die komplett fehlende Musik – abgesehen von Vor- und Abspann – verpasst es nicht nur, derartige Macken zu kaschieren, sondern hinterlässt auch weitgehend Leere, wo Atmo- sphäre sein sollte. In Wahrheit handelt es sich bei James Whales Frankenstein um kaum mehr als ein kleines Experiment in Zeiten des Umbruchs, das nun mal hohe Wellen schlug.

Frei nach dem berühmten Roman von und stärker orientiert an dem späteren Theaterstück von Peggy Webling inszeniert Whale eine glattge- bügelte und gleichzeitig aufgeblasene Variante der Originalgeschichte, ohne dafür wirklich angemessene Mittel zu haben.

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