한국 문화 Kultur Ausgabe 3/2012

Spezial: Koreas Meere, Inseln und Strände

Hammer, Sichel, Badetuch. Badeurlaub in Nordkorea Der alte Mann und das Wattenmeer. Gezeitenkraft als Fluch und Segen Fischköpfe am Landesende: eine Reise nach Jeollado, das Land der Farben GAMAMI BEACH, Yeonggwang Foto: Korea Tourism Organization © Korean Culture and Information Service and Information Culture © Korean Olle-Wanderweg, Insel Jeju Editorial

Der Lebensstil der Koreaner ist seit jeher stark vom Meer beeinflusst, denn die Halbinsel Korea grenzt im Osten an das Ostmeer, im Süden an die Koreastraße und im Westen an das Gelbe Meer. Ihre 2413 km lange Küstenlinie ist von unzähligen Inseln und Halbinseln gesäumt. Der südlichen und westlichen Küste sind rund 4400 Inseln vorgelagert, von denen fast 500 bewohnt sind. Ein Kleinod vor der koreanischen Südküste ist Jeju, die größte Insel Koreas.

Noch bis zum 12. August läuft in dem kleinen Städtchen Yeosu an der Südküste eine Expo zum Thema „Lebendiger Ozean, lebendige Küste“. Die Weltausstellung hat sich dem Ziel verschrieben, die Le- bensräume der Meere und Küsten vor Verschmutzung, Überfischung und Zerstörung zu schützen.

Es gibt also viele Gründe, sich dem Spezialthema „Koreas Meere, Inseln und Strände“ zu widmen – zumal zur Sommerzeit.

In dieser Ausgabe wollen wir Ihnen nicht nur einige Reiseziele vorstellen, sondern die maritime Welt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Sie erfahren von einem Gezeitenkraftwerk an der Westküste, von naturgeschützten Wattenlandschaften, von einem Badeurlaub in Nordkorea, der „Slow Islands“-Philosophie, von Insel-Hopping und der Beschwerlichkeit einer Reise nach Jeju vor über hundert Jahren.

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und einen schönen Sommer!

Ihre Redaktion Kultur Korea

1 KULTUR KOREA 1 Editorial KALEIDOSKOP FILM 2 Inhalt 26 „Die Koreaner haben sich 58 „Iodo“ noch nicht genügend Zeit für Die Folgen der Modernsierung auf HISTORISCHES den Tourismus genommen.“ einer entlegenen Insel Interview mit Lee Charm, von Gesine Stoyke 4 Meeresarchäologie in Korea Präsident der Korea Tourism von Im Gyeong-hee und Organization (KTO) 61„My Mother, the Mermaid” Jeong Yong-hwa von Gesine Stoyke von Dr. Stefanie Grote

7 GEOBUKSEON 29 Hammer, Sichel, Badetuch AUßENSICHTEN AUF KOREA Das koreanische Schildkrötenschiff Badeurlaub in Nordkorea von Dr. Stefanie Grote von Jan Keith 62 Erinnerungen an Korea von Dorit Brandwein-Stürmer 8 Jang Bogo 36 Strandleben in Südkorea „König der Meere“ „Niemand möchte braun werden“ von Gesine Stoyke Interview mit Dan Lee PORTRÄT von Gesine Stoyke 10 Siegfried Genthe 64 „Ich bin fest davon über- Korea. Reiseschilderungen 38 Jagalchi zeugt, dass die Zeit für ein Der größte Fischmarkt in Korea und geeintes Korea kommen wird“ Interview mit Finanzstaatssekretär LANDSCHAFT Nordostasien von Dr. Stefanie Grote Hartmut Koschyk MdB von Dr. Stefanie Grote 12 Verlassene Traumstrände Urlaub in umkämpften Gewässern 40 Haenyeo von Rainer Rippe Die Meerfrauen von Jeju KULTUR von Anne Schneppen 15 Fischköpfe am Landesende 67 Ausstellung mit Chun Eine Reise nach Jeollado, das Land der 44 Das Meer in Pansori- Kwang Young Farben von Gitte Zschoch Gesängen von Karin Scheuermann von Matthias R. Entreß 18 Die Bucht von Suncheon KOREA IM ALLTAG Koreas größtes Feuchtbiotop UMWELT von Dr. Stefanie Grote 69 KOREANISCHER SPRACHFÜHRER 47 Weltneuheit in Korea 21 Slow Island Cheongsando „Made in Germany“, teilweise 70 „Lassen Sie Sich nicht ent- Rückbesinnung auf die Natur zumindest mutigen, auch wenn Erfolge von Leonie Stenske von Malte E. Kollenberg einmal auf sich warten lassen!“ 24 Ein Tag im Schlamm 50 Gaetbeol Interview mit Andrea Steinbach Das Boryeong Mud Festival Wattenmeer von Weltklasse von Gesine Stoyke von Su-Zi Schütz von Anja Szczesinski 72 REZEPT 53 „Die traditionelle Nutzung Gebratener Oktopus mit Somyun- der koreanischen Watt- Nudeln flächen hat mich fasziniert“ von Eun-Kyoung Cho Interview mit Anja Szczesinski von Dr. Stefanie Grote

55 Der alte Mann und das Wattenmeer Gezeitenkraft als Fluch und Segen von Malte E. Kollenberg

2 KULTUR KOREA VERANSTALTUNGEN Juli - September 2012

Koreanisches Kulturzentrum - Vorschau

73 Kurse

74 AusstellungEN / Konzerte / Sonstiges

Koreanisches Kulturzentrum - Rückblick

76 Wer Buchstaben sät... von Bodo Hartwig 78 Bundesweite veranstaltungen .S. 12: Daecheongdo S. 55: Jangbongdo 79 IMPRESSUM . SEOUL 80 Zur Leserumfrage .

GELBES MEER REPUBLIK KOREA .S. 4: Daeseom OST- .S. 24: Boryeong MEER

BUSAN S. 38: Jagalchi-Fischmarkt ...S. 36: Haeundae S. 4: Dallido . .S. 36: Geoje .S. 18: Suncheon S. 47: Yeosu S. 4: Jindo . . S. 8, 15: Wando S. 15: Bogildo. ..S. 21: Cheongsando .S. 10, 40: Jejudo

3 KULTUR KOREA HISTORISCHES

Meeresarchäologie in Korea

Von Im Gyeong-hee und Jeong Yong-hwa Kuratoren des Nationalen Forschungsinstituts für maritimes Kulturerbe

Fotos: Nationales Forschungsinstitut für maritimes Kulturerbe

4 KULTUR KOREA enn die Laichzeit Weg zum Transport der in Form von aufsehenerregendsten Unterwasser- beginnt, ziehen sich Naturalien gezahlten Steuern aus den ausgrabungen, die jemals in Ostasien die Tintenfische und einzelnen Provinzen darstellte. Die durchgeführt wurden. Oktopusse an sichere Bewohner der Küstenregionen und WOrte wie leere Schneckenhäuser Inseln verdienten sich ihren Lebens- zurück und verstopfen deren Öffnun- unterhalt durch die Fischerei oder das gen mit losen Objekten, bevor sie Kultivieren von Salzfeldern. Diploma- ihre Eier legen. Im Mai 2007 stieß ein ten und Kaufleute reisten auf dem Fischer vor der Insel Daeseom im Kreis Seeweg, um Güter und Kultur auszu- Taean, Provinz Süd-Chungcheong, auf tauschen. Das Meer bot den Feinden einen ungewöhnlichen Fund: Als er Koreas häufig Korridore für Invasionen ein Schneckenhaus aus dem Wasser und verwandelte sich zuweilen in zog, das er zuvor als Köder ins Meer einen Schauplatz von Seeschlachten. geworfen hatte, um Babytintenfische (주꾸미/ Jukkumi) zu fangen, saß Die materiellen und immateriellen darin ein Tintenfisch, an dessen Tenta- historischen Zeugnisse all dieser keln ein Teller von bläulicher Färbung Ereignisse, die sich in der Vergan- Die Überreste des Handelsschiffs und haftete. genheit im und um das Meer herum seine Güter, die aus dem Meer vor zutrugen, sind Teil des koreanischen Sinan geborgen wurden, waren eine Unterwasser-Kulturerbes. Die Unter- Bestätigung historischer Berichte, wasserarchäologie ermöglicht die dass Handelsschiffe aus (918 Erforschung des kulturellen Erbes auf – 1392), Yuan und Japan regelmäßig dem Meeresboden. über das Gelbe Meer (Westmeer) segelten – mit aromatischen Höl- Großer Auftakt der Meeresarchäo- zern, medizinischen Substanzen und logie Münzen an Bord. Nach vielen Jahren der Restaurationsarbeiten konnte das Die Meeresarchäologie erforscht alle Schiff 2002 teilweise wieder in seinen archäologischen Quellen, die unter ursprünglichen Zustand zurückver- Der Tintenfisch, der seine Eier mit Wasserbedeckung erhalten geblieben setzt werden. einem Seladonteller zu schützen sind - in Flüssen, Seen, Sümpfen und versucht. Meeren - und studiert deren Form und 1983 wurde ein weiteres Schiffswrack Materialien, um Rückschlüsse auf ihre mit seiner Fracht aus dem Meer vor Dem Fischer war sofort klar, dass es Herkunft zu ziehen. Diese wissen- der Insel Wando in der Provinz Süd- sich um ein historisches Seladonge- schaftliche Disziplin wurde erstmals Jeolla zu Tage gefördert. Das soge- fäß handeln musste. Also informierte ernsthaft in Korea angewandt, als nannte „Wando-Schiff“, das ebenfalls er die Behörden. Daraufhin wurde 1976 im Meer vor Jeungdo-myeon in der Goryeo-Zeit Schiffbruch erlitt, unmittelbar mit einer Begutachtung im Kreis Sinan, Provinz Süd-Jeolla, ein hatte mehr als 20.000 Tongefäße des Fundorts in den Gewässern um Schiffswrack gefunden wurde. geladen, die im zwölften Jahrhundert Daeseom begonnen. Fragen kamen in Gangjin (oder Haenam) hergestellt auf: Wo hatte der Tintenfisch den Sela- Vor der sensationellen Entdeckung worden waren. Darunter waren auch donteller gefunden? Wie war der Teller des „Sinan-Schiffswracks“ hatten Fi- Küchenutensilien von Seeleuten, die auf den Meeresboden gelangt? scher in den südwestlichen Küstenre- einen Einblick in deren Lebensweise gionen schon seit geraumer Zeit blaue erlaubten. Meeresrouten für Handel und See- Porzellanteller oder –schalen aus dem schlachten Wasser geborgen. Ausgrabungen am Auch in Gezeitenbereichen fanden Meeresboden in unmittelbarer Nähe sich historische Schiffswracks – das Die koreanische Geschichte ist voller des Fundortes förderten mehr als „Jindo-Schiff“ vom Vorstrand der Insel Berichte über Personen und Waren, 20.000 chinesische Tongefäße, sieben Jin im Kreis Jindo (entdeckt im Jahre die entlang der koreanischen Küs- Seladongefäße aus der Goryeo-Zeit 1992) und ein Schiff aus der Goryeo- tenlinien reisten. Das Meer spielte für (918 – 1392), 20.000 Tonnen Münzen Zeit namens „Dallido-Schiff“ vor der die Staatsführung eine unabdingbare und schließlich das Schiffswrack selbst Insel Dalli in Mokpo (entdeckt im Rolle, da es den entscheidenden zu Tage. Die Funde waren Teil der Jahre 1995).

5 KULTUR KOREA Fund von Kulturschätzen auf dem ren wurden, vor der Südwestküste. der Goryeo-Zeit, Eisenkessel und Meeresboden Folglich ereignete sich damals der andere Gebrauchsgegenstände von Großteil der Schiffsbrüche entlang Seeleuten sowie 30 Holzbalken gefun- Die Ausgrabungen am Meeresboden dieser Seerouten. Bei den Keramik- den wurden. wurden auch in den Jahren nach der gefäßen, die in den Schiffswracks Jahrtausendwende fortgesetzt, vor gefunden wurden, handelte es sich allem im Gelben Meer vor den Jeolla- um die Steuern, die die Bewohner und Chungcheong-Provinzen. Vier der Landkreise Gangjin, Haenam und Schiffswracks aus der Goryeo-Zeit und Buan in Naturalien zahlten oder um rund 39.000 lokal hergestellte Kera- ihre Handelsware, die für den Verkauf miken wurden entdeckt. Auch wenn transportiert wurde. Damals gab es sich die Schiffe in ihrer Bauart leicht in diesen Landkreisen ein hohes Auf- unterscheiden, haben sie alle den kommen an Tonbrennöfen. typisch koreanischen flachen Rumpf. Die geladenen Töpferwaren ermög- Zweitens gibt es in den Gezeiten- lichten Rückschlüsse darauf, wann die zonen entlang des südwestlichen Bei den Töpferwaren, die auf dem Schiffe gebaut wurden und wofür sie Küstenstreifens viele Schlammfelder, Handelsschiff entdeckt wurden, han- verwendet wurden. Die Keramiken die zum Erhalt der Schiffswracks bei- delte es sich um Seladongefäße ziem- entstanden zwischen dem zwölften trugen. Holzschiffe, die kentern und lich hoher Qualität, die um das zwölfte und dem vierzehnten Jahrhundert den Meeresströmungen ausgesetzt Jahrhundert in der Region Gangjin und reichten von hochwertigem werden, können sonst leicht wegge- entstanden. Dazu zählen Geschirr zum Seladon mit Einlegearbeiten bis zu schwemmt oder beschädigt werden. alltäglichen Gebrauch wie einfache Alltags-Seladongefäßen, die für die Getreide und Stoffe, die ebenfalls Teller und Schalen sowie Gegenstände Bevölkerung bestimmt waren. wichtige Steuereinnahmen darstell- für besondere Anlässe wie ein Weih- ten, verschwanden auf diese Weise, rauchgefäß mit Löwendekoration, ein Der Großteil der 230 archäologischen während die Töpferwaren relativ Tuschreibestein in Gestalt einer Kröte, Fundorte am Meeresboden befindet intakt blieben. So erklärt es sich, dass Almosenschalen für Mönche und sich im Gelben Meer vor den Jeolla- in den Schiffswracks vor allem Töpfer- Kisten mit Deckeln. und Chungcheong-Provinzen. Warum waren gefunden wurden. konzentrieren sie sich auf das Meer Das Schiff und seine Fracht wurden entlang der südwestlichen Küste? Und Reicher Fund im Taean-Schiffs- von starken Strömungen in die Nähe warum waren die meisten Fundstücke wrack der Insel Daeseom geschwemmt, Tongegenstände? Es gibt zwei wesent- die auch wunschhaft „Anhaeng- liche Gründe – einen historischen und Durch Ausgrabungen, die über einen nyang“ (안행량, „sicherer Seeweg“) einen geologischen. Zeitraum von zwei Jahren durchge- genannt wird. Jahrhunderte später führt wurden, konnte das Nationale sind sie wieder an der Wasseroberflä- Erstens lagen die meisten Seerouten, Meeresmuseum (der Vorläufer des che aufgetaucht, als sollten sie eine die von den Frachtschiffen während Nationalen Forschungsinstituts für neue Mission erfüllen. Sie tragen der Goryeo-Zeit zum Transport der maritimes Kulturerbe) das „Taean- dazu bei, die Wissenslücken über die Steuereinnahmen aus den Provinzen Schiff“ und seine Fracht bergen, in mittelalterliche Geschichte und Kultur in die Hauptstadt Gaegyeong befah- dem 20.000 Seladonkeramiken aus Koreas zu schließen.

Aus „Korean Heritage“, Sommer 2009, Quartalsmagazin der Cultural Heritage Administration

Übersetzung: Gesine Stoyke

Das „Wando-Schiff“, Rekon- struktion der Überreste.

6 KULTUR KOREA HISTORISCHES

GEOBUKSEON - 거 DAS KOREANISCHE SCHILDKRÖTENSCHIFF

Von Dr. Stefanie Grote

북 Entgegen der weit verbreiteten Auf- beim Schildkrötenschiff zumeist auch deshalb, weil die fassung, dass die ersten gepanzerten Öffnungen des Rumpfes so konstruiert waren, dass die Schlachtschiffe im 19. Jahrhundert Besatzung zwar hinaus-, der Feind aber nicht hineinsehen entwickelt wurden, hatten die Koreaner und die Handlungen des Gegners somit nicht beobachten das sogenannte „Schildkrötenschiff“ oder konnte. 선 „Geobukseon“ (거북선) bereits im 16.

Jahrhundert vor allem während des Imjin- Das Geobukseon verfügte über einen oder zwei Segel- Krieges (임진, 1592-1598) erfolgreich gegen die Japaner masten, die bei Bedarf im Schiffsinneren versenkt werden eingesetzt. Alten Aufzeichnungen zufolge existierte dieser konnten und bot etwa 80 Ruderern Platz, die hinter der koreanische Kriegsschifftyp in seiner frühen Ausprägung stabilen hölzernen Galerie auf dem Zwischendeck vor bereits im 13./14. Jahrhundert in der Spätperiode des dem herannahenden Feind geschützt waren. Goryeo-Reiches (918 – 1392) und der frühen -Ära (1392 - 1910). Schildkrötenschiffe eigneten sich aber durchaus auch zum Angriff. Der Schiffsrumpf wies bis zu 100 kleine und über Die Bauweise des vornehmlich zur Verteidigung konzi- alle vier Seiten verteilte Schießscharten auf, die es den pierten Schiffes war höchst durchdacht. Das kahnartige, Bogenschützen und der Artillerie erlaubten, aus jeder Po- 30 bis 37 Meter lange Schiff bestand aus Unter-, Mittel- sition zu attackieren. Das Oberdeck wiederum bot 45 bis und Oberdeck und war aufgrund der enormen Stabilität 50 Soldaten Platz, welche die etwa 30 Kanonen bedienten. bestens gegen Rammattacken des Gegners gefeit. Die durchgehende Panzerung durch 12 - 25 cm dicke Holz- Neben der hölzernen Nachbildung eines Schildkröten- platten verlieh dem Schiff das Aussehen einer Schildkröte. schwanzes am Heck ist der Drachenkopf am Bug ein wei- Experteneinschätzungen zufolge könnte es dieses Se- teres typisches Merkmal dieses Schiffes. Die Konstruktion gelschiff als Teil einer Flotte sogar mit den Panzerschiffen erlaubte zum einen die Erzeugung von giftigem Rauch im des Industriezeitalters aufnehmen. In Ergänzung zu fest Inneren des Kopfes, der zur Sichteinschränkung und Irri- montierten, eisernen Speerspitzen auf dem Oberdeck galt tation des Feindes führte. Zum anderen konnte durch das das Schiff praktisch als uneinnehmbar. Auf diese Weise Maul des Drachenkopfes eine Kanone abgefeuert werden. erwehrten sich die Koreaner der seinerzeit beliebten Tak- Auch ein Rammsporn, der am unteren Teil des Geobuk- tik der japanischen Marine, die Feinde durch das Entern seon montiert war, erwies sich durchaus als nützlich. Die ihrer Schiffe zu bekämpfen. Dieses Vorhaben misslang vielseitige Konstruktion des Geobukseon machte Offensi- ven aus unterschiedlichen Distanzen möglich.

Heute befinden sich Nachbauten dieses einzigartigen koreanischen Kriegsschifftyps u.a. im Park am Han-Fluss in Seoul sowie in der Küstenstadt Tongyeong (통영) in der Provinz Süd-Gyeongsang (경상남도).

Besichtigungen sind lohnenswert, denn hier weht er immer noch, der Hauch der alten Zeit.

Quellenauswahl: http://de.wikipedia.org/wiki/Schildkr%C3%B6tenschiff http://world.kbs.co.kr/german/news/news_zoom_detail. htm?No=1159 http://www.gnrtr.com/Generator.html?pi=117&cp=3 http://civwiki.de/wiki/Schildkr%C3%B6tenschiff_%28Civ5%29 http://wiki.antamar.eu/index.php?title=Schildkr%C3%B6tenschiff

7 KULTUR KOREA HISTORISCHES

Jang Bogo 장 „König der Meere“ 보 Von Gesine Stoyke 고

m März 2009 bildete die südkoreanische Marine ein 300-köpfiges Einsatzkommando namens „Cheong Hae Task Force“, um die Pira- terie vor somalischen Küsten zu bekämpfen. BenanntI wurde es nach dem historischen Marine- stützpunkt Cheonghaejin (청해진), der von dem legendären koreanischen Seehelden Jang Bogo gegründet worden sein soll.

Obwohl nur wenige historische Quellen über Jang Bogo erhalten geblieben sind, der in der ko- heißt, dass Jang über die Behandlung seiner reanischen Geschichte auch als „König der Meere“ Landsleute in China sehr erzürnt gewesen sei. Die bezeichnet wird, ist das Interesse an seiner Person Piraten griffen auch in den Seehandel zwischen bis heute ungebrochen. Jang, der wahrscheinlich China und Japan ein, indem sie von den Inseln, einer Bauernfamilie entstammte, wurde im Jahre die der koreanischen Küste vorgelagert waren, 787 zur Zeit des Vereinigten Silla-Reiches (645 - die vorbeifahrenden Schiffe abfingen und sie 935) im Südwesten Koreas auf der Insel Wando in ihrer Fracht beraubten. der Provinz Süd-Jeolla geboren. Als junger Mann wanderte er mit seinem besten Freund nach Chi- Als Jang Bogo um das Jahr 825 in sein Heimat- na aus, um in die Armee des Tang-Reiches (618 land zurückkehrte, schickte er eine Petition an - 907) einzutreten. Jang beherrschte die Kampf- den dortigen König, um die Einrichtung eines künste, und da die beiden Freunde im Reiten und ständigen Marinestützpunktes auf seiner Hei- im Umgang mit dem Speer sehr versiert waren, matinsel Wando zu erreichen und so Sillas Han- konnten sie sich ein militärisches Amt sichern und delsaktivitäten im Gelben Meer besser schützen wurden zu Junggenerälen eines chinesischen zu können. Jang, der zu dem Zeitpunkt bereits Distrikts ernannt. im Besitz einer imposanten Privatflotte war, die ihr Hauptquartier auf Wando hatte, erhielt die Anfang des neunten Jahrhunderts existierten in königliche Erlaubnis und darüber hinaus 10.000 Tang-China große Communitys von Auswande- Soldaten, die zwar nominell dem koreanischen rern aus dem koreanischen Silla, deren Kolonien Monarchen unterstanden, über die Jang aber in sich auf die Handelszentren in Küstennähe in den der Realität frei verfügen konnte. Er stieg damit Provinzen Shandong und Jiangsu konzentrier- zu einem der zahlreichen Warlords außerhalb der ten. Diese in den chinesischen Küstenregionen Silla-Hauptstadt auf, die oft über riesige Privatar- lebenden Untertanen Sillas waren ein beliebtes meen verfügten. Militärisch wäre er in der Lage Ziel von Banditen zu Lande und von chinesischen gewesen, den Staat zu stürzen und selbst König und japanischen Piraten zu Wasser, die Tausende zu werden. Seine Militärbasis, die er Cheong- von ihnen gefangen nahmen und in die Sklaverei haejin (Cheonghae/청해: „klare See“) taufte, stat- verkauften. Der Sklavenhandel mit den ausge- tete er mit hohen Mauern und Wachtürmen aus, wanderten Staatsbürgern des Silla-Reiches nahm die den Piraten ebenso wie die felsigen Küsten so sehr überhand, dass der König von Tang im einen Angriff erschwerten. Tatsächlich gelang es Jahre 823 ein Edikt ausgab, um den Sklavenhan- ihm, die Seeräuber von den Küstenstreifen und del zu unterbinden und die Rücksendung aller Inseln im südwestlichen Teil der koreanischen entführten Koreaner nach Silla anzuordnen. Es

8 KULTUR KOREA Halbinsel fernzuhalten und so einen sicheren des großen Seehelden auf seiner Heimatinsel Seehandelsweg zwischen China, Silla und auf Hochtouren: Auf Wando gibt es Märkte, Japan aufzubauen. Über mehrere Jahrzehnte Hotels und Geschäfte, die nach ihm benannt kontrollierte er effektiv das Gelbe Meer vor sind. Selbst ein Festival trägt seinen Namen. den Küsten des koreanischen Königreiches Eine Restaurierung von historischen Stätten, und stieg in den Marinehandel ein, um die aus der Zeit des berühmten Inselsohns enorme Profite für sich und den koreanischen stammen, ist geplant. Die Überreste der Mili- König zu erwirtschaften. Er gelangte zu tärbasis Cheonghaejin können bis heute vor Einfluss in der koreanischen Politik und erhielt der Südküste von Wando besichtigt werden. den Titel des „Maritimen Bevollmächtigten der Garnison Cheonghaejin“. Anfahrt zur Insel Wando von Seoul: Expressbus vom Seoul Express Bus Terminal Sein Erfolg und Reichtum genügten ihm (Linie 3, 7, 9) zur Insel Wando jedoch bald nicht mehr, und als er versuchte, Fahrtdauer 6 Std.; 4 Busse pro Tag: erster Bus die Einheirat seiner Tochter in die Königsfa- 7.45 Uhr, letzter 17.30 Uhr; Preisspanne: 21.100 - milie zu erreichen, brachte er die Angehöri- 31.400 Won (ca. 14,20 – 21,15 Euro) gen der Adelsschicht gegen sich auf. Denn www.wandoro.co.kr in Silla herrschte eine strikte Rangordnung, die den sozialen Aufstieg der unteren in die oberen Schichten nicht vorsah. Der Versuch Quellenauswahl: des Mannes einfacher Herkunft, durch die http://rokdrop.com/2008/01/08/the-legend-of-jang- bogo/ Verheiratung seiner Tochter zu einem Mitglied http://en.wikipedia.org/wiki/Jang_Bogo des Königshauses zu werden, wurde als ein http://german.visitkorea.or.kr/ger/SI/SI_GE_3_1_1_2. Affront gewertet, den Jang mit dem Leben jsp?cid=1432644 bezahlen musste: Vermutlich im Jahre 846 fiel er einem tödlichen Attentat zum Opfer. Aus historischen Quellen geht nicht klar hervor, ob der König selbst oder Mitglieder der Aristokratie hinter dem Komplott gegen ihn steckten. Mit dem Ableben Jangs verlor auch die Garnison Cheonghaejin an Bedeutung und wurde im Jahre 851 aufgegeben.

Gesine Stoyke, Dennoch hat die Faszination an der Person Redaktion Kultur Korea des berühmten koreanischen Seehelden bis zum heutigen Tag nicht nachgelassen. Bereits 1965 wurde ein Spielfilm über Jang Bogo produziert, und 2004 entstand eine ganze Fernseherie (해신/ Haesin/„Emperor of the Sea“), die eine sehr freie Auslegung seines Lebens enthielt. Auch ein U-Boot der kore- anischen Marine wurde nach ihm benannt. Inzwischen läuft die touristische Vermarktung privat Foto:

9 KULTUR KOREA HISTORISCHES

herausgegeben und eingeleitet von Sylvia Bräsel Siegfried Genthe: Korea. Reiseschilderungen München, iudicium, Neuauflage 2005 (ERGA. Erfurter Reihe zur Geschichte Asiens, Bd. 7) Auszug aus den Reiseschilderungen des Journalisten und Geografen Dr. Siegfried Genthe (1870-1904) aus dem Jahr 1901: ISBN 978-3-89129-786-5 LIV/404 S., kt. · EUR 40,- Weitere Informationen unter: http://www.iudicium.de/katalog/786-6.htm

10 KULTUR KOREA herausgegeben und eingeleitet von Sylvia Bräsel München, iudicium, Neuauflage 2005 (ERGA. Erfurter Reihe zur Geschichte Asiens, Bd. 7) ISBN 978-3-89129-786-5 LIV/404 S., kt. · EUR 40,- Weitere Informationen unter: http://www.iudicium.de/katalog/786-6.htm

Hier endet der Auszug.

11 Foto: IUDICIUM Verlag GmbH Verlag IUDICIUM Foto: KULTUR KOREA LANDSCHAFT

Satang-do Beach auf der Insel Daecheong-do

Foto: Rainer Rippe

Verlassene TraumsträndeUrlaub in umkämpften Gewässern

Von Rainer Rippe

12 KULTUR KOREA m Sommer, wenn die Temperatur auf über 30 Grad Kein Wunder, dass die meisten der 1500 Einwohner vom steigt und die Luft nach der Regenzeit beinahe so Fischfang lebten. Jagaa wurde wie immer für eine Korea- feucht ist wie in einem römischen Dampfbad, zieht nerin gehalten, ist aber Mongolin. Wir erklärten dem Wirt, es die Koreaner ans Meer, an die beliebtesten Strände dass unser Koreanisch nicht so gut sei. Er machte uns desI Landes, deren klangvolle Namen jedes Kind aufsa- deutlich, dass wir auf einen der Fische zeigen sollten. Es gen kann: Haeundae, Eurwangni, Gyeongpo [해운대, war ein seltsames Gefühl, sein Essen noch lebendig vor 을왕리, 경포] usw. Einer der schönsten Strände Koreas sich zu sehen, aber wir hatten Hunger, also suchten wir liegt auf der Insel Daecheong. Aber niemand fährt nach uns einen aus. Als wir uns setzten, bemerkten wir, dass Daecheong-do [대청도, 도/ do = Insel]. an den anderen Tischen überwiegend Soldaten saßen. Wenige Minuten später lag der rohe Fisch auf unserem „Nach Daecheon!“ [대천]. Unsere Bekannten dachten, Teller. Er schmeckte köstlich. meine Freundin Jagaa und ich würden an den berühm- ten Strand an der Westküste fahren, der jedes Jahr 10 Nach dem Mittagessen holten wir unsere Badesachen Millionen Besucher anzieht. „Geht ihr zum Boryeong Mud aus unserem Zimmer und fragten unsere Gastgeberin Festival?“1 Aber wir wollten nicht dicht an dicht gedrängt nach einem Taxi. Kurze Zeit später holte uns ein älterer am Strand liegen, wir wollten uns auch keine Schlamm- Mann mit seinem Auto ab. Wir zeigten ihm die Bilder des schlachten mit Touristen aus nah und fern liefern, wir Strandes, wegen dem wir gekommen waren: Satan-dong wollten unsere Ruhe. „Nein, wir fahren nach Daecheong- [사탄동]. Er verstand sofort und bedeutete uns einzustei- do.“ gen. Auf der Fahrt Richtung Südwesten sahen wir kein einziges Hochhaus, nur Einfamilienhäuser, viele davon mit „Daecheong – wo?“ Die Bilder von den Inseln im Gelben Dächern so blau wie der Himmel. Meer hatten uns fasziniert. Traumhaft schöne, menschen- leere Strände waren darauf zu sehen. Wir hatten sie in einem Magazin namens „The Beetle Map“ gefunden und baten eine freundliche Mitarbeiterin des Seoul Global Centers um Informationen, da die meisten der Inseln offenbar selbst für den Reiseführer „Lonely Planet“ zu ein- sam waren. Sie fand für uns eine Unterkunft und machte die Abfahrtszeiten der Fähre ausfindig.

Die Fahrt mit dem Katamaran von zur 200 Kilometer nordwestlich liegenden Insel dauerte vier Stunden. Ein riesiger Flachbildfernseher am Kopfende des Innenraums berieselte uns die ganze Zeit mit belanglosen Sendungen. Es roch streng nach getrocknetem Tinten- fisch, einem beliebten Reiseproviant in Korea. Im Hafen von Socheong-do [소청도] gingen die ersten Passagiere von Bord, kurz darauf erreichten wir Daecheong-do.

Es war Mittag, und die Sonne lachte uns entgegen an 1. Yeonpyeong diesem strahlend schönen Sommertag im August 2008. 2. Baengnyeong Wir sahen dem Boot hinterher, das nach Baengnyeong- 3. Daecheong Myeon do [백령도] weiterfuhr, dann gingen wir an den vielen 4. Jung-gu (Internationaler Flughafen Incheon) kleinen Fischerbooten vorbei den Kai entlang. Unsere 5. Seoul Unterkunft lag nicht weit von der Anlegestelle entfernt. Es 6. Incheon gab keine Hotels auf der Insel, daher hatten wir im Haus 7. Haeju einer älteren Frau ein Zimmer gebucht. Es war schlicht 8. Kaesong eingerichtet und hatte kein Bett, sondern traditionelle 9. Ganghwa County 10. Bukdo Myeon Matratzen, die man auf dem Boden ausrollt. Für Luxustou- 11. Deokjeok Myeon risten war das hier definitiv der falsche Ort. 12. Jawol Myeon 13. Yeongheung Myeon Zum Essen gingen wir in eines der beiden Restaurants in der Nachbarschaft. Am Eingang standen große Aquarien A. Northern Limit Line (NLL, seit 1953 von Südkorea beanspruchte Grenze)

Foto: Wikimedia Foto: Commons voller Fische aus den reichen Fanggründen vor der Insel. B. Demilitarisierte Zone (seit 1999 von Nordkorea geforderte Grenze)

13 KULTUR KOREA Dann lag sie vor uns: eine kleine Bucht mit grünen Hü- Anderthalb Jahre ist es nun schon ruhig auf den nord- geln, weißem Strand und blauem Meer. Wie passend der westlichen Inseln. Bald wird es wieder Sommer. Dann Name war: Daecheong-do – große blaue Insel. Wir gingen steigt die Temperatur auf über 30 Grad, und die Men- hinab durch den heißen Sand. Ein kleines schwarzes Zelt schen fahren ans Meer. Wenn Sie noch nach einem nicht stand einsam mitten am 1 Kilometer langen und 500 Me- alltäglichen Reiseziel suchen und neugierig geworden ter breiten Strand. Zwei durchtrainierte junge Rettungs- sind: Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Entschei- schwimmer lagen sorgenfrei im Schatten der Kiefern, da den Sie einfach, ob Sie lieber dicht an dicht mit tausenden es niemanden gab, auf den sie aufpassen mussten. Nur anderen Touristen liegen oder einen traumhaft schönen das Rauschen des Meeres und das Singen der Zikaden Strand ganz für sich alleine haben möchten. Meine Emp- waren zu hören. Wir legten unsere Sachen unter einen fehlung lautet: Besuchen Sie die nordwestlichen Inseln. Baum und gingen ins angenehm kühle Wasser.

Von dort aus sahen wir, dass oben auf einem der Hügel Reisetipps ein Soldat in einem Unterstand Ausschau hielt. Als wir zu Fähren Richtung Baengnyeong-do verlassen den Hafen von unseren Sachen zurückgegangen waren, bemerkten wir Incheon um 8.00, 8.50 und 13.00 Uhr. Eine einfache Fahrt eine Mauer mit Laternen. Wurden sie angeschaltet, wenn kostet 54.500 Won (= ca. 36,85 Euro). Weitere Informationen es dunkel wurde? Warum? Wir wussten, dass Daecheong- auf Englisch unter der Telefonnummer +82-32-1330 sowie do nahe der nordkoreanischen Küste liegt. War es hier ge- unter: www.ongjin.go.kr/foreign/eng fährlich? Kamen deshalb keine Touristen in diese Gegend? Wir fühlten uns jedenfalls sicher. 1 Siehe dazu den Artikel „Ein Tag im Schlamm“ von Su-Zi Schütz in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). An der sogenannten „Northern Limit Line“ [NLL], die in der Nähe der Insel verläuft, kam es in den letzten Jahren mehrmals zu Spannungen, weil Nordkorea diese von der UN festgelegte Seegrenze nicht anerkennt. Immer wieder drangen nordkoreanische Fischerboote, eskortiert von Militärschiffen, in südkoreanische Gewässer vor, um dort wertvolle Krabben zu fangen. Nach dem Untergang der südkoreanischen Korvette „Cheonan“ nahe der Nachbar- insel Baengyeong-do und dem Bombardement der Insel Yeonpyeong-do 2010 brach der Tourismus auf den nord- westlichen Inseln ein. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Analysten gehen davon aus, dass die jüngsten Provoka- tionen der Machtübergabe von Kim Jong-il auf seinen Sohn Kim Jong-un dienen sollten. Da diese inzwischen er- folgt ist, sind dramatische Zwischenfälle an der „Northern Limit Line“ momentan nicht zu befürchten. Touristen sind dort meines Wissens noch nie zu Schaden gekommen.

Rainer Rippe wurde 1969 in Bremen geboren. Er kam 2008 nach Korea und unterrichtete zunächst ein halbes Jahr an der Seoul Foreign Language High School Deutsch, anschließend drei Jahre an der Hankuk University of Foreign Studies. Foto: Inga Sommer Foto:

14 KULTUR KOREA LANDSCHAFT

Fischköpfe am Landesende Eine Reise nach Jeollado, das Land der Farben

Von Gitte Zschoch Fotos: © Gitte Zschoch Fotos:

15 KULTUR Chili, Insel Wando KOREA er Mann am Nachbartisch nahm seine Stäb- Tintenfische trockneten in geometrischen Mustern chen, krallte sich den Fischkopf und legte ihn auf grünen Netzen, darauf Schalen mit Chilischoten. mir auf die Reisschüssel. „Die Wangen sind Der Himmel war diesig-grau, es war warm. Ich wagte das beste“, sagte er und setzte sich wieder. mich an die Fischwangen. Mit ein bisschen Gochujang DIch bedankte mich und ließ den Fischkopf erst einmal in [고추장, Chilipaste] waren sie durchaus genießbar. Ruhe. Die Augen starrten mich ein bisschen zu tot an. Extrem früh am nächsten Morgen wachte ich in der Pen- Ich saß an einem kleinen Hafen auf der im Südwesten sion auf. Wahrscheinlich vom Lärm. Von irgendwoher Koreas gelegenen Insel Wando. War durch die Markthal- kamen Maschinengeräusche. Vor dem Fenster allerdings len gestreift, hatte in den kräftig leuchtenden rost- wartete das perfekte Postkartenpanorama: Die tausend braunen und blauen Schüsseln auf einen Fisch gezeigt, Inseln Jeollados lagen dunkel und schwarz in einem dessen Namen ich auch auf Deutsch nicht kannte, und impressionistischen Farbenmeer: orange, rot, violett. ihn mir frisch zubereiten lassen. Ein Stück roher Fisch, Nur nicht identifizierbare schwarze Felder auf dem eine Knoblauchzehe, ein bisschen Sojabohnenpaste Wasser störten die Idylle. Ich drückte benommen auf und ein Sesamblatt drumherum. Lecker. Die Herren am den Auslöser meiner Kamera und fiel wieder ins Bett. Ein Nebentisch hatten mich schnell bemerkt. Sie tuschel- paar Stunden später hatte sich mein Ausblick komplett ten. Gaben mir dann den Fischkopf, stießen mit mir an, gewandelt: gleißendes Sonnenlicht, das Meer, der Him- wollten wissen, woher, wohin, warum. Wie herzlich, fand mel in allen möglichen Schattierungen von Blau, Türkis. ich. Bei Reisen aufs Land passierte mir das öfter: dass In glänzendes Weiß übergehend. Menschen mich neugierig ansprachen, ohne Scheu. Fast schien es mir, als wären die Berührungsängste hier klei- Ich ging hinunter auf die Terrasse und bestellte Abalo- ner als in der Stadt. In Seoul kam es ab und zu vor, dass nen [Seeohren/Gattung: große Schnecken, Anm. d. Red.] sich Angestellte – vor allem junge – scheuten, mit mir in zum Frühstück, das einzige Gericht auf der Speisekarte. Kontakt zu kommen, kichernd versuchten, ihre Verle- Die Inhaber betrieben eine Abalonen-Farm. Die Pension genheit zu kaschieren. Die Herren hier jedoch redeten war nur Zusatz und außerhalb der Saison wie ausge- mich ohne Hemmungen an. Und das im tiefsten Dialekt. storben. Die Abalonen wurden im Wasser gezüchtet, an

Per Zug war ich an jenem Oktobertag spontan aus Seoul nach Ddangggeut, dem Landesende am südwestlichsten Zipfel der koreanischen Halbinsel, aufgebrochen. In Naju stieg ich aus, nahm den Bus und schließlich ein Taxi hoch zum Tempel Miwhangsa. Von dort sieht man das Fisch auf dem Markt von Wando Roher Fisch und Seescheide, Wando Meer, davor einen Teppich aus bläulich schimmern- den Hügelketten. Ein Mönch berichtete mir von einer den Feldern, die meinen morgendlichen Blick auf die Pension an der Küste, wo ich übernachten könne. „Total unberührte Natur getrübt hatten. Die Motorengeräu- romantisch, in einer kleinen Bucht gelegen.“ Ein Taxi sche kamen von den Pumpen, die Meerwasser in Auf- brachte mich hin, die Fahrt dauerte eine Stunde. Die zuchtbecken transportierten, die am Strand aufgebaut Pension war genauso schön, wie der Mönch behauptet waren. Ich aß also Abalonen und scharfe Suppe und hatte. Aber einmal angekommen, war ich wie gefangen: machte einen Plan für den Tag. Es sollte auf eine weitere Zu weit war jedes Dorf entfernt, es gab keinen Spazier- der vielen Inseln gehen, nach Bogildo, weiter südlich ge- weg. Wieder ein Taxi zu rufen war nicht billig, und wohin legen. Per Taxi ging es nach Ddangggeut, dem Ende des sollte ich sagen, würde es gehen? Landerkundung auf Landes, und dann per Fähre weiter von Insel zu Insel, bis gut Glück? Der Hotelbesitzer drückte mir daher kurzer- ich auf Bogildo landete. hand seinen Autoschlüssel in die Hand. Und so war ich auf Wando gelandet, vor einer Portion rohen Fischs. Die Auf der Fähre saßen neben mir drei Schwestern, Yun-ju, Insel war nicht weit von der Pension gelegen, ein paar Yun-gyeong and Yun-a. Sie kicherten vor Neugier. Die Kilometer gen Osten. Im Wasser schunkelten die Kutter. älteste von ihnen, Yun-ju, sprach mich an. Sie hatte viel

16 KULTUR KOREA Steinstrand auf Bogildo

zu erzählen, auf Englisch. Sie war elf. Englisch hatte sie Schuldirektor einer Jungenschule in Gangwondo fragte, in der Schule und auf Hagwons [학원], den Privatakade- ob ich allein und zu Fuß unterwegs wäre. Ich bejahte mien, gelernt. Bei der Ankunft auf Bogildo fiel dann auf, beides. Er bot mir an, mich im Auto mitzunehmen zu den dass ich die einzige Passagierin ohne Auto oder ander- anderen Sehenswürdigkeiten an der Küste der Insel. Ich weitiges Fortbewegungsmittel war. Denn an der Anlege- war dankbar. Zu Fuß den gesamten Weg zur Anlegestelle stelle war ich binnen Minuten die einzige Reisende, die zurückzugehen, hätte mein Tagesprogramm komplett noch übrig war. Die anderen waren zielgerichtet ihrem ausgefüllt. Ausflugsort entgegengefahren, auch die drei Schwestern mit ihren Eltern. Ich betrachtete erst einmal eine touris- So fuhren wir die Küstenstraße entlang. Blaues Meer, tische Karte. Die Insel hatte viele Sehenswürdigkeiten blauer Himmel, rote Erde, brauner Fels. Zerklüftete Küste, anzubieten. Sie lagen nur alle ziemlich weit verstreut. Ich Wellen, Steinstrand. Rote Dächer, blaue Dächer. Grüne nahm ein Taxi und lief los in Richtung des am nächsten Felder. „Jeollado ist das Land der Farben“, sagte er. Dage- gelegenen Punktes, einer altertümlichen Gartenanla- gen hatte ich nichts einzuwenden. ge. Vor mehreren hundert Jahren hatte ein Dichter auf Bogildo Ruhe gesucht vom geschäftigen Hauptstadtle- ben, und diese Anlage diente ihm als Ort der Besinnung Gitte Zschoch studierte und Meditation. Ein paar Kilometer weiter im Innern der Allgemeine und Vergleichen- Insel, vorbei an Feldern, staubigen Wegen und kleinen de Literaturwissenschaften Toilettenhäuschen, fand ich noch einen zu des Dichters an der Ludwig-Maximilians- Residenz gehörenden Pavillon und sein wieder herge- Universität in München und Moderne Koreanische Lite- richtetes Wohnhaus. ratur an der Seoul National University. Im Moment ist Ein paar weitere Reisende klapperten die Sehenswürdig- sie für das Goethe-Institut Foto: privat Foto: keiten in ungefähr derselben Reihenfolge ab wie ich. Ein in Johannesburg tätig.

17 KULTUR KOREA LANDSCHAFT

Die Bucht von Suncheon Koreas größtes Feuchtbiotop

Von Dr. Stefanie Grote

18 KULTUR KOREA ie Suncheon-Bucht/Suncheonman [순천만] liegt an einem 40 km langen Küstenstreifen im Süden der Provinz Jeollanam-do und ist mit ca. 22,6 km² das größte Feuchtbiotop und das be- Ddeutendste Moor der koreanischen Halbinsel. Gemäß der Ramsar-Konvention1 zählt es seit 2006 zu den fünf wich- tigsten Küstenvorländern der Welt. Endlose Schilfgebiete durchziehen dieses Kleinod der Natur, in dem zahlreiche, zum Teil bedrohte und seltene Sumpf- und Wasservögel brüten, rasten und überwintern. Es ist Zuhause für knapp 200 Vogelarten, darunter der Mönchskranich, die Saun- dersmöve, der weiße Storch, der Schwarzgesichtslöffler, die Schnepfe und der Silberreiher. Über 30 Pflanzengat- tungen sind in diesem einzigartigen Salzwasser-Feucht- gebiet beheimatet sowie verschiedene Arten benthischer Organismen, die im Meeresboden leben - Wattwürmer, Muscheln und kleine Krebse. Schilf gilt als natürlicher Was- serreiniger, sodass Flora und Fauna auf unverschmutztem Territorium gedeihen.

Auch die Strandgebiete der Suncheon-Bucht sind Teil dieses Lebensraums für etwa ein Drittel gefährdeter Spezi- es, die aufgrund des nährstoffhaltigen Salzes, der üppigen Nahrungsgrundlage und des sauberen Wassers ideale Lebensbedingungen vorfinden. Der Große Brachvogel beispielsweise verliert während seines etwa 5000 km langen Fluges von Australien nach Sibirien ungefähr die Hälfte seines Gewichtes. Nach der Zwischenlandung in der Suncheon-Bucht ist er aufgrund der Nahrungsfülle bereits nach zwei Wochen wieder so weit bei Kräften, dass er nach Sibirien weiterfliegen kann. Moore wie dieses werden aufgrund der Fülle des hier pulsierenden Lebens auch als „Strudel des Lebens“ oder als „Lungen der Erde“ bezeichnet. Gemäß der Ramsar-Konvention zählt ein Feuchtgebiet zu jenen Ökosystemen der Erde, welche Lebensprozesse am stärksten befördern, weshalb deren Schutz eine besondere Bedeutung zukommt.

1 Die Ramsar-Konvention bezeichnet das Übereinkommen über Feucht- gebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel. Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Ausarbeitung von der UNESCO angestoßen wurde (http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsar-Konvention). Schilfgebiet, Bucht von Suncheon Fotos: © Leonie Stenske, http://www.leonieshead.com © Leonie Stenske, Fotos:

19 KULTUR KOREA © Korea Tourism Organization Tourism © Korea

Die Geschichte der Suncheon-Bucht begann ungefähr vor 3000 Jahren. Gemäß Forschung der Geologen hatte sich der Meeresspiegel nach dem Ende der letzten Eiszeit um etwa 160 m erhöht, wodurch sich die westliche Landmas- se Koreas zu Meer verwandelte und die Topografie der koreanischen Halbinsel entstehen ließ, wie wir sie heute kennen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Brack- wasser, Schlamm und Sand durch die Flüsse Dong-cheon und Isa-cheon in die Bucht getragen wurden, sich dort absetzten und über Jahrtausende diese großflächige Sandbank schufen. Der Legende nach soll an dieser Stelle ein Drachen gen Himmel geflogen sein, der von der Schönheit dieses Landstrichs jedoch so fasziniert war, dass er wieder auf die Erde zurückkehrte.

Die Stadt Suncheon erklärte die Bucht unlängst zum Naturpark, der seither unter besonderem Schutz steht. Be- sucher des Gebietes können vom nahe gelegenen Hafen Daedae die unberührte Küste vom Boot aus bewundern. Das Gebiet kann auf einem eigens angelegten Rundweg durch das Schilf bis zum kleinen Berg Yongsan erwandert werden. Von dort aus bietet sich eine wunderbare Aus- sicht über den gesamten Küstenstreifen.

… und wer die Stille schätzt, möge es mit dem deutsch- Dr. Stefanie Grote, französischen Naturforscher und Dichter, Adelbert von Redaktion Kultur Korea Chamisso (1781 – 1838), halten: „Lerne schweigen, wo Sprechen nicht an Ort.” Foto: privat Foto:

20 KULTUR KOREA LANDSCHAFT

Vor dem Jiri-Strand liegen Muschelzuchten, die eine Einkommensquelle für die Bewohner sind.

청 산 Slow Island Cheongsando Rückbesinnung auf die Natur 도 Von Leonie Stenske Fotos: © Leonie Stenske, http://www.leonieshead. © Leonie Stenske, Fotos:

21 KULTUR KOREA Die Schnecke ist das internationale Symbol der Cittaslow Bewegung.

ls 1999 die italienische Stadt Chianti die erste Korea entwickelte sich quasi im Schnelldurchlauf vom Cittaslow der Welt wurde, hätten die Einwoh- Agrar- zum Industrieland. ner der kleinen Insel Cheongsando bestimmt nicht damit gerechnet, diesen Titel auch Cheongsando ist wie sechs weitere südkoreanische einmalA zu tragen. Vor der Südküste Koreas gelegen, ist Städte eine Cittaslow. Die Cittaslow- oder auch Slow das kleine Eiland, welches zu der Inselgruppe „Wando“ City-Bewegung konzentriert sich auf ein intensiveres Be- gehört, heute eine beliebte Touristenattraktion unter wusstsein für die Umwelt und eine natürlichere Lebens- den reisebegeisterten Koreanern. Busladungen von weise. Eine der Leitideen ist es, der Amerikanisierung von naturhungrigen Stadtbewohnern werden täglich an dem Städten entgegenzuwirken, also Fast Food-Ketten, große kleinen Hafen in Wando abgesetzt, um mit einer Fähre Supermärkte oder auch Ketten-Restaurants aus dem nach Cheongsando überzusetzen. Doch was macht die- Stadtbild zu verbannen. Im Gegenzug gilt es, die Selbst- sen kleinen Fleck zu einer Slow City? Um eine Antwort zu versorgung der Städte zu fördern, indem ein besonderes finden, habe ich mich auf den Weg gemacht, um die Insel Augenmerk auf die Landwirtschaft und den Handel mit selbst einmal unter die Lupe zu nehmen. lokalen Erzeugnissen gerichtet wird.

Sobald ich die Fähre in Cheongsando verließ und ein Jede der 250 Mitgliedstädte weltweit hat eine besondere Stück aus dem kleinen Dorf hinausging, kam mir etwas kulturelle Identität, die zu schützen und zu pflegen sie unheimlich bekannt vor. Ich brauchte einen Moment, sich zur Aufgabe gemacht haben. Auf Cheongsando bis ich realisierte, dass ich das erste Mal in Korea Vo- zum Beispiel sprechen die Bewohner einen bestimmten gelgesang hörte. Plötzlich wurde mir bewusst, dass Dialekt, und es gibt noch viele traditionelle Häuser (한옥/ in dem Kornfeld neben mir Bienen summten, und das ), welche einmal ganz Südkorea bedeckt haben. Rauschen der Blätter wirkte auf mich entspannend Seit dem 1. Dezember 2007 kann auch Cheongsando wie eine Nackenmassage. Ich blieb stehen und blickte sich Cittaslow nennen. zurück. Kein Auto weit und breit, keine Menschenmas- sen, keine blinkenden Neonreklamen und kein Lärm. Die Meine Entdeckungsreise führte mich weiter vorbei an Infrastruktur dieser Insel ist auf das Gehen ausgerichtet, Bauern, die ihre Felder bestellten, vorbei an mit Planen weswegen es mehr Wanderwege als Straßen gibt. Autos bedeckten Gewächshäusern und Kuhställen. Die 2600 sind erlaubt, jedoch ziehen viele Einwohner ihr Fahrrad Bewohner dieser kleinen Insel sind alle auf irgendeine oder ihre Füße vor. Ungefähr so muss sich Südkorea vor Weise in die Landwirtschaft involviert - ob es nun als ungefähr 50 Jahren angefühlt haben. Bauer um den Reisanbau oder als Koch um die Verar- beitung der Erzeugnisse geht, jeder hält die Traditionen Anfang der 1960er Jahre kam die Wirtschaft so richtig Cheongsandos aufrecht. Zum Beispiel werden immer in Schwung, und Arbeit in den Großindustrien ersetzte noch Rinder zum Reisanbau eingesetzt. Sie werden vor Stück für Stück die Landwirtschaft. Das Bruttoinlandspro- einen Pflug gespannt, um gleichmäßige Reihen für die dukt stieg, und das Bildungsniveau wurde angehoben. Reispflanzen zu ziehen. Was auf der Insel nicht produziert

22 KULTUR KOREA werden kann, kommt mit der Fähre aus Wando im Als ich meine Füße im Sand vergraben und mehrere Hafen an. Zur Sebstversorgung gehört auch der Handel kräftige Züge der frischen Meeresluft inhaliert hatte, mit dem Festland. Die Slow Island ist bekannt für mit konnte ich die „Lass-es-wachsen“-Philosophie dieser traditionellen Zutaten hergestellte Guksu [국수]. Dabei langsamen Insel nur zu gut spüren. „ Lass es wachsen“ handelt es sich um sehr dünne Nudeln, die traditionell ist sozusagen die Kernidee der Cittaslow. Lass es ge- nach Hochzeiten gegessen werden. deihen, dräng es nicht, sei eins mit der Natur und ihrer Geschwindigkeit. Der „ Mach-es-schnell“-Ideologie der Als ich der schmalen Straße weiter folgte, freute ich modernen Welt zufolge muss alles immer innerhalb von mich über die natürlichen Farben der ununterbroche- 24 Stunden am Tag bereitgestellt werden. Der Konsum- nen Natur. Auf dem Festland trifft man außerhalb der rausch vernebelt unsere Sinne, und unser Bewusstsein Städte auch auf Bauern und Felder, nur ist meist 50 für das wirklich Wichtige wird taub. Doch dort, an dem Meter entfernt bereits die nächste Autobahn, und der kleinen Strand in Cheongsando, erholten sich meine schweifende Blick wird von einem riesigen Golfnetz Sinne und mein Bewusstsein. versperrt. Zurück am Hafen angekommen stieß ich auf eine Ein wenig weiter stieß ich auf einen Strand. Durch den Gruppe Koreaner. Es wurden erste Annährungsversuche kleinen Reiseführer, den ich auf Wando erworben hatte, gemacht, und nach einem kurzen Gespräch fragte ich konnte ich den Jiri-Strand ausmachen. Links von mir die Gruppe gespannt, was sie denn nach Cheongsando lagen mehrere Fischerboote am Steg. Sie würden später verschlug. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer am Tag hinaus zu den Netzen fahren und den Tagesfang Sorglosigkeit, die ich so noch nicht gesehen hatte, ant- einholen. wortete mir ein Herr: „Wir müssen mal raus. In der Stadt ist es doch viel zu laut und schnell.” Auf Cheongsando wird eine Tradition gepflegt, die außergewöhnlicher nicht sein könnte: Frauen tauchen ohne Atemgeräte für mehrere Minuten auf den Grund des Meeres, um Abalonen zu ernten. Diese Freitauche- rinnen sind ein bedeutender Teil der kulturellen Identi- tät dieser Insel. Viele der Frauen sind über 60 Jahre alt und tauchen immer noch jeden Tag.

Es war Ebbe, und ich konnte mehrere ältere Frauen ausmachen, wie sie vornübergebeugt Seetang aufsam- melten. Was auch immer man auf Cheongsando isst, alles kommt aus eigenem Anbau. Der Seetang vom Jiri-Strand zum Beispiel wird vielleicht jetzt gerade zu Kimbab [김밥] verarbeitet.

Leonie Stenske hat sich nach ihrem Abitur 2011 aufgemacht, die Welt zu entdecken. Sie lebt derzeit in Yeosu/Südkorea und bereist das Land, wann immer sich die Gelegen- heit bietet. Foto: privat Foto:

23 KULTUR KOREA LANDSCHAFT

Ein Tag im Schlamm das Boryeong Mud Festival Von Su-Zi Schütz

eit 1998 zieht das Boryeong Mud Festival für eine Nacht in einer der typischen Strandpensionen [Boryeong-Schlammfestival] alljährlich zahlrei- gebucht, und nachdem wir alle unsere Sachen abgelegt, che Besucher an. Allein im Jahr 2007 wurden 2,2 uns in Bikinis und Badehosen umgekleidet hatten, waren Millionen Teilnehmer gezählt, die mehrheitlich in- wir bereit für den Strand und das Mud Festival. ternationalerS Herkunft waren. Das Festival gilt als eine der größten Touristenattraktionen Südkoreas. Der Schlamm, Bereits bei unserer Ankunft waren die Massen am Strand der reich an Mineralien ist, wird am Strand gewonnen zu sehen. Auch ganze Busladungen von Austauschstu- und für eine Kosmetiklinie verwendet. Das Festival dauert denten waren extra für einen Tagesausflug angereist. in der Regel eine Woche und findet Mitte Juli statt. Wer Unter all den Menschen waren allerdings kaum Korea- sich also zu der Zeit in Korea befindet, sollte es sich nicht ner zu finden. Nur vereinzelt liefen junge Familien mit entgehen lassen. Sei es wegen des berühmten namens- Kinderwagen am Strand entlang. Ein Taxifahrer erzählte gebenden Schlamms oder wegen der tollen Stimmung mir, dass erst nach dem Mud Festival die koreanischen am Strand. Familien anreisen würden, um am Strand von Daecheon ihre Ferien zu verbringen. Auch ich durfte im letzten Sommer Zeugin dieser riesen Schlammschlacht werden. Am Eröffnungssamstag, dem Es war ein idealer Tag für eine Schlammschlacht: Die 16. Juli, ging es um 9.30 Uhr morgens mit dem Zug Sonne schien, es war warm und die Festivalbesucher von Yongsan (Seoul) nach Daecheon. Das Ticket für die waren in bester Stimmung. In einem der überfüllten und Hinfahrt hatte ich bereits vorher im Internet gebucht, da halb leergekauften Supermärkte holten wir uns „Samgak- die Nachfrage groß war. Ich fuhr zusammen mit ein paar Kimbab“ (삼각김밥, dreiecksförmiges Kimbab) und amerikanischen Freunden und ihren Bekannten zum Fes- etwas zu trinken. Nach dem Erwerb eines preisgünstigen tival. Mittags am Bahnhof von Daecheon angekommen, Festivalarmbands hatten wir Zutritt zum Festival und teilten wir uns auf Taxis auf und fuhren zum Strand. Vor erhielten eine „Mud-Seife“ als Souvenir. Auf dem weitläu- Ort trafen wir noch weitere Bekannte und waren am Ende figen Festivalgelände befanden sich neben den Ver- eine Gruppe von elf Personen. Wir hatten ein Zimmer kaufsständen auch Hüpfburgen, Schlammrutschen und © YONHAP

24 KULTUR KOREA ein Angebot verschiedener Schlammspiele. Das einzig reservieren. Zur Not kann man aber auch kostengünstig Negative daran war, dass der Ansturm so groß war, dass für eine Nacht in einem „Jimjilbang“ (짐찔방, korea- man bei den einzelnen Attraktionen lange Wartezeiten nisches Bad mit Sauna) unterkommen, Entspannung hatte. Erste Pflicht eines Festivalbesuchers ist es aber, sich inklusive. Dies ist eine beliebte Variante von ausländi- den Körper mit dem reichhaltigen Schlamm einzureiben, schen Touristen, die mit wenig Geld und kleinem Gepäck bevor es zu den anderen Stationen weitergeht. Unter in Korea unterwegs sind. anderem wurden auch Schlamm-Massagen und Mud- Painting angeboten. Das Boryeong Mud Festival hat nicht nur einen bleiben- den Eindruck bei uns hinterlassen, sondern auch für eine Unter all den tausenden von Menschen konnte man sanfte Haut gesorgt. sich schnell aus den Augen verlieren. Doch ich traf sogar zufällig auf bekannte Gesichter, die ebenfalls angereist waren, um am berühmten Boryeong Mud Festival teil- zunehmen. Für viele der angereisten Touristen standen neben dem Schlamm vor allem der Spaß und das Feiern an erster Stelle. So waren bereits am frühen Nachmittag viele angetrunkene, aber friedliche Besucher am Strand. Es empfiehlt sich, keine Wertgegenstände oder Kameras bei sich zu tragen, da der Schlamm jede Stelle des Kör- pers erreicht. Für wichtige Dinge wie Schlüssel, Geld oder Kamera sollte man sich vorher z.B. einen wasserdichten Brustbeutel besorgen. Vor Ort sind diese oft bereits vergriffen.

Als die Sonne unterging, kehrten wir wieder in unsere Pension zurück, um uns vom Schlamm zu säubern und zu Abend zu essen. Im Ort gab es einige Restaurants mit frischen Meeresfrüchten und rohem Fisch im Angebot. An der Straße längs des Strandes waren auch kleine ty- pische Imbisse zu finden, die frisch gefangene Muscheln verkauften. Diese konnte man je nach Geschmack roh oder gegrillt serviert bekommen. Nach dem Essen spa- Su-Zi Schütz ist Halbkore- zierten wir noch am Meer entlang und schauten uns auch anerin, kommt aus Berlin in dem kleinen Ort um. Es gab eine Diskothek, in der man und hat 2011 ihren Master zu K-Pop und amerikanischen Hits tanzen konnte. Vom in Kommunikations- und Medienwissenschaften an Dach des Hauses ließ sich der Blick über den Ort und der TU Berlin abgeschlos- auf das dunkle Meer genießen. Nach einem langen Tag sen (Masterarbeit mit dem kehrten wir in unser etwa 15 m2 großes Zimmer zurück Thema „Korea als Medien- und verteilten die Schlafmatten auf dem Boden, um für konstruktion? Vorstellun- alle elf Personen einen Schlafplatz zu finden. gen von Gesellschaft und Geschichte von Auslands-

Foto: privat Foto: koreanerinnen”). Danach Nach einer kurzen Nacht machten wir uns mittags wieder ging sie für neun Monate auf die Rückreise. Die Bahntickets für Hin- und Rückfahrt (März bis Dezember 2011) kosteten insgesamt umgerechnet nur etwa 20 Euro. Für nach Seoul, um dort an die Hinfahrt ist eine Buchung empfehlenswert, aber bei der Yonsei-Universität ihre Koreanischkenntnisse zu der Rückfahrt kann man ruhig spontan sein und be- erweitern und das Land kommt in der Regel auch kurzfristig einen Platz. Bei der und die Kultur besser Unterkunft empfiehlt es sich, rechtzeitig ein Zimmer zu kennenzulernen.

25 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

Wie bewerten Sie die Entwicklung des koreani- schen Tourismus in den letzten zehn Jahren?

Vor zehn Jahren hatten wir ungefähr 4,75 Millio- nen ausländische Besucher, und letztes Jahr wa- ren es 9,8 Millionen, also mehr als das Doppelte. Dieses Jahr erwarten wir rund 11 Millionen Tou- risten. Unsere jährlichen Wachstumsraten liegen im Schnitt bei 13 Prozent, und im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir sogar einen Zuwachs von 22 Prozent.

Das ist enorm, aber dieser Anstieg kommt haupt- sächlich aus dem asiatischen Raum und nur zu ungefähr 5 Prozent aus Europa. Der Grund ist, dass wir unsere Ressourcen – die Marketing- und Werbebudgets – hauptsächlich auf Asien kon- zentrieren müssen, weil dort das große Wachs- tum liegt. Für den europäischen Raum bleibt also immer relativ wenig übrig. Hinzu kommt, dass der europäische Markt ein „Long-Distance-Markt“ [weit entfernter Markt] ist. Wie bei anderen Tourismusmärkten der Welt kommt auch in Korea nur ein kleiner Teil der Besucher aus den weit entfernten Regionen. Umgekehrt reist ein enorm großer Anteil der Deutschen ins Ausland, aber davon nur 2,5 Millionen in den fernen Osten, und davon wiederum nur rund 100.000 nach Korea. Aber daran können wir noch arbeiten.

Obwohl die Zahl der Koreareisenden stetig „Die Koreaner haben sich zunimmt, scheint Korea als Reiseziel immer noch noch nicht genügend Zeit für eher ein Geheimtipp. Welche seiner Stärken sollte Korea betonen, um die Zahl der ausländischen den Tourismus genommen“ Touristen zu erhöhen?

Interview mit Lee Charm1, Präsident der Im letzten Jahr fand hier die Jahresversammlung des Deutschen Tourismusverbandes (DTV) statt, Korea Tourism Organization (KTO) und ich glaube, dass die Teilnehmer sehr beein- druckt waren von der starken Dynamik, die Korea auszeichnet. Und dies ist die Hauptstärke des Landes, die ich betonen möchte: diese unheim- lich energiegeladene und dynamische Kultur, die zwar seit Tausenden von Jahren besteht, die aber in der jüngsten Zeit einen enormen Aufschwung erlebt hat und Korea zu einem richtigen Trend- setter in Asien gemacht hat. Foto: Kim Nam-heon Foto:

26 KULTUR KOREA In den letzten drei, vier Jahren ist Korea als Reiseland haben wir viel unternommen, um das, was Korea wesentlich attraktiver geworden, einfach weil sich die ausmacht – diese spirituelle, kulturelle und emotionale moderne, urbane Kultur so rasant entwickelt hat. Die Energie, die außerordentlich inspirierend für Besucher großen Städte Seoul, Busan und Incheon mit ihrer ist – herüberzubringen und in der Werbung und im Vielfalt an neuen kulturellen Aufführungen gelten in Marketing zu definieren, und dies gelingt sehr gut. ganz Asien als Szenestädte - überall wachsen kleine Wenn man Touristen aus China, Japan oder Südostasi- Theater und Bühnen aus dem Boden. Darüber hinaus en fragt, was denn so interessant an Korea sei, dann gibt es viele Stadtviertel, in denen die traditionelle erwähnen sie genau diese Dynamik. koreanische Kultur neu entdeckt wird: Traditionelle Häuser werden wieder häufiger restauriert oder sogar Der zweite Bereich, auf den ich mich konzentriert habe, neu aufgebaut. Dadurch entstehen kleine Viertel, in war die Schaffung einer Tourismuskultur in Korea. denen die Atmosphäre des Joseon-Reiches von vor 500 Die Koreaner haben sich noch nicht genügend Zeit Jahren wieder lebendig wird. Und dann gibt es diese für den Tourismus genommen. Den Arbeitnehmern aufregende neue Welle - die „Koreanische Welle“ - in stehen zwar gesetzlich im Schnitt 20 Tage Urlaub pro Popmusik, Mode und so fort, die jetzt überall zu spüren Jahr zu, aber in Wirklichkeit nehmen sie nur elf Tage und zu sehen ist. frei. Für den echten Tourismus, also für das Reisen, nutzen sie wiederum nur 2,2 Tage pro Jahr. Und dies In den letzten drei Jahren haben wir auch sehr stark ist natürlich nicht ausreichend, um eine wirkliche am Gesundheitstourismus gearbeitet; besonders aus Tourismus-Infrastruktur im Land aufzubauen. Deshalb dem asiatischen Bereich kommen jetzt viele Menschen habe ich mich sehr darauf konzentriert, sogenannte nach Korea, die auch größere medizinische Eingriffe „refresh vacations“ [Urlaub zur Erholung] einzuführen. durchführen lassen. Und dies ist ein riesiger Wachs- Das bedeutet, dass Reisen etwas Produktives ist, das tumsmarkt. In den vergangenen Jahren hatten wir in man braucht, um neue Kreativität zu tanken. Ich habe diesem Sektor einen Zuwachs von rund 30 Prozent, im versucht, dieses Bewusstsein in Korea zu verankern, letzten Jahr sogar von rund 50 Prozent. und es funktioniert auch schon. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat bereits begonnen, einmal im Die Republik Korea hat in den vergangenen 60 Jahren Jahr alle ihre Angestellten mindestens für eine oder all ihre Kräfte und Ressourcen auf das wirtschaftliche zwei Wochen in den Urlaub zu schicken. Immer mehr Wachstum, auf die Entwicklung einer modernen De- Firmen sehen die Gewährung von genügend Urlaub mokratie, einer modernen Gesellschaft, konzentriert. als einen Teil ihrer Unternehmenskultur. Es wird zwar Und deshalb blieben wenig Energie und finanzielle noch eine Weile dauern, bis dieser Gedanke einsinkt Mittel übrig, um die Tourismusindustrie zu fördern. und sich die Arbeitskultur ändert, aber ich denke, dass Aber das hat sich in der letzten Zeit ein wenig geän- die Menschen langsam verstehen, dass sie es etwas dert, weil man festgestellt hat, dass in der Herstel- langsamer angehen lassen sollten, und dass sie einen lungsindustrie keine weiteren Arbeitsplätze geschaffen neuen Rhythmus finden müssen - nicht immer nur werden können. Zwar nehmen die Gewinne zu, aber Arbeit, Arbeit, Arbeit. es entstehen keine neuen Stellen. Deshalb gehen die Länder in ganz Asien jetzt dazu über, die Dienst- Welche Reiseziele am Meer, welche Strände und Inseln leistungs- und insbesondere die Tourismusindustrie in Korea würden Sie besonders empfehlen? auszubauen. Hier versuchen wir, neue Lösungen und Wege zu finden. Es gibt natürlich an der Ostküste in der Gegend um Gangneung große Strände mit einer gut entwickelten Welche Hauptziele verfolgen Sie während Ihrer Amts- Infrastruktur. Einer davon heißt Gyeongpodae und zeit als Präsident der KTO? bietet Cafés, eine Strandpromenade und vieles mehr. Etwas nördlich davon liegt das „Seol Beach Resort“, das Mein Hauptaugenmerk habe ich auf zwei Bereiche auch bei Ausländern, die in Korea leben, sehr beliebt gerichtet: Zunächst einmal möchte ich natürlich Korea ist. Viele Menschen gehen selbst im Winter zum Surfen bekannt bzw. bekannter machen. Auf diesem Gebiet dorthin. Zwar sind die Wellen nicht so riesig wie auf

27 KULTUR KOREA Hawaii, aber man kann ganz interessante kleine Wellen Wanderwege überall. Diejenigen, die gern Bergwan- reiten. derungen machen, sind hier genau richtig. Keiner der Berge ist so hoch, dass man ihn nicht mit Wanderschu- Im Süden liegt natürlich die Großstadt Busan mit ihrem hen erklimmen könnte. Dazu braucht man nicht einmal Strand Haeundae. Im Sommer sind mehr Menschen eine alpinistische Ausrüstung. als Sand dort, und die jungen Leute machen praktisch zwei Monate lang Party am Strand. An der gesamten Warum lohnt es sich, gerade in diesem Jahr nach Korea Südküste gibt es alle paar Kilometer kleine Strände, zu reisen? einige davon ganz verborgen und kaum entwickelt. Wer möchte, kann sich in Busan oder Seoul einfach ein Auto In diesem Jahr findet in Yeosu an der Südküste die Expo leihen und ein paar Tage an der Küste entlangfahren, ab unter dem Motto „Lebendiger Ozean, lebendige Küste“ und zu an so einem kleinen Strand halten und vielleicht statt.2 Sie läuft noch bis zum 12. August. Dort geht es einmal einen Tag bleiben. um den Ozean-, Meeres- und Küstenschutz. Die Erd- oberfläche besteht ja zu 70 Prozent aus Wasser. Dies ist Wer an der Westküste auf eine Insel herausfährt, findet sicher so ein Bereich, in dem wir in Zukunft noch eine oft malerische Sandstrände mit ganz klarem Wasser. Ein ganze Reihe von Entwicklungen sehen können: wie sehr empfehlenswerter Strand befindet sich in Sinan. sich die Ozeane nutzen lassen und wie der Mensch mit Dort gibt es das „Eldorado Resort“ mit villenähnlichen ihnen zusammenleben kann. Internationale Künstler Ferienhäusern, die einen mediterranen Stil haben. Zur treten auf, und jeden Tag gibt es auf dem Gelände, auf Gemeinde Sinan gehören auch rund 1004 kleine, große dem sich auch eine riesige Wasserbühne befindet, bis und mittlere Inseln, die teils bewohnt, teils unbewohnt zu 300 Vorführungen - es wird also überhaupt nicht sind. Touristen können eine Fähre nehmen, die mehr- langweilig. Direkt vor Yeosu breitet sich eine fantastische mals am Tag verkehrt, und einfach einmal eine weniger Meereslandschaft aus, die aus unzähligen Inseln, kleinen erschlossene Insel besuchen. Auf den Inseln haben sie Fischerdörfern und Stränden besteht. In den Bergen in die Möglichkeit, einen Minbak [민박, Unterbringung Küstennähe befinden sich buddhistische Tempel und in einem Privathaushalt] wahrzunehmen und in den alte Dörfer, die im mittelalterlichen Stil erhalten geblie- Wohnhäusern der dort lebenden Fischer zu übernach- ben sind. Es gibt tolle Wanderwege und die Gelegenheit, ten. Man muss dann eben die regionale Küche essen: in den Tempeln zu übernachten. Im Oktober findet dann Fischsuppe, Kimchi [김치] und Reis. Oft ist das ein echtes nur etwa 30 Minuten vom Expo-Gelände entfernt wie- Erlebnis. der die Formel 1 statt. Wenn man also sowieso vorhat, nach Korea zu reisen, dann lieber früher als später. Natürlich kann ich auch die Insel Jeju empfehlen. Ur- sprünglich wurde sie vorrangig von Koreanern besucht, die dort ihre Flitterwochen verbrachten, aber mittlerwei- Das Telefoninterview führte Gesine Stoyke le kommen sehr viele internationale Besucher – insbe- sondere aus Asien natürlich. Die Besucherzahlen belau- fen sich auf rund eine Million Menschen pro Jahr. Die 1 Lee Charm wurde 1954 als Bernhard Quandt in Bad Kreuznach Landschaft ist beeindruckend: vulkanisches Gestein, vor- geboren. Nach Abschluss seines Lehramtsstudiums ging er 1978 nach gelagerte kleine Basaltfelsen, eine einzigartige Flora und Korea. 1986 nahm er die koreanische Staatsbürgerschaft und einen koreanischen Namen an. Seit August 2009 ist er Leiter der Koreani- Fauna, atemberaubende Sonnenauf- und -untergänge. schen Zentrale für Tourismus (Korean Tourism Organization, KTO). Es gibt wunderschöne Wanderwege entlang der Küsten Lee war der erste männliche Ausländer, der eingebürgert wurde und oder über die Vulkanhügel. Darüber hinaus bietet Jeju ist der erste eingebürgerte koreanische Staatsbürger, der ein hohes eine vielfältige Tourismusinfrastruktur mit hochwertigen Regierungsamt bekleidet. Hotels und den unterschiedlichsten Museen. 2 Siehe dazu den Artikel „ Weltneuheit in Korea - ‚Made in Germany‘, teilweise zumindest “ von Malte E. Kollenberg in dieser Ausgabe (Anm. Es entwickelt sich aber auch langsam eine Wassersport- d. Red.). kultur mit Yachten. Das Tauchen ist jetzt in Korea sehr populär, und allmählich wird auch das Segeln immer beliebter. An einigen Orten auf Jeju oder an der Süd- küste kann man Segelboote leihen, aber es werden hauptsächlich gecharterte Touren angeboten. Schön an Korea sind die gut ausgebauten und ausgeschilderten

28 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

Hammer, Sichel, Badetuch Badeurlaub in Nordkorea

Text und Fotos von Jan Keith

Stop-Schild am Strand

29 KULTUR KOREA passieren ein heruntergekommenes Fabrikgelände und WENN DU NACH NORDKOREA Soldaten mit Maschinengewehren. Es sind nur wenige reist, wird nichts so sein, wie du es von anderen Reisen Minuten bis zum Grenzbahnhof Sinuiju. Der Zug hält. kennst. Du willst alleine spazieren gehen? Verboten. Du Mein Atem erscheint mir plötzlich trügerisch laut. Meine willst in eine Bar? Gibt es nicht. Du willst mit einem Ein- Handflächen sind feucht. Ich habe Angst. heimischen sprechen? Keine Chance. Du liegst abends Was ist, wenn die Grenzer mir nicht glauben, dass in deinem verwanzten Hotelzimmer und fühlst dich ich einfach nur einen Badeurlaub will? Ich denke an einsam. die beiden US-Journalistinnen, die vergangenes Jahr Warum also nach Nordkorea fahren? geschnappt wurden. Zwölf Jahre Arbeitslager haben sie Weil du neugierig bist. Du willst sie sehen, die Menschen bekommen. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn Bill dort, wie sie leben, so abgeschottet vom Rest der Welt, Clinton sie nicht rausgeholt hätte? ohne Handys, ohne Internet, ohne freie Medien. Unter- Etwa zehn nordkoreanische Grenzbeamte steigen drückt von Diktator Kim Jong Il1 und seinem autoritären ein. Sie tun streng und sehen auch so aus: Sie tragen Staatsapparat. Uniformen und Waffen, aber die Wörter „Germany“ Du hörst von Arbeitslagern, von Folter und vom Ge- und „Tourist“ scheinen eine positive Wirkung auf sie zu heimdienst, der über die Menschen wacht. Und doch haben. Manche lächeln sogar, als sie erfahren, woher bist du dir sicher, dass es sie gibt, die kleinen Refugien, ich komme. Ich fülle mehrere Formulare aus und gebe Zufluchtsstätten, wo sich die Bewohner der Kontrolle meinen Pass ab. Jemand misst meine Temperatur. des Staates entziehen und so etwas wie Glück empfin- Ein anderer tastet mit einem Metalldetektor meinen den. Körper ab. Ein Dritter durchsucht mein Gepäck, blättert Ich stelle mir vor, dieses Glück am Meer zu finden. Hier in meinen Büchern, Seite für Seite. Und er schaut sich sind die Grenzen verwässert, unsichtbar, hier hört das jedes einzelne Foto an, das sich in meiner Digitalkamera Müssen auf, und das Wollen beginnt. Ein Ort der Sehn- befindet. sucht. Ich male mir einen Badeort aus, mit schönem Drei Stunden Wartezeit. Drei quälende Stunden, in de- Strand, Menschen, die vergnügt im Meer schwimmen nen ich fest damit rechne, entlarvt zu werden. Werden und in der Sonne dösen. In meiner Fantasie gibt es sie mich nach Hause schicken? Oder gar festnehmen? Straßencafés, schlendernde Pärchen, lachende Kinder, Im Visumsformular habe ich zwar als Beruf Musiker an- Bikinimädchen, Beachvolleyball, Sandburgen, Luftmat- gegeben. Aber einmal googeln würde reichen, und sie ratzen. Ich frage mich: Tragen Nordkoreaner Flip-Flops? wüssten, dass ich Journalist bin. Dann, endlich, wird mir Benutzen sie Sonnencreme? Lieben sie Softeis? kommentarlos mein Pass überreicht, darin der Einrei- Badeurlaub in Nordkorea, geht das? Oder geht das sestempel. Ein Pfiff, ein Ruck, und der Zug setzt sich in nicht? Ich will es wissen. Doch diese Reise soll keine Bewegung. Ich bin drin. Ich bin in Nordkorea. Ich fühle journalistische Reise sein. Ich will nicht als Reporter mich erleichtert und auch ein bisschen heldenhaft. auftreten und offizielle Interviews mit Kims Marionetten Der Zug rollt vorbei an Mais- und Reisfeldern, darum führen. Ich will auch nicht verdeckt recherchieren, um herum erheben sich grün behaarte Hügel. Es ist ein schlimme Machenschaften aufzudecken. Nein, ich führe schöner Sommertag. Nach ein paar Stunden verkündet ein privates Experiment durch. Ich mache Ferien in Kims der Schaffner: „Pjöngjang!“ Der Zug taumelt in den Reich, eine Woche lang. Bahnhof und bleibt stehen. Ich trete auf den Bahnsteig. Der Zug nach Pjöngjang rattert durch das nächtliche Fahrgäste quellen aus den Waggons. Kisten mit Le- China. In der Dunkelheit meines Abteils erkenne ich bensmitteln werden entladen. Plötzlich tauchen zwei zwei schlafende Gestalten. Es stinkt nach Knoblauch Männer auf, die zielstrebig auf mich zusteuern. Ein und kaltem Zigarettenrauch. Die Klimaanlage ist defekt, älterer, hagerer Typ und ein jüngerer mit Bauchansatz. und das Fenster lässt sich nicht öffnen. Trotzdem schlafe „Tourist aus Deutschland?“ Beide sprechen Deutsch. „Ja.“ ich gut, weil ich so erschöpft bin vom langen Flug. Ich „Kommen Sie mit.“ wache erst auf, als der Schaffner lautstark ruft: „Dan- Das sind sie also, meine zwei Aufpasser. Sie nennen sich dong, Passport!“ Dandong, das ist die letzte Stadt auf „Reiseleiter“, sind aber in Wahrheit Leute vom Geheim- chinesischem Boden. Sie wirbt mit dem Slogan „Schöns- dienst. Jeder Individualtourist in Nordkorea bekommt te Grenzstadt Chinas“. Die beiden Männer, mit denen ich zwei Begleiter zugewiesen. Meine heißen beide mit letzte Nacht die Kabine geteilt habe, sind nicht mehr da. Nachnamen Li, wie praktisch. Noch auf dem Bahnhofs- Jetzt bin ich allein. gelände nehmen sie mir meinen Pass und mein Handy Von Dandong geht es über den Yalu-Fluss, der die ab. „Wir werden Ihre Sachen bis zum Ende der Reise auf- Grenze zwischen China und Nordkorea markiert. Wir bewahren“, sagt Li, der Jüngere, und lächelt ein Lächeln,

30 KULTUR KOREA das ich nicht einordnen kann. Sie bringen mich ins „Janggakdo“, ein 47-stöckiges Luxushotel mit Weststandard. Wir nehmen in der bahnhofshallengroßen Lobby Platz, wo sie mir etwas Wichtiges erklären. „Wie Sie wissen, ist unser Land etwas anders als andere Länder. Deshalb gibt es drei Regeln“, sagt Li, der Jüngere. „Regel Nummer eins: Wickeln Sie nichts in Zeitungspapier ein. Sie könnten ein Bild von Kim Jong Il zerknicken. Das steht unter Strafe.“ „Regel Nummer zwei: Bevor Sie etwas fotografieren, fragen Sie uns.“ „Regel Nummer drei: Gehen Sie nicht alleine spazieren.“ Völlig klar, ich werde mich daran halten müssen. Aber was ist mit dem Badeort? Dem Strand? Mich drängt es weg, ans Meer. Das ist für mich Schlendrian und Lässigkeit, Faulenzen und Abschalten, der Inbegriff von Urlaub. Was ist es für die Menschen in diesem Land? Der 1 einzige Ort in Nordkorea, an dem nichts schmerzt, noch nicht einmal die Unfreiheit? Kann sein, dass ich nie eine Antwort bekommen werde. Denn Li, der Jüngere, verweigert mir meinen Wunsch, sofort dorthin aufzubrechen. „Erst einmal Pjöngjang“, sagt er in einem Ton, der keine Diskussion zulässt. Es ist eine Mischung aus Wut und Enttäuschung, die von mir Besitz ergreift. Wer ans Meer will, muss erst das Haupt- stadtprogramm über sich ergehen lassen. Graue Beton- klötze statt Meeresrauschen, keine schöne Aussicht.

Pjöngjang also. Drei Tage, immer derselbe Ablauf. Punkt neun erwarten mich Li und Li in der Lobby. Start der Ta- gestour. Wir quetschen uns zu viert in einen alten Opel Kadett, unser neues Zuhause, das ich nur unter Aufsicht verlassen darf. Hinten sitzen Li, der Jüngere, und ich, vorne Li, der Ältere, und der Fahrer. Ich fühle mich wie in einer Wohngemeinschaft, in der sich drei gegen einen verbündet haben. Und so fahren wir kreuz und quer durch die Millionen- 2 stadt. Pjöngjang sieht aus, als hätten verrückte Stadtpla- ner in den Sechzigerjahren ihre Modelle hier aufgestellt 1. Jan Keith beim Frühstück im Hotel und vergessen, sie wieder abzubauen. Ich sehe protzige 2. Bett im Hotelzimmer Versammlungshallen und Kulturpaläste, eine quer durch die Stadt führende Hauptachse, große Ehrenplätze und mehrere Brücken über den Taedong-Fluss. Unzählige grauweiße Plattenbauten ragen um die Wette, als gehe es darum, als Erster den Himmel zu erreichen. Aber die kommunistische Musterstadt verrottet. Schim- mel kriecht die Wände entlang, weil Heizungs- und Wasserrohre leck sind. Fensterrahmen sind aus rissigem Holz, in denen zersprungene Scheiben klemmen. Ich stelle mir vor, wie schrecklich kalt es im Winter in den Häusern sein muss.

31 KULTUR KOREA 1. Führerdenkmal (Statue Kim Il-sung) 2. Straßenbahn in Pjöngjang

Spätestens am zweiten Tag ist klar, wer in unserer Vierer- Ist das ein Test? gruppe das Sagen hat. Es ist nicht der Fahrer, der ohne- Mein Puls schießt in die Höhe. „Spielen Sie, spielen hin nur Koreanisch spricht. Auch nicht Li, der Ältere, der Sie schon!“, feuert mich Li, der Jüngere, an. Ich könnte die meiste Zeit still auf seinem Beifahrersitz hockt. Es ist längst am Strand liegen, denke ich. Stattdessen bin ich Li, der Jüngere. Er ist der Mann mit der kräftigsten Stim- hier, mit einer Bongo in den Händen. me, dem besten Deutsch und den schärfsten Fragen. Ich spiele. Irgendeinen Rhythmus, eine wilde Mischung „Waren Sie schon einmal in Südkorea?“ aus Samba, Rumba und Bossa nova. Rufe ab, was ich „Nein.“ Ich lüge. früher im Schlagzeugunterricht gelernt habe. Ich dre- „Wie wird in deutschen Medien über Nordkorea berich- sche aufs Fell ein, bewege meinen Kopf im Takt vor und tet?“ zurück und bemerke, dass meine Zuschauer das auch „Ich weiß es nicht. Politik interessiert mich nicht.“ Ich tun. Ja! Es klappt! Mein Spiel ist offenbar gut genug, um lüge schon wieder. meine Aufpasser zu überzeugen. Letzter Takt, Schluss- „Und Sie sind Musiker von Beruf?“ break, dann Applaus. „Sehr gut“, sagt der jüngere Li. Ich „Ja, ich bin Schlagzeuger.“ Noch eine Lüge. Das heißt, zittere und hoffe, dass es keiner bemerkt. eine halbe Lüge. Ich spiele ja Schlagzeug in meiner Dieses Livekonzert ist mein Durchbruch. Li, der Jüngere, Freizeit. ist von nun an ausgesprochen freundlich zu mir, als sei Natürlich habe ich damit gerechnet, dass Li mich auf er von einer Last befreit. Vermutlich kann er jetzt endlich meinen angeblichen Beruf anspricht. Aber nicht mit ans Ministerium melden: Der Gast aus Deutschland ist Folgendem. unverdächtig. Li, der Ältere, wird sogar richtig zutraulich. „Dann können Sie uns ja sicher etwas vorspielen.“ Ein In einem ruhigen Moment, als wir für ein paar Minuten Scherz, denke ich. Ist es aber nicht. alleine sind, erzählt er mir von seinen täglichen Magen- Schon am nächsten Tag schafft er es, eine Trommel zu schmerzen und von den Ärzten, die nichts tun können, besorgen. Sie liegt in einem Touristenrestaurant bereit, weil es an Medikamenten fehlt. „Wir haben Probleme in wo wir zu Mittag essen. Jemand bringt mir einen Stuhl Nordkorea“, sagt er. In vielen Regionen gebe es keinen und drückt mir das Schlaginstrument in die Hand. Um Strom und nicht genug zu essen. „Schlimm war es in den mich herum stehen vier Zuschauer: Li, Li und zwei ki- Neunzigern. Ich musste meinen Kindern Reiswurzeln chernde Kellnerinnen. Auch die beiden Lis grinsen breit. zum Essen geben, wir hatten nichts anderes. Es war eine

32 KULTUR KOREA harte Zeit.“ So viel Offenheit habe ich nicht erwartet. Abends, wenn Pjöngjang wegen Strommangels in Finster- nis versinkt und die Menschen stumm durch die Dunkel- heit trippeln, ziehen sich die Lis zurück in ihre Hotelzimmer. Das ist Vorschrift, damit sich Gast und Aufpasser nicht beim abendlichen Bier anfreunden. Der nächste Morgen. Es ist der vierte Tag meiner Reise: Wir fahren Richtung Meer, endlich. Einmal quer durch Nordko- rea mit dem Auto, von West nach Ost. Bald werde ich am Ziel meiner Reise sein, am Strand. Ich freue mich darauf. Den Beton der Stadt kann ich nicht mehr sehen. Pjöngjang endet abrupt, dahinter erstrecken sich Felder. Wir fahren immer geradeaus auf einer leeren Autobahn, die im Grunde nur eine Aneinanderreihung von Beton- platten ist. Markierungen fehlen, ebenso Leitplanken und Seitenstreifen. Immer wieder passieren wir Straßensperren, an denen grimmig blickende Waffenträger die Papiere 1 kontrollieren. Ab und an kommen uns Lastwagen entgegen, die ausse- hen, als seien sie schon im Koreakrieg im Einsatz gewesen. Auf den Ladeflächen hocken junge Soldaten, mit Schaufeln in der Hand, auf dem Weg zum nächsten Einsatzort: Be- schädigte Brücken müssen repariert, Schlaglöcher gestopft werden. Nordkoreas Infrastruktur bröckelt wie ein kariöser Zahn. Dem Flachland folgen die Berge, es wird kurviger. Wir schlängeln uns entlang einer Schlucht, in die sich ein mäch- tiger Wasserfall ergießt, überwinden bewaldete Hügel und erreichen schließlich Wonsan, eine Hafenstadt am Ostmeer, 200 Kilometer von Pjöngjang entfernt. Von hier aus gingen früher Schiffe nach Japan. Es gibt Trockendocks fürs Militär, Industriebetriebe und Universitäten. Vor allem aber gilt Wonsan als beliebter Badeort für Einheimische. Tatsächlich. Es gibt sie, die nordkoreanischen Urlauber. Ich sehe sie, als es bereits dunkel ist und ich mit den beiden Lis 2 am Hafen entlangschlendere – junge Frauen in Flip-Flops und bunten T-Shirts, Männer in Shorts und Polohemd, 1. Aufpasser in Badehose Paare, die sich an den Händen halten und still aufs Meer 2. Strandbadhaus schauen. Erinnerungsfotos werden geschossen, manche haben sogar Videokameras. Wer sind diese Leute, die hier Urlaub machen? Ich frage Li, den Älteren. „Ganz normale Leute“, antwortet er. Er spricht leise. „Darf denn jeder Nordkoreaner Badeurlaub machen?“ „Ja, natürlich.“ „Haben Sie denn schon einmal hier Urlaub gemacht?“ „Ja, ich war im Sommer hier mit meiner Frau und meinen Kindern.“ „Und wie hat es Ihnen gefallen?“ „Gut.“ Er sagt es genau so. Mehr kriege ich nicht aus ihm heraus. Also frage ich Li, den Jüngeren. „Benutzen Nordkoreaner Sonnencreme?“

33 KULTUR KOREA „Ja, klar.“ „Und Badekappen?“ „Manchmal, manchmal nicht.“ „Tragen Frauen Bikinis?“ „Nein, nein, Anzüge.“ „Lieben Nordkoreaner das Meer?“ „Mal so, mal so. Wir haben schönes Meer und schöne Berge.“ „Warum ist Wonsan so besonders?“ „Viele Schulkinder kommen im Sommer hierher. Sie treffen sich am Strand und lernen dann im Meer schwimmen.“ Li mustert mich jetzt skeptisch. „Sie sind aber neugierig!“ Es wird Zeit, mit der Fragerei aufzuhören. Ich muss mir selbst ein Bild vom Strand machen.

Wir besuchen ihn am nächsten Morgen. Aber was ich sehe, ist kein Strand, sondern eine Müllhalde. Algen, Abfall, Treib- 1 holz, vom Sturm an Land gespült. „Wir hatten vor ein paar Tagen einen Taifun“, erklärt Li, der Jüngere. Niemand badet im Meer, niemand sonnt sich, keine Schulkinder weit und breit. Ich sehe nur ein paar ältere Frauen mit zerfurchten, braun gebrannten Gesichtern, die den Dreck aufzusam- meln. Auch die Straße, die am Strand entlangführt, ist verwaist. Es gibt keine Eisdielen, keinen Sonnenschirmverleih. Nichts. Nur ein übergroßes Kim-Gemälde am Straßenrand. Auf einmal übermannt mich Heimweh. Wie gerne würde ich wieder einmal ein gutes Gespräch führen. Oder mit einer Zeitung im Café sitzen. Ich vermisse die dummen Witze meiner Kollegen und das Lachen mei- ner Freundin. Meine Augen sehnen sich nach Werbeplaka- ten und Hollywoodfilmen. Tag für Tag diese Tristesse, diese Ernsthaftigkeit. Ich frage mich, wie die Menschen dieses Leben aushalten. „Wir müssen weiter.“ Li, der Jüngere, schiebt mich zurück 2 ins Auto. „Ich zeige Ihnen nachher einen anderen Strand.“ Wir fahren die Küste entlang in Richtung Süden. Zwischen- 1. Kiosk durch halten wir in einer landwirtschaftlichen Produktions- 2. Frau singt Karaoke genossenschaft, wo 300 Haushalte zusammen Ackerbau und Viehzucht betreiben. Eine Vorzeigekooperative mit eigenem Hospital, Badehaus und prall gefülltem Kiosk. Ich muss mir einen stundenlangen Vortrag anhören, in dem es darum geht, wie viele Traktoren und Mähdrescher der großzügige Kim den Bauern gespendet hat. Genug Propaganda. Ich brauche dringend eine Pause. Die Mittagssonne nimmt der Landschaft ihre Farben und mir die Kraft. Wir rumpeln noch 40 Kilometer weiter und halten vor einem flachen Betonbau, über dessen Eingang in Eng- lisch geschrieben steht: „Resting Place of Sijung Lake“. „Jetzt gehen wir baden“, sagt Li, der Jüngere. Wir betreten das Gebäude, in dem sich ein Café und Um- kleideräume befinden, arbeiten uns zur Terrasse vor, und auf einmal liegt er vor mir, der Strand. Der Sehnsuchtsort meiner Reise.

34 KULTUR KOREA „Er erstreckt sich kilometerweit. Ich gehe ein paar Dies ist ein Auszug aus dem Artikel, der 2010 als Volltext in der Zeit- Schritte und lasse meine nackten Füße im Boden schrift „mare“ und im „Spiegel“ erschien. verschwinden. Der Sand ist fein und warm, nur durch 1 einen Grasstreifen und ein Wäldchen von der Küsten- Dieser Beitrag entstand 2010 vor dem Ableben des nordkoreani- straße getrennt. Das Meer liegt ruhig und einladend schen Machhabers Kim Jong-il im Dez. 2011. Nachfolger ist sein Sohn Kim Jong-un, (Anm. d. Red.). vor mir. In der Ferne sehe ich eine kleine, unbewohnte Insel, zu der ich am liebsten schwimmen würde. Das Einzige, was stört, ist ein Schild mit der Aufschrift „Stop!“. Das heißt für mich: bis dahin und nicht weiter. Hinter dem Schild beginnt der Abschnitt für die Einhei- mischen. Ich erkenne Kinder in bunten Badeanzügen, die Ball spielen und toben. Mütter und Väter dösen auf ihren Handtüchern oder erfrischen sich im Meer. Ihrer uniformen Kleidung entledigt, sehen die Menschen plötzlich wieder so menschlich aus. Ich darf mich ihnen nicht nähern, aber ich meine ihre Ausgelassenheit zu spüren. Ist dies der Ort, nach dem ich suche? Das Refugium? Auf meiner Seite ist der Strand leer. Nur drei Soldaten und die Lis sind da. Sie starren von der Terrasse zu mir herüber. Ich gehe ins Meer. Das Wasser kühlt meinen erhitzten Körper. Ich schwimme ein paar Meter, lasse mich treiben und schließe die Augen. Drei lange Tage wurde ich aufgehalten, jetzt bin ich glücklich. Das Meeresrauschen, der Wind und eine Stimme: „Ist das nicht herrlich?“ Es ist Li, der Jüngere. Nicht einmal im Meer lässt er mich alleine. Ich schaue ihn an. Und stutze. Was ich sehe, ist nicht mehr das Gesicht eines nordkoreanischen Staatssicherheitsbeamten. Seine Lippen haben sich zu einem strahlenden Lächeln geformt. Er schmeißt sich juchzend in eine Welle. Dann in die nächste. Und in die nächste. Wir baden im Meer, wir plantschen, Li, der Jüngere, und ich, den ganzen Nachmittag lang. Kim ist so fern wie noch nie auf dieser Reise. Fast vergessen. Und weil sich alles so gut anfühlt, wird Li am Abend übermütig. Im Speiseraum des „Sijung“-Gästehauses, nur Minuten vom Strand entfernt, schaltet er die Karaoke-Anlage privat Foto: ein. „Wir machen eine Party!“, ruft er in die Runde. Je- mand bringt Bier und Schnaps und dreht die Lautstärke Jan Keith, Jahrgang 1971, studierte Japanologie, Politikwis- auf. Der junge Li und der Fahrer singen ein nordkorea- senschaft und Geografie an der nisches Kriegslied, der andere Li eine Volksweise. Selbst Universität Bonn und absolvierte die Kellnerin macht mit, sie trällert ein Liebeslied. seine Journalistenausbildung an Und wie wir so dasitzen in diesem Raum, trinken, sin- der Deutschen Journalistenschu- gen, essen und lachen, fällt mir ein, dass die Lis gerade le in München. Mehrere Jahre war er Redakteur der „Financial eine Regel brechen. Gast und Aufpassern ist es doch Times Deutschland“. Heute ist verboten, sich beim abendlichen Bier anzufreunden! er Redakteur der Zeitschrift Ich muss lachen. Wenn selbst Li, der Jüngere, sich nicht „mare“, Ressort Wirtschaft/ mehr an die Vorschriften hält, dann scheine ich ihn Wissenschaft. Seine Reportagen tatsächlich gefunden zu haben: den freiesten Ort im führten ihn in zahlreiche Länder der Welt. Für seinen Nordkorea- unfreiesten Land der Welt. Zumindest für diese Nacht. Artikel wurde er 2011 mit dem Columbus-Autorenpreis für Reisejournalismus ausgezeichnet.

35 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

Strandleben in Südkorea: „Niemand möchte braun werden“

Interview mit Dan Lee

Welche koreanischen Inseln haben Sie bereits Ostküste, und sein Wasser ist außergewöhn- bereist? lich klar. Der Sand ist weiß und sauber. Im Sommer ist er ziemlich überfüllt, weil fast alle Ich war zwei Mal auf der Insel Jeju (제주) und Koreaner ihren Urlaub dort verbringen wollen. ein Mal auf der Insel Geoje (거제). Jeju ist die Junge Menschen zieht es insbesondere nach größte und Geoje die zweitgrößte Insel von Haeundae, weil sie leicht Kontakte knüpfen Korea, und beide liegen im Süden. Auf Jeju und eine romantische Zeit verbringen können. war ich zum ersten Mal mit der Familie und dann mit der Klasse am Ende meiner Grund- Was nehmen die Koreaner gewöhnlich mit an schulzeit, als ich zwölf Jahre alt war. In Korea den Strand? machen die Schüler gewöhnlich am Ende der Grund-, Mittel- und Oberschulzeit eine jeweils Eine Strandmatte und ein Handtuch. Ganz einwöchige Klassenfahrt. Da der koreanische wichtig sind auch Handy und Kamera, um in Schulalltag sehr hart ist, können sie in dieser diversen sozialen Netzwerken Erinnerungsfo- Zeit ein wenig ihre Freiheit auskosten und tos hochzuladen. Urlaubspostkarten kennen abends in der Jugendherberge Pyjamapartys wir kaum; die erste Postkarte meines Lebens machen, heimlich Alkohol trinken usw. – das habe ich in Deutschland geschrieben. Und na- mit dem Alkohol kommt natürlich erst in den türlich braucht man Sonnencreme mit einem höheren Klassen. möglichst hohen Lichtschutzfaktor, denn nie- mand in Korea möchte braun werden. Deshalb Die Insel Jeju hat mir sehr gut gefallen. Sie ist auch ein Sonnenschirm wichtig. Darunter unterscheidet sich vom Rest Koreas und sitzen dann die Frauen in Bikinis, denn nur mit erinnert ein wenig an Hawaii: Klima, Essen Bikini ist man cool, und die Männer in knap- und Sprache sind anders als auf dem Festland. pen Badehosen. Wenn die Einheimischen jemanden willkom- men heißen, sagen sie nicht „Annyeong Manche Koreaner sind extrem und bringen Haseyo“ (안녕하세요, Guten Tag) sondern einen Grill mit an den Strand, um sich ihr eige- „Honja opseoye“ (혼자옵서예). Es gibt nes Samgyeopssal (삼겹살, gegrillter Schwei- dort Pflanzen, die ich nirgendwo sonst nebauch) zuzubereiten. Aber normalerweise im Land gesehen habe. Da Jeju aus lässt sich alles in Strandnähe kaufen, und wie einem Vulkan entstanden ist, sind alle Sie sicher wissen, ist die Lieferkultur in Korea Felsen und auch die Mauern der Häuser sehr weit entwickelt. Man kann alles Erdenk- aus schwarzem Gestein. liche bestellen und sich zum Beispiel Pizza, Chicken Wings, Bier oder Schweinshaxen quasi Haben Sie einen Lieblingsort am Meer? direkt ans Badehandtuch liefern lassen. Es macht Spaß, am Meer zu essen. Viele bringen Mein Lieblingsort ist der Strand sich kleine Snacks wie Kimbap (김밥, Reisröll- von Haeundae (해운대) vor Busan chen) mit und andere eine Tiefkühlbox , in der (부산) - das ist der bekannteste Bier und Erfrischungsgetränke enthalten sind. Badestrand Koreas. Er liegt an der

Lee Dan studiert zurzeit Germanistik an der Universität Tübingen. Während ihres Studiums in Korea engagierte sie sich in einem Verein für Theater und traditionellen koreanischen Maskentanz, war Redakteurin bei einem studentischen Internet-Magazin, unterrichtete Koreanisch als Fremdsprache für Migranten und leitete den Verein für Menschenrechte „Bom“.

36 KULTUR KOREA Womit vertreiben sich die Menschen während ihres Welche Märchen oder Sprichworte gibt es in Korea über Strandurlaubs die Zeit, und welche Ferienunterkünfte das Meer? sind besonders beliebt? Spontan fällt mir ein Märchen ein: Es gab einmal einen Am Strand von Haeundae jedenfalls ist es im Sommer König, der hatte einen Zauber-Mühlstein, der alle Wün- praktisch unmöglich, Wassersportarten wie Tauchen, Scu- sche erfüllen konnte. Eines Tages kam ein Dieb und stahl ba Diving oder Surfen auszuüben, da zu viele Menschen den Mühlstein. Er lud ihn auf sein Boot und versuchte, im Wasser sind, aber an einsameren Stränden ist das über das Meer zu fliehen. Auf dem Wasser überkam ihn anders. In Haeundae werden Fahrten auf so genannten der Wunsch, die Zauberwirkung des Steins einmal aus- „Bananenbooten“ angeboten; das sind Gummiboote, zuprobieren. Salz war damals sehr kostbar, und deshalb auf denen mehrere Personen gleichzeitig rittlings sitzen wünschte er sich Salz. Da er die Zauberformel nicht kann- können. Manche Koreaner spielen auch Beach-Volleyball. te, um den Mühlstein wieder zu stoppen, hörte der Stein Die Abende am Urlaubsort verbringen wir gewöhnlich nicht auf, Salz zu produzieren. Der Dieb starb, und das in der Kneipe oder im Noraebang (노래방, Karaoke-Bar Salz sickerte ins Meer. In Korea heißt es, dass das Meeres- mit abgetrennten Räumen). Wenn das Wetter schön ist, wasser seither salzig sei. sitzen wir in den Dünen und trinken Bier. Entlang der Strände gibt es sehr viele Fischrestaurants. Dort können Welche Bedeutung hat das Meer für die Koreaner? die Touristen fangfrischen Fisch essen und Soju (소주, Ge- treideschnaps) trinken. Manchmal fahren wir auch direkt Wenn die Koreaner ein Problem wälzen oder sich einfach mit dem Boot aufs Meer, angeln Fisch und bereiten ihn entspannen wollen, fällt ihnen als erstes das Meer ein. selbst zu. Dann fahren sie an die Küste und blicken auf das Wasser und den Horizont, die endlos erscheinen. In dem Augen- Viele Familien wohnen während des Urlaubs in einem blick können sie tief durchatmen und für einen Moment Kondominium (eine Anlage mit Apartmentblocks), einem alles hinter sich lassen. Das Leben in der Hauptstadt ist Hotel oder einer Pension (여관, Yogwan). Junge Leute, schließlich sehr anstrengend. die nur für wenige Tage an die Küste fahren und sich das Geld für die Unterkunft sparen wollen, gehen gewöhnlich Ich lebe gern in Seoul, aber dort ist alles chaotisch und über Nacht in den Jjimjilbang (찜질방, Art koreanische durcheinander: die großen Gebäude, der viele Verkehr. Sauna, die 24 Stunden geöffnet ist), denn der Eintritt Die Menschen sind immer in Eile. Theoretisch ist es kostet nur rund 8000 Won (ca. 5,40 Euro), die Übernach- unmöglich, zur Ruhe zu kommen. Entspannen kann ich tung in einer Pension dagegen zwischen 30.000 und mich höchstens im Noraebang. Dennoch finde ich das Le- 50.000 Won (ca. 20,20 – 33,60 Euro). Im letzten Sommer ben in Seoul sehr spannend. Jetzt, wo ich in Deutschland bin ich mit meinem Freund nach Busan gefahren, und wir lebe, fehlen mir komischerweise die überfüllten Straßen, haben in einem Jjimjilbang übernachtet. Allerdings war die Autos und der Lärm. Ich vermisse auch die vielen er sehr überfüllt, da zurzeit viele junge Leute mit „Naeillo“ Neonreklamen und diese besondere Atmosphäre. (내일로)1 durchs ganze Land reisen. Sie verbringen dann alle die Nacht dort, falls sie nicht im Nachtzug schlafen. Das Interview führte Gesine Stoyke In welchem Alter lernen die Koreaner gewöhnlich das Schwimmen? 1 Naeillo: ein Angebot für junge Leute unter 25 Jahren von der kore- Heute gehen die Kinder im Alter von fünf oder sechs anischen Eisenbahngesellschaft Korail, ähnlich wie der Eurail-Pass, mit dem sie per Zug preisgünstig durchs ganze Land reisen können. Jahren in einen privaten Sportclub, wo man ihnen das Schwimmen beibringt; es ist nicht Teil des Sportunter- richts, denn die Schulen haben keine Schwimmbäder. Ich selbst kann nicht schwimmen, weil mich meine Mutter während der Schulzeit nicht dazu gezwungen hat, einen Kurs zu besuchen. Vielleicht lerne ich es noch einmal irgendwann.

Wenn die Koreaner ein Problem wälzen oder sich einfach 37 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

1 2

Jagalchi Der größte Fischmarkt in Korea und Nordostasien

Von Dr. Stefanie Grote

er Jagalchi-Markt (자갈치시장) hat eine lange Es sind vornehmlich die als „Jagalchi Ajumma“ (자갈치 Tradition. Entstanden nach dem Ende des Ko- 아줌마, verheiratete, ältere Marktfrauen von Jagalchi) reakrieges (1950 - 53) ist er heute der größte bekannten Frauen, die hier bei Wind und Wetter an Fischmarkt Koreas und Nordostasiens. Hier kleinen Ständen Fisch und Meeresfrüchte verkaufen Dwird nahezu die Hälfte der gesamten, in Korea verkauf- und unermüdlich „Oiso! Boiso! Saiso!” („Kommen Se! ten Meeresfrüchte angeboten. Wenig verwunderlich Gucken Se! Kaufen Se!“) rufen. Geprägt von der mühsa- also, dass er im ganzen Land bekannt und beliebtester men Arbeit des alltäglichen Säuberns, Verarbeitens und Anziehungspunkt für Touristen in der Hafenstadt Busan Anpreisens wirkt ihr Gebaren zuweilen ein wenig barsch. ist. Nach mehrjährigen Umbauarbeiten erstrahlt der Doch der Eindruck täuscht: Auch hinter dieser vermeint- komplett modernisierte Marktkomplex seit 2007 in lich harten Schale verbirgt sich zumeist der weiche Kern neuem Glanze und ist täglich von 05.00 bis 22.00 Uhr koreanischer Freundlichkeit. Diese Frauen haben eine geöffnet. wichtige Rolle gespielt, der Region zu der Bedeutung zu verhelfen, die sie heute hat. Der Name Jagalchi leitet sich aus Jagal (kleine Fel- sen - 자갈) und chi (das koreanische Wort für Dörfer Der Markt unterteilt sich in einen Innen- und einen in Küstennähe - 치) ab und nimmt also Bezug auf die überdachten Außenbereich, wo Frischfisch bzw. Tro- landschaftlichen und örtlichen Begebenheiten, die sich ckenfisch verkauft werden. Besucher können Arbeitern heute aufgrund der städtebaulichen Veränderungen bei der Konservierung der Ware für die Langzeitlagerung allerdings so nicht mehr finden lassen. zuschauen und staunen, wie der Fisch in Rekordzeit

38 KULTUR KOREA geschuppt, geköpft und zerkleinert wird. rismus-Festival“ veranstaltet, das durchschnittlich fünf Millionen Besucher anzieht. Gefeiert werden der Markt Wer der Versuchung nicht widerstehen kann, kostet an und seine Produkte, und auf dem Programm stehen Ort und Stelle frische Meeresspezialitäten wie Makrelen, Darbietungen verschiedenster Art, Angel-Wettbewerbe, Seescheiden oder Walfleisch, genießt die besondere At- Meeresfrüchte-Auktionen, Ausstellungen, Feuerwer- mosphäre dieses maritimen Mikrokosmos, kauft lokale ke und ortstypische Rituale, wie das Bitten um einen Spezialitäten wie getrocknetes Seegras, Seetang und die reichen Fang. landesweit besten Anchovis. Wer nach mehrstündigem Jagalchi-Aufenthalt dem strengen Duft der Meeres- Ob im Rahmen des Festivals oder an einem normalen produkte oder den Meeresprodukten selbst entfliehen Tag – der Jagalchi-Fischmarkt wird jedem Besucher will, findet in nahegelegenen Restaurants in Bibimbap eindrücklich in Erinnerung bleiben und ihn in Erstau- (비빔밥) oder Bulgogi (불고기) dankenswerte Alterna- nen darüber versetzen, zahlreichen Meeresbewohnern tiven. begegnet zu sein, von deren Existenz er bis dato noch gar nicht wusste. Im Oktober jeden Jahres wird auf dem Markt das mehr- tägige und sehr bunte „Busan Jagalchi Kultur- & Tou-

3 4

1. Eine Marktverkäuferin bietet frisch gefangenen Fisch an 2. Jagalchi-Fischmarkt, innen 3. Jagalchi-Fischmarkt, außen

Choi Ji-young 2,3 © Florian Dittmer (www.nuku.de) 2,3 © Florian Ji-young Choi 4. Frischer Fisch auf Eis © 5. Käufer bei der Fischauktion 5 1,4,5 am frühen Morgen

39 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP Haenyeo Die Meerfrauen von Jeju

Von Anne Schneppen

40 KULTUR KOREA 해 녀

Drei Dinge, sagen Einheimische, hat Jeju im Überfluss: Wind, Steine und Frauen. Der scharfe Wind peitscht salzigen Sand über die Vulkaninsel. Steine und Felsen prägen ihr raues Ge- sicht. Doch um nichts ranken sich mehr Mythen und Legenden als um die „starken“ Frauen von Jeju. Keine Tourismusbroschüre, kein Reisebericht kommt ohne sie aus. Lebensgroße Statuen verweisen auf sie, im Folkloremuseum der Insel wird ihrer als der „mutigen Mütter“ Koreas gedacht. Wissenschaftler aus dem In- und Ausland haben sich mit ihnen beschäftigt.

Die Taucherinnen von Jeju sind auf Gemälden und Porzellantellern verewigt, als seien sie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Doch es gibt sie tatsächlich noch, allen Prophe- zeiungen zum Trotz. Bei windstillem Wetter, wenn das Meer klar und ruhig ist, sieht man sie entlang der Küste als schwarze Punkte im Wasser auf- und abtauchen. Sie bewegen sich in kleinen Gruppen, nie weit vom Strand entfernt. Wer nah genug an sie herankommt, kann sie auch an ihrem Singen erkennen, an ihrem pfeifenden Ausatmen, das der Wind zurück an die Küste trägt, wie archaische Weisen aus einer anderen Welt.

Das erste Mal begegnete ich Koreas Meerfrauen, den „Haenyeo“ [해녀], im Frühling 2002. Ich lebte zu der Zeit in Japan und arbeitete als Zeitungskorrespondentin in Tokio. Damals beschäftigten sich Politiker und entsprechend auch Journalisten intensiv mit den Gegen- sätzen und Differenzen zwischen Korea und Japan. Man stritt erbittert über das Meer, über historische Seegrenzen und Besitzrechte von Inseln. Über die vielen Verbindungen und Gemeinsamkeiten der Kulturen sprach man eher weniger. Eines Tages besuchte ich die japanischen „Meermenschen“, die Ama, die seit 2000 Jahren nur mit der Kraft ihres Körpers in die Tiefe des Ozeans tauchen, um Muscheln, Fische und Algen zu ernten, vor allem Aba- lonen, in Japan eine teure und sehr begehrte Delikatesse. Bis zu 30 Meter tief tauchten die Frauen unter Einsatz ihrer Gesundheit, ihres Lebens, bei jedem Wetter. Es war eine Ama, die mich nach Korea schickte, zu den damals weniger beachteten Meeresschwestern von Jeju.

Über einen Kontakt in Seoul kam ich kurz darauf in das kleine Dorf Haengwonri. Vor den niedrigen weißen Steinhäusern blühte der Ginster, die Dächer waren mit blauen Ziegeln gedeckt. Meine Gastgeberin bat mich in ihr Wohnzimmer, wo wir auf dem Boden Platz nahmen und eine Tasse Ingwer-Tee tranken. Frau Kim bewegte sich trotz ihrer 65 Jahre behende wie ein junges Mädchen. Kein Wunder, ging sie doch immer noch jeden Morgen zum Hochleistungssport ins Wasser, seit mehr als 40 Jahren schon.

In ihrer Jugend, so erzählte sie, gab es auf Jeju noch mehr als 30.000 Haenyeo. 1970 war ihre Zahl schon auf 15.000 gesunken. Und es ging weiter bergab. Die Zeitung Chosun Ilbo berichtete erst Anfang 2012, nach Aussagen der Provinzregierung von Jeju gebe es aktuell noch exakt 4881 aktive Haenyeo, von denen 95 Prozent Frauen seien. 80 Prozent seien schon über sechzig Jahre alt. Nur vier der 4881 Haenyeo sind der Tageszeitung Chosun Ilbo zufolge jünger als vierzig Jahre.

„Ein viel zu hartes Leben für die jungen Frauen heute“, erklärte schon damals Frau Kim, die drei Söhne und drei Töchter großgezogen hatte. Einer war Lehrer geworden, ein zweiter hatte es zum Beamten gebracht. Die Töchter arbeiteten in schönen Büros – im Winter geheizt, im Sommer angenehm klimatisiert. Die Bilder der Kinder standen in stolzer Reihe © Brenda Paik Sunoo, „Moon Tides“, Verlag: Seoul Selection Verlag: Tides“, „Moon Sunoo, Paik © Brenda

41 KULTUR KOREA auf einem wuchtigen Stahltresor im Wohnzimmer, neben dem großen neuen Samsung-Fernse- her. Ein hochmoderner Kühlschrank mit Flügeltüren war gerade geliefert worden. Frau Kim hat- te es als Haenyeo weit gebracht. Aber beerben wollte sie niemand mehr. „Wer die Meeresfrauen bei der Arbeit sehen will, muss sich beeilen“, sagte sie mir.

Als Frau Kim mit dem Tauchen begann, gab es für eine junge Frau auf Jeju beruflich wenig Möglichkeiten. Ihre Familie war arm, sie hatte kein Geld für eine höhere Schule und Ausbildung. Schon als Kind war sie der Mutter hinterhergeschwommen. Das Meer war ihr Zuhause, nun wur- de es auch zum Arbeitsrevier. Seit Jahrhunderten tauchen die Haenyeo vor der Küste der Insel nach Schnecken, Seesternen, Muscheln, Seeigeln, Seegurken, Tintenfischen und den kostbaren Abalonen. Zwei bis drei Minuten halten es erfahrene Haenyeo unter Wasser aus. Sechs bis acht Stunden am Tag sind sie draußen.

Die Ausrüstung ist einfach: Ein kleiner Korb für den Fang, eine mit Stoff umspannte Styropor- Boje, die den Korb an der Oberfläche hält, zwei Messer aus Eisen, Handschuhe. Neopren-Anzü- ge, Schwimmflossen und Taucherbrille. Fünfzehn Tage im Monat auf See, Wind und Gezeiten bestimmen den Rhythmus der Arbeit. Kälte darf einer Haenyeo nichts ausmachen, im Winter steigt die Wassertemperatur kaum über 10 Grad. Sauerstoffflaschen, erklärten mir die Haenyeo, verstießen gegen den Ehrenkodex.

42 KULTUR KOREA Warum tauchen fast nur Frauen? Weil Frauen länger als Männer die Luft anhalten können, sagt man auf Jeju. Oder: Weil sie mehr Körper- fett haben und deshalb die Kälte besser ertragen. „Weil Frauen sowie- so mehr aushalten als Männer“, meinte Frau Kim, die sogar schwanger noch täglich unter Wasser ging. Die Männer gehören an Land, die Frauen ins Meer, sagen die Haenyeo, von denen viele noch mit 70 nicht ans Schlussmachen denken.

Eines der ältesten Zeugnisse dieser ebenso seltenen wie alten Zunft stammt von Hendrik Hamel, der im August 1653 das Kentern eines holländischen Handelsschiffes vor der Küste der koreanischen Insel überlebte. Hamel war unterwegs in die japanische Hafenstadt Nagasa- ki, als das Schiff in einen Taifun geriet. In seinen Erinnerungen an das „Land der Morgenstille“, die in seiner Heimat später eine Art Bestseller wurden, beschrieb er auch die „Meerjungfrauen“ von Jeju.

Zu jener Zeit sollen übrigens Berichten nach auch zahlreiche Männer tauchend zum Lebensunterhalt beigetragen haben. Die Taucherinnen heute können sich das nicht mehr so recht vorstellen. Sie halten auch nichts von „Nixenromantik“ und sehen sich nicht als Repräsentanten des „letzten Matriarchats“, auch wenn das vielfach so beschrieben wird. Für Frau Kim und ihre Gefährtinnen war das Leben schnell erklärt: „Wir machen, was wir gut können, und was wir hier immer gemacht haben.“

Die Haenyeo zahlen einen hohen Preis. Kaum eine, die nicht gesund- heitliche Schäden davonträgt: permanentes Ohrensausen, Rücken- und Augenschmerzen. Gleichgewichtsprobleme, Herzrasen. Und dazu das Risiko, dass der Mensch seine Ausdauer unter Wasser fatal überschätzt – das Meer einen einbehält.

Insofern sah die tauchende Großmutter Kim (die übrigens noch bis zum Jahr 2007 fast täglich ins Wasser gegangen sein soll), das nahende Ende der Familientradition mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Der rasante Wirtschaftsaufschwung Südkoreas ist natürlich auch an ihrer Heimat Jeju nicht spurlos vorüber gegangen. Spätestens mit der Fußballweltmeisterschaft in Korea und Japan, die zum Teil auch auf Jeju ausgetragen wurde, war die Insel vollends aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Die Zeichen der Zeit stehen auf Technologie und Industrie, nicht Fischerei und Landwirtschaft.

Und so wird es wohl auch hier kommen, wie es immer kommt: An die privat Foto: „Schaumgeborenen“ erinnert eines nicht so fernen Tages nur noch die Folklore. Anne Schneppen lebte von 2005 bis 2007 mit ihrer Familie in Seoul und arbeitete von dort - wie schon zuvor aus Tokio - als Fernost-Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In Korea beschäftigte sie sich vor allem mit politischen, aber auch gesell- schaftlichen Themen. © Brenda Paik Sunoo, „Moon Tides“, Verlag: Seoul Selection Verlag: Tides“, „Moon Sunoo, Paik © Brenda

43 KULTUR KOREA KALEIDOSKOP

ansori [판소리], der epische Gesang koreanischer Volkstradition, gesungene Romane von größter Wucht, Witz, Drama- tik und Emotion, spitzt alle Geschichten Pzu. Das muss diese Aufführungskunst ja auch, denn ihr Medium ist nichts als ein Sänger und sein Trommler, der seine stundenlangen Gesänge trägt und ihn anfeuert. Pansori lebt von der direk- ten Ansprache ans Publikum und versetzt die mit starkem Affekt singend und sprechend erzählte Handlung nicht in die sichere Distanz grammati- kalischer Vergangenheit, sondern holt sie in die unmittelbare Gegenwart des Miterlebens herein. Ein wichtiges Mittel in der Pansori-Erzählung ist der Rückgriff auf Verbindendes, auf allgemein Bekanntes. Menschliche Schwächen werden mit ebensolcher Süffigkeit ausgebreitet wie Mythen und Geschichte Chinas und Koreas, wobei chine- sische Helden, Kaiser, Dichter und Philosophen in Zahl und Gewicht den koreanischen vorgezo- gen werden. Arbeitslieder finden gelegentlich Eingang in die Gesänge, aber kein der Story nicht unmittelbar verbundener Gegenstand genießt eine solche Aufmerksamkeit wie das Meer. Das Meer, das endlose Wasser in seiner Gestaltlo- Das Meer sigkeit scheint alle Formen, Geister und Historie in sich zu bergen. Das Meer ist das Element von Furcht und Hoffnung, bevölkert von Drachenkö- in Pansori-Gesängen nigen und ihrem Hofstaat ebenso wie es gefahr- Von Matthias R. Entreß voller Handelsweg, Kriegsschauplatz oder Ort der Einsamkeit ist. Zwei Pansoris gibt es, in denen das Meer diese be- sondere Rolle spielt: Simcheong-ga [심청가] und Sugung-ga [수궁가], das Lied vom Mädchen Sim Cheong und das Lied vom Unterwasserpalast. Cheong, die Tochter des blinden Herrn Sim, hat sich an Seefahrer verkauft, die auf der Suche nach einem freiwilligen Menschenopfer waren, um bei der Meeresstelle Indangsu, im Gelben Meer nahe der Insel Baekryeongdo, die Drachenkönige zu besänftigen. Der Preis, den Cheong dafür erhält, dass sie sich opfert: 300 Sack Reis, die als Spende an einen buddhistischen Tempel gehen sollen, um innerhalb von drei Jahren Herrn Sim das Augenlicht zurückzugeben. Die Fahrt nach Indangsu gehört zum Gruseligsten in der ganzen Pansori-Literatur. Vor Sim Cheongs Augen tauchen tragische Gestalten der Geschich- te klagend aus dem Meer und versinken wieder darin, wie E Huang und Nu Ying, die Frauen des Königs Shun oder Wu Zixu (伍子胥, kor. O Ja Seo):

44 KULTUR KOREA Volksmalerei (Hase auf der Schildkröte)

Da taucht eine Gottheit auf, neun Fuß hoch, ein riesiges als die gelehrte Klasse endlich Interesse an Pansori fand, Gesicht so groß wie ein Wagenrad und mit einem großen es sich durch Einfügungen von Lyrik in der Hochsprache Abstand zwischen den Augenbrauen. Mit verschlossenen zueigen – und dem Volk fremd gemacht hat. Augen und in einen Ledersack gewickelt taucht er Nun, bevor Sim Cheong sich als Menschenopfer in die ururururururu auf 1 wilde See wirft, beschwört die an Bord abgehaltene Zeremonie die geschichtliche und soziale Bedeutung der und bittet Cheong, ihm seine Augen zurückzubringen, Schifffahrt und die Notwendigkeit, sich gegen die Natur- die er am östlichen Stadttor der Hauptstadt aufgehängt gewalten zu behaupten, und eben, sie zu besänftigen: hat, um, nach seinem Tod durch befohlenen Selbstmord, den Untergang des Wu-Reiches anzusehen, das ihn Seht nur, wie Sim Cheong sich nun verhält: Sie schließt ihre aufgrund einer Verleumdung verstoßen hatte. Sim dem Abendstern ebenbürtigen Augen, zieht den Saum ihres Cheong in der überhitzten Phantasie ihres nahenden langen Rocks über den Kopf, läuft urururururu über das Todes, projiziert ihr ganzes Wissen auf das Meer als Schiffsdeck und springt wie eine Möwe über die zahllosen das Letzte, was ihr bleibt, der Ort der Finsternis. Dann Wellen hoch, dann hinunter ins Wasser – pung! schließlich: Eine Stelle, die den härtesten Menschen zu Tränen rührt. Sie haben einen Ort erreicht, und dieser Ort ist Indangsu. Ein Doch die Drachenkönige erweisen sich als sanft, feiern heftiger Sturm bricht los, als wenn Wasserdrachen mitein- sie als elterntreue Heilige, pflegen sie drei Jahre lang ander kämpfen und ein Donnerschlag plötzlich niederfährt. und schicken sie, zur Frau gereift, an die Oberfläche. In Mitten im weiten Ozean bläst kräftig der Wind, schlagen einer Entwicklung, die ebenso lang ist, wie die, welche zu hoch die Wellen. Der Tag ist in dichten Nebel gehüllt, der jenem tragischen Höhepunkt führte, bildet sich nun aus Weg ist tausend, zehntausend Meilen weit. Ringsum alles der totalen Hoffnungslosigkeit ein Sturm der Freude – sie schwarz, dunkel bricht die Nacht herein. Einsam und öde heiratet den Kaiser, ruft, um ihren Vater wiederzufinden, erscheint die Welt. Die im Abendrot glitzernden Wellen alle Blinden des Reichs zusammen, der zum guten Ende schlagen gegen den Bug tangtang, Wellen brechen warere- bei dieser Begegnung seine Augen öffnet – nachdem ein rerere schäumend herein. Meer von Tränen vergossen wurde. Bleibt das Meer in Simcheong-ga nur Episode, ist es das Welch ein Gemälde, ein Seestück in Worten von er- Zentrum von Sugung-ga, dem Lied vom Unterwasserpa- schütternder Gefühlstiefe, die aus dem Kontext her- last. Der Drachenkönig ist krank und nach der Diagnose vorbricht. In drei kurzen Absätzen treffen dramatische eines taoistischen Heilers kann ihn nur die Leber eines Übertreibung, eine verallgemeinernde Auffassung der Hasen retten. Buchhalter Sumpfschildkröte erbietet sich, gefahrvollen Natur des Ozeans sowie ein ernüchternder einen Hasen zu fangen, was ihm mit Überredungskunst Übergang zur aktuellen Handlung zusammen. Wie passt gelingt, und als dieser merkt, dass die Unterwasserwelt das zu dem Ruf der Pansori-Sänger, sie seien ungebildet sein Tod sein soll, schwingt er sich zu noch verlogenerer und analphabetisch? Wahr ist, dass im 19. Jahrhundert, List auf – und kann sich retten. Die bildlose Kunst des

45 KULTUR KOREA „Mr. Rabbit and the Dragon King“ von Achim Freyer

Pansoris macht in der Vorstellungskraft Lösung: er hängte die Unterwasserwelt der Hörer Fische und Tiere zu Menschen mit Plastikflaschen voll, überall stößt und lässt den Hasen unter Wasser atmen. man gegen Plastikflaschen und –müll. Der Regisseur Achim Freyer inszenierte Als in seinem Stück die Sumpfschildkröte im September 2011 am Nationaltheater erstmalig die Landwelt betritt, liegt diese in Seoul eine Changgeuk-Version [창 zwar im Krieg, scheint aber sonst intakt, 극] dieses Stücks: „Mr. Rabbit and the jedoch, nachdem sich der Hase aus seiner Dragon King“. Changgeuk ist eine etwa Bedrängnis mit der haarsträubenden 120 Jahre alte, immer neu formulierte Behauptung windet, er habe seine Leber Operndramatisierung von Pansori-Texten an einen Weidenzweig gehängt, bevor er und Musik mit verteilten Rollen und Sumpfschildkröte zur Besichtigung des traditionellem Instrumentalensemble; Unterwasserpalasts folgte, und zurück die einmalige Eigenschaft, im Zuhörer an Land gebracht wird, bietet der Strand grenzenlose Fantasie zu entflammen, den Anblick eines postapokalyptischen fällt hier weg, denn die Form zwingt zur Albtraums, wie nach einer Ölkatastrophe Bebilderung. Niemand hätte das besser und vermüllt wie nach der Love-Parade. gekonnt als der Maler/Regisseur Freyer, Diese ernste Mahnung, dass das Land als Brecht-Schüler dem Epischen ganz nicht leben kann ohne gesunde Meere, natürlich zugeneigt, der das ursprüng- ist im originalen Pansori verborgen, aber liche Pansori-Konzept in dieser Arbeit es hat nicht die Mittel, diese Mahnung in präsent hielt. Während im Original die den Mittelpunkt zu stellen; es bedürfte Krankheit des Drachenkönigs sozusagen dann der literarischen Interpretation. ein privates Unglück ist, begriff Freyer Freyer konkretisierte die Unmittelbarkeit das Problem als gegenwärtig und global: der Pansori-Kunst, vergegenwärtigte mit Foto: privat Foto: „Wenn ich höre, der Drachenkönig im vollkommener Leichtigkeit den verbor- Matthias R. Entreß lebt und Meer ist krank - und er ist eigentlich die genen Gehalt des Stücks und unterstrich arbeitet in Berlin als freier Energiequelle des Lebens -, dann frage so nur noch mehr den Gewinn, den eine Autor, Musikjournalist und ich mich, wie kann diese kräftige Energie- genaue Betrachtung der alten Pansori- -Kurator. Er studierte Theater- quelle so krank werden? Aber wenn ich Gesänge mit sich bringt. wissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte an der FU unsere Meere angucke, und die Fische, 1 Berlin. Zudem organisierte er die sich nur noch von Plastiktüten er- Zitate aus „Pansori – die gesungenen Romane in Berlin und Italien Festi- nähren und daran praktisch verhungern, Koreas“ Bd.1, dt.v.Chung Kyo-chul und M.R.Entreß, ed.Peperkorn, Thunum 2005, vals mit koreanischer Musik, weil sie keine Nahrung zu sich nehmen, Konzerttourneen mit Pansori S. 226-233. dann ist das eine große Katastrophe. sowie Volksmusik und initiierte 2 Und, natürlich, das hat alles sehr aktuelle Siehe dazu den nachfolgenden Beitrag von Malte die ersten deutschen Überset- E. Kollenberg: „Weltneuheit in Korea – ‚Made in zungen von Pansori, an denen Bezüge!“ Es ist heute ein Hauptthema Germany‘, teilweise zumindest“ . er auch mitarbeitete. der Expo in Yeosu.2 Freyers Bühnenbild- © 2011 NTOK (National Theatre of Korea) Theatre (National © 2011 NTOK

46 KULTUR KOREA UMWELT

Weltneuheit in Korea „Made in Germany“, teilweise zumindest

Von Malte E. Kollenberg

Der Themenpavillon wurde vom österreichischen Architektenbüro soma architecture entworfen.

In Yeosu ist Weltausstellung. Kleiner als in Shanghai, mit voraussichtlich weniger Besuchern, aber einem hohen Stellenwert für Korea. Die Expo

2012 bietet die Möglichkeit, sich nachhaltig und grün zu präsentieren, auch wenn manch einer daran nicht so recht glauben mag. u Ex po eos u © Y © 2011 NTOK (National Theatre of Korea) Theatre (National © 2011 NTOK

47 KULTUR KOREA ang Hyung-joo ist wichtig. Die stellvertretende Pressesprecherin der Expoleitung hat die ver- antwortungsvolle Aufgabe, die Weltausstellung in Yeosu im Süden der koreanischen Halbinsel Kzum Erfolg zu führen. Sie geleitet die erste Journalisten- gruppe über das Areal.

Die Pressevertreter könnten fast eine repräsentative Ver- 1 ©soma architecture tretung der erwarteten Besucher zur Expo 2012 sein. Ein Großteil ist aus China, eine relativ große Anzahl Einhei- mischer ist dabei und ein paar Japaner und Amerikaner. Der Rest der Welt ist nur spärlich vertreten. Ein Russe, ein Vietnamese, ein Deutscher. In ähnlicher Relation werden auch die 10 Millionen Besucher, die es bis Mitte August nach Yeosu verschlagen soll, erwartet.

Der kleine Ort an der Südküste hat sich herausgeputzt. Fast jedes Lokal hat den koreanischen Namen durch einen englischen, einen chinesischen und oft auch noch einen japanischen ergänzt. Die knapp 300.000 Einwoh- ner der kleinen Stadt hoffen mit der Expo und ihren Besuchern auch auf einen Geldregen.

Korea möchte die Expo 2012 unbedingt zu einem Erfolg machen. Nicht nur die Ausstellung vom 12. Mai bis zum

2012 12. August, auch das Nach-Expo-Management muss dieses Mal funktionieren. Das sei bei der Weltausstel- lung in Daejon 1993 ein Desaster gewesen, geben die u Ex po eos u 2

© Y Organisatoren selbstkritisch zu. „Dieses Mal wird alles besser“, erklärt Kang Hyung-joo. 80.000 Jobs habe die Expo geschaffen, ein Großteil davon solle auch nach der Expo noch existieren. Viele Bauten auf dem Expo-Ge- lände sind so entworfen worden, dass sie Mitte August einfach wieder auseinandermontiert und wegtrans- portiert werden können. Alles was bleibt, soll weiter Verwendung finden. In Yeosu steht nun beispielsweise Koreas größtes Aquarium. Im Rathaus von Yeosu hofft man auf einen „flüssigen Touristenmagneten“. Ab dem 12. August soll vor allem das Aquarium Besucher in den Süden ziehen.

Im Gegensatz zur Expo 2010 im chinesischen Shanghai 3 ist die Expo 2012 nur eine kleine „Zwischenausstellung“. © Malte E. Kollenberg © Malte Alle vier Jahre finden die großen Weltausstellungen 1/ Der Themenpavillon wurde vom österreichischen Architektenbüro statt. Um zwei Jahre verschoben die kleinen. In Yeosu soma architecture entworfen. Er soll die Form eines Pottwals nachbil- präsentieren sich gut 100 Länder und zehn internatio- den. 2/ Aquarium 3/ Ansicht des Expo 2012 Yeosu-Geländes. Zu sehen ist auch das große „O” – „Big O“: „Big Ocean“(re. im Bild). Das große O nale Organisationen. In Shanghai waren es 192 Länder ist eine Installation, die vor allem am Abend für Licht- und Feuershows und fünf Mal so viele internationale Organisationen. genutzt wird. Im Inneren des O spannt sich eine Wasserwand auf, die Statt in eigenen Pavillons sind die Länder dieses Mal im bei entsprechender Beleuchtung zu einem Wasser-Bildschirm wird. internationalen Gebäude mit eigenen Präsentationszen- tren untergebracht.

48 KULTUR KOREA Koreanische Vorzeigekonglomerate wie Samsung, sich. Was normalerweise ein Graus für Statiker ist, ist Hyundai oder LG, um die in Deutschland wohl hier gewollt. „Zwei gegenüberliegende Eckpunkte bekanntesten zu nennen, haben sich ebenfalls nicht werden gehalten, die zwei anderen gegeneinander lange bitten lassen. Sie präsentieren sich in eigenen geschoben, und dann ergibt sich ein Aufwölben und Gebäuden. Aufdrehen dieser Lamelle“, freut sich Rutzinger über sein Projekt. Die Technik hinter dem ganzen geht Für Korea bietet die Expo die Chance, sich einmal zurück auf Studien zu Pflanzenbewegungen. mehr im Lieblingsgewand zu präsentieren: als grünes Vorzeigeland. Ökologisch soll alles sein: „Man ist am So naturnah passt sie gut in die koreanische Stra- Beginn der Projektphase genau daran sehr interes- tegie. Ob allerdings alles, was „grün“ daherkommt, siert gewesen“, erklärt Stefan Rutzinger, einer der auch wirklich diese Bezeichnung verdient? Stefan beiden Architekten, die den koreanischen Themenpa- Rutzinger zweifelt daran mittlerweile aus Erfahrung: villon entworfen und realisiert haben. „Dann wurde „Es ist wichtig, dass es auf dem Papier grün ist. Ob während des Projekts sukzessive zurückgerudert“, das umgesetzt wird, da wird dann einfach nicht mehr erinnert sich Rutzinger an die letzten Wochen. „Doch nachgefragt“, berichtet er. „Wenn die Bescheinigung uns war es wichtig, die Eckpfeiler des Klimakonzepts da ist, ist die Sache erledigt.“ zu halten“, sagt der Architekt. Sich zu lange mit einem Projekt zu beschäftigen, Soma Architekten ist ein Architekturbüro aus dem dafür bleibt ohnehin keine Zeit. Das nächste „grüne“ österreichischen Wien. Hätte das junge Architekten- Projekt wartet bereits. Auch für die Journalisten. In team im Oktober 2009 die Ausschreibung für den Suncheon1, wenige Kilometer von Yeosu entfernt, ist Themenpavillon nicht nach Österreich geholt, wäre 2013 die Welt-Gartenausstellung. „Da fahren wir jetzt das Land gar nicht vertreten. „Österreich nimmt nicht hin“, sagt Kang. Vier Stunden auf dem Expo-Gelände an der Expo teil”, erklärt Michael Otter, österreichi- müssen reichen. scher Wirtschaftsdelegierter in Seoul. Das Thema der Ausstellung „Der lebendige Ozean und die Küste“ sei 1 Siehe dazu den Beitrag „Die Bucht von Suncheon – Koreas nichts, wo sich die Alpenrepublik wirklich hätte be- größtes Feuchtbiotop“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe. teiligen können. Im anderen Alpenstaat, der Schweiz, hat man das anders gesehen. Es geht um Wasser, haben sie sich dort gedacht. Präsentieren wir doch unsere Bergbäche.

Pressesprecherin Kang gibt sich bei der Pressevorstel- lung des Expo-Geländes alle Mühe, die Innovationen der Expo in Korea herauszustellen. Dass der Pavillon eine ganz besondere Außenhaut habe, dass sich die nach Kiemen aussehenden Lamellen verformen lassen und sich mittels der darin verbauten Leuchtdi- oden der Pavillon als Bildschirm nutzen lässt, erklärt sie. Dass es sich bei der von soma architecture kreier- ten Außenhaut um eine echte Weltneuheit handelt privat Foto: und noch dazu „Made in Germany“, sagt sie nicht. Malte E. Kollenberg, aufge- wachsen in Bonn und Gum- mersbach, hat in Bamberg und Den technischen Hintergrund für die Fassade hat das Seoul Politik- und Kommuni- Stuttgarter Ingenieurbüro Knippers Helbig geliefert. kationswissenschaft studiert. „Das Neuartige bei der Fassade ist, dass es ein spezi- 2007 hat er zusammen mit eller Kunststoffflügel ist, der mit minimalem Energie- einem Partner das Journalis- aufwand gedrückt wird und dabei eine Verformung tenbüro KOLLENBECKER gegründet. Jetzt lebt und erfährt“, erklärt Architekt Rutzinger, der kreative Kopf arbeitet er als Korrespondent hinter den künstlichen Kiemen. Das Prinzip ist ein- in Seoul. fach. Die Lamelle bleibt nicht starr, sondern verformt

49 KULTUR KOREA UMWELT

Gaetbeol Wattenmeer von Weltklasse Von Anja Szczesinski

1

2 3

1/ Naturkundliche Lehr- und Erlebnispfade wie hier in den Salzwiesen von Jeungdo erschließen die empfindliche Natur, ohne sie zu stören. 2/ Das koreanische Wattenmeer ist wie bei uns ein „Lebensraum auf den zweiten Blick“. 3/ Salzschöpfen als Touristenattraktion bietet hautnahe Einblicke in eine alte Tradition. 4/ Frisch aus dem Watt: Traditionell gesammelte Austern sind eine Delikatesse für koreanische und europäische Gaumen.

4 © Anja Szczesinski (Ausschnitt) Szczesinski © Anja

50 KULTUR KOREA und 9000 km vom Weltnaturerbe-Wattenmeer lage dar und sind fest in Religion und Kultur verankert. entfernt erstreckt sich vor der Süd- und Westküs- Während rund um die koreanische Halbinsel - wie überall te Koreas eines der fünf größten Wattenmeere auf der Welt - moderne Fangflotten immer effektiver der Welt: Gaetbeol [갯벌], wie es auf Koreanisch fischen und immer mehr Arten bedroht sind, hat sich im genanntR wird. Doch während das Watt entlang der dä- koreanischen Wattenmeer vielerorts eine traditionelle nischen, deutschen und niederländischen Küste bereits Nutzung gehalten: Frauen ziehen mit großen Körben seit den 1980er Jahren zu großen Teilen als Nationalpark auf dem Rücken bei Ebbe raus auf den Meeresboden geschützt ist und 2009 sogar als UNESCO-Weltnaturerbe und sammeln Teppichmuscheln und Austern. Mit langen anerkannt wurde, ist Gaetbeol-Schutz in Korea noch eine Haken und geübtem Griff ziehen Tintenfisch-Fischer die vergleichsweise junge Disziplin. Dabei stehen die korea- achtarmigen Kraken aus ihren Wohnhöhlen im Wattbo- nischen Schlickflächen und angrenzenden Salzwiesen in den, und im flachen Wasser lassen sich mit einfachen ihrer ökologischen Bedeutung dem Wattenmeer an der Netzen Fische, Krabben und Garnelen fangen. Was die Nordseeküste in nichts nach. Fischer und Sammler nicht selbst verbrauchen, verkaufen sie auf dem lokalen Markt oder direkt an eines der zahl- Lebensraum auf den zweiten Blick reichen kleinen Restaurants entlang der Küste. Auch die Meersalzgewinnung hat im koreanischen Wattenmeer Zwei Mal am Tag legen Ebbe und Flut an den großen Tradition, und die großen, flachen Becken der Salinen lie- Flussmündungen und zwischen den zahllosen Inseln fern bis heute feinstes, sonnengetrocknetes Salz – unent- der koreanischen Küste rund 2500 Quadratkilometer behrliche Zutat bei der traditionellen Kimchi-Produktion. Wattboden frei. Was auf den ersten Blick leblos und leer erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Vom wertlosen Watt zum Naturschutzgebiet Lebensraum für über 1600 Tier- und Pflanzenarten. Von winzigen Kieselalgen über Würmer, Muscheln und Kreb- Noch bis Ende des 20. Jahrhunderts galt das koreanische se bis zu Tintenfischen birgt der Boden zahlloses Leben. Wattenmeer vor allem als Landgewinnungsfläche für die Die vielen kleinen Tiere wiederum sind Lebensgrundlage gegenüber der Fischerei bevorzugte landwirtschaftliche für größere Tiere wie Fische und Vögel. Nutzung. Etwa 40 Prozent der einstigen Wattflächen sind zwischen den ersten Trockenlegungen vor rund 1500 Über zwei Millionen Wat- und Wasservögel nutzen die Jahren und den letzten großen Eindeichungsmaßnah- Wattflächen Koreas als Futterquelle. Zur Brutzeit im Früh- men Anfang des 21. Jahrhunderts verloren gegangen. jahr bevölkern Brandgänse, Austernfischer und andere Arten die Salzwiesen und Dünen. Seltene Kappenmöwen Erst mit dem Engagement von Wissenschaftlern und und Zwergseeschwalben finden hier ungestörte Brut- Naturschutzverbänden, die - unterstützt auch durch plätze, und die gefährdeten Schwarzstirnlöffler ziehen den internationalen Austausch mit Kollegen aus dem ihren Nachwuchs auf einigen kleinen, unbewohnten hiesigen, d.h. dem deutsch-dänisch-niederländischen Inseln entlang der Westküste groß. Wattenmeer - in den 1980er und 1990er Jahren den öko- logischen Wert der koreanischen Wattflächen erkannten Während des Vogelzuges im Frühjahr und Herbst glei- und den Schutzgedanken in Politik und Öffentlichkeit chen die Wattflächen einem riesigen Rastplatz auf dem trugen, begann ein langsamer Bewusstseinswandel. Die Ostasiatisch-australischen Zugweg. Alpenstrandläufer, seit Anfang der 2000er Jahre erfolgende Ausweisung Sibirische Brachvögel, Große Knutts und viele mehr kom- von Schutzgebieten und Nationalparks sowie der Stopp men im Herbst aus den sibirischen und nordchinesischen einiger bereits geplanter weiterer Eindeichungen sind Brutgebieten für einige Wochen an die koreanischen wichtige Schritte für den Schutz der Lebensräume und Wattküsten und fressen sich Fettreserven für den Weiter- damit den Erhalt der Arten. flug an. Im darauffolgenden Frühjahr kehren sie aus den Überwinterungsgebieten in Südostasien, Australien oder Für den stark gefährdeten Löffelstrandläufer kamen diese Neuseeland zurück und rasten erneut am Gelben Meer. Bemühungen jedoch zu spät. Durch die erst 2006 abge- schlossene großflächige Eindeichung von Saemangeum Traditionelle Nutzung im Einklang mit der – dem wichtigsten Rastgebiet des kleinen Vogels mit Natur dem löffelförmigen Schnabel – sind über 400 Quadrat- kilometer Wattflächen verloren gegangen. Die Zahl der Auch für die Menschen der Küste stellen die Wattflächen ohnehin seltenen und nur hier vorkommenden Art ist seit vielen Jahrhunderten eine wichtige Lebensgrund- seitdem kontinuierlich zurückgegangen. Aktuelle Zahlen

51 KULTUR KOREA gehen von nur noch etwa 100 Brutpaaren aus, womit der Kräuter-Seife und pflanzengefärbte Seidentücher. Löffelstrandläufer praktisch vor dem Aussterben steht. Ein solcher Fremdenverkehr hilft, lokale Traditionen und intakte Natur zu bewahren, womit er einen wichtigen Doch die koreanische Regierung nimmt den Schutz der Beitrag zur Sicherung der Lebensgrundlage und zum Wattflächen ernst. Forschungsvorhaben, Meeresschutz- Schutz der Natur leistet. programme, der Aufbau einer Umweltbildungsinfra- struktur und die Förderung eines sanften Tourismus Die internationale Bedeutung eines langfristigen Schut- mehren Wissen, Wahrnehmung und Wertschätzung zes der koreanischen Wattflächen steht heute außer der Wattflächen als schützenswerten Naturschatz. Im Frage, und staatliche ebenso wie nicht staatliche Organi- Rahmen einer Kooperationsvereinbarung, die 2008 sationen setzen sich mit großem Engagement dafür ein. zwischen dem koreanischen Umweltministerium und der Internationale Abkommen wie die RAMSAR-Konvention1 Trilateralen Wattenmeerkooperation – der Zusammen- zum Schutz von Feuchtgebieten als Lebensraum für Wat- arbeit des deutschen, dänischen und niederländischen und Wasservögel, der sich Korea 1997 angeschlossen Wattenmeerschutzes - geschlossen wurde, wird auch hat, die Kooperationsvereinbarung mit dem deutsch- der internationale Austausch zu Forschung, Bildung und dänisch-niederländischen Wattenmeer und die Entwick- Tourismus gefördert. lung eines nachhaltigen nationalen und internationalen Tourismus tragen dazu bei. Naturerlebnis auf die „sanfte Tour“

Vor allem für Vogelkundler ist das koreanische Watten- meer als interessantes Reiseziel bekannt. Auf der Suche 1 Die Ramsar-Konvention bezeichnet das Übereinkommen über Feucht- nach Seltenheiten wie dem Löffelstrandläufer reisen Or- gebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel. Es ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Ausarbeitung von der UNESCO nithologen aus aller Welt an. Die internationale Aufmerk- angestoßen wurde (http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsar-Konvention). samkeit für seltene und bedrohte Arten hat wesentlich zur Verbesserung des Naturschutzes vor Ort beigetragen, und der Tourismus hat in naturkundlich interessier- ten Gästen eine Zielgruppe entdeckt. Hochmoderne Infozentren, naturkundliche Lehrpfade, Vogelbeobach- tungshütten und Watt-Erlebnisangebote erschließen einheimischen und internationalen Besuchern die Vielfalt des koreanischen Wattenmeeres.

Ein Vorreiter für die touristische Entwicklung im Ein- klang mit der Natur und regionalen Kultur ist die Region Sinan in der Provinz Jeollanam-do. Rund anderthalb Stunden Busfahrt nordwestlich der Hafenstadt Mokpo liegt im „Land der 1000 Inseln“ ein Kleinod der Nach- haltigkeit: Die gesamte Insel Jeungdo hat sich 2007 der „Slow City“-Bewegung angeschlossen, einer weltweiten Anja Szczesinski ist Biologin Initiative für lebenswerte, umweltfreundliche Städte und seit vielen Jahren im und entschleunigtes Leben abseits des globalisierten Wattenmeerschutz tätig. Als Expertin für nachhaltigen Tou- „Einheitsbreis“. Geschwindigkeitsbegrenzungen, Elektro- rismus und Umweltbildung busse und kostenlose Leihfahrräder, die überall auf der beim WWF wirkt sie an der „Slow Island“ stationiert sind, laden zum besinnlichen Ausgestaltung der zwischen und umweltverträglichen Erkunden der Insel ein. Kleine dem koreanischen Watten- Restaurants bieten ernte- und fangfrische Köstlichkeiten meer und der deutsch- dänisch-niederländischen „nach Art des Hauses“ an, und beim Salzschöpfen in der Wattenmeerkooperation

traditionellen Saline erlebt der Besucher eine jahrhun- privat Foto: geschlossenen Kooperations- dertealte Kulturtechnik. Naturkundliche Führungen und vereinbarung mit. Fach- die Ausstellung im Jeungdo-Wattenmeerzentrum bieten workshops führten sie 2009 vielfältige Zugänge zur einzigartigen Inselnatur, und im und 2010 ins koreanische Wattenmeer. Souvenir-Shop finden sich handgeschöpftes Meersalz,

52 KULTUR KOREA „Die traditionelle Nutzung der koreanischen Wattflächen hat mich fasziniert“

Interview mit Anja Szczesinski

Welche Parallelen und welche Unterschiede würden Sie im Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, wird im koreani- Vergleich des deutschen mit dem koreanischen Watten- schen Wattenmeer erst seit knapp 10 Jahren Besucherin- meer beschreiben? formation und Umweltbildung betrieben. Quasi „von null auf hundert“ ist dort staatlich finanziert eine Infrastruktur Die ökologische Bedeutung der Wattenmeere ist ver- geschaffen worden, die mit aufwändigen Edutainment- gleichbar: ein vielfältiges Bodenleben bietet einen reich Einrichtungen1 den Gaetbeol-Schutz in die Öffentlichkeit gedeckten Tisch für Millionen von Zugvögeln, und das tragen will. Wenig Erfahrung in der Entwicklung von flache Wasser dient als Kinderstube vieler Fische, die wie- Umweltbildungs- und Veranstaltungsangeboten und derum Lebensgrundlage für Meeressäuger sind. Unter- eine noch nicht immer stattfindende Nachfrage der Gäste schiedlich sind vor allem die Art der Küste und damit die lassen die Angebotspalette über die reine Ausstellung Ausdehnung der Wattflächen. Während sich das Watten- hinaus jedoch nur zögerlich wachsen. meer entlang der Nordsee in einem mehr oder weniger durchgehenden Saum zwischen Inseln und einem flachen Eine koreanische Umweltbildungskollegin hat es so Hinterland erstreckt, sind die koreanischen Wattflächen formuliert: „Wir haben die Hardware, aber uns fehlt die nicht alle miteinander verbunden. An der relativ felsigen Software“. Fachworkshops und Studienreisen, wie sie im Küste eines ansteigenden Hinterlandes haben sich vor Rahmen der Wattenmeer-Korea-Kooperation stattfinden, allem in Flussmündungen, Buchten und in einigen durch tragen zum Capacity-Building [Aufbau von Kapazitäten] Inseln geschützten Bereichen Wattflächen entwickelt, im koreanischen Wattenmeer bei und erweitern den Ho- während dazwischen Fels auf Wasser trifft. Bei uns verbin- rizont der europäischen Kollegen in Sachen Edutainment det man mit Wattenmeer flaches Land und viel Horizont, und Technik-Einsatz. in Korea können hinter den Wattflächen schon mal Berge auftauchen. Welche Erwartungen hatten Sie als Biologin in Bezug auf Ihre Korea-Reise? Gab es Überraschungen? Deutschland und Korea haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihren Fokus auf die ökologische Bedeutung Ich hatte mir Wattflächen vorgestellt, die im Wesentlichen des Wattenmeeres gelegt. Inwiefern unterscheiden sich so aussehen wie das Watt entlang der Nordseeküste und Geschichte und Art der Informationsvermittlung für Besu- in denen im Grunde die gleichen ökologischen Prozesse cher in beiden Ländern? ablaufen.

In Deutschland ist die Informationsvermittlung zusam- Überrascht war ich dann vor allem von der ungeheuren men mit dem Nordseetourismus und dem verbandlichen Vielfalt an Krebsen, die im koreanischen Watt zum Beispiel und später auch staatlichen Wattenmeerschutz historisch als Bodenbewohner die Rolle der bei uns charakteristi- gewachsen. Von der kleinen Bretterbude mit handgemal- schen Wattwürmer einnehmen und andere hoch speziali- ten Schautafeln in den 1960ern bis zu modernen Infozen- sierte Lebensweisen entwickelt haben. tren seit den 1990er Jahren folgte die Entwicklung auch Auch die traditionelle Nutzung der koreanischen Watt- dem Anspruch der Besucher – vor allem Schulklassen und flächen hat mich fasziniert. Von Hand gesammelte Algen Feriengäste – an Informations- und Veranstaltungsange- und fangfrische, roh marinierte Garnelen waren ein ech- bote. Das Nebeneinander von Angeboten der National- tes kulinarisches Highlight. park-Verwaltungen und Umweltverbände bietet heute ein breites Spektrum an Inhalten, Methoden und Perspek- tiven und spricht die unterschiedlichsten Zielgruppen an.

53 KULTUR KOREA Wie stark ist die Bedeutung des Wattenschutzes Ihrer Einschätzung nach im Bewusstsein der koreanischen Bevölkerung verankert?

Im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit spielt der Gaet- beol-Schutz gegenüber wirtschaftlichen und kulturellen Themen sicherlich noch eine vergleichsweise geringe Rolle. Doch die Öffentlichkeitsarbeit des koreanischen Umweltministeriums, Infozentren, Umweltbildungs- und Natur-Tourismus-Angebote sowie die mediale Aufmerk- samkeit bei Veranstaltungen wie der RAMSAR-Konferenz in Changwon 2008 erreichen immer mehr Menschen. Allein das aufwändig renaturierte Feuchtgebiet mit Info- und Erlebniszentrum an der Wattenmeerküste von Suncheon2 freut sich über jährlich zwei Millionen Besu- cher – Zahlen, von denen deutsche Wattenmeerzentren nur träumen können.

Sie schreiben, dass die Wattflächen Koreas seit vielen Jahr- hunderten fest in der Religion verankert sind. Auf welche Weise finden sich derlei Bezüge?

Vor allem in den Fischerdörfern - die mit dem Meer als Lebensgrundlage und Bedrohung zugleich in ganz besonderer Weise verbunden sind - haben sich zahlreiche Rituale und Zeremonien für einen guten Fang und eine sichere Rückkehr entwickelt: „Gaet Je“ [갯제] für eine rei- che Muschelernte, „Pungeo Je“ [풍어제] für einen reichen Fischfang und „Yongwang Je“ [용왕제], ein Opfer für den König des Meeres, sind nur einige Beispiele. Der Glaube an übernatürliche Kräfte hilft bis heute, die Mühen der Fischerei zu dulden und die Ernte zu würdigen.

Das Interview führte Dr. Stefanie Grote

1 Edutainment: die Verbindung von Bildung (Education) und Unterhal- tung (Entertainment), (Anm. d. Red.). 2 Siehe dazu auch den Beitrag „Die Bucht von Suncheon – Koreas größ- tes Feuchtbiotop“ von Dr. Stefanie Grote in dieser Ausgabe.

54 KULTUR KOREA UMWELT

Der alte Mann und das Wattenmeer Gezeitenkraft als Fluch und Segen Von Malte E. Kollenberg

Kim Seon-man auf seinem Boot bei der Fahrt ins Wattenmeer. Der 55-jährige lebt am Watt, seit er sieben Jahre alt ist.

55 KULTUR KOREA im Seon-man blickt in die Ferne. Langsam streift (모도), Sido (시도) und Sindo (신도), soll in den kommen- sein Blick den Horizont oder vielmehr das, was den Jahren ein weltrekordverdächtiges Gezeitenkraftwerk der Nebel vom Horizont erahnen lässt. Da hinten gebaut werden. Im Zuge der koreanischen Green Growth irgendwo sind seine Kollegen. Sein Boot gleitet [Grünes Wachstum]-Bemühungen sollen saubere Energi- Kdurchs Wasser, entfernt sich immer weiter von der kleinen en ausgebaut werden. Viel sauberer als Gezeitenkraft geht Insel Jangbong (장봉도). Dort ist er aufgewachsen. Dort es quasi nicht. Die Stromerzeugung im Wattenmeer ist der hat er fast sein ganzes Leben verbracht. 55 Jahre ist er alt. „Weiße Riese“ unter den Kraftwerken. Geboren in Incheon als Kind nordkoreanischer Flüchtlin- ge, ist er bereits als kleiner Junge mit seinen Eltern auf die Zwischen den Inseln sind Dämme geplant, die einiges Insel gezogen. verändern werden. In den Dämmen befinden sich Tur- Sein Vater sei schon Fischer gewesen, sagt Kim. „Aber er ist binen, die eine Gefahr für die Fische darstellen, ist sich früh gestorben.“ Dann fuhr die Mutter mit dem Boot raus. Kim sicher. Ihm machen die Pläne der GS Engineering & Nach der Schule trat Kim in die elterlichen Fußstapfen. Construction Angst. Er wurde Fischer. „Ich habe mich bewusst für diesen Weg Es sei zwar nicht genau das gleiche, wiederholt Kim im- entschieden. Ich wollte frei sein“, sagt Kim. Frei auf dem mer wieder, aber selbst er, der besonnene Fischer, bringt Meer als Fischer. das bei Incheon geplante Gezeitenkraftwerk mit dem wei- ter südlich bereits bestehenden Sihwa-Gezeitenkraftwerk Auch heute noch sieht er sich als solcher. Eigentlich! Denn in Verbindung. Die Hintergründe seien andere, die Folgen fischen tun die Fischer von Jangbong-do kaum noch. könnten aber ähnlich weitreichend sein. „Wir sammeln mittlerweile vor allem Muscheln”, erklärt er. Vor Jahren war das noch anders. Damals hat er richtig gefischt, fast jeden Tag. Mit Netzen. Dann wurde der Flughafen Incheon gebaut. Die Landaufschüttungen im koreanischen Wattenmeer an der Westküste der Halbinsel haben die Strömungen beeinflusst. „Die Wellen haben sich geändert“, sagt Kim. Dann sind die Fische ausgeblieben. Nicht alle, aber doch merklich.

Vor Kims Boot klart es langsam auf. Nach einer knap- pen halben Stunde Fahrt werden die ersten Fischkutter sichtbar. Statt in den Wellen zu wiegen, liegen sie einfach starr auf dem Watt. Schon früh am Morgen sind die ersten Muschelsammler rausgefahren. Bevor die Ebbe kam. Jetzt, wo das Watt wie ein sandiger Teppich vor ihnen liegt, graben sie Muscheln aus. Zwischen fünf und sechs Stun- den haben sie Zeit, 30 Kilo schafft ein Muschelsammler in diesem Zeitraum. Dann ist die Flut wieder da. Die starren, Kim Seon-man beim Gang durchs Watt. Die meisten der Muschelsammler dort sind aus schweren Ungetüme aus Holz und Stahl, die sie herge- dem gleichen Ort wie der Fischer. bracht haben und nun Pause haben, werden dann wieder kleine wendige Boote. In den 1990er Jahren wurde in der Nähe von Ansan, rund 40 Kilometer südlich von Seoul, an der Küste, im Watten- Viele Fischer, die früher draußen auf dem Meer waren, meer ein Damm errichtet. Östlich des Damms sollte zum fahren gar nicht mehr raus. „Sie haben ihre Fangrechte an einen Land gewonnen, zum anderen ein künstlicher See die Regierung zurück gegeben“, seufzt Kim. Das Fischen angelegt werden. Ein Süßwasserreservoir, vom salzigen war einfach nicht mehr profitabel. Meerwasser nur durch eine Betonwand getrennt. So der theoretische Plan. Praktisch hat er nicht funktioniert. „Der Wandel ist von außen gekommen“, sagt Kim. Seine Stimme klingt traurig, wehmütig. Ein wenig schwingt Aus einem sauberen Plan war eine dreckige Wasserla- Sehnsucht in seinem Satz mit: „Am besten ist es, wenn che geworden. Stinkend und voller Algen. Die Fische im Menschen ihr traditionelles Leben leben.“ Sihwa-Lake waren tot. Die Menschen unzufrieden und die koreanische Regierung hatte eine Umweltkatastrophe zu Doch für die Fischer von Jangbong steht schon der managen. nächste Wandel bevor. Rund um ihre und die Inseln Modo

56 KULTUR KOREA Han Kyung-koo erinnert sich noch genau daran, wie die Sihwa-Kont- ro-verse 1996 verlaufen ist. Heute ist er Professor am College für Liberal Studies an der Seoul Nati- onal University. Mitte der 1990er war Han Teil eines vierköpfigen Teams, das die Auswirkungen des Dammbaus auf die Anwohner untersucht hat. Han spricht von der ersten Studie zu „Umweltein- flüssen auf Menschen“ in Südko- rea überhaupt. „Die Menschen dort waren abhängig vom Meer“, sagt Han heute. „Die haben zwar Skizze der in Incheon geplanten Dammverläufe. Drei lange Dammabschnitte sollen das Areal zwischen den Inseln einmal vom Rest des Meeres abschirmen. Der Wasseraustausch findet dann nur noch über das geplante Gezeitenkraftwerk statt. Kompensationszahlungen bekom- men, aber wussten ja gar nicht, gepeilten 254 Megawatt-Leistung ist das Kraftwerk noch was sie mit dem Geld machen sollten“, erklärt er. „Die weit entfernt. entferntesten Verwandten standen auf einmal vor der Tür und wollten einen Teil vom Kuchen abhaben.“ Um ein In den kommenden drei bis fünf Jahren will Korea den wirklich neues Leben zu beginnen, waren die Ausgleichs- eigenen Rekord brechen und Gezeitenkraftwerke in der zahlungen zu wenig. Und den Menschen fehlte schlicht Region bauen, mit einer bis zu vierfachen Leistung der das Wissen, wie sie damit neu beginnen können. „Ich habe theoretisch von Sihwa geleisteten 254 Megawatt. damals gefühlt, wie dort Leben zerstört wurden“, erinnert sich Han. Dort, wo heute der Fischer Kim Seon-man fischt und Muscheln sammelt, soll der Energieriese entstehen. Kim Die Fischgebiete waren weg, und statt des versprochenen befürchtet, dass auch dieses Projekt eine Umweltkatast- Sees hatten die ehemaligen Fischer und angehenden Far- rophe nach sich ziehen könnte. Er betrachtet die Gezei- mer – das sollten sie werden, dachte sich die Regierung – tenkraft ganz nüchtern. Klar sei das eine der umwelt- eine echte „Wasserkatastrophe“ vor der Haustür. freundlichsten Energien, die es gebe, aber auch die habe Auswirkungen auf die Umwelt. Die Lösung für den stinkenden See: Das weltgrößte Gezei- tenkraftwerk. 40 Jahre nachdem die Franzosen in Rance Hinzu komme gar noch, dass er nicht nur Fischer, sondern das bis dato größte Gezeitenkraftwerk errichtet haben, auch Gemeindevorsteher sei. Und in seiner Gemeinde zog Korea nach. Der Süßwasserplan wurde aufgegeben, in sähen viele Menschen die Dämme mit viel Wohlwollen. den Damm nachträglich ein Gezeitenkraftwerk hinein- „Die Fischer sind dagegen, die anderen dafür,“ sagt er. Die gebaut. Seit Anfang des zweiten Quartals 2012 läuft das Gründe, warum so viele Inselbewohner den Dammbau Sihwa-Gezeitenkraftwerk nun im Normalbetrieb und unterstützen, sind trivial: Nach dem Bau wird es möglich sorgt neben der Stromproduktion auch für den Wasser- sein, mit dem Auto nach Seoul zu fahren. Die Schulkinder Austausch zwischen Meer und Sihwa-See. Die Wasser- könnten mit dem Bus in die Schule, unabhängig vom Wet- qualität hat merklich zugenommen. Aus dem geplanten ter. „Wenn das Wetter schlecht wird, müssen die Jugend- Frischwassersee ist nun ein Salwasserbecken geworden. lichen, die in Unseo auf der Flughafeninsel Incheon zur Schule gehen, diese manchmal früher verlassen, weil sie Koreas Westküste ist prädestiniert für Wasserkraft, verfügt sonst nicht mehr nach Hause kommen“, erläutert Kim. sie doch über einen Tidenhub wie nur wenige Küsten auf der Welt: bis zu acht Meter. Diesen auch zu nutzen, um die Und mit einer Autoverbindung zum Festland spekulieren hohen Importkosten für Energie zu senken, bemüht sich die kleinen Inselgemeinden auf Touristen aus Seoul. Kim Korea seit 2002, staatlich gefördert. sieht das alles mit Argwohn. Klar sei es bequem, alles mit dem Auto machen zu können und so mehr Geld mit dem Eigentlich sollten die Arbeiten am Sihwa-Kraftwerk schon Tourismus zu verdienen, aber „wenn man auf einer Insel 2009 abgeschlossen sein. Doch erst im August 2011 lebt, dann ist das Leben manchmal etwas unbequem,“ konnte die Anlage offiziell in Betrieb genommen werden. sagt Kim. Man lebe eben auf einer Insel. Und das sollte

Fotos: © Malte E. Kollenberg © Malte Fotos: Es wird zwar bereits Energie produziert, aber von der an- auch so bleiben.

57 KULTUR KOREA FILM

„Iodo“ die Folgen der Modernsierung auf einer entlegenen Insel Von Gesine Stoyke

Der Film „Iodo“ aus dem Jahre 1977 von Kim Ki-young - ein Regisseur, der eher für seine „Hausmädchen“-Trilogie1 bekannt ist – beginnt wie ein herkömmlicher Kriminalfilm: Es gibt eine Person, die spurlos verschwindet und einen Tatverdächtigen, der in die Heimat des Verschollenen reist, um etwas über dessen Verbleib herauszufinden und so seine Unschuld zu beweisen. Spätestens als die Handlung immer fantastischere Züge annimmt und eine entlegene Insel zum Schauplatz mysteriöser Ereignisse wird, merkt der Zuschauer, der sich vielleicht bereits entspannt im Kinosessel zurückgelehnt hat, dass ihn seine Erwartungen getäuscht haben - und kann sich einem Gefühl der wachsenden Verwirrung nicht entziehen. Die Unwirklichkeit der Geschehnisse wird durch die Tatsache unterstrichen, dass der Haupt- schauplatz des Films, die Insel Parangdo („Blaue Insel“), in der Realität nicht existiert, sondern vom Filmregisseur frei erfunden wurde. Auch scheint „Iodo“ durch die Darstellung eines Or- der Bewohner Jejus eine symbolische Bedeu- tes, dessen Bewohner von der Außenwelt weit- tung: Sie ist eine Art Paradies für die Fischer, die gehend abgeschnitten sind und alte Bräuche auf hoher See sterben. Nur die Toten können zu pflegen, zunächst der Gegenwart entrückt. Erst ihr gelangen. nach und nach wird deutlich, dass Kims Werk eine mehr oder weniger verborgene Bestands- Um den Lokalreporter zu besänftigen, bietet aufnahme des Koreas der 1970er Jahre ist. ihm Sun Wu-hyun, der PR-Manager des Touris- musunternehmens, einen gemeinsamen Um- Zum besseren Verständnis sei zunächst ein kur- trunk an Bord an. Gegen Mitternacht ist Cheon zer Überblick über die Handlung gegeben: Ko- plötzlich spurlos vom Schiff verschwunden und rea Ende der 1970er Jahre. Auf der Ferieninsel nicht mehr auffindbar. Die Polizei verdächtigt Jeju soll ein neues Luxushotel für ausländische zunächst Sun, etwas mit dem Vorfall zu tun zu Touristen entstehen. Der Bauherr des Hotels, haben, lässt ihn aber später wieder laufen. Der ein Tourismusunternehmen vom Festland, PR-Manager möchte daraufhin auf eigene Faust lädt die regionale Presse zu einer Bootstour auf die kleine Insel nahe Jeju reisen, auf der der mit unbekanntem Ziel ein, um für das Projekt Vermisste geboren wurde, um vielleicht etwas zu werben. Erst nachdem das Schiff in Jeju zur Aufklärung des Falls beizutragen. abgelegt hat, wird die Destination der Reise bekannt gegeben: eine Insel namens Iodo, nach Cheons Heimat, die imaginäre Insel Parangdo der das Hotel benannt werden soll. Auf diese nahe Jeju, ist ein abgeschiedener Ort voller Le- Ankündigung hin verliert Lokalreporter Cheon genden, an dem die Frauen noch jahrhunderte- Nam-seok die Beherrschung und verlangt die alte Bräuche pflegen. Wie auch auf der Insel Jeju sofortige Umkehr des Schiffes. Denn Iodo ist sorgen hier Taucherinnen für den Lebensunter- keine reale Insel, sondern hat in den Legenden

halt der Familien. Im Film erfährt der Zuschauer © Dong-A Export

58 KULTUR KOREA Details über ihre besonderen Fähigkeiten: „Die Lungen- wird, sterben, und er verliert sein investiertes Kapital. Als kapazität der Frauen ist drei Mal so hoch wie die der die Lokalzeitung auf Jeju Mitarbeiter sucht, die ihr für Männer. Sie können [ohne Atemgerät] fünf Minuten un- einen Artikel über Umweltverschmutzung zuarbeiten, ter Wasser bleiben. Im Winter stirbt ein Mann nach zehn wird Cheon einer von ihnen und verspricht, dass er sein Minuten unter Wasser, eine Frau kann den ganzen Tag Leben riskieren werde, um Fälle von Umweltverschmut- arbeiten.“ Auf Parangdo gibt es auffällig wenige Männer, zung aufzudecken. Regisseur Kim Ki-young formuliert denn die Frauen werden zu Taucherinnen ausgebildet, seine Kritik an der Ausbeutung der natürlichen Ressour- und die Männer werden „ausgestoßen“, um auf dem cen, eine „unschöne“ Nebenerscheinung der Industria- Festland zu leben. lisierung, mit den Worten Cheons: „Nicht ein Grashalm wird auf dieser Erde übrigbleiben. Wenn die Dinge so Auf der Insel angelangt, wird der PR-Manager für wei- weiterlaufen wie bisher, werden selbst keine Menschen tere Auskünfte an die örtliche Schamanin verwiesen, mehr auf der Erde übrigbleiben. Es ist das Ende. Das die die herrschende Autorität im Ort zu sein scheint. Ende der Menschheit.“ Diese düstere Prognose wird im Spätestens an dieser Stelle verschwimmen die Grenzen Kleinen durch das Schicksal der einst blühenden Insel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, denn von ihr erfährt Parangdo illustriert, die am Schluss des Films verwaist er, dass die Männer in Cheons Familie mit einem Fluch ist. Bis auf einige wenige Frauen sind alle Bewohnerin- belegt und dass bereits fünf seiner Vorfahren dem nen weitergezogen, da es keine Fische mehr gibt und Wasserdämon von Iodo zum Opfer gefallen seien. Sie sie ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden. alle kamen durch das Fischen ums Leben. Auch Cheon wusste, dass er das Schicksal seiner Vorfahren teilen Eine weitere Folge nicht erst der Modernsierung ist das, würde, denn er bezeichnet sich selbst noch zu Lebzeiten was Filmkritiker Lee Kyung-Eun am Beispiel der Insel als „Leichnam, der vom Wasserdämon verschlungen Jeju als die „innere Kolonialisierung der Inseln durch werden wird.“ das Festland“2 beschreibt. So habe Festlandkorea die Insel Jeju, einen marginalen Ort im äußersten Winkel Der PR-Manager dringt immer tiefer in die geheim- des koreanischen Reiches, während ihrer gesamten nisvolle Welt der Insel und ihrer Bewohner ein. Im Geschichte kolonialisiert, um eine Homogenisierung mit Laufe dieses Prozesses verliert er nach und nach seine dem Festland zu erreichen und tue dies auch weiterhin, kritische Distanz und wird selbst vom Aberglauben der obwohl Jeju über Jahrhunderte eine eigenständige Einheimischen erfasst. Er beginnt, an seinem gesunden Geschichte mit eigenen Bräuchen entwickelt habe: „Die Menschenverstand zu zweifeln und wird Teil der sich Modernisierung des städtischen Raums verwandelte die überschlagenden Geschehnisse. Randbezirke [wie die Insel Jeju] in innere Kolonien, die dem Tourismus unterworfen wurden.“3 Als Cheon von Die 1960er und 1970er Jahre waren in Korea das Zeital- der Benennung des neuen Hotels nach der Insel Iodo ter einer rapiden Modernisierung, die von der Regierung erfährt, will er es nicht hinnehmen, dass das altherge- mit aller Macht vorangetrieben wurde und deren nega- brachte Brauchtum der Inselbewohner von großen Tou- tive Auswirkungen im Film selbst vor der abgelegenen rismuskonzernen für kommerzielle Zwecke ausgebeutet Insel Parangdo nicht Halt machen: Um dem Fluch von werden soll und protestiert lautstark: „Mit schmutzigen Iodo nicht zum Opfer zu fallen, hatte Cheon Nam-seok Füßen trampeln die Hotelunternehmer auf unserem seine Heimat bereits im Jugendalter verlassen und geheiligten Boden herum! Dies ist eine Beleidigung für war aufs Festland gegangen. Als Erwachsener kehrt er die Glaubensvorstellungen der Einheimischen von Jeju!“ jedoch nach Parangdo zurück, weil er hofft, durch „die Wie das Beispiel der Abalonenzucht belegt, hatte Cheon größte Anlage für Abalonenzucht in Korea“ reich zu wer- zuvor versucht, selbst die Rolle des Kolonialherren zu den. Es gelingt ihm, eine große Summe Geldes für sein übernehmen und Profit aus seiner Heimatinsel zu schla- Projekt zusammenkratzen. Zunächst scheint sein Plan gen, bevor große Investoren von außerhalb auf diese aufzugehen, und die Zucht schlägt an, sodass er davon Idee kommen, war aber kläglich gescheitert. zu träumen beginnt, pro Jahr eine Million Abalonen ins Meer zu setzen. Bald schwimmen aber auf der Wasser- Filmkritiker Darcy Paquet sieht „Iodo“ als „einen der oberfläche um die Insel herum immer mehr tote Fische, Filme des koreanischen Kinos, der die fesselndste und und die Taucherinnen berichten von Veränderungen nervenaufreibendste Beschreibung der primitiven des Meereswassers, verursacht durch die Entsorgung Kräfte enthält, die die Menschheit antreiben.“ Auch von Industrieabfällen in die See. Auch Cheons Abalonen findet er es „nicht verwunderlich, dass dieser Film im in einem Zuchtbecken, das von Meereswasser gespeist Zeitalter der Mechanisierung und Industrialisierung

59 KULTUR KOREA der 1970er Jahre entstand“4 - als eine Art Gegenpol Die augenfällige Verwendung der kontrastierenden zum unaufhaltsamen technischen Fortschritt. In der Tat Farben Blau und Rot interpretiert Filmkritiker Choi Eun- scheinen die Hauptprotagonistinnen vom menschlichen Yeung als eine Art Widerstand Kim Ki-youngs gegen das Urtrieb der Fortpflanzung geradezu besessen zu sein. kalte Grau der Modernisierung. Das leuchtende Rot als Hierzu bemerkt der Filmkritiker: „[…] was das Primi- Farbe der Erde, des Verlangens, der Fruchtbarkeit und tive und das Zeitgenössische [im Film „Iodo“] vereint, der Frauen, das sich speziell in Minjas Rock und in den ist die Obsession der Fortpflanzung. Von Menschen Kleidern und rituellen Gegenständen der Schamanin fin- über Schweine bis zu künstlich produzierten Abalonen det und das kalte Blau als Farbe der Männer, der Gefahr entscheidet die Fähigkeit, erfolgreich zu reproduzieren, und des Todes, das sich insbesondere immer wieder im über das Schicksal fast jeder Person im Film.“5 Die Scha- Meer zeigt, das auch für Iodo und dessen Mythos steht. manin besitzt das einzige männliche Zuchtschwein auf Da Cheon Nam-seok dem Tod am nächsten steht, hat er der Insel und lässt sich dessen Dienste reich entlohnen. auch die intensivste Beziehung zur Farbe Blau. Um ihre Monopolstellung nicht zu gefährden, beauf- tragt sie jemanden, alle anderen Eber des Dorfes zu Ein fesselnder Film mit einer beeindruckenden Bilder- töten. Und die Inselbewohnerin Minja hatte der Mutter sprache, der die Kehrseiten der Industrialisierung im von Cheon Nam-seok vor deren Tod versichert, dass sie Korea der 1970er Jahre beleuchtet und zeigt, dass sich Nam-seok ein Kind gebären werde, um die Familienlinie niemand ihren Folgen entziehen kann – selbst die Be- fortzusetzen. Bis zu dessen plötzlichem Verschwinden wohner von Orten nicht, die von der modernen Zivilisa- ist es ihr jedoch nicht gelungen, ihr Versprechen einzu- tion weitgehend abgeschnitten sind, wie die Menschen lösen. Als die Schamanin eine Beschwörungszeremonie auf der fiktiven Insel Parangdo. am Meer vollzieht, um Cheons Körper aus Iodo ans Land zurückzurufen und sein Leichnam schließlich aus dem Wasser geborgen wird, veranstaltet die Schamanin ein Ritual, in dem sich Minja in dem symbolischen Versuch, Iodo (이어도) „Leben aus dem Tod zu ziehen“6, mit dem Körper des ROK 1977 (110 Min.), OF/ Engl. UT, Farbfilm Verstorbenen vereinigt. Auch PR-Manager Sun kann Regisseur: Kim Ki-young sich dem Sog der Ereignisse nicht entziehen und lässt Schauspieler/innen: sich von Minja instrumentalisieren, damit sie schwanger Lee Hwa-si als Minja, Kim Chung-chul als Sun Wu-hyun, wird, denn für sie ist er der Stellvertreter des Toten, den Choi Yun-seok als Cheon Nam-seok dieser ihr geschickt habe. Der PR-Manager und der ver- storbene Cheon werden für sie zu einer Person, sodass sie ihn mit dessen Namen anredet: „Nam-seok, du bist nun zu uns zurückgekehrt. Bist du gekommen, damit ich dein Kind in mir tragen kann?“ 1 „The Housemaid“ (1960), „Woman of Fire“ (1972) und „Woman of Fire ‘82“ (1982) 2 Stilistisch zeichnet sich „Iodo“ durch einen nichtlinearen http://web.archive.org/web/20041013233730/http://www.asian- films.org/korea/kky/KKY/Window/LKE.htm Handlungsaufbau und eine exzessive Verwendung be- 3 Ebenda stimmter Farben aus. Er hat keinen stringenten Hand- 4 http://www.koreanfilm.org/kfilm70s.html#iodo lungsablauf, sondern ist von zahlreichen Flashbacks 5 Ebenda durchzogen, die jeweils durch das Geräusch von Wasser- 6 http://web.archive.org/web/20031209194024/http://www.asian- blasen eingeläutet und beendet werden. So gelingt es films.org/korea/kky/KKY/Stairway/CEY.htm dem Zuschauer erst am Ende des Films, die zeitliche Rei- henfolge der einzelnen Sequenzen richtig zuzuordnen und so die Geschichte in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Dennoch sind auch nach Filmende viele Fragen offen, Quellenauswahl: und der Zuschauer bleibt irritiert zurück. Filmkritiker Lee http://web.archive.org/web/20031209194024/http://www.asianfilms. org/korea/kky/KKY/Stairway/CEY.htm Kyung-Eun wertet dies als einen versteckten Hinweis http://www.koreanfilm.org/kfilm70s.html#iodo auf die damals herrschende Militärdiktatur, in der alles http://web.archive.org/web/20041013233730/http://www.asianfilms. verwirrend war und es keine klaren Lösungen gab: Die org/korea/kky/KKY/Window/LKE.htm Menschen waren der Willkür der Herrschenden ausge- http://web.archive.org/web/20031210010521/http://www.asianfilms. setzt und konnten die Folgen einer Handlung niemals org/korea/kky/KKY/Window/KSY2.htm vorhersagen.

60 KULTUR KOREA FILM

die Schönheit der Natur entfliehen, die sie gedankenver- sunken beim Betrachten eines Bildbands bewundert. - Es wird anders kommen.

Eines Tages erkrankt der Vater und verschwindet kurze Zeit später. Die Mutter reagiert mit Desinteresse, wäh- rend sich Na-young auf die Suche nach ihm begibt und in seine Heimat reist – eine Insel im Südwesten Koreas, auf der sich ihre Eltern kennengelernt haben. Dieser Aufenthalt wird zu einer Reise in die Vergangenheit, in der sich die zeitlichen Dimensionen verschieben. Sie begegnet ihren Eltern, als sie jung waren und wird zu einer guten Freundin ihrer eigenen, nun gleichaltrigen Mutter. Sie lebt mit ihr die Zeit des Jungseins nach und erfährt, dass sie mangels Schulbesuch als Haenyeo (해녀, Taucherfrau) arbeiten musste, um die Schulbildung ihres Bruders zu finanzieren. Der Rückblick zeigt aber auch, dass das Leben ihrer Eltern nicht immer so unglücklich war, wie es gegenwärtig ist.

Ihre Eltern kommen sich näher, als der junge Jin-kook die junge Yeon-soon lesen und schreiben lehrt. Dieses frühere Leben ist geprägt durch Lachen, Unbeschwert- heit, zaghafte Verliebtheit. Sonne, Reisplantagen, un- berührte Natur, Abendrot über dem Meer, traditionelle koreanische Häuser, Bilder aus der Zeit des alten Korea. “My Mother, the Mermaid” An Na-young zieht das Leben ihrer damals noch unver- heirateten Eltern vorüber, das so gegensätzlich ist zu der Meine Mutter, die Meerfrau Resignation und Tristesse im Heute.

Von Dr. Stefanie Grote Die Gegenwart kehrt zurück, als Na-young ihren Vater in der Jetztzeit findet. Es ist die Wiederbegegnung mit ihrem Vater im Heute, mit ihrer Mutter im Heute, mit ih- rem Partner im Heute - eine Begegnung mit alt Vertrau- tem und doch etwas Neuem, das Rückbesinnung und Na-young ist Mitte zwanzig und leidet unter ihrer dishar- Erkenntnis bedeutet und vielleicht eine hoffnungsfrohe monischen Familie. Die Mutter Yeon-soon ist eine unbe- Zukunft verspricht… herrschte, gefühlskalte Frau, der Vater Jin-kook resigniert und freudlos. Die Ehe der Eltern wird bestenfalls von Gleichgültigkeit, zumeist jedoch von Aggressionen der Mutter gegen ihr gesamtes Umfeld bestimmt. Wut und Freudlosigkeit sowie mangelndes Beziehungsglück auch Ineo Gongju (인어공주), in der Partnerschaft Na-youngs mit ihrem Freund artiku- ROK 2004 (110 Min.), OF/Engl. UT lieren sich in Streitigkeiten, Distanzierungsbedürfnissen Regisseur: Park Heung-sik und Isolation der handelnden Personen untereinander. Schauspieler/innen: Es ist Winter, vereiste Schneereste und die Kälte der Jeon Do-yeon in der Doppelrolle als Na-young/ Nacht unterstreichen emotionale Kälte und Eskalation. junge Yeon-soon Das Erleben und die Kontraste des Erlebens finden ihre Go Du-sim als ältere Yeon-soon (Mutter) deutliche Entsprechung in der Bildsprache - ein durch- Park Hae-il als junger Jin-kook gängiges Stilmittel des Films. Na-young hat eine Reise Kim Bong-geun als älterer Jin-kook (Vater) nach Neuseeland gebucht, als wolle sie in die Wärme, in © CJ Entertainment Co.

61 KULTUR KOREA AUßENSICHTEN AUF KOREA

Erinnerungen an Korea

Von Dorit Brandwein-Stürmer

Mein Vater (li.) während seiner Zeit als Direktor der Saul Eisenberg Handels- und Industrie-Gruppe in Südkorea, 1969. Foto: privat Foto:

war der Sommer Karriere als Geschäftsmann begann. ner Eltern auf das wärmste willkom- 1969. Ich erinnere Als Korea unabhängig wurde, hung- men, und ich begann, Korea und mich noch, dass rig auf wirtschaftliche Entwicklung, die Koreaner zu mögen. Es war ein die Amerikaner erkannte Eisenberg die Chance, am Land, in dem noch sehr deutlich die Esihren „man on the moon“ losge- Wiederaufbau beteiligt zu sein. Er Wunden des zurückliegenden Krie- schickt hatten. Ich hatte gerade zwei engagierte sich bei der Finanzierung ges [1950-53] sichtbar waren. Es war Jahre Wehrdienst in der israelischen von Grundstoff- und Schlüsselindus- Nachkriegszeit. Ungeachtet dessen Luftwaffe hinter mir und wollte, wie trien. Er glaubte an die Fähigkeit Ko- waren die Menschen, wenn sie auf alle jungen Israelis nach dem Militär- reas, die aufgenommenen Schulden Verständnis und Sympathie trafen, dienst, in die große weite Welt. verlässlich zurückzuzahlen und an warmherzig und entgegenkom- die Fähigkeit der Koreaner zu harter mend. Sie waren damit beschäftigt, Meine Eltern lebten damals in Seoul, Arbeit und Disziplin. das Überleben zu sichern und in der zusammen mit meiner jüngeren ungewissen Zukunft nach Chancen Schwester. Mein Vater war zu der Zu jener Zeit, die späten 1960er Jah- und Aufstieg zu streben. Zeit Direktor der Saul Eisenberg re, war Seoul bereits eine Großstadt, Handels- und Industrie-Gruppe in aber sehr arm. Brot war unbekannt. Wir waren Ausländer, aber wir Südkorea. Eisenberg selbst war in Man aß Reis und Kimchi (김치). Die fühlten uns so sicher wie in Ab- München in eine streng jüdisch-reli- Bürgersteige, wenn es sie überhaupt rahams Schoß, stets mit Respekt giöse Familie geboren. Als Hitler an gab, waren alle zerstört, und man und Toleranz behandelt. Ich hatte die Macht kam, wanderte der junge musste sich vorsichtig bewegen. sogar koreanische Bewunderer, die Eisenberg aus nach Shanghai. Als Während der zwei Monate, die ich mir gern die Stadt zeigten, ganz der Krieg vorüber war, landete er in damals im Lande verbrachte, hießen gentlemanlike. Als ich meinen Vater Japan, wo er eine sehr erfolgreiche mich die koreanischen Freunde mei- in seinem Büro besuchte, stellte er

62 KULTUR KOREA mir seine Mitarbeiter vor. Ich staunte sie geradewegs aus einem Luxus- Unvergesslich auch die Tanzensem- über die Familiennamen. Im Westen laden. Es war mir ein Rätsel, wie sie bles in ihren fantasievollen Kostü- sind wir an tausende verschiedener unter so schwierigen Umständen so men. Familiennamen gewöhnt, nicht so viel Würde bewahren konnten. in Korea. Dort lauten sie Kim, Lee, Man konnte es damals schon Choe, Park, Chang, Soh, Roh und Neben den Gemüsemärkten gab es spüren, dass Seoul dabei war, sich noch einige wenige mehr. Ich fand Modegeschäfte, wo sich alles fand, der Moderne zu öffnen. Aber ich die Idee gut, dass Frauen nach der von den billigsten Kleidungsstücken schätzte es auch, dass die östliche Heirat ihren Namen behalten. bis zu den feinsten Seiden. Für uns Lebenswelt noch den Ton angab. Fremde waren diese Märkte voller Als ich zehn Jahre später Seoul Meine Eltern lernten koreanische Wunder. Seoul war auf vielerlei Wei- noch einmal besuchte, konnte ich Kunst zu schätzen, und sie sam- se eine hinreißende, schöne Stadt, kaum glauben, wie tief die Verän- melten auf bescheidene Weise. Ihre voller Verschiedenartigkeit. Ich kann derungen gingen und erkannte zweite Leidenschaft war es, das gut verstehen, warum Korea sich die Stadt kaum wieder. Ich weiß schöne, faszinierende Land zu berei- zu einem Land der Bildung und des nicht, ob ich noch einmal das Glück sen. Wir versäumten keine Gelegen- Lesens entwickelte, mehr als andere. haben werde, diesen Wandel mit heit, aus Seoul in alle Richtungen zu Die Menschen arbeiteten am Tage eigenen Augen zu verfolgen. Jenes fahren, einschließlich des Nordens und studierten am Abend. Der Lern- Seoul, das ich kennenlernte, war so bis Panmunjeom, zur Demarka- eifer war allenthalben zu spüren und interessant und einmalig wie kaum tions- und Waffenstillstandslinie. gehört für mich bis heute zu den eine andere Stadt. Ich hoffe, dass der Ich fand auch, dass die Koreaner die Dingen, die Korea so anziehend und alte Charme und die Schönheit nicht gefährdete Lage Israels recht gut eindrucksvoll machen. Mein Vater gänzlich verloren gegangen sind, verstanden und sogar Ähnlichkeiten hatte in seinem Büro eine bronzene begraben unter unausweichlichem mit ihrer eigenen Situation vis- à-vis Plakette mit dem Text: „Sei geduldig Fortschritt und Wachstum. ihren Nachbarn entdeckten. im Moment des Zorns, so entgehst Du hundert Tagen der Reue“. Er Zu den Annehmlichkeiten des Rei- sagte mir, dass diese Mahnung der sens in Korea gehörten die verhält- beste Rat sei, den der Osten für den nismäßig kurzen Entfernungen zu Alltag bereithält. den Sehenswürdigkeiten. Die meis- ten Menschen lebten noch von der Korea wurde traditionell als das Landwirtschaft, danach erst kamen „Land der Morgenstille“ bezeich- Industrie und Dienstleistungen. Die net. Tatsächlich wird man - einmal Religion spielte eine weit geringere außerhalb der Städte – überwältigt Rolle als im Westen. Auf dem Lande von den Morgennebeln, die aus den trugen die meisten Menschen noch Tälern aufsteigen, der Mystik des Stefan Schraps Foto: ihre alte Tracht, während in den Morgens und der stillen Melancholie Dorit Brandwein-Stürmer, Großstädten westliche Kleidung der Landschaft. Mein Vater sagte geboren und aufgewachsen in vorherrschte. Zeit seines Lebens, in einem solchen Israel. Sie schloss ihren MA in International Relations an der Land zu leben sei ein Geschenk über Hebrew University of Jerusalem Die meisten Bewohner von Seoul alle Erwartungen hinaus. ab und arbeitete später in Wa- lebten in den Vorstädten in recht shington und San Francisco für einfachen, manchmal halb verfalle- Ich lernte die Koreaner als sehr den Israelischen diplomatischen nen Behausungen. Ich habe es be- begabte Musiker kennen, und ich Dienst. Auch unterrichtete sie an der University of Maryland wundert, wie Frauen, wenn sie ihre genoss das ausgezeichnete Sym- und schrieb gelegentlich für Zei- Wohnung verließen, in traditionel- phonieorchester. Ich mochte auch tungen. Seit 1998 ist sie Reprä- len schneeweißen Kleidern daherka- die melodische koreanische Musik, sentantin der Hebrew University men, sorgfältig gebügelt, als kämen ob klassisch oder modern. of Jerusalem in Berlin.

63 KULTUR KOREA PORTRÄT

Verleihung der Gwanghwa- Medaille an Finanz- staatssekretär Hartmut Koschyk MdB durch S.E. Botschafter Tae-young Moon in der Botschaft der Republik Korea im März 2012.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zeit für ein geeintes Korea kommen wird“

Interview mit Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk MdB, der sich seit vielen Jahren für die Förderung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Korea engagiert. Ende März 2012 wurde ihm in der Botschaft der Republik Korea in Berlin im Namen des Präsidenten Südkoreas durch S.E. Botschafter Tae-young Moon der Erste-Klasse-Orden für besondere diplomatische Verdienste in Form der „Gwanghwa-Medaille“ verliehen.

Auf welche Art Ihres Engagements für ausländische Politiker zuteil- fortentwickeln“ im Deutschen Bun- geht diese besondere Ehrung zurück? wurde, habe ich stellvertretend für destag verabschiedet. Ebenso war es Worin begründet sich Ihr außerge- alle entgegengenommen, die sich mir in den zurückliegenden Jahren wöhnliches Interesse für Korea? gemeinsam mit mir für eine positive als Präsident der Deutsch-Koreani- Entwicklung der deutsch-koreani- schen Gesellschaft seit 2003 und als Insbesondere vor dem Hintergrund schen Beziehungen in den letzten Ko-Vorsitzender des Deutsch-Korea- der leidvollen Erfahrung der deut- Jahrzehnten eingesetzt haben. Es nischen Forums seit 2007 ein großes schen Teilung und dem Glück der freut mich sehr, dass es in meiner Anliegen, den Austausch beider deutschen Wiedervereinigung ist es Zeit als Vorsitzender der Deutsch- Länder im politischen, wirtschaftli- mir ein besonderes Anliegen, dass Koreanischen Parlamentariergruppe chen, kulturellen und gesellschaft- sich die deutsch-koreanischen Bezie- von 1998 bis 2009 einen regen lichen Bereich zu verstärken. Gerne hungen nachhaltig fortentwickeln Austausch zwischen den Politikern habe ich anlässlich des 130-jährigen und Deutschland und die EU zu beider Länder gab. Auf Initiative der Jubiläums der Aufnahme diplomati- einer Entspannung in Nordostasien Deutsch-Koreanischen Parlamen- scher Beziehungen zwischen Korea und einer nachhaltigen innerkorea- tariergruppe wurden in den Jahren und Deutschland für das Jahr 2013 nischen Annäherung beitragen. Die 2003 und 2008 auch zwei Anträge die Herausgabe einer gemeinsamen große Ehre, die mir mit der höchsten mit dem Titel „Die deutsch-korea- Sonderbriefmarke initiiert. Auszeichnung der Republik Korea nischen Beziehungen dynamisch

64 KULTUR KOREA Deutschland und Korea eint die spannung zu kommen, da es sich um Belastungen ertragen. Denn Teilung Erfahrung, geteiltes Land (gewesen) eine außenpolitische Festlegung von kann nur durch Teilen überwunden zu sein. Als Politiker und Autor haben großer Tragweite handelte. Gleichzei- werden. Sie sich intensiv mit dem Thema der tig verdeutlichte der Satellitenstart in innerdeutschen und der innerkorea- Nordkorea, dass das dortige Regime Im Hinblick auf die Teilung der nischen Teilung und Vereinigung aus- nach wie vor unberechenbar bleibt. koreanischen Halbinsel ist es daher einandergesetzt.1 Welche Chancen Insgesamt braucht die Wiederannä- richtig, dass die politisch Verant- sehen Sie für eine Wiedervereinigung herung Nord- und Südkoreas auch wortlichen in der Republik Korea die auf der koreanischen Halbinsel? weiterhin ein positives regionales Bevölkerung bereits heute darauf Inwiefern erhöht oder mindert der und internationales Umfeld. So wäre vorbereiten, dass eine Wiederverei- Führungswechsel in Pjöngjang Ihrer der Prozess der Deutschen Einheit nigung mit Kosten verbunden sein Einschätzung nach die Chancen, ohne die europäischen und trans- wird. Allerdings ist auch die Teilung diesem Ziel näher zu kommen? atlantischen Partner Deutschlands Koreas mit hohen Kosten verbunden, sowie ohne die Einsicht der sowjeti- wie beispielsweise hohe Militäraus- Die Welt verändert sich rasant, und schen Führung unter Gorbatschow gaben, Sonderausgaben für Provin- somit entsteht das natürliche Verlan- für einen Kurswechsel auch in der zen entlang der Demilitarisierten gen nach Dynamik und Veränderung. Deutschland-Politik nicht möglich Zone oder Ausgaben für humanitäre Stärke besteht seit langem nicht gewesen. Daher braucht auch die Hilfe für Nordkorea. Die Kosten einer mehr in Teilung und Isolation, son- innerkoreanische Annäherung zwin- dauerhaften Teilung sind sicher dern in Einheit und Solidarität. Ich gend die Unterstützung durch die höher als die Ausgaben, die man in bin fest davon überzeugt, dass die internationale Staatengemeinschaft, die Zukunft eines geeinten Korea Zeit für ein geeintes Korea kommen insbesondere der USA, Chinas, Russ- investiert. Darüber hinaus kann man © Botschaft der Republik Korea wird. Dies kann durchaus schnel- lands und Japans. am Beispiel Deutschland sehen, dass ler als erwartet der Fall sein. Auch sich die Zukunftsinvestitionen in die Anfang 1989 hat kaum jemand auf Welche Lehren sind im Fall einer Deutsche Einheit gerade im Hinblick der Welt geglaubt, dass im Herbst die innerkoreanischen Vereinigung aus auf die Wirtschafts- und Finanzmarkt- Berliner Mauer fallen und Deutsch- dem deutschen Beispiel zu ziehen? krise doppelt ausgezahlt haben: Kein land im Oktober 1990 wiedervereint Land in Europa hat die Krise besser sein wird. Und, obwohl eine schein- Skeptiker einer koreanischen überwunden als Deutschland. bar undurchdringliche Grenze, die Wiedervereinigung weisen auf die berüchtigte Demilitarisierte Zone wirtschaftlichen Schwierigkeiten hin, Die koreanische Halbinsel ist seit (DMZ) Nord- und Südkorea vonei- die Deutschland nach seiner Wieder- über einem halben Jahrhundert nander trennt, kommt es über den vereinigung zu bewältigen hatte und geteilt. Süd und Nord haben im Laufe Umweg Chinas zu einem stetig noch immer zu bewältigen hat. In der Zeit eine eigene Entwicklung wachsenden Informationsfluss über diesem Zusammenhang plädiere ich vollzogen. Welche persönlichen den Aufstieg Südkoreas zu einer der für mehr Realitätssinn und Augen- Eindrücke sind Ihnen bei Ihren Reisen führenden Industrienationen der maß. Sicherlich ist die koreanische nach Süd- und Nordkorea konkret im Welt, aber auch über die Erfolge im Situation in zahllosen Punkten von Hinblick auf kulturelle Gemeinsam- wirtschaftlichen Reformprozess von der deutschen Lage 1989/90 ver- keiten und Unterschiede am stärks- China. Ich kann die Bevölkerung in schieden. Wenn man aber die öko- ten in Erinnerung geblieben? Südkorea nur ermutigen, die Hoff- nomischen Herausforderungen der nung auf Einheit nicht zu verlieren. Deutschen Einheit gegen eine korea- Bei meinen Reisen nach Süd- und Aus seiner großartigen Geschichte nische Wiedervereinigung auszuspie- Nordkorea ist mir bewusst gewor- und Kultur kann Korea den langen len versucht, darf ich daran erinnern, den, dass die Trennung der korea- Atem entwickeln, um ein so großes dass wir diese gigantische Aufgabe nischen Halbinsel viel radikaler ist, und wunderbares Projekt wie die Ver- zum weit überwiegenden Teil sehr als sie es zwischen der DDR und der einigung seines Landes zu erreichen. gut gemeistert haben. Das geeinte Bundesrepublik Deutschland je war, Deutschland ist heute wirtschaft- weil bis heute weder Menschen noch Die Ankündigung des neuen Macht- lich stärker als die beiden Staaten Information und Kommunikation habers Kim Jong-un, Nordkoreas in Deutschland es vor 1990 waren. die Demilitarisierte Zone in wirklich Atomtests und die Urananreicherung Natürlich müssen beide Seiten bei nennenswertem Umfang überschrei- auszusetzen, waren ein hoffnungs- der Vereinigung zweier für sich allein ten. Und so besteht die Gefahr, dass volles Signal aus Pjöngjang, einen unterschiedlicher Wirtschaftssysteme die Sehnsucht nach Annäherung guten Schritt voran in Richtung Ent- Einschränkungen hinnehmen und und Wiedervereinigung allmählich

65 KULTUR KOREA und Wiedervereinigung allmählich des Deutsch-Koreanischen Forums nachlässt, wenn es einmal die älteren kontinuierlich fortentwickelt. Durch Menschen, die noch eigene Erinne- die deutsche Politik und Diploma- rungen an ein geeintes Korea haben, tie, die deutsche Wirtschaft, die nicht mehr gibt. Es ist daher Aufga- deutschen politischen Stiftungen, be der politisch Verantwortlichen, das Goethe-Institut, den Deutschen der Schulen und Universitäten, der Akademischen Austauschdienst, Historiker und Kulturschaffenden, aber auch durch deutsche humani- den Geist der Einheit in die jüngeren täre Organisationen und die beiden Generationen zu tragen, ihn wach zu großen christlichen Kirchen leistet halten und den jungen Menschen zu Deutschland heute einen entschei- vermitteln, warum auch sie Interesse denden Beitrag für eine innerkorea- und Verantwortung dafür empfin- nische Annäherung. Darüber hinaus den sollten, was im Norden Koreas tagte im November des vergange- passiert. nen Jahres und im Mai dieses Jahres eine deutsch-koreanische Experten- Korea teilen seit rund 60 Jahren gruppe zur Wiedervereinigung, der Freiheit, Demokratie und Rechts- von deutscher Seite unter anderem staatlichkeit auf der einen Seite und Lothar de Maizière, Horst Teltschik Unfreiheit, Diktatur und Verletzung und Rainer Eppelmann angehörten. der Menschenrechte auf der anderen Dabei wurde erörtert, welche Erfah- Seite. Gemeinsam eint Korea als ver- rungen aus der deutschen Teilung bindendes Element jedoch eine Jahr- und dem Prozess der deutschen tausende alte Kultur und Geschichte. Wiedervereinigung im Hinblick auf In diesem Bewusstsein sollten die in die Überwindung der Teilung auf der Freiheit lebenden Koreaner sich über koreanischen Halbinsel abgeleitet die Lage der Landsleute im Norden werden können. All dies zeigt, dass informieren, Verständnis entwickeln die bilateralen Beziehungen unserer und sich auch gesellschaftlich und beiden Länder sich stetig fortent- politisch für Annäherung und Aus- wickeln. Darüber hinaus setzte sich © Hartmut Koschyk MdB © Hartmut Koschyk söhnung engagieren. Jeder Kontakt Deutschland nachhaltig für die und jeder Austausch ist ein kleiner, Unterzeichnung des Freihandels- Finanzstaatssekretär Koschyk aber wichtiger Schritt auf dem abkommens zwischen der Europäi- war von 1998 bis 2009 Vorsitzen- Weg, die nationale Einheit wieder- schen Union und der Republik Korea der der Deutsch-Koreanischen zuerlangen. ein. Persönlich werde ich mich auch Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages und hat weiterhin für eine dynamische Ent- in dieser Eigenschaft zahlreiche Das Deutsch-Koreanische Forum wicklung der deutsch-koreanischen Reisen nach Südkorea, aber auch führt deutsche und koreanische Beziehungen und eine innerkoreani- nach Nordkorea unternommen. Persönlichkeiten aus Politik, Wirt- sche Annäherung mit dem Ziel einer Er begleitete auch den ehema- schaft und Wissenschaft zusammen, Wiedervereinigung einsetzen. ligen Bundespräsident Johannes berät über die wichtigen Fragen der Rau bei dessen Staatsbesuch im Juli 2002 nach Südkorea. Im Fe- deutsch-koreanischen Beziehungen Das Interview führte Dr. Stefanie Grote bruar 2003 reiste er gemeinsam und richtet seine Empfehlung an die mit Altbundespräsident Richard Regierungen beider Länder. Wie wür- von Weizsäcker nach Seoul, um den Sie die Entwicklung der bilatera- dort an den Feierlichkeiten zur len Beziehungen in den letzten zehn 1 Koschyk Hartmut (Hg.) (2005): Deutsch- Amtseinführung des damaligen koreanischen Staatspräsidenten Jahren beschreiben? Welche Zielset- land, Korea – geteilt, vereint. Olzog Verlag, München. Roh Moo-hyun teilzunehmen. Seit zung streben Sie für die Zukunft an? 2003 ist Koschyk Präsident der Ders. (Hg.) (2002): Begegnungen mit Kim Dae- Deutsch-Koreanischen Gesell- In den letzten zehn Jahren haben jung. Korea auf dem Weg zu Frieden, Versöh- schaft in Deutschland. Seit 2007 sich die Beziehungen unserer beiden nung und Einheit. Olzog Verlag, München. ist er deutscher Ko-Vorsitzender Länder auf politischer, wirtschaftli- des Deutsch-Koreanischen cher, wissenschaftlicher und kultu- Forums, das die Regierungen Deutschlands und Koreas 2002 reller Ebene auch Dank der Arbeit ins Leben gerufen haben.

66 KULTUR KOREA KULTUR

Surface_Installation Chun Kwang Young Ausstellung mit Chun Kwang Young Von Karin Scheuermann

it der aktuellen Ausstellung den kleiner Päckchen zusammen, deren „Surface: Die Poesie des Materials“ Styroporkern mit antiquarischem Maul- Mpräsentiert das private Museum beerbaumpapier umhüllt und verschnürt „Kunstwerk“ in der Nähe von Stuttgart ist. Das Papier, bedruckt mit chinesischen einen der bedeutendsten zeitgenössischen und koreanischen Schriftzeichen, färbt der Künstler Koreas: Der in Seoul lebende Chun Künstler mit pflanzlichen Farbpigmenten ein. Kwang Young (*1944) zeigt erstmals umfas- Durch die feinen Farbabstufungen gewinnen send in Deutschland großformatige Bildob- die Bilder an räumlicher Tiefenwirkung und jekte sowie eine Installation. Peter W. Klein, wecken aufgrund der reduzierten Farbpal- der das „Kunstwerk“ 2007 für die eigene ette und der illusionistischen Vertiefungen umfangreiche Kunstsammlung erbaut hat, ist Assoziationen an Mond- oder Gesteins- von den Arbeiten Chuns fasziniert. „In einer landschaften. In anderen Werken ragen in australischen Galerie habe ich 2004 zum Rot- und Orangetönen leuchtende Papier- ersten Mal ein Werk von Chun Kwang Young päckchen stachelartig in den Raum oder gesehen“, erzählt der Nussdorfer Sammler, formen kompakte Bildkörper mit beinahe „die außergewöhnliche Technik und die textiler Struktur. Die haptische Oberfläche Ausdruckskraft des Maulbeerbaumpapiers der Werke und ihre unterschiedliche Wirkung haben mich sofort in den Bann gezogen.“ – je nach Standpunkt des Betrachters – Chuns Arbeiten setzen sich aus tausen- interessieren Chun Kwang Young, der Malerei Foto: Martin Schäuble Foto:

67 KULTUR KOREA © Chun Kwang Young © Chun Kwang Aggregation08

studiert und nach einem Studienaufenthalt koreanischer Kultur geknüpft.“ Denn nicht in den USA das Maulbeerbaumpapier als nur, dass das handgeschöpfte Papier vor der künstlerisches Material für sich entdeckt hat. Industrialisierung Koreas als Verpackungs- Dass Chun seine Werke stets mit dem Titel und Schreibmaterial sowie im Wohnbereich „Aggregation“ im Sinne von „Akkumulation“ zur Verkleidung von Wänden genutzt wurde, benennt, verdeutlicht besonders die drei sondern auch im Akt des Verpackens selbst Meter hohe Installation. Hier hat der Künstler greift Chun auf eine traditionelle Kulturtechnik auf dem Boden hunderte der dreiecksförmi- zurück. So manifestieren sich in den Bildern, gen Papierelemente arrangiert, aus deren die zwischen Figürlichkeit und Abstraktion Mitte das organische Objekt zu erwachsen changieren, Vergangenheit und Gegenwart Foto: Sammlung Klein Foto: scheint. Die Kuratorin Keumhwa Kim (*1978) sowie Tradition und Moderne. Die Ausstellung hat den Werken des Koreaners Arbeiten von „Surface: Die Poesie des Materials“ ist noch Karin Scheuermann (*1978), Anselm Kiefer (*1945) und Gotthard Graub- bis zum 16. September 2012 mittwochs bis Museumsmanagement, Kunstwerk - Sammlung Alison ner (*1931) aus der Sammlung Alison und freitags sowie sonntags von 11 bis 17 Uhr zu und Peter W. Klein Peter W. Klein gegenübergestellt. Auch diese sehen. Der Eintritt ist frei. Neben Werken von beiden Künstler rücken die Bedeutung der Chun Kwang Young, Gotthard Graubner und verwendeten Materialien und die Struktur Anselm Kiefer ergänzen junge Positionen (u.a. der Bildoberfläche in den Mittelpunkt ihrer Tabaimo und Chiharu Shiota) die Ausstellung. Werke. „Die Materialien haben nicht nur eine gestalterische Funktion“, erläutert die in Berlin lebende Kunsthistorikerin Kim. „Während bei Kunstwerk – Sammlung Alison und Peter Kiefer das Material auf historische, mytholo- W. Klein, Siemensstr. 40, 71735 Eberdingen- gische und literarische Themen verweist, ist Nussdorf das Maulbeerbaumpapier bei Chun Kwang www. sammlung-klein.de Young an die Traditionen und Spiritualität

68 KULTUR KOREA KOREA IM ALLTAG

해변에서 KOREANISCHER SPRACHFÜHRER [Haebyeoneseo] Am Strand Q 한국에서 유명한 해수욕장이 어디예 요? [Hangugeseo yumyeonghan Haesuyo- Q 무슨 해양스포츠를 할 수 있어요? kjangi eodiyeyo]? [Museun Haeyangseupocheureul hal su Wo sind in Südkorea die bekannten isseoyo]? Badestrände? Welche Wassersportarten kann man machen? 부산 해운대 해수욕장 Busan Haeundae Haesuyokjang 모터보트/요트/수상스키를 탈 수 있어 요.[Moteoboteu/Yoteu/Susangskireul tal 부산 광안리 해수욕장 Nützliche Wörter su isseoyo]. Busan Gwanganri Haesuyokjang Man kann Motorboot/Yacht/Wasserski 해수욕장 [Haesuyokjang] 부산 송정 해수욕장 fahren. Badestrand Busan Songjeong Haesuyokjang 바다 [Bada] das Meer 서핑할 수 있어요. [Seoping hal su isseo- 섬 [Seom] die Insel 강릉 경포대 해수욕장 yo]. 유람선 [Yuramseon] Gangreung Gyeongpodae Man kann surfen. das Ausflugsschiff Haesuyokjang 야경 [Yagyeong] Q 해수욕장에 어떤 편의시설이 있어요? 보령 대천 해수욕장 die Aussicht bei Nacht [Haesuyokjange eoddeon pyeonisiseori Boryeong Daecheon Haesuyokjang 수영복 [Suyeongbok] isseoyo]? der Badeanzug Welche Dienstleistungen gibt es am Q 해수욕장에서 무엇을 할 수 있어 수평선 [Supyeongseon] Badestrand? 요? [Haesuyokjangeseo mueoseul hal su der Horizont isseoyo]? 샤워장/탈의장/대여소/편의점이 있어요. 해안 [Haean] die Küste Was kann man am Badestrand tun? [Shawojang/Tarijang/Daeyeoso/Pyeonijeo- 선글라스 [Seongeulas] mi isseoyo]. die Sonnenbrille 수영 할 수 있어요. [Suyeong hal su Es gibt Waschräume/Umkleideräume/ 선크림 [Seonkeurim] isseoyo]. Strandservice/kleine Supermärkte. die Sonnenschutzcreme Man kann schwimmen. 텐트 [Tent] das Zelt 대여소에서 파라솔/튜브/돗자리/구명 잠수 할 수 있어요.[Jamsu hal su isseoyo]. 밀물 [Milmul] die Flut 조끼를 빌릴 수 있어요. [Daeyeosoeseo Man kann tauchen. 썰물 [Sseolmul] die Ebbe Parasol/Tyubeu/Dotjjari/Gumyeonjokkireul 갯벌 [Gaetbeol] das Watt 모래찜질 할 수 있어요. [Moraejjimjil hal billil su isseoyo]. 파도 [Pado] die Welle su isseoyo]. Man kann beim Strandservice Sonnen- 수심 [Susim] die Wassertiefe Man kann eine „Sandsauna“ machen. schirme/Schwimmringe/Matten/Ret- 해파리 [Haepari] die Qualle (sich im Sand eingraben) tungswesten ausleihen. 해초 [Haecho] die Alge 선탠 할 수 있어요. [Seontaen hal su 조개 [Jogae] die Muschel Q 어디에서 묵을 수 있어요? isseoyo]. 상어 [Sangeo] der Hai [Eodieseo mugeul su isseoyo]? Man kann ein Sonnenbad nehmen. 돌고래 [Dolgorae] Wo kann man übernachten? 모래사장에서 산책할 수 있어요. [Mora- der Delphin 민박/여관/콘도/호텔에서 묵을 수 있어 esajangeseo sanchaek hal su isseoyo]. 요. [Minbak/Yeogwan/Kondo/Hotereseo Man kann einen Strandspaziergang am mugeul su isseoyo]. Sandstrand machen. Man kann im Gasthaus/in der Pension/im 일출/일몰을 볼 수 있어요. [Ilchul/Il- Kondominium/im Hotel übernachten. moreul bol su isseoyo]. 야영장에서 캠핑할 수 있어요. [Ya- Man kann einen Sonnenaufgang/Sonnen- yeongjangeseo kaemping hal su isseoyo]. untergang sehen. Man kann auf dem Campingplatz cam- 해양스포츠를 할 수 있어요. [Hae- pen. yangseupocheureul hal su isseoyo]. Man kann Wassersport machen.

69 KULTUR KOREA KOREA IM ALLTAG

„Lassen Sie Sich nicht entmutigen, auch wenn Erfolge einmal auf sich warten lassen!“

Interview mit Andrea Steinbach, Koautorin des Lehrbuches „Koreanisch. Sprachkurs Plus Anfänger“ (Cornelsen Verlag) über ihre Arbeit an dem Lehrwerk und ihre eigenen Lernerfahrungen

Seit wann lernen Sie Koreanisch, und alltagstauglichen Lehrbuchtexte auf warum haben Sie sich gerade für diese Koreanisch verfasst hat. Sprache entschieden? Ich denke, die größte Herausforderung Mein Mann ist 2004 zu einer Physik- für uns als Team war die genaue Festle- konferenz nach Korea gereist. Durch gung des Aufbaus: In welcher Reihen- ihn hatte ich meinen ersten Kontakt folge lassen sich manche Themen am mit dem Koreanischen. Korea war bis sinnvollsten vermitteln? Kann man dahin ein ziemlich unbeschriebenes einem Selbstlerner zumuten, manche Blatt für mich. Aber seine Begeiste- Formen als feststehende Ausdrücke zu rung (für Kultur, Sprache und Essen) lernen und die Grammatikerklärung hat mich schnell angesteckt. 2007 erst später nachschieben? haben wir dann, praktisch als unsere Hochzeitsreise, einen mehrwöchigen Dann gab es natürlich noch die Fragen, Sprachkurs in Korea gemacht. Ab die ich mir immer wieder selbst gestellt © 2011 Cornelsen Verlag, Berlin Verlag, © 2011 Cornelsen diesem Moment war ich regelrecht habe: Ist diese Erklärung so verständ- Lextra Sprachkurs süchtig. lich? Kann jemand ohne sprachwis- Plus Koreanisch senschaftliche Vorkenntnisse diese ISBN 978-3-589-01867-3 Wie kam es zu Ihrer Mitwirkung an dem Grammatikerklärung verstehen? Deckt Cornelsen Verlag Lehrbuch „Koreanisch. Sprachkurs Plus diese Erklärung auch Sonderfälle ab, ca. 320-seitiges Kursbuch, gebun- Anfänger“? oder ist sie zu vereinfachend? Habe ich den, 2 Audio-CDs (Laufzeit ca. 140 selbst alle Nuancen dieser speziellen min) im Schuber Mit den meisten Lehr- und Lernma- Form oder Verwendung verstanden? 34,95 € (D) terialien, die auf Deutsch zur Verfü- gung standen, war ich nicht wirklich Die jahrelange Unterrichtserfahrung glücklich und bin darüber mit der von Frau Dr. Beckers-Kim kam uns ehemaligen Koreanisch-Dozentin an bei diesen Fragen natürlich zugute. der Universität meiner Heimatstadt ins Auch mein Mann, Freunde und einige Gespräch gekommen. Frau Dr. Beckers- meiner an Korea interessierten Schüler Kim wollte ein neues Lehrbuch heraus- haben einen Blick auf das Buch gewor- bringen und hat jemanden gesucht, fen und waren „Versuchskaninchen“ für der die deutschsprachigen Erklärungen manche Texte und Erklärungen. verfasst und ein neues didaktisches Konzept mit ihr erarbeitet. Können Sie Beispiele dafür nennen, wie Ihnen Ihre Perspektive als Schülerin der Was waren für Sie die größten Heraus- koreanischen Sprache geholfen hat, forderungen und Schwierigkeiten an sich besser in die Bedürfnisse der Nut- diesem Projekt? zer des Lehrwerks hineinzuversetzen?

Das Koreanische selbst habe ich gar Ich denke, jeder Lernende wird vor nicht als so große Herausforderung individuellen Problemen und Hürden empfunden. Dieser Part wurde ja stehen - je nachdem, welche Vorerfah- bestens von Frau Dr. Beckers-Kim über- rungen er mitbringt. Wir haben also nommen, die all die interessanten und versucht, auf möglichst viele Lerner-

70 KULTUR KOREA fahrungen möglichst vieler Schüler duell auf Fragen und Probleme Gedichte rezitieren“, ist alles lernbar, einzugehen. eingehen kann. Koreanisch ist aber man muss nur Geduld und Fleiß definitiv keine Sprache, die man mitbringen. Hören Sie deshalb nicht Aber natürlich versucht man, sich wie Englisch, an jeder Volkshoch- auf, Koreanisch zu üben! Nehmen bei den Erklärungen genau auf schule erlernen kann. Wir haben Sie sich anfangs nur kleine Schritte die Themenbereiche zu konzent- daher versucht, alle Erklärungen vor! Und vor allem: Lassen Sie Sich rieren, in denen man selbst einen so zu verfassen, dass auch jemand, nicht entmutigen, auch wenn Erfol- gewissen Klärungsbedarf hatte. der keinen Zugang zu regelmäßi- ge einmal auf sich warten lassen! Solche Themenbereiche waren zum gem Unterricht hat und nirgends Beispiel: die Möglichkeit zum Erfragen der Das Interview führte Gesine Stoyke grammatikalischen Fachausdrücke Wie tief verbeugt man sich jetzt hat, damit arbeiten kann. Auch eigentlich in welcher Situation? die Übungen sind auf diesen Fall Wieso wechseln Koreaner manch- abgestimmt. mal in einem Gespräch mit dersel- ben Person die Formalitätsstufe der Wie viele Stunden pro Woche sollte Anrede? Wie lege ich überhaupt am ein Lerner in der Regel in die Arbeit besten die angemessene Form der mit dem Lehrbuch investieren, um Anrede fest? in möglichst kurzer Zeit ein gutes Niveau zu erreichen? Auch Hinweise wie Eselsbrücken oder Merkhilfen sind teilweise aus Generell ist das regelmäßige Lernen eigenen Lernerfahrungen geboren. wichtig. Lieber täglich zehn Minu- ten als einmal geballt am Wochen- Prinzipiell glaube ich aber, dass es ende zwei Stunden. für jeden Sprachlehrer von Vorteil ist, wenn er auch eine oder meh- Natürlich sollte man möglichst rere fremde Sprachen gelernt hat viel Zeit investieren. Koreanisch (es muss nicht einmal die unter- bietet einem deutschen Lerner, der richtete Sprache sein), um sich sich noch nie an einer asiatischen immer wieder in die Perspektive Sprache versucht hat, relativ wenige der Lernenden hineinzuversetzen Abkürzungen zum Ziel. Die Wörter und zu verstehen, wo Probleme, wo lassen sich nicht mit dem indo- privat Foto: Gründe für Frust und Scheitern lie- germanischen Grundwortschatz Andrea Steinbach unterrichtet gen können und um entsprechende erschließen, die Grammatik funktio- Englisch, Russisch, Deutsch und Hinweise zur Vermeidung solcher niert ganz anders. Ethik an einem Gymnasium in der Nähe von Regensburg. Ne- Problemfälle zu liefern. ben den von ihr unterrichteten Welche Lerntipps würden Sie kom- Sprachen spricht sie Italienisch Das Buch wird beworben als pletten Anfängern mit auf den Weg und Holländisch sowie etwas „Selbstlernbuch“. Kann es wirklich geben? Bulgarisch, Französisch, Bosnisch, den Unterricht ersetzen? Kroatisch, Serbisch und Jiddisch. 2007 nahm sie die Gelegenheit Im Buch haben wir mehrere Seiten war, durch einen Intensivkurs Ein Selbstlernbuch und normaler Lerntipps gesammelt, aber ich den- an der Dongguk-Universität in Unterricht schließen einander nicht ke, das Wichtigste ist, dass man sich, Gyeongju zum ersten Mal tief aus. Sie können sich durchaus vor allem bei anfänglichen Schwie- in die koreanische Sprache und gegenseitig gut ergänzen. In so rigkeiten, nicht abschrecken lässt. Kultur einzutauchen. Ebenfalls seit diesem Jahr ist sie freiberuf- einem Fall kann das Selbstlernbuch lich als Autorin tätig, arbeitet an zum Nachlesen, Vertiefen, Ergänzen Gemäß dem koreanischen Sprich- Lehrbüchern mit, verfasst Unter- oder einfach zum weiteren Üben wort „서당개도 삼 년이면 풍월 richtsmaterialien und veröffent- eingesetzt werden. 을 읊는다“ [Seodang Gae-do Sam licht didaktische Fachartikel. An Nyeon-imyeon pungweol-eul eum- der Universität Regensburg gibt sie in unregelmäßigen Abständen Natürlich ist es fantastisch, wenn neunda], „Der Hund der Dorfschule Kurse in Deutsch als Fremd- man einen Lehrer hat, der indivi- kann nach drei Jahren dort auch sprache.

71 KULTUR KOREA KOREA IM ALLTAG

Grundzutaten (für 4 Personen) 500 g Oktopus (frisch oder gefroren) Somyun-Nudeln (oder japanische Somen-Nudeln) 2 kleine Zwiebeln 1 Zucchini 1 große Möhre 1 rote und 1 grüne Chilischote Speiseöl Geröstete Sesamkörner

Zutaten für die Sauce 3 EL Gochujang (고추장, koreanische Paprikapaste) 4 EL Paprikapulver 2 EL Sojasauce 1 TL Sesamöl 2 EL Mulyeot (물엿, koreanischer Maissirup) 1 TL gehackter Knoblauch Zucker Foto: Eun-Kyoung Cho Eun-Kyoung Foto:

REZEPT Gebratener Oktopus mit Somyun-Nudeln (scharf)

Von Eun-Kyoung Cho

Vorbereitung

- Frischen Oktopus mit Mehl und grobem Salz einreiben und gut auswaschen - Tiefgekühlten Oktopus auftauen - Oktopus ganz kurz (ca. 2 Sekunden) in kochendes Wasser geben, unter kaltem Wasser abspülen und in mundgerechte Stücke schneiden - Zwiebeln in Stücke oder ca. 1 cm dicke Streifen schneiden - Zucchini in eine Halbmondform schneiden - Möhre in ca. 1 x 3 cm große Rechtecke schneiden - Chilischoten in Ringe schneiden - Die Zutaten für die Sauce mischen und mit Zucker abschmecken

Zubereitung

- In einer tiefen Pfanne Öl heiß werden lassen und bei mittlerer Temperatur zunächst die Möhren- stücke kurz anbraten, dann Zwiebeln und Zucchini dazugeben und umrühren - Oktopus und die Sauce dazugeben und bei hoher Temperatur unter ständigem Umrühren gut anbraten (nicht zu lange anbraten, da sonst die Oktopusse zäh werden) - Chilischoten dazugeben und umrühren - Somyun-Nudeln nach Packungsanleitung kochen - Auf einer Platte die gebratenen Oktopusse und die gekochten Somyun-Nudeln anrichten und ggf. Sesamkörner darüber streuen

Tipp: Wer nicht so gerne scharf isst, kann in die Sauce weniger Paprikapaste und Paprikapulver, dafür aber mehr Sojasauce mischen.

72 KULTUR KOREA VERANSTALTUNGEN des Koreanisches Kulturzentrums - Vorschau Juli - September 2012 KURSE Veranstaltungsort für alle Kurse: Koreanisches Kulturzentrum, Leipziger Platz 3, 10117 Berlin Kontakt: Tel. 030/ 269 52-0

Sprachkurse Koreanisch Dienstag, 17.30 – 20.00 Uhr Anfänger: Mittwoch, 14.00 – 15.30 Uhr Zeit: 10.07. – 11.09.12 16.00 – 17.30 Uhr Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B Kursgebühr: EUR 30,00 für zehn Sitzungen Grundstufe 1A (1.Quartal: neuer absoluter (Student’s Book + Workbook) Start: seit dem 13.02.12 Anfängerkurs) Dozentin: Frau Paek-Un Chong Grundstufe 2A (2. Quartal) Unterrichtssprache: Koreanisch/ Englisch Mittwoch, 10.00 – 12.30 Uhr Dozentin: Frau Hyunjung Kim Ein Einstieg in die Kurse ist zurzeit nicht möglich, da Zeit: 11.07. – 12.09.12 Montag, 17.30 – 20.00 Uhr alle Plätze belegt sind. Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A Zeit: 09.07. – 10.09.12 (Student’s Book + Workbook) Kursbuch: Sogang Korean New Series 2A Danso (kleine Bambusflöte) und * Mindestteilnehmerzahl: 9 Personen (Student’s Book + Workbook) Daegeum (große Bambusflöte) Grundstufe 1A (1.Quartal: neuer absoluter Grundstufe 2B (2. Quartal) Anfängerkurs) Dozentin: Frau Hyunjung Kim Dozent: Herr Hong Yoo Dozentin: Frau Hyunjung Kim Donnerstag, 17.30 – 20.00 Uhr Dienstag, 19.00-20.30 Uhr Mittwoch, 17.30 – 20.00 Uhr Zeit: 12.07. – 13.09.12 Kursgebühr: EUR 30,00 pro Quartal Zeit: 11.07. – 12.09.12 Kursbuch: Sogang Korean New Series 2B Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A (Student’s Book + Workbook) Die Instrumente können im Koreanischen Kultur- (Student’s Book + Workbook) zentrum käuflich erworben werden. Mittelstufe 3B (2. Quartal) Danso: EUR 5,00 (aus Kunststoff) Grundstufe 1A (2.Quartal: Fortsetzung des Dozentin: Frau Paek-Un Chong Daegeum: ca. EUR 15,00 absoluten Anfängerkurses) Freitag, 17.30 – 20.00 Uhr Dozentin: Frau Paek-Un Chong Zeit: 13.07. – 14.09.12 Ein Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich. Montag, 17.30 – 20.00 Uhr Kursbuch: Sogang Korean New Series 3B Zeit: 09.07. – 10.09.12 (Student’s Book + Workbook) Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A Koreanisches Yoga (Student’s Book + Workbook) Gebühr für alle Sprachkurse: 40,00 Euro pro Quartal. Die Anmeldung erfolgt direkt bei den Kursleiterinnen * Dieser Kurs ist kein absoluter Anfängerkurs, sondern Dozentin: Seohee Jang per E-Mail vor Kursbeginn. ein Fortsetzungskurs vom absoluten Anfängerkurs des Hinweis: Der Kurs setzt den gesamten Juli aus Die Kursgebühr zahlen Sie bitte am ersten Kurstag in letzten Quartals. und beginnt wieder ab dem 01. August. bar direkt an die Kursleiterinnen. Grundstufe 1A (3.Quartal) Die Lehrbücher können die Kursteilnehmer bei Mittwoch: 18.00 – 19.00 Uhr (Figur-Yoga), Dozentin: Frau Paek-Un Chong www.seoulselection.com erwerben. 19.10 – 20.10 Uhr (Power-Yoga) Dienstag, 17.30 – 20.00 Uhr Weitere Informationen zu den Kursen erfragen Sie bitte Samstag: 11.00 - 12.00 Uhr (Balance-Yoga), per E-mail bei Frau Kim ([email protected]) bzw. bei Frau Zeit: 10.07. – 11.09.12 12.20 – 13.20 Uhr (Figur-Yoga) Chong ([email protected]). Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A Programm (Student’s Book + Workbook) Kalligrafie-Kurs 1. Balance-Yoga: Ausbalancierung des Körpers/ Grundstufe 1A (3.Quartal) für jeden geeignet Dozentin: Frau Paek-Un Chong 2. Figur-Yoga: figurformend/ Stärkung der Dozent: Zen-Meister Byong Oh Sunim Donnerstag, 17.30 – 20.00 Uhr Muskulatur Zeit: 12.07. – 13.09.12 Mittwoch, 18.00 - 20.00 Uhr Kursgebühr Kursbuch: Sogang Korean New Series 1A Kursgebühr: 30,00 Euro pro Monat; bei Teilnehmern, 1 Monat 3 Monate (Student’s Book + Workbook) die sich für eine dreimonatige Teilnahme am Kurs 1x/ Woche EUR 20,00 EUR 50,00 Grundstufe 1B (1. Quartal) entscheiden, reduziert sich die Kursgebühr für drei 2x/ Woche EUR 30,00 EUR 70,00 Dozentin: Frau Hyunjung Kim Monate auf 80,00 Euro. 3x/ Woche EUR 40,00 EUR 90,00 Freitag, 17.30 – 20.00 Uhr Ein Einstieg in den Kurs ist jederzeit möglich. Zeit: 13.07. – 14.09.12 Unterrichtssprache: Koreanisch/ Deutsch Kursbuch: Sogang Korean New Series 1B (Student’s Book + Workbook) Gayageum Der Einstieg in alle Yoga-Kurse ist jederzeit möglich. Mitzubringen: eine Yogamatte und bequeme Kleidung Grundstufe 1B (3. Quartal) Dozentin: Yujin Seong Kontakt: Tel. 030/7680-4759 (Seohee Jang) Dozentin: Frau Hyunjung Kim Mittelstufe: Montag, 17.00 – 18.30 Uhr

73 KULTUR KOREA VERANSTALTUNGEN des Koreanisches Kulturzentrums - Vorschau

AUSSTELLUNGEN / KONZERTE / SONSTIGES Koreanisches Kulturzentrum, Galerie Korea, Leipziger Platz 3, 10117 Berlin, Kontakt: Tel. 030/ 269 52-0

AUSSTELLUNGEN AB 07. SEPTEMBER für koreanische Instrumente Berlin & New York Neues Werk für Daegeum und Janggu Austauschausstellung der Koreanischen Kultur- von Cho Eun-Hwa zentren von Berlin und New York Zeit: 19.00 Uhr Vernissage: Freitag, 07.09.12, 18.00 Uhr Yoo Hong: Daegeum Ausstellungsdauer: 08.09. – 08.10.12 Chung Il-Ryun: Janggu, Moderation

KONZERTE SONSTIGES

12. JULI 31. JULI Baek Hyunju: Neue Musik für alte Instrumen- Einsendeschluss von Musik-Videos für den K-Pop-Contest des Koreanischen Kultur- te. Ein Komponistinnen-Porträt zentrums Zeit: 19.00 Uhr Gesucht werden drei Finalisten, unter denen Mitte August im Koreanischen Kulturzentrum in 02. AUGUST Berlin ein/e Gewinner/in gekürt wird. Näheres Jazz im Koreanischen Kulturzentrum wird noch auf der Webseite des Koreanischen Zeit: 19.00 Uhr Kulturzentrums bekannt gegeben werden Martin Zenker: Kontrabass (www.kulturkorea.de). Foto: Gisoo Kim Foto: Paul Kirby: Piano Von 30 weltweit ausgewählten Gewinnern BIS 28. JULI Jin Purem – Saxophon haben 15 die Gelegenheit, nach Korea zu reisen. Genähte Landschaften Kim Minchan: Schlagzeug In Kooperation mit K-Colors of Korea Gisoo Kim (k-magazin.com/de/) Einzelausstellung – Malerei mit Stickerei Adressaten: All diejenigen K-Pop-Fans, die singen und tanzen können Einzusenden: Musik-Video (bitte bei der Bewer- bung Namen, Alter und Wohnort angeben!) Einsendeadresse: Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung, Botschaft der Republik Korea -z.Hd. Herrn Yong-Min Cho Leipziger Platz 3 10117 Berlin oder per Mail: [email protected] Foto: Beikyung Lee Foto:

AB 10. AUGUST 13. SEPTEMBER Beikyung Lee Gespielt. Erklärt. Gespielt. Einzelausstellung - Media Art Gugak Lecture Concerts – alte und neue Musik Vernissage: Freitag, 10.08.12, 18.00 Uhr für koreanische Instrumente 2012 Ausstellungsdauer: 11.08. – 30.08.12 해설이 있는 전통음악과 창작국악 공연 Gugak Lecture Concerts – alte und neue Musik

74 KULTUR KOREA

der Koreanischen Kulturzentren Berlin und New York Annahme von Bewerbungen

Um die Vernetzung von in den USA und Deutschland tätigen koreanischen Künstler zu fördern und zu einer Weiterverbreitung der koreanischen Kultur beizutragen, planen die Koreanischen Kulturzentren Berlin und New York eine Austauschausstellung. Dafür wer- den noch Bewerbungen von koreanischen Künstlern entgegengenommen.

Ausstellungszeitraum:

07. September bis 08. Oktober 2012 (Berlin) 24. Oktober bis 30. November 2012 (New York)

Die Künstler verpflichten sich zur persönlichen Teilnahme an den Vernissagen in Berlin und New York. Adressaten: in Deutschland lebende koreanische Künstler und koreanische Studierende an deutschen Kunsthochschu- len (Höchstalter: 40 Jahre)

Bewerbungsfrist: bis zum 20. Juli 2012

Einzureichende Unterlagen: Lebenslauf Portfolio mit fünf bis zehn der auszustellenden Werke Aufenthaltsgenehmigung Kopie des Passes

Bewerbungsadresse: Koreanisches Kulturzentrum, Kulturabteilung, Botschaft der Republik Korea - z.Hd. Frau Soobin Ahn, Leipziger Platz 3, 10117 Berlin oder per Mail: [email protected]

Näheres zu den Ausstellungskonditionen erfahren Sie auf unserer Webseite www.kulturkorea.de oder bei Frau Soobin Ahn, Ausstel- lungskoordinatorin des Koreanischen Kulturzentrums in Berlin. Bitte nur schriftliche Anfragen. Telefonische Anfragen werden nicht entge- gengenommen.

75 KULTUR KOREA VERANSTALTUNGEN des Koreanisches Kulturzentrums - Rückblick

Wer Buchstaben sät … Von Bodo Hartwig

76 KULTUR KOREA as passiert, wenn „Der Fischer und seine haben in diesen zwei Tagen Erfahrungen gemacht, die Frau“ auf „Hungbu und Nolbu“ treffen? im Schulalltag eher selten gelingen: Sich dem Frem- Dann wachsen Riesenkürbisse voller den gestaltend anzunähern, und ein Werk gemeinsam Schätze und zerplatzen Luftschlösser wie herzustellen, welches Bestand hat und sich wahrlich WSeifenblasen. Diese alten Volkserzählungen von Glück sehen lassen kann, das hat alle Beteiligten glücklich ge- und Gier haben bis heute nichts an Bedeutung verloren, macht.“ Vom 2. bis zum 6. Juni dauerte die Ausstellung und sie sind weit über ihr Herkunftsland hinaus be- im Koreanischen Kulturzentrum, zu deren Vernissage kannt. Inzwischen weltweit in 160 Sprachen übersetzt, etwa 100 Gäste kamen. Vielen dämmerte angesichts findet sich das Märchen der Gebrüder Grimm ebenso der überdimensionalen Buchseiten und Kalligrafien, in koreanischen Schul- und Märchenbüchern wieder. was am Anfang noch wie ein Rätsel anmutete. In ihrer Und es könnte nicht besser zum Motto der diesjährigen Dankesrede brachte es Frau Eichinger auf den Punkt: Weltausstellung in Yeosu, „Lebendiger Ozean und leben- „Wie erstaunlich das Ergebnis sein kann, wenn man dige Küste“ passen, denn das Wissen um die Folgen von Kunst als Gemeinschaftsarbeit angeht, sieht man hier Egoismus und Maßlosigkeit, etwa im Umgang mit den an dieser Ausstellung. Ein Blatt ist noch kein Baum, und Ressourcen der Natur, ist der Schlüssel zu einer groß- ein Halm noch keine Wiese. Jetzt verstehen wir den Titel artigen und unbeschwerten Zukunft aller Menschen. des Projekts ‚Wer Buchstaben sät...‘, und wir können nun Zu Bescheidenheit und friedlichem Miteinander regt auch die Pünktchen im Titel ergänzen: ‚Wer Buchstaben auch die koreanische Geschichte der beiden ungleichen sät...‘ - der kann reichlich ernten.“ Brüder an, von denen der eine für die Inobhutnahme einer verletzten Schwalbe mit einem Glück bringenden Auch wenn den Kindern auf ihrem Weg zur Persönlich- Samenkorn belohnt wird. keitsbildung noch viele Pflänzchen wachsen müssen, steht doch eines fest: Das koreanische Samenkorn, das Beim Schulkunstprojekt „Wer Buchstaben sät...“ sind dank der Unterstützung des Berliner Projektfonds Kul- es dann auch die kleinen Dinge, die Großes entfalten turelle Bildung gesät wurde, ist durch dieses Projekt auf können. Noch nie zuvor hatten die 250 Viert- und einen fruchtbaren Boden gefallen. In ihren zahlreichen Fünftklässler der teilnehmenden Berliner Grundschulen Erlebnisberichten zeigen sich die Kinder sehr dankbar Gelegenheit, sich in Linolschnitt oder Kalligrafie zu pro- und wünschen sich mehr solcher Projekte. bieren. Gerne widmet sich die in Berlin lebende korea- nische Künstlerin Jainem Jeong, künstlerische Leiterin des Projektes, in ihrer Arbeit mit Kindern der Herstellung gemeinschaftlicher Werke, welche durch die Kreativität jedes Einzelnen eine ganz neue Dimension bekommen. Mit hoher Geschicklichkeit und Konzentration haben die Schüler an zwei Tagen die koreanische Geschichte auf Deutsch, Wort für Wort, ins Linoleum geschnitten und dann auf Reispapier gedruckt - oder das Märchen der Gebrüder Grimm, Silbe für Silbe, auf Koreanisch kalligrafiert. Hörbilder aus beiden zuvor als Hörspiel vorgetragenen Geschichten malten sie fantasievoll auf runde Leinwandplatten, die dann, wie Wassertropfen

hängend, zu einem Mobile installiert wurden. privat Foto: Bodo Hartwig lebt in Berlin und Über den Zeitraum von rund zwei Monaten kamen im arbeitet als freier Tonmeister und Rahmen des Projektes insgesamt 11 Schulklassen ins Autor für den öffentlich-rechtli- Koreanische Kulturzentrum, wo sie freundlich emp- chen Rundfunk. Seit 2007 reist er fangen wurden und eine aufregende Zeit verbrachten. regelmäßig zu Recherchezwecken und Tonaufnahmen nach Südko- Evelyn Eichinger, Kunstlehrerin an der Bernd-Ryke- rea. Die Geschichte von Hungbu Grundschule, ist begeistert: „Korea ist ganz schön weit und Nolbu hat er im Rahmen von Berlin entfernt; noch länger als die Luftlinie ist die des Schulkunstprojekts „Wer ‚gefühlte‘ Entfernung. Wie lange also brauchen unsere Buchstaben sät...“ als koreanisch- deutschen Kinder, um dieser fernen Kultur, ihrer Spra- deutsches Hörspiel produziert. che, ihrer Schrift näherzukommen? Ganze zwei Tage. Wir Fotos: Bodo Hartwig Fotos:

77 KULTUR KOREA BUNDESWEITE VERANSTALTUNGEN Juli - September 2012

JULI AUGUST SEPTEMBER KUNST KUNST KUNST

BIS 28. JULI AB 03. AUGUST BIS 09. SEPTEMBER Berlin Berlin Frankfurt/Main Vio Choe: Multiful Universe Contemporary Art: Ausstellung „Entdeckung Korea! Ort: LEE Galerie Berlin, Gruppenausstellung Schätze aus deutschen Museen“ Brunnenstr. 172, 10119 Berlin Hye-Ja, Kim Mi-Kyoung, Lee Keun- Zeit: 10.00 – 17.00 Uhr (Di, Do u. So) Kontakt: Tel. 030/ 4171 7973 Woo, Park Byoung-Hoon, Park Ort: Museum für Angewandte Minyoung, Park Young-Hak, Silvio Kunst, Schaumainkai 17, MUSIK Cattani, Udo Rein 60594 Frankfurt Zeit: 03.08. – 15.09.12 02. JULI Ort: LEE Galerie, BIS 16. SEPTEMBER Detmold Brunnenstr. 172, 10119 Berlin Kassel Künstlerische Masterprüfung Kontakt: Tel. 030/ 4171 7973 Musik der Komponistin Da Jeong Mit Young-A Kim, Klavier Choi bei der dOCUMENTA (13) Zeit: 19.30 Uhr 06. AUGUST Cantus Curatio VI (Healing Melody Ort: Konzerthaus, Detmold Usedom auf der Insel Usedom VI): indoor Feierliche Enthüllung der Bolljahn- Cantus Curatio VIII (Healing Melody 02. JULI Gedenktafel in dessen Heimat- VIII): outdoor Detmold stadt Usedom Installationskünstler Janet Cardiff & Künstlerische Prüfung Zum 150. Geburtstag des George Bures Miller Jung Eun Choi, Bachelor Lied- Begründers des Deutschunterrichts Ort: Obere Königstr. 15, begleitung in Korea 34117 Kassel Zeit: 19.30 Uhr Zeit: 15.00 – 17.00 Uhr www.daejeongchoi.com Ort: Detmolder Sommertheater Ort: Friedhof von Paske (Stadtteil von Usedom), Grabstätte Bolljahns BIS 16. SEPTEMBER Träger: Deutsch-Koreanische Gesell- Eberdingen-Nussdorf schaft (DKG) und die Stadt Usedom SURFACE: DIE POESIE DES Sprecher: Parlamentarischer MATERIALS Staatssekretär Hartmut Koschyk Die Sammlung Alison und Peter W. MdB und Michael Geier, deutscher Klein zeigt hochkarätige Werke der Botschafter a.D. (von 2003 – 2006 drei renommierten Künstler Chun als Botschafter in Korea tätig) Kwang Young, Gotthard Graubner und Anselm Kiefer. Im Mittelpunkt MUSIK der Ausstellung steht die Ausein- andersetzung der Künstler mit dem 26. AUGUST Thema der Materialität der Kunst. Blomberg Ort: KUNSTWERK Sammlung Alison Fingerstyle Acoustic Guitar und Peter W. Klein, Siemensstr. 40, u.a. mit Sungha Jung 71735 Eberdingen-Nussdorf Zeit: 19.00 Uhr Ort: Kulturhaus „Alte Meierei”, AB 21. SEPTEMBER Brinkstraße 22, 32825 Blomberg Berlin Kim Hyun-Kyung: Einzelausstellung Zeit: 21.09. – 17.11.12 Ort: LEE Galerie, Brunnenstr. 172, 10119 Berlin Kontakt: Tel. 030/ 4171 7973

8878 KULTUR KOREA IMPRESSUM

HERAUSGEBER Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea Leipziger Platz 3, 10117 Berlin www.kulturkorea.de

LEITER Gesandter-Botschaftsrat Jong Seok Yun

REDAKTION Gesine Stoyke Dr. Stefanie Grote

GESTALTUNG Setbyol Oh

MITARBEIT Jongmin Lee

KONTAKT Tel. (030) 269 52-0 Fax: (030) 269 52-134 E-Mail: [email protected]

Auflage: 3.500 Exemplare

DRUCK Pinguin Druck GmbH, Berlin

VERTRIEB Koreanisches Kulturzentrum Kulturabteilung der Botschaft der Republik Korea

Kultur Korea erscheint vierteljährlich als Print-, Digital- (PDF-Datei) und Online-Ausgabe unter: http://magazin.kulturkorea.de Bezug gratis über den Herausgeber.

Sämtliche, von Redaktionsseite erfolgten Übersetzungen sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht.

Haftungshinweis: Die Redaktion übernimmt keine Haftung für die Inhalte und Angaben der veröffentlichten Autorenbeiträge. Die Geltendmachung von Ansprüchen jeglicher Art ist ausgeschlossen.

Kontaktieren Sie uns bitte unter [email protected], falls Sie unser Kulturmagazin nicht mehr erhalten möchten.

79 KULTUR KOREA Zur Leserumfrage im vergangenen Quartal

Zunächst möchten wir uns ganz herzlich für Ihre rege Teilnahme an unserer Leserumfrage bedanken! 20 Teilnehmer wurden inzwischen ausgewählt und erhielten ein kleines Präsent.

Folgende Themen fanden auf der ‚Wunschliste‘ der Umfrageteilneh- mer besonders häufig Erwähnung:

• Politik, insbesondere die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea • Gesellschaft, v.a. lebendige Einblicke in den Lebensalltag von Koreanern in Korea und Deutschland • Bildungswesen: Schule und Studium • Kultur: Literatur, Film, K-Pop, traditionelle koreanische Kultur • Tourismus: Städteporträts und Vorstellung einzelner Regionen • Koreanische Küche • Umweltschutz, Flora und Fauna • Geschichtliche und wirtschaftliche Themen

Wir danken Ihnen für diese wertvollen Anregungen und werden versuchen, Ihre Themenwünsche weitgehend zu berücksichtigen. In dem Zusammenhang möchten wir jedoch noch einmal deutlich machen, dass es sich um ein Kulturmagazin handelt. Folgerichtig widmen wir uns Themen aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Bereich. Politische und wirtschaftliche Inhalte werden demzufolge leider keine Berücksichtigung finden bzw. höchstens am Rande berührt werden können.

Viele Leser wünschten sich auch mehr Veranstaltungstipps aus ihrer Region. Wir bitten um Verständnis, dass wir diesem Anspruch aufgrund des inhaltlichen Konzepts und der begrenzten personel- len Kapazitäten nur bedingt gerecht werden können. Sollten Sie Kenntnis von koreanischen Veranstaltungen in Ihrer Region haben, würden wir uns aber über entsprechende Hinweise freuen, die wir gern in die Übersicht mit aufnehmen, um sie anderen Lesern zugänglich zu machen.

Wir danken für Ihr Interesse und hoffen, Sie weiterhin zu unserer treuen Leserschaft zählen zu dürfen.

Ihre Redaktion Kultur Korea

80 KULTUR KOREA