NZZ am Sonntag 17. August 2014 Kultur 63 BegegnungmiteinemPhantom

Ein Jahr nach J. J. Cales Tod erweisen Stars wie und Mark Knopfler dem Lehrmeister mit einem eine Hommage. Sie erinnern damit an den grossen Musiker. Von Bänz Friedli

ieses Gesicht ist eine Land- ÍZ RU

schaft, tief zerfurcht. Mit- N LIA

tendrin, unter buschigen JU Brauen, stechen die blass- blauen Augen hervor, skep- Dtisch, hellwach. Sonst aber sitzt er gebückt auf dem hölzernen Stuhl, grummelt tief im Gaumen ein paar Worte, und doch tönt es wie Singen, anschwellend und abfallend: «I’m an old man, you know.» Ein Refrain, den er im Gespräch sieben-, achtmal wiederholen wird: Wissen Sie, ich bin ein alter Mann. Vorhin, als er auf der Bühne stand und seine uralten Lieder sang, bemerkte man die Fur- chen nicht. Jung wirkte er da und die Lieder – «Magnolia», «After Midnight» – so leicht, so unberührt, als hätte er sie erst am Nachmit- tag im Tourbus komponiert. Der greise Jüngling hiess J. J. Cale, und man rieb sich die Augen, ihn überhaupt vor sich zu haben. Als Musiker der Inbegriff von entspannter Rockmusik, war er als Mensch ein Phantom geblieben, berühmt dafür, unbekannt zu sein. Jahrzehntelang hauste er ohne Telefon in Wohnwagen, streunte durch

«Ich will nicht mysteriös sein. Ich habe den Starrummel bewusst vermieden, weil ich nie derjenige sein wollte, der vorne hinsteht.» die Südstaaten der USA, unfassbar, verschol- len. Rar seine Alben, noch rarer die Konzerte. Und jetzt hockt er hier, im weissen Shirt mit der Aufschrift «», in Jeans und Cowboystiefeln, trinkt Wasser, bestellt sich einen Westernburger mit Crevetten, Zwie- beln, Pfefferschoten, «you know, the real stuff», und einer Extraportion Frites. «Mister Cale gibt keine Interviews», hatte sein Agent am Telefon gesagt, «aber fahren Sie mal nach Santa Cruz, vielleicht spricht er mit Ihnen, bei ihm weiss man nie.» Man ist hingefahren, durch hügelige Kiefernwälder, und wirklich, Cale spricht. Und spricht. «Als ich 30 war, hätte ich nie gedacht, dass ich mit 65 noch Der Schüler mit seinem Lehrmeister: Eric Clapton und J. J. Cale beim Erscheinen ihres gemeinsamen «The Road to Escondido», 2006. am Leben sein würde. Aber soll ich mich pensionieren lassen und Golf spielen?» Im sehnigen Southern Slang redet er, kaut die Gut gemeint Santa Cruz, das Universitätsstädtchen das Werk selber, aufs Maximum reduziert. kompliziert einfach, einsilbig vielsagend. Worte und spuckt sie dann aus. Ein Dehnen südlich von San Francisco, ist voller braun Sie aufzublasen, wie die Adepten es nun tun, Cale singt mit halber Stimme, verknappt, und Zerhacken. «No way.» gebrannter Surfer und munterer Strassen- ist hinfällig. Cales allererste Zeile auf dem fasst das Leben in die Chiffre «Final Das war vor zehn Jahren. Letzten Sommer musikanten. Im Musikklub The Catalyst an ersten Album – und sie sollte Programm blei- destination: brown dirt». Seine Frauen – dann erlag J. J. Cale 74-jährig einem Infarkt, der Pacific Avenue, einer ehemaligen Werft- ben – lautete ja nicht «Sie nennen mich die zahlreich und vergessen. Seine Kinder – und zum ersten Todestag erweisen Eric Clap- halle, stimmt Cale kurz vor acht vor aller Sturmböe», sondern: «They call me the erwachsen und verstreut, mehr gab er nicht ton, Mark Knopfler und weitere Grössen ihm Augen sein Instrument, als wäre er ein Tech- breeze». Einem Hauch von Wüstenwind, preis. Nur ein kehliges Lachen: «Herumzi- mit dem Album «The Breeze» die Reverenz. niker, beginnt dann einfach zu spielen und einer Brise gleich wehten seine Lieder von geunern ist meine Natur.» Das ist einleuchtend, weil gerade Knopflers entfaltet binnen Sekunden schleichende der Bühne. Es war ihr Wesen. Pläne? «I don’t buy green bananas any Band Dire Straits ohne Cales Einfluss undenk- Sinnlichkeit. Cales atemlose, brüchige, hohe more», raunt er. «Ich plane nicht weiter als bar gewesen wäre und Clapton seine ganze Sprechsingstimme erzeugt Spannung, seine Seine Songs sangen andere 24 Stunden. Wenn ich morgen früh lebend Solokarriere dem Meister verdankt. Doch Gitarre hält stets mehr, als sie verspricht. Im «Catalyst» öffnet Cale, wenn er die Saiten erwache, spiele ich am Abend in Petaluma, ihre Interpretationen changieren zwischen Auf «The Breeze» Cale führt die Erotik der Zurückhaltung vor, flüchtig liebkost, weite Räume in den Köpfen Kalifornien.» Es ist nach Mitternacht. «You solide und eintönig, einzig John Mayer und (Universal) interpre- die Rhythmik der Langsamkeit, die Eindring- der Zuhörer. Wie alte Verbündete summen know, I’m an old man», wiederholt J. J. Cale, Willie Nelson setzen gesangliche Highlights, tieren Stars wie Eric lichkeit des Unaufdringlichen. sie jede Note mit. Cale tippt die ersten Töne nimmt das dicke gelbe Couvert mit der Gage und so bleibt das grösste Verdienst der klin- Clapton, Tom Petty «Entschuldigen Sie, Mister Cale», fragt von «Cocaine» an, bückt sich. Und während des Abends, hundert Hundertdollarscheine, genden Kopisten, dass sie mit ihrer CD das und Dire-Straits- man ihn danach, «mir scheint fast, Sie seien er am Verstärker schräubelt, huscht ein schleppt seinen grünen Fender-Verstärker Original in Erinnerung rufen: Cale, wie er Gitarrist Mark glücklich?» – «Mir geht’s gut, yeah!» – «Passt Lächeln über sein Gesicht. «Klar hängen dir von der Bühne, verstaut ihn im Bus, steigt damals in Santa Cruz jeden seiner Sätze mit Knopfler die Songs gar nicht zu Ihrem Image des übellaunigen die Songs, derentwegen du berühmt bist, ein. Und der Fahrer fährt los. Nach Petaluma, «Well, I think ...», «I mean ...», « ... and von J. J. Cale. Des- Hängers ...» – «Mag sein, dass ich grüblerisch zum Hals raus», wird er hinterher sagen. Kalifornien. stuff» ins Ungefähre zog, alles herunter- sen eigene Alben und wortkarg bin. Wer ein bisschen nach- «Aber du musst sie spielen. Ich arrangiere spielte. «Ich bleibe lieber im Hintergrund, ich bleiben unerreicht. denkt über die Welt, muss ja deprimiert sein. ‹Cocaine› ständig um, damit es frisch bleibt. bin Gitarrist, Songwriter, kein Frontmann. Aber mürrisch? Dieses Image ist mir zuwi- Mich stört nur, dass das Stück komplett miss- ANZEIGE Und kein besonders guter Sänger.» der», antwortet er. Wissend wohl, dass er es verstanden wurde. Es ist ein Song gegen den selber aufgebaut hat. «Mir geht es nicht Kokaingebrauch. Kokain tut dir nicht gut.» Erotik der Zurückhaltung darum, den mysteriösen, versponnenen Redet er aus Erfahrung? «Ich hatte meine Afamily affair since1908 Gelogen. Aber die Coolness ist nicht Pose, Typen zu geben. Aber ich habe den Star- wilden Jahre, jetzt bin ich ein alter Mann.» der Mann ist so. Eben hat er – 2004 war’s – rummel bewusst vermieden, weil ich nie Stets machten andere seine Stücke zu mit dem Album «To Tulsa and Back» an seine derjenige sein wollte, der vorne hinsteht», Hits: Lynyrd Skynyrd, Deep Purple, Allman vier ersten grandiosen LP aus den frühen sagt er. «Mir ist es recht, dass all meine schrä- Brothers, Johnny Cash, Santana. Allen voran: «EineZeitreise fürGross und Klein» Geschichte undgelebte Gegenwart siebziger Jahren angeknüpft. Und weil der gen kleinen Liedlein von anderen bekannt Eric Clapton. Störte es ihn nicht, dass Clap- in einem sehr persönlich geführten Hotel Klang natürlicher geriet denn je, ist das vier- gemacht wurden.» ton mit seinen Songs das grosse Geld mit5Sternen, aberohne Star-Allüren. zehnte sein bestes Album überhaupt. «You Wie kein anderer war Cale ein «musician’s machte? «Im Gegenteil, ich lebe von den Saisons: know», beantwortet er das Kompliment mit musician», von Kollegen als Vorbild verehrt, Tantièmen, die er mir einbringt. Als er 1971 06. Juni bis 19. Oktober2014 dem Vorwurf seiner ärgsten Kritiker, «für Synonym für den lässigen Gitarrenstil «laid mein ‹After Midnight› aufnahm, war ich 17. Dezemberbis 12. Apr10CAsNsjY0MDAx1TUyNDIxNQcAeQ6oJQ8AAAA= il 2015

mich tönen all meine Platten seit dreissig back». «J. J. Cale» wurde zum Genrebegriff. unbekannt, mausarm und 33-jährig in einem 10CFXKKQ6AQBAEwBfNpnuO5RhJ1hEEwa8haP6vCDhEuVrXjILP0raj7UnAQ5TqMSTDCgamKguhCacr6DPNqo1ap98XcKoG9PcIXOidJhbi2mFR7vN6AGlkAUlyAAAA Jahren gleich.» Ob das Album, aufgenommen «Mein Stil entstand nur, weil ich alte Blueser Geschäft, in dem du mit 20 schon als alt in Tulsa, eine Heimkehr in seine Geburts- nachahmte und ihren Klang nicht hinkrieg- giltst. Ich sass in einer Bar in Nashville, hörte stadt in Oklahoma bedeute? «Es gibt kein te», stapelt er tief. Sagt dann doch: «Das Pro- den Song am Radio, ging raus und kaufte mir Zuhause, y’know. Heimat besteht nicht aus blem meiner Nachahmer ist, dass sie nur einen Chevrolet.» Tischen, Stühlen, Küche und Schlafzimmer», nachahmen, statt einen eigenen Ausdruck zu Weisshaarige Hippies mit Rossschwanz brummelt er. «Musik ist meine Heimat.» Am entwickeln.» Und grinst: «Keiner spielt tanzen im «Catalyst» barfuss, an der Bar trin- liebsten hätte er «To Tulsa and Back» schlicht J. J. Cale wie ich.» ken schwere Kerle Bud light. Vorn tritt Cale, «Album Nummer 14» getauft, so, wie er frü- Deshalb bleibt es ein Missverständnis, wann immer er kann, aus dem Lichtkegel ins CH-7514 Sils-Maria (Engadin) here Platten «5», «8» und «10» betitelt hatte. Cales Songs auszustaffieren, denn seine Skiz- Bühnendunkel, musiziert im Schatten seiner 081 838 51 00, www.waldhaus-sils.ch «Aber die Plattenfirma liess mich nicht.» zen waren nicht Vorzeichnungen, sondern Band. Das Prinzip seiner Musik ist der : Familien Dietrich &Kienberger HHHHH