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TEXT IN BEWEGUNG. ZU PANTOMIME, TANZ UND FILM BEI HUGO VON HOFMANNSTHAL Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie im Fachbereich Neuere Philologien (10) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt am Main vorgelegt von Claas Junge aus Groß-Gerau Einreichungsjahr: 2006 2007 1. Gutachter: Prof. Dr. Andreas Thomasberger 2. Gutachter: PD Dr. Tanja Michalsky Tag der Promotion: 19. Juli 2006 2 Inhalt Einleitung 4 TEIL EINS: HOFMANNSTHALS SYSTEM DER KÜNSTE 10 Kapitel 1: Das Bild im Text: Die Briefe des Zurückgekehrten 13 Kapitel 2: Der Raum des Theaters 23 Hofmannsthal und die Theaterreform um 1900 23 „Das fließende Ich“ des Schauspielers 35 Kapitel 3: Einklang. Sprache und Musik 43 Zum Verhältnis von Wort und Ton – Hofmannsthal und Strauss 45 Programmatik und Selbstdeutung: Das Gespräch über ‚Die Ägyptische Helena’ 48 Kapitel 4: Das choreographische Gedicht - Tanz und Pantomime 55 Standbild. Moderner Bühnentanz zwischen Mimesis und Selbstbezüglichkeit 58 Über die Pantomime 66 Furcht. Gespräch zweier Tänzerinnen: Der Tanz als Metapher des Imaginären 70 Kapitel 5: Traumfabrik. Film als Hypostasierung des Imaginären 77 TEIL ZWEI: SZENARIEN FÜR PANTOMIME, TANZ UND FILM 93 Kapitel 6: Der erinnernde Körper 93 Zeit der Erinnerung: Der Triumph der Zeit 93 Achilles tanzt und erinnert sich: Achilles auf Skyros 107 Kapitel 7: Der Schüler: Mimesis oder die Kunst der Täuschung 113 Kapitel 8: Marionetten und Puppen 122 Der Tanz am Seil: Das fremde Mädchen und die Josephslegende 122 Die Macht der Musik und der Tanz der Puppen: Die grüne Flöte 133 Kapitel 9: Zwischen Leib und Seele: Amor und Psyche 150 Kapitel 10: Mythos - Mysterium - Vision: Die Pantomimen für Das Salzburger Große Welttheater 162 Kapitel 11: Kino und Literatur - Szenarien für den Film 177 Attraktion und Schaulust: Das fremde Mädchen als Film 178 Der Roman im Film – der Film als Roman: Daniel De Foe und Der Rosenkavalier 184 Schluss 197 Literaturverzeichnis 200 3 Einleitung „Wuchs dir die Sprache im Mund, so wuchs in die Hand dir die Kette: / Zieh nun das Weltall zu dir! Ziehe! Sonst wirst du geschleift.“ (D I, 189)1 In diese zwei Verse fasste Hugo von Hofmannsthal 1898 die Einsicht in die Notwendigkeit, eine Eigene Sprache auszubilden und sich sprechend der Welt zu vergewissern. Jedes Sprechen aber ist erfahrungsgemäß ein Sprechen von etwas, das uns (im Sprechen) nicht (an)gehört, und wird begleitet von der Hoffnung, es sprechend in Besitz zu nehmen, es sich anzueignen. Jeder Sprechende macht - auch wenn er von sich selbst spricht - mithin die Erfahrung, dass das Angesprochene im Gesprochenen selbst abwesend ist und unverfügbar bleibt: Der Name einer Sache ist nicht die Sache selbst.2 So wird jedes Sprechen zugleich zum An-Sprechen der Welt und gegen das Schweigen dieser Welt. Dieses Schweigen bildet die eigentliche Herausforderung des Sprechenden, denn: „Schweigen ist ein doppelter Nullpunkt der Sprache, aus dem das Sprechen stammt, in den das Sprechen mündet.“3 Mit der fundamentalen Defizienz des Sprechens und „Ambiguität des Schweigens“4 sieht sich auch Lord Chandos als erdichteter Autor von 1 Zur Zitierweise: Da der Band Ballette, Pantomimen, Filmszenarien (Bd. XXVII, Hrsg. v. G. Bärbel Schmid) der kritischen Ausgabe sämtlicher Werke Hugo von Hofmannsthals bis zur Fertigstellung dieser Arbeit noch nicht erschienen ist, zitiere ich in der Regel nach: Hugo von Hofmannsthal. Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Hrsg. v. Bernd Schoeller (GW X: und Ingeborg Beyer-Ahlert) in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a.M. 1879/80 (= Buchstaben- sigle [s. Literaturverzeichnis] mit röm. Band- und arab. Seitenzahl). Ferner: Hugo von Hofmannsthal. Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Hrsg. von Rudolf Hirsch, Clemens Köttelwesch u.a. (= SW mit röm.- Band und arab. Seitenzahl). Die im Text angeführte Band- und Seitenzahl gilt stets für alle unmittelbar vorhergehenden Zitate, solange keine anderen Angaben gemacht werden. 2 Oder in der zeichentheoretischen Variante: „Zeichen, die Objekte symbolisch repräsentieren, machen sie als abwesende präsent.“ In: Christiaan L. Hart Nibbrig: Rhetorik des Schweigens. Versuch über den Schatten literarischer Rede. Frankfurt a.M. 1981, S.45. 3 Dietmar Kamper, Christoph Wulf: Unterbrechung und Grenze. Einleitung. In: Dies.: Schweigen. Unterbrechung und Grenze der menschlichen Wirklichkeit. Berlin 1992, S.1. 4 Christoph Wulf: Präsenz des Schweigens. In: Ders./Kamper: Schweigen, S.7-16, Zitat S.7. 4 Hofmannsthals berühmtem Text Ein Brief konfrontiert. Über die fingierte Herausgeberschaft des Briefes, der ursprünglich als private Mitteilung das Schweigen seines Verfassers gegenüber seinem einstigen literarischen Mentor Francis Bacon rechtfertigen sollte, wird nun quasi öffentlich eine Haltung zur Sprache artikuliert, die nicht eigentlich deren Verlust beklagt, sondern vielmehr rhetorisch das Bedürfnis äußert, sie wieder ins Schweigen der Welt einmünden zu lassen.5 Chandos formuliert seine Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit der Sprache, das Individuum auszusprechen und die Welt kohärent darzustellen, dabei in einem äußerst kunstvollen und üppigen Sprachfluss, der das paradoxale Problem des Sprechenden dergestalt auch in der Form abbildet: die Frage nämlich, wie es möglich ist, in der Sprache über die Sprache zu reden. Chandos berichtet jedoch auch von Zuständen, in welchen er die Dinge seiner Umgebung, die „stummen und manchmal unbelebten Kreaturen“ in einer Weise animierend wahrnimmt, dass sein „beglücktes Auge auch ringsum auf keinen toten Fleck zu fallen vermag.“ (EGB, 469) Die „stumme Wesenheit“ (EGB, 470) der Gegenstände erschließt ihm in dieser Wahrnehmung eine Erfahrungsqualität, die angeblich in der Sprache nicht adäquat vermittelbar ist und die er dennoch zu versprachlichen versucht: „Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes und auch wohl kaum Benennbares, das in solchen Augenblicken, irgendeine Erscheinung meiner alltäglichen Umgebung mit einer überschwellenden Flut höheren Lebens wie ein Gefäß erfüllend, mir sich ankündet.“ (EGB, 467) In diesen Augenblicken wird ihm der Körper gleichsam zum „Erkenntnisorgan“6: „Es ist mir dann, als bestünde mein Körper aus lauter Chiffern, die mir alles aufschließen.“ (EGB, 469) Vermag der Körper momentan einen Weltzugang herzustellen, so bleibt das grundsätzliche Problem der Vermittlung gleichwohl bestehen, denn auch „die stummen Dinge […] sprechen“. Sie sprechen jedoch in einer Sprache, „von deren Worten“ dem fingierten Verfasser des Briefes „auch nicht eines bekannt ist“ (EGB, 472). Der sogenannte Chandos-Brief kann angesichts dieser Befunde zunächst als literarisches Dokument gelesen werden, das den Zusammenhang von 5 Vgl. Hart Nibbrig: Rhetorik des Schweigens, S.154ff. 6 Hart Nibbrig: Rhetorik des Schweigens, S.158. 5 Wahrnehmung, Körper und Sprache thematisiert sowie das vermittlungsbedürftige Verhältnis von Subjekt und sogenannter ‚Realität’. Fluchtpunkt der Überlegungen des Textes ist das Mediale als Konstitutionsbedingung von Ich und Welt. Schweigen als Ziel des Sprechenden und Schreibenden meint in diesem Zusammenhang demnach nicht das Ende von Kommunikation und Vermittlung. Das Sprechen, verstanden ganz allgemein als mediale Verknüpfung mit der Welt, erscheint unumgänglich. Aber im Zeichen der „Vervielfältigung und Ausdifferenzierung des Ästhetischen“7 und der Entwicklung neuer Medientechnologien wie dem Film um die Wende zum 20. Jahrhundert bieten sich Literaten wie Hofmannsthal, die in ihren Texten das Sprachproblem thematisieren, verheißungsvolle Aussichten auf neue oder zumindest erneuerte Vermittlungsweisen, die wortlos funktionieren und das Schweigen gewissermaßen zum Prinzip ihres Sprechens machen. Eines dieser vielsprechenden stummen Verfahren ist der Tanz, wie Gabriele Brandtstetter hinsichtlich Paul Valérys tanztheoretischer Schrift L’Ame et las Danse feststellte: "Am Horizont und im Spannungsfeld von Sprachkrisen und Wucherungen der Diskurse scheint die wortlose Kunst des Tanzes nicht nur eine Alternative zur Legitimationsfrage der Autoren - "Wer spricht?" - zu bieten. Mehr noch lockt Terpsichore die Dichter mit deren vielleicht höchster und verschwiegenster Sehnsucht: dem Begehren nach beredtem Schweigen. Der sprechende Augenblick der Auslöschung aller Zeichen, das Verstummen im emphatischen Sinn findet Gestalt im Phantasma des Tanzes."8 Ähnliches ließe sich auch von bildender Kunst, Musik und nicht zuletzt von Film und Pantomime behaupten.9 Hofmannsthal selbst konstatiert in Folge eines 7 Gabriele Brandstetter / Gerhard Neumann: Hugo von Hofmannsthal: Dichtung als Vermittlung der Künste. In: Freiburger Universitätsblätter, 112, Juni 1991, S.30. 8 Gabriele Brandtstetter: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde. Frankfurt a.M. 1995, S.287. 9 „Auf der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert hat sich dieser Konflikt zwischen Sprache und Wirklichkeit noch einmal krisenhaft verschärft, aus der Erfahrung mit dem brüchig gewordenen System der Sprache erwächst die Hinwendung zu anderen, gleichsam „unvermittelteren“ Ausdrucksformen wie denen des Körpers im Tanz, Pantomime und Theater, den Zeichenwelten der Musik und der bildenden Kunst.“ Brandstetter / Neumann: Dichtung als Vermittlung der Künste, S.30. 6 allgemeinen Überdrusses seiner Zeitgenossen an der Begriffssprache gelegentlich eine „verzweifelte Liebe zu allen Künsten […], die schweigend ausgeübt werden: die Musik, das Tanzen und alle Künste der Akrobaten und Gaukler“ (RA I, 479). Auch im (Sprech-)Theater des beginnenden Jahrhunderts vollzieht sich eine Wende zur Performanz