Plenarprotokoll 19/156

Deutscher

Stenografischer Bericht

156. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr. , Bundeskanzlerin ...... 19296 A neten , Lothar Dr. (AfD) ...... 19300 D Binding (Heidelberg), Dr. , , und Frank Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 19302 A Pasemann ...... 19295 A (FDP) ...... 19304 A Wahl der Abgeordneten Bettina Stark- Watzinger zum ordentlichen Mitglied des Ge- (CDU/CSU) ...... 19306 A meinsamen Ausschusses ...... 19295 B Dr. (DIE LINKE) ...... 19308 B Wahl der Abgeordneten Bettina Stark- Dr. (BÜNDNIS 90/ Watzinger zum stellvertretenden Mitglied DIE GRÜNEN) ...... 19310 B des Vermittlungsausschusses ...... 19295 B (Minden) (SPD) ...... 19312 A Wahl des Abgeordneten (Chemnitz) zum ordentlichen Mitglied und Sebastian Münzenmaier (AfD) ...... 19313 A des Abgeordneten zum (CDU/CSU) ...... 19314 B stellvertretenden Mitglied der Parlamentari- schen Versammlung des Europarates ...... 19295 B Bärbel Bas (SPD) ...... 19316 A Wahl des Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 19317 A zum ordentlichen Mitglied und des Abgeord- neten Karsten Möring zum stellvertretenden Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Mitglied des Kuratoriums der Stiftung DIE GRÜNEN) ...... 19317 C „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Dr. (CDU/CSU) ...... 19318 B Deutschland“ ...... 19295 C Dr. (fraktionslos) ...... 19319 B Wahl des Abgeordneten zum or- dentlichen Mitglied und des Abgeordneten Dr. (CDU/CSU) ...... 19320 A zum stellvertretenden Mit- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 19320 D glied des Stiftungsrates der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ ...... 19295 C Änderungen der Tagesordnung ...... 19295 D Tagesordnungspunkt 8: Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 b, 20 l, 21 e und Zusatzpunkt 12 ...... 19296 A a) Antrag der Abgeordneten , , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Klare und transpa- Tagesordnungspunkt 7: rente Kriterien für eine differenzierte Öffnungsstrategie Abgabe einer Regierungserklärung durch die Drucksache 19/18711 ...... 19321 D Bundeskanzlerin: Regierungserklärung zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Deutschland und Europa in Verbindung mit II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Zusatzpunkt 8: Zusatzpunkt 18: Antrag der Abgeordneten Dr. Anna Antrag der Abgeordneten , Christmann, Beate Walter-Rosenheimer, Katja Michael Theurer, Dr. , weiterer Dörner, weiterer Abgeordneter und der Frak- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rettungs- Selbstbewusstsein statt Abschottung – Für schirm Zivilgesellschaft – Jetzt Soforthilfe ein liberales Außenwirtschaftsrecht trotz für kleine und gemeinnützige Organisatio- Corona-Pandemie nen aufgrund der COVID-19-Pandemie Drucksache 19/18673 ...... 19329 C schaffen , Bundesminister BMWi ...... 19329 C Drucksache 19/18709 ...... 19322 A Hansjörg Müller (AfD) ...... 19330 D in Verbindung mit Markus Töns (SPD) ...... 19331 C Reinhard Houben (FDP) ...... 19332 C (DIE LINKE) ...... 19333 B Zusatzpunkt 20: Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN) ...... 19334 A Dr. , Claudia Müller, weite- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 19335 A rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Coronahilfen – So- Dr. (SPD) ...... 19336 A zialunternehmen in der Krise eine Chance geben Drucksache 19/18714 ...... 19322 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael Theurer (FDP) ...... 19322 B NEN: Entschieden europäisch handeln ge- Dr. (CDU/CSU) ...... 19323 A gen die Corona-Pandemie Drucksache 19/18713 ...... 19336 D (AfD) ...... 19324 B

Sören Bartol (SPD) ...... 19325 A in Verbindung mit (DIE LINKE) ...... 19325 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ Zusatzpunkt 10: DIE GRÜNEN) ...... 19326 C Antrag der Abgeordneten , Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 19327 C , Heike Hänsel, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exis- Dr. Eva Högl (SPD) ...... 19328 C tentielle Krise der EU überwinden – Wirt- schaft mit der EZB wiederaufbauen und Superreiche in die Pflicht nehmen Drucksache 19/18687 ...... 19337 A Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der in Verbindung mit CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Au- ßenwirtschaftsgesetzes und anderer Geset- Zusatzpunkt 19: ze Antrag der Abgeordneten Alexander Graf Drucksache 19/18700 ...... 19329 B Lambsdorff, , Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der in Verbindung mit Fraktion der FDP: Europa gegen Corona – 5 Punkte für eine europäische Antwort auf die Pandemie Drucksache 19/18695 ...... 19337 A Zusatzpunkt 9: Dr. (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, DIE GRÜNEN) ...... 19337 A , Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (CDU/CSU) ...... 19338 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Schlüsseltechnolo- Dr. (AfD) ...... 19339 A gien und europäische Souveränität im Zuge Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 19340 B der COVID-19-Pandemie schützen Drucksache 19/18703 ...... 19329 B Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 19341 A Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 19341 D in Verbindung mit Andrej Hunko (DIE LINKE) ...... 19342 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 III

Dr. Harald Weyel (AfD) ...... 19343 B n) Antrag der Abgeordneten , Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 19344 A , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion (FDP) ...... 19345 B der FDP: Zulassungsprozess von Pflan- Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 19345 C zenschutzmitteln rechtssicher und transparent ausgestalten (SPD) ...... 19346 A Drucksache 19/18603 ...... 19347 D o) Antrag der Abgeordneten Britta Katharina Dassler, (Südpfalz), Tagesordnungspunkt 20: , weiterer Abgeordneter und a) Erste Beratung des von den Fraktionen der der Fraktion der FDP: Alphabetisierung CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- durch Künstliche Intelligenz – Chance wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- für jeden rung des Bundespersonalvertretungsge- Drucksache 19/18604 ...... 19347 D setzes p) Antrag der Abgeordneten Niema Drucksache 19/18696 ...... 19347 A Movassat, , Dr. André Hahn, b) Erste Beratung des von den Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. , Katharina Dröge, DIE LINKE: Zur Bewältigung der Coro- Dieter Janecek, weiteren Abgeordneten na-Krise Justizvollzugsanstalten entlas- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, Gesundheit der Inhaftierten schüt- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zen zes zur insolvenzrechtlichen Abmilde- Drucksache 19/18682 ...... 19348 A rung der Folgen der COVID-19- q) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pandemie (COVID-19-Insolvenzfolgen- Möhring, , Gökay Abmilderungsgesetz) Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Drucksache 19/18681 ...... 19347 A Fraktion DIE LINKE: Reproduktive c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Rechte auch während der Corona-Krise rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- schützen – Beratungspflicht aussetzen zes zur Durchführung der Verordnung und Schwangerschaftsabbrüche absi- (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Ok- chern tober 2017 zur Durchführung einer Drucksache 19/18689 ...... 19348 A Verstärkten Zusammenarbeit zur Er- s) Antrag der Abgeordneten , richtung der Europäischen Staatsan- Dr. Manuela Rottmann, , waltschaft und zur Änderung weiterer weiterer Abgeordneter und der Fraktion Vorschriften BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Recht Drucksache 19/17963 ...... 19347 B und Justiz krisenfest gestalten d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 19/18712 ...... 19348 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- t) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- zes zur Haftung bei Unfällen mit Anhän- Uhl, Dr. Bettina Hoffmann, , gern und Gespannen im Straßenverkehr weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/17964 ...... 19347 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tscherno- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- byl und Fukushima nicht vergessen – rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Der Atomausstieg braucht Konsequenz zes zur Bekämpfung des Rechtsextre- in Deutschland und Engagement welt- mismus und der Hasskriminalität weit Drucksache 19/18470 ...... 19347 B Drucksache 19/18678 ...... 19348 B h) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas u) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Sattelberger, Katja Suding, Dr. Jens Uhl, , Dr. Bettina Hoffmann, Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneter und der Fraktion der FDP: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atomkraft Verlorenes Schuljahr vermeiden – und Klimaschutz Schnellstmöglich Online-Lernen Drucksache 19/18679 ...... 19348 B deutschlandweit aufbauen Drucksache 19/18221 ...... 19347 C in Verbindung mit j) Antrag der Abgeordneten Jörn König, , , weiterer Zusatzpunkt 11: Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Corona ins Abseits stellen – Sport vor a) Erste Beratung des von den Fraktionen den Auswirkungen der Krise bewahren CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, DIE LINKE Drucksache 19/18726 ...... 19347 C und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

brachten Entwurfs eines Gesetzes zur durch Anrechnungsfreistellung von Aussetzung des Anpassungsverfahrens Hinzuverdiensten beim Kurzarbeiter- gemäß § 11 Absatz 4 des Abgeordneten- geld gesetzes für das Jahr 2020 sowie zur Än- Drucksache 19/18718 ...... 19349 A derung des Abgeordnetengesetzes (An- o) Antrag der Abgeordneten , passungsverfahrensaussetzungsgesetz Jürgen Pohl, Jörg Schneider, weiterer Ab- 2020) geordneter und der Fraktion der AfD: Drucksache 19/18701 ...... 19348 B Häusliche Pflege stärken b) Antrag der Abgeordneten , Drucksache 19/18717 ...... 19349 B Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), p) Antrag der Abgeordneten Jens Beeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Michael Theurer, Johannes Vogel (Olpe), der FDP: Offizielle Stellungnahmen nur weiterer Abgeordneter und der Fraktion noch mit Gebärdensprachdolmetschung der FDP: Hilfestrukturen für Menschen Drucksache 19/17883 ...... 19348 C mit Behinderungen in der Corona-Pan- demie sichern g) Antrag der Abgeordneten Daniela Drucksache 19/18672 ...... 19349 B Kluckert, Frank Sitta, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Seamless Mobility innovativ ge- in Verbindung mit stalten – Vernetzt und digital in ganz Deutschland unterwegs Drucksache 19/18674 ...... 19348 C Tagesordnungspunkt 20: f) Erste Beratung des von der Bundesregie- h) Antrag der Abgeordneten Frank Schäffler, rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Christian Dürr, Dr. , weite- Gesetzes zur Änderung des Wasserhaus- rer Abgeordneter und der Fraktion der haltsgesetzes FDP: Corona-Moratorium zur Finanz- Drucksache 19/18469 ...... 19349 C marktbürokratie Drucksache 19/18671 ...... 19348 D in Verbindung mit i) Antrag der Abgeordneten Dr. , Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Tagesordnungspunkt 20: Fraktion der FDP: Corona-Krise – Aus- k) Antrag der Abgeordneten , gleichszahlungen im Gesundheitssystem , Roman Johannes Reusch, auf alle betroffenen Leistungserbringer weiterer Abgeordneter und der Fraktion ausweiten der AfD: Verfügbarkeit von medizin- Drucksache 19/18675 ...... 19348 D ischen Produkten über gewerbliche j) Antrag der Abgeordneten , Wettbewerbsrechte stellen Michael Theurer, , weiterer Drucksache 19/18724 ...... 19349 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Soforthilfe für pflegende Angehörige in Verbindung mit während der Covid-19 Pandemie Drucksache 19/18676 ...... 19348 D Tagesordnungspunkt 20: k) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer m) Antrag der Abgeordneten Udo Theodor Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Hemmelgarn, , Frank KE: Versammlungsfreiheit wiederher- Magnitz, weiterer Abgeordneter und der stellen Fraktion der AfD: Soforthilfen für Ver- Drucksache 19/18690 ...... 19349 A mieter gewerblich genutzter Räume und Flächen m) Antrag der Abgeordneten Sven Lehmann, Drucksache 19/18722 ...... 19350 A Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜND- in Verbindung mit NIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einem Coro- na-Aufschlag in der Grundsicherung das Existenzminimum sichern Tagesordnungspunkt 20: Drucksache 19/18705 ...... 19349 A r) Antrag der Abgeordneten Zaklin Nastic, n) Antrag der Abgeordneten Jörg Schneider, Heike Hänsel, , weiterer Ab- Jürgen Pohl, Ulrike Schielke-Ziesing, wei- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: terer Abgeordneter und der Fraktion der Wirtschaftssanktionen sofort beenden AfD: Corona-Krise – Selbsthilfe stärken Drucksache 19/18693 ...... 19350 B Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 V in Verbindung mit Bundesverfassungsgericht 2 BvR 2480/10, 2 BvR 421/13, 2 BvR 786/15, 2 BvR 756/16 und 2 BvR 561/18 Zusatzpunkt 11: Drucksache 19/18737 ...... 19351 D c) Antrag der Abgeordneten Jens Beeck, b)–d), f)–p) Beratung der Beschlussempfeh- , Michael Theurer, weiterer lung des Petitionsausschusses: Sammel- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: übersichten 510, 511, 512, 514, 515, Beschäftigung von schwerbehinderten 516, 517, 518, 519, 520, 521, 522, 523 Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt und 524 zu Petitionen sichern – Inklusionsbetriebe und andere Drucksachen 19/17850, 19/17851, Zweckbetriebe steuerlich nicht schlech- 19/17852, 19/17854, 19/17855, 19/17856, ter stellen als bisher 19/17857, 19/17858, 19/17859, 19/17860, Drucksache 19/18257 ...... 19350 C 19/17861, 19/17862, 19/17863, 19/17864 . 19352 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 11: a) Wahlvorschläge der Fraktionen der Zusatzpunkt 11: CDU/CSU und SPD: Wahl vom Deut- d) Antrag der Abgeordneten , schen Bundestag zu benennender Mit- , Dr. , wei- glieder des Deutschen Ethikrats gemäß terer Abgeordneter und der Fraktion der den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes AfD: Corona digital bekämpfen – För- Drucksache 19/18663 ...... 19353 C derprogramme im Bereich digitaler Ge- b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: sundheit und digitaler Pflege beschleu- Wahl vom Deutschen Bundestag zu nigen und ausbauen benennender Mitglieder des Deutschen Drucksache 19/18716 ...... 19351 A Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes in Verbindung mit Drucksache 19/18664 ...... 19353 C c) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP: Wahl eines vom Deutschen Bundestag Zusatzpunkt 11: zu benennenden Mitglieds des Deut- e) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, schen Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- des Ethikratgesetzes terer Abgeordneter und der Fraktion der Drucksache 19/18665 ...... 19353 D AfD: Corona digital bekämpfen – Inno- d) Wahlvorschlag der Fraktion DIE LINKE: vationspotentiale zur Vermeidung von Wahl eines vom Deutschen Bundestag Ansteckung und Unterstützung der Ge- zu benennenden Mitglieds des Deut- nesung konsequent ausschöpfen schen Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 Drucksache 19/18723 ...... 19351 B des Ethikratgesetzes Drucksache 19/18666 ...... 19354 A in Verbindung mit e) Wahlvorschlag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu benennenden Zusatzpunkt 11: Mitglieds des Deutschen Ethikrats ge- f) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, mäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Drucksache 19/18667 ...... 19354 A terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Corona digital bekämpfen – Deut- sches Elektronisches Melde- und Infor- Tagesordnungspunkt 17: mationssystem für den Infektionsschutz – Zweite und dritte Beratung des von der (DEMIS) zur Dokumentation und Über- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs wachung von Infektionskrankheiten un- eines Gesetzes zur Entlastung bei den verzüglich fertigstellen Heizkosten im Wohngeld im Kontext Drucksache 19/18721 ...... 19351 C der CO2-Bepreisung (Wohngeld-CO2- Bepreisungsentlastungsgesetz – WoG- CO2BeprEntlG) Tagesordnungspunkt 21: Drucksachen 19/17588, 19/18755 ...... 19354 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Ausschusses für Recht und Verbraucher- § 96 der Geschäftsordnung schutz zu den Streitverfahren vor dem Drucksache 19/18756 ...... 19354 B VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 19354 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Marc Bernhard (AfD) ...... 19355 C Zimmermann (Zwickau), , Matthias W. Birkwald, weiterer (SPD) ...... 19356 C Abgeordneter und der Fraktion DIE Daniel Föst (FDP) ...... 19357 D LINKE: Berufliche Weiterbildung stärken – Weiterbildungsgeld einfüh- (DIE LINKE) ...... 19358 C ren Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 19359 A Susanne Ferschl, Klaus Ernst, Fabio De Dr. (CDU/CSU) ...... 19360 A Masi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeit in der (AfD) ...... 19360 D Transformation zukunftsfest machen Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) ...... 19361 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Tagesordnungspunkt 13: Abgeordneter und der Fraktion DIE Antrag der Abgeordneten Sebastian LINKE: Arbeitslosenversicherung Münzenmaier, , René stärken – Arbeitslosengeld verbessern Springer, weiterer Abgeordneter und der Frak- – zu dem Antrag der Abgeordneten tion der AfD: Coronakrise bewältigen – So Susanne Ferschl, Sabine Zimmermann viel Freiheit wie möglich, nicht mehr Ein- (Zwickau), Matthias W. Birkwald, wei- schränkungen als nötig terer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/18738 ...... 19361 D DIE LINKE: Arbeitslosenversiche- Detlev Spangenberg (AfD) ...... 19361 D rung stärken – Arbeitslosengeld Plus einführen (CDU/CSU) ...... 19363 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlev Spangenberg (AfD) ...... 19363 D Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Dr. (FDP) ...... 19365 C Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, weite- (SPD) ...... 19366 C rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeits- Dr. André Hahn (DIE LINKE) ...... 19367 D losenversicherung zur Arbeitsversi- Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/ cherung weiterentwickeln DIE GRÜNEN) ...... 19368 C Drucksachen 19/17753, 19/16456, 19/15046, 19/15047, 19/17522, (CDU/CSU) ...... 19369 A 19/18753 ...... 19370 C

Hubertus Heil, Bundesminister BMAS ...... 19370 C Zusatzpunkt 13: Martin Sichert (AfD) ...... 19371 D a) – Zweite und dritte Beratung des von den (SPD) ...... 19372 D Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (CDU/CSU) ...... 19373 C Förderung der beruflichen Weiterbil- dung im Strukturwandel und zur Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 19374 B Weiterentwicklung der Ausbildungs- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) 19375 A förderung Drucksache 19/17740 ...... 19370 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 19375 D – Zweite und dritte Beratung des von der Dr. (SPD) ...... 19376 D Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Förderung (CDU/CSU) ...... 19377 C der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterent- wicklung der Ausbildungsförderung Drucksachen 19/18076, 19/18753 ...... 19370 A Tagesordnungspunkt 15: – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- mäß § 96 der Geschäftsordnung desregierung eingebrachten Entwurfs eines Drucksache 19/18754 ...... 19370 B Gesetzes zur staatlichen geologischen Lan- desaufnahme sowie zur Übermittlung, Si- b) Beschlussempfehlung und Bericht des cherung und öffentlichen Bereitstellung Ausschusses für Arbeit und Soziales geologischer Daten und zur Zurverfügung- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 VII stellung geologischer Daten zur Erfüllung (CDU/CSU) ...... 19401 A öffentlicher Aufgaben (Geologiedatenge- (CDU/CSU) ...... 19401 D setz – GeolDG) Drucksachen 19/17285, 19/18751 ...... 19379 C Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 19379 C Tagesordnungspunkt 18: Leif-Erik Holm (AfD) ...... 19380 D Antrag der Abgeordneten , Marcus Bühl, , weiterer Ab- (SPD) ...... 19381 C geordneter und der Fraktion der AfD: Keine Dr. Marcel Klinge (FDP) ...... 19382 C EU-gesteuerten Corona-Hilfen (DIE LINKE) ...... 19383 B Drucksache 19/18725 ...... 19402 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Peter Boehringer (AfD) ...... 19402 C DIE GRÜNEN) ...... 19384 A (CDU/CSU) ...... 19403 D (CDU/CSU) ...... 19384 D (FDP) ...... 19405 A Dr. (SPD) ...... 19385 D (SPD) ...... 19405 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 19407 A DIE GRÜNEN) ...... 19386 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Dr. Nina Scheer (SPD) ...... 19387 A DIE GRÜNEN) ...... 19407 D Otto Fricke (FDP) ...... 19408 B Tagesordnungspunkt 16: (CDU/CSU) ...... 19409 C Antrag der Abgeordneten , Fabio De Masi, , weiterer Ab- Zusatzpunkt 14: geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Antrag der Abgeordneten Christian Dürr, Schutzschirm für Kommunen in der Coro- Grigorios Aggelidis, , weiterer Ab- na-Krise geordneter und der Fraktion der FDP: Mit der Drucksache 19/18694 ...... 19387 D negativen Gewinnsteuer die Solvenz des Stefan Liebich (DIE LINKE) ...... 19387 D deutschen Mittelstands sichern (CDU/CSU) ...... 19388 D Drucksache 19/18669 ...... 19410 D (AfD) ...... 19390 A in Verbindung mit (SPD) ...... 19391 A (FDP) ...... 19391 D Zusatzpunkt 15: Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN) ...... 19392 B , Kay Gottschalk, weiterer (CDU/CSU) ...... 19393 A Abgeordneter und der Fraktion der AfD: (SPD) ...... 19394 A Steuerliche Sofortmaßnahmen zur Bewälti- gung der Corona-Krise Drucksache 19/18727 ...... 19410 D Tagesordnungspunkt 14: in Verbindung mit Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten mi- Zusatzpunkt 16: litärischen Krisenbewältigungsoperation Antrag der Abgeordneten Claudia Müller, im Mittelmeer EUNAVFOR MED IRINI Katharina Dröge, , weiterer Ab- Drucksache 19/18734 ...... 19395 A geordneter und der Fraktion BÜND- , Bundesminister AA ...... 19395 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Soforthilfen breiter aufstellen – Existenz von Selbstständigen (AfD) ...... 19396 C sichern und kleine Unternehmen bezu- Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 19397 A schussen Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 19397 C Drucksache 19/18706 ...... 19410 D Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) ...... 19398 A Christian Dürr (FDP) ...... 19411 A Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 19399 A Fritz Güntzler (CDU/CSU) ...... 19412 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 19399 C Albrecht Glaser (AfD) ...... 19413 C (BÜNDNIS 90/ (Heidelberg) (SPD) ...... 19414 D DIE GRÜNEN) ...... 19400 B Fabio De Masi (DIE LINKE) ...... 19416 B VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ Heimat zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla DIE GRÜNEN) ...... 19417 A Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, wei- Sebastian Brehm (CDU/CSU) ...... 19418 A terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Für eine offene, menschenrechtsbasierte und solidarische Asylpolitik der Europäischen Nächste Sitzung ...... 19419 C Union (155. Sitzung, 22.04.2020, Tagesordnungs- punkt 6 c) ...... 19421 A Anlage 1 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anlage 2 NEN) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Inneres und Amtliche Mitteilungen ...... 19421 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19295

(A) (C)

156. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ebenso auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU sol- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte len der Kollege Ansgar Heveling als Nachfolger der nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker zum ordentli- chen Mitglied und der Kollege Karsten Möring als Vor Eintritt in die Tagesordnung gratuliere ich nach- Nachfolger des Kollegen Ansgar Heveling zum stellver- träglich dem Kollegen Wilhelm von Gottberg zu seinem tretenden Mitglied des Kuratoriums der Stiftung 80. Geburtstag, den Kollegen Lothar Binding und „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- Dr. Diether Dehm zum 70. Geburtstag, der Kollegin land“ gewählt werden. Sie sind auch damit einverstan- Brigitte Freihold zum 65. Geburtstag und den Kollegen den? – Dann sind die Kollegen entsprechend gewählt. Josef Rief und zum 60. Geburtstag. Allen Kollegen alle guten Wünsche im Namen des gan- Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU vor, zen Hauses. den Kollegen Kai Wegner als Nachfolger des Kollegen (B) (D) (Beifall) – er ist immer noch aus Kleinsaara – zum ordentlichen Mitglied und den Kollegen Christian Hirte Jetzt müssen wir einige Wahlen durchführen. Die FDP- als Nachfolger des Kollegen Kai Wegner zum stellver- Fraktion schlägt vor, die Kollegin Bettina Stark- tretenden Mitglied des Stiftungsrates der „Stiftung Watzinger als Nachfolgerin des Kollegen Dr. Stefan Berliner Schloss – Humboldtforum“ zu wählen. Sie Ruppert zum ordentlichen Mitglied des Gemeinsamen stimmen auch dem zu? – Dann sind die beiden Kollegen Ausschusses gemäß Artikel 53a Grundgesetz zu wäh- gewählt. len. Stimmen Sie dem zu? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Kollegin Stark-Watzinger zum ordent- Jetzt dürfen Sie zu allen Wahlen allen Kollegen ent- lichen Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses gewählt. sprechend applaudieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall) – Machen Sie auch da einfach Sammelbeifall. Dann muss ich Sie darüber informieren, dass sich die (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Fraktionen verständigt haben, wegen der gesetzlichen Die Kollegin Bettina Stark-Watzinger soll auf Vor- Feiertage am Freitag, dem 1. Mai, und am Freitag, dem schlag der FDP-Fraktion als Nachfolgerin für den Kol- 8. Mai 2020, die Frist für die Einreichung der Fragen zur legen Dr. Stefan Ruppert zum stellvertretenden Mitglied mündlichen Beantwortung in der Sitzungswoche vom des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Ab- 4. Mai 2020 auf Donnerstag, den 30. April 2020, satz 2 Grundgesetz gewählt werden. Sie sind auch damit 10 Uhr, sowie in der Sitzungswoche vom 11. Mai 2020 einverstanden? – Dann ist sie auch zum stellvertretenden auf Donnerstag, den 7. Mai 2020, 10 Uhr, zu verlegen. Mitglied des Vermittlungsausschusses gewählt. Sie sind auch damit einverstanden? – Dann ist es so be- schlossen. Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU sollen der Kollege Frank Heinrich (Chemnitz) als Nachfolger des Interfraktionell sind folgende Änderungen der Tages- Kollegen Volkmar Vogel (Kleinsaara) zum ordentlichen ordnung vereinbart worden: In verbundener Beratung Mitglied und der Kollege Tankred Schipanski als Nach- mit dem Tagesordnungspunkt 8 soll der Antrag „Corona- folger des Kollegen Frank Heinrich (Chemnitz) zum hilfen – Sozialunternehmen in der Krise eine Chance stellvertretenden Mitglied der Parlamentarischen Ver- geben“ auf der Drucksache 19/18714 aufgerufen werden. sammlung des Europarates gewählt werden. Sie stim- Der Tagesordnungspunkt 14 soll nach Tagesordnungs- men auch dem zu? – Das ist der Fall, und die Kollegen punkt 16 und der Tagesordnungspunkt 17 nach Tages- sind entsprechend gewählt. ordnungspunkt 11 aufgerufen werden. 19296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Die Tagesordnungspunkte 8 b, 20 l, 21 e und der Zu- schränkt genau das ein, was unsere existenziellen Rechte (C) satzpunkt 12 sollen abgesetzt werden. Sie sind auch mit und Bedürfnisse sind – die der Erwachsenen genauso wie dem allem einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. die der Kinder. Eine solche Situation ist nur akzeptabel und erträglich, wenn die Gründe für die Einschränkungen Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf: transparent und nachvollziehbar sind, wenn Kritik und Abgabe einer Regierungserklärung durch die Widerspruch nicht nur erlaubt, sondern eingefordert und Bundeskanzlerin angehört werden – wechselseitig. Dabei hilft die freie Presse. Regierungserklärung zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie in Deutschland und Euro- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) pa Dabei hilft unsere föderale Ordnung. Dabei hilft aber Für die Aussprache im Anschluss an die Regierungs- auch das wechselseitige Vertrauen, das die letzten Wo- erklärung wurde eine Dauer von 90 Minuten beschlossen. chen hier im Parlament und überall im Land zu erleben war. Wie selbstverständlich sich die Bürgerinnen und Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat Bürger füreinander eingesetzt haben und sich einge- die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel. schränkt haben als Bürgerinnen und Bürger für andere, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- das ist bewundernswert. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: GRÜNEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir erleben ganz Lassen Sie mich Ihnen versichern: Kaum eine Ent- und gar außergewöhnliche, ernste Zeiten. Und wir alle, scheidung ist mir in meiner Amtszeit als Bundeskanzlerin Regierung und Parlament, unser ganzes Land, werden auf so schwergefallen wie die Einschränkungen der persön- eine Bewährungsprobe gestellt, wie es sie seit dem Zwei- lichen Freiheitsrechte. ten Weltkrieg, seit den Gründungsjahren der Bundesre- (Lachen bei Abgeordneten der AfD) publik Deutschland nicht gab. Es geht um nicht weniger als das Leben und die Gesundheit der Menschen. Und es Auch mich belastet es, wenn Kinder im Moment nicht geht um den Zusammenhalt und die Solidarität in unserer einfach ganz unbeschwert ihre Freundinnen und Freunde Gesellschaft und in Europa. treffen können und das so vermissen. Auch mich belastet es, wenn Menschen derzeit grundsätzlich nur mit einem (B) Ich stehe vor Ihnen als Bundeskanzlerin einer Bundes- weiteren Menschen außerhalb ihres eigenen Hausstands (D) regierung, die in den vergangenen Wochen zusammen spazieren gehen können und immer auf den so wichtigen mit den Bundesländern Maßnahmen beschlossen hat, Mindestabstand achten müssen. für die es kein historisches Vorbild gibt, an dem wir uns orientieren könnten. Wir haben Ihnen, dem Parlament, Auch mich belastet ganz besonders, was die Menschen Gesetzentwürfe zugeleitet und Sie um die Bewilligung erdulden müssen, die in Pflege-, Senioren-, Behinderte- von Finanzmitteln in einer Höhe gebeten, wie sie vor neinrichtungen leben. Dort, wo Einsamkeit ohnehin zum der Coronapandemie schlicht außerhalb unserer Vorstel- Problem werden kann, ist es in Zeiten der Pandemie und lungen lag. Ich danke von Herzen dafür, dass der Deut- ganz ohne Besucher noch viel einsamer. Es ist grausam, sche Bundestag wie im Übrigen ja auch der Bundesrat wenn außer den Pflegekräften, die ihr Allerbestes tun, unter schwierigen Umständen die gesetzlichen Maßnah- niemand da sein kann, wenn die Kräfte schwinden und men äußerst schnell beraten und beschlossen hat. ein Leben zu Ende geht. Vergessen wir nie diese Men- schen und die zeitweilige Isolation, in der sie leben müs- Wir leben nun seit Wochen in der Pandemie. Jeder sen. Diese 80-, 90-Jährigen haben unser Land aufgebaut. Einzelne von uns hat sein Leben den neuen Bedingungen Den Wohlstand, in dem wir leben, haben sie begründet. anpassen müssen, privat wie beruflich. Jeder von uns kann berichten, was ihm oder ihr besonders fehlt, beson- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, ders schwerfällt. Und ich verstehe, dass dieses Leben der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE unter Coronabedingungen allen schon sehr, sehr lange GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) vorkommt. Sie sind Deutschland genau wie wir, ihre Kinder und Niemand hört es gerne, aber es ist die Wahrheit: Wir Enkel. Und wir kämpfen den Kampf gegen das Virus leben nicht in der Endphase der Pandemie, sondern im- auch für sie. Ich bin deshalb auch überzeugt, dass die so mer noch an ihrem Anfang. Wir werden noch lange mit harten Einschränkungen dennoch notwendig sind, um diesem Virus leben müssen. Die Frage, wie wir verhin- diese dramatische Krise als Gemeinschaft zu bestehen dern, dass das Virus zu irgendeinem Zeitpunkt unser Ge- und das zu schützen, was unser Grundgesetz in das Zent- sundheitssystem überwältigt und in der Folge unzähligen rum unseres Handelns stellt: das Leben und die Würde Menschen das Leben kostet, wird noch lange die zentrale jedes einzelnen Menschen. Frage für die Politik in Deutschland und Europa sein. Durch die Strenge mit uns selbst, die Disziplin und Mir ist bewusst, wie schwer die Einschränkungen uns Geduld der letzten Wochen haben wir die Ausbreitung alle individuell, aber auch als Gesellschaft belasten. Die- des Virus verlangsamt. Das klingt wie etwas Geringes, se Pandemie ist eine demokratische Zumutung; denn sie aber es ist etwas ungeheuer Wertvolles. Wir haben Zeit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19297

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) gewonnen und diese wertvoll gewonnene Zeit gut ge- aufstellen, die sogenannten Containment Scouts, die dort, (C) nutzt, um unser Gesundheitssystem weiter zu stärken. wo besonderer Bedarf besteht, eingesetzt werden können. Dreh- und Angelpunkt aller Bemühungen im medizin- Von Anfang an hat die Bundesregierung sich auch dem ischen Bereich sind die Intensivstationen. Dort entschei- Thema der persönlichen Schutzausrüstung gewidmet. det sich das Schicksal für die am schwersten von Corona Die Versorgung mit diesen Gütern, insbesondere mit me- Betroffenen. Wir alle kennen die furchtbaren Berichte aus dizinischen Schutzmasken, ist schnell zu einer der zent- Krankenhäusern in einigen Ländern, die vom Virus ein ralen Aufgaben geworden, und nicht nur für uns, sondern paar Wochen lang schlicht überrannt waren. Dass es dazu für die ganze Welt. Denn ohne gesunde Ärztinnen und nicht kommt, das ist das schlichte und gleichzeitig so Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger nützen auch vorhandene anspruchsvolle Ziel der Bundesregierung. Ich danke un- Intensivbetten und Beatmungsgeräte nichts. serem Gesundheitsminister , aber auch den Gesundheitsministern der Länder, die so unermüdlich Die Lage auf den Weltmärkten für solches Material ist auf dieses Ziel hinarbeiten – und mit sichtbaren Erfolgen. angespannt. Die Handelssitten in den ersten Wochen der Pandemie waren, sagen wir mal, rau. Deshalb hat die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Bundesregierung, obwohl wir nach dem Infektions- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- schutzgesetz nicht zuständig sind, entschieden, die Be- ordneten der LINKEN) schaffung persönlicher Schutzausrüstung zentral zu ko- Wir haben die Anzahl der Beatmungsbetten deutlich ordinieren und die Waren dann an die Bundesländer ausgeweitet. Mit dem COVID-19-Krankenhausentlas- weiterzugeben. Ich danke auch den Unternehmen, die tungsgesetz haben wir sichergestellt, dass die Kranken- uns dabei mit ihrer Erfahrung geholfen haben. häuser die zusätzlichen Intensiversorgungskapazitäten (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem aufbauen können. So können wir heute feststellen: Unser BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Gesundheitssystem hält der Bewährungsprobe bisher ordneten der FDP) stand. Jeder Coronapatient erhält auch in den schwersten Fällen die bestmögliche menschenwürdige Behandlung. Die Pandemie lehrt uns: Es ist nicht gut, wenn Schutz- ausrüstung ausschließlich aus fernen Ländern bezogen Mehr als allen staatlichen Maßnahmen verdanken wir wird. Masken, die wenige Cent kosten, können in der das der aufopfernden Arbeit von Ärzten und Ärztinnen, Pandemie zu einem strategischen Faktor werden. Die von Pflegekräften und Rettungssanitätern, von so vielen Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union Menschen, die mit ihrem Fleiß und ihrer Tatkraft das arbeiten deshalb daran, auf diesem Gebiet wieder unab- ausmachen, was wir oft einfach „unser Gesundheitssys- hängiger von Drittländern zu werden. Deshalb bauen wir (B) (D) tem“ nennen. die Produktionskapazitäten für Schutzgüter in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, land und Europa mit Hochdruck aus. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn wir uns fragen, was uns zugutegekommen ist in GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) dieser ersten Phase der Ausbreitung des Virus, so sind Ihnen danken wir mit diesem Applaus, und in diesen das – neben den relativ vielen Intensivbetten – die hohen Dank möchte ich auch Soldatinnen und Soldaten der Testkapazitäten und das dichte Netz an Laboren. Die Bundeswehr einschließen, die an vielen Stellen helfen. Experten sagen uns: testen, testen, testen. – So gewinnen wir ein besseres Bild von der Epidemie in Deutschland, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP bekommen größere Klarheit über die Dunkelziffer der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Infektionen, können Pflegekräfte häufiger testen, um bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN) die Ansteckungsgefahr in Krankenhäusern und Heimen Eine vielleicht in der Öffentlichkeit weniger beachtete, zu senken. Deswegen haben wir die Kapazitäten für eine aber ebenso entscheidende Rolle im Kampf gegen die umfassende Testung schon kontinuierlich ausgebaut und Pandemie spielt der öffentliche Gesundheitsdienst. Fast werden sie weiter ausbauen. 400 lokale Gesundheitsämter sind das. Wenn es uns in Dennoch: Beenden können werden wir die Coronapan- den nächsten Monaten gelingen soll, das Infektionsge- demie letztlich wohl nur mit einem Impfstoff, jedenfalls schehen zu kontrollieren und einzudämmen, dann brau- nach allem, was wir heute über das Virus wissen. In chen wir diese Ämter in starker Verfassung, und ich sage: mehreren Ländern weltweit sind Forscher auf der Suche. in stärkerer Verfassung, als sie vor der Pandemie waren. Die Bundesregierung hilft mit finanzieller Förderung, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- damit auch der Forschungsstandort Deutschland dabei KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seine Rolle spielen kann. Genauso aber stehen wir auch sowie bei Abgeordneten der FDP) finanziell hinter internationalen Initiativen wie der Impfs- toffinitiative CEPI. Deshalb haben Bund und Länder gerade vereinbart, diesen Ämtern mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Auch für die Medikamentenentwicklung und für ein zu geben, damit sie zum Beispiel diese überaus wichtige – neues nationales Forschungsnetzwerk zu Covid-19 hat ja, ich sage: entscheidende – Aufgabe, nämlich die Kon- die Bundesregierung kurzfristig erhebliche Mittel zur takte eines Infizierten nachzuverfolgen, auch tatsächlich Verfügung gestellt. Das hilft Forschern und Ärzten an effektiv wahrnehmen können. Das Robert-Koch-Institut allen deutschen Universitätskliniken, Hand in Hand an wird darüber hinaus 105 mobile Teams aus Studierenden dieser Aufgabe zu arbeiten. Wir werden ja noch viele 19298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Studien brauchen, in der Zukunft auch Antikörperstu- den Abwägungsprozesses nach bestem Wissen und Ge- (C) dien. Dafür sind wir also gut gerüstet. wissen. Das gilt auch für die Entscheidungen zur Be- kämpfung der Coronapandemie, die ja von größter Doch Wissenschaft ist nie national. Wissenschaft dient Trageweite für das Wohlergehen der Menschen in unse- der Menschheit. Deshalb versteht es sich von selbst, dass, rem Lande sind. wenn Medikamente oder ein Impfstoff, gefunden, getes- tet, freigegeben und einsatzbereit sind, sie dann in aller In dieser so überaus wichtigen Abwägung, die sich Welt verfügbar und auch für alle Welt bezahlbar sein niemand, weder im Bund noch in den Bundesländern, müssen. leicht macht – das weiß ich –, bin ich bei der Bekämpfung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, des Coronavirus überzeugt: Wenn wir gerade am Anfang der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE dieser Pandemie größtmögliche Ausdauer und Disziplin GRÜNEN) aufbringen, dann werden wir in der Lage sein, schneller wieder wirtschaftliches, soziales und öffentliches Leben Ein Virus, das sich in fast allen Staaten ausbreitet, kann zu entfalten, und zwar nachhaltig, als wenn wir uns – auch nur im Zusammenwirken aller Staaten zurückge- gerade am Anfang – vor dem Hintergrund ermutigender drängt und eingedämmt werden. Für die Bundesregie- Infektionszahlen zu schnell in falscher Sicherheit wiegen. rung ist die internationale Zusammenarbeit gegen das Virus herausragend wichtig. Wir stimmen uns im Kreis (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem der Europäischen Union ab, genauso im Rahmen der G 7 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- und der G 20. ordneten der LINKEN) Mit der Entscheidung, den ärmsten 77 Staaten der Welt Wenn wir also am Anfang diszipliniert sind, werden alle Zins- und Tilgungszahlungen in diesem Jahr zu stun- wir es viel schneller schaffen, Gesundheit und Wirtschaft, den, konnten wir etwas Druck von diesen hart geprüften Gesundheit und soziales Leben wieder gleichermaßen Staatengruppen nehmen. Aber bei dieser Unterstützung leben zu können. Auch dann wird das Virus immer noch wird es natürlich nicht bleiben können. Für die Bundes- da sein; aber mit Konzentration und Ausdauer – gerade regierung ist die Zusammenarbeit mit den Staaten Afri- am Anfang – können wir vermeiden, von einem zum kas immer ein Schwerpunkt, und in der Coronakrise müs- nächsten Shutdown zu wechseln oder Gruppen von Men- sen wir sie noch verstärken. schen monatelang von allen anderen isolieren zu müssen und mit furchtbaren Zuständen in unseren Krankenhäu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sern konfrontiert zu sein, wie es in einigen anderen Län- SPD und der LINKEN) dern leider der Fall war. Je ausdauernder und konsequen- (B) Nicht nur in Afrika, aber gerade dort kommt es sehr auf ter wir am Anfang der Pandemie die Einschränkungen (D) die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation, WHO, an. ertragen und damit das Infektionsgeschehen nach unten Für die Bundesregierung betone ich: Die WHO ist ein drücken, umso mehr dienen wir nicht nur der Gesundheit unverzichtbarer Partner, und wir unterstützen sie in ihrem der Menschen, sondern auch dem wirtschaftlichen und Mandat. sozialen Leben, weil wir dann in der Lage wären, jede Infektionskette konsequent zu ermitteln und somit das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Virus zu beherrschen. Diese Überzeugung leitet mein der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Handeln. GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wenn wir uns hier in Ich sage Ihnen deshalb ganz offen: Ich trage die Be- Deutschland die neuesten Zahlen des Robert-Koch-Insti- schlüsse, die Bund und Länder am Mittwoch letzter Wo- tuts ansehen, dann zeigen die Indikatoren, dass sie sich in che getroffen haben, aus voller Überzeugung mit. Doch die richtige Richtung entwickeln, zum Beispiel eine ver- ihre Umsetzung seither bereitet mir Sorgen. langsamte Infektionsgeschwindigkeit, derzeit täglich mehr Genesene als Neuerkrankte. Das ist ein Zwischen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erfolg. Aber gerade weil die Zahlen Hoffnungen auslö- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sen, sehe ich mich verpflichtet, zu sagen: Dieses Zwi- SPD und der LINKEN) schenergebnis ist zerbrechlich. Wir bewegen uns auf Sie wirkt auf mich in Teilen sehr forsch, um nicht zu dünnem Eis, man kann auch sagen: auf dünnstem Eis. sagen: zu forsch. Wenn ich das sage, dann ändert das Die Situation ist trügerisch, und wir sind noch lange natürlich kein Jota daran, dass ich die Hoheit der Bundes- nicht über den Berg; denn wir müssen im Kampf gegen länder, die ihnen nach unserer grundgesetzlich festge- das Virus immer im Kopf haben: Die Zahlen von heute schriebenen föderalen Staatsordnung in vielen Fragen spiegeln das Infektionsgeschehen von vor etwa zehn bis zukommt, natürlich auch beim Infektionsschutzgesetz zwölf Tagen wider. Die heutige Zahl der Neuinfizierten aus voller Überzeugung achte. Unsere föderale Ordnung sagt uns also nicht, wie es in einer oder zwei Wochen ist stark. Damit hier kein Missverständnis entsteht, wollte aussieht, wenn wir zwischendurch ein deutliches Mehr ich das noch mal deutlich sagen. an neuen Kontakten zugelassen haben. Gleichwohl sehe ich es als meine Pflicht an, zu mah- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese Ge- nen, eben nicht auf das Prinzip Hoffnung zu vertrauen, legenheit nutzen, um noch einmal etwas ausführlicher zu wenn ich davon nicht überzeugt bin. So mahne ich in erläutern, was mir gerade Sorge bereitet. Natürlich sind diesem Sinne auch im Gespräch mit den Ministerpräsi- politische Entscheidungen immer Teil eines fortwähren- dentinnen und Ministerpräsidenten und auch in diesem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19299

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Hohen Hause: Lassen Sie uns jetzt das Erreichte nicht Wie drückt sich das praktisch aus? Zum Beispiel haben (C) verspielen und einen Rückschlag riskieren! wir mehr als 200 Patienten aus Italien, Frankreich oder den Niederlanden in deutschen Intensivstationen behan- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem delt. Wir haben medizinisches Material zum Beispiel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- nach Italien oder Spanien geliefert und neben unseren ordneten der LINKEN) Bürgern Tausende gestrandete andere Europäerinnen und Europäer aus aller Welt zurück nach Hause geholt – Es wäre jammerschade, wenn uns die voreilige Hoffnung dafür übrigens ein herzliches Dankeschön allen Mitarbei- am Ende bestraft. Bleiben wir alle auf dem Weg in die terinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt. Man nächste Phase der Pandemie klug und vorsichtig. Das ist glaubt gar nicht, wie viele Deutsche sich außerhalb der eine Langstrecke, bei der uns nicht zu früh die Kraft und eigenen Landesgrenzen befinden; aber wir konnten auch die Luft ausgehen dürfen. vielen anderen Europäern helfen. Danke dafür. Klar ist, dass wir erst einmal nicht zum Alltag, wie wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie ihn vor Corona kannten, zurückkehren können. Der All- bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und tag wird einstweilen anders aussehen, auch dann, wenn des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die derzeit beratenen digitalen Tracing-Modelle zum Ein- satz kommen können. Auch die strengen Abstandsregeln, Wir haben auch gemeinsam gehandelt, um dem massi- die Hygienevorschriften, auch die Kontaktbegrenzungen ven Einbruch der europäischen Wirtschaft zu begegnen. werden weiter dazugehören. Das betrifft beispielsweise Wir tun das mit einem Paket von Hilfsmaßnahmen für die Öffnung von Schulen und Kitas. Die Länder sind Unternehmen und Beschäftigte in Höhe von immerhin dabei, die schrittweise Öffnung der Schulen nun auch 500 Milliarden Euro , das unser Finanzminister Olaf ganz praktisch umzusetzen bzw. vorzubereiten. Da wird Scholz und die anderen Finanzminister in der Euro-Grup- es viel fantasievoller Tatkraft bedürfen. Ich danke heute pe vor zwei Wochen vereinbart haben. Jetzt geht es da- schon allen, die sich dafür zurzeit einsetzen. Ich weiß, rum, diese 500 Milliarden Euro auch wirklich verfügbar dass das sehr, sehr viele sind. zu machen; dafür wird auch der Deutsche Bundestag noch Beschlüsse fassen müssen. Ich würde mich freuen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem wenn wir sagen könnten: Zum 1. Juni ist das Geld auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- wirklich da. – Denn es geht hier um Hilfe für kleine und ordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Marco mittlere Unternehmen. Es geht hier um vorsorgliche Kre- Buschmann [FDP]) ditlinien, und es geht hier auch um Kurzarbeitergeld, für das einige Mitgliedstaaten vielleicht nicht die finanziel- Ich habe am Anfang von der größten Bewährungspro- (B) len Ressourcen haben, was aber Arbeitnehmerinnen und (D) be seit den Anfangstagen der Bundesrepublik Deutsch- Arbeitnehmer dort sehr helfen kann. land gesprochen. Das gilt leider auch für die Wirtschaft. Wie tief die Einbußen am Ende des Jahres sein werden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und wie lange sie anhalten, wann die Erholung einsetzt, Nun fordern einige unserer europäischen Partner – das können wir heute noch nicht seriös sagen; denn auch aber auch innerhalb der politischen Diskussion in das hängt natürlich von unserem Erfolg in der Auseinan- Deutschland ist das ein Thema –, angesichts der dersetzung mit dem Virus ab. schweren Krise gemeinsame Schulden mit gemeinsamer Haftung aufzunehmen. Diese Frage wird auch bei der Die Pandemie hat uns in einer Zeit gesunder Haushalte Videokonferenz des Europäischen Rates heute Nachmit- und starker Reserven getroffen. Jahre solider Politik hel- tag sicherlich wieder eine Rolle spielen. Nehmen wir an, fen uns jetzt. Es geht jetzt darum, unsere Wirtschaft zu die Zeit und der politische Wille zur gemeinsamen Ver- stützen und einen Schutzschirm für die Arbeitnehmerin- schuldung seien wirklich vorhanden: Dann müssten alle nen und Arbeitnehmer aufzuspannen. Millionen von An- nationalen Parlamente in der Europäischen Union und trägen für verschiedene Hilfsprogramme sind eingegan- auch der Deutsche Bundestag entscheiden, die EU-Ver- gen; Millionen von Menschen und Unternehmen haben bereits Geld erhalten. Wir konnten all diese gesetzlichen träge so zu ändern, dass ein Teil des Budgetrechts auf die europäische Ebene übertragen und dort demokratisch Maßnahmen schnell und mit überwältigender Mehrheit kontrolliert würde. Das wäre ein zeitraubender und beschließen. Unsere parlamentarische Demokratie ist schwieriger Prozess und keiner, der in der aktuellen Lage stark, sie ist leistungsfähig und in Krisenzeiten äußerst schnell. direkt helfen könnte; denn es geht jetzt darum, schnell zu helfen und schnell Instrumente in der Hand zu haben, die Auch gestern Abend haben wir im Koalitionsausschuss die Folgen der Krise lindern können. noch einmal weitere Maßnahmen beschlossen; Sie sind Es wird beim heutigen Europäischen Rat auch darüber darüber informiert. Doch all unsere Bemühungen auf na- beraten, wie wir in Europa in der Zeit nach den strengsten tionaler Ebene können letztlich nur dann erfolgreich sein, Einschränkungen gemeinsam vorgehen wollen. Wir wol- wenn wir auch gemeinsam in Europa erfolgreich sind. Sie len schnell in Europa handeln; denn wir brauchen natür- haben mich hier in diesem Haus oft sagen hören: lich Instrumente, um die Folgen der Krise in allen Mit- Deutschland kann es auf Dauer nur gut gehen, wenn es gliedstaaten überwinden zu können. auch Europa gut geht. – Mir ist es mit diesem Satz auch heute wieder sehr, sehr ernst. Ich halte es in diesem Zusammenhang erst einmal für wichtig, dass die Europäische Kommission jetzt und in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den nächsten Wochen fortlaufend prüft, wie die verschie- 19300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) denen Bereiche der Wirtschaft in Europa von der Krise ropa gilt, ist auch für uns in Deutschland das Wichtigste. (C) betroffen sind und welcher Handlungsbedarf sich daraus So paradox es klingt: In Wochen, in denen die Verhaltens- ergibt. Dies betrifft also auch die unmittelbare Hilfe für regeln uns weit auseinander gezwungen haben und Dis- die europäische Wirtschaft. Ein europäisches Konjunk- tanz statt Nähe nötig ist, haben wir zusammengehalten turprogramm könnte in den nächsten zwei Jahren den und durch Zusammenhalt gemeinsam geschafft, dass sich nötigen Aufschwung unterstützen. Deshalb werden wir das Virus auf seinem Weg durch Deutschland und Europa dafür auch arbeiten. immerhin verlangsamt hat. Das kann keine Regierung einfach anordnen. Auf so etwas kann eine Regierung In unseren heutigen Beratungen wird es noch nicht letztlich nur hoffen. Das ist nur möglich, wenn Bürger- darum gehen, bereits die Details festzulegen oder schon innen und Bürger mit Herz und Vernunft etwas für ihre über den Umfang zu entscheiden. Doch eines ist schon Mitmenschen tun, für ihr Land – nennen Sie es: für das klar: Wir sollten bereit sein, im Geiste der Solidarität über große Ganze. einen begrenzten Zeitraum hinweg ganz andere, das heißt deutlich höhere Beiträge zum europäischen Haushalt zu Mich macht das unendlich dankbar, und ich wünsche leisten. Denn wir wollen, dass sich alle Mitgliedstaaten in mir, dass wir auch so weiter durch diese nächste Zeit der Europäischen Union wirtschaftlich wieder erholen gehen. Sie wird noch länger sehr schwer bleiben. Aber können. gemeinsam – davon bin ich nach diesen ersten Wochen der Pandemie überzeugt – wird es uns gelingen, diese (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gigantische Herausforderung zu meistern: gemeinsam der SPD) als Gesellschaft, gemeinsam in Europa. Ein solches Konjunkturprogramm sollte allerdings von vornherein mit dem europäischen Haushalt zusammenge- Vielen Dank. dacht werden; denn der gemeinsame europäische Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie halt ist das seit Jahrzehnten bewährte Instrument solidari- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE scher Finanzierung gemeinsamer Aufgaben in der GRÜNEN) Europäischen Union.

Darüber hinaus werde ich heute darauf drängen, dass Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sich der Europäische Rat schon bald mit grundsätzlichen Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile als Erstem Fragen befasst: Wo müssen wir auf europäischer Ebene dem Fraktionsvorsitzenden der AfD Dr. Alexander noch enger zusammenarbeiten? Wo braucht die Europä- Gauland das Wort. ische Union zusätzliche Kompetenzen? Welche strategi- (B) schen Fähigkeiten müssen wir in Zukunft in Europa ha- (Beifall bei der AfD) (D) ben oder halten? Nicht nur bei der Finanzpolitik, der Digitalpolitik und beim Binnenmarkt könnten wir diese Dr. Alexander Gauland (AfD): Union vertiefen; auch in der Migrationspolitik, der Rechtsstaatlichkeit, der Europäischen Sicherheits- und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Krise Verteidigungspolitik oder beim Klimaschutz ist europä- ist die Stunde der Exekutive und zugleich die große Ver- ische Solidarität gefragt. suchung der Exekutive, den Staat als Vormund der Bürger zu etablieren. Frau Bundeskanzlerin, das ist offensicht- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, für lich nicht nur in Ungarn so. Mit ihrer Begriffsschöpfung uns in Deutschland ist das Bekenntnis zum vereinten „Öffnungsdiskussionsorgien“ hat die Bundeskanzlerin Europa Teil unserer Staatsräson. Das ist kein Stoff für eine Basta-Mentalität offenbart. Als Opposition betrach- Sonntagsreden, sondern das ist ganz praktisch: Wir sind ten wir es als unsere Pflicht, über Öffnungen und Alter- eine Schicksalsgemeinschaft. nativen zu diskutieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der AfD) Dies muss Europa jetzt angesichts dieser ungeahnten He- Die vergangenen Wochen haben eines deutlich ge- rausforderung der Pandemie beweisen. zeigt: Die weit überwiegende Mehrheit in unserem Land Diese Pandemie trifft alle, aber nicht alle gleich. Wenn geht mit der Ansteckungsgefahr sehr vernünftig und dis- wir nicht aufpassen, dient sie all denen als Vorwand, die zipliniert um. Die Menschen halten Abstand voneinan- die Spaltung der Gesellschaft betreiben. Europa ist nicht der, sie versammeln sich nicht, warten geduldig vor Europa, wenn es sich nicht auch als Europa versteht. Geschäften, viele tragen Mundschutz. Die Quarantäne- maßnahmen laufen längst selbstorganisiert. Der Staat ist (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) dabei weitgehend überflüssig. Europa ist nicht Europa, wenn es nicht füreinander ein- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der steht in Zeiten unverschuldeter Not. LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) GRÜNEN) Wir haben in dieser Krise auch die Aufgabe, zu zeigen, Es wird also Zeit, die Beschränkung der Grundrechte zu wer wir als Europa sein wollen. lockern und die Schutzmaßnahmen in die private Verant- wortung der Bürger zu überführen. Und so bin ich am Ende meiner Rede wieder beim Gedanken des Zusammenhalts angekommen. Was in Eu- (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19301

Dr. Alexander Gauland (A) Das kann natürlich nur mit Augenmaß und Intelligenz (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) funktionieren. NEN]: Ich denke, der Staat soll sich raushal- ten!) Die schrittweise Lockerung der Quarantänevorschrif- ten ist nicht nur wirtschaftlich geboten, sondern auch ge- könnte in den öffentlichen Verkehrsmitteln Masken- sundheitlich. Wir sind eine Gesellschaft, in der Überge- pflicht bestehen. Die Menschen sind vernünftig genug, wicht und Krankheiten des Kreislaufsystems die ihr persönliches Risiko einzuschätzen und sich gegensei- häufigsten Todesursachen sind. Wie wird diese Bilanz tig zu kontrollieren. aussehen, wenn Millionen Menschen sich monatelang Meine Damen und Herren, völlig unzumutbar ist aus eingesperrt fühlen? Wie geht es Krebskranken, deren Be- unserer Sicht, seinen Zweitwohnsitz nicht aufsuchen zu handlungen gestreckt werden? Wie geht es Menschen, die dürfen. Die Schriftstellerin Monika Maron – um ein Bei- mit Depressionen allein zu Hause sitzen? Wie viele psy- spiel zu nennen – erhielt ein Formblatt zugeschickt, in chische Erkrankungen kommen dazu bei denjenigen, de- dem die Gemeinde, in der die Berliner Autorin seit vielen ren Existenz durch die Quarantäne bedroht oder gar ver- Jahren einen Zweitwohnsitz unterhält, anordnet, sie habe nichtet ist? Wie viele Tote sind dadurch zusätzlich zu nicht nur ihr Haus, sondern gleich auch das Bundesland erwarten? Das sind Fragen, Frau Bundeskanzlerin, die Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen. Folge sie der kann man nicht einfach mit Diskussionsverboten wegwi- Anweisung nicht, werde umgehend Strafanzeige erstat- schen. tet. – Bitte schön, wo sind wir in diesem Lande ange- kommen, wenn so was möglich ist? (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Ulli Ich darf daran erinnern, dass Länder wie Südkorea, Nissen [SPD]) Taiwan und Singapur ohne Lockdown durch die Krise gekommen sind. Nicht das Einsperren der gesamten Be- Als eine der Freiheit der Bürger verpflichtete Partei völkerung ist die Lösung, sondern der Schutz der Risiko- gruppen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der AfD) lehnen wir die ersten Ansätze zur Bargeldabschaffung Meine Damen und Herren, wenn Bayern verkündet, ebenso ab wie die sogenannten Euro-Bonds. Das ist der das Oktoberfest ausfallen zu lassen, und Berlin am selben Punkt, wo wir sogar aufseiten der Bundeskanzlerin ste- Tag ankündigt, das Demonstrationsverbot für den 1. Mai hen. zu lockern, entsteht zu Recht der Eindruck in der Bevöl- (B) Meine Damen und Herren, von Otto von Bismarck (D) kerung, dass die Exekutiven einfach nicht wissen, was sie stammt die Beobachtung, tun. ( [DIE LINKE]: Das ist ja Ihr Kum- (Beifall bei der AfD) pel!) Wie wäre es beispielsweise, wenn die Regierung fest- dass er „das Wort ‚Europaʼ immer im Munde derjenigen legte, dass Rentner und Angehörige von Risikogruppen Politiker gefunden“ habe, „die von anderen Mächten et- separate Einkaufszeiten erhalten, zum Beispiel am Vor- was verlangten, was sie im eigenen Namen nicht zu for- mittag? Da die meisten Geschäfte inzwischen Einlassper- dern wagten“. – Wie wahr ist diese Beobachtung! sonal an ihre Türen gestellt haben, lässt sich das leicht (Beifall bei der AfD) realisieren. Warum dürfen Gaststätten und Biergärten nicht unter Auflagen öffnen? Das Virus hat auch der EU eine Lektion erteilt. Es hat der Union im Wortsinne ihre Grenzen aufgezeigt. In der ( [BÜNDNIS 90/DIE Krise ziehen sich die Menschen in die soliden und ver- GRÜNEN]: Der Staat soll doch nicht mehr da trauten Strukturen zurück. Das ist im Kleinen die Familie, sein!) im Großen der Nationalstaat. Eine Mehrwertsteuersenkung, sehr geehrter Finanzminis- Wir müssen als Abgeordnete die Frage diskutieren, ab ter, bei einem Nullumsatz ist überhaupt keine Lösung in wann die Maßnahmen gegen die Pandemie einen größ- dieser Frage. eren Schaden anrichten als die Pandemie selbst. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Auflagen könnten sein: Halbierung der Anzahl der Ti- Und wir werden diese Diskussion nicht aufgeben, Frau sche, um damit Distanz herzustellen, und Maskenpflicht Bundeskanzlerin; denn wir müssen die Verantwortung für für das Personal. das, was jetzt kommt, wieder in die Hände der Bürger legen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können so froh sein, dass Sie (Ulli Nissen [SPD]: Aber nicht in die der AfD!) nichts zu sagen haben, Herr Gauland!) Es ist nicht Aufgabe der Regierung, das ist Aufgabe der Bürger, hier zusammenzustehen. Wenn die Regierung es schafft, genügend Schutzmas- ken bereitzustellen, Ich bedanke mich. 19302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Alexander Gauland (A) (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Gott sprochen, wo vielleicht etwas noch nicht richtig (C) sei Dank ist die Rede vorbei!) funktioniert?

Ich nenne zum Beispiel ein Hamburger Unternehmen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: das erblindeten Menschen eine Berufsperspektive gibt, Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der SPD die Sehende an die Hand nehmen und durch ihre Welt Dr. Rolf Mützenich. der Erblindeten führen. Sie bekommen keine Hilfe von (Beifall bei der SPD) der KfW, weil wir zurzeit eben nur gewerbliche Unter- nehmen dazu ermächtigt haben, diese Hilfen auch in An- Dr. Rolf Mützenich (SPD): spruch zu nehmen. Und deswegen sage ich: Die Parla- mentarierinnen und Parlamentarier sind notwendig, um Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Korrekturen auf diesem Weg vorzunehmen. Kollegen! Meine Fraktion unterstützt die vorsichtigen und verantwortbaren Schritte, die die Bundesregierung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zusammen mit den Ministerpräsidentinnen und Minister- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- präsidenten in der vergangenen Woche auf den Weg ge- NISSES 90/DIE GRÜNEN) bracht hat. Es waren richtige und auch notwendige Schritte, die eine Stärkung der Eigenverantwortung, aber Zum Zweiten: Wir erleben vor Ort, dass junge Men- auch des Zusammenhalts dieser Gesellschaft abbilden. schen uns darauf ansprechen, dass sie jetzt ihren Prakti- kumsplatz verloren haben, den sie angenommen haben, Sie reflektieren etwas, was immer noch der dringenden um im Herbst dieses Jahres ihre Ausbildung zu beginnen. Beachtung bedarf, nämlich dass wir es schaffen, am Be- Sie vermuten, dass sie jetzt keinen Ausbildungsplatz be- ginn einer Pandemie ein intaktes Gesundheitswesen auf- kommen. Hier sage ich sehr klar: Wir müssen alles dafür rechtzuerhalten und nicht in der Mitte oder am Ende tun, dass die gemeinschaftliche Aktion für die jungen dieser Pandemie. Worauf es mir und meiner Fraktion Menschen, die wir in der Schule gut ausgebildet und für insbesondere ankommt, ist – ich vermisse oft diese Hin- eine Ausbildung gewonnen haben, gelingt und wir in weise –: Es geht um den Gesundheitsschutz der Arbeit- Zukunft zur Not auch mehr außerbetriebliche Ausbil- nehmerinnen und Arbeitnehmer in den Geschäften, in dungsplätze zur Verfügung stellen. Dafür brauchen wir den Betrieben, das Parlament. Ich bin sehr dankbar, dass wir sehr selbst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bewusst diese Fragen stellen. der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) und das wird man nicht von heute auf morgen schaffen der LINKEN) (D) können. Insofern sage ich sehr deutlich: Ja, diese Schritte sind verantwortbar, und sie sind eben auch angemessen. Das ist auch eine Voraussetzung dafür, dass Demokra- tie gelingt. Denn ich glaube, die Menschen erleben, was Auf der anderen Seite, finde ich, müssen wir – und wir dieser soziale und demokratische Rechtsstaat leistet: in haben hier im Deutschen Bundestag jetzt des Öfteren seiner großen Gemeinschaft, in diesem Raum, aber auch darüber gesprochen – es als beachtlich empfinden, wie darüber hinaus. Einparteienregierungen, Einpersonenre- stark die Bürger seit Wochen Solidarität üben, aber auch gierungen schaffen das eben nicht. Alle warten sozusagen den Anforderungen an den Selbstschutz nachkommen. auf die Entscheidung der Machtzentrale; wir haben es Vielleicht erinnern wir uns dann später auch an die klei- erlebt. Autoritäre Herrschaft ist nur an Eigennutz und nen Geschichten der Nachbarschaftshilfe. In meinem letztlich am Zurückdrängen der Opposition interessiert. Wahlkreis geht jemand mit einem Leierkasten durch die Deswegen bin ich stolz, dass dieses Deutschland, dass Straßen und spielt einfach Musik für die Menschen, die diese Gesellschaft keine antidemokratischen Reflexe sich zurzeit in ihren Wohnungen aufhalten und nicht be- zeigt, sondern im Gegenteil hinter diesem sozialen wegen können. All das sind, glaube ich, Dinge, die Mut Rechtsstaat steht, und Sozialdemokratinnen und Sozial- machen. demokraten wollen daran weiterhin mitwirken, meine Sie haben recht, Frau Bundeskanzlerin: Man muss sich Damen und Herren. mit den demokratischen Zumutungen auseinandersetzen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deswegen ist es richtig, dass sich viele in diesem Land, der CDU/CSU) viele Organisationen, letztlich auch viele Vereine, aber auch der Ethikrat, Juristinnen und Juristen, Medienver- In diesem Zusammenhang – das muss ich auch sagen – treter, die berechtigte Frage stellen, ob die Einschränkun- bin ich irritiert, dass einige doch immer wieder – das gen der Rechtsgüter verhältnismäßig sind. Diese Diskus- haben Krisen offensichtlich so an sich – die Krise nutzen, sion erreicht auch dieses Parlament. Vor diesem geplante Vorhaben oder eigene Interessen in den Vorder- Hintergrund sage ich: Ja, dieses Parlament ist notwendig, grund zu stellen. Hier sage ich: Es ist empörend und um diese Schritte zu gehen, um darüber zu sprechen, aber überhaupt nicht nachvollziehbar, dass Unternehmen, die eben auch Entscheidungen zu treffen. Die Kontrolle und um öffentliche Hilfe nachfragen, auf der anderen Seite das Selbstbewusstsein sind Voraussetzungen dafür, dass Dividenden oder Boni ausschütten wollen. Das ist nicht dieser demokratische Staat in seiner Gestalt erhalten akzeptabel, meine Damen und Herren. bleibt. Insofern sage ich sehr selbstbewusst: Die Parla- mentarierinnen und Parlamentarier sind die Ansprech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten partner vor Ort. Wer, wenn nicht wir, wird darauf ange- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19303

Dr. Rolf Mützenich (A) NISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marco Wir reden über die Verletzbarkeit bestehender Wert- (C) Buschmann [FDP]: So ist das halt!) schöpfungsketten. Wir wollen, dass das Risikomanage- Ich erinnere zum Beispiel an ein Unternehmen wie die ment offengelegt wird. Ja, in der Tat, wir erleben, dass Lufthansa, die im Schatten dieser Krise einen kleinen diese Lieferketten auf existenzielle Krisen offensichtlich Zweig, nämlich die Germanwings, liquidiert hat. Ich fin- keine Antwort geben. Deswegen bitte ich Sie: Lassen Sie de, das ist ein Weg, den wir genauso öffentlich anpran- uns zusammensitzen und überlegen, wie wir das, was wir gern müssen wie manches Fehlverhalten oder antidemo- schon im Koalitionsvertrag niedergelegt hatten, nämlich kratische Reflexe, die teilweise leider auch aus diesem das Lieferkettengesetz, auf den Weg bringen. Hause hier kommen. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Möglicherweise bietet dieses Lieferkettengesetz auch die Chance, dieses Risikomanagement und die Frage Zum Dritten – das werde ich meinem Koalitionspart- besserer Lieferketten gesetzlich zu regeln. Ich glaube, ner nicht ersparen können –: Dass wir in dieser Woche meine Damen und Herren, darauf kommt es an. nicht über die Grundrente sprechen können, ist für uns nicht hinnehmbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, meine Fraktion unterstützt Sie Wir werden das weiterhin einfordern. Sie können nicht in den Aussagen, dass es Deutschland nur gut geht, wenn auf der einen Seite Balkonreden für die systemrelevanten es Europa gut geht. Deswegen sind die ersten Schritte, die Berufe halten, die eben nur kleine Einkommen haben und gemacht worden sind, genau die richtigen Schritte, die für die wir die Grundrente auf den Weg bringen wollen, eben auch wirken können. Aber das heißt nicht, dass ihnen aber auf der anderen Seite eine gesetzliche Bera- wir aufhören dürfen. Das heißt, dass wir weitere Antwor- tung dieses Vorhabens vorenthalten. Deswegen sage ich: ten geben müssen. Und ja, es wird ein schwieriger, ein Wir wollen, dass der Gesetzentwurf für diese Grundrente herausfordernder Prozess sein. Wenn die Gemeinschafts- in der nächsten Sitzungswoche hier im Parlament gelesen bildung und die Fiskalunion gelingen, werden wir natür- wird, meine Damen und Herren. lich auch über neue Instrumente nachdenken müssen und darüber, wie wir sie auf den Weg bringen. Ich glaube, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten insbesondere in einer Krise, wo es nicht darum geht, ob der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE man falsch gewirtschaftet hat, sondern in der man eben GRÜNEN) (B) durch diese Pandemie unverschuldet herausgefordert ist, (D) Auch wenn wir wissen, dass uns diese Pandemie noch ist der richtige Zeitpunkt, diese notwendigen Fragen zu einige Zeit im Griff haben wird, lohnt es sich trotzdem, stellen, meine Damen und Herren. über die Zukunft nachzudenken. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Konjunkturprogramme und vieles an- (Beifall bei der SPD) dere gesprochen. Ich sage: Ja, wir müssen zurzeit auf die aktuelle Krise reagieren, aber bereits darüber nachden- Zum anderen will ich sagen: Die Pandemie hat auch ken, was wir in den nächsten Wochen und Monaten tun gezeigt, dass es reale Feinde gibt – für die ganze Mensch- werden, um sozusagen den Motor wieder anlaufen zu heit. Deswegen lohnt es sich vielleicht auch mal, innezu- lassen. Angesichts der alten, altmodischen Diskussion halten und darüber nachzudenken, ob es überhaupt noch über Steuersenkungen, die wir gerade erleben, frage ich angemessen ist, diesen wahnwitzigen Rüstungswettlauf, mich manchmal: In welcher Welt leben diejenigen, die diese unglaublich großen Milliardensummen an Euro für diese Frage ansprechen? Militärausgaben zu akzeptieren.

(Lachen bei der FDP – Sebastian Münzenmaier (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem [AfD]: Haben Sie doch heute Morgen be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schlossen!) Denn Menschen stellen sich zurzeit überhaupt nicht die Ich sage: Wenn sich der demokratische und soziale Frage, ob sie mit einer niedrigeren Einkommensteuer Rechtsstaat in dieser Krise als die richtige Regierungs- vielleicht besser über die Runden kommen, sondern sie form beweist, warum können dann nicht Demokratien fragen: Habe ich noch Arbeit, um überhaupt Einkommen- gleichzeitig den notwendigen Impuls für das friedliche steuer zahlen zu können? Miteinander geben? Ich bin überzeugt, dass eine soziale und gesunde Zukunft nur dann gelingt, wenn wir gleich- (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. zeitig Feindschaften abbauen. Um Gutes zu tun, müssen Dr. Marco Buschmann [FDP]) wir beides schaffen: die aktuelle Krise bewältigen und Und deswegen sage ich: Wir müssen uns auf den Weg unseren Grundsätzen treu bleiben. machen, um unter diesen Bedingungen auch in Zukunft eine Förderung innovativer Techniken und Geschäftsmo- Vielen Dank. delle auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ein weiterer Punkt ist – auch darauf möchte ich meinen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Koalitionspartner und die Bundesregierung ansprechen –: GRÜNEN) 19304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: duktionsquote. Erst sollten 60 bis 70 Prozent kontrolliert (C) Nächster Redner ist der Vorsitzende der FDP-Fraktion, infiziert und dann immun werden, heute geht es um die Christian Lindner. absolute Eindämmung. (Beifall bei der FDP) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! – Zurufe von der Christian Lindner (FDP): SPD) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Masken waren erst unnötig, dann – – Covid-19-Pandemie war, die Covid-19-Pandemie ist eine unbekannte Herausforderung, die unser Land nahezu un- (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) vorbereitet getroffen hat. Deshalb haben wir hier in die- – Ich rede nur über die Politik der Regierung, nicht über sem Parlament in großer Einmütigkeit einschneidende meine Haltung. Ich bin noch dabei, zu referieren, Kolle- Maßnahmen gemeinsam beschlossen. Wir haben unser ginnen und Kollegen. Land heruntergefahren. Wir haben Grundrechte, Grund- freiheiten eingeschränkt wie zu keinem Zeitpunkt zuvor (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- in der Geschichte unseres Landes. Das haben wir Freie NIS 90/DIE GRÜNEN) Demokraten mitgetragen. Ja, teilweise haben wir sogar Masken waren erst unnötig, dann waren sie Viren- dazu ermuntert, kontrolliert das gesellschaftliche und schleudern, dann waren sie eine Höflichkeitsgeste, dann wirtschaftliche Leben herunterzufahren. waren sie ein dringendes Gebot, und heute gibt es eine Nun sind einige Wochen ins Land gegangen. Nun wis- Maskenplicht. Ich werfe das niemandem vor, verehrte sen wir mehr. Nun ist das Land weiter. Der Gesundheits- Anwesende. schutz ist unzweifelhaft eine Aufgabe für die staatliche (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortungsgemeinschaft. Es gibt eben Dinge, die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und gehen über die Möglichkeit der individuellen Verantwor- der SPD) tungsübernahme hinaus, Herr Gauland. – Lachen Sie nur! Anhören müssen Sie es sich trotzdem. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Aber das fällt schwer!) Aber die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Zustan- des insgesamt und die Zweifel an der Geeignetheit ein- Ich werfe das niemandem vor. Aber eins ist doch er- zelner Maßnahmen sind ebenfalls gewachsen. Und weil sichtlich: Viele Entscheidungen sind nicht gesicherte Er- (B) die Zweifel gewachsen sind, Frau Bundeskanzlerin, endet kenntnis, sind nicht zur Wahrheit geronnene Forschung, (D) heute auch die große Einmütigkeit in der Frage des Kri- senmanagements. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: NRW-Landesregierung!) (Beifall bei der FDP) sondern sind politische Entscheidung, und als solche kön- Sie haben vielfach, Frau Merkel, von Vorsicht gespro- nen und müssen sie hier diskutiert werden. chen und auch heute hier den Eindruck erweckt, wer Ihren Gedanken von Vorsicht nicht teilt, müsse sich Fahr- (Beifall bei der FDP) lässigkeit oder Leichtfertigkeit vorwerfen lassen. So auch Ich bedaure in diesem Zusammenhang das Wort „Dis- am Montag in Ihrer öffentlichen Stellungnahme. Das sind kussionsorgien“. aber nur scheinbar Alternativen: Vorsicht und Leichtsinn. Freiheit und Gesundheit dürfen wir nicht und müssen wir (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE auch nicht gegeneinander ausspielen. Das Land ist weiter. GRÜNEN]: In Nordrhein-Westfalen gibt es noch weniger!) Hier ist von allen Rednern heute – und nicht nur heute – unterstrichen worden, wie verantwortungsbewusst und Dahinter steht ein anderes Bild von den Menschen, als solidarisch die Menschen sind – Gott sei Dank. Versor- wir es haben. Die Menschen werden durch politische gungsengpässe werden bekämpft. Die öffentlichen Ge- Debatten nicht verunsichert, sondern eher bestärkt, dass sundheitsämter und auch das Gesundheitswesen insge- mit ihren Interessen und Einschätzungen sorgfältig um- samt haben ihre Kapazitäten erhöht. Also: Das Land ist gegangen, dass sorgfältig abgewogen wird. Der Staat ist weiter, und deshalb, Frau Bundeskanzlerin, muss jetzt immer begründungspflichtig, wenn er Grundfreiheiten darüber gesprochen werden, wie wir Gesundheit und einschränkt. Deshalb muss darüber diskutiert werden. Freiheit besser vereinbaren als in den vergangenen Wo- (Beifall bei der FDP) chen. Es ist jetzt möglich. Tatsächlich beklagen Beobachter wie der Politikwis- (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Da senschaftler Wolfgang Merkel – zufällige Namensähn- bin ich gespannt!) lichkeit – oder der Philosoph Julian Nida-Rümelin, dass – Ich komme dazu. wer in unserem Land über Öffnung diskutieren will, min- destens unter einen moralischen Rechtfertigungsdruck Die wissenschaftlichen Grundlagen für die Regie- gerät. Gott sei Dank haben wir eine unabhängige Justiz. rungspolitik haben sich ja regelmäßig verändert. Erst Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass in der ging es um die Verdopplungszahlen, dann um die Repro- Covid-19-Pandemie das Versammlungsrecht nicht ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19305

Christian Lindner (A) fach pauschal eingeschränkt werden kann, und das Land- Wohlstand und Freiheit, und das ist nicht länger hinnehm- (C) gericht Hamburg hat die unsinnige 800-Quadratmeter- bar. Regel verworfen. Das zeigt: Die unabhängige Justiz lässt sich durch Regieanweisungen der Politik nicht ein- (Beifall bei der FDP) schüchtern. Ein gutes Zeichen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine alternative Kri- senstrategie ist möglich, weil unser Land weiter ist. Eine (Beifall bei der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/ alternative Krisenstrategie ist auch nötig wegen der ge- CSU]: Um Gottes willen! Das ist jetzt aber un- sundheitlichen Folgen, auf die allenthalben hingewiesen ter Ihrem Niveau! – Britta Haßelmann [BÜND- wird, heute auch in den Medien. Chefärzte beklagen, dass NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie eigentlich, sich in den Abteilungen, wo es um Herzerkrankungen was in der Landesverordnung Nordrhein-West- oder Schlaganfälle geht, niemand mehr meldet, weil die falen von Schwarz-Gelb steht?) Menschen Angst haben. Das sind gesundheitliche Folge- Und tatsächlich: Die 800-Quadratmeter-Regel oder wirkungen. Es sind Faktoren wie soziale Belastungen, auch die Diskriminierung der gesamten Gastronomie hält wenn Menschen sich nicht mehr austauschen, nicht mehr auch virologischen Ansprüchen nicht stand. Da sind wir in der Freiheit bewegen können. Ja, und auch wer Angst bei den Alternativen. um die wirtschaftliche Existenz hat, nimmt Schaden an der Seele. Zum Ersten. Professor Gérard Krause vom Helmholtz- Institut für Infektionsforschung, also Infektiologie, in Sie haben, Herr Kollege Mützenich, durchaus recht: Braunschweig, ein früherer Regierungsberater in Zeiten Steuerentlastungen allein helfen da nicht. Sie haben ges- der Ehec-Krise, hat zu Ihren Beschlüssen vom vorvergan- tern Nacht für die Gastronomie eine Steuerentlastung be- genen Donnerstag gesagt, die seien in der Sache nicht schlossen. Ich gebe Ihnen recht: Die hilft nichts. Denn nötig, die Orientierung an einzelnen Sparten und Quad- eine reduzierte Mehrwertsteuer hilft, wenn kein Umsatz ratmeterzahlen sei unsinnig, man könne sogar die Gast- anfällt, keinem Betrieb beim Überleben. ronomie wieder öffnen, entscheidend sei nur der Abstand (Beifall bei der FDP) zwischen den Tischen. Oder genauer gesagt: Entschei- dend ist nicht, was geöffnet und was geschlossen ist, Also sollten Sie dafür sorgen, dass es schnell unter ver- sondern entscheidend ist, ob überall die Hygieneregeln antwortbaren Gesundheitsbedingungen wieder zu einer eingehalten werden. Öffnung kommt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Grundsätzlich liegen Sie aber falsch. In einem Land, in der AfD) dem es vor einer Coronapandemie bereits die höchste (B) Steuerquote in seiner Geschichte gab, (D) Zum Zweiten: die Orientierung an der Reproduktions- quote. Professor Alexander Kekulé sagte dazu gestern im ( [Erfurt] [SPD]: Wie hoch ZDF, das sei inzwischen das goldene Kalb des Krisen- war die noch mal genau? Sagen Sie mal die managements. Warum? Weil die Reproduktionsquote Zahl!) deutschlandweit auch insgesamt steigt, wenn es ein dra- muss umso mehr danach die Möglichkeit geschaffen wer- matisches Infektionsgeschehen an nur einem einzigen den, dass die Menschen wieder Eigenkapital aufbauen Hotspot gibt. Der R-Faktor für das ganze Land sagt gar und private Vorsorge stärken können. nichts über die reale Situation aus, und deshalb ergibt es keinen Sinn, für Deutschland insgesamt einen Shutdown (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- zu verhängen, sondern wir müssen viel stärker regional furt] [SPD]: Ich hätte gern mal eine Zahl! Jetzt gegen Infektionsketten vorgehen. Denn dann haben wir mal eine Zahl!) eine Chance, Freiheit und Gesundheit wirksam zu verein- Ich sage Ihnen eines, Herr Mützenich – das sage ich baren – wirksamer als jetzt. auch den Kollegen von Grünen und Linkspartei –: (Beifall bei der FDP) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie ist die Zum Dritten. Auch nach Wochen wird diese Pandemie Zahl, Herr Lindner? Wissen Sie die? Nennen unverändert mit Instrumenten bekämpft, die im Grunde Sie mir die Steuerquote hier! – Weiterer Zuruf seit dem Mittelalter bekannt sind: Quarantäne, die be- des Abg. Ulli Nissen [SPD]) kannt ist aus der Zeit, als Schiffe 40 Tage warten mussten, Wir diskutieren gerne nach der Krise mit Ihnen wieder ehe sie anlegen durften, Masken, Isolation. Das sind die über die Vermögensabgabe und die Vermögensteuer. Jetzt Mittel des Mittelalters auch im Jahr 2020, wo uns eigent- müssen wir uns nur darum kümmern, lich smartere Instrumente durch die Digitalisierung zur Verfügung stehen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 23 Prozent ist sie!) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE dass es überhaupt noch eine wirtschaftliche Substanz GRÜNEN]: Rauchzeichen!) gibt, die Sie danach besteuern wollen. Hier haben wir die dringende Frage an die Regierung: Wo (Beifall bei der FDP) sind die Apps? Wo ist mindestens die Tracing-App, die wir brauchen, um Infektionsketten nachzuverfolgen? Die Meine Damen und Herren, wir werden uns intensiv digitalen Defizite Deutschlands kosten uns Gesundheit, damit auseinandersetzen müssen, ob tatsächlich weitere 19306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Christian Lindner (A) planwirtschaftliche Eingriffe notwendig sind, wie Sie, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) Herr Mützenich, es eben im Zusammenhang mit dem ordneten der SPD und der LINKEN) Lieferkettengesetz angedeutet haben. Darüber können wir gerne streiten. Daran muss man bei dieser Sache immer denken, meine Damen und Herren. Deswegen sollten wir die Diskussion (Jan Korte [DIE LINKE]: Der Markt regelt mit den Ministerpräsidenten mit großem Bedacht, mit jetzt alles! Das läuft sehr gut!) großer Ernsthaftigkeit führen; aber wir sollten sie führen. Wir glauben, dass es erforderlich ist, die Infektionsketten Dies vorausgeschickt, möchte ich auf vier Punkte ein- zu unterbrechen. gehen: (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Erstens. Fangen wir an mit dem Parlament. Mir hat Aber irgendwann werden wir auch die Interventionsket- das, was Herr Gauland gesagt hat, überhaupt nicht ge- ten in unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung unter- fallen und das, was Herr Lindner gesagt hat, nur sehr binden müssen. Denn der Staat ist mit Sicherheit nicht begrenzt gefallen. der bessere Unternehmer. An dieser Einsicht hat sich (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das spricht für auch nach Corona nichts verändert. den Redner!) (Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Herr Lindner, ob Justiz eingeschüchtert wird, das über- Mehr Markt! Wir brauchen mehr Markt! Das legen Sie sich noch mal. Gucken Sie sich Ihr Redemanu- ist eine gute Idee! Total gute Idee! Darauf muss skript mal an. man kommen in diesen Zeiten! Darauf muss man erst mal kommen! So ein Unsinn! – Ulli (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nissen [SPD]: Dass da die FDP noch klatscht, neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- versteh ich nicht!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber, ehrlich gesagt, wir sind hier im Parlament, und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dazu gehört die Auseinandersetzung, dazu gehören erreg- Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden te Zwischenrufe, wenn irgendwas gesagt wird. Denn das der CDU/CSU, Ralph Brinkhaus. Parlament, meine Damen und Herren, ist der Ort, wo die politische Entscheidungsfindung stattfindet. Und deswe- (Beifall bei der CDU/CSU) gen ist es gut und richtig, dass wir heute diese Debatte führen. Deswegen ist es gut und richtig, dass es heute eine (B) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Regierungserklärung gibt. Auch wenn ich teilweise selbst (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daran beteiligt bin: Koalitionsausschüsse und auch Mi- wir haben in den letzten Wochen sehr viel erreicht durch nisterpräsidentenkonferenzen sind keine Verfassungsor- sehr viel Disziplin in diesem Land, durch sehr viel Ge- gane. Wir hier sind das Verfassungsorgan, meine Damen duld, durch sehr viel Arbeit. Ich denke da nicht nur an die und Herren. Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sondern auch an die vielen Eltern, die ihre Kinder zu Hause be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, treuen und zu Hause beschulen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Theurer [FDP]: Das hat Wir haben in der Tat große Einschränkungen erlebt. Herr Lindner gesagt!) Ich möchte nur an eine Sache erinnern: Das Osterfest hat für viele Christen nicht in Kirchen stattfinden können. Vor dem Hintergrund ist hier der Ort, an dem wir die Debatte führen müssen, wie wir auch mit ethischen Fra- (Zuruf von der AfD: Hätte ja stattfinden kön- gen umgehen, wie wir mit der ethischen Frage umgehen, nen!) was zu lockern ist, wie wir mit der ethischen Frage um- Das war in weiten Teilen des Landes selbst 1945 nicht der gehen, was wir denn als Gesellschaft ertragen können. Fall. Das heißt also, wir haben eine Menge auf uns ge- Und deswegen, Herr Bundestagspräsident, ist es unser nommen. aller Aufgabe, dieses Parlament auch in der Krise, auch in der Pandemie am Laufen zu halten. Wir werden in den Wir müssen jetzt aufpassen, meine Damen und Herren, nächsten Wochen zeigen, dass wir vollumfänglich bera- dass wir das, was wir aufgebaut haben, nicht wieder ein- ten, dass wir die Regierung kontrollieren, dass wir Ergän- reißen. Deswegen ist es richtig, dass wir hier darüber zungen und Verbesserungsvorschläge machen, wie Rolf diskutieren: Wie gehen wir mit Lockerungen um? Wie Mützenich es gesagt hat, vorsichtig sind wir? Wie ist die Balance zwischen den Interessen der Arbeit, des Zusammenlebens auf der einen (Michael Theurer [FDP]: Na dann mal los, Herr Seite und dem Interesse der Gesundheit auf der anderen Kollege!) Seite? und dass wir uns auch die Freiheit nehmen, zu kritisieren. Ich möchte dazu nur eines sagen: Wir können viele Es ist richtig und wichtig gewesen, dass die Exekutive Sachen, nicht alle, aber viele, auch im wirtschaftlichen schnell gehandelt hat. Aber dies ist eine Republik der Bereich, wieder korrigieren – das ist mir sehr wichtig –, Legislative, und das nehmen wir als CDU/CSU-Bundes- aber was wir nicht korrigieren können, ist der Verlust tagsfraktion – ich glaube, auch alle anderen Fraktionen – eines Menschenlebens. sehr, sehr ernst, meine Damen und Herren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19307

Ralph Brinkhaus (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- da nur eines sagen: Wir als Unionsfraktion verstehen uns (C) neten der SPD – Michael Theurer [FDP]: Das als Hüter der fiskalischen Solidität, auch in Zeiten der hat Herr Lindner erwähnt!) Krise, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist: Freiheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Thema ist gerade mehrfach angesprochen worden, und ich nehme es auch sehr ernst. Es geht um die Freiheit, Jetzt möchte ich zu dem vierten Punkt kommen: das überall dort hinzugehen, wo man hingehen möchte, die Thema Europa. Da bin ich – ich sage das mal sehr diplo- Freiheit, sich zu versammeln, und die Freiheit, natürlich matisch –, auch wenn ich in die eine oder andere aus- ohne staatliche Interventionen sein Leben zu leben. Aber, ländische Zeitung gucke, sehr irritiert. Wer meint, dass meine Damen und Herren, wenn ich mir die Freiheit nur derjenige ein guter Europäer ist – im Übrigen gibt es nehme, zu einer Versammlung zu gehen, wenn ich mir einige hier in Wissenschaft und Politik, die dieses Lied die Freiheit nehme, in ein Fußballstadion zu gehen, dann auch singen –, der der Vergemeinschaftung von Schulden schränke ich die Freiheit von anderen ein. Denn ich treffe das Wort redet, der verschweigt eine Menge. Der ver- in der Pandemie nicht nur eine Entscheidung für mich, schweigt nämlich, dass wir hier in Deutschland – das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen, weil wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und es auch gerne und aus gutem Grund tun – der größte der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Nettozahler in der Europäischen Union sind, der größte sondern ich treffe auch eine Entscheidung für die Garantie- und Kapitalgeber bei all den Rettungspaketen Schwächeren, die sich nicht wehren können, die diese sind, dass wir mehr von der Last der Migration und der Flucht, der legalen und illegalen Migration, übernehmen Freiheit nicht haben. Das ist der COPD-Kranke, der zu Hause liegt, das ist der ältere Mensch, der nicht besucht als jedes andere europäische Land. werden kann, und das sind viele andere, die Einschrän- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na kungen hinnehmen müssen. Deswegen ist es mir viel zu ja!) eindimensional, immer das große Lied der individuellen Freiheit zu singen, Herr Lindner. Wir müssen uns viel- Darüber, dass wir in Deutschland in der Krise das mehr auch mal mit den Menschen beschäftigen, die diese Kostbarste, was es momentan überhaupt gibt, anderen Freiheit in der Pandemie nicht haben. Ländern zur Verfügung gestellt haben, nämlich Intensiv- betten, wird nicht geredet – das tun wir gerne, weil wir in (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- der europäischen Solidarität sind –, auch nicht darüber, KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass wir Deutsche, in Gestalt von Angela Merkel und , ein Vier-Säulen-Paket auf den Weg gebracht Wir müssen sehr aufpassen, dass wir durch unsere eige- haben, mit dem wir über den ESM, über die Europäische (B) nen Freiheitsrechte nicht andere Menschen in ihrer Frei- (D) Investitionsbank, über den Artikel 122 des Vertrags über heit einschränken. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. die Arbeitsweise der Europäischen Union, über europä- Dritter Punkt: Wirtschaft. Ja, wir müssen eine Menge ische Haushaltsmittel ein Hilfspaket, das sich wirklich tun. Was mich nur befremdet, ist, dass wir nahezu im sehen lassen kann, für andere europäische Länder auf Stundentakt neue Vorschläge kriegen, die alle auch ihre den Weg bringen, denen es nicht so gut geht, die mit individuelle Begründung haben, die alle irgendwo auch der Krise noch nicht so gut fertigwerden. Da geht es um getriggert sind durch Briefe, durch Mails, die wir kriegen, mehrere Hundert Milliarden Euro; das hätten wir uns alle wem man jetzt noch irgendwo helfen muss. Wenn man, vor einigen Wochen nicht vorstellen können. Und in die- wie wir, in den Wahlkreisen unterwegs ist und die indi- ser Situation stellt man in Zweifel, dass wir solidarische viduelle Not sieht – ob es Reisebüros, Busunternehmer, Europäer sind. Gastronomie oder auch andere Betriebe sind –, wenn man Ich würde mir wünschen, dass der eine oder andere – sieht, dass Menschen in Kurzarbeit sind und nicht mehr auch in anderen Ländern in Europa –, der immer mit genug zum Leben haben, dann nehmen wir das sehr ernst. großen Worten das Hohelied von Europa singt, so solida- Aber wir müssen eine Sache vielleicht auch mal beach- risch ist, wie wir es hier in Deutschland sind, meine ten: All das, was wir beschließen – übrigens auch das, Damen und Herren. was wir gestern Abend beschlossen haben –, kostet Geld – viel Geld –, das von irgendjemandem mal wieder zurück- (Beifall bei der CDU/CSU) gezahlt werden muss. Wir müssen in dieser Zeit wirklich aufpassen – bei all dem Guten, was wir momentan ma- Ich sage ganz deutlich: Wir stehen dazu, dass wir un- chen und übrigens auch machen müssen und uns bis jetzt seren europäischen Partnern helfen. Wir stehen im Übri- auch noch leisten können –, dass wir bei der ganzen gen auch dazu – Gerd Müller sitzt gerade nicht hier –, Sache nicht Maß und Mitte verlieren und nicht im Wo- dass wir auch denjenigen helfen, die noch schwächer sind chentakt nachlegen. und die noch mehr Probleme haben. Die Pandemie wird Afrika wahrscheinlich stärker treffen als uns in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse- Wir stehen dazu, zu helfen. Das meinen wir aufrichtig Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) und ernst; denn wir können uns Europa nur so vorstellen, Das ist eine Sache, bei der ich durchaus auch einige Mit- dass wir solidarisch sind und dass wir in der Krise zu- glieder der Bundesregierung angucke, die da meinen, uns sammenhalten. Es muss allerdings auch erlaubt sein, das über die Medien immer wieder treiben zu müssen und eine oder andere zu hinterfragen. Meine Damen und Her- sagen zu müssen, was zu machen sei. Da gucke ich auch ren, wir handeln. Von anderen hört man oftmals nur Lip- den einen oder anderen Ministerpräsidenten an. Ich kann penbekenntnisse. 19308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Ralph Brinkhaus (A) Wir werden – die Bundeskanzlerin hat darauf hinge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- (C) wiesen – mit der Pandemie nicht schnell fertigwerden. ten der SPD und des Abg. Sven-Christian Wir werden unser normales Leben wahrscheinlich erst Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wieder zurückbekommen, wenn es einen Impfstoff gibt. Sie haben schon die Ursprungsidee von Herrn Heil über Das muss man den Menschen offen und ehrlich sagen. die Monate immer mehr verwässert. Ich sage Ihnen: Es ist Wir sollten keine falschen Hoffnungen wecken. ganz einfach schäbig, den Kassiererinnen, Pflegekräften Wir haben in den letzten Wochen und Monaten ge- und Logistikerinnen zu applaudieren und dann gegen die zeigt, dass wir vernünftig mit dieser Krise umgehen kön- Grundrente zu sein. nen. Ich habe hier vor vier Wochen gesagt, dass wir in (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- diesem Land zusammenhalten und dass wir eine große ten der SPD und der Abg. Dr. Kirsten Kappert- Gemeinsamkeit entwickelt haben. Unsere Wirtschaft ist Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sehr stark, und wir haben gute Maßnahmen auf den Weg gebracht, um unsere Wirtschaft zu stützen. Deswegen bin Was glauben Sie denn, wer die Grundrente bekommt? Es ich immer noch sehr zuversichtlich, dass wir sehr gut, sind genau die Menschen, die dieses Land jetzt am Lau- geschlossen und gemeinsam aus dieser Krise herauskom- fen halten. Es sind Krokodilstränen, die Sie vergießen. men werden. Viele der Altenpflegerinnen und der Paketboten sind die- jenigen, die später auf eine Grundrente angewiesen sein Bei aller parlamentarischen Diskussion, die wir führen, werden. Deshalb ist es unfassbar, was Sie machen, und und bei aller Kritik, die geäußert wird: Es ist unsere Auf- nicht zu akzeptieren. gabe, diesem Land die Zuversicht zu geben, dass wir gut aus dieser Krise herauskommen. Ich glaube, diese Zuver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- sicht können wir diesem Land mit gutem Gewissen ge- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE ben; denn wir wissen, was zu tun ist. Wir gehen mit dieser GRÜNEN) Krise verantwortungsvoll um. Vielleicht gehen wir Sie begründen das Ganze mit Geld, was in dieser Situa- manchmal einen Schritt zu weit, vielleicht gehen wir tion schon etwas Besonderes ist. In diesem Zusammen- manchmal einen Schritt in die andere Richtung, aber hang muss ich sofort an die Pläne der Verteidigungsmi- wir sind immer bereit, die Schritte zu korrigieren und nisterin erinnern. Veränderungen vorzunehmen. Diesen Weg werden wir weitergehen. Und wie gesagt: Ich bin überzeugt, dass (Zuruf von der LINKEN: Ja!) der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist, um das der Öffentlichkeit klarzumachen. Sie wollen 45 neue Kampfbomber, teilweise atomwaffen- (B) fähig, anschaffen. Das ist unverantwortlich. Der Verteidi- (D) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gungshaushalt steigt und steigt. Kurz vor der Pandemie haben Sie ihn um 6,4 Milliarden Euro erhöht, und jetzt (Beifall bei der CDU/CSU) wollen Sie der Kassiererin die Rente kürzen? Das ist inakzeptabel! Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Widerspruch bei der CDU/CSU) Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Dietmar Bartsch. Uns bedroht keine fremde Armee, uns bedroht ein Virus. Deswegen brauchen wir jetzt einen der Coronakrise ent- (Beifall bei der LINKEN) sprechenden Verteidigungsetat. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- Ich hätte mir gewünscht, dass Sie Initiativen für welt- deskanzlerin, Sie haben von einer außerordentlichen, von weite Abrüstung ergreifen. Wenn viel mehr Geld ins Ge- einer ernsten Situation gesprochen, von der größten Be- sundheitswesen geflossen wäre und nicht in Aufrüstung, währungsprobe, vor der unser Land steht. Dafür, dass die dann hätten wir heute eine ganz andere Situation, eben Krisenbewältigung in Deutschland weitgehend passabel eine viel bessere, meine Damen und Herren. läuft – das ist natürlich dem großen Verständnis in weiten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Teilen der Bevölkerung zu verdanken –, haben Sie vielen neten der SPD) gedankt. Ich will mich dem Dank, auch im Namen meiner Fraktion, ausdrücklich anschließen. Wir brauchen einen anderen Umgang mit börsennotier- ten Unternehmen. Wenn Konzerne weiter Dividenden (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ausschütten, um Eigentümer noch reicher zu machen, Ja, der Begriff „Solidarität“ hat in diesem Land wieder wenn Boni an Manager ausgeschüttet werden und Mil- einen anderen Klang. liarden eingesetzt werden, um Aktien zurückzukaufen, dann darf es keine Staatshilfen mehr geben. Im Übrigen (Beifall bei der LINKEN) ist es auch unternehmerisch eine Bankrotterklärung, in so einer Krise Geld aus Unternehmen abzuziehen, bei denen Ja, es geht zuallererst um Krisenbewältigung und nicht man überhaupt nicht weiß, wohin die Reise geht. Das ist zuallererst um Parteipolitik. Deshalb will ich klar sagen: unternehmerisch völliger Unsinn. Ich sehe es als Frechheit an, wenn die Union in dieser Situation versucht, die Grundrente zu versenken. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19309

Dr. Dietmar Bartsch (A) Deswegen braucht es die klare Entscheidung der Bundes- Warum gab es überhaupt keine Beschränkungen für Rei- (C) regierung: Wer heute Boni zahlt, der bekommt zukünftig sen aus früheren Risikogebieten nach Deutschland? Wa- keine Staatsunterstützung mehr. rum gab es keine verbindlichen Tests für Einreisende aus diesen Gebieten? Im Januar hätten die Alarmglocken (Beifall bei der LINKEN) schrillen müssen, meine Damen und Herren. Es gab doch Ich will eine Kleinigkeit erwähnen. Ich freue mich, den Pandemieplan des Robert-Koch-Instituts von 2012 – dass alle Fraktionen des Hauses die Initiative der Linken da ist doch alles wunderbar beschrieben –, aber den haben mittragen, die Erhöhung der Diäten auszusetzen. Das ist Sie voll und ganz ignoriert. ein symbolischer, aber wichtiger Akt. Herzlichen Dank dafür. Aber ich will in diesem Zusammenhang auch daran (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit erinnern, dass es Kabinette gibt, die sehr wohl auch über Mangelverwaltung kennen Sie sich aus, Herr einen entsprechenden Verzicht nachdenken. Diese Bei- Bartsch!) spiele könnten auch für Sie interessant sein. Eines zeigt diese Krise ganz deutlich: Die Privatisie- Am Anfang gab es viel gemeinsames Agieren, jetzt rung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens wird es zunehmend ein Kommunikationswirrwarr. Frau war ein Fehler. Merkel, Sie haben das völlig zu Recht kritisiert. Es droht ein Chaos, das am Ende auch die Akzeptanz für die Maß- (Beifall bei der LINKEN) nahmen massiv reduzieren könnte. Ihre Krisenpolitik Sie ist mitverantwortlich für diese Situation. Jetzt schaf- steuert immer mehr auf einen Flickenteppich zu. Sie ha- fen Sie die Krankenhauskapazitäten, die Sie jahrelang ben gesagt, manches wirke „zu forsch“. Ich teile das. wegrationalisiert haben. Und Sie sehen jetzt doch hof- Es ist im Übrigen außerordentlich problematisch, fentlich auch, dass die Fallpauschalen der Wahnsinn sind. wenn die Coronakrise mit der Kür des CDU-Kanzlerkan- Man sieht es doch in dieser Situation. Ich möchte den didaten zusammenfällt. Herr Söder und Herr Laschet sind Präsidenten der Bundesärztekammer, Herrn Reinhardt, leider schon ein Stück weit verhaltensauffällig. Denen zitieren. Er sagt: Kliniken sind Einrichtungen der Da- müssen Sie Ihre Kritik als Allererstes sagen. seinsfürsorge und keine Industriebetriebe. Krankenhäu- ser müssen den Patienten dienen, nicht dem Profit. Das (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der muss sich ins kollektive Gedächtnis einbrennen. – Ja, SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meine Damen und Herren, das müssen wir ins kollektive Frau Bundeskanzlerin, es geht um das Leben und die Gedächtnis einbrennen. Existenz von Menschen und nicht um die Karrieren in (Beifall bei der LINKEN) (B) der Union. (D) Ich möchte auf die besondere Situation von Kindern (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es kann hinweisen. Millionen Kinder sollen noch wochen-, mo- nicht jeder so harmonisch sein wie die Linken! natelang zu Hause bleiben. Das kann untragbare soziale Sie haben sich alle lieb!) und psychische Kollateralschäden bedeuten. Kinder, Meine Damen und Herren, die ergriffenen Maßnahmen Frauen und Familien drohen die Verlierer der Pandemie gehen mit härtesten Einschnitten bei den Grund- und zu werden. Es ist doch absurd, wenn großen Kaufhäusern Freiheitsrechten einher. Sie haben von einer „demokrati- teilweise erlaubt wird, wieder zu öffnen, und Kindern schen Zumutung“ gesprochen. Das muss immer wieder wird verboten, sich auf eine Schaukel zu setzen. Da ist laut ausgesprochen werden; denn es darf keine Gewohn- doch etwas schief. heit werden, dass es zu Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten kommt. Harte Einschränkungen müssen Die Situation der Alleinerziehenden ist besonders drama- immer wieder diskutiert werden, und sie müssen auch tisch. 1,8 Millionen berufstätige Alleinerziehende, fast immer wieder begründet werden, Frau Bundeskanzlerin. alles Frauen, werden im Stich gelassen, wenn es nicht Das ist Normalität und keine Orgie; da hat Herr bald Betreuungslösungen für ihre Kinder gibt. Eltern sind Brinkhaus im Übrigen sehr recht. eben keine Erzieherinnen und Erzieher und auch keine Lehrer und auch keine Therapeuten. Es muss dringend (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kompensation geben. Sie können nicht für junge Fami- neten der FDP) lien alles zusperren und sie im Regen stehen lassen. Des- Die getroffenen Maßnahmen müssen enden, und zwar so wegen ist ein Coronaelterngeld, wie Linke und Grüne es spät wie unbedingt notwendig, aber so schnell wie irgend fordern, eine sinnvolle Idee. Bitte denken Sie darüber möglich. Es ist dringend angebracht, immer wieder darü- nach. ber zu diskutieren, gerade weil es so gewaltige Einschrän- kungen sind. Es ist gut, dass wir heute darüber intensiv (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gesprochen haben. NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will kurz rekapitulieren, wie es überhaupt zu der Ich will noch einmal daran erinnern, dass die Kitaemp- Notwendigkeit dieser härtesten Einschnitte kam. Es gab fehlung auf der Leopoldina-Studie basiert, und in diesem viel zu wenige Vorbereitungen. Warum wurden Anfang Zusammenhang Folgendes festhalten: In der Arbeits- Januar keine Masken bestellt und die Lager aufgefüllt? gruppe zu dieser Studie, die mehr Meinung als Wissen- schaft ist, waren insgesamt mehr Männer mit dem Namen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jürgen als Frauen. 19310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Dietmar Bartsch (A) (Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abge- muss sich die Argumente anschauen. Warum gibt es eine (C) ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Begrenzung, zum Beispiel bei den Geschäften? Weil man NEN) aus Infektionsschutzgründen nicht will, dass die Innen- Das erklärt vielleicht die Ignoranz gegenüber Kindern städte wieder komplett voll sind mit Menschen, weil dann und ihrer Betreuung, meine Damen und Herren. die Abstände automatisch nicht mehr eingehalten werden können. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: 800 Quadrat- Wir brauen dringend einen Fahrplan – Frau Giffey hat meter!) gestern darüber gesprochen –, weil die Familien, weil die Alleinerziehenden Licht am Ende des Tunnels sehen Das ist die Begründung dafür, dass man nur einen Teil der müssen; eigentlich müsste man es schon lange sehen. Geschäfte aufmacht. Diese Begründung sollte Ihnen von der FDP auch zugänglich sein. Wir alle erleben in dieser Zeit eine unglaubliche Soli- darität und auch ein großes Verantwortungsbewusstsein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – in unserem Land. Viele Menschen ziehen mit; das kann Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie haben doch man gar nicht anders sagen. Aber ich sage auch: Sonnen keine Ahnung! Der großflächige Einzelhandel Sie sich nicht in Ihren hohen Zustimmungswerten. Die ist doch draußen! Das ist Unsinn! Das ist kont- Menschen erwarten weiter Antworten: Wann gibt es in rafaktisch!) jedem Altenheim ausreichend Masken? Wann gibt es flä- Wissen Sie, man sollte schlichtweg aufhören, die eigene chendeckend Tests, auch auf Antikörper? Hier muss Freiheit zu verwechseln mit dem Recht des Stärkeren. wirklich mehr passieren. Das ist nämlich eine vulgäre Form von Freiheit. Ja, Frau Bundeskanzlerin, Sie haben recht; diese Krise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – darf die Gesellschaft nicht zerreißen. Es besteht aktuell Dr. Marco Buschmann [FDP]: Und wer ent- die Gefahr, dass wir viel schlechter rausgehen, als wir scheidet das? Sie? Sie entscheiden, welche reingingen. Aber ich sage ganz deutlich: Es ist auch eine Freiheit gut ist und welche schlecht ist? – Chance. Es ist eine Chance auf einen neuen, auf einen Christian Lindner [FDP]: Gott sei Dank sieht anderen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Wir als das Bundesverfassungsgericht das anders!) Linke werden uns aktiv dafür engagieren. Deshalb ist es ganz entscheidend, dass wir intensiv debat- Herzlichen Dank. tieren, aber bei Entscheidungen vorsichtig vorgehen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- nicht zu schnell und nicht unüberlegt handeln. Sonst ge- (B) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fährden wir nämlich alles, was wir bis jetzt erreicht ha- (D) ben; sonst laufen wir Gefahr, dass das Gesundheitssystem überfordert wird. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von Liebe Kolleginnen und Kollegen, die wirtschaftlichen Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. Kosten sind hoch, die Fließbänder stehen still, die Ge- schäfte sind geschlossen, Kultureinrichtungen sind zu, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) soziale Einrichtungen sind zu, Künstlerinnen und Künst- ler können nicht mehr auftreten, wirtschaftliche Existen- Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zen sind gefährdet, Arbeitsplätze sind bedroht. Aber bei Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und alledem dürfen wir auch keinen Moment vergessen, dass Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Wir sind nicht nur die wirtschaftlichen Kosten hoch sind, sondern epidemiologisch weiter in einer sehr, sehr fragilen Lage. auch die sozialen Kosten bedrückend sind. Kinder drohen In der Lombardei, im Elsass, in New York konnte man den Anschluss zu verlieren, weil sie nicht mehr in die sehen, welche schrecklichen Auswirkungen diese Pande- Schule gehen können, Familien sind am Limit, Menschen mie haben kann. Im Vergleich dazu sind wir in Deutsch- drohen in Armut zu landen. Über all das müssen wir land bisher sehr glimpflich davongekommen. Dafür muss debattieren. Deshalb müssen bei vorsichtigen, verantwor- man sich bei all den Menschen bedanken, die sich an die tungsvollen Schritten in Richtung Öffnung die soziale Regeln gehalten haben, bei all den Menschen, die eine Frage und die wirtschaftliche Frage auf Augenhöhe be- wahnsinnig wertvolle Arbeit in den Gesundheitssyste- handelt werden. men leisten, allerdings auch bei allen Kassiererinnen und Kassierern, bei all denjenigen, die unser Leben am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Laufen halten. Vielen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach allem, was wir wissenschaftlich begründet wissen, werden wir mit die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sem Virus leben müssen, bis wir einen wirksamen Impf- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der stoff haben. Deshalb ist in dieser Zeit eine der wichtigsten SPD und der FDP) Fragen: Wie gelingt es uns, die Voraussetzungen dafür zu Trotz der Tatsache, dass wir bisher so glimpflich da- schaffen, die Ausbreitung des Virus zielgerichteter einzu- vongekommen sind, war und bleibt es einfach richtig, mit dämmen? Dabei geht es – Sie haben das gesagt, Frau Vorsicht und mit Besonnenheit vorzugehen. Ja, eine De- Bundeskanzlerin – ums Testen, Testen, Testen, nochmals batte ist nötig, und eine Debatte ist möglich. Es bestreitet Testen. Es geht um die Nachverfolgung der Infektions- auch niemand, dass die Debatte geführt wird; aber man ketten durch die Gesundheitsämter. Es geht darum, eine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19311

Dr. Anton Hofreiter (A) App zu haben, die dabei hilft. Es geht um ausreichend machen: Es wird ein großes und umfangreiches Paket (C) Schutzausrüstungen, und es geht um Masken. Nichts da- geben. von – das muss man ehrlicherweise sagen – ist neu. Das wissen wir seit vielen Wochen. Ich habe aber leider den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eindruck, dass in Ihrer Bundesregierung nicht in allen Ministerien diese Aufgaben mit dem Einsatz, mit der Ent- Und was auch klar sein muss, ist, dass dieses Paket sich schiedenheit und mit der Tatkraft verfolgt werden, wie am Klimaschutz, am Green Deal orientieren muss. Die das angebracht wäre. letzten Jahre waren die heißesten Jahre seit der Wetter- aufzeichnung. Dieses Frühjahr ist bereits jetzt wieder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deutlich zu trocken. Wir drohen in den dritten Dürresom- Noch vor zwei Wochen hat uns das Wirtschaftsminis- mer in Folge zu gehen. Deshalb: Wenn wir nicht wollen, terium geantwortet, dass die Koordinierung der Wirt- dass das 21. Jahrhundert ein Zeitalter wird, in dem eine schaft in der Pandemie in dem Ministerium keine Priori- Krise die nächste überlagert, müssen wir aus dieser Krise tät hat. Es ist schön, dass Herr Altmaier anscheinend jetzt lernen, dass man Krisen präventiv angeht. Das gilt insbe- seine Meinung geändert hat. Aber es ist wertvolle Zeit sondere auch für die Klimakrise. verstrichen. Und auch bei der App hört man nichts Gutes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb erwarte ich von Ihnen, dass Sie diese Aufgaben als nationale, als europäische Kraftanstrengung betrach- Und: Als Land im Herzen von Europa, als starkes ten und dementsprechend handeln. Exportland, als starkes Industrieland, als Land, in dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Autoindustrie eine unserer Leitindustrien ist, die auf funktionierende Lieferketten angewiesen ist, brauchen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der wir den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen letzten Sitzungswoche in großer Gemeinsamkeit einen Union. Ich kann ja noch verstehen, dass man am Anfang ganz umfassenden wirtschaftlichen und sozialen Ret- der Krise, als man unsicher war, wie man damit umgeht, tungsschirm aufgespannt. Vieles davon hat sich bewährt, mit nationalstaatlichen Reflexen wie der temporären Ex- manches korrigieren wir, und manches fehlt noch. Die portbeschränkung für Medizingüter, die in Italien einen Erhöhung des Kurzarbeitergeldes finde ich – das sage schweren Schaden psychologischer Natur angerichtet ich ausdrücklich – richtig. Aber dass Sie weiterhin aus- hat, reagiert hat. Wofür ich allerdings wenig Verständnis gerechnet den Ärmsten der Armen eine zumindest tem- habe, ist, dass man jetzt, nach Wochen, immer noch keine poräre Erhöhung des Arbeitslosengeldes II verweigern, vernünftigen eigenen Vorschläge präsentiert, wie man das finde ich, ehrlich gesagt, unverantwortlich. Europa finanziell und wirtschaftlich zusammenhält. (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das habe ich LINKE]) doch gerade gesagt! Hören Sie doch mal zu! Dass Sie sich des Weiteren weigern, ein Coronaelterngeld Vier Punkte!) einzuführen, finde ich angesichts des Drucks, unter dem alle Familien und insbesondere die Alleinerziehenden Dann wird immer wieder argumentiert, man müsste die stehen, unverantwortlich. Verträge ändern. Frau Merkel, das ist ein rechtlich tricky Argument. Sie wissen doch selber ganz genau, dass es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Artikel 122 AEUV gibt und dass es schon 1975 ge- meinsame Anleihen gab. Und deshalb: Hören Sie auf, Wissen Sie, wenn wir als Grüne – in meinen Augen völlig einen vernünftigen Recovery Fund mit einem entspre- zu Recht – dafür streiten, dass die Lufthansa gerettet chend vernünftigen Wiederaufbaufonds und mit entspre- wird, erwarte ich, ehrlich gesagt, dass auch die Union chendem Volumen zu blockieren! Das ist das, was wir dafür streitet, dass wenigstens temporär die Ärmsten der dringend brauchen, um die Europäische Union zusam- Armen in unserer Gesellschaft angemessen unterstützt menzuhalten, und zwar in unserem ureigensten Interesse. werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- und bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus SES 90/DIE GRÜNEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die werden angemessen unter- [CDU/CSU]: Gute Nachricht, Herr Hofreiter: stützt! Und das auch in normalen Zeiten!) Es blockiert niemand!) Wir erleben gerade einen wirklich historischen Ein- Allein VW bezieht circa 20 000 unterschiedliche Teile- bruch unserer Wirtschaft. Er trifft Menschen, Unterneh- typen aus Norditalien. Deshalb ist es unser ureigenstes men, Staaten weltweit. Für konjunkturelle Maßnahmen Interesse, dass die Europäische Union zusammengehal- ist es angesichts der epidemiologischen Lage noch zu ten wird. Deshalb verschanzen Sie sich nicht hinter fa- früh. Was jetzt aber klar sein muss, ist, dass es, wenn es denscheinigen rechtlichen Argumenten, sondern sorgen möglich wird, ein großes Konjunkturpaket, ein großes Sie dafür, dass das getan wird, was notwendig ist. Und Investitionspaket geben wird; denn die Unternehmen das ist ein starker Wiederaufbaufonds mit den nötigen und die Beschäftigten brauchen Planungssicherheit, die Garantien; denn in Europa liegt unsere Zukunft, und da- brauchen Klarheit. Wenn wir schon den Zeitpunkt nicht für müssen wir es jetzt erhalten und gestärkt durch diese festlegen können, dann muss man wenigstens deutlich Krise führen. 19312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Anton Hofreiter (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) (C) sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LIN- KE]) Jetzt zu Europa, zu dem Gipfel von heute. Ich finde, der Start Europas, auch der Start der Nationalstaaten im Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: europäischen Verbund war schlecht, holprig, zum Teil miserabel. Es ist besser geworden, deutlich besser gewor- Nächster Redner ist der Kollege Achim Post, SPD. den, vor allen Dingen durch eine Sache: das 500-Milliar- (Beifall bei der SPD) den-Programm, das geschnürt wurde. Das ist kein Pappenstiel, sondern die Grundlage dafür, schnell, unbü- Achim Post (Minden) (SPD): rokratisch und rasch zu helfen. Denn eines ist doch uns Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- allen klar: Unsere Partner, unsere Freunde in Italien, in leginnen und Kollegen! Ich fange am Tag der heutigen Spanien, in Frankreich und in anderen Ländern, die be- Bundestagsdebatte und am Tag des heutigen EU-Gipfels sonders betroffen sind, können nicht lange warten. Sie mal mit einer Sache an, von der ich glaube, dass die können schon gar nicht warten auf ideologische Grund- meisten von uns hier übereinstimmen: Ich finde, wir ha- satzdebatten. Sie können schon gar nicht warten und wol- ben alle Grund zu Selbstbewusstsein; denn das, was wir len auch nicht warten auf Belehrungen und auf Besser- in den letzten sechs Wochen hingekriegt haben in der wisserei. Sie wollen überhaupt nicht warten auf neue Bundesregierung und im Deutschen Bundestag, auch in Spardiktate, die schon vor zehn Jahren nicht funktioniert den Ländern – die Hilfspakete, die wir geschnürt und haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. verabschiedet haben –, ist nicht nur beispiellos, sondern kann sich auch sehen lassen, und noch wichtiger, liebe (Beifall bei der SPD) Kolleginnen und Kollegen, ist: Sie fangen an zu wirken. Das ist doch das Wichtigste heutzutage. Was sie stattdessen brauchen, ist ein solidarisches Wie- deraufbauprogramm. Frau Bundeskanzlerin, heute müs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen die Grundlagen dafür gelegt werden, dass wir ordent- der CDU/CSU) lich was auf den Weg bringen und die Möglichkeiten schaffen, zusammen mit Anleihen, gemeinsamen Anlei- Zum Zweiten sage ich mit allem parlamentarischen hen, wie sie das Europäische Parlament vorgeschlagen Selbstbewusstsein – daran mangelt es mir wirklich hat, zielgerichtet zu helfen. Ich glaube und ich weiß, dass nicht –: Ich finde, dass sich das, was der Bundesfinanz- das möglich ist, auch ohne Vertragsänderungen, liebe minister in den letzten sechs Wochen gemacht hat, näm- Kolleginnen und Kollegen. lich die Bündelung und die Organisierung aller finanz- (B) iellen Fähigkeiten und Möglichkeiten, um daraus (D) praktische Politik zu machen für Unternehmen und Be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schäftigte, für Große und Kleine, für nationale und euro- päische Maßnahmen, sehen lassen kann. Dafür bedanke Zusammengefasst will ich mal sagen: Ich finde, dass ich mich in aller Form: Herzlichen Dank, Olaf Scholz. wir stolz sein können auf das, was geleistet wurde. Ich finde, dass wir noch viel vor uns haben. Die Kommunen (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ waren nur ein Beispiel, es gibt noch viele andere Punkte. CSU]: Jetzt auch noch bei Heiko Maas bedan- Und ich finde, dass Deutschland seiner Rolle in Europa ken! Der gehört auch zu euch!) gerecht werden muss; denn wir sind das größte Land, wir sind die stärkste Volkswirtschaft. Im Übrigen hat das, was – Diese Ostwestfalen von der CDU/CSU mit ihren Zwi- wir tun, was wir tun müssen, eine Menge mit Solidarität schenrufen! und eine Menge mit Gemeinschaft zu tun, aber vor allen Jetzt kommen wir zu den Dingen, bei denen man nach- Dingen auch mit Eigeninteresse, mit unseren Absatz- legen muss, man etwas machen muss, man mehr machen märkten in Europa, mit Lieferketten und mit Waren, die muss und nicht nur nachsteuern, nicht nur nachbessern wir nur in Europa verkaufen können. Deshalb: Deutsch- darf. Es wurde gerade von Toni Hofreiter angesprochen. land kommt nur dann nachhaltig wieder auf die Beine, Natürlich müssen wir jetzt überlegen, wie ein ordentli- wenn auch unsere Freunde und Partner in Europa wieder ches, umfassendes, nachhaltiges Konjunktur- und Inves- auf die Beine kommen. titionsprogramm aussehen muss. Es ist doch klar, dass wir das müssen. Und wir müssen noch was machen: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen jetzt nicht nur über Deutschland und über Europa reden – darauf komme ich gleich –, sondern auch Ich will Ihnen hier zum Schluss sagen, liebe Kollegin- über unsere Kommunen, denen die Einnahmen wegbre- nen und Kollegen: Ich habe Vertrauen in einen hand- chen, die besonders leiden, die schon vorher häufig nicht lungsfähigen Staat. Meine Fraktion hat Vertrauen in einen auf Rosen gebettet waren. Für sie brauchen wir jetzt einen handlungsfähigen Staat. Wir haben gemeinsam Vertrauen Schutzschirm, für sie brauchen wir eine Altschuldenrege- in unsere Demokratie, in dieses Parlament und auch in ein lung und eine Möglichkeit, zu investieren. Und deshalb, funktionierendes solidarisches Europa. liebe Herren Ministerpräsidenten aus Düsseldorf und München: Hier würde ich mir einen Wettlauf, einen Wett- Schönen Dank. bewerb wünschen, wer am meisten für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, in Bayern und in ganz Deutschland (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tut, liebe Kolleginnen und Kollegen. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19313

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der AfD) (C) Jetzt wird das Rednerpult vorbereitet für den nächsten Wenn der Deutsche Bundestag Ihnen ein Arbeitszeug- Redner. Das ist der Kollege Sebastian Münzenmaier, nis ausstellen dürfte, dann wäre „Stets bemüht“ noch das AfD. Beste, was da drinstehen könnte. (Beifall bei der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn diese Rede aufgeschrieben?) Sebastian Münzenmaier (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Dank Ihrer anfänglichen Untätigkeit und dem dann ver- Herren! Nach all den Beschwichtigungen, Beschönigun- hängten Shutdown ist das Coronavirus mittlerweile zu gen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, hier vorgetragen ha- einer Gefahr für unsere Wirtschaft und für unsere Gesell- ben, ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass wir uns alle schaft geworden, die unser Land in die größte Wirt- noch mal folgende Fakten in Erinnerung rufen: schaftskrise stürzen wird, die wir je erlebt haben. Erstens. Der absolute Shutdown dieses Landes war (Beifall bei der AfD) vermeidbar. Sie haben den frühzeitigen Start von Maßnahmen ver- schlafen. Jetzt verschlafen Sie auch noch den dringend (Beifall bei der AfD) notwendigen Ausstieg aus dem Shutdown. Täglich mel- Zweitens. Sie als Bundesregierung tragen aufgrund den sich verzweifelte Bürger, die uns und Sie vor allem Ihres anfänglichen Zögerns und Versagens die Verant- anflehen, die Maßnahmen endlich zu lockern, damit sie wortung für die extrem harten Einschnitte in unsere versuchen können, ihre ehemals florierenden Geschäfte Grundrechte und in unser Wirtschaftsleben. und Unternehmen zu retten. (Beifall bei der AfD) (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Und andere Staaten wie Südkorea oder Taiwan haben Aber Sie haben hier in Ihrer Regierungserklärung ganz früh gezeigt, wie man durch schnelles Handeln und intel- klargemacht, wo Ihre Prioritäten liegen. Sie haben viel ligente Lösungen ein vollkommenes Herunterfahren ei- von Europa gesprochen, von europäischer Solidarität im nes Landes vermeiden kann. Das Handeln dieser Regie- Bereich Klimaschutz und davon, dass Sie den ärmsten rung in der Frühphase der Pandemie ist stattdessen eine Ländern der Welt die Zinsen und die Tilgung von einzige Chronik des Versagens. Schulden erlassen wollen. Wo waren Ihre Worte an die verzweifelten Unternehmer? Wo waren Ihre Worte an die (Beifall bei der AfD) Gastronomie, Frau Merkel? (B) Als die ersten Nachrichten aus China zu einem neuartigen (D) Virus eintrafen, tat diese Regierung nix. Als Wuhan ab- (Beifall bei der AfD) geriegelt wurde, taten Sie nix. Als unsere Fraktion hier im Von den mehr als 220 000 gastronomischen Betrieben Deutschen Bundestag am 12. Februar mit einem Antrag in Deutschland mit über 2,4 Millionen Beschäftigten ist die Bekämpfung der Seuchenausbreitung in Deutschland jeder dritte Betrieb von Insolvenz bedroht. Was machen mit konkreten Maßnahmen forderte, lachten Sie alle uns Sie bei der Verkündung Ihrer Lockerungen? Sie bieten aus und taten stattdessen nix. der Gastronomie und vielen anderen Branchen überhaupt keine Perspektive. Stattdessen haben Sie gestern Nacht (Beifall bei der AfD) beschlossen, dass Sie die Mehrwertsteuer auf Speisen Selbst als der seit Wochen als Risikogebiet für das endlich vereinheitlichen und auf 7 Prozent reduzieren. Coronavirus eingestuft war, landeten am Frankfurter Reduzierte Steuern auf Speisen, die man nicht verkaufen Flughafen die Maschinen aus Teheran ohne Probleme, kann! Also, diese Bundesregierung besteht aus Kory- ohne Tests, ohne Quarantänemaßnahmen oder ohne Ein- phäen, ich muss das so ehrlich sagen. Wahnsinn! reisesperren. (Beifall bei der AfD) Der Gesundheitsminister Jens Spahn verkündete voll- Insgesamt sind Ihre Lockerungen vollkommen unzu- mundig, dass Deutschland gut vorbereitet sei. Lieber reichend und geprägt von Sinnlosigkeit. Man darf sich Herr Spahn, es gab in der Folge Engpässe bei Desinfek- nicht im Biergarten an der frischen Luft unter Wahrung tionsmitteln. Arztpraxen und Krankenhäuser litten unter der Abstands- und Hygieneregeln treffen, aber im über- enormem Mangel an Schutzmasken. füllten Baumarkt mit Hunderten anderer Menschen darf (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Ita- man sich tummeln. lien und Spanien ist es richtig gut gelaufen, (Beifall bei Abgeordneten der AfD) oder? Lächerlich!) Im großen Elektronikmarkt stecken Sie sich an, wenn er Die Testkapazitäten reichten bei Weitem nicht aus. Ihre über 800 Quadratmeter groß ist, aber im kleinen Buchge- Materialbeschaffungsanstrengungen, die dann hektisch schäft auf gar keinen Fall: Das ist alles vollkommen und vor allem viel zu spät starteten, waren geprägt von willkürlich und aus der Luft gegriffen. Pleiten, Pech und Pannen. Ich erinnere mich zum Beispiel an das plötzliche Verschwinden von Millionen von me- Wir als AfD-Fraktion fordern deshalb ganz klar: Ge- dizinischen Atemschutzmasken an irgendwelchen Flug- statten Sie jetzt allen Geschäften, unabhängig von der häfen in Kenia. Wenn das Ihre gute Vorbereitung war, Quadratmeterzahl, und auch der Gastronomie und den Herr Spahn, dann sind Sie für den Job nicht geeignet. anderen benachteiligten Branchen endlich die komplette 19314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Sebastian Münzenmaier (A) Öffnung unter Wahrung der Abstands- und Hygienere- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) geln, meine Damen und Herren. neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Dass wir diese Krise besser meistern können als viele Geben Sie den vielen fleißigen Menschen in diesem Land andere Regionen, hat auch damit zu tun, dass wir in endlich wieder eine Perspektive. diesem Land vorgesorgt haben und dass wir in zentralen Bereichen gut aufgestellt sind. Wir haben beispielsweise Aber das Einzige, was Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, in der Vergangenheit solide gehaushaltet und dafür ge- dazu einfällt: Sie wollen keine – ich zitiere – „Öffnungs- sorgt, dass wir finanzielle Möglichkeiten haben, um heute diskussionsorgien“. Werte Frau Bundeskanzlerin, wir alle in der Krise investieren, Schutzprogramme auflegen und wissen, dass Sie Ihre Weisheit und Ihre getroffenen Maß- Schutzschirme aufspannen zu können. nahmen wahrscheinlich für alternativlos halten. Aber deshalb möchte ich Sie in diesem Hohen Haus daran er- Meine Damen und Herren, vielleicht erinnern Sie sich innern: Sie sind nicht Ludwig XIV. Sie stehen auch nicht an die eine oder andere Haushaltsdebatte der vergange- über dem Gesetz. Und auch Sie sind nur auf Zeit gewählt. nen Jahre. Da wurde nämlich immer von der linken Seite vom „Fetisch der schwarzen Null“ gesprochen, die man Sie haben heute davon gesprochen – ich zitiere mit nicht einhalten dürfe, sondern dass man das Geld in der Erlaubnis des Präsidenten –: „Diese Pandemie ist eine Zeit der niedrigen Zinsen ausgeben müsse. Man kann nur demokratische Zumutung ...“. Ich sage Ihnen: Die demo- sagen: Gut, dass wir das in der Vergangenheit nicht getan kratische Zumutung ist nicht die Pandemie, sondern diese haben, sondern das Geld zusammengehalten haben und Bundesregierung, meine Damen und Herren. nicht auf die gehört haben, die das Geld immer mit vollen (Beifall bei der AfD) Händen ausgeben und die Haushalte verschulden woll- ten. Deswegen appelliere ich noch mal an Sie, Frau Merkel, und an die ganze Bundesregierung: (Widerspruch bei der LINKEN) All diejenigen Länder in Europa, die jetzt dringend auf (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt unsere Hilfe angewiesen sind, sind Ihren linken Modellen wird es peinlich!) gefolgt und können sich jetzt alleine nicht mehr retten, Stellen Sie endlich die verfassungsgemäße Ordnung in meine Damen und Herren. diesem Land wieder her, und geben Sie den Menschen Ihre Freiheit zurück. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) neten der FDP und des Abg. (D) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. [SPD]) (Beifall bei der AfD – Abgeordnete der AfD Wer soll denn in Europa helfen, wenn alle den gleichen erheben sich – Jan Korte [DIE LINKE]: Das Irrweg gehen und die Verschuldung als politisches Mo- ist so megairre!) dell anerkennen? Wir haben in diesem Deutschen Bun- destag vor einigen Wochen 1,4 Billionen Euro für Ret- tungsschirme, Kredite und vieles andere mehr auf den Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Weg gebracht. Wir haben jetzt in Europa die Chance, Jetzt hat das Wort der Kollege Alexander Dobrindt, die Bereitstellung von 500 Milliarden Euro über den CDU/CSU. ESM, über die EIB, auch über die Regelungen zum Kurz- arbeitergeld – das geschieht über den Artikel 122 AEUV – (Beifall bei der CDU/CSU) für andere europäische Länder zu ermöglichen. Es ist auch richtig, dass wir diese Solidarität in Europa zeigen, Alexander Dobrindt (CDU/CSU): um dafür zu sorgen, dass andere Länder auch die Chance Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben, aus dieser Krise besser herauszukommen, als Deutschland meistert diese Krise viel besser als viele wenn sie alleine wären. andere Länder in der Welt. Das ist beileibe keine Selbst- Ja, es liegt auch in unserem Interesse, dass dies ge- verständlichkeit, sondern das hat vor allem mit der Be- meinsam möglich ist. Aber wir müssen dafür sorgen, dass reitschaft der Bürgerinnen und Bürger zu tun, ihren All- jetzt nicht die Krise als Argument genutzt wird, um alle tag umzustellen, Rücksicht aufeinander zu nehmen, Errungenschaften der Vergangenheit, des Zusammen- Abstand zu halten, ja, auch zu verzichten, um sich und halts über Bord zu werfen. Wer heute leichtfertig die andere zu schützen. Krise nutzt, um einer allgemeinen Verschuldung in Euro- Sehr geehrter Herr Kollege Münzenmaier, ich muss pa das Wort zu reden, der gefährdet dieses europäische schon sagen: Dass das Aufeinander-Rücksicht-Nehmen Projekt. in unserem Land Gesundheit und Leben schützt, ist den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Menschen in Deutschland sehr viel wert. Deswegen sind sie bereit, Einschnitte hinzunehmen. Dass diese Bereit- Deswegen, lieber Kollege Toni Hofreiter: Wenn Sie schaft in der Gesellschaft deutlich größer ist, als Sie sie sagen, dass die EU mit Schulden zusammengehalten unterstellen, hilft Gott sei Dank dabei, dass wir gesund wird, dann irren Sie grundsätzlich. Gemeinsame bleiben, meine Damen und Herren. Schulden einen nicht, sie trennen uns in Europa. Deswe- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19315

Alexander Dobrindt (A) gen müssen wir verhindern, dass es Euro-Bonds gibt, Ich will auch darauf hinweisen, dass wir neben dieser (C) meine Damen und Herren. Phase, in der wir uns jetzt befinden, wo wir die wirt- schaftlichen Folgen der Krise abfedern – Arbeitsplätze (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sichern, Insolvenzen verhindern, Einbußen auffangen –, ordneten der FDP) auch darüber reden müssen: Was kommt nach dieser Zeit, in der Phase, die die einen diejenige des Aufbaus nennen Wir haben gestern in dieser Koalition weitreichende und die ich die Phase der Innovation nenne? Entscheidungen getroffen. Ich bin der Frau Bundeskanz- lerin, dem Bundesfinanzminister und dem Bundesinnen- Wir brauchen natürlich ein Innovationspaket für Euro- minister ausgesprochen dankbar, dass es möglich war, pa. Das will ich auch an der Stelle noch mal deutlich diese Entscheidungen zu treffen, die stärkere Hilfen für machen: Auch da, sehr geehrter Herr Kollege Hofreiter, den Mittelstand, die stärkere Hilfen für die Arbeitnehmer geht es nicht darum, dass wir – wörtliches Zitat – und auch eine Starthilfe für die Gastronomie beinhalten. „glimpflich“ aus dieser Krise herauskommen. Nicht glimpflich, sondern grunderneuert muss Europa aus die- Wenn man den Reden zugehört hat, weiß man nicht, ob ser Krise herauskommen, um stärker zu sein für die Zu- das jeder hier verstanden hat. Wir schaffen für mittel- kunft, mit Innovationen im Bereich der Digitalisierung, ständische Unternehmen die Möglichkeit, dass man Ge- winne aus der Vergangenheit in die Zukunft mitnimmt (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE und Verluste, die jetzt gemacht werden, im weitesten GRÜNEN]: „Glimpflich“ bezog sich auf die Sinne miteinander verrechnet. Wir schaffen bei der Kurz- Pandemie!) arbeit Regelungen, dass die, die länger in der Kurzarbeit bleiben müssen, bessergestellt werden, um ihre Situation der Robotik, der Medizin, der neuen Technologien. Das erträglicher zu gestalten. ist der Auftrag, wenn man stärker aus der Krise kommen will und nicht einfach nur glimpflich, meine Damen und Wir als Gesellschaft brauchen zukünftig auch wieder Herren. Orte der Begegnung; Orte des Zusammenkommens; Or- te, wo gesellschaftliches Leben wieder so stattfindet, wie (Beifall bei der CDU/CSU) wir es gewohnt waren. Dazu gehören Gaststätten und Dann geht es auch um die Souveränität in Europa, und Restaurants, und deswegen muss man dafür sorgen, dass auch darauf will ich hinweisen. Über die eine oder andere diese Gaststätten und Restaurants eine Überlebenschance Abhängigkeit Deutschlands und Europas von der Welt haben, wenn sie wieder an den Start gehen, und Verluste, konnte man sich in den vergangenen Wochen und Mona- die sie in der Zeit des Lockdowns gemacht haben, aus- ten in der Tat nur wundern. Ja, wir sind ein weltoffenes gleichen können. Deswegen ist es so bedeutsam und so (B) Land, und wir wollen den freien Handel. Aber Austausch (D) wichtig, dass wir die Mehrwertsteuer an dieser Stelle mit anderen darf nicht zur einseitigen Abhängigkeit füh- absenken, damit dann, wenn das gesellschaftliche Leben ren. Deswegen müssen wir über diese Frage – die eigene dort wieder stattfindet, die Chance auf dauerhaftes Über- Handlungsfähigkeit in Europa – wieder stärker reden, leben dieser Gastronomie besteht. eine europäische Souveränitätsoffensive starten. Ja, es (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. ist notwendig, die Versorgung mit wichtigen Medizin- Sebastian Münzenmaier [AfD]) produkten, mit Medikamenten in Europa alleine sicher- zustellen, ebenso die Versorgung mit Komponenten für Wir haben – ein weiterer Punkt – Gott sei Dank starke kritische Schutzbekleidung. Ja, das muss in Europa si- Krankenhäuser und eine starke Gesundheitsversorgung chergestellt werden. in allen Regionen in Deutschland. Ich kann nur sagen: Gut, dass wir sie haben, insbesondere wenn man sich Das ist bei anderen Elementen auch dringend notwen- manche Debatten der Vergangenheit anschaut, wo sehr dig, und es ist, lieber Herr Wirtschaftsminister, in einer darüber diskutiert worden ist, wie viel Krankenversor- Phase, in der wir uns aus einer Krise wieder herausbe- gung man denn in der Fläche, in der Region braucht. Frau wegen, mit unseren Unternehmen dafür zu sorgen, dass Bundeskanzlerin, Sie haben dankenswerterweise heute wir Produkte in Europa und Deutschland herstellen kön- auch davon gesprochen, dass wir die Gesundheitsämter nen, die eigene Versorgung sichern. Ferner ist dafür zu für die Zukunft stärken müssen. Das hat unsere volle sorgen, dass diese Unternehmen, wenn sie in Schwierig- Unterstützung. keiten geraten, jetzt nicht auf dem Ramschmarkt der Welt verscheuert werden, sondern dass die Unternehmen in Es sind aber nicht nur die Gesundheitsämter, es sind Deutschland und Europa weiterhin eine Chance haben. auch unsere Krankenhäuser. Wir brauchen eine bestmög- Dafür zu sorgen, ist jetzt Aufgabe der Politik. liche medizinische Versorgung nicht nur in den Ballungs- räumen, in den Metropolen, sondern überall in Deutsch- Herzlichen Dank. land, in der breiten Fläche, auch auf dem Land, und das (Beifall bei der CDU/CSU) ist ebenfalls eine Lehre aus Corona: Wir müssen dafür sorgen, dass die Versorgung mit Intensivstationen, mit Intensivbetten und mit normaler medizinischer Spitzen- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: betreuung überall in Deutschland stärker möglich ist als Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Bärbel Bas, in der Vergangenheit. SPD. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) 19316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

(A) Bärbel Bas (SPD): man anfangen, jetzt schon Schulen und Kitas wieder zu (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch- öffnen; aber dann müssen wir uns die Alternative angu- land liegt auf dem zweiten Platz beim Kampf gegen das cken. Der Auffassung kann man ja sein, dass man dann Coronavirus, so jedenfalls das Ergebnis einer internatio- die Risikogruppen und die älteren Menschen isoliert. Und nalen Vergleichsstudie, die am Wochenende bekannt jetzt gucke ich einmal in Richtung AfD, wurde. Auch in internationalen Medien wird immer wie- der anerkennend über unsere Maßnahmen berichtet, und (Zuruf des Abg. Sebastian Münzenmaier dafür gibt es einige Gründe. Dazu zählen vor allem früh- [AfD]) zeitige und weit verbreitete Tests und eine hohe Anzahl weil das für mich keine Alternative ist: Sie wollen doch an Intensivbetten. nicht beispielsweise Ihren Vorsitzenden, den Herrn Gauland, isolieren. (Lachen bei der AfD) Als bei uns die ersten Fälle auftraten, konnten wir die (Dr. [SPD]: Doch! – Zuruf Kontaktpersonen schnell testen und sie auch isolieren. von der LINKEN: Das wäre eine gute Idee! – Aber auch wir kamen irgendwann an einen Punkt, an Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie würden das dem die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar wa- gerne machen, das kann ich verstehen!) ren, und das Virus begann sich schnell auszubreiten; die- – Nein, das ist für mich keine Alternative. Deswegen sage se schnelle Ausbreitung mussten wir stoppen. ich das ganz deutlich. Unser Ziel ist es, das Gesundheitssystem funktionsfä- Aber wenn wir über breite Öffnung reden, dann müs- hig zu halten. Wir wollen, dass alle, die an Corona er- sen wir auch darüber reden, wie wir Risikogruppen und kranken, so gut wie möglich versorgt werden können, ältere Menschen schützen wollen; deshalb wollte ich das und wir wollen natürlich ebenso, dass die, die einen Herz- an diesem Beispiel deutlich machen. Wir dürfen das nicht infarkt erleiden, einen Schlaganfall, einen Unfall haben, zu schnell machen. Davor kann auch ich nur warnen. Es auch noch einen Platz in den Krankenhäusern und auf den fehlen einfach Belege über diese Isolierungen und dafür, Intensivstationen bekommen. Unser Gesundheitssystem welche Risikogruppen wir am Ende haben. funktioniert hier bisher gut. Wenn gerade die Zahl der Neuinfektionen sinkt, dann ist das ein Erfolg, den wir Und eines will ich auch noch erwähnen. Die Schutz- auch den jetzt ergriffenen Maßnahmen zu verdanken ha- schirme, die wir gespannt haben, haben noch Lücken. ben. Das kann ich auch dem Herrn Brinkhaus nicht ganz er- sparen: Ja, das kostet alles Geld. Aber wir haben zum Dieser Erfolg – das spüren wir alle – ist mit großen Beispiel nach wie vor noch keine Hilfe für Studierende, (B) Belastungen verbunden. Uns fehlt der Kontakt zu Freun- (D) die ihre Nebenjobs verloren haben, für Angehörige, die den und Familie, und Familien müssen Arbeit und Kin- jetzt in die Pflege einsteigen müssen und Verdienstausfall derbetreuung in dafür oft viel zu kleinen Wohnungen haben. Wir haben gemeinnützige Unternehmen, die nicht unter einen Hut bringen. Unternehmen stellen die Arbeit unter den Schutzschirm fallen. Das müssen wir noch re- ein, und viele Menschen verlieren ihre Arbeit oder fragen geln; da können wir nicht sagen: Dafür haben wir jetzt sich, ob sie in ein paar Wochen überhaupt noch einen Job kein Geld mehr. – Übrigens dürfen die Boni, die wir für haben. Pflegekräfte versprochen haben, jetzt auch nicht am Fi- Wir alle wünschen uns – das kann ich, glaube ich, auch nanzstreit scheitern. Das ist versprochen worden, und das für alle hier im Haus sagen –, dass dieser Lockdown so muss für die Pflegekräfte auch kommen. schnell wie möglich beendet wird. Es ist auch richtig, dass wir darüber diskutieren, wie wir wieder zu einem (Beifall bei der SPD sowie des Abg. halbwegs normalen Leben zurückkehren. Wir müssen Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) aber genauso ehrlich auch die Frage beantworten und Deshalb sollten wir uns hier auch noch mal starkma- diskutieren, ab wann das denn möglich ist. Und, Herr chen und die weiteren Anstrengungen und Diskussionen Lindner, wir wissen „mehr“ – haben Sie gesagt. Das nutzen, um genau diese Dinge noch zu unterstützen; denn stimmt. Aber wir wissen noch lange nicht alles. für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Wir brauchen eine viel breitere Datenbasis, auf der wir wichtig, dass wir nicht nur auf die Lauten hören, sondern eben genau solche Lockerungsentscheidungen treffen dass wir eben auch genau an die soziale Struktur und an können, und wir müssen viel mehr testen als bisher. Wir die vielen Menschen denken, die jetzt in dieser Krise müssen wissen, wo und wie Infektionsherde entstehen, noch keinen Schutzschirm gefunden haben, unter den und wir müssen einzelne Infektionen auch wieder nach- wir sie stellen können. Dafür wollen wir als Sozialdemo- verfolgen können. Das sind die entscheidenden Dinge, kraten weiter kämpfen, und wir würden uns sehr freuen, die wir neben einer viel breiteren Begleitforschung brau- wenn Sie das unterstützen. chen, um auch mehr über das Virus zu lernen. (Beifall bei der SPD) Warum das wichtig ist, will ich noch mal sagen; wir haben das vorhin auch schon angesprochen. Es geht um Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die Öffnung von Schulen und Kitas. Es gibt erste Studien, Nächster Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, die darauf hinweisen, dass kleine Kinder Covid-19 viel- CDU/CSU. leicht nicht übertragen. Das sind aber erst nur einzelne Hinweise; das ist noch nicht gesichert. Natürlich kann (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19317

(A) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Da haben wir die Rückendeckung mehrerer Bundesver- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der fassungsgerichtsurteile. Ich rate Ihnen dringend, sich ein- aktuelle Schuldenstand des Bundes beträgt rund 1,2 Bil- mal die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes lionen Euro. Er ist in den letzten sieben Jahren nicht ge- der Bundestagsverwaltung zu diesem Thema durchzule- wachsen. Wir haben einen Garantierahmen von über sen; das mag nicht Ihre Auffassung sein. Ich sage nur: 1 Billion Euro auf den Weg gebracht, und wir haben Wir als Unionsfraktion wollen unser Budgetrecht behal- 156 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, wo- ten und sehen uns hier auf dem Boden des Grundgesetzes. von 100 Milliarden Euro getilgt werden müssen. So sieht es der Artikel 115 Grundgesetz vor. Das ist richtig gut Vizepräsident : angelegtes Geld für den Bereich Gesundheitsschutz, für Kollege Rehberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unterneh- von Herrn Kindler? mer und Selbstständige. Was mich an dieser Debatte heu- te etwas irritiert hat: Außer vonseiten der Union hat nie- mand darauf hingewiesen, dass wir auch die Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): finanzpolitische Solidität in der Zukunft im Blick behal- Ja klar, gerne. ten sollten.

(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, nein, nein! Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir auch!) NEN): Kollege Rehberg, vielen Dank, dass Sie die Zwischen- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fand es sehr ehr- frage zugelassen haben. – Wir haben über die Frage von lich, dass Jens Spahn gestern im Haushaltsausschuss da- sogenannten Coronabonds schon im Haushaltsausschuss rauf hingewiesen hat, dass die Rücklagen beim Gesund- geredet. Sie hatten dort die gleiche rechtliche Einschät- heitsfonds aufgebraucht sind. Ich würde mir diese zung gegeben, die Sie jetzt hier in der Rede gegeben Ehrlichkeit bei anderen Ministerinnen und Ministern haben. Ist Ihnen aber bekannt, dass die Frage nach einer auch wünschen. Es stellt sich doch die Frage: Wie lange gesamtschuldnerischen oder einer teilschuldnerischen reicht die Rücklage bei der Arbeitslosenversicherung, Haftung einen Unterschied macht bei der Frage nach ge- wie lange reichen die 26 Milliarden Euro? Wie lange meinsamen europäischen Anleihen? Ist Ihnen auch be- reichen die 40 Milliarden Euro bei der Rente? Wie lange kannt, dass die Europäische Union schon heute gemein- decken die Einnahmen bei der Pflege die Ausgaben? Ge- same Anleihen herausgibt? hen wir denn wirklich davon aus, dass wir in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren genau die Einnahmesitua- Das hat mir die Bundesregierung auch beantwortet, (B) tion haben werden wie im Jahr 2019, wie vor Corona, und zwar – ich zitiere –: (D) oder ist hier auch ein bisschen Innehalten, ein bisschen Solidität durchaus angebracht, liebe Kolleginnen und Die Ausgabe von Anleihen für den EFSM, das „Ba- Kollegen? lance of Payments (BoP)“-Programm und die Macro Financial Assistance (MFA) ist tatbestandlich eng Ich habe mittlerweile fünf Enkel, und ich habe hier an begrenzt und basiert auf Rechtsakten mit entsprech- dieser Stelle immer gesagt: Ich bin stolz darauf, keine ender vertraglicher Grundlage. neuen Schulden zu machen. Ich sage an dieser Stelle aber auch: Ich möchte meinen Kindern und Enkeln nicht Danach hatte ich die Bundesregierung gefragt; das sind 1,5 Billionen oder 2 Billionen Euro Schulden vom Bund gemeinsame europäische Anleihen. überlassen, auch mit Blick auf Europa. Europa lebt von Wir schlagen wie andere Länder einen großen Reco- der deutschen finanzpolitischen Solidität, davon, dass wir very Fund in Höhe von 1 Billion Euro vor und dann, diese Garantien geben können und dass sich andere Staa- gemeinsame europäische Anleihen zu begeben. Diese ten so günstig refinanzieren können, liebe Kolleginnen sind dann teilschuldnerisch, also begrenzt für den deut- und Kollegen. schen Bundeshaushalt, und rechtlich klar definiert nach den Vorgaben des Recovery Fund, die besagen, für wel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. che Maßnahmen man sie ausgeben kann, zum Beispiel Dr. Florian Toncar [FDP]) auch für Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem Deswegen noch ein Wort zu Europa. Kollege Green Deal stehen. Das heißt, auch das erfüllt die Vor- Hofreiter, der Artikel 125 AEUV ist einschlägig, nicht gaben des Verfassungsgerichts, und es erfüllt, wenn man der Artikel 122 Absatz 2. Und was für mich als Abge- es über Artikel 122 AEUV machen würde, auch die Vor- ordneter hier im Deutschen Bundestag noch einschlägi- gaben europäischer Verträge. ger ist, ist das Grundgesetz und sind die Urteile des Bun- (Dr. Florian Toncar [FDP]: Wo ist die Frage?) desverfassungsgerichts. Ich sage Ihnen sehr klar und deutlich: Ich als gewählter deutscher Abgeordneter Man hätte gemeinsame Garantien der Mitgliedsländer, möchte ein uneingeschränktes Budgetrecht über den aber keine gemeinschaftliche Haftung – das ist richtig – Bundeshaushalt haben und auch weiter behalten – unein- wie bei Coronabonds. geschränkt. Trotzdem kann man es regeln, dass man mit gemeinsa- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie men Anleihen in sehr großen Volumina einen Wiederauf- bei Abgeordneten der AfD) bau durch einen Recovery Fund finanziert. 19318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Sven-Christian Kindler (A) Sind die Bundesregierung und die Unionsfraktion be- zur Reideologisierung. Auch wenn in Europa und auch (C) reit, einen solchen Weg zu gehen, wie ihn andere Länder hier im Hohen Haus die europäische Solidarität von eini- vorgeschlagen haben, gen angezweifelt wird: Für uns in der CDU/CSU-Frak- tion gehört europäische Solidarität zu unserer Grund- (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wie viel überzeugung, zu unserer politischen DNA. Redezeit hat er eigentlich? – Dr. Florian Toncar [FDP]: Keine Korreferate hier!) (Beifall bei der CDU/CSU) um den Wiederaufbau in Europa und die Bewältigung Denn die Europäische Union ist eben keine Schönwet- dieser großen ökonomischen Krise in Europa jetzt auch terveranstaltung, sondern sie beweist sich im Täglichen. gemeinsam solidarisch zu finanzieren? Wir Deutsche sind solidarisch mit unseren europäischen Partnern, und wir sind es übrigens immer gewesen, auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den schweren Stunden der Staatsschuldenkrise. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir uns we- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): der von einigen hier im Hohen Hause noch von Populis- Herr Kollege Kindler, die Bundesregierung hat ge- ten in Rom, Paris oder Madrid kaputtreden lassen. zeigt – ich glaube, die Bundeskanzlerin wird das auch heute zeigen –, dass wir solidarisch sind. Wir haben ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Paket auf den Weg gebracht mit drei Säulen: 200 Milliar- Wir helfen im gesundheitlichen Bereich. So haben wir den Euro bei der EIB, 100 Milliarden Euro „Sure“-Kurz- wiederholt Intensivpatienten aus Italien, Frankreich und arbeitergeld und 240 Milliarden Euro über die ECCL des den Niederlanden aufgenommen. Wir haben medizini- ESM. Hier, glaube ich, ist es eher angezeigt, dass wir als sche Hilfsgüter nach Italien geschickt und über 100 Beat- Deutscher Bundestag darauf drängen, dass die Europä- mungsgeräte nach Großbritannien und Spanien geliefert. ische Kommission das umsetzt – denn schnelle Hilfe ist aktuell die beste Hilfe in der Krise –, und dass wir uns Solidarisch sind wir auch, lieber Herr Hofreiter, bei der dann möglicherweise in die Debatte begeben, die Sie Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen. Auf europä- eben angerissen haben. ischer Ebene haben wir in kürzester Zeit wichtige Grund- lagen für Finanzhilfen in Höhe von 540 Milliarden Euro Aber ich widerspreche Ihnen ausdrücklich: Wenn wir geschaffen. Für uns ist klar: Unsere Solidarität wird hier uns über einen Wiederaufbaufonds unterhalten – das hat nicht enden. Lieber Herr Hofreiter, auch hier noch einmal die Bundeskanzlerin deutlich gemacht –, dann sollte das für Sie das klare Bekenntnis: Weitere Maßnahmen des im Rahmen der Gespräche über den EU-Haushalt sein. Wiederaufbaus der Wirtschaft werden wir unterstützen. Nehmen wir nur mal das Thema Kohäsionsfonds: Warum (B) muss ich einen Wiederaufbaufonds neu erfinden, wenn Wer sich jetzt hinstellt und angesichts der dramati- (D) ich Strukturfonds habe? schen Lage Coronabonds als alleinige Lösung fordert, der gefährdet in der Tat den Zusammenhalt in Europa; (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, eben!) die Vorredner haben es deutlich gemacht. Wir sind keine Warum nutze ich nicht vorhandene Instrumente? Ich schlechten Europäer, nur weil wir als CDU/CSU-Bundes- komme aus einem neuen Bundesland. Ohne die europä- tagsfraktion Coronabonds nicht als Lösung für Europa ischen Strukturfonds sähe Mecklenburg-Vorpommern sehen – im Gegenteil. Es ist vielmehr so wie im echten heute nicht so aus, wie es aussieht. Warum soll das in Leben: Falsche Solidarität, die am Ende alle schwächt, ist Italien, Spanien, Frankreich oder Griechenland nicht eben falsch verstandene Solidarität. auch möglich sein, Kollege Kindler? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Es gilt auch das, was Ecki Rehberg hier eben gesagt hat Bettina Stark-Watzinger [FDP]) und Ralph Brinkhaus davor: Für uns geht es auch um Insoweit: Wir brauchen aus meiner Sicht nicht monate- fiskalische Solidität, auch in der Krise. lange, jahrelange Debatten über neue Instrumente, son- Sehr geehrte Damen und Herren, ja, wir streiten in dern schnelles Handeln ist richtiges Handeln, auch und Europa über den richtigen Weg, und es ist auch richtig für Europa. so, dass wir das tun. Es sind viele Staaten, die hier mit- Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. einander zusammenarbeiten. Noch einmal: Was wir nicht brauchen können, sind ideologische oder rückwärtsge- (Beifall bei der CDU/CSU) wandte Debatten. Was wir jetzt brauchen, sind pragma- tische und zielgerichtete Maßnahmen für ein Europa, das Vizepräsident Thomas Oppermann: gestärkt aus der Krise herausgeht. Genau das wollen wir; Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der denn nur ein starkes Europa wird am Ende des Tages im CDU/CSU die Kollegin Dr. Katja Leikert. globalen Wettbewerb neben Akteuren wie China oder den USA Bestand haben. (Beifall bei der CDU/CSU) Dabei, sehr verehrte Damen und Herren, sind drei Punkte für mich ganz zentral. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Erstens müssen wir an der nachhaltigen Ausgestaltung Kollegen! In der Coronakrise beobachten wir in ganz der Wirtschaft festhalten. Hier sehe ich die Krise auch Europa wachsende Unsicherheit und auch einen Trend wirklich als eine Chance, schnell auf zukunftsorientierte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19319

Dr. Katja Leikert (A) Technologien umzurüsten. Der Green Deal der Europä- Wir sind nicht am Anfang einer Pandemie, wir sind seit (C) ischen Kommission ist hierfür eine wichtige Grundlage. Anfang des Jahres 2020 global mittendrin. Nur hat die Denn wahr ist auch: Wir befinden uns ja längst mitten in Bundesregierung und auch Gesundheitsminister Spahn es der nächsten Krise, der Klimakrise; das ist so. Es war vorgezogen, die dramatischen Signale aus China und spä- nicht nur einmal wieder ein warmer März, sondern das ter Italien zu ignorieren. Die Maskenmaskerade, Frau hat mittlerweile eine Dimension, die auch für uns gravie- Merkel, so möchte ich es bezeichnen – „keine Maske“, rende Folgen haben wird. Gerade deshalb wird es für uns „schädliche Maske“, „vielleicht Maske“ und „bald doch überlebenswichtig sein, den Weg hin zu einer klimaneut- Maske“, am besten in Heimarbeit genäht und nicht pro- ralen EU weiterzugehen. fessionell mit medizinischem Nutzen –, diese Masken- maskerade wird, so fürchte ich, später in einem Atemzug Zweitens – auch das hat die Kanzlerin vorhin ange- mit Powells Unwahrheiten über die Massenvernichtungs- sprochen; es ist ganz wichtig –: Wenn wir die Europä- waffen im Irak zu nennen sein. Und sie ist so leicht zu ische Union als globalen Akteur sehen, dann muss Euro- entlarven. pa autonomer und unabhängiger von Drittmärkten werden. Wir müssen strategisch wichtige Industrieberei- Warum stehen wir in Deutschland doch vergleichswei- che wie den Verteidigungs- oder den Transportsektor se gut da? Weil Kommunen und Landkreise, Bürgermeis- stärken. Auch hier hat die Kommission gute Ansätze in ter und freiwillige Bürger vor Ort funktioniert haben, in ihrer Industriestrategie vorgelegt, die wir weiterentwi- Sozialstationen und Krankenhäusern, ganz ohne Basta ckeln müssen. aus dem Kanzleramt. Der Föderalismus hat viel besser funktioniert, als mancher erwartet hat, und er hätte noch Drittens müssen wir dringend in die Digitalisierung viel besser funktionieren können, wenn es frühzeitig von Wirtschaft und Bildung investieren. Wir brauchen Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen für Risiko- den digitalen Binnenmarkt, auch europäische Plattfor- gruppen gegeben hätte. men. Wir machen Videokonferenzen über Zoom und We- bex – das könnten wir vielleicht auch europäisieren. Das Auch Markus Söder und gebührt Dank. ist wichtig, wenn es die Europäische Union ernst damit Sie sind vorgeprescht, sie haben Druck auf die Bundes- meint, Standards zu setzen. Gerade hier können wir auch regierung ausgeübt – erst für notwendige Beschränkun- viel von anderen Mitgliedstaaten lernen; ich denke an das gen und jetzt auch für notwendige Lockerungen –, und sie Homeschooling bei mir daheim oder auch an Homeof- verdienen es nicht, verbal abgekanzelt zu werden. Sie, fice. Frau Merkel, wirken getrieben wie – unter anderen Vo- raussetzungen – vor fünf Jahren. Kraftvolles Agieren Deutschland geht es nur gut in einer innovativen, star- geht anders. ken Europäischen Union. Lassen Sie uns das gemeinsam (B) anpacken in einer starken Gemeinschaft von solidari- Ich habe nun trotzdem einige Fragen an Sie und die (D) schen Staaten. Bundesregierung: Wie wägen Sie zukünftig zwischen den Pandemieschäden und den wirtschaftlichen Folgen Herzlichen Dank. des Shutdowns ab, die noch dramatischer ausfallen könn- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. ten? Was haben wir denn erreicht? Wir haben mit maxi- Dr. Eva Högl [SPD]) malem Geschütz den totalen Kollaps verhindert. Aber wie teuer uns dieser nicht erfolgte Kollaps zu stehen kommt, können Sie nicht sagen; hier fehlt der Plan. Ich Vizepräsident Thomas Oppermann: bitte Sie: Hören Sie auf, angeblich wirksame Maßnahmen Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die fraktionslose wie die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu initi- Abgeordnete Dr. Frauke Petry. ieren oder zu verkünden, es gebe keine Arbeitslosen durch Corona. Sie wissen viel besser, dass es unmöglich Dr. Frauke Petry (fraktionslos): ist. Was tun Sie, um den Steuerzahlern zukünftige Lasten Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und zu ersparen? Bitte, ich brauche ein eindeutiges Nein zu Herren! Niemand bestreitet, dass uns das neuartige Virus Euro-Bonds von Ihnen! Covid-19 kalt erwischt hat. Die Frage lautet nur: Warum? Was wir noch brauchen, ist mehr Forschung in viele Meine Damen und Herren, wer ist verantwortlich dafür, medizinische Ansätze. Ich erwähne dabei, dass inzwi- dass die sprichwörtliche Blaupause, der Pandemieplan schen bekannt ist, dass Covid-19 offenbar ein Helferbak- von 2012, offenbar nicht umgesetzt wurde? Es wird Auf- terium aus der sogenannten Prevotella-Familie hat. Wer- gabe dieses Parlaments oder eines späteren sein, zu klä- den wir hier erfolgreich, lässt sich erhärten, dass wir ren, wie es passieren konnte, dass wir am Ende nahezu einen Therapieansatz haben, dann wäre es möglich, ohne Schutzmasken und andere Schutzausrüstung klar- Schulen und Kitas schon bald wieder zu öffnen. kommen mussten, obwohl der Bundestag eine sehr detail- lierte Ausarbeitung dazu gefertigt hatte. Kurzum: Überlassen Sie den Wissenschaftlern und Praktikern vor Ort das kraftvolle Agieren, und fördern Dass Sie, Frau Merkel, sich scheinbar demütig einrei- Sie die demokratische Kontroverse! Das wissen Sie als hen und Bürgern vermitteln, das wir alle gemeinsam in Physikerin besser als manch anderer. eine milchige Coronaglaskugel blicken, ist taktisch klug, aber leider unehrlich. Die Pandemie ist keine neuartige Erfahrung. Epidemien, Pandemien sind wiederkehrende Vizepräsident Thomas Oppermann: Ereignisse. Der Bundestag wusste das 2012 offensicht- Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion lich, und Sie waren damals Bundeskanzlerin. der CDU/CSU der Kollege Dr. Carsten Linnemann. 19320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) (Beifall bei der CDU/CSU) den; hier ist Mai zu früh. Auch die Abschaffung der Vor- (C) fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge ist jetzt, denke Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): ich, ein zielgerichtetes Instrument, um der Wirtschaft zu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die helfen. Weltwirtschaft ist mit dem Coronavirus infiziert. Länder auf diesem Globus, die über 50 Prozent des weltweiten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bruttosozialproduktes erwirtschaften, befinden sich der- Wir müssen auch europäisch helfen, und zwar mit voller zeit im Lockdown. Das trifft unsere Wirtschaft mit voller Wucht. Der Kollege Rehberg hat das, wie ich finde, rich- Wucht. Es geht auch ins Mark, gerade für den Mittel- tig angesprochen. Wir müssen erstens mit viel Geld hel- stand, der sehr stark exportorientiert ist und unter den fen, aber – auch das wurde deutlich – wir dürfen Solida- abgebrochenen oder unterbrochenen Lieferketten leidet. rität nicht mit Haftungsvergemeinschaftung verwechseln. Es trifft unsere ganze nationale Wirtschaft. Wir haben Branchen, die derzeit keine Umsätze machen, aber lau- Wir müssen zweitens den Firmen eine Perspektive ge- fende Kosten haben. Ich denke da an die Veranstalter, an ben, sodass sie genau wissen, unter welchen Auflagen den Einzelhandel, an die Gastronomie, an das Reisege- und Bedingungen sie langsam wieder Fahrt aufnehmen werbe, an Schausteller, Messebauer, Hotels und vieles können. mehr. Der Arbeitsmarkt – das muss man nüchtern sagen – Drittens müssen wir den Exit vorbereiten. Wir müssen ist heute um ein Vielfaches heftiger getroffen als bei der immer wissen, dass die Instrumente, die wir jetzt auf den letzten Rezession 2008/2009. Wir haben heute über Weg bringen – ich denke hier beispielsweise an den Wirt- 700 000 Firmen und Unternehmen, die das Instrument schaftsstabilisierungsfonds mit Staatsbeteiligung –, im- Kurzarbeit nutzen; das ist fast ein Drittel aller Unterneh- mer befristet sind und dass wir da wieder herausmüssen. men in Deutschland. Das geht ins Mark. Die soziale Marktwirtschaft kann das auf Dauer nicht Darauf hat die Regierung reagiert, unterm Strich – bei aushalten, und wir müssen allen entgegentreten, die eine aller Kritik – richtig. Die CDU/CSU-Fraktion – das hat Verstaatlichung von Unternehmen und eine Vergemein- auch Ralph Brinkhaus eben deutlich gemacht – unter- schaftung von Haftung vorantreiben wollen. stützt das Vorgehen. Nur, klar ist auch – auch das wurde deutlich –: Unsere Möglichkeiten sind nicht unendlich, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sondern endlich. Wir können nicht monatelang – das wis- Die soziale Marktwirtschaft – um das ganz klar zu sen wir alle – so weitermachen, als gäbe es kein Morgen. sagen – ist und bleibt unser Erfolgskonzept – vor der Auch unser Staat kommt irgendwann an seine Grenzen. Krise, in der Krise und nach der Krise.

(B) Deshalb ist es wichtig, dass wir uns heute Gedanken Vielen Dank. (D) auch über die Zeit nach Corona machen: Welche Trends gibt es? Wie wird die Entwicklung sein? Ich sehe vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- allen Dingen drei Trends. ordneten der FDP) Erstens. Die Welt wird digitaler sein. Unternehmen und Staaten erleben gerade – das hat die Kollegin Katja Vizepräsident Thomas Oppermann: Leikert gesagt – einen Crashkurs in E-Commerce, in Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die digitalem Arbeiten und digitaler Kommunikation. Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Georg Nüßlein. Zweitens. Die globalen Lieferketten werden sich neu (Beifall bei der CDU/CSU) ordnen, die Lagerhaltung wird zunehmen. Das macht etwas aus für ein Unternehmen: Das Unternehmen wird Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): auf der einen Seite widerstandsfähiger sein, aber auf der Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Mo- anderen Seite auch weniger profitabel. mentan wird eine Frage ziemlich häufig diskutiert, näm- Jetzt kommt ein dritter Punkt, und der ist für mich lich die Frage, warum unser Land, wie es jetzt scheint, zentral: Es wird einen Konzentrationsprozess in der Wirt- ziemlich glimpflich durch diese Krise kommt. Was unter- schaft geben, flankiert mit dem Umstand, dass der Staat scheidet das Gesundheitssystem Deutschlands von ande- sich mehr einmischt, sich mehr beteiligt, mehr umverteilt. ren? Ich will das ganz kurz schlagwortartig beleuchten. Dieses beides zusammen – ein Konzentrationsprozess in Erstens. Wir haben gut ausgebildetes, leistungsbereites der Wirtschaft und ein ausgeweiteter Staat – mag im Ein- und leistungsfähiges Personal, und zwar – ich sage das zelfall notwendig, ja, sogar richtig sein – das sehen wir im bewusst aus politischen Gründen – nicht nur akademisch Moment –, aber langfristig ist das natürlich Gift für ausgebildetes Personal. Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Deswegen – das ist meine Überzeugung – brauchen wir jetzt in dieser Zweitens. Wir haben keine Zugangsschranken. Die Krise ein kluges Vorgehen. Versicherung macht hier einiges aus. Das mag in den USA ein Problem sein. Wir müssen akut helfen. Dabei geht es vor allen Din- gen um Liquidität. Das, was heute Nacht beschlossen Drittens. Wir haben eine flächendeckende Versorgung wurde – Stichwort „Verlustverrechnung im steuerlichen durch unsere Krankenhäuser – auch im ländlichen Raum; Bereich“ –, ist absolut richtig; das ist eine absolut richtige das hat Alexander Dobrindt vorhin beleuchtet. Sie ist Maßnahme. Hier müssen wir weiterkommen. Wir müs- ganz wichtig, und wir müssen sie in Zukunft noch stärker sen daneben die Sozialversicherungsbeiträge länger stun- schützen und ins Blickfeld der Politik rücken. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19321

Dr. Georg Nüßlein (A) Viertens. Wir haben keine Staatsmedizin. Herr – Schreien Sie doch nicht die ganze Zeit, sonst muss ich (C) Bartsch, wenn Sie nach England schauen, dann können auch noch lauter reden. Wie können wir, bei der Versor- Sie sich anschauen, was da geleistet wird. Das ist etwas, gung mit Medikamenten, dafür Sorge tragen, dass wir sie was mich nicht hoffnungsvoll macht, dass Ihr Konzept nicht in China bzw. Asien kaufen müssen, sondern dass irgendeine Chance hat, etwas zu verbessern. Ganz im das bei uns geht? Da gibt es auch entsprechende Maß- Gegenteil. nahmen. Ich bin zum Beispiel jemand, der dafür eintreten wird, dass wir in Zukunft, wenn wir Rabattverträge, also Fünftens. Die Politik hat an dieser Stelle früh und klar die Medikamentenbeschaffung, ausschreiben, nicht nur eingegriffen und gemeinsam mit duldsamen Bürgern, die einem, sondern mindestens zweien den Zuschlag geben verstanden haben, um was es geht, tatsächlich dafür ge- und dass davon einer den Zuschlag bekommt, der eine sorgt, dass wir das Problem eindämmen. europäische Lieferkette nachweist. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihre (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) Bundeskanzlerin hat von der Stärkung des öf- fentlichen Gesundheitssystems gesprochen, Diese Dinge werden wir also ändern müssen; das ist und zwar zu Recht!) vollständig richtig. Aber dass Sie jetzt schon anfangen, das, was wir hier tun und was die breite Mehrheit der – Hören Sie auf! Jetzt sind die anderen dran. Menschen zu Recht mitträgt, Jetzt komme ich zu dem, was mich an der Debatte (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Noch! – heute am meisten schockiert hat. Das war nämlich die [AfD]: Warten Sie mal ab!) Rede von Herrn Münzenmaier; hier rechts sitzt er, genau. Der Herr Gauland hat sich zurückgehalten. Das mag mit zu diffamieren, ist schändlich. Altersweisheit zu tun haben, das könnte aber auch damit (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem zu tun haben, dass er gewusst hat, dass der nächste Red- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ner hier etwas anderes vortragen wird. Wir werden natürlich zu Öffnungen kommen müssen. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Oh Gott!) Dabei kommt es, wie der Herr Gauland gesagt hat, ganz Das war aber nur ein Vorgeschmack auf das, was uns klar auf die Eigenverantwortung an. Aber die Eigenver- demnächst blühen wird. Wenn das, was wir hier politisch antwortung der Menschen ist nicht die Lösung, sondern veranlasst haben, und das, was unser Gesundheitssystem die Bedingung dafür, dass die Lockerungen, die jetzt auf leistet, am Schluss Erfolg haben, dann werden Sie, von dem Weg sind, gelingen, denen man die ganze Zeit nichts gehört hat, aus Ihren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) Löchern kommen und sagen: Das war alles unnötig, ihr (D) habt die Wirtschaft ohne Not ruiniert, ihr habt das und und ich appelliere an die Menschen, dass sie das entspre- jenes gemacht. – Das werdet ihr tun, nachdem ihr euch chend umsetzen. Dann wird es uns glücken, relativ zügig vorher versteckt habt. auch wieder in ein sinnvolles Wirtschafts- und Gesell- schaftsleben einzusteigen. (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Am 12. Feb- ruar!) (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Also sagen Sie, wir haben Recht, aber wir sollen es nicht Sie werden sich das anschauen und dann, wenn alles gut so laut sagen, da es Kritik an der Regierung gegangen ist, den Neunmalklugen spielen, die Diffamier- ist!) barkeit des Ganzen ausnutzen und sagen: Wir von der AfD haben es gewusst. Man hätte alles ganz anders ma- Vielen herzlichen Dank. chen können. (Beifall bei der CDU/CSU – Enrico Komning (Beifall bei Abgeordneten der AfD) [AfD]: Das war nichts! – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Sie haben es versucht!) Ich sage das an dieser Stelle so prophezeiend, weil ich weiß, dass das so kommt, und weil man das jetzt schon Vizepräsident Thomas Oppermann: sagen muss, weil Sie das letztendlich genauso machen müssen. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache über die Regie- (Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/ rungserklärung der Bundeskanzlerin. CSU] – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Haben Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8 a sowie zu Sie Sorgen! Aha!) den Zusatzpunkten 8 und 20: Natürlich gibt es ein paar Dinge, die man noch ver- bessern kann. Ich denke zum Beispiel an die Versorgung 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten mit Schutzkleidung. Wir sind jetzt auf dem Weg und Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, sagen: Lasst sie uns in Deutschland produzieren. Das ist Dr. Marco Buschmann, weiterer Abgeordne- ganz entscheidend. Es geht auch um die Frage, wo die ter und der Fraktion der FDP Grenzen der Globalisierung sind. Klare und transparente Kriterien für eine differenzierte Öffnungsstrategie (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Merken Sie was?) Drucksache 19/18711 19322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Überweisungsvorschlag: Medikamente zur Heilung der schweren Coronainfektion (C) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) verfügen werden. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Die Krisenkommunikation der Bundesregierung hatte Ausschuss für Gesundheit allzu oft die Halbwertszeit von zwei Tagen. Es ist stets Haushaltsausschuss das wahrscheinlichste Szenario eingetreten, doch Herr ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anna Spahn sprach ständig von einer neuen Lage. Am 14. März Christmann, Beate Walter-Rosenheimer, Katja beispielsweise wurde die Absage von Großveranstaltun- Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion gen noch abgelehnt. Mitte März wurden die real bevor- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehenden Einschränkungen als Fake News verunglimpft. Mitte Februar hat der Wirtschaftsminister die Forderung Rettungsschirm Zivilgesellschaft – Jetzt So- nach einem Krisengipfel für die Wirtschaft noch abge- forthilfe für kleine und gemeinnützige Organi- lehnt. Anfang März gab Herr Altmaier zu, keine Notfall- sationen aufgrund der COVID-19-Pandemie pläne für die Wirtschaft zu haben. schaffen Hat die Bundesregierung die Lage falsch eingeschätzt, Drucksache 19/18709 oder sollten die gewählten Parlamente und die Öffentlich- Überweisungsvorschlag: keit bewusst im Unklaren gelassen werden? Das sind Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Fragen, die nach der Krise analysiert und bewertet wer- Ausschuss für Inneres und Heimat Sportausschuss den müssen. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Heute geht es uns Freien Demokraten nicht um die Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Bewertung von Versäumnissen der Vergangenheit, son- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe dern darum, dass endlich von der Bundesregierung klare, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung transparente, nachvollziehbare Kriterien entwickelt wer- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Kultur und Medien den, wie man Gesundheitsschutz und wirtschaftliche und Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen gesellschaftliche Öffnung miteinander verbinden kann. Haushaltsausschuss ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dieter (Beifall bei der FDP) Janecek, Dr. Anna Christmann, Claudia Müller, Denn die Beschlüsse, die die Bundeskanzlerin mit den weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Regierungschefs der Länder in der Woche nach Ostern NIS 90/DIE GRÜNEN verkündet hat, wirken ja willkürlich. Nehmen wir nur die 800-Quadratmeter-Regel beim Einzelhandel. Wenn man (B) Coronahilfen – Sozialunternehmen in der Kri- (D) se eine Chance geben infektiologisch denkt, wenn man virologisch denkt, müsste doch ein ganz anderes Kriterium zugrunde gelegt Drucksache 19/18714 werden, etwa Quadratmeter pro Kunde. Überweisungsvorschlag: Meine Damen und Herren, wir in Deutschland sind die Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Weltmeister des organisierten Arbeitsschutzes. Die Bun- Ausschuss für Arbeit und Soziales desregierung sollte deshalb jetzt endlich einen interdis- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ziplinär besetzten Expertenrat zur Begutachtung der Co- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- ronaansteckungsrisiken in Gesellschaft und Wirtschaft schlossen. berufen. Ich eröffne die Aussprache, in der Michael Theurer für (Beifall bei der FDP) die Fraktion der FDP als Erster sprechen wird. Dieser sollte klare, transparente Kriterien erarbeiten, die (Beifall bei der FDP) dann für alle Bereiche durchdekliniert werden. Der Ma- schinenführer an einem CNC-Bearbeitungszentrum Michael Theurer (FDP): braucht vielleicht andere Schutzmaßnahmen als ein Mon- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- tageteam, das in der Automobilindustrie im engen kör- ren! Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen eine Chance perlichen Kontakt, praktisch Hand in Hand, Teile an eine verpasst, sich dafür zu entschuldigen, dass mit Totschlag- Karosserie montiert. sargumenten versucht wurde, eine notwendige gesell- Niemandem ist damit gedient, wenn eine Insolvenz- schaftliche und parlamentarische Debatte über die welle weite Teile des Mittelstandes hinwegfegt. Wir sind Zukunft des Landes nach den notwendigen Coronapan- in großer Sorge, was die Unternehmen in Deutschland demie-Bekämpfungsmaßnahmen zu unterbinden. Diese und die Millionen von Arbeitsplätzen angeht. Deshalb Entschuldigung wäre die Voraussetzung dafür gewesen, fordern wir in unserem Antrag ein Programm für Wachs- den Ball von Minister Spahn aufzugreifen, der gestern tum, Beschäftigung und Innovation. Wir wollen ein hier im Plenum davon sprach, dass es Verzeihungen für Belastungsmoratorium. Es darf keine neuen Steuererhö- Versäumnisse der Bundesregierung geben müsse. hungen geben, keine neue Bürokratie, keine neuen Um- Meine Damen und Herren, wir sind es den Menschen verteilungsprogramme. Im Gegenteil: Wir brauchen So- schuldig, ihnen eine Perspektive für die nächsten zwei fortabschreibungen für bewegliche Wirtschaftsgüter, die Jahre aufzuzeigen, in denen wir mutmaßlich eben noch komplette Abschaffung des Soli, eine Entlastung bei der nicht über einen Impfstoff und auch nicht über wirksame Körperschaftsteuer und endlich auch Verlustrückträge, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19323

Michael Theurer (A) also eine negative Gewinnsteuer, die Liquidität in die Gestern hat man im Bereich der Gastronomie, befristet (C) Unternehmen pumpt. für ein Jahr, die Mehrwertsteuer auf 7 Prozent gesenkt. Kurzum: Es geht gerade in der Pandemiebekämpfung (Dr. Florian Toncar [FDP]: Dass muss der Bun- um die Unterbrechung der Infektionsketten. Aber wir destag noch beschließen! – Alexander Ulrich müssen auch dafür sorgen, dass die Interventionsketten [DIE LINKE]: Der Bundestag will auch noch des Staates, die jetzt in Gang gesetzt worden sind, ge- mitreden!) stoppt werden, damit die Grenze des Staatseingriffes – Wir werden nachsteuern, und Sie können entsprechend nicht immer weiter in Richtung einer Planwirtschaft ver- mithelfen, dass wir das zügig tun können. Wir haben in schoben wird, sondern dass die Wachstumskräfte der nächster Zeit genügend Sitzungen, um dies zu tun. Marktwirtschaft wieder wirken können. Das ist gut für die Haushaltseinnahmen des Staates. Das ist gut für die Hinzuverdienste sollen bis zum vollen Monatsver- Sicherung der Arbeitsplätze. Das ist richtig für die Zu- dienst ermöglicht werden. Auch das Kurzarbeitergeld kunft unserer vielen mittelständischen Unternehmen in soll, sofern es länger in Anspruch genommen werden Deutschland. muss, noch erhöht werden. (Beifall bei der FDP) Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass im Bereich von Veranstaltern, im Bereich der Reiseunternehmen und auch im Bereich der Start-ups Hilfen auf den Weg Vizepräsident Thomas Oppermann: gebracht werden. Diejenigen, die forschen und entwi- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der ckeln, die zukunftsfähige Produkte haben, sollen nicht CDU/CSU der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer. auf der Strecke bleiben, sondern diese Innovationen sol- (Beifall bei der CDU/CSU) len auch in Zukunft wieder stattfinden können. Auch für diejenigen, die ganz düstere Perspektiven Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): haben, zum Beispiel die Schausteller, die quasi in diesem Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Jahr null Perspektive haben und vielleicht voriges Jahr ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau vor vier beim Weihnachtsmarkt den letzten Umsatz gemacht ha- Wochen saßen wir hier im Deutschen Bundestag und ben, brauchen wir Möglichkeiten; denn natürlich wollen haben, glaube ich, eine historische Stunde erlebt. Denn wir auch diese Berufsgruppe und diesen Sektor nicht ver- wir haben das, was die Regierung vorgeschlagen hat, mit lieren. der notwendigen parlamentarischen Mehrheit und Unter- stützung versehen, und zwar in sehr großer Einmütigkeit. Das Ganze ist aber kein Selbstzweck, Kollege Theurer, (B) Es ging darum, Dinge auf den Weg zu bringen, die wir so sondern wir wollen damit Zeit gewinnen, um die Infek- (D) in der Geschichte der Republik noch nicht auf den Weg tionsrate unter die berühmten 1,0 zu senken. Ich bin kein gebracht haben. Virologe und kein Arzt. Kollege Theurer, auch Sie sind kein Virologe und kein Arzt. Wir beide sind Ökonomen Heute, nach vier Wochen, können wir sagen: Jawohl, und Kaufleute; aber auch da haben wir Statistik gelernt. die Politik wirkt. Der Schutzschild funktioniert. Die In- Wir haben in Deutschland 20 000 Betten, die für die Be- strumente bringen die Mittel dorthin, wohin sie sollen, atmung zur Verfügung stehen; wir brauchen auch Inten- zum Beispiel die Soforthilfen für die Solo-Selbstständi- sivbetten für Patienten mit anderen Krankheiten. Da die gen und die kleinen Betriebe mit null bis zehn Beschäftig- Statistik besagt, dass wir beim Faktor von 1,2 in vier ten. Knapp 1,9 Millionen Betriebe, also fast die Hälfte Monaten 50 000 Betten brauchen und beim Faktor von aller dieser Betriebe, haben diese Sofortkredite beantragt. 1,3 in drei Monaten 90 000, bedeutet das: Das würde Fast 10 Milliarden Euro sind bereits abgerufen und ange- unser System sprengen. Deshalb muss das Ziel sein, diese kommen, um die Brückenfunktion wahrzunehmen, die Infektionsrate unter 1,0 zu halten. wir damit anstreben. Deshalb hat die Bundeskanzlerin recht, wenn sie heute Die Liquiditätshilfen wirken. Knapp 28 Milliarden Eu- Morgen sagt: Wir müssen aufpassen, dass wir das, was ro sind beantragt. Dort, wo notwendig – Stichwort: wir jetzt aufgebaut haben, nicht leichtfertig verspielen. Schnellkredite –, haben wir weiter optimiert, sodass die Branchen, bei denen es am Anfang noch gehakt hat, auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und den Zugang bekommen. Der Wirtschaftsstabilisierungs- der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) fonds ist quasi ausgearbeitet und ist jetzt in der Endab- Genau das ist unsere Maßgabe bei der Öffnungsstrategie. stimmung mit Brüssel; denn er muss ja notifiziert wer- Wir haben jetzt gewisse Dinge geöffnet. Man kann sicher den. Es geht darum, wie wir Betriebe erhalten wollen, die darüber streiten, ob man auf dem Golfplatz im Freien zur kritischen Infrastruktur im Bereich der Luftfahrt, im jetzt schon spielen können sollte oder nicht, selbstver- Bereich der Schiene und auch im vorhin von anderen ständlich, ja, aber wenn wir es zu schnell hochfahren, angesprochenen Transportsektor, der beim Wiederhoch- dann besteht die Gefahr des Rückfalls. Diesen wollen fahren natürlich von entscheidender Bedeutung ist, ge- wir auf keinen Fall. hören. Wenn wir wirklich das erreichen wollen, was wir auch Die Bürgschaften, die steuerlichen Maßnahmen, Stun- 2009 erreicht haben, nämlich dass wir gestärkt aus der dungen, Kurzarbeit, all diese Dinge funktionieren. Auch Krise hervorgehen, dann müssen wir jetzt bei der Öff- dort werden wir, wo es notwendig und sinnvoll ist, ent- nungsstrategie vorsichtig agieren. Wenn zehn Tage nach- sprechend nachsteuern. dem die ersten Läden aufgemacht haben, die Infektions- 19324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Joachim Pfeiffer (A) rate unter 1,0 bleibt, können wir die nächsten Schritte tun. Kriterien müssen wir offen und ehrlich reden und auch (C) Alles andere wäre, glaube ich, unverantwortlich. reden dürfen. Die Bürger haben ein Recht darauf; sie haben ein Recht darauf, zu erfahren, dass sie dieser Shut- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) down jede Woche 42 Milliarden Euro kostet. Aber wir können auch jetzt Dinge tun. Wir können zum (Beifall bei der AfD) Beispiel jetzt die Zeit nutzen, unsere Abläufe zu be- schleunigen. Wir haben es hier bei der Parlamentsarbeit Wir müssen ihnen auch sagen, dass dieses Geld nicht getan. Ausschüsse können digital – zunächst befristet; ich vom Himmel regnet. Denn nicht die Bundeskanzlerin, würde mir wünschen, wir machen das auch dauerhaft – der Finanzminister oder der Arbeitsminister zahlen am tagen und entscheiden. Ich denke, das müssen wir bei- Ende die Rechnung – nein –; diese Rechnung müssen spielsweise auch bei Genehmigungsverfahren machen. die Bürger bezahlen. Sie müssen all die Milliarden Euro, Weder bezüglich Baumaßnahmen im Bereich der er- die jetzt zu Recht an Hilfen ausgegeben werden, mit ihrer neuerbaren Energien noch bei Schienenprojekten oder tagtäglichen Arbeit wieder erwirtschaften. auch Straßenbauvorhaben finden gerade Anhörungen statt. Deshalb müssen wir unsere Genehmigungsverfah- (Beifall bei der AfD) ren optimieren, digitalisieren und damit auch beschleuni- Ich hoffe nicht, dass es auf Vermögensabgaben hinaus- gen. Das können wir jetzt machen. Dazu brauchen wir läuft, wie die SPD schon vorgeschlagen hat. keine 800 Quadratmeter oder mehr. Da sind wir gefor- dert. Deshalb gilt es, die Rahmenbedingungen jetzt so zu (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hoffentlich!) gestalten, dass wir weitere Entlastungen – die steuerli- Die Ersparnisse der Mittelschicht werden Sie nicht mit chen Verrechnungsmöglichkeiten sind angesprochen den Stimmen der AfD einziehen. Das wollen wir hier worden – parat haben, wenn die Öffnungsstrategie so schon mal prophylaktisch festhalten. verläuft, dass wieder richtig Fahrt aufgenommen werden kann. (Beifall bei der AfD – Sören Bartol [SPD]: Arbeitslos! Mittelschicht!) Das Ziel muss sein, dass Deutschland und Europa am Ende des Tages aus dieser Krise wie schon 2009/2010 Stattdessen müssen wir genauso minutiös, wie wir täg- gestärkt hervorgehen. Deshalb lassen Sie uns hier wirk- lich die Ausbreitung des Virus kontrollieren, evaluieren, lich klug und verantwortungsvoll agieren. wie wir alle Wirtschaftsbereiche verantwortungsvoll wie- der hochfahren können. Ich denke, da kann und muss die Vielen Dank. Bundesregierung auf der Basis der inzwischen reichlich vorhandenen Daten eine verlässliche Öffnungsstrategie (B) (Beifall bei der CDU/CSU) vorlegen. Wir dürfen nicht länger zuschauen, wie die (D) Fundamente unserer Volkwirtschaft erodieren. Vizepräsident Thomas Oppermann: Ich will hier nur einige wenige Zahlen nennen. Im Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für Hotel- und Gaststättengewerbe drohen laut DEHOGA die Fraktion der AfD der Kollege Tino Chrupalla. 70 000 Pleiten. Das heißt, viele der bisher dort beschäf- (Beifall bei der AfD) tigten 2 Millionen Arbeitnehmer stehen dann auf der Straße. Und Herr Altmaier, was nutzt eine Mehrwerts- Tino Chrupalla (AfD): teuersenkung in der Gastronomie, wenn diese Geschäfte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- überhaupt nicht öffnen dürfen? Das müssen Sie mir wirk- be Landsleute! lich mal erklären. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich komme (Beifall bei der AfD) nicht aus Sachsen!) Der Einzelhandel fürchtet, dass von 450 000 Geschäften Was wir derzeit erleben, hätte sich noch zur Jahreswende 45 000 schließen müssen. Was wird aus den vielen Mit- niemand vorstellen können. Der Alltag ist der Ausnahme- arbeitern? 1,8 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland zustand – nicht nur bei uns, sondern vielerorts weltweit. sind direkt oder indirekt von der Automobilindustrie ab- hängig. Ihre Zukunft ist genauso ungewiss. Zweifellos erfordern Ausnahmesituationen außerge- wöhnliche Maßnahmen. Aber wir müssen den Nutzen, Meine Damen und Herren, auch auf der wirtschaftli- sprich: die Sinnhaftigkeit, und mögliche negative Folgen chen Seite der Viruskrise geht es um ganz persönliche dieser Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung des Lebensschicksale, um die Existenzen von Unternehmern Virus kontinuierlich überprüfen. Denn wenn wir da übers und Arbeitnehmern. Viele fragen sich zu Recht: Warum Ziel hinausschießen, laufen wir Gefahr, den wirtschaft- darf ein Laden mit 800 Quadratmetern öffnen, einer mit lichen Schaden, der bereits jetzt unübersehbar ist, noch zu 804 Quadratmetern aber nicht? Warum gilt diese Aus- vergrößern. nahme für das Autohaus, aber nicht für das Möbelhaus? Warum dürfen Buchläden öffnen, Elektronikmärkte aber (Beifall bei der AfD) oftmals nicht? Was unterscheidet den Einkauf im Super- markt vom Einkauf im Elektronikmarkt? Insofern können wir dem vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion im Grundsatz nicht widersprechen. Wir Meine Damen und Herren, ein Journalist schrieb un- brauchen klare und transparente Kriterien für eine Öff- längst sehr treffend – ich zitiere –: Das Virus weiß nicht, nungsstrategie. Meine Damen und Herren, über diese ob es vor einem Kühlregel oder einem Schuhregal steht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19325

Tino Chrupalla (A) (Beifall bei der AfD) Der Antrag der FDP ist ein wildes Wünsch-dir-Was. (C) Bei dieser Gelegenheit: Forderungen nach dem Rückgän- Die Krisenpolitik der Bundesregierung tut aber so, als sei gigmachen von Standards im Klimabereich schaden den das Virus vor dem Schuhregal gefährlicher als vor dem Unternehmen mehr, als dass sie helfen. Auf diese Weise Kühlregal. Dieser Unfug muss schleunigst aufhören! Was verschleudert man Milliarden Euro an Investitionen und wir brauchen, ist so viel Freiheit wie möglich und so viel schadet unserer Wettbewerbsfähigkeit und der Umwelt. Einschränkung wie nötig. Wir dagegen zeigen, dass wir zielgenau nachsteuern (Beifall bei der AfD) können. Die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes bedeu- Klar ist: Jedes weitere Herauszögern der wirtschaftli- tet für viele betroffene Beschäftigte eine echte Hilfe. chen Tätigkeit wird zwangsläufig zu weiteren finanziel- (Beifall bei der SPD) len Belastungen nach der Krise führen. Darum müssen wir die Volkswirtschaft mit klar umrissenen neuen Die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes in der Gast- Schwerpunkten wieder hochfahren. Dazu gehört unter ronomie ist eine Möglichkeit, um verlorene Umsätze teil- anderem, in strategische Lieferketten zu investieren, die weise zu kompensieren. Es muss aber auch hier allen klar unsere Abhängigkeit von Drittländern reduzieren. Das sein: Diese Maßnahme ist natürlich befristet und wird betrifft neben der Automobilbranche vor allem die Ge- trotz Wahlkampfzeit 2021 auslaufen. Neben den gestri- sundheits- und Pharmaindustrie sowie die Lebensmittel- gen Beschlüssen müssen wir vor allen Dingen auch die wirtschaft. Und wir brauchen dringend einen Plan. Ich Branchen im Blick haben, die womöglich als letzte wie- glaube, ich liege nicht ganz falsch, wenn ich behaupte: der hochfahren können. Dazu zählen zum Beispiel Klub- Die Bundesregierung, die hat keinen Plan. betreiber und Messebauer, und natürlich werden wir hier auch die Schausteller einbeziehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann ein ganzes (Beifall bei der AfD) Land nicht jahrelang einschließen. Alle freiheitsbe- schränkenden Maßnahmen müssen immer besonders be- Vizepräsident Thomas Oppermann: gründet sein. Wir können auch die Wirtschaft nicht end- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für los mit Staatsgeld künstlich aufrechterhalten; das endet die Fraktion der SPD der Kollege Sören Bartol. im beiderseitigen Bankrott. Daher müssen wir wieder kontrolliert hochfahren. Das geht nur, wenn wir weiter (Beifall bei der SPD) füreinander einstehen und die Risikogruppen beschützen. Wir müssen verantwortlich füreinander sein. (B) (D) Sören Bartol (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der FDP! Ihren Antrag wer- Wir müssen diszipliniert sein und zeigen, dass wir mit den wir zwar ablehnen – und das aus guten inhaltlichen den Lockerungen umgehen können. Wenn uns das nicht Gründen –, aber die Regierungserklärung, die Ausspra- gelingt, scheitern wir in der Infektionsbekämpfung, che dazu und auch dieser Antrag aus den Reihen der scheitern wir als Gesellschaft, schaden wir der Wirtschaft Opposition zeigen, dass der Umgang mit der Coronakri- mehr, als es ein Hilfsprogramm jemals reparieren kann. se, vor allen Dingen auch die Debatte um den richtigen Vielen Dank. Weg, zuallererst hier in dieses Parlament gehört. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus- (Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Peter Willsch [CDU/CSU]) Der Ethikrat hat in seiner, wie ich finde, sehr guten Stellungnahme noch einmal deutlich betont, dass Ent- Vizepräsident Thomas Oppermann: scheidungen, die die ganze Gesellschaft betreffen, von Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für denen getroffen werden müssen, die durch das Volk man- die Fraktion Die Linke der Kollege Alexander Ulrich. datiert sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Co- ronakrise schlägt insofern nicht alleine die Stunde der (Beifall bei der LINKEN) Exekutive, in dieser Krise schlägt die Stunde der demo- kratisch legitimierten Politik insgesamt und damit vor Alexander Ulrich (DIE LINKE): allen Dingen auch die des Parlaments. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur politischen DNA meiner Partei und Fraktion gehört die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politische Forderung in allen Lagen, dass Menschen vor der CDU/CSU und der FDP) Profite zu stellen sind. Wir als Koalition haben schnell, umfassend und mutig (Beifall bei der LINKEN) auf die Krise reagiert und riesige Rettungsschirme be- schlossen und gestern im Koalitionsausschuss nachge- Und wo, wenn nicht auch in dieser politischen Debatte legt. Wir können aber nie ganz genau wissen, was ab- und im Hinblick auf Corona, trifft das zu? Deshalb sagen sehbar wichtig werden wird und welche Beschlüsse wir ganz deutlich bei dieser Debatte, die von der FDP dann noch anstehen. Das gilt für kurzfristige Maßnahmen angestoßen wurde: Lasst uns diese Öffnungsdiskussion in der Krise, es gilt aber vor allen Dingen auch für mög- und die Maßnahmen dazu wirklich behutsam umsetzen. liche Konjunkturimpulse nach der Krise. Lasst uns erst mal erkennen, was die Schritte, die in der 19326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Alexander Ulrich (A) letzten Sitzungswoche beschlossen worden sind, für Aus- Dividenden und Bonusausschüttungen verzichten. Es ist (C) wirkungen haben. der Grundgedanke sozialer Marktwirtschaft, dass man nur dann solidarisch sein kann, wenn auch die andere Ich komme aus der Nähe von Kaiserslautern. Ich habe Seite solidarisch ist. die menschenarme Stadt letzte Woche öfters gesehen. Ich habe in dieser Woche gesehen, welche Menschenmengen (Beifall bei der LINKEN) in der Fußgängerzone diese wenigen Maßnahmen schon wieder hervorgebracht haben. Ich habe da ein ungutes Ich habe mich mit einem Busunternehmer aus meinem Gefühl. Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, was Wahlkreis unterhalten. Er hat zu mir gesagt, er habe zwei das in den nächsten Wochen bedeutet. Dann können wir Busse, mit denen er in diesem Jahr wahrscheinlich kein darüber reden, in welchen Schritten möglicherweise wei- Geschäft mehr machen wird. Er bezahlt für jeden Bus im tere Gewerbe geöffnet werden können oder auch nicht; Reiseverkehr 4 000 Euro Leasing. Er hat jeden Monat darin sind wir uns auch ziemlich einig. Kosten in Höhe von 8 000 Euro. Die Hilfe, die er be- kommt, ist sehr gering. Aber ein Unternehmen wie TUI (Beifall bei der LINKEN) bekommt Staatshilfe in Milliardenhöhe und lässt seine Ich komme aus Rheinland-Pfalz, das habe ich bereits Flotte unter maltesischer Flagge fliegen. Das empfinden erwähnt. In Rheinland-Pfalz ist die FDP an der Landes- die Menschen in diesem Land zu Recht als ungerecht, regierung beteiligt; auch deshalb verstehe ich den Antrag und da muss Politik endlich handeln. der FDP nicht. Die FDP sollte sich meines Erachtens eher Vielen Dank. darum kümmern, dass die Dinge, die beschlossen worden sind, vernünftig umgesetzt werden; denn in keinem Bun- (Beifall bei der LINKEN) desland ist die Soforthilfe so langsam ausbezahlt worden wie in Rheinland-Pfalz, wo zum Teil auch nach drei Wo- Vizepräsident Thomas Oppermann: chen noch keine Bescheide vorliegen. Wer ist zuständig? Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für Der FDP-Mann Wissing. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dieter (Beifall bei der LINKEN) Janecek. Sich einmal um solche Dinge zu kümmern, wäre sinn- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) voller, als hier Scheinanträge zu stellen, in denen wieder die alten Gassenhauer hervorgebracht werden wie Sonn- Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tagsarbeit, Steuersenkung und andere Dinge, die die FDP immer wieder fordert. Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Chrupalla, wenn (B) man auf den Topvirologen der AfD – Herr Müller sitzt (D) Da die FDP auch in den Chor der AfD einstimmt und ja da hinten – gehört hätte, der Covid-19 mit einer leich- gegen weitere Steuererhöhungen ist, will ich deutlich ten Grippe vergleicht, dann hätten wir mittlerweile Hun- zum Ausdruck bringen: Jawohl, wir brauchen nach dieser derttausende Tote in diesem Land und eine zerkrachte Krise Steuererhöhungen; denn es gibt auch Krisengewin- Volkswirtschaft. ner wie Amazon, und die müssen endlich einmal zur Kasse gebeten werden. (Widerspruch bei der AfD – Dr. Eva Högl [SPD]: Genau so ist es!) (Beifall bei der LINKEN) Das ist die Wahrheit, die Sie einmal zur Kenntnis nehmen Diesen Unternehmen zu versprechen, sie brauchten vor sollten. Gut, dass man in dieser Situation nicht auf Sie uns keine Angst zu haben, das können die FDP und die hört. AfD machen, aber verantwortliche Politik für unser Land sieht anders aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Enrico (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Komning [AfD]: Fahren Sie mal nach Schwe- Die zahlen doch gar keine Steuern hier!) den!) In einigen Branchen besteht noch großer Nachholbe- Jetzt komme ich zum ernstzunehmenden Teil des Par- darf; sie sind hier erwähnt worden. laments. Ich finde, wir können wirklich stolz sein, was Ich will noch etwas zur Kurzarbeit sagen: Die Schritte, wir gemeinsam in den letzten Wochen erreicht haben. Ich die heute Nacht beschlossen worden sind, gehen uns möchte mich explizit bei den Menschen im Land bedan- nicht weit genug. Der DGB und auch wir Linke haben ken, die diese Einschränkungen mitgetragen haben, ins- viel weiter gehende Vorschläge. Jetzt wieder in ein Klein- besondere auch bei den Familien, die seit Wochen mit Klein zu verfallen und zu fordern, dass die Arbeitsagentu- ihren Kindern zu Hause ausharren. Es ist nun einmal ren zu prüfen haben, wer wie lange in 50 Prozent Kurz- leichter, wenn man ein Haus mit Garten hat, als wenn arbeit gewesen ist, ist eine falsche Vorgehensweise. Man man zu fünft in einer Zweizimmerwohnung wohnt. hätte es für alle sofort auf mindestens 80 Prozent anheben sollen. Das war ein falscher Schritt. (Dr. Eva Högl [SPD]: Absolut!) Hier ist unser Dank angebracht. Hier müssen wir jetzt (Beifall bei der LINKEN) auch helfen und wirklich vorankommen; es geht beim Wir müssen im Prinzip deutlich machen, dass Staats- Thema Öffnung auch darum, dass wir Lösungen finden hilfe nur geleistet werden kann, wenn Unternehmen auf für die Menschen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19327

Dieter Janecek (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Keine moderne Ökonomie funktioniert ohne die Ver- (C) bei der SPD und der LINKEN -Tino Chrupalla einbarkeit von Beruf und Familie; diese Einsicht kam in [AfD]: Dann fangen Sie mal an!) der Kommunikation, insbesondere in meinem Bundes- land Bayern, sehr spät. Dafür müssen wir jetzt sorgen. Aber wir müssen auch weiterhin vorsichtig sein. Wir Wir können nicht einfach die Geschäfte wieder hochfah- sind noch nicht über den Berg; wir sind noch nicht dort, ren, ohne den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu wo wir sein müssen, um konsequenter öffnen zu können. helfen. Auch hier braucht es Hilfen; hier braucht es das Denn es bringt nichts, wenn wir jetzt schnell öffnen und Coronageld für die Eltern. Hier braucht es Betreuungs- dann wieder schließen müssen. Ich glaube, das wäre ver- möglichkeiten für die Kinder; auch da brauchen wir Ent- heerend für die Gesellschaft. Deswegen ist es richtig, scheidungen. jetzt mit Maß und Besonnenheit vorzugehen. Wir müssen bei den Kulturschaffenden, bei den Selbst- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ständigen jetzt ganz genau hinschauen. Es gibt eine ganze Gleichzeitig braucht es aber auch Mut, neue Dinge Reihe von Branchen, die werden ohne Hilfe nicht exis- auszuprobieren. Ich sehe diesen Mut zum Beispiel bei tieren können. Wir brauchen in bestimmten Bereichen Unternehmen in meinem Wahlkreis, die ihre Produktion sozusagen ein Winterschlafmodell. Hier brauchen wir umstellen. Herr Altmaier, in meinem Wahlkreis gibt es Hilfen, hier müssen wir ansetzen und gemeinsam han- ein Unternehmen, ein Werkzeugmaschinenfabrikant, der deln. Darum geht es auch in den nächsten Wochen und Schutzmasken herstellen möchte, und zwar im großen Monaten. Stil. Er könnte hunderttausend am Tag herstellen, könnte Danke schön. weiter beschäftigen und müsste keine Kurzarbeit anmel- den; aber er braucht dann auch Abnahmemärkte und von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihrer Regierung das Signal, dass endlich gekauft wird, sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) auch lokal und regional. Ich glaube, man hätte früher anfangen können, diese Signale zu senden. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Klaus-Peter Willsch. Die Digitalisierung kommt jetzt auf uns zu. Als Vater von drei Kindern kann ich sagen: Im Homeschooling sind (Beifall bei der CDU/CSU) die Eltern engagiert, die Lehrer sind engagiert, die Kinder sind engagiert. Es findet ein Prozess statt; aber auch da Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): (B) muss es jetzt Verbesserungen geben, damit das Lernen Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe (D) auch wirklich bei den Kindern ankommt und auch das Menschen, die uns an den Bildschirmen zuschauen! Herr Soziale bei den Kindern ankommt. Hier muss jetzt ein Theurer, es ist heute viel Vernünftiges diskutiert worden; Schritt nach vorne gemacht werden. es gab viel Übereinstimmung. Wir werden den Antrag in den Ausschuss geben und dort weiter beraten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir leiden alle miteinander darunter, dass das gesell- Was relevant und wichtig sein wird – in diesem Punkt schaftliche Leben, die wirtschaftliche Aktivität, die Ini- gebe ich der FDP recht –: Wir brauchen nachvollziehbare tiativkraft lahmgelegt werden. Wir haben jetzt Ende Kriterien bei der Öffnung. April. In meinem Wahlkreis stünden jetzt viele Veran- staltungen an: Die Weinfeste im Rheingau, die ersten (Beifall bei der FDP) Kirmessen im Westerwald, die ersten Kerben im Taunus Wir müssen verstehen: Wie ist das Infektionsgeschehen sind abgesagt worden, und es werden viele weitere noch vor Ort? Wie sind die Datengrundlagen? Warum gibt es abgesagt werden. Das fehlt mir. Ich möchte Menschen innerhalb der Europäischen Union unterschiedliche Öff- treffen und mit ihnen zusammen sein. Aber wir wissen: nungsstrategien anhand unterschiedlicher Dateneinschät- Das können wir zurzeit nicht. Ich möchte wieder die zungen? Hier müssen wir schnell vorankommen, um zum leuchtenden Kinderaugen auf dem Karussell sehen und Beispiel zu wissen, wie das Infektionsgeschehen bei den das Jauchzen hören, wenn sie mit der Achterbahn fahren. Kindern wirklich ist. Hier brauchen wir eine Klärung; Aber wir wissen: Das wird jetzt erst einmal nicht gehen. hier müssen wir vorankommen. Wir müssen aber gleichwohl darüber sprechen, wie wir Auch beim Thema Corona-App – darüber wurde viel Aktivitäten wieder hochfahren, was verantwortbar ist. gestritten – brauchen wir Lösungen. Die Lösung kann Bei der Armee haben wir das „Leben in der Lage“ ge- aber nicht heißen, dass wir den Menschen verpflichtend nannt: Jeden Tag neu bewerten, wo wir stehen. Was ha- vorschreiben, dass sie eine App zu nutzen haben. Wir ben wir erreicht? Wo müssen wir hin? Was müssen wir brauchen Standards; wir brauchen aber auch die Mög- tun? Für den Fall, dass wir es angesichts der Datenlage lichkeit, dass die Menschen endlich Lösungen in An- und des Seuchenverlaufs für vertretbar halten, zu sagen: spruch nehmen. Also auch in diesem Bereich wäre es „Jawohl, jetzt kann der gastronomische Betrieb in diesem schön, wenn man endlich einmal vorankommt. oder jenem Umfang wieder aufgenommen werden“, müs- sen wir vorbereitet sein. Das ist wichtig jetzt zu tun. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen jetzt mit den Betroffenen, mit den Verbänden sowie bei Abgeordneten der FDP und der sprechen; denn wir als Gesetzgeber kennen gar nicht Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) die ganze Vielfalt des wirtschaftlichen Lebens im Detail 19328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Klaus-Peter Willsch (A) so wie die Branchenvertreter. Deshalb müssen wir mit (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Theurer (C) ihnen jetzt über Szenarien, Möglichkeiten, Betriebsver- [FDP]: Singen kann man auch mit Abstand und fahren reden, die – wenn die Seuchenlage es zulässt – im Freien sogar!) wieder Schritt für Schritt in ein normales Leben führen. Wir müssen mit den Betroffenen vereinbaren, was man in Vizepräsident Thomas Oppermann: welcher Situation vertreten kann. Vielen Dank.- Letzte Rednerin in der Debatte ist für die Natürlich sind die Einschränkung der Wirtschaft und Fraktion der SPD die Kollegin Dr. Eva Högl. der individuellen Freiheit, die in verschiedenen Berei- (Beifall bei der SPD) chen geboten sind – das wurde von allen Fraktionen über- einstimmend festgestellt –, begründungsbedürftig. Wir Dr. Eva Högl (SPD): haben eine solche Begründung. Aber wenn die Umstände es zulassen, dass wir Schritt für Schritt wieder öffnen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und können, dann ist es wichtig, dass die Menschen wieder Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in die Lage kommen, ihre Dienstleistung zu erbringen, ich will noch mal bekräftigen, dass es richtig, notwendig ihre Arbeit zu tun und auch den Dienst am Nächsten zu und wichtig ist, dass wir diese Debatte heute hier führen. leisten. Hier gehört die Debatte, wie wir mit dieser Krise um- gehen und wie wir als starkes Parlament auch zum Aus- Ich glaube, es hat nichts mit Überbietungswettbewerb druck bringen, was sinnvoll und notwendig ist und worü- zu tun, wenn die Debatte hier stattfindet, sondern das ist ber wir auch für die Zukunft nachdenken müssen, hin. verantwortliche Vorbereitung auf die Situation und die Zum Ende unserer Debatte möchte ich ein paar Worte Möglichkeiten, die Wirtschaft geordnet wieder hochzu- zu den Freiheitsrechten sagen; denn um die Einschrän- fahren. Ich bin froh: Wir haben am Mittwoch in unserem kung der Freiheitsrechte geht es. Wir müssen alle mit- Parlamentskreis Mittelstand der Fraktion beschlossen, einander feststellen, dass wir seit Ende des Zweiten Welt- dass wir uns gerade mit Blick auf das Gastgewerbe ver- krieges – darauf wird jetzt zu Recht öfter hingewiesen – schiedene Maßnahmen wünschen. Eine davon ist die und seit Bestehen unseres wunderbaren Grundgesetzes, Senkung des Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie, seit über 70 Jahren, noch nie so eine massive Einschrän- um ihr die Chance zu geben, einen Teil des ausgefallenen kung von Freiheitsrechten hatten. Darüber müssen wir Umsatzes aufzuholen. Denn wenn eine Kneipe wieder uns als Parlament Gedanken machen. aufmacht, wird der Gast nicht sagen: Ich esse heute mal zwei Schnitzel, weil ich im letzten Monat eins verpasst Ich will betonen, dass es im Grundgesetz kein Super- habe. – Deshalb müssen wir diese Möglichkeit nutzen, grundrecht gibt. Es gibt kein Grundrecht – vielleicht die (B) und ich bin froh, dass das gestern Abend vereinbart wor- Menschenwürde, wird gesagt –, das über den anderen (D) den ist. steht; aber doch sind Leben und Gesundheit ganz beson- dere Grundrechte, und die Aufgabe des Staates ist es, Wann wir uns wieder singend und miteinander feiernd diese besonders zu schützen. Gesundheit und Leben zu auf einem Weinfest oder auf der Kirmes in den Armen schützen, ist damit die Aufgabe von uns allen, und zwar liegen werden, kann ich nicht vorhersagen. Auch ich bin nicht nur von uns hier im Parlament und in der Regierung, kein Virologe. Ich bin jemand, der das Leben wach beo- sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern. bachtet und mit den Menschen darüber spricht, was ge- schieht. Wir tun das ja von morgens bis abends; bei mir ist Der Eingriff in Grundrechte muss immer gerechtfertigt das jedenfalls so: Telefonkonferenzen, Videokonferen- werden; darüber diskutieren wir seit 9 Uhr heute Morgen zen, Gespräche mit Banken, mit ihren Kreditsachbearbei- bzw. seit der Regierungserklärung ganz intensiv mitei- tern, und mit Unternehmern, die sich beklagen, dass dies nander. Was ist eigentlich gerechtfertigt? Es muss geeig- oder jenes nicht funktioniert. Und in vielen Fällen können net sein, die Gesundheit und das Leben zu schützen, und wir helfen. Das ist auch ein ermutigendes Zeichen. Es es muss erforderlich sein. Ich war etwas erstaunt, dass gibt da positive Rückmeldungen. Herr Lindner heute Morgen daran Zweifel geäußert hat. Es muss im Einzelfall verhältnismäßig und damit ge- Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, rechtfertigt sein. dass wir diese Krise so menschenverträglich wie möglich bewältigen und den Menschen wieder Raum geben für Ich muss ganz klar sagen – das sage ich auch deutlich das, was sie ausmacht: für das Miteinander, das soziale für die SPD-Bundestagsfraktion –: Alle Regierungen, im Miteinander und auch das geschäftliche Miteinander. Bund und in den Ländern, alle Parlamente, wir hier, aber auch die Landesparlamente, wägen jede einzelne Ent- Zum Schluss will ich sagen: Mir fehlt es auch, sonn- scheidung ganz sorgfältig ab, begründen diese Entschei- tags in die Kirche zu gehen und mit der Gemeinschaft der dung und handeln sehr verantwortungsvoll. Gläubigen Gottesdienst feiern zu können. Ich freue mich, dass die Sachsen schon mal gezeigt haben, wie man da (Beifall bei der SPD) vielleicht vorwärtsgehen kann. Lassen Sie uns, wenn wir Es ist ganz entscheidend, dass wir das hier auch noch mal das überwunden haben, gemeinsam in die Kirche gehen betonen: Wir tun uns alle nicht leicht mit diesen Ein- und „Großer Gott, wir loben dich“ singen! In diesem schränkungen. Sinne: Wir arbeiten für die Menschen und sollten das weiter tun. Ich will einen weiteren Punkt ergänzen. In unserer Ge- sellschaft erfolgt das transparent, nach nachvollziehbaren Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Kriterien, mit einer kritischen Öffentlichkeit, mit kriti- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19329

Dr. Eva Högl (A) schen Medien, intensiver Berichterstattung und – auch ZP 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) das will ich deutlich machen – mit der Prüfung durch Reinhard Houben, Michael Theurer, Dr. Marcel Gerichte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ganz Klinge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion entscheidend. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur der FDP Religionsfreiheit und zur Versammlungsfreiheit ge- äußert, und jüngst hat das auch das Verwaltungsgericht Selbstbewusstsein statt Abschottung – Für ein in Nordrhein-Westfalen zu dem Kriterium der Ladengrö- liberales Außenwirtschaftsrecht trotz Corona- ße von 800 Quadratmetern getan. Es wird gerichtlich Pandemie überprüft, und wir bekommen dadurch Leitplanken für Drucksache 19/18673 unsere Entscheidungen. Überweisungsvorschlag: Ich möchte am Schluss noch mal sagen, dass es ganz Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss wichtig ist, dass wir unter Beweis stellen, liebe Kollegin- Finanzausschuss nen und Kollegen, dass wir mit dieser freiheitlichen De- Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: mokratie, mit einem Rechtsstaat, mit freien Medien und Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) kritischer Berichterstattung diese Krise bewältigen kön- Auswärtiger Ausschuss nen. Darum geht es. Für die Aussprache sind, wie üblich, 30 Minuten vor- Die allerletzte Bemerkung: Es ist für uns auch eine gesehen. Aufgabe, dabei weniger national, sondern viel mehr inter- Ich eröffne die Aussprache. Als Erster ergreift das national zu denken – mehr Europa, mehr international. Wort Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Das Virus ist auch international. Deswegen müssen auch wir stärker international denken und an internationalen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Lösungen arbeiten. Vielen Dank. Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie: (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich Vizepräsident Thomas Oppermann: bei den Fraktionen für die Paralleleinbringung und dafür, Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht dass es möglich ist, heute diesen Gesetzentwurf zu bera- vor. Damit schließe ich die Aussprache. ten – trotz der aktuellen Umstände –, weil es ein Gesetz- entwurf ist, der eine erhebliche grundsatzpolitische Be- (B) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf deutung hat. Aber es zeigt sich eben auch, dass vieles, (D) den Drucksachen 19/18711, 19/18709 und 19/18714 an was seit Wochen und Monaten vorbereitet wurde, in der die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Herausforderung der Pandemie eine ganz besondere Be- schlagen. – Andere Überweisungsvorschläge sehe ich deutung hat. nicht. Deshalb ist so beschlossen wie vorgeschlagen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 9 sowie die Frage: Wie gehen wir mit ausländischen Investitionen in Zusatzpunkte 9 und 18 auf: Deutschland, mit der Beteiligung an deutschen Unterneh- men, mit der Übernahme deutscher Unternehmen um? 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Das ist eine Frage, die in vielen Ländern dieser Welt CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ers- gestellt und zum Teil sehr unterschiedlich beantwortet ten Gesetzes zur Änderung des Außenwirt- wird. schaftsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 19/18700 Deutschland hat seit Jahrzehnten mit das freiheitlichste und das liberalste Übernahmerecht auf der ganzen Welt. Überweisungsvorschlag: Darauf sind wir im Übrigen stolz, weil es bedeutet, dass Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss diejenigen, die erfolgreiche Unternehmen gründen, die Ausschuss für Inneres und Heimat Möglichkeit haben, sie weiterzuveräußern, damit ein Ge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz schäftsmodell zu etablieren, damit Geld zu verdienen – Finanzausschuss Verteidigungsausschuss das ist Ausdruck unternehmerischer Freiheit in der Ausschuss für Gesundheit Marktwirtschaft –, und weil das hohe Interesse ausländ- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda ischer Investoren an Investitionen in Deutschland belegt, Haushaltsausschuss wie groß das Vertrauen in unser Land nach wie vor ist. Wir haben in der Tat im letzten Jahr bei mehreren Hun- ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten dert Übernahmeanträgen, die gestellt und geprüft worden Katharina Dröge, Anja Hajduk, Sven-Christian sind, weniger als 1 Prozent moniert oder verhindert. Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Trotzdem: Der Umstand, dass wir liberal und markt- Schlüsseltechnologien und europäische Souve- wirtschaftlich sind, bedeutet nicht, dass wir blauäugig ränität im Zuge der COVID-19-Pandemie sein dürfen, wenn es sich um Risiken und Gefahren für schützen unsere vitalen nationalen wirtschaftlichen, gesundheitli- chen und sonstigen Interessen handelt. Wir möchten eben Drucksache 19/18703 nicht, dass kritische Infrastrukturen in Deutschland – 19330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Bundesminister Peter Altmaier (A) Stromleitungen, Wasserleitungen, Straßen und vieles an- Trotzdem bleiben wir einer freien, globalen Marktwirt- (C) dere – von Unternehmen übernommen werden, bei denen schaft verbunden. Trotzdem wollen wir, dass auch in wir nicht hundertprozentig sicher sind, was sie damit vor- Zukunft alle ausländischen Investoren, die nach Deutsch- haben und was sie damit machen werden. Wir wollen land kommen, um hier ein Teil unseres Erfolgsmodells zu nicht, dass Unternehmen, die lebenswichtige Güter in werden, sicher sein können: Sie sind erwünscht, sie dür- Deutschland produzieren, Güter mit einem hohen Inno- fen sich hier betätigen. Umgekehrt unterstützen wir auch vationsanteil, die für die Wettbewerbs- und Konkurrenz- unsere Unternehmen, die im Ausland investieren. Die fähigkeit unserer Volkswirtschaft von entscheidender Be- Globalisierung ist in der Zeit der Coronaepidemie und deutung sind, gekauft werden und die Technologie dann -pandemie einem Stresstest ohnegleichen ausgesetzt. womöglich anderswohin transferiert wird. Und wir wol- Wir werden auch in Lektionen lernen müssen. Wir wer- len insbesondere nicht, dass wir in der aktuellen Krise, den Supply Chains, Versorgungs- und Logistikketten, di- wenn es um die Entwicklung von Impfstoffen geht, wenn versifizieren müssen, damit wir nicht nur von einem ein- es um die Produktion von Testkits geht, wenn es um die zigen Standort abhängig sind. Wir werden überlegen Herstellung von Schutzkleidung geht, nicht mehr imstan- müssen, welche Dinge wir national auch in Zukunft vor- de sind, unserer nationalen Verantwortung gerecht zu halten müssen, damit wir schneller reagieren können. werden. Aber es wird kein Zurück hinter die Globalisierung der letzten 20 oder 30 Jahre geben, weil sie Teil unseres Deshalb brauchen wir Antworten auf all diese Fragen. offenen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells geworden Diese Antworten müssen wir mit einem hohen Maß an ist und weil sie dazu beigetragen hat, dass wir den Men- Verantwortungsbewusstsein geben, weil es eine Schwarz- schen ermöglicht haben, mit ihrer Arbeit möglichst viel oder-Weiß-Lösung nicht gibt. an Wohlstand zu erwerben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir wollen auch in Zukunft ein liberales Investitions- schutzrecht haben, aber wir novellieren unser Außenwirt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schaftsgesetz in Übereinstimmung mit dem, was die Eu- ordneten der SPD) ropäische Union unter dem Stichwort „Investment Screening“ bereits vor einigen Monaten ebenfalls be- schlossen hat. Wir sind uns einig mit unseren Partnern Vizepräsident Thomas Oppermann: in Europa, dass wir wissen müssen, was vor sich geht, Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion dass wir die Möglichkeit haben müssen, Übernahmen, der AfD der Kollege Hansjörg Müller. die mit unseren eigenen Interessen, europäischen und (Beifall bei der AfD – Abg. Hansjörg Müller (B) nationalen Interessen, nicht vereinbar sind, zu verhin- [AfD] tritt ans Rednerpult, ohne die geltende (D) dern. Wir müssen die Möglichkeit haben, solange die Abstandsregelung einzuhalten – Katharina Prüfung andauert, zu verhindern, dass vollendete Tatsa- Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab- chen geschaffen werden. stand! Können Sie ein bisschen zur Seite ge- hen? – Sören Bartol [SPD]: Ist ja nur eine Grip- Mit dem jetzigen Gesetz ermöglichen wir eine voraus- pe! – Weiterer Zuruf: 1,50 Meter!) schauende Prüfung; denn es geht nicht nur um aktuelle Gefährdungen der nationalen Sicherheit, sondern auch Hansjörg Müller (AfD): um voraussehbare Gefährdungen der nationalen Sicher- heit. Es dürfen, während ein solches Verfahren läuft, kei- Schön, wie die Grünen lernen. ne vollendeten Tatsachen geschaffen werden, und es (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dürfen auch keine sensiblen Informationen an den Über- NEN]: Mitarbeiterschutz ist für die AfD ein nahmebewerber weitergegeben werden. Zuwiderhand- Fremdwort!) lungen sollen als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat geahndet werden. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- be Bürger an den Bildschirmen! Der Gesetzentwurf der Das, meine Damen und Herren, zeigt: Wir sind nicht Regierung zur Änderung von Außenwirtschaftsgesetz nur eine wehrhafte Demokratie, sondern wir sind auch und Satellitendatensicherheitsgesetz geht in die richtige eine wehrhafte soziale Marktwirtschaft. Insofern möchte Richtung, lieber Herr Minister, und das aus zwei Gründ- ich Sie bitten, dass Sie mit dazu beitragen, dass wir un- en. sere Wirtschaft auch und gerade in dieser Krise ermun- Erster Grund: Die Weltwirtschaft wird von Staaten und tern, nicht nur weiterhin zu arbeiten und zu investieren, privaten Organisationen bedroht, die beide nach absoluter sondern sich auch weiterhin zu entwickeln und auf den Marktmacht streben. Ein Beispiel für so einen Staat ist Weltmärkten konkurrenzfähig zu bleiben. Wir müssen die Volksrepublik China, die Technologiefirmen weltweit der Wirtschaft auch sagen: Wir schützen euch davor, dass aufkauft, und ein Beispiel für eine solche private Organi- ihr Opfer von Übernahmeversuchen werdet, nur weil die sation ist die Bill & Melinda Gates Stiftung, welche die Aktienkurse im Moment etwas niedriger sind als sonst. Weltgesundheitsorganisation unterwandert hat, um die Wir schützen euch, wenn ihr besondere hochtechnologi- Menschheit mit monopolisierten Zwangsimpfungen zu sche Skills und besonderes Know-how habt, das von beglücken. anderen begehrt wird, die gar nicht daran interessiert sind, in diesen Standort zu investieren, sondern nur diese (Sören Bartol [SPD]: Das ist doch eine boden- Informationen erlangen möchten. lose Verschwörungstheorie!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19331

Hansjörg Müller (A) – Gucken Sie sich doch mal die Finanzierungsbeiträge das aus nationalen souveränen Wirtschaftsräumen be- (C) an! Lesen Sie nicht immer nur die Medienpresse, sondern steht. auch mal die alternativen Medien! – (Beifall bei der AfD) (Zuruf von der SPD: Wie peinlich! ) Und weil Sie jetzt wissen, von was ich rede, sage ich es Deswegen müssen diese globalen Monopole gestoppt auch noch dazu: first, Deutschland zuerst. Un- werden, damit sie nicht weiter die Marktwirtschaft in ter dieser Prämisse überarbeiten Sie bitte Ihren Gesetz- Deutschland aushebeln können. entwurf. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Schäbig!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Der zweite Grund, lieber Herr Minister, ist – das ist Noch ganz kurz zum Grünenantrag. Weil meine Rede- auch ein guter Ansatz im Entwurf Ihres Ministeriums –, zeit zu Ende ist, kann ich nur konstatieren: Mehr ist zu dass Organisationen, seien sie staatlich oder privat, die diesem Schwachsinn nicht zu sagen, lieber Virologe sich so verhalten, nur zu beeindrucken sind, wenn man Dieter Janecek. auch eigene Gegenmittel aufbaut. Auch das ist richtig, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weil faktisch die Außenwirtschaftspolitik ganz einfach NEN]: Hä? – Gegenruf der Abg. Dr. Daniela nach dem Prinzip funktioniert: Wer uns unter Druck set- De Ridder [SPD]: Da stimmte ja nichts!) zen will, den müssen wir auch unter Druck setzen kön- nen. – Wer diese Realität ignoriert, der sollte bitte die Ich bedanke mich. chinesische Wirtschaftsstrategie oder Edward Snowden lesen. (Beifall bei der AfD)

(Beifall bei der AfD – Dieter Janecek [BÜND- Vizepräsident Thomas Oppermann: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe den Zu- Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für sammenhang nicht!) die Fraktion der SPD der Kollege Markus Töns. Insofern geht das zwar in die richtige Richtung, kriti- sche ausländische Investitionen kontrollieren zu können, (Beifall bei der SPD) um Abflüsse von Informationen und Technologie aus Markus Töns (SPD): Deutschland zu verhindern; aber, lieber Herr Minister – bitte geben Sie das auch an Ihre Referenten weiter –, Ihr Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Entwurf greift leider viel zu kurz, weil dort nicht beachtet Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist schon (B) wird, von wem die deutschen Unternehmen mit sinnloser peinlich, Herr Müller. (D) Bürokratie zu Tode stranguliert werden. Das passiert alles (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus Brüssel über die ganze Flut an Verordnungen und der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Regulierungen. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD – Markus Töns [SPD]: Ei, Das muss man sich mal vorstellen: Da ist die Aluhut- ei, ei!) fraktion, die seit zwei Jahren hier sitzt und irgendwelche Und deswegen wäre es konsequent, diese EU endlich auf Geschichten zu Verschwörungstheorien erzählt. Und jetzt den Müllhaufen der Wirtschaftsgeschichte zu werfen, um kommt eine Krise, in der Sie auf nichts eine Antwort dann über eine erneuerte EWG, über eine erneuerte Eu- haben – keine Ahnung vom Weltwirtschaftssystem und ropäische Wirtschaftsgemeinschaft, wirtschaftssouverän keine Ahnung davon, wie Europa funktioniert –, zu handeln. Und Sie sind auf dem Weg zu Wirtschafts- (Lachen des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) souveränität diesen Schritt noch nicht gegangen. und dann wollen Sie uns hier erzählen, wer denn alles Ich möchte noch eine Frage stellen: Warum richten Verschwörungstheoretiker ist. Es ist wirklich albern. sich denn die Investitionsprüfungen nur gegen EU-frem- Aber machen Sie ruhig so weiter! Es wird Sie keiner ernst de Investoren? Meiner Meinung nach ist es aus wirt- nehmen. Das ist nämlich vollkommen irre, was Sie hier schaftlicher Sicht völlig egal, ob es ein Investor aus erzählen. Frankreich oder Italien ist, der sich eine deutsche Tech- nologiefirma unter den Nagel reißen will, weil das für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schwächung unserer Wettbewerbsposition auf dem Welt- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der markt genauso schädlich ist, wie wenn das Investoren aus CDU/CSU und der FDP) China, den USA oder aus Timbuktu machen. Da gibt es Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen zuneh- keinen Unterschied. mend ein wachsendes Interesse ausländischer Investoren im Sicherheitsbereich. Ein Beispiel ist der versuchte Ein- (Beifall bei der AfD – Sören Bartol [SPD]: stieg des chinesischen Staatskonzerns beispielsweise in Setzen Sie sich mal Ihren Aluhut auf!) das Stromnetz der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Deswegen, liebe Bundesregierung: Erkennen Sie die Durch die Coronakrise verschärft sich dieser Trend jetzt Zeichen der Zeit! Über den Corona-Shutdown sind die auch noch. Aktienkurse in Europa sind auf Talfahrt. Die Lieferketten – das wissen wir alle – zu verletzlich ge- Technologie im Sicherheitsbereich war selten so günstig wesen. Die bisherige Globalisierung ist gescheitert. Es zu haben wie im Moment. Das ist deutlich zu spüren. Das wächst ein neues weltweites Wirtschaftssystem heran, ist eine Gelegenheit für Schnäppchentouren aus Sicht 19332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Markus Töns (A) mancher Investoren. Das werden wir verhindern, und das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) müssen wir verhindern. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wobei ich fest davon überzeugt bin, dass Sie ihn wirklich Es geht hier – das will ich ganz deutlich sagen – nicht nicht verstanden haben. um Protektionismus. Es geht um die Stärkung der Sicher- heit, um die Stärkung der technologischen Souveränität. Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren. Das sind die ganz entscheidenden Punkte. Deshalb än- Die Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes ist ein wich- dern wir das Außenwirtschaftsgesetz. tiger und richtiger Schritt. Er steht erstens für weitsich- tige Prüfung, zweitens für das Primat der Politik und (Dr. Harald Weyel [AfD]: Dass Sie das sagen, drittens für europäische Zusammenarbeit. Ich halte das wundert mich!) für den richtigen Schritt. Die Frage ist: Was machen wir da genau? Herzlichen Dank. Erstens. Wir verschärfen die Investitionskontrolle. Bis- (Beifall bei der SPD) heriges Kriterium war die tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Künftig wird es eine voraussicht- Vizepräsident Thomas Oppermann: liche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung sein. Dadurch gibt es eine vorausschauende Prüfung. Das ist Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der aus meiner Sicht der richtige Ansatz. FDP der Kollege Reinhard Houben. Zweitens. Wir haben die Bedeutung der Krise wahrge- (Beifall bei der FDP) nommen. Was heißt „vorausschauende Prüfung“? Bei- spiel Beatmungsgeräte: Wir wissen alle, dass im Moment Reinhard Houben (FDP): ein erheblicher Druck auf dem Markt ist, an Beatmungs- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben geräte zu kommen. Jetzt ist es klar, dass sie zur öffent- Sie mir eine persönliche Bemerkung: Ich möchte mich lichen Sicherheit und Ordnung gehören. Die Krise zeigt: mal bei den Saaldienerinnen und Saaldienern hier dafür Gesundheit ist Teil unserer Sicherheit. Der Staat muss bedanken, hier sehr genau prüfen, wo er Investitionen zulässt und ( [SPD]: Plenarassistenten!) wo nicht. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. dass sie den Betrieb in Gang halten und es möglich ma- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. chen, dass wir hier diskutieren können. (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) (Beifall im ganzen Hause) Drittens. Wir sind für eine konsequente Umsetzung dieses Außenwirtschaftsgesetzes. Der Prüfmechanismus Und, Herr Müller, dass Sie in dem Moment nicht so ist sinnlos, wenn er umgangen werden kann. Wir haben breitbeinig auftreten können, wenn Sie die 1,5 Meter Ab- das selber im letzten Jahr häufig diskutiert, auch im Wirt- stand halten müssen, ist wirklich super. schaftsausschuss. Die Umgehung ist möglich, wenn man (Zuruf des Abg. Hansjörg Müller [AfD]) das Geschäft vor Ende der Prüfung abschließt. Das än- dern wir jetzt. Dadurch würde nämlich eine Prüfung ad – Nein, ich meine hier vorne. Sie wissen genau, worum es absurdum geführt. Das heißt, wir schließen diese Rechts- geht. lücke. Es gibt wieder das Primat der Politik und erst eine (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Prüfung. Und nur dann, wenn die Prüfung abgeschlossen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird, wird auch diese Investition wirksam. Ich halte das für richtig und zwingend notwendig. Ich habe den Eindruck: Wie Geier kreisen böse Inves- toren aus China und den USA über der deutschen Wirt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaft und warten nur darauf, sich auf die durch Corona der LINKEN) geschwächten Opfer zu stürzen. Peter Altmaier, der Viertens – da können die Aluthutträger hier wieder weiße Ritter, ist jedoch da und spannt den Schutzschirm eine Menge lernen –: Die europäische Kooperation ist auf. Die Wahrheit jedoch ist, dass die deutschen Unter- hier gefragt. Sicherheit und technologische Souveränität nehmen gar keine Angst vor ausländischen Investoren ist nur europäisch möglich. Deshalb braucht es eine bes- haben. Auch die chinesische Wirtschaft hat Probleme. sere Abstimmung mit den EU-Partnern, deshalb braucht Auch die amerikanischen Hedgefonds sind nicht so reich, es eine Prüfung mit Blick auf die Sicherheit anderer EU- dass sie im Moment Unmengen investieren können. Und Partnerländer. Das ist wichtig und richtig. Wer würde vielleicht weil es den Chinesen selbst nicht so gut geht, denn heute bezweifeln, dass ein IT-Konzern in Italien haben sie vor einigen Tagen angekündigt, die viel kriti- oder ein Netzbetreiber in Belgien nicht auch wichtig für sierte Negativliste zu kürzen und die Hürden für auslän- die Sicherheit in Deutschland ist? dische Investoren zu senken. Die großen deutschen Wirtschaftsverbände lehnen Ih- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ren Gesetzentwurf ab. Sie sagen – meiner Meinung nach Wer das abstreitet, hat den gemeinsamen Markt der Eu- völlig zu Recht –, die bisherigen Möglichkeiten reichen ropäischen Union, den Binnenmarkt, überhaupt nicht ver- vollkommen aus. Und ausgerechnet in der schlimmsten standen. Rezession seit Jahrzehnten segelt die Koalition einen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19333

Reinhard Houben (A) Kurs gegen die Wirtschaft, und die Union macht fleißig (Reinhard Houben [FDP]: Das ist doch ein (C) mit. Die Vorbilder Frankreich und Italien, Herr Altmaier, nettes Bild!) sind meiner Meinung nach keine Erfolgsmodelle. Ich kann Ihnen sagen: Der weiße Ritter Altmaier wäre (Beifall bei der FDP) mir lieber als ein Raubritter unter Houbens Schutz, um das mal deutlich zu sagen. Gleichzeit erzählen Sie der Öffentlichkeit, dass solche Eingriffe der Volkswirtschaft und den Unternehmen je- (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Hei- weils helfen würden. Aber genau das ist nicht der Fall. terkeit bei Abgeordneten der FDP – Michael Denn Direktinvestitionen schaden unserem Land nicht. Theurer [FDP]: Sie sind ein roter Schlawiner, Sie schaffen neue Arbeitsplätze. Sie bringen Kapital. Herr Kollege!) Sie bringen Know-how und wertvolle Geschäftsbezie- Herr Altmaier, ich muss Ihnen sagen: Bisher haben Sie hungen. die Möglichkeiten, die Sie hatten, nicht richtig ausge- (Beifall bei der FDP) nutzt. Ich erinnere an das Beispiel Coriant. Sie kennen dieses Unternehmen. Es war ein Unternehmen, das sys- Und, Herr Altmaier, warum – und das wäre wirklich temrelevante Kommunikationstechnik hergestellt hat. Es sinnvoll – sollten Sie China direkt konfrontieren? Setzen bedurfte einer parlamentarischen Initiative, damit Ihr Sie doch die chinesische Führung unter Druck und sagen: Haus in diesem Fall überhaupt tätig geworden ist. Und „Die Regelungen, die ihr bisher anbietet, reichen nicht bis man dann gesagt hat: „Hoppla, das ist schwierig“, war aus; wir müssen darüber verhandeln“! Uns hier abzu- das Ding verkauft, und die Arbeitsplätze waren weg. Die schotten, wird uns in der Diskussion nicht helfen. Diese Arbeitsplätze waren im Ausland, und zwar in Thailand. Bunkermentalität, Herr Altmaier, zeigt, dass Sie sich So richtig sind Sie Ihrer Aufgabe da nicht gerecht ge- doch peu à peu von der Marktwirtschaft verabschieden. worden. Deshalb hoffe ich, dass mit diesem Gesetz ein Das gilt natürlich auch für die grünen Freunde von staats- bisschen mehr Engagement in Ihrem Hause einhergeht, monopolistischen Kapitalideen, die wir noch aus den damit auch was dabei rauskommt. 60er- und 70er-Jahren kennen. (Beifall bei der LINKEN) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was genau meinen Sie damit? Können Meine Damen und Herren, deshalb ein paar Fragen: Sie das konkretisieren? Sie reden wirr!) Zum Ersten. Was ist nun zum Beispiel mit den Herstel- Zahllose deutsche Unternehmen kämpfen gerade ums lern von medizinischer Schutzausrüstung und Medika- Überleben. Belasten Sie sie nicht mit ideologischen oder menten? Sie schreiben ja in dem Gesetzentwurf, Sie wol- (B) marktfremden Gesetzen! Denn diese erhalten weder Ar- len die Möglichkeiten der Kontrolle erweitern. Bisher (D) beitsplätze, noch schaffen sie Wohlstand. muss die „Sicherheit und Ordnung“ als gefährdet ange- sehen werden, damit Sie eingreifen. Geändert wurde dies Vielen Dank. in eine „voraussichtliche Beeinträchtigung“ durch eine (Beifall bei der FDP – Katharina Dröge Investition. Sie wollen also erleichtern, dass Sie eingrei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt fen können. Sind Sie nicht der Meinung, dass auch Ihr ein bisschen wirr!) Katalog erweitert werden müsste, Sie die Möglichkeit haben müssten, dass Sie in dem Bereich medizinisch not- wendiger Güter eingreifen? Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für Zum Zweiten. Wir haben ja auch Hedgefonds. Die die Fraktion Die Linke der Kollege Klaus Ernst. greifen auch in die Wirtschaft ein, weil viele Unterneh- men zurzeit so billig sind. Und, Herr Houben, Sie haben (Beifall bei der LINKEN) gesagt, die Fonds schaffen Arbeitsplätze. Sie wissen, was die tun. Die kaufen ein Unternehmen auf, filetieren das Klaus Ernst (DIE LINKE): Unternehmen und verkaufen die einzelnen Teile, die sie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- dann bilden, gewinnbringend. Übrigens sind das hinter- ren! Das Thema ist gut beschrieben, Herr Altmaier. Ge- her bei Weitem weniger Arbeitsplätze. Herr Houben, tun nau darum geht es: Unternehmen werden in der Krise Sie doch nicht so weltfremd! Sie wissen das. billiger. Aktienkurse sinken. Auch Mittelständler werden billiger, weil sie die Absatzmärkte verloren haben usw. (Beifall bei der LINKEN) Die Frage ist also richtig gestellt: Wie können wir das Wenn Sie die schützen wollen, dann sagen Sie es offen. verhindern? Ihr Gesetz geht in die richtige Richtung. Es geht auch um die Arbeitsplätze. (Reinhard Houben [FDP]: Herr Altmaier, das Die Frage, die sich stellt – sie richtet sich an Sie, Herr würde mir zu denken geben: Die Linke lobt!) Altmaier –, ist, welche Bereiche Sie denn tatsächlich kontrollieren und gegebenenfalls auch schützen wollen. Sie wollen erreichen, dass die Bundesrepublik Deutsch- Wollen Sie Unternehmen in Deutschland auch aus land eingreifen kann, wenn Investitionen getätigt werden, Gründen der Arbeitsplatzsicherheit in den entsprechen- die sozusagen gegen das Interesse der Bundesrepublik den Katalog, der ja nun auf das Gesetz folgen und in die gerichtet sind. Verordnung einfließen muss, aufnehmen? Die Arbeitneh- Herr Houben, jetzt will ich Ihnen doch mal was sagen: mer hierzulande wären sonst zweimal betroffen: erstens Sie haben vom „weißen Ritter“ Altmaier gesprochen. durch die Krise, zweitens dadurch, dass ihnen die Unter- 19334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Klaus Ernst (A) nehmen unterm Hintern weggekauft werden und sie letzt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) endlich ihren Job verlieren. Beides wollen wir verhin- sowie bei Abgeordneten der SPD – dern, und da werden wir auf Sie aufpassen, Herr Dr. Alexander Gauland [AfD]: So einen Altmaier. Schwachsinn habe ich selten gehört!) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Mit dem Außenwirtschaftsgesetz erweitern wir den LINKEN: Sehr gut!) Handlungsspielraum des Staates nun noch einmal – Herr Altmaier hat es dargestellt –, zum Schutz von kritischer Infrastruktur, zum Schutz von wichtigen Schlüsselunter- Vizepräsident Thomas Oppermann: nehmen in diesem Land. Und wir als Opposition tun jetzt Vielen Dank. – Als Nächste spricht dann für die Frak- etwas Ungewöhnliches: Wir schlagen vor, Ihren Hand- tion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Katharina lungsspielraum sogar noch über das hinaus zu erweitern, Dröge. was Sie selber sich wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sagen Ihnen: Befristet für die Krise sollen Sie als Regierung die Möglichkeit haben, grundsätzlich zu prü- Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fen, ob Schlüsseltechnologien jetzt vor Übernahmen ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- schützt werden müssen. Denn wir wissen in dieser Krise nen und Kollegen! Es erstaunt mich immer wieder, dass noch lange nicht, welche Unternehmen, welche Liefer- es Vertretern der AfD immer noch gelingt, mich damit zu ketten bei der Krisenbekämpfung gerade relevant sind. überraschen, was für sinnfreie Behauptungen man hier Deswegen sollen Sie, befristet für diese Krise, einen deut- am Rednerpult aufstellen kann. lich größeren Entscheidungsspielraum haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Houben, dabei geht es ein Stück weit jetzt auch sowie bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit um Vertrauen in die Politik. Wir sollten das Gegeneinan- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE derausspielen beenden und nicht sagen: Der Staat ist im- GRÜNEN – [AfD]: Da staunen mer so schwierig und prüft und bremst usw. – Wir haben Sie, was?) gerade in der Krise gemeinsam Handlungsfähigkeit be- wiesen, auch Schnelligkeit bewiesen. Und wir sollten Damit meine ich nicht den Kollegen Müller, bei dem ich jetzt im Zusammenhang mit dieser Prüfung einfach das es eher betrüblich finde, in was für Parallelwelten er ab- Vertrauen der Unternehmen im Land voraussetzen, dass geglitten ist, sondern ich meine Sie, Herr Gauland. Sie wir hier verantwortungsvoll handeln, dass wir hier sinn- haben heute Morgen in der Aussprache zur Regierungs- voll handeln. Das kann man auch als Politiker der FDP in (B) erklärung den Satz gesagt, dass der Staat bei der Pande- dieser Krise einmal aussprechen. (D) miebekämpfung eigentlich „weitgehend überflüssig“ sei. Und ich frage mich ernsthaft, wie man angesichts dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lage zu so einer Aussage kommen kann. Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegangen: Wir (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- haben mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds die Mög- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- lichkeit geschaffen, Unternehmen direkt über Staatsbetei- KEN) ligungen zu retten. Auch da sagen wir: In der Krise ist das richtig. – Aber die Gesellschaft erwartet zu Recht dann Wir werden noch viel über Folgen dieser Krise diskutie- auch Solidarität auf der anderen Seite. Deswegen ist es ren müssen; aber eins ist doch jetzt schon klar: dass ein richtig, zu verlangen, dass Bonuszahlungen an Manager funktionierender Sozial- und Rechtsstaat enorm wichtig und auch Dividendenausschüttungen jetzt in der Krise ist für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, für nicht möglich sind. den Gesundheitsschutz, aber auch für das Funktionieren der Wirtschaft in diesem Land. Ich würde noch einen Schritt weitergehen – da fordere ich Sie auch zum Handeln auf –: Unternehmen, die sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bislang nicht an der Finanzierung des Gemeinwohls be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- teiligt haben, die zum Zwecke der aggressiven Steuerver- KEN) meidung in Steueroasen registriert sind, können jetzt kei- nen Anspruch auf staatliche Unterstützung erwarten. Das Denn ohne die Zuschüsse, ohne die Notkredite, die wir müssen Sie klarstellen. gerade gewähren, würden verdammt viele Unternehmen in diesem Lande am Ende dieser Krise nicht mehr da sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Natürlich sind wir auf die Solidarität der Menschen in sowie bei Abgeordneten der LINKEN) diesem Land angewiesen. Natürlich sind wir auf die Ei- Für die meisten Unternehmen in diesem Land ist die geninitiative auch der Unternehmen in diesem Land an- Beteiligung an der Finanzierung des Gemeinwohls gewiesen – das stellt hier keiner in Abrede; dafür sind selbstverständlich. Deswegen möchte ich meine Rede viele hier in diesem Raum auch dankbar –; aber diese auch mit einem Dank an diese Unternehmen abschließen. Eigeninitiative gegen verantwortliches staatliches Han- Ganz viele Unternehmen haben eine beeindruckende Ei- deln auszuspielen, das kann man in dieser Krise wirklich geninitiative, eine beeindruckende Leistung der Solidari- nur machen, wenn man ein absolut perfides politisches tät, des Spendens an den Tag gelegt. Sie haben zum Aus- Geschäftsmodell des Spaltens und Gegeneinanderaus- druck gebracht: Wir wollen helfen; wir können Teil der spielens vertritt. Bekämpfung der Krise sein. – Ohne diese Innovations- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19335

Katharina Dröge (A) fähigkeit stünden wir heute schlechter da. Deswegen ge- (Reinhard Houben [FDP]: Wir natürlich auch! (C) hört das zusammen: vernünftiges staatliches Handeln und Sie machen aber mehr!) großartiges unternehmerisches Engagement. Bestandteil des Gesetzes, das heute in den Deutschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundestag eingebracht wird, ist die Eins-zu-eins-Umset- zung dieser EU-Screening-Verordnung. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Reinhard Houben [FDP]: Nein!) Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist dann Wir würden uns ja bei so mancher Verordnung wünschen, für die CDU/CSU der Kollege Andreas Lämmel. dass sie wirklich eins zu eins umgesetzt wird. Herr Minis- (Beifall bei der CDU/CSU) ter, hier sind wir auf einem guten Weg. – Das erst mal zum ersten Teil des Gesetzes.

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Zum zweiten Teil des Gesetzes. Ich glaube schon, dass Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- wir in den letzten Jahren gelernt haben, dass wir Instru- ren! Wenn man hier so manche Wortmeldung hört, dann mente brauchen, um die deutsche Wirtschaft, um muss man den Eindruck gewinnen: Ausländische Inves- Deutschland insgesamt vor Übernahmen aus dem Aus- toren sind Verbrecher. Sie sind, Herr Ernst, eigentlich nur land zu schützen, die uns nicht gefallen. Aber, meine unterwegs, um deutsche Firmen aufzukaufen, sie auszu- Damen und Herren, das kann kein Schutzschild insge- schlachten, Arbeitsplätze zu vernichten und Geld ins samt sein. Ausland zu schaffen. Jetzt komme ich mal zu den Gesetzespassagen, die wir bestimmt noch mal diskutieren müssen. Da sind zum (Zuruf des Abg. Reinhard Houben [FDP]) einen die Regelungen zum schwebenden Verfahren. Wir – Na ja, die rechte und die linke Seite haben da die gleiche kennen es eigentlich schon – das ist kein neuer Umstand – Einstellung zu ausländischen Investoren. aus dem Bereich der Rüstungsinvestitionen, dass Verfah- ren bis zum Abschluss schwebend unwirksam sind. Aber Meine Damen und Herren, das ist natürlich eine völli- wir brauchen hier natürlich eine Begrenzung der Prüf- ge Fehleinschätzung; denn die Übernahme von Firmen zeiten. Jeder Investor braucht Klarheit darüber, wie lange oder Firmenanteilen gehört zum internationalen Ge- das Bundeswirtschaftsministerium den Antrag prüfen schäft. Auch deutsche Unternehmen investieren enorme kann. Letztendlich muss er zu einem bestimmten Zeit- Summen im Ausland, sie übernehmen Firmenteile oder punkt Klarheit darüber erlangen, ob eine Übernahme oder ganze Firmen. Wir haben ja zuletzt große Übernahmen ein Kauf von Unternehmensanteilen möglich ist. Hier (B) erlebt, zum Beispiel durch Bayer in den USA. Selbst müssen wir natürlich im Anschluss an die Änderung (D) Infineon hat noch mitten in der Coronakrise in Amerika des Gesetzes sofort an die Änderung der Außenwirt- ein Unternehmen komplett übernommen. Insofern ist die schaftsverordnung gehen, weil dies darüber zu regeln Investition in Unternehmen oder Unternehmensteile doch ist. Die Begrenzung der Prüfzeiten ist für die deutsche ein wirtschaftlicher Vorgang, den wir eigentlich alle wol- Wirtschaft enorm wichtig, aber auch für die Investoren; len. Darauf, dass Deutschland ein interessanter Markt für denn sie müssen wissen, bis wann ihr Antrag überhaupt ausländische Investoren ist, können wir doch auch stolz genehmigt werden kann. sein. Denn ein Investor kauft keinen Schrott, sondern er guckt sich um, wo er gute Investments findet. Zum anderen stellt sich die Frage, ob man bei Über- nahme eines Anteils von 10 Prozent an der Firma schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) in ein Prüfverfahren gehen muss. Ich denke hier vor allen Dingen an die Start-up-Szene in Deutschland, die ja nach Das ist erst mal die Situation, und eigentlich hat das Investoren sucht. Die Start-ups brauchen oftmals Investo- Thema bisher nie eine große Rolle gespielt. ren, die ihnen weitere Wachstumsmöglichkeiten ver- Dann kam es plötzlich dazu, dass auch chinesische schaffen. Deshalb bin ich mir nicht hundertprozentig si- Unternehmen wirtschaftlich in der Lage waren, sich auf cher, ob die 10-Prozent-Grenze, die im Moment im dem deutschen Markt umzuschauen, und sie haben einige Entwurf steht, wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Firmen in Deutschland gekauft. Das hat auch hier im Aber um das zu klären, haben wir ja das parlamentarische Deutschen Bundestag einige Diskussionen ausgelöst, Verfahren. und wir haben eine Debatte darüber geführt, wie man sich Liebe Kollegen von der FDP – noch ein letzter Satz –, vor dem Abfluss von Technologien in Richtung Asien in Ihrem Antrag fordern Sie den Bundeswirtschaftsminis- schützen kann. Das Gleiche gilt aber auch in Richtung ter auf, vom vorliegenden Gesetzentwurf Abstand zu der USA. nehmen. Er wurde aber heute eingebracht, und Sie wissen Insofern gab es dann sehr große Zustimmung, als die ganz genau: Der Bundestag ist letztendlich der Gesetzge- Europäische Kommission gesagt hat: Wir brauchen jetzt ber. nicht nationale Gesetze – es soll nicht so sein, dass jeder Ich freue mich auf die parlamentarische Diskussion. in Europa ein eigenes Schutzgesetz macht –, sondern wir Wir werden über alle Fragen gemeinschaftlich diskutie- wollen versuchen, hier eine europäische Regelung zu ren finden. – Das Ergebnis ist die Screening-Verordnung der Europäischen Union. Wir sind erst mal froh, dass (Reinhard Houben [FDP]: Machen wir gerne, damit ein Standard in Europa geschaffen worden ist. Herr Lämmel!) 19336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Andreas G. Lämmel (A) und dann einen entsprechenden Beschluss fassen. wichtig. Ja, Herr Houben, wir wollen keine feindlichen (C) Übernahmen, wir wollen aber auch keine arglosen. Es ist Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. doch das Gebot der Stunde, in der Krise den Schutz der (Beifall bei der CDU/CSU) öffentlichen Ordnung herzustellen und zu erhalten, auch im Rahmen der EU-Mitgliedstaaten. Vizepräsident Thomas Oppermann: Die vorliegende Novelle ist ein Signal an unsere Wirt- Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist für schaft – das ist überhaupt nicht zu bestreiten –; aber sie ist die Fraktion der SPD die Kollegin Daniela De Ridder. auch ein Signal an die Beschäftigten. Lassen Sie mich deshalb – sicher auch in Ihrem Sinne – allen draußen (Beifall bei der SPD) vor den Fernsehgeräten, die möglicherweise nicht so pri- vilegiert mit Abstandsregelungen arbeiten können wie Dr. Daniela De Ridder (SPD): wir, sagen: Vielen Dank! Sie alle, die in diesem Zusam- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und menhang Normalität herstellen, sind systemrelevant. Vie- Kollegen! Erst wenige Wochen – da waren wir aber schon len Dank, dass Sie durchhalten! mitten in der Krise – ist es her, dass der US-amerika- nische Präsident Donald Trump, ganz in seinem gewohn- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. ten national-egoistischen „America First“-Modus, ver- Dr. [CDU/CSU]) sucht hat, sich exklusiv die Forschungsergebnisse zu Impfstoffen zu sichern, die bei dem Tübinger Unterneh- Nein, Herr Houben, Isolationismus ist nicht unsere men CureVac in Kooperation, lieber Herr Houben, mit Sache, und wir setzen den Außenhandel in keiner Weise dem Paul-Ehrlich-Institut entwickelt werden, im Übrigen aus. Vielmehr geht es darum, ihn stärker zu kontrollieren. auch mit deutschen Steuermitteln. Sie wissen, dass das in Dass das notwendig ist, macht das von mir genannte Bei- der Tat verhindert werden konnte. – Paul-Ehrlich-Insti- spiel Trump doch überaus deutlich. tut – das sollten sich alle merken –, das sind diejenigen, Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Lassen Sie die uns jetzt hoffen lassen, dass in Bälde ein Impfstoff mich noch sagen: Es wird eine Postcoronaepoche geben; entwickelt werden kann, der uns schützt. aber es wird mit Sicherheit auch die nächste Krise geben, Herr Houben, Trumps gescheiterter Übernahmever- und auf die müssen wir besser vorbereitet sein. Dazu such beweist doch ganz paradigmatisch – da stimmen dient die Novelle. Auch das ist ein wichtiges Signal. Sie mir hoffentlich zu –, dass Populisten – wir haben hier auch einige sitzen – völlig unfähig sind, in der Krise Allen, die jetzt beklagen, dies sei nur die Stunde der adäquate Lösungen zu finden. Regierung oder des Herrn Altmaier, Herr Houben, will (B) ich sagen: Es ist auch die Stunde des Parlamentes. Geben (D) (Beifall bei der SPD) Sie von der FDP sich einen Ruck. Sie können dem Ge- setzentwurf zustimmen. Dann machen auch Sie deutlich: Der Vorgang wirft zugleich ein Licht auf die Relevanz Das ist auch die Stunde der Parlamente. unserer eigenen kritischen Infrastrukturen, die wir mit unseren Fähigkeiten und unserer Expertise schützen müs- Vielen Dank. sen. (Beifall bei der SPD) Mir als Außenpolitikerin ist es wichtig, dass das, worü- ber wir heute debattieren und entscheiden werden, zu einem EU-Stärkungsgesetz führt. Wir setzen nicht nur Vizepräsident Thomas Oppermann: EU-Richtlinien in nationale Regelungen um, nein, wir Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht haben auch im Blick, wie wir innerhalb der EU-Mitglied- vor. Ich schließe die Aussprache. staaten Investitionsprüfverfahren berücksichtigen kön- nen. Dieser Aspekt hat einen zentralen Stellenwert in Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf der vorliegenden Novelle. den Drucksachen 19/18700, 19/18703 und 19/18673 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. – Andere Vorschläge gibt es nicht. Dann be- Vizepräsident Thomas Oppermann: schließen wir das. Frau De Ridder, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zusatz- Dr. Daniela De Ridder (SPD): punkte 10 und 19 auf: Nein, im Moment nicht. Ich habe eh nur drei Minuten 10 Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ Redezeit. DIE GRÜNEN (Stefan Keuter [AfD]: Dann hätten Sie ja Entschieden europäisch handeln gegen die Co- mehr!) rona-Pandemie Aber ich diskutiere darüber gerne an anderer Stelle weiter. Vielen Dank. Drucksache 19/18713 Es geht auch um einen EU-weiten Kooperationsme- ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrej chanismus. Wir brauchen in der Krise – das erweist sich Hunko, Fabio De Masi, Heike Hänsel, weiterer einmal mehr – einen multilateralen Ansatz. Das ist ganz Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19337

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Existentielle Krise der EU überwinden – Wirt- Sondermaßnahmen vor. Wenn es so läuft, wie Sie von der (C) schaft mit der EZB wiederaufbauen und Su- Bundesregierung das wollen, dann verlagern Sie de facto perreiche in die Pflicht nehmen die Verantwortung auf die Europäische Zentralbank. De- ren Ankäufe bedeuten doch de facto eine Gemeinschafts- Drucksache 19/18687 haftung, nur dass Sie dort keine politischen Regeln und Überweisungsvorschlag: Bedingungen dafür schaffen können, für was und wie die Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Gelder ausgegeben werden. Machen Sie sich endlich ehr- Finanzausschuss Haushaltsausschuss lich. Sie können nicht beides haben: eine begrenzte, un- abhängige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten eine Verweigerung echter europäischer fiskalischer Ant- Alexander Graf Lambsdorff, Michael Georg worten. Das geht nicht. Link, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Europa gegen Corona – 5 Punkte für eine eu- Wir als Deutsche profitieren am meisten von Europa ropäische Antwort auf die Pandemie und sind jetzt mit den Holländern gegen gemeinsame Anleihen. Sind die anderen eigentlich alle doof? Wollen Drucksache 19/18695 die Franzosen unseren Untergang? Das kommt doch Ver- Überweisungsvorschlag: schwörungstheorien sehr gleich. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Sie wollen Finanzausschuss Haushaltsausschuss nur das Geld!) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- – Nein, sie wollen nicht unser Geld; sie zahlen selber mit gesehen. rein. Die Italiener sind Nettozahler im Haushalt, die Fran- zosen genauso. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der ersten Rednerin: Dr. Franziska Brantner für die Fraktion (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bündnis 90/Die Grünen. Hören Sie doch auf, so zu tun, als ob es nur um unser Geld ginge. Es geht darum, dass wir gemeinsam gut durch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Krise kommen. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Seit Jahr- NEN): (B) zehnten geht es doch darum, dass die keinen (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Alle Europäer sind in Haushalt hinkriegen!) einer außergewöhnlichen Lage, und es ist in unserem Zum Glück haben uns die Alliierten nach dem Zweiten ureigenen Interesse, dass alle Mitgliedstaaten alle An- Weltkrieg die Hand gereicht. Dabei hatten wir die strengungen unternehmen können, um ihre Gesundheits- schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit be- systeme zu finanzieren, ihre Gesellschaft und Wirtschaft gangen und Millionen Menschen das Leben geraubt. In zu stabilisieren und wieder anzukurbeln. der Coronakrise haben die Italiener nur das verdammte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pech gehabt, als Erste in die Krise zu geraten. Dadurch haben Sie uns einen Lernvorsprung ermöglicht. Seien Sie Ansonsten wird der Binnenmarkt darniederliegen. Und nicht so engstirnig. wem sollen wir dann unsere Autos, unsere Maschinen verkaufen? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Der vor uns liegenden Herausforderung begegnen wir SES 90/DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Willsch am besten, wenn wir uns als Europäische Union einmalig [CDU/CSU]: Seien Sie nicht so naiv!) gemeinsam Geld leihen, es gemeinsam ausgeben, um die Natürlich braucht es bei diesem Fonds Regeln. Er muss Pandemie zu bekämpfen, und gemeinsam zurückzahlen. den Green Deal integrieren und den sozialen Zusammen- halt stärken. Jeder Aufbaufonds und jeder zukünftige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Haushalt der EU muss außerdem an Rechtsstaatlichkeit Wir brauchen für den Recovery Fund eine finanzielle und Demokratie geknüpft sein. Ihnen von der Union sage Größenordnung, die der tatsächlichen Herausforderung ich: Es ist unverantwortlich und beschämend, dass Herr entspricht. Es wird schwierig sein, dies allein über größ- Orban immer noch Teil Ihrer Parteienfamilie ist und dass ere Beiträge zum EU-Haushalt zu erreichen, wie Frau Sie als CDU und CSU da keine klaren Worte finden. Merkel das heute Morgen vorgeschlagen hat. Wer soll denn die höheren nationalen Beiträge in dieser Krise ohne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schulden finanzieren? sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Bekennen Sie hier endlich Farbe! Es macht doch mehr Sinn, dass sich die EU als solche verschuldet, und das bedeutet übrigens keine gesamt- Wir müssen uns doch jetzt darauf besinnen, wo wir am schuldnerische Haftung. Außerdem müssen die Gelder Ende der Krise als Europäer stehen wollen. Bricht die EU im Rahmen von EU-Programmen ausgegeben werden, auseinander, oder investieren wir in einen neuen Auf- nicht als Kredite. Das ist auch keine rechtliche Frage. schwung für eine nachhaltige, krisenfeste Wirtschaft? Artikel 122 AEUV sieht für Notsituationen solidarische Riskieren wir chinesische Einkaufstouren, oder sichern 19338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Franziska Brantner (A) wir unsere Unternehmen? Bleiben wir bei wichtigen Pro- Umso schmerzlicher ist es – das ist vermutlich der (C) dukten auf andere angewiesen, oder schützen wir uns innenpolitischen Konstellation geschuldet –, dass das selbst? Wir Deutsche haben jetzt eine große Verantwor- Bild unserer Hilfsbereitschaft beispielsweise in Italien tung, eine besondere Verantwortung mit der anstehenden verzerrt dargestellt und diskutiert wird. „La Repubblica“ Ratspräsidentschaft. Werden Sie dieser Verantwortung schreibt dazu: endlich gerecht! Es ist merkwürdig, mit welchem Ton man in Italien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nach wie vor über den angeblichen Widerstand der Kanzlerin gegen Coronabonds spricht. Wenn es nicht direkt Beleidigungen sind, empört man sich Vizepräsident Thomas Oppermann: in den meisten Kommentaren über Angela Merkel. Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Es ist, als hätte sich Deutschland nicht einen Milli- der CDU/CSU der Kollege Florian Hahn. meter bewegt, als die Pandemie in Europa sehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schnell schlimmer wurde. Stattdessen sollte man sich daran erinnern, wie sehr Merkel in diesen ersten anderthalb Monaten in allem nachgegeben hat. … Florian Hahn (CDU/CSU): Auch das wird in der Debatte in Italien nie erwähnt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stecken noch mitten in der Coronakrise. Ich fürchte so- Ich kann das nur unterstreichen. Wir brauchen uns mit gar – das muss man ehrlicherweise sagen –, wir sind eher unserem Solidaritätsbeitrag nicht zu verstecken, weder noch am Anfang. Mit einer Durchseuchungsrate von un- jetzt noch in der Vergangenheit. ter 2 Prozent in Deutschland und der Aussicht auf einen Impfstoff erst in Monaten dürfte klar sein, dass wir zum Vizepräsident Thomas Oppermann: Alltag so schnell nicht werden zurückkehren können. Herr Kollege Hahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Mein herzlicher Dank geht an die Bundesregierung, allen voran an die Bundeskanzlerin, und an die Minister- Florian Hahn (CDU/CSU): präsidenten, beispielsweise an meinen Ministerpräsiden- Nein. – Deutlich wird das an der Hilfe für die europä- ten, Markus Söder, die frühzeitig und entschlossen ge- ische Wirtschaft: Es ist ein erstes Hilfsprogramm mit handelt haben. Mit Blick auf die Zahlen wird deutlich: einem Volumen von 540 Milliarden Euro verabschiedet Das hat sich gelohnt. Im Moment haben wir uns aber worden. Es basiert auf einem Dreiklang der Solidarität: lediglich mit dem Virus arrangiert; wir haben ihn noch europäischer Rettungsfonds ESM, Europäische Investi- (B) nicht besiegt. – Ich rate daher uns allen: Lassen Sie uns tionsbank, EIB, und europäisches Kurzarbeitergeld SU- (D) weiterhin vernünftig, anhand von Fakten handeln, und RE. Für alle drei Maßnahmen gilt: Jetzt geht es um eine geben wir dem Wunsch nach Normalität, den wir alle zeitnahe Umsetzung, damit die Hilfe schnell ankommt. haben, nicht übereilt nach, nur um die Bürgerinnen und Die Union ist bereit, bei der notwendigen Beteiligung des Bürger kurzfristig von ihrer Belastung zu erleichtern; Bundestages dafür Verantwortung zu übernehmen. denn das birgt das erhebliche Risiko, dass eine zweite Vollbremsung uns noch gravierender trifft als die erste. Meine Damen und Herren, das ist vielen in Europa und auch einigen hier bei uns, wie einige der vorliegenden Wir sind noch nicht über den Berg. Wir werden einen Anträge aus der Opposition zeigen, noch nicht genug. langen Atem brauchen. Die Pandemie hat unser Land zu Das ist zwar deutlich mehr als ein Tropfen auf den heißen einem guten Teil auf den Kopf gestellt. Aber sie hat uns Stein, könnte aber in der Tat nicht ausreichen, wobei auch demütig gemacht. Wenn wir uns in Europa und in heute noch niemand weiß, wie viel Geld wir tatsächlich der Welt umschauen, dann müssen wir mit Dankbarkeit für die Ankurbelung der Wirtschaft in Europa benötigen und Demut feststellen, dass wir bisher noch gut davon- werden. Dankenswerterweise ist die Europäische Kom- gekommen sind. Die Menschen in anderen Ländern und mission gerade dabei, alles zusammenzutragen, um eine Regionen hat es viel schlimmer getroffen. Wir haben, ungefähre Abschätzung abgeben zu können, in welcher auch mit Unterstützung der Opposition, beispiellose erste Höhe zusätzliche Mittel und Hilfen bereitgestellt werden Rettungspakete geschnürt für die Menschen und die Un- müssen. ternehmen in unserem Land, die durch das Virus in ihrer Existenz bedroht sind. Zwischenzeitlich wurde mit Maß- Den Grünen und anderen fällt zur Finanzierung nichts nahmen nachgesteuert. Ob das alles ausreicht, weiß nie- weiter ein als gemeinschaftliche Bonds. Die einen spre- mand. Wir beobachten das alles sehr genau. chen von Coronabonds, andere von altbekannten Euro- Bonds, wieder andere von Wiederaufbaubonds, ja, sogar Im Kampf gegen Corona haben wir uns eine Atem- Jugendbonds werden ins Spiel gebracht. Jeder scheint pause verschafft und etwas Zeit gekauft, Zeit, die andere unter Bonds etwas anderes zu verstehen; aber alle sind Länder nicht haben, weil die Katastrophe mit Wucht über sich einig: Deutschland soll zahlen bzw. haften, am bes- sie hereingebrochen ist. Deshalb ist es aus meiner Sicht ten für alles. – Dazu kann ich nur sagen: Mit uns wird es völlig selbstverständlich – daran gibt es nicht den ge- das nicht geben. Das haben wir als CDU/CSU-Bundes- ringsten Zweifel –, dass wir jetzt denen helfen, die sich tagsfraktion immer ausgeschlossen, und dabei bleibt es aus eigener Kraft nicht retten können. auch in Coronazeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Denn gegen eine europäische Haftungsunion sprechen der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) aus unserer Sicht unter anderem folgende Punkte: Nach Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19339

Florian Hahn (A) unserem Grundgesetz kann es eine Abgabe des Budge- sollen also die Staaten alimentieren, deren Haushaltsver- (C) trechts des Bundestages an eine supranationale Ebene mögen und Normalrenten weit, weit höher und deren nicht geben. Weder die EU noch die Mitgliedstaaten dür- Steuerquoten für Erben und Reiche dafür weit, weit nied- fen nach den Verträgen für die Verbindlichkeiten einzel- riger liegen als bei uns. ner Staaten, einzelner Länder haften. Und die Kreditsucht lässt sich nicht durch noch mehr Kredite bekämpfen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So Außerdem besteht die Gefahr, dass sich Deutschland ein Quatsch!) übernimmt, als größte Volkswirtschaft der Europäischen Es gibt schon genug Investitionsleichen im gemeinsa- Union ins Wanken gerät und so das europäische Projekt men europäischen Keller. Kann sich noch jemand an die „gemeinsame Währung“ massiv gefährdet. Großmäuligkeiten der Lissabon-Strategie 2000/2010 er- Wir wollen alles tun, um zu helfen, aber auch alles innern? Von wegen EU als „wettbewerbsfähigster und unterlassen, was verfassungsrechtlich und europarecht- dynamischster wissensgestützter Wirtschaftsraum der lich fragwürdig und finanzpolitisch abenteuerlich ist. Welt“! Mir fällt da eher ein anderes Bild ein – es ist ja Die Anträge, die uns vorliegen, werden dem nicht ganz nichts geworden mit dem wettbewerbsfähigsten Wirt- gerecht. Deswegen werden wir sie ablehnen. schaftsraum –: EU als Reptilienzoo, wo die schlauen Schildkröten längst einen Trick gelernt haben, nämlich Herzlichen Dank. sich selbst auf den Rücken zu bugsieren, um dann von den anderen mit allerlei Leckerbissen durchgefüttert zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werden.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Genau das Gegenteil von Subsidiarität, Subsidiarität und Kollege Dr. Harald Weyel für die Fraktion der AfD. noch einmal Subsidiarität ist hier fragwürdige EU-Räson geworden. (Beifall bei der AfD) ( [SPD]: Oh Herr, wirf Hirn Dr. Harald Weyel (AfD): vom Himmel! – Dr. Franziska Brantner Herr Präsident! Kollegen! Verehrte Zuschauer in der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann man Coronabildschirmquarantäne! An die Expatriates in Ihnen helfen? – Metin Hakverdi [SPD]: Das Schweden: Sverige! Wenn die völlig fehlorientierten ist ja nicht mal unterhaltsam!) Grünen in ihrem Antrag von „Schicksalsgemeinschaft“ Gegen Solidarität ist, wie gesagt, nichts einzuwenden. reden, ist Vorsicht geboten; denn das Einzige, was sich (B) Ich würde sie auch eher „Hilfsbereitschaft“ nennen. Die- (D) in dieser Krise, in der Coronakrise, halbwegs bewährt se Merkwürdigkeit, dass das Land mit den niedrigsten hat, ist der Nationalstaat. Genau den wollen die Grünen Vermögenswerten und Rentenansprüchen das Konsumni- aber abschaffen und an seine Stelle ein Gebilde setzen, veau der anderen sicherstellen soll, muss doch einmal das keine Schicksals-, sondern eine Beutegemeinschaft thematisiert werden. auf unsere Kosten ist. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD) GRÜNEN]: Das hatten wir doch schon einmal Nicht nur die EU soll, wenn es nach den Grünen und gerade!) einigen anderen geht, in den Genuss der sogenannten Solidarität kommen – ich nenne das mal lieber „Hilfsbe- Wir, die AfD, sind die einzige Partei, die ihren Kredit reitschaft“ –, sondern ganz Europa, ob EU oder nicht, noch nicht verspielt hat. eigentlich die ganze Welt, also auch die Länder jenseits (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es schon des Urals, Nordafrika usw. usf. „Was ist des Europäers ein bisschen konfus!) Vaterland oder Mutterland?“, würde Ernst Moritz Arndt wohl in unseren Tagen dazu sagen. Sie sind die, die den Kredit erst gar nicht geben wollen, wo sie ihn doch alle mehrfach verspielt haben. Wir sind Gegen Hilfsbereitschaft ist nichts einzuwenden. die Einzigen, Deutschland hat seit den 50er-Jahren weltweit geholfen. In den Krankenhäusern werden Franzosen, Niederländer, (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Sie sind die Italiener behandelt. Was die Grünen meinen, ist aber kei- einzige Partei, die kompletten Unsinn erzählt!) ne Hilfsbereitschaft, sondern eine Schuldknechtschaft, die überhaupt noch Arbeitnehmer- und Sparerinteressen die uns dauerhaft für die Versäumnisse anderer Staaten und die Interessen normaler Bürger vertreten, und zwar in die Haftung nimmt. Wo soll da der Anreiz für die be- auf allen Ebenen, troffenen Länder sein, in Zukunft besser zu wirtschaften und ihre Gesundheitswesen nicht kaputtzusparen? Und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) wo sollen wir in der nächsten Krise die Kapazitäten her- nehmen, die wir brauchen, um zu helfen, wenn der Na- die Einzigen, die ein ehrliches Europa ohne Ausbeutung tionalstaat – und damit auch die Daseinsvorsorge – seiner der deutschen Steuer-und Sozialkassen wollen, die nicht Handlungsfähigkeit beraubt wird? alles auf dem Altar von schlecht gemachtem Pseudoin- ternationalismus von EU-topia opfern wollen. Wir wollen Wir als Land mit den geringsten Haushaltsvermögen weder alle Weltprobleme importieren noch die Proble- und Rentenansprüchen innerhalb der vielgepriesenen EU mausweitung in der EU durchfinanzieren. 19340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Harald Weyel (A) (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wir wollen die Notfallbetten und an die Übernahme von schwer erkrank- (C) Probleme lösen!) ten Menschen aus Italien und aus Frankreich.

Wir sind uns alle einig: Deutschland kann es nur gut Vizepräsidentin : gehen, wenn es Europa gut geht. Das hat die Kanzlerin Kommen Sie bitte zum Ende. schon heute Morgen in der Regierungsansprache gesagt. Da geht es nicht nur um offene Grenzen, sondern vor Dr. Harald Weyel (AfD): allem auch um die Volkswirtschaft. Dass es uns wirt- Genau das aber betreiben die Grünen und ihre Gesin- schaftlich so gut geht, haben wir zu einem Großteil der nungsgenossen. Wir blicken unabhängig von Corona auf EU zu verdanken. Das wissen wir alle. 60 Prozent der verlorene Jahrzehnte zurück, verlorenes Geld und ver- deutschen Exporte gehen an unsere Partner in der EU. lorene Energie. Deutschland steht dank eines stabilen und guten Gesund- heitssystems, dank eines guten Wirtschaftssystems und (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE vor allem dank einer soliden Haushaltspolitik in den letz- GRÜNEN]: Jetzt ist es gut!) ten Jahren sehr gut da im Vergleich zu anderen Staaten. Lassen Sie uns ein ehrliches Europa schaffen, ohne die Nicht zuletzt deshalb kommt uns Deutschen in dieser Dauersubventionen, ohne die falschen Anreize! aktuellen Krise eine besondere Verantwortung zu, unser Europa zusammenzuhalten.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei. Frau Brantner, Sie haben in Ihrer Rede gerade so getan, Dr. Harald Weyel (AfD): als ob noch nichts passiert wäre. Das ist nicht richtig, und Lassen Sie uns Schluss machen mit den unsinnigen das wissen Sie auch. Wir haben bereits ein Riesenpaket Forderungen! auf den Weg gebracht – 540 Milliarden Euro –, das zum 1. Juni in den besonders notleidenden Regionen konkret Danke schön. wirksam werden kann.

(Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Die Anträge der Grünen und der Linken kritisieren, (B) schönen Tag in diesen Zeiten von mir an Sie! dass wir uns bislang noch nicht auf sogenannte Corona- (D) bonds oder Euro-Bonds geeinigt haben. Aber was hätte Nächste Rednerin: Sonja Amalie Steffen für die SPD- dieser Weg bedeutet? Es spricht mit Sicherheit vieles für Fraktion. eine gemeinsame Haftung. Aber hätten wir uns für diesen Weg jetzt entschieden, dann wäre das doch der Beginn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von langen Verhandlungen. Das wissen wir doch. Uns der CDU/CSU) Sozialdemokraten wäre der Einstieg in eine Fiskalunion wirklich lieb. Wir würden das sehr begrüßen. Aber dazu Sonja Amalie Steffen (SPD): müssen wir noch viele Länder innerhalb der EU über- Herr Weyel, zeugen und sogar –

(Zuruf von der AfD: Dr. Weyel!) (Beifall des Abg. Metin Hakverdi [SPD]) bei Ihrer nationalistischen, unsolidarischen Rede wird man wirklich an schlimmste Zeiten erinnert. Ich bin sehr das haben wir bei der Rede des Kollegen vorhin gehört – froh, dass das Pult jetzt besonders gut desinfiziert wurde. viele in unseren eigenen Reihen, beim Koalitionspartner. Der Prozess hätte Monate gedauert. Solange konnten wir (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei nicht warten. Denn Fakt ist: Es hilft aktuell nicht den Abgeordneten der CDU/CSU) Menschen in Europa, die jetzt ihre wirtschaftliche Exis- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und tenz verlieren und nicht wissen, wie sie ihre Familien Kollegen! Vor ein paar Monaten hätten wir uns alle in ernähren sollen. Und es hilft aktuell den vielen europä- diesem Haus nicht vorstellen können, dass es in der Zu- ischen Unternehmen nicht, die wirtschaftlich am Boden kunft eine Zeit geben kann, in der die Grenzen innerhalb liegen. Europas, ja sogar innerhalb Deutschlands wieder ge- Wir erwarten heute Nachmittag, dass der Gipfel der schlossen sind. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass europäischen Regierungschefs den Weg für einen Investi- wir heute an dieser Stelle über die Solidarität in Europa tionsfonds ebnet. Wir erwarten auch viel von der Rat- reden. Ihre Anträge, liebe Kolleginnen und Kollegen von spräsidentschaft. den Grünen, von den Linken und von der FDP drehen sich genau um dieses Thema. Einiges in Ihren Anträgen Noch ein Wort. haben wir schon vollzogen, und zwar schon in dieser Woche. Ich erinnere an die deutsche Hilfe für die WHO, die wir gestern im Haushaltsausschuss beschlos- Vizepräsidentin Claudia Roth: sen haben. Ich erinnere an die Unterstützung Italiens mit Aber bitte zum Schluss, Sie sind über die Zeit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19341

(A) Sonja Amalie Steffen (SPD): einfach das Virus. Das andere, die Fähigkeit zur Reak- (C) Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft. Von dem So- tion, hat etwas mit solider Haushaltspolitik zu tun. zialdemokraten Helmut Schmidt stammt der wunderbare Satz: In der Krise zeigt sich der wahre Charakter. – Wie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wichtig ist dieser Satz in dieser besonderen Zeit! der CDU/CSU) Die Grünen haben die schwarze Null jahrelang immer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wieder abgelehnt. Es ist aber die schwarze Null der letz- der CDU/CSU) ten Jahre, die es uns möglich macht, so kraftvoll zu rea- gieren, wie das hier der Fall ist. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wie kann es also gehen? Wir von den Freien Demo- Vielen Dank, Kollegin Steffen. – Nächster Redner: für kraten machen fünf sehr konkrete Vorschläge. die FDP-Fraktion Alexander Graf Lambsdorff. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP) GRÜNEN]: Märchenstunde!) Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Erstens – das ist das Wichtigste –: Menschenleben Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zwei retten, praktizierte europäische Solidarität, indem Patien- Stunden – wir haben es gerade gehört – beginnt der Gip- tinnen und Patienten überall in Europa in Krankenhäu- fel der Staats- und Regierungschefs, und es steht zu er- sern behandelt werden, wo Betten frei sind. warten, dass es keine weitreichenden Schlussfolgerungen des Rates geben wird, vielleicht gibt es sogar nur eine (Beifall bei der FDP) Erklärung des Vorsitzes. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wenn über- Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder haupt!) -bemerkung von Herrn De Masi? Warum? Man kann sich einmal mehr nicht einigen, weil ein Spaltpilz hineingetragen worden ist in die Debatte der Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Staats- und Regierungschefs, in die Debatte der Mitglied- Von wem? staaten. Und dieser Spaltpilz heißt: Vergemeinschaftung der Schulden. Ich halte es – das will ich hier deutlich sagen – für einen Kardinalfehler, insbesondere der italie- Vizepräsidentin Claudia Roth: nischen Regierung, dieses alte Instrument aus der Finanz- Vom Kollegen von der Linken. (B) (D) krise jetzt in der Coronakrise neu aufzumachen Alexander Graf Lambsdorff (FDP): (Zuruf der Abg. Dr. Franziska Brantner Gerne. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und es damit unmöglich zu machen, dass sich Europa in der Krise einigt. Europa wird gespalten. Wir brauchen Vizepräsidentin Claudia Roth: aber nicht mehr Spaltung; wir brauchen Einigkeit in Eu- Gut. ropa. Alexander Graf Lambsdorff (FDP): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Volontier. Avec plaisir. der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fabio De Masi (DIE LINKE): Ich kann nicht verstehen, dass hier in diesem Haus die Man kennt sich. Vielen Dank. – Herr Kollege sonst, was Europa angeht, wirklich recht konstruktiven Lambsdorff, ich stelle Ihnen diese Frage auch als Grünen diesen Spaltpilz befördern, ihn bewässern und deutsch-italienischer Finanzpolitiker, der selber das Er- das Geschäft von Matteo Salvini besorgen. gebnis einer sehr handfesten deutsch-italienischen Zu- sammenarbeit ist. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der Es ist mir ein absolutes Rätsel, warum das hier geschieht. CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner Alexander Graf Lambsdorff (FDP): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du weißt es Das lassen wir jetzt mal so stehen. besser!) Sie schreiben in Ihrem Antrag, wir müssten deswegen, Fabio De Masi (DIE LINKE): weil wir von der Krise unterschiedlich betroffen seien Ist Ihnen bekannt, weil Sie hier über Haushaltsdisziplin und unterschiedlich stark reagieren könnten, in die Ver- gesprochen haben, dass Italien in den letzten 24 von gemeinschaftung einsteigen. Warum sind wir unter- 25 Jahren als einzige industrialisierte Volkswirtschaft Pri- schiedlich betroffen? Warum können wir unterschiedlich märüberschüsse, Haushaltsüberschüsse vor Zinsen er- reagieren? Das eine – dafür kann niemand etwas – ist wirtschaftet hat, aber dadurch die Wirtschaft ins Koma 19342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Fabio De Masi (A) gefallen ist und die Schulden nicht verringert werden ischen Union für die Zukunft stärken, damit man mit (C) konnten? solchen Krisen umgehen kann. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Christian Petry [SPD]: Von nichts kommt GRÜNEN]: Die Zahlen der Kommission!) nichts!) Ist Ihnen bekannt, dass, wenn die Europäische Zentral- Lassen Sie mich zu diesem Punkt etwas sagen. Es war bank eine entsprechende Anleihe kaufen würde, es über- sehr bemerkenswert, dass vom Kollegen Hahn gerade haupt kein Haftungsrisiko für Deutschland gäbe, weil Ministerpräsident Söder erwähnt worden ist. Er hat ja eine Zentralbank niemals in der eigenen Währung pleite- massiv gegen die Europäische Kommission geledert, sie gehen kann? habe nicht genug getan. Die Kommission hat das getan, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Und wissen Sie, dass die Alternative doch ist, dass GRÜNEN]: Was sie konnte!) Italien einen Geldautomaten in Frankfurt stehen hat, weil was die Mitgliedstaaten von ihr erwarteten, nämlich so die Europäische Zentralbank bereits angekündigt hat, gut wie nichts, weil sie praktisch keine Kompetenzen hat. notfalls italienische Staatsanleihen zu kaufen? Dann kann Stattdessen haben wir mit Beteiligung des BMI national Deutschland überhaupt nicht mehr mitreden. eine Ausfuhrsperre verhängt, und wir haben Grenzschlie- ßungen vorgenommen, die so willkürlich sind, Ist es angesichts einer EU-Kommission, die seit 2011 die Mitgliedstaaten 63-mal aufgefordert hat, die Gesund- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- heitsausgaben zu kürzen, nicht an der Zeit, dass wir ge- SES 90/DIE GRÜNEN) meinsam in den Wiederaufbau investieren, weil uns sonst dass man sich wirklich fragt: Wie um Gottes Willen kann der Euro um die Ohren fliegt und es auch für die Men- man rechtfertigen, dass auf der Fahrt von Linz nach Pas- schen hier in Deutschland noch teurer wird? sau kontrolliert wird, aber auf der Fahrt von Pilsen nach (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Weiden nicht? Wo ist da die virologische Begründung für ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE die Kontrollen an der bayerischen Staatsgrenze? Mir fehlt GRÜNEN) sie. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Anton Vizepräsidentin Claudia Roth: Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Graf Lambsdorff. Ich glaube, das Södern und Seehofern gegen Europa wird (B) uns nicht weiterbringen. (D) Alexander Graf Lambsdorff (FDP): Das war jetzt eine ganze Menge. Ich versuche, das Deswegen fand ich spannend, was die Bundeskanzle- stakkatoartig zu beantworten. – Mir ist bekannt, dass rin heute Morgen in der Regierungserklärung gesagt hat – der italienische Schuldenstand bei circa 130 Prozent des Frau Präsidentin, das ist mein letzter Punkt. – Sie hat Bruttoinlandsprodukts liegt. gesagt, dass wir uns zum Umgang mit grenzüberschrei- tenden Pandemien überlegen müssen, welche Zuständig- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Drüber so- keiten der Europäischen Union man in Brüssel bündelt, gar! 135!) damit wir das in der Zukunft besser machen. Für mich ist Das ist das Doppelte dessen, was die Maastricht-Kriterien der Lackmustest: Wie werden der Freistaat Bayern und erlauben. Mir ist auch bekannt, dass jedenfalls in dem das Bundesinnenministerium mit diesem Vorschlag der Antrag der Grünen, den wir hier heute beraten, nicht Frau Bundeskanzlerin umgehen? von der EZB gesprochen wird, sondern von gemein- Herzlichen Dank. schaftlich aufgenommenen europäischen Schulden. Es geht tatsächlich um ein anderes Instrument. Mir ist auch (Beifall bei der FDP) bekannt, dass handfeste deutsch-italienische Zusammen- arbeit immer das Beste für Europa ist. Dahin sollten wir Vizepräsidentin Claudia Roth: zurückkehren und nicht über Spaltpilze diskutieren, die Vielen Dank, Alexander Graf Lambsdorff. – Nächster diese italienische Regierung einführt. Redner: für die Fraktion Die Linke Andrej Hunko. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Manfred (Beifall bei der LINKEN) Grund [CDU/CSU]) Ich war bei den fünf Punkten, die die Freien Demo- Andrej Hunko (DIE LINKE): kraten vorschlagen. Erstens – das habe ich gesagt –: Men- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der schenleben retten. Zweitens: Werte schützen. Wir brau- Stunde der größten Not erkennt man seine wahren Freun- chen klare Kante gegen die Kaczynskis und Orbans, die de. Als Italien Ende Februar/Anfang März in größter Not die Krise ausnutzen, um ihre Macht auszubauen. Drit- war – Sie kennen alle die Bilder –, hat die italienische tens: Finanzen mobilisieren, ja, aber gleichzeitig auch Regierung bei der EU den sogenannten Zivilschutzme- auf finanzielle Solidität in der Zukunft achten. Viertens: chanismus aktiviert. Das kann jeder Staat machen: In Grenzen so schnell wie möglich wieder öffnen, damit der einem solchen Fall übernimmt die EU-Kommission drei Binnenmarkt da funktioniert, wo es gesundheitlich mög- Viertel der Transportkosten, und die anderen Staaten wer- lich ist. Und fünftens: Handlungsfähigkeit der Europä- den aufgefordert, zu helfen. – Kein einziger Staat hat Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19343

Andrej Hunko (A) damals geholfen, auch Deutschland nicht. Wir finden das fordert. Und von den Forderungen der Grünen ganz zu (C) beschämend. Wir finden das skandalös. Das muss sich schweigen. ändern. Gerade der Bereich, wo man wirklich Butter bei die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Fische tun kann, ist also: Was ist der Vermögensstand? neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was ist das Steueraufkommen? Wenn man in Italien 10 Millionen Euro erbt, zahlt man 360 000 Euro Steuern. Ich erzähle das, damit man auch versteht, warum die Wenn man diesen Betrag in Deutschland erbt, zahlt man Stimmung in Italien so ist, wie sie ist. Mein Kollege 2,25 Millionen Euro Steuern. Bei den Italienern ist es so, Fabio De Masi hat es eben erwähnt: 63-mal hat die EU- dass eben auch entfernte Verwandte oder Nichtverwandte Kommission Italien und andere Länder aufgefordert, im höchstens auf den doppelten Betrag an Steuern kommen, Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Ge- also 720 000 Euro. Staat und Private in Italien haben ein sundheitssystem zu kürzen bzw. Teile des Gesundheits- Vermögen von knapp 1 Billion Euro, genau 9 900 Milliar- systems zu privatisieren. Das war ein fataler Irrweg den Euro Staatsvermögen. Das ist das 5,5-Fache des (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Bruttoinlandsprodukts. In Deutschland liegt dieser Ver- Christian Petry [SPD]) mögenssatz bei dem 3,8-Fachen, also weit hinter Italien und sogar hinter Spanien und anderen. und deutet auch auf Konstruktionsfehler in diesem Wachstumspakt hin. ( [DIE LINKE]: Was ist das für eine Frage?) Nach jüngsten Umfragen nennen 52 Prozent der italie- nischen Bevölkerung auf die Frage „Wer ist unser Wie können wir denn sicherstellen, dass nicht nur der befreundeter Staat?“ an erster Stelle China. Das hat damit deutsche Superreiche, sondern auch der deutsche Nor- zu tun, dass China, übrigens auch Russland und Kuba in malverbraucher entlastet wird, und dass Staaten wie dieser akuten Situation tatsächlich geholfen haben. Italien, Griechenland und andere endlich auf dem Level Gefragt, welcher Staat ihnen am feindlichsten gesonnen besteuern, wie hier der Mittelstand durch den Mittel- ist – „paesi nemici“ –, geben 45 Prozent an erster Stelle standsbauch besteuert wird? Deutschland an. Ich finde das nicht gut. Ich erwähne das nur, weil das natürlich die Rahmenbedingungen vor dem Danke schön. heutigen EU-Gipfel sind. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Zuruf des Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/ CSU]) Herr Hunko. (B) (D) Wir finden es notwendig, dass in dieser außergewöhn- Andrej Hunko (DIE LINKE): lichen Situation, in der wir sind, und in der außergewöhn- lichen Krise, in der natürlich wir, aber insbesondere Erstens. Es gibt drei Anträge: einen der Grünen – des- Italien, Spanien und auch andere Länder sind, außerge- wegen ist dieser Tagesordnungspunkt aufgesetzt wor- wöhnliche Finanzierungsmaßnahmen zum Wiederaufbau den –, einen der FDP und einen der Linken. Auch Sie auf den Weg gebracht werden. können dazu vielleicht einen Antrag erarbeiten. (Beifall bei der LINKEN) (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Besser nicht!) Zweitens. Wir haben in unserem Antrag explizit dar- Vizepräsidentin Claudia Roth: gestellt – darauf wäre ich jetzt gekommen –, dass wir eine Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder EU-weit koordinierte Besteuerung der Superreichen und -bemerkung von Herrn Dr. Weyel? der Milliardäre brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Bitte. Das wäre in den einzelnen Ländern unterschiedlich zu regeln, in Deutschland etwa durch eine Vermögensabga- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE be. Aber natürlich braucht es wie auch hier in Deutsch- GRÜNEN]: Nicht von dem Weyel! Der hat land ebenso die Solidarität der italienischen oder spani- schon geredet!) schen Superreichen. Das ist Teil des Programms.

Dr. Harald Weyel (AfD): (Beifall bei der LINKEN) Danke, Herr Kollege Hunko. – Ihr Antrag ist in Teil- 101 Ökonomen in Italien – überwiegend italienische bereichen der seriösere der beiden. Ökonomen, aber auch andere – haben vor einer Woche einen Appell gestartet und fordern unter anderem, dass (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE die EZB, die Europäische Zentralbank, die Möglichkeit GRÜNEN]: Drei Anträge, falls Sie einen ver- haben soll, in einer außergewöhnlichen Situation durch passt haben! Meine Güte!) Direktinvestitionen zu intervenieren. Dazu müsste der Wenn Sie PESCO kritisieren, so kann ich Ihnen sagen, Artikel 123 AEUV angepasst werden. Wir denken, wir dass wir das auch tun. Graf Lambsdorff hat vergessen, zu haben eine solche außergewöhnliche Situation. Natürlich erwähnen, dass er dazu noch die Schaffung eines europä- brauchen wir gemeinsame Finanzierungsmodelle, etwa ischen Sicherheitsrats und die Ausrufung des Notstands durch Anleihen über die EIB, die Europäische Investi- 19344 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Andrej Hunko (A) tionsbank, die dann von der EZB aufgekauft werden. Wir Staaten. Hinzu kommen nicht zuletzt die Beschlüsse der (C) haben dazu konkrete Vorschläge in unserem Antrag. Euro-Gruppe von vor wenigen Tagen in einem Umfang von gut 500 Milliarden Euro. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler Vielen Dank. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Der ESM kann ungenutzte Möglichkeiten der Kreditver- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gabe verwenden, und das sichert natürlich die Liquidität Christian Petry [SPD]) in den Mitgliedstaaten. Auch hier hört man sofort wieder Kritik, das sei alles Vizepräsidentin Claudia Roth: zu wenig. Aber nicht oft genug kann man betonen, dass Vielen Dank, Andrej Hunko. – Nächster Redner: für durch diesen Weg natürlich auch der Zugang der Mit- die CDU/CSU-Fraktion Dr. André Berghegger. gliedstaaten zu dem sogenannten OMT-Programm eröff- (Beifall bei der CDU/CSU) net wird. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Dr. André Berghegger (CDU/CSU): GRÜNEN]: Sage ich ja! Sie machen es lieber Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und über die Europäische Zentralbank!) Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier, wie wir gerade gehört haben, über drei Anträge, Das ist ein unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen und die unterschiedliche Verhaltensweisen vorschlagen, wie damit auch eine günstige Finanzierungsmöglichkeit von sich Deutschland auf europäischer Ebene derzeit verhal- zusätzlichen nationalen Maßnahmen. ten soll. Allen drei Anträgen ist aus meiner Sicht gemein- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sam, dass der Eindruck, der hier auch schon geschildert GRÜNEN]: EZB, logisch! Ohne jegliche Re- wurde, vermittelt wird, dass Deutschland in dieser Zeit gelungen und Bedingungen!) angeblich nicht solidarisch oder nicht solidarisch genug sei. Diesem Eindruck möchte ich hier deutlich widerspre- Das gesamte Paket macht also durchaus Sinn, und wir chen: Deutschland ist gegenüber seinen Nachbarn im müssten eigentlich Wert darauf legen, dass ein Schlecht- Rahmen der Verträge und im Rahmen der Gesetze natür- reden des ESM allmählich zurückgefahren wird und dass lich jederzeit solidarisch. Wir lassen uns auch nichts an- man die positiven Eigenschaften auch bei unseren Nach- deres einreden. barn erkennt. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Als Haushälter werde ich natürlich einige finanzielle Die Euro-Gruppe hat weiterhin einen neuen Garantie- Aspekte in den Vordergrund stellen. In dieser ernsten fonds für kleine und mittelständische Unternehmen bei Situation zeigt sich aus meiner Sicht Solidarität oder, der Europäischen Investitionsbank auf die Beine gestellt besser gesagt, finanzielle Solidarität nicht durch die Dis- und Kreditvergaben an Mitgliedstaaten zum Erhalt von kussion über die Einführung von Coronabonds; vielmehr Arbeitsplätzen, das SURE-Programm, in die Wege ge- ist die Situation etwas komplexer. Was wollen wir errei- leitet. chen? Wir wollen schnell und zielgenau helfen. Wir wol- Bei all diesen Maßnahmen hilft natürlich Deutschland, len vor allen Dingen keine langfristigen Diskussionen mit und das wird mir auch zu wenig betont. Wir sichern mit Rechtsunsicherheiten. Da, denke ich, sind Deutschland unserer starken Wirtschaft die Stabilität des Euro. Wir und Europa zusammen auf einem guten Weg. Aber wir sind größter Kapital- und Garantiegeber beim ESM, ohne haben auch schon gehört: Es wird vielfach nachgeschärft diese Mittel zu nutzen. Dadurch gibt es ein bestes Ran- und nachgebessert werden müssen. king und natürlich gute, günstige Zinskonditionen. Das Erinnern wir uns nur an die letzte Sitzungswoche, als gilt auch bei der Europäischen Investitionsbank. wir hier ein Maßnahmenpaket mit historischem Ausmaß Deutschland hat, wie wir wissen, eine starke eigenständi- auf die Beine gestellt haben: Wir haben im Wege eines ge Förderbank, und deswegen werden wir die Mittel der Nachtragshaushaltes Mittel aufgestockt, wir haben Kre- Europäischen Investitionsbank in nicht so großem Um- dite und Garantien bewilligt, und das in einem Umfang fang nutzen. von 1,3 Billionen Euro. Das sind gut ein Drittel, fast Nicht zuletzt sind wir größter Nettozahler des EU- 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes Deutschlands im Haushaltes. Ich glaube, wir sollten einmal abwarten, letzten Jahr. Ich glaube, das ist ein starkes Signal, um in was ab heute unter dem Stichwort „Recovery Fund“ dieser Krise voranzukommen. zum Wiederanfahren der europäischen Wirtschaft zwi- Europa hat sich auch bewegt, sehr schnell. Die Kom- schen den Staats- und Regierungschefs besprochen wird. mission hat nicht verbrauchte Mittel in der Größ- All das ist, glaube ich, großer Ausdruck von Solidarität in enordnung von 40 Milliarden Euro mobilisiert. Die diesen Zeiten. EZB hat – man kann es kritisieren – ein zusätzliches Anleiheprogramm in der Größenordnung von 750 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- liarden Euro auf die Beine gestellt. Dieses Programm ist ordneten der SPD) viel flexibler und sichert vor allem günstige Finanzie- Diese Maßnahmen sollten wir anerkennen und erst mal rungsbedingungen der Realwirtschaft in den betroffenen wirken lassen. Ich glaube, langwierige Verhandlungen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19345

Dr. André Berghegger (A) und Rechtsunsicherheiten bei Coronabonds helfen uns die Frage geht. Ich hoffe trotzdem, dass ich in Ihrer Ant- (C) derzeit nicht weiter. Wir dürfen nicht Finanzierungsquel- wort jetzt vielleicht doch Klarheit bekomme. len für Probleme erschließen, die vor der Coronasituation schon vorhanden waren. Unser Ziel müsste sein, schnell Sie haben es genauso wie die Frau Bundeskanzlerin und genau zu handeln und zu helfen, und wir müssen vermieden, für die CDU/CSU eine ausdrückliche Absage daran denken, dass die Gelder, Garantien und Belastun- an Euro-Bonds und gesamtschuldnerische Haftung zu gen auch einmal wieder zurückgeführt werden müssen. formulieren, sondern haben den einfachen Weg gewählt, mit technischer Argumentation zu kommen, und das weiß Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solide Haus- jeder: Wer auf die Technik verweist, der will sich in der haltspolitik, so wie wir sie seit Jahr und Tag betreiben, Sache nicht erklären. nicht einschränkt, sondern erst einmal die Handlungsfä- higkeit ermöglicht. Nun kann man zum Thema Euro-Bonds unterschiedli- cher Meinung sein; das will ich überhaupt nicht bestrei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten. Aber es wäre doch gut, wenn schon nicht die Bundes- Das sehen wir an unserem Verhalten in den letzten Jah- kanzlerin sich klar äußert und sagt: „Ich werde in der ren. Verhandlung keine gesamthänderische Haftung über Eu- ro-Bonds bzw. Coronabonds zulassen“, also wenn sie das schon nicht tut, dass wenigstens Sie in Ihrer Funktion im Vizepräsidentin Claudia Roth: Haushaltsausschuss für die CDU/CSU-Fraktion hierzu Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder eine klare Position beziehen. -bemerkung – das ist nämlich auch möglich – von Herrn Fricke? Vizepräsidentin Claudia Roth: Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Fricke. – Herr Kollege, wollen Sie? Nein. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (Otto Fricke [FDP]: Das war klar!) GRÜNEN]: Sie haben gesagt „keine gesamt- schuldnerische Haftung“!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Aha. – Mir nicht. Gut. Vielleicht darf ich antworten? Dr. André Berghegger (CDU/CSU): (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (B) Wir haben im Haushaltsausschuss so oft die Gelegen- GRÜNEN]: Sorry!) (D) heit, zu diskutieren. Zu guter Letzt bleibt mir eigentlich nur noch über, Vizepräsidentin Claudia Roth: mich für die freundliche Aufmerksamkeit und das Zu- Frau Dr. Brantner, Herr Berghegger hat jetzt das Wort. hören zu bedanken und aus gegebenem Anlass meinem Sohn Nicolas, der jetzt vorm Fernseher sitzt und verweilt, Dr. André Berghegger (CDU/CSU): zum Geburtstag zu gratulieren. Sehr geehrter Herr Fricke, wir haben im Haushaltsau- schuss diverse Male über viele Themen und auch dieses (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- im Ansatz gesprochen. Ich maße mir nicht an, vorwegzu- ordneten der SPD und der FDP) nehmen, was die Gespräche ab heute Nachmittag ergeben werden. Ich kann nur sagen, dass gesamtschuldnerische Vizepräsidentin Claudia Roth: Haftung rechtlich sehr fragwürdig wäre und von uns nicht Wie alt wird er denn? – Jetzt wollen wir wissen, wie alt akzeptiert werden würde, wie es vorher auch schon ge- er wird. sagt wurde. Aber da es das Element der gemeinsamen Haftung auf europäischer Ebene an verschiedenen Stellen Dr. André Berghegger (CDU/CSU): durchaus schon gibt, glaube ich, sollten wir in unseren 13. vorhandenen Strukturen denken und nach Hilfsmöglich- keiten suchen, aber eine gesamtschuldnerische Haftung ablehnen. Vizepräsidentin Claudia Roth: 13. – Also, alles Gute! (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also (Beifall) eine gesamtschuldnerische Haftung ablehnen! Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dann habe ich Sie doch richtig verstanden!) Fricke. Vizepräsidentin Claudia Roth: Otto Fricke (FDP): Vielen Dank den beiden Kollegen. – Das letzte Wort in Herr Kollege Berghegger, Sie wissen ganz genau, dass dieser Debatte für die SPD-Fraktion hat Metin Hakverdi. wir über das Thema so gestern nicht im Haushaltsaus- schuss gesprochen haben. Aber ich verstehe ja auch, wa- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Florian rum Sie nicht antworten wollten: weil Sie wussten, wohin Hahn [CDU/CSU]) 19346 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

(A) Metin Hakverdi (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns die (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bisher gelebte Solidarität nicht von Nationalisten und Kollegen! Wir haben eine gewaltige Aufgabe vor uns. Populisten kleinreden lassen, weder in unserem Land Die Coronapandemie ist die größte Krise seit Bestehen noch in Italien oder Spanien. der Europäischen Union, eine Aufgabe, die wir nur ge- meinsam in Europa bewältigen werden. Das ist auch bei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nahe Konsens in diesem Haus. Alle Anträge, die wir unter CDU/CSU) diesem Tagesordnungspunkt hier heute diskutieren, be- Wir werden alle Anträge in den zuständigen Ausschüssen schwören die europäische Solidarität und setzen auf die beraten, um die richtigen europäischen Antworten zu fin- EU. Ein großer Moment. den.

Kolleginnen und Kollegen, die Coronakrise macht Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen sichtbar: Unser Land, unser Deutschland, wird auch in Dank. Zukunft nur dann prosperieren und erfolgreich sein kön- (Beifall bei der SPD) nen, wenn wir eine leistungsfähige EU haben, wenn es unseren Nachbarn gut geht und wenn es einen funktion- ierenden europäischen Binnenmarkt gibt, wo sich Waren Vizepräsidentin Claudia Roth: und Menschen frei bewegen können. Vielen Dank, Metin Hakverdi. – Damit schließe ich die Aussprache. (Zuruf von der AfD: Umgekehrt!) Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Vieles läuft schon sehr gut in der EU. Wir haben eine Grünen auf Drucksache 19/18713. Die Fraktion Bünd- beispiellose Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ge- nis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. sehen, um diese Krise akut zu bewältigen. Das gilt so- Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Über- wohl für die medizinische als auch für die wirtschaftliche weisung an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Solidarität. In unserem Land werden italienische und Europäischen Union. – Der Vorsitzende nickt; schauen französische Beatmungspatienten behandelt. Die Europä- wir mal, wie es ausgeht. ische Zentralbank hat mit einem Anleihekaufprogramm Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Spekulanten den Boden entzogen, und wir haben ein 500- Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Deswegen frage Milliarden-Programm mit dem ESM, der Europäischen ich: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer Investitionsbank und dem SURE-Programm auf den stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Für die Weg gebracht, das Ausdruck dieser europäischen Solida- Überweisung haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD (B) rität ist. (D) und FDP gestimmt, gegen die Überweisung die Fraktio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nen von Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und der CDU/CSU) AfD. Dann ist die Überweisung mehrheitlich so beschlos- sen. Damit stimmen wir heute also über den Antrag auf Jetzt kommen wir in die zweite Phase der Krisenbe- Drucksache 19/18713 nicht in der Sache ab. wältigung: ein solidarisches Wiederaufbauprogramm für Zusatzpunkte 10 und 19. Interfraktionell wird Über- Europa. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/18687 und sind enorm. Wir brauchen deshalb ein starkes Signal, 19/18695 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- das eine große Wucht für so einen Wiederaufbau entfal- schüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine weiteren Über- tet. Heute Nachmittag beginnt der Europäische Rat der weisungsvorschläge. Dann verfahren wir wie vorgeschla- Regierungschefs. Die SPD-Fraktion erwartet von der gen. Kanzlerin, dass sie sich für gemeinsame europäische An- leihen starkmacht. Dabei ist wichtig, dass das Wieder- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zwischen den aufbauprogramm nicht nur aus Garantien und Krediten Fraktionen vereinbart worden, den Zusatzpunkt 11 l von besteht; es muss auch Investitionszuschüsse für die Län- der Tageordnung abzusetzen. Es handelt sich um den An- der geben, die besonders hart von der Krise getroffen trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache sind. 19/18714 zu Coronahilfen. Der Antrag wurde bereits vor- hin als Zusatzpunkt 20 in Verbindung mit Tagesord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nungspunkt 8 an die in der Tagesordnung vorgesehenen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ausschüsse überwiesen; das wissen Sie natürlich. Aber ich wollte es zur Sicherheit noch mal sagen. Sind Sie mit Die Konditionierung des Aufbauprogramms mit soge- dieser Vereinbarung einverstanden? – Das sind Sie. Dann nannten makroökonomischen Reformvorgaben muss ist das so beschlossen. jetzt unterlassen werden, Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: ESM!) 20 f bis 20 h, 20 j und 20 k, 20 m bis 20 u sowie Zusatz- punkte 11 a bis 11 k und 11 m bis 11 p. Es handelt sich um und wir müssen schon heute darüber reden, wie wir nach Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De- dieser Wiederaufbauphase die weitere Integration der batte. Wirtschafts- und Währungsunion voranbringen: Steuer- harmonisierung, eigene Steuereinnahmen, europäische Wir kommen zuerst zu den unstrittigen Überweisun- Anleihen und politische Kontrolle durch Wahlen. gen. Das sind die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 d, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19347

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) 20 g und 20 h, 20 j sowie 20 n bis 20 q und 20 s bis 20 u – Ausschuss für Kultur und Medien (C) Ausschuss Digitale Agenda das reimt sich sogar – sowie Zusatzpunkte 11 a, 11 b Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen sowie 11 g bis 11 k und 11 m bis 11 p: Haushaltsausschuss 20 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der h) Beratung des Antrags der Abgeordneten CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs Dr. h. c. , Katja Suding, eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dr. (Rhein-Neckar), wei- Bundespersonalvertretungsgesetzes terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Drucksache 19/18696 Verlorenes Schuljahr vermeiden – Schnellstmöglich Online-Lernen deutsch- Überweisungsvorschlag: landweit aufbauen Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/18221 Verteidigungsausschuss Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda Dr. Manuela Rottmann, Katharina Dröge, Haushaltsausschuss Dieter Janecek, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur König, Andreas Mrosek, Andreas Bleck, insolvenzrechtlichen Abmilderung der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Folgen der COVID-19-Pandemie (CO- AfD VID-19-Insolvenzfolgen-Abmilderungsge- Corona ins Abseits stellen – Sport vor den setz) Auswirkungen der Krise bewahren Drucksache 19/18681 Drucksache 19/18726

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie n) Beratung des Antrags der Abgeordneten c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Carina Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter Durchführung der Verordnung (EU) (B) und der Fraktion der FDP (D) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zulassungsprozess von Pflanzenschutz- Zusammenarbeit zur Errichtung der Eu- mitteln rechtssicher und transparent aus- ropäischen Staatsanwaltschaft und zur gestalten Änderung weiterer Vorschriften Drucksache 19/18603 Drucksache 19/17963 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Inneres und Heimat o) Beratung des Antrags der Abgeordneten d) Erste Beratung des von der Bundesregierung Britta Katharina Dassler, Mario eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, wei- Haftung bei Unfällen mit Anhängern und terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gespannen im Straßenverkehr Alphabetisierung durch Künstliche Intel- Drucksache 19/17964 ligenz – Chance für jeden Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/18604 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- g) Erste Beratung des von der Bundesregierung zung (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bekämpfung des Rechtsextremismus und Ausschuss Digitale Agenda der Hasskriminalität Haushaltsausschuss Drucksache 19/18470 p) Beratung des Antrags der Abgeordneten , Ulla Jelpke, Dr. André Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Hahn, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss für Inneres und Heimat tion DIE LINKE Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Zur Bewältigung der Corona-Krise Justiz- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- vollzugsanstalten entlasten, Gesundheit zung der Inhaftierten schützen 19348 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksache 19/18682 Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ausschuss für Inneres und Heimat Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel q) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frak- Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Gökay tion der FDP Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Offizielle Stellungnahmen nur noch mit Fraktion DIE LINKE Gebärdensprachdolmetschung Reproduktive Rechte auch während der Drucksache 19/17883 Corona-Krise schützen – Beratungspflicht aussetzen und Schwangerschaftsabbrüche Überweisungsvorschlag: absichern Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 19/18689 g) Beratung des Antrags der Abgeordneten , Frank Sitta, Oliver Luksic, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz FDP s) Beratung des Antrags der Abgeordneten Seamless Mobility innovativ gestalten – Katja Keul, Dr. Manuela Rottmann, Canan Vernetzt und digital in ganz Deutschland Bayram, weiterer Abgeordneter und der unterwegs Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/18674 Recht und Justiz krisenfest gestalten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Drucksache 19/18712 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz h) Beratung des Antrags der Abgeordneten t) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Schäffler, Christian Dürr, Dr. Florian Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Bettina Hoffmann, Toncar, weiterer Abgeordneter und der Frak- Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und tion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Corona-Moratorium zur Finanzmarktbü- (B) (D) Tschernobyl und Fukushima nicht verges- rokratie sen – Der Atomausstieg braucht Konse- Drucksache 19/18671 quenz in Deutschland und Engagement weltweit Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Drucksache 19/18678 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Wirtschaft und Energie Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und der Fraktion der FDP u) Beratung des Antrags der Abgeordneten Corona-Krise – Ausgleichszahlungen im Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Badum, Dr. Bettina Gesundheitssystem auf alle betroffenen Hoffmann, weiterer Abgeordneter und der Leistungserbringer ausweiten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/18675 Atomkraft und Klimaschutz Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/18679 Ausschuss für Gesundheit

Überweisungsvorschlag: j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Nicole Westig, Michael Theurer, Nicole ZP 11 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Bauer, weiterer Abgeordneter und der Frak- CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, DIE LINKE tion der FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Soforthilfe für pflegende Angehörige wäh- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus- rend der Covid-19-Pandemie setzung des Anpassungsverfahrens gemäß § 11 Absatz 4 des Abgeordnetengesetzes Drucksache 19/18676 für das Jahr 2020 sowie zur Änderung Überweisungsvorschlag: des Abgeordnetengesetzes (Anpassungs- Ausschuss für Gesundheit verfahrensaussetzungsgesetz 2020) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Drucksache 19/18701 Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19349

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Tagesordnungspunkt 20 f: (C) LINKE Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Versammlungsfreiheit wiederherstellen gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Drucksache 19/18690 Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/18469 Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Federführung strittig Sven Lehmann, Anja Hajduk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Interfraktionell wird Überweisung des von der Bun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Ände- rung des Wasserhaushaltsgesetzes auf Drucksache Mit einem Corona-Aufschlag in der 19/18469 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Grundsicherung das Existenzminimum si- schüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU chern und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Drucksache 19/18705 Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Frak- tion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ernährung und Landwirtschaft. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktion der FDP, also Federführung beim n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Wer Schneider, Jürgen Pohl, Ulrike Schielke- stimmt für diesen Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ziesing, weiterer Abgeordneter und der Frak- Enthaltungen keine. Der Überweisungsvorschlag ist ab- tion der AfD gelehnt. Zugestimmt haben die Fraktionen der FDP, der Corona-Krise – Selbsthilfe stärken durch AfD und der Linken. Dagegengestimmt haben die Frak- Anrechnungsfreistellung von Hinzuver- tionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. diensten beim Kurzarbeitergeld Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Drucksache 19/18718 schlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD: Feder- führung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und (B) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Arbeit und Soziales nukleare Sicherheit. Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag ist angenommen bei Zustim- Martin Sichert, Jürgen Pohl, Jörg Schneider, mung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und bei Ablehnung der Linken-, FDP- und AfD-Fraktion. AfD Tagesordnungspunkt 20 k: Häusliche Pflege stärken Drucksache 19/18717 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Maier, Thomas Seitz, Roman Johannes Reusch, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Verfügbarkeit von medizinischen Produkten p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens über gewerbliche Wettbewerbsrechte stellen Beeck, Michael Theurer, Johannes Vogel Drucksache 19/18724 (Olpe), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Hilfestrukturen für Menschen mit Behin- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie derungen in der Corona-Pandemie si- Federführung strittig chern Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Drucksache 19/18672 Fraktion der AfD auf Drucksache 19/18724 an die in Überweisungsvorschlag: der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Ausschuss für Gesundheit Federführung beim Ausschuss für Gesundheit. Die Frak- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an tion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Recht und Verbraucherschutz. überweisen. – Ich sehe, es gibt keine weiteren Überwei- sungsvorschläge. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Wir kommen nun zu den Überweisungen, bei denen weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- die Federführung strittig ist. gen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist 19350 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Alle Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der (C) anderen Fraktionen waren dagegen. Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/18693 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Die Frak- stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt tion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überwei- für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. sungsvorschlag ist angenommen bei Zustimmung der Fraktionen der Linken, der SPD, von Bündnis 90/Die Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Grünen, der CDU/CSU und der FDP und bei Ablehnung schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen der AfD. Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist Tagesordnungspunkt 20 m: abgelehnt mit Zustimmung der Fraktion Die Linke und Beratung des Antrags der Abgeordneten Udo Ablehnung von allen anderen Fraktionen des Hauses. Theodor Hemmelgarn, Marc Bernhard, Frank Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Magnitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD. Wer der AfD stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überwei- Soforthilfen für Vermieter gewerblich genutz- sungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt haben die ter Räume und Flächen Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/ Drucksache 19/18722 CSU, FDP und AfD. Dagegengestimmt hat Die Linke.

Überweisungsvorschlag: Zusatzpunkt 11 c: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen (f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens Ausschuss für Wirtschaft und Energie Beeck, Katja Hessel, Michael Theurer, weiterer Federführung strittig Abgeordneter und der Fraktion der FDP Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Beschäftigung von schwerbehinderten Men- Fraktion der AfD auf Drucksache 19/18722 an die in schen auf dem ersten Arbeitsmarkt sichern – der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Inklusionsbetriebe und andere Zweckbetriebe gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen steuerlich nicht schlechter stellen als bisher Federführung beim Ausschuss für Recht und Verbrau- (B) cherschutz. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung Drucksache 19/18257 (D) beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Überweisungsvorschlag: Kommunen. Finanzausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Ausschuss für Wirtschaft und Energie schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Federführung strittig weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der gen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist Fraktion der FDP auf Drucksache 19/18257 an die in abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Dage- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen waren alle anderen Fraktionen des Hauses. gen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer (Zuruf von der LINKEN: Da gehört er hin!) stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überwei- – Darüber werden wir jetzt abstimmen. – Die Fraktion der sungsvorschlag ist angenommen bei Zustimmung der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Arbeit Linken, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der und Soziales. CDU/CSU und der FDP und Ablehnung der AfD-Frak- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- tion. schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungs- Tagesordnungspunkt 20 r: vorschlag ist abgelehnt. Zugestimmt haben die Fraktio- Beratung des Antrags der Abgeordneten Zaklin nen der FDP, der AfD und die Fraktion Die Linke. Dage- Nastic, Heike Hänsel, Michel Brandt, weiterer gengestimmt haben die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/ Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Grünen und CDU/CSU. Wirtschaftssanktionen sofort beenden Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer Drucksache 19/18693 stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überwei- Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) sungsvorschlag ist angenommen bei Zustimmung von Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU-Fraktion Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und Gegenstimmen von den Fraktionen der Linken, der Federführung strittig FDP und der AfD. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19351

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Zusatzpunkte 11 d bis 11 f. Interfraktionell wird Über- Damit kommen wir zum Überweisungsvorschlag der (C) weisung der Anträge der Fraktion der AfD auf den Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer stimmt für die- Drucksachen 19/18716, 19/18723 und 19/18721 an die sen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Enthaltungen sehe ich keine. Der Überweisungsvor- schlagen. Es handelt sich um drei Anträge der Fraktion schlag ist angenommen von den Fraktionen der Linken, der AfD zur digitalen Bekämpfung von Corona. Die der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der CDU/CSU Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- und FDP bei Ablehnung der Fraktion der AfD. rung jeweils beim Ausschuss für Gesundheit. Die Frak- tion der AfD wünscht Federführung jeweils beim Aus- Zusatzpunkt 11 f: schuss Digitale Agenda. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Zusatzpunkt 11 d: Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Corona digital bekämpfen – Deutsches Elekt- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD ronisches Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) zur Dokumen- Corona digital bekämpfen – Förderprogram- tation und Überwachung von Infektions- me im Bereich digitaler Gesundheit und digi- krankheiten unverzüglich fertigstellen taler Pflege beschleunigen und ausbauen Drucksache 19/18721 Drucksache 19/18716 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Federführung strittig Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittig Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- gen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Alle gen sehe ich keine. Der Überweisungsvorschlag ist anderen Fraktionen waren dagegen. abgelehnt. Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Gegen- stimmen kamen von allen anderen Fraktionen des Hau- Ich lasse jetzt abstimmen über den Überweisungsvor- (B) ses. schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer (D) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Wer dagegen? – Wer enthält sich? – Ich sehe niemanden. Der stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Überweisungsvorschlag ist angenommen. Zugestimmt dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Überwei- haben die Fraktionen von FDP, CDU/CSU, Bündnis 90/ sungsvorschlag ist angenommen bei Zustimmung der Die Grünen, SPD und Linken. Dagegengestimmt hat die Fraktionen der Linken, der SPD, von Bündnis 90/Die Fraktion der AfD. Grünen, der CDU/CSU und FDP und bei Ablehnung Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d sowie der Fraktion der AfD. 21 f bis 21 p auf. Es handelt sich um die Beschlussfas- Zusatzpunkt 11 e: sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge- sehen ist. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Tagesordnungspunkt 21 a: terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Corona digital bekämpfen – Innovationspo- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- tentiale zur Vermeidung von Ansteckung und cherschutz (6. Ausschuss) Unterstützung der Genesung konsequent aus- zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfas- schöpfen sungsgericht 2 BvR 2480/10, 2 BvR 421/13, 2 Drucksache 19/18723 BvR 786/15, 2 BvR 756/16 und 2 BvR 561/18

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/18737 Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss Digitale Agenda (f) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Federführung strittig lung auf Drucksache 19/18737, den Streitverfahren bei- Wir stimmen zuerst ab über den Überweisungsvor- zutreten. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Zustim- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- mung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und gen keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. FDP und bei Gegenstimmen der AfD und Enthaltung der Zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Abgelehnt haben Fraktion Die Linke ist die Beschlussempfehlung ange- alle anderen Fraktionen des Hauses. nommen. 19352 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti- Tagesordnungspunkt 21 h: (C) tionsausschusses, Tagesordnungspunkte 21 b bis 21 d so- wie 21 f bis 21 p. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 21 b: Sammelübersicht 516 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/17856 tionsausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- Sammelübersicht 510 zu Petitionen haltungen? – Sehe ich keine. Sammelübersicht 516 ist Drucksache 19/17850 angenommen bei Zustimmung der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD und Gegen- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- stimmen der Fraktionen von Linken und FDP. tungen keine. Sammelübersicht 510 ist einstimmig ange- nommen. Tagesordnungspunkt 21 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Tagesordnungspunkt 21 c: tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Sammelübersicht 517 zu Petitionen tionsausschusses (2. Ausschuss) Drucksache 19/17857 Sammelübersicht 511 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Drucksache 19/17851 tungen sehe ich keine. Sammelübersicht 517 ist ange- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- nommen bei Zustimmung der Fraktionen der SPD, der hält sich? – Sammelübersicht 511 ist angenommen. Zu- CDU/CSU und der AfD-Fraktion und Gegenstimmen gestimmt haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, von den Fraktionen der Linken, von Bündnis 90/Die Grü- FDP und AfD. Dagegengestimmt hat die Fraktion der nen und der FDP. Linken, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 21 j: Tagesordnungspunkt 21 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 518 zu Petitionen (B) (D) Sammelübersicht 512 zu Petitionen Drucksache 19/17858 Drucksache 19/17852 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen sehe ich keine. Sammelübersicht 518 ist ange- tungen? – Sehe ich keine. Die Sammelübersicht 512 ist nommen bei Zustimmung aller Fraktionen mit Ausnahme bei einer Gegenstimme der Fraktion der AfD von allen der AfD; die AfD-Fraktion hat gegen diese Sammelüber- anderen Fraktionen des Hauses angenommen. sicht gestimmt. Tagesordnungspunkt 21 k: Tagesordnungspunkt 21 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 519 zu Petitionen Sammelübersicht 514 zu Petitionen Drucksache 19/17859 Drucksache 19/17854 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- hält sich? – Keine Enthaltungen. Sammelübersicht 519 ist tungen keine. Sammelübersicht 514 ist einstimmig ange- angenommen bei Zustimmung der Fraktionen der Lin- nommen. ken, der SPD, CDU/CSU und FDP und Gegenstimmen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und AfD. Tagesordnungspunkt 21 g: Tagesordnungspunkt 21 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 515 zu Petitionen Sammelübersicht 520 zu Petitionen Drucksache 19/17855 Drucksache 19/17860 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen sehe ich keine. Sammelübersicht 515 ist ange- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- nommen bei Zustimmung von SPD, CDU/CSU, FDP tungen sehe ich keine. Die Sammelübersicht 520 ist bei und AfD und Gegenstimmen von den Fraktionen der Zustimmung der Fraktionen der SPD, von Bündnis 90/ Linken und von Bündnis 90/Die Grünen. Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP und Gegenstim- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19353

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) men der Fraktionen der AfD und der Linken angenom- Eine Aussprache dazu ist nicht vorgesehen. Wir kom- (C) men. men daher gleich zur Abstimmung, und ich bitte die Kol- legen und Kolleginnen, Platz zu nehmen, damit wir den Tagesordnungspunkt 21 m: Überblick gut und korrekt behalten. Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Tagesordnungspunkt 11 a: tionsausschusses (2. Ausschuss) Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU Sammelübersicht 521 zu Petitionen und SPD Drucksache 19/17861 Wahl vom Deutschen Bundestag zu benennender Mitglieder des Deutschen Ethi- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- krats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratge- tungen sehe ich keine. Die Sammelübersicht 521 ist bei setzes Zustimmung der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP und Gegenstimmen der Fraktionen der Linken, der Drucksache 19/18663 AfD und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt Tagesordnungspunkt 21 n: dagegen? – Enthaltungen sehe ich keine. Der Wahlvor- schlag der CDU/CSU und SPD ist einstimmig angenom- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- men. tionsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 11 b: Sammelübersicht 522 zu Petitionen Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 19/17862 Wahl vom Deutschen Bundestag zu Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- benennender Mitglieder des Deutschen Ethi- tungen sehe ich keine. Die Sammelübersicht 522 ist mit krats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratge- den Stimmen der Fraktionen der Linken, der SPD, von setzes Bündnis 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei Gegen- Drucksache 19/18664 stimmen der Fraktionen der FDP und der AfD angenom- men. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dagegen? - Tagesordnungspunkt 21 o: (Karsten Hilse [AfD]: Ihr seid so erbärmlich! – (B) (D) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Gegenruf: Vorsicht!) tionsausschusses (2. Ausschuss) – Darf ich jetzt bitte die Abstimmung durchführen? Sammelübersicht 523 zu Petitionen (Karsten Hilse [AfD]: Ja! Trotzdem ist das so!) Drucksache 19/17863 – Darf ich die Abstimmung durchführen? Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen sehe ich keine. Die Sammelübersicht 523 ist bei (Karsten Hilse [AfD]: Natürlich dürfen Sie!) Zustimmung der Fraktionen der SPD, von Bündnis 90/ – Dann seien Sie jetzt auch still. Die Grünen und der CDU/CSU und Gegenstimmen der Fraktionen der AfD, der FDP und der Fraktion Die Linke (Karsten Hilse [AfD]: Ich kann sagen, was ich angenommen. will! Ich bin Abgeordneter!) – Wir sind mitten in einer Abstimmung, und es gilt auch Tagesordnungspunkt 21 p: für Sie, dass Sie sich jetzt bitte zurückhalten. Ist das Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- klar? – Gut. tionsausschusses (2. Ausschuss) Also, zugestimmt hat die Fraktion der AfD. Damit es Sammelübersicht 524 zu Petitionen korrekt ist, bitte ich noch mal um die Gegenstimmen. – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist bei Zustimmung Drucksache 19/17864 der Fraktion der AfD, Ablehnung der Fraktionen der Lin- ken, der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen sowie Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- vereinzelter Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/ tungen sehe ich keine. Die Sammelübersicht 524 ist mit CSU und Enthaltung der Fraktion der FDP sowie der den Stimmen der Fraktionen von SPD und CDU/CSU bei Mehrheit der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt. Gegenstimmen der Fraktionen der Linken, von Bünd- nis 90/Die Grünen, der FDP und der AfD angenommen. Tagesordnungspunkt 11 c: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 e auf und Wahlvorschlag der Fraktion der FDP bitte die Kolleginnen und Kollegen um Aufmerksamkeit – Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu be- auch in den hinteren Reihen. Es geht jetzt um Wahlen der nennenden Mitglieds des Deutschen Ethikrats vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes des Deutschen Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethi- kratgesetzes. Drucksache 19/18665 19354 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt Karsten Möring (CDU/CSU): (C) dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FDP auf Drucksache 19/18665 ist damit einstimmig an- Seit 1965 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland genommen. das Wohngeld. Es ist damit eine der wichtigsten sozialen Leistungen. Durch seine Gestaltung im Einzelnen als Zu- Tagesordnungspunkt 11 d: schuss zur Miete bzw. zur Reduzierung der Belastung – Wahlvorschlag der Fraktion DIE LINKE bei Wohnungseigentümern – für Haushalte mit geringem Einkommen ist es auf die individuelle Situation der Haus- Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu be- halte zugeschnitten. Es hat sich als flexibles, schnelles nennenden Mitglieds des Deutschen Ethikrats und individuell wirksames Mittel der sozialen Woh- gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes nungspolitik erwiesen. Drucksache 19/18666 Mit der Anpassungsüberprüfung alle zwei Jahre ver- meiden wir einen häufigen Wechsel zwischen Wohngeld- Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt leistungen und ALG-II- oder Sozialleistungen, und mit dagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist dem vorliegenden Gesetzentwurf zeigen wir, dass wir einstimmig angenommen worden. damit auch auf andere Herausforderungen reagieren kön- Tagesordnungspunkt 11 e: nen. Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Bei der Verabschiedung des Wohngeldstärkungsgeset- GRÜNEN zes im Oktober letzten Jahres habe ich angekündigt, dass wir, sobald entsprechende Verfahren erarbeitet worden Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu be- sind, die im Klimapaket vorgesehene Klimakomponente nennenden Mitglieds des Deutschen Ethikrats von 10 Prozent zum Ausgleich der CO2-Bepreisung ab gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes 1. Januar 2021 gesetzlich umsetzen werden. Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf. Drucksache 19/18667 Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 wird ab 2021 Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt eine CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wär- dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Wahlvor- me eingeführt. Das Klimaschutzprogramm soll sozial schlag einstimmig angenommen. ausgewogen sein und niemanden überfordern, und des- Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. halb gilt im Grundsatz, dass zusätzliche Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden. Des- (B) Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf: halb werden Wohngeldempfängerinnen und Wohngeld- (D) empfänger bei den Heizkosten auch gezielt entlastet – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- und soziale Härten auf diese Weise vermieden. Weil viele desregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushalte mit niedrigem Einkommen anteilig wesentlich Gesetzes zur Entlastung bei den Heizkos- mehr für Heizkosten aufwenden müssen als Haushalte ten im Wohngeld im Kontext der CO2-Be- mit höherem Einkommen, ist dies auch richtig und not- preisung (Wohngeld-CO2-Bepreisungs- wendig. entlastungsgesetz – WoGCO2BeprEntlG) Deshalb werden die zur Verfügung gestellten Mittel für Drucksache 19/17588 das Wohngeld, die von Bund und Ländern je zur Hälfte getragen werden, auch um die zugesagten 10 Prozent, Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- nämlich 120 Millionen Euro, aufgestockt. Die Ausgaben schusses für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung für das Wohngeld steigen damit auf 3,31 Milliarden Euro. und Kommunen (24. Ausschuss) Die Zahl der profitierenden Haushalte wird mit 665 000 Drucksache 19/18755 beziffert. Darunter sind ungefähr 35 000, die durch das Wohngeldstärkungsgesetz erstmals oder wieder in diesen – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Genuss kommen und die natürlich jetzt durch diese Kli- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung makomponente ebenfalls begünstigt werden. Drucksache 19/18756 Das ist eine ausreichende Regelung, um die Mehrbe- lastung aus der CO -Bepreisung abzufedern. Die durch- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- 2 schnittliche Begünstigung für die Haushalte liegt bei et- schlossen. wa 15 Euro pro Monat. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Natürlich gibt es Kritik von den Verbänden an diesen Debatte nicht teilnehmen wollen, den Raum zu verlassen, Vorstellungen. Kritisiert wird vor allen Dingen eine feh- und die anderen Kollegen, Platz zu nehmen. lende Differenzierung nach Energieträgern. Nun ist es Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- natürlich so, dass die CO2-Komponente bei Gas anders ner das Wort dem Kollegen Karsten Möring für die CDU/ ist als bei Öl. Auf der anderen Seite haben wir eine pau- CSU-Fraktion. schale Regelung, und wir reden von einer Abfederung der Mehrbelastung. Wenn wir eine Differenzierung nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Energieträgern vornehmen wollten, dann brächte das ei- ordneten der SPD) nen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Den Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19355

Karsten Möring (A) wollen wir nicht. Wir wollen, dass das Geld bei denen heute die Klimakomponente in dieses Wohngeldgesetz (C) ankommt, die es brauchen, es soll nicht zur Finanzierung integrieren können. Ich nutze die Gelegenheit gerne, um zusätzlichen Verwaltungsaufwands dienen. den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den vielen Wohngeldstellen einmal ausdrücklich für ihre Arbeit zu Den Änderungswünschen der Länder tragen wir Rech- danken. nung. Die meisten Punkte betrafen redaktionelle Fragen und dienten der Klarstellung. Dem sind wir durch unse- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem ren Änderungsantrag nachgekommen. Aber die Länder BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- haben auch angemerkt, dass sie bei dieser zusätzlichen ordneten der FDP und der LINKEN) Klimakomponente gerne eine Dynamisierung hätten. Das machen wir nicht. Aber wir haben dadurch, dass wir den Sie sorgen für das Wichtigste, nämlich dass das Geld bei zweijährigen Rhythmus der Überprüfung haben, die denen ankommt, die es brauchen, denen es zusteht und Möglichkeit, nachzusteuern. Wenn sich herausstellt, dass die es zu Recht in Anspruch nehmen. Mehrbelastungen außer der Reihe auftreten oder über- Unsere wohnungspolitischen und klimapolitischen groß werden, dann können wir jederzeit nachsteuern. Ziele sind ehrgeizig, aber jeder Anstrengung wert. Die Deswegen brauchen wir jetzt eine solche Dynamisierung Koalition führt auch mit diesem Gesetz ihren erfolgrei- nicht. Sie wäre auch relativ schwierig durchzuführen. Wir chen Kurs in der sozialen Wohnungspolitik weiter. Des- brauchen nur einmal einen Blick auf den aktuellen Öl- wegen bitte ich um Ihre Zustimmung. markt zu werfen, um zu sehen, dass die Preisschwankun- gen, die es nach oben oder – jetzt im Moment massiv – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nach unten gibt, zu monatlichen Veränderungen der Be- lastung führen, die deutlich größer sind als die zusätz- Vizepräsidentin Claudia Roth: liche Belastung durch die Klimakomponente, die ja pau- Vielen Dank, Karsten Möring. – Nächster Redner: für schal ausgeglichen wird. die AfD-Fraktion Marc Bernhard. Eine Bemerkung zu den aktuellen Hindernissen bei der rechtzeitigen Bearbeitung der Wohngeldanträge. Ich (Beifall bei der AfD) freue mich, dass das Innenministerium zusammen mit den Ländern den Wohngeldbehörden Hinweise gegeben Marc Bernhard (AfD): hat zur Verwaltungsvereinfachung mit dem Ziel einer Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Die Corona- möglichst schnellen und zügigen Bearbeitung. Das reicht krise ist laut Bundeskanzlerin Merkel die größte Heraus- von der vereinfachten formlosen Antragstellung zur forderung für unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg. (B) Fristwahrung, geht über die Reduzierung der Nachweise Der IWF geht von der schlimmsten ökonomischen Krise (D) auf das zwingend Notwendige bis hin zur Erleichterung seit der großen Depression der späten 20er-Jahre aus. bei der Zahlung von Vorschüssen. Nach Schätzungen von McKinsey sind in Europa 59 Mil- lionen Arbeitsplätze in Gefahr. Deutschland droht eine Ich glaube, es versteht sich von selbst, dass die Mitar- noch nie dagewesene Insolvenzwelle. beiterinnen und Mitarbeiter in den Wohngeldbehörden, die diese Anträge zu bearbeiten haben, einer systemrele- Spätestens jetzt muss die Regierung endlich ihre nutz- vanten Tätigkeit nachgehen und wir ohne sie erhebliche lose und wirtschaftsfeindliche Klimahysterie beenden Probleme hätten, vor allen Dingen diejenigen, die auf und die Einführung der CO2-Steuer stoppen. diese Zahlungen angewiesen sind. Ich bin daher dankbar für diese Hinweise. (Beifall bei der AfD – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Es ist keine CO2-Steuer! Das Und ich bin auch dankbar für die Umsetzung, die in wissen Sie!) meinem Bundesland, NRW, von Land und Kommunen schon seit einiger Zeit vorgenommen wird: Frühzeitig Polen und Tschechien machen es vor: Sie nutzen die wurde dort beispielsweise die Möglichkeit zur digitalen Krise, um die Belastung ihrer Bürger durch diese angeb- Antragstellung eingeführt – sehr hilfreich in den Zeiten lich die Welt rettenden, aber wirkungslosen Maßnahmen unserer Kontaktbeschränkungen. Aber auch die Möglich- zu hinterfragen. keit, in bestimmten Fällen bis zu drei Monate befristet (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wohngeld ohne Plausibilitätsprüfung zu erlangen, ist aus- GRÜNEN]: Haben Sie die Dürre draußen noch gesprochen hilfreich. Natürlich muss das im Nachhinein nicht bemerkt?) konkretisiert werden und auch die Berechtigung nachge- wiesen werden. Aber die drei Monate sind schon einmal Und was macht die Bundesregierung? Sie hält in einer hilfreich, wenn jemand jetzt schnell wegen außergewöhn- unverantwortlichen Art und Weise an ihrem klimapoliti- licher oder coronabedingter Umstände in die Situation schen Irrweg fest und legt uns hier einen Gesetzentwurf kommt, Anspruch auf Wohngeld zu haben. vor, der nach eigenem Bekunden soziale Härten ihres Klimapakets abfedern soll. Erst richtet die Regierung also Auch wenn Corona in den Schlagzeilen steht und ge- mit ihrer ideologiebetriebenen Politik den Schaden an, nug Einfluss auf uns hat: Die Wohnraumversorgung, gut um dann großzügig einen verschwindend kleinen Teil bezahlbarer Wohnraum und die soziale Wohnungsfürsor- des vorher abgepressten Geldes den Bürgern als Almosen ge sind für uns essenziell, eine wichtige Komponente in zurückzugeben. unserer sozial- und familienorientierten Wohnungspoli- tik. Ich freue mich deswegen, dass wir mit dem Gesetz (Ulli Nissen [SPD]: So ein Unfug!) 19356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Marc Bernhard (A) Ihr Klimapaket wird das Wohnen in Deutschland ab Ulli Nissen (SPD): (C) nächstem Jahr um 14 Milliarden Euro verteuern. Und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dabei rechnet der Mieterbund schon ohne die CO2-Steuer Kollegen! Heute beraten wir eine weitere Reform des mit einer Kostensteigerung für jeden Haushalt von durch- Wohngeldgesetzes. Schon zum 1. Januar dieses Jahres schnittlich 200 Euro pro Monat fürs Wohnen. haben wir das Wohngeld reformiert und deutlich ange- hoben. Es ist uns dabei gelungen, die automatische An- Jetzt will die Regierung im Gegenzug das Wohngeld passung des Wohngeldes alle zwei Jahre einzuführen. für 660 000 einkommensschwache Haushalte gerade ein- Das wurde schon lange von den Sozialverbänden gefor- mal um lächerliche 120 Millionen Euro aufstocken. Die dert. Die nächste automatische Anpassung erfolgt dann restlichen 13,9 Milliarden Euro müssen die Bürger selbst zum 1. Januar 2022. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf bezahlen. heben wir das Wohngeld noch einmal – außer der Reihe – zum 1. Januar 2021 an. Die Steigerung dient als Aus- (Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Stimmt gleich für steigende Heizkosten durch einen erhöhten doch gar nicht!) CO2-Preis. Hiermit gelingt es uns, zwei Ziele unter einen Treffen wird es also in erster Linie wieder einmal die hart Hut zu bringen: zum einen, die Klimaschutzziele spätes- arbeitende Mittelschicht. Nach den Schätzungen der Re- tens 2030 zu erreichen, und zum anderen, bezahlbaren Wohnraum zu sichern. gierung sorgt die CO2-Steuer dafür, dass 25 000 Haus- halte, also mehr als 60 000 Menschen, die bisher über- Wir wollen bis 2050 die Klimaneutralität in Deutsch- haupt keine Sozialleistungen bezogen haben, zukünftig land herstellen. Wer heute mit Landwirten spricht, er- auf staatliche Unterstützung fürs Wohnen angewiesen kennt: Das dritte Jahr in Folge herrscht fürchterlich tro- sein werden. Die Regierung gibt also selbst zu, dass ihre ckenes Wetter. Politik Menschen in die Armut treibt. Da haben Sie aus- nahmsweise einmal recht: Diese Menschen, die bisher (Stefan Keuter [AfD]: Wetter oder Klima?) ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten konnten, werden Das zeigt deutlich: Wir müssen handeln! jetzt von Ihnen zu Bittstellern staatlicher Unterstützung degradiert. (Beifall bei der SPD) (Ulli Nissen [SPD]: Das sind keine Bittsteller! Klimaneutralität 2050 wird durch das bereits verab- Sie haben einen Anspruch darauf!) schiedete Klimaschutzgesetz möglich. Die Menschen in diesem Land sollen sich künftig darauf verlassen können, Durch Ihre Politik haben wir in Deutschland die höch- dass die deutschen Klimaziele eingehalten werden. Da- (B) sten Strompreise – mit der Folge, dass jedes Jahr 350 000 mit wird die Klimapolitik insgesamt auf eine solide (D) Haushalten der Strom abgestellt wird. Grundlage gestellt und verbindlich gemacht. Bis zum Jahr 2030 werden Mittel in dreistelliger Milliardenhöhe (Johann Saathoff [SPD]: Deutlich gesunken!) für Klimaschutz und Energiewende bereitgestellt. Allein in den nächsten vier Jahren stehen insgesamt 54 Milliar- Bis 2025 wird jede vierköpfige Familie 25 000 Euro für den Euro zur Verfügung, liebe Kolleginnen und Kolle- Ihre vermurkste Energiewende bezahlt haben. gen. (Beifall bei der AfD) Durch die angestoßenen Investitionen in klimafreund- liche Maßnahmen wird die Konjunktur gestützt und der Ihre CO -Steuer kostet diese vierköpfige Familie ab 2 Wirtschaftsstandort Deutschland auf die Zukunft vorbe- nächstem Jahr dann noch einmal zusätzlich 1 000 Euro reitet. Die Mittel dafür kommen aus der CO -Bepreisung und wird bis 2026 auf über 2 600 Euro pro Jahr steigen. 2 aus den Sektoren Wärme und Verkehr. Diese Einnahmen (Johann Saathoff [SPD]: Haben Sie das ge- sollen vollständig in Klimaschutzmaßnahmen reinves- rechnet?) tiert oder den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben werden. Spätestens vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise muss es jetzt endlich eine grundsätzliche Kehrt- Mit diesem Gesetzentwurf kommt die Bundesregie- wende geben. Die Menschen in Deutschland können sich rung ihrem Versprechen nach. Das Wohngeldvolumen Ihre grünideologischen wirtschaftsfeindlichen Experi- wird um 10 Prozent erhöht. Ziel der Erhöhung ist, mög- mente nicht länger leisten. liche soziale Härten zu vermeiden. Wir wollen Wohn- geldhaushalte pauschal unterstützen und nicht auf Basis (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Wir der tatsächlichen Heizkosten; denn die Menschen sollen können es uns nicht leisten, Ihnen länger zuzu- ja auch zum Energiesparen angeregt werden. hören!) Die CO2-Komponente im Wohngeld berücksichtigt die durchschnittlichen Wohnflächen in Abhängigkeit zur An- Vizepräsidentin Claudia Roth: zahl der Haushaltsmitglieder. Der Zuschlag beträgt Danke, Kollege Bernhard. – Nächste Rednerin: für die 30 Cent je Quadratmeter Richtfläche pro Monat. Die Ein- SPD-Fraktion Ulli Nissen. führung der CO2-Komponente im Wohngeld führt im Jahr 2021 für einen Zweipersonenhaushalt voraussicht- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja lich zu einer durchschnittlichen Erhöhung um 12 Euro Weisgerber [CDU/CSU]) pro Monat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19357

Ulli Nissen (A) Von der Wohngelderhöhung profitieren im Jahr 2021 gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern, liebe Kol- (C) rund 665 000 Haushalte. Das ist ein weiterer Beitrag der leginnen und Kollegen. Großen Koalition, bezahlbares Wohnen zu sichern und zu schaffen. Wir müssen bis 2030 die SDGs, die Nachhaltig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keitsziele, erreichen. Dazu gehört auch das Ziel, alle des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Menschen mit für sie bezahlbarem Wohnraum zu versor- Wir haben weitere Maßnahmen ergriffen, die die Be- gen und für bezahlbare und saubere Energie zu sorgen. zahlbarkeit des Wohnens sichern sollen. Wir haben meh- Durch die Coronakrise kann es zu Einnahmeausfällen rere Mietrechtspakete geschnürt. Was mich besonders bei Mieterinnen und Mietern sowie selbstnutzenden Ei- freut: Künftig können Mieterinnen und Mieter rückwir- gentümern kommen. Diversen Betroffenen stehen Sozial- kend zu viel gezahlte Miete zurückfordern. Jetzt werden leistungen zu. Das ist keine Bittstellung, werte AfD. sich Vermieterinnen und Vermieter genau überlegen, ob sie noch weiter überhöhte Miete fordern. Bisher musste (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Karsten die Miete ja erst ab dem Widerspruch reduziert werden; Möring [CDU/CSU] und Sven-Christian das war kein Risiko für den Vermieter. Liebe Grüne – ich Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) muss euch leider wieder darauf ansprechen –, leider gilt diese großartige Regelung nicht für die Menschen in Neben der Grundsicherung kommt dem Wohngeld die Schleswig-Holstein, wo ihr an der Regierung beteiligt sehr wichtige Aufgabe zu, tragbare Wohnkostenbelastun- seid. Dort ist die Mietpreisbremse Ende letzten Jahres gen zu sichern. Wie schon erwähnt, haben wir das Wohn- ausgelaufen. Das bedaure ich sehr für die Menschen in geld in dieser Legislaturperiode deutlich verbessert. Auf Schleswig-Holstein. Wohngeld besteht ein Rechtsanspruch, und jede berech- tigte Person, die einen Antrag stellt, erhält die Leistung. Weiter haben wir die Modernisierungsumlage auf 8 Prozent abgesenkt. Dabei darf die Miete nur noch um Damit die zeitige Auszahlung gewährleistet werden maximal 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs kann, müssen die Wohngeldbehörden in die Lage versetzt Jahren erhöht werden. Ich hatte Fälle in Frankfurt, da werden, die vielen Neuanträge und die Weiterbewilligun- wurde die Miete um 14 Euro pro Quadratmeter erhöht. gen schnell und in einem vereinfachten Verfahren zu be- arbeiten. Die Schreiben mit diesen Verwaltungsvereinfa- Was ich auch sehr gut finde: Im Rahmen des Jahres- chungen aufgrund des Coronavirus zur Durchführung des steuergesetzes haben wir Steuererleichterungen für die Wohngeldgesetzes sind per 6. April 2020 an die Länder verbilligte Überlassung von Werkswohnungen beschlos- gegangen. Die Leiterin einer großen Wohngeldstelle hat sen. Dadurch sollen Anreize geschaffen werden, dass sich sehr über die Regelungen gefreut und mir mitgeteilt, private Unternehmen jetzt wieder betriebseigene Woh- (B) dass diese sehr hilfreich sind; mein Kollege Möring ist ja nungen bauen und diese dann günstig an ihre Mitarbei- (D) schon darauf eingegangen. terinnen und Mitarbeiter vermieten. Vor zwei Monaten hätte ich mir nicht vorstellen kön- Die rot-schwarze Bundesregierung hat in dieser Legis- nen, dass die rot-schwarze Bundesregierung solche laturperiode schon viel für die Mieterinnen und Mieter weitreichenden Vereinfachungen auf den Weg bringen getan, und wir haben auch noch einiges vor. Ich bitte Sie würde. Ich fordere alle Länder auf, diese auch umzuset- um Ihre Unterstützung, und ich bitte Sie: Bleiben Sie zen und zusätzlich das Wohngeld zu bewerben. Leider gesund! wissen viele Menschen bisher noch nicht, dass es das Wohngeld gibt. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Wichtig ist auch, dass die Mitarbeit in den Wohngeld- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja stellen als systemrelevante Tätigkeit angesehen wird. Das Weisgerber [CDU/CSU]) ist zum Beispiel wichtig für die Ermöglichung von Kin- derbetreuung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Neben dem Wohngeld haben wir in dieser Legislatur- Vielen Dank, Ulli Nissen. – Nächster Redner: für die periode ein umfangreiches Maßnahmenpaket für Mieter- FDP-Fraktion Daniel Föst. innen und Mieter umgesetzt. Wir haben investive Impul- (Beifall bei der FDP) se für den Wohnungsneubau gesetzt. Für uns war dabei sehr wichtig, dass der Bund weiterhin in den sozialen Daniel Föst (FDP): Wohnungsbau investieren kann. Im vergangenen Jahr ha- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und ben wir das Grundgesetz geändert, damit wir weiter in- Kollegen! Ohne Zweifel stellt die Coronakrise die Bür- vestieren können. Danke an Grüne, Linke und FDP für gerinnen und Bürger vor existenzielle Herausforderun- die Unterstützung! gen: Viele sind in Kurzarbeit, Selbstständigen brechen Für die Jahre 2020 und 2021 stehen jeweils 1 Milliarde die Einnahmen weg, das verfügbare Einkommen Euro für die soziale Wohnraumförderung zweckgebun- schmilzt. – Es ist unsere Aufgabe, so zu helfen, dass sich den zur Verfügung. Hinzu kommen noch zusätzliche Mit- niemand in der Coronakrise entscheiden muss: Gehe ich tel in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro aus der einkaufen, oder zahle ich Miete? Darum ist es gerade jetzt Umsatzsteuererhöhung. Die Länder müssen diese Mittel so gut, dass es eine direkte Unterstützung wie das Wohn- nun auch wirklich zweckgebunden verwenden. Klare An- geld bei der Miete gibt. Es dürfte jetzt wirklich auch dem sage: Sie müssen ihre Mittel für die Kofinanzierung auch Allerletzten klar geworden sein, dass eine direkte Unter- entsprechend erhöhen. Wohnungsbau ist und bleibt eine stützung der Menschen, also die Subjektförderung, sinn- 19358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Daniel Föst (A) voller ist als das Vergraben von Steuergeld in Beton und Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Stahl. Vielen Dank, Daniel Föst. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Caren Lay. (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Oh! Immer wieder das Gleiche, lieber Kollege!) (Beifall bei der LINKEN)

– Frau Nissen, es freut mich, dass Sie jetzt aufgewacht Caren Lay (DIE LINKE): sind. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Zuschuss zu den Heizkosten beim Wohngeld (Ulli Nissen [SPD]: Ich? Aufgewacht? Herr ist dringend notwendig und auch längst überfällig. Kollege, ich und schlafen? Das werden Sie nicht erleben!) (Beifall bei der LINKEN) Werte Kolleginnen und Kollegen, es steht zu befürch- Das fordern wir als Linksfraktion seit Langem, und zwar ten, dass viele Menschen in Deutschland das Wohngeld völlig unabhängig vom Klimapaket; denn der Heizkos- kennenlernen werden. Das ist eine schlechte Nachricht; tenzuschuss wurde schon 2011 abgeschafft. denn wir wollen, dass so wenig Menschen wie möglich Hilfe vom Staat beziehen. Aber es ist in der aktuellen (Karsten Möring [CDU/CSU]: 2016 kompen- siert worden!) Krise wirklich ein Segen, dass es das Wohngeld gibt, dass es Anfang des Jahres noch mal erhöht wurde und dass es Das ist ungerecht. Es wird höchste Zeit, das zu korrigie- endlich auch dynamisiert wurde, was wir Freie Demo- ren. Für uns als Linke ist klar: Es müssen die tatsäch- kraten schon lange gefordert haben. lichen Wohnkosten, und zwar warm, bezuschusst werden. Ein warmes Zuhause ist ein Menschenrecht. Der Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, ergänzt die jüngste Wohngeldreform um einen CO2-Ausgleich. (Beifall bei der LINKEN) Diese Unterstützung wurde notwendig, weil ab nächstem Wir werden dem Gesetz heute zustimmen, weil es ar- Jahr die CO2-Bepreisung die Heizkosten und damit die men Haushalten ein wenig hilft – besser als nichts –, Wohnkosten noch einmal in die Höhe treibt und gerade aber – das möchte ich betonen – mit Bauchschmerzen. einkommensschwache Haushalte stark belastet. Und Sie Denn das Versprechen der Bundesregierung, das Klima- merken den Fehler: Wohnen in Deutschland muss güns- paket würde dadurch sozial abgefedert, wird durch diese tiger werden und nicht teurer! kleine Verbesserung nicht gehalten. Wir als Linke wollen einen engagierten Klimaschutz und finden, dass man (Beifall bei der FDP) (B) auch an die Häuser, an die Wärme ran muss. Das muss (D) jedoch sozial ausgestaltet werden. Gleichzeitig helfen Sie mit Ihrer CO2-Bepreisung im Mietwohnsektor dem Klima überhaupt nicht. Die grund- Aber mit dem Weg, den Sie gewählt haben, nämlich legende Idee der CO -Bepreisung ist ja, den Ausstoß von 2 der CO2-Bepreisung, gelingt das nicht. Wenn man ein- Klimagasen zu verteuern und damit die Investitionen in fach den Verbrauch von Heizkosten zusätzlich verteuert, klimafreundliche Technik und CO2-Sparen zu fördern. belastet man arme Haushalte mit vielen Kindern in alten Häusern mehr als wohlhabende Singles oder Paare in gut Damit kommen wir zum größten Problem Ihrer Ge- sanierten Wohnungen. Das ist doch völlig ungerecht. setze: Bei Mieterhaushalten, und das sind fast 60 Prozent aller Haushalte in Deutschland, ist Ihre CO2-Steuer als (Beifall bei der LINKEN – Dr. Anja Anreiz für Investitionen in den Klimaschutz völlig wir- Weisgerber [CDU/CSU]: Keiner versteht, dass kungslos; denn alles, was der Mieter tun kann, um Heiz- es keine Steuer ist!) kosten zu sparen, ist, die Heizung runterzudrehen und Es belastet die Mieterinnen und Mieter mit Ölheizungen sich wärmer anzuziehen. Er kann nicht selbst in die Hei- stärker, schafft aber keinerlei Anreize für Vermieter, eine zung investieren, er kann keine neuen Glasscheiben kau- alte Ölheizung auszutauschen. So gewinnt man die Men- fen, er kann nicht in bessere Technik investieren. Das schen nicht für Klimaschutz, und das finde ich wirklich kann nur der Eigentümer der Immobilie. Aber warum schade. sollte er das tun? Die CO2-Ersparnis käme dem Mieter zugute. Solange dieses Mieter-Vermieter-Dilemma nicht (Beifall bei der LINKEN) gelöst ist, ist der CO2-Preis im Mietwohnbereich völlig wirkungslos. Ich habe bis heute nichts, aber auch wirklich Der Deutsche Mieterbund kritisiert zu Recht, dass die- überhaupt nichts von der Bundesregierung gehört, was ses Gesetz nicht ausreicht, um die Preissteigerung durch dieses Dilemma auflöst. das Klimapaket abzufedern. Wir Linke haben einen Ak- tionsplan für mehr Klimagerechtigkeit vorgelegt mit vie- Zusammengefasst: Dieses Update des Wohngeldes len Vorschlägen, wie es besser geht. Ich kann in drei muss sein, um die einkommensschwachen Haushalte Minuten nur auf einen eingehen: Eine echte Klimakom- vor der verfehlten Klimapolitik der Bundesregierung zu ponente beim Wohngeld wäre deutlich besser gewesen; schützen. Das ist bitter, aber notwendig. denn auch für Mieterinnen und Mieter mit kleinem Ein- kommen müssen die Kosten für eine energetische Moder- Vielen Dank. nisierung kompensiert werden. Ansonsten führt das Kli- mapaket dazu, dass diese Mieterinnen und Mieter weiter (Beifall bei der FDP) verdrängt werden, und das ist unverantwortlich. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19359

Caren Lay (A) (Beifall bei der LINKEN) Und wir hätten nicht nur 15 Euro für 3 Prozent der Haus- (C) halte in Deutschland bereitgestellt. Die Coronakrise darf die Mietenkrise nicht verstärken. „Stay at home“ heißt eben auch: Niemand darf in der Wenn wir vertragstreu sind, erwarten wir das auch von Krise seine Wohnung verlieren. Und deswegen brauchen Ihnen. Bei den Verhandlungen ging es ja nicht nur um das wir endlich auch ein Verbot von Zwangsräumungen. Wohngeld und um die Pendlerpauschale; es ging ja auch um die Erhöhung des CO2-Preises. Ich glaube, hier muss (Beifall bei der LINKEN) die Große Koalition endlich liefern. Für uns Grüne ist Wir brauchen in dieser Krise einen Stopp von Mieter- klar: Gerade beim nationalen Emissionshandel müssen höhungen und einen Härtefallfonds für Mieterinnen und wir jetzt das Zeichen setzen, dass wir nach der Corona- Mieter sowie Vermieterinnen und Vermieter, die in wirt- krise anders wirtschaften als davor. schaftliche Notlagen geraten sind. Eines sollte klar sein: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kosten für diese Krise dürfen nicht alleine auf die Mieterinnen und Mieter abgewälzt werden. Auch die Ver- Dieser Gesetzentwurf ist zu wenig – ich habe es schon mieterseite muss sich endlich angemessen beteiligen; gesagt –; das Wohngeld braucht viel mehr. Kollegin Lay denn sonst fliegen viele aus ihren Wohnungen, und viele hat gesagt, man müsse eine Klimakomponente beim kleine Gewerbetreibende müssen dichtmachen. Das kön- Wohngeld einführen; das ist richtig. Mit der Heizkosten- nen wir alle nicht wollen. komponente wird heute ja nur ein kleiner Schritt ge- macht. Eigentlich bräuchte es jetzt einen Erwerbstäti- Vielen Dank. genfreibetrag, damit wir die Menschen nicht alle in die (Beifall bei der LINKEN) Grundsicherung drücken, also in Hartz IV. Vielmehr müssten wir das Wohngeld erweitern; das wäre sinnvoll gewesen. Die entsprechenden Vorschläge liegen auf dem Vizepräsidentin Claudia Roth: Tisch. Sie haben leider nicht die Kraft gehabt, sie einzu- Vielen Dank, Caren Lay. – Nächster Redner: für Bünd- führen. Das wäre notwendig gewesen, um den Menschen nis 90/Die Grünen Chris Kühn. klarzumachen: Das Wohngeld ist ein Sicherungssystem, das jetzt in der Krise wirklich hilft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben wirtschaftspolitisch die Bazooka rausgeholt Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE und viele Milliarden Euro in den Markt gedrückt. Ich GRÜNEN): glaube, das ist richtig. Beim Wohnen hätten wir das auch machen müssen. Wir hätten deutlich mehr drauflegen Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (B) müssen als die Beträge, die wir heute beschließen. Ich (D) Meine Damen und Herren! In Zeiten von Quarantäne finde es sehr schade, dass das nicht gelungen ist. und Kontaktbeschränkungen wird die Frage nach der Wohnung existenziell, ja elementar. Wohnen ist in der Zum Schluss möchte ich sagen: Werte Kollegin Krise systemrelevant, und die Coronapandemie ver- Nissen, wenn Sie wirklich gewollt hätten, dass alle Mie- schärft die soziale Situation auf den Wohnungsmärkten. terinnen und Mieter in Deutschland von der Mietpreis- Sinkende Einkommen und stagnierende Mieten werden bremse profitieren, dann hätten wir gemeinsam auf Bun- dazu führen, dass am Ende diejenigen, die schon jetzt von desebene – so haben wir es ja auch damals beantragt – den Wohnkosten überlastet sind, noch stärker belastet eine bundesweit einheitliche Regelung zu den Mietpreis- sind. Jeder 15. Mieterhaushalt in Deutschland gibt aktuell bremsen beschließen können. Dann würde sie nämlich an, dass er nicht in der Lage ist, die Miete zu zahlen, rund überall gelten, und wir hätten auch nicht die Probleme, jeder 6. Haushalt sagt, dass er es in Zukunft nicht kann, die wir in vielen Bundesländern gerade haben, nämlich wenn die Krise länger andauert. Das sind brutale Exis- zum Beispiel in Ländern, wo die Mietpreisbremse zwar tenzängste, die im Augenblick ausgelöst werden. Das ist gesetzlich eingeführt ist, aber nicht gilt, weil sie gericht- Gift für den sozialen Zusammenhalt. Deswegen ist das, lich beklagt wird. Wir hätten eine deutschlandweit ein- finde ich, was wir heute hier beraten, ganz ehrlich, viel zu heitliche Regelung beschließen müssen. Das liegt in der wenig. Verantwortung der SPD. Deswegen ertrage ich es, ehrlich gesagt, manchmal nicht, dass Sie an einem solchen Tag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus taktischen Gründen immer wieder mit dem Finger auf sowie bei Abgeordneten der LINKEN) uns Grüne zeigen. Ja, wir Grüne tragen diesen Gesetzentwurf mit; das ist Danke schön. eine Vereinbarung aus dem letzten Dezember. Aber wenn man das Wohngeld jetzt anpackt, hätte man angesichts (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Coronapandemie noch mal etwas drauflegen müssen. sowie des Abg. [FDP] – Ulli Wir stehen auch zu den Vereinbarungen, die wir getroffen Nissen [SPD]: Das musst du aber ertragen kön- haben. Wir hätten uns einen höheren CO2-Preis ge- nen!) wünscht. Wir hätten uns gewünscht, dass wir die sozialen Kosten anders verteilen, nämlich über ein grünes Ener- giegeld pro Kopf. Das wäre sozial gerechter und zielge- Vizepräsidentin Claudia Roth: nauer gewesen. Vielen Dank, Christian Kühn. – Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte: Dr. Weisgerber für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CDU/CSU-Fraktion. 19360 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Das schauen wir dann. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Kollegen! Als Klimabeauftragte der Unionsfraktion freue Der Klimawandel findet statt. Von der Wissenschaft ich mich, dass wir heute einen weiteren Baustein aus wird er viel klarer und deutlicher vorhergesagt, als dass unserem Klimaschutzprogramm umsetzen. Wir werden bei der Coronakrise der Fall war. Werden Kipppunkte heute ein Gesetz final beraten und verabschieden, mit erreicht, sind die Folgen des Klimawandels unumkehrbar. dem wir Wohngeldbezieher gezielt finanziell entlasten. Deshalb gilt es, weiterhin konsequent zu handeln. Ich Mit diesem Gesetz werden wir die Auswirkungen der werde mich in der politischen Diskussion dafür starkma- CO2-Bepreisung auf die Bezieher kleiner und mittlerer chen, dass wir aus der aktuellen Coronakrise Zukunfts- Einkommen spürbar abmildern. Wir schaffen damit auch impulse mitnehmen. genau den von uns stets geforderten Ausgleich zwischen Klimaschutz auf der einen und dem Sozialen auf der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der anderen Seite. Damit sorgen wir dafür, dass die im Kon- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) text der CO2-Bepreisung möglicherweise entstehenden sozialen Härten reduziert werden, und das ist gut so, Wir müssen die Digitalisierung besser nutzen. Wir meine Damen und Herren. müssen die Konjunkturprogramme jetzt eben genau so aufsetzen, dass wir anders als nach der Finanzkrise ge- (Beifall bei der CDU/CSU) zielte Anreize beim Klimaschutz setzen. Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz wird ab (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der 2021 eine CO -Bepreisung – keine Steuer – für die 2 SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sektoren Verkehr und Wärme eingeführt. Damit werden NEN) die Heizkosten moderat steigen. Im gleichen Zug werden Wohngeldempfängerinnen und -empfänger ab dem 1. Ja- Dafür werde ich mich wirklich mit Vehemenz einsetzen. nuar 2021 entlastet. Denn nur dann werden wir die Chancen nutzen und Deutschland in jeder Hinsicht auch für eine kommende Wir haben immer versprochen, dass wir die Einnah- Krise und eben auch angesichts der Menschheitsheraus- men aus der Bepreisung von CO2 den Bürgerinnen und forderung Klimawandel nachhaltig und klimafreundlich Bürgern durch Förderanreize und durch Entlastungen zu- aufstellen können. rückgeben, und genau das tun wir. Die Entlastung erfolgt (B) zum Beispiel durch die Senkung der EEG-Umlage, durch Wir sind auf einem guten Weg – das noch zum (D) die Erhöhung der Pendlerpauschale und auch durch die Schluss –, wir werden – das war schon vor der Corona- Erhöhung der Entlastung beim Wohngeld, die wir heute krise klar – das 40-Prozent-Ziel wahrscheinlich doch er- beschließen. Die Gelder, also die Einnahmen, fließen in reichen, und wir haben auch bei den erneuerbaren Ener- mehrerlei Hinsicht wieder an die Bürgerinnen und Bürger gien erfreuliche Nachrichten. Für dieses Jahr haben sie zurück, und genau das ist der richtige Weg: Bepreisung, einen Anteil von 54,4 Prozent an der Bruttostromerzeu- Förderanreize und Entlastung. Denn wir müssen die gung. Wir haben einen CO2-Preis, keine Steuer einge- Bürger beim Klimaschutz mitnehmen, meine Damen führt. Wir sind auf einem gemeinsamen guten Weg, und und Herren. wir entlasten mit dem Gesetz, das wir heute verabschie- den, gezielt die Wohngeldbezieherinnen und Wohngeld- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. bezieher; denn wir müssen die Menschen beim Thema Klaus Mindrup [SPD]) Klimawandel mitnehmen. Der Klimawandel macht keine Pause – auch nicht in Zeiten von Corona. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich mei- ne Rede mit einem allgemeinen Statement zum Klima- Herzlichen Dank. schutz fortführen. Der Klimawandel ist spürbar – jedes Jahr immer wieder und teilweise auch immer stärker. Der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dritte Dürresommer in Folge kündigt sich an. Die ersten neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Waldbrände hat es bereits gegeben, und es ist erst April. GRÜNEN) Die Coronakrise lehrt uns, dass wir uns besser vorberei- ten müssen. Wir müssen präventiv, vorausschauend und Vizepräsidentin Claudia Roth: nachhaltig handeln. Vielen Dank, Frau Dr. Weisgerber. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Karsten Hilse. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Ulli Nissen [SPD]: Das war der Mann, der sich Frau Dr. Weisgerber, erlauben Sie eine Zwischenfrage heute Morgen nicht an die Regeln gehalten oder -bemerkung von Herrn Hilse? hat!)

Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Karsten Hilse (AfD): Nein, ich würde meine Rede gerne erst einmal fort- Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Kurzinter- führen. Er kann ja eine Kurzintervention im Anschluss vention zulassen. – Das eigentliche Dilemma, das wir machen. hier immer wieder sehen, ist, dass Sie Klima und Wetter Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19361

Karsten Hilse (A) verwechseln. Sie haben das Klima erwähnt. Deswegen zen. Wir werden Vorreiter in Deutschland, in Europa und (C) will ich es einfach noch mal richtigstellen. in der ganzen Welt sein. Dafür werde ich mich auch ganz persönlich einsetzen. (Ulli Nissen [SPD]: Oh!) Vielen Dank. – Es ist eine Kurzintervention, und die Präsidentin hat sie mir erlaubt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Klima – das sind lokale Wetterdaten, über 30 Jahre ordneten der SPD) erhoben und gemittelt. Wenn Sie einen oder zwei oder drei Dürresommer haben – wir wissen ja noch gar nicht, Vizepräsidentin Claudia Roth: ob wieder einer kommt –, können Sie damit nicht den Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache. Klimawandel erklären. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Und desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Entlas- die Erde ist eine Scheibe!) tung bei den Heizkosten im Wohngeld im Kontext der Wir haben schon im Jahr 2018 gefordert, einen soge- CO2-Bepreisung. Der Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadt- nannten Klimawandelfolgen-Anpassungsfonds zu bilden, entwicklung und Kommunen empfiehlt in seiner Be- um negative Auswirkungen des derzeit stattfindenden, schlussempfehlung auf Drucksache 19/18755, den Ge- vollkommen natürlichen Klimawandels abzufedern. setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/17588 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- DIE GRÜNEN]: Das ist absurd!) sung zustimmen wollen, jetzt um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Es wäre schön, wenn sich die CDU oder die gesamte wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zuge- Koalition diesem Vorschlag vielleicht einmal nähern stimmt haben die Fraktionen der Linken, der SPD, des würde, Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der AfD. (Ulli Nissen [SPD]: Bestimmt nicht!) Enthalten hat sich die Fraktion der FDP. damit wir uns an den Klimawandel anpassen können. Dritte Beratung Vielen Dank. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – (Beifall bei der AfD) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es gab ein (B) paar Kollegen, die sitzen geblieben sind. Ich werte das als (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Nichtteilnahme, oder? – Gut. Der Gesetzentwurf ist an- Danke, Herr Hilse. – Frau Dr. Weisgerber, wenn Sie genommen bei Zustimmung der Fraktionen der Linken, mögen. der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der AfD bei Enthaltung der FDP. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Sehr geehrter Herr Kollege Hilse! Klar ist, dass die Zunahme der Extreme – das sagt auch die Wissenschaft – Beratung des Antrags der Abgeordneten mit dem Klimawandel zu tun hat. Klar ist auch, dass der Sebastian Münzenmaier, Detlev Spangenberg, Klimawandel durchaus auch menschengemacht ist. Inte- René Springer, weiterer Abgeordneter und der ressant ist, dass sich auch Ihre Fraktion dieser Ansicht Fraktion der AfD immer mehr annähert. Ihre Fraktion sagt jetzt auch: Der Coronakrise bewältigen – So viel Freiheit wie Klimawandel findet statt. – Ihre Fraktion, zumindest Tei- möglich, nicht mehr Einschränkungen als nö- le Ihrer Fraktion sagen jetzt auch, dass er zumindest zum tig Teil, wenn auch nur ganz geringfügig, auch auf den Men- schen zurückzuführen ist. – Also, Sie nähern sich immer Drucksache 19/18738 mehr der Wissenschaft. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Vertrauen Sie doch auf das, was die Wissenschaft uns schlossen. sagt! Ich warte, bis die Kolleginnen und Kollegen Platz ge- (Karsten Hilse [AfD]: Nicht die Wissenschaft!) nommen haben. – Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem ersten Redner, und das ist für die Fraktion Die Wissenschaft sagt uns – viel stärker als bei der Co- der AfD Detlev Spangenberg. ronakrise –, dass der Klimawandel, der zum Teil auch menschengemacht ist, stattfindet. Das merken wir doch. (Beifall bei der AfD) Wir merken es doch ganz aktuell. Deswegen müssen wir uns nicht nur anpassen – das müssen wir auch –; wir Detlev Spangenberg (AfD): müssen uns widerstandsfähig machen – ganz klar –, aber Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! wir müssen auch bei unseren Zielen auf Kurs bleiben; „Coronakrise bewältigen – So viel Freiheit wie möglich, denn die Kosten und die Auswirkungen auf die Mensch- nicht mehr Einschränkungen als nötig“, so der Titel. heit wären, wenn wir nichts tun würden, viel höher. Des- Wenn ich zusammenfasse, was in den letzten Wochen wegen werden wir unseren Kurs jetzt ganz klar fortset- passiert ist, was die Regierung und die sie tragenden 19362 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Detlev Spangenberg (A) Parteien so getan haben, sage ich: Zu spät gehandelt, dann Antwort stehen können. Eine ganz traurige Sache, meine (C) panisch überzogen und dann zögerliches Weiterführen Damen und Herren. der Situation. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Hass und Hetze in diesem Raum kommen von Ihnen, Am 1. Dezember 2019, als der erste Coronafall in nicht von der AfD. China bekannt wurde, haben andere Länder den Einsatz von Wärmebildkameras an Flughäfen eingesetzt und ha- (Lachen bei der SPD) ben Isolierstationen geschaffen, um Patienten gegebenen- falls aufnehmen zu können. – Lachen Sie ruhig. Wann haben wir das schon mal ge- macht? Gucken Sie sich mal an. Gucken Sie mal Ihre Daraus folgte für uns, für die AfD, als erste Fraktion im Reden an. Deutschen Bundestag am 12. Februar der Antrag „Be- kämpfung der Seuchenausbreitung in Deutschland“ als Meine Damen und Herren, wir haben im Ausschuss für Sechs-Punkte-Programm, den Sie logischerweise abge- Gesundheit die Schutzmaßnahmen mitgetragen; aber die lehnt hatten – wie immer. Darin kam unter anderem Fortführung von Einschränkungen in dieser Form halten vor: Bereithalten von ausreichend Isolierbetten, Impfs- wir für unverantwortlich. Kein Ende der Beschränkungen toffforschung durch den Bund forcieren, nationale Hygie- wird benannt. Wie sollen denn die Betriebe planen? Sie neaufklärungskampagne starten. Und zur gleichen Zeit haben Chaos weiterhin vorprogrammiert, nicht aufgeho- stellten wir den Antrag, die Medikamentenproduktion ben. von China nach Deutschland und Europa zurückzuholen, (Aydan Özoğuz [SPD]: Ach so!) weil wir auch da schon dieses große Problem voraussa- hen. Das sehen Sie jetzt mittlerweile auch. Und, meine Damen und Herren, nicht nachvollziehbar Es ist jetzt bekannt, dass die Basisreproduktionszahl ist: Die Frau Kollegin Weisgerber hat ja eben gesagt: Wir bereits am 22. März 2020 unter 1 lag, und trotzdem halten wollen uns besser vorbereiten. – Das hätten Sie machen Sie die Einschränkungen der Freiheitsrechte und die Ein- können; denn in 2012 gab es eine Studie der Bundesre- schränkungen bei der Wirtschaft im Wesentlichen weiter- gierung zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz. Ken- hin aufrecht und nehmen damit billigend den Ruin ganzer nen vielleicht einige von Ihnen. Wirtschaftszweige in Kauf. (Aydan Özoğuz [SPD]: Ja!) (Beifall bei der AfD) Da ist im Auftrag der Bundesregierung ein Szenario ent- (B) Sie haben bis jetzt keine Bildung eines Gremiums aus wickelt worden, das haargenau auf die Zeit der Corona- (D) führenden Wissenschaftlern durchgeführt, damit auch krise passt. Hintergrund dieser Analyse oder dieses Sze- mal andere Meinungen zu Wort kommen. Gestern, bei narios war: Ein SARS-ähnliches Virus verbreitet sich von der Regierungsbefragung, kam zum Ausdruck: Lieber Asien weltweit, und dabei geraten die Gesundheitssyste- vorsichtiges Handeln, als irgendwelche Risiken einge- me schnell an ihre Grenzen. – Genau, passt. Mehr infi- hen. – Wenn Sie das wollen, vorsichtiges Handeln, dann zierte Personen reisen ein, die WHO warnt zu spät. Passt hätten Sie unserem Sechs-Punkte-Plan zustimmen kön- auch, meine Damen und Herren. Genau das ist eingetre- nen. Wir waren die Ersten. Dann hätten Sie vorsichtig ten. Die WHO hat zu spät gewarnt. Die WHO hat noch gehandelt, dann hätten wir vielleicht solche Auswirkun- am 24. Januar erklärt: „Angesichts der bisher vorliegen- gen gar nicht gehabt, wie wir sie jetzt haben, meine Da- den Informationen über dieses Ereignis rät die WHO der- men und Herren. zeit von Reise- oder Handelsbeschränkungen für China ab.“ Dann ist doch wohl die Kritik an der WHO verständ- (Beifall bei der AfD) lich. Aber ich kann das ja teilweise auch verstehen, weil Sie (Beifall bei der AfD) natürlich einen Koalitionspartner haben. Der wird zum Beispiel hier vertreten durch einen Herrn , Ich höre nichts. Sie protestieren jetzt gar nicht, meine der am 12. März sagte in Bezug auf eine Rede der AfD: Damen und Herren. Wir fordern mit unserem Antrag, dass Hotel- und Gastronomiebetriebe, Handelsunterneh- Die größte Herausforderung, der gefährlichste Virus men, unabhängig von der Größe, und Kulturbetrieb und in diesem Land bei allen Bedrohungen, die wir ha- Dienstleister unter Beachtung von Hygienemaßnahmen ben, ist nicht Corona. Das ist der Virus des Hasses, wieder tätig werden dürfen. Wir fordern Maßnahmen – durch die AfD – zum Schutz der Risikogruppen sowie Forschung und Un- tersuchungen zum Virus SARS-CoV-2 durchzuführen. den solche Anträge und solche Reden … verbreiten. Wir fordern weiter, dass das RKI und der Gemeinsame Das ist viel schlimmer. Bundesausschuss Handlungsanweisungen für Pflegehei- me, Rehaeinrichtungen, Pflegedienste erarbeiten, um den (Kersten Steinke [DIE LINKE]: Da hat er Schutz für Bewohner, Patienten und Personal gewährleis- recht!) ten zu können. Meine Damen und Herren, diese Triage, – Da hat er recht? Das sehe ich bei Ihnen genauso. dieses Auswählen, allein dass dieses Wort überhaupt in diesem Lande genannt wird, finde ich, ist eine Schande. Sie setzen lieber die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel, als dass Sie mal einer Opposition normal Rede und (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19363

Detlev Spangenberg (A) Sie hätten schon längst Vorbereitungen treffen können, sein. – Sie kritisieren die Weltgesundheitsorganisation (C) dass diese Menschen geschützt werden. Es gibt mittler- dafür, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein. weile auch Briefe von Bürgern in dieser Altersgruppe, die sich sehr unsicher in diesem Land fühlen, meine Damen Nachdem wir mit Aufwand und Mühe – übrigens ohne und Herren. Ihre Zustimmung; denn hier im Plenum haben Sie sich enthalten – die Maßnahmen beschlossen haben, die jetzt gültig sind, und damit zu einer Reproduktionsrate von 1,0 Vizepräsidentin Claudia Roth: gekommen sind, sagen Sie jetzt: Ihr müsst die Beschrän- Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit? Sie kungen früher aufheben. sind weit drüber. (Detlev Spangenberg [AfD]: Die war vorher schon da!) Detlev Spangenberg (AfD): Meine Damen und Herren – letzter Satz –, wir möchten – Ja, die war vorher schon da. Und wer wusste das? Sie in aller Deutlichkeit sagen: Grundrechtseinschränkungen Schlauberger! Sie Schlauberger! Wann kam denn die laut § 5 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei Mitteilung des RKI? Ich habe hier das „Epidemiologi- einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite – das sche Bulletin“ des RKI. Welches Datum trägt das? kennen wir ja alle – sind klar zu befristen. Es gibt für uns 17. April 2020. Da steht es doch drin. keine Einschränkungen der Grundrechte durch die Hin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tertür bei besonderen Maßnahmen. Das lehnen wir ab, meine Damen und Herren. Sind Sie denn die Hellseher, die das am 22. März gewusst haben? Dann hätten Sie es uns doch am 22. März mal Vielen Dank. sagen sollen. Haben Sie aber nicht. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Damals haben wir Anstiege der Infektionsrate von Danke schön. – Nächster Redner: für die CDU/CSU- 30 Prozent am Tag gehabt. Damals waren wir bei einem Fraktion Rudolf Henke. R0-Wert zwischen 2,6 und 3,8. (Beifall bei der CDU/CSU) (Detlev Spangenberg [AfD]: Lesen!) Und da sagen Sie jetzt, weil sich später herausgestellt hat, Rudolf Henke (CDU/CSU): dass die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind von der (B) (D) Das Glas ist ein bisschen leer. Ich bin nicht sicher, ob Bundesregierung und von den Bundesländern und die daraus schon getrunken wurde. Ist das Wasser frisch? von uns gutgeheißen worden sind, eine Wirkung gehabt haben bis zum 22. März: Man kann jetzt alles wieder aufmachen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Selbstverständlich haben Sie frisches Wasser. Wir ha- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben das Glas nur nicht so vollgeschenkt. neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Aydan Özoğuz [SPD]: Sie trinken es ja eh nicht!) Das ist unverantwortlich, weil Sie damit völlig an der Notwendigkeit vorbeigehen, Daten auch integriert und Rudolf Henke (CDU/CSU): wissenschaftlich seriös zu interpretieren. Sie tun jetzt so, als hätte man hellsehen müssen, als wäre es so ge- Alles gut, ich habe es nicht verfolgt. wesen. So frei wie möglich, so wörtlich wie nötig. Das war der Spruch meines alten Lateinlehrers – neun Jahre Latein –, Vizepräsidentin Claudia Roth: der uns immer gesagt hat, wie man übersetzen muss. So Entschuldigen Sie, Herr Kollege, erlauben Sie eine frei wie möglich, so wörtlich wie nötig. Und deswegen ist Zwischenfrage? mir die Überschrift des Antrags, den wir jetzt hier disku- tieren, erst mal sehr sympathisch. So viel Freiheit wie Rudolf Henke (CDU/CSU): möglich, nicht mehr Einschränkungen als notwendig. Wer wollte dem widersprechen? Aber was sich wider- Ja, ich erlaube. spricht, liebe Kolleginnen und Kollegen, die diesen Antrag einbringen, ist doch: Was stimmt denn jetzt? Ent- Vizepräsidentin Claudia Roth: weder war die Bundesregierung mit ihren Entscheidun- Gut. – Herr Spangenberg. gen zu spät, entweder war sie zu zögerlich oder das, was Sie jetzt vorschlagen, ist Unsinn, weil Sie darin ja gerade- (Aydan Özoğuz [SPD]: Das wird jetzt nicht zu vorschlagen, für alle Bereiche des wirtschaftlichen besser dadurch!) und gesellschaftlichen Handelns jetzt die Öffnung zu er- möglichen. Und das, finde ich, widerspricht sich total. Detlev Spangenberg (AfD): Denn Sie sagen ja: Am Anfang wart ihr nicht vorsichtig Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrter Kollege, genug, und wir haben gemahnt, ihr müsstet vorsichtiger ich habe gesagt: Nachdem das bekannt ist, halten Sie 19364 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Detlev Spangenberg (A) die Maßnahmen trotzdem aufrecht, obwohl wir bei einer Am Ende dieser Tests beginnt dann der Meldeverzug, bis (C) Reproduktionsrate von unter 1 sind; deswegen brauchen wir es in den Erhebungen erleben. wir diese Maßnahmen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das war meine Rede. Ich war nicht der Hellseher; das (Aydan Özoğuz [SPD]: Aber Herr habe ich deutlich gesagt. Oder ich habe mich falsch aus- Spangenberg weiß es schon vorher!) gedrückt. Dann sage ich es noch einmal: Jetzt wäre das Deswegen brauchen Sie eine längere Beobachtungszeit, nicht mehr nötig. Das ist der dritte Punkt: erst zu spät, um zu beurteilen, ob eine Maßnahme sich deletär und dann übertrieben und jetzt zögerlich. So ist es gesagt fatal auswirkt oder nicht. worden, und das bitte ich zu beachten. Vielen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth: So, jetzt ist es aber genug. Jetzt bitte hinsetzen. Jetzt (Abg. Detlev Spangenberg [AfD] will wieder geht die normale Rede weiter. Platz nehmen) (Zuruf des Abg. Detlev Spangenberg [AfD]) Vizepräsidentin Claudia Roth: – Nein, Herr Spangenberg. – Bitte, Herr Henke. Sie müssen noch stehen bleiben. Rudolf Henke (CDU/CSU): Rudolf Henke (CDU/CSU): Deswegen sage ich, dass diese Gefahr, von der Sie Herr Spangenberg, ich antworte Ihnen gerne, und ich selber ausgehen – sonst wäre ja keine wöchentliche Über- erinnere an die Lage von Mitte März: Da betrug das täg- prüfung der Maßnahmen nötig –, weiterhin besteht. Dass liche Wachstum der Infektionen 30 Prozent. Bei einer wir das Schlimmste abwenden konnten, ist eine riesen- Fortsetzung dieser Dynamik hätten wir zu Ostern eine große Gemeinschaftsleistung aller Bürgerinnen und völlige Überlastung aller gesundheitlichen Versorgungs- Bürger, aller politisch Verantwortlichen im Land, von einrichtungen in Deutschland erlebt. Wir hätten zu Ostern allen Aktiven in Gesundheitsberufen, aus der Wissen- 10 Millionen Infizierte und einen gänzlich unerfüllbaren schaft, aus den Gesundheitsämtern. Bedarf an Intensivbetten von 140 000 gehabt. Und diese Gefahr bleibt, weil es ja jederzeit wieder mit einer ver- Natürlich verstehe ich, dass hier jetzt eine rege Debatte gleichbaren Dynamik in bestimmten Regionen oder auch stattfindet. Aber welche Konsequenz tragen Sie denn flächendeckend losgehen kann. bitte schön vor? Herr Gauland, Ihr Fraktionsvorsitzender, hat heute Vormittag hier gesagt – ich zitiere ihn –: (Abg. Detlev Spangenberg [AfD] will wieder Die Quarantänemaßnahmen laufen längst selbstor- (B) (D) Platz nehmen) ganisiert. Der Staat ist dabei weitgehend überflüssig. – Noch nicht. Es wird also Zeit, die Beschränkung der Grund- rechte zu lockern und die Schutzmaßnahmen in die Lieber Herr Spangenberg, Sie selbst trauen ja Ihren private Verantwortung der Bürger zu überführen. eigenen Worten nicht. Denn in Ihrem Antrag – neben diesem Ganzen „Öffnerei, Öffnerei und Öffnerei“ und (Beifall bei der AfD) „Reproduktionsrate 1“ und „Wir müssen uns keine Sor- Das heißt – auch nach Ihrem Applaus jetzt –, dass Sie das, gen mehr machen“ – fordern Sie unter Punkt 8, „die ge- was wir hier alles beraten – jeden Vorschlag, jede Kontro- troffenen Maßnahmen wöchentlich zu überprüfen“ und: verse –, für überflüssig erklären und dass Sie sagen, der „Der Bundestag ist dabei, in angemessener Weise zu Staat habe da gar keine Funktion. Dem widerspreche ich beteiligen.“ Werter Herr Kollege Spangenberg, wenn ausdrücklich. Das halte ich für ein Taschenspielertum. Sie das wöchentlich überprüfen wollen, wie sehr trauen Sie denn dann Ihren eigenen Aussagen? Das wäre doch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem dann gar nicht nötig. Das ist doch nur nötig, wenn Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- befürchten, dass es total schiefgehen kann. ordneten der FDP und der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Und Sie glauben das auch nicht selbst. Sie tragen die- der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ sen Antrag nicht deswegen hier vor, weil Sie das Virus DIE GRÜNEN) eindämmen wollen, sondern weil Sie die AfD ausbreiten und weil Sie dazu jeden Unmut in der Bevölkerung nut- Dann muss ich – und das ist der letzte Teil der Ant- zen möchten, um Identifikation zu erzeugen. wort – zur wöchentlichen Überprüfung, lieber Herr Spangenberg, bei allem Respekt sagen: Wir haben eine (Widerspruch bei der AfD) Inkubationszeit, die eher bei über einer Woche als unter einer Woche liegt. Wir haben dann eine asymptomatische Ich finde, das ist eine Art von Auseinandersetzung, die Erkrankungsphase, an deren Ende der Höhepunkt der ich einfach nicht billigen und gutheißen kann. Infektiosität liegt. Dann kommen zum ersten Mal Symp- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem tome, sodass Tests durchgeführt werden können. Dann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- wird es noch ein paar Tage dauern, bis die Tests ausge- ordneten der LINKEN) wertet sind. Natürlich führen wir eine rege politische Diskussion; (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das ist gut so. Sowohl die Leopoldina als auch Experten NEN]: Da ist die Woche schon rum!) der Helmholtz-Gemeinschaft haben systematische epide- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19365

Rudolf Henke (A) miologische Analysen der Bevölkerung gefordert. Wir dass Sie eine gute Zukunft vor sich haben. Wir werden (C) befürworten ein Infektionsmonitoring als Entscheidungs- Sie nicht vergessen. und Bewertungsgrundlage. Wenn Sie mich als Arzt fra- gen, dann sage ich: Ich wünsche mir ein Dashboard mit Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Stefan den wichtigsten relevanten Daten, möglichst in Echtzeit, Ruppert. so realitäts- und tagesnah wie möglich: über Neuinfektio- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem nen, Verdopplungszeit, Reproduktionsrate, Todesfälle, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- verfügbare Betten, Intensivplätze, Übersterblichkeit, ordneten der SPD) Beatmungsplätze, Menschen in häuslicher oder institu- tioneller Isolation oder Quarantäne, Informationen zur Dr. Stefan Ruppert (FDP): Nachverfolgbarkeit, Bewegungsdaten und, und, und. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Aber Sie gaukeln eine falsche Sicherheit vor. Sie wol- Herren! Ganz herzlichen Dank für die wertschätzenden len Profit daraus schlagen und sagen: Wir öffnen jetzt Worte, die ich genau so auch zurückgeben kann. einfach und haben dabei keine Sorgen. – Das, finde ich, Lassen Sie mich in meiner letzten Rede vielleicht nur darf nicht passieren. Wenn Sie als Kronzeugen den Präsi- einen Satz zum vorliegenden Antrag sagen: denten der Bundesärztekammer zitieren, dann zitiere ich aus dem, was er mir geschrieben hat. Er schreibt nämlich, (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der dass eine rein politisch bzw. ökonomisch motivierte so- CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) fortige Wiederherstellung weiter Teile des öffentlichen Wir haben einen Moment einer großen Krise erlebt. Hier Lebens, wie sie derzeit von verschiedenen Seiten gefor- wie im Alltag offenbaren sich dann politische Charaktere. dert wird, aus ärztlicher Sicht nicht verantwortbar ist. Es gibt die einen, die Verantwortung im Moment der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Krise übernehmen wollen. Auch eine Opposition macht neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE sich Gedanken, fragt sich: „Wollen wir da nicht gemein- GRÜNEN) sam ein Signal der Geschlossenheit in der akuten Situa- tion geben?“, und übernimmt Verantwortung, wohl wis- Das ist die Antwort der Bundesärztekammer zu diesem send, dass ihre Aufgabe langfristig die Kritik der Thema. Regierung ist. Es gibt hier Fraktionen, die diese Verant- wortung übernommen haben – auch aus der Opposition. Vizepräsidentin Claudia Roth: Sie von der AfD haben sie nicht übernommen, sondern Kommen Sie jetzt bitte zum Schluss. Sie lauern auf den Moment, wo Sie die bei solchen Ge- legenheiten immer vorkommenden Fehler kritisieren (B) (D) Rudolf Henke (CDU/CSU): können. Das offenbart Ihren Charakter und Ihre politi- sche Qualität. Ich komme zum Schluss. – Wahr ist natürlich auch, dass Arbeitslosigkeit, Armut, Überforderung, Repression (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, und Angst krankmachen können. Und auch darauf muss der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE man achten. Wirtschaft und Gesundheit sind keine Ge- GRÜNEN) gensätze, und manch einer müsste vielleicht klarer sagen, nach welchem Monitoringsystem man sich richten soll. Auf Dauer braucht es die Legislative, um Krisen zu Aber bei Ihnen sehe ich nur den Rückzug der staatlichen bewältigen. Sie ist am Puls der Bevölkerung. Sie kriegt Verantwortung und nicht hinterlegte Öffnungsforderun- die Impulse und nimmt sie wahr und spiegelt sie in das gen ohne Garantie für den Gesundheitsschutz der Betei- Parlament und in die Gesetzgebung zurück. Pluralität ist ligten. Das kann ich nicht billigen, und deswegen bin ich die Voraussetzung zur Bewältigung von Krisen. Es darf in sehr dafür, dass das Parlament den von Ihnen gestellten solchen Momenten kein Wort der Alternativlosigkeit des Antrag sorgfältig berät, aber dann ablehnt. einen einzigen richtigen Weges geben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) Ein Wort wie „alternativlos“ kommt im liberalen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sprachschatz, der immer auch die Meinung des Anders- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE denkenden respektiert, nicht vor. Hans-Dietrich Genscher GRÜNEN) hat es einmal so ausgedrückt: Zu einem immer neuen Gespräch, zu einer immer neuen Diskussion gibt es keine Vizepräsidentin Claudia Roth: Alternative. – Dies ist also die einzige Verwendung die- Den nächsten Redner sage ich mit großer Wehmut an. ses Worts. Es ist die letzte Rede eines sehr geschätzten Kollegen. (Beifall bei der FDP) (Beifall) Ich finde, wir brauchen und wir haben in Deutschland Ich weiß, wovon ich spreche, weil wir sehr intensiv, sehr einen handlungsfähigen Staat; aber wir brauchen auch gut und sehr kooperativ und konstruktiv in der Mitarbei- eine starke Bürgergesellschaft. Freiheit wird nicht von ter- und Mitarbeiterinnenkommission zusammengearbei- der Tribüne verteidigt. Insofern muss jeder Einzelne Ver- tet haben. Deswegen ist es die Wehmut. Gleichzeitig antwortung übernehmen. Das ist unser liberales Men- hoffe ich für Sie, dass Sie diesen Schritt nicht schrecklich schenbild. Verantwortung und Freiheit gehen Hand in bereuen werden – das werden Sie natürlich tun –, sondern Hand. Dafür kämpfen wir, dafür habe ich mich immer 19366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Stefan Ruppert (A) politisch eingesetzt und werde es auch wieder ehrenamt- Johann Saathoff (SPD): (C) lich tun. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mehr als nur einen Satz zu dem Antrag (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rudolf sagen, aber nicht, weil er vom Inhalt her so viel Bestand Henke [CDU/CSU]) hat, sondern weil er ein Stück weit auch Ihr Weltbild Wir werden diese Krise nicht ohne Vertrauen in jeden widerspiegelt. Einzelnen bewältigen. Ich habe bei meinen Kindern, mei- nen Doktoranden, meinen Mitarbeitern immer erlebt: Dem vorliegenden Antrag ist zu entnehmen, dass die Vertraue den Menschen, sie werden es dir danken. Dann Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie jetzt werden sie Verantwortung übernehmen, dann werden sie aufgehoben werden können. Ich frage mich beim Lesen das Beste aus sich machen, und dann werden sie auch des Antrags, ob aus Sicht der AfD denn die Pandemie Krisen und schwierige Situationen bewältigen. Ein Staat schon vorbei ist. Dazu steht in Ihrem Antrag nichts. Gibt setzt Rahmenbedingungen, aber jeder Einzelne von uns es vielleicht auf der rechten Seite des Parlaments grund- übernimmt Verantwortung – für sich selbst, aber auch für sätzlich neue Erkenntnisse, von denen wir bisher noch andere. So bewältigen wir eine Krise. nichts gehört haben? In Ihrem Antrag finde ich jedenfalls dazu nichts. (Beifall bei der FDP) Wir stellen an dieser Stelle mal fest: Wir wissen erst Die soziale Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Freiheit sehr, sehr wenig über das Virus, Sie auch. Sie wissen fast gehören untrennbar zusammen. Die Empirie unserer Ge- nichts darüber, machen aber populäre Vorschläge, und schichte zeigt: Immer dann, wenn wir eines dieser Ele- das geht aus meiner Sicht überhaupt gar nicht. Ich rate mente zurückgelassen haben, haben wir Schiffbruch erlit- jedem, das Gespräch sofort zu beenden, wenn jemand vor ten. Deswegen: ein klares Plädoyer für die soziale Ihnen sitzt, der den Anschein erweckt, er wüsste bereits Marktwirtschaft – zu der übrigens auch Friseure gehören, alles über das Virus und wüsste auch, was zu tun ist. wie man dieser Tage merkt –, Beenden Sie das Gespräch. Das lohnt sich nicht. So einen (Heiterkeit der Abg. Dr. Franziska Brantner Menschen gibt es auf der ganzen Erde nicht, auch nicht in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) der AfD-Fraktion. für Freiheit und Bürgerrechte. Dafür kämpfen wir und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) viele andere in diesem Haus. Was wir allerdings wissen, ist, dass wir erst am Anfang Lassen Sie mich am Ende ein Zitat, das meine Eltern der Pandemie stehen. Circa 2 bis 3 Prozent der Bevölke- mir neulich aus einer Predigt mitgegeben haben, in leicht rung haben erst Antikörper, und selbst das ist nicht sicher. (B) abgewandelter Form wiedergeben: Humor, Gelassenheit Was wir wissen, ist, dass die überwiegende Mehrheit der (D) und Zuversicht sind die Kamele, die uns durch die Wüste Menschen sich an die Regeln hält und sie für sinnvoll tragen. – Mit Stolz und vor allem mit Dankbarkeit habe erachtet. Wir haben alle Menschen zu Hause, in unseren ich diesem Haus angehört. Wir haben ein großartiges Familien, in unserem Bekanntenkreis, die einer Risiko- Parlament, ein plurales Meinungsbild. Dafür bin ich un- gruppe angehören und die wir nicht verlieren möchten. endlich dankbar. Wir leben in toller Verfassung. Deswe- Was wir wissen, ist, dass die Folgen einer Lockerung – so gen ist mir in der Krise nicht bange. Ihnen alles Gute und wie Sie das vorschlagen – am Ende erst in 14 Tagen sicht- Gottes Segen! bar oder in Leichen zählbar sein würden, weshalb sie sich aus unserer Sicht als völlig unverantwortlich darstellt. Vielen Dank. Wer jetzt großflächig Öffnungen fordert, den Menschen (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei vormacht, es könnte bereits jetzt alles wieder so sein, wie der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und es vor der Krise einmal war, der spielt nicht nur mit dem dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Feuer – er stellt auch alle bisherigen öffentlichen und Abg. Dr. [AfD] – Die Abgeordne- privaten Investitionen ins Feuer und handelt damit aus ten der FDP erheben sich) meiner Sicht zutiefst unverantwortlich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Vizepräsidentin : BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Ruppert, Sie sehen und hören es: Das gesamte Haus wünscht Ihnen alles Gute, auch für den neuen Le- Sie behaupten, dass die Menschen erwarten, dass die bensabschnitt. Persönlich sage ich auch Danke für die Sanktionen umgehend gelockert werden. Auch ich neh- Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Zusammenhän- me Fragen nach Lockerungen wahr – überhaupt kein gen, besonders auch bei den Themen, über die Sie gerade Thema –; aber ich erlebe auch ein hohes Maß an Ver- hier gesprochen haben. Alles Gute! ständnis und an Solidarität der Menschen und bin dank- bar dafür. Vielleicht ist im ländlichen Raum alles besser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten als da, wo Sie leben; aber ich erlebe Menschen, die privat der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des etwas organisieren und soziale Medien plötzlich für wirk- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lich soziale Zwecke nutzen. Sie kaufen für Menschen ein, Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD- bei denen das Risiko zu groß wäre, wenn sie selbst ein- Fraktion. kaufen würden. Davon steht in Ihrem Antrag nichts. Ich erlebe Kinder in Ostfriesland, die malen Karten oder (Beifall bei der SPD) schreiben Briefe für Menschen in Altenheimen und ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19367

Johann Saathoff (A) süßen diesen damit den Tag. Ich höre von dieser Solida- Ihr Plan ist: Grenzen zu und Läden auf. – Meine Bewer- (C) rität in Ihrem Antrag gar nichts. tung dazu: plakativer Populismus. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Was wir tun müssen, ist, Hilfsmaßnahmen weiterzu- Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]) entwickeln, insbesondere für Bereiche, die länger von den Schließungen betroffen sind, wie zum Beispiel die Wenn ich mir aber Ihren Antrag angucke, dann lese Tourismuswirtschaft. Was wir tun müssen, ist, uns um die ich: Sie sind dafür, die Grenzen zu schließen. Das über- Familien zu kümmern. Das Kindeswohl darf nicht aufs rascht jetzt nicht. Aber eine Öffnung für Erntehelfer, Spiel gesetzt werden. Es besteht die Notwendigkeit einer damit Sie noch Spargel auf dem Teller haben, finden Kindergrundsicherung; das wird uns doch in diesen Ta- Sie okay. Unter welchen Umständen die arbeiten und gen deutlicher denn je. Was wir tun müssen, ist, die Priva- leben müssen – völlig egal! Hauptsache, der Spargel wird tisierung der Daseinsvorsorge noch mal kritisch zu hin- gestochen! terfragen, liebe liberale Freunde. Es zeigt sich nämlich, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass auf den reinen Markt eben kein Verlass ist. Das, meine Damen und Herren, zeigt Ihr Bild des Men- (Zuruf des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) schen, dessen Wert aus Ihrer Sicht im Wesentlichen von der Nationalität abhängt. Dafür tun Sie mir leid. Ich jedenfalls verlasse mich lieber auf Kommunen. Wir müssen in die Zukunft investieren. Und wir müssen die (Zuruf von der AfD: So ein Quatsch!) Arbeitnehmer und Azubis im Blick haben, um ihnen durch diese Krise zu helfen. Die Pandemie ist nicht national zu bewältigen, son- dern, im Gegenteil, nur mit internationaler Solidarität. In Ostfriesland sagt man: Well sük nich to helpen weet, Rolf Mützenich hat heute Vormittag eindrucksvoll darauf is nich weert, dat he in Verlegenheid kummt. – Wir So- hingewiesen. Da sollten wir in Europa anfangen. Wir zialdemokraten wissen uns zu helfen, mit Abstand, mit müssen die Forschungskooperation noch mehr stärken, Anstand und mit Verstand. und wir brauchen einen Fonds für Katastrophen. Das Ver- trauen in Europa und dessen Lösungskompetenz muss Herzlichen Dank. gestärkt werden. Wir müssen unseren Beitrag leisten für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stärkeres Vertrauen der Länder in Europa untereinander, der CDU/CSU) auch gegenüber Deutschland. Die Pandemie, liebe Kolleginnen und Kollegen, legt Vizepräsidentin Petra Pau: Fehler in der Vergangenheit offen; (B) Das Wort hat Dr. André Hahn für die Fraktion Die (D) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Oh ja!) Linke. das ist gar keine Frage. Wir sollten die Fehler jetzt aber (Beifall bei der LINKEN) nicht zum eigenen politischen Zweck skandalisieren, sondern aus ihnen lernen. Dr. André Hahn (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten (Zuruf des Abg. Stefan Keuter [AfD]) Sie mir zu Beginn, den Muslimen in Deutschland zum Zum Beispiel sollten wir lernen, dass wir falsche Anreize heute beginnenden Ramadan die besten Wünsche zu im Gesundheitssystem gesetzt haben. Konkurrenzdruck übermitteln. Das verbinde ich mit dem Dank dafür, dass und Preis sollten dort nicht Priorität haben. Dann hätten sich die Muslime seit Beginn der Coronakrise hier ge- wir jetzt mehr Schutzausrüstung. nauso solidarisch wie andere Religionsgemeinschaften verhalten haben. Sie haben sich solidarisch verhalten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sie haben ihre Moscheen und Gebetsräume geschlossen Zum Beispiel sollten wir lernen, dass unsere Lieferketten gehalten, und das in dem für sie so wichtigen Fasten- oftmals fragil sind – kein politischer, sondern eigentlich monat Ramadan, in dem das allabendliche gemeinsame ein Managementfehler, wenn man so will. Das Liefer- Fastenbrechen ein ganz zentrales Element ist. Dafür herz- kettengesetz sorgt für eine verantwortliche und verant- lichen Dank! wortbare Lieferkette, wenn das Management nicht selber dafür sorgt. Es wird Zeit, dass wir das bekommen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] und Omid Es geht aber nicht nur um Lieferketten, liebe Kollegin- Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nen und Kollegen. Wenn wir in Deutschland uns nicht Kurz zum Antrag der AfD. Die Coronakrise ist ohne solidarisch mit anderen Ländern in Europa zeigen, die Zweifel eine globale Herausforderung. Um sie zu bewäl- es teils härter getroffen hat, dann brechen uns nicht nur tigen, braucht es Vernunft, Verstand und Solidarität. Die die Lieferketten weg, sondern dann brechen uns auch AfD hat nichts davon aufzuweisen. sämtliche Absatzmärkte weg. Wenn wir also nicht aus Solidarität, aus Mitgefühl und aus Menschlichkeit unse- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle ren Nachbarn helfen wollen, dann sollten wir es wenigs- Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) tens als wirtschaftliche Notwendigkeit erkennen. Der Antrag ist ein Sammelsurium von zum Teil abstrusen (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks Forderungen und dabei plump eingeflochtener Deutsch- [SPD]) tümelei. Dazu gehört die Forderung mit Bezug auf die 19368 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. André Hahn (A) EU-Notstandsklausel, die Grenzen für Schutzsuchende Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE (C) zu schließen und sie in Quarantänelagern zu kasernieren. GRÜNEN): Das gibt die Notstandsklausel gar nicht her, und das ist Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Liebe politisch wie epidemiologisch Unfug. Dass offene Gren- Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie be- zen für die AfD ein Gräuel sind, ist nichts Neues. Als finden sich in einem Flugzeug, und das Flugzeug stürzt Abgeordneter aus dem Landkreis Sächsische Schweiz- ab. Sie haben Glück im Unglück: Sie haben einen Fall- Osterzgebirge weiß ich aber nur zu genau, wie viele schirm dabei. Sie legen ihn an. Der Fallschirm öffnet Krankenhäuser und Arztpraxen bedroht wären, wenn sich, wodurch sich der Fall verringert. Und mitten im das Personal aus Tschechien nicht mehr zur Arbeit kom- Flug werfen Sie den Fallschirm ab und sagen: Super men würde. Maßnahme, hat geklappt, jetzt brauche ich ihn nicht mehr. – Wer würde das tun? Natürlich ist es die Aufgabe des Parlaments, das Re- gierungshandeln bei der Bekämpfung der Coronakrise (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kritisch zu begleiten, Einschränkungen an Bürger- und NEN]: Die AfD! – Heiterkeit) Freiheitsrechten hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Es wundert uns gar nicht, dass von ganz rechts hier im Wirkungen zu hinterfragen und eigene Vorschläge dage- Parlament wieder unausgegorene und wirklich men- genzusetzen. Deshalb hat meine Fraktion, Die Linke, schenfeindliche Vorschläge kommen. Sie wollen quasi allein in dieser Sitzungswoche 18 Anträge in den Bundes- alle Schutzmaßnahmen sofort aussetzen und nehmen da- tag eingebracht. mit eine exponentielle Ausbreitung des Virus Covid-19 sehenden Auges in Kauf. Das ist verantwortungslos. Fakt ist: Im Namen des Infektionsschutzes sind in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland seit über einem Monat zahlreiche Grund- rechte massiv eingeschränkt, auch Grundrechte, die für und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten eine demokratische Gesellschaft konstituierend sind, wie der CDU/CSU und der SPD) etwa die Versammlungsfreiheit. Zweifellos ist der ange- Wer die Gefahr dieses Virus unterschätzt, der gefährdet gebene Zweck, die Pandemie einzudämmen, legitim, Leben. Gut, dass Sie in diesem Land weder im Bund noch aber der Entzug von Grund- und Freiheitsrechten auf in den Ländern, nirgendwo, Verantwortung tragen. längere Sicht ist für eine Demokratie nicht hinnehmbar. Die Behörden sind verpflichtet, nach Möglichkeit milde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN re Mittel zu wählen, um die Versammlungsfreiheit zu sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und sichern. Die Umsetzung ist vielerorts fragwürdig. Ich der SPD – Detlev Spangenberg [AfD]: Noch (B) finde, es darf nicht zur Regel werden, dass man erst das nicht!) (D) Verfassungsgericht anrufen muss, um friedlich und unter Sie wollen also pronto wieder alles auf Normalbetrieb Einhaltung der Abstandsgebote demonstrieren zu kön- umstellen, mit einer Ausnahme: Die Grenzen sollen nach nen. Meinung der Nationalisten geschlossen bleiben – dauer- haft. Den Antrag der AfD kann man nicht anders lesen (Beifall bei der LINKEN) als: Wenn Deutsche Deutsche infizieren, ist das Virus nicht so schlimm. – Das ist zynisch, meine Damen und Deshalb fordern wir von Bund und Ländern, dass alle Herren. Verordnungen und Allgemeinverfügungen revidiert wer- den, die ein pauschales oder unverhältnismäßig weitge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hendes Verbot von Versammlungen nach Artikel 8 und bei der LINKEN – Zuruf von der AfD: Grundgesetz beinhalten. Sie haben es nicht verstanden!) Was Sie hier vorgetragen haben, sind alles Verwechs- (Beifall bei der LINKEN) lungen. Wir in Bremen sagen dazu: die Verwechslung von Gustav mit Gasthof. – So war Ihre Rede – die ganze Für uns als Linke steht jedenfalls fest: Das Grundrecht Zeit. auf Versammlungsfreiheit darf auch in Zeiten wie diesen nicht zur Disposition gestellt werden. Wir alle haben eine (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ gemeinsame Verantwortung, dass aus der Coronakrise DIE GRÜNEN) nicht auch noch eine Krise der Demokratie entsteht. Was wir stattdessen brauchen, ist eine vernünftige und sorgfältige Strategie, die Step by Step die Rückkehr in Herzlichen Dank. den Alltag ermöglicht und gleichzeitig weiterhin die In- fektionsgefahren reduziert. Solange es keinen Impfstoff (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. und keine wirksame Therapie gegen Covid-19 gibt, wird Johann Saathoff [SPD]) das Risiko der Ansteckung hoch bleiben. Genau wie Trump wollen Sie die Mittel für die WHO Vizepräsidentin Petra Pau: kürzen. Wir werden aber die globale gesundheitspoliti- Das Wort hat Dr. Kirsten Kappert-Gonther für die sche Zusammenarbeit verstärken müssen; denn nur durch Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ein international abgestimmtes und solidarisches Zusam- menwirken kann der Gefahr von Pandemien begegnet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19369

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz besonders im Umgang mit dieser weltweiten (C) Wir wissen, dass es in Krisen sehr schnell zu einer Krise zeigt sich für mich, dass wir tatsächlich eines der Sehnsucht nach Autorität kommt. Wie Kinder sehnen besten Gesundheitssysteme dieser Welt haben. Das sehen wir uns nach einem starken Elternteil, das alles wieder wir nicht nur, wenn wir auf den Bereich der ambulanten gutmacht. Doch ein Überbietungswettbewerb bei autori- Versorgung schauen. Das sehen wir auch daran, dass wir tären Maßnahmen ist falsch. Genauso falsch ist ein Über- es innerhalb kürzester Zeit geschafft haben, unsere Inten- bietungswettbewerb bei der Aufhebung der notwendigen siv- und Beatmungskapazitäten in den Kliniken entschei- Schutzmaßnahmen. Es ist ein Dilemma, ja: Das Virus ist dend zu erhöhen. Das sehen wir aber auch an der Anzahl gefährlich, die Isolation ist es auch. Aber diesem Dilem- der Proben, die unsere Labore jeden Tag auf das Virus ma werden wir nur mit Sorgfalt begegnen können. Mar- testen, und das sehen wir im Engagement der Apotheken kige Sprüche helfen nicht weiter, sie sind sogar gefähr- vor Ort und im unermüdlichen Einsatz unserer Forscher- lich, wie wir hier heute gesehen haben. innen und Forscher. Diesen Menschen gilt heute mein ausdrücklicher Dank. Abschließend: In der Psychotherapie gibt es eine sehr schöne Übung. Wir stellen uns vor, wie wir in fünf Jahren (Beifall bei der CDU/CSU) auf diese Krise zurückblicken. Ich wünsche mir, wir wün- Ein zu selten genannter, aber entscheidender Aspekt ist schen uns, dass wir dann auf gegenseitige, auf anhaltende auch: Der gesellschaftliche Zusammenhalt erlaubt uns, Solidarität schauen und feststellen, dass wir den Fall- mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen; denn gemein- schirm eben nicht zu früh abgelegt haben. sam können wir diese Krise überwinden. Dazu brauchen Danke schön. wir in den kommenden Wochen aber die Unterstützung jedes Einzelnen. Geben Sie also weiterhin aufeinander (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN acht, und vermeiden Sie, wann immer möglich, die phy- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) sische Nähe zu anderen; denn so können wir erreichen, dass die bisherigen Erfolge zur Abflachung der Ausbrei- Vizepräsidentin Petra Pau: tungskurve nachhaltig sind. Das Wort hat der Kollege Stephan Pilsinger für die (Beifall des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU]) CDU/CSU-Fraktion. Die in der vergangenen Woche erlassenen Handlungs- (Beifall bei der CDU/CSU) empfehlungen und Verhaltensvorgaben haben sich als sehr wirkungsvoll erwiesen und werden von Bund und Stephan Pilsinger (CDU/CSU): Ländern regelmäßig kritisch überprüft und nach Mög- (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den lichkeit angepasst. Das zeigt sich auch im besonnenen (D) vergangenen Wochen und Monaten dieser Krise haben Umgang mit der schrittweisen Lockerung einiger Maß- die Menschen in unserem Land unter Beweis gestellt, nahmen. dass wir als Gesellschaft in der Lage sind, füreinander einzutreten: gemeinsam, entschlossen und solidarisch. Mit ihrem vorliegenden Antrag möchte sich nun auch An dieser Stelle möchte ich zunächst ausdrücklich den die Fraktion der AfD in die Debatte um eine Aufhebung Einsatz und das unermüdliche Engagement der Beschäf- geltender Maßnahmen einbringen. Grundsätzlich ist das tigten in unserem Gesundheitswesen hervorheben. Sie ja zu begrüßen, im konkreten Fall aber leider handwerk- leisten in diesen Tagen Beispielloses und verdienen un- lich einfach schlecht gemacht. Zuallererst: Die Regelun- seren Respekt, unsere Anerkennung und vor allem unsere gen, die Sie hier einfordern, kann der Bund überhaupt Unterstützung. nicht erlassen – anscheinend fehlt Ihnen das nötige Grundverständnis der föderalen Strukturen unseres Staa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tes –; denn zuständig sind in diesem Fall laut Infektions- ordneten der SPD) schutzgesetz die Länder. Die Entscheidungshoheit der Neben meinem Bundestagsmandat bin ich weiterhin Länder ist hier durchaus sinnvoll; denn in der Bundesre- als Hausarzt tätig. Über die zurückliegenden Wochen publik ist das Infektionsgeschehen nicht überall gleich konnte ich mir also selbst ein Bild davon machen, mit ausgeprägt. Die ergriffenen Maßnahmen können daher welch außergewöhnlichem Einsatz sich alle Beteiligten nicht in jedem Bundesland gleich sein. Zudem wurde vor Ort um die Erkrankten kümmern. Ich bin überzeugt: ein Großteil der Maßnahmen, die Sie in Ihrem Antrag Ohne unser hervorragend funktionierendes Netz von am- einfordern, bereits in enger Abstimmung mit der Bundes- bulanten Praxen wären die Krankenhäuser innerhalb regierung durch die Länder ergriffen. Insofern leistet Ihr kürzester Zeit an ihre Belastungsgrenzen gestoßen. Im Antrag aus meiner Sicht keinen gewinnbringenden Bei- Gegensatz zu anderen Ländern können hierzulande sechs trag zur derzeitigen Debatte um eine wirksame und nach- von sieben Patienten ambulant versorgt werden. Das ist haltige Eindämmung der Infektion. ein entscheidender Vorteil. Vielmehr müssen wir nun weiter daran arbeiten, die (Beifall bei der CDU/CSU) geltenden Einschränkungen in kleinen Schritten zurück- zunehmen und die Auswirkungen dabei jeweils genaues- Es ist auch dem Einsatz jeder einzelnen Praxis in tens zu überprüfen. Nur so können wir auch in Zukunft Deutschland mit ihren Ärzten, Medizinischen Fachange- die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem stellten sowie Büro- und Reinigungskräften zu verdan- Land bestmöglich schützen. ken, dass wir immer noch über ausreichend Kapazitäten in unseren Krankenhäusern verfügen. Vielen Dank. 19370 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Stephan Pilsinger (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer (C) Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- Vizepräsidentin Petra Pau: KE Ich schließe die Aussprache. Arbeitslosenversicherung stärken – Ar- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der beitslosengeld verbessern Fraktion der AfD auf Drucksache 19/18738 mit dem Titel – zu dem Antrag der Abgeordneten Susanne „Coronakrise bewältigen – So viel Freiheit wie möglich, Ferschl, Sabine Zimmermann (Zwickau), nicht mehr Einschränkungen als nötig“. Wer stimmt für Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält neter und der Fraktion DIE LINKE sich? – Niemand. Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Arbeitslosenversicherung stärken – Ar- Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die beitslosengeld Plus einführen Stimmen der AfD-Fraktion abgelehnt. – zu dem Antrag der Abgeordneten Ich rufe die Zusatzpunkte 13 a und 13 b auf: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Anja Hajduk, weiterer a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- NIS 90/DIE GRÜNEN brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbil- Arbeitslosenversicherung zur Arbeits- dung im Strukturwandel und zur Wei- versicherung weiterentwickeln terentwicklung der Ausbildungsförde- Drucksachen 19/17753, 19/16456, rung 19/15046, 19/15047, 19/17522, 19/18753 Drucksache 19/17740 Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- – Zweite und dritte Beratung des von der minister . Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ruflichen Weiterbildung im Struktur- der CDU/CSU) wandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozia- les: (B) (D) Drucksache 19/18076 Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beschlussempfehlung und Bericht des Der Deutsche Bundestag debattiert heute fast schon den Ausschusses für Arbeit und Soziales ganzen Tag – wie könnte es anders sein? – die Folgen der (11. Ausschuss) Coronapandemie. Wir alle wissen: Wir haben erhebliche wirtschaftliche Folgen, und zwar weltweit. Eine Zahl aus Drucksache 19/18753 den Vereinigten Staaten hat mich heute regelrecht er- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schreckt: In den USA sind in den letzten vier Wochen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung sage und schreibe 26 Millionen Arbeitsplätze verschwun- den. Wir müssen das feststellen. Das wird übrigens auch Drucksache 19/18754 wirtschaftliche Folgen für uns haben, wenn wir an den b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Handel, an die zukünftige Nachfrage nach unseren Pro- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- dukten aus den USA denken. Aber während dieser vier ziales (11. Ausschuss) Wochen, in denen in den USA 26 Millionen Arbeitsplätze verschwunden sind, waren und sind wir in unserem So- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine zialstaat in der Lage, mit den Wirtschaftshilfen, aber vor Zimmermann (Zwickau), Susanne allen Dingen den veränderten Regeln zur Kurzarbeit Mil- Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer lionen von Arbeitsplätzen zu sichern. Das ist ein wichti- Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- ges Signal für unser Land, meine Damen und Herren. KE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Berufliche Weiterbildung stärken – bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Weiterbildungsgeld einführen GRÜNEN und des Abg. Johannes Vogel [Olpe] – zu dem Antrag der Abgeordneten Susanne [FDP]) Ferschl, Klaus Ernst, Fabio De Masi, wei- Ich bin deshalb froh, dass gestern der Koalitionsaus- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE schuss Beschlüsse gefasst hat, die deutlich machen, dass LINKE Kurzarbeit ein wichtiges Instrument ist, um Arbeitsplätze Arbeit in der Transformation zukunfts- zu sichern. Die Beschlüsse zeigen gleichzeitig, dass wir fest machen nicht blind sind, sondern sehen, dass diese Beschäftigten, wenn sie sehr lange in Kurzarbeit sind, erhebliche Ge- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine haltseinbußen hinnehmen müssen, während laufende Zimmermann (Zwickau), Susanne Kosten – Mieten, Pachten, Zinsen, Kredite – weiter- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19371

Bundesminister Hubertus Heil (A) laufen. Deshalb ist es ein wichtiges Signal, dass diese die Menschen vergessen, die trotz aller Anstrengungen (C) Koalition mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit einen Berufsabschluss verpasst haben, weil sie mögli- auch unverhältnismäßige Lohneinbußen abfedern wird. cherweise aus sozialen Verhältnissen kommen, in denen es nicht ganz einfach war. Diesen Menschen eine zweite (Beifall bei der SPD) und dritte Chance zu geben, alle Chancen zu entfalten, Diese Maßnahmen, die ich eben beschrieben habe, damit Menschen in geregelte Arbeit kommen, auch dazu sind Akutmaßnahmen, die wir jetzt brauchen. Wir alle leistet dieses Gesetz einen Beitrag, und auch dafür bin ich wissen aber, dass diese Krise wahrscheinlich den Struk- den Koalitionsfraktionen sehr dankbar. turwandel unserer Wirtschaft, in dem wir schon seit ge- raumer Zeit stecken, massiv beschleunigen wird. Man (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sieht das am Thema Digitalisierung. In dieser Krise arbei- CDU/CSU) ten derzeit wahrscheinlich ungefähr 25 Prozent der Be- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Entste- schäftigten in Deutschland im Homeoffice, viele freiwil- hungsprozess dieses Gesetzes hat weit vor Corona begon- lig, viele unfreiwillig. Dass Homeoffice übrigens nicht nen, mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie, die ich immer ein Zuckerschlecken ist, erleben im Moment viele, mit den Sozialpartnern und der Kollegin Karliczek auf die das machen. den Weg gebracht habe. Wir haben im letzten Sommer Ich erwähne das, weil wir an diesem kleinen Beispiel die Eckpunkte vorgestellt und im November den Gesetz- erleben, wie sich die Wirtschaft verändern wird. Die entwurf gemacht; übrigens war vieles davon nicht im Wirtschaft, die wirtschaftliche Struktur, die Struktur der Koalitionsvertrag von vor zwei Jahren vorausgedacht. Arbeit wird nach dieser Krise nicht mehr dieselbe sein Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in guter Arbeit der wie vorher. Bestimmte Trends, die es vorher schon ge- Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD und unter Be- geben hat – Digitalisierung, technologische Veränderun- ratung und Zustimmung vieler Oppositionsfraktionen im gen –, werden uns rasanter erreichen, als wir das vor der Ausschuss ein wirklich gutes Gesetz geschaffen haben, Krise gedacht haben. Umso wichtiger ist, dass wir jetzt damit die Beschäftigten von heute im Strukturwandel die mit diesem Gesetz, mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz, Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. unseren Beitrag dazu leisten, dass die Arbeitnehmerinnen Herzlichen Dank. und Arbeitnehmer von heute durch Qualifizierung die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten an diese Phase müssen wir denken. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Pau: (B) der CDU/CSU) (D) Das Wort hat der Abgeordnete Martin Sichert für die Ich bin den Koalitionsfraktionen, aber auch dem gan- AfD-Fraktion. zen Bundestag sehr dankbar dafür, dass wir in diesen Zeiten, gerade in diesen Zeiten, dieses Gesetz beschlie- (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- ßen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn Ihre schöne Maske abgenommen? Die Im Einzelnen geht es um verschiedene Elemente. Es hätten Sie doch auflassen können!) geht darum, dass wir das, was wir mit dem Qualifizie- rungschancengesetz verbunden haben, nämlich die Un- terstützung von Unternehmen und Beschäftigten im Martin Sichert (AfD): Strukturwandel, was Investitionen in Weiterbildung be- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein gutes trifft, massiv verstärken. Wir wissen doch aus der Auto- Gesetz definiert sich dadurch, dass es relevante Heraus- mobilindustrie, wenn es zum Beispiel um neue Antriebe forderungen löst. Sie legen mitten in der Wirtschaftskrise oder um Digitalisierung geht, wie wichtig es ist, dass wir ein Gesetz vor, mit dem Unmengen an Geld für Leute dafür sorgen, dass die Beschäftigten nicht den Anschluss ausgegeben wird, die nicht in der Lage oder nicht willens verlieren. Es geht um veränderte Regeln zu Transferge- sind, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. sellschaften. Wenn Arbeitsplätze abgebaut werden, wol- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: len wir die Transfergesellschaften stärker zur Qualifizie- Die Krise ist noch gar nicht zu Ende, und Sie rung nutzen. Und ja, wir wollen Kurzarbeit besser mit hetzen schon wieder wie vorher!) Qualifizieren verbinden. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das schon vorher hingekriegt; dann wären wir jetzt Ihr Gesetz ist ein gigantisches Beschäftigungsprogramm in der Lage, Qualifizierung und Kurzarbeit besser zu ver- für Sozialpädagogen. binden. Aber es ist gut, dass wir auch dieses Instrument heute geschaffen haben. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN) der CDU/CSU) Wenn das, wie Sie behaupten, die Arbeit von morgen sein Meine Damen und Herren, in diesem Gesetzentwurf soll, dann gute Nacht, Deutschland! Sie schreiben: Junge steckt auch etwas drin, worüber seit Jahren diskutiert Menschen sind förderungsberechtigt, die ihren Wohnsitz wurde, etwas, das ich sehr wichtig finde: der Rechtsan- und ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb von spruch auf die Finanzierung des Nachholens eines Be- Deutschland haben. Diese Förderung umfasst sozialpäda- rufsabschlusses. Wir dürfen gerade in dieser Zeit nicht gogische Betreuung, Maßnahmen zur Stabilisierung des 19372 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Martin Sichert (A) Berufsausbildungsverhältnisses, Angebote zum Abbau Die Sozialpädagogen und Genderforscher, die werden (C) von Bildungs- und Sprachdefiziten. – Auf gut Deutsch: Deutschland nicht retten. Es sind die Handwerker, die Für Ausländer, die eine miserable Bildung und kaum Arbeiter, die Ingenieure, die Mittelständler, die das Rück- Deutschkenntnisse haben, im Leben nicht zurechtkom- grat unseres Wohlstands bilden. men und mit der Arbeitsmentalität in Deutschland ein Problem haben, wollen Sie eine Menge Steuergeld aus- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) geben. Viele dieser Leistungsträger verlieren gerade ihre Exis- tenz, auch weil sie wegen der hohen Steuer- und Abga- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wo benlast überhaupt nicht in der Lage waren, irgendwelche leben Sie denn? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ Rücklagen zu bilden. Für Sie sind diese Leistungsträger DIE GRÜNEN]: Nichts als Hetze! Nur Hetze!) nur Melkkühe. Bestes Beispiel dafür ist auch wieder das Sie gehen sogar noch weiter: Jeder, der selbstverschul- Kurzarbeitergeld. Jene in der freien Wirtschaft bekom- det keine Berufsausbildung aufnimmt oder in der Ar- men 60 Prozent, Beschäftigte im öffentlichen Dienst beitswelt keinen Fuß auf den Boden bekommt, soll künf- 95 Prozent. Statt Probleme zu lösen, schaffen Sie ständig tig eine staatlich finanzierte Individualseelsorge durch nur neue Ungerechtigkeiten. einen Sozialpädagogen erhalten. Der fleißige Arbeiter, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Angestellte oder Selbstständige soll dafür bezahlen, dass GRÜNEN]: Er hat nichts verstanden! – Steffi andere selbstverschuldet den Hintern nicht hochbekom- Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lü- men. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. gen, die Sie hier verbreiten! Lügen und Hetze!) (Beifall bei der AfD – Peter Weiß [Emmendin- Einen positiven Punkt haben Sie aber im Gesetz: gen] [CDU/CSU]: Wir kämpfen seit Jahren da- Bürger können sich künftig elektronisch arbeitslos mel- für!) den. Ich weiß, es muss ein großer Schritt gewesen sein für – Ja, Sie kämpfen seit Jahren dafür. Aber haben wir denn eine Regierung in einem Land, in dem die Meldung von keine anderen Probleme im Land? Wir stecken in einer Coranaerkrankungen immer noch per Fax erfolgt. der größten Wirtschaftskrisen der Geschichte, die durch Deutschlands Verwaltung muss viel digitaler, viel unbü- Ihre verfehlte Politik verursacht wurde. rokratischer und viel bürgerfreundlicher werden. (Zuruf des Abg. [CDU/CSU]) ( [SPD]: Sie müssen ver- nünftig werden!) Obwohl schon vor über einem Monat anhand der Daten Denn Stand jetzt gilt: Wäre der Staat ein Unternehmen im (B) aus Ländern wie Taiwan ersichtlich war, dass man mit Wettbewerb, wäre er aufgrund der massiven Bürokratie (D) strikten Einreisekontrollen, und rückschrittlichen Technik, mit der in vielen Ämtern (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gearbeitet wird, längst vom Markt verdrängt worden. In Das waren die deutschen Touristen bei der Ein- diesem Sinne: Schaffen Sie einen schlanken – – reise!) Vizepräsidentin Petra Pau: ausreichender Mundschutzproduktion im Land und dem Tragen von Mundschutz das Virus stoppen kann, haben Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage oder Be- Sie sich dafür entschieden, stattdessen die deutsche Wirt- merkung aus der SPD-Fraktion? schaft lahmzulegen. Während in Taiwan bis heute nur sechs Menschen wegen Corona starben und die Wirt- Martin Sichert (AfD): schaft die ganze Zeit läuft, verursacht Ihre Politik Tau- Ja. sende Tote und Hunderttausende vernichtete Existenzen. (Marianne Schieder [SPD]: Das ist eine Unver- Rainer Spiering (SPD): schämtheit! Schämen Sie sich für so einen Ich habe mich zu der Frage entschlossen, weil ich Mist!) anders als Sie aus dem Hochschulwesen komme. Ich bin Oberstudienrat an einer berufsbildenden Schule und Zahllose Hochqualifizierte werden arbeitslos, und Ihr habe 30 Jahre junge Menschen ausgebildet. Haben Sie Gesetz macht nichts für diese Leistungsträger, sondern nur annähernd eine Vorstellung, wie viel junge Menschen es sorgt für weitere Belastungen. mit Migrationshintergrund in Deutschland in den letzten 30 Jahren dieses System am Leben gehalten haben? Wie Es ist nicht gerecht, dass der Einzelne die Hälfte seines können Sie eigentlich mit einer derartigen Infamie über jährlichen Einkommens mit dem Staate teilen muss. – diese jungen Menschen bar jeder Kenntnis sprechen? Diese Erkenntnis hatte schon Friedrich der Große. Sie sind in Ihrem Umgang mit Steuergeldern rückschrittli- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- cher als ein absolutistischer Monarch von vor 250 Jahren. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Stephan Pilsinger [CDU/CSU]: Der hat auch Ausländer nach Deutschland geholt zum Ar- Martin Sichert (AfD): beiten!) Wie können Sie hier Äpfel mit Birnen vergleichen? Im Darüber sollten Sie einfach mal nachdenken. Gesetz steht – ich zitiere extra noch einmal für Sie –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19373

Martin Sichert (A) ... junge Menschen [sind] förderungsberechtigt, die Antje Lezius (CDU/CSU): (C) ... ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufent- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen halt außerhalb und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sichert, zu Ihrer Rede habe ich nur einen Satz: Ich emp- – außerhalb! - fehle Ihnen dringend, eine qualifizierte Weiterbildung zu von Deutschland haben … machen. (Antje Lezius [CDU/CSU]: Die hier in (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Deutschland arbeiten! – Peter Weiß [Emmen- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE dingen] [CDU/CSU]: Vollständig lesen!) GRÜNEN) Es geht hier nicht um die Migranten, die seit 30 Jahren Derzeit richtet sich unser aller Hauptfokus auf die Be- hier leben, die gut integriert sind, die Teil dieser Leis- wältigung der Coronapandemie – zu Recht. Auch der tungsgesellschaft sind, sondern es geht darum, dass wir vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet notwendige An- als Staat und dass die Regierung hier ständig Geld ausgibt passungen für die Zeit, in der Beschäftigung in Kurz- für Leute aus dem Ausland, und das mit dem hart ver- arbeit verbreitet ist und Betriebsräte nicht zusammen- dienten Geld der deutschen Steuerzahler, kommen können. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, die zahlen hier Beiträge!) Im Kern jedoch geht es in diesem Gesetzentwurf um die richtigen Antworten auf den Strukturwandel, eine die überhaupt nicht wissen, woher sie noch irgendwelche Frage, die zum Glück nicht unsere Gesundheit betrifft, Rücklagen bilden sollen. Das ist der Skandal an dieser aber unseren Arbeitsmarkt und unseren Wohlstand. Dass Stelle, und das ist das, was auch in diesem Gesetz wieder Wirtschaft, Ausbildung und Beschäftigung einem steti- eine völlig falsche Lenkungswirkung hat. gen Wandel unterzogen sind, ist nicht neu. Die Ge- schwindigkeit, mit der dies geschieht, nimmt jedoch im- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mer stärker zu, gerade auch, weil sich der technische Lügen! Sie verbreiten einfach Lügen im Deut- Fortschritt beschleunigt. Technologiezyklen werden im- schen Bundestag! – Peter Weiß [Emmendin- mer kürzer. Gleichzeitig verändern sich Tätigkeiten im- gen] [CDU/CSU]: Die arbeiten in Deutschland mer schneller. Studien ergeben, dass zwei Drittel der und zahlen Sozialversicherungsbeiträge!) Arbeitnehmer ihre Kompetenzen fortdauernd anpassen – Ich habe Sie auch lieb; aber wenn Sie etwas sagen müssen, um auch künftig auf dem Arbeitsmarkt erfolg- wollen, machen Sie doch eine Zwischenfrage. reich tätig sein zu können. Schon heute arbeitet nur knapp (B) jeder zweite junge Erwerbstätige mit dualer Ausbildung (D) In diesem Sinne fasse ich alles noch einmal kurz zu- noch im erlernten Beruf. Die Arbeitswelt wandelt sich. sammen: Wir werden viele neue Tätigkeitsfelder, nicht jedoch we- (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Bitte nicht!) niger Arbeit haben. Dadurch liegt es in unser aller Hand, diesen Wandel positiv zu gestalten. Schaffen Sie bitte einen schlanken, digitalisierten Staat; aber hören Sie auf, Betriebliche Weiterbildung ist Sache der Arbeitgeber. (Kai Whittaker [CDU/CSU]: Hören Sie auf!) Jedes Jahr wird hierfür ein zweistelliger Milliardenbetrag aufgewendet. Dies ist gut und richtig so. Die Unterneh- ständig mit unnötigen Förderungsmaßnahmen neue Be- men wissen am besten, was in den Betrieben an Fach- lastungen für die Steuerzahler einzuführen. wissen benötigt wird. Neben der betrieblichen Weiterbil- Vielen Dank. dung sind jedoch auch weiterführende Aus- und Weiterbildungen und die Erlangung neuer Kompetenzen (Beifall bei der AfD – Peter Weiß [Emmendin- notwendig. Wir können, sollten und dürfen es uns als gen] [CDU/CSU]: Eine Rede gegen die deut- Volkswirtschaft nicht leisten, diese Maßnahmen erst dann schen Arbeiter, gegen die deutschen Azubis! anzugehen, wenn Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist Nein! – Martin Sichert [AfD]: Frau Präsiden- oder sich sogar verfestigt hat. tin, ich möchte Sie bitten, zu rügen, dass ich von der Regierungsbank als „Primat“ bezeich- Durch den vorliegenden Gesetzentwurf sollen weitere net worden bin!) zielgerichtete Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht und so die langfristige Beschäftigungsfähigkeit gesichert werden. Der Gesetzentwurf beinhaltet höhere Zuschüsse, Vizepräsidentin Petra Pau: wenn ein größerer Teil der Beschäftigten eines Betriebes Ich werde schauen, welche Bemerkung von der Regie- einer Anpassung der beruflichen Kompetenz bedarf. Er rungsbank gemacht wurde. Ich mache darauf aufmerk- vereinfacht das Antrags- und Bewilligungsverfahren zur sam, dass es nicht üblich ist, von der Regierungsbank Förderung der beruflichen Weiterbildung für Arbeitgeber Zwischenrufe zu machen. Sollte es inhaltlich noch etwas und Beschäftigte. Er verbessert die Qualifizierungsmög- zu bemerken geben, werde ich das nachreichen. lichkeiten in einer Transfergesellschaft und fördert die Jetzt hat das Wort die Kollegin Antje Lezius aus der Qualifizierung aller Beschäftigten, unabhängig von Alter CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön. und bisheriger Qualifikation. Geringqualifizierte, die be- sonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind, erhal- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Anspruch auf Förderung einer berufsabschlussbezo- 19374 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Antje Lezius (A) genen Weiterbildung. Auch die Ausbildungsförderung tal tagen dürfen, in dieser Krise umso dringender (C) wird weiter gestärkt. abgeschafft gehört, weil die Betriebsräte kurzfristig über Kurzarbeit entscheiden müssen. Während sich der Ar- Welche Ziele leiten uns dabei? Wichtig ist, dass Be- beitsminister noch einen Monat lang über Arbeitsrechtler schäftigte in den von Strukturwandel, Digitalisierung und in diesem Land beschwert und gesagt hat, diese sollten Automatisierung betroffenen Branchen bereits frühzeitig sich bitte nicht so anstellen, hat er jetzt ein Einsehen ge- Förderungsangebote wahrnehmen können, Personen oh- habt. Hier schaffen wir eine überfällige Modernisierung; ne abgeschlossene Berufsausbildung mehr lernen, verdie- denn Deutschland ist auch in der Krise ein Rechtsstaat, nen und auch sicherer beschäftigt werden können, Aus- und genau dieser muss seine Handlungsfähigkeit bewei- zubildende noch besser unterstützt werden können. sen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuhöre- rinnen und Zuhörer, meine erste Weiterbildung habe ich (Beifall bei der FDP) vor 35 Jahren absolviert, meinen Betriebswirt mit Ende Was allerdings weniger überzeugend ist, ist, dass Sie 40 abgelegt, meine Ausbildung zum Executive Coach vor das nur bis zum Ende des Jahres befristen. fünf Jahren abgeschlossen. Wenn ich also sage: „Ja, ler- nen ist oft anstrengend, Neues ist oft anstrengend, Unbe- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE kanntes ist oft anstrengend“, dann weiß ich, wovon ich GRÜNEN]: Das war richtig!) spreche. Aber sowohl persönlich als auch fachlich bin ich Wir kommen nach der Krise ja nicht in die analoge Zeit davon überzeugt, dass lebensbegleitendes Lernen wichtig zurück. Richtig wäre es, sich jetzt zu fragen, wo wir über- für unsere Volkswirtschaft, aber auch wertvoll für jeden all digitalisieren können. Einzelnen ist. Die Digitalisierung fordert uns hier, indem sie neue Kompetenzen verlangt; aber sie schafft auch (Beifall bei der FDP) neue, großartige Möglichkeiten, ist selbst ein hilfreiches Instrument, etwa durch digitale Lernplattformen. Denn in dieser Krise zeigt sich, dass ganz viel möglich ist, was angeblich gar nicht möglich war. Menschen kön- Wir müssen Weiterbildung umfassender denken. Wir nen sich digital arbeitslos melden. Sie können digital ihr brauchen eine Kultur der Weiterbildung. Der Gesetzent- Hochzeitsaufgebot bestellen. Sie können jetzt alle wurf ist hierbei ein weiterer wichtiger Schritt in die rich- möglichen Behördengänge von zu Hause erledigen, was tige Richtung. vorher angeblich nicht ging. Deshalb sollten wir grund- sätzlich alle Schriftformerfordernisse, alle Vorspracheer- Herzlichen Dank. fordernisse aus den Gesetzen tilgen und ein digitales Zeit- alter auch bei den Bürgerämtern einläuten. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Richtig ist, dass Sie endlich auch die digitale Arbeits- Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel für die FDP- losmeldung in das Gesetz schreiben. Falsch ist, dabei Fraktion. stehen zu bleiben; denn ein digitaler Behördengang macht noch kein digitales Bürgeramt. Da wollen wir nach (Beifall bei der FDP) der Krise mehr sehen.

Johannes Vogel (Olpe) (FDP): (Beifall bei der FDP) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Minute noch ein paar Worte zum ur- Herr Sichert, ich glaube, Sie brauchen in erster Linie eine sprünglichen Zweck des Gesetzes. In der Tat glaube Weiterbildung zu diesem Gesetzentwurf; denn wenn Sie ich, dass diese Krise für eine Beschleunigung der digita- die Änderungen, die im Laufe der Woche vorgenommen len Transformation sorgen wird. Ja, wir sind auch der wurden, gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, dass sich Meinung: Es ist richtig, jedem und jeder das Versprechen dieser Gesetzentwurf an ganz vielen Stellen natürlich um zu geben, durch Weiterbildung gut teilhaben zu können. diese Krise kümmert, und das auch zu Recht, meine sehr Deshalb unterstützen wir ausdrücklich, dass Sie hier vo- verehrten Damen und Herren von der Koalition. So weit rangehen mit diesem Gesetz. Wir haben schon das Qua- volle Zustimmung! lifizierungschancengesetz unterstützt. Es ist auch zum Beispiel richtig, dass es jetzt einen Rechtsanspruch auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Nachholen eines Berufsabschlusses gibt. bei Abgeordneten der SPD) – Applaus von der Koalition bekomme ich auch nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, der immer. – Dieses Gesetz schafft zum Beispiel neue Hinzu- Bundesagentur für Arbeit hier eine Aufgabe zu geben. verdienstmöglichkeiten für Kurzarbeiter, die richtig sind Aber falsch ist, bei der Bundesagentur für Arbeit stehen und über die wir hier schon lange gesprochen haben. zu bleiben. Die Haltung „Wir haben eine neue Heraus- Dieses Gesetz sorgt für einige überfällige Digitalisierun- forderung; dann rufen wir nach einer Behörde“ ist zu gen, die in dieser Krise relevant sind. wenig, lieber Bundesminister Heil. Was wir brauchen, ist ein großer Wurf, eine echte nationale Weiterbildungs- Ich habe schon am 12. März hier im Deutschen Bun- strategie. Warum nicht neue Instrumente schaffen wie ein destag darauf hingewiesen, dass zum Beispiel der Ana- Freiraumkonto, mit dem die Bürger, steuerlich gefördert, chronismus, dass Betriebsräte gar nicht rechtssicher digi- ganz einfach Bildungssparen betreiben können? Warum Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19375

Johannes Vogel (Olpe) (A) nicht endlich ein Midlife-BAföG einführen, zu dem wir (Beifall bei der LINKEN) (C) Ihnen ein konkretes Konzept vorgelegt haben? und im Anschluss das von uns geforderte Arbeitslosen- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, da geld Plus. Das wäre eine gute Absicherung in so werden wir nach der Krise mehr sehen müssen, um wirk- schweren Zeiten. lich zu einem großen Wurf bei der Weiterbildung und (Beifall bei der LINKEN) dem lebenslangen Lernen, zu einem echten zweiten Bil- dungssystem zu kommen. Genauso wichtig ist es, die Weiterbildung zu stärken. Corona bringt eine Rezession. Der Klimawandel bleibt Vielen Dank. ganz oben auf der Agenda, und die Digitalisierung schrei- (Beifall bei der FDP) tet voran. All das ist eine Riesenherausforderung für die Beschäftigten. Doch die Bundesregierung hängt die Hür- den für das Recht auf Weiterbildung so hoch, dass die Vizepräsidentin Petra Pau: wenigsten davon profitieren werden. Das wird dem Ernst Für die Fraktion Die Linke hat nun die Abgeordnete der Lage nicht gerecht. Hier müssen Sie dringend nach- Sabine Zimmermann das Wort. bessern. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Wir wollen einen echten Rechtsanspruch auf Weiter- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- bildung und ein Weiterbildungsgeld, 90 Prozent vom ren! Die Coronapandemie trifft uns alle hart. Die Wirt- letzten Netto; denn Weiterbildung muss sich finanziell schaft bricht ein. Die Kurzarbeit erreicht Rekordhöhen. rechnen. Das wäre ein richtiges Signal. Die Arbeitslosigkeit wird steigen. Corona konnte nie- (Beifall bei der LINKEN) mand vorhersagen. Aber, meine Damen und Herren der Bundesregierung, damit können Sie sich nicht herausre- Wir fordern ein Transformationskurzarbeitergeld, ver- den; denn dass es irgendwann wieder einmal eine Wirt- bunden mit einem Rechtsanspruch auf Qualifizierung, schaftskrise gibt, das ist im Kapitalismus sehr wohl vor- bei dem der Betriebsrat mitbestimmt. hersehbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ( [CDU/CSU]: Im real exis- Denn wir wollen die Transformation aktiv gestalten: tierenden Sozialismus wohl nicht! Das ist dort mehr Mitbestimmung in den Betrieben, mehr Regeln Dauerzustand! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: für gute Arbeit und mehr Tarifbindung. Nach dem Bezug (B) Dafür haben wir ja die Sozialversicherung!) von Transformationskurzarbeitergeld, aber auch grund- (D) Man muss nicht den Anlass oder den Zeitpunkt kennen, sätzlich nach jedem Kurzarbeitergeld wollen wir be- um sich darauf angemessen vorzubereiten. Wenn Sie ein- triebsbedingte Kündigungen ausschließen. Nur so kann mal politische Ökonomie gehabt hätten, würden Sie das es gehen, meine Damen und Herren. wissen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zum Schluss: In der Finanzkrise 2009 wurden die Ver- Deshalb haben wir die Senkung des Arbeitslosenversi- luste vergesellschaftet und die Gewinne privatisiert. Das cherungsbeitrages abgelehnt. Deshalb haben wir eine hö- darf es in dieser Krise nicht wieder geben. here Rücklage für die Bundesagentur für Arbeit gefor- (Beifall bei der LINKEN) dert, für genau solche Zeiten. Nicht die Schwächsten, sondern die Starken müssen die (Beifall bei der LINKEN) Lasten tragen. Dafür wird Die Linke weiterhin kämpfen. Jetzt gilt es, die Rezession zu begrenzen und die wirt- Danke. schaftliche Transformation unabhängig von Corona ar- beitsmarktpolitisch abzufedern. Die Linke fordert: Die (Beifall bei der LINKEN) Arbeitslosenversicherung muss wieder gestärkt werden. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Wir wollen ein höheres Arbeitslosengeld: 68 Prozent Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. vom letzten Netto. In diesem Monat dürfte eine Viertel- million Menschen arbeitslos geworden sein. Sie erwarten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu Recht, dass das Arbeitslosengeld ihren Lebensstan- dard sichert. Also: Rauf mit dem Arbeitslosengeld, meine Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Damen und Herren! DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Das WZB, das Wissenschaftszentrum Berlin Viele haben aber nicht einmal Anspruch darauf oder ha- für Sozialforschung, hat kürzlich einen Text unter der ben nur für kurze Zeit Anspruch. Deshalb muss man Überschrift veröffentlicht: „Die COVID-19-Krise nut- dauerhaft das Arbeitslosengeld leichter und länger bezie- zen: Es ist Zeit für eine Arbeitsversicherung“. Das Zent- hen können rum hat recht. Wir müssen noch einmal grundsätzlich 19376 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) über die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversiche- cken. Deswegen müssen wir auch über strukturelle Maß- (C) rung nachdenken. Wir Grüne haben einen Antrag zum nahmen nachdenken. vorliegenden Gesetzentwurf gestellt, mit dem Ziel, die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weiterzuentwickeln. Darin fordern wir zum Beispiel ei- Das jetzt Genannte betrifft Punkte, die wir nicht auf nen besseren Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversi- einmal hinbekommen. Es ist eher ein umfangreiches Pro- cherung für Selbstständige. Wenn Selbstständige schon gramm, das über längere Zeit läuft. Mitglied in der Arbeitslosenversicherung wären, wären sie jetzt besser abgesichert. Ich glaube, es ist eine wich- Aber zum Schluss äußere ich noch einen konkreten tige Folgerung aus der Krise, dass wir im Nachhinein Vorschlag, wie wir in der jetzigen Zeit die Weiterbildung schauen, wie wir Selbstständigen es besser ermöglichen, stärken können. Wir sollten – das hat der Herr Minister sich freiwillig in der Arbeitslosenversicherung zu versi- eben schon gesagt – schauen, dass wir Kurzarbeit und chern. Weiterbildung stärker miteinander verknüpfen. Dafür braucht es technische Voraussetzungen; die müssen noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geschaffen werden. Der zweite Punkt unseres Antrags ist: Auch arbeitslose Aber wir sollten auch darüber nachdenken, ob wir die Beschäftigte, die Beiträge in die Arbeitslosenversiche- Idee des Weiterbildungsgeldes nicht schon kurzfristig rung zahlen, sollen einen leichteren Zugang zum Arbeits- umsetzen können, indem wir bei Menschen, die Arbeits- losengeld I bekommen, nicht erst nach zwölf Monaten losengeld I, Arbeitslosengeld II oder Kurzarbeitergeld Beitragszahlung, sondern schon früher, nach vier Mona- beziehen, wenn sie sich weiterbilden wollen und an Wei- ten, dann allerdings für eine verkürzte Zeit. Das wäre terbildungsmaßnahmen teilnehmen, einen Aufschlag von schnell machbar. Wenn diese Leute jetzt nicht in das 200 Euro zahlen. Dadurch würde die Nachfrage nach Arbeitslosengeld II rutschen, sondern Arbeitslosengeld I Weiterbildung steigen. bekommen würden, würde das den Menschen helfen und gleichzeitig die Jobcenter entlasten. Das wäre schon Vizepräsidentin Petra Pau: kurzfristig machbar. Kollege Strengmann, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Aber im Kern geht es sowohl im Gesetzentwurf als DIE GRÜNEN): auch in unserem Antrag darum, die zentralen Zukunfts- Dann müsste man auf der Angebotsseite noch etwas herausforderungen anzugehen. Bereits in dieser Krise an machen. Das könnte einen Schub auch für die Weiterbil- (B) die Arbeit für morgen zu denken, ist wichtig. Wir unter- dung jetzt in der Krise bringen. Das ist zum Schluss noch (D) stützen das, was der Gesetzentwurf enthält, genauso wie einmal ein konkreter Vorschlag. wir das Qualifizierungschancengesetz unterstützt haben. Aber wir müssen ein Jahr nach der Einführung des Qua- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. lifizierungschancengesetzes sagen: So richtig läuft es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch nicht. Deswegen sind die Nachbesserungen richtig, die darin enthaltenen Maßnahmen noch nachzuschärfen. Auch die anderen Maßnahmen im Gesetzentwurf sind Vizepräsidentin Petra Pau: überwiegend richtig; aber aus unserer Sicht reicht das Das Wort hat Dr. Martin Rosemann für die SPD-Frak- nicht. Wir müssen viel grundsätzlicher darüber nachden- tion. ken, wenn es um das Thema Weiterbildung geht. (Beifall bei der SPD) Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbil- dung; das ist eine zentrale Forderung. Dr. Martin Rosemann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Das Sozialstaatskonzept der SPD hat zwei Das darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern das zentrale Begriffe, das Recht auf Arbeit und der Sozial- muss mit der Möglichkeit unterlegt werden, sich freistel- staat als Partner. Das ist ein großer Anspruch, und der len zu lassen, mit der Möglichkeit von Weiterbildungs- Anspruch beweist sich als Allererstes in der Krise. Wir teilzeit und mit einer besseren sozialen Absicherung in merken auch in dieser Krise: Kurzarbeit ist eines der den Weiterbildungsphasen. Auch das ist ein ganz wichti- zentralen Instrumente, um diesen Anspruch einzulösen, ger Punkt, damit sich auch die Menschen mit geringem um Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitslosigkeit zu ver- Einkommen Weiterbildung leisten können. Solche Maß- hindern. Deswegen haben wir die Kurzarbeit erleichtert nahmen fehlen noch in dem Gesetzentwurf. und flexibilisiert, und wir flexibilisieren das Instrument mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz noch einmal. Im Er- Ebenso ist wichtig, dass wir über Strukturen neu nach- gebnis sichert somit Kurzarbeit in dieser Krise Beschäf- denken. Wir fordern deswegen in unserem Antrag, dass tigung und Einkommen für rund 4 Millionen Männer und es neben Arbeitsagenturen auch Bildungsagenturen als Frauen und ihre Familien. zentrale Anlaufstellen für die Weiterbildung gibt, wo die Menschen sich dann einfach zur Weiterbildung bera- (Beifall bei der SPD) ten lassen können, um zu wissen, wie sie sich fördern Ich will in diesem Zusammenhang im Namen meiner lassen können, weil viele da jetzt noch nicht durchbli- Fraktion auch deutlich sagen: Es ist ein wichtiges Zei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19377

Dr. Martin Rosemann (A) chen, dass gestern im Koalitionsausschuss die Aufsto- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) ckung des Kurzarbeitergeldes verabredet worden ist. Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die Das ist vor allem für die Beschäftigten wichtig, die nur CDU/CSU-Fraktion. geringe Einkommen haben und bei denen die Arbeitgeber nicht in der Lage sind, das aus eigener Kraft aufzusto- (Beifall bei der CDU/CSU) cken. Das ist eine wichtige soziale Leistung, ein wichti- ger sozialer Fortschritt, meine Damen und Herren. Stephan Stracke (CDU/CSU): Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men und Herren! Die abschließenden Beratungen des der CDU/CSU) vorliegenden Gesetzentwurfs waren eigentlich schon Das heißt ganz konkret: Sozialstaat als Partner, der das vor einem Monat angesetzt. Aber dann kam die Corona- Recht auf Arbeit sichert. krise mit voller Wucht, und wir haben hier im Parlament auch ein sehr wuchtiges Maßnahmenpaket geschaffen Was in der Krise gilt, das gilt erst recht im Struktur- und auf den Weg gebracht, um die Ausbreitung des Co- wandel. Mehrere Vorrednerinnen und Vorredner haben ronavirus in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und natür- schon darauf hingewiesen, dass die Coronakrise die He- lich auch im Gesundheitssystem entsprechend abzumil- rausforderungen durch die Digitalisierung und den tech- dern. nologischen Wandel eher noch beschleunigen wird. Die- ser Strukturwandel wird mit aller Macht auf die Betriebe Natürlich ist Corona auch in der heutigen Debatte all- und ihre Beschäftigten zukommen. Entscheidend wird gegenwärtig. Wir erleichtern deshalb beispielsweise sein, dass wir die richtigen Instrumente haben, die für Bestimmungen unter anderem im Betriebsverfassungs- die Herausforderungen in unterschiedlichen Branchen gesetz, damit Betriebsräte auch per Video- oder Telefon- flexibel genug sind und die vor allem sicherstellen, dass konferenz tagen können. Damit tragen wir den derzeiti- jede und jeder Beschäftigte die Unterstützung bekommt, gen Schwierigkeiten von Präsenzsitzungen angesichts die er oder sie im Wandel braucht. der Coronapandemie Rechnung und sorgen auch für Rechtssicherheit. Mit der vollständigen Freistellung von Ganz konkret geht es darum, sicherzustellen, dass die Minijobs in systemrelevanten Branchen und Berufen Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen schaffen wir weitere Hinzuverdienstmöglichkeiten. können, und Weiterbildung ist der Schlüssel dazu, meine Der Koalitionsausschuss hat sich gestern auf weitere, Damen und Herren. bis Ende dieses Jahres befristete Änderungen verständigt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die wir aber erst in einem späteren Gesetzgebungsver- fahren umsetzen werden. So werden die Erleichterungen (B) (D) Deshalb stärken wir mit dem Arbeit-von-Morgen-Ge- beim Hinzuverdienst neben Kurzarbeitergeld künftig auf setz heute die Weiterbildung an unterschiedlichen Stel- alle Berufe erstreckt. Bisher profitieren davon nur die len: Wir stärken die Weiterbildung in der Kurzarbeit und Berufe, die systemrelevant sind. in Transfergesellschaften. Wir schaffen einen Rechtsan- spruch auf die Förderung beim Nachholen eines Berufs- Das Kurzarbeitergeld hilft Unternehmen, anhaltende abschlusses für Geringqualifizierte, und vor allem stär- Auftragsflauten zu überbrücken und dabei so weit wie ken wir die Unterstützung von Beschäftigten bei der irgend möglich die Beschäftigten im Betrieb zu halten. Weiterbildung. Wir öffnen die Förderung der Bundes- Deswegen ist unser Fokus richtig, auf Kurzarbeit und das agentur für Arbeit für hochschulische Inhalte, wir erhö- Kurzarbeitergeld zu setzen. Wir wollen, dass bei einem hen die Kostensätze, die notwendig sind, damit die Qua- Arbeitsausfall von mindestens 50 Prozent das Kurzarbei- lität der Weiterbildung stimmt. Wir vereinfachen die tergeld je nach Dauer in zwei Stufen auf bis zu 80 bzw. Antragstellung, wir reduzieren die für die Förderung er- 87 Prozent angehoben wird. Damit unterstützen wir vor forderliche Stundenzahl. Vor allem erhöhen wir die För- allem diejenigen, die mit niedrigen Einkommen jetzt dersätze, wenn ganze Teile von Belegschaften von Wei- durch die Krise besonders belastet sind. Das ist keine terbildung profitieren sollen. pauschale Erhöhung, sondern eine, die nicht wie aus der Gießkanne wirkt und somit vor allem denjenigen zugute- Schließlich, meine Damen und Herren, stärken wir mit kommt, die Kurzarbeit null haben. diesem Gesetz die Sozialpartnerschaft bei der Organisa- tion von Weiterbildung in den Betrieben, indem wir dort Das Arbeitslosengeld wird für Menschen, die sonst in Zuschläge einführen, wo es Betriebsvereinbarungen zur das Hartz-IV-System fallen, um drei Monate verlängert, Weiterbildung gibt oder wo Tarifverträge zur Weiterbil- weil die Vermittlungsbemühungen durch die Arbeits- dung gelten; denn wir wissen, dass dieser große Trans- agenturen aufgrund des Gesundheitsschutzes derzeit sehr formationsprozess nur von den Arbeitgebern und ihren eingeschränkt sind. Beschäftigten gemeinsam bewältigt werden kann. Alles das sind wichtige Änderungen, die die Einkom- Wir wollen weiterhin daran arbeiten, dass der Sozial- menssituation der betroffenen Menschen gerade in staat als Partner an der Seite der Beschäftigten und ihrer schwierigen Zeiten verbessern. Unternehmen steht. Folgendes sei ganz am Rande erwähnt: Die Corona- Herzlichen Dank. krise führt auch dazu, dass wir längst überfällige Ent- wicklungen im Arbeitsmarkt letztendlich beschleunigen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Notgedrungen nimmt das Thema Flexibilität in der Ar- Lezius [CDU/CSU]) beitsgestaltung einen höheren Stellenwert ein, und diese 19378 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Stephan Stracke (A) Lösungen bleiben sicherlich auch in der Zukunft beste- schen in Weiterbildung qualifiziert werden können. Mit (C) hen. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, hier beispiels- der Möglichkeit der Überschreitung der durchschnittli- weise die Weiterentwicklung des Arbeitszeitrechtes chen Kostensätze schaffen wir eine höhere Flexibilität ebenfalls noch in Angriff zu nehmen. und einen größeren Entscheidungsspielraum für die fach- kundigen Stellen. Bereits vor der Coronakrise gab es im verarbeitenden Gewerbe, insbesondere in der Automobilindustrie und Und was uns als Union besonders wichtig ist: Kleine bei den Zulieferern, schwerwiegende wirtschaftliche Pro- und mittlere Betriebe erhalten einen besseren Zugang zu bleme angesichts der zunehmenden Digitalisierung und Förderleistungen bei Weiterbildungen und Arbeitsent- Dekarbonisierung. Im Zuge des Klimawandels stecken gelt, gerade dann, wenn der betriebliche Anpassungsbe- viele Betriebe mitten in einem strukturellen Umbruch. darf nicht wie bisher bei 25 Prozent, sondern lediglich bei Hier gibt es erheblichen Anpassungsbedarf. Wir unter- 10 Prozent liegt. stützen die Unternehmen und Beschäftigten dabei so gut wie möglich. Der Schlüssel liegt in Innovation, der Insgesamt ein Gesetzentwurf, der ausgewogen ist, der Schlüssel liegt in technischem Fortschritt, in Kreativität gut ist und der den Blick auf die Zukunft richtet. Ich bitte und neuen Ideen. Eine gute Basis hierfür bieten Weiter- um Zustimmung. bildung und Qualifizierung der Beschäftigten. Herzliches Dankeschön. Wir wissen: Weiterbildung und Qualifizierung schüt- (Beifall bei der CDU/CSU) zen am besten vor Arbeitslosigkeit und Fachkräfteman- gel. Wir wollen sicherstellen, dass die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen leisten können. Des- Vizepräsidentin Petra Pau: wegen haben wir jetzt ein ganzes Bündel an Maßnahmen Ich schließe die Aussprache. geschnürt, um die bestehenden arbeitsmarktpolitischen Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- Instrumente weiterzuentwickeln und insbesondere um tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent- das Qualifizierungschancengesetz, das wir am 1. Januar wurf zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im 2019 in Kraft gesetzt haben, gangfähiger zu machen und Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbil- so die Weiterbildung zu erleichtern. dungsförderung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales Der Gesetzentwurf enthält Verbesserungen der Weiter- empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung bildungsförderung der Beschäftigten, die Einführung von auf Drucksache 19/18753, den Gesetzentwurf der Frak- Sammelanträgen in der Förderpraxis, die Änderung bei tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/17740 der Zulassung von Maßnahmen im Bereich der Arbeits- in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- (B) förderung und der Grundsicherung für Arbeitsuchende gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- (D) und auch eine Erhöhung der durchschnittlichen Kosten- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die sätze, um Qualität entsprechend abbilden zu können. Die Koalitionsfraktionen, die FDP-Fraktion und die Fraktion Schaffung eines Rechtsanspruches auf Förderung des Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Wer Nachholens eines Berufsabschlusses ist richtig, um den enthält sich? – Das sind die Fraktionen der AfD und der Einstieg in qualifizierte Arbeit zu erleichtern. Linken. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Und: Wir fördern auch diejenigen, die Grenzgänger sind. Wenn hier beispielsweise vonseiten der AfD ange- Dritte Beratung merkt wird, dass das etwas sei, was Ausländern zugute- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem käme, und Verschleuderung von Beitragsmitteln bedeute, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – dann ist dies falsch. Denn diejenigen, die wir fördern, Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? – arbeiten in Deutschland, zahlen hier entsprechend ihre Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- Steuern und auch ihre Abgaben – etwas, was Deutschland fraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bünd- nutzt, und nicht, was Deutschland schadet; deswegen ma- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der AfD-Fraktion und chen wir das. der Fraktion Die Linke angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Wir sind noch beim Zusatzpunkt 13 a. Abstimmung bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für SES 90/DIE GRÜNEN) Arbeit und Soziales zu dem von der Bundesregierung Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erwei- eingebrachten gleichlautenden Gesetzentwurf. Der Aus- tern die Förderung der beruflichen Qualifizierung der Be- schuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buch- schäftigten in Transfergesellschaften, und damit schaffen stabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache wir auch einen guten Start ins Berufsleben, was alles 19/18753, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf andere als einfach ist, gerade dann, wenn Arbeitsplätze Drucksache 19/18076 für erledigt zu erklären. Wer in Gefahr stehen. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Enthält sich ein Abge- Im parlamentarischen Verfahren haben wir jetzt noch ordneter? – Das ist auch nicht der Fall. Die Beschluss- weitere Verbesserungen des Gesetzentwurfs auf den Weg empfehlung ist einstimmig angenommen. gebracht. Mit der Reduzierung der Mindestdauer der Weiterbildungsmaßnahmen von 160 auf 120 Stunden Zusatzpunkt 13 b. Wir setzen die Abstimmung zu der schaffen wir mehr Beschäftigung und dass mehr Men- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19379

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Soziales auf Drucksache 19/18753 fort. Unter Buchsta- Drucksache 19/17285 (C) be c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/17753 mit Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- dem Titel „Berufliche Weiterbildung stärken – Weiterbil- ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) dungsgeld einführen“. Wer stimmt für diese Beschluss- Drucksache 19/18751 empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dage- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der gen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Die AfD vor. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfeh- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- lung ist angenommen. schlossen. Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An- Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. trags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/16456 mit dem Titel „Arbeit in der Transformation zukunftsfest (Beifall bei der CDU/CSU) machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- Karsten Möring (CDU/CSU): Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zunächst eine kurze persönliche Bemerkung: Ich bedan- Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ke mich bei meinem Kollegen Loos, der mit mir eben die Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Rednerreihenfolge getauscht hat, obwohl der Wirt- nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache schaftsausschuss federführend ist, weil ich am Ende die- 19/15046 mit dem Titel „Arbeitslosenversicherung stär- ser Sitzung ein extremes Zeitproblem mit dem Weiter- ken – Arbeitslosengeld verbessern“. Wer stimmt für diese fahren habe. Danke schön! Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die Zur Sache selbst. Wir haben heute die zweite und dritte AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt dage- Lesung eines sehr wichtigen Gesetzes, das seine Wich- gen? – Die Fraktion Die Linke. Wer enthält sich? – Die tigkeit aber nicht primär aus dem Bereich der Geologie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfeh- oder der Wirtschaft, sondern aufgrund seiner Bedeutung lung ist angenommen. für das Standortauswahlverfahren für das Endlager be- kommt. Vor diesem Hintergrund bedaure ich es sehr, dass Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe f die Grünen angekündigt haben, den sogenannten großen seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags (B) Kompromiss zum Thema Endlagersuche aufzukündigen. (D) der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/15047 mit Ich hoffe nicht, dass es dabei bleibt. dem Titel „Arbeitslosenversicherung stärken – Arbeits- losengeld Plus einführen“. Wer stimmt für diese Be- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die NEN]: Wir? – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die Fraktion Bünd- DIE GRÜNEN]: Das wart ihr, nicht wir! Aber nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion hallo! – [BÜNDNIS 90/DIE Die Linke. Enthält sich jemand? – Das ist nicht der Fall. GRÜNEN]: Das ist ja wohl eine Unverschämt- Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der heit!) Fraktion Die Linke bei Zustimmung aller anderen Frak- tionen angenommen. – Pardon, pardon, pardon! Sie haben erklärt, es zu tun, wir nicht. Darauf bezog ich mich. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache NEN]: Sie tun es! – Steffi Lemke [BÜND- 19/17522 mit dem Titel „Arbeitslosenversicherung zur NIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil ihr nichts vorge- Arbeitsversicherung weiterentwickeln“. Wer stimmt für legt habt, was zustimmungsfähig ist! – Oliver diese Beschlussempfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer stimmt da- Möring, das geht aber jetzt gut los hier!) gegen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ent- Ich bedaure, dass wir nicht zu einem Kompromisser- hält sich? – Die Fraktion Die Linke. Die Beschlussemp- gebnis gekommen sind, fehlung ist angenommen. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Steht doch wenigstens dazu, dass ihr es nicht wolltet! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- DIE GRÜNEN]: Karsten, jetzt reicht es!) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur staatlichen geologischen Landesaufnahme möchte aber begründen, woran das liegt und warum ich sowie zur Übermittlung, Sicherung und öf- der Auffassung bin, dass wir trotzdem ein Gesetz ge- fentlichen Bereitstellung geologischer Daten macht haben, das maximale Transparenz bei der Stand- und zur Zurverfügungstellung geologischer ortsuche erreicht. Unser Leitgedanke ist die maximal Daten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben mögliche Transparenz, und deswegen können wir auch (Geologiedatengesetz – GeolDG) den Änderungsanträgen der FDP im Ausschuss nicht fol- 19380 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Karsten Möring (A) gen, die diese Transparenz nicht als primäres Leitmotiv terstützen, diese Maßnahmen begleiten zu können, und (C) akzeptieren. haben eine finanzielle Zuwendung vorgeschlagen. Da muss noch Feinarbeit geleistet werden. Zunächst einmal (Christian Dürr [FDP]: Sie haben schon unse- ist hier also ein Prüfauftrag an die Ministerien ergangen, ren Antrag gelesen, oder?) wie man das finanzieren kann. Gleichwohl haben wir ein entscheidendes Problem zu lösen gehabt, und das ist das Problem zwischen dem Alles das bringt mich zu dem Ergebnis, Sie zu bitten, Privateigentum an Daten und dem öffentlichen Anspruch diesem Gesetz zuzustimmen und damit eine transparente der Nutzung dieser Daten. In der Abwägung dieser bei- Suche nach einem Atommüllendlagerstandort auf den den Fragen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es Weg zu bringen. Den ersten Schritt machen wir im für den Eigentümer von Daten zum Zweck des Standort- Herbst, aber es ist nicht der letzte. Und für alle weiteren auswahlverfahrens hinnehmbar sein muss, dass seine Da- Schritte gilt, dass dann in der Tat alle Daten zugänglich ten öffentlich gemacht werden. Andere Daten, die nicht sind und nicht nur die, die jetzt für die Frage entschei- diesen Bezug haben, bleiben auf andere Weise geschützt. dungsrelevant sind, ob ein Gebiet wegen fehlender Eig- Gleichwohl sind auch sie in erheblichem Umfang öffent- nung ausgeschlossen oder seine Eignung weiter geprüft lich. wird. Um nur einmal die Dimension der Zahlen aufzuzeigen, Ich hoffe, wir kommen heute zu einer guten Entschei- um die es dabei geht: Es gibt in Deutschland ungefähr dung. 16 000 Bohrungen. Bis auf 400 sind diese Daten öffent- lich. Das Problem, das uns und die Grünen hier auseinan- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dergetrieben hat, bezieht sich praktisch nur auf die erste NEN]: Ich fürchte, nicht!) Phase, nämlich auf den Zwischenbericht, der im Herbst Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. vorgestellt werden muss; denn für alle Daten, die für die BGE bei der Standortauswahl notwendig und entschei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dungserheblich sind, gilt: Die sind öffentlich. des Abg. Timon Gremmels [SPD] – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Das ist ein maximales Maß an Öffentlichkeit. Die Er- Leute klatschen! – Gegenruf von der CDU/ wartung, die darüber hinausgeht, dass man auch die Da- CSU: Krischer, das reicht! – Sylvia Kotting- ten öffentlich macht, die nicht für diese Entscheidung Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die erheblich sind oder benötigt werden, kollidiert mit dem CDU/CSU gewandt: Hauptsache, Sie stimmen berechtigten Interesse der privaten Dateninhaber, und da alle zu!) (B) ist eine verfassungsrechtliche Abwägung notwendig zwi- (D) schen dem, was man machen kann, und dem, was man nicht mehr machen kann. Diesen Grat haben wir bis aufs Vizepräsidentin Petra Pau: Letzte ausgelotet und sind zu dem Ergebnis gekommen, Das Wort hat der Abgeordnete Leif-Erik Holm für die wie es vorliegt. AfD-Fraktion. Die Vorstellung der Grünen war geleitet von etwas (Beifall bei der AfD) anderem, nämlich davon, durch Fristenfestlegung zu sa- gen: Alle Daten, die älter sind als …, sind auf jeden Fall öffentlich. – Diese Entscheidung, die dann wirklich ins Leif-Erik Holm (AfD): Privateigentum in einem Maße eingreift, das nicht mehr Sehr geehrte Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen durch das Standortauswahlverfahren gedeckt ist, können und Herren! Ich bin wirklich gespannt, wie und wann wir nicht mitmachen. dieses Gesetzes jemals in Kraft treten wird. Wir merken es hier ja schon: Die Positionen sind extrem weit aufge- Das ist unser Problem gewesen. Die Lösung, die wir spannt. Die Grünen haben angekündigt, das so nicht mit- jetzt gefunden haben – das hat auch innerhalb der Koali- machen zu wollen, und auch wir werden diesem Entwurf tion durchaus zu intensiven Gesprächen zwischen den nicht zustimmen, obwohl wir grundsätzlich ein modernes Vertretern der Wirtschaftsseite und den Vertretern der Geologiedatengesetz befürworten. Aber wir glauben, Umweltseite geführt –, der Kompromiss, den wir intern dass die Korrekturen, die jetzt ins Gesetzgebungsverfah- gefunden haben, ist, glaube ich, für ein transparentes ren eingebracht wurden, immer noch massiv in die Ei- Auswahlverfahren ganz wesentlich und hilfreich. Wer gentumsrechte der betroffenen Unternehmen eingreifen. darüber hinaus sagt: „Das reicht uns aber noch nicht“, Das wollen wir nicht, und wir glauben auch nicht, dass der muss auch die Frage beantworten, ob er es verant- das Bestand haben wird. worten möchte, trotz dieser weitgehenden Transparenz, die wir hier in diesem Gesetz stehen haben, das Verfahren (Beifall bei der AfD) aufzuhalten und die öffentliche Einsehbarkeit der Daten auf der Basis dieses Gesetzes so weit zu verzögern, dass Genau diese Eingriffe haben ja auch die Experten in für die Prüfung des Zwischenberichts nur wenig Zeit vor- der Anhörung kritisiert. Es gab große Zweifel daran, dass handen ist oder eine solche Prüfung nur im Nachhinein das Gesetz verfassungskonform sein würde. Wir sehen funktionieren kann. diese Probleme nach wie vor nicht behoben. Das Gesetz darf nicht dazu führen, dass viele Unternehmen ihren Ein Satz zur Entschließung, die die Koalition vorgelegt teuer erworbenen Wissensschatz verlieren und damit fak- hat. Selbstverständlich wollen wir die Länder dabei un- tisch teilenteignet werden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19381

Leif-Erik Holm (A) Man muss sich das wirklich einmal vorstellen: Eine Meine Damen und Herren, eines zum Schluss: Sie (C) Firma investiert aufwendig, betreibt Bohrungen, um ex- wollen möglichst viel Transparenz bei der Endlagersuche klusive Erkenntnisse über den Boden zu gewinnen und herstellen, und das ist ja auch eine gute Idee. Nur, aus damit natürlich auch Geld zu verdienen, und dann kommt unserer Sicht ist die naiv. Wir erleben das ja auch jetzt in der Staat und sagt: Du hast da interessante Informationen. der Diskussion: Die Grünen wettern jetzt schon gegen Gib mal her! Die Öffentlichkeit interessiert das auch. – den Entwurf. Es ist doch klar – für mich jedenfalls ist Das ist wirklich schwierig. So, meine Damen und Herren, es klar –: Die Antikernkraftlobby in diesem Land wird kann es nicht gehen. sich dadurch sicherlich nicht besänftigen und schon gar nicht überzeugen lassen. Das wird sicherlich ein Wunsch- (Beifall bei der AfD) traum bleiben. Es handelt sich um wertvolle private Daten; die sind das Danke schön. Kapital dieser Firmen. Wenn Sie diesen Unternehmen ihren selbst erarbeiteten Vorsprung nehmen, dann werden (Beifall bei der AfD) die ihr Geschäftsmodell überdenken müssen; dann wer- den in Zukunft eben keine Erkundungen mehr in Angriff Vizepräsidentin Petra Pau: genommen, wird nicht mehr investiert. Das schädigt das Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Timon Vertrauen und wäre mit Sicherheit nicht der Weg zu Gremmels das Wort. Wachstum und mehr Beschäftigung. Hinzu kommt, dass der Bund wieder einmal eine Men- (Beifall bei der SPD) ge Bürokratiekosten schafft. Der Erfüllungsaufwand liegt geschätzt bei einer guten Million Euro. „Entbürokratisie- Timon Gremmels (SPD): rung“ ist hier also auch wieder nur eine Worthülse der Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Regierung. Tatsächlich passiert das Gegenteil, und das Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf des Geologieda- ausgerechnet in einer schwierigen Zeit, in der die Wirt- tengesetzes wird endlich das vorkonzeptionelle Lager- schaft jede Entlastung mehr als dringend bräuchte. Das stättengesetz von 1934 ersetzt. Es wird ein moderner halten wir für den falschen Weg. Gesetzentwurf vorgelegt, durch den uns Erkenntnisse über die Geologie, über die Daten zum Untergrund und Noch einmal zum Thema Endlager. Ja, es ist tatsäch- über dessen Nutzbarmachung ermöglicht werden. Das ist lich eine schwierige Abwägung zwischen dem öffentlich- ein wichtiger Gesetzentwurf und ein großer Fortschritt em Interesse und dem Geheimhaltungsbedürfnis der Un- für viele Bereiche. ternehmen. Nur schaffen, wie gesagt, Ihre bisherigen (B) Änderungen am Entwurf unserer Meinung nach da kei- Bei Bau- und Infrastrukturprojekten können nun alle (D) nen ausgewogenen Ausgleich. Ein Expertengremium, Beteiligten bereits vor dem Beginn der jeweiligen Pro- das die Notwendigkeit der Veröffentlichung von privaten jekte und Maßnahmen wichtige geologische Daten ein- Daten beurteilen soll, wird nicht ausreichen, damit das sehen. Hier können immense Ressourcen gespart werden, Gesetz verfassungskonform wird. und es ist naturschonend und nachhaltig, wenn dort, wo bereits Daten vorliegen, die für alle zugänglich sind, auf (Timon Gremmels [SPD]: Natürlich!) Bohrungen und andere Arbeiten verzichtet werden kann. Es gab einen Vorschlag, für den wir durchaus Sympa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) thie hatten: von Professor Rossi. In der Anhörung hat er Wichtig sind die Daten auch für die Land- und Forst- genau das angesprochen: ein abgestuftes Verfahren, mit wirtschaft sowie für die Wasserwirtschaft – um nur einige dem wir vorgehen könnten, also erst sozusagen per Aus- Bereiche zu nennen. Ich finde, bei aller Diskussion sollte schlussverfahren horizontal und vertikal Standorte auszu- man auch diesen Aspekt dieses Gesetzentwurfs betonen. schließen, die nicht infrage kommen, und dann die weni- Er wird aus meiner Sicht in der öffentlichen Debatte gen übriggebliebenen Standorte tatsächlich näher zu immer zu sehr auf die Frage der Endlagersuche verkürzt. untersuchen und da gegebenenfalls verhältnismäßig – die Verhältnismäßigkeit ist das Entscheidende – einzu- Ja, auch für die Endlagersuche ist das ein wichtiger greifen, wenn es denn wirklich notwendig sein sollte. Baustein, ein wichtiger Gesetzentwurf und eine wichtige Grundlage. Wir haben sehr intensiv miteinander disku- Vielleicht auch dies noch: Wenn wir schon über ein tiert und auch gerungen. Das sage ich auch für die SPD Endlager diskutieren, müssen wir heute immer die Alter- ganz deutlich. nativen mit auf dem Schirm haben; denn diese Alternati- ven kommen langsam. Ich habe das in der ersten Lesung Ehrlich gesagt – das sage ich auch zu meinem Kollegen schon angesprochen: Es ist durchaus anzunehmen, dass Möring, den ich sehr schätze – glaube ich, wir sollten uns wir ein solches Endlager in einigen Jahren vielleicht gar jetzt nicht gegenseitig unterstellen – weder wir den Grü- nicht mehr brauchen; denn die Stimmen mehren sich, nen noch die Grünen uns –, dass wir an dem Endlager- dass moderne Verfahren – Stichwort: Transmutation – kompromiss irgendeine Schraube drehen oder irgendein oder moderne Reaktortypen es möglich machen, auch Jota davon abweichen. Das tun wir nicht. Wir stehen da- die Reststoffe noch zu verwerten. zu! Wir stehen zum Endlagersuchverfahren, das verein- bart worden ist. Das sage ich ganz klar und deutlich, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Seit Sie hier sind, mehren sich die Stim- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karsten men, ja!) Möring [CDU/CSU]) 19382 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Timon Gremmels (A) und ich bitte, dass wir uns nicht gegenseitig unterstellen, Vielen Dank und Glück auf! (C) das nicht zu tun. Das sage ich auch in Richtung Frau Kotting-Uhl, die das ja bei der dpa getan hat. Ich finde, (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: das ist nicht legitim. So, und jetzt mal zu den Fakten!)

Wir hatten hier in der Tat eine schwere Abwägung zu Vizepräsidentin Petra Pau: treffen. Wir wollen ja ein Gesetz machen, das am Ende des Tages auch vor dem Bundesverfassungsgericht stand- Das Wort hat Dr. Marcel Klinge für die FDP-Fraktion. hält. Deswegen, finde ich, sollten wir uns hier die Mühe (Beifall bei der FDP) machen, Abwägungen zu treffen und Kompromisse zu suchen, und nicht immer sagen: Das wird Karlsruhe am Dr. Marcel Klinge (FDP): Ende des Tages richten. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Wir haben hier einen Weg gefunden und gesagt: Es Damen! Meine Herren! Der vorgelegte Gesetzentwurf gibt wirtschaftliche Interessen derer – das hat die Anhö- zeigt einmal mehr, dass der Großen Koalition das Gespür rung auch gezeigt –, die die Daten erhoben haben. Das ist für die Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft, nämlich nach Artikel 14 Grundgesetz auch geschützt. Natürlich für den Schutz von privatem Eigentum, Rechtssicherheit spielt das Allgemeinwohl eine sehr große Rolle, und und faire Wettbewerbsbedingungen, verloren gegangen das ist auch gut so. Wir müssen aber auch gucken, dass ist. bei der Abwägung auch die berechtigten Interessen der Firmen zur Geltung kommen. (Beifall bei der FDP) Sie hatten die Aufgabe und immerhin drei Jahre dafür Wir haben jetzt etwas geschaffen, was, glaube ich, sehr Zeit, eine vernünftige Balance zwischen einem transpa- sinnvoll ist. Wir haben einen Datenraum gefunden, in renten Auswahlverfahren für die Atommüllendlagersu- dem bestimmte Daten von unabhängigen Experten, die che einerseits und den berechtigten Interessen der deut- vom Nationalen Begleitgremium benannt werden, einge- schen Bergbauindustrie andererseits zu finden. Dieser sehen werden können. Damit wird auf der einen Seite Versuch ist, wie ich finde, gründlich danebengegangen. eine gewisse Öffentlichkeit hergestellt, zum anderen wer- den die Daten aber auch geschützt. Wir reden hier von (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Timon einer Größenordnung von höchstens bis zu 5 Prozent der Gremmels [SPD]) entsprechenden Daten. Ich glaube, das ist ein sinnvoller Weg. Lassen Sie mich das an drei Punkten illustrieren. (B) Ich möchte daran erinnern, dass es das Nationale Be- Erstens. Sie starten mit Ihrem Gesetzentwurf einen (D) gleitgremium war, das in seiner Empfehlung an den Bun- Frontalangriff auf die Eigentumsrechte privater Bergbau- destag vom 19. September 2019 auf Seite 5 unter Punkt 5 unternehmen, Herr Kollege. Sie wollen nämlich, dass der gesagt hat: Staat auf faktisch alle Forschungsdaten und damit auf vertrauliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vollum- Das NBG drängt darauf, einen Weg zu finden, damit fänglich zugreifen kann. Dabei ist dieser Rundumschlag auch diese im Ausnahmefall geschützten Daten ein- gar nicht notwendig; denn viele Informationen sind für gesehen und deren Auswertung im Standortaus- die Endlagersuche nicht ausschlaggebend. wahlverfahren durch die Vorhabenträgerin BGE auf Antrag kontrolliert werden können. Hierzu Ich möchte Sie daran erinnern: Ihre eigene Behörde, könnte(n) ein unabhängiges vereidigtes Vertrauens- die Bundesgesellschaft für Endlagerung, verweist zum gremium oder vereidigte Vertrauenspersonen einge- Beispiel darauf, dass Geologiedaten, die bis zu einer Tie- setzt werden. fe von 300 Metern ermittelt wurden, hier überhaupt nicht von Relevanz sind. Wir haben hier genau so etwas vorgeschlagen. Wir haben ein solches Gremium eingeführt – genau so, wie (Christian Dürr [FDP]: Aha!) es das Nationale Begleitgremium will –, das diese sensib- Und daher frage ich Sie: Warum wollen Sie diese Infor- len Daten, die wirklich nur einen Bruchteil ausmachen, mationen eigentlich weiterhin erheben und veröffentli- einsehen kann. chen? Ich finde, das ist nicht nachvollziehbar. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wenn die Bun- (Beifall bei der FDP) desländer aus legitimem Interesse andere Dinge fordern, haben wir in unserem föderalen System einen ganz ein- Zweitens. Mit Ihrem Gesetzentwurf schwächen Sie die fachen Weg. Wenn der Bundesrat in seiner Mehrheit sagt, Wettbewerbsfähigkeit unserer Bergbauunternehmen. er könne dem Gesetz nicht folgen, dann wird der Ver- Diese haben in den vergangenen Jahrzehnten in Deutsch- mittlungsausschuss angerufen, und dann beschäftigt sich land milliardenschwere Investitionen getätigt – und das der Vermittlungsausschuss damit. Das ist aus meiner im legitimen Vertrauen darauf, dass ihre Geschäftsge- Sicht ein gangbarer Weg. heimnisse staatlich geschützt bleiben. Genau an dieser Stelle wollen Sie diese Daten jetzt für jedermann ins Ich glaube, dass wir Ihnen hier heute als Große Koali- Schaufenster stellen. Das ist doch geradezu eine Einla- tion einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der zu Recht dung für die ausländische Konkurrenz, die Situation für als Informationsfreiheitsgesetz gewertet werden darf. sich auszunutzen. Mit kluger Standortpolitik hat das auf Dies ist ein großer Fortschritt. jeden Fall nichts zu tun. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19383

Dr. Marcel Klinge (A) (Beifall bei der FDP) rung 1977, im selben Salzstock bei Gorleben das Atom- (C) müllendlager zu errichten, weil dieser Zipfel so schön in Drittens. Die Große Koalition arbeitet mit einem – ich die DDR hineinragte, dünn besiedelt war und man nicht würde sagen – sehr eigenwilligen Verständnis von Trans- mit Widerstand rechnete. Das war eine rein politische parenz. Meine Kritik zielt hier nicht nur auf Schwarz-Rot, Entscheidung. Bis 2012 wurde trotz des Wissens aus sondern auch auf die Kollegen der Grünen ab. der DDR dort weitergearbeitet. Erst dank des Widerstan- Die geschätzte Kollegin Kotting-Uhl hat hier bei der des im Wendland und der Veröffentlichung der Linken letzten Debatte zu diesem Thema ja in freundlich-lehrer- zum Methan im Salzstock wurde 2012 die Arbeit ge- haftem Ton noch mal ausgeführt, was ihr Verständnis von stoppt. Transparenz ist, und das dann, wie es sich für die Grünen gehört, für allgemeinverbindlich erklärt. Liebe Kollegin- Das Standortauswahlgesetz war ein Neustart, um nen und Kollegen, Transparenz heißt bei dieser wichtigen transparent und wissenschaftlich den besten Standort in Frage doch nicht, dass wir die Bürgerinnen und Bürger Deutschland zu finden. Ja, dafür sind Geodaten erforder- mit möglichst vielen Informationen zuschütten. lich. Aber während in Niedersachsen, in Thüringen, in Brandenburg diese Daten der Öffentlichkeit und den Be- (Christian Dürr [FDP]: Genau!) hörden zur Verfügung stehen, muss man woanders auf die Daten privater Firmen zurückgreifen. Deswegen ist das Wem, bitte, bringt die Suche nach der Nadel im Daten- Geologiedatengesetz der Rahmen, damit Firmen diese heuhaufen etwas? Daten herausgeben müssen. Gut so, sagt die Linke. (Beifall bei der FDP – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie ver- (Beifall bei der LINKEN) stehen nichts, was ich gesagt habe!) Dass jedoch die Firmendaten nach dem Desaster von Sinnvoller wäre es aus Sicht der FDP-Fraktion, wenn wir Gorleben nur Behörden und ausgewählten Personen zur uns hier auf die wirklich entscheidungsrelevanten Daten Verfügung stehen sollen, ist uns zu wenig. konzentrieren würden. Im Herbst 2020 sollen die Regionen für die erweiterte Qualität vor Quantität bei den Daten ist der bessere, Suche festgelegt werden; es soll festgelegt werden, wel- weil verständlichere Weg bei der Endlagerkommunika- che Standorte für das Atommülllager infrage kommen. tion. Aber frühestens im Juni wird dieses Gesetz verabschie- det. Als Techniker bin ich mir sicher: Eine Auswertung (Christian Dürr [FDP]: Sehr richtig!) der umfangreichen Firmendaten bis Herbst ist nicht mög- lich. Dann kann es passieren, dass ganze Bundesländer (B) Deswegen werden wir Freie Demokraten dem heutigen (D) Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns enthalten. wegen fehlender Datenbasis aus der Standortsuche he- Union und SPD haben bei diesem wichtigen Thema die rausfallen. Und gerade Bayern, das besonders vom große Chance vertan, Umweltschutz und wirtschaftliche Atomstrom profitierte und besonders viel Atommüll pro- Fairness in Einklang zu bringen. duzierte, könnte dann wegen der fehlenden Daten aus der Untersuchung herausfallen. So wäre das Verfahren mit (Beifall bei der FDP – Christian Kühn [Tübin- Transparenz und Offenheit von vornherein gescheitert. gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht Deswegen fordert die Linke die Verschiebung des es nicht um Umweltschutz, da geht es um End- Termins für die Festlegung der Standortregionen, an de- lagerung! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ nen gesucht wird. Nur so kann sichergestellt sein, dass DIE GRÜNEN]: Man merkt einfach, dass die alle Daten ausgewertet sind. beim Endlagersuchgesetz nicht dabei waren! Der Prozess fehlt denen! – Weiterer Zuruf (Beifall bei der LINKEN) vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat nichts Klar ist aber auch: Egal welche Region benannt wird, mit Umweltschutz zu tun!) sie wird ab dem Zeitpunkt der Benennung Nachteile ha- ben, sowohl bei der Ansiedlung von Industrie als auch im Vizepräsidentin Petra Pau: Tourismus und bei der Gewinnung von Fachkräften. Des- Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak- wegen ist es zwingend erforderlich, dass die Kompen- tion Die Linke. sations- und Ausgleichsmaßnahmen festgelegt sind, bevor die Regionen benannt werden. Das fordert die Lin- (Beifall bei der LINKEN) ke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie diesen Weg mitgehen, wird es möglich sein, den besten Ort für Ralph Lenkert (DIE LINKE): den Atommüll in Deutschland zu finden, akzeptiert und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- transparent. legen! Welche entscheidende Rolle geologische Daten spielen, liegt auf der Hand. Am 25. Juli 1969 explodierte Vielen Dank. bei Lenzen im heutigen Brandenburg – damals lag es (Beifall bei der LINKEN) einen Kilometer neben der Staatsgrenze der BRD zur DDR – ein Bohrturm. Die DDR hatte unter dem Salz- stock nach Erdgas gesucht und fand es im Salzstock, Vizepräsidentin Petra Pau: mit katastrophalen Folgen: ein Toter, sechs Verletzte, eine Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Woche brannte es. Trotzdem beschloss die Bundesregie- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. 19384 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und beim Abwägen zwischen Privatinteressen und öf- (C) fentlichem Interesse gewinnt keineswegs immer das Pri- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vatinteresse. Es gewinnt nicht beim Straßenbau, nicht bei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Flughäfen; in der Finanzkrise wurde die Enteignung von Das Standortauswahlgesetz haben wir in einem breiten Finanzinstituten zulässig. Und wer zählt die Menschen, Konsens von Bundesländern und Fraktionen im Bundes- die wegen des Kohleabbaus umgesiedelt wurden, ob sie tag beschlossen. Uns leiteten Kompromiss und Konsens, wollten oder nicht? weil wir wussten, dass ein politischer Konsens unver- Und jetzt, angesichts einer Aufgabe mit höchstem ge- zichtbar ist als Voraussetzung für den gesellschaftlichen sellschaftlichem Spaltungspotenzial, lassen Sie sich von Konsens, den wir brauchen, um die Endlagerung hoch- Wirtschaftslobbyisten den Schneid abkaufen. radioaktiven Mülls angehen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Un- Wir wussten um die Wichtigkeit absoluter Transparenz, glaublich!) um Bürgerinnen und Bürger für die Auswahl gewinnen Für die Anhörung luden Sie als Gegenpart zum Verfas- zu können. Wissenschaftsbasiertheit, Transparenz und sungsrechtler Wieland den Verwaltungsrechtler Rossi Partizipation wurden so zu den Schlüsselbegriffen des ein, der in gleicher Sache ein Rechtsgutachten für den Gesetzes. BDI und die Erdöl-, Bergbau- und Kaliwirtschaft erstellt Ihr Gesetzentwurf zur Veröffentlichung geologischer hatte. Daten, also Daten, die über die Auswahl von Standorten (Bernhard Loos [CDU/CSU]: Gar nicht wahr!) in der Endlagersuche entscheiden, genügt dem nicht. Den Blick dieser Wirtschaftsverbände haben Sie sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitgehend zu eigen gemacht. Eigene Kontrolle wird sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den Bürgerinnen und Bürgern nicht ermöglicht. Ihr Ge- Sie ignorieren einfachste Logiken. Entscheidungserheb- setzentwurf liefert nicht, was das Standortauswahlgesetz liche Daten sind für die Kommunen und die Bürgerinnen verlangt. Ebenso fatal: Sie missachten den Wert des Kon- und Bürger eben nicht nur die Daten, die sie in der End- senses von Parteien und Ländern und verlassen damit den lagersuche lassen, sondern auch die Daten, die dazu füh- Pfad breit getragener Entscheidungen bei der Endlager- ren, dass andere Regionen herausgenommen werden. suche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Möglicherweise hält nun der Bundesrat das Gesetz auf. (B) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ansonsten obliegt das Gelingen einer vergleichenden, er- (D) gebnisoffenen Endlagersuche dann dem Betreiber, der Und der Datenraum, Herr Gremmels, war vom Nationa- Behörde, dem Nationalen Begleitgremium und der Zivil- len Begleitgremium nicht für den jetzt vorgesehenen Auf- gesellschaft, wenn Politik an dieser Stelle versagt hat. gabenwust vorgeschlagen. (Timon Gremmels [SPD]: Quatsch!) Ich will Ihnen noch mal ein paar Stimmen aus der Anhörung im Wirtschaftsausschuss in Erinnerung brin- gen. Steffen Kanitz, Geschäftsführer der Bundesgesell- Vizepräsidentin Petra Pau: schaft für Endlagerung: Natürlich ist es von erheblicher Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. Relevanz, dass Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können, wie wir eigentlich zu Teilgebieten gekommen Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sind und ob das richtig ist, wie wir vorgegangen sind. – Es ist zu hoffen, dass der Geist der Endlagerkommis- Oder Klaus Töpfer: Wir müssen dahin kommen, dass sion und des Standortauswahlgesetzes dort präsenter Entscheidungen möglichst breit verstanden werden. – bleibt als hier bei der Koalition und in den Ministerien. Beide übrigens Mitglieder Ihrer Partei, Herr Möring, Herr Bareiß. – Und der Verfassungsrechtler Professor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wieland: Hier ist das Interesse der Allgemeinheit vor- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) rangig. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Wort hat der Kollege Bernhard Loos für die CDU/ sowie bei Abgeordneten der LINKEN – CSU-Fraktion. Dr. Marcel Klinge [FDP]: Interessante Aus- wahl!) (Beifall bei der CDU/CSU) Es geht im Kern um die Auslegung von Artikel 14 Grundgesetz, der das Eigentum des Einzelnen schützt, Bernhard Loos (CDU/CSU): aber eben nicht unbeschränkt. Absatz 1 Satz 2 besagt: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch den Kollegen! Wir debattieren heute ein Gesetz, dessen große Gesetzgeber bestimmt. – Er verfügt hier über politische Bedeutung sich für viele erst auf den zweiten Blick er- Gestaltungsfreiheit. schließt. Nur wenn die Beschaffenheit des geologischen Untergrunds in Deutschland bekannt ist, kann ein geeig- (Timon Gremmels [SPD]: Es darf aber nicht neter Standort für ein atomares Endlager mit bestmögli- entkernt werden!) cher Sicherheit gefunden werden. Damit aber die BGE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19385

Bernhard Loos (A) schon im Herbst den ersten Schritt gehen kann und be- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) stimmte Regionen Deutschlands ausschließen kann, NEN]: Was?) brauchen wir das Geologiedatengesetz jetzt rasch. Durch die in § 2 Absatz 5 des Gesetzentwurfs vorge- sehene Länderöffnungsklausel für eine Bagatellgrenze Ich sage es gleich zu Beginn – ich hoffe, dass die wird der Bauwirtschaft Rechnung getragen, wie auch Bundesländer dies auch so sehen –: Wir im Deutschen den unterschiedlichen Bedürfnissen von Stadtstaaten Bundestag sind uns dieser zeitlichen Verantwortung be- und Flächenländern. wusst. Wir haben daher das Geologiedatengesetz trotz Coronakrise Weiter haben wir als Koalition zusätzliche Verbesse- rungen integriert: die Übernahme der Kosten in Höhe von (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Sie hatten drei Jahre 350 000 Euro für jedes Land für die Digitalisierung im für den Entwurf Zeit! Ich bitte Sie! Das mit der Wege einer Entschließung, die Festschreibung der Eva- Coronakrise in Verbindung zu bringen, ist ja luierung nach vier Jahren im Gesetzestext und die Beizie- lächerlich!) hung von fünf externen beauftragten wissenschaftlichen Sachverständigen für die Arbeit des Nationalen Begleit- unter Berücksichtigung einiger Änderungswünsche aus gremiums. den Ländern zur zweiten und dritten Lesung gebracht. Wir erwarten aber auch, dass die Länder Wünschen des Ich möchte noch ein Wort zu den Vorstellungen der Bundestages, die zu mehr Rechtssicherheit führen, zu- Opposition sagen. Die Forderungen der Grünen, nach stimmen werden. Eine Verweigerung würde dazu führen, fünf Jahren alle Daten zu veröffentlichen, eine vorherige dass der ganze Fahrplan zur Endlagersuche schwieriger Anhörung des Unternehmens ins Ermessen zu stellen und würde. Das kann niemand wollen. keinen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, gehen aus unserer Sicht in die Richtung einer unangemessenen Ent- Insbesondere für die Veröffentlichung von Daten aus eignung. Geschäftsgeheimnisse durch eine Definition zu kommerziellen Erkundungen musste daher eine tragfähi- schützen, geht an der Realität vorbei; denn was öffentlich ge Rechtsgrundlage geschaffen werden. Daten und Ge- ist, wird natürlich auch genutzt. schäftsgeheimnisse gegen den Willen der Eigentümer öf- fentlich zu machen, ohne dass die Unternehmen Die FDP-Überlegungen gehen uns in die andere Rich- zumindest die Möglichkeit eines effektiven Rechtsweges tung viel zu weit, wobei man von ihr überhaupt sehr im Sinne eines Eilrechtsschutzverfahrens nach § 80 Ab- wenig gehört hat. Transparenz ist wichtig für die öffent- satz 5 Verwaltungsgerichtsordnung haben, verstieße aus liche Akzeptanz. unserer Sicht gegen das Grundgesetz. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Waren Sie gestern (B) im Wirtschaftsausschuss?) (D) Auch können nicht die Unternehmen das Risiko tra- gen, dass Gerichte überlastet sind und keine Eilentschei- Bei der AfD macht man sich nicht mal die Mühe – so dung rechtzeitig getroffen wurde. Daher haben wir jetzt ist mein Eindruck –, sich konkret inhaltlich mit dem in § 34 Absatz 3 des Gesetzentwurfs festgelegt, dass den Gesetz zu beschäftigen, sondern sie wollte die Bundesre- Unternehmen nach einer Anhörung sechs Wochen vor der gierung in einem ursprünglichen Entschließungsantrag öffentlichen Bereitstellung der Daten die Entscheidung einfach auffordern, „potenziell verfassungswidrige Be- mitzuteilen und zu begründen ist. Damit besteht die Mög- standteile“ zu entfernen. Welchen Paragrafen wollen Sie lichkeit der Inanspruchnahme eines Eilrechtsschutzver- konkret wie geändert haben? Das hätte mich natürlich fahrens nach § 80 Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung. interessiert. Wir schaffen heute einen Dreiklang aus Transparenz Zudem wird im neuen § 35 Absatz 2 des Gesetzent- und damit Akzeptanz, aus öffentlicher Geologiedatener- wurfs festgelegt, dass gerichtsstrittige Daten nach Ablauf fassung und damit moderner Rohstoffnutzung sowie aus der sechswöchigen Frist, sollte noch keine Entscheidung Rechtssicherheit und Eigentum. im Eilrechtsschutzverfahren vorliegen, vom Vorhaben- träger nach dem Standortauswahlgesetz in dem nach Ab- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. satz 3 und 5 neu einzurichtenden geschützten Datenraum einzustellen sind. Damit werden Eigentumsschutz und (Beifall bei der CDU/CSU) Transparenzinteresse effektiv ausgeglichen. Erst damit ist das Geologiedatengesetz aus unserer Sicht verfas- Vizepräsidentin Petra Pau: sungssicher. Diese Notwendigkeit hat auch die Anhörung Das Wort hat Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion. am 9. März gezeigt. Dies kommt allen Unternehmen glei- chermaßen zugute, nicht nur einzelnen Bereichen, wie (Beifall bei der SPD) dies bei der Tiefen-Ausnahmeregelung der Fall gewesen wäre. Dr. Nina Scheer (SPD): Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- Insofern kann ich einige überraschende Überlegungen legen! In der Tat erkenne ich in diesem Gesetzentwurf, der Grünen im Bundesrat nicht nachvollziehen, bestimm- den wir heute verabschieden, einen wichtigen Fortschritt te Unternehmen im Bereich zwischen über 100 Metern in puncto Standortauswahlverfahren. Da ich, wie alle bzw. unter 1 500 Metern zu privilegieren. Dies wider- Redner vor mir heute, wenig Zeit habe, möchte ich nicht spricht jeder Form von Transparenz, auf die Sie doch so die Dinge wiederholen, die schon vielfach gesagt wur- großen Wert legen. den. Es ist klar, was in dem Gesetzentwurf steht. Die 19386 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Dr. Nina Scheer (A) Kategorisierung der verschiedenen Datentypen ist erläu- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) tert worden. Kollegin Scheer, achten Sie auf die Zeit. Sie müssen zum Schluss kommen. Einzig und allein möchte ich hier doch noch mal die Kritik aufgreifen, die auch vonseiten der Opposition, ins- besondere vonseiten der Grünen, an diesen Gesetzent- Dr. Nina Scheer (SPD): wurf herangetragen wurde; denn ich erkenne darin ein Gut. Die drei Minuten sind schon um. – Jedenfalls: Es erhebliches Misstrauen gegenüber diesem Prozess. Ich handelt sich um wenige Prozent an Daten, die hier in will nicht von Aufkündigung des Prozesses sprechen, Rede stehen. Die hätten Sie angeblich mit veröffentlicht. aber von einem Misstrauensvotum. Dieses Misstrauen Das ist aber faktisch nicht der Fall. Insofern halte ich den ist genau das Gegenteil dessen, was wir alle doch im Zuge Vorhalt auch nicht für angebracht und bedaure, dass der des Standortauswahlprozesses wollen. Konsens aufgekündigt wurde. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Ich möchte noch mal ganz kurz qualifiziert darauf ein- gehen, was denn eigentlich an den Vorhalten dran ist. In (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard der Tat gibt es gewisse Daten, die noch nicht gleich alle Loos [CDU/CSU]) öffentlich sein werden. Das sind im Geologiedatengesetz, um es zu konkretisieren, die sogenannten Bewertungs- Vizepräsidentin Petra Pau: daten. Die machen nach Adam Riese 3 bis 5 Prozent aller Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Kol- Daten aus; die werden in der Tat noch nicht gleich öffent- legin Kotting-Uhl. lich sein. Aber da mit der großen Keule zu kommen und zu sagen, dass die Transparenz nicht gewahrt sei, dass da keine Öffentlichkeit stattfinde, Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte das nur GRÜNEN]: Nicht ausreichend!) ergänzen, nachdem Nina Scheer schon teilberichtet hat, was das Kompromissangebot war. ist insofern nicht gerechtfertigt, als dass alle Daten dem Nationalen Begleitgremium zur Verfügung stehen, auch Kompromiss heißt immer, dass man bis an die den Experten, die das Nationale Begleitgremium hinzu- Schmerzgrenze geht. Dazu waren wir bereit, weil für ziehen kann. Außerdem kann die Bundesgesellschaft für uns Grüne ein Kompromiss, ein Konsens, der eine mög- (B) Endlagerung dann noch entscheiden, und zwar unter lichst breite Zustimmung findet, der die Länder umfasst, (D) Rückgriff auf das Standortauswahlgesetz, wann der Fall sodass nicht die Drohung mit dem Vermittlungsausschuss eintritt, dass das öffentliche Interesse die privaten Interes- im Raum steht, und der auch hier breiter ist, als er es jetzt sen überwiegt. Also können sehr wohl auch im Rahmen tatsächlich sein wird, sehr wichtig war. Deswegen wären dieser übrigbleibenden paar Prozentpunkte noch Ent- wir bis an die Schmerzgrenze gegangen. scheidungen gefällt werden, und das pro Öffentlichkeit, pro öffentlichem Interesse, also dass weiter gehend ver- Das eine sind die Altdaten. Daten, die älter als 30 Jahre öffentlicht wird. sind, sind in der Tat was anderes als Daten, die 5 Jahre alt sind, was wir eigentlich für angemessen halten. Das war (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard weit entgegenkommend, wäre aber dynamisch gewesen. Loos [CDU/CSU]) Das heißt, es ginge nicht nur um Daten, die heute älter als 30 Jahre sind, sondern um Daten, die grundsätzlich älter Insofern halte ich es für absolut verfehlt, diesem Gesetz- als 30 Jahre sind. Im Verlauf der Zeit hätte das viel ein- entwurf diesen Malus zu unterstellen, wie er hier heute geholt. unterstellt wurde; von politischem Versagen und derglei- chen war ja die Rede. Das andere, was aber genauso wichtig ist, bezieht sich Ich möchte dann auch noch darauf eingehen, inwiefern auf die zweite Phase. Die zweite Phase der Standortaus- sich in den Alternativen, nämlich den Vorschlägen, die wahl ist um einiges entscheidender als die erste; denn da uns Dienstag früh, also vorgestern, um 8 Uhr in der Te- geht es bereits richtig zur Sache. Für diese zweite Phase lefonschalte unterbreitet wurden, in puncto Transparenz wollten wir eine Einfügung im Gesetz, und zwar gerade eine Verbesserung ausgedrückt hätte. So wie ich es ver- da, wo es um die Abwägung der Bundesgesellschaft für standen habe, wären die Grünen dazu bereit gewesen, den Endlagerung zwischen dem öffentlichen Interesse und Gesetzentwurf mit zu verabschieden, wenn wir eine Ver- dem privaten Interesse geht. Wir als Gesetzgeber wollten änderung vorgenommen hätten, die da lautet: Es gibt eine in das Gesetz hineinschreiben, dass ab der zweiten Phase Regelung für Altdaten. Diese Altdatenregelung wäre in davon auszugehen ist, dass hier das öffentliche Interesse der Tat ein Mehr an Veröffentlichung, weil dann nämlich überwiegt. Daten noch nach 30 Jahren, wenn sie schon lange nicht Das waren die beiden Änderungsvorschläge, die wir mehr in Nutzung sind – also sogenannte Altdaten –, zur gemacht haben und die Sie leider abgelehnt haben. Verfügung gestellt werden sollen. Ich frage mich wirk- lich: Ist der Umgang mit sogenannten Altdaten, die in der Tat jetzt nicht erfasst werden, dies wert? Die 3 bis 5 Pro- Vizepräsidentin Petra Pau: zent, die ich genannt habe, sind in den Altdaten enthalten. Sie haben das Wort zur Erwiderung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19387

(A) Dr. Nina Scheer (SPD): um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktio- (C) Ich muss dazu wirklich in der Sache erwidern; denn es nen. Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion und die ist nicht korrekt, wie Sie es darstellen. – Wenn unterstellt Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. wird, dass diese Daten, um die es geht, nur dann ver- öffentlicht werden könnten, wenn man eine solche Altda- (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber aus ver- tenregelung einfügen würde, ist das einfach falsch. Denn schiedenen Gründen!) es besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass in Abwägung Wer enthält sich? – Die FDP-Fraktion und die Fraktion des öffentlichen Interesses mit der Gesetzesfassung, wie Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- wir sie jetzt verabschieden, tatsächlich pro diese Daten tung angenommen. entschieden werden kann. Dritte Beratung Ich halte es im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem auch für gefährlich, hier im Bundestag zu unterstellen, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – dass das Gesetz so nicht auszulegen sei. Mit dieser Unter- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- stellung machen Sie auch Gesetzesmaterie; denn damit entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen geben Sie auch Auslegungsmaterial an die Hand. Inso- gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und der Fraktion fern finde ich das problematisch. Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion (Widerspruch der Abg. Sylvia Kotting-Uhl und der Fraktion Die Linke angenommen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksache 19/18751 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- NEN]) schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- – Nein. Das geht alles in Auslegungsmaterialien mit ein. empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die FDP-Frak- tion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer Die Interpretation, die hier in Rede steht, ist sehr stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – gewagt. Ich möchte dieser Interpretation entschieden ent- Die Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist gegentreten, da sie nämlich bedeutet, dass all die Mög- angenommen. lichkeiten, die im Gesetz stehen, die in öffentlicher Güterabwägung in Bezugnahme auf das Standortaus- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- wahlgesetz getroffen werden können, nicht gegeben sind. ßungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/18752. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- (B) – Nein, ich verlaufe mich überhaupt nicht. Ich konkreti- schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- (D) siere nur die Kritik, und ich weise sie zurück, weil sie fraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke einfach sachlich falsch ist. und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- men der AfD-Fraktion abgelehnt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Im Übrigen waren es nicht nur zwei Vorschläge. Es gab auch einen dritten Vorschlag, der gestern unterbreitet Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan wurde. Der dritte Vorschlag hätte eine Fristverlängerung Liebich, Fabio De Masi, Kerstin Kassner, weite- bedeutet. Wenn wir noch auf den letzten Metern diese rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dinge beschlossen hätten, hätte das möglicherweise zu Schutzschirm für Kommunen in der Corona- einer Verschlimmbesserung geführt. Insofern weise ich Krise die Kritik zurück. Im Interesse einer breitestmöglichen Transparenz möchte ich auch noch mal darauf hinweisen, Drucksache 19/18694 dass die Veröffentlichungsmöglichkeiten sehr wohl viel Überweisungsvorschlag: größer sind, als hier dargestellt. Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Vielen Dank. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Federführung strittig (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernhard Loos [CDU/CSU]) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- schlossen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ich schließe die Aussprache. Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall bei der LINKEN) desregierung eingebrachten Entwurf eines Geologieda- tengesetzes. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie Stefan Liebich (DIE LINKE): empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! auf Drucksache 19/18751, den Gesetzentwurf der Bun- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mir sicher, dass desregierung auf Drucksache 19/17285 in der Ausschuss- Sie alle einen engen und kurzen Draht zu den Regionen fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- haben, aus denen Sie kommen, zu den Städten und Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, meinden, zu den Landkreisen, dass Sie Gespräche mit 19388 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Stefan Liebich (A) den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern führen, viel- dung, dass in Dänemark keine Staatshilfen an Unterneh- (C) leicht selber Kommunalabgeordneter oder Vorsitzender men gezahlt werden, die Dividenden ausschütten oder Ihrer Partei vor Ort sind und deshalb wissen, was sich ihren Sitz in Steueroasen haben. im Moment mit Blick auf die Coronakrise in den Kom- munen zusammenbraut: Die Einnahmen sinken, die Aus- Aber es gibt noch einen anderen guten Grund. Der gaben steigen. Wenn wir eine Katastrophe verhindern dänische Finanzminister Nicolai Wammen hat in der letz- wollen, dann müssen wir jetzt sofort handeln. Dazu for- ten Woche gesagt: Setzen wir uns zum Jahresende zusam- dern wir Sie mit unserem Antrag auf. men, ziehen wir einen Strich und schauen, wie groß die Rechnung ist. Das, was Corona betrifft, wird die Regie- (Beifall bei der LINKEN) rung übernehmen, damit sich die Kommunen damit nicht Ich will ein Beispiel nennen. Ich habe vor einigen belasten müssen. – Und er hat auch gleich eine Verein- Tagen mit der Oberbürgermeisterin der schönen Wart- barung mit den Kommunen getroffen, nämlich eine Ga- burgstadt Eisenach, Katja Wolf, gesprochen. Katja Wolf rantie der Übernahme der außergewöhnlichen Covid-19- sagte mir, dass die Gewerbeeinnahmen in Eisenach um Ausgaben. Und er hat ausdrücklich davon abgeraten, dass 50 Prozent gesunken sind, weil im Moment eben logi- jetzt freiwillige Ausgaben reduziert werden. Das passiert scherweise kaum Gewerbe stattfindet, dass sie monatlich nämlich, wenn wir jetzt keine Lösung vorschlagen. Nico- 40 000 Euro – das ist viel für eine Stadt – an Einnahmen lai Wammen war vor seiner Zeit als Finanzminister Bür- aus der Tourismusförderabgabe, besser bekannt als Über- germeister von Aarhus. Da fällt uns was ein: Unser Fi- nachtungssteuer, verliert und dass das reale Konsequen- nanzminister war auch Bürgermeister, also sollte er zen hat: dass eine dringend notwendige Schulsanierung wissen, was in den Kommunen los ist. Ich finde, er sollte im Moment nicht möglich ist. genauso handeln. Sie und alle anderen Kommunen befürchten, dass die (Beifall bei der LINKEN) Ausgaben steigen werden; denn wenn die Arbeitslosig- keit ansteigen sollte, dann werden auf Dauer die Kosten Die Kommunen in Deutschland sind das Rückgrat un- der Unterkunft, also Heizung und Wohnen, für diejeni- serer Demokratie. Viele große Unternehmen beantragen gen, die sich das nicht leisten können, zum großen Teil in diesen Tagen Schutzschirme, und sie bekommen von den Kommunen übernommen werden müssen. Da- Schutzschirme. Aber ich finde, Eisenach und alle anderen mit können wir Eisenach und alle anderen Kommunen in Kommunen in Deutschland sollten uns mindestens so Deutschland nicht alleinlassen. wichtig sein wie beispielsweise die Lufthansa. Lassen wir sie nicht allein. (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) Ich habe gestern im Finanzausschuss nachgefragt, ob (Beifall bei der LINKEN) die Bundesregierung einen Schutzschirm für die Kom- munen plant. Die Antwort war Nein, und auch Alternati- Vizepräsidentin Petra Pau: ven waren leider nicht erkennbar. Sie dürfen jetzt aber Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege nicht auf Zeit spielen, sondern Sie müssen zügig handeln; Christian Haase das Wort. denn sonst hat das Konsequenzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Wir schlagen Ihnen mit unserem Antrag – deshalb haben wir auch die Debatte zu diesem Tagesordnungs- Christian Haase (CDU/CSU): punkt beantragt – fünf Punkte vor: Erstens. Bringen Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten endlich die Verhandlungen zur Lösung des Altschulden- Damen und Herren! Der schwedische Arzt Hans Rosling problems zu Ende. Zweitens. Legen Sie einen Solidar- beschrieb in seinem Buch „Factfulness“, wie er in den pakt III für strukturschwache Kommunen auf, um gleich- 80er-Jahren in Mosambik mit einer größeren Zahl von wertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu Todesfällen unbekannter Ursache konfrontiert war und sichern. Unterstützen Sie drittens die Länder mit Ergän- dem Bürgermeister ohne weitere Überlegung empfahl, zungszuweisungen. Setzen Sie viertens die vierteljährli- Straßensperren zu errichten, um die Ausbreitung der un- chen Abschlagszahlungen von Gewerbesteuern der Kom- bekannten Krankheit zu verhindern. Am nächsten Abend munen an den Bund aus. Und fünftens. Erarbeiten Sie fand Rosling rund 20 tote Frauen und Kinder am Ufer des einen Nachsorgeplan für all die Kosten, die jetzt durch nahegelegenen Sees. Es stellte sich heraus, dass die Men- die Entscheidung der Länder und des Bundes mit Blick schen, die zum Überleben darauf angewiesen waren, ihre auf Corona auf die Kommunen zukommen. Es muss auch Waren auf dem Markt zu verkaufen, wegen der Straßen- hier gelten: Wer bestellt, der bezahlt. sperre nicht den Bus, sondern Fischerboote als Transport- mittel ausgewählt hatten. Die überladenen Boote kenter- (Beifall bei der LINKEN) ten, und Frauen und Kinder, die nicht schwimmen Und wenn Ihnen unsere vielen tollen Ideen nicht ge- konnten, ertranken. fallen, dann können Sie gerne eigene entwickeln; aber wichtig ist im Moment, dass etwas vorgeschlagen wird. Die unbekannte Krankheit erwies sich kurz darauf als Ich bringe ein Beispiel: Mein Kollege Fabio de Masi hat eine Form der Lebensmittelvergiftung. Die Sorge vor in der letzten Woche gesagt, Deutschland müsse Dänisch einer Ansteckung, der Grund für die Straßensperre, war lernen. Er hat damit Bezug genommen auf die Entschei- also unnötig. Rosling schreibt: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19389

Christian Haase (A) Ich konnte kaum fassen, was ich angerichtet hatte. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Warum hatte ich zum Bürgermeister gesagt: „Sie NEN]: Jetzt!) müssen etwas unternehmen“? Steuerausfälle auf allen Ebenen, Mindereinnahmen im Ich stelle diese reale Geschichte voran, weil wir aktuell Kernhaushalt und bei städtischen Einrichtungen. Das mit immer mehr Forderungen, etwas zu unternehmen, BMF sieht im Augenblick rund 17 Milliarden Euro Mehr- konfrontiert sind, und weil Roslings Buch uns sehr ein- belastung auf der kommunalen Seite. Jetzt muss zunächst drücklich vor Augen führt, dass wir gerade in Krisenzei- Liquidität her, damit die Zahlungsfähigkeit kurzfristig ten nicht unseren dramatischen Instinkten folgen sollten, gegeben ist. Immerhin halten die Kommunen das gesell- namentlich dem Instinkt der Dringlichkeit, der Angst und schaftliche Leben aufrecht. Leider sind nicht alle der der Schuldzuweisung, sondern sorgfältig und ruhig über- dafür zuständigen Länder dazu bereit. Mein Appell an legen müssen, welche Daten wir zur Verfügung haben, die Länder: Lassen Sie Ihre Kommunen jetzt nicht im wie wir sie nutzen, welche Optionen uns zur Verfügung Regen stehen! stehen und welche Risiken dem Nutzen jeder Maßnahme (Beifall bei der CDU/CSU) gegenüberstehen. Dann, meine Damen und Herren, hört es mit Rettungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schirmen schon auf. Was wir dann brauchen, ist die Ein- Einfach nur etwas zu unternehmen und in Aktionismus zu haltung der Verfassung. Dort ist nämlich der Anspruch verfallen, kann fatale Folgen haben. der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung nie- dergelegt. Jedes Land ist verpflichtet, seinen Kommunen (Beifall bei der CDU/CSU) die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen – nicht mehr und nicht weniger ist der kommunale Dieser Maßstab gilt letztendlich auch für die Auswir- Anspruch. Das ist eine Daueraufgabe und nicht nur Kri- kungen der Coronakrise auf die kommunale Seite. Jetzt senaufgabe. Das heißt: Keine Kredite für Kommunen, nur zu rufen: „Wir brauchen einen Rettungsschirm“, wird sondern echte Mittel. Aber auch der Bund darf nicht die der Lage nicht gerecht. Fest steht: Wir brauchen Unter- kalte Schulter zeigen. stützung. Aber was, wie viel, wann und durch wen, das bedarf einer sorgsamen Diskussion. Hier gilt es, seriös (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE vorzugehen und auch die Steuerschätzungen im Mai ab- LINKE]) zuwarten. Das beziehe ich ausschließlich auf die erhöhten KdU- Meine Damen und Herren, in der Krise glänzen Kosten. Das geht meines Erachtens am besten über eine reformierte Umsatzsteuerverteilung. (B) manche besonders hell. Dazu gehören neben dem medi- (D) zinischen Bereich an vorderster Front unsere Gesund- Fassen wir zusammen: Erstens. Die Kommunen zeigen heitsämter. Sie leisten gerade zusammen mit den Ord- in der Krise wieder einmal ihre Leistungsfähigkeit: „Auf nungsämtern herausragende Arbeit, so zum Beispiel uns ist Verlass.“ Zweitens. Die Länder müssen nun dafür durch Kooperation mit ambulanten Ärzten und den Kran- sorgen, dass sie auch finanziell handlungsfähig bleiben. kenhäusern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Drittens. Nach der Krise stehen die Kommunen für die öffentlichen Gesundheitsdienstes arbeiten hervorragend, Unterstützung bei Konjunkturimpulsen bereit, wenn die aber am Anschlag. Deshalb ist der Ansatz des Bundesge- finanziellen Rahmenbedingungen gegeben sind. Das sundheitsministers, hier zu helfen, richtig und wichtig. bedarf – darauf möchte ich noch mal hinweisen – Meine Damen und Herren, Daten sind nicht nur die besonnener Lösungen und keines Aktionismus. Währung von morgen, sondern die Entscheidungsgrund- Vielen Dank. lage von heute. Das Fax, das 1843 erfunden wurde, hat jetzt ausgedient. Die finanzielle Unterstützung von je (Beifall bei der CDU/CSU) 150 000 Euro für IT vom Gesundheitsministerium ist da- her gut angelegtes Geld. Vizepräsident : (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das Fax Vielen Dank, Herr Kollege Haase. – Da einige Mit- wurde doch nicht 1843 erfunden!) glieder der Fraktion Die Linke der Auffassung waren, dass das Faxgerät nicht 1843 erfunden wurde, sondern Richtig und wichtig ist auch die personelle Aufsto- später, Herr Kollege Dehm, muss ich Sie eines Besseren ckung der Gesundheitsämter. belehren. Der schottische Uhrmacher Alexander Bain hat 1843 einen Apparat entwickelt, der als Vorläufer des heu- (Fabio De Masi [DIE LINKE]: Sie sind beim tigen Faxgerätes gilt. Insofern lag der Kollege der Union falschen Tagesordnungspunkt!) richtig. Fünferteams je 20 000 Einwohner sind wichtig, um In- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – fektionsketten zu verfolgen. Bund und Länder unterstüt- Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Was Sie alles wis- zen hier zu Recht; denn vor Ort gibt es schon keine sen!) Personalreserve mehr. Als nächster Redner hat der Kollege Kay Gottschalk Ich komme über die Personalkosten zum Geld. Die von der AfD-Fraktion das Wort. Sorgenfalten der Kämmerer sehen schon aus wie Acker- furchen im Frühjahr: (Beifall bei der AfD) 19390 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

(A) Kay Gottschalk (AfD): men mit hinein, in denen auch gerne mal die eine oder (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Lie- andere Geschichte versteckt wird. be Zuschauerinnen und Zuhörer! Herr Haase, gut ge- brüllt! Aber an der Stelle muss auch ich Sie korrigieren. Meine Damen und Herren, das liegt daran, dass die Sie wissen – darauf komme ich in meiner Rede gleich zu Kassenkreditbestände gestiegen sind. Diese haben sich sprechen –: Es gibt Verteilungsschlüssel. Wenn den Kom- von 1997 bis 2014 verzehnfacht. Wir sprechen hier von munen in Teilen die Einnahmen wegbrechen, werden sie 49,7 Milliarden Euro. Diese Kassenkredite dienen eben auch den Ländern wegbrechen. nicht investiven Aufgaben, sondern sie wurden rein zur Deckung der laufenden Verpflichtungen aufgenommen. ( [CDU/CSU]: Und auch Jeder bei uns in NRW kann das bewundern, wenn er über dem Bund!) kaputte Brücken – von Brücken, die nicht gebaut werden Insoweit ist das ein schönes Verteilspiel an dieser Stelle. können, ganz zu schweigen – oder über Schlaglöcher zur Arbeit fährt. Heute reden wir also über den Antrag der Linken „Schutzschirm für Kommunen in der Coronakrise“. Die- Meine Damen und Herren, was denken Sie denn, was se Debatte verfolgt uns schon seit Längerem. Herr Scholz passiert, wenn jetzt noch die Coronamaßnahmen das stand ja auch schon hier am Rednerpult und hat hierzu Land treffen? Was wird dann bei den Kommunen gesche- Vorschläge gemacht. Insoweit ist es leider alter Wein, hen? Schauen Sie dazu in den aktuellen Bericht des Bun- aber in neuen Schläuchen, die notwendiger denn je sind. desfinanzministeriums. Aus dem geht hervor, dass bereits Bereits die Kommission „Gleichwertige Lebensverhält- im März die Gewerbesteuerumlage um 54,5 Prozent ein- nisse“ kam zu der Empfehlung, dass überschuldeten gebrochen ist. Sie ist ein guter Indikator dafür, dass man Kommunen – und die haben wir nun mal, und da nützt wohl davon sprechen kann, dass die Gewerbesteuerein- es auch nichts, wenn Sie die Leistungsfähigkeit und die nahmen der Gemeinden im wahrsten Sinne des Wortes Grenzfähigkeit dieser Kommunen hier preisen – vom wegbrechen werden. Ich zitiere auch hier aus der Aus- Bund geholfen werden soll. gabe des „Neuen Kämmerers“ von gestern: Hierzu legte das Bundeskabinett am 10. Juli 2019 – Zu Monatsbeginn machte bereits der Deutsche Städ- immerhin, meine Damen und Herren, Juli 2019! – Maß- tetag auf die drohende finanzielle Notlage vieler nahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der Alt- Kommunen aufmerksam. Damals sagte Burkhard schuldenpolitik vor. Seitdem ist auch viel passiert. Um- Jung, Präsident des Städtetags und Leipziger Ober- gesetzt wurde aber leider nichts – vielleicht ein Mantra bürgermeister, dass der Verband für das Jahr 2020 dieser Regierung Merkel. Erst am 11. März 2020 konnte ein Defizit der deutschen Kommunen in zweistelli- (B) man in der Zeitschrift „Der Neue Kämmerer“, die viele ger Milliardenhöhe befürchte. (D) hier, die in der Kommunalpolitik tätig sind, kennen – das ist die Hauspostille aller kommunalen Finanzer –, lesen: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: „Altschulden-Einigung liegt erst mal auf Eis“. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Im Weiteren möchte ich deshalb auch nicht auf das Für und Wider der Maßnahmen zur Eindämmung von Corona Kay Gottschalk (AfD): eingehen. Ob sie nun wirksam sind oder nicht, das wer- den andere dann klären. Das überlasse ich den Gesund- Ich komme zum Ende, ja. – Bevor Sie also großzügig heitsexperten. Als Finanzer bin ich aber schon der Mei- über 500 Milliarden Euro, wie es heute in der Presse nung, dass unsere Aufgabe darin besteht, verehrte stand, oder viele Dinge für Europa nachdenken – das Kollegen, über die Folgen dieser Maßnahmen zu spre- mag schön und gut sein –, denken Sie zunächst mal darü- chen. Als Bundestagsabgeordnete haben wir nämlich ber nach, – die verdammte Pflicht, über die anstehenden Auswirkun- gen uns jetzt, hier und heute, zu unterhalten und für ge- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: eignete Maßnahmen zu sorgen. Ja, Frau Merkel – sie ist Herr Kollege. jetzt nicht hier –, diese Diskussionsorgie müssen wir in der Tat führen. Kay Gottschalk (AfD): Als Mann der Zahlen möchte ich die heute schon be- – wie Sie in der Heimat und den vielgepriesenen Kom- stehende Problematik – darauf sind Sie leider nicht ein- munen und damit den Einrichtungen wie Bibliotheken gegangen, Herr Haase – einfach mal anhand von Zahlen vor Ort helfen können. Wir jedenfalls stimmen der – – verdeutlichen; denn Zahlen lügen nicht. Aus dem Bericht der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ (Das Mikrofon wird abgeschaltet) lässt sich nämlich auch herauslesen, dass die Verschul- dung der kommunalen Kernhaushalte beim öffentlichen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und nichtöffentlichen Bereich in den vergangenen 20 Jah- ren um rund 35 Prozent gestiegen ist – 35 Prozent! Wäh- Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzo- rend der Bund seine Neuverschuldung tatsächlich unter gen, weil Sie bereits 40 Sekunden über der Zeit sind. die magische 60-Prozent-Grenze drücken konnte, ist in Als nächste Rednerin hat für die SPD-Fraktion die vielen Kommunen die Verschuldung der Kernhaushalte Kollegin Elisabeth Kaiser das Wort. gestiegen. Ich rechne da nicht, wie hier in Berlin üblich, die Schattenhaushalte und die kommunalen Unterneh- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19391

(A) Elisabeth Kaiser (SPD): zu bringen. In der SPD-Fraktion gibt es da unter anderem (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und auch den Vorschlag, die direkt an Kommunen gerichteten Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es Fördermaßnahmen zu entfristen und Nachweispflichten wahrscheinlich wie vielen im Land: Wenn ich wissen zur Mittelverwendung zu vereinfachen. will, welche Coronamaßnahmen bei mir vor Ort gelten, wende ich mich an meine Stadt oder meine Gemeinde. (Beifall des Abg. Klaus Mindrup [SPD]) Die Menschen erwarten, dass ihr Bürgermeister oder die Das wäre zum Beispiel eine Maßnahme beim Programm Landrätin alles tun, um ihre Fragen zu beantworten und DigitalPakt oder bei Programmen des Sports, der Kultur auch die heimische Wirtschaft zu retten. So erlebe ich das oder des Städtebaus. Aber vor allen Dingen ist es jetzt bei mir zu Hause. Bürgermeister verschicken Infobriefe, wichtig, die Kommunen endlich bei den Sozialkosten zu veröffentlichen tägliche Videobotschaften oder laden zu entlasten. Bund und Länder könnten ihre Anteile oder die digitalen Bürgersprechstunden ein. Sie erläutern ihren absoluten Beiträge daran deutlich erhöhen. Bürgerinnen und Bürgern geduldig, wie die umfassenden Maßnahmenpakete von Bund und Land ihnen in ihren Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt nun, gemein- individuellen Lagen helfen können. Als erster Ansprech- sam mit den Ländern schnelle und pragmatische Lösun- partner und steuernde Kraft sind sie die Krisenmanager gen zu finden. Dazu eignet sich der Antrag der Linken vor Ort, die gerade derzeit Außergewöhnliches leisten. leider nicht so gut. Aber unterstützen Sie uns doch gerne Und dafür möchte ich auch mal Danke sagen: Danke an dabei, einen Rettungsschirm für die Kommunen aufzu- die Oberbürgermeister von Gera, von Altenburg, von spannen; – Schmölln und von Wünschendorf und viele mehr! Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihr und eure Verwaltungen machen gerade einen ver- Elisabeth Kaiser (SPD): dammt guten Job. – denn sie sind „too important to fail“. Aber die Coronakrise bringt unsere Städte, Gemeinden Vielen Dank. und Landkreise auch an ihre Belastungsgrenze. Landräte und Bürgermeisterinnen sind im Dauereinsatz. Gesund- (Beifall bei der SPD) heits- und Ordnungsämter schieben Überstunde um Überstunde. Aber es sind vor allem die finanziellen Fol- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gen durch Corona, die den Kommunen Sorge bereiten. (B) Die Einnahmen brechen weg, die Ausgaben steigen. So Vielen Dank, Frau Kollegin Kaiser. – Nächste Redne- (D) müssen Städte und Gemeinden mit enormen Steuereinbu- rin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Ulla Ihnen, die ßen rechnen. Einnahmen aus Kindergartenbeiträgen, noch einen kleinen Moment wartet, bis hier vorne die Schwimmbädern oder Theatern fallen weg. Die Unter- Hygienemaßnahmen abgeschlossen sind. haltungskosten aber bleiben. Zudem steigen die ohnehin (Ulla Ihnen [FDP]: Selbstverständlich, Herr schon sehr hohen Sozialkosten, weil eben auch mehr Präsident!) Menschen Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen. Darauf lege ich auch großen Wert. – Bitte schön, Frau Kollegin. Fakt ist aber auch, dass viele Kommunen schon vor der Coronakrise trotz vieler Förderprogramme schwer zu (Beifall bei der FDP) kämpfen hatten. Umso mehr gilt es jetzt, sie zu unter- stützen; denn individuelle Lebensqualität und damit auch Ulla Ihnen (FDP): die Zufriedenheit der Menschen hängen maßgeblich vom Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Zustand und von der Leistungsfähigkeit unserer Kommu- leben in ernsten Zeiten, und in diesen Zeiten müssen sich nen ab, und damit diese nicht zusammenbrechen, braucht Bund, Länder und Kommunen jeweils als Teil einer groß- es jetzt einen Rettungsschirm für die Kommunen. Auch en föderalen Familie bewähren. Familienmitglied zu sein, wir fordern das schon länger. bedeutet Verantwortung und Geborgenheit zugleich. Alle Mitglieder dieser föderalen Staatsfamilie sind von der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Krise betroffen. Es fehlen Gebühren, es fehlen Steuern, der LINKEN) Pandemiekosten explodieren. Auf Bundesebene haben Die SPD steht immer schon an der Seite der Kommu- wir parteiübergreifend einen Nachtragshaushalt in Höhe nen. Genau deshalb fordern wir auch weiterhin, eine Lö- von 156 Milliarden Euro und die entsprechende Ver- sung für die Altschuldenproblematik aufgrund von Kas- schuldung dazu beschlossen sowie den Garantierahmen senkrediten zu finden. Wir kennen die Situation der im Bundeshaushalt auf über 1 Billion Euro ausgeweitet. betroffenen Kommunen, deren Lage nur noch prekärer Das sind noch nie dagewesene Summen. Der Bund tut wird. Wir kennen auch die schwierige Situation der kom- also, was er kann. Aber der Bundeshaushalt ist auch kein munalen Unternehmen. Veranstaltungszentren und Bäder Goldesel. oder Kultureinrichtungen sind durch Einnahmeausfälle bedroht. Finanzminister Olaf Scholz hat hier schnell rea- (Beifall bei der FDP) giert und ihnen einfachen Zugang zu Coronahilfen er- Die Linke fordert mit ihrem Antrag unter anderem möglicht. Nun gilt es, weitere Maßnahmen auf den Weg einen Altschuldenfonds, einen Solidarpakt III, eine Ge- 19392 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Ulla Ihnen (A) werbesteuerumverteilung, die Durchsetzung des Konne- um diese beispiellose Krise zu bewältigen. Gleichzeitig (C) xitätsprinzips und Geld vom Bund für die Länder, alles leiden die Kommunen besonders unter dieser Krise. Die zugunsten der Kommunen. Da, muss ich sagen, liebe Einnahmen brechen ein, die Ausgaben steigen, die Fix- Parteikollegen der Linken, verlieren Sie jedes Augen- kosten bleiben, und zwar bei allen Kommunen, egal ob maß; denn es gibt auch Regeln zu beachten. reich oder arm, klein oder groß, ländlich oder städtisch. Die kommunalen Spitzenverbände rechnen mit Minder- (Beifall bei der FDP) einnahmen im zweistelligen Milliardenbereich, und Die Länder als Teil der Familie sind nach unserer fö- schon Mitte Mai werden die ersten Kommunen wahr- deralen Verfassung für die sachgerechte Mittelausstat- scheinlich vor leeren Kassen stehen. Schon heute werden tung der Kommunen verantwortlich. Der Bund hat bereits Haushaltssperren verhängt. Länger zuwarten geht da also seit Jahresbeginn rund 9,6 Milliarden Euro mehr Anteile nicht. aus den Steuereinnahmen an die Länder abgegeben. Die Coronapandemie macht Ihren alten Vorschlag eines Alt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schuldenfonds nicht sinnvoller. Er ist auch ungerecht; sowie bei Abgeordneten der LINKEN) denn viele Länder haben erfolgreich ihre Kommunen ent- Es ist höchste Zeit, dass Bund und Länder – und ich schuldet. Auch profitieren die Kommunen insgesamt sage ausdrücklich: auch der Bund; ein Appell, wie Herr zum Beispiel davon, dass der Bund sich jetzt mit 2 Mil- Haase ihn an die Länder gerichtet hat, reicht mir da nicht – liarden Euro zusätzlich an den Kosten für Unterkunft und da zusammenkommen, entschlossen reagieren und unter- Heizung beteiligt. Seit gestern Abend gibt es das mit stützen. Gemeinsam müssen wir die krisenbedingten fi- 500 Millionen Euro dotierte Sofortausstattungsprogramm nanziellen Lasten den Kommunen ein Stück weit abneh- für Schulen. Kommunale Unternehmen profitieren auch men; denn sie müssen in dieser Krise handlungsfähig von Steuerstundungen, Regelungen zum Kurzarbeiter- bleiben. geld und vom Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Es gibt also jetzt schon Hilfe für Kommunen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Auch wenn wir Freien Demokraten der Auffassung sind, dass das Konnexitätsprinzip – also: wer bestellt, Drei Punkte sind mir dabei besonders wichtig: bezahlt – besser durchgesetzt werden muss: Die Priorität Erstens. Der Bund muss den Kommunen die zusätz- der gesamten Staatsfamilie muss doch jetzt sein, Gesund- lichen krisenbedingten Sozialkosten abnehmen. Wir ha- heit, Freiheitsrechte und Wirtschaft zu schützen und mit- ben hier im Bundestag das Sozialschutzpaket beschlos- einander in Einklang zu bringen. Später können wir darü- sen. Insofern finde ich es nur naheliegend, dass die ber reden, wer in der Familie welchen Anteil an der 2,1 Milliarden Euro, die zusätzlich auf die Kommunen (B) Finanzierung zu tragen hat, und wir werden dabei alle (D) zukommen, auch vom Bund entsprechend übernommen Mechanismen der Finanzbeziehungen im Blick behalten werden – entsprechend einem vernünftigen Verteilschlüs- müssen. Jetzt mit Einzelvorschlägen vorzupreschen, wird sel, nicht mit der Gießkanne. Das ist mir besonders wich- der Dimension der Verschuldung und des Problems nicht tig, und ich habe die Ankündigungen der Koalition dazu gerecht. mit Freude gehört. (Beifall bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kollegen von der Linken, es nutzt nichts, das Tempo zu erhöhen, wenn man zur falschen Zeit in die Zweitens. Kommunale Unternehmen müssen uneinge- falsche Richtung läuft. Wir werden Ihren Antrag ableh- schränkten Zugang zu Liquiditätshilfen und Krediten von nen. Bund und Ländern bekommen. Das hat Die Linke in ihrem Antrag leider komplett vergessen. Vielen Dank. Bleiben Sie gesund. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Für uns Grüne ist hier klar: Kommunale Unternehmen dürfen gegenüber den privaten nicht benachteiligt wer- den. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin Ihnen. – Nächster Redner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Drittens. Wir brauchen endlich eine Lösung bei den Stefan Schmidt, der sich auch noch einen kleinen Mo- kommunalen Altschulden. Es wurde angesprochen, wie ment geduldet. lange daran schon gearbeitet wurde. Es ist höchst fahr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lässig, bereits verschuldete Kommunen jetzt weiter in neue Kredite zu drängen, so wie es beispielsweise Herr Kollege Schmidt, Sie haben das Wort. Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen tut. Das geht nicht. Hier müssen wir wirklich darauf achten, dass die Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kommunen handlungsfähig bleiben, dass der Bus nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten noch seltener fährt, dass das Freibad nicht nicht mehr Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie ver- saniert wird oder ganz schließt und dass auch soziale langt von vielen gerade Höchstleistungen. Unsere Städte, Angebote nicht weiter ausgedünnt werden. So weit wer- Gemeinden und Landkreise leisten Außergewöhnliches, den wir es nicht kommen lassen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19393

Stefan Schmidt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben das Konnexitätsprinzip – wer bestellt, be- (C) zahlt – angesprochen: Ich weiß nicht, ob wir als Bund Abschließend. Wir alle sind gefordert. Der Bund darf die Coronakrise bestellt haben. Herr Kollege Liebich, sich hier nicht mit Verweis auf die Länder wegducken. Eisenach ist in Thüringen, und da ist der Ministerpräsi- Bund und Länder müssen die Kommunen gemeinsam dent Bodo Ramelow. Fragen Sie doch mal nach, ob er die unterstützen. Wir Grüne sind bereit, konstruktiv an einem Hilfe leistet! Bei uns in Bayern, muss ich sagen, da funk- Hilfspaket oder Schutzschirm – oder wie auch immer wir tioniert es, und da werden wir auch dafür sorgen, dass die es nennen wollen – mitzuarbeiten. Kommunen unterstützt werden. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zur Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch, dass man gerade in der Zeit vor Corona, was die Kommunen und Länder angeht, an die Schmerzgrenze Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hinsichtlich des Haushalts gegangen ist. Ich will mal sa- Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Nächster Red- gen, was eigentlich alles gemacht worden ist: Der Bund ner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Sebastian hat in diesem Jahr Regionalisierungsmittel in Höhe von Brehm. 9 Milliarden Euro bereitgestellt. Gemeindeverkehrspro- gramm: 665 Millionen Euro. Gemeindeverkehrsentflech- (Beifall bei der CDU/CSU) tungsmittel: 1,34 Milliarden Euro, allein in diesem Jahr. Im Rahmen der Bundesinvestitionshilfen für finanz- Sebastian Brehm (CDU/CSU): schwache Kommunen flossen 7 Milliarden Euro seit Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und 2015 für Infrastruktur und Schulsanierung. 4,4 Milliarden Kollegen! Es ist das Privileg der Oppositionsparteien, Euro für den Kitaausbau; den haben wir bezahlt. 5 Milliar- dass man ein Stück weit Vorschläge machen kann, ohne den Euro für den DigitalPakt Schule. Und jetzt kommen sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, wie man 500 Millionen Euro für den digitalen Unterricht dazu. die Vorschläge eigentlich finanzieren und umsetzen will. Das wurde gestern Abend im Koalitionsausschuss be- Frei von Regierungsverantwortung kann man so tun, als sprochen. 2 Milliarden Euro für die Ganztagsschulbetreu- könnte man jeden Euro zweimal oder dreimal ausgeben. ung ab diesem Jahr. 2 Milliarden Euro für den Zeitraum Mit Regierungsverantwortung ist die Perspektive anders. 2020/2021 für den sozialen Wohnungsbau. Hier muss man sich Gedanken darüber machen, wie man Diese Liste könnte man fortsetzen. Die Posten auf mei- am Ende die Ausgaben zusammenbindet, wie man am (B) ner Liste machen allein schon über 32 Milliarden Euro (D) Ende den Bundeshaushalt bereinigt. aus, die direkt an die Kommunen gehen. Jetzt kommen Wenn man den wöchentlichen Strom von Oppositions- noch die Coronasoforthilfe, Kurzarbeitergeld und alles, anträgen gerade in der jetzigen Zeit sieht, dann ist es gut, was wir für die kommunalen Unternehmen finanzieren, sich manchmal auch an diesen Unterschied zwischen Op- dazu. Also: Wir leisten für unsere Kommunen das Maxi- position und Regierungsverantwortung zu erinnern. Wir mum dessen, was möglich ist. Ich glaube, darüber hinaus als CDU/CSU nehmen die Regierungsverantwortung ist es derzeit schwierig, zumal wir auch die Gesamtver- ernst; ich glaube, das hat auch die Kanzlerin heute in ihrer antwortung für den Haushalt im Blick haben. Regierungserklärung sehr gut und sehr differenziert ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) macht. Wir sehen die Probleme. Wir handeln. Wir setzen um, und das, meine ich, in einer klugen und verantwor- Darüber hinaus existiert auch der bundesstaatliche Fi- tungsvollen Weise, auch im Sinne des Haushalts. Wir nanzausgleich. Da kommen ja noch mal viele Milliarden steuern täglich nach, um die maximale Hilfe zu ermögli- Euro an die Länder und Kommunen dazu. In diesem Jahr chen. Alleine der Nachtragshaushalt von 156 Milliarden wird der kommunale Finanzausgleich sogar noch stärker Euro zeigt auf, vor welchen enormen Herausforderungen als bislang berücksichtigt. Es gibt neue und höhere Zu- wir stehen. weisungen für Länder mit besonders steuerschwachen Kommunen. Auch hier gibt es noch mal 9 Milliarden Dennoch: Natürlich wollen wir uns mit dem Antrag Euro; das ist ja schon angesprochen worden. auch beschäftigen und ernsthaft auseinandersetzen. In Ihrem Antrag suggerieren Sie – ich glaube, zu Unrecht Wenn man das Thema differenziert betrachtet, dann und aus meiner Sicht sehr undifferenziert –, dass der sieht man: Wir tun das Maximale. Natürlich bleiben bei Bund die Verantwortung gegenüber Ländern und Kom- den Kommunen die großen Herausforderungen wegen munen nicht übernimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Na- Corona. Aber auch beim Bund, beim Land und in Europa türlich ist es unzweifelhaft, dass die Kommunen in der haben wir maximale Herausforderungen aufgrund von Coronakrise unter erheblichen Steuerausfällen leiden. Corona. Deswegen, glaube ich, müssen wir täglich neu Das sehen wir; das ist uns bewusst. Aber bei einer diffe- betrachten, wie die Situation ist. Wir müssen täglich renzierten Betrachtung gehört zur Wahrheit, dass nach steuern und gucken, was möglich ist. Deshalb lassen dem Grundgesetz die Verantwortung zunächst bei den Sie uns klug, mit Sachverstand und mit Sorgfalt die He- Ländern liegt. Die Länder haben mithilfe des kommuna- rausforderungen schultern. Ich glaube, die eine Ebene len Finanzausgleichs dafür zu sorgen, dass alle Gemein- gegen die andere auszuspielen, wie Sie es im Antrag zu den die Finanzausstattung, die sie brauchen, auch erhal- suggerieren versuchen, bringt uns nicht weiter. Lassen ten, übrigens auch in der Zeit von Corona. Sie uns gemeinsam die Herausforderungen in Angriff 19394 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Sebastian Brehm (A) nehmen und dann gucken, wie die Hilfsmaßnahmen wir- handeln, werden die Folgekosten für alle viel höher aus- (C) ken. fallen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Schlüsselrolle dabei werden in Zukunft viel stärker noch als in den letzten Wochen die Kommunen haben. Es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ist in der Strategie von Wissenschaftlern beschrieben Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Letzter Redner zu worden, dass wir die Strategie „Hammer und Tanz“ um- dem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Klaus Mindrup, setzen müssen. Wir haben den Hammer angewandt. Jetzt SPD-Fraktion. kommen wir aber in eine Situation, wo wir viele kleine (Beifall bei der SPD) wirksame Hämmer brauchen. Wir werden viel mehr in den Kommunen schauen müssen: Wie ist das Verbrei- Klaus Mindrup (SPD): tungsgeschehen? Wir werden untersuchen und die not- wendigen Maßnahmen ergreifen müssen, und das kostet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- auch Geld. Das, was wir jetzt mit den Gesundheitsämtern ne Damen und Herren! Die Coronakrise trifft auch die machen, ist ein erster Schritt. Kommunen mit beispielloser Wucht. Mein herzlicher Dank gilt in dieser schwierigen Zeit den Tausenden eh- Aber vollkommen klar ist: Die Kommunen sind in der renamtlichen Kommunalpolitikern, die in der Pandemie heutigen Zeit systemrelevant, und wer systemrelevant ist, eine herausragende Arbeit leisten. der muss geschützt werden. Da darf es kein Verantwor- tungsbingo zwischen Bund und Ländern geben. Alle (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie müssen da gemeinsam handeln, und deswegen kommt bei Abgeordneten der CDU/CSU und des auf uns eine ganze Menge Beratungsbedarf zu. Denn BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir müssen in dieser Frage erfolgreich sein, und die Mein Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mit- SPD steht da zu den Kommunen; das kann ich an dieser arbeitern in den Kommunen und in den kommunalen Stelle ganz klar sagen. Ich weiß, dass wir die vielen Unternehmen. Ver- und Entsorgung funktionieren. Busse Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und die ehren- und Bahnen fahren, und die kommunalen Verwaltungen amtlichen Kommunalpolitiker in dieser Frage hinter uns arbeiten unter Hochdruck an der Auszahlung der Hilfen haben. Ich hoffe, dass unser Koalitionspartner sich da für die Bürgerinnen und Bürger. Herzlichen Dank! gemeinsam mit uns bewegt. Unser Finanzminister wird auch entsprechende Vorschläge machen. (B) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (D) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf Dabei ist eines klar: Vor allem die Sozialausgaben der und vor allen Dingen Gesundheit! Kommunen steigen stark. Zugleich sinken die Einnah- men dramatisch. Es ist daher selbstverständlich und not- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) wendig, dass wir in Deutschland Rettungsschirme für die Kommunen brauchen. Das ist ganz eindeutig. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Vielen Dank, Herr Kollege Mindrup. – Damit schließe ich die Aussprache. Vom Grundgesetz her stehen hier in erster Linie die Bundesländer in der Verantwortung. Wir als Bund müs- Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird sen aber auch noch aktiver werden. Ich möchte an die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/18694 an Ansprache der Bundeskanzlerin von heute Morgen erin- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- nern. Sie hat gesagt: Eigentlich sind nach dem Infektions- schlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Frak- schutzgesetz formal die Länder für die Beschaffung der tionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung Schutzausrüstung zuständig. Aber Sie hat gesagt: Wir beim Haushaltsausschuss. Die Fraktion Die Linke sind als Bund tätig geworden, weil sie es nicht geschafft wünscht Federführung beim Finanzausschuss. haben. – Vielleicht hängt das auch mit den Hilferufen Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- nach China vom Landrat in Heinsberg zusammen. Aber: schlag der Fraktion Die Linke: Federführung beim Fi- Was für die Schutzausrüstung gilt, gilt auch für die Kom- nanzausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- munen. Wir müssen hier mithelfen. schlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Was (Beifall bei der SPD und der LINKEN) macht die Fraktion der Grünen? Gerade in der Pandemie brauchen wir als Gemeinwe- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE sen gut arbeitende und gut ausgestattete Kommunen. Ich GRÜNEN]: Finanzausschuss! Wir sind dafür!) möchte daran erinnern: Am 16. März wurden die Be- – Dafür. Gut. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit schlüsse zu den Kontaktsperren von den Bundesländern den Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion beschlossen. Dort hatten wir 7 200 nachgewiesene Infi- Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der übrigen zierte. Heute sind es 49 000 nachgewiesene Infektionen Fraktionen des Hauses abgelehnt. in Deutschland. Das heißt, die Gefahr ist weiterhin da, und die Gefahr ist riesig. Wir sind in der Pflicht, zu Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- handeln gegen diese Pandemie. Denn wenn wir nicht schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19395

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) führung beim Haushaltsausschuss. Wer stimmt für diesen krise auszunutzen, um militärische Fakten zu schaffen, (C) Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- wissen, dass die internationale Staatengemeinschaft nach haltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvor- der Krise nicht bereit sein wird, diese Fakten anzuerken- schlag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP nen. gegen die Stimmen der Fraktionen der AfD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU]) Ich muss mich korrigieren. Bei der vorherigen Abstim- mung – Federführung beim Finanzausschuss – hat auch Meine Damen und Herren, das gilt auch für Libyen. die Fraktion der AfD dafürgestimmt. Also: Linke, AfD Man muss in aller Offenheit sagen, dass sich die Erwar- und Grüne Seite an Seite. tungen, die wir angesichts der Libyen-Konferenz in Ber- lin und des Berliner Prozesses insgesamt hatten, in den (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- letzten Wochen und Monaten nicht erfüllt haben. Die NEN]: Na ja!) Coronakrise – das Virus verbreitet sich auch in Libyen mit rasender Geschwindigkeit – hat daran ihren Anteil. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn Beratung des Antrags der Bundesregierung all diese Probleme, die es gibt, und all die Dinge, die nicht Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- umgesetzt worden sind, zu beklagen sind, will ich trotz- te an der durch die Europäische Union geführ- dem darauf hinweisen – es gibt viele, die jetzt diskutie- ten militärischen Krisenbewältigungsopera- ren: ist dies das Ende des Prozesses? nein, das ist es tion im Mittelmeer EUNAVFOR MED IRINI nicht –: Wir haben bei Weitem nicht all das erreicht, was wir erreichen wollten, aber es gibt Dinge, die umge- Drucksache 19/18734 setzt worden sind. Und die sollte man noch einmal er- Überweisungsvorschlag: wähnen. Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Trotz der Coronakrise hat das internationale Follow- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz up-Komitee der Berliner Konferenz längst seine Arbeit Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe aufgenommen, auch wenn in der Coronakrise physische Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Treffen nicht mehr möglich sind. Es gab dazu gerade erst Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Anfang dieses Monats ein virtuelles Treffen. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Es hat auch Verhandlungen gegeben, und zwar zwi- schlossen. schen den libyschen Konfliktparteien: über einen Waf- (B) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst fenstillstand, über wirtschaftliche und politische Themen. (D) Herr Bundesminister Heiko Maas für die Bundesregie- Die Komitees, die wir bei der Konferenz vereinbart ha- rung. ben, sind einberufen worden. Und sogar zum Waffenstill- stand liegt ein beschlussfähiges Papier vor, bei dem nur (Beifall bei der SPD) noch die Unterschriften beider Seiten fehlen. Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Letztlich, meine Damen und Herren, sind auch beim Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Treffen der Außenminister am Rande der Münchner Si- reden heute viel von Social Distancing, von Physical cherheitskonferenz die einzelnen Schritte weiter konkre- Distancing. Mittlerweile gibt es auch so was wie Reality tisiert worden, und es wird weiter an ihnen gearbeitet. Distancing. Mit Letzterem meine ich, dass eine Krise, ein Dennoch – auch das muss man sagen –: Wenn man Krieg, ein Konflikt – davon gibt viel zu viele auf der regelmäßig bei solchen Treffen dabei ist und Leuten ge- Welt – nicht verschwindet, nur weil sich das Scheinwer- genübersitzt, die Verstöße gegen das Waffenembargo be- ferlicht der internationalen Aufmerksamkeit verlagert. klagen, aber man ganz genau weiß, dass sie diejenigen Ganz im Gegenteil: Die Coronapandemie droht gerade sind, die gegen das Waffenembargo verstoßen, dann hat die globalen Krisenherde zu ganz besonders gefährlichen man irgendwann die Nase voll von all diesen Lippen- Infektionsherden zu machen, und das im wahrsten Sinne bekenntnissen. des Wortes in allen Beziehungen. Selbst jetzt, wo das Coronavirus Kämpfer und Zivilisten gleichermaßen be- (Zurufe von der LINKEN) droht, geht etwa der Konflikt in Libyen mit unverminder- Deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt Instrumente schaf- ter Härte weiter und erschwert die Pandemiebekämpfung, fen, die effektiv geeignet sind, dieses Waffenembargo und zwar mit unkalkulierbaren humanitären und politi- besser zu überwachen. Das tun wir mit dieser Mission, schen Konsequenzen. über die wir heute diskutieren und entscheiden. Meine Damen und Herren, wenn man sich anschaut – und das trifft ja nicht nur für Libyen zu, sondern das trifft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch für Syrien zu und das trifft auch für Afghanistan der CDU/CSU) zu –, dass es auf der Welt anscheinend einige gibt, die Meine Damen und Herren, die Europäische Union hat diese Krise nutzen wollen, um in dem Konflikt, in dem sich in den letzten Wochen nach zugegebenermaßen sie engagiert sind, militärische Vorteile zu erzielen, dann schwierigen Beratungen darauf verständigt, eine führen- kann man das nicht anders als pervers bezeichnen. Des- de Rolle zu übernehmen. Dem dient die neue Mission halb sollten all diejenigen, die versuchen, die Corona- Irini, die das Waffenembargo überwachen und Verstöße 19396 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Bundesminister Heiko Maas (A) aufdecken soll. Darüber hinaus soll die Mission gegen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) den Ölschmuggel vorgehen und auch das grausame Ge- Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der schäft der Menschenhändler stoppen. Darauf liegt das Kollege Petr Bystron, AfD-Fraktion. ganze Augenmerk auch bei der Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine. (Beifall bei der AfD) Petr Bystron (AfD): Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, als Initiator des Berliner Prozesses – und das sind wir von der Bun- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie- desregierung gewesen – tut auch Deutschland gut daran, be Kollegen! Lieber Heiko Maas, was für eine Mogel- sich an dieser europäischen Mission zu beteiligen, zu- packung servieren Sie uns hier? Für wie dumm halten Sie nächst mit einem Aufklärungsflugzeug und Stabsperso- uns eigentlich? Für wie dumm wollen Sie die Menschen nal, später aber auch mit einem Schiff der Marine. Wenn in diesem Land verkaufen? Wir alle wissen, dass Irini der wir darüber reden, wo wir Verantwortung übernehmen Ersatz für die gescheiterte Mission Sophia ist. Und Sie können oder dass wir mehr Verantwortung auf der Welt erzählen uns hier heute – genauso wie zuvor fünf Jahre übernehmen müssen, ist dies ein Beispiel dafür, dass wir lang bei Sophia –, dass es darum ginge, Waffenschmug- es tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. gel zu unterbinden, den Ölschmuggel aus Libyen zu un- terbinden und Menschenschlepperei im Mittelmeer zu bekämpfen. Dabei ist schon Sophia von der damaligen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten italienischen Regierung mithilfe unseres Freundes Mat- der CDU/CSU) teo Salvini versenkt worden, da nachgewiesen wurde, dass mit den Schiffen nur Migranten aus Afrika nach Das ist nicht nur ein essenzieller Beitrag zur Stabilität in Europa geschmuggelt wurden. unserer unmittelbaren Nachbarschaft, sondern es ist auch ein wichtiges Signal europäischer Geschlossenheit und (Zurufe von der SPD und der FDP) Handlungsfähigkeit, gerade in Zeiten wie diesen. Wenn Sie hier über Erfolge sprechen, haben wir uns gedacht: Okay, wenn Sie diese Geschichte nach fünf Jah- Meine Damen und Herren, bei alldem haben wir aber ren noch einmal auftischen, dann fragen wir doch das auch diejenigen im Blick, die am meisten unter dem Verteidigungsministerium: Was wurde denn erreicht? Konflikt leiden: Es sind Zehntausende Flüchtlinge und Zeigen Sie uns mal die beschlagnahmten Waffen! – die libysche Zivilbevölkerung. Über den UNHCR hat Und wissen Sie, was das Verteidigungsministerium uns Deutschland deshalb in den letzten Jahren mehr als geantwortet hat? Nichts! Sie haben in fünf Jahren 85 Mil- 40 Millionen Euro zum Schutz von Flüchtlingen zur Ver- lionen Euro verballert und können uns nicht mal präsen- (B) (D) fügung gestellt. Hunderte besonders Schutzbedürftige – tieren, was Sie beschlagnahmt haben. Es wurde kein ein- das wird teilweise in der aufgeregten Öffentlichkeit über- ziger Waffenschmuggler gefangen. Das ist ja auch kein haupt nicht mehr wahrgenommen – haben durch die Ver- Wunder: Denn die Schiffe haben munter Migranten aus mittlung des UNHCR einen sicheren Zufluchtsort in Afrika nach Europa geschmuggelt. Hierzu gibt es aller- Deutschland gefunden, und die Aufnahme von 300 wei- dings eine Zahl: 49 000 Migranten haben sie nach Europa teren steht kurz bevor. Über den EU-Nothilfefonds für geschafft. Afrika unterstützen wir mit mehr als 70 Millionen Euro die Arbeit von IOM und geben damit Hilfen bei der frei- (Zuruf von der AfD: Pfui!) willigen Rückkehr von Migranten und für Schutzmaß- Ich fasse mal zusammen: Sie erzählen uns, bei dieser nahmen in Libyen. Mission gehe es darum, Öl- und Waffenschmuggel zu unterbinden. Das Ergebnis aber ist: 49 000 Migranten Natürlich kann eine solche Hilfe das Leid der Men- wurden nach Europa gebracht. Noch einmal: Was für eine schen in Libyen bestenfalls lindern. Umso wichtiger Mogelpackung! Und ich wiederhole: Für wie dumm hal- bleibt deshalb der Einsatz für einen dauerhaften Frieden; ten Sie uns eigentlich? denn wir wissen, dass all das, was wir dort tun und was wir humanitär umsetzen wollen, und all das, was wir zur (Beifall bei der AfD) Bekämpfung des Virus in Libyen beitragen wollen – ent- Wir von der AfD haben das illegale Shutteln von Mi- sprechende Angebote haben wir gemacht –, voraussetzt, granten aus Afrika nach Europa von Anfang an bekämpft. dass vor Ort die Rahmenbedingungen dafür geschaffen Wir von der AfD haben Strafanzeigen gegen alle deut- werden. Und die Voraussetzung dafür ist, dass die Waffen schen NGOs gestellt, die diesen Menschenschmuggel be- schweigen. Mit der Libyen-Konferenz in Berlin haben treiben. Und wir haben zusammen mit unseren italieni- wir dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Wir haben schen Freunden dafür gekämpft, dass die Boote von weiterhin viel Arbeit vor uns. Damit die Ergebnisse jetzt Menschenschmugglern beschlagnahmt wurden und dass auch greifen, müssen wir vor allen Dingen die Einhaltung Leute wie Carola Rackete und Claus-Peter Reisch ins des Waffenembargos überwachen. Den Worten müssen Gefängnis gewandert sind. endlich Taten folgen. Deshalb bitte ich Sie um die Unter- stützung dieses Mandates. (Beifall bei der AfD) Wir haben all das sicher nicht deswegen gemacht, damit Herzlichen Dank. wir Ihnen hier und heute einen Persilschein dafür aus- stellen, dass Sie mit den Schiffen der deutschen Marine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) weiterhin Menschenschmuggel betreiben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19397

Petr Bystron (A) (Dr. [SPD]: So ein Unsinn!) die Ausbildung der libyschen Küstenwache und die Un- (C) Wir lehnen die Mission logischerweise ab. Wir werden terbindung von Schlepperaktivitäten. gegen diese Politik auch weiter ankämpfen. Wir werden Ich glaube, dass das Mandat ein ziemlich robustes ist; auch weiter Ihre Lügen aufdecken. Wir werden auch wei- wenngleich ich mir keine Illusionen mache, dass wir nun terhin mit unseren Freunden aus Österreich, Ungarn, Ita- jede Menge Schiffe dort durchsuchen werden. Aber es ist lien und Polen Widerstand gegen Ihre Open-Border-Po- doch immerhin so, dass diejenigen, die das Embargo bre- licy aufrechterhalten. Spätestens dann, wenn unser chen oder im Verdacht stehen, es gebrochen zu haben, Freund Matteo Salvini in Italien wieder an der Regierung öffentlich benannt werden können und sich öffentlich ist, werden wir die Mission wieder versenken. rechtfertigen sollen. Danke schön. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD – Zurufe von der SPD) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel? Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Tja. – Als nächster Redner hat für die CDU/CSU-Frak- Jürgen Hardt (CDU/CSU): tion der Kollege Jürgen Hardt das Wort. Ja, bitte. (Beifall bei der CDU/CSU) Armin-Paulus Hampel (AfD): Jürgen Hardt (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Möglichkeit habe, eine Frage zu stellen. Ich hatte die Frage schon im Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Ausschuss gestellt, aber sie ist mir leider nicht beantwor- möchte gerne zum Thema des Mandats und zum Thema tet worden. Libyen reden. Wie stellen Sie sich das eigentlich persönlich vor, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP wenn man im Zuge der Irini-Mission, sagen wir mal, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – einen russischen Frachter vor sich hat? Der Kommandant Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Gute Idee!) funkt ihn also an: Lieber Herr Kapitän des russischen Denn das ist der Grund, warum wir heute hier sind und Frachters, haben Sie Waffen an Bord? Dann wird der warum die Regierung einen Antrag zu einem Mandat wahrscheinlich sagen: Nein. Und was machen wir dann? einbringt. Eine ganz praktische Frage. Wie stellen Sie sich das vor? Ich stelle es mir so vor, dass der russische Kapitän Nein (B) (D) Libyen ist ein Schlüsselstaat in Nordafrika. Darüber sagt, der Kommandant sich herzlich für die Auskunft haben wir in diesem Bundestag schon oft geredet. Es bedankt, das in sein Logbuch einträgt und der russische war gut, dass die deutsche Bundesregierung die diploma- Kapitän weiterfährt. Aber wie stellen Sie es sich vor, Herr tische Initiative ergriffen hat und es ihr im Januar gelun- Hardt? gen ist, alle diejenigen, die in der einen oder anderen Weise bürgerkriegsbeteiligte Kräfte in Libyen unterstüt- Jürgen Hardt (CDU/CSU): zen, in Berlin an einen Tisch zu bringen. Vorangegangen Die Regeln für diese Art von Operationen sind klar. war die Analyse, dass das Zusammentreffen der beiden Hauptprotagonisten des Bürgerkriegs in Libyen, Haftar (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Wir ken- und Sarraj, wohl zunächst nicht zum Erfolg führen könn- nen die Regeln nicht! – Sevim Dağdelen [DIE te. Aber die Idee der Libyen-Konferenz der Bundesregie- LINKE]: Wir haben sie nicht!) rung war ja, den Bürgerkrieg dadurch auszutrocknen, Das ist ein Punkt, den ich auch gerade ansprechen wollte. dass man diejenigen, die auch durch Waffenlieferungen Es ist so, dass die Schiffe angehalten werden dürfen und die Akteure vor Ort unterstützen, dazu bringt, das zukünf- ein Durchsuchungsersuchen vorgetragen werden kann. tig sein zu lassen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gelungen. Ich glaube, dass wir auch auf der diplo- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) matischen Ebene weiter intensive Gespräche mit Freun- den wie Mitwirkenden an diesem Prozess führen müssen, Über die Erlaubnis, zu durchsuchen, entscheidet nicht der damit sie ihre Aktivitäten an den gemeinsamen Vereinba- Kapitän des Schiffes. Vielmehr hat der Flaggenstaat des rungen der Libyen-Konferenz, die im Übrigen auch UN- Schiffes – in diesem Fall wäre es Russland – die Ge- indossiert sind, also einen völkerrechtlichen Rang haben, legenheit, innerhalb von einer festgesetzten Frist von vier ausrichten. Stunden der Durchsuchung des Schiffes zu widerspre- chen. Wenn das nicht erfolgt, findet die Durchsuchung Ich finde es wichtig, dass Deutschland Ernst macht mit des Schiffes statt. Wenn Widerspruch seitens Russlands einer konkreten Beteiligung an der europäischen Irini- kommt – Sie haben Russland als Beispiel gewählt, des- Mission; denn dieser europäische Beitrag soll tatsächlich wegen bleibe ich dabei –, dann wird Russland sich öffent- ein verlässliches, lückenloses Lagebild über die Bewe- lich und vor der diplomatischen Community dafür recht- gungen von Schiffen in der Region, die möglicherweise fertigen müssen, warum sie das getan haben und damit illegal entsprechende Waffen an Bord haben, liefern. Sie einen politischen Preis zahlen müssen. Staaten, die das soll auch Schiffe durchsuchen und umleiten können. Sie dann tun, können nicht mehr wie bisher unbemerkt und soll darüber hinaus das fortsetzen, was die Operation unbeobachtet Waffenlieferungen nach Libyen bringen. EUNAVFOR MED Sophia bereits gemacht hat, nämlich Ich finde, das ist schon ein entscheidender Fortschritt 19398 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Jürgen Hardt (A) gegenüber der bisherigen Situation, wie wir sie zum Bei- – Die Regeln, so wie ich sie gerade dargestellt habe, (C) spiel im Augenblick im Mittelmeer haben. gelten nicht nur für den Irini-Fall, sondern sind gemäß Völkerrecht in vergleichbaren Fällen bereits früher an- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gewendet worden. Das war eine weitere Antwort auf der SPD) die Antwort.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich komme jetzt zurück zu meinem kurzen, knappen Herr Kollege Hardt, erlauben Sie eine weitere Zwi- Manuskript. Ich möchte gerne meine Erwartung zum schenfrage aus der Fraktion Die Linke? – Herr Bystron, Ausdruck bringen, dass Deutschland sich an Irini ver- ich lasse danach keine weiteren Zwischenfragen mehr zu. nünftig, kraftvoll, mit hochwertigen Fähigkeiten betei- ligt. Wir tun das vermutlich mit einem Seefernaufklärer. (Zuruf von der CDU/CSU: Das Beispiel Russ- Das ist tatsächlich eine Hochwehrfähigkeit, die wir da land war gut gewählt!) bereitstellen können. Wir tun das mit hochqualifiziertem Wir können alle hypothetischen Möglichkeiten durch- Personal im Stab in Rom. Ich würde mir wünschen, dass spielen, aber das hilft uns heute nicht weiter. – Herr wir uns im Hinblick auf die Weiterführung des Mandats – Neu, Sie haben das Wort. es soll ja zunächst einmal bis Ende April in dieser Form laufen; die EU wird das voraussichtlich in den nächsten Jahren fortführen; Deutschland sollte dann entsprechend Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): mitwirken – auch mit einer seegehenden Einheit, also mit Herr Kollege Hardt, ich war gerade etwas überrascht, einem Schiff, an diesem Mandat beteiligen. Ich warte mit als Sie die Regeln angesprochen haben. Das Problem ist: Spannung und Zuversicht auf die Pläne des Bundesver- Wir kennen die Regeln nicht, weil sie bislang immer noch teidigungsministeriums, das ja wohl ins Auge gefasst hat, nicht in der Geheimschutzstelle ausgelegt sind. sich möglicherweise ab Spätsommer mit einem Schiff zu (Zuruf von der AfD) beteiligen.

Haben Sie da einen Informationsvorsprung? Haben Sie Es wurde im Zusammenhang mit diesem Mandat na- die Regeln? türlich auch wieder darüber diskutiert – das wurde vorhin (Zuruf von der CDU/CSU: Das habe ich Ihnen auch in diesem Hause angesprochen –, ob von einer sol- schon vor vier Jahren erklärt!) chen Marineoperation im Mittelmeer ein Pull-Effekt aus- gehen könnte, also quasi eine Motivierung von Wir würden sie auch gerne haben; denn wir werden dem- Schleppern und Schleusern damit einhergehen könnte, (B) nächst darüber abstimmen, und normalerweise ist es so, Menschen zu überreden, ihnen Geld dafür zu geben, dass (D) dass die Rules of Engagement, also die Regeln, vorab den sie mit Nussschalen, mit Schlauchbooten aufs Mittelmeer entsprechenden Ausschüssen in der Geheimschutzstelle gebracht werden, so nach dem Motto: Dort wartet die zur Kenntnis gegeben werden. Also, Sie haben die Re- europäische Marine, um euch aufzunehmen. – Ich glaube, geln, wir nicht. Wie kommt das? dass ein Pull-Effekt in dieser Form nie wirklich die Ent- wicklung dominiert hat. Es wird sicherlich Einzelfälle (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) geben, in denen das der Fall ist. Ich glaube aber, dass die Entscheidung eines Menschen, sich in eine solch le- Jürgen Hardt (CDU/CSU): bensgefährliche Situation zu bringen, nicht durch die blo- Das sind keine Regeln speziell für diesen Einsatz, son- ße Überredungskunst eines Schleppers hergestellt wer- dern generell geltende Regeln für die Durchsuchung von den kann. Schiffen im Falle von Embargos dieser Art. Sie wurden nicht speziell für den Irini-Fall geschaffen sind, sondern Dennoch enthält dieses Mandat der Europäischen sie richten sich analog an dem aus, was bisher für ver- Union einen Mechanismus, der vorsieht, dass, falls ein gleichbare Fällen vereinbart war. Ich halte das für gut. Ich Staat der Auffassung ist, dass ein solcher Pull-Effekt glaube, dass wir nicht daran vorbeikommen – es muss doch entsteht bzw. ausgelöst wird, auf Wunsch dieses eine entsprechende Unterstützung der Staaten geben, einen Staates die Operation für zunächst acht Tage unter- die das etwas anders sehen als wir –, dass man den Flag- brochen wird. Dann berät das PSK-Gremium, das Politi- genstaat fragen muss. Aber es muss, wie ich finde, dann sche und Sicherheitspolitische Komitee der Europäischen eben auch dokumentiert, publiziert und diskutiert wer- Union, darüber und entscheidet, ob und in welcher Form den, warum, wieso, weshalb ein Land den Zugriff auf die Operation wieder aufgenommen wird. Im Zweifel, das Schiff verweigert. Ich glaube, dadurch wird die wenn sich das wiederholt und häuft, muss die Mission Hemmschwelle höher, als es heute der Fall ist; denn, von den Außenministern weiterentwickelt werden. Ich wie gesagt, man zahlt einen politischen Preis, wenn glaube und hoffe aber, dass das niemals eintritt und diese man sich für den Bruch eines Abkommens rechtfertigen Operation vielmehr vernünftig durchgeführt werden muss, unter das man in Berlin am 19. Januar seine Unter- kann – mit Beteiligung der Bundeswehr. schrift gesetzt hat. Immerhin waren das die Staats- und Regierungschefs bzw. die Außenminister. Herzlichen Dank. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sie ken- nen die Regeln also auch nicht, sagen Sie da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit! Danke!) ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19399

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Rahmenbedingungen für Diplomatie waren vor (C) Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Nächster Redner der Coronakrise schon schwierig, besonders in Libyen, ist der Kollege Bijan Djir-Sarai, FDP-Fraktion. und sie werden nach der Coronakrise nicht einfacher wer- den. Ein letzter Satz, Herr Präsident: Deutschland und (Beifall bei der FDP) Europa dürfen sich trotzdem in der Libyen-Frage nicht aus der Verantwortung ziehen; denn ein weiterer Krieg Bijan Djir-Sarai (FDP): vor der Haustür Europas ist inakzeptabel und muss drin- Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und gend beendet werden. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir Vielen Dank. uns in Deutschland, Europa und eigentlich überall auf der Welt mit den Folgen des Coronavirus beschäftigen, tobt (Beifall bei der FDP) der Krieg in Libyen im Schatten der Coronakrise weiter. Gerade vor dem Hintergrund des grausamen Krieges in Syrien war sich die internationale Gemeinschaft einig: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Libyen darf kein zweites Syrien werden, und es darf vor Vielen Dank, Herr Djir-Sarai; das war ja sehr ge- der Haustür Europas keinen weiteren Stellvertreterkrieg schickt. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Die geben, der zu Tod, Flucht und Vertreibung führen wird. Linke die Kollegin Sevim Dağdelen das Wort. Doch wie sieht die Realität heute vor Ort aus? Ent- (Beifall bei der LINKEN) gegen dem UN-Waffenembargo und den Ergebnissen der Berliner Libyen-Konferenz finden weiterhin Rüs- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): tungsgüter und inzwischen auch Kämpfer bzw. Söldner Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon den Weg ins Land. Die militärischen Auseinandersetzun- bemerkenswert, dass in dieser schweren Krise die Bun- gen nehmen wieder zu. Schon längst ist der Konflikt zu desregierung weiter auf kostspielige Auslandseinsätze einem Stellvertreterkrieg geworden. Die Türkei, Russ- der Bundeswehr setzt. Das bedauern wir. Auch dieser land, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Ka- Auslandseinsatz der Bundeswehr ist wieder einmal aben- tar – alle haben sich auf verschiedenen Seiten positio- teuerlich, aberwitzig und absurd. Sie geben vor, das Waf- niert. Und die Europäer, die sonst gerne von einer fenembargo zur See gegen Libyen überwachen zu wol- Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspo- len. Dabei wollen Sie mit der Ostküste nur die Vordertür litik sprechen, finden hier keine gemeinsame Linie. bewachen, in Kenntnis, dass die Hintertüren, nämlich alle Schauen Sie sich beispielsweise die Politik Italiens oder Luft- und Landgrenzen und die ganze Westküste, sperr- die Politik Frankreichs in Libyen an; da bleibt man selbst angelweit offen stehen. (B) als überzeugter Europäer oft ratlos zurück. (D) Es kommt doch auch einem Schildbürgerstreich Die Mission Irini ist trotzdem ein erster und richtiger gleich, gemeinsam mit Italien und Frankreich dieses Waf- Schritt in Richtung einer Überwachung des Waffenem- fenembargo durchsetzen zu wollen. Ausgerechnet Italien bargos. Sie darf jedoch nur ein erster Schritt von vielen und Frankreich, die, weil es um die Interessen ihrer Öl- sein; denn die Mission ist in ihrer jetzigen Fassung eine konzerne Eni und Total geht, die jeweils andere Seite im einseitige Maßnahme. Das wird deutlich, wenn man sich libyschen Bürgerkrieg unterstützen, sollen ihre jeweili- die vielfältigen Schmuggelrouten und Konfliktlinien ein- gen Freunde daran hindern, an frische Waffen zu kom- mal genauer ansieht. Es besteht also Nachbesserungsbe- men? Das glauben Sie doch selbst nicht, Herr Maas! Wer darf, sofern man verhindern möchte, dass diese Mission wie die Bundesregierung meint, solche Brandstifter bei zu einer Alibimission verkommt, die lediglich den Schein so einem Einsatz zu Feuerwehrleuten machen zu müssen, einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik wahrt. der handelt in hohem Maße aberwitzig. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Petr Bystron [AfD]) Trotzdem ist es gut, dass die Europäische Union erkannt hat, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Libyen Herr Maas, Sie wollen uns doch auch nicht wirklich befindet sich in unserer direkten Nachbarschaft, und al- weismachen, dass Sie in Zukunft einen einzigen islamis- les, was dort passiert, betrifft unsere europäischen Inte- tischen Söldner aus Syrien oder eine einzige Waffe auf ressen und hat unmittelbar Auswirkungen auf die deut- einem türkischen Schiff oder einen einzigen mit Waffen sche Politik, auf die Innenpolitik in Deutschland. beladenen Militär-Airbus Ihres NATO-Partners Türkei aufhalten wollen. Die Wahrheit ist doch, dass Sie nicht Meine Damen und Herren, es muss noch einiges getan nur zugeschaut haben, als die Türkei die von den Muslim- werden, damit sich die Lage in Libyen verbessert. Poli- brüdern unterstützte Regierung in Tripolis in den letzten tische Erfolge können nur erzielt werden, wenn die Eu- Jahren hochgerüstet hat, sondern dass Sie auch der Türkei ropäer die Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz in der ganzen letzten Zeit auch weiterhin fleißig Waffen nicht nur als Theorie verstehen, sondern sie auch tatsäch- geliefert haben und das immer noch tun. lich umsetzen. Die Konferenz war ein Erfolg. Sie wird aber nichts bringen, wenn die Umsetzung vor Ort aus- Wenn Sie wirklich etwas dagegen tun wollten, dass bleibt. Diese Bundesregierung war bei der Organisation frische Waffen diesen libyschen Bürgerkrieg nähren, der Konferenz federführend, aber sie ist bei der Umset- dann könnten Sie endlich damit anfangen, die deutschen zung zurückhaltend. Hier muss mehr Engagement erfol- Waffenexporte in am Libyen-Krieg beteiligte Staaten zu gen. stoppen. 19400 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Sevim Dağdelen (A) (Beifall bei der LINKEN) Die Libyen-Konferenz haben wir sehr begrüßt, weil (C) die Bundesregierung endlich ins Tun kam und auch dip- Deshalb fragen wir Sie, Herr Maas: Warum liefern Sie lomatisch initiativ wurde. Es gab ja zwei maßgebliche weiter Waffen an die Türkei, an Katar, an Ägypten und an Ziele, über die es auch Vereinbarungen gegeben hat: kei- die Emirate, also an Länder, von denen Sie wissen, dass ne Waffen mehr ins Land und Beendigung der Gewalt. sie ihre Waffen weiter nach Libyen bringen? – Ihr soge- Die Gewalt ist massiv eskaliert, nicht erst seitdem, aber nannter Friedenseinsatz ist so lange nichts anderes als seitdem auch zunehmend. Es gewinnt mal die Haftar- eine Showveranstaltung, wie Sie an beide Seiten der je- Seite, mal die Sarraj-Seite; derzeit ist die Sarraj-Seite weiligen Kriegskoalition weiter Waffen liefern. Deshalb mit der Hilfe der Türkei auf dem Vormarsch. Vor einer ist das absurd. Woche war Haftar noch dabei, die Hauptstadt Tripolis zu Herr Maas, Sie sagten in Ihrer Rede: Den Worten sol- belagern. Die Ziele sind derzeit leider weit entfernt da- len Taten folgen. – Da bin ich ganz bei Ihnen. In der von, realisiert zu werden, zum Leiden der Menschen in ARD-Sendung „Anne Will“ haben Sie noch im Januar Libyen. auf die Frage, ob Sie eine Zusammenarbeit mit der liby- schen Küstenwache verantworten wollen, gesagt – ich Es bleibt aber die Frage der Waffenlieferungen. Es ist zitiere –: Nein, das können wir nicht; das wollen wir auch eindeutig, dass die Europäische Union durch ihre Unei- nicht. – Wieso dann jetzt, Herr Maas? Wieso wollen Sie nigkeit ein Vakuum hinterlassen hat, das gerade an dieser diese Schergen, diese islamistische Räuberbande, die Stelle massiv von Staaten gefüllt worden ist, die nicht schwerste Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlin- dieselben Interessen vertreten wie wir und die auch nicht ge begeht, jetzt hier ausbilden, ausrüsten und unterstüt- im Sinne des Wohlbefindens der Menschen in Libyen zen? Das ist abenteuerlich. arbeiten. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Union jetzt Vizepräsident Wolfgang Kubicki: endlich eine Einigung gefunden hat. Wir freuen uns, dass Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss. jetzt überhaupt eine Position gefunden wurde; das ist gut. Jetzt gibt es auch ein Mandat, das vorliegt. Der Vorteil Sevim Dağdelen (DIE LINKE): von diesem Mandat gegenüber dem letzten ist, dass die Das ist politisch und auch moralisch eine Bankrotter- Landkomponente nicht mehr enthalten ist. Das ist schon klärung. Die Linke lehnt diesen üblen Einsatz ab. Statt- mal ein Fortschritt. Nichtsdestotrotz finde ich das vor- dessen fordern wir den Stopp der Waffenlieferungen an liegende Mandat, das wir noch miteinander beraten müs- im Libyen-Krieg beteiligte Staaten und ein ziviles See- sen werden, nicht zustimmungsfähig. Es gibt so ver- notrettungsprogramm für das Mittelmeer, was bitter nötig dammt viele zentrale Fragen, die einfach schlicht (B) (D) ist. unbeantwortet sind, die wir selbstverständlich in den Ausschüssen noch mal thematisieren müssen. Vielen Dank. Wenn dieser merkwürdige Mechanismus zur Beruhi- (Beifall bei der LINKEN) gung von Orban und Kurz jetzt tatsächlich dazu führt, dass einzelne Staaten, speziell Ungarn und Österreich, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: alle acht Tage einmal anrufen und sagen: „Hier gibt es Vielen Dank, Frau Kollegin Dağdelen. – Als nächster einen Pull-Effekt“, und dann das Mandat automatisch Redner spricht zu uns der Kollege Omid Nouripour, ausgesetzt wird und der Einsatz aufhört: Was bedeutet Bündnis 90/Die Grünen. das? Wie gehen wir denn eigentlich damit um? Was pas- siert dann? Wie wollen Sie denn eigentlich bei der Küs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tenwache, die tatsächlich voller zweifelhafter Personen ist – da gibt es Kommandeure, die mal auf der Terrorliste Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Vereinten Nationen waren –, eine Menschenrechtser- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab zum ziehung machen? Wie wollen Sie denn mit der Einseitig- Mandat selbst: Ein Mandat weniger als 24 Stunden vor keit umgehen? Die, die über Land liefern, beliefern die einer Plenardebatte vorzulegen, ist entweder kein guter eine Seite; alle anderen beliefern die andere Seite über die Stil oder handwerklich nicht sauber. Ein Mandat nicht nur Luft und das Land. Aber nur die Meeresseite soll jetzt ohne Einsatzregeln, sondern auch ohne einen Operations- überwacht werden. Wie wollen Sie das denn eigentlich plan vorzulegen, ist entweder schlechter Stil oder hand- machen? werklich nicht sauber. Aber was es, ehrlich gesagt, auf die Spitze treibt, ist: Wir haben eine Vereinbarung hier im Vor allem, Herr Außenminister: Wenn Sie sagen, es ist Hohen Hause, dass, wenn Einsätze beendet werden, ein wirklich schwer auszuhalten, wenn man mit Leuten zu- Abschlussbericht vorliegt. Wir wollen ja eigentlich auch sammensitzt, die sagen: „Wir wollen, dass die Waffen- eine Evaluation, um daraus zu lernen. Jetzt haben Sie lieferungen aufhören“, obwohl wir wissen, dass sie einen Einsatz beendet, aber es gibt keinen Abschlussbe- weiter Waffen liefern, dann stellt sich die Frage, warum richt und erst recht keine Evaluation, und schon sollen Sie nach diesen Treffen mit diesen Leuten gemeinsame wir über das nächste Mandat sprechen. Das ist entweder Statements abgeben. Genau das wertet sie doch auf. schlechter Stil oder handwerklich extrem schlecht ge- macht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Kollege, würden Sie zum Schluss kommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19401

(A) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben hier wirklich viel zu leisten, auch als Bundesrepu- (C) Benennen Sie endlich auch diese Leute! Es ist höchste blik Deutschland, weil wir hier vielfach gegenüber ande- Zeit, dass die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland, ren Ländern in Vorleistung gegangen sind. Aber wir ha- Ägypten und die Türkei als die hauptsächlichen Brecher ben hier auch sehr klar darauf zu achten, dass Europa des Waffenembargos benannt werden. Das wäre ein Rie- diese Mission nicht an der Migrationsfrage scheitern senschritt nach vorne, um die Waffenlieferungen nach lässt. Libyen endlich einzudämmen. Ein Letztes: Die Mission ist ein Einstieg in ein glaub- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) würdiges Handeln Europas; sie bietet die Chance dazu. Aber wenn wir das wirklich wollen, müssen wir auch dazu in der Lage sein – das sage ich im Widerspruch zu Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Omid Nouripour –, dass wir die Mission auch mit Blick Herzlichen Dank, Herr Nouripour. – Nächster Redner auf die Grenze zu Ägypten erweitern. Denn es kann nicht ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Frak- sein, dass eine Mission ausschließlich eine Konfliktpartei tion. bevorzugt oder eine benachteiligt; das klang ja auch ges- (Beifall bei der CDU/CSU) tern im Auswärtigen Ausschuss durch. Keine Hektik. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne un- Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): terstützen wir die Mission, sehen aber auch noch Klä- Danke, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kol- rungsbedarf bis zur abschließenden Beratung. legen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heu- tige Debatte hat durchaus gezeigt, dass es zur Durchfüh- Herzlichen Dank. rung des Mandats noch eine Reihe von Fragen gibt. Allerdings hat unser Bundesaußenminister – Sie, Herr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Maas – vorhin auch sehr klar und nüchtern das Mandat ordneten der FDP) analysiert. Ich glaube, Sie haben das Licht da etwas unter den Scheffel gestellt. Es ist schon ein Zeichen von diplo- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: matischer Leistungsfähigkeit in Zeiten von Corona, dass Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Letzter Red- wir innerhalb von drei Monaten nach dem Berliner Pro- ner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege zess, nach dem Aussetzen der eigentlich gescheiterten Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion. Mission Sophia wieder einen Einstieg schaffen für ein (B) wirksames europäisches Handeln. Das, glaube ich, soll- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf) (D) ten wir heute auch unterstreichen. – Das liegt an der Größe der Fraktion, Frau Kollegin, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht an meinem Willen. ordneten der SPD) Henning Otte (CDU/CSU): Uns sollten einige Punkte hierbei wichtig sein: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Erstens. Jürgen Hardt hat es angesprochen: Wir steigen ren! Der Bundesaußenminister hat heute das Mandat für mit hochwertigen Fähigkeiten ein, mit luftgestützter See- EUNAVFOR MED Irini eingebracht, eine EU-Operation. aufklärung. Allerdings muss uns schon auch bewusst Wir werden es im parlamentarischen Verfahren jetzt mit- sein – Jürgen Hardt hat es angesprochen –, dass wir damit einander beraten. Es ist geplant, die Mandatsobergrenze auf Dauer nicht ausreichend den Einsatz unterstützen bei 300 Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr können. Wir sollten innerhalb der Mandatsobergrenzen festzulegen, um uns mit dem Seefernaufklärer P-3C durchaus auch in der Lage sein, ein Schiff bereitzustellen. „Orion“ zu beteiligen. Wir prüfen auch im Verteidigungs- ministerium, ob ungefähr ab August noch ein Schiff zur Zweitens. Wir werden sehr rasch feststellen, dass der Verfügung gestellt werden kann. Fokus dieser Mission eben nur einen Ausschnitt von dem darstellt, was letztlich zu überwachen ist, um den Berliner Mit dem „fliegenden Auge“ der Marine, mit dem See- Friedensprozess am Laufen zu halten. Wir haben den fernaufklärer, wollen wir einen Beitrag in der Gemein- Fokus auf dem Mittelmeerraum. Wir haben den Fokus schaft zur Umsetzung eines Waffenembargos leisten, um nicht auf der Grenze zwischen Libyen und Ägypten. deutlich zu machen: Verstöße gegen das Waffenembargo, Das kann man sicherlich durch Luftaufklärung lösen. das vereinbart ist, müssen geahndet werden. Und wir Aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir innerhalb wollen Kontrollmaßnahmen auf See deutlich machen. Europas auch zwei Dinge durchsetzen müssen, erstens Es geht auch darum, dass verhindert werden soll, dass eine ganz klare Ahndung von Embargoverstößen, und es illegale Ausfuhren von Erdöl aus Libyen gibt. Meine zweitens müssen wir alles tun, dass Europa insgesamt, Damen und Herren, wir versuchen, ein engmaschiges also alle EU-Mitgliedstaaten, den Friedensprozess unter- Lagebild zu erzeugen, auch um festzustellen: Wie ist stützen. die Schleppersituation auf dem Mittelmeer? Das führt mich zu einem dritten Punkt. Bisher hat die Es ist aber auch deutlich geworden, dass es viele Fra- Mission Sophia unter der Uneinigkeit Europas in der Mi- gen gibt. Fragen müssen wir uns auch, ob Europa alles grationsfrage gelitten. Das Problem ist – der Außenminis- Mögliche in diesem Einsatz tut und ob Europa genügend ter hat es angesprochen – immer noch nicht gelöst. Wir Handlungsfähigkeit abbildet. Denn immerhin baut sich 19402 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Henning Otte (A) dort ein schwerwiegender Konflikt auf, in dem die Liby- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (C) sche Nationale Armee gegen die Regierung des Nationa- Drucksache 19/18734 an die in der Tagesordnung aufge- len Einvernehmens steht. Hier müssen alle Vermittlungs- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- versuche nach dem Berliner Prozess genutzt werden, weisungsvorschläge? – Ich sehe, dass das nicht der Fall damit das Land nicht noch weiter destabilisiert wird. ist. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. Ich sage aber auch sehr deutlich, dass wir das große Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Bild sehen müssen. Wir stellen fest, dass Russland aber- mals versucht, sich einzubringen, strategisch aufzustellen Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter und dort einen regionalen Einfluss weiterhin geltend zu Boehringer, Marcus Bühl, Martin Hohmann, wei- machen. Wir stellen aber auch fest, dass die Türkei dort terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD sehr engagiert und aktiv ist. Wir müssen als Europa ein eigenes Handlungskonzept aufstellen, damit wir nicht Keine EU-gesteuerten Corona-Hilfen passiv, sondern aktiv sind. Schließlich geht es auch um Drucksache 19/18725 die Sicherheit unseres Landes. Deswegen ist dieser Bei- trag für Deutschland wichtig. Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU) Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- Wichtig ist auch, dass wir die offenen Fragen beant- schlossen. worten und deutlich machen, dass dieses Mandat einen Mehrwert hat und einen Beitrag leistet, um die europä- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ische Handlungsfähigkeit abzubilden. Wir müssen auf- ner dem Kollegen Peter Boehringer, AfD-Fraktion, das passen, dass wir über Sicherheitspolitik nicht zu abstrakt Wort. diskutieren – PESCO, CARD, Europäischer Verteidi- (Beifall bei der AfD) gungsfonds –, sondern dass wir auch konkrete Antworten geben. Dies ist eine konkrete Antwort. Wir wollen nichts unversucht lassen, um hier eine Verbesserung der Situa- Peter Boehringer (AfD): tion zu erzielen. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir können heute feststellen, dass die apokalyptischen Coronaprognosen der Regierung, mit denen hier Ende Vizepräsident Wolfgang Kubicki: März die gewaltigen Einschränkungen der Bürgerrechte Bitte kommen Sie zum Schluss. und der superteure Shutdown begründet wurden, unzu- (B) treffend waren, zum Glück natürlich, aber nicht bedingt (D) Henning Otte (CDU/CSU): durch den verfügten Stillstand. Wir stellen fest, dass bei den Linken die Fragen der Menschenrechte überhaupt keine Rolle spielen, dass sie das per se ablehnen. Die AfD lehnt sowieso alles, was Vizepräsident Wolfgang Kubicki: über den eigenen Tellerrand hinausgeht, ab, auch dieses Herr Kollege, erlauben Sie eine kurze Zwischenbemer- Mandat. kung? Die Redezeit ist angehalten. – Herr Kollege Hardt, Sie können Ihre Besprechung bitte mit gehörigem Ab- stand auch draußen fortsetzen. Es macht keinen guten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Eindruck, wenn ausgerechnet die CDU/CSU-Fraktion Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss! die Abstände nicht einhält.

Henning Otte (CDU/CSU): Peter Boehringer (AfD): Die Grünen wissen vielleicht gar nicht, wie sie abstim- Es ist schade, dass es keine Zwischenfrage gab; denn men werden. Die FDP hat viele Fragen. Deswegen ist es ich hätte zu diesem Thema gern mehr Redezeit gehabt. gut, dass wir als Koalition – Jedenfalls wurde der Shutdown erst verfügt, als die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Seuche bereits beherrscht wurde bzw. fast beherrscht Herr Kollege, ein letzter Satz jetzt. war. Die AfD hat darum zu Recht am 25. März hier be- antragt, die Maßnahmen zeitlich streng auf maximal vier Wochen zu befristen, sie dann zu evaluieren und gege- Henning Otte (CDU/CSU): benenfalls zügig aufzuheben – sehr zu Recht, wie wir – Handlungsfähigkeit beweisen und dieses Mandat vo- heute wissen. ranbringen. Vor diesem Hintergrund plant nun auch noch die EU Danke schön. eigene billionenschwere Coronakrisenprogramme. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ist grotesk. Corona ist ein symmetrischer Schock, für alle Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) Länder der EU gleich. Das Virus darf darum keine asym- metrischen Geldtransfers zulasten Deutschlands begrün- den. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Damit schließe ich die Aussprache. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19403

Peter Boehringer (A) Die EU will wieder einmal mit deutschem Geld ihre (Beifall bei der AfD – Sven-Christian Kindler (C) Existenzberechtigung zurückkaufen, die sie längst verlo- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Blöd- ren hat. sinn!) Die EU hat bereits Maßnahmen für gewaltige 500 Mil- Sogar ohne EU-Programme ist ein weiterer deutscher liarden Euro beschlossen: erstens ein 200-Milliarden-Eu- Nachtragshaushalt auf Pump bereits absehbar. Keines- ro-Programm der Europäischen Investitionsbank – dieses falls hat also der deutsche Steuerzahler noch mehr Geld- steht in direkter Haushaltskonkurrenz zu nationalen Maß- mittel für EU-Programme. Das Geld würde gemäß mir nahmen der KfW für Mittelständler –; zweitens 200 Mil- vorliegenden Papieren übrigens verwendet für noch mehr liarden Euro an ESM-Krediten, ein Transfermechanis- Bürokratie, für mehr CO2-Religion, für die berüchtigte mus wie immer von deutschem Geld für die Euro- Agenda 2030, für den Green Deal, für noch mehr Immig- Südländer; drittens ein EU-Kurzarbeiterprogramm SU- ration, noch mehr Milliarden für die sogenannten Partner- RE. Das ist schlicht illegal. Die geplanten Garantien der länder Äthiopien, Senegal, Türkei, Albanien, Kosovo, Mitgliedstaaten begründen eine nach Artikel 125 AEUV sogar für Venezuela und die karibischen Länder, all das verbotene Gemeinschaftshaftung. Daran ändert auch der gemäß offizieller EU-Papiere. Für all diese Länder will vielzitierte Artikel 122 nichts. Weiterhin ist die Arbeits- man – ich zitiere – „kohärente Finanzpakete schnüren“. marktpolitik gemäß EU-Verträgen überhaupt nicht verge- Doch will das der deutsche Bürger? Nein, natürlich meinschaftet. Es fehlt somit eine Rechtsgrundlage für die nicht! Die Menschen verstehen sich nicht als EU-europä- EU, hier überhaupt tätig zu werden. Zudem ist nach Arti- ische oder gar als globale Schicksalsgemeinschaft, wie es keln 124 und 311 AEUV auch noch die Kreditaufnahme heute Morgen wieder einmal von der Kanzlerin behauptet verboten. Das ist also schon als Kreditfinanzierung ver- wurde. Nur eine massenmedial unterstützte weltferne boten, also multipel illegal. supranationalistische Elite kann glauben, dass Schulden- macherei und Planwirtschaft die EU oder gar die Welt aus (Beifall bei Abgeordneten der AfD) der Krise führen werden. Auch SURE steht in direkter Konkurrenz zu nationalen Regelungen. In Deutschland reden wir bei derzeit über Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 15 Millionen Kurzarbeitern von einem Geldbedarf, der Kommen Sie bitte zum Schluss. die in langen guten Jahren angesparte Milliardenrücklage der Bundesagentur schon im Frühjahr aufbrauchen wird. Peter Boehringer (AfD): Der Bund wird hier also einspringen müssen. Unser Bei- trag zu SURE für südeuropäische Kurzarbeiter fehlt dann Was schon vor Corona illegal und grundlegend falsch war, wird keinesfalls durch Corona legitimer und sinn- (B) im deutschen Haushalt. Die AfD spricht sich in diesem (D) Konflikt um Mittel ganz klar für die Rettung der deut- voller. Die AfD lehnt alle Hilfsansätze über die europä- schen Arbeitnehmer und Unternehmen aus. ischen Institutionen ab. Herzlichen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Viertens nenne ich noch den gerade jetzt in dieser Stunde verhandelten Recovery Fund, finanziert über deutsche Haushaltsmittel und deutsche Bonität. Auch oh- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ne explizite Coronabonds wäre der Fonds ein Damm- Vielen Dank, Herr Kollege Boehringer. – Nächster bruch. Ein billionenschwerer Anschlag kommt jetzt auf Redner ist der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion, den deutschen Letzthafter zu. Noch nie in der Finanzge- schichte hat es funktioniert, wenn die einen haften und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dann andere über die generierten Finanzmittel verfügen. der bitte gemächlichen Schrittes zum Podium kommt. Es behaupte bitte niemand, dieser kommende Fonds habe nichts mit Euro-Bonds zu tun. Sogar die Fraktion der Einen kleinen Moment, bitte! Herr Kollege Karl, nicht Sozialdemokraten im EU-Parlament hat diesen Fonds ge- so nah an unsere Mitarbeiter! – Sie haben das Wort, Herr nau als das bezeichnet, was er ist, als einen riesigen Euro- Kollege. Bond. Das ist natürlich illegal; das übrigens auch in Rich- tung des Kollegen Rehberg, der erst heute Vormittag an Alois Karl (CDU/CSU): dieser Stelle staatstragend die Verfassungsmäßigkeit aller Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Maßnahmen beschworen hat. Darüber sprechen wir bitte ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Europa befin- noch einmal im Ausschuss. Natürlich ist bei diesem den wir uns in der Krise; das ist allenthalben bekannt. Wir Fonds Deutschland Haupthafter ebenso wie bei Krediten fühlen mit Hunderttausenden von Kranken mit. Wir be- des ESM, der EIB, der EZB oder der EU-Kommission. Es trauern Tausende von Toten in allen Ländern Europas. ist immer dasselbe. Wir sind sicher, dass sich die Krise wieder lösen wird. Wir sind eine stabile Gesellschaft in Deutschland. Die Auch Macron sagt jetzt ganz offen: „Ohne Finanz- Menschen üben Verzicht und zeigen gegenseitigen Res- transfers“ – deutsche natürlich – „scheitert die EU.“ Mac- pekt. Wir sind wirtschaftlich ein starkes Land, und zwar ron-Zitat! Dummerweise sind diese aber illegal. Ge- deshalb, weil wir in den letzten sechs Jahren ausgegliche- schäftsgrundlage für EU und Euro seit 1991 war immer ne Haushalte auf den Weg gebracht haben, keine neuen offiziell: Niemals eine Haftungsgemeinschaft! Die Euro- Schulden gemacht haben, Rücklagen angelegt haben, Rettung führt uns also immer weiter in den Unrechtsstaat. Haushalte mit Überschüssen ausgewiesen haben und die 19404 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Alois Karl (A) Sozialversicherungssysteme wieder auf hervorragende Darauf sind wir stolz, und das möchten wir auch in den (C) Fundamente gestellt haben. nächsten Jahren so halten. Wir haben anderen viel zu verdanken. Ich erwähne bloß beispielhaft den Marshall- Viele Notmaßnahmen sind angelaufen; das wissen Sie. plan oder ERP-Darlehen. Wenn man alles zusammenzählt, die Hilfen und die Bürg- schaften des Bundes und der bundeseigenen KfW-Bank, Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere poli- sind es mehr als 1,4 Billionen Euro. tische Ausrichtung ist eine europäische. Das ist die Phi- losophie, unsere Politik, das Credo und unser europä- Wir unterstützen geradezu auf jedem Gebiet – Fami- ischer Kompass. Glücklicherweise sind wir vereint, in lien und Alleinerziehende, Künstler, Solo-Selbstständige, der Tat. Wir sind Europäer und keine Egomanen – ich Start-ups, größere und kleinere Unternehmungen –, und habe das schon gesagt –, und Ihr Antrag, den Sie gerade wir verschulden uns natürlich, sodass einem Haushälter noch einmal zum Schluss zusammengefasst haben, bein- fast schwindelig werden könnte. Wir wissen aber, dass haltet, dass wir eigenbrötlerisch tätig sein sollen, aber wir uns gegen diese Pandemie und die wirtschaftlichen nichts mit Europa und mit unseren Partnern zu tun haben Folgen stemmen müssen. Wir sind ein exportstarkes sollen. Land. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt mit dem Export zusammen. 60 Prozent unserer Exporte gehen nach Eu- Wir unterstützen die europäischen Finanzminister mit ropa. ihrem 500-Milliarden-Euro-Programm, das sie vorge- Wir wissen aber auch, meine Damen und Herren, dass schlagen haben. Im Gegensatz zur AfD sind wir für die Reaktivierung des ESM mit mehr als 400 Milliarden Euro es unvorstellbar ist, dass wir unseren deutschen Wohl- Ressourcen, die dort geparkt sind. Im Gegensatz zur AfD stand künftig wieder haben werden, wenn es nicht auch den europäischen Partnern gut geht. Wohlstand zum unterstützen wir einen neuen EU-Fonds SURE für die Nulltarif wird es nicht geben. Unser Wohlstand hängt Kurzarbeiterregelung in anderen Ländern. Im Gegensatz zur AfD kommen wir auch der Europäischen Investi- untrennbar mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in an- tionsbank zu Hilfe, wenn ein neuer Garantiefonds aufge- deren Ländern zusammen. legt wird. Dies bringt viele Milliarden mit geringen Ga- Im letzten Jahr hatten wir Handelsüberschüsse von rantiesummen und hohen Hebelwirkungen. 276 Milliarden Euro, und der italienische Ministerpräsi- dent wirft uns deswegen auch Egoismus vor; wir würden Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle müs- zu sehr auf eigene Vorteile schauen. Conte vergisst aller- sen wissen: Auch bei diesen Hilfsprogrammen profitieren dings, dass wir in Europa der größte Zuschussgeber sind, ebenfalls wir Deutsche. Die Krise ist auch eine Chance dass wir die größten Haftungszusagen machen und dass für uns. In China gibt es ein Schriftzeichen, das „Chance“ und „Krise“ beinhaltet. Wir müssen diese Chancen, die (B) wir auch in der jetzigen Situation gewillt sind, die Bewäl- (D) tigung der europäischen Krise mit zu finanzieren. uns gegeben sind, jedoch nutzen, auch mit unserem Geld. Der Antrag der AfD-Fraktion ist dagegen geradezu Meine Damen und Herren, wir gehen Risiken ein; das grotesk, geradezu beschämend, möchte ich sagen. Ihr An- wissen wir. Aber eines machen wir nicht, nämlich dass trag ist in einem einzigen Duktus gehalten: keine europä- wir Risiken eingehen, bei denen wir in unbegrenzter Hö- ische Hilfestellung unter deutscher Beteiligung, in der he und gesamtschuldnerisch haften. Bonds, ob sie Coro- jetzigen Notsituation keine weiteren Kreditlinien, in der na- oder Euro-Bonds oder sonst wie heißen, lehnen wir jetzigen Notsituation keine neuen Garantiefonds, in der rundweg ab. Es würde nicht weiterhelfen, die Diskussion jetzigen Notsituation keine Finanzhilfen, in der jetzigen so zu führen, aber auch die Anträge der AfD helfen nicht Notsituation keine weiteren Ankäufe der Europäischen weiter. Denn man darf Partner in Europa nicht dazu an- Zentralbank. Das zeigt das Bild der AfD. Es zeigt Ihr halten, wie Sie das schreiben, aus dem Euro auszutreten. wahres Gesicht. Es ist entlarvend, meine Damen und Herren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege. neten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Alois Karl (CDU/CSU): Ihr Ansatz ist abgrundtief falsch. Das ist doch das Gegenteil von europäischer Solidari- tät, und deswegen werden wir Ihren Antrag samt und Wir verschreiben uns schon einer europäischen Solida- sonders ablehnen. Ihr Antrag bedeutet, Pest oder Cholera rität. Wir sind Europäer, und wir sind nicht Egoisten und zu wählen. Wir wählen natürlich keines von beiden. Wir nicht Egomanen. Wir wissen, dass wir in den letzten wählen die politische Prosperität in Europa. 60 Jahren gerade durch ein vereintes Europa die besten Jahre in der jüngeren Geschichte hatten. Anstelle von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: „Deutschland, Deutschland über alles“ singen wir lieber die Europahymne, in der es heißt: „Wem der große Wurf Herr Kollege, bitte. gelungen, eines Freundes Freund zu sein“, und wir haben viele Freunde in Europa. Alois Karl (CDU/CSU): Wir wählen ein weiter zusammenwachsendes Europa. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- Ich danke Ihnen herzlich. – Wir haben ein gutes Parla- ordneten der FDP) ment, lieber Herr Präsident, – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19405

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der FDP) (C) Das rettet Sie jetzt auch nicht mehr. Deswegen setzen sich die Freien Demokraten dafür (Heiterkeit bei der CDU/CSU) ein, dass wir in Richtung der Ertüchtigung des Europä- ischen Stabilitätsmechanismus, in Richtung der Europä- Alois Karl (CDU/CSU): ischen Investitionsbank und in Richtung des europä- – mit Abstand das beste. ischen Haushalts gehen, und wir werden darauf achten, dass in all diesen Verfahren die Parlamentsbeteiligung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gewahrt ist und dass die Bedingungen, die in den Ver- ordneten der SPD) trägen hinterlegt sind, auch gewahrt bleiben. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege Karl, meine Güte ist heute nahezu unend- Bei der Parlamentsbeteiligung kommt dann ein Aspekt lich. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen zum Tragen, unter dem Sie, liebe Kollegen von der AfD, noch vor 20 Uhr nach Hause. das Thema hier vorgebracht haben, nämlich national- staatliche Souveränität. Deswegen redet hier auch ein Als nächster Redner hat für die FDP-Fraktion der Kol- Innen- und Europapolitiker zu einem haushaltspoliti- lege Konstantin Kuhle das Wort. schen Thema. Wir dachten, es gehe hier um Souveränität (Beifall bei der FDP) und Subsidiarität. Dann haben wir uns Ihren Antrag an- geschaut und müssen jetzt feststellen: Ihr Begriff von Konstantin Kuhle (FDP): Souveränität ist, dass die Europäische Union überhaupt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die aktuel- nicht in der Lage ist, in dieser Krise zu handeln. Das ist le Coronakrise ist eine große Herausforderung für die ein Begriff von Souveränität, der nicht zugunsten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber auch für Europäischen Union, nicht zugunsten der Interessen der die Institution als solche, und deswegen ist jetzt die Stun- Bundesrepublik Deutschland ist, sondern das ist ein Be- de europäischer Solidarität. Ich glaube, dass in der aktuel- griff von Souveränität im Sinne von Herrn Putin. Als len Krise eines zu oft vergessen wird, und das ist der Fakt, dessen Spracherohr kommen Sie hier im Deutschen Bun- dass alle Europäerinnen und Europäer und auch die Mit- destag auch wieder um die Ecke. Wenn Ihr Souveränitäts- gliedstaaten der Europäischen Union mit Kooperation begriff angelegt werden würde, dann entscheiden über besser dran sind als ohne. Deswegen wollen wir Freie das Schicksal der Europäer nicht Berlin, nicht Brüssel, Demokraten und wollen viele Kolleginnen und Kollegen nicht Warschau, nicht Rom und nicht Paris, sondern Mos- kau und Peking. Und deswegen lehnen wir Ihren Antrag (B) hier im Haus – so schnell es geht, so schnell es vertretbar (D) ist – zurück zu einer Europäischen Union, in der die ab. Grundfreiheiten auch gelebt werden und in der beispiels- Vielen Dank. weise die Binnengrenzen geöffnet sind. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP – Marianne Schieder der CDU/CSU) [SPD]: Wer will das nicht?) Jetzt gibt es leider Vorschläge hier im Haus, die unter Vizepräsident Wolfgang Kubicki: europäischer Solidarität nur ein einziges Instrument ver- Vielen Dank, Herr Kollege Kuhle. Sie müssen mir stehen, und das ist das Thema Coronabonds oder Euro- noch verraten, wie Sie trotz der geschlossenen Frisier- Bonds. Abgesehen davon, dass dieses Instrument in der salons so einen wunderbaren Haarschnitt hinbekommen Sache falsch ist, weil es Fehlanreize setzt, gibt es für haben. dieses Instrument in der Europäischen Union überhaupt keine Mehrheit. Deswegen ist der Vorschlag der Grünen (Heiterkeit – Konstantin Kuhle [FDP]: Eigen- in Richtung Coronabonds falsch, weil er akut gegenüber initiative, Herr Präsident!) den betroffenen Mitgliedstaaten überhaupt keinen Mehr- wert mit sich bringt. Deswegen ist das kontraproduktiv Als nächster Redner spricht für die SPD-Fraktion der und muss heute auch im Europäischen Rat von der Bun- Kollege Andreas Schwarz. desregierung abgelehnt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP – Christian Dürr [FDP]: Herr Kollege Schwarz, Sie haben das Wort. Sehr richtig!) Lieber Kollege Karl, es ist interessant, dass Sie da so Andreas Schwarz (SPD): optimistisch sind. Ich würde nicht den Fehler machen und Na gut, da kann er uns vielleicht beraten. hier im Parlament schon vor dem Vorliegen des Verhand- lungsergebnisses des Europäischen Rates sagen, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und man damit einverstanden ist. Wir wollen mal sehen, Kollegen! Meine Damen und Herren! Corona macht vor was dabei am Ende herauskommt, und dann kann das Grenzen natürlich nicht halt. Die Folgen der Pandemie Parlament hinterher sagen, ob es das akzeptiert, was dort erreichen viele Menschen in allen Ländern dieser Erde. verhandelt worden ist. Aber einen Blankoscheck für ge- Gerade wir Europäer haben aber jetzt die große Chance, meinschaftliche Schuldenaufnahme darf es vom Deut- diese Viruskrise gemeinsam zu bewältigen und der Welt schen Bundestag nicht geben, meine Damen und Herren. zu zeigen, dass Europa zueinandersteht, zueinanderhält 19406 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Andreas Schwarz (A) und sich vor allen Dingen auch gegenseitig hilft. Wir sind getragen ist. „Helfen“ heißt natürlich auch „Risiko“, (C) in Europa eine Schicksalsgemeinschaft. heißt „Kosten“, bietet aber auch Chancen. Die Welt wird sicher nach der Coronakrise eine andere sein. Wir haben In dieser Situation kommt nun der heute vorliegende aber jetzt die große Chance, unsere Welt besser und zu- Antrag der AfD, der mal wieder nichts anderes macht, als kunftsfähiger zu machen. Deutschland als guter Nachbar antieuropäische Thesen zu produzieren. Liebe Bürgerin- hat ein elementares Interesse an einem starken Europa. nen und Bürger, wenn ich den dreiseitigen Antrag für Sie Die EU ist trotzt kultureller Unterschiede und unter- vor den Bildschirmen auf den Punkt bringen darf, dann schiedlicher Mentalitäten eine politische Stabilität und würde ich ihn so beschreiben: Die AfD hat das System ein verlässlicher Partner in der Welt. von Europa und das System von Solidarität nicht ver- standen. Sicherlich verrate ich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass unser Finanzminister Olaf Scholz zusammen mit (Dr. [AfD]: Doch! Haben wir seinem französischen Amtskollegen dafür gesorgt hat, sehr genau!) die unterschiedlichen Interessen Europas zu bündeln Es ist schon ein trauriges Bild, dass Rechtspopulisten und ein erstes gemeinsames Konzept im Kampf gegen in ganz Europa so gar keine Antworten auf die aktuelle die Krise zu erarbeiten, ein Konzept, meine Damen und Krise entwickeln, keine Antworten hinsichtlich unserer Herren, das richtige Antworten liefert und die Menschen Zukunft geben können und – wie dieser Antrag wieder in ganz Europa nicht im Regen stehen lässt. Diese An- zeigt – zynisch mit den Herausforderungen dieser von strengungen in Europa können sich sehen lassen. allen unverschuldeten Krise in Europa umgehen. Was wurde mit dem Unterstützungspaket in Höhe von (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] 540 Milliarden Euro erreicht? [SPD]) Erstens. 200 Milliarden Euro für die Investitionsbank, Gerade in dieser Krise zeigt sich, dass alle aufrechten damit Unternehmen der gesamten EU unterstützt werden demokratischen Kräfte in Europa zusammenhalten und können, analog zu unserer KfW. ungeheure Anstrengungen unternehmen, Arbeiterneh- mer, Unternehmen, Kranke und viele mehr zu schützen Zweitens. 100 Milliarden Euro für den SURE-Fonds, und, so gut es geht, auch wirtschaftlich aufzufangen. um das Kurzarbeitergeld zu finanzieren. Die AfD kann doch nicht ernsthaft fordern, dass Drittens. 240 Milliarden Euro aus dem Europäischen Deutschland einen Rettungsschirm über unser Land Stabilitätsmechanismus werden für medizinische Hilfen spannt und die Nachbarn im Regen stehen lässt. im Zusammenhang mit der Pandemie zur Verfügung ge- stellt. Jedes Land kann bis zu 2 Prozent des BIP als Hilfe (B) (Albrecht Glaser [AfD]: Wieso denn nicht?) beantragen. Allein für Italien würde das 39 Milliarden (D) 60 Prozent unserer Exporte gehen an unsere europäischen Euro an zusätzlicher Hilfe bedeuten. Dass die Rechts- Freunde. Viele für unsere Volkswirtschaft dringend not- populisten der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung die- wendigen Lieferketten haben ihren Ursprung bei unseren ses Geld ablehnen, erstaunt angesichts des hier vorliegen- europäischen Nachbarländern. Nehmen wir doch nur mal den Antrags der AfD nicht wirklich. Norditalien für die Automobilindustrie. Sie sehen also, meine Damen und Herren: Rechtspo- Deshalb, meine Damen und Herren der AfD: Ihre anti- pulisten sind nicht nur in Deutschland hilflos; sie sind es europäische Haltung ist keine Antwort auf die Probleme auch anderswo in der Welt. Nachbarschaftliche Solidari- der Krise; sie ist Ausdruck Ihrer permanenten Hilflosig- tät ist wesentlicher Bestandteil der Beseitigung der Pan- keit. Das ist letztendlich Ihr Geschäftsmodell: spalten und demie. Das gehört zum europäischen Gedanken. ausgrenzen. Das kennen wir von Ihnen, und ehrlich ge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matern sagt, erwarten wir auch nichts anderes mehr. von Marschall [CDU/CSU]) Aber was erwarten die Menschen in diesem Land von Wir werden auch zukünftig Ideen entwickeln, die uns? Sie wollen mit ihren Sorgen und Nöten eben nicht wahrscheinlich über die bestehenden Programme hinaus- alleingelassen werden. Die Menschen müssen im Mo- gehen müssen, und Denkverbote über die Ausgestaltung ment ein anderes Leben organisieren. Das fängt bei der und Finanzierung der Hilfen sollte es, anders als in Ihrem Kinderbetreuung an, geht über den Erhalt des Arbeits- Antrag formuliert, liebe Kolleginnen und Kollegen der platzes oder der Existenz und endet sicherlich nicht nur AfD, nicht geben. damit, dass man sich Gedanken darüber macht, ob man gesund bleibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben viele Helden des Alltags, und sie verdienen Ob konditionierte Darlehen, Beteiligung, wie wir es hier unsere Solidarität. Und diese Helden des Alltags gibt es in Deutschland machen – über alles müssen wir nachden- natürlich auch in ganz Europa. Unsere Bundesregierung ken. Sicher muss dies auf Grundlage der europäischen hat hier schnell, umfassend und mit großer Verantwor- Verträge und auf Grundlage des Grundgesetzes passieren, tung reagiert, und das auch mit den Stimmen der Opposi- und sicherlich wird das Parlament hier das letzte Wort tion. Das ist Solidarität, und daran könnte sich die AfD haben wollen. mal ein Beispiel nehmen. Zum Schluss. Was fühlen die Menschen in diesem Genauso erwarten die Menschen in Europa natürlich Land? Wir handeln hier mutig, verantwortungsbewusst auch Hilfe, die von der europäischen Idee der Solidarität und entschlossen, und wir haben gute und richtige Lösun- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19407

Andreas Schwarz (A) gen. Meine Damen und Herren, Solidarität ist die politi- che anderer europäischer Länder 440 Milliarden Euro (C) sche Form der Nächstenliebe. Diese Koalition und große bekommen haben, ist es doch richtig, dass von uns aus Teile dieses Parlamentes leben diese Solidarität. Solidarität ein Teil dessen wieder in diese Länder zurück- fließt. Herzlichen Dank. Und bleiben Sie gesund! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer kam auf die Idee, den ESM wieder zu bemühen? Der ESM ist gerade bei südeuropäischen Ländern so was wie das schlimmste Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Instrument, das man zur Anwendung bringen kann; Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. – Nächster Red- ner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Alexander (Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wie die Treu- Ulrich. hand in der DDR!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. die Troika und die EU-Kommission haben gewütet. Al- Christian Petry [SPD]) lein zwischen 2008 und 2011 hat die EU-Kommission dafür gesorgt, dass in diesen Ländern 63-mal Kürzungen Alexander Ulrich (DIE LINKE): im Gesundheitswesen umgesetzt werden mussten. Also: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Der ESM ist gerade das Gegenteil von Solidarität. ESM es ist ein aberwitziger Antrag der AfD. Aber es über- bedeutet Austerität, Sozialabbau und noch weniger rascht nicht, dass sie uns auch in dieser Krise mit noch Gleichheit in der Europäischen Union. Dass diese Länder mehr Spaltung, nationalem Egoismus und Ausländer- den ESM ablehnen, ist völlig klar, und es wird auch von feindlichkeit beschäftigt. Man ist fast schon beschämt, uns unterstützt, dass in dieser Krise die Mittel nicht aus wenn man den Inhalt dieses Antrags liest. Denn es kommt dem ESM kommen. einem wirklich so vor, als glaube die AfD, sie wäre auf Wir bräuchten ein solidarisches Europa. Wir könnten einer einsamen Insel und der Wohlstand in Deutschland das auch umsetzen, wenn wir eine Finanzierung der öf- würde dadurch entstehen, dass man die Grenzen schließt, fentlichen Haushalte direkt über die Europäische Zentral- auch die Grenzen der Solidarität. bank hätten, wie es so ähnlich auch in den USA passiert. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass auch wir als Linke Das geht bei uns leider nicht; aber es wäre durchaus dem Rettungspaket zugestimmt haben. Wir haben vieles möglich, Coronaanleihen über die Europäische Investi- zu kritisieren, wir haben zu Detailfragen, auch jetzt wie- tionsbank umzusetzen. Das erlaubt das europäische Recht, und das ist unser Vorschlag und auch der anderer (B) der bei der Kurzarbeit, ganz andere Vorschläge; vieles (D) geht uns nicht weit genug. Aber eines ist doch relativ klar: europäischer Parteien. Jeder Euro, der in Deutschland für die Arbeitsplätze, für Deshalb: Mehr Solidarität bedeutet weniger Politik der die Zukunft unseres Landes bewegt wird, nützt doch AfD, aber auch weniger Blockadehaltung der CDU/CSU nichts, wenn wir zusehen, wie die Nachbarländer kaputt- in dieser Bundesregierung. gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. GRÜNEN) Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb braucht es mehr europäische Solidarität. Ja, auch Deutschland muss mehr Geld in die Hand nehmen, um Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Europa hier nach vorne zu bringen. Deshalb ist der AfD- Vielen Dank, Herr Kollege Ulrich. – Nächster Redner Antrag nicht das Papier wert, auf dem er steht, und er wird der Kollege Sven-Christian Kindler sein, Bünd- wird von uns natürlich abgelehnt. nis 90/Die Grünen, wenn wir mit den Hygienemaßnah- men hier vorne fertig sind. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten der SPD und des Abg. Markus Kurth (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – So. Herr Kollege Kindler, Sie haben das Wort. Das Problem ist aber, dass in der Bundesregierung insbesondere die CDU/CSU nicht gerade immer euro- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- päisch-solidarisch handelt. Und zur Wahrheit gehört auch NEN): dazu: Dass wir in Deutschland die schwarze Null hatten Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- und wir die Schuldenbremse eingehalten haben, war ren! In vielen Ländern Europas wütet die Pandemie mit wahrscheinlich weniger Ergebnis guter Regierungspoli- Zehntausenden Toten. Es gibt Millionen Arbeitslose. Vie- tik, sondern Ergebnis der europäischen Finanz- und Euro- le Kleinunternehmerinnen und -unternehmer in Italien Krise, aufgrund derer wir durch die Niedrigzinspolitik oder Spanien sind von der Insolvenz bedroht. Und was laut „Handelsblatt“ – Stand Dezember – 440 Milliarden ist die Antwort der AfD in ihrem Antrag heute? Sie lehnt Euro zusätzlich gewonnen haben, weil wir durch die jegliche europäische Hilfe kategorisch ab. Nennen wir es niedrigen Zinsen, die nicht unserer Wirtschaftsleistung doch beim Namen: Es geht hier um Menschen, Menschen entsprachen, von der Schwäche anderer europäischer in Europa. Ich finde: Was Sie hier vorlegen, das ist kalt- Länder profitiert haben. Und wenn wir durch die Schwä- herzig, das ist unmenschlich. 19408 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Sven-Christian Kindler (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) sowie bei Abgeordneten der SPD) NEN]: Wie die Mehrheit der europäischen Re- gierungen!) Die Antwort der Rechtsradikalen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern ist Nationalismus, und das bei – da kann man auch einfach zuhören –, will ich Sie jetzt einer internationalen, einer grenzüberschreitenden Krise. einfach mal klar und deutlich etwas fragen. Ich sage das Das Coronavirus macht doch nicht halt an nationalen gerne noch mal für meine Fraktion: Wir müssen als star- Schlagbäumen. Deswegen sagen wir auch sehr klar: Die- kes Land, als ein Land, das durch gutes finanzielles Ge- se Krise betrifft uns in Europa gemeinsam. Wir brauchen baren in den letzten Jahren aufgefallen ist, den schwachen jetzt gemeinsame europäische Antworten und keine na- Ländern Europas helfen. Das ist unbestritten, und das ist tionale Abschottung. entsprechend unserer großen Stärke auch notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich frage Sie jetzt: Wenn Sie von gemeinschaftlicher sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] Haftung reden und, sagen wir mal, ein Betrag von 1 Mil- [SPD]) liarde Euro Haftungsvolumen aussteht, an dem sich Deutschland entsprechend seiner Stärke mit, sagen wir, Noch ein Wort zur FDP. Es stimmt einfach nicht: Viele 30 Prozent beteiligt, sind Sie dann der Meinung, dass ein europäische Länder haben sich für gemeinsame Anlei- Gläubiger von Deutschland diese 30 Prozent und nur hen, haben sich für Coronabonds ausgesprochen. diese 30 Prozent verlangen kann, oder sind Sie der Mei- (Konstantin Kuhle [FDP]: Die Minderheit, ja!) nung, dass Deutschland erst mal die gesamte Summe zahlen muss, wenn Europa helfen muss? Deutschland und die Niederlande haben sich dabei iso- liert. (Christian Dürr [FDP]: Sehr gut!) (Otto Fricke [FDP]: Finnland, Dänemark, Das ist der wesentliche Unterschied. Schweden!) (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) Nicht nur in dieser Debatte, sondern in vielen anderen Ich bitte Sie um eine Antwort: Muss Deutschland dann Debatten im Deutschen Bundestag der letzten Jahre ha- erst mal alles zahlen, oder muss Deutschland entspre- ben Sie immer groß die proeuropäische Fahne geschwun- chend seiner Stärke verantwortungsvoll in Europa han- gen, aber wenn es konkret wird, hat man von der FDP deln? immer nur gehört: Nein, nein, nein! Blockade! (Beifall bei der FDP) (Christian Dürr [FDP]: Das ist Quatsch! Das, (B) (D) was Sie machen, ist antieuropäisch!) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist nicht proeuropäisch, was die FDP hier vorschlägt. NEN): Erstens, Kollege Fricke: Danke für diese kritische Zwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – schenfrage. Ich wollte noch mal auf die Frage der Haf- Christian Dürr [FDP]: Diese Bonds sind anti- tung in Europa eingehen. europäisch, Herr Kindler! Das wissen Sie auch! Das ist das Gegenteil von europäisch!) (Christian Dürr [FDP]: Ich fand die Frage sehr klar! Die kann man beantworten!) Machen wir uns doch mal ehrlich: Reden wir doch mal über die Haftung für Schulden in Europa! – Danke schön, Kollege Dürr. Ich antworte jetzt auf die Frage des Kollegen Fricke. (Konstantin Kuhle [FDP]: Okay!) (Christian Dürr [FDP]: Ich wollte es nur sa- Der Grund, warum aus der dramatischen Coronakrise gen!) bisher keine dramatische Euro-Krise geworden ist, ist, dass die EZB mal wieder die Kohlen aus dem Feuer ge- Ich glaube, Sie sind gerade nicht dran und haben auch holt hat. Das ist doch die Wahrheit! keine Redezeit. Der Punkt ist: Wenn wir über gemeinsame Haftung Vizepräsident Wolfgang Kubicki: reden – und das ist der FDP ja sehr wichtig; das haben Herr Kollege Kindler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollege Kuhle und auch der Kollege Fricke noch mal des Kollegen Fricke? Ich halte die Uhr auch an. betont –, dann muss man sich die Frage stellen: Wie funk- tioniert eine Währungsunion, und kann man eine Wäh- rungsunion ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanz- Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politik und ohne gemeinsame Haftungsmechanismen NEN): aufrechterhalten? De facto ist es bisher so, dass die Sehr gerne. EZB quasi als gemeinsame Haftungsunion die Kohlen aus dem Feuer holt. Das ist die Wahrheit, wenn man über Otto Fricke (FDP): die Verschuldung von Europa redet. Herr Kollege Kindler, weil Sie erneut versuchen, an- (Otto Fricke [FDP]: Frage!) dere, die sagen: „Wir wollen als Europäer helfen“, als Antieuropäer darzustellen, weil sie nicht so helfen wol- Das Zweite zur Frage der gemeinsamen Haftung: len, wie Sie sich Hilfe vorstellen Wenn man nicht will, dass die EZB immer wieder die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19409

Sven-Christian Kindler (A) Kohlen aus dem Feuer holt, dann muss man eine gemein- handeln und zu agieren. Darum geht es jetzt in Europa. (C) same fiskalische Antwort geben. Dafür muss sich die Bundesregierung endlich einsetzen. (Christian Dürr [FDP]: Sie drücken sich!) Vielen Dank. Unser Vorschlag ist, solange wir die EU-Verträge haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und solange wir auch die Vorgaben des Grundgesetzes Christian Dürr [FDP]: Aber es reicht doch hier im Deutschen Bundestag nicht geändert haben, einen nicht, wenn die Feuerwehr in zwei Jahren großen gemeinsamen Recovery Fund aufzulegen. Das Löschwasser bekommt! Was bringt einem denn Volumen läge bei 1 Billion Euro, nicht 1 Milliarde Euro. Löschwasser in zwei Jahren?) Das kann man absichern über Garantien des europäischen Haushaltes, und dafür wird Deutschland anteilig haften, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wie andere Länder auch. Das ist ein pragmatischer Vor- schlag: Solange wir die Verträge nicht ändern können, Vielen Dank, Herr Kollege Kindler. – Letzter Redner solange wir sie nicht geändert haben, legen wir gemein- zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Matern same Anleihen auf. von Marschall, CDU/CSU-Fraktion. Es gibt jetzt schon gemeinsame Anleihen im Rahmen (Beifall bei der CDU/CSU) des europäischen Haushaltes: beim EFSM, beim Balan- ce-of-Payments-Programm, bei der Macro-Financial As- Matern von Marschall (CDU/CSU): sistance. Alles das sind gemeinsame Anleihen. Dafür Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen wird Deutschland teilschuldnerisch haften, nicht gesamt- und Kollegen! Ich bin dankbar, dass wir, wenn auch in schuldnerisch; das war die Antwort auf Ihre Frage. Aber dieser besonderen Weise, zusammenkommen können, trotzdem sind es gemeinsame Anleihen. Da werden damit die parlamentarische Debatte wieder an Fahrt auf- Schulden in Europa in einer nennenswerten Größ- nimmt; das hat sie ja heute auch getan. Ich bin aber auch enordnung, die wir brauchen, gemeinsam aufgenommen. dankbar, weil wir als Vertreter der Regierungskoalition, Das wollen wir Grüne. Diesen Weg hat die Bundesregie- der CDU/CSU-Fraktion, selbstverständlich – um dieses rung bisher versperrt; sie hat sich der Diskussion ver- Thema geht es heute natürlich auch – unser Königsrecht, weigert, viel Porzellan zerschlagen und viel Vertrauen das Haushaltsrecht, sehr bewusst wahrnehmen wollen in Europa zerstört. Wir fordern, dass das endlich aufhört und werden. und dass es jetzt eine große gemeinsame Antwort in Europa gibt. Ich habe wie viele von uns, wie viele von Ihnen in den letzten Wochen erlebt, wie ungeheuer intensiv die Zu- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sammenarbeit mit den Menschen vor Ort ist, wie unge- (D) heuer leistungsfähig und leistungsbereit die Verwaltun- Die Frage, die sich SPD und Union stellen müssen, ist gen und all diejenigen, die in vielen Bereichen der doch: Will man, dass die EZB in Europa weiter alles Gesellschaft Hilfe leisten, sind. Das war für mich eine aufkauft, um die Spreads niedrig zu halten, ohne gemein- außergewöhnliche Erfahrung, die ich hier mitgeben same Regeln, ohne dass wir dafür Vorgaben machen kön- möchte, weil sie auch zur parlamentarischen Arbeit ge- nen, oder will man das gemeinsam fiskalisch machen? hört, aber auch, weil sie gerade in dieser Zeit aus techni- Bisher haben die Kanzlerin, aber auch der Finanzminister schen Gründen wenig sichtbar gewesen ist. und die Unionsfraktion gesagt: Wir wollen das nicht. Wir wollen, dass die EZB weiter die Kohlen aus dem Feuer Wir – der Kollege Petry sitzt auch hier – haben gerade holt, den Karren aus dem Dreck zieht, und wollen nicht eben eine Konferenz mit dem Ausschuss für Grenzüber- das ökonomisch Notwendige tun. – Ich finde: Das ist schreitende Zusammenarbeit verlassen. Da ging es um doch der eigentliche Moral Hazard in der Euro-Zone. die Frage: Wie können wir allmählich – im Falle meiner Die Staaten, besonders Deutschland, handeln nicht fiska- Heimat zwischen dem Elsass und Baden – wieder eine lisch, aber am Ende muss es die EZB machen. Man zeigt halbwegs erträgliche Durchlässigkeit der Grenze gerade immer mit dem Finger auf die EZB, entweder auf Herrn für die vielen Pendler auf dem Weg zur Arbeit ermögli- Monti oder – in der Zukunft – auf Lagarde, und sagt: chen? Man sah also sofort: Diese Krise ist eben keine „Oho, die Zinsen in Deutschland sind so niedrig! Die nationale, sondern sie ist eine, die alle Menschen glei- armen Sparer!“, aber de facto ist man nicht bereit, die chermaßen trifft, weil der Virus keine Grenzen kennt. fiskalischen Antworten zu geben, die jetzt notwendig Deswegen müssen wir hier deutsch-französisch, müssen sind, mutig zu sein in Deutschland und auch Tabus zu wir hier europäisch zusammenarbeiten und können uns brechen und über den eigenen Schatten zu springen. nicht einigeln in die Kaltherzigkeit des Nationalismus, Das ist der eigentliche Moral Hazard in der Euro-Zone. die aus Ihrem Antrag spricht, den wir schon aus diesem Ich finde das extrem scheinheilig. Grunde rundheraus ablehnen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christian Petry [SPD] und Dr. Christoph Wir Grüne sagen auch sehr klar, was jetzt notwendig Hoffmann [FDP]) ist. Wenn die ganze Straße brennt in Europa, dann kann ich doch nicht sagen: „Jeder soll sein eigenes Haus lö- Ich will ganz deutlich sagen: Die von den Finanzmini- schen“ und: „Jeder muss für sich selber sorgen“. Nein, stern und heute auf dem Europäischen Rat verabschiede- dann muss ich dafür sorgen, dass die Feuerwehr jetzt ten drei Programme, über die gesprochen worden ist, sind genug Löschwasser hat, um schnell und entschlossen zu gut. Wir werden auch hier im Bundestag nochmals darü- 19410 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Matern von Marschall (A) ber beraten, weil der Bundestag in allen diesen Punkten Ich bin sehr enttäuscht, dass schon am Beginn dieser (C) zustimmungspflichtig ist. Dann werden wir ganz genau Herausforderungen, die wir jetzt bewältigen müssen, Ein- sehen, welche Beträge, welche Haftungsrisiken auf zelne – namentlich die AfD-Fraktion – diese schwierige Deutschland entfallen und ob wir das für verantwortbar Bewährungsprobe dazu nutzen, ihre eigene scheußliche halten und dem dann auch zustimmen können. nationalistische Suppe zu kochen. Das werden wir nicht akzeptieren. (Peter Boehringer [AfD]: Da sind wir sehr ge- spannt, ob Sie 1 Billion für verantwortbar hal- Zum Abschluss, Herr Präsident: Wir dürfen auch die ten!) Ärmsten in der Welt nicht vergessen. Es ist unsere Auf- gabe, gerade denen, die am wenigsten Schutz vor dieser Ich bin ziemlich sicher, dass es gut ist, dass wir einen Krise haben, zu helfen. Deswegen: Lassen Sie uns die Teil des ESM der Bekämpfung von Corona widmen. Und WHO stärken! Lassen Sie uns die Menschen insbesonde- zwar geht es ja hier vor allen Dingen darum, dass Län- re in Afrika im Blick haben, die besonders stark leiden dern, die dies vielleicht allein nicht schaffen würden, werden, weil sie am wenigsten geschützt werden! Marktzugang und Zugang zu Geld verschafft wird. Das ist aber ein sogenanntes vorbauendes Verfahren, damit Herzlichen Dank. nicht irgendwelche Spekulanten gegen diese Märkte (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) spekulieren, um dann künstlich die Zinsen hochzutreiben. Das ist schon mal gut. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Das Zweite, was gut ist, ist, dass die EIB Kredite an Vielen Dank, Herr Kollege von Marschall. – Damit Unternehmen vergibt. Das ist das, was wir hier in schließe ich die Aussprache. Deutschland mit der KfW machen. Insofern drücken wir hier jetzt mit dem, was wir aus eigener Stärke heraus Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf leisten können – andere können das nicht unbedingt leis- Drucksache 19/18725 an den Haushaltsausschuss vorge- ten –, unsere Hilfsbereitschaft aus. Das finde ich sehr schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Ich vernünftig, ausgesprochen hilfsbereit und gut. sehe, das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vor- geschlagen. Zum Dritten. Auch das Programm SURE ist ja ein Ich rufe die Zusatzpunkte 14 bis 16 auf: wenig – ich sage es jetzt mal so – von unserem Kurz- arbeitergeld abgekupfert. Das soll jetzt vorübergehend Beratung des Antrags der Abgeordneten auch zur Verfügung stehen. Christian Dürr, Grigorios Aggelidis, Renata Alt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (B) (Peter Boehringer [AfD]: Deshalb fehlt das (D) Geld ja auch nicht national!) Mit der negativen Gewinnsteuer die Solvenz des deutschen Mittelstands sichern – Herr Boehringer, hören Sie doch einfach mal zu. Drucksache 19/18669 Jetzt will ich ganz klar sagen: Diese Dinge sollen vom Überweisungsvorschlag: Betrag und vom zeitlichen Umfang her scharf begrenzt Finanzausschuss (f) sein und dem Zweck dienen, den Europäern, die in dieser Ausschuss für Wirtschaft und Energie Situation, in dieser Krise besonders leiden, zu helfen. Haushaltsausschuss Dann sollen sie aber auch wieder verschwinden; das ist Beratung des Antrags der Abgeordneten Albrecht doch ganz klar. Glaser, Franziska Gminder, Kay Gottschalk, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD (Peter Boehringer [AfD]: Der ESM sollte ja auch mal verschwinden! 2012 schon! Die Sekt- Steuerliche Sofortmaßnahmen zur Bewälti- steuer auch!) gung der Corona-Krise Die Phantasien der Linken und der Grünen von den Drucksache 19/18727 Billionenpaketen wollen wir uns mal ganz genau an- Überweisungsvorschlag: schauen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das, was wir Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie brauchen, ein Programm ist, das der wirtschaftlichen Pro- Haushaltsausschuss duktivität der europäischen Länder hilft. Daran mangelt es nämlich. Es mangelt an wirtschaftlicher Prosperität, an Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Wachstum und an Leistungsfähigkeit. Dafür die Rahmen- Müller, Katharina Dröge, Erhard Grundl, weite- bedingungen zu verändern, daran sollten wir arbeiten. rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Wir sollten den Markt nicht mit Geld überschwemmen. DIE GRÜNEN Es hilft am Ende überhaupt niemandem, wenn dahinter Soforthilfen breiter aufstellen – Existenz von keine leistungsfähigen Wirtschaften sind. Selbstständigen sichern und kleine Unterneh- men bezuschussen Dafür wollen wir uns einsetzen, und ich glaube, das werden wir da, wo wir gemeinsamen europäisch arbei- Drucksache 19/18706 ten – und das sind ja viele von uns, auch über Fraktionen Überweisungsvorschlag: hinweg –, sicher auch gemeinsam europäisch hinbekom- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) men. Finanzausschuss Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19411

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Ausschuss für Arbeit und Soziales (Beifall bei der FDP) (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Deswegen sage ich Ihnen: Union und SPD lassen die Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Haushaltsausschuss mittelständischen Betriebe hier leider weiter im Regen stehen. Nach der Krise werden Tausende Unternehmen Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten be- trotz kurzfristiger Liquiditätshilfe vor der Pleite stehen, schlossen. und deswegen braucht es eine solche nachträgliche Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Steuersenkung. ner das Wort dem Kollegen Christian Dürr, FDP-Frak- In diesem Zusammenhang fand ich die Bemerkung des tion. Fraktionsvorsitzenden der SPD, des Herrn Dr. Mützenich, heute Morgen bei der Regierungserklärung sehr span- (Beifall bei der FDP) nend. Er hat nämlich gesagt: Steuersenkungen kommen nicht in Frage. – Ich frage mich, wo er gestern Abend Christian Dürr (FDP): beim Koalitionsausschuss war, wo Sie ja zumindest einen Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen kleinen ersten Schritt in Form einer erweiterten Verlust- und Kollegen! Bei der Vorstellung dessen, was die Bun- verrechnung für Unternehmen gemacht haben. Da sind desregierung machen will, hat der Bundesfinanzminister nur 4,5 Milliarden Euro vorgesehen. Im Vergleich zu Olaf Scholz vor etwa vier Wochen davon gesprochen, den 55 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen, ist dass er jetzt die Bazooka auf den Tisch gelegt hat. Nach das nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber vier Wochen der Coronahilfe in Deutschland fragen sich ich sage Ihnen in aller Klarheit: Wir haben seit Wochen viele mittelständische Unternehmerinnen und Unterneh- darüber gesprochen, und gestern ist ein Minischritt ge- mer, ob diese Bazooka Ladehemmungen hat. macht worden. Den stellt die SPD schon wieder infrage. So kann man Sicherheit für die mittelständischen Unter- Dabei ist sie eigentlich gut gefüllt: 155 Milliarden Euro nehmen in Deutschland jedenfalls nicht herstellen. im Nachtragshaushalt, 1 Billion Euro beträgt allein der Haftungsrahmen des Bundes und 55 Milliarden Euro im (Beifall bei der FDP) Rahmen einer sogenannten globalen Mehrausgabe für Das, was wir hier vorschlagen, findet Zuspruch bei den Bundesfinanzminister. Eigentlich liegt es nicht an Ökonomen. Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft der Ladung, aber diese Bundesregierung feuert nicht, in Kiel, Professor Felbermayr, hat beispielsweise gesagt: um mal im Bild zu bleiben. Diese Hilfen kommen bei Das ist genau das richtige Instrument in der Krise. Jetzt den Unternehmerinnen und Unternehmern nicht in aus- muss Unternehmen mit Liquidität geholfen werden. reichendem Maße an; denn für die Unternehmer mit einer (B) Mitarbeiterzahl zwischen 11 und 249 gibt es kein eigenes Deswegen bitte – ich sage das ganz deutlich in Rich- (D) Bundesprogramm. Sie werden ausschließlich auf Kredite tung Union und SPD und beispielsweise der Niedersäch- der KfW verwiesen. sischen Landesregierung, der Großen Koalition in Han- nover –: Hören Sie damit auf, über Abwrackprämien zu Das, was Sie machen, provoziert gerade im deutschen sprechen! Hören Sie auf, über irgendwelche Konjunktur- Mittelstand eine Krise nach der Krise, weil Unternehmen programme zu philosophieren! Dieses Geld, was wir ge- verschuldet aus dieser Krise heraustreten werden, und meinsam, mit Unterstützung der Freien Demokraten zur darauf hat diese Bundesregierung keine Antwort. Verfügung gestellt haben, muss jetzt dem deutschen Mit- (Beifall bei der FDP – Alexander Ulrich [DIE telstand, der in dieser Krise leidet, zur Verfügung gestellt LINKE]: Sagen Sie das mal ! werden. Keine staatlichen Programme! Die Mittelständ- Der soll ein bisschen schneller machen!) ler brauchen das Geld. Deswegen machen wir Ihnen einen konkreten Vor- (Beifall bei der FDP) schlag; den haben wir schon vor einigen Wochen ge- Zum Schluss, Herr Präsident: Denken Sie über eine macht. Wir sagen: Es braucht direkte, schnelle Hilfen, echte Öffnung bei Einhaltung der Infektionsschutzregeln und zwar direkt ausgezahlt über die Finanzämter, eine nach! Die Gastronomie ist jetzt besonders betroffen. unbürokratische Liquiditätshilfe. Wir haben das „negati- Auch andere Unternehmen des Mittelstands mit einer ve Gewinnsteuer“ genannt. Es besteht eine Finanzbezie- Ladenfläche von über 800 Quadratmetern – sie sind oft- hung zwischen Unternehmen und Finanzämtern. Diesen mals inhaber- und familiengeführt – sind betroffen. Ich Kanal müssten Sie nutzen, um zur Auszahlung zu kom- sage Ihnen zu dem Vorschlag von gestern, als gesagt men. wurde, dass Sie die Mehrwertsteuer von 19 Prozent auf Am heutigen Tag stellen wir Ihnen eine zweite Stufe 7 Prozent senken werden: Auch ein Steuervorteil von vor, nämlich ein Versprechen, was mit einer solchen Aus- 12 Prozentpunkten auf null Umsatz bleibt leider null. zahlung verbunden sein sollte. Wir sagen: Einen Teil des Gewinnrückgangs bzw. des entgangenen Gewinns, einen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Teil dessen, was die Unternehmer in diesem Jahr nicht Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. umsetzen, was dazu führt, dass sie Verluste erleiden, muss der Steuerstaat ihnen zurückerstatten; denn diese Christian Dürr (FDP): Unternehmer waren in den vergangenen Jahren solida- Hier muss die Große Koalition umdenken. risch mit dem Steuerstaat. Jetzt muss der Steuerstaat so- lidarisch mit dem deutschen Mittelstand sein. Vielen Dank. 19412 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Christian Dürr (A) (Beifall bei der FDP) Von daher wäre es klug, wenn Sie da mit Herrn Wissing (C) vielleicht noch mal ins Gespräch gehen würden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Ich kann Ihnen nur sagen: Die Soforthilfen, die wir ins Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Ich finde es mitt- Schaufenster gestellt haben und bei denen es am Anfang lerweile ja begeisternd, dass alle Redner „Ich komme Kritik gab, weil sie nicht abgeflossen sind, sind mittler- zum Schluss, Herr Präsident“ sagen, um dann nicht zum weile auf den Konten der Betroffenen angekommen. Die Schluss zu kommen. Das ist ja bei allen so. Rückmeldungen – jedenfalls bei mir im Wahlkreis – zei- gen, dass diejenigen, die die Gelder bekommen, sehr zu- (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Ist das Vorgabe?) frieden sind. – Es ist demnächst Vorgabe, dass Sie zum Schluss kom- Es gibt einen Punkt, der diskutiert wird – den haben men. – Ich kann das deshalb sagen, weil wir noch ein auch die Grünen in ihrem Antrag formuliert –; das ist die bisschen warten müssen. Frage der Lebenshaltungskosten. Darüber debattieren wir Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der auch in unserer Fraktion: Ist es richtig oder nicht richtig, Kollege Fritz Güntzler. sie zu berücksichtigen? Wir verweisen darauf, dass die Grundsicherung für Selbstständige verbessert worden ist: (Beifall bei der CDU/CSU) Die Vermögensprüfung ist für sechs Monate ausgesetzt worden; andere Dinge sind dort gemacht worden. Trotz- Fritz Güntzler (CDU/CSU): dem ist das ein Punkt, der zu diskutieren ist – insbeson- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- dere wenn wir sehen, dass das Land Baden-Württemberg ren! Der ganze Tag ist dadurch geprägt, dass wir uns 1 180 Euro hereinrechnet, die Freie und Hansestadt Ham- selbstverständlich über die Folgen der Coronapandemie burg ein eigenes Programm hat, Nordrhein-Westfalen ein unterhalten. Wir haben über die gesundheitlichen Folgen eigenes Programm hat. Ich glaube, dass die Länder hier debattiert und heute Morgen auch die Regierungserklä- doch noch einmal gefordert sind, gemeinsam ein Pro- rung der Frau Bundeskanzlerin dazu gehört. Es ist deut- gramm zu machen. lich geworden, dass sie auch wirtschaftliche Folgen ha- ben wird, und darum ist es richtig, dass wir heute auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und darüber diskutieren, wie steuerliche Maßnahmen im Zu- des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) sammenhang mit der Coronapandemie aussehen können. Darüber hinaus gibt es die KfW-Kredite. Auch da ist es Wenn wir beobachten, dass es Umsatzeinbußen und am Anfang nicht so schnell losgegangen. Ich kann Ihnen Gewinneinbrüche gibt und dass Absatzmärkte komplett aus meiner eigenen Beratungspraxis erzählen, dass das (B) verschwinden, dann wissen wir, dass den Unternehmen mittlerweile super klappt: Wir haben Mandanten, die in- (D) dreimal was fehlt, nämlich Liquidität, Liquidität, Liqui- nerhalb von 48 Stunden die Kreditzusagen bekommen. dität! Deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam einen (Christian Dürr [FDP]: Aber es sind Kredite! umfassenden Schutzschirm aufgespannt haben, um diese Die müssen sie zurückzahlen!) Unternehmen zu retten und sie mit der notwendigen Li- quidität zu versorgen, damit sie nicht in die Insolvenz Die Banken vor Ort können in die Vorfinanzierung gehen. gehen müssen. Von daher ist das Sofortprogramm ein gutes Programm, und das Schnellprogramm wird noch besser werden. Wir haben einen Mehrstufenplan. Er beinhaltet zu- nächst die Soforthilfe, die angesprochen worden ist, Wir haben den WSF, den Wirtschaftsstabilisierungs- durch die der Bund 50 Milliarden Euro für Unternehmen fonds, der zur Genehmigung bei der Kommission liegt. mit einer Beschäftigtenzahl von 1 bis 10 zur Verfügung Er wird, glaube ich, noch eine wichtige Rolle spielen. stellt. Das ist völlig richtig, Herr Kollege Dürr, aber die Und dann haben wir – und darüber wollen wir ja re- Erwartung des Bundes bei der Vereinbarung mit den Län- den – die steuerlichen Maßnahmen. Es gibt erhebliche dern war, dass die Länder darüber hinaus auch Program- Sofortmaßnahmen, die auch sofort umgesetzt worden me auflegen. sind. Es wird oft kritisiert, dass die Finanzverwaltung in (Dr. Carsten Linnemann [CDU/CSU]: So ist Deutschland zu langsam arbeitet. Aber bereits am das!) 30. März gab es das erste BMF-Schreiben mit umfang- reichen Aussagen, wie die Stundung von fälligen Steuern Wir beide kommen aus Niedersachsen und haben dort aussehen kann – alle Steuern betreffend: Einkommen- sogar mal zusammen regiert; das war übrigens gar nicht steuer, Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer –, wie die An- so schlecht. passung von Vorauszahlungen aussehen kann, das Ganze (Christian Dürr [FDP]: Das war sehr erfolg- ohne einen wertmäßigen Nachweis, sondern nur mit ei- reich!) nem Hinweis, dass man von der Coronapandemie betrof- fen ist, und einer Darstellung, warum es zu Umsatzeinbu- In Niedersachen gibt es ein Programm für Unternehmen ßen gekommen ist. Wir haben da sehr, sehr schnell mit einer Beschäftigtenzahl von bis zu 49, aber das Land geholfen, bis zur Herabsetzung der Sondervorauszahlung Rheinland-Pfalz zum Beispiel, wo Sie einen FDP-Wirt- bzw. zur Dauerfristverlängerung bei der Umsatzsteuer; schaftsminister stellen, hat in diesem Punkt gar nichts selbst da hat das BMF innerhalb kürzester Zeit reagiert. gemacht. Heute haben wir gerade aktuell noch ein BMF- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Schreiben bekommen, dass die Lohnsteueranmeldung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19413

Fritz Güntzler (A) bis zu zwei Monate später abgegeben werden kann – Keine Schrotflinte herausholen, Herr Dürr, nicht auf alles (C) wieder Liquidität, die zwei Monate später abfließt. Also streuen! Von daher: Zielgerichtet können wir das hinbe- man kann hier nicht sagen, dass die Finanzverwaltung kommen, aber nicht mit einer negativen Gewinnsteuer. untätig ist, sondern ganz im Gegenteil, hier wird tolle Arbeit geleistet zwischen Bund und Ländern. Dafür auch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ein herzliches Dankeschön! Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Wir werden weitere steuerliche Maßnahmen diskutie- Natürlich diskutieren wir, ob es weitere Maßnahmen ren müssen; da gibt es vieles, was wir machen können. geben muss, jetzt schnell. Wir haben heute Morgen ver- Die negative Gewinnsteuer ist, glaube ich, genau der nommen, dass im Koalitionsausschuss eine Verständi- gung zur Verlustverrechnung erfolgt ist, was die Voraus- falsche Weg, Herr Kollege Dürr. zahlungen 2019 angeht. Ich gebe zu, dass das für die Herzlichen Dank. Finanzpolitiker der CDU/CSU-Fraktion noch nicht weit genug geht. Ich glaube, man sollte einmal darüber nach- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – denken, ob es wirklich ausreicht, wenn man 15 Prozent Christian Dürr [FDP]: Er meint den der Vorauszahlungen im Ergebnis nur erstattet und nicht Scharfschützen; das ist etwas anderes! – Otto mehr, wenn die Verluste weitaus höher sind. Wir wissen, Fricke [FDP]: Herr Kollege, haben Sie ge- dass das Geld über die Veranlagung 2020, die 2021 erfol- dient?) gen wird, dann sowieso an die Unternehmen zurückflie- ßen wird; wir reden also über temporäre Räume. Von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: daher, glaube ich, könnten wir hierüber noch einmal Vielen Dank, Herr Kollege Güntzler. – Nächster Red- nachdenken. ner für die AfD-Fraktion ist der Kollege Albrecht Glaser. Es gibt das Modell einer sogenannten Coronarücklage, (Beifall bei der AfD) einer steuerfreien Rücklage; auch der Beirat beim Bun- desministerium der Finanzen hat diese vorgeschlagen. Albrecht Glaser (AfD): Von daher sollten wir noch einmal darüber nachdenken, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ob wir da im Gesetzgebungsverfahren etwas machen. Ins- ren! Zur Abmilderung der Folgen der Coronakrise haben gesamt geht es um die Verbesserung der Verlustvorträge, die Bundesregierung und die Landesregierungen Kon- (B) aber dazu jetzt keine Einzelheiten. zepte vorgelegt, die auf Existenzsicherung von Unterneh- (D) Aber ich möchte noch, weil die Zeit natürlich davon- men und Unternehmern zielen und mit denen die Arbeit- rennt, kurz etwas zu dieser negativen Gewinnsteuer sa- nehmer, soweit eine Weiterbeschäftigung unmöglich gen. Das hört sich ja alles ganz schön an. Aber, Herr wird, durch Lohnersatzleistungen von bis zu 87 Prozent Kollege Dürr, unbürokratisch ist das zum Beispiel gar der bisherigen Nettoverdienste unterstützt werden. nicht. Und wissen Sie, was mich am meisten an dem Von den 2 Billionen Euro öffentlicher Schulden, die ganzen Projekt stört? Mich stört, dass Sie selber nicht wir seit der Finanzkrise 2008/2009 angehäuft haben, ist sagen, was es wahrscheinlich kosten wird, und dass Sie seither nichts getilgt worden. Die stets wiederholte Be- auch Unternehmen fördern wollen, die trotz Coronapan- hauptung der Regierung, man habe in den vergangenen demie noch Gewinne machen. Jahren gut gewirtschaftet, ist daher – vorsichtig ausge- drückt – kühn. Ohne eine solche Vorbelastung hätten (Christian Dürr [FDP]: Die hätten doch sonst wir jetzt andere Handlungsmöglichkeiten. höhere Gewinne gemacht!) Kleinbetrieben und Selbstständigen soll durch nicht- Auch die sollen 80 Prozent ihrer Gewinnunterschiede be- rückzahlbare Zuschüsse die Last fixer und remanenter kommen. Kosten erleichtert werden. Dafür werden 50 Milliarden (Christian Dürr [FDP]: Sie können die doch Euro bereitgestellt. Mittel- und Großunternehmen wer- nicht bestrafen!) den staatsverbürgte Kredite im Volumen von 600 Milliar- den Euro angeboten, um Insolvenzen zu vermeiden. Also auch Unternehmen, die noch positive Ergebnisse ausweisen, positiven Cashflow ausweisen, sollen Ihrer Verbunden mit dieser Liquiditätshilfe, meine Damen Meinung nach 80 Prozent ihres Gewinnunterschiedes be- und Herren, ist jedoch automatisch der Anstieg der zahlt bekommen, Geld, das sie dann womöglich auch Fremdkapitalisierung aller Programmteilnehmer, weil noch für Ausschüttungen benutzen können. Also, wir Erlösausfälle kompensiert und nicht etwa Investitionen sollen solidarisch sein; es geht darum, Unternehmen zu mit den neu aufgenommenen Schulden finanziert wer- retten – aber nicht mit einem Schrotschuss. Wir haben den. Die im internationalen Vergleich unterfinanzierte „Bazooka“ gesagt, also zielgerichtet. deutsche Wirtschaft wird durch die zusätzlich steigende Fremdfinanzierung Ertragskraft verlieren. Die Sicherung (Otto Fricke [FDP]: Äh, Bazooka ist auch nicht der Fremdmittelversorgung muss daher flankiert werden zielgerichtet! – Christian Dürr [FDP]: Ich habe durch ein Bündel fiskalischer Maßnahmen – diese Dis- ja nur Zivi gemacht, aber mein Eindruck ist: kussion fängt an, sich durchzusetzen; vor ein paar Tagen Die ist nicht zielgerichtet!) war davon überhaupt noch nicht die Rede –, welche die 19414 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Albrecht Glaser (A) Ertragskraft der Unternehmen stärken. Denn nur das wird Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) weiterhelfen. Solche Maßnahmen werden auch bewirken, Herr Kollege. dass weniger Darlehen in Anspruch genommen werden. Wir fordern daher eine erleichterte Umstellung von der Albrecht Glaser (AfD): Soll- auf die Istbesteuerung nach § 20 Umsatzsteuerge- – die weniger Gewinn machen, durch Krisenhilfen setz und eine Erhöhung der Umsatzgrenze für die Istbe- geholfen werden muss. steuerung; eine Anhebung der Kleinunternehmergrenze (Christian Dürr [FDP]: Sie haben das Konzept nach § 19 Umsatzsteuergesetz – ganz nebenbei wäre nicht verstanden, Herr Glaser!) das eine hochwirksame Hilfe für alle Kleinunternehmer, Selbstständigen und Kulturschaffenden, und zwar viel – Das steht so drin. wirkungsvoller als das, was die Grünen beantragt haben –; obligatorische Erstattung der Sondervorauszahlung der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Umsatzsteuer und das Verrechnungsmodell für die Ein- Herr Kollege Glaser, ich muss Ihnen gleich das Wort fuhrumsatzsteuer. Meine Damen und Herren, die Fach- entziehen. leute wissen, worum es dabei geht: Diese beiden Maß- nahmen haben sofort eine Liquiditätswirkung für die Unternehmen, und sie sind mit wenig Verwaltungsauf- Albrecht Glaser (AfD): wand und ohne fiskalische Belastung zu machen. Es wäre Das ist keine Lösung, für nix. Deshalb ist es leider auch unintelligent, es nicht zu tun. gar nicht wichtig. Wir fordern des Weiteren: die Verbesserung des Spen- (Grigorios Aggelidis [FDP]: Schade, dass Sie denabzugs nach § 10b Einkommensteuergesetz für Coro- gar nicht verstanden haben, worum es geht!) nahilfen; die Zulassung des Rücktrags von Verlusten – Aber flankierende Steuermaßnahmen sind wichtig, auch da beginnt die Diskussion, gottlob – für das Wirt- und zwar die ganze Reihe, die ich Ihnen genannt habe. schaftsjahr 2020, und zwar bei allen drei Ertragsteuer- arten, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewer- Herzlichen Dank. besteuer; die Öffnung der vollen Verlustverrechnung aus (Beifall bei der AfD) dem Wirtschaftsjahr 2020 für die Folgejahre – es ist ma- kaber, jetzt in die Verluste zu fahren und nächstes Jahr nicht die volle Verlustverrechnung zuzulassen, wie es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: derzeit geltende Rechtslage ist –; Aussetzung der Zins- Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege (B) schranke nach § 4h Einkommensteuergesetz bzw. nach Lothar Binding. (D) § 8 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes – auch das eine Behinderung in der Verlustverrechnung, tatsächlich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sich selbst helfen zu können –; Beseitigung der zweiten Hälfte der Solibelastung; Indexierung des Formeltarifs Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): der Einkommensteuer gemäß Kaufkraftverlust, um end- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und lich die heimlichen Steuererhöhungen zu verhindern; und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte schließlich für die Nachfrageseite und zur Kompensation zunächst einmal allen danken, die in der Krise wirklich des Kaufkraftverlustes breiter Schichten der Bevölkerung helfen, also von der Krankenschwester bis zum Bundes- durch Corona Ermäßigung der Umsatzsteuer in toto um finanzminister, von der Pflegerin bis zum Wasserwerker, 4 Prozent beim normalen und um 2 Prozent beim ermä- vom Steuerzahler bis zur Steuerzahlerin. ßigten Steuersatz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Eine vorübergehende Entlastung für die Gastronomie, Abg. Dr. Thomas de Maizière [CDU/CSU]) soweit sie überlebt, wird kaum Wirkung entfalten. Das Denn die sind dafür verantwortlich, dass wir jetzt über- kann man machen, oder man kann es lassen; es hat keine haupt diese Finanzkraft, diese enormen Volumina bereit- Auswirkungen. stellen können. Wir fordern ferner eine sofortige gesetzgeberische Ab- Was heißt „wir“? Wir als Politiker nehmen ja das Geld senkung der Nachzahlungszinsen von 6 Prozent auf nor- der Leute, die es uns vorher gegeben haben; wir verteilen males Marktzinsniveau; das ist wahrscheinlich verfas- es nur neu. sungsrechtlich ohnehin geboten. (Zuruf des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Denen wollte ich danken; denn das sind die ehrlichen Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Steuerzahler, nicht die Steuerhinterzieher. Das sind dieje- nigen, die keinen Kassenbetrug machen, die ehrliche Kassen aufstellen. Das sind diejenigen, die keine Albrecht Glaser (AfD): Schwarzarbeiter beschäftigen usw. Ein letzter Satz. In der Tat, die Idee mit der negativen (Christian Dürr [FDP]: Zurzeit nimmt keiner Gewinnsteuer – wir haben sie genau analysiert, verehrter den Bon mit!) Herr Dürr –, ist wirklich unter Ihrem Niveau. Es kann nicht funktionieren, dass Unternehmen, – Also, den Ehrlichen verdanken wir alles, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19415

Lothar Binding (Heidelberg) (A) (Beifall bei der SPD) währt die Hilfe. Ja, er gewährt die Hilfe in Form von (C) und die haben auch unseren Dank verdient. Es ist interes- Zuschüssen, Krediten, Fazilitäten, Kurzarbeitergeld. Er sant, dass die FDP immer nervös wird, wenn ich so etwas gewährt die Hilfe in einer gigantischen Dimension. Und sage; ich danke den Ehrlichen, und ihr werdet nervös. manche, die zuvor um ein Zehntel für ihr Privates ge- kämpft haben, sind die Ersten, die jetzt auf der Matte (Christian Dürr [FDP]: Ich habe nur gesagt, stehen und die Gemeinschaft um Hilfe bitten. dass keiner den Bon mitnimmt! – Grigorios Aggelidis [FDP]: Das ist Schwachsinn, was (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie hier erzählen!) Da merkt man eine gewisse Asymmetrie in der Gemein- Übrigens, der Christian Dürr hat ja gesagt: Da gibt es schaft – der Verantwortung fürs Gemeinwesen – und da- eine Ladehemmung. – Ich fand gut, was der Fritz rin, was passiert, wenn der Staat wirklich hilft. Güntzler darauf gesagt hat, nämlich: Da gibt es eine La- Was ist eigentlich nach der Krise? Nach der Krise – da dehemmung bei den Ländern. – Die Verabredung muss bin ich ganz sicher – werden bestimmte Leute, und zwar noch kommen. die gleichen, auf die Schulden des Staates schimpfen. Sie (Grigorios Aggelidis [FDP]: Das war in Nie- werden darauf schimpfen, dass es keine Steuersenkungen dersachen mit SPD-Regierung!) gibt. Aber jetzt schauen wir doch mal, wie das Instrument (Christian Dürr [FDP]: Welchen Quatsch reden funktioniert trotz Ladehemmung. Für Coronahilfe für Sie denn?) Unternehmen liegen gegenwärtig Anträge mit einem Vo- Sie werden sagen: Es ist alles in Ordnung, wenn wir die lumen in Höhe von 26 Milliarden Euro vor. Also 26 Mil- Gewinne in die Oasen verschieben. – Sie werden sagen: liarden Euro sind da schon in Bewegung. Schauen wir Ein bisschen Schwarzarbeit ist nicht so schlimm. Kassen- mal bei den Soforthilfen für kleine Unternehmen und betrug? Ist ja alles Ameisenkriminalität. Selbstständige. Ich zitiere mal die „Rundschau“ vom 23. April. Es wurden 1,7 Millionen Anträge gestellt und (Christian Dürr [FDP]: Bitte was? Das sagt 1,1 Millionen Anträge mit einem Volumen in Höhe von doch gar keiner! – Weitere Zurufe von der 9 Milliarden Euro bewilligt – das alles innerhalb von vier FDP) Wochen nach der Gesetzgebung. Wo gibt es denn so was? Wir sehen, dass das Gemeinwesen die Verantwortung Ein Parlament und eine Regierung sind in dieser Ge- übernimmt, und wir sehen, dass der Staat in der Krise schwindigkeit in der Lage, das zu leisten, während Län- seine Aufgaben wahrnimmt. Wer ist eigentlich der Staat? der mit FDP-Regierung immer noch nicht in die Gänge Das sind wir alle, auch wir, die wir hier sitzen. (B) kommen. (D) (Grigorios Aggelidis [FDP]: Was haben Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denn heute Morgen geraucht?) der CDU/CSU) Ist es nicht auch auffällig, dass die Leute mit den höch- Da sieht man schon: Das ist gar nicht ganz so einfach. sten Einkommen und den größten Boni – das sind die (Christian Dürr [FDP]: Wer stellt denn die Re- Verantwortungsträger – jetzt gar keine Antworten geben? gierung in Rheinland-Pfalz? Frau Dreyer ist Antworten müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- doch keine FDP-Regierung! – Weitere Zurufe mer geben, indem sie zum Beispiel auf 30 oder 40 Prozent von der FDP: Hannover!) ihres Einkommens verzichten. Ich kenne Leute, die ver- zichten nicht auf so viel Einkommen; – Der Herr Wissing. Dabei hat Herr Wissing extra eine Lehre gemacht in unserem Finanzausschuss, und jetzt so (Grigorios Aggelidis [FDP]: Ist das Ihre Ant- was. wort auf die ganzen Familienbetriebe?) Mir geht es auch um das Verhältnis von Staat und dem ein paar sitzen hier, ein paar sitzen woanders. Ich glaube, Einzelnen. Übrigens, was ist der Unterschied zwischen da muss man schon gucken. Die Verantwortungsträger Staat und Steuerstaat? Den habe ich nicht verstanden. sollten jetzt Antworten geben. Das wäre eine sehr gute Sache. (Christian Dürr [FDP]: Das ist mir klar, dass Sie das nicht verstehen!) (Otto Fricke [FDP]: Gut, dass Sie keiner sind! – Die FDP spricht immer von Steuerstaat. Weiterer Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Eine Sache gefällt mir bei der Überlegung des FDP- Da will ich doch mal fragen, ob es nicht auffällig ist, Antrags gut, nämlich dass er den Blick auf die Über- wie der Staat im Moment in Mode kommt, also derjenige, gangsphase – von der Krise aus der Krise – wirft. Diese der den Bürgern immer in die Tasche greift, stets und Phase müssen wir auch in den Blick nehmen. Das Stich- überall nur Geld will, der den Mittelstand mit Bürokratie wort „Liquidität“ wurde schon mehrfach genannt; das überzieht, der zu hohe Steuern ausquetscht. sehen wir ganz genauso. (Grigorios Aggelidis [FDP]: Reden Sie von den Es ist aber unklug, ein Instrument zu nehmen, das über- SPD-Regierungen?) haupt nicht unternehmensspezifisch reagiert. Auch wenn Ist es nicht auffällig, dass dieser Staat jetzt permanent um jemand weniger Gewinn macht, kann es ihm vielleicht Hilfe gebeten wird? Und was macht dieser Staat? Er ge- wunderbar gehen. Wenn er letztes Jahr einen hohen Ge- 19416 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Lothar Binding (Heidelberg) (A) winn hatte, dieses Jahr einen niedrigeren Gewinn, dann Rheinland-Pfalz gerade passiert. Dort sagt man nämlich (C) wollen Sie ihm Geld geben. Der kommt vielleicht wun- nicht mehr „Soforthilfe“, sondern „Zu-spät-Hilfe“, weil derbar durch die Krise, bezahlt seine Arbeitnehmer, der Wirtschaftsminister bei der FDP ist. stockt vielleicht sogar noch ein bisschen das Kurzarbei- Herr Glaser – er ist nicht mehr da; ich weiß nicht, was tergeld auf. Alles wunderbar; dem würde ich gar nichts er zu tun hat –, geben. Aber andere, die viel mehr bräuchten, denen ge- ben Sie zu wenig. (Stefan Keuter [AfD]: Muss den Zug kriegen!) Diese unspezifische Förderung ist schlecht. Deshalb ist darauf, sich hierhinzustellen und zu sagen: „Es ist egal, die Idee, die Verlustverrechnung so zu organisieren, dass ob die Kneipen in Deutschland offen oder zu haben“, man eine Erstattung der Vorauszahlungen aus dem Jahr muss ich entgegnen: In welchem Land sind wir denn? 2019 bekommt, viel klüger. Die ist punktgenau und auf Ich habe schon Albträume, dass die Kneipen nach der die unternehmerische Situation bezogen. Coronazeit wieder aufmachen, man ein Getränk nach alphabetischer Reihenfolge bestellen darf und mein (Christian Dürr [FDP]: Das haben wir doch vor Name Zinedine Zidane ist. vier Wochen vorgeschlagen! Da waren Sie noch dagegen!) (Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und der Übrigens hat der BDI an dem Tag, an dem wir es im FDP) Finanzausschuss besprochen haben, sofort geschrieben: Der vorliegende Vorschlag der FDP ist eine negative Das ist eine supergute Idee, aber wir wollen viel mehr. – Gewinnsteuer. Der will ich mich jetzt widmen. Auch Fritz Güntzler hat gesagt: Wir wollen viel mehr. – Erstens: zur Liquiditäts-Soforthilfe. Die Idee dahinter, Wenn man jetzt noch sagt, wie es finanziert wird, dann ist jetzt schnell Verluste aus 2020 mit Gewinnen aus 2019 zu das eine gute Sache. verrechnen, ist in der Tat eine sinnvolle Maßnahme, weil Eine Sache hat mich sehr geärgert. Wir haben gar kein sie Liquidität sichert. Allerdings muss man auch hier Problem, die Verlustverrechnung zu machen. Wir haben sagen: Sie nützt natürlich vor allem Unternehmen, die auch sonst kein Problem, hier und da noch ein paar Mil- bereits 2019 höhere Gewinne hatten und Rücklagen bil- liarden Euro auszugeben, für eine Branche 5 Milliarden den konnten. – Von daher ist die Auffassung meiner Frak- Euro. 5 Milliarden Euro sind kein Problem, aber 1,5 Mil- tion: Wirklich zielgenau sind nur schnelle und direkte liarden Euro für die Grundrente, das ist ein echtes Pro- Zuschüsse. blem. Diese Rechnung kann ich nicht verstehen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf (B) Zweitens: zur erweiterten Verlustverrechnung nach (D) des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP]) Ende der Coronakrise. Auch darüber kann man sprechen, Ein abschließender Satz: Die AfD hat ja eben ein Su- finde ich. Allerdings sollte dies auf coronabedingte Ver- persteuersenkungsprogramm in Höhe von ungefähr 150 luste begrenzt bleiben; denn diese Regeln im Steuerrecht bis 200 Milliarden Euro angekündigt. Wir warten nur dienen eben auch der Vermeidung von Steuertricks. noch auf die Antwort, wie es finanziert werden soll. Jetzt zu dem Punkt, der mich an Ihrem Antrag wirklich Das gehört zu seriöser Politik dazu. stört: Das ist die Solvenzhilfe. Das ist nämlich eine Vielen Dank. Steuersenkung, die erst im nächsten Jahr greift und die durchaus perverse Effekte hat. Sie wollen nämlich für (Beifall bei der SPD) jeden Euro weniger Gewinn, den ein Unternehmen in diesem Jahr gemacht hat, eine negative Steuerzahlung, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: also dass dieses Unternehmen zum Beispiel 80 Cent er- Vielen Dank, Herr Kollege Binding. Ich bin mal wie- hält. Der Gewinn 2020 soll dafür mit dem Gewinn 2019 der begeistert, wie es Ihnen auch zu vorgerückter Stunde verglichen werden. So weit, so gut. Wenn jetzt – das ist gelingt, den abgesunkenen Adrenalinspiegel der Kolle- der Maßstab – der Gewinn für die gesamte Branche im ginnen und Kollegen wieder drastisch zu heben. Vielen Durchschnitt ermittelt wird und ein Unternehmen höhere Dank dafür. Gewinne als im Durchschnitt macht, dann bekommt es trotzdem den Verlust, den die Branche gemacht hat, er- Als nächster Redner hat der Kollege Fabio De Masi, stattet. Fraktion Die Linke, das Wort. (Christian Dürr [FDP]: Wahrscheinlich weil es (Beifall bei der LINKEN) noch mehr Gewinne sonst gemacht hätte!)

Fabio De Masi (DIE LINKE): Das heißt, ein Unternehmen, das einen weniger starken Einbruch bei den Gewinnen verzeichnet hat, profitiert Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Un- natürlich von dieser Regelung. ternehmen, Selbstständigen und Freiberuflern in Not muss schnell und wirksam geholfen werden; denn wenn Was heißt das aber konkret? Im FDP-Beispiel, das der Staat nicht hilft, wird die Krise teurer als nötig. Dann auch in Ihrem Antrag aufgeführt ist, wird zum Beispiel brechen nämlich Existenzen weg, Jobs werden vernich- ein Gewinnrückgang von 30 Prozent im Branchentrend tet, und die Steuereinnahmen von morgen fehlen. Wenn unterstellt bei einem Unternehmen, das selbst aber nur man aber hier den Mund so voll nimmt, wie die FDP das einen 10-prozentigen Gewinnrückgang hatte. Nach dem getan hat, dann muss man auch darüber sprechen, was in FDP-Ansatz rechnet man dann 30 Prozent mal 80 Cent. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19417

Fabio De Masi (A) Dabei kommt 24 Prozent Gewinnrückgangsausgleich Denn viele von ihnen haben schlicht und ergreifend keine (C) raus. Das heißt in der Summe, dass ein Unternehmen Betriebsausgaben. Ihre Ware ist ihre Expertise; ihr Ge- 114 Prozent des Gewinns von 2019 erhält. Es ist nicht schäft sind ihre Ideen. die Aufgabe des Staates, die Gewinne von Unternehmen zu subventionieren, und es hilft auch nicht bei der Über- (Grigorios Aggelidis [FDP]: Genau!) windung der Coronakrise. Ein Großteil der Bundesländer hat das ursprünglich ge- Vielen Dank. nauso gesehen. Es war möglich, diese Kosten zu erstat- ten. Die Verwaltungsverordnung der Bundesregierung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hat genau das zunichtegemacht; das war ein Schlag ins neten der SPD) Gesicht der Betroffenen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege De Masi. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90 die Grünen Ich will gar nicht verhehlen, dass es durchaus Solo- die Kollegin Claudia Müller das Wort. Selbstständige gibt, die mit der Möglichkeit, in die Grundsicherung zu gehen, ganz gut versorgt sind. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für viele, und zwar insbesondere für Familien, ist das nicht der Fall. Ich will Ihnen das anhand eines Beispiels Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): deutlich machen: Die junge Musikerin, allein lebend, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten möglicherweise noch mit einigen Rücklagen – es gibt ja Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, uns eint ja die keine Vermögensprüfung –, bekommt jetzt Grundsiche- Sorge um die Liquidität der Unternehmen und die Situa- rung, die gesamte Miete, Krankenkassenbeiträge und tion der Solo-Selbstständigen. Aber der Vorschlag, den wird wahrscheinlich relativ gut durch die Krise kommen. Sie machen – das ist hier schon mehrfach gesagt wor- Der freiberufliche Maskenbildner aber, verheiratet mit den –, ist schlicht und ergreifend nicht ausgereift. Ihr einer Altenpflegerin, bekommt nichts wegen der Bedarfs- Vorschlag der negativen Gewinnsteuer benachteiligt die gemeinschaft, der Einkommensprüfung. Diese Person Unternehmen, die 2019 eine hohe Investitionsquote hat- lassen Sie im Regen stehen. Sie lassen Familien im Regen ten und deswegen weniger Gewinne ausschütten. Sie stehen. Ich möchte jetzt keinen Verweis auf das Wohn- nehmen die Sozialunternehmen nicht in den Blick; Sie geld hören; denn Sie wissen: Man muss bei der Grundsi- nehmen gemeinnützige Unternehmen nicht in den Blick, cherung erst abgelehnt werden, um Wohngeld zu bean- und Sie nehmen die Start-ups, die noch nicht in der Ge- tragen. Das bedeutet mehr Bürokratie, mehr Aufwand, (B) winnzone sind, ebenfalls nicht in den Blick. Sprich: Die mehr Unsicherheit. Das muten Sie diesen Menschen zu. (D) Unternehmen, die schon jetzt Probleme haben, Unterstüt- zung zu bekommen, lassen Sie mit Ihren Vorschlägen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiterhin im Regen stehen. sowie des Abg. Christian Dürr [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich am Schluss noch einen Punkt nennen. sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU]) Aber zu Ihrem Antrag wurde genug gesagt. Ich möchte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den Blick auf ein Thema lenken, das mich besonders Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. umtreibt, nämlich die Situation der Solo-Selbstständigen; das wird die Mehrheit von Ihnen nicht überraschen. Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2,3 Millionen Solo-Selbstständige haben große Existenz- ängste. An die Koalition: Sie haben zum Verlustvortrag Der letzte Punkt. Beschlüsse gefasst. In dem Papier, das ich gesehen habe, sprechen Sie nur von Unternehmen. Ich hoffe, dass Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Selbstständigen im Bereich der Einkommensteuer er- Nicht der letzte Punkt, sondern der letzte Satz. möglichen, ihre Vorauszahlungen entsprechend geltend zu machen. Das wäre wichtig an dieser Stelle. Bitte ver- gessen Sie bei diesem Thema die Selbstständigen nicht. Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es wäre relativ simpel: Sie müssten einzig und allein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Durchführungsvereinbarung mit den Ländern an die- und bei der FDP) ser Stelle korrigieren. Lassen Sie zu, dass eine entspre- Zu den sogenannten Soforthilfen. Als sie beschlossen chende Entnahme in Höhe von 1 180 Euro möglich ist, wurden, waren wir alle, glaube ich, sehr positiv gestimmt das ist der Pfändungsfreibetrag. und haben gedacht: Genau das ist es. Dann hat man es (Grigorios Aggelidis [FDP]: Sehr gut! Eine sich genau angeschaut und musste feststellen, dass es für gute Rede von den Grünen!) viele Solo-Selbstständige, besonders im Kulturbereich, im Bildungs- und Sozialbereich, eine herbe Enttäuschung Das würde vielen helfen. Das wäre unbürokratisch, ziel- ist; denn sie haben keine Möglichkeit, diese Gelder abzu- genau und im Übrigen nicht teurer als Ihr jetziges Sys- rufen. tem. (Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!) Vielen Dank. 19418 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

Claudia Müller (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich nicht ausreichend sind. Das alles sind Maßnahmen, (C) und bei der FDP) die in einem Rekordtempo geschafft worden sind, um die drohende Zahlungsunfähigkeit von Unternehmerinnen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und Unternehmern zu verhindern. Deswegen ein großer Dank an Bund und Länder, an alle Akteure, die hier mit- Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Letzter Redner gewirkt haben. zu diesem Tagesordnungspunkt, letzter Redner des heu- tigen Tages ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU- Aber wir brauchen, glaube ich – deswegen muss man Fraktion. auch Ihre Anträge prüfen –, noch weitere Maßnahmen, zum Beispiel bei der Hotellerie, bei der Reisebranche, (Beifall bei der CDU/CSU) aber auch bei den Schaustellern, die von dieser Pandemie natürlich extrem betroffen sind. Hier müssen aus meiner Sebastian Brehm (CDU/CSU): Sicht noch Sonderhilfsprogramme auf den Weg gebracht Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und werden. Kollegen! Die Coronapandemie ist die wirtschaftlich größte Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen ist das Gebot der Stunde, wirklich jeden Tag Wir müssen aber auch mit Blick auf die Künstlerinnen aufs Neue zu prüfen, ob alle getroffenen Maßnahmen und Künstler überlegen – übrigens machen sie derzeit im auch wirklich zielgenau ankommen, ob alle getroffenen Netz wundervolle Aktionen –, wie wir gerade bei diesen Maßnahmen richtig sind, um den Erhalt der Wettbe- Solo-Selbstständigen außerhalb von ALG II, außerhalb werbsfähigkeit in unserem Land für unsere deutsche der Grundsicherung noch nachschärfen können. Ich den- Wirtschaft und den Erhalt der Arbeitsplätze zu sichern. ke, da kommen wir miteinander ins Gespräch. Ich glaube, man muss auch einmal anerkennen, was (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bisher in einem Rekordtempo erreicht worden ist: Wir der Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] haben die kombinierten Soforthilfen des Bundes und und Claudia Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Länder. In Bayern ist das eine große Hilfe; in anderen NEN]) Bundesländern – das haben wir gehört – ist noch nach- zubessern. Wir müssen wirklich täglich mit Sorgfalt, aber auch mit Schnelligkeit prüfen, was veranlasst wurde, damit das (Christian Dürr [FDP]: Ja, in Niedersachen Geld auch dort ankommt. zum Beispiel!) Wir müssen auch überlegen, wie wir Liquidität in den (B) Wir haben die Möglichkeit geschaffen, laufende Steuer- Unternehmen erreichen. Das schaffen wir mit Maßnah- (D) zahlungen zinslos zu stunden. Das wäre jetzt übrigens men, die wir schon ergriffen haben. Wir müssen aber auch für den Kollegen Glaser interessant; aber anschei- auch darüber nachdenken, wie wir weitere Liquidität nend ist er schon zu Hause. Das hätte einen Lerneffekt; zur Verfügung stellen können. Das müssen natürlich Din- (Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Hoffnungs- ge sein, die über die Krise hinausgehen. Wir brauchen los!) Liquidität in den Unternehmen natürlich für notwendige Investitionen – wir haben ja jetzt gemerkt, dass Digitali- denn das, was er fordert, haben wir schon umgesetzt. sierung ein ganz wesentlicher Faktor ist –; aber wir brau- chen natürlich auch Liquidität, um den Kapitaldienst für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die jetzt in Anspruch genommenen Darlehen zahlen zu Ich denke an die vereinfachte Möglichkeit der Herabset- können. Insofern brauchen wir eine Modernisierung der zung von Steuervorauszahlungen, die Rückerstattung der Unternehmensbesteuerung. Umsatzsteuersondervorauszahlungen bzw. die Dauer- fristverlängerung, die Erweiterung des Kurzarbeitergel- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) des mit der Rückerstattung der vollständigen Sozial- Mein Kollege Fritz Güntzler und ich haben hier weit- versicherungsbeiträge, die Möglichkeit, vereinfachte reichende Vorschläge gemacht. Der erste Punkt ist zum Darlehen in Anspruch zu nehmen, übrigens bis hin zu Beispiel die vollständige Abschaffung des Solidaritätszu- 100 Prozent Haftungsfreistellung beim KfW-Schnellkre- schlags noch in diesem Jahr. Ich glaube, dass wir auch dit und natürlich auch die steuerfreien Auszahlungsmög- noch einmal darüber reden müssen – wir haben den Vor- lichkeiten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. schlag gemacht –, thesaurierte, also nicht entnommene Diese Maßnahmen werden um die Beschlüsse des Gewinne aus den Unternehmen, begünstigt zu besteuern. gestrigen Koalitionsausschusses ergänzt: die Erhöhung Übrigens: Hätten wir das schon früher gemacht, hätten des Kurzarbeitergeldes ab dem vierten Monat auf 70 die Unternehmen jetzt auch mehr Liquidität. Also, darü- bzw. 77 Prozent und ab dem siebten Monat auf 80 bzw. ber müssen wir noch einmal nachdenken, das müssen wir 87 Prozent , die Absenkung der Mehrwertsteuer für die schnellstmöglich umsetzen, ebenso wie die Begrenzung Gastronomie auf 7 Prozent, der Unternehmensbesteuerung auf maximal 25 Prozent . Die Einführung der degressiven Abschreibung für In- (Christian Dürr [FDP]: Die nicht öffnen darf!) vestitionen – das alles sind Drohverlustrückstellungen, der pauschalisierte Verlustrücktrag; ich gebe zu, darüber auch in der Steuerbilanz – und die Rückgängigmachung muss man wirklich noch einmal nachdenken, weil die der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge sind 15 Prozent pauschalisierter Verlustrücktrag wahrschein- Maßnahmen, die Liquidität in die Unternehmen bringen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19419

Sebastian Brehm (A) und dafür sorgen, dass der Kapitaldienst geleistet werden Herzlichen Dank, und bleiben Sie gesund! Eine gute (C) kann. Heimfahrt! (Christian Dürr [FDP]: Also eigentlich das, was die FDP fordert!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Übrigens: Es gibt ja Selbstfinanzierungseffekte; wir ha- Herr Kollege Brehm, herzlichen Dank für Ihre Worte. – ben das in der Diskussion um die Unternehmensbesteue- Damit schließe ich die Aussprache. rung auch schon dargestellt. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Ich glaube, eines müssen wir uns noch vornehmen: den Drucksachen 19/18669, 19/18727 und 19/18706 an Wenn wir jetzt dem Gastronomen oder dem Einzelhänd- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- ler oder jemand anderem vorschlagen, er soll bis zum schlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – 30. September eine neue Kasse kaufen, dann ist das, Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie beschlos- glaube ich, völlig kontraproduktiv. sen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- Deswegen müssen wir bei den administrativen Ein- nung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte nur schränkungen einen Verzicht vornehmen. Das heißt, wir darauf hinweisen, dass ich zweieinhalb Stunden ge- verschieben die Anzeigepflicht für grenzüberschreitende braucht habe, um festzustellen, dass der Duft, der mich Steuergestaltungen. Wir verschieben die Kassenpflicht seit dieser Zeit ummantelt, nicht von dem neuen Parfüm für die TSE-Kassen, die zum 1. September eingeführt der Kolleginnen und Kollegen kommt, sondern vom Des- werden müssen, und wir erleichtern die Fristen bei den infektionsmittel. Dieses erwähnend, bitte ich Sie, nach- Finanzämtern und verzichten auf weitere Verschärfungen dem ich Sie in den heutigen Abend und in das Wochen- im Steuerrecht. ende und in die sitzungsfreie Woche entlasse: Beachten Sie die Hygienevorschriften! Dazu gehört nicht nur Hän- (Christian Dürr [FDP]: Schaffen die Bonpflicht dewaschen, sondern gelegentlich auch Desinfizieren. ab!) Halten Sie Abstand voneinander und von Ihren Mitmen- Ich glaube, das ist geboten. schen! Soziale Distanz ist in diesen Tagen ganz wichtig. Und passen Sie vor allen Dingen auf sich auf! Ich wün- Wenn wir diese Chance nutzen, dann können wir die sche Ihnen einen schönen Abend. Krise gut bewältigen, und dann machen wir unsere Unter- nehmen stark für den Wettbewerb und sorgen dafür, dass Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (B) keine ausländischen Unternehmer unsere deutschen Un- tages auf Mittwoch, den 6. Mai 2020, 13 Uhr, ein. (D) ternehmen kaufen und dass wir im Land wieder mehr produzieren können. Deswegen lassen Sie uns die Chan- Die Sitzung ist geschlossen. ce nutzen und unsere Maßnahmen gemeinsam umsetzen; wir werden miteinander ins Gespräch kommen. (Schluss: 19.30 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020 19421

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Zu Artikel 4 Nummer 2 und Nummer 4 (§§ 71, 127 Erklärung nach § 31 GO SGB V) der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen des Bundes, NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über im Rahmen dieses Gesetzes eine weitere Verbesserung die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inne- der Hilfsmittelversorgung in der gesetzlichen Kranken- res und Heimat zu dem Antrag der Abgeordneten versicherung zu regeln. Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, wei- Die Änderungen gehen jedoch über das Ziel hinaus terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: und bergen die Gefahr von negativen Auswirkungen auf Für eine offene, menschenrechtsbasierte und soli- die Versicherten, die Leistungserbringer, die Krankenkas- darische Asylpolitik der Europäischen Union sen und deren Aufsichtsbehörden. Das bewährte Bei- (155. Sitzung, 22.04.2020, Tagesordnungspunkt 6 c) trittsverfahren im Hilfsmittel-Vertragswesen, das gerade erst durch den Bundesgesetzgeber mit dem Terminser- Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die vice- und Versorgungsgesetz vom 6. Mai 2019 gestärkt Grünen, dass unser Votum Ablehnung lautet. wurde, sollte nicht durch bürokratische Einzelvertrags- verhandlungen, kostenträchtige Schiedsverfahren und verwaltungsintensive Aufsichtsanordnungen ersetzt wer- den. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung in einem Anlage 2 weiteren Gesetzgebungsverfahren um Streichung der hier vorgenommenen Änderungen. Hilfsweise sollte auf ein Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung länderbezogenes Schiedsverfahren der Verbände abge- stellt werden. Der Bundesrat hat in seiner 988. Sitzung am 27. März 2020 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Begründung: stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Die geplante Regelung ist unzweckmäßig und unnötig. des Grundgesetzes nicht zu stellen: Die befürchteten Versorgungslücken für Versicherte be- – Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Si- stehen im Rahmen der aktuellen Rechtslage nicht; diese cherung und zum Einsatz und zur Absicherung so- würden erst durch die beabsichtigten Rechtsänderungen zialer Dienstleister aufgrund des Coronavirus erzeugt. (B) (D) SARS-CoV-2 (Sozialschutz-Paket) Das bewährte Beitrittsverfahren, das gerade erst durch – Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum den Bundesgesetzgeber mit dem Terminservice- und Ver- Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 sorgungsgesetz vom 6. Mai 2019 gestärkt wurde, wird (Nachtragshaushaltsgesetz 2020) unnötig diskreditiert. Im Ergebnis sollte dieses nicht durch bürokratische Einzelvertragsverhandlungen, kos- – Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisie- tenträchtige Schiedsverfahren und verwaltungsintensive rungsfonds (Wirtschaftsstabilisierungsfondsge- Aufsichtsanordnungen ersetzt werden. Im Streitfalle, der setz – WStFG) in der derzeitigen Praxis nur selten auftritt, wäre die An- – Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epi- rufung des Sozialgerichts im einstweiligen Rechtsschutz demischen Lage von nationaler Tragweite der etablierte, zweckmäßige Weg. Anders als in anderen Leistungsbereichen, in denen die – Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanz- Leistungserbringer einen Sicherstellungsauftrag haben ieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer (zum Beispiel Ärzte, Krankenhäuser) oder homogene Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Kranken- Leistungen nach einheitlichen Standards erbringen (zum hausentlastungsgesetz) Beispiel Arzneimittel, Heilmittel), ist die Hilfsmittelver- – Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID- sorgung heterogen gestaltet, um den vielfältigen Bedar- 19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfah- fen der Versicherten, aber auch den unterschiedlichen rensrecht Möglichkeiten der Anbieter sowie dem Wirtschaftlich- keitsgebot gerecht werden zu können. – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Finanzhil- fen des Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung Das Schiedsverfahren in der vorgesehenen Ausgestal- für Kinder und des Kinderbetreuungsfinanzie- tung des § 127 SGB V ist aufgrund der sich aus der hohen rungsgesetzes Anzahl von Leistungserbringern und Produktuntergrup- pen ergebenden Vielzahl von Einzelverträgen unnötig – Gesetz zur Anpassung des Medizinprodukterechts und extrem bürokratisch sowie in der Praxis für Kranken- an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verord- kassen aufgrund des dafür notwendigen Personals kaum nung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpas- durchführbar, wenn eine größere Zahl der Antragsberech- sungsgesetz – MPEUAnpG) tigten diese Möglichkeit nutzen wird. Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung Die Qualität der Hilfsmittelversorgung ergibt sich im gefasst: Wesentlichen aus dem Hilfsmittelverzeichnis des GKV- 19422 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 156. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2020

(A) Spitzenverbandes. Die Gesetzesänderung wird für die tes vom 17. Mai 2017 zur Festlegung von Pflichten (C) Versicherten keine Qualitätsgewinne bringen – es wird zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Liefer- lediglich absehbar teurer für die Solidargemeinschaft: kette für Unionseinführer von Zinn, Tantal, Wolf- Das Beitrittsrecht der Leistungserbringer zu Hilfsmittel- ram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und verträgen würde hier dazu führen, dass stets der teuerste Hochrisikogebieten sowie zur Änderung des Bun- geschiedste Preis zur Anwendung kommt. Im Ergebnis desberggesetzes würde sich die Hilfsmittelversorgung bundesweit verein- Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass sie die An- heitlichen und regionale Anpassungen würden ebenso träge „Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen verschwinden, wie Möglichkeiten, den Versicherten eine auf dem ersten Arbeitsmarkt sichern – Inklusionsbetriebe bessere Qualität als die Mindestleistungen nach dem und andere Zweckbetriebe steuerlich nicht schlechter Hilfsmittelverzeichnis anzubieten. Bevorzugt würden stellen als bisher“ auf Drucksache 19/18578 und „Offi- von Schiedsverfahren mittel- bis langfristig große Leis- zielle Stellungnahmen nur noch mit Gebärdensprachdol- tungserbringer, die einheitliche Vorgehensweisen und metschung“ auf Drucksache 19/18602 zurückzieht. stückpreismäßig günstigere Kalkulationen vornehmen können. Es bestünde die Gefahr, dass zum Beispiel kleine Der Haushaltsausschuss hat mitgeteilt, dass er gemäß Handwerksbetriebe dem bundesweit vereinheitlichten § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Wettbewerb nicht mehr gewachsen sein könnten. Sie Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: würden zudem durch die unionsweiten Vertragsbekannt- machungen weiter unter Druck gesetzt. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zudem würde erheblicher Mehraufwand bei den Auf- Haushaltsführung 2020 sichtsbehörden anfallen. Hilfsweise akzeptabel wäre al- Mitteilung gemäß § 4 Absatz 1 Satz 2 des Haus- lenfalls die Einführung eines Schiedsverfahrens auf haltsgesetzes 2020 über die beabsichtigte Einwilli- Landesebene zwischen den maßgeblichen Verbänden gung in eine weitere außerplanmäßige Ausgabe bei und den Landesverbänden der Krankenkassen und den Kapitel 1503 Titel 684 03 – Zuschüsse zur Bekämp- Ersatzkassen. In dieser Ausgestaltung erscheinen fung des Ausbruchs des neuen Coronavirus – bis Schiedsverfahren noch für alle Beteiligten praktikabel zur Höhe von 275 Mio. Euro umsetzbar sowie an regionalen Bedarfen orientierbar. Drucksachen 19/17664, 19/17913 Die besonderen Aufsichtsmittel, die gemäß § 71 SGB V eingeführt werden sollen, dehnen die dort vor- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben handenen besonderen Aufsichtsmittel zur Beendigung mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unio- nsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer (B) der den Kassenwettbewerb erheblich verzerrenden „Ko- (D) dierverträge“ auf den Leistungsbereich der Hilfsmittel Beratung abgesehen hat. aus und sollen sich sogar zusätzlich bereits auf Vertrags- Finanzausschuss absichten erstrecken. Diese Neuregelung ist anscheinend Drucksache 19/1780 Nr. A.6 dem durch das Bundesamt für Soziale Sicherung nicht Ratsdokument 6987/18 auf dem Aufsichtswege beendeten Fehlverhalten einzel- Drucksache 19/1780 Nr. A.8 Ratsdokument 7049/18 ner bundesunmittelbarer Ersatzkassen geschuldet. Es be- Drucksache 19/1780 Nr. A.11 steht aber keine generelle Problematik, die diese system- Ratsdokument 7216/18 widrige Beeinflussung des Vertragsgeschäfts für einen Drucksache 19/1780 Nr. A.12 bestimmten Leistungsbereich, wie hier Hilfsmittel, erfor- Ratsdokument 7217/18 Drucksache 19/3112 Nr. A.6 dern würde. Zudem würde auch diesbezüglich erhebli- Ratsdokument 9348/18 cher Mehraufwand bei den Aufsichtsbehörden anfallen, Drucksache 19/3112 Nr. A.7 der nicht im Rahmen bestehender Stellen und Mittel ge- Ratsdokument 9402/18 Drucksache 19/3318 Nr. A.2 leistet werden kann, für Aufgaben, die dem Wesen der Ratsdokument 9355/18 Rechtsaufsicht fremd sind. Drucksache 19/3318 Nr. A.3 Ratsdokument 9357/18 – Zweites Gesetz zur Änderung des THW-Gesetzes Verteidigungsausschuss – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Drucksache 19/17195 Nr. A.10 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Ra- EP P9_TA-PROV(2020)0009

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