ISSN 0177-8706 31.Jahrgang 2015 1.Quartal

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evangelikale missiologie

Die Gründung der China Inland Mission vor 150 Jahren – ein kleiner Baustein in der großen Mission Gottes Aus meiner Sicht: Gedanken zum 150. Jahrestag der Gründung der China Inland Mission (Markus Dubach) 2 Biblische Grundlagen evangelikaler Missiologie – 3 69 Thesen (Teil 3) (Thomas Schirrmacher) Die Stellung Hudson Taylors im Kontext der Missionsgeschichte (Klaus Wetzel) 9 Fredrik Franson (1852–1908): Freund, Förderer und Partner der China-Inland-Mission (Hans Ulrich Reifler) 24 Wenn China heute noch einmal besuchen würde ... (Ya Gu) 33 Missio Dei (Teil 1) 38 Linguistische, historische und theologische Aspekte (Hannes Wiher) Rezensionen 50 Noteworthy 37 Ausschreibung: ÜMG-Jubiläumspreis 56

Arbeitskreis für evangelikale Missiologie Aus meiner Sicht: Gedanken zum 150. Jahrestag der Gründung der China Inland Mission (heute Überseeische Missions-Gemeinschaft, ÜMG)

Mission verändert unsere Prioritäten, unsere Werte und unsere Haltung Gott will, dass wir wie Reben am Weinstock sind. Hudson Taylor strebte wie auch viele andere im 19. Jahrhundert nach einem christozentrischen Heiligungsideal. Sie waren überzeugt, dass Christen in dem Umfeld wachsen und Frucht bringen sollen, in das sie Gott hineingestellt hat. Doch die Not der unerreichten Menschen liess sie nicht los. Hudson Taylor, überwältigt von den Millionen Menschen in China, die noch nie von Jesus gehört hatten, gründete 1865 die China Inland Mission (CIM). Schät- zungsweise gab es damals 2500 protestantische Christen unter 250 Millionen Chinesen. Sein Ziel war deshalb, den Menschen im Inneren Chinas die Frohe Botschaft in Wort und Tat zu bringen. Auch in China strebte er nach einem gottgefälligen, heiligen und inkarnatorischen Leben und war tief durchdrungen von der Liebe Gottes, die sein ganzes Denken und Handeln prägte. Dies äusserte sich auch in seinem Respekt zu allen Menschen, seiner Authentizität und seiner Freigiebigkeit sowie seiner Bereitschaft, für das zu leiden, wovon ihn Gott überzeugt hatte.

Mission verändert unsere Mitmenschen, unser Umfeld und unser Gottesverständnis Gott will, dass wir Frucht bringen. Hudson Taylor strebte nach einem fruchtbaren Leben. Doch Frucht ist nicht direkt machbar, sondern entsteht, wenn Gottes Geist wirkt und geheiligte Menschen sich ganz ihm zur Verfügung stellen. Taylor vertraute in allem Gott, erwartete alles von ihm und war bereit, Schwierigkeiten geduldig zu tragen. Er lebte in der Erwartung von Jesus Wiederkunft und die Verlorenheit von Chinas Millionen lag ihm schwer auf dem Herzen. Er verkündigte Gottes Wort, setzte sich für Gerechtigkeit ein und linderte Not, wo „Wenn ich tausend Leben hätte, immer er konnte – immer mit dem Ziel, dass Menschen von Jesus verändert und in seine China sollte sie haben – Nachfolge gerufen werden. Diesem Ziel doch nein, nicht China, sondern ordnete er alles unter und setzte sich Jesus Christus, mein Herr.“ unermüdlich dafür ein. Durch Reflektion über Gottes Wort und in intensiven Diskussionen mit Frauen und Männern aus verschiedenen Kultur- und Gesellschaftsschichten durfte er die CIM als „Glaubensmission“ aufbauen und viele andere Missionsorganisationen entscheidend mitprägen. Wie diese Prägung aussieht und heute noch nachwirkt, dazu hat die ÜMG für wissenschaftliche Arbeiten einen Jubiläumspreis ausgeschrieben (siehe dazu die Ausschreibung auf S.56 dieser Ausgabe).

Mission verändert auch dich – lässt du dich verändern? Gott will mit allen Menschen Gemeinschaft haben. Dieses tiefe Verlangen unseres dreieinigen Gottes motiviert uns dazu, sein Wort zu verkünden, uns für Gerechtigkeit stark zu machen, Not zu lindern und Menschen nachhaltig zu fördern. Gott will, dass alle Menschen von allen Kulturen und Milieus mit ihm in Beziehung kommen. Er sucht Menschen, die von seiner Liebe überwältigt überall hingehen, um Menschen zu

2 evangelikale missiologie 31[2015]1 einem Leben mit Gott einzuladen und die Gesellschaft zu verändern. Gemäss dem „Joshua Project“ haben noch etwa ein Drittel der 2,2 Milliarden Ostasiaten noch nie von Jesus gehört. Wer ist bereit, sein Leben dafür einzusetzen, dass unter Asiaten christliche Gemeinschaften entstehen, wo Menschen Jesus kennen und lieben lernen? Hudson Taylor sagte einmal: „Wenn ich tausend Leben hätte, China sollte sie haben – doch nein, nicht China, sondern Jesus Christus, mein Herr.“ Ist dein Leben eines der tausend, die Jesus haben kann? Dr. Markus Dubach, Missionsleiter der ÜMG, Schweiz, Vorstandsmitglied des AfeM

Biblische Grundlagen evangelikaler Missiologie: 69 Thesen (Teil III) Thomas Schirrmacher

Diese Thesen möchten in fünf Teilen die Grundlagen christlicher Mission zusammen- fassen, wie sie sich aus dem biblischen Zeugnis und christlichen Bekenntnis ergeben. Anschließend an die in der vorangehenden Ausgabe erschienenen Teile I und II zur Verankerung der Weltmission in den zentralen christlichen Glaubensinhalten und in dem Gesamtzeugnis der Bibel folgt in dieser Ausgabe der Teil III zu kultureller Vielfalt. Die Teile IV bis V zu Religionsfreiheit und sozialer Veränderung folgen in der nächsten Ausgabe. Prof. Dr. phil. Dr. theol. Thomas Schirr- Diese Thesen sind die überarbeitete macher (geb. 1960) ist Rektor des Martin Fasssung der Jubiläumsthesen zum zehn- Bucer Seminars (Bonn, Innsbruck, Prag, jährigen Bestehen der Zeitschrift Evan- Zürich, Istanbul), wo er Missions- und gelikale Missiologie (em) 10 (1994) 4: Religionswissenschaft und Ethik lehrt, 112–120 und ihrer Nachdrucke.1 Professor für Religionssoziologie an der Staatlichen Universität Timisoara, Ru- mänien, Distinguished Professor of 1 Niederländische Fassung in „Bijbelse Principes van evangelische Missiologie“. Informatie Evan- Global Ethics and International Deve- gelische Zendings Alliantie 26 (1995) 5 (okt/nov): lopment an der William Carey Universi- 20–21 + 6 (dec/jan): 21–22 + 27 (1996) 1 ty, Shillong, Meghalaya, Indien, Direktor (febr/maart): 18–20 + 2 (apr/mei): 24–26 + 3 des Internationalen Instituts für Religi- (jun/jul): 19–20 + 4 (aug/sep): 20–21 + 5 (okt/nov): onsfreiheit der Weltweiten Evangelischen 21–22 + 6 (dec/jan): 20–21. Englische Fassung in: Allianz sowie Vorsitzender der Theologi- Thomas Schirrmacher. God Wants You to Learn, Labour and Love. Reformatorischer Verlag Beese: schen Kommission dieses weltweiten Zu- Hamburg, 1999. sammenschlusses von etwa 600 Millio- nen. evangelischen Christen. Email: drth schirrmacher@ me.com. evangelikale missiologie 31[2015]1 3 III. Teil: Mission angesichts der neration, ja es entstehen dabei allmählich kulturellen Vielfalt neue Kulturen. Schon im Alten Testament kündigt Gott 32. These: Die Vielfalt der Völker und wiederholt an, dass er mit seinem Heil Kulturen ist prinzipiell keine Folge alle Völker vor Augen hat (1 Mose 12,3; der Sünde, sondern gottgewollt. In Jesaja 49,6 etc.). Der Missionsauftrag einer Kultur ist aus biblischer Sicht des Jona zeigt beispielhaft die Univer- nur das zu verwerfen, was aus- salität der göttlichen Rettung schon in drücklich Gottes heiligem Willen alttestamentlicher Zeit. Pfingsten macht deutlich, dass die Gemeinde Jesu alle widerspricht, nicht aber die Viel- Kultur- und Sprachbarrieren übersteigt. fältigkeit menschlicher Ausdrucks- Die Kirche ist deswegen multikulturell und Lebensweisen. angelegt (Offb 5,9-10; 7,9; 10,11; 11,9; Gott ist der Schöpfer aller Völker, denn 13,7; 14,6; 17,15; Dan 7,13-14; Eph „er hat aus einem [Menschen] alle Völ- 2,11-19). ker der Menschen geschaffen, damit sie auf der ganzen Erde wohnen …“ (Apg 33. These: Christen sind Menschen, 17,26; vgl. 5. Mose 32,7-9; Ps 74,17; die von jeglichem kulturellen Zwang 86,9). Ein Christ liebt deswegen wie befreit sind. Sie müssen keine Gott Menschen aller Kulturen und menschlichen Traditionen und respektiert die Andersartigkeit anderer Gebote mehr neben Gottes Geboten Kulturen (Offb 1,6-8; Ps 66,8). anerkennen. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Dies wird besonders in Mk 7,1-13 deut- Kulturen ist nicht zuerst negativ als Fol- lich, wo Jesus die Pharisäer heftig kriti- ge der Sünde zu verstehen und ist keine siert, weil sie ihre menschliche Kultur in Folge des Gerichtes Gottes durch die den Rang verpflichtender Gebote Gottes Sprachverwirrung beim Turmbau zu Ba- erhoben hatten. Wir stehen immer in der bel (1 Mose 11,1-9). Durch die Sprach- Gefahr, unsere eigene – auch religiöse – verwirrung wollte Gott doch gerade das Tradition zu verabsolutieren und zum erreichen, was er den Menschen zuvor Maßstab zu machen, an dem andere Kul- als Bestimmung, Auftrag, ja Befehl ge- turen gemessen werden. Damit aber set- geben hatte, nämlich die Ausbreitung der zen wir uns an die Stelle Gottes, der Menschheit auf der ganzen Erde („füllet allein Gesetzgeber ist (Jak 4,12) und dem die Erde“, 1 Mose 1,28; 9,1) und damit es allein zusteht, Maßstäbe vorzugeben, die Aufspaltung der Menschheit in eine an denen alle Kulturen zu messen sind. Vielfalt von Familien, Völkern, Kulturen, aber auch von Berufen, Fä- 34. These: Christen können andere higkeiten und Leistungen. Von den Söh- Kulturen im Lichte der Bibel be- nen Noahs ausgehend „wurde die ganze Erde bevölkert“ (1 Mose 9,19) und urteilen, weil und wenn sie gelernt „verzweigten“ sich so die „Nationen“ (1 haben, zwischen ihrer eigenen Mose 10,5).Deshalb kann die Entstehung Kultur, auch ihrer jeweiligen der einzelnen Völker durch Stamm- frommen Kultur, und den für alle bäume erklärt werden (1 Mose 10,1–32), Kulturen gültigen Geboten Gottes zu an deren Ende es heißt: „von diesen aus unterscheiden. haben sich nach der Flut die Völker auf Auch dafür ist Mk 7,1-13 der beste Aus- der Erde verzweigt“ (1 Mose 10,32). Bis gangspunkt. Es waren sehr ehrenwerte, heute verändern sich Kulturen fromme Motive, die die Pharisäer veran- fortlaufend durch die nächste Ge-

4 evangelikale missiologie 31[2015]1 lassten, neben dem Wort Gottes und tendsten Führer offengelegt (so waren sogar gegen das Wort Gottes weitere Mose, David und Paulus früher Mörder, Richtlinien zu erlassen, die für alle ver- Petrus beging schlimmsten Verrat an bindlich waren. Jesus kritisierte sie Jesus), und allzuoft muss Gott Außen- heftig, weil sie sich damit zum Gesetz- seiter berufen, um sein Volk zur Räson geber neben Gott gemacht hatten: „Ver- zu bringen. Die Lehre, dass auch Juden geblich aber verehren sie mich, weil sie und Christen Sünder und zu den als Lehren Menschengebote lehren“ (Mk schlimmsten Taten fähig sind, wird in 7,7; Mt 15,9). der Bibel sehr anschaulich vor Augen Hinter dem Wahrheitsanspruch der Mis- geführt. Es sind nicht die heidnischen sion darf sich kein Überlegenheitsan- Völker im Alten Testament oder die spruch der eigenen Kultur über andere Römer und Griechen im Neuen Kulturen verbergen, auch kein Überle- Testament, deren Gräueltaten und irrige genheitsanspruch der eigenen religiösen Anschauungen im Mittelpunkt stehen, Kultur oder Ausprägung des Christen- sondern die des angeblichen oder tat- tums. Leider kommt es bei Gesprächen sächlichen Volkes Gottes. Die Bibel ver- mit anderen Kulturen oder Gesprächen teilt Glauben und Unglauben nicht nach mit anderen Religionen leicht zu einer Rassen oder Nationen. Heiden und un- Überlagerung durch politisch-nationale gläubige Juden werden deswegen im Fragestellungen. Christen sollten auch Alten wie im Neuen Testament mit hier klar zwischen Kirche und Staat tren- denselben Worten bezeichnet. nen und deutlich machen, dass das Das Christentum wird selbst zur ver- Wissen um die Wahrheit in Jesus sie in abscheuenswürdigen Religion, wenn es Fragen der Kultur und Politik nicht un- die wahre Kraft des Glaubens verleugnet fehlbar macht, ja sie hier Bürger unter (2Tim 3,5: „… die eine Form der Fröm- Bürgern sind wie jeder andere auch. migkeit haben, deren Kraft aber verleug- Kolonialismus und Rassismus müssen nen“) oder an die Stelle der göttlichen der christlichen Verkündigung fern sein! Offenbarung menschliche Gesetze und Gebote stellt (Mk 7,1-13; Jes 28,13-14). 35. These: Kaum eine Religion kennt Die Juden werden etwa kritisiert, weil sie in ihren grundlegenden Schriften beim Studium der Bibel das Eigentliche, eine solche Selbstkritik wie das nämlich Jesus, übersehen (Joh 5,39), um alttestamentliche Judentum und das Gott eifern, aber ohne sich tatsächlich neutestamentliche Christentum. nach ihm zu richten (Röm 10,2-3) und weil sie sich auf Gott und sein Wort Jesus verwirft die Worte des Pharisäers: berufen, aber tatsächlich nicht danach „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin leben (Röm 2). wie die andern …“ und preist die Worte des Zöllners: „Gott sei mir Sünder gnä- 36. These: Jedes Ansehen der Per- dig“ (Luk 18,11-14). In der Bibel beginnt son in der Gemeinde aufgrund von Glaube mit der Erkenntnis der eigenen kulturellen, wirtschaftlichen, bil- Unzulänglichkeit. Dahinter dürfen Chris- ten auch in der Wahrheitsfrage nicht dungsmäßigen, ethnischen, rassis- zurück. tischen und anderen Gesichts- punkten widerspricht dem Wesen In keiner Religion kommen die Anhän- ger der eigenen Religion in den Heiligen Gottes und des christlichen Schriften so schlecht weg wie im Alten Glaubens. und Neuen Testament. Schonungslos Gott kennt kein Ansehen der Person, werden dort die Fehler ihrer bedeu- weswegen nicht nur das staatliche Ge- evangelikale missiologie 31[2015]1 5 richt die Person nicht ansehen darf meinde, die einen Auftrag bekommen (5Mose 1,17; 10,17-18; 16,18-20; 2Chr hat, wie er größer und internationaler 19,7; Spr 18,5; 24,23; Hiob 13,10; Jes nicht zu denken ist: „Gehet hin in alle 3,9), sondern auch die neutestamentliche Welt und machet zu Jüngern alle Gemeinde jedes Ansehen der Person Völker.“ (Mt 28,18) verwirft (Kol 3,25; Eph 6,9; Jak 2,1-12). Ja, Christen wollen jede einzelne Seele Jakobus schreibt: ebenso wie die ganze Welt retten und Meine Geschwister, haltet den Glauben Jesu dies in Bezug auf unsichtbare Realitäten Christi, unseres Herrn der Herrlichkeit, von wie auch inmitten der sichtbaren jedem Ansehen der Person frei! … Wenn Wirklichkeit! Ihr Blickwinkel ist der ihr wirklich das königliche Gesetz ‚Du privateste, den es gibt, und zugleich der sollst deinen Nächsten lieben wie dich öffentlichste. Es geht um die Beziehung selbst‘ nach der Schrift erfüllt, so tut ihr des Einzelnen zu Gott und um die recht. Wenn ihr aber die Person anseht, so Beziehung der ganzen Welt zu Gott. Es begeht ihr Sünde und werdet vom Gesetz geht um die Beziehung zu dem nächsten als Übertreter überführt. … Redet so und Mitmenschen ganz konkret und um die handelt so wie solche, die durch das Gesetz Beziehung zu allen Mitmenschen. der Freiheit gerichtet werden sollen (Jak 2,1+8+9+12). Christliche Hoffnung ist Hoffnung für Auch deswegen muss der neutesta- alle Kulturen und Nationen, denn „auf mentlichen Gemeinde jede Form von seinen Namen werden die Nationen Rassismus fremd sein. Die Menschheit hoffen“ (Mt 12,21; ähnlich Röm 15,12). ist eine einzige Rasse und Familie, in der Gott kennt kein Ansehen der Person, alle Individuen, aber auch Völker und „denn dafür arbeiten und kämpfen wir, Sprachen gleichwertig und gleich würdig weil wir auf einen lebendigen Gott sind. Jesus ist für alle Menschen ge- hoffen, der ein Retter aller Menschen ist, storben und in der himmlischen Ewigkeit besonders der Gläubigen“ (1 Tim 4,10). werden ihn Menschen aller Kulturen und 38. These: Weil Christen allein Sprachen preisen (Offb 4,11; Offb 21,1). Christus gehören und allein seinem Wort unterstehen, können sie jedoch 37. These: Christen sind Weltbürger! nicht nur ihre eigene Kultur und die Christen haben „von Amts wegen“ Kultur anderer kritisch sehen, son- immer die ganze Welt im Blick, nie nur dern sind verpflichtet, sich aus Liebe ihre eigene Familie, ihr eigenes Volk auf die Kultur anderer einzustellen. oder ihren eigenen Staat. Sie glauben Paulus begründet in 1 Kor 9,19-23 die nämlich nicht an eine Stammesgottheit, Notwendigkeit, sich in der Evangeli- sondern an den Schöpfer, der die ganze sation auf andere einzustellen, gerade da- Welt und alle Völker erschaffen hat und mit, dass er allen gegenüber frei ist: alle erlösen will (1 Mose 1,1; Joh 3,16; Mt 28,18-20; Offb 4,11; Offb 21,1). Sie Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, gehören auch nicht zu einem Privatklub habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, mit engstirnigem Anliegen, sondern zur damit ich immer mehr gewinne. Und ich bin internationalen Gemeinde Jesu, die an den Juden wie ein Jude geworden, damit ich keine Sprache, kein Volk, keine Kultur, die Juden gewinne; denen, die unter Gesetz sind, wie einer unter Gesetz – obwohl ich keine soziale Schicht, kein Alter und selbst nicht unter Gesetz bin –, damit ich kein Geschlecht und nichts, was Men- die, welche unter Gesetz sind, gewinne; schen sonst trennt, gebunden ist (Röm denen, die ohne Gesetz sind, wie einer ohne 1,14; Eph 1,13–14; Offb 5,9–10; Offb Gesetz – obwohl ich nicht ohne Gesetz vor 21,24–25). Und sie gehören zu der Ge- Gott bin, sondern unter dem Gesetz Christi

6 evangelikale missiologie 31[2015]1 –, damit ich die, welche ohne Gesetz sind, dem Dialekt und jeder kulturellen Form gewinne. Den Schwachen bin ich ein ausgedrückt werden kann und sollte. Schwacher geworden, damit ich die Schwa- chen gewinne. Ich bin allen alles geworden, 40. These: Die Weltmission geht damit ich auf alle Weise einige errette. Ich nicht an den vorgegebenen sozio- tue aber alles um des Evangeliums willen, logischen Tatsachen vorbei, son- um an ihm Anteil zu bekommen. dern richtet ihre Strategie daran aus. Luther hat diese Komplementarität tref- Deswegen gründete Paulus in den fend so generalisiert und zusammenge- Ballungszentren und Verkehrskno- fasst: tenpunkten Gemeinden, überließ Ein Christenmensch ist ein freier Herr über diesen Gemeinden die Durchdrin- alle Dinge und niemandem untertan. – Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht gung des Umlandes und gründete aller Dinge und jedermann untertan. selbst neue Gemeinden in vom Evangelium unerreichten Gebieten. 39. Christen sind also nicht nur dafür Paulus gründete Gemeinden meist in verantwortlich, ob und dass sie die zentral gelegenen Städten, setzte sehr Botschaft von der Erlösung in Jesus früh von ihm geschulte Älteste ein und Christus gesagt haben, sondern zog bald weiter. Die vollständige evan- auch dafür, ob und dass sie verstan- gelistische Durchdringung der Gegend den werden konnte. mit dem Evangelium überließ er dann der Großstadtgemeinde. Von der Ge- Offensichtlich kann auch ein Christ so in meinde in Thessalonich heißt es zum seiner eigenen Kultur leben, dass er nicht Beispiel: merkt, dass er bestenfalls von anderen nicht verstanden wird und schlimmsten- ... so dass ihr allen Gläubigen in [den Pro- falls mit seiner Kultur dem anderen ein vinzen] Mazedonien und Achaja zu Vorbil- „Hindernis“ (1 Kor 9,12) ist, das Evan- dern geworden seid. Denn von euch aus ist gelium zu verstehen. das Wort des Herrn nicht allein in Mazedo- nien und Achaja erschollen, sondern euer Die Tatsache, dass die Worte von Jesus Glaube an Gott ist an jeden Ort hinausge- Christus und die Evangelien über sein drungen, so dass wir nicht mehr nötig Wirken auf Erden als Teil der Bibel nicht haben, etwas zu sagen“ (1 Thess 1,7-8). in Aramäisch (oder Hebräisch) verbreitet Wenn Paulus in Röm 15,19 schreibt, dass wurde, sondern in griechischer Überset- er „von Jerusalem und ringsumher bis zung oder Verfasserschaft, belegt, dass es nach Illyrien das Evangelium des Chri- in einer für möglichst viele verständ- stus völlig verkündigt habe“, meint er lichen Sprache zu den Menschen kom- nicht, dass er jedem einzelnen Menschen men sollte. dort das Evangelium verkündigt hat, Zudem wurde das Evangelium von Jesus sondern dass er an allen strategisch Christus nicht als ein Evangelium ver- wichtigen Orten Gemeinden gegründet öffentlicht, sondern das eine Evangelium hat. Dasselbe gilt für die Aussage, dass findet sich in vier Evangelien (Mt, Mk, „ich in diesen Gegenden keinen Raum Lk, Joh) für vier verschiedene Ziel- mehr habe“ (Röm 15,23). Paulus sucht gruppen. deswegen nicht die Gebiete auf „wo Das ist auch der Grund, warum die Bibel Christus bereits genannt wurde“ (Röm in jede nur denkbare Sprache übersetzt 15,20) und wo bereits gepredigt wird werden darf und das Evangelium in je- (Röm 15,21), sondern Orte, an denen noch niemand das Evangelium ver-

evangelikale missiologie 31[2015]1 7 kündigt hat und keine einheimische Vielfalt liebt. Gott arbeitet nicht mit Gemeinde existiert. Zwang. Zwang und Besessenheit sind die Kennzeichen des Bösen, ja des 41. These: Es soll aber nicht allein Teufels (z. B. Mk 5,25). Das Böse und die Verkündigung des Evangeliums der Teufel fragen uns nicht, unterstützen auf die verschiedenen Kulturen uns nicht, helfen uns nicht, sondern ver- eingestellt werden, sondern das führen und zwingen uns und bringen uns Evangelium will und muss genauso zur Sünde, ehe wir zum Nachdenken im Leben des Einzelnen, wie im gelangt sind. Er ist der Feind jeder Selbstbeherrschung, jedes Nachdenkens Leben der Gemeinschaft und der darüber, was für uns eigentlich gut wäre gesamten Kultur inkulturiert werden. und woher wir die Kraft nehmen, es So wie Gott durch die Propheten nicht dann auch umzusetzen. nur die jeweilige Sprache der Menschen Gott dagegen schenkt uns alles, und er sprach und in Christus nicht nur Mensch möchte die ja von ihm geschaffene, un- in Raum und Zeit wurde, den die verwechselbare Persönlichkeit, die sich Menschen sehen und verstehen konnten, selbstbeherrscht, nüchtern und ruhig für sondern dabei sich das Wort Gottes auch den Weg Gottes entscheidet und diesen mit der jeweiligen Geschichte und Kultur dann in der Kraft des Heiligen Geistes zu wahrem Leben verband, so will das geht. Christ werden heißt nicht, seine Evangelium auch heute nicht nur Persönlichkeit zu verlieren, sondern sei- Menschen aller Kulturen erreichen, ne Persönlichkeit – befreit von bösem sondern die Kulturen durchdringen und Ballast – zu gewinnen. Wenn Gottes in ihren neuen Ausprägungen beweisen, Geist an und durch Menschen wirkt, dass das Evangelium nicht an einen macht er sie zu echten Persönlichkeiten bestimmten Raum und eine bestimmte und nicht zu Marionetten. Das beste Bei- Zeit und schon gar nicht an die Kultur spiel dafür sind die Geistesgaben (Gna- der jeweiligen Verkündiger gebunden ist. dengaben), die der Heilige Geist jedem Da Gott selbst die Vielfalt der Kulturen Christen verleiht, so dass alle demselben gestiftet hat (These 32), will er sie durch Ziel dienen, aber jeder auf eine etwas das Evangelium nicht einschränken, son- andere Art und Weise (Röm 12,4-7; 1 dern stärken und läutern. Es ist kein Zu- Petr 4,12-13; 1 Kor 12; Eph 4,11-13). fall, dass durch die Weltmission – vor Ähnliches gilt von den Kulturen: Gott allem durch die Bibelübersetzungsarbeit zerstört sie nicht, sondern Gottes Geist – viele kleine Kulturen und Sprachen der befreit sie vom Bösen und führt sie zu Welt erhalten geblieben sind. größerer Entfaltung. Am Ende steht die Wählen wir das Beispiel der Individua- gottgewollte Vielfalt der Kulturen, auch lität. Zerstört Gott unsere Persönlichkeit? in der Kirche Jesu Christi weltweit, nicht Schaltet er alle gleich? Wenn dem so die Einheitskirche oder Einheitskultur. wäre, könnte irgendetwas dabei nicht (Die abschließenden Teile IV und V stimmen: Es ist doch gerade Gott, der folgen in der nächsten Ausgabe.) uns als unverwechselbare Persönlichkei- ten geschaffen hat und der die ungeheure

8 evangelikale missiologie 31[2015]1 Die Stellung Hudson Taylors im Kontext der Missionsgeschichte Klaus Wetzel

Hudson Taylor hat einem Zweig der von der Dänisch-Halleschen und der Herrnhuter Missionsbewegung vorbereiteten und von William Carey initiierten evangelischen Weltmissionsbewegung in der 2. Hälfte des 19. Jh.s eine besondere Prägung ge- geben. Dabei hat er die Grenzen des geistlich Möglichen und theologisch Verant- wortbaren ausgelotet und damit einen wesentlichen Anteil daran, evangelische Weltmission sozusagen in ihrer größtmöglichen Reichweite zu ermöglichen. Vor allem das Prinzip der „Glaubensmission“, die Bedeutung der persönlichen Berufung und das Missionsmotiv der Unerreichten sind von Bedeutung.

Dr. theol. Klaus Wetzel war als substantiellen, verinnerlichten Christiani- Mitarbeiter des WEC International sechs sierung nicht zu erwarten (Konetzke Jahre in Indonesien tätig, davon 1988– 1968, 244; vgl. Marboe 2006, 340). 1993 als Dozent an der Theologischen Auch waren die logistischen Heraus- Hochschule „Indonesisches Bibel- forderungen kaum zu bewältigen. Institut“ in Batu. Zurzeit ist er mit je Eine besondere Konstellation aber gab einem halben Dienstauftrag Pfarrer der dem Projekt der Christianisierung La- Evangelischen Kirche in Hessen und teinamerikas eine entscheidende Wen- Nassau in Biblis und Dozent an der dung. Akademie für Weltmission (European Anders als seine Großeltern, School of Culture and Theology) in die „Katholischen Könige“ Kaiser Karl V. Korntal. Er ist verheiratet mit der Ärztin Ferdinand und Isabella (Eg- Ulrike und hat drei erwachsene Töchter. war von einer gensperger/Engel 1991, 24), ernsthaften Die Gründung der China Inland Mission anders als sein Bruder und Religiösität durch Hudson Taylor im Jahr 1865 Nachfolger als deutscher geprägt. erwies sich bald als ein Meilenstein der Kaiser, Ferdinand I., und an- Missionsgeschichte. ders als sein Sohn Philipp II., Der vorliegende Artikel stellt skizzenhaft König von Spanien (und Portugal), war die Frage nach der Stellung Hudson Kaiser Karl V. (gleichzeitig König Carlos Taylors im Kontext der Missions- I. von Spanien) nicht von einem fana- geschichte der Neuzeit unter besonderer tischen, unduldsamen Katholizismus ge- Berücksichtigung der Frage nach der prägt, sondern von einer ernsthaften Missionsmotivation. römisch-katholischen Religiosität bis hin zur Gewissenserforschung (vgl. Brandi Der Vorsprung der römisch- 1979, 106–109). Als 1519–22 die Er- katholischen Mission oberung Mexikos durch Hernán Cortés in Gang war, entschied sich Karl V. Wie war es möglich, dass mit der dafür, die Christianisierung der neu zu Eroberung Lateinamerikas durch die gewinnenden Gebiete in die Hand der iberischen Mächte die Christianisierung Bettelorden zu legen (Prien 2007, 109; im römisch-katholischen Sinne einher- vgl. Konetzke 1968, 222.247. 256). ging? Eigentlich waren die Voraus- Gerade zu dieser Zeit war Hadrian VI. setzungen denkbar schlecht. Denn von Papst (9. Januar 1522 – 14. September den Eroberern, Rittern, Soldaten und 1523). Der ernsthafte Reformpapst Ha- Abenteurern waren Impulse zu einer drian (Adrian von Utrecht) (Fran- evangelikale missiologie 31[2015]1 9 zen/Bäumer 1974, 290) war Karls Er- und in Lateinamerika war ihr Ziel die zieher und Ratgeber gewesen (vgl. „Erschließung des Binnenlandes, um so Brandi 1979, 136–139). Hadrian VI. die eingeborene Bevölkerung zu missio- bestätigte die Entscheidung Karls V., die nieren.“ (Vercruysse 1987, 663) damit auch zum päpstlichen Programm Man kann sagen, dass die Christiani- wurde (Prien 2007, 109.111). sierung Lateinamerikas ein Projekt der Die Entscheidung, die katholischen religiösen Eliten war. Die Bettelorden Christianisierung Latein- waren die amerikas in die Hand der Das fehlende Missions- Speerspitze Bettelorden, Franziskaner, engagement des reforma- religiöser Dominikaner und Augus- torischen Protestantismus Ernsthaftigkeit tiner, zu legen, war von strategischer Bedeutung. Dass der Protestantismus in den ersten innerhalb des beiden Jahrhunderten seiner Geschichte römisch- Die Bettelorden hatten gerade einen Prozess der zu nachhaltig wirksamen missionari- katholischen schen Unternehmungen nicht in der Lage Glaubens- inneren Erneuerung durch- gemacht (Fernández 1992, war, hat strukturelle und theologische systems. 103), durch den die alten Gründe. mönchischen Ideale wieder Die mittelalterliche römisch-katholische neue Dynamik gewannen, nicht zuletzt Kirche war geprägt von der Monasti- auch der Opfergedanke, wie er etwa in sierung der Kirche und von der Kleri- der Peregrinatio der iroschottischen kalisierung der Gesellschaft (Benrath Missionare zu finden gewesen war 2011). Die Reformation hat in ihrem (Angenendt 1990, 212–213). Die Bettel- Wirkungsbereich beides rückgängig ge- orden waren die Speerspitze religiöser macht. Der Protestantismus hat das Ernsthaftigkeit innerhalb des römisch- Mönchtum vollständig abgeschafft (vgl. katholischen Glaubenssystems. Durch Luthers Schrift De votis monasticis ihre Beweglichkeit und durch die iudicium [Urteil über die Mönchsge- Bereitschaft zum Gehorsam und zum lübde], 1521). Luthers Zwei-Reiche- Opfer schienen sie prädestiniert für den Lehre gab dem Staat seine eigene Stel- Einsatz in der Mission. Die Chris- lung unabhängig von der Kirche (Luthers tianisierung Lateinamerikas als religiöses Schrift An den christlichen Adel deut- Projekt war nur dadurch möglich, dass scher Nation, 1520). sich die Klöster der Bettelorden in Als Folge der Abschaffung Europa leerten und Tausende von des Mönchtums fehlte dem Dem Mönchen die Aufgabe der Kirchgrün- Protestantismus das Instru- Protestantismus dung in Lateinamerika in Angriff ment zur Durchführung fehlte das nahmen (Glazik 1967, 611). missionarischer Unterneh- Instrument zur Später traten dann an ihre Seite die von mungen – und das gerade in Durchführung religiöser Ernsthaftigkeit und religiösem einer Epoche, in der die missionarischer Eifer motivierten Jesuiten (vgl. Heussi monastische Missionsarbeit Unternehmungen. 1976, 334-335), bei deren Missions- im römischen Katholizis- engagement die Motive der Peregrinatio mus eine weltweite Aus- (Palomo 2000, 50–51) und der „aposto- dehnung erfuhr. lischen Bewegungsfreiheit“ (Vercruysse Auch theologische Überzeugungen des 1987, 662) eine wichtige Rolle spielten, Protestantismus erwiesen sich als bei den Missionsmethoden waren die hinderlich für ein Missionsengagement. Jesuitenmissionare Vorreiter der Akko- Auf lutherischer Seite war dies die modation (Vercruysse 1987, 663.664),

10 evangelikale missiologie 31[2015]1 Überzeugung, dass der Missionsauftrag merling, 1975, 42–44; Beck, 1981; Kane (Mt 28,18–20) nur den Aposteln ge- 1971, 79–81; vgl. auch Dietrich Meyer golten habe und von ihnen auch um- 1995). fassend durchgeführt worden sei; diese Mehrere Pionierleistungen gingen auf Überzeugung prägte beispielhaft das das Konto der Herrnhuter Brüdergemein- Gutachten der lutherischen theologischen de, wie die Einfügung spontaner Ele- Fakultät zu Wittenberg aus dem Jahr mente in den Gottesdienst, die aktive Be- 1652, das man regelrecht missions- teiligung aller Mitglieder am Gemeinde- feindlich nennen kann (Delgado 2003, leben und die Einbeziehung von Frauen 97). Auf reformierter Seite war es Cal- in Leitungsämter. vins Lehre von der doppelten Prädes- tination (Institutio III, 21,1–7), die oft so Die Herrnhuter Mission er- scheint insofern als ein interpretiert wurde, dass für eine durch Das Modell der die Kirche in Angriff genommene Wei- Ideal, als die gesamte Ge- meinde die Missionsarbeit Trägerschaft tergabe des Evangeliums an Nicht- der Mission christen kein Spielraum blieb. getragen hat. Allerdings ist dieses besondere Missions- durch die Begrenzte Ansätze des engagement dem einzigarti- ganze kontinentaleuropäischen gen Wesen der Herrnhuter Gemeinde. Brüdergemeine zu verdan- Pietismus im 17. Jahrhundert ken. Das Modell der Trägerschaft der Dem kontinentaleuropäischen Pietismus Mission durch die ganze Gemeinde ließ gelang es im 17. Jahrhundert, zwei dau- sich offensichtlich weder auf die pro- erhafte Missionsbewegungen in Gang zu testantischen Volkskirchen, noch auch setzen (vgl. Mulholland 1999). auf Freikirchen übertragen. Die Dänisch-Hallesche Mission – als Der Durchbruch durch William deren erster Missionar Bartholomäus Carey Ziegenbalg (1682–1719) seit 1706 in Tranquebar in Südindien wirkte (Gen- Gleich in mehrfacher Hinsicht erfuhr das sichen 1979, 185; Winkler 1975, 615– Anliegen der Weltmission durch das 616; Lehmann 1956; Settgast 1981; Hille Wirken William Careys, der als Vater der 2000, 1043–1044) – erwuchs aus dem protestantischen Mission gilt (Winter/ Konzept August Hermann Franckes zur Hawthorne 1983, 230), einen Durch- Erneuerung der Gesellschaft durch das bruch. Evangelium, niedergelegt in seiner Re- Mit seiner Programmschrift Enquiry formschrift „Der Große Aufsatz“ (Fran- (1792) gab Carey zunächst exegetisch cke 1962). Dieser Impuls verband sich dem Missionsbefehl seine Bedeutung für mit Franckes Konzept von der persön- die Weltmission zurück. Stringent war lichen Führung, mit Franckes Theologie seine Argumentation: Wenn die Kirche der Bekehrung und der Schau von der sich auf Mt 28,18–20 beruft, wenn sie weltweiten Wirksamkeit des Halleschen tauft, so gibt es exegetisch keinen Grund, Werkes zu einem tragfähigen Konzept warum nicht auch der Verkündigungs- von Weltmission (vgl. Beyreuther 1969, auftrag aus Mt 28 für die ganze Kirche 180–205; Beyreuther 1978, 158–165; zu allen Zeiten gelten sollte (Carey 1983, Sträter 2000, 211; Wellenreuther 2003, 229; Carey 1992, 7–8). 169). Neben den Gehorsam dem Befehl Jesu Die Herrnhuter Mission (seit 1732) gegenüber stellte Carey als Missions- wurde zur ersten weltumspannenden pro- motivation die Sorge um das ewige Ver- testantischen Missionsbewegung (Zim- evangelikale missiologie 31[2015]1 11 loren-Sein der vom Evangelium Uner- Die Frage nach dem Willen Gottes für reichten, wobei er „philanthropische“ das eigene Leben führte zur Offenheit für Argumente gebrauchte (Carey 1983, die persönliche Berufung in die Mission. 230; Carey 1992, 13 a). Zur Verdeut- Unterstützt und gefördert wurde diese lichung des Bedarfs an Mission benutzte Offenheit durch die Sensibilität für die Carey geographische Übersichten und Frage nach dem eigenen Heil und dem statistische Daten. Heil anderer Menschen. So trat neben Für die praktische Durch- das Motiv der Berufung und des Gehor- sams auch ein geistlich-philanthropi- ... ein führung der evangelischen Weltmission erwies sich sches, wir können auch sagen, in ge- Instrument, wissem Sinn anthropologisches Motiv das den Platz sein Vorschlag als Bahn brechend, – offensichtlich für Mission. einnehmen nach dem Vorbild der Die herausragende Bedeutung konnte, den im englischen „religious socie- Katholizismus ties“ (vgl. Brecht 1993, des Wirkens Hudson Taylors die Orden 522) – Missionsgesell- für die evangelische haben. schaften zu gründen (Carey Weltmission 1983, 235). Mit dem Wirken Hudson Taylors und der Damit war ein Instrument gefunden, das Gründung der China Inland Mission – unter den durch den Protestantismus begann eine neue Epoche der evan- veränderten Bedingungen – den Platz gelischen Weltmission, Daniel Bacon einnehmen konnte, den im römischen nennt Taylor den „Father of the Faith Katholizismus die Orden haben. Missions Movement“ (Bacon 1984, 87). Dabei scheint bei Carey deutlich ein Hudson Taylor kam her von einem Be- weiteres bestimmendes Motiv durch, das rufungsverständnis, das den Missionar auch viele Ordensunternehmungen des praktisch unabhängig von anderen In- Katholizismus kennzeichnete und kenn- stanzen macht. Er war geprägt vom zeichnet: die Bereitschaft zum persönli- Konzept des Selbstrechtes des Missio- chen Opfer, ohne die, so Carey, Mission nars bei den Freimissionen (Fiedler nicht wird durchgeführt werden können 1992, 30). Damit spitzte er (Carey 1983, 232; Carey 1992, 67). die Bedeutung der Mis- Er spitzte Konsequenterweise war Carey an der sionsmotivation durch die die Bedeutung Gründung der ersten Missionsgesell- persönliche Berufung durch der Missions- schaft beteiligt (Fiedler 1992, 80; Kane den Herrn noch einmal zu. 1971, 85), und er wurde, zusammen mit Im Blick auf Hudson Tay- motivation zu seiner Frau, auch als deren erster Missio- lors Aufruf zur Mission bei durch die nar ausgesandt. einer Erbauungskonferenz persönliche Berufung durch Die von Carey herausgearbeiteten Mis- in Perth in Schottland sionsmotive waren bestimmend für die (1865) schreiben Howard den Herrn. von ihm angestoßene Missionsbewegung und Geraldine Taylor: des 19. Jahrhunderts. Er konnte nicht einsehen, daß Gehorsam Mission war nicht Sache der ganzen gegen das letzte Gebot des Auferstandenen Kirche, sondern besonderer Vereinigun- im Gegensatz zu geistlicher Erbauung gen. In gut protestantischen Sinn wurde stehen sollte. Vielmehr schien ihm ein die Verantwortung für Mission zu einer solcher Gehorsam die Wurzel allen Segens sehr persönlichen Angelegenheit. und der sicherste Weg zu tiefer Ge- meinschaft mit Gott zu sein. (Taylor/ Taylor 1984, 152–153).

12 evangelikale missiologie 31[2015]1 Vor allem aber stellte Taylor das Mis- Wille ist ihnen nicht bekannt gemacht sionsmotiv der Sorge um das ewige worden! Verlorensein der vom Evangelium Uner- Glaubst du, dass jeder einzelne von diesen reichten ins Zentrum. Auf der Konferenz Millionen eine kostbare Seele hat? Und dass in Perth sagte Taylor: „den Menschen unter dem Himmel kein Glauben Sie, daß jeder einzelne dieser Mil- anderer Namen gegeben wurde, durch den lionen eine unsterbliche Seele hat und daß sie gerettet werden sollen, als der Name kein anderer Name unter dem Himmel den Jesus“? Glaubst du, dass er alleine „die Tür Menschen gegeben ist, darinnen wir sollen zu den Schafen“ und „der Weg, die selig werden, als allein der Name Jesus? Wahrheit und das Leben“ ist? Dass Glauben Sie, daß Er, Er allein ‚der Weg, die „niemand zum Vater kommt außer durch Wahrheit und das Leben‘ ist und daß ihn“? Wenn ja, dann denke an die Situation niemand zum Vater kommt ‚denn durch dieser Unerretteten und prüfe dich ernsthaft Ihn‘? Wenn es so ist, dann bedenken Sie vor Gott, um zu erkennen, ob du dein doch bitte die Zukunft dieser unerlösten Äußerstes tust, damit sie Ihn kennenlernen Seelen, und prüfen Sie sich vor Gottes können.“ (Hudson Taylor 1983, 246; Original Angesicht, ob Sie Ihr Äußerstes tun, Ihn in Englisch). unter diesen Menschen bekannt zu machen! Die „Unerreichten“ mit dem Evangelium (Taylor/Taylor 1984, 153) zu erreichen, wurde nun das zentrale Im Zusammenhang mit der Konferenz Anliegen der Missionsarbeit. Dies sollte stellt Taylor die Frage: so schnell wie möglich, und es sollte Bis zur nächsten Perth-Konferenz werden in „flächendeckend“, eben auch im „In- China zwölf weitere Millionen gestorben land“ geschehen. sein, so daß wir sie ewig nicht mehr Taylor zog verschiedene Konsequenzen erreichen können. Was aber unternehmen aus der Dringlichkeit des Anliegens. wir, damit sie die Botschaft der errettenden Die Arbeit sollte stark evangelistisch Liebe vernehmen? (Taylor/Taylor 1984, sein, die Aufgabe der Gemeindegrün- 153) dung trat hinter diesem Ziel zurück. In seinem 1865 verfassten Aufruf Die Dringlichkeit ließ für Taylor keine „China‘s Spiritual Need and Claims,“ lange Vorbereitungszeit zu, konsequen- machte Taylor unter Verwendung statis- terweise wurden auch Laien als Mi- tischer Daten sein Anliegen dann vor einer tarbeiter zugelassen (Taylor/Taylor 1984, weiteren Öffentlichkeit dringend: 160), dies entsprach auch Denk an die über achtzig Millionen, die seinem von der Brüderbe- vom Evangelium unerreicht sind, in den wegung geprägten Gemein- Die sieben Provinzen, wo die Missionare schon deverständnis, das kein Dringlichkeit am längsten arbeiten. Denk an die über 100 kirchliches Amt kannte ließ für Taylor Millionen in den übrigen elf Provinzen (Fiedler 1992, 70). Eine keine lange Chinas, die außerhalb der Reichweite der theologische Vorbereitung Vorbereitungs- wenigen Missionare dort leben; ... denk an zeit zu. die über 200 Millionen, die jenseits der trat somit in den Hinter- Reichweite aller existierenden Missions- grund. organisationen leben – und sag mir, wie soll Eine weitere Entwicklung brachte Taylor Gottes Name von ihnen geheiligt werden? ebenfalls in Gang: In der China Inland Wie soll sein Reich unter ihnen kommen? Mission konnten Frauen Leitungs- und Und wie soll sein Wille durch sie ge- Lehraufgaben übernehmen. schehen? Sie haben nie von seinem Name Von seinen Grundsätzen her konnte und seine Eigenschaften gehört. Sein Reich Taylor Mitarbeiter aus den verschie- ist nie unter ihnen verkündigt worden. Sein densten protestantischen Denomina- evangelikale missiologie 31[2015]1 13 tionen annehmen (Taylor/Taylor 1984, „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes 157), daher der stark interdenomina- und seiner Gerechtigkeit, so wird euch tionelle Charakter der China Inland das alles zufallen.“ (Mt 6,33; Taylor/ Mission, auch war die Zusammensetzung Taylor 1984, 157) der Mitarbeiterschaft „internationaler“ Mit dem Glaubensprinzip hat der von als diejenige bisheriger Missionswerke. Taylor geprägte Zweig der evangelischen So erfreulich die große Missionsbewegung ein Element aufge- Der Vorrang denominationelle Offenheit nommen, das mir in gewisser Weise der Evangeli- war, der Vorrang der Evan- verwandt zu sein scheint mit dem sierung kostete gelisierung kostete im Blick Armutsgelübde des römisch-katholi- einen Preis auf die theologische Klarheit schen Mönchtums. So wie die Bettel- im Blick auf die einen Preis; so ordnete mönche abhängig waren von den Al- theologische Taylor „das Streben nach mosen der Gläubigen (Hofmeister 1986, Klarheit. dogmatischer Wahrheit dem 1107), so sind die Missionare der Streben nach effektiver Glaubensmissionen für ihre materielle Erfüllung der Hauptaufgabe der Kirche Versorgung angewiesen auf die Gaben unter.“ (Fiedler 1992, 70) der Missionsfreunde. Als Zuspitzung Im Blick auf den Umgang mit der dieses Versorgungsprinzips muss gelten, einheimischen Kultur sah Taylor die dass nun aber eben nicht zu solchen Notwendigkeit, dass die Missionare sich Gaben aufgerufen wurde, wie auch die so weit wie möglich an die einheimische materiellen Bedürfnisse, sowohl auf der Kultur anpassen sollten (Neill 222; persönlichen Ebene, wie auch für den Bacon 1984, 39–41). Damit kam eine Dienst, überhaupt nicht bekannt gemacht Entwicklung in Gang, an die dann im 20. werden sollten. Jahrhundert die Bemühungen um die So erscheint in ihren Be- Das Kontextualisierung des Evangeliums an- richten die Versorgung der Glaubensprinzip knüpfen konnten. Konsequenterweise Missionare, wie übrigens scheint in hatte die Missionsleitung ihren Sitz auf schon in deren Kontext bei gewisser Weise dem Missionsfeld (Taylor/Taylor 1984, August Hermann Francke 158; Douglas 2000, 931). in den Segensvollen Fuß- mit dem Armutsgelübde Ein weiterer bedeutender Beitrag Hud- stapfen (Francke 1994, 1. 307–310) und Georg Müller verwandt zu son Taylors für die Missionsbewegung sein. ist meines Erachtens die Verknüpfung zu finden (Pierson o. J. z. B. der Missionsbewegung mit dem „Glau- 78–89), als von Gott gewirkte Bestä- bensprinzip“, das er von Georg Müller tigung für Berufung und Dienst. Wieder- (vgl. Pierson o.J., 52–60) und den holte Erfahrungen der von Gott erbe- Nichtkirchenmissionen übernahm und tenen Versorgung bekräftigten die Moti- das sicherlich auch durch die Heili- vation. gungsbewegung geprägt wurde (Fiedler Fehlende Versorgung, etwa für neu 1992, 31). geplante Vorhaben, galt demgegenüber Das Glaubensprinzip erscheint dabei als als Hinweis, dass das entsprechende eine Zuspitzung des schon von William Vorhaben, anders als zunächst emp- Carey betonten Opfergedankens in Rich- funden, nicht dem Willen Gottes ent- tung auf den persönlichen Lebensstil. sprach (vgl. Taylor/Taylor 1984, 163). Die materiellen Bedürfnisse wurden Gott So führte die Praktizierung des Glau- im Gebet vorgebracht, aber nicht Men- bensprinzips zu einer verstärkten Sensi- schen gegenüber kommuniziert. Taylor bilisierung für das Reden Gottes im berief sich dabei auf die Bergpredigt: Blick auf die persönliche Führung.

14 evangelikale missiologie 31[2015]1 Die Mitarbeiter der Glaubensmissionen andergreifen von angelsächsischer, skandi- gingen nicht wie diejenigen der „klas- navischer und kontinentaleuropäischer sischen Missionen“ aus der Erweckung Erweckungsbewegung mit dem von des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts Hudson Taylor ausgehenden Impuls zur hervor, sondern aus der darauffolgenden schnellstmöglichen Evangelisierung der Erweckung der zweiten Hälfte des 19. Welt zeigt (vgl. Bacon 1984, 91.97). Jahrhunderts, etwa derjenigen von 1859 Franson wurde seit 1890 zu einer der (Taylor/Taylor 1984, 160). Die Interde- bedeutendsten Persönlichkeiten der welt- nominationalität der Glaubensmissionen weiten Missionsbewegung, deren Ziel war wesentlich breiter als die der inter- „ Extension into all the World“ denominationellen klassischen Missionen war (Torjesen 1983, 71). Die Gründung (Fiedler 1992, 33; vgl. Bacon 1984, von nicht weniger als acht skandina- 48.53). vischen Missionswerken (Torjesen 1983, 64–65, 80–81, 84–86, 94–95), aber auch Die neue Dynamik der etwa die Gründung der deutschen und Missionsbewegung Schweizer Allianz-Mission (Torjesen 1983, 66–68, 69–70) geht auf Franson Hudson Taylors Beispiel, aber auch seine zurück. Aufrufe wie China´s Spiritual Need and Claims trafen auf starken Widerhall Ein weiteres bedeutendes Beispiel für die (Bacon 1984, 13.14). Die China Inland Wirkungsgeschichte Taylors ist die Mission wurde bald zu einer der größten Gründung des Missionswerkes WEC evangelischen Missionsgesellschaften International durch Charles (Pollock 1975, 95). Viele Tochtermissio- und Priscilla Studd (Zunächst ... das große nen wurden gegründet, allein in Deutsch- Heart of Africa Mission, Erbe zu land führen sich die Neukirchener dann Worldwide Evangeliz- verkaufen Mission, die Liebenzeller Mission und ation Crusade). und den Erlös die Überseeische Missionsgemeinschaft Charles und Priscilla Studd verschiedenen (als deutscher Zweig der ehemaligen waren 1885–1894 Mitarbei- christlichen China Inland Mission) auf sie zurück, ter der China Inland Mission Werken zu viele andere Missionswerke wurden von gewesen (Studd war einer der spenden. ihr beeinflusst (Bacon 1984, 87–108). „“), d. h. Taylor förderte das Missionsinteresse der sie kannten von daher das erweckten Kreise durch ausgedehnte Glaubensprinzip, aber auch die geistliche Reisen. Ralph R. Covell stellt fest: Sorge für die Unerreichten (Pollock 1975, Taylor verbrachte genauso viel Zeit außer- 95; Bacon 1984, 105). halb wie innerhalb von China. Er reiste Für Studd gehörte zum Leben nach dem durch viele Länder, um Chinas Nöte Glaubensprinzip die alltägliche Abhän- bekannt zu machen und neue Missionare zu gigkeit von Gottes Versorgen. Dazu rekrutieren. erschien es ihm als notwendig, unter Obwohl er sich oft außerhalb Chinas auf- Berufung auf Jesu Aufforderung an den hielt, hielt er engen Kontakt mit seinen reichen Jüngling, „Geh hin, verkaufe vielen Missionaren und war weiterhin alles, was du hast, und gib’s den Armen“ soweit möglich in Missionsaktivitäten (Mk 10,21), sein großes Erbe zu ver- engagiert. (Covell 1998, 658; Original in kaufen und den Erlös verschiedenen Englisch) christlichen Werken zu spenden (Vincent Als ein Beispiel für Taylors Einfluss auf 1988, 76, 138). die Missionsbewegung kann das Wirken Dieses konsequente Wörtlich-Nehmen Frederik Fransons gelten, das das Inein- von Mk 10,21 durch den „reichen evangelikale missiologie 31[2015]1 15 Jüngling“ Charles Studd erinnert an die Führung und der persönlichen Um- entsprechend konsequente Haltung eines setzung des Opfergedankens. anderen „reichen Jünglings“, Franz von In gewissem Sinne mag hier auch die Assisi (vgl. Heussi 1976, 221; Goez Konsequenz des Opfergedankens stehen, 1983, 300). die Charles und Priszilla Studd aus ihrer Offensichtlich konnte eine flächen- schließlichen Berufung für den Dienst in deckende evangelische Missionsbewe- der Heart of Africa Mission (später WEC gung erst entstehen, als der Protes- International) gezogen haben. Während tantismus, bzw. Teile seines erweckli- Charles Studd 1916 endgültig in den chen Spektrums bereit waren, mit den Kongo aufbrach, wo er bis zu seinem geistlichen Konsequenzen aus der Tod 1931 wirkte, blieb seine Frau Berufung zur Weltmission ernst zu Priscilla aus gesundheitlichen Gründen machen. Dazu zählt die Herausbildung in England, von wo aus sie bis zu ihrem der protestantischen Missionsgesell- Tod 1929 die Missionsarbeit ihres Man- schaft als Transformation des Ordens- nes unterstützte (Vincent 1988, 131.139. gedankens. 157–162). Es gehört dazu die Neu- Zu Wirkungsgeschichte und definition des Gehorsams- ... die ideals des Mönchtums, nun theologischer Einordnung der protestantische nicht als Gehorsam gegen- Missionsmotive Missions- über dem Abt oder der Der starke Impuls, der von der Gründung gesellschaft als Äbtissin als einer kirchli- der China Inland Mission durch Hudson Transformation chen Instanz, sondern als des Ordens- Taylor ausging, wirkt bis heute fort (vgl. Gehorsam dem berufenden Bacon 1984, 130–156). gedankens. Herrn selbst gegenüber – ein individuelles Verständ- In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahr- nis der Berufung, zu dem hunderts haben die weltweite Missions- Reformation und Pietismus befreit bewegung und auch die Lausanner hatten. Bewegung das Anliegen der „Unerreich- ten“ aufgenommen. Es gehört nicht unbedingt, aber vielfach dazu die Transformation und Neude- Die Bewegung AD 2000 hat noch einmal finition des Armutsideals des Mönch- die Anstrengungen verstärkt, die vom tums, nun im evangelisch-erwecklichen Evangelium Unerreichten, wenn mög- Kontext, vor allem von der Heiligungs- lich, bis zum Jahr 2000 mit dem Evan- bewegung her geprägt, als „Glaubens- gelium zu erreichen (www.ad2000.org). prinzip“ (vgl. Fiedler 1992, 31.33.70). Der zweite Lausanner Kongress in Ma- nila 1989 hat dieses Anliegen aufge- Eine direkte Transformation der mo- nommen (Marquardt/Parzany 1990). nastischen Forderung der Ehelosigkeit erschien und erscheint im Kontext der Als eschatologisches Motiv wurde hier evangelischen Missionsbewegung als der Gedanke, die Wiederkunft Jesu durch nicht notwendig, allerdings gelten im die Vollendung der Weltmission zu be- Sinne der Heiligungsbewegung sehr schleunigen, aufgegriffen, das auch hohe Anforderungen an die Ethik der schon in den Glaubensmissionen wirk- Ehe und an die eheliche Treue. sam gewesen war (Fiedler 1992, 68; Triebel 2000, 58–67). Die Ehelosigkeit evangelischer Mis- sionare und Missionarinnen begegnet Initiativen wie das Joshua Project ver- uns auf der Ebene der persönlichen treten das Anliegen, die Unerreichten mit dem Evangelium zu erreichen, auch im

16 evangelikale missiologie 31[2015]1 21. Jahrhundert (www.joshuaproject. kennt, die die anderen Missionsmotive net). Auch die Kapstadt-Verpflichtung regelrecht abwertet. bekräftigt dieses Anliegen (II D) Die Kapstadt-Verpflichtung zitiert John (www.lausanne.org/content/ctc/ctcommit Stott, The Message of Romans (1994): ment#2-4). Das höchste aller missionarische Motive ist Auch weiterhin praktizieren viele Mis- weder Gehorsam gegenüber dem Missions- sionswerke das Glaubensprinzip und befehl (so wichtig das auch sein mag) noch berufen sich dabei auf das Vorbild der Liebe für Sünder, die Gott entfremdet und China Inland Mission. dem Untergang geweiht sind (so stark Die Weltmissionsbewegung des 19. dieser Anreiz auch sein mag, besonders Jahrhundert hat sich in ihrer Missions- wenn wir an den Zorn Gottes denken). Das motivation auf den Missionsbefehl und stärkste Motiv sollte Eifer sein – brennender vor allem auf die geistliche Sorge um die und leidenschaftlicher Eifer – für die vom Evangelium Unerreichten berufen, Herrlichkeit Jesu Christi … Vor diesem höchsten Ziel der christlichen Mission wobei Hudson Taylor das Thema Uner- verkümmern und vergehen alle anderen reichte deutlich ins Zentrum gerückt hat. Ziele. Kapstadt-Verpflichtung Teil I 2B) Durch das Wirken John Motts bekam Ein so bedeutender Theologe wie John dann das eschatologische Motiv Ge- Stott kommt zu der exegetischen wicht, „die Evangelisierung der Welt in Schlussfolgerung, dass der Gehorsam dieser Generation“ wurde zum Motto für gegenüber dem Missionsbefehl und die die Missionskonferenz in Edinburgh Liebe für die ohne Christus Verlorenen 1910 (vgl. Bergunder 2003, 440). gegenüber der Ehre Gottes und der Die Missionstheologie des Herrlichkeit Christi untergeordnete Mis- Hudson Taylor aus dem Einheitsimpuls sionsmotive sind. hat das Thema von Edinburgh 1910 her- Die Ehre Gottes als zentrales Missions- der Unerreichten vorgegangenen Internatio- motiv begegnet uns dann auch bei Piper, nalen Missionsrates (seit deutlich ins Let the Nations Be Glad (Piper 2009), 1961 Kommission für Welt- Zentrum gerückt. und bei Wrogemann, Den Glanz wider- mission und Evangelisation spiegeln (Wrogemann 2012). im Ökumenischen Rat der Kirchen) ist dann andere Wege gegan- Missionstheologische gen, vor allem im Blick auf die Be- Einordnung der Beiträge deutung des sozialen und politischen Careys und Taylors Engagements und des Dialogs mit den Religionen. Dies zu betrachten, liegt aber Wie haben wir dann aber die heraus- außerhalb des behandelten Themas (vgl. ragenden Beiträge zu Missionstheologie Günther 1970; Johnston 1984, Sautter und Missionspraxis zu bewerten, die von 1985; Bockmühl 2000) William Carey und Hudson Taylor Innerhalb der Missionstheologie des ausgegangen sind? erwecklichen Protestantismus scheinen Eine doppelte Blockade hatte im Pro- die „klassischen“ Missionsmotive zuneh- testantismus die Missionsmotivation ge- mend in Frage gestellt zu werden. hindert. Es ist bemerkenswert, dass die Kapstadt- Die vor allem im Luthertum vertretene Verpflichtung des Dritten Lausanner Auffassung, dass der Missionsbefehl nur Kongresses (2010) sich unter Berufung den Aposteln gegolten hätte, verhinderte auf John Stott in einer Weise zum es, dass dieser in den aktuellen Kontext Missionsmotiv der „Ehre Gottes“ be- übertragen werden könnte.

evangelikale missiologie 31[2015]1 17 Calvins doppelte Prädestinationslehre sehung in der Suche nach ihrem ewigen Gut (Institutio III, 21,1–7) blockierte die zusammenzuwirken (Carey 1992, 67-68). Bereitschaft, Mission überhaupt zu Er schreibt von „Liebe für unsere Mit- denken. Diese Blockade wurde noch geschöpfe und Mitsünder“ (Carey 1992, dadurch verstärkt, dass Calvin auch 69). Grundlegend für die Missionsmo- lehrte, das biblische Amt des Evan- tivation der Liebe zu den Unerreichten gelisten wäre zusammen mit den Ämtern ist seine Argumentation: der Apostel und der Propheten als Amts- Können wir als Menschen oder als Christen aufgaben „nicht dergestalt eingerichtet, hören, daß der größte Teil unserer daß sie bleibend sein sollten.“ (Institutio Mitgeschöpfe, deren Seelen so unsterblich IV, 3,4; 592) sind wie unsere, die ebenso wie wir in der Vor allem Calvins Theologie, auch Lage sind, das Evangelium zu verherrlichen Zusammen mit seiner Betonung des und durch ihr Predigen, Schreiben oder Tun Ersten Artikels und der Ehre Gottes, zur Ehre des Namens unseres Erlösers und wiegt schwer, da doch praktisch alle zum Nutzen seiner Kirche beitragen angelsächsischen Ausprägungen des Pro- können, von Unwissenheit und Barbarei testantismus, mainline-Kirchen (Angli- eingehüllt sind? (Carey 1992, 69–70) kaner, Presbyterianer) wie auch Frei- Wie hier deutlich wird, kennt Carey kirchen, theologisch im Wesentlichen natürlich das Motiv der Ehre Christi. dem Calvinismus folgen – auch der Vollständig machen Careys Anglikanismus, denn die 39 Artikel wird Impuls für die Weltmission In gewissem man als gemäßigt calvinistisches Be- das Konzept der Missions- SInn kann man kenntnis einordnen dürfen (Heussi 1976, gesellschaft als praktisches von einer 323; Kinder/Hilgemann 2004, 238). Die Instrument zur Durchführung zweite Generation lutherischer Theo- „geistlichen der Mission (Carey 1992, Elite“ sprechen. logen hat demgegenüber in der „Solida 84–88), der Hinweis auf die Declaratio“, die 1580 in das Konkor- notwendige Bereitschaft, Op- dienbuch aufgenommen wurde, die dop- fer zu bringen (Carey 1992, 72–73) und pelte Prädestinationslehre Calvin mit die Feststellung, dass es sich bei den ausführlicher exegetischer Begründung Missionaren um vorbildliche Christen scharf abgewiesen (Solida Declaratio, handeln muss, bereit zur Hingabe an die XI. Von der ewigen Vorsehung). Aufgabe der Mission; in gewissem Sinn Es ist das Verdienst William Careys, die kann man von einer „geistlichen Elite“ beiden genannten mentalen Blockaden sprechen: aufgebrochen zu haben. Carey wies, wie Die Missionare müssen Menschen von erwähnt, in der Enquiry die Gültigkeit großer Frömmigkeit, Klugheit, Mut und des Missionsauftrags für die gesamte Ausdauer sein, von unzweifelhafter Recht- Kirche zu allen Zeiten nach (Carey 1992, gläubigkeit in ihren Anschauungen, und 7–9). müssen sich von ganzem Herzen dem Geist In Kapitel IV der Enquiry brach Carey ihrer Mission hingeben. (Carey 1992, 75) die Blockade durch die doppelte Die evangelische Missionsbewegung des Prädestinationslehre auf. Wie sehr auch 19. Jahrhunderts hat diese Impulse er selbst vom Calvinismus geprägt ist, Careys aufgenommen und begonnen sie zeigt sich wiederholt, etwa in der umzusetzen. Bemerkung: Hudson Taylor hat in diesem Zusam- Jeder neue Bericht über ihre Unwissenheit menhang das Verdienst, dass er diesen und Grausamkeit sollte unser Mitleid er- wesentlichen, von Carey ausgegangenen wecken und uns anregen, mit der Vor- Impulsen innerhalb der Missionsbe-

18 evangelikale missiologie 31[2015]1 wegung ihre endgültige Ausprägung und dem Konzept der Glaubensmission eine Verwirklichung gegeben hat. Gestalt gegeben (Bacon 1984, 27-37), Taylor gab mit seinem von den Frei- die diese in ihren weitreichenden Wir- missionen herkommenden Verständnis kungsmöglichkeiten für Mission den des Selbstrechtes des Missionars dem wirkungsvollsten Gestaltwerdungen des Bewusstsein von der persönlichen Be- römisch-katholischen Missionsinstru- rufung durch den Herrn in den Mis- ments Missionsorden an die Seite stellt. sionsdienst eine starke Ausprägung. Allerdings erscheinen zukunftsweisende Diese Berufung bewährt sich gerade Entscheidungen Taylors nicht so sehr durch Überwindung von Widerständen theologisch, sondern vielmehr pragma- verschiedener Art wie Unverständnis der tisch begründet. Dies gilt für die Praxis, Familie und der Mitchristen, Heraus- chinesische Kleidung zu tragen, was mit forderungen im Missionsdienst selbst dem Ziel begründet wird: „... um jede und nicht zuletzt durch die Abhängigkeit mögliche Barriere bei der Kom- vom Herrn in der materiellen Ver- munikation des Evangeliums zu sorgung. Mit der Anschauung von der beseitigen.“ (Bacon 1984, 40; Original in persönlichen Bindung des Berufenen an Englisch; vgl. aber zur theologischen den Auftrag des Herrn, die Vorrang vor Begründung ibid., 41). Dies gilt für die allen anderen Bindungen hat, mensch- Einbeziehung von Laien und Frauen in lichen, wie kirchlichen, hat Taylor die den Missionsdienst. Taylor suchte nach Blockade, die die Wirksamkeit des Mis- ... „bereitwilligen und begabten” Mit- sionsauftrags für die Weltmission ver- arbeitern. Für ihn waren diese zwei Qua- hinderte, endgültig durchbrochen. litäten wichtiger als alle anderen Über- Taylor gab mit seinem vorwärtsdrän- legungen, einschließlich Ordination oder genden Impuls zur schnellstmöglichen Ausbildung. (Bacon 1984, 59; Original in und flächendeckenden Evangelisierung Englisch) des Inlands Chinas dem Ziel, die Uner- Das Ziel der flächendeckenden Evan- reichten mit dem Evangelium zu gelisation Chinas erschien Taylor als so erreichen, seine größte wichtig, dass dort, wo keine Männer ... evangelische Dringlichkeit (Fiedler 1992, verfügbar waren, eben Frauen eingesetzt Weltmission 277,278; vgl. 68). Dabei wurden, wie in der Provinz Kiangsi in ihrer ging es ihm zuallererst um (Bacon 1984, 66). Auch bei der weg- die schnellstmögliche Aus- weisenden Entscheidung, die Zentrale größtmöglichen breitung der Kenntnis des der China Inland Mission auf das Reichweite. Evangeliums in ganz China Missionsfeld zu verlegen, folgte Taylor (Bacon 1984, 17). Die Ziele pragmatischen Überlegungen (Bacon einer größtmöglichen Zahl von Bekehr- 1984, 72–76; vgl. Douglas 2000, 931). ten oder der Gemeindegründung traten Die bei Taylor eher zurücktretende exe- dahinter zurück! getische Begründung und theologische Taylor hat damit innerhalb des angel- Durchdringung dieser innovativen Ent- sächsischen, erwecklichen Protestantis- scheidungen machte diese natürlich an- mus endgültig die Blockade durch- greifbar (vgl. Bacon 1984, 40.59.65; vgl. brochen, die Calvins doppelte Prädes- auch Taylor/Taylor 1984, 129). tinationslehre zu dem großen Hindernis Mit seinem Wirken hat Hudson Taylor – für ein Engagement für Weltmission und das macht seine besondere Be- gemacht hatte. deutung aus – einen wesentlichen Anteil Schließlich hat Hudson Taylor der daran, evangelische Weltmission sozu- evangelischen Missionsgesellschaft mit

evangelikale missiologie 31[2015]1 19 sagen in ihrer größtmöglichen Reich- Weiterführende Überlegungen weite möglich gemacht zu haben. Neben den drei genannten Missions- Vom Standpunkt der Missionsgeschichte motiven, Gehorsam gegenüber dem aus gesehen sind also die Missions- Missionsbefehl, Liebe für die Uner- motive des Gehorsams dem Missions- reichten und Ehre Gottes finden sich befehl des Herrn gegenüber und der durchaus noch andere Motive. Liebe für die vom Evangelium Uner- reichten (vgl. Bacon 1984, 15), die die So stellt die Pariser Basis der CVJM evangelische Missionsbe- (heute: Christlicher Verein Junger Men- ...vom wegung des 19. Jahrhun- schen) von 1855 das Reich Gottes in den Standpunkt derts geprägt haben, kei- Mittelpunkt mit der Formulierung, das es der MIssions- neswegs Irrwege gewe- Ziel der Arbeit der CVJM sei, „das Reich geschichte sen, sondern dringend not- ihres Meisters unter jungen Männern [heute: und Frauen] auszubreiten.“ dringend wendige Schritte, um die notwendige evangelische Mission Im Blick auf den weltweiten CVJM ist Schritte. zunächst auf den Weg zu heute allerdings zu fragen, inwieweit bringen und dann diese Zielsetzung hinreichend war und fruchtbar zu machen. ist, um dem CVJM ein klares mis- Vom Standpunkt des Dogmatikers Ende sionarisches Profil zu geben (vgl. des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts aus Johnston 1984, 34). gesehen mag die Betonung beider Mo- In eine andere Richtung führt die tive gegenüber dem Motiv der Ehre Erklärung von Busan des Ökumenischen Gottes einseitig erscheinen. Vom Stand- Rates der Kirchen von 2013, in der an punkt der Missionsgeschichte aus ge- einer Stelle Eucharistie und Mission in sehen aber sollten wir vorsichtiger mit Bezug gesetzt werden: „die Eucharistie der Zurücksetzung der Missionsmotive (das Abendmahl), die umfassendster Gehorsam dem Missionsbefehl gegen- Ausdruck der Gemeinschaft mit Gott und über und Liebe zu den Unerreichten miteinander ist, die die Gemeinschaft umgehen. Ohne ihre Verbreitung und aufbaut und von der aus wir zur Mission Praktizierung wären wir bei weitem nicht ausgesandt werden.“ (Erklärung von Bu- dort, wo wir heute weltweit sind. san, Abschnitt 10.) Eine solche Be- Da Hudson Taylor seinen Standort ziehung zwischen Abendmahl und Mis- sozusagen auf der einen Seite des sion dürfte ein im Protestantismus bisher protestantischen Spektrums hat, ist es kaum beachteter Zusammenhang sein. verständlich, dass nicht alle Missions- Die Anregung stammt vermutlich aus der interessierten seinen Weg mitgehen griechischen Orthodoxie. konnten oder wollten. Taylor hat im Auch im Blick auf das Missionsmotiv Kontext Mission ja in der Tat die Ehre Gottes und Herrlichkeit Christi ist Grenzen des geistlich Möglichen und dieser Zusammenhang interessant. So- theologisch Verantwortbaren ausgelotet. weit ich sehe, spielt in den entspre- Für den von ihm errungenen Weg hat er chenden missionsdogmatischen Konzep- bis heute viele Nachfolgerinnen und ten (Stott, Piper, Wrogemann) das Nachfolger gefunden. Abendmahl keine bedeutende Rolle. Andere sind ihre Wege gegangen. Der Dies mag der reformierten Ausrichtung Protestantismus erlaubt solche Vielfalt, dieser Konzepte geschuldet sein. wenn auch innerhalb klar gezogener Die Eucharistie (das Abendmahl) ist aber Grenzen. im Leben der christlichen Gemeinde der zentrale Ort der Anbetung und Ver-

20 evangelikale missiologie 31[2015]1 herrlichung Gottes. In der Doxologie der siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Messliturgie kommt dies an heraus- Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & ragender Stelle zum Ausdruck. Ruprecht, 439–539. Ein weiterführender Gedanke könnte Calvin, Johannes. 2008. Unterricht in der sein: Wie ließe sich eine vom Abend- christlichen Religion – Institutio Christia- mahl herkommende Missionstheologie nae Religionis. Hg. Matthias Freudenberg. begründen? Die Gemeinde schöpft die 3. Aufl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Kraft zur Mission aus der Anbetung der Theologie. Größe Gottes und der Herrlichkeit Carey, Enquiry. 1983. Winter, Ralph D., Christi in der Doxologie der Abend- Steven C. Hawthorne (Hg.). Perspectives on mahlsliturgie und aus dem Feiern des the World Christian Movement: A Reader. 3. Abendmahls; die so angestoßene Mis- Aufl. Pasadena: William Carey Library, 227– sion wiederum hat zum Ziel, dass 236. Menschen, die das bisher nicht konnten, Carey, William. 1993. Eine Untersuchung weil sie Christus nicht kannten, in die über die Verpflichtung der Christen, Mittel Doxologie am Tisch des Herrn mit einzusetzen für die Bekehrung der Heiden, einstimmen können. übersetzt und hg. von Klaus Fiedler und Thomas Schirrmacher, edition afem mission Bibliographie classics Bd. 1. 2. Aufl. 1998. Covell, Ralph R. 1998. Taylor, James Angenendt, Arnold. 1990. Das Frühmittel- Hudson. Bibliographical Dictionary of alter: Die abendländische Christenheit von Christian Missions. New York: Simon & 400 bis 900. Stuttgart: Kohlhammer. Schuster MacMillan. Bacon, Daniel W. 1984. From Faith to Faith: Delgado, Mariano. 2003. Missionstheolo- The Influence of Hudson Taylor on the gische und anthropologische Gemeinsam- Faith Missions Movement. Singapur: OMF. keiten und Unterschiede zwischen Katho- Beck, Hartmut. 1981. Brüder in vielen liken und Protestanten im Entdeckungs- Völkern: 250 Jahre Mission der Brüder- zeitalter. ZMR 2003, 93–111. gemeine. Erlangen: Douglas, J. D. 2000. Taylor, (James) Hudson. Benrath, Gustav Adolf. 2011. Mitteilung an Evangelical Dictionary of World Mission. den Vf. 16. 12. 2011. Grand Rapids: Baker, 931. Bergunder, Michael. 2003. Warneck, Gustav Eggensperger, Thomas, Ulrich Engel. 1991. (1834-1910). TRE 35, 439–441. Bartolomé de las Casas: Dominikaner, Bi- Beyreuther, Erich. 1978. Geschichte des schof, Verteidiger der Indios. Topos Pietismus, Stuttgart: Steinkopf. Taschenbücher. Mainz: Matthias-Gründe- Beyreuther, Erich. 1969. August Hermann wald-Verlag. Francke 1663–1727: Zeuge des lebendigen Fernández, Isacio Pérez. 1992. Die „Goldene Gottes, Marburg 1969, 3. Aufl. Marburg: Zeit“ der ersten Missionierung: Zum Werk Verlag der Francke-Buchhandlung. des Bartolomé de Las Casas. In: Michael Bockmühl, Klaus. 2000. Was heißt heute Sievernich u. a. (Hg.). Conquista und Evan- Mission? Entscheidungsfragen der neueren gelisation: 500 Jahre Orden in Latein- Missionstheologie, Bockmühl-Werk-Ausga- amerika. Mainz: Matthias-Grünewald-Ver- be I.3. Hg. Helmuth Egelkraut. Gießen: lag, 88–118. Brunnen. Fiedler, Klaus. 1992. Ganz auf Vertrauen: Brandi, Karl. 1979. Kaiser Karl V.: Werden Geschichte und Kirchenverständnis der und Schicksal einer Persönlichkeit und Glaubensmissionen. Gießen: Brunnen. eines Weltreiches. Gütersloh: Bertelsmann. Francke, August Hermann. 1962. August Brecht, Martin. 1993. August Hermann Hermann Franckes Schrift über eine Francke und der Hallische Pietismus. Reform des Erziehungs- und Bildungs- Martin Brecht (Hg.). Der Pietismus vom evangelikale missiologie 31[2015]1 21 wesens als Ausgangspunkt einer geistlichen Meyer, Dietrich. 1995. Zinzendorf und und sozialen Neuordnung der Evan- Herrnhut 9. Exil, Pilgergemeinde und die gelischen Kirche des 18. Jahrhunderts „Der Anfänge der Mission, in: Martin Brecht und Große Aufsatz.“ Hg. Otto Podczeck. Berlin: Klaus Deppermann [Hg.], Der Pietismus im Akademie-Verlag. achtzehnten Jahrhundert, Geschichte des Francke, August Hermann. 1994. Segensvolle Pietismus Band 2 [Göttingen: Vandenhoeck Fußstapfen. Bearb. U. Hg. Michael Welte. & Ruprecht,], 34-40. Gießen: Brunnen Marboe, René Alexander. 2006. Von Burgos Franzen, August, Remigius Bäumer. 1974. nach Cuzco: Das Werden Spaniens 530- Papstgeschichte. Freiburg: Herder. 1530. Essen: Magnus Verlag. Gensichen, Hans-Werner. 1969. Missions- Marquardt, Horst, Ulrich Parzany. 1990. geschichte der neueren Zeit. Göttingen: Evangelisation mit Leidenschaft: Berichte Vandenhoeck & Ruprecht. und Impulse vom II. Lausanner Kongreß für Glazik, Josef. 1967. Der Missionsfrühling zu Weltevangelisation. Neukirchen-Vluyn: Beginn der Neuzeit, in: Handbuch der Aussaat. Kirchengeschichte Band IV. Hg. v. Hubert Mulholland, Kenneth B., From Luther to Jedin, Reformation, Katholische Reform und Carey: Pietism and the Modern Missionary Gegenreformation, von Erwin Iserloh, Josef Movement. Bibliotheca Sacra 156 (January- Glazik, Hubert Jedin, Freiburg: Herder, 605– March 1999): 85-95. 649. Neill, Stephen. 1990. Geschichte der christ- Goez, Werner. 1983. Franciscus von Assisi. lichen Mission. Hg. u. ergänzt v. Niels-Peter TRE 11, 299–307. Moritzen, Erlangen 1974, 2. Aufl. 1990. Günther, Wolfgang. 1970. Von Edinburgh Palomo, José Jesús Hernández. 2000. La nach Mexico City: Die ekklesiologischen Misión a Indias: peregrinación sin retorno. Bemühungen der Weltmissionskonferenzen Johannes Meier (Hg.). »Abführung …usque (1910–1963), Stuttgart: Evangelischer Mis- ad ultimum terrae« Die Jesuiten und die sionsverlag. transkontinentale Ausbreitung des Christen- Heussi, Karl. 1976. Kompendium der Kirchen- tums. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, geschichte. 14. Aufl. Tübingen: J. C. B. Mohr 39–52. 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Heilsge- Konetzke, Richard. 1968. Süd- und Mittel- schichte und Mission: zum Verständnis der amerika I, Fischer Weltgeschichte 22. Mün- Heilsgeschichte in der Missionstheologie, chen: Fischer. Gießen/Basel 1985. Lehmann, Arno. 1956. Es begann in Settgast, Ann-Charlott. 1981. Bartholomäus Tranquebar. 2. Aufl. Berlin: Evangelische Ziegenbalg: Ein Porträt des Bartholomäus Verlagsanstalt. Ziegenbalg, gestaltet nach alten Urkunden

22 evangelikale missiologie 31[2015]1 und Briefen. Berlin: Evangelische Verlags- Priscilla. Kingsway Publication. Deutsch: anstalt. Eileen Vincent. 1998. Charles T. und Sträter, Udo. 2000. Francke 1. August Priscilla Studd – Vereint im Kampf für Hermann, RGG 3, 4. Aufl., 209–212. Jesus. Dillenburg: CLV. Taylor, Howard, Geraldine Taylor. 1984. Wellenreuther, Hermann. 2003. G. Pietismus Hudson Taylor: Ein Mann, der Gott vertrau- und Mission. Vom 17. bis zum Beginn des te. 5. Aufl. Gießen: Brunnen. 30. Jahrhunderts. Hartmut Lehmann (Hg.). Taylor, J. Hudson. 1983. China's Spiritual Glaubenswelt und Lebenswelten. Geschich- Need and Claims. Auszüge in: Winter/ te des Pietismus IV. Göttingen: Vanden- Hawthorne, Perspectives on the World hoeck & Ruprecht, 168–194. Christian Movement: A Reader, Pasadena: Winkler, D. 1975. Ziegenbalg, Bartholomäus. William Carey Library. 3. Aufl., 244-249. Lexikon zur Weltmission, 615–616. Torjesen, Edvard P. 1983. Fredrik Franson: Winter, Ralph D., Steven C. Hawthorne (Hg.). Model for Worldwide Evangelism. Pasa- 1983. Perspectives on the World Christian dena: William Carey Library. Neuauflage Movement: A Reader. 3. Aufl. Pasadena: 2012. William Carey Library. Triebel, Johannes. 2000. „To hasten the Wrogemann, Henning. 2012. Den Glanz return of the king“ – Die eschatologische widerspiegeln: Vom Sinn der christlichen Triebkraft der Mission. In: Klaus W. Mission, ihren Kraftquellen und Ausdrucks- Müller, Thomas Schirrmacher (Hg.): Mis- gestalten: Interkulturelle Impulse für deutsche sion in der Spannung zwischen Hoffnung, Kontexte. Beiträge zur Missionswissenschaft Resignation und Endzeitenthusiasmus. und Interkulturellen Theologie. Hg. Dieter Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, Becker und Henning Wrogemann Bd. 28. 2. 58–67. Aufl. Berlin: LIT Verlag. Vercruysse, Jos E. 1987. Jesuiten. TRE 16, Zimmerling, Peter. 1975. Pioniere der 660-670. Mission im älteren Pietismus. Gießen: Vincent, Eileen. 1988. C. T. Studd and Brunnen. ------

Neuerscheinung in der Edition afem: Berichtsband von der AfeM-Tagung 2014 in Zusammenarbeit mit Mission-Net: Robert Badenberg: Foreword + Johannes Reimer: Which Views of Mission Help Us in Our Contemporary Situation? + Vladimir Ubeivolc: Why Do We Struggle with Our Traditional Mission Concepts? + M. Robinson and G. Stängle: Missional – The New Paradigm in Our Heterogeneous Contexts + Frère Richard: The Missional Life of the Taizé Community – Experiences and Theological Reflections + Michael Dreher: Being Missional in the World of Business + Dieter Trefz: Overview of Church Planting in Europe + Connie Duarte: Missional Chaos … What are We Hoping to Produce? + Vladimir Ubeivolc: Just Missional – The Church and Social Justice: Human Trafficking + Vitali Petrenko: Reflections on Church Planting in Latvia + Thomas Schirrmacher: A New Horizon of World Christianity 120 Seiten, € 14,80 (D) – Bestellung direkt beim Verlag: [email protected]

evangelikale missiologie 31[2015]1 23 Fredrik Franson (1852–1908): Freund, Förderer und Partner der China-Inland-Mission Hans Ulrich Reifler

Der schwedisch-amerikanische Doppelbürger Fredrik Franson (1852–1908) gehört zu den grössten Förderern der Glaubensmissionen am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Kein anderer Zeitgenosse hat in Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada so viele Missionare und Missionarinnen für China rekrutiert. Franson gründete vierzehn Missionswerke und vier Gemeindeverbände, darunter die Allianz-Missionen in Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, den USA, Deutschland und in der Schweiz.

Hans Ulrich Reifler, geboren 1949 in Obwohl Franson weltweit den Anstoss Basel, studierte nach seiner Ausbildung zur Gründung von insgesamt vierzehn zum diplomierten Kaufmann am Theolo- Missionswerken und vier Gemeinde- gischen Seminar St. Chrischona bei verbänden gab, ist er im deutschspra- Basel sowie am Regent College, Van- chigen Raum kaum bekannt. Folgende couver (Magister der Theologie). Von Missionswerke gehen nachweislich auf 1976–1991 war er Missionar der Franson zurück: Norske Misjonsfor- Schweizer Allianz Mission in Brasilien, bundet 1884; Svenska Missionsförbundet danach bis 2014 Dozent für Missions- 1885; Helgelseförbundet 1887; Svensk wissenschaften am Theologischen Semi- Kinamissionen 1887; Danske Missions- nar St. Chrischona. Seit 2014 ist er forbundet 1888; Mission Covenant in Doktorand an der ETF in Leuven. Finnland 1888 (heute Suomen Vapaa- kirkko); Frie Østafrikanske Mission Kein anderer Zeitgenosse hat in Europa 1889 (ging 1899 an Norske Misjons- so viele Missionare und Missionarinnen forbundet); Deutsche China-Allianz- für China rekrutiert wie Fredrik Franson. Mission 1889 (heute Allianz-Mission) Daraus entstand 1889 in Wuppertal- und Schweizer Allianz Mission 1889; Barmen die Deutsche China-Allianz- Scandinavian Alliance Mission of North Mission (DCAM) im Verband der China- America 1890 (heute The Evangelical Inland-Mission, die zweitälteste Glau- Alliance Mission); Finnische Allianz- bensmission im deutschsprachigen Raum Mission 1895 (heute Suomen Vapaa- (heute Allianz Mission in Deutschland 1 kirkko); Svenska Mongolmissionen 1897 und die Schweizer Allianz Mission). (ab 1951 Svenska Mongol- och Japan- missionen und 1982 Beitritt zur Evan- 1 China-Bote, Wuppertal: Allianz-China-Mission geliska Östasienmissionen); Women’s 1939, Heft 2, S. 18–23; Fritz Gasser, „Die An- Missionary Association of Finland 1900 fänge der Allianz-China-Mission in der Schweiz“, und Norske Misjonsallianse 1901. Neben in: Kurt Zimmermann, Fünfzig Jahre Allianz- diesen Missionswerken gründete Franson China-Mission in Mittel-China, Witten/Ruhr: auch vier Gemeindeverbände: Evan- Bundes 1939, S. 46ff.; Paul Schär, „Eine Mission entsteht. Der Funke springt auf die Schweiz über“, gelical Free Church of USA 1884; The in: 100 Jahre Schweizer Allianz-Mission, Winter- Evangelical Free Church of Finland thur: Schweizer Allianz Mission 1989, S. 12; 1898; Vandsburger Zweig des Deutschen Edvard P. Torjesen A study of Fredrik Franson: the Gemeinschaftsdiakonieverbandes Ost- development and impact of his ecclesiology, preussen 1899 (aus dem später der Deut- missiology and worldwide evangelism, Ann Arbor/MI: University Microfilms International 1985 (PhD International College, Los Angeles/CA 1984), S. 473–474.

24 evangelikale missiologie 31[2015]1 sche Gemeinschafts- und Diakonie- von Fredrik Franson verkauften Hab und verband und die Marburgermission ent- Gut, um ihre angehäuften Schulden zu standen) und die Armenien Spiritual begleichen, so dass gerade noch aus- Brotherhood 1906. 2 Mit Ausnahme der reichend Geld für die Ausreise nach Frie Østafrikanske Mission und der Nordamerika übrigblieb. 4 In der Zeit Armenien Spiritual Brotherhood sende- zwischen 1860 und 1900 wanderten 1,2 ten alle übrigen Missions- und Gemein- Millionen Schweden in die USA aus, dewerke Missionare und Missionarinnen unter ihnen viele Christen.5 Die schwe- nach China und in die Mongolei. dischen Migranten waren in den USA massgeblich beteiligt an der Erweckung Fransons Vorbereitungen für unter Skandinaviern, was zur Gründung den weltweiten Missionsdienst zahlreicher neuer Kirchen und Mis- (1852–1881) sionsgesellschaften führte.6 Familie Franson emigrierte Franson kam am 17. Juni 1852 auf dem Infolge der kleinen Bauernhof Noraskog im schwe- 1869 in die USA. Sie schloss sich dem luthe- großen wirt- dischen Pershyttan als achtes von neun rischen Migrationspfarrer schaftlichen Kindern auf die Welt. Fredrik erlebte in Olof Olsson (1841–1900) Depression seiner Kindheit den Tod von drei seiner in Schweden älteren Geschwister. Tiefschläge waren aus Värmland an und fuhr mit dem Schiff nach emigirierte die der frühe Tod seines Vaters 1857, als Lindsborg, Kansas. Fran- Familie in die Fredrik gerade einmal fünf Jahre alt war, USA. und der Tod eines weiteren älteren sons zogen weiter nach Bruders.3 1859 heiratete die Witwe und Saunders County, Nebraska, wo sie ein einfaches Haus erwerben Mutter von fünf kleinen Kindern im konnten. Alle berufsfähigen Mitglieder Alter von drei bis zwölf Jahren den 29jährigen Per Olsson. Franson besuchte der Familie mussten einer auswärtigen die Primarschule in Pershyttan, später Arbeit nachgehen, um definitiv Fuss fassen zu können. Das neue Heim erhielt die Privatschule in Ringshyttan, die von den Namen Roland Nelson Farm und lag seinem Onkel geleitet wurde, gefolgt von der Sekundarschule in Nora und dem etwa viereinhalb Kilometer nördlich von Gymnasium in Örebro. Auffallendste Mead, Nebraska. Die in wirtschaftlicher Hinsicht ausserordentlich schwierige Merkmale während seiner schulischen Zeit ging nicht spurlos an Fredrik Ausbildung waren Fredrik Fransons sprachliche Begabung in Latein, Grie- Franson vorüber. Im ersten Jahr seines chisch und Deutsch sowie sein grosses Pionierlebens in Nebraska erkrankte er an einer gefährlichen Erkältung mit Interesse an der Mathematik und Theo- hohem Fieber, was schliesslich zu einer logie. Infolge der grossen wirtschaft- lichen Depression, die auch Schweden tiefen Depression führte. heimsuchte, wurde 1868 die Eisenerz- mine in Nora geschlossen. Die Eltern 4 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Franson, S. 41. 2 Edvard P. Torjesen A Study of Fredrik Franson, 5 The Swedish-American Historical Quarterly, S. viii.; Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen. Chicago: North Park University 1950ff. Geschichte und Kirchenverständnis der Glaubens- 6 David M. Gustavson, D. L. Moody and the missionen, Giessen/Basel: Brunnen 1992, S. 85– Swedes: Shaping Evangelical Identity among 86. Swedish Mission Friends 1867–1899, Linköping: 3 Karl Linge, Fredrik Franson: En man sänd av Faculty of Arts and Science 2008 und „The Legacy Gud, Jönköping: Svenska Alliansmissionen 1951, of Fredrik Franson“, in: IBMR 1991, Vol. 15, Nr. 3, S. 13–17. S. 125–128. evangelikale missiologie 31[2015]1 25 Die grosse Wende im Leben Fredrik Anleitung wurde er systematisch einge- Fransons kam mit dem Anschluss seiner führt in eine für damalige Verhältnisse ganzen Familie an die Erste Schwedische zeitgemässe Methodik der Grossstadt- Baptistengemeinde von Estina in Saun- evangelisation, durch die ders County. Dort fand Fredrik Franson heilssuchende Menschen in Die Mitarbeit 1872 durch die Beschäftigung mit Römer einer persönlichen Entschei- in Moodys 10,6–8 den Weg zum persönlichen Chris- dung für Christus neues Großstadt- tusglauben, einen tiefen inneren Frieden Leben fanden. Die aktive kampagnen mit Gott und damit auch eine neue, Teilnahme an der viermona- erfüllende Lebensperspektive. Ab diesem tigen Grossevangelisation eröffnete ihm Zeitpunkt beschäftige sich Franson täg- von Moody in Chicago von ganz neue lich intensiv mit dem Wort Gottes und Oktober 1876 bis Januar Möglichkeiten mit Gegenwartsfragen des christlichen 1877 führte Franson ins Herz für den Glaubens. Zwei Jahre später wurde er im der nordamerikanischen Er- vollzeitlichen Alter von 22 Jahren getauft und als Mit- weckung. 10 Franson wurde Dienst. glied der Gemeinde aufgenommen. 7 später bekannt als „Moody’s Kurze Zeit später fand in Estina eine Swedish disciple“.11 Erweckung statt, durch die Franson Die erste selbständige evangelistische ermutigt wurde, Christus öffentlich zu Kampagne führte Franson bereits mit bekennen. Nach einigem Zögern stellte vierundzwanzig Jahren in Swede Bend, er sein Leben bewusst in den voll- Iowa, durch. Weitere Evangelisationen zeitlichen Dienst der Verkündigung und folgten in Minnesota und Nebraska. Am wurde aktiver Laienprediger. Bereits 4. August 1878 wurde Franson Mitglied 1875 wurde er zum Sekretär der Skan- der Chicago Avenue Church von Dwight dinavisch-Baptistischen Konferenz von L. Moody 12 und erhielt von ihr die Nebraska, Western Iowa und Dakota 8 offizielle Beglaubigung als unabhängiger berufen. überkonfessioneller Evangelist. Franson Im Herbst 1876 lernte Fredrik Franson in war der erste Missionar, den die Chicago Chicago Dwight Lyman Moody (1837– Avenue Church aussandte. 13 Franson 1899) kennen, einen der grössten Evan- blieb den Rest seines Lebens Mitglied gelisten des 19. Jahrhunderts, Gründer der Moody Kirche. Damit waren die der Chicago Avenue Church (heute soliden Grundlagen für die künftige Moody Memorial Church), des Moody Institutes und Vertreter der nord- 9 10 David M. Gustafson, „Kindred Spirit“, S. 207. amerikanischen Heiligungsbewegung. Franz Eugen Schlachter, Dwight Lyman Moody. Moodys erweckliche Verkündigung des Ein Lebensbild nach englischen Quellen ge- Evangeliums in England und in den USA zeichnet, Biel: Schneider 1894; vgl. auch die klassische Biographie von William R. Moody, D. führte Tausende zum Glauben an L. Moody, New York: Garland 1900/1930/1988. Christus. Fransons Mitarbeit in Moodys 11 Ernst H. Thörnberg, Folkrörelser och Grossstadtkampagnen 1875–1876 eröff- samhällsliv i Sverige, Stockholm: Bonniers 1954, nete ihm ganz neue Möglichkeiten des S. 153. vollzeitlichen Dienstes. Unter Moodys 12 Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen, S. 85. 13 Robert G. Flood, The Story of Moody Church, 7 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Franson, Chicago: Moody 1985, S. 11; David M. Gustafson, S. 43. D. L. Moody and Swedes: Shaping Evangelical Identity among Swedish Mission Friends 1867– 8 Ebenda, S. 44. 1899, (PhD Dissertation, Linköping: University 9 Josephine Princell, Missionär Fransons lif och 2008), S. 130. verksamhet, Chicago: Chicago Bladet 1909/16.

26 evangelikale missiologie 31[2015]1 dreissigjährige Wirkungszeit von Fredrik 1910).18 Durch die Teilnahme Fransons Franson gelegt. an den berühmten „May-Meetings“ in Neuland für Franson war die Arbeit mit der Exeter-Hall in London lernte er viele John F. Fredrickson in den schwedischen britische Glaubensmissionen, darunter Siedlungen Mt. Pleasant und Ephraim im auch die Arbeit der China-Inland-Mis- Bundesstaat Utah, wo es infolge einer sion (CIM), und andere christliche Wer- Erweckung unter Mormonen am 11. Ja- ke kennen und gewann dadurch einen neuen Blick für die Herausforderung der nuar 1880 zur Gründung von zwei pres- 19 byterianischen Gemeinden kam. 14 In weltweiten Missionsarbeit. Am 11. Mai Denver, Colorado, entstand nach einer 1882 wurde Franson Mitglied der Briti- schen Sektion der Weltweiten Evange- Evangelisation am 27. Juli 1880 die Bel- 20 caro Evangelical Free Church. 15 Nach lischen Allianz. Damit begannen Fran- seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat sons transnationale Vernetzung mit der Nebraska konnte Franson in der Umge- internationalen Sonntagschulbewegung, der Heiligungsbewegung21 von Keswick, bung von Phelps vier neue Gemeinden 22 gründen. In Minnesota entstanden der Missionsarbeit in Übersee sowie schwedische Baptistengemeinden und er- seine Beziehungen zum Allianzhaus in 16 Bad Blankenburg23 , zur deutschen Ge- weckliche lutherische Kirchen. Diese 24 dynamischen Gemeindegründungen als meinschaftsbewegung und der Neukir- Frucht evangelistischer Grossveranstal- tungen jenseits denominationeller Gren- 18 John C. Pollock, Keswick Story, London: zen waren entscheidend für den inter- Hodder and Stoughton 1964. nationalen Dienst, auf den Franson 19 Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen, S. 87. schrittweise vorbereitet wurde. 20 „Proceeding of Council“, in: Evangelical Christendom, June 1, 1882. Fransons transnationale 21 Gustav Warneck, „Die Bedeutung der sog. Vernetzung und Reisen ‚Heiligungsbewegung‘ für die Mission, AMZ 2 (1875), 422–426; 474–478; Stephan Holthaus, Heil (1881–1908) – Heilung – Heiligung. Die Geschichte der deut- Am 3. Mai 1882 erreichte Fredrik Fran- schen Heiligungs-und Evangelisationsbewegung (1874–1909), Giessen/Basel: Brunnen 2005. son England, wo er als Hauptredner die 22 Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen, S. 85; Jahresversammlung der nationalen Sonn- Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Franson, S. tagschulvereinigung in London eröffne- 226–227. 17 te. Er war Gast im Haus Bethshan von 23 Erich Beyreuther: Der Weg der Evangelischen Elizabeth Baxter, Vertreterin der Hei- Allianz in Deutschland, Wuppertal: Brockhaus ligungsbewegung von Keswick (1834– 1969; Joachim Cochlovius, Evangelische Allianz, in: TRE, Bd. 10, Berlin/New York: de Gruyter 1982, S. 650–656; Karl Heinz Voigt: Die Evan- 14 George K. Davies, „A History of the gelische Allianz als ökumenische Bewegung: Presbyterian Church in Utah“, in: Journal of the Freikirchliche Erfahrungen im 19. Jahrhundert, Presbyterian Historical Society, Bd. 24, Nr. 3, Stuttgart: CVH 1990. September 1946, S. 150. 24 Joachim Cochlovius, „Gemeinschaftbewegung“, 15 David Hale, Transatlantic Conservative in: TRE, Bd. 12, Berlin/New York: de Gruyter Protestantism in the Evangelical Free and Mission 1984, S. 355–368; Charles H. Lippy, „Gemein- Covenant Tradition, Series Scandinavians in schaftsbewegung“, in: RGG, 4. Aufl. Bd. 3, America, Chicaco: CovBooks 1979. Tübingen: Mohr Siebeck 2000, Sp. 645–652; Jörg 16 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Ohlemacher, Das Reich Gottes in Deutschland Franson, S. 75–79. bauen: ein Beitrag zur Vorgeschichte und Theo- 17 Seventyninth Annual Report of the Sunday logie der deutschen Gemeinschaftsbewegung, Göt- School Union 1882, London: NSU 1882, S. XIV. tingen: V&R 1986; Jörg Ohlemacher, „Gemein- schaftschristentum in Deutschland im 19. und 20. evangelikale missiologie 31[2015]1 27 chener Mission25, zur Pilgermission St. Die weltweite evangelistische Tätigkeit Chrischona, (seit 1. Januar 2015 Chri- führte Franson innerhalb von 27 Jahren schona International) 26 , zur China-In- (1881–1908) auf alle Kontinente. 33 In land-Mission (seit 1951 Overseas Missi- fast fünfzig Ländern predigte er zu den onary Fellowship und seit 1991 OMF In- Volksmassen, ermutigte in evangelis- ternational; im deutschsprachigen Raum tischen Nachversammlungen seine Zu- bekannt als Überseeische Missions-Ge- hörer zu einer Entscheidung für Christus, meinschaft)27, zur Christian and Missi- führte Evangelisationskurse durch, um onary Alliance28, zum Student Volunteer die Neubekehrten im Glauben zu festi- Movement For Foreign Missions 29 , zu gen und für die Mission zu motivieren, den Freien Evangelischen Gemeinden in und gründete vierzehn Missionswerke Deutschland30 und in der deutschen und und vier Gemeindeverbände. 34 Franson französischen Schweiz 31 und zur Welt- verstarb 1908 unmittelbar nach der weiten Evangelischen Allianz32. Rückkehr von seiner bislang ausgedehn- testen Reise an den Folgen einer Zahnin- fektion im Alter von 56 Jahren.35 Durch Jahrhundert“, in: Geschichte des Pietismus, Bd. 3, Göttingen: V&R 2000, S. 393–464. 25 Bernd Brandl, Die Neukirchener Mission: ihre Franson, S. 390–392; 492–493. Geschichte als erste deutsche Glaubensmission, 32 John W. Ewing, Goodly Fellowship: A Köln/Neukirchen: Rheinland 1998; ders., Ludwig Centenary Tribute to the Life and Work of the Doll: Gründer der Neukirchener Mission als erste World Evangelical Alliance 1846–1946, London: deutsche Glaubensmission, Bonn/Nürnberg: Marshall, Morgan and Scott, 1946; Harold F. VKW/VTR 2007. Fuller, People of the Mandate: The Story of the 26 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik World Evangelical Fellowship, Grand Rapids: Franson, S. 390–393; 417–418; Namenswechsel Baker 1996; Hans Hauzenberger, Einheit auf telefonisch bestätig von Walter Stauffacher, evangelischer Grundlage. Vom Werden und Wesen Geschäfsführer von Chrischona International, am der Evangelischen Allianz, Giessen/Basel: Brunnen 9. Januar 2015. 1986; Donald M. Lewis (Hg.), Christianity Reborn: The Global Expansion of Evangelicalism in the 27 Tony Waghorn, CIM/OMF Timeline, in: E-Mail von Markus Dubach, Missionsleiter der ÜMG Twentieth Century, Grand Rapids: Eerdmans 2004; Sheridan Gilley and Brian Stanley (eds.), Schweiz, vom 9. Januar 2015. Cambridge History of Christianity: Vol. 8, World 28 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Christianities, c. 1815 – c. 1914, Cambridge: Uni- Franson, S. 553–588. versity 2006; Gerhard Lindemann, Die Geschichte 29 Günther S. Wegener, – Weltbürger der Evangelischen Allianz im Zeitalter des Libe- und Christ. Ein Mann bereitet den Weg der ralismus (1846–1879). Theologie: Forschung und Ökumene, Wuppertal: Aussaat 1965; Linda Eliane Wissenschaft, Bd. 24, Münster: Lit 2011; Doug Goodwin, John Raleigh Mott as a chairman of Coleman, A theological analysis of the insider assemblies (MA Thesis: Abilene Christian College movement paradigm from four perspectives: 1969); Timothy C. Wallstrom., The Creation of A theology of religions, revelation, soteriology and Student Movement to Evangelize the World, ecclesiology, Pasadena, CA: Carey 2012. Pasadena: Carey 1980; Timothy L. Hall, American 33 Fransons Reisen lassen sich wie folgt perio- Religious Leaders, New York: Infobase 2003; Kim disieren: 1875–1881 USA; 1881–1889 Europa, Caroline Sanecki, Protestant Christian Missions, Naher Osten, Europa; 1890–1892 USA; 1892–1895 Race and Empire: The World Missionary Con- Europa, Naher Osten, Indien, China; 1895–1897 ference 1910, Edinburgh, Scotland, (History USA; 1897–1901 Europa und Nordafrika; 1902– Thesis, George State University 2006). 1908 Weltreise nach Ostasien, Naher Osten, 30 Elmar Spohn, Die Allianz-Mission und der Afrika, Südamerika, Karibik, Mittelamerika. Bund Freier Evangelischer Gemeinden. Die 34 Fredrik Franson, F. Fransons Reise um die Welt Geschichte ihrer Beziehung und deren theologische 1892–1895, Wuppertal-Barmen: Deutsche China- Begründung, (Geschichte und Theologie der Freien Allianz-Mission 1896. Evangelischen Gemeinden, Band 6.1), Witten: 35 Edvard P. Torjesen, Fredrik Franson. A Model Bundes 2011. for Worldwide Evangelism, Pasadena: Carey 1983, 31 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik

28 evangelikale missiologie 31[2015]1 ... Taylors berühmter seinen weltweiten Reisedienst fanden Ab März 1889 veröffentlichte Aufruf mit der Zehntausende den Weg zum lebendigen die Neukirchener Mission in Bitte um Glauben und Hunderte wurden durch ihn ihrem Missions- und 1000 weitere rekrutiert für den Missionsdienst in Heidenboten sukzessive die Missionare für Ostasien, Afrika und Lateinamerika.36 Übersetzung des China. Missionsklassikers China; its Fransons Partnerschaft mit spiritual need and claims; with Hudson Taylor und der China- brief notices of missionary effort, past Inland-Mission and present von James Hudson Taylor.40 Die Heimatzentrale der CIM in London Fransons Erstkontakt zur Missionsarbeit veröffentlichte im Dezember 1889 den der China-Inland-Mission (CIM) ist auf berühmten Aufruf Hudson Taylors To seinen Besuch der „May-Meetings“ von Every Creature in China’s Millions vom Anfang Mai 1882 in London und seine 6. Oktober 1889 mit der Bitte um 1000 Aufnahme in die Britische Sektion der weitere Missionare für China. Franson Evangelischen Allianz zu datieren. Alle hat diesen Aufruf während seines Auf- vierzehn Missions- und Gemeindewerke, enthalts in Wuppertal-Barmen gelesen. die auf Fransons Initiative zurückgehen, Anschliessend ist die DCAM im Verband entstanden nach 1882. Nach Fransons mit der CIM gegründet worden. 41 Die Evangelisationskurs in Oslo von 1884 DCAM (heute Allianz-Mission Deutsch- reisten zwei Teilnehmer als CIM-Mis- land und Schweizer Allianz Mission) sionare nach China, ein dritter in den 37 brachte ihre Missionsnachrichten von Kongo. Der aus Wuppertal stammende Februar 1890 bis Juli 1892 im „Gemein- Kaufmann Carl Polnick, Freund von schaftsblatt zur Beförderung des auf Fredrik Franson, besuchte 1886 die erste Gottes Wort gegründeten Christentums“ Allianzkonferenz in Bad Blankenburg, heraus. 42 Franson selbst reiste mit den wo er Informationen über die Arbeit der 38 ersten sechs Bewerbern nach London, CIM erhielt. um Detailfragen der Zusammenarbeit, Nach dem dreiwöchigen Evangelisa- Ausreise, Finanzierung, Anstellung und tionskurs Fransons in der Musikhalle von Ziele mit der CIM zu regeln. Die ersten Helsinki vom November 1888 reiste Agnes Meyer als erste finnische Missio- for Worldwide Evangelism, S. 64. narin nach China, wo sie mit der CIM 40 Der Missions- und Heidenbote, Neukirchen: 39 arbeitete. Waisen- und Missionsanstalt Neukirchen 1889/1 ff.; vgl. Erstausgabe: James Hudson Taylor, China; its spiritual need and claims; with brief notices of S. 89. missionary effort, past and present, London: Nisbet 36 Edvard P. Torjesen, „Fredrik Franson – der 1865 und 1890, 8. erweiterte Auflage. Mann mit dem Gehorsam aus Glauben“, in: SAM- 41 Marshall Broomhall, The Jubilee Story of the Bote, Winterthur: Schweizer Allianz Mission China Inland Mission, London: Morgan and Scott 1989/3. S. 27. 1915, S. 194. 37 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik 42 Comitee der Deutschen China-Allianz-Mission Franson, S. 474. (Hg), Deutsche China-Allianz-Mission – ihre 38 Andreas Franz, Mission ohne Grenzen, S. 87. Entstehung und wunderbare Führungen des Herrn, 39 Edvard P. Torjesen, Fredrik Franson. A Model Emden: Gerhard 1892.

evangelikale missiologie 31[2015]1 29 Missionare der DCAM wurden am 5. 1891 Richtung China.47 Franson führte in Oktober 1890 in Barmen verabschiedet, den USA sechs weitere Evangelisations- bestiegen am 27. Oktober in Genua das kurse durch und rekrutierte bis April Schiff und erreichten am 3. Dezember 1892 insgesamt 95 Missionare für die 1890 China.43 Zwischen 1890 und 1952 CIM und weitere Missionswerke in entsandte die DCAM 102 Missionare Japan, Indien und Südafrika.48 44 nach China, davon 28 aus der Schweiz. Die wachsende Partnerschaft zwischen Nach seiner Rückkehr in die USA den von Franson gegründeten Allianz- begann Franson am 14. Oktober 1890 Missionen und der CIM zeigt sich auch seinen ersten nordamerikanischen Evan- in den Nachrichten der DCAM. Ab 15. gelisationskurs in der Pilgrim Church in August 1892 brachte die DCAM ihr Brooklyn, New York. Fünfzig Frauen Monatsblatt unter dem Namen China- und Männer nahmen an diesem Schu- Bote heraus. 49 In der Erstausgabe des lungskurs teil. Der Kurs gilt als Beginn China-Boten wendet sich Hudson Taylor, der Scandinavian Alliance Mission of Leiter der CIM, direkt an die deutschen North America, heute The Evangelical Leser. Darin bedauert er, dass er anläss- Alliance Mission (TEAM). 45 Die ersten lich der Gründung der DCAM nicht 35 Missionare von TEAM, rekrutiert von selbst in Deutschland anwesend sein Franson, erreichten China bereits am 17. konnte. Mit flammenden Worten be- Februar 1891. Drei Tage später rappor- schreibt er die grossen Chancen der tierte die junge Chinamissio- Evangeliumsverkündigung in China ... wachsende narin Geraldine Guinness durch christliche Schriften. Er appelliert Partnerschaft (1865–1949), die spätere an die Freunde der CIM mit den ab- zwischen der Schwiegertochter von J. schliessenden Worten: CIM und den Hudson Taylor, die segens- Wir nähern uns unserem jährlichen Fasttag, von Franson reiche Antwort auf das Gebet dem 26. März, und ich möchte Sie alle der 1000 neuen Missionare bitten, recht ernstlich auf Gott zu warten, gegründeten 46 Allianz- nach London. Eine weitere damit Er segnen möge beides, das Werk in Missionen. Gruppe von fünfzehn der Heimat und das Werk draussen; aber TEAM-Missionaren verliess lasst uns nicht warten, bis dieser Tag San Francisco am 5. Februar kommt. Seelen gehen jetzt verloren aus Mangel an dieser Kraft: ‚Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!‘ 43 Fredrik Franson, „Die China-Expedition“, in: Gemeinschaftsblatt zur Beförderung des auf Gottes Gott segnet jetzt solche, die Segen von Ihm erbitten: alle Dinge sind bereit, wenn nur Wort gegründeten Christentums, Emden: Gerhard 50 1890/2, S. 16–20. Eine hektografierte Nachschrift wir bereit sind. dieses Artikels liegt im Archiv der Allianz-Mission Vom 5. bis 12. April 1893 ging Taylors in Dietzhlölztal-Ewersbach. Wunsch in Erfüllung, und er konnte erst- 44 Rolf Gerhard Tiedemann, Reference Guide to mals die Heimatzentrale der DCAM in Christian Missionary Societies in China: From the Sixteenth to the Twentieth Century, San Francisco: Ricci Institute for Chinese-Western Cultural 47 Edvard P. Torjesen, „Fredrik Franson – der History 2008, S. 166. Mann mit dem Gehorsam aus Glauben“, in: SAM- 45 Klaus Fiedler, Ganz auf Vertrauen, S. 86–87 Bote Winterthur: Schweizer Allianz Mission und http://allianz-mission.de/ueber-uns/geschichte- 1989/5/S. 29. ii/ eingesehen am 10. Januar 2015. 48 Ebenda S. 29. 46 Geraldine Guinness, „Part of the Coming of the 49 China-Bote, Monatsschrift der Deutschen Chi- Thousand“, Bericht datiert Shanghai, 20. Februar na-Allianz-Mission, Wuppertal-Barmen: DCAM 1891, in: China’s Millions, London: China-Inland- 1892ff. Mission 1891, S. 63.64.81–82. 50 China-Bote 1892/1/S. 3

30 evangelikale missiologie 31[2015]1 Barmen besuchen.51 Als konkrete Folge Ghoom, von wo er seine fünfmonatige dieses Besuches erhielt die DCAM in Reise ins Himalayagebiet planen konnte. China ihr eigenes Arbeitsfeld. Taylor Vom Himalayagebiet aus errichtete er vertiefte seine Beziehungen zur deutsch- eine Missionsstation in Westtibet. Im sprachigen Welt und sprach im August Oktober 1894 erreichte Franson Kanton 1893 in Frankfurt an der vierten Kon- in Südchina, wo er die TEAM- ferenz der Deutschen Christlichen Stu- Missionare in Diensten der CIM dentenvereinigung.52 Am 4. August 1895 besuchte. Ein kurzer Abstecher nach eröffnete die DCAM an der Seifenstrasse Japan im November und Dezember 1894 in Barmen im Beisein von Walter B. ermöglichte ihm die Durchführung eines Sloan, Sekretär der CIM von London, ihr Evangelisationskurses in Tokio, was der neues Missionshaus. 53 Im September Weiterbildung der in Japan stationierten 1896 besuchte Taylor die Allianzkon- Missionare und Stärkung einheimischer ferenz in Bad Blankenburg und in Mitarbeiter diente.55 Barmen und von Februar bis April 1897 Von Januar bis Juli 1895 bereiste er Deutschland, Österreich und diente Franson wieder in ... mehrere die Schweiz und hielt in vielen grösseren China. In dieser Zeit führte Städten Missionsveranstaltungen.54 Missionars- er zusammen mit seinem und Schulungs- Fransons erste Chinareise und Freund und Partner J. Hud- son Taylor mehrere Missio- konferenzen Kontakte zu J. Hudson Taylor nars- und Schulungskon- zusammen mit (1894–1895) ferenzen durch. Dabei be- J. Hudson Taylor. Fransons erste Reise nach Asien begann suchte er auch das Mis- sionsfeld der DCAM-Mis- am 5. Januar 1894 in Malmö, Schweden. sionare in der Provinz Chekiang 56 und Die Absicht der Reise war der Besuch und die Stärkung der durch hielt eine Missionskonferenz in Wihu am ihn ausgesandten 149 Yangtze Fluss. Auf der Rückreise ... Besuch und besuchte Franson Shanghai, wo er durch Missionare in Indien, Japan Stärkung der Vorträge und Schulungen norwegisch- und China. Auf seiner Reise durch ihn lutherische und norwegisch-amerika- ausgesandten durchquerte er Deutschland, die Schweiz, Italien, die nische Missionare ermutigte. Franson 149 Missionare. schiffte über Japan zurück in die USA, Balkanländer, Griechenland, die er am 4. September 1895 erreichte.57 die Türkei und Palästina. In Kairo bestieg Franson das Schiff und Fransons erste Chinareise und seine fuhr durch den 1869 eröffneten Kontakte zu J. Hudson Taylor und den Suezkanal Richtung Indien. Im April Chinamissionaren ermutigten ihn zur 1894 erreichte er die Region Darjeeling- Gründung der Svenska Mongolmissio- nen 1897, heute Evangeliska Östasien- missionen 58 , des Danske Missionsfor- 51 Hans Ulrich Reifler, „Zur Geschichte der Allianz-Mission. Chronologische Übersicht der Allianz-Misison“, in: Erhard Michel, Johannes 55 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Reimer und Elmar Spohn (Hg.), Christus für die Franson, S. 589–610. Welt. Theologische Beiträge zur Mission und 56 Die Umschrift der chinesischen Ortsnamen folgt Gemeindegründung, Witten: Bundes 2014, S. 93. den jeweiligen historischen Quellen. 52 Andreas Franz, Mission ohne Grenzen, S. 343. 57 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik 53 Hans Ulrich Reifler, „Zur Geschichte der Franson, S. 611–628. Allianz-Mission. Chronologische Übersicht der 58 www.eom.nu/historik.aspx eingesehen am 10. Allianz-Misison“, S. 93. Januar 2015. 54 Andreas Franz, Mission ohne Grenzen, S. 343.

evangelikale missiologie 31[2015]1 31 bundet 188859 und der Mission Covenant einer Erweckung. Kurz vor Weihnachten in Finnland (Finnische Allianz-Mission) erreichte Franson Burma.61 60 1888, heute Suomen Vapaakirkko. Schwerpunkte dieser zweiten Chinareise Fransons zweite Chinareise Fransons waren Besuche, Konferenzen und Schulung von Missionaren und (1902–1905) einheimischen Mitarbeitern der CIM, Am 24. Dezember 1902 erreichte Fran- DCAM, TEAM und Christian and son Honkong. Von dort aus startete er Missionary Alliance. Der Besuch von eine zweieinhalbmonatige Missionsreise Missionaren der Berliner Mission er- durch Südchina und hielt mehrere Mis- laubte ihm auch einen Einblick in die Arbeitsweise der Klassischen Missio- sions- und Schulungstreffen in Kanton. 62 Er besuchte die Arbeit der Christian and nen. An mehreren Orten erlebte er Missionary Alliance in Wuchau, Zentral- durch seine Verkündigung Erweckung. china, und reiste anschliessend durch die Fransons Verdienst für die nördliche Provinz Kwangtu bis Nan- chang, wo er Missionare der Berliner Mission heute Mission und CIM besuchte und ermutig- Franson war nicht nur ein Freund, För- te. Auf dem Rückweg durchquerte er die derer und Partner der CIM, sondern Provinz Chekiang und traf sich mit Mis- darüber hinaus Wegbereiter der christ- sionaren der CIM und der DCAM. An- lichen Mission in einer globalisierten fang März 1903 erreichte er Wuchow. Welt. Sein Denken und Handeln war Franson unterbrach seine Chinareise für geprägt von der Spiritualität der Hei- einen siebenmonatigen ligungsbewegung, das sich unter dem An mehreren Abstecher nach Japan. Im Motto „beständige bewusste Gemein- Orten erlebte Oktober 1903 schiffte er schaft mit Gott“ zusammenfassen lässt.63 er durch seine nach Korea ein, wo er in Fransons prämilleniale Erwartung Christi Verkündigung Wonsong eine Erweckung war die Motivation zur Rekrutierung von Erweckung. erlebte. Über die Mand- Hunderten von Missionaren nicht nur für schurei reiste Franson die CIM, sondern darüber hinaus für schliesslich nach Tientsin, viele weitere Glaubensmissionen, die um dort seine schwedischen Missionare durch ihn substanzielle Impulse für ihre zu besuchen. Mitte Dezember 1903 er- Missionsarbeit erhielten. Seine trans- reichte er die Chinesische Mauer. 1904 nationale Vernetzung ist ein Vorbild für arbeitete Franson während neun Mona- das missionarische Handeln der Gegen- ten mit Missionaren im Norden Chinas wart. Eine einzelne Gemeinde, ein und in der Inneren Mongolei, Nord- Missionswerk allein kann die grossen westchina und Westchina, bis er nach Herausforderungen der Weltmission Chengdu in der Provinz Sichuan ge- nicht mehr bewältigen. Wir sind auf langte. Er folgte dem Yangtze-Fluss nach global vernetzte Partnerschaften ange- Shanghai. Dort bestieg er ein Boot nach wiesen, um die Unerreichten mit dem Foochow, heute Fuzhou, in der Provinz Jiangxi. Auch dort kam es wieder zu 61 Edvard P. Torjesen, A Study of Fredrik Franson, S. 708–742. 59 www.kristendom.dk/kirkeretninger/det-danske- 62 Ebenda, S. 709. missionsforbund eingesehen am 10. Januar 2015. 63 „Constant conscious communion with God“, 60 www.svk.fi/?sid=717 eingesehen am 10. Januar siehe Edvard P. Torjesen, „Fredrik Franson – der 2015. Mann mit dem Gehorsam aus Glauben“, in: SAM- Bote, Winterthur: Schweizer Allianz Mission 1989/1. S. 30.

32 evangelikale missiologie 31[2015]1 Evangelium zu erreichen. In dieser ihnen wollen wir uns inspirieren lassen gemeinsamen Aufgabe ergänzten sich und die weltweite Ernte einfahren, bevor James Hudson Taylor und Fredrik Jesus Christus in Macht und Herrlichkeit Franson auf vorbildlichste Weise. Von wiederkommt (Mt 24,14).

Wenn Hudson Taylor China heute noch einmal besuchen würde ... – Eine chinesische Perspektive Ya Gu Dieser Artikel wurde in der chinesischen aufgewacht sind und das Evangelium christlichen Online-Zeitschrift eBao ver- nicht nur in dem chinesischen Inland öffentlicht,1 die sich an Chinesen inner- verkünden, sondern auch an der „Ent- halb und außerhalb Chinas richtet. Die wicklung der weiten Gebiete des Übersetzung und der Abdruck geschehen Nordwestens“3 teilnehmen. Öde Steppen in Übereinstimmung mit den Regeln der haben sich in grünes Land mit blühe- Zeitschrift. Übersetzung und Anmerkun- nender Landwirtschaft verwandelt und gen von Meiken Buchholz. sie wurden auch ein fruchtbares Land für Der im Folgenden beschriebene Besuch die Aussaat des hat so nie stattgefunden. Aber viele der Evangeliums. Die Wüste Der Löwe genannten Ereignisse sind wirklich pas- wird wirklich zum Quell- des Ostens siert. grund und die Steppe ist endlich aus erblüht voller Blumen. Sie Wir schreiben das Jahr 2015. Die China seinem Schlaf ziehen über die Steppe erwacht. Inland Mission feiert das 150. Jubiläum hinaus, immer weiter ihrer Gründung. James Hudson Taylor Richtung Westen. (1832–1905) beschließt, noch einmal China zu besuchen. In England hat er von dem rapiden Wachstum der chine- der chinesischen Missionsbewegung spielt die sischen Kirche gehört; auch in den USA, Seidenstraße eine wichtige Rolle hinsichtlich ihres Kanada und anderen Ländern erzählt Vordringens Richtung Westen (vgl. Fußnote 5). man sich davon. 3 Die Entwicklung des Nordwestens Chinas und insbesondere die Lösung des Wasserproblems 2 An der Seidenstraße berichten die wurden von der chinesischen Regierung als eine Christen, dass die chinesischen Christen der Hauptaufgaben für das 21. Jahrhundert vorge- geben (http://www.people.com.cn/BIG5/paper85/ 2043/326635.html). Chinesische christliche Nicht- 1 Der Artikel ist zu finden unter http://www. Regierungs-Organisationen haben sich hieran mit ebaomonthly.com/ebao/printebao.php?a=20090813 Projekten beteiligt (vgl. z.B. das Gewächshaus- (eingesehen am 17.02.2015). Projekt der Chinese Christian Evangelist Associa- 2 Die historischen Karawanen-Wege, die sich von tion, siehe den Bericht von Sun Yiyin vom August China bis in die Mittelmeerregion erstreckten, 2001, http://www.ccea.org.tw/missioncenter/Func waren nicht nur für den Handel wichtig (z.B. tioncode/Publish/focusfindshow.asp?sn=674&type Seide), sondern auch für den kulturellen Austausch =15015 (eingesehen am 18.2.2015). Oft ist das und die Verbreitung von Religionen. Im Zuge der christliche Engagement in Chinas Westen von der Globalisierung knüpft China an diese Wurzeln an, „Back to Jerusalem“-Bewegung inspiriert, vgl. um sich vermehrt wirtschaftlich im mittelasia- Fußnote 5. tischen Raum zu vernetzen. Auch für die Strategie evangelikale missiologie 31[2015]1 33 In nicht allzu ferner Zukunft werden Mission in entfernten Gebieten nicht chinesische Missionare die Wiege der mehr wie früher darin, dass Gebirge und Menschheit erreichen, nämlich die Ufer Meere überwundern werden müssen. des Euphrats. Persien, der Ausgangs- Viele Orte auf dem Globus sind zwar punkt der Religionsvermischung, die nicht an einem Tag zu erreichen, aber Region Kleinasiens, deren „Leuchter auch nicht weiter entfernt als drei weggestoßen wurde“ 4 , wird nach Jahr- Tagesreisen. Aber vielleicht ist in Hin- hunderten der Finsternis wieder er- blick auf den Begriff „Missionar“ eine wachen, und das Licht ihres Leuchters neue zeitgemäße Definition nötig? Na- wird leuchten. Welch eine Begeisterung türlich wäre es heutzutage schwierig, wie löst diese Nachricht aus: Der Löwe des Paulus den Lebensunterhalt als Zelt- Ostens ist endlich aus seinem langen macher zu verdienen. Aber wie wäre es Schlaf erwacht! als Computer-Missionar? Oder als Koch Ja, die Pläne sind noch ambitiöser: Man und Missionar, der über den Magen der will auf dem Landweg das Evangelium Menschen ihr Herz gewinnt? zurück nach Jerusalem bringen. 5 Ein Wenn man auf die westlichen Missionare bewegendes Motto wurde ausgegeben: zurückschaut, so mangelte es bei der „Sendet 100.000 chinesische Missionare Evangelisation Chinas an Zusammen- aus!“ Dazu sage ich „Amen“! Das ist es, arbeit. Aus diesem Fehler können was Chinesen tun sollen und was sie tun Chinesen lernen. können. Das 19. Jahrhundert war das Timothy Richard (1845–1919) vertrat ein Missionsjahrhundert Englands; das 20. ganzheitliches Evangelium. Zur Zeit der Jahrhundert das der USA. Ist die Mis- Hungersnot in Chinas Norden wurde er sionsarbeit des 21. Jahrhunderts dann aus mitfühlender Liebe zum rettenden nicht die Verantwortung der chinesischen Freund in der Not. 6 Unermüdlich be- Kirche? mühte er sich um finanzielle Unter- Jedoch sollten wir das Augenmerk nicht stützung und rettete nicht nur die Seelen nur auf die Frage der Anzahl der der Menschen für den zukünftigen Missionare legen, sondern noch wich- Himmel, sondern rettete auch ihren tiger ist ihre Qualität. Zudem besteht Körper aus der Hölle der Gegenwart. Er heute das Problem der setzte sich nach Kräften für Bildung ein, Ist die errichtete Schulen, baute die missio- Missionsarbeit4 Vgl. Offb 2,5. narische Literaturarbeit aus, gab Bücher des 21.5 Seit der Mitte der 1990er hat die „Back-to und Zeitschriften heraus. So hob er die JahrhundertJerusalem“s -Bewegung viele Hauskirchen-Netz- Bildung des Volkes, förderte den kul- nicht diewerke in China ergriffen und ein großes Engage- turellen Austausch und hatte großen Verantwortungment für Außenmission geweckt. Anknüpfend an Einfluss auf die Entwicklung der chi- erste Versuche in den 1940er Jahren wird der nesischen Gesellschaft. Diese Bemü- der chinesischenbesondere Auftrag der chinesischen Kirche darin Kirche? hungen fanden bei der Bevölkerung gesehen, die Erweckung von Chinas aus westwärts dankbare Aufnahme und zugleich die in die islamischen Gebiete entlang der alten Seidenstraße bis zurück zum Ausgangspunkt des Anerkennung der Herrschenden, die ihn Evangeliums zu bringen. So wie Hudson Taylor als wahren Freund des chinesischen und andere Missionare einen göttlichen Ruf nach Volkes betrachteten und ihm verschie- China erlebten, wird hier der Ruf nach Jerusalem gehört. Wie Taylor um 1000 Missionare für China betete, finden wir nun das Gebet um 100.000 6 Zu dem Wirken Timothy Richards und seinem Missionare aus China. Siehe dazu z.B. Aikman, Einfluss auf die chinesische Reform-Bewegung David: Jesus in Beijing. How Christianity Is siehe z.B. Goosaert, Vincent und David A. Palmer: Transforming China and Changing the Global The Religious Question in Modern China. Balance of Power. Washington: 2003, S. 193–202. London/Chicago 2011, S. 67–90

34 evangelikale missiologie 31[2015]1 dene Auszeichnungen gaben als Lohn für solle, um sie als vollzeitliche Mitarbeiter seine langjährigen Verdienste um Wohl- auszubilden, anstatt dass Missionare tätigkeit, Katastrophenhilfe sowie die Er- einfach Mitarbeiter anstellten; und dass richtung der Shanxi Universität. Die viertens Kirchen gemäß den örtlichen harten Herzen der Qing-Herrscher öff- Gebräuchen und Möglichkeiten gebaut neten sich langsam gegenüber Missio- werden sollen, anstatt auf die finan- naren. ziellen Ressourcen der Missionsgesell- Als die Qing-Herrscher nicht mehr auf schaften zu vertrauen oder im Stile der ihrer „Fort mit eurem Opium und eurem anglikanischen Staatskirche, kirchliche Christentum“-Politik beharrten, fanden Mitarbeiter von der Regierung bezahlen die Bemühungen von Timothy Richard zu lassen. Dieser Ansatz kann wahrhaftig keinesfalls die Unterstützung anderer als „Drei-Selbst“-Strategie bezeichnet Missionare, einschließlich der China- werden. Inland-Missionare, die ihn nicht ver- Die damaligen Missionare fühlten sich standen. Leider wurde mein Name mit durch die Behauptung dieses „ober- hineingezogen, weil sich manche auf flächlichen Amerikaners“ provoziert, er eine so genannte „Hudson-Taylor-Linie“ habe eine „neue“ Strategie entworfen. beriefen. Ihr stellten sie die „Timothy- Sie fragten: „Wenden wir nicht schon Richard-Linie“ gegenüber, die sie als längst diese neue Strategie an? ‘Nur „soziales Evangelium“, ja sogar als Chinesen können das Evan- „anderes Evangelium“ bezeichneten und gelium für Chinesen verkün- Die Missionare vehement ablehnten. Für sie handelte es den’ – das ist doch schon re- in China gingen sich hierbei um unvereinbare Gegen- volutionär neu. Was braucht als Sieger im sätze, bei denen es nur ein Entweder- es denn sonst noch an Streit hervor, Oder geben könne. Ich höre, wie der Neuem?” Außerdem spielten aber ihre Teufel lachte und applaudierte, und er auch denominationelle Vor- Missionsarbeit entfachte eine immer eifrigere innere behalte eine Rolle dabei, dass war der Zerstrittenheit! Nevius’ Gedanken in China Verlierer. Wenn wir heute zurücksehen, so sind das kein Gehör fanden. Aber Eindringen des Evangeliums in die Ge- schließlich gelangten sie sellschaft und seine Inkarnation in die nach Korea, wo Nevius’ kleine Schrift chinesische Kultur tatsächlich ein Weg, bei den Missionaren bereitwillige Auf- auf dem Segen für China entstand. Be- nahme fand, treu befolgt wurde und die dauerlicherweise ist es zu spät zur Reue. Erweckung sowie das Wachstum der Wir haben Zeit verloren und wir haben Gemeinde prägte. Gelegenheiten verpasst. Die Missionare in China gingen als Ein weiterer Missionar ist zu nennen, Sieger im Streit hervor, aber ihre nämlich John Livingston Nevius (1829– Missionsarbeit war der Verlierer. Womit 1893). Er brachte eine „neue Strategie“ kann die Zeit wieder gutgemacht für das Gemeindewachstum zur Sprache: werden, die hier vertan wurde? Er meinte, dass erstens jeder Christ für Aber – Gott sei Dank! – sind heute in der seinen eigenen Unterhalt sorgen und Kirche Chinas die „Drei Selbst“ überall durch Wort und Tat ein Zeuge Christi in umgesetzt! Aufgrund der Veränderungen seinem sozialen Umfeld sein solle; dass des gesellschaftlichen Umfeldes gibt es zweitens die Verantwortung für die Ent- keine Gemeinden mehr, die von west- wicklung der Kirchenleitung bei der licher Unterstützung abhängen und Ortsgemeinde liegen müsse; dass drittens kontrolliert werden. „Drei-Selbst“ ist die Gemeinde reife Gläubige aussuchen evangelikale missiologie 31[2015]1 35 nicht mehr nur ein Motto, sondern ein Zeugnis dafür, dass die Missionare allgemeine Wirklichkeit. ihre denominationellen Voreingenom- Ich erinnere mich: Als ich China verließ, menheiten beiseite ließen und zusam- gab es nur 400.000 Christen. Als der menarbeiteten. Ich hoffe, dass die letzte Missionar der China Inland chinesische Kirche bei ihren Bemü- Mission die weiten Einöden Chinas hungen um Bibelübersetzungen diesem verließ, waren es immer noch weniger Vorbild der Einheit folgt. Es ist die als eine Million. Heute ist, nach allem gemeinsame Bibel aller Chinesen, die was ich höre, das Wachstum der durch die Bestätigung des Heiligen chinesischen Kirche weltweit am größten Geistes das Wirken der Gnade Gottes und hat bereits achtzig Millionen über- manifestiert und viele Menschen an schritten! Manche schätzen die Zahl der dieser Gnade Anteil haben lässt. Soweit Christen in China sogar auf 100 möglich sollte vermieden werden, dass Millionen. 7 Am wichtigsten jedoch ist jede Gruppe willkürliche neue Über- nicht die Anzahl, sondern die Qualität, setzungen schafft und auf ihrer Wortwahl die sich daran zeigt, dass diese Christen beharrt, so dass die Menschen nicht mehr ihren Glauben bewahren, Verfolgung für wissen, woran sie sich halten sollen. ihr Zeugnis erleiden und Mission betrei- Hudson Taylors Motto ermahnt die ben. Denn dies zeigt, dass sie wirklich chinesischen Christen: Wo Gottes Werk einen lebendigen Glauben besitzen und nach Gottes Willen getan wird, wird es es ihnen um die Seelen der Menschen nicht an Gottes Versorgung mangeln. und den Auftrag des Herrn geht. Auch hier gilt: „Jesus Christus ist der- Die chinesische Kirche hat so viele Fort- selbe, gestern, heute und in Ewigkeit.“ schritte gemacht! Aber warum legt sie (Heb 13,8) nicht noch größeren Wert auf die Li- Manche Leute sagen, „wenn man teraturarbeit? Die frühe Kirche verkün- gesehen hat, wie Brot gemacht wird, digte in der Kraft des Heiligen Geistes wird man nie wieder Brot essen“, und durch den Kanon des Neuen Testamentes meinen damit, man solle lieber nicht so kraftvoll das Wort des Herrn. Sie genau nachfragen, wo nützliche Dinge verkündete es bis in ferne Gegenden und herkommen. Aber wenn es um Geld- über lange Zeiträume. So konnte sie spenden geht, dann sollen wir mit Irrglauben abwehren und die Kirche auf Sicherheit wissen, woher dieses Geld festen Grund errichten. kommt! Kirchen dürfen sich nicht an Die Bibel-Übersetzung der chinesischen „Geldwäsche“ beteiligen. Das Geld, das Union Version ist von Missionaren ver- Zachäus durch Betrug erworben hatte, schiedener Organisationen gemeinsam hat er nach seiner Bekehrung zurückgegeben und es zur Un- durchgeführt worden, doch kam sie erst Es darf nach Hudson Taylors Tod in den Druck. terstützung der Armen gegeben. Aber eine Spende an die Kirche uns nicht Sie ist eine nahezu vollkommene Über- egal sein, setzung ins Chinesische und außerdem kann nicht Wiedergeburt und Buße ersetzen! Wenn wir schon woher die von Brot reden, so müssen wir Finanzen 7 Der Autor liegt mit diesen Zahlen im oberen Be- auch vom Sauerteig sprechen. kommen. reich der Schätzungen. Aktuelle Untersuchungen chinesischer Christentums-freundlicher Religions- In Glaubensdingen den Sauer- soziologen gehen von 40 bis 60 Millionen protes- teig des Bösen zuzulassen, ist wahrhaftig tantische Christen aus (siehe z.B. Wenzel-Teuber, keine Tugend. Darum sollen wir eben Katharina, „Statistisches Update 2012 zu Reli- doch acht darauf haben, wie das Brot gionen und Kirchen in der Volksrepublik China gemacht wurde, wenn wir es essen und Taiwan“, in: China heute 2013/1, S. 25f. ) wollen. Bei der Ausweitung der Mis-

36 evangelikale missiologie 31[2015]1 sionsarbeit darf es uns nicht egal sein, gleich, wie bewegend deine Verkündi- woher die Finanzen kommen. gung über das Tausendjährige Reich ist, Vor einigen Jahren hat China durch die wenn nicht klar ist, woher die Tausender Beimischung von Melamin u.a. in der dich unterstützenden Millionäre Babynahrung die ganze Erde in Unruhe kommen, wird deine Arbeit nicht versetzt und einen Boykott chinesischer wirklich von Gott gesegnet sein. Waren heraufbeschworen. 8 China hat Auch heute müssen wir immer noch heute so viele Millionäre hervorgebracht, danach streben, heilig zu sein und uns die meinen, Geld zu haben, heiße nicht mit der Welt zu vermischen. Wir glücklich zu sein und Recht zu haben. müssen den ursprünglichen Glauben Zugleich hat die chinesische Kirche festhalten und dem Willen des Herrn unzählige Prediger des Tausendjährigen gehorchen, bis er in Herrlichkeit wieder- Reiches hervorgebracht. 9 Aber ganz kommt. Wir wollen daran denken, dass geschrieben steht, „Es soll nicht durch 8 Zu dem Melamin-Skandal im Jahr 2008 und den Heer oder Kraft, sondern durch meinen dem Tod bzw den schweren Erkrankungen vieler Geist geschehen“ (Sach 4,6), und Säuglinge in China, siehe z.B. den Artikel fortfahren zu beten: „Bittet den HERRN, „Melamin-Skandal weitet sich aus“ vom 19.9.2008 dass es regne zur Zeit des Spätregens, so in der online-Ausgabe DIE WELT (http://www. wird der HERR, der die Wolken macht, welt.de/vermischtes/article2467112/Melamin- euch auch genug geben für jedes Skandal-weitet-sich-aus.html). Gewächs auf dem Felde.“ (Sach. 10,1) 9 Der Autor bezieht sich auf verschiedene Endzeit- Spekulationen, die insbesondere um die Jahre 2000 und 2012 in christlichen Kreisen kursierten. Er englischen Worte „Millenium“ (Tausendjähriges spielt dabei mit dem ähnlichen Klang der Reich), „millionaires“ und „Melamine“.

Noteworthy Für diese Rubrik laden wir unsere Leser ein, Hinweise auf Informationen, Material und Dokumente im Internet mit Bezug zu missiologischen Fragestellungen weiterzugeben (Eingabe-Formular unter www.missiologie.org oder einfach eine Email an [email protected]). Tagung FAITH AND GLOBALIZATION vom 10.-12. Juni, Universität Fribourg, Schweiz http://www.glaubeundgesellschaft.ch Die Globalisierung fordert uns zu Prozessen der Versöhnung und der interreligiösen Verständigung heraus. Hauptreferent ist Prof. Dr. Miroslav Volf (YALE University). APCM-Tagungen „Fundraising und Steuerrecht” und „Business as mission“ 09./10. März und 09./10. November 2015 Kontakt: [email protected] Diese Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Pfingstlich-Charismatischer Missionen zu den Themen „Fundraising“ (M. Böhning, 09.03.2015 in Nidda bei Frankfurt a.M.), „Steuerrecht“ (L. Riegel, 10.März in Nidda) sowie „Business as Mission“ (A. Winkelmann-Gleed und R. Gleed, 09./10.11 2015 in Hamminkeln/Niederrhein) stehen allen Interessierten offen. OJC-Tagung vom 16. bis 18.10.2015: „Die Fremden verstehen – Kulturelle Vielfalt als Lernfeld und Segen“ evangelikaleKontakt: [email protected] 31[2015]1 37 Dieses Wochenendseminar möchte (evtl. bereits) erworbenes Wissen über transkulturelle Kompetenzen durch Selbsterfahrung so verankern, dass es das Handeln konkret verändert. Missio Dei (Teil 1) Linguistische, historische und theologische Aspekte Hannes Wiher

In diesem Artikel werden zunächst einige linguistische Probleme des Missio Dei Begriffs überdacht, dann der Begriff in seinem katholischen Kontext beleuchtet, und drittens seine kritische Aufnahme in der protestantischen Theologie dargestellt. Dabei wird festgestellt, dass Augustin und Thomas von Aquin die Sendung (missio) nicht der immanenten Trinität zuschreiben, sondern in Bezug auf sie den Begriff der Hervorgehung (processio) einführen. Sie ordnen die Sendung der ökonomischen Trinität zu und werten sie damit ab. Ganz folgerichtig denkt Ignatius von Loyola die Sendung von Missionaren unabhängig von der Trinität. Diese folgenschwere Unterscheidung wird vom katholischen Theologen Hans Urs von Balthasar und seinem protestantischen Kollegen Karl Barth nicht aufgenommen. Die beiden letzteren sehen die immanente Trinität als Ursprung der Mission und werten damit die Mission auf. Dr. Hannes Wiher ist promovierter Schirrmachers Missio Dei: Mission aus Mediziner und Theologe (Ph.D. in Mis- dem Wesen Gottes (2011). 4 Ein siologie, Potchefstroom, South Africa). gewichtiges theologisches Problem ist Er kommt aus der Schweiz und arbeitete Ursache dieser Diskussion. Der Begriff 22 Jahren als Missionar in Guinea. Seit Missio Dei kommt aus dem Lateinischen 2003 unterrichtet er Missiologie in und bedeutet wörtlich „Sendung Got- Afrika, Asien und Europa und widmet tes.“5 Er hat seinen Ursprung in der Re- sich dem Aufbau der Missiologie in der flexion der Kirchenväter über die Trini- französisch-sprachigen Welt. Email: tät. Nach dem zweiten Weltkrieg, wäh- [email protected]. rend der Dekolonisalisierungsprozess im Das Interesse der evangelikalen Bewe- Gange war, wurde der Begriff wieder gung an einer trinitarischen Begründung aufgenommen und mit einem neuen der Mission ist erst in den letzten Jahren Konzept der Mission verbunden, der sich erwacht.1 Die Publikation von drei wich- vom alten Begriff mit seiner Verbindung tigen missiologischen Büchern hat die zum Kolonialismus und einer kirchlichen alte Diskussion über die Missio Dei Begründung der Mission abgrenzen wiederbelebt: Christopher Wrights The sollte. Die initiale Absicht war, die Mission of God (2006), 2 Timothy Probleme des alten Missionsbegriffs Tennents Invitation to World Missions: A durch eine theologische Begründung der Mission und damit die „Grundlagenkrise Trinitarian Missiology for the Twenty- 6 first Century (2010), 3 und Thomas der Mission“ zu lösen und eine

1 Für einen Überblick siehe Jason Sexton, „The 4 Thomas Schirrmacher, Missio Dei: Mission aus State of the Evangelical Trinitarian Resurgence,“ dem Wesen Gottes, Komplementäre Dogmatik Journal of the Evangelical Theological Society 54, Reihe 2, Nürnberg: VTR und Hamburg: Reforma- 4, 2011, 787-805, für Mission 803. torischer Verlag, 2011. 2 Christopher J. H. Wright, The Mission of God: 5 Für eine Einführung in den Begriff der Missio Unlocking the Bible’s Grand Narrative, Leicester, Dei, siehe David J. Bosch, „Mission as Missio UK: IVP, 2006. Dei,“ in Transforming Mission: Paradigm Shifts in Theology of Mission, Maryknoll, NW: Orbis, 1991, 3 Timothy C. Tennent, Invitation to World 389–393. Missions: A Trinitarian Missiology for the Twenty- first Century, Grand Rapids, MI: Kregel, 2010. 6 Der Ausdruck geht zurück auf Georg F. Vicedom, Missio Dei – Actio Dei, Hg. Klaus W.

38 evangelikale missiologie 31[2015]1 Konvergenz der verschiedenen theolo- drittens seine kritische Aufnahme in der gischen Richtungen zu ermöglichen. 7 protestantischen Theologie und die Ent- Was aber danach geschah, ähnelte mehr wicklungen in der ökumenischen Bewe- einer „kopernikanischen Revolution“8 in gung dargestellt. Viertens wird seine Re- der Missionstheologie. Die Wiederauf- zeption in der evangelikalen Bewegung nahme des Begriffs Missio Dei ohne erörtert. Zum Schluss erfolgen eine direkten Bezug zur Trinitätslehre er- Auswertung und eine praktische An- laubte es jeder theologischen Richtung, wendung. den Ausdruck mit ihrem Inhalt zu füllen. So wurde er zur Grundlage vieler von- Linguistische Überlegungen einander abweichender Missionstheo- Die sprachliche Genitivkonstruktion logien. stellt ein erstes Problem dar. Intuitiv Um diese Entwicklungen steht der objektive Genitiv im Vorder- und deren Implikationen ... Probleme, grund: die Sendung, die Gott aufgetragen besser zu verstehen, schla- wurde. Aber wie könnte Gott das Objekt die mit einer ge ich vor, zur Geschichte der Sendung sein? In erster Annäherung trinitarischen des Begriffs zurückzu- ist der Begriff mit der Bedeutung eines Begründung kehren. Das Ziel dieses objektiven Genitivs ein Unsinn. Der der Mission Artikels ist aber nicht, alle Ausdruck kann aber auch bedeuten, dass verbunden Probleme, die mit der Gott das Subjekt der Sendung ist. Gott sind. Missio Dei verbunden sind, ist derjenige, der sendet, der Initiator der zu lösen, sondern seine Mission. Die Genitivkonstruktion würde geschichtliche Entwicklung in Bezie- dann im Sinne eines subjektiven Genitivs hung zur Trinitätslehre darzustellen und gedeutet. Eine Untersuchung über die die verschiedenen Probleme aufzuzei- Verwendung des Ausdrucks in der latei- gen, die mit einer trinitarischen Be- nischen Übersetzung der Bibel und bei gründung der Mission verbunden sind. den Kirchenvätern kann für seine Inter- Zunächst werden einige linguistische pretation Orientierungshilfe geben. Probleme überdacht, dann der Begriff in In der Vulgata kann die Verwendung seinem katholischen Kontext beleuchtet, einer Verbform von mitto „senden“ die Sendung der Personen der Trinität oder Müller, Nürnberg: VTR, 2002, 178-180 (1. Aufl. der Jünger anzeigen. Als Beispiele wer- von Missio Dei: München: Kaiser, 1958; von Actio den hier einige neutestamentliche Stellen Dei: München: Kaiser, 1975). angeführt, in welchen die lateinische 7 So die Hoffnung oder Evaluation von Johannes Form des Verbs „senden“ vorkommt: Verkuyl, Contemporary Missiology, Grand Rapids, MI: Eerdmans, 1978, 203; Rodger C. Bassham, „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte „Mission Theology: 1948-1975,“ Occasional (misit) Gott seinen Sohn, geboren von Bulletin of Missionary Research 4, 2, 1980, 56; T. einer Frau und unter das Gesetz getan, Engelsviken, „Convergence or Divergence? The damit er die, die unter dem Gesetz Relationship between Recent Ecumenical and waren, erlöste, damit wir die Kindschaft Evangelical Mission Documents,“ in Swedish empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Missiological Themes 2, 2001, 202–207. Gott den Geist seines Sohnes gesandt 8 Der Ausdruck wird in Verbindung zur Missio Dei erwähnt bei Wilhelm Richebächer, „Missio Dei: (misit) in unsre Herzen, der da ruft: Kopernikanische Wende oder Irrweg der Missions- Abba, lieber Vater!“ (Gal 4,4-6). „Wie du theologie?“ Zeitschrift für Mission 28, 3, 2002, mich gesandt hast (misisti) in die Welt, 143-162; John G. Flett, The Witness of God: The so sende ich (misi) sie auch in die Welt“ Trinity, Missio Dei, Karl Barth, and the Nature of (Joh 17,18). „Da sprach Jesus abermals Christian Community, Grand Rapids: Eerdmans, zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich 2010, 157. der Vater gesandt hat (misit), so sende

evangelikale missiologie 31[2015]1 39 ich (mitto) euch“ (Joh 20,21). Diese Genitiv und genitivus auctoris). Der Texte zeigen die verschiedenen Sendun- Thesaurus gibt nur ein Beispiel von gen der Personen der Trinität in der Bibel missio Patris: „Wie der Sohn von der auf: Der Vater sandte den Sohn (Joh Welt mittels der Sendung durch den 3,16), und zusammen mit dem Sohn lebendigen Vater [viventis Patris sandte er den Geist (Joh 14,16.26; 15,26; missionem] erkannt wurde, so wurde der 16,7). Der Sohn und der Geist senden Name des Vaters von der Welt und den ihrerseits die Jünger (Mt 28,16–20; Mk Menschen durch den lebendigen Sohn 16,15–18; Lk 24,46–49; Joh 20,21–23; erkannt.“11 Apg 1,8; 13,1–4). Diese Beispiele zeigen, dass in der pa- Wenn auch diese Verwendungen die tristischen Literatur bezüglich der Sen- Basis der späteren Reflexion darstellen, dung des Sohnes und des Geistes (missio so ist es doch vom Gesichtspunkt der Filii, missio Spiritus Sancti) der objek- theologischen Terminologie her viel tive Genitiv vorkommt. Der Vater sendet wichtiger, die Verwendung der Begriffe zunächst den Sohn, und zusammen mit missio und missio Dei in der patris- dem Sohn (filioque) den Geist. Am elften tischen Literatur zu überprüfen. 9 Diese Konzil von Toledo (675) wurde diese erwähnt den Ausdruck im Zusammen- Formel in folgender Form angenommen: hang mit der Reflexion über die „Wir glauben, dass der Heilige Geist von Trinitätslehre. Der Thesaurus Linguae den beiden gesandt wurde wie der Sohn Latinae10 erwähnt Beispiele von Ambro- vom Vater gesandt wurde ….“12 Aber der sius und Augustin. Augustin kann sagen: Vater wird nie gesandt. Er ist der „Die Sendung des Chris- Ursprung der Mission. Die patristische Die patristische tus ist also die Inkar- Reflexion über die Trinität fördert die Reflexion über nation“ (Christi ergo mis- Entwicklung eines Konzeptes wie das- die Trinität sio est incarnatio), und jenige der Missio Dei nicht. Der trini- fördert nicht „Diese Handlung wird die tarische Gott kann nicht derjenige sein, die Entwicklung Sendung des Heiligen der gesandt wird, sondern nur derjenige, des Missio Dei- Geistes genannt“ (haec… der sendet. Die Bedeutung des Aus- Konzeptes. operatio… missio spiritus drucks Missio Dei muss deshalb vor sancti dicta est). In den allem diejenige eines genitivus auctoris beiden Vorkommnissen wird missio in sein. Legt dies nicht nahe, dass die der Bedeutung von „gesandt werden“ Sendung des Sohnes und des Geistes, die gebraucht (objektiver Genitiv). Augustin für die Heilsgeschichte von so großer präzisiert: „Nur vom Vater kann man Bedeutung sind, den Weg für die Ent- nicht sagen, dass er gesandt wird“ (Solus wicklung dieses theologischen Aus- Pater non legitur missus). Missio Patris drucks bereiteten? Diese Beobachtung (die Sendung des Vaters) kann demnach führte Georg Vicedom in seiner Re- nicht die Sendung des Vaters bedeuten flexion über die Trinität und die Missio (objektiver Genitiv), sondern nur die Sendung durch den Vater (subjektiver 11 Sicut enim per viventis Patris missionem mundo innotuit Filius, ita per viventem Filium, Patris 9 In diesem Abschnitt folge ich teilweise Helmut nomen mundo et hominibus innotuit… (Ps. Vigil. Rosin, Missio Dei: An Examination of the Origin, Thaps. c. Marivad. 1, 68, p. 396c). Contents and Function of the Term in the 12 Hic igitur Spiritus Sanctus missus ab utrisque Protestant Missiological Discussion, Leyden: sicut Filius a Patre creditur… Enchiridion IIMO, 1972, 12–16. Symbolorum, Hg. Heinrich Denziger, Freiburg-im- 10 Thesaurus Linguae Latinae, München: Saur, Breisgau: Herder, 1947, 277. Das filioque wird das 2002-2007. erste Mal am dritten Konzil von Toledo (589) erwähnt.

40 evangelikale missiologie 31[2015]1 Dei zu folgender Schlussfolgerung: „Der In der Kontroverse zwischen Arius (256– Begriff der Missio Dei muss aber, wenn 336) und Athanasius (293–373) und wir der biblischen Konzeption gerecht durch den wichtigen Beitrag der werden wollen, zugleich als attributiver kappadozischen Theologen (Basilius von Genitiv verstanden werden, durch wel- Caesarea, Gregor von Nazianz und Gre- chen Gott nicht nur zum Sendenden, gor von Nyssa) entwickel- sondern zugleich zum Gesandten ten sich die Ideen, welche Es sind die 13 wird.“ zu einer endgültigen For- Pioniere, In die englischsprachige Welt wurde der mulierung im Konzil von welche die Missio Dei Begriff in seiner englischen Chalzedon (381) führten. Weichen für Form „mission of God“ oder „God’s Aber es ist Augustin von spätere mission“ eingeführt. In diesem Sprach- Hippo (354-430) und später Entwicklungen raum war die Rezeption des Ausdrucks Thomas von Aquin (1224/ stellen. viel unkomplizierter als im kontinentalen 1225–1274), welche tiefer Europa. Kritische protestantische Stim- über die Beziehung zwi- men meldeten sich vor allem aus schen Trinität und Mission nachgedacht Deutschland und Holland. Nach diesen haben; sie haben für uns wichtige Grund- linguistischen Überlegungen kommen gedanken eingeführt. Wie es oft bei der wir auf die großen Theologen zurück, die Entwicklung von Ideen der Fall ist, sind über die Beziehung zwischen Trinität es die Pioniere, welche die Weichen für und Mission nachgedacht haben. spätere Entwicklungen stellen. Die katholische Lehre von der Trinität und Mission: Augustin und Missio Dei Thomas von Aquin In diesem Artikel sollen nicht alle Schon in seinen ersten Schriften schreibt Probleme diskutiert werden, welche mit Augustin über die Trinität. Sein „mag- der Trinitätslehre verbunden sind, son- num opus“ zu unserem Thema ist De dern über die Beziehung zwischen dieser Trinitate. Spuren des Konzils von Nizäa Lehre und der Mission nachgedacht finden sich schon in den ersten Seiten: „Wie kann man sagen, dass es nicht drei werden, und darüber, wie diese Refle- 15 xion das Konzept der Mission beeinflusst Götter, sondern nur einen Gott gibt?“ hat. Die Prägung des Trinitätsbegriffs Um auf diese Frage zu antworten ent- wird Tertullian (ca. 155–220) zuge- wickelt Augustin das Konzept der „psy- schrieben, der die Lehre in einer „ökono- chologischen Analogie“ (analogia entis). mischen“ Perspektive reflektiert hat.14 Er Basierend auf 1. Mose 1,26 („Lasset uns beschreibt Gott als drei „verschiedene“ Menschen schaffen nach unserem Bil- aber „untrennbare“ Personen und eine de“) sieht Augustin im Innenleben des Substanz (una substantia). Tertullian hat Menschen (seiner „Psychologie“) die aber viele Aspekte undefiniert gelassen. wichtigsten Spuren der Trinität in der Schöpfung. Unter diesen Spuren sieht Augustin mehrere Triaden, z.B. Gedächt- 13 Vicedom, Missio Dei – Actio Dei, 33 (meine nis, Intelligenz und Wille einer Person.16 Hervorhebung). 14 Die systematische Theologie unterscheidet zwischen immanenter und ökonomischer Trinität. 15 Trin. I, V, 8. Alle Zitate sind eigene Über- Während die immanente Trinität das Wesen Gottes setzungen aus Augustinus, De Trinitate, Corpus in aller Ewigkeit betrifft, umschreibt die ökono- Christianorum Series Latina, Rom: Brepols, 1968. mische Trinität den im Heilsplan handelnden Gott 16 Trin. X-XV. Die anderen Triaden sind: sein, (oikonomia „Plan“, wörtlich „Haushalt“) und die wissen, wollen (Conf. XIII, 11, 12), Vernunft, Rolle der drei göttlichen Personen darin. Wissen, Liebe (Trin. IX, 2-5). evangelikale missiologie 31[2015]1 41 Für Augustin ist wichtig, dass die drei So wie geboren werden für den Sohn „Funktionen“ der Seele miteinander ver- bedeutet, dass er aus dem Vater hervorgeht, bunden sind, ohne sich zu vermischen. so bedeutet seine Sendung, dass man Dieses Konzept der Analogie zwischen erkennt, dass er von ihm [vom Vater] ist. Gott und dem Menschen wird in der Und wie für den Heiligen Geist Gabe späteren Diskussion ein bestimmtes Gottes zu sein bedeutet, dass er aus dem Gewicht gewinnen. Vater hervorgeht, so bedeutet seine Sen- dung, dass man erkennt, dass er aus ihm Augustins hauptsächlicher Beitrag in der hervorgeht.20 Kontroverse mit dem Modalismus17 be- steht darin, dass er zur Dies impliziert, dass die ökonomische Unterscheidung der Per- Trinität nur die Funktion hat, dass wir Die Beziehung sonen der Trinität ihre Gott erkennen können. Die Sendung der der Personen Beziehung zueinander in göttlichen Personen wird auf eine untere der Trinität ontologische Ebene verwiesen, die nur den Mittelpunkt gestellt 21 untereinander hat. Diese unterscheiden epistemologischen Wert hat. Durch die- se Unterscheidung erhält der Hervorgang wird in den sich voneinander nicht 22 Mittelpunkt dadurch, was sie sind oder (processio), welcher zur immanenten gestellt. besitzen, sondern durch Trinität gehört, ein größeres Gewicht als 18 die Sendung (missio), die zur ökono- ihre Beziehung. Die au- gustinische Beziehungs-Analogie (ana- mischen Trinität gehört. logia relationis) zwischen Gott und dem Thomas von Aquin nimmt Augustins Reflexion über die Trinität auf und Menschen wird ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. entwickelt sie weiter. In den Fragen (q.) Die augustinische Einschränkung be- 2 bis 26 des ersten Buches Es gehört züglich der Trinität ist sehr bekannt, weil der Summa theologica denkt die Reformatoren sie aufgenommen ha- er über den einen Gott nach: nicht zum ben, um die scholastische Spekulation zu Gott ist unendlich (q. 7–8), Wesen Gottes, vermeiden: „Die Werke der Trinität nach perfekt (q. 4–6), unveränder- sich zu außen sind nicht aufteilbar“ (opera lich und ewig (q. 9–10). offenbaren. trinitatis ad extra sunt indivisa). Augus- Fragen 27 bis 43 betreffen tin erklärt: „Wie der Vater das Wesen in den dreieinen Gott. In ihnen denkt er sich selbst [a se] besitzt, so handelt er über die Unterscheidung der göttlichen auch in sich selbst [a se], und der Sohn Personen nach. In Frage 27 definiert er handelt durch den Vater und der Geist den Hervorgang (processio) der gött- handelt durch sie beide.“ 19 Indem lichen Personen. Der erste Hervorgang Augustin einen Unterschied zwischen ist eine Zeugung (generatio), nämlich die der immanenten und der ökonomischen des Sohnes, welche dem Vater immanent Trinität definiert, schafft er zwei onto- logische Ebenen innerhalb der Trinität. 20 Ibid. Augustin schreibt: 21 Epistemologie (griech. épistèmè „Wissen“ und lógos „Diskurs“) ist der Bereich der Philosophie, welcher die Fragen nach den Voraussetzungen für 17 Gemäss dem Modalismus hat die Trinität drei Erkenntnis und dem Zustandekommen von Wissen Erscheinungsformen; Gott zeigt sich in der Form behandelt. des Vaters, des Sohnes und des Geistes. 22 Die biblische Basis für dieses Konzept findet 18 Trin. V. man zum Beispiel in Joh 15,26: „Wenn aber der 19 Trin. IV, XX, 29. Interessanterweise hat die Tröster kommen wird, den ich euch senden werde lateinisch-deutsche Ausgabe, hg. von Johann vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater Kreuzer (Hamburg: Meiner, 2001), das Buch IV ausgeht (procedit), der wird Zeugnis geben von nicht in die Auswahl eingeschlossen. mir.“

42 evangelikale missiologie 31[2015]1 zu denken ist und so das Verb in seinem dass Prozession auf der höheren ontolo- Innern situiert. Der zweite Hervorgang gischen Ebene der immanenten Trinität ist eine Hauchung (spiratio), welche mit gedacht wird und Mission auf die nie- dem Heiligen Geist zu identifizieren dere ontologische Ebene der ökonomi- ist.23 schen Trinität herabgestuft wird, hat In der Frage 43 definiert Thomas von tragische Konsequenzen für die Mis- Aquin die Sendung (missio) der gött- sionstheologie. Sie wird marginalisiert. lichen Personen. Unter Sendung einer Die logische Konsequenz davon ist, dass göttlichen Person versteht er die ewige das Konzept der Analogie in der theolo- Prozession der gesandten Person mit ei- gischen Reflexion wichtig geworden ist. ner zeitlichen Wirkung in der Schöpfung. Diese Definition zeigt auf, dass Thomas Ignatius von Loyola und die Missio von Aquin wie Augustin eine Unter- Ecclesiae scheidung zwischen Prozession und Die Dichotomie zwischen immanenter Mission vornimmt. Warum diese Unter- und ökonomischer Trinität, zwischen scheidung? Thomas beginnt mit dieser Sein und Handeln und schließlich Erklärung: zwischen Gott und dem Menschen hat Der Gesandte ist geringer als der Sendende. zur Folge, dass das menschliche missio- Nun ist aber die eine göttliche Person nicht narische Handeln völlig unabhängig von geringer als die andere. Also wird eine Gottes Handeln gedacht wird. Zu Beginn göttliche Person nicht von der anderen der katholischen Missionsbewegung ist gesandt.24 deshalb für Ignatius von Loyola (1491-1556), den Dann präzisiert Thomas diese Erklärung: Die Sendung Sendung bedeutet nur dann ein Geringen- Gründer des Jesuitenor- dens, die Sendung von von Missionaren Sein in dem, der gesendet wird, wenn es durch den den Ausgang vom Urheber der Sendung Missionaren durch den Papst etwas Unabhängiges Papst ist etwas besagt … Im Göttlichen aber besagt es Unabhängiges lediglich den Hervorgang (processio) des von der Missio Dei. Er 25 von der Ursprungs. führt den Begriff der „Mission der Kirche“ Missio Dei. Thomas folgert: (missio ecclesiae), ein von Da also der Vater nicht von einem anderen der „Mission Gottes“ unabhängiges Kon- ist, kommt es Ihm in keiner Weise zu, zept, ein. Ziel ist, die Kirche dort einzu- gesandt zu werden, sondern nur dem Sohne 26 pflanzen, wo sie noch nicht existiert. Das und dem Heiligen Geiste … . neue Konzept der „Gemeindegründung“ Es ist leicht, die Konsequenzen zu er- (plantatio ecclesiae) erscheint in der sehen, die sich aus diesem philo- theologischen Diskussion. Es stellt eine sophisch-theologischen Denksystem er- ekklesiozentrische Definition der Mis- geben: Gottes Bewegung in seine „Öko- sion dar. Diese wird in der Mitte des 19. nomie“ hinein ist ein sekundäres Phä- Jahrhunderts von der protestantischen nomen. Es gehört nicht zum Wesen Got- Missionsbewegung aufgenommen und tes, sich zu offenbaren. Die Tatsache, bis in die Mitte des zwanzigsten Jahr- hunderts vorherrschend bleiben. Dann 23 ST Ia, q. 27, a. 1-4. Alle Zitate sind aus Thomas wird sie von einer theologischen Defi- von Aquin, Summa theologica, Die deutsche nition, der Missio Dei, ersetzt. Thomas-Ausgabe, Wien: Styria, 1933-1961. 24 ST Ia, q. 43, a. 1, obj. 1. 25 ST Ia, q. 43, a. 1, sol. 1. 26 ST Ia, q. 43, a. 4, resp. evangelikale missiologie 31[2015]1 43 Kritische Wiederaufnahme von Hans internationale Koordinator der Com- Urs von Balthasar munio Publikationen, fasst die von Balthasar’sche Sicht der zentralen Rolle Von 1961 an publiziert Hans Urs von von Gottes Liebe in der Mission wie Balthasar (1905–1988) seine Trilogie, ein monumentales Werk von fünfzehn folgt zusammen: Bänden. Er gründet seinen theo-missio- Gottes offenbarendes Handeln ist Handeln logischen Ansatz auf eine trinitarische aus Liebe und folglich Manifestation seiner Theologie der Mission. Der erste Teil Liebe. Diese sich offenbarende Liebe ist seiner Trilogie besteht aus einer „theolo- wiederum trinitarisch: die Liebe zwischen gischen Ästhetik“ der literarischen und dem Vater und dem Sohn im heiligen Geist. kulturellen Matrix Europas und aus einer Der Vater ist liebender Ursprung von allem: 27 der Sohn übernimmt, schon innertrini- europäischen Geistesgeschichte. Der tarisch, in liebendem Gehorsam den Lie- ästhetische Aspekt besteht darin, dass besauftrag des Vaters und bringt ihn zur Gott die „Augen des Glaubens“ seine Welt, indem er sich vom Vater zum Schönheit in den verschiedenen Aspek- Heilshandeln senden lässt. Diese Sendung ten der Kultur sehen lässt. Im zweiten geschieht im Heiligen Geist, der sie Teil zeichnet von Balthasar durch Gottes begleitet und führt. Der Sohn gibt seinen Geschichtshandeln ein Sendungsauftrag an die Apostel weiter und Seine göttliches „Theodrama“, an alle, die auf sie hören. Folglich muss das indem er die Themen der christliche Leben wesentlich als ein Leben trinitarische Fundamentaltheologie in der Sendung gesehen werden. Die eine Theologie einschließlich der Trini- Sendung Jesu Christi entfaltet sich dabei in gründet auf der tätslehre behandelt. 28 In die „katholische“ Vielfalt vieler einzelner 32 Liebe Gottes als der dritten Tafel ent- Sendungen … . Ursprung der wickelt von Balthasar eine Dieser Mission treu, welche in der Mission. „Theologik“, welche aus theologischen Reflexion über die Trinität einer vergleichenden Dar- gründet, stellt von Balthasar einen Bezug stellung von Kultur und Fundamen- her zwischen der Liebe Gottes und der 29 taltheologie hervorgeht. Seine trinita- europäischen Geistesgeschichte. In den rische Theologie platziert er in der zen- Fußstapfen der Kirchenväter, besonders tralen Tafel des „Triptychons“. 30 Sie Augustin, Origenes, Irenäus, Gregor von gründet auf der Liebe Gottes als Ur- Nyssa und Maxim dem Bekenner, 31 sprung der Mission. Peter Henrici, der welche die griechische Philosophie in eine christliche Theologie verwandelt 27 Hans Urs von Balthasar, Herrlichkeit: Eine haben, unternimmt von Balthasar die theologische Ästhetik, 3 Bde., Einsiedeln: kolossale Aufgabe, die zweitausendfünf- Johannes, 1961-1969. hundert Jahre dauernde europäische 28 Hans Urs von Balthasar, Theodramatik, 4 Bde., Geistesgeschichte zu analysieren. Laut Einsiedeln: Johannes, 1973–1983. Vgl. eine Balthasar beginnt diese mit der „euro- ähnliche Sicht in Kevin J. Vanhoozer, The Drama päischen Entscheidung“ der christlichen of Doctrine: A Canonical-Linguistic Approach to Christian Theology, Louisville: John Knox, 2005. Plotin-Rezeption, dieser die Antike ab- schließend zusammenfassenden Philo- 29 Hans Urs von Balthasar, Theologik, 5 Bde., Einsiedeln: Johannes, 1985–1987. 30 Hans Urs von Balthasar, Mein Werk: 32 Peter Henrici, „Die Trilogie Hans Urs von Durchblicke, Einsiedeln: Johannes, 1990. Balthasars: Eine Theologie der europäischen 31 Gottes Liebe als Ursprung der Mission ist auch Kultur,“ Internationale Katholische Zeitschrift Thema der „Kapstadt Verpflichtung“ (2010) der „Communio“ 34, 2, 2005, 117–127, hier 121. Lausanner Bewegung. Im Internet auf: Siehe auch idem, Hans Urs von Balthasar, http://www.lausanne.org. Freiburg im Breisgau: Johannes, 2008.

44 evangelikale missiologie 31[2015]1 sophie. Sie erreicht ihren Scharnierpunkt zwischen der Mission Gottes und der- in Nietzsches Dialog mit Kierkegaard jenigen der Gemeinde, welche in Tho- und Dostojewski, einem Dialog zwi- mas von Aquins Denksystem sehr schen zwei Weltanschauungen, der augenfällig war. christlichen und der nicht-christlichen.33 Henrici sieht von Balthasars Werk als Rezeption durch die Protes- Theologie der europäischen Kultur. 34 tanten und die ökumenische Seine Originalität besteht Bewegung in der Formulierung einer ... eine trinitarischen Theologie Die Reformatoren reagieren auf die Spe- trinitarische als Resultat eines Dialogs kulationen der scholastischen Theologie Theologie als zwischen Fundamental- über die Trinität. Sie verweisen auf Au- Resultat eines theologie und Kultur. Für gustins Warnung, die äußeren Werke der Dialoges Balthasar sind das Trinität nicht aufzutrennen. Ganz auf zwischen menschliche Wesen und dieser reformatorischen Linie bemerkt Fundamental- das metaphysische Wesen Jacques Matthey: „Wer sind wir, dass wir das innere Leben Gottes kennen könn- theologie und dialogisch. Henrici fasst 36 Kultur. diesen Aspekt von Bal- ten?“ Demzufolge haben die Reforma- thasars Trilogie so zusam- toren wenig über die immanente Trinität men: nachgedacht. Nichtsdestoweniger ist für ... die Die Dialektik ist einsam, wie jedes andere reine Denken; erst im Dialog öffnet sich der Martin Luther (1483–1546) Gemeinde und Mensch für das Sein des Andern und damit Mission das Werk des drei- jeder getaufte auch für Gott. Jedes Drama ist wesentlich einen Gottes und ihr Ziel der Gläubige dialogisch, und weil sich die Theologische Aufbau des Reiches Gottes. als göttliche Ästhetik auf das Dialogische des Seins und In der Perspektive des all- Werkzeuge in auf den innertrinitarischen Dialog zwischen gemeinen Priestertums aller der Mission. Vater und Sohn hin öffnet, deshalb bereitet Gläubigen sieht Luther die sie auf die Theodramatik vor, in der sie Gemeinde und jeden getauften Gläu- auch ihre Erfüllung findet. Sinn der Theo- bigen als göttliche Werkzeuge in der logik aber ist es, diese Denkbewegung zu Mission.37 Aus den gleichen Gründen ist rechtfertigen und zwar wiederum trinita- die Theologie von Johannes Calvin risch. … Indem alles geschichtliche und (1509-1564) über die Trinitätslehre so dramatische Geschehen als Ausfluss und wenig spekulativ, dass Pierre Caroli, ein Ausdruck des in Liebe handelnden Gottes protestantischer Pfarrer von Lausanne, gesehen wird, erhält sowohl die europäische Calvin, Viret und Farel 1536 des Aria- Geistesgeschichte wie auch die abendlän- dische Dramenliteratur eine Neuinter- pretation, welche ihr eigentliches tieferes 36 Jacques Matthey, „God’s Mission Today: Wesen erst sichtbar macht.35 Summary and Conclusions“, International Review of Mission 92, 4, 2003, 582. In von Balthasars Reflexion finden wir 37 Vgl. James A. Scherer, ed., Gospel, Church, nicht mehr die Dichotomie zwischen and Kingdom: Comparative Studies in World inner- und außertrinitarischem Dialog, Mission Theology, Minneapolis: Augsburg Publi- shing House, 1987, 55; idem, „The Lutheran Missionary Idea in Historical Perspective“, in That 33 Von Balthasar, Herrlichkeit, zusammengefasst the Gospel May Be Sincerely Preached throughout in Henrici, „Trilogie,“ 122. the World: A Lutheran Perspective on Mission and 34 So der Untertitel von Henricis Artikel Evangelism in the 20th Century, ed. James A. „Trilogie.“ Scherer, Stuttgart: Kreuz, 1982, 1–29. 35 Henrici, „Trilogie“, 126.

evangelikale missiologie 31[2015]1 45 nismus 38 anklagte. Die protestantische offenbarte Gott nicht vom verborgenen Diskussion über die Missio Dei begann Gott verschieden sein. Busch fasst diesen erst mit Karl Barths wichtigem Beitrag. Tatbestand folgendermaßen zusammen: Im Folgenden wird deshalb die Be- Barth distanzierte sich mutig von einer ziehung zwischen Trinität und Mission in langen Tradition durch die Radikalität der dialektischen Theologie Karl Barths seiner Konzeption: In allen seinen Werken betrachtet und dann im zweiten Teil ein ist Gott kein anderer als der Gott, welcher kurzer historischer Überblick über die sich in Jesus Christus offenbart, selbst in Einführung des Begriffs Missio Dei in seinem Werk der Schöpfung und der der ökumenischen und der evangelikalen Vollendung, gemäß der alten Regel, welche Bewegung gegeben. Barth lieb war, opera trinitatis ad extra sunt indivisa … Selbst wenn man eine Karl Barths trinitarische Theologie Unterscheidung zwischen Gott „a se“ [an 39 sich] und Gott „pro nobis“ [für uns], In seiner Kirchlichen Dogmatik, ver- zwischen dem „verborgenen Gott“ und dem fasst ab dem Jahre 1931, nimmt Karl „geoffenbarten Gott“ aufrecht erhalten muss Barth (1886–1968) die katholische Trini- … selbst wenn Barth von der „Aseität“41 tätslehre kritisch auf. Mehr als andere Gottes sprechen kann, muss man strikte protestantische Theologen nimmt er schließen, dass der verborgene Gott „a se“ Bezug auf sie, behandelt sie aber doch derselbe ist wie der geoffenbarte Gott „pro bemerkenswert unabhängig von ihr. nobis.“42 Eberhard Busch, der das Vorwort zum Indem Barth davon ausgeht, dass der letzten Band der französischen Ausgabe ewige Gott an sich Vater, Sohn und Geist der Kirchlichen Dogmatik verfasst hat, ist, vermeidet er jede Spur von Moda- schreibt über Barth: lismus. Durch diesen Ansatz distanziert Seine Trinitätslehre stellt in dem Maße sich Barth nicht nur von der einen Schlusspunkt der traditionellen Leh- Unterscheidung zwischen Die Sendung ren dar, als diese Gott jenseits der Offen- immanenter und ökonomi- der göttlichen barung behandelten … Die Kirchliche scher Trinität, sondern auch Personen Dogmatik zeigt gleichzeitig eine große von der Konzeption der Nähe zur theologischen Tradition und eine wird damit zur 40 „psychologischen Analogie“ Grundlage große Freiheit von ihr. (analogia entis), welch eine Barth gründet seine ganze Theologie auf von Gottes logische Konsequenz der Offenbarung. die Offenbarung. Für ihn kann der ersteren ist. Die Sendung der göttlichen Personen wird 38 Der Arianismus ist die Häresie von Arius, die damit zur Grundlage von Gottes Of- am Konzil von Nizäa (325) verurteilt wurde, fenbarung. Barth reserviert damit Gottes entsprechend welcher der Sohn nicht ewig ist und Offenbarung und dem Heilsplan einen nicht dieselbe Natur besitzt wie der Vater. Der privilegierten Platz in seiner Theologie. Sohn hat nach dieser Lehre einen Zwischenstatus Für Barth geht die göttliche Offenbarung zwischen Gott und den Menschen. Calvin ver- teidigte seine Position von der Trinitätslehre in ausschließlich vom Wesen und Handeln Confessio de Trinitate propter calumnias P. Caroli. Gottes selbst aus. Bezug nehmend auf 39 Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik, 4 Bde., seine Kontroverse über göttliche Offen- Zollikon: Verlag der Evangelischen Buchhandlung, barung und menschliche Antwort mit 1938–1989 (fortan abgekürzt KD). Brunner stellt Barth fest: 40 Eberhard Busch, „Un Magnificat perpétuel“, in Barth, Dogmatique. Index général et textes choisis, 1980, 18 (meine Übersetzung, Hervorhebung im 41 Vom lateinischen Deus a se „Gott an sich.“ Original). Dieses Vorwort existiert nur in der 42 Busch, „Un Magnificat perpétuel“, 22 (meine französischen Fassung. Übersetzung).

46 evangelikale missiologie 31[2015]1 Es war uns verwehrt, bei Gott zwar die fidei) ein. 46 Durch die Beziehung zwi- Wirklichkeit, beim Menschen aber eine schen dem dreieinen Gott und dem Möglichkeit für die Offenbarung festzu- menschlichen Wesen, das in seinem stellen, das Ereignis Gott, das Organ oder Bilde geschaffen ist, gibt es eine An- den Anknüpfungspunkt dafür aber dem näherung der beiden trotz der radikalen Menschen zuzuschreiben. … Sondern Dichotomie zwischen dem Schöpfer und indem wir uns an die Heilige Schrift als an seinem Geschöpf. In diesem das für uns maßgebende Zeugnis von der Sinn kann Barth von der Der Offenbarung halten wollten, sahen wir uns christlichen Theologie als wiedergeborene genötigt, uns sagen zu lassen, dass nicht nur einer „Theanthropologie“ Mensch erhält an das Objektive, sondern auch das Subjektive 47 in der Offenbarung … das Sein und sprechen. Der wiederge- der Seite Gottes Handeln des sich offenbarenden Gottes borene Mensch erhält an eine vornehme selbst und ganz allein ist.43 der Seite Gottes eine vor- Aufgabe. nehme Aufgabe: Wenn aber Gott sich uns offenbart, muss der Mensch fähig sein, diese Offen- Und nun kann Alles, was über unsere barung im Glauben zu empfangen. Trotz Anteilhabe an Jesu Christi Sein und Werk der Tatsache, dass Barth sich strikte hier in der Tiefe als solcher zu sagen ist, weigert, in die Logik der natürlichen eigentlich nur darin bestehen: Es liegt in 44 dem Wesen dessen, was dort in Gott Theologie einzutreten und sich in die- geschieht in ewiger Fortsetzung der in der sem Punkt Emil Brunner vehement Zeit vollbrachten Versöhnung und Offen- widersetzt, muss er doch eine gewisse barung, dass es in voller Realität auch hier, Korrespondenz zwischen Gott und dem auch an und in uns geschieht: angesichts menschlichen Wesen, gewissermaßen und trotz dessen, was wir, solange Dort und 45 einen „Anknüpfungspunkt,“ voraus- Hier noch ein Zweierlei bedeuten, an und in setzen. Um dies zu bewerkstelligen, und uns selber sind. Es muss dies unsere dies strikt in der Perspektive des sola Anteilhabe zu Jesu Christi Sein und Werk fide der Reformatoren, führt Barth die nicht erst hinzukommen als ein Zweites, „Analogie des Glaubens“ (analogia sondern es ist als das Eine was vollbracht werden muss, ganz und gar in ihm vollbracht.48 43 KD I/2, 305. 44 Barth’s Definition der natürlichen Theologie In dieser Teilnahme an Gottes Werk, erlaubt es, seine Position zu verstehen: „Natürliche welches im Wesentlichen dasjenige von Theologie ist die Lehre von einer auch ohne Gottes Christus ist, besteht die Aufgabe des Offenbarung in Jesus Christus bestehenden Gott- verbundenheit des Menschen; sie entwickelt die auf Grund dieser selbständigen Gottverbundenheit 46 Von Balthasar bemerkt dazu, dass Augustins mögliche und wirkliche Gotteserkenntnis und psychologische Analogie (analogia entis) und deren Konsequenzen für das ganze Verhältnis von Barths Analogie des Glaubens (analogia fidei) Gott, Welt und Mensch. … Die natürliche einander nicht ausschliessen, sondern komplemen- Theologie ohne das Streben nach der Allein- tär sind, in dem das letztere das erstere einschliesst. herrschaft wäre nicht die natürliche Theologie.“ Hans Urs von Balthasar, „Analogia fidei,“ in Karl KD II/1, 189, 195. Barth: Darstellung und Deutung seiner Theologie, Olten: Summa, 1951, 116–124. Fünf Jahre später 45 Siehe seine Diskussion dazu in KD I/2, 619, mit scheint Barth sich der Position von Balthasars einem Zitat von W. Gass, Geschichte der protes- angenähert zu haben. Karl Barth, „Die Mensch- tantischen Dogmatik: In ihrem Zusammenhang mit lichkeit Gottes“, Vortrag gehalten an der Tagung Theologie überhaupt, Bd. 2, Berlin: Reimer, 1854, des Schweizer Reformierten Pfarrvereins in Aarau p. 88. Zu Brunners Position bezüglich „Anknüp- am 25. Sept. 1956, in Menschlichkeit, Zollikon- fungspunkt“ siehe Emil Brunner, „Die Frage nach Zürich: Evangelischer Verlag, 1956, 18–42. dem ‘Anknüpfungspunkt’ als Problem der Theo- logie,“ Zwischen den Zeiten 10, 1932, 505–509. 47 Barth, „Die Menschlichkeit Gottes.“ 48 KD II/1, 176. evangelikale missiologie 31[2015]1 47 wiedergeborenen Menschen im Dienst sen, deren Zeugnis nicht nach dem Maß an Gott in Gemeinschaft mit ihm. ihrer Kraft werbend und gewinnend Und wenn Gott es fordert und möglich gewesen ist, [wird] in der Wiederkunft und macht, dass ihm durch die Kreatur gedient Endoffenbarung des Herrn, in der Finsternis wird, so bedeutet dieses Dienen selbst und draußen stehen, dort, wo statt des ver- heißenen Freudenfestes nur Heulen und als solches ein Hineingenommenwerden der 53 Kreatur in die göttliche Herrschaftssphäre. Zähneknirschen sein kann. Wenn man nur nicht aufhört, sich vor Indem sich Barth von der Dichotomie Augen zu halten, dass die Herrlichkeit zwischen immanenter und ökonomischer Gottes genuin seine Selbsthingabe ist, dass Trinität distanziert, wertet er indirekt die diese ihre Mitte und ihren Sinn in Gottes Sendung des Volkes Gottes auf. Diese Sohn Jesus Christus hat und dass der Name Gewichtsverlagerung betrifft zunächst Jesus Christus eben das Ereignis bezeichnet, Gott selbst: Er wird zu einem „missiona- dass der Mensch und im Menschen die rischen“ Gott; 54 durch die ganze Kreatur zur Teilnahme am Wesen Gemeinschaft mit ihm wird Gott wird Gottes erweckt, berufen und befähigt wird, die christliche Gemeinde zu … [Hier muss gesagt werden,] dass die einer missionarischen Ge- zu einem Selbstkundgabe Gottes in der Weise meinde; schließlich wird für missionarischen Wahrheit und Wirklichkeit, d. h. aber dass Barth Theologie zu einer Gott. Gott selbst in der Weise Gott ist, dass er die trinitarischen und missiona- Kreatur als Kreatur bei sich haben, dass er 55 nicht ohne sie: nicht ohne sie in Anspruch rischen Theologie. Trotz der negativen zu nehmen, aber eben darum auch nicht Wahrnehmung Brunners, der Barth ange- ohne ihr persönlich gegenwärtig zu sein, klagt hatte, als Theologe nur für die Gott sein will.49 Kirche zu denken, während er, Brunner, als Missionstheologe denke,56 scheint es Diese Teilnahme dehnt sich notwendi- Barth zu gelingen, verschiedene bisher gerweise auf die christliche Gemeinde getrennt gedachte Konzepte zusammen aus, welche Barth als missionarische Ge- meinde sieht: „Die Gemeinde als solche ist eine missionarische Gemeinde oder 53 KD III/2, 610 (Hervorhebung im Original). sie ist nicht christliche Gemeinde.“ 50 54 Barth selber benützt diesen Begriff ganz im Und weiter: Mission, welche „die Sen- Gegensatz zu anderen bekannten Theologen nie, dung oder Aussendung zu den Nationen z.B. John Stott, „Our God is a Missionary God“, in The Contemporary Christian: Applying God’s ist, um das Evangelium zu bezeugen“, ist Word to Today’s World, vol. 2, Leicester, UK: die „wirkliche Wurzel der Existenz und IVP, 1992; Samuel Escobar, „We Believe in a deshalb auch des ganzen Dienstes der Missionary God“, in A Time for Mission, Leicester, Gemeinde.“ 51 Das Reich Gottes anzu- UK: IVP, 2003. kündigen ist die authentische Aufgabe 55 KD IV/4, 110. der Gemeinde, ihr „opus proprium.“52 56 Emil Brunner, „Toward a Missionary Nicht dieser Berufung entsprechend zu Theology“, Christian Century 66, 27, 1949, 817. leben, hat ernsthafte Konsequenzen für Siehe auch seine autobiographische Bemerkung: „Im Unterschied zu Barth … war mein theolo- die Gemeinde: gisches Denken von Beginn an beherrscht vom [D]ie Gemeinde, die in der Zwischenzeit Streben danach, das Evangelium den ‚Heidenʻ zu nicht als solche Missionsgemeinde gewe- predigen. … Dies war der Grund, warum ich mich so fest für den ‚Anknüpfungspunkt‘ zwischen dem Geist des Menschen als solchem (was die 49 KD II/1, 756. Theologen den ‚natürlichen Menschen‘ nennen) 50 KD III/4, 578. und dem Wort Gottes interessierte.“ Emil Brunner, 51 KD IV/3, 2, 981. „A Spiritual Autobiography“, Japan Christian Quarterly Juli 1955, 242. 52 KD III/4, 579.

48 evangelikale missiologie 31[2015]1 Theologie betreiben, zu denken: Gottes Sein und Handeln, sichtlich einen anderen Ansatz als ob nichts Gemeinde und Mission, Gott und gewählt. Für Barth ist der passiert wäre? Mensch zusammen in der Aufgabe der elsässische Benediktinermönch Versöhnung. Barths dialektische Theo- ein Vorbild, der während des ersten logie mit ihrer kategorischen Ablehnung Weltkriegs ein Magnifikat zelebriert, einer natürlichen Theologie und weit während eine französische Bombe weg von den Realitäten der Mission durchs Dach seines Klosters schlägt. 59 wahrgenommen, scheint trotz allem eine Für Barth muss Theologie betrieben trinitarische Begründung der Mission zu werden „als ob nichts passiert wäre.“60 ermöglichen.57 Im Gegensatz dazu, und ganz dem Barths Einfluss auf den katholischen Beispiel der Kirchenväter folgend, Theologen Karl Rahner (1904-1984) beginnt von Balthasar seine Trilogie mit wird nach Vatikan II sichtbar. Rahner einer Analyse der europäischen Geistes- nimmt Barths Konzeption der Offenba- geschichte. rung und der Trinität auf und formuliert Ausblick auf Teil 2 folgende These: Die ökonomische Trini- tät ist die immanente Trinität und umge- Im zweiten Teil werden die Ent- kehrt.58 Barth selber geht nicht so weit. wicklungen in der ökumenischen Be- Für ihn ist Gott der Schöpfer der völlig wegung ab der Mitte des 20. Jahr- Andere. In diesem Sinn kann Barth von hunderts, d.h. ab der Missionskonferenz der „Aseität“ Gottes sprechen. Obwohl in Willingen (1952) aufgezeigt. Dann Rahner und Barth die Offenbarung werden drei Vertreter der evangelikalen ähnlich sehen, sind Ausgangspunkt und Bewegung besprochen, welche das Methode verschieden. Während Barth Konzept der Missio Dei in ihre seinen Akzent auf Gottes Offenbarung trinitarische Begründung der Mission legt, vertritt Rahner die Meinung, dass aufgenommen haben: Christopher alle theologischen Aussagen grund- Wright mit seiner messianischen und sätzlich anthropologisch sind. Das heißt, missionarischen Hermeneutik, Timothy dass für Rahner der Mensch in seiner Tennent, der auf der Basis einer missio- Transzendenz Ausgangspunkt für alle narischen Hermeneutik eine trinitarische theologische Reflexion ist. Missiologie entwickelt, und Thomas Im Vergleich zu Hans Urs von Balthasar Schirrmacher, der seinen Akzent auf eine hat Barth, was die Beziehung zwischen biblisch-theologische Begründung der Theologie und Kultur betrifft, offen- Missio Dei legt. Dann versuchen wir eine abschließende Beurteilung und eine Anwendung im Unser Vater Gebet. 57 Für eine detailliertere Diskussion von Karl Barths Theologie in der Perspektive der Missio Dei siehe die Ph.D. Thesis von John G. Flett, The 59 Karl Barth, Das Wort Gottes und die Theologie: Witness of God: The Trinity, Missio Dei, Karl Gesammelte Vorträge 1, München: Kaiser, 1924, Barth, and the Nature of Christian Community, 109. Grand Rapids, MI: Eerdmans, 2010. 60 Karl Barth, Theologische Existenz Heute, Heft 58 Karl Rahner, The Trinity, Freiburg-im-Breisgau: 1, 1933, 3, zitiert in Busch, „Un Magnificat Herder & Herder, 1970, 22. perpétuel“, 9.

evangelikale missiologie 31[2015]1 49 Rezensionen

Edith Franke (Hg.), Religiöse Minder- Anhand des religiösen Spektrums Vene- heiten und gesellschaftlicher Wandel, zuelas weist Ernst Halbmayer nach, dass Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, religiöse Identität nicht immer mit der 2014. 252 Seiten. 48,00 Euro. ethnischen Zugehörigkeit korreliert und Der vorliegende Band dokumentiert die durch die „indigene Kreolisierung“ ein Gründungstagung des Zentrums für eigener soziokultureller Faktor im Land Interdisziplinäre Religionsforschung im geworden ist. Kerstin Zimmer und Jahr 2010. Herausgeberin ist Edith Mathias Bös gehen der Frage nach, wie Franke, Professorin für Allgemeine und ethnische Juden in der Ukraine von Vergleichende Religionswissenschaft an ausländischen jüdischen Organisationen der Philipps-Universität Marburg. Ge- beeinflusst und transnational in verschie- mäß dem Anliegen des Forschungs- dene Länder gleichzeitig eingebunden zentrums, religiöse Traditionen und werden. Während Anne Jäger-Gogoll mit Phänomene fachübergreifend in ihren ihrem Beitrag den besonderen Einfluss verschiedenen Kontexten zu erforschen, deutsch-jüdischer Literatur bis zur Nach- bietet der Sammelband achtzehn Bei- kriegszeit von ihrem Peripheriestatus her träge aus diversen Fachbereichen. Allen deutet, analysiert Angela Standhartinger gemeinsam ist der Fragekomplex, wel- die Selbst- und Fremdwahrnehmung des che Diskurse und Wandlungsprozesse hellenistischen Judentums anhand des religiöse Gruppierungen in und mit der antiken Romans „Joseph und Aseneth“. Gesellschaft durchleben, und wie dabei Danach gibt Sonja Fielitz Einblick in die Minderheiten und Mehrheiten zueinan- Shakespeare-Forschung und inwiefern der stehen. der bekannte Autor sein katholisches Erbe sowie die religionspolitischen Hubert Seiwert untersucht in seinem Umwälzungen seiner Zeit theatralisch Beitrag das staatliche Toleranzkonzept verarbeitet hat. Wolf Friedrich Schäufele Chinas und den Einfluss von non- hingegen untersucht die Geschichte konformen religiösen Minderheiten auf Frankfurts a.M. und zeigt, wie die luthe- die Gesellschaft. Wie begrenzt das Kon- risch geprägte Reichsstadt in der frühen zept der „Minderheit“ ist, zeigt Jürgen Neuzeit mit reformierten und jüdischen Hanneder anhand des indischen Kasten- Minderheiten umging. systems und dessen pragmatischer Inte- gration von nonkonformen Mehrheits- Ausgehend vom deutschen Kontext er- gruppierungen. Edith Franke und Leyla weitert Jörg Lauster den Begriff der Jagiella hingegen beleuchten, wie die „religiösen Minderheiten“ um das Kon- muslimische Mehrheit Indonesiens auf zept der „Minorisierungsängste“, bei der Basis einer semi-säkularen Ver- dem die Großkirchen mit ihrem Eigen- fassung mit religiös-sozialen Spannun- anspruch und weiterer gesellschaftlicher gen umgeht. Leslie Tramontini belegt, Anpassung ringen. Winfried Schröder er- wie sehr in Malaysia innermuslimische forscht die Geschichte des Atheismus- Diskurse über den „wahren“ Islam die begriffs und wie sehr pathologische Zu- Beziehungen zwischen den Ethnien und schreibungen eine negative Wort- Religionen beeinflussen. Christoph Wer- konnotation begünstigt haben. Thomas ner untersucht, wie die historische Noetzel behandelt die politische Seite Identität der Schiiten im Iran mit ihrer religiöser Systeme, indem er religiöse heutigen Intoleranz gegenüber religiösen und politische Unterscheidungslogiken Minderheiten verbunden ist. vergleicht und den säkularen Staat als

50 evangelikale missiologie 31[2015]1 passenden Rahmen deutet, der normative sondern eine grundlegende Herausfor- Grundprobleme offen lässt und Religio- derung des 21. Jahrhunderts darstellt, bei nen für ihre politische Teilhabe zur dem das westliche Kultursystem mit Selbstsäkularisierung bewegt. seinem funktionalen Pluralismus weiter Rachid Ouaissa untersucht die Entwick- um Antworten ringt. lung islamistischer Massenbewegungen Der Sammelband ist für jeden interes- im Nahen Osten, ihre strategische Ein- sant, der sich allgemein für das Themen- bindung der Mittelschichten und ihre feld „Religiöse Minderheiten und gesell- aktuelle Phase der Entideologisierung schaftlicher Wandel“ oder für die einzel- und Individualisierung. Christoph Elsas nen Themen interessiert (Minderheiten erörtert die Konzepte „Assimilation“ und im Islam, soziologische und religions- „Integration“ in ihrer religionswissen- wissenschaftliche Theorien, Säkularisie- schaftlichen Relevanz. Udo Kelle re- rung, usw.). Die Artikel regen zum flektiert methodologische Fragestellun- kritischen Nachdenken an, reflektieren gen für die qualitative Sozialforschung in alte und neue Ansätze und bieten Aus- religiösen Minderheitenmilieus, proble- gangspunkte für die weitere Forschung. matisiert den weitläufigen Begriff des Bemerkenswert ist zudem die interdis- „Fundamentalismus“ und gibt Hinweise ziplinäre Methodenvielfalt, von der sich für zukünftige Forschungsprojekte. Im Vieles sicherlich auch für die missio- letzten Beitrag analysieren Sebastian logische bzw. theologische Forschung Murken und Franziska Dambacher die nutzbar machen ließe. Insgesamt also ein gesellschaftliche Wahrnehmung und vielseitiger, anspruchsvoller und lesens- Stigmatisierung von Sekten bzw. Neuen werter Sammelband! Religiösen Bewegungen und geben Im- Daniel Vullriede, M.A., Missionar in pulse zur Differenzierung. Italien mit Forum Wiedenest e.V. Die Stärke dieses Fachbuchs liegt in Jürgen Schuster, in seiner interdisziplinären Breite, mit der Eschatological Perspective: Lesslie es tiefe Einblicke in die Dynamiken von Newbigin's Contribution (edition afem Religionen, Gesellschaften und säku- laren Traditionen sowie in die aktuelle mission academics 29) Nürnberg: VTR Forschung der einzelnen Fachbereiche Publications, Bonn: VKW Culture bietet. Die Autoren verweisen in Fuß- and Science Publications, 2009. 275 noten und Bibliographien auf weitere Seiten. 24,80 Euro. Fachliteratur und präsentieren ihre Er- In dem auf seiner 2007 erschienenen gebnisse fast durchweg auf hohem Dissertation basierenden Buch gelingt es Niveau, sodass zum besseren Text- Jürgen Schuster (geb. 1957) die viel- verständnis mitunter auch fachliches seitigen Gedankengänge des einfluss- Vorwissen hilfreich ist. reichen Missionstheologen und Bischofs Auffallend ist das Bemühen der Autoren, J. E. Lesslie Newbigin (1909–1998) un- konsequent auf einer deskriptiven Ebene ter dem Gesichtspunkt der Eschatologie zu arbeiten. Trotzdem werden immer in ein sinnvolles Gesamtgefüge einzu- wieder (fast unfreiwillig) normative ordnen. Ziel seines in Englisch ver- Fragestellungen aufgeworfen, sei es fassten und 2011 mit dem George W. beim Offenlegen der eigenen Axiome Peters Preis ausgezeichneten Werkes ist oder bei der Bewertung der Forschungs- es, aufzuzeigen, welche Implikationen resultate. So wird deutlich, dass die Newbigins Verständnis des Reiches Beschäftigung mit religiösen Minder- Gottes in seiner eschatologischen Span- heiten nicht nur ein Modethema ist, nung für seine Missionstheologie hat. Schuster resümiert, dass sich wesentliche evangelikale missiologie 31[2015]1 51 missionstheologische Themen bei New- Schusters, Newbigins Eschatologie als bigin aus dessen Deutung des Reiches Klammer für seine Missionstheologie Gottes in eschatologischer Spannung heranzuziehen. Ein Nachteil der Metho- ableiten lassen. Diese sind (a) eine Be- dik ist meiner Meinung nach der Wie- tonung des Evangeliums als öffentliche derholungseffekt, welcher durch die Wahrheit (public truth), (b) ein escha- Betrachtung des gleichen Themas aus tologischer Schwerpunkt in der Ekkle- drei Perspektiven beim Leser erzeugt siologie (sign, instrument and firstfruit), wird. (c) ein holistisches Missionsverständnis Inhaltlich bildet Kapitel 4 (155–170) den (word and deed), (d) missionarisches Höhepunkt des eben beschriebenen Zeugnis im religiösen Pluralismus und Teils. Gelingt es Schuster doch darin, die (e) eine an der Eschatologie orientierte einzelnen Bausteine zu einem geordne- Epistemologie (eschatological epistemo- ten und anschaulichen Ganzen zusam- logy). menzufügen (Grafik auf Seite 169!). Das Werk setzt voraus, dass der Leser Angesichts der vielfältigen Themen der mit der Biographie Newbigins vertraut zahlreichen Schriften Newbigins (Schus- ist und verzichtet daher auf eine Dar- ter sichtete etwa 150 Primärquellen!), die stellung seines Lebenslaufes. An einigen hier in komprimierter Form dargeboten Stellen werden jedoch hilfreiche Ver- werden, ist dieses Kapitel als Kompass weise auf biographische Umstände für Einsteiger sehr zu empfehlen. geboten, die dem Verständnis der theo- Newbigins Missionstheogie wird darin logischen Sachverhalte dienlich sind. trinitarisch entfaltet: Gott, der Vater, ist Methodisch beginnt Schuster sinnvoller es, der die universale Geschichte be- Weise mit der Darstellung des histo- ginnend mit der Schöpfung mit der rischen und theologischen Rahmens der Menschheit schreibt. Sie zielt auf deren Diskussion um „Reich Gottes und Einheit in Gottes Shalom ab. Dieser Mission“ und beschränkt sich dabei auf wurde verloren durch die als Ent- das für seine Analyse relevante 20. fremdung zwischen (a) Mensch und Jahrhundert mit dessen einschlägigen Gott, (b) Mensch und Mitmensch, sowie Missionskonferenzen. In den folgenden (c) Mensch und Natur verstandene Sünde drei Kapiteln widmet sich Schuster ganz (155). Gott, der Sohn, tritt in seiner dem Newbigin'schen Verständnis des Inkarnation als das Zentrum und Reiches Gottes und zwar anhand einer zugleich als die Wende der Geschichte (a) diachronen Analyse seiner frühen Gottes mit der Welt auf. Die Inkarnation Werke, einer (b) synchronen Analyse stellt dabei einen öffentlichen, his- seiner Werke ab den 1960er Jahren und torischen Fakt dar. Die Rettung, die einer (c) abschließenden systematischen durch Jesus vollzogen wurde, wird in Zusammenfassung und Einordnung des ihrer Partikularität zwar als Stolperstein Themas in den größeren Kontext seiner für das (post)moderne Denken beschrie- Missionstheologie. Eine wichtige Er- ben, mithilfe der für Newbigin ent- kenntnis dieses mit 124 Seiten fast die scheidenden Erwählungslehre jedoch Hälfte des Buches ausmachenden Teils dennoch als Partikularität mit kosmi- ist der Erweis der Kontinuität der escha- schen Auswirkungen festgehalten. Der tologischen Ausrichtung des missions- universale Rettungswille des Vaters wird theologischen Denkens des Bischofs. mit der partikularen, historisch greif- Dass sich die eschatologischen Bezüge baren Rettung durch den Sohn ver- von den frühen bis zu den späten bunden, indem die Lehre von der Er- Schriften Newbigins finden lassen, wählung als Verlinkung dient. Gott, der spricht deutlich für die Entscheidung Heilige Geist, wird als Garantie und

52 evangelikale missiologie 31[2015]1 Vorgeschmack auf das Ende dargestellt, thing in any kind of missiology must be der zugleich die Mission Gottes anleitet, praise. The gospel begins with an der Mission der Gemeinde vorausgeht. immense explosion of praise. […] And Die Gemeinde selbst ist erwählt, um mission is surely essentially and Zeugnis abzulegen. Das Reich-Gottes- primarily an overflow of praise.“ gerecht Verständnis Newbigins grenzt sich ab zu werden. von der optimistischen Vorstellung eines Timo Doetsch, M.A., durch menschlichen Fortschritt herbei- Jugendreferent in Dresden führbaren Reiches, von der symbolischen Vorstellung einer realisierten Escha- Roger Boase (ed.), Islam and Global tologie à la C.H. Dodd sowie von der Dialogue: Religious Pluralism and the Dichotomie zwischen einer rein sozialen Pursuit of Peace. Farnham: Ashgate, oder einer rein individualistischen Auf- 2005. 310 Seiten. 17, 99 US-Dollar. fassung in Bezug auf das eschatologische In diesem Werk erkunden 20 Autoren Reich (163). Dem hält Newbigin seine wie sich der Islam als religiöse Be- Sicht des Reiches Gottes als einem in wegung auf den interreligiösen Dialog eschatologischer Spannung stehendem eingelassen hat. Roger Boase war Pro- Phänomen zwischen zukünftiger kos- fessor an der Universität in Fez / mischer Neuschöpfung durch Gott und Marokko, bevor er an die Universität in proleptischer Vorwegnahme des Escha- London wechselte. Seine Stellung- tons in der Gegenwart vor, welche sich nahmen lassen darauf schließen, dass er auf die greifbaren historischen Fakten selbst Moslem ist. Er hat ein buntes der Inkarnation Jesu gründet. Gemisch an Autoren zum Thema „Islam Typische, eingangs genannte Themen und religiöser Pluralismus“ gesammelt. Newbigins, werden im darauffolgenden Dabei ist der erste Hauptteil des Buchs Kapitel 5 (171–235) allesamt von der (S. 77–190) dem Islam und seiner Be- Eschatologie her beleuchtet und be- ziehung zum Westen im Hinblick auf gründet. Schuster macht so deutlich, dass Huntington’s Clash of Civilization and Newbigins Eschatologie eindeutig Im- the Remaking of World Order (1996) plikationen für seine Missionstheologie gewidmet. Der zweite Hauptteil (S. 191- hat. Das ist für ein Kennenlernen seiner 273) beschäftigt sich mit jüdischen, Theologie ein sehr wertvoller Beitrag. christlichen und islamischen Antworten Dies ist gerade auch deswegen der Fall, auf religiöse Unterschiedlichkeit. Ab- weil Schuster Newbigin bewusst viel zu schließend – wie auch implizit über dem Wort kommen lässt durch ausführliche ganzen Werk – steht der Appell, reli- Zitate. Eine deutsche Übersetzung des giösen Pluralismus als Chance und als Werkes wäre wünschenswert, um die im Ausdruck menschlicher und göttlicher Vergleich zur angelsächsischen Welt Vielfarbigkeit zu sehen. schwächere oder nur indirekte Rezeption Der erste Hauptteil wird durch John Newbigins zu beleben. Bowden, Herausgeber der SCM Press, Dass die Eschatologie einen hilfreichen eröffnet, der die Leser zum historischen Rahmen darstellt, um das Bild des viel- Ursprung des religiösen Pluralismus im seitigen missionstheologischen Schaf- Rahmen der Aufklärung hinführt (S. 13– fens des Bischofs zu erfassen, steht nach 20). Diana L. Eck, Indian studies Har- Schusters Werk außer Frage. Es bleibt vard University, definiert den Exklusi- jedoch die Frage, ob die doxologische vismus, Inklusivismus und Pluralismus Dimension als „Nagel“, an dem das Bild als die drei philosophischen Kernströ- hängt, nicht mitgedacht werden muss, mungen religiöser Ausprägung (S. 21– um der Aussage Newbigins: „The first 50). Die christlich evangelikale Be- evangelikale missiologie 31[2015]1 53 wegung wird dabei im Spektrum von verstandene Begriff jihad und die daraus extrem exklusivistischen – teils auch resultierenden Aktivitäten werden als fundamentalistisch genannt – bis hin zu Ursache für die ablehnende Haltung des wenig exklusivistischen Gruppen, die Westens gegenüber dem Islam gewertet sich selbst als Ausdruck religiöser Plu- (S. 147). ralität verstehen, gesehen. Solche Im zweiten Hauptteil kommt der Spektren bilden sich in allen Religionen. christlich-jüdisch-muslimische Trialog Das Bild des Westens im Islam wird von ins Gespräch. Tony Bayfield, Direktor verschiedenen Blickwinkeln aus betrach- der reformierten Synagogen im Ver- tet. William Dalrymple, Historiker und einigten Königreich (UK), weist darauf Schriftsteller, führt in die Welt der hin, dass der 11. September 2001 ein christlichen Heiligen und der isla- Angriff auf alles religiöse Denken war mischen Sufiten ein (S. 91–101). Dabei (S. 191–202). Er beschreibt das Dilem- enthüllt er Gemeinsamkeiten im langen ma: Judentum, Christentum und Islam Miteinander beider Religionen. Er sind für ihn eng verwandt, stellen aber kommt zu dem Schluss, je länger man die am schlechtesten funktionierende das orthodoxe Ostkirchentum studiere, Verwandtschaft dar, die man sich vor- desto mehr werde deutlich, wie sehr es stellen kann. Keine dieser drei mono- die Grundlage fundamentaler islamischer theistischen Schriftreligionen hält sich an Inhalte darstelle (S. 96). Gerade in Ost- die Forderungen ihrer eigenen Schriften, anatolien (Levante) und im Nahen Osten sich um Frieden zu bemühen. Das Juden- ist dieser christlich-islamische Synkre- tum kritisiert er für seine absolute Theo- tismus seiner Meinung nach tief logie der Erwählung und Einzigartigkeit. verankert. Akbar S. Ahmed, Islamic Er sieht eine Tendenz aller drei Reli- studies an der American University gionen hin zum Fundamentalismus. Washington, ist weltweit bekannt für Zuletzt verweist er auf die Ausbeutung seinen Einsatz zum öffentlichen Dialog der Dritten Welt durch das Christentum zwischen Islam und den anderen und den postchristlichen Westen. Murad Religionen (S. 103–118). Sein Beitrag Wilfried Hofmann, ein deutscher Dip- geht davon aus, dass sich Moslems lomat und Autor in Algerien und ablehnend gegenüber dem Westen Marokko, der zum Islam konvertierte, verhalten, weil die Leistungen des Islam verteidigt die „zurückhaltende“ Stellung dort nicht beachtet werden (S. 106–107). des Islam in Hinblick auf den religiösen Antony T. Sullivan, Lehrer am Institut für Dialog (235–246). Seiner Meinung nach Middle Eastern and North African hat Amerika wenig aus dem 11. Sep- Studies an der Universität zu Michigan, tember gelernt und es wurde „Israel“ in geht als einer der wenigen auf die der ganzen Debatte vergessen (S. 235). spannungsgeladene politische Situation Fanatische evangelikale Kreise würden zwischen islamischer Welt und dem den Islam aktiv bekämpfen, wobei sich Westen, insbesondere den Vereinigten Deutschland als herausragend erweise. Staaten ein (S. 139–158). Er versucht Dabei sind in islamischen Staaten, so den Westen aus asiatischer Sicht (China seine Beobachtung, religiöse Probleme und Indien) zu verstehen und die auf lokaler Ebene kein Thema. Der arabische Welt als Bestandteil darin zu dhimmi-Status (Nicht-Muslime in isla- verankern. Im Weiteren führt er den mischen Staaten) hätte nur drei Ein- Leser in den ökumenischen Jihad schränkungen zur Folge: Ausschluss aus römisch katholischer Gelehrter ein (Peter dem Militärdienst, eine spezielle Steuer, Kreeft, Russell Kirk). Der von vielen die nicht unbedingt höher als die Muslimen und Nicht-Muslimen miss- normale Steuer zakat sei, und die Un-

54 evangelikale missiologie 31[2015]1 möglichkeit, höchstes Staatsoberhaupt zu lass dich nicht mit denen ein, die deinen werden. Toleranz, Ökumene und das Glauben beleidigen (Sura 5:57-58), Streben nach Frieden in allen Religionen sprich mit Taktgefühl und Höflichkeit kann nur gelingen wenn jeder in seinem mit denen anderen Glaubens (Sura Glauben bleibt, ist seine abschließende 15:88), suche den Dialog mit denen, die These. Eine dritte Stellungnahme zum kritisch argumentieren (Sura 3:65), interreligiösen Dialog kommt vom vermeide Spekulationen über Glaubens- Herausgeber Roger Boase, der den fragen (Sura 40:4), und zuletzt kon- ökumenischen Islam als eine Antwort kurriere in deinem eigenen Glaubens- auf den religiösen Pluralismus betrachtet leben mit Andersgläubigen, um sie zu (S. 247–266). Er zeichnet drei Grund- motivieren (Sura 5:48). Soweit die haltungen im Hinblick auf religiösen Auslegung von Boase zum Koran. Der Pluralismus: diejenigen, die andere jüdisch-islamische Dialog zu Zeiten des Religionen komplett ablehnen (und sich Propheten Mohammed sei intensiv ge- als Instrumente Gottes sehen), die- wesen und sollte heute im islamischen jenigen, die religiöse Unterschiedlichkeit Raum, wie auch außerhalb wieder als Segen betrachten und dem Welt- aufgenommen werden. frieden entgegen streben (z. B. Küng), Dieses Werk ist in Anlehnung an die und diejenigen die Religion in jedweder derzeitigen Spannungen zwischen den Ausprägung ablehnen. Auch Boase Weltreligionen ein Fingerzeig darauf hin, beginnt mit dem 11. September 2001 und dass es an jedem einzelnen liegt, sich beschreibt die militärische Antwort des theologisch auf andere Religionen ein- Westens in Afghanistan, Irak und zulassen und sie nicht grundsätzlich als Pakistan als den schlimmsten Fehler. Die fundamental-radikal zu betrachten. An- wahre Dichotomie finde sich nicht sätze dazu sind in jeder Religion zwischen Muslimen und Nicht-Mus- vorhanden und sollten zu Nächstenliebe limen, sondern zwischen extremistisch- oder Friedensabsicht führen, wenn man exklusivistischen und inklusivistisch- den Offenbarungen folgt. Da die pluralistischen Gruppen. Auf der Suche menschliche Realität aufgrund ökono- nach Gemeinsamkeiten stößt er auf den mischer oder politischer Spannungen ökumenischen Islam. Der Prophet Mo- (Armut, Verfolgung, Vertreibung) oft hammed selbst war in die interreligiöse anders aussieht, bleibt zuletzt die bange Debatte seiner Umwelt eingebunden, wie Frage, ob sich solche Appelle umsetzen der Koran zeige. Sieben Prinzipien lassen und sie die Menschen wirklich lassen sich daraus ableiten: Es soll kein zum Umdenken bewegen. Druck in Bezug auf den Glauben ausgeübt werden (Sura 2:256), beleidige Dr. Eberhard Werner, Institut für keinen Andersgläubigen (Sura 6:108), evangelikale Missiologie (IfeM), Gießen.

evangelikale missiologie 31[2015]1 55 ÜMG-Jubiläumspreis 2015 für missionswissenschaftliche Arbeiten in Zusammenhang mit dem 150-jährigen Jubiläum der Gründung der China-Inland-Mission durch

Dr. Hudson Taylor im Jahr 1865

Der Jubiläumspreis wird für wissenschaftliche Arbeiten vergeben, die einen wesentlichen Beitrag zum Erkenntnisstand von Hudson Taylors Einfluss auf die heutige Missiologie und Missions praxis darstellen. Zum 150-jährigen Jubiläum wünschen wir uns neue Impulse aus dem Leben und Werk Hudson Taylors für die Missionsarbeit im 21. Jahrhundert. Angenommen werden Abschlussarbeiten (Diplom-, Bachelor-, Masterarbeiten), die zugleich einen zentralen Bezug zu Hudson Taylors Leben, Missionspraxis, Werten und Prinzipien und zu aktuellen Fragen, Themen und Herausforderungen der Weltmission im 21. Jahrhundert haben. Mögliche Themen sind u.a.: #Glaubens- missionen #Rolle der Frau in der Mission #Kontextualisierung und inkarnatorischer Lebensstil #Zusammenarbeit von Organisationen und mit einheimischen Christen #Dringlichkeit der Mission #Ganzheitlicher Dienst und soziale Verantwortung #u.a.m. Der Jubiläumspreis ist mit einer Summe von CHF 10.000 dotiert, aufgeteilt in CHF 2.000 für die besten Diplom-, CHF 3.000 für die besten Bachelor- und CHF 5.000.- für die besten Masterarbeiten.

Zielsetzung des Preises ist die Förderung des Verständnisses von Hudson Taylors Einfluss auf die heutige Missiologie und Missionspraxis durch die Auszeichnung herausragender wissen- schaftlicher Arbeiten. Über die Preisvergabe entscheidet eine Jury bestehend aus Vertretern des AfeM (www.missiologie.org) und des AfbeT (www.afbet. ch). Pro Kategorie werden maximal drei Arbeiten ausgezeichnet. Die Preisverleihung wird im Rahmen der AfeM- und AfbeT-Jahrestagung Anfang Januar 2016 stattfinden.

Arbeiten, die im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Oktober 2015 abgeschlossen und auf Deutsch verfasst wurden, können für den Jubiläumspreis eingereicht werden. Die Arbeit und die dazugehörenden Unterlagen sind als pdf-Dateien bis 31. Oktober 2015 an den AfeM einzu senden: info@ missiologie.org. Vermerk: ÜMG-Jubiläumspreis (pdf-Datei der Arbeit zusammen mit einer Kurzfassung von max. 2 Seiten, Kopie des Abschlusszeugnisses, aktuellem Lebenslauf und einer kurzen gutachterlichen Stellungnahme einer betreuenden Lehrperson.)

Nachfragen sind an den Missionsleiter der ÜMG in der Schweiz zu richten: Dr. Markus Dubach,

Missionsleiter, Neuwiesenstr. 8, CH-8610 Uster, [email protected].

Dieser Preis wird von der ÜMG-Schweiz (www.omf.ch) & der ÜMG-Deutschland (www.ümg.de) verantwortet.

Verlag: Arbeitskreis für evangelikale Missiologie e.V. (AfeM), www.missiologie.org, Geschäftsstelle, Rathenaustraße 5-7, D-35394 Gießen. Tel. 0641-98689924 oder 0173-4929601 (vormittags), Fax 0228- 9650389, [email protected]. Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Friedrichstraße 38, 53111 Bonn (viSdP). Schriftleitung: Meiken Buchholz, [email protected] oder über die Ge- schäftsstelle; Manuskripte zur Veröffentlichung bitte bei der Schriftleitung einreichen. Rezensionen: Prof. Dr. Friedemann Walldorf, Walldorf@fthgießen.de, Bücher zur Rezension an: Rathenaustr. 5-7, D-35394 Gießen. Weitere Redaktionsmitglieder: Prof. Dr. Bernd Brandl, Brunnenweg 3, D-75328 Schömberg, BuD. [email protected] (Redaktionsleitung edition afem), Dr. Hanna-Maria Schmalenbach, Vöchtingstr. 4, 72076 Tübingen (Lektorat). Verlag VTR/eda: Thomas Mayer, Gogolstr.33, 90475 Nürnberg, vtr@ compuserve.com. Redaktionsschluss: 6 Wochen vor Beginn des Erscheinungsquartals. Beiträge für em werden mit Belegexemplaren honoriert. Bestellungen und Korrespondenz betr. Versand und Abonne- ments bitte an die Geschäftsstelle richten. Bezugspreis: Jährlich (4 Ausgaben) € 17,– (Studenten die Hälf- te). Für AfeM-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag inkl. Luftpost enthalten. Konten für em- Abonnenten: Konto des AfeM bei der EKK, IBAN: DE 24 5206 0410 0000 416673, BIC-Code GENODEF1EK1. In der Schweiz: Konto CH81 0023 5235 5789 1940M bei der UBS (Postkonto-Nr. 80-2- 2). Mit Namen gezeichnete Beiträge müssen nicht unbedingt mit der Meinung der Schriftleitung und Redaktion übereinstimmen.

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