Die Reinlichkeit der Perlacher anno 1862 – eine Ehrenrettung

Der Hachinger Bach in Perlach bei der Bezirkssportanlage Krehlebogen nach der Renaturierung 2013 [1]

Die Physikatsberichte München Stadt; München links der Isar; München rechts der Isar Auf Anordnung des bayrischen Innenministeriums vom 21. April 1858 mussten zu politischen Reformzwecken binnen dreier Jahre für die Gebiete der damaligen "Landgerichte" bzw. nach der Verwaltungsreform von 1862 der "Amtsbezirke" Bayerns zumeist von den jeweiligen Landgerichts- bzw. Bezirksärzten Beschreibungen der natürlichen und bevölkerungsmäßigen Gegebenheiten dieser Verwaltungsgebiete geliefert werden, die sogenannten Physikatsberichte. An diesen Berichten hatte auch die Ärzteschaft ein großes Interesse. [2] Für den "Bezirk der Stadt München" wurde ein solcher vom zuständigen Bezirksarzt Dr. Martell Frank, der aus Unterfranken stammte, am 6. Oktober 1862 abgeliefert; für den "Königlichen Landgerichts-Bezirk München links der Isar" vom "Königlichen Gerichtsarzt und Universitäts Professor" Dr. Josef Anton Kranz, der aus Flintsbach stammte, am 30. April 1861; für den"Physicats-Bezirk rechts der Isar" vom "Königlichen Bezirks Arzt" Dr. Karl Kaltdorff, der aus Bamberg stammte, "im Juli" 1862. Zum letzteren Bezirk, dem Bezirk rechts der Isar, gehörte auch Perlach, zusammen mit Resten des bisherigen Landgerichts Au, sowie den Gemeinden , , Daglfing, Oberföhring, Ascheim, Brunnthal, Dornach, Feldkirchen, Grünwald, Heimstetten, Hofolding, Ismaning, Kirchheim, , Putzbrunn, Ramersdorf, Salmdorf, Taufkirchen, Trudering, Unterbiberg, Unterföhring und . Der Fragepunkt „Reinlichkeit“ in den Physikatsberichten über München Stadt und München links der Isar Ein Fragepunkt in diesen Physikatsberichten betraf die "Reinlichkeit", genauer die "Reinlichkeit in und außer den Häusern; an Wäsche und Kleidung, Neigung zum Baden". [3] In den beiden erstgenannten Berichten kommt die jeweilige Bezirksbevölkerung hinsichtlich der "Reinlichkeit" ziemlich schlecht weg. Im Bericht für den "Bezirk der Stadt München" schreibt der Autor: "Mit der Reinlichkeit ist es hier eine ganz relative Sache." [4] Im Vergleich mit den Städten in Franken sei sie in München groß, im Vergleich mit jenen in Schwaben sei sie gering. Einen "wahren Sinn für 2

Reinlichkeit trifft man im Allgemeinen in den Haushaltungen der Münchner nicht an, und bei seiner Schweinerei in denselben gedeiht er physisch vortrefflich, aber moralisch hängt sie ihm leicht einen Anstrich von Liederlichkeit an." [5] "Seine Neigung zum Baden ist bei dem eigentlichen Münchner nicht weit her; es ist ihm schon zu unbequem, und daß es besonders gesund sein soll, leuchtet ihm nicht ein, …". [6] Freilich hofft der Autor, dass sich dies Verhalten in seinem Sinn ändern wird, wenn es einmal mehr und leichtere Gelegenheiten zum Baden geben wird. Drastischer fällt diese Schelte bei dem "Königlichen Gerichtsarzt und Universitäts Professor" Dr. Josef Anton Kranz aus, wovon er allerdings den ärmeren Teil der Bevölkerung zum Teil ausnimmt: "Der Sinn für Reinlichkeit in und außer den Häusern ist bei unsern Bewohnern noch nicht geweckt. … In den Arbeitstagen herrscht durchgehends die größte Unreinlichkeit vor. In den Feiertagen dagegen herrscht überall Flitter und Luxus, jedoch nur in den sichtbaren Oberkleidern – das Hemd ist auch an den Festtagen meistens zerrissen und von Schmutz stinkend. Im Allgemeinen und mit nur wenigen Ausnahmen gehören unsere Einwohner zu einer unreinlichen und schmutzigen Volksklasse. Besonders thun sich in der Unreinlichkeit die eingewanderten Oberpfälzer hervor, während dagegen die Rheinpfälzer zu unsern reinlichsten Einwohnern zählen. Durchgehend sind auch die Protestanten in jeder Beziehung reinlicher als die Katholiken. Die Neigung zum Baden ist bei unsern Landleuten fast Null. … Die größte Mehrzahl der Bewohner unseres Bezirkes sind außer dem Säuglingsalter in kein Bad gekommen, und eine große Zahl derselben haben sich in ihrem ganzen Leben außer dem Gesicht, Händen und Füssen keinen Theil ihres Leibes gewaschen." [7] Die Wiedergabe des Physikatsberichts über München links der Isar im Band I „1200 Jahre Perlach“ Bedauerlicher Weise sind nun diese Behauptungen von Dr. Josef Anton Kranz für den Bezirk links der Isar mit längeren Zitaten als gültig auch für Perlach, das aber zum Bezirk rechts der Isar gehört hat, in das große Perlach-Buch übernommen worden. [8] Dabei wurde von der irrigen Annahme ausgegangen, dass es einen Physikatsbericht für den Bezirk rechts der Isar nicht gäbe, und dass man ersatzweise den Physikatsbericht für den Bezirk links der Isar nehmen könne: "Man darf mit Bestimmtheit annehmen, daß sich die Verhältnisse in Perlach kaum von jenen des z. B. links der Isar liegenden Thalkirchen, das ja bis 1803 zum Amt Perlach gehörte, unterschieden." [9] Das Versehen mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass der Bericht für den Bezirk links der Isar gebunden vorlag, während jener für den Bezirk rechts der Isar, zu dem Perlach gehörte, nur geheftet war. [10] Dies könnte ein Grund dafür gewesen sein, dass er irgendwie nicht leicht zu finden gewesen ist. Der Fragepunkt „Reinlichkeit“ im Physikatsbericht über München rechts der Isar mit Perlach Was aber berichtet nun Dr. Karl Kaltdorff für seinen Bezirk rechts der Isar unter namentlicher Nennung von Perlach zum Punkt "Reinlichkeit"? [11] Er schreibt: "Sowohl in ihren Häusern als an ihrem Leibe sind die Bewohner so reinlich, als es eben ihre in der Regel nicht ohne Beschmutzung zu verrichtende Arbeit zuläßt. Sie halten auf gute und reine Wäsche und Kleidung etwas und zeigen dort, wo die Gelegenheit sich ihnen bietet, große Neigung zum Baden. So befinden sich z. B. in Unterhaching und in Perlach im Hachingerbache gedeckte Badeanstalten, welche im Sommer häufig benützt werden. Auch in Ismaning, wo die dortigen Bäche Gelegenheit geben, wird viel gebadet." [12] Die Badeanstalt des Andreas Limbrunner (1860) in der Tradition des Perlacher Badergewerbes seit 1520 Die in dem Bericht von Dr. Karl Kaltdorff erwähnte Perlacher "gedeckte Badeanstalt" ist von dem Perlacher Bader Andreas Limbrunner mit Unterstützung durch die Gemeinde Perlach nach der Genehmigung der Baupläne von 1857 durch die Bauinspektion des Königlichen Landgerichts im Jahr 1860 errichtet worden. Sie bestand aus hölzernen Badehütten, getrennt für Männer und Frauen, über dem Hachinger Bach in Höhe des heutigen Kriegerdenkmals. Nach Angaben des Baders Andreas Limbrunner erfreute sich diese Badeanstalt "während der günstigen Jahreszeit eines zahlreichen Besuches von Badegästen sowohl aus Perlach selbst, … als auch der Umgebung; …", wobei er insbesondere auch die Münchner erwähnt. [14] 3

Plan der Badehütte von Andreas Limbrunner [13] Beschriftung von links oben nach rechts unten: Längenansicht Queransicht Querschnitt Grundriss für Männerbad Frauenbad

Das ehafte Badergewerbe, zu dem auch die Dienstleistung eines wöchentlichen oder in Perlach nach der Badeordnung von 1695 vierzehntägigen, öffentlichen, warmen und mit Lauge versetzten Reinigungsbades gehörte, hat in Perlach vor Andreas Limbrunner schon eine lange Tradition gehabt. [16] Das erste (hölzerne) "Badhäusl" stand wenige Meter nordwestlich vom heutigen Geschichtsbrunnen am Pfanzeltplatz, also in unmittelbarer Nähe zum wasserspendenden Hachinger Bach (Perlach 44). [17] Bis zum Jahr 1679 gehörte dieses Bad samt Grund der Gemeinde; dann wurde es 1679 gegen Bodenzinszahlung dem damaligen Bader Wolfgang Reiderer mit der Auflage überlassen, dort von Grund auf ein neues Bad zu bauen. Im Jahr 1805 ist dieses Bad (Perlach 44), das über dem Hachinger Bach errichtet war, an einen Schuhmacher aus Ramersdorf verkauft worden. Die Badergerechtigkeit selbst lag seit "undenklichen" Zeiten auf dem Anwesen Perlach 73 (1812) bzw. Perlach 6 (1860; Äußere Rosenheimer Straße 95; heute: Ottobrunner Straße 145). Der erste bekannte, dort ansässige Perlacher Bader, nämlich Hans Stöcklein, ist für das Jahr 1520 dokumentiert. Der Bader Andreas Limbrunner, der aus dem Landgericht Amberg in der Oberpfalz zugezogen war, kaufte das Baderanwesen Perlach 73 samt Badergerechtigkeit im Jahr 1825 von der Witwe seines Vorgängers und errichtete dann 1860 gegenüber diesem Anwesen, etwa auf der Höhe des Kriegerdenkmals, über dem Hachinger Bach seine eigene Badehütte. [18] 4

Plan der Perlacher Anwesen für das Jahr 1588 mit Hausnummern [15] 5

Kartenausschnitt Pfanzeltplatz im Jahr 1809 mit Hausnummern [19]

Literaturhinweise: I: 790-1990. 1200 Jahre Perlach. Band I. Hrsg. von Georg Mooseder und Adolf Hackenberg. München, 1990. S. 376-382; II: 790-1990. 1200 Jahre Perlach. Band II. München. Hrsg. von Georg Mooseder und Adolf Hackenberg. 1992. S. 23f.; III: Der geheimnisvolle Hachinger Bach. Hrsg. vom Festring Perlach e. V. 3. erw. Aufl. München, 2002. S. 20-22; 46; IV: Neubauer Brigitte: Die Physikatsberichte des Bezirks der Stadt München und der Landgerichte München links der Isar und München rechts der Isar (1861/62). In: Oberbayerisches Archiv. 125. Band; 2. Heft. München, 2001. S. 7-158. Zitat- und Bildnachweise, Einzelhinweise, Anmerkungen: [1]: Festring Perlach e. V., Heimatarchiv/Bilddatenbank, 81737 München, Sebastian-Bauer-Straße 25; [2]: IV: S. 17; [3]-[5]: IV: S. 89; [6]: IV: S. 90; [7]: IV: S. 129f.; [8]: I: S. 548f. – Der Sohn von Dr. Josef Anton Kranz, Dr. Johann B. Kranz, ist 1866-1872 als praktischer Arzt in Perlach tätig gewesen. Er wohnte in Perlach Nr. 29 (1860; 1812: Perlach 30; Pfanzeltplatz 6-8: Schäftlmeier-Anwesen); vgl. I: S. 602; [9]: I: S. 544; [10]: IV: S. 28; [11]: Dr. Karl Kaltdorff erhielt für seine Bemühungen um das Gesundheitswesen in seinem Amtsbezirk von Papst Pius IX. im Jahr 1866 den Orden Gregors des Großen verliehen; zuvor hatte er bereits 1854 als staatliche Auszeichnung das Ritterkreuz des königlichen Ordens zum heiligen Michael erhalten; vgl. IV: S. 27; [12]: IV: S. 155; [13]: II: S. 24; [14]: I: S. 599; [15]: I: S. 126; [16]: Auf dem Perlacher Geschichtsbrunnen weist auf der Nordseite eines der drei Beckenreliefs mit einer Szene aus dem Badebetrieb auf diese Tradition hin. – In Altbayern hat es vier Ehaftgerechtigkeiten gegeben, d. h. für vier monopolisierte Gewerbe, die der öffentlichen Nutzung dienen, eine jeweils besonders gesetzlich geregelte Gewerberechtsordnung. Diese Gewerbe waren das Ehaftbad, die Ehaftmühle, die Ehaftschmiede, und die Ehafttaverne. Eine Ehaftmühle gab es in Perlach nie. [17]: Bei Wassermangel musste das Wasser aus dem nächsten Gemeindebrunnen geschöpft werden; [18]: II: S. 23f.; [19]: II: S. 90.

Gedruckte Fassung in: Osterpfarrbrief 2016. St. Michael Perlach mit St. Georg Unterbiberg. S. 14-16. PDF-Datei: 18.03.2016. Leopold Auburger