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Kino der Verwundung

Deep Focus 30

1 Dank an: Prof. Dr. Norbert Grob für die jahrelange Schule des Sehens, Analysierens und Schreibens über Film, für die entscheidende Idee zu dieser Arbeit und die Begleitung bis zu diesem Buch, für Vertrauen und wichtigen Rat; Prof. Dr. Elisabeth Bronfen für Inspiration und die umsichtige Betreuung des Projekts; meine Kolleginnen und Kollegen im DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum sowie in weiteren Institutionen und Archiven für Ratschläge und unverzichtbare Unterstützung bei der (Bild-)Recherche.

Über die Autorin: Ines Bayer ist promovierte Filmwissenschaftlerin und arbeitet am DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt am Main.

2 Ines Bayer

Anthony Mann

Kino der Verwundung

3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 – Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2017 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

Umschlag: D.B.

Fotonachweis: Umschlag vorne: Standbilder aus the furies (1950; Quelle: DFF © Wallis-Hazen / Paramount Pictures), (1955; Quelle: DFF © ) Umschlag hinten: Standbild aus raw deal (1948; Quelle: DFF © Productions / Eagle-Lion Films), Screenshots aus (1958; Productions / ) und (1957; Security Pictures / United Artists) Innenteil: Siehe S. 296 Ein Dank geht an Julia Riedel vom Fotoarchiv der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen © Photographs: original copyright holders

Alle Rechte vorbehalten © 2019 by Bertz + Fischer GbR, Berlin Wrangelstr. 67, 10997 Berlin Druck und Bindung: druckhaus köthen, Köthen Printed in Germany ISBN 978-3-86505-333-6

4 Inhalt

Der Mann 9

Zweite Generation in Hollywood 10 Director’s director 12 Autor/Genre 13 Autor/Star 16 Zum Buch 18

Stil 20 Primat des Visuellen 21 Physischer Stil 28 Schauspiel 31 Raum und Landschaft 35 Tempo und Rhythmus 40 Die Klarheit des Ausdrucks 42

Themen 49 Conditio humana 49 Conditio masculina 52 Gewalt und Schmerz 54 Schicksal, oder: Temps perdu 57 Individualismus 58 Moral 60 Politik und Nation 62 Tragik, oder: Happy Ends 64

5 Die Filme 75

Humor, Tanz, Gesang: Komödien und Musicals 76 Komödien: sullivan’s travels, dr. broadway und 78 two o’clock courage Musicals: moonlight in havana, nobody’s darling, , 82 und

Obsessionen, Ohnmacht, Paranoia: 86 Kriminalfilme und ausgesprochen schwarze Noirs Obsessionen: strangers in the night und , 87 the great flamarion und serenade Ohnmacht: desperate, railroaded!, raw deal und side street 100 Paranoia: t-men und , reign of terror, 113

Körper-Variationen: Mann of the West 145 Exkurs: Der Körper im 147 Die Geschundenen: , the far country und 155 Die Hysteriker: winchester ’73 und 165 Tyrannei der Zivilisation: the last frontier und 174 The real villain is history: devil’s doorway 182 Gender-Trouble: the furies 190 Schemen und Gespenster: Die Auflösung des Körpers 197 in man of the west

Ideologie: Amerika 205 Ideologie I: Der amerikanische Traum und thunder bay 207 Ideologie II: The Big Picture und strategic air command 212 Ideologie III: Entertainment und 217 Ideologie IV: Familie und god’s little acre 222

6 Geschichte: Europa 229 Großes Kino: quo vadis, spartacus, cimarron und 231 der Weg zu Really a Spanish Western: 239 Untergänge: the fall of the roman empire 243 Norwegen im Widerstand: 249 Berlin im Kalten Krieg: 253

Anstelle eines Fazits: men in war 267

Anhang 277 Biographischer Abriss 278 Filmographie 281 Literaturverzeichnis 287 Fotonachweis 296 Index 297

7 8 

Der Mann

Anthony Mann mit Mia Farrow beim Dreh seines letzten Films, a dandy in aspic, erschienen im Jahr nach seinem Tod (GB 1968)

9 Der Mann

Zweite Generation in Hollywood

r ist der älteste unter den jungen Regis- und Little Three, dazu außerdem für einige freie »Eseuren, er ist der jüngste unter den alten Produzenten und eine Reihe kleinerer Studios Regisseuren«: So schlossen die Cahiers du cinéma aus der poverty row. im Jahr 1955 ihr knappes Porträt über Anthony Anthony Manns Weg zum Film war lang und Mann.1 Die Bemerkung verortet den Regisseur, am kurvenreich zu einer Zeit, in der, wie Jean Wag- 30. Juni 1906 in geboren, in dem Vaku- ner einmal schrieb, nicht mehr Zufall, sondern um, das sich auftut zwischen der Generation von Entschlossenheit nach Hollywood führte.4 Manns DeMille, Dwan, Walsh, Ford, Hawks, Hathaway, Anfänge lagen, schon durch Einstudierungen und Wyler auf der einen und jener von Ray, Fuller, Aufführungen in der Schulzeit angeregt, im The- Siegel, Wise, Boetticher, Aldrich auf der anderen ater; mit 18 Jahren brach er die Schule ab, um zu- Seite.2 Kein alter Meister mehr, aber auch noch nächst als Schauspieler, dann als Regisseur in der kein maverick: Dieser Zwischenstatus beeinfluss- Provinz von New Jersey und New York sowie am te Manns Karriere, seinen Stil, seinen Status im Broadway zu arbeiten.5 Es ist nicht bekannt, wie Studio-System, die Themen seiner Filme und de- intensiv Mann das Kino der 1920er und 30er Jahre ren Rezeption durch Publikum und Filmkritik; verfolgte; er hat sich nie zu Einflüssen und Vorbil- an ihm arbeitete Mann sich ab, in ihm suchte er dern aus jener Zeit geäußert, nie auf den Stumm- seinen Platz, in ihm eroberte er sich Freiräume. film rekurriert. Aktiv kam er mit der Filmindus­ »Jahrgang 1906: das war die zweite Genera- trie im Jahr 1937 in Berührung, als er für David tion der Illusionsmaschine Kino«, das waren Re- O. Selznick als Talent Scout agierte.6 30 Jahre war gisseure, die ein anderes Verhältnis zur Wirklich- er da schon alt. Weitere vier Jahre vergingen, bis keit anstrebten als jenes in den »exotischen und Mann von der Ost- an die Westküste wechselte und exaltierten Inszenierungen der Stummfilmzeit«, 1941 seine erste Regie bei Paramount übernahm. als das Kino »frivol und sophisticated und alles Erst ab diesem Punkt verwendete er konsequent andere als realistisch war«.3 Mit den Alten teil- den Namen »Anton / Anthony Mann« (statt seines te Mann die bedingungslose Wertschätzung des Taufnamens Emil Anton Bundsmann, in dem die Handwerks, die auf Erfahrung und Regeln basier- österreichisch-ungarische Herkunft seines Va- te Beherrschung des filmischen Apparats und die ters zum Ausdruck kam).7 Einmal in Hollywood, wohlüberlegte Organisation aller Ausdrucksmittel bewegte sich Mann rund acht Jahre lang in der (mit besonderem Augenmerk auf dem Schauspiel poverty row und den B-Units der großen Studios, und der mise-en-scène). Mit den Jungen verband bevor er 1949 mit the furies (für Paramount) ihn der Anspruch, sich mit dem Schaffen von Il- seinen ersten wirklichen A-Film drehte. Von da lusionen nicht zufrieden zu geben, sondern über an arbeitete er zehn Jahre lang in Hollywood auf das Filmemachen zu einer Haltung zu gelangen hohem Niveau, in den großen Studios und mit den und Aussagen zu treffen über die Realität. Wie bei größten Stars, ohne selbst je zum Star zu werden. den meisten Regisseuren seiner Generation war 1960, in dem Jahr, das nach der Klassifikation von der ständige Wechsel zwischen den Studios für Norbert Grob und Elisabeth Bronfen das Epochen­ ihn die Regel. Mit Ausnahme von 20th Century ende des Classical Hollywood markiert,8 verließ Fox arbeitete Mann für alle Studios der Big Five Mann die USA und wechselte nach Europa, wo er

10 Zweite Generation in Hollywood zunächst für Samuel Bronston, dann für den bri- tischen Ableger der Columbia vier Filme realisier- te. Nach Hollywood kehrte er zum Filmemachen nicht wieder zurück. Am 29. April 1967 starb er 60-jährig bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film, a dandy in aspic, in Berlin. Anthony Manns Karriereweg kann kaum als exemplarisch gelten für einen Regisseur des Clas- sical Hollywood, sondern ist womöglich schlicht Beleg dafür, dass es einen exemplarischen Weg nicht gab. Schon der Vergleich mit den beiden berühmtesten Filmemachern seines Jahrgangs in Hollywood, John Huston und Billy Wilder, weist Überlappungen auf (in Bezug auf das Theater und die Arbeit als Schauspieler), vor allem aber Un- terschiede hinsichtlich des künstlerisch-hand- werklichen Hintergrunds und der Position in der Industrie. Huston, geboren am 5. August 1906 als Sohn des Star-Schauspielers (und später Vater der als Darsteller tätigen Anjelica und Danny Huston), steht für das Dynastische, das für Anthony Mann in Spanien: Dreharbeiten (1963) zu Hollywood immer (auch) Bedeutung hatte, und für the fall of the roman empire eine Annäherung an den Film, die sich durch das Schreiben vollzog. Auch bei Billy Wilder ging die […], to bigger-budget location shots, to grandi- Arbeit als Drehbuchautor dem Regieführen vor- ose post-studio multinational epics […].«10 Seine an (ein Konnex, der bei Mann nicht festzustellen Jahre bei Republic, Eagle-Lion und der B-Unit von ist). Wilder, nur acht Tage älter als Mann, ist zu- MGM machen deutlich, wie der B-Film sich zur A- gleich ein Beispiel für jene Filmemacher, die als Produktion verhielt, wie kleine Studios Nischen Emigranten Erfahrungen und Routinen aus den im Schatten der Majors besetzten und wie die europäischen Produktionszusammenhängen nach großen Studios selbst sich ab 1947 für das billige Hollywood brachten. Wilder gab sein amerikani- Produzieren zu interessieren begannen (wenn sie sches Regie-Debüt im selben Jahr und beim sel- nicht darin, wie Warner Bros., schon immer Spe- ben Studio wie Anthony Mann (the major and zialisten gewesen waren). Manns bereitwilliger the minor, 1942, Paramount). Dennoch vertrat Zugriff auf neue Farb- und Breitwandverfahren er mit seinem intellektuell-ironischen Kino eine kann zeigen, wie filmtechnische Entwicklungen andere, kulturell bereitwilliger anerkannte Sei- die Filmsprache beeinflussten und neue Konven- te der Filmindustrie. Und wurde, wie Huston, als tionen schufen. Seine Arbeit an Superprodukti- Persönlichkeit zu einer Institution innerhalb des onen wie quo vadis (1950, für MGM), spartacus Systems, dessen Transitionen in den 1960ern er (1960, für Universal) und el cid (1961, für Samuel weitgehend in und mit Hollywood erlebte.9 Bronston Productions) führt vor Augen, wie Hol- Exemplarisch ist Manns bruchvolle Karriere lywood sich gegenüber dem machtvoller werden- aber womöglich in Bezug zur Traumfabrik selbst. den Fernsehen positionierte und wie das Produ- »In essence, Mann personified Hollywood’s own zieren ab der Mitte der 1950er Jahre zunehmend history from the 1940s to the 1970s, as it uneasily von den Studios zu unabhängigen Produktions- transitioned from the steady supply of product firmen überging. Manns Passage durch verschie-

11 Der Mann dene Genres, in denen er sich zuverlässig dann schen Einstufung dem »Far Side of Paradise« zu bewegte, wenn sie am populärsten waren, lässt (gemeinsam etwa mit Capra, Cukor, Fuller, Pre- Rückschlüsse zu auf die Genrepolitik der Studios minger, Ray, Sirk, Vidor und Walsh­ ), das gleich und den Geschmack des Publikums; nicht zuletzt hinter dem »Pantheon« liegt (wo sich u.a. Ford, auch darauf, wie Themen, Erzähltechniken, Stil Hawks, Chaplin, Hitchcock, Lang, Lubitsch und und Tonfall sich innerhalb der Genres selbst ver- Welles befinden).14 zählte Antho- änderten. ny Mann gemeinsam mit den weiteren »soldier- Wie Produktionslogiken und künstlerische cowboy-gangster directors« Raoul Walsh, William Strategien sich im Hollywood der 1940er bis 1960er A. Wellman, dem frühen Howard Hawks und dem Jahre wandelten, wie das Classical Hollywood als frühen John Ford zu den »true masters of the male Industrie und als Stil bestand und unterging: Das action film« und schrieb: »The[se] tight-lipped wird sich in den Kapiteln dieser Arbeit en passant creators […] comprise the most interesting group erweisen, denn es sind Anthony Manns Filme, die to appear in American culture since the various im Zentrum stehen. Seine Filmographie umfasst groupings that made the 1920’s an explosive era 39 Titel, die er als Regisseur verantwortete (ein- in jazz, literature, silent films.«15 Martin Scor- schließlich cimarron [1960, MGM] und a dandy sese hat Mann als einen der primären Einflüsse in aspic [1968, Columbia], die von anderen Regis- auf sein eigenes Werk genannt (und für die Res- seuren zu Ende gedreht wurden). Hinzu kommen taurierung von el cid gesorgt).16 Und Wenders, drei Filme, bei denen Mann zeitweise oder als der nach seiner Übersiedlung nach Paris in den Second Unit Director beteiligt war, ohne einen 1960er Jahren in der Cinémathèque française Credit zu erhalten (sullivan’s travels [1941; R: zuallererst eine Mann-Retrospektive gesehen , Paramount], quo vadis, sparta- hatte, schrieb in dem zuvor schon zitierten Text cus). Für den (1949; von »diesen Filmen, die mir eine Welt eröffne- R: , Eagle-Lion) schrieb er das ten«; davon, dass Mann ihm »als erster Filmautor Treatment, ebenso für das family picture red stal- (und Handwerker!) Film als Sprache verständlich lion in the rockies (1949; R: Ralph Murphy, foto- machte«; von dem »Funke[n]«, der von den Filmen grafiert von , für Eagle-Lion); Manns auf ihn übergesprungen sei, so dass er die nächs- Regie-Beteiligung an (1948; ten Monate Tag und Nacht im Kino verbrachte; R: Alfred L. Werker, RKO) wird vermutet, ist aber von einem Werk, das er »erleuchtend« nennt, nicht belegt.11 »so anders«.17 An anderer Stelle sagte Wenders in einem Interview: Director’s director »If I had to name an American director I owe some- Wim Wenders, ein früher und emphatischer Be- thing, it would be Anthony Mann. […] I used to love wunderer der Filme Anthony Manns, hat den the clear structure of his films and the way every Regisseur in einem klugen Text zu dessen 100. shot was well composed, for me, even better than Geburtstag als »director’s director« bezeichnet: the images, or shots, by John Ford. For me, Antho- »Will sagen: Viele haben von ihm gelernt, für ei- ny Mann has always been the clearest of all the nige ist er ein Vorbild, aber niemand kennt ihn American directors.«18 wirklich[.]«12 Es ist bezeichnend, dass Mann vor allem von den Anhängern der Autorentheorie Große Anerkennung von großen Männern (ist es gewürdigt wurde. In den Kritikern der Cahiers du Zufall, dass es alles Männer sind?). Oft aber war cinéma fand er teils euphorische Bewunderer, al- der Spott, der dem Regisseur zuteil wurde, nicht len voran Jean-Luc Godard und Jacques Rivette.13 minder groß. Jean Wagner, einer der ersten Mann- Andrew Sarris ordnete Mann in seiner hierarchi- Verehrer aus dem Umfeld der Cahiers du cinéma,

12 Zweite Generation in Hollywood berichtete von einem Interview mit Billy Wilder: komödien aus den frühen Jahren sind darunter, »Vorsichtig ließ ich im Gespräch Anthony Manns dazu zwei Kriegsfilme, auch wenn die voneinan- Namen fallen. Ich erhielt nichts weiter zur Ant- der schon sehr verschieden sind. Das Biopic (und wort als einen fulminanten Lachanfall.«19 Musical, und Melodram) the glenn miller story Lachhaft, schlicht nicht ernst zu nehmend: (1954, Universal) ist in Manns Œuvre ebenso ein Das war Manns Kino für Hollywoods künstleri- Solitär wie die Literaturverfilmungg od’s little sche Spitze offenbar genauso wie für die zeitge- acre (1958) für United Artists und der Opernfilm nössische Kritik. Gründe dafür gibt es viele, der serenade (1956) für Warner Bros. (die beide zu- wichtigste: Manns Kino war ganz offensichtlich gleich Melodramen sind). Erstaunlich ist bei all nicht intellektuell. Der Geruch der billigen Kinos, dem, wie strikt sich Manns Genrearbeit in Pha- der grind houses, in denen Manns 15 erste Filme ihr sen unterteilen lässt. Die Films noirs dominier- Publikum fanden, war den besten seiner Werke ten sein Schaffen in den 1940er Jahren, fanden auch in den 1960er Jahren noch anrüchig. Manns mit dem Wechsel zum Western im Jahr 1950 aber Kino rief nie Botschaften in die Welt, gerierte sich ein abruptes Ende. Die Western bestimmten – in nicht als sozialer oder politischer Kommentar. Es Kombination mit den genannten Solitären – die stellte auch seine Gemachtheit nicht in den Vor- 1950er Jahre, während die 60er dem epischen Film dergrund, analysierte sich nie selbst, sprengte kei- gehörten. Es scheint etwas Wahres zu sein an dem, ne Formen, riss keine Mauern ein. Es wollte nicht was die New York Times in einer retro­spektiven herausragen. Das machte es anfällig dafür, von Würdigung als Anthony Manns ­»rolling-stone der traditionellen amerikanischen Kritik über- quality« beschrieb: »He’d work a piece of land sehen zu werden, die laut Andrew Sarris stets die until it was used up, then move on – from noir »timely films« herauspflückte und die »timeless to western, from western to epic, with side trips ones« am Wegrand stehen ließ.20 in between.«23 Ein »Filmmaker Who Favored Westerns« sei gestorben, hieß es denn auch in der Agenturmel- Autor/Genre dung, die am 30. April 1967, dem Tag nach Antho- ny Manns Tod, über die Ticker lief. Die Formulie- Der Zusammenhang zwischen geschmähten Re- rung (die nichts von dem ironisch-monumenta- gisseuren und geschmähten Genres ist in der len »I make Westerns« hat, mit dem John Ford Autorentheorie gewissermaßen eine Erkenntnis sich einmal selbst vorstellte)21 zeugt von einer ersten Grades. Andrew Sarris konstatierte: »To bemerkenswerten Ratlosigkeit diesem Filmema- resurrect Ford and Hawks, it is necessary also to cher gegenüber, dessen Tod einen Zweispalter im resurrect the Western. To take Minnelli serious- hinteren Teil der New York Times zwar wert war, ly, it is necessary to take musicals seriously.«24 zu dessen wirklicher Würdigung man sich aber Abgewandelt lässt sich damit sagen: Um Anthony nicht entschließen konnte. »Mr. Mann […] was a Mann ernst zu nehmen, ist es nötig, neben dem capable director of striking versatility«, ist denn Western und dem Musical zunächst einmal den auch die Quintessenz des weiteren Textverlaufs.22 B-Film ernst zu nehmen, dann auch die ins Hor- So versatil, so unstet war Manns Œuvre dabei ror- und Fantasy-Fach ausschlagenden Ableger nicht – einerseits. Den Hauptteil seiner Arbeit ab- des Films noirs und schließlich den Monumen- solvierte Mann im Western, im Film noir und im talfilm; anders gefasst: das ganze Classical Hol- epischen Film; mit 24 seiner insgesamt 39 Titel lywood mit seiner stets entschiedenen, manch- bilden diese Genre-Filme quantitativ und quali- mal zynischen, oft widersprüchlichen Markt- und tativ den Kern seines Werks. Die verbleibenden 15 Produktionslogik. Filme aber fächern sich stilistisch und thematisch the great flamarion (1945, Republic) als Auf- sehr weit auf. Fünf Musicals und zwei Kriminal- bruchsmoment in der thematischen und stilisti-

13 Der Mann

Gary Cooper, Anthony Mann, Jack Lord bei Proben für man of the west (1958) schen Selbstverortung Anthony Manns zu disku- Ritzer hat die Problematik in seinem Buch über tieren und nicht als Stagnationspunkt im Œuvre Walter Hill beispielhaft diskutiert. Das Modell der Erich von Stroheims, der die Hauptrolle spielte; filmischen Autorschaft müsse sich, so Ritzer, ge- border incident (1949, MGM) zuerst nach Manns gen zwei grundlegende Einwände behaupten. Der Verständnis eines physischen Kinos zu befragen erste Einwand sei subjektkritischer Art und ziele und erst dann nach den liberalen Anliegen Dore darauf, dass ein Text (hier: ein Film) erst in der Scharys, der den Film produzierte; the fall of Rezeption vollendet werde, Bedeutung also kei- the roman empire zum Anlass zu nehmen für eine neswegs vom Produzenten (dem Regisseur), son- Analyse des Mann’schen Zugriffs auf Geschichte dern vom Rezipienten (dem Zuschauer) geschaf- und Mythos und nicht für eine Kritik des Sanda- fen werde. Mit Ritzer lässt sich darauf antworten: lenfilms: Das bedeutet implizit, Anthony Mann als Autor zu begreifen und seine 39 Filme, vom »Ohne die evidenten Probleme um die Konstrukti- stärksten bis zum schwächsten, als sein Werk. on eines selbstidentischen Autoren-Subjekts aus- Die Betrachtung des Regisseurs als alleinigem, zublenden, muss festgestellt werden, dass Filme mindestens maßgeblichem Autor eines filmischen durch individuelle Kreativität entstehen können. Werks ist per se eine heikle Angelegenheit, und sie Und dass, intendiert oder unbeabsichtigt, Entschei- wird heikler noch, wenn man den Blick von Euro- dungen getroffen werden (wo die Kamera steht, pa nach Hollywood, von Renoir, Bergman, Käut- wann geschnitten wird, wie die Schauspieler agie- ner auf Preminger, Minnelli, Stevens richtet. Ivo ren sollen etc.).«

14 Zweite Generation in Hollywood

Ein starker Regisseur, ein Filmemacher mit einer Film. Ein Missverständnis. Norbert Grob weist eigenen Sicht auf die Welt und die Dinge werde darauf hin, dass der auteur-Begriff nicht als wer- versuchen, tende Kategorie zu verstehen sei und nicht zähle »auf der Ebene von Qualität, sondern nur auf der »jenes ebenso komplexe wie multiperspektivische Ebene von Haltung, Tonart, Klangfarbe, Timbre«. und offene System audiovisueller Zeichen zu or- Die politique des auteurs mache ein »Vergnügen an ganisieren, das wir Kino nennen. Dass ein solcher Stilbrüchen, Exzessen und Schlampereien« mög- Versuch, Dominanz über das organische, das viel- lich und stärke »den Blick fürs Daneben, den Sinn schichtige, das rhizomatische Material zu erlangen, auch für das Sinnlose«.29 In letzter Konsequenz nie ganz gelingen kann, ist kein Argument gegen, ermöglicht es die politique des auteurs, den Film sondern für ein cinéma des auteurs. Hier liegt das als persönliche Kunstform zu betrachten, in der, Paradox des auteur: Sein Werk übersteigt ihn, ist mit Béla Balázs gesprochen, durch die Erzählin- aber doch nichts ohne ihn.«25 stanz der Kamera jede »Anschauung der Welt« eine »Weltanschauung« enthält,30 und zwar, wie Der zweite von Ivo Ritzer genannte Einwand ist Norbert Grob hinzufügt, nicht vermittelt »durch systemkritischer Natur und zielt auf den Um- Gesagtes oder Gemeintes, sondern allein durch stand, dass die Produktion eines Films stets einer den besonderen Blick auf die Welt«.31 Kollektivleistung bedürfe, die Entscheidung für Anstatt nun also die Produktionsbedingungen die Hervorhebung des Regisseurs also willkürlich des Classical Hollywood pauschal als Beschrän- sei und mit gleichem Recht auf den Produzenten kung des künstlerischen Ausdrucks zu werten, (den Kameramann, den Cutter, den Komponisten, kommt es darauf an, die außerordentlichen Mög- die Schauspieler etc.) fallen könne.26 Dieser Ein- lichkeiten des Systems in den Blick zu nehmen – wand verstärkt sich noch in der Anwendung auf die unwahrscheinliche Ballung künstlerischer das Studiosystem des Classical Hollywood, das auf und technischer Exzellenz, die Höhe des erwirt- einer quasi-industriellen Arbeitsteilung gründete schafteten und investierbaren Kapitals, die po- und umfassend ausgelegt war auf Effizienz, das tentielle Reichweite der Vertriebswege national heißt auf die optimale Auslastung aller zur Verfü- und international – und auf die Suche zu gehen gung stehenden künstlerischen und technischen nach den Spiel- und Freiräumen, die sich in den Ressourcen. Jeder Beteiligte als Zahnrad in einer Hierarchien des Systems eröffneten. Gerade in der komplexen Maschinerie: Wo ist in diesem System »performance under pressure«, so Sarris, entwi- der Regisseur zu verorten? ckelten die auteurs des Classical Hollywood ihre Die Antwort der Autorentheorie ist so eindeu- besondere Kontur: »The auteur theory values the tig wie verwegen. Andrew Sarris: »The director is personality of a director precisely because of the both the least necessary and the most important barriers to its expression. It is as if a few brave spi- component of film-making.«27 François Truffaut: rits had managed to overcome the gravitational »Grundsätzlich kann man annehmen, daß der pull of the mass of movies.«32 Elegante Erotik trotz Autor eines Films der Regisseur ist und nur er al- (und wegen) des production code. Unwahrscheinli- lein, selbst wenn er keine Zeile des Drehbuchs ge- che Themen trotz (und wegen) der postulierten schrieben, den Schauspielern keine Anweisungen Massentauglichkeit. Kunst trotz (und wegen) des gegeben und keine einzige Kameraposition fest- Geschäfts: Das machte das klassische Hollywood gelegt hat.«28 Die kalkulierte Radikalität dieser aus. Ivo Ritzer formuliert das so: »To use Hollywood: Feststellungen hat zu Klischees geführt wie dem, das heißt ausnutzen, was an Ressourcen zur Ver- dass man einem ›schlechten‹ Regisseur keinen fügung steht. […] Dann kann das Persönliche sich ›guten‹ Film attestieren könne und einem ›gu- in der unpersönlichen Struktur durchsetzen, das ten‹ Regisseur schon gar nicht einen ›schlechten‹ Subjektive im objektiven System.«33

15 Der Mann

Dass dies nicht nur für das Prestige-Segment in den geringsten Produktionen wirksam wurde. der Studioproduktion gilt, darauf hat unermüd- Und wie dennoch das Außerordentliche im Kon- lich Manny Farber hingewiesen; Underground Films fektionierten, das Individuelle im Kollektiven je- heißt einer seiner einflussreichen Texte. Die Re- derzeit möglich war. Anders gesagt, lässt sich an gisseure im Classical Hollywood, argumentiert er Anthony Manns Filmen, von den bescheidenen dort, seien »like basketball’s corner man: their best Musicals bis zu den großen Western, demonstrie- shooting is done from the deepest, worst angle«.34 ren, wie The Genius of the System36 seine Wirkung Je widriger die Umstände – je bescheidener das entfaltete, in der Breite wie in der Spitze. Budget, je größer der Zeitdruck –, desto verwege- ner oft der persönliche Ausdruck im Filmischen. Autor/Star Und nicht anders wirkt sich auch der Zwang zum Erzählen in Genre-Formeln aus. Wenn man »Ich wollte nach meinen ersten Filmen eine die Konventionen nicht als Ballast betrachtet, Filmographie wie Anthony Mann sozusagen sondern als Material, mit dem hantiert, aus dem erwerben, das heißt: Filmen mit dem Schrot­gewehr, ausgewählt, das bearbeitet werden kann, dann also im Schnitt ungefähr drei Western pro Jahr, wird aus der Beschränkung ein Möglichkeits- denn irgendeiner wird dann schon dabei sein, raum. André Bazin hat die Genre-Politik des Clas- der was taugt und mal ins Schwarze trifft.«37 sical Hollywood als »base of operation for creative Dominik Graf freedom« bezeichnet:35 Ein Genre wird so zu einer provisorischen, dynamischen Kategorie, die mit Anthony Mann, so ist oft zu lesen, sei »an atypical jedem Film aufs Neue ausgelotet wird, und jeder candidate for auteur status«: kein »brand-name Film schreibt an der Geschichte eines Genres mit. director like Ford or Hitchcock« und ein Regis- Der subjektive Blick, die persönliche Haltung sind seur »who refuses to impose a ›personality‹ on a wesentlich; der (Eigen-)Wille, mit dem Film auch film through his style«.38 eine Haltung, sei sie moralisch, philosophisch, po- Zu dieser Auffassung trägt der Umstand bei, litisch oder ästhetisch, zur Diskussion zu stellen. dass Manns Werk eine Disparität nach außen auf- Es liegt nahe, ein besonderes Engagement nicht weist. Zwar ist es einerseits von starken Kontinui- zuvorderst da zu suchen, wo große Filme mit mo- täten geprägt: Da ist die zeitweilige Genretreue; die nolithischem Charakter abgeliefert werden, auf wiederholte Zusammenarbeit mit Kameraleuten dass man ihren Sinn und ihr Gewicht mit einem (John Alton, Ernest Haller, Robert Krasker), Au- Mal erfasse. Sondern dort, wo jemand sich dem toren (John C. Higgins, , Ben Barz- Großen zögernd nähert, in kleinen Schritten, die man) und Schauspielern (, Dennis auch zur Seite und zurück führen können, wo Ne- O’Keefe, , , ); bensächlichkeiten in den Blick genommen wer- manches Stilistische, viel Thematisches. Dem den, wo jemand auf bestimmten Positionen und aber stehen bemerkenswerte Brüche gegenüber: Arrangements beharrt, wo in der Wiederholung Hierzu zählt das unstete Wandern zwischen den auch Manie aufscheint, wo Perspektiven verscho- Studios und die Orientierung nach Europa für die ben, Varianten ausprobiert, Revisionen zugelas- letzten vier Filme. sen werden: im Genrekino. Hinzu kommt, dass Anthony Mann für den So lässt sich letzten Endes an Anthony Mann Personenkult, der mit dem Autorenstatus per se zweierlei nachvollziehen: wie das Classical Hol- einhergeht, nie wirklich greifbar war. Ein Fak- lywood durch erzählerische und stilistische Kon- tor dabei ist sein verhältnismäßig früher Tod: Er ventionen, durch optimierte Produktionsmetho- starb im Alter von 60 Jahren, da blieb wenig Zeit den, durch effizienten, flexiblen Personaleinsatz für die durch Interviews begründete oral history, systematisch einen Standard etablierte, der selbst die für die Kritiker der Cahiers du cinéma schnell

16 Zweite Generation in Hollywood

Dreharbeiten zu thunder bay, 1952: Anthony Mann mit James Stewart, Dan Duryea und Jay C. Flippen auf einer Bohrinsel im Golf von Mexiko zu einem wichtigen Element wurde in der Rezep- blättern der Zeit, und die Distanz des Regisseurs tion des Werks eines Regisseurs. Hinsichtlich der zum gesellschaftlichen Hype von Hollywood ist Interviews konnte oder wollte Anthony Mann selbst seinen Wohnadressen in Los Angeles abzu- nicht viel bieten. Die wenigen, die er gegeben hat lesen, die zu Reihenhäusern gehören, welche auf – zwei für die Cahiers du cinéma, eins für Screen, den von Downtown und Burbank abgewandten eins für Sight and Sound, eins für die BBC (alle in Hügelseiten liegen und stattdessen den Blick frei- Europa, keines in den USA) – lassen Mann eher geben auf die Santa Monica Mountains, wo Mann umständlich als eloquent erscheinen. bisweilen Szenen für seine Western drehte und Jean Wagner, der mit Mann mehrfach gespro- den Kriegsfilmmen in war.40 Nina Mann, die bis chen hat, hat ihn als höflich und zurückhaltend zum Alter von zwölf Jahren mit ihrem Vater zu- beschrieben (ein »homme secret«). Kein »offen- sammenlebte, berichtet, dass ihre Kindheit nicht sichtliches Mysterium« sei an ihm spürbar, kein den gängigen Klischees von Parties, Glamour und »Drang, eine Revolution in Gang zu setzen«; statt- Star-Besuchen entsprach: »It was not like a typical dessen eine pragmatische Haltung zum Filmema- Hollywood childhood experience. There weren’t chen und die unausgesprochene Gewissheit, dass big opening premieres that I am aware of.«41 Ihr zum Gelingen eines Films mehr nötig sei als ein Vater verstand, darauf weist Nina immer wieder Einzelner.39 Man findet keine Sensationsstücke und hin, seine Tätigkeit zuallererst als Möglichkeit des Klatschgeschichten über Mann in den Boulevard- Broterwerbs. Er trennte zwischen Beruf und Leben.

17 Der Mann

Wim Wenders hat notiert, dass die weitgehen- wird Mann fix als Autor ins Zentrum gestellt und de Unbehelligtheit (vor der Klatschpresse, vor der alles Material um den Regisseur herum organi- Kritik) für Mann und andere Regisseure wie Blake­ siert. Dabei wird eine Form der Lektüre gewählt, Edwards und wichtig gewesen sei die in Anlehnung an Karl Prümm »nicht primär für die Entwicklung ihres Stils, dass sie »beinahe Urheberschaften« der an den Filmen beteiligten unbemerkt (und vor allem dadurch, daß sie kein Personen und Gewerke ableitet, sondern »die Ef- großes Aufheben mach[t]en […])« wachsen und fekte, die Wirkungen« im jeweiligen filmischen experimentieren konnten und »damit letzten En- Text selbst ausmacht.46 Wichtige Kollaborateure des zu amerikanischen Autoren« wurden: »Eine – John Alton als Kameramann, Philip Yordan als Zeitlang können diese Regisseure Filme machen, Autor, James Stewart als Darsteller – werden in wie sie es wollen. […] Keiner dieser Regisseure hält ihrer Bedeutung für Manns Arbeit ausführlich sich für einen ›Autor‹, aber sie haben ihr Selbstbe- vorgestellt, ohne den Fokus von Manns Gesamt- wußtsein und entwickeln ihre eigene Handschrift.« werk abzuwenden. Wenders hält auch fest: »Aus irgendeinem Grund Es gehört zu den Verlockungen der auteur- habe ich mich für das Leben dieses Mann(e)s nie Kritik, ausgehend vom Meisterwerk Linien zu zie- interessiert. Seine Filme hatten auch nie auf ihn hen in alle Richtungen, Verbindungen zu suchen, selbst verwiesen.«42 Entwicklungen aufzuzeigen: Was das Meisterwerk Zur Selbstbeschreibung aufgefordert, hat An- ausmacht, das muss doch auch in den früheren thony Mann stets betont, ein Arbeiter zu sein, Arbeiten zu finden sein. Diese Lesart, die man te- und alle Zuschreibungen des Genialischen abge- leologisch nennen kann, hat Jeanine Basinger in wehrt.43 Nach allem, was man über den Regisseur ihrer Monographie über Mann (zuerst 1979, ak- weiß, war das kein Kokettieren. Den Cahiers du ci- tualisiert 2007), der ersten im englischsprachigen néma hat er gesagt: »[I]n any case, you try to put Raum, angewandt: von einer Phase der Lehrzeit something truly personal into every film, no mat- (in den B-Units) über die Konsolidierung (in den ter how small.«44 Das aber tat Mann in der Regel Films noirs) zur Meisterschaft (im Western und nicht auf Kosten der erzählerischen, stilistischen weiteren Filmen der 1950er Jahre) und schließlich und thematischen Geschlossenheit seiner Filme. zur Regression (nach el cid). Praktisch alle spä- Mit Bezug auf Mann und Budd Boetticher teren Autoren haben diesen Bogen im Wesentli- schrieb Michael Althen: »Diese Männer hatten auf chen übernommen. der Leinwand nichts zu beweisen – außer, daß sie Mir scheint dieser auf Qualität zielende und ihr Handwerk verstehen. Das verlieh ihnen eine in Bezug auf Manns Früh- und Spätwerk letzt- Gelassenheit, die jede große Kunst braucht, und lich auch apologetische Blick unnötig verengt. erlaubte ihnen eine Freiheit, die in ihren schöns- Er übersieht so bedauernswert viel: jene Filme, ten Momenten in reine Poesie mündete.«45 die ausbrechen aus der Umgrenzung, jene Ver- suche, die in Sackgassen geendet sind. Natürlich Zum Buch fügt sich der Fliegerfilmstr ategic air command kaum ein in den künstlerischen und thematischen Auf der skizzierten Grundlage, die vom persönli- Kontext der Western vor und nach ihm: Aber er ist chen Stil und der Weltanschauung des Regisseurs Produkt und Grundlage der außergewöhnlichen ausgeht, das Genre-Kino und den B-Film ernst zu Zusammenarbeit zwischen Anthony Mann und nehmen bereit ist, Abseitiges und Verfehltes aus- James Stewart über fünf Jahre hinweg. Natürlich drücklich einbezieht und nicht auf qualitative Be- ist cimarron als Western verfehlt: Aber er zeigt wertungen zielt, soll Anthony Manns filmisches im Scheitern, welche thematischen Ansprüche mit Schaffen im Folgenden als Œuvre begriffen und dem Mann’schen Kino vereinbar sind und welche analysiert werden. Gemäß der politique des auteurs nicht. Wenn schon die Annahme anfechtbar ist,

18 Zweite Generation in Hollywood dass im arbeitsteiligen Classical Hollywood ein Konstanten gibt. In Spanien und Italien ist Mann einzelner Film den unverfälschten Ausdruck eines verhältnismäßig große Beachtung zuteil gewor- Regisseurs bedeutet, wieso sollte das dann für ein den, was vor allem auf die spanisch-italienischen Jahrzehnte umspannendes Werk gültig sein? Wa- Koproduktionen el cid (1961) und the fall of the rum sollte ein Œuvre glatt und rund erscheinen? roman empire (1964) zurückzuführen ist. Die Mo- Warum nicht kantig sein, Einkerbungen haben, nographien, die dort erschienen sind,47 gehen über Auswüchse aufweisen? So viele Aspekte wie mög- die Ebene der Filmbeschreibung aber kaum hinaus. lich beleuchten, so viele Seitenlinien wie möglich Die mit Abstand größte fachwissenschaftliche verfolgen, das Abseitige und Widersprüchliche Aufmerksamkeit haben Manns Western erhalten: anerkennen: Das Gesamtbild wird dadurch viel- Hier ist Jim Kitses’ erstmals 1969 erschienene leicht nicht präziser, aber reicher. Studie Horizons West, die dem Regisseur ein um- Dieses Buch nimmt sich die Freiheit, Manns 39 fangreiches Kapitel widmet, auch heute noch der Filme und, wo relevant, Filmbeteiligungen nach maßgebliche Referenzrahmen (in der erweiterten vielfältigen Zuspitzungen zu sortieren. Das Ord- Edition von 2004). Bezogen auf die Dramaturgie nungsprinzip geht dabei grundsätzlich von den und die Figurenkonzeption in Manns Western ist Genres aus: Musicals, Komödien, Films noirs und das entsprechende Kapitel in Jacques Rancières Western; der Abschnitt zu ›Europa‹ aber enthält philosophischen Film Fables (englische Ausgabe: sowohl epische als auch Kriegs- bzw. Spionagefil- 2006) sehr aufschlussreich. Manns Filme jenseits me, und die zu ›Amerika‹ gruppierten Filme las- des Western, die immerhin fast drei Viertel seines sen sich ohnehin kaum in Genregrenzen zwängen. Werks ausmachen, sind bisher weitgehend unbe- Nicht zuletzt sind ästhetische, motivische und sprochen geblieben, wobei der 2014 in den USA er- thematische Ähnlichkeiten bei der Zuordnung schienene Band zu Manns Kriminalfilmen (Max ein wichtiges Kriterium; so kommt es, dass der Alvarez) die Ausnahme bildet. Hervorzuheben ist Opernfilmseren ade in einer Reihe mit (deutlich hier vor allem die umfassende Recherchearbeit früher entstandenen) Films noirs diskutiert wird. in Primärquellen, die nicht nur hinsichtlich der Die Chronologie ist, wo sinnvoll, aufrechterhalten, Produktionsumstände der behandelten Kriminal- sowohl in der Abfolge der Blöcke als auch in den filme neue Erkenntnisse hervorbrachte, sondern Kapiteln selbst. Die in den einleitenden Kapiteln auch in Bezug auf Anthony Manns frühe biogra- skizzierten stilistischen und thematischen Kon­ phische und berufliche Stationen. stanten ermöglichen das Ausdeuten von Querver- Über die genannten Publikationen hinaus sind bindungen und die Durchdringung des Gesamt- zu Manns Regiewerk einzelne Essays und Artikel werks über die Kapitel hinweg. in Sammelbänden sowie mehrheitlich britischen und französischen Filmzeitschriften erschienen. Anthony Manns Werk ist bisher nur schlaglicht- Das Interesse konzentriert sich auch hier auf artig beleuchtet. Die bis heute einzige relevante Manns Western (mit einem Schwerpunkt auf der englischsprachige Monographie zu Manns Gesamt- Zusammenarbeit mit James Stewart und zuwei- werk hat Jeanine Basinger 1979 verfasst und 2007 len auch auf der Konstruktion von Männlichkeit). für eine Neuauflage erweitert. An Basingers zwar Zu Manns B-Filmen haben Don Miller (in Focus verkürzte, aber präzise Analysen vor allem auch on Film) und Arlette Mille (in Positif ) gearbeitet. der frühen Filme kommt die ähnlich aufgebaute Die epischen Filme finden regelmäßig in Antho- Darstellung von William Darby (2009) nicht her- logien zum Monumentalfilm Platz, und bezogen an. In Frankreich hat Jean-Claude Missiaen schon auf Manns gesamtes Werk hat als Einzelfilmthe 1964, zu Lebzeiten des Regisseurs, einen schma- fall of the roman empire die wohl umfäng- len Band veröffentlicht, der wichtige Hinweise zu lichste wissenschaftliche Bearbeitung erfahren, Manns thematischen Anliegen und stilistischen bezeichnenderweise durch (zumeist) Historiker.48

19 Der Mann

Explosiv, dynamisch, actionreich: Szenenfoto aus devil’s doorway, 1949/50

Stil

til, so Rudolf Arnheim, dürfe sich »nicht mit stilvollen Künstlern nicht, indem wir ihre Tricks, SAbsicht« entwickeln, sonst handle es sich um sondern indem wir ihre Einstellung zur Arbeit kopie- bloße Manier: ren: die Welt scharf ansehen, ihr Wesentliches mög- lichst prägnant zu erfassen versuchen – und dann »Manier ist die äußerliche Verwendung von Hand- probieren, welche die einfachsten und sparsamsten werkskniffen. Stil aber ist die Schaffung einer ganz Mittel sind, um diesen Eindruck wiederzugeben.«49 neuen, eigenen Welt mit eigenen Gesetzen, aus de- nen die Anwendung neuartiger Gestaltungsmittel Anthony Mann war ein Stilist im Arnheim’schen sich mit Notwendigkeit ergibt. […] Wir lernen von Sinne: einer, der das Stilistische nicht forcier-

20 Stil te, der nicht den schnellen Effekt wählte, son- Fixierung der Kritik auf den bloßen Inhalt eines dern die sorgsame, wach beobachtende, Geduld Films vehement attackierten: erfordernde Entfaltung. Stil als »kalkulierte[r] Zusammenhang des Ausdrucks und der Form« »There was a time when movies were judged almost realisiert sich für Karl Prümm »als Differenz- entirely in terms of an absolute fidelity to social und als Kontrasterfahrung« und »in einer be- reality. Good intentions alone were too often con- ständigen Vermittlung von Norm und Abwei- sidered the paving stones to heaven. By establish- chung, in einem widersprüchlichen Ineinander ing the notion of individual creation in even the von Distinktion und Homogenisierung«, ist also Hollywood cinema, the French shifted the critical nie losgelöst vom jeweiligen Umfeld zu denken.50 emphasis away from the nature of content to the Das Umfeld, in dem Manns Stil sich ausbildete director’s attitude toward content.«54 und vollzog, war die Filmkunst des klassischen Hollywood, für David Bordwell bestimmt von Die Haltung des Filmemachers zum Inhalt: Sie ist »harmony, naturalness, subtlety, and unobtru- niemals zu denken ohne die Haltung des Filme- sive control«.51 Diesen Maximen blieb Manns machers zum Kino selbst. Ein Stil ohne Thema über die Jahre sich entwickelnder, dabei ver- mag vorstellbar sein (wenn auch nicht im Classi- ändernder, nie aber sich selbst entsagender Stil cal Hollywood); ein Thema ohne Stil dagegen nie. vom Beginn bis zum Ende seines filmischen Deshalb im Folgenden: erst die Analyse von An- Schaffens verpflichtet. Für Mann gilt, was Eric thony Manns Stil, dann seiner Themen. Rohmer über Otto Preminger sagte: dass man in jedem seiner Filme zeigen könne, »an welchem Primat des Visuellen Punkt die königliche Einfachheit des Stils sich der Analyse entzieht, weil jedes Einzelproblem Obwohl Anthony Mann anders als John Ford, Raoul stets nach Maßgabe einer wachen Sensibilität Walsh oder Henry King kein Veteran des Stumm- und nicht eines laut herausposaunten Systems films war, sondern seine Wurzeln im Theater hat- gelöst wird«.52 Es verwundert nicht, dass Mann te, verstand er den Film von Anfang an radikal als in einem seiner wenigen Texte gerade die »ri- Medium des Bildes. »He did not think of films as gid self-discipline« hervorhob, mit der sich ein an extension of theater«, schrieb deshalb Basinger Regisseur der bloßen spektakulären Oberfläche über Mann: »He wasted no time trying to bend erwehren müsse.53 movies into plays.«55 Einmal in Hollywood, war ›Stil‹ und ›Thema‹, ›Form‹ und ›Inhalt‹ sind in Manns Inszenierungsweise vom ersten Moment an der Kunst grundsätzlich distinkte, im Idealfall eine Inszenierung für die Kamera. Mann wurde in vom Künstler zu einer Synthese zu bringende Hollywood Teil einer Industrie. Die Studios gaben Kategorien, die je nach Mode und intendiertem ihm ein Drehbuch, ein Team, eine Deadline. Und, Zweck von der Kritik gern so behandelt werden, für Mann das Schlimmste, eine Handvoll »actors als schlössen sie einander aus oder als sei zumin- who can’t be made to say lines«.56 dest das eine weit hehrer als das andere. Im Fall Trotzdem gelang es Mann schon in seinen ers- des Films hatte, grob gesprochen, in den frühen ten Filmen, den bescheidenen Bedingungen beson- Jahren eine ästhetische Filmkritik dominiert, die dere Bilder abzutrotzen. Er nutzte augenblicklich bald verdrängt wurde von einer politischen, auf die visuellen Möglichkeiten, die das Medium ihm Gesellschaft und Ideologie zielenden Analyse, die bot: In der Eingangssequenz von dr. broadway, dem Filmthema den klaren Vorrang gab. Nach An- seinem ersten Film (1942, für Paramount), het- drew Sarris ist deshalb das große Verdienst der zen Reporter auf der Jagd nach einer Schlagzeile französischen Advokaten der auteurs um André zu einem Schauplatz, an dem sich bereits Feuer- Bazin nicht zuletzt darin zu suchen, dass sie die wehr, Polizei und Schaulustige versammelt ha-

21 Der Mann

Dass er, noch unter sei- nem bürgerlichen Namen Bundsmann, von Juni 1939 bis Juni 1940 als Regisseur beim Fernsehen arbeitete, war lange unbekannt. Max Alvarez hat diese Episode in Manns Karriere im De- tail recherchiert: Am 30. April 1939 nahm der von der Radio Corporation of America und der National Broadcasting Company (NBC) betriebene Sender W2XBS den ersten regu- lären Fernsehbetrieb auf. Knapp zwei Monate später, am 20. Juni 1939, wurde Manns erste Live-TV-Show ausgestrahlt. Die Skrip- te der Sendungen, kurze Werbestücke und Thea- teradaptionen, sind auf Mikrofilm in der Library of Congress in Washing- ton überliefert. Alvarez schreibt:

»As a director at W2XBS from 1939 to 1940, Anton Jean Phillips in dr. broadway, 1941/42 (Standfoto) Bundsmann was among the very first television direc- ben. Alle blicken nach oben; noch ist nicht klar, tors in the world. In the original scripts for these was hier vor sich geht. Ein abrupter Reißschwenk productions […], which ranged from ten-minute löst die Spannung: Man sieht, wie eine junge Frau segments to full-length productions, his handwrit- in großer Höhe auf dem Mauervorsprung einer ten technical notes for the cameras appear on the Hotelfassade steht. Mit der nächsten Einstellung right side of every page. Bundsmann was acquir- nimmt Mann einen Perspektivenwechsel vor und ing additional moviemaking technique via the live skizziert die prekäre Lage des Mädchens rasch television experience.«57 und eindrücklich. Von oben herab zeigt die Ka- mera die wartende Menge und die Scheinwerfer, Drei Ikonoskop-Kameras standen Mann zur Ver- die sich auf das Mädchen richten, und gibt so ein fügung, um die abendfüllenden Live-Fernseh- Gefühl für die Höhe und die Todesgefahr. spiele aufzulösen. Weil in der Pionierzeit des TV Anthony Mann vollzog allerdings den Schritt keine Technik zur Aufzeichnung der Sendungen vom Broadway nach Hollywood nicht bruchlos. existierte, wird Anthony Manns erster Western

22 Stil niemals zu sehen sein: Missouri Legend, eine ko- empire – dem längsten unter den wenigen Arti- mische Darstellung der Lebensgeschichte Jesse keln, die Anthony Mann als Autor veröffentlich- James’ nach einem Theaterstück von E.B. Ginty, te – schrieb er 1964: ging am 18. Juli 1939 über den Äther.58 Ein Fragment von Manns Fernsehschaffen ist »I believe in the very simplest dialogue. […] Shake- jedoch überliefert: In den frühen 2000er Jahren speare needed the words to create the image. His wurde in einem privaten Nachlass ein kurzer stage was not like our stage. For us, the image is 16mm-Film entdeckt, der Szenen aus einer am always there. One must be very careful of words. 31. August 1939 ausgestrahlten, von Mann gelei- A word can destroy an image. There is constantly teten Live-Inszenierung des Stücks The Streets of a need to be careful what words to exclude, rath- New York; Or: Poverty Is No Crime zeigt. Die von ei- er than add. The word is on the soundtrack, it is nem Monitor abgefilmte Aufnahme stammt ver- away from the picture, it is vital that what you see mutlich von einem Techniker oder von einem der is real, rather than what you hear.«63 damals rund 500 Besitzer eines Fernsehgeräts. Der stumme, knapp sechsminütige Film, der sich Philip Yordan, Manns langjähriger Drehbuchau- in der Sammlung des in tor, hatte mit der dialogkritischen Haltung des New York befindet, gilt als frühestes Bewegtbild- Regisseurs zuweilen zu kämpfen. Das Drehbuch zu Dokument der amerikanischen TV-Geschichte men in war (1957, für United Artists), berichtete und kann einen Eindruck geben von der überra- Yordan, habe Mann von 150 auf 82 Seiten gekürzt: schend komplexen Fernseharbeit, die Anthony »He threw out all the dialogue. Of course, I put all Mann und sein Team leisteten.59 Zu den visuellen of the dialogue back in to get Aldo Ray and Robert Höhepunkten des Fernsehspiels, in dem auch die Ryan to play it. I said to him, ›What am I going to 20-jährige Phyllis Isley Walker, später besser be- do if you send them this script? They won’t show kannt als Jennifer Jones, mitwirkte, gehören ein up!‹« Yordan, ein Hollywood-Profi durch und Schneesturm und ein Häuserbrand. Beides ist durch, würdigte seinen Freund im selben Inter- auszugsweise auf den Filmfragmenten zu sehen. view: »He had a camera eye. I went on location Richard Koszarski schreibt darüber in seiner Stu- with him once on a Western. He saw things. He die zum frühen US-amerikanischen Fernsehen: understood the camera. He would say, ›Phil, I’m »What exists reveals the camera work as surpri- not that concerned about the dialogue. Nobody singly fluid and reasonably complex. At least two listens, they look, they watch…‹«64 cameras were used in some of the scenes, which Wie sehr Anthony Mann sich dem Film über appear to have been carefully rehearsed to take die Bilder näherte, verdeutlicht das 1947 von full advantage of camera mobility.«60 ihm gemeinsam mit Francis Rosenwald ver- Dass sich Manns Verständnis von Film auf fasste Treatment zu follow me quietly. (Zum den Glauben an ein Primat des Visuellen grün- Drehbuch ausgearbeitet wurde es von Lillie dete, auf den Vorrang des Bildes vor dem Dialog, Hayward und Martin Rackin, realisiert wurde betonte er stets in seinen Interviews. Gegenüber der Film von Richard Fleischer.) Die Passage, die Sight and Sound hielt er fest: »[A] film above every- den nächtlichen Angriff eines Serienmörders thing else is visual, and therefore if you’re going auf einen Zeitungsredakteur beschreibt, zeugt to tell a story […] you should pick one that has von Manns Vorliebe für konzentrierte Aktion great pictorial qualities to start with. […] I don’t genauso wie von seinem Gespür für Atmosphä- believe in talk, not for films. That’s for the theatre. re, die hier gefärbt wird durch den Wechsel von Here you see it.«61 Den Cahiers du cinéma sagte er: Licht zu Schatten und durch kleine, wirkungs- »A film must be visual, too much dialogue kills volle Details wie das Aufglimmen einer Ziga- it.«62 In seinem Text zu the fall of the roman rette im Dunkeln:

23 Der Mann

»The office on the eighth floor – McGill sitting at Die Zeit seiner kleinen Films noirs und Musicals the roll-top desk editing an article – he pays scant vor allem bei Republic und in der B-Unit von RKO attention to the footsteps approaching down the erinnerte Mann deshalb auch als Lehrjahre auf hall outside. Unhurried footsteps. […] dem Weg zu einer visuellen Sicherheit, wie Ford The footsteps pause just outside the door. McGill sie hatte: »It was a good school, the roughest but doesn’t notice this. His back is toward the glass the best: the maximum performance with the mi- door – his eyes focused on the article in front of him. nimum means. The least shot had to contribute Suddenly the lights go out. to the significance of the whole, the least gesture All the lights. typed a character.«67 Darkness. Es ist bezeichnend, dass Anthony Mann mit Only a faint glow outside the windows – And a trick- dem Primat des Visuellen gerade eines jener Prin- le of light seeping through the frosted glass door. zipien so vehement vertrat, die als konstitutiv für McGill pivots in the swivel chair. die Erzählweise des Classical Hollywood gelten. Somebody moves in the room. Karl Prümm nennt die »Bildhaftigkeit des Filmi- The tip of a cigarette glows. schen« zugleich die »Eigentlichkeit des Mediums«, A pair of hands finds McGill’s throat – Tighten- David Bordwell spricht vom »Primat der visuellen ing – Cutting off his breath – Pushing him back – Darstellung« und der »Grundregel […], alles Wich- McGill hangs on to unseen wrists – Twisting – tige visuell auszudrücken«, Thomas Elsaesser be- Gasping – tont die »visual culture« der Filme von Lubitsch, Not a sound from the figure. Sirk, Cukor, Preminger, Welles und anderen.68 The chair overturns. McGill rolls across the floor – Eric Rohmer postuliert: »Möge die Leinwand […] Rolls on toward the window. He raises himself on ihre wahre Funktion wiederfinden, nämlich die, hands and knees – heading straight for the win- etwas zu zeigen, statt etwas zu sagen.«69 »[E]xces- dow. He smashes it. Crashes through it. Screaming sively obvious« sei das klassische Hollywood-Kino – Jumping – Falling –.«65 denn auch, so Bordwell, Staiger und Thompson:70 Was allerdings, wie Ivo Ritzer bemerkt, niemals Das ist grafisch gedacht und geschrieben: eine heißen könne, etwas Sichtbares wiederzugeben, wortlose Szene, die ein erhebliches Maß an Be- sondern in der Kombination aller filmsprachli- klemmung zu evozieren weiß – mehr als die von cher Mittel etwas sichtbar zu machen.71 Auch An- Richard Fleischer tatsächlich im Film umgesetz- dré Bazin bezieht sich auf die Balance zwischen te Sequenz. der abbildenden und der ästhetisch formenden In seiner Überzeugung, dass das Bild das maß- Leistung der Kamera, wenn er schreibt, dass der gebliche Mittel filmischen Ausdrucks sein müsse, Film »eine Kunst« sei, »in der das Bild vor allem blieb Mann immer kompromisslos. Zu keinem an- zählt, weil es die Realität enthüllt, nicht weil es deren Aspekt seiner Arbeit bezog er derart klar ihr etwas hinzufügt«.72 und häufig Stellung. Am schönsten brachte Mann In einem derart stark auf das Bild ausgerich- seine Haltung zum Ausdruck, wenn er über John teten filmischen Konzept kommt dem Kamera- Ford sprach, den er bewunderte: mann naturgemäß große Bedeutung zu. Antho- ny Mann bevorzugte dabei anstelle der jungen »In one shot, he expresses location, content, and Wilden stets die Routiniers. Was nicht heißt, dass character more quickly than anyone else can. He Mann ästhetische Wagnisse scheute. Aber ge- has the strongest visual conception of things […]. konnt und sicher musste die Kameraarbeit sein. The shock of glimpsing an entire life, an entire Das Klassische kennen und beherrschen, um es world, in a single little shot is much more impor­ zu variieren: Das war Manns Maxime. Und so er- tant than the most brilliant dialogue.«66 zielte Mann seine besten Ergebnisse immer mit

24 Stil den erfahrenen Studiokameramännern. In den daß sie, zumindest im Geviert dunkler Bilder, hell frühen Filmen der 1940er Jahre: mit Theodor zu erstrahlen hätten wie Kartuschen, auf denen Sparkuhl, der in Europa für Ernst Lubitsch und die psychischen Tiden der Handlung und vor al- für Jean Renoir gearbeitet hatte (für Mann foto- lem das Aussehen der Stars (also deren Kaufwert) grafierte er dr. broadway); mit Reggie Lanning der Sichtbarkeit ungetrübt dargeboten bleiben.«75 (strangers in the night, 1944, für Republic); mit James Spencer Brown (der vor the great fla- Eine »Fiesta visueller Tortur« habe sich in der kon- marion 1945 für Republic schon mehr als hun- genialen Zusammenarbeit dieses Kameramanns dert Credits erworben hatte). Bei den Filmen, die und dieses Regisseurs entwickelt. Gemeinsam Manns Übergang von den B- zu den A-Units der wurden Mann und Alton zu »Schmerzzufüger[n] Studios markierten, führte dann John Alton die mit den Waffen der Form«.76 Tom Gunning nann- Kamera, der akribische Lichtsetzer, der Meister te Alton den »dean of noir camera stylists« und der Kontraste. Auf den in Sopron, Ungarn, an der schrieb: Grenze zu Österreich als Johann Altmann gebo- renen Kameramann73 traf Mann 1947 bei Eagle- »John Alton’s cinematography nearly defines the Lion; ihr erster gemeinsamer Film war t-men, ein stylistics of film noir, expressing its subordina- Film noir mit semi-dokumentarischem Gestus, der tion of the visible to an overwhelming darkness. zwei Undercover-Agenten der amerikanischen While his mastery of shadow with sharp contrasts Finanzbehörde bei der Falschgeldfahndung zeig- between zones of light and darkness has been ad- te. Mit Alton drehte Mann in den nächsten drei mired, few commentators have noticed how sim- Jahren noch raw deal (1948) und reign of ter- ple his set-ups can be. Instead of a multiplicity of ror (1949) für Eagle-Lion sowie border incident lights, Alton avoids all but a few sources and relies (1949) und devil’s doorway (1950) für MGM. John on opaque elements within the set or location to Alton vollzog also noch mit Mann den Schritt in shape shadows for him. The sides of buildings, the den Western, blieb dann aber bei MGM (und Vin- frame of a window or a doorway split light and gen- cente Minnelli, für dessen an american in paris erate shadows, endowing Alton’s noir images with [1951] er einen Oscar erhielt), während Mann für something more than atmosphere. Darkness swells seine weiteren Filme zwischen den Studios hin up from the city itself and pours shadows onto the und her wechselte. streets and its inhabitants.«77 Mit John Alton tauchte Mann ein ins schwär- zeste Schwarz und legte diesen Anstrich in sei- »Some film historians have argued that Mann’s nen späteren Filmen nicht mehr ab. »I could see early films are John Alton’s«:78 Richtiger ist es, more in the dark than I could in color«, soll Al- Mann und Alton als symbiotisches Doppel zu ver- ton gesagt haben; »I could see in the dark.«74 Für stehen, deren Vorstellungen und Fähigkeiten ei- Harry Tomicek ist das Schwarz in den Mann-Al- nander so spontan wie nachhaltig bereicherten. ton-Filmen: »Unverkennbar das harte Licht, die graphischen Konturen, die gewagten und manchmal bizarren »tiefer oder weniger intensiv gesättigt, nebelartig Bildwinkel, die heftigen Wischblenden oder unver- oder undurchdringbar, es hat hundert Abstufun- mittelten Kamerabewegungen«, schrieb Wim Wen- gen, hundert Valeurs, füllt die Bandbreite von An- ders über die Films noirs des Duos: »Viele Szenen nähernd-Schwarz bis An-und-für-sich-Schwarz und sind an Originalschauplätzen gedreht, die aber in bedeckt das Ensemble der Dinge wie gierige Erd- Altons Licht wie expressionistische Kulissen aus- ölseen oder Rabengefieder oder tuschegetränkte sehen. (Und wenn die beiden im Studio drehen, Mantillen. Es lagert ohne Hemmung über Gesich- gelingt es ihnen, diese Sets so realistisch ausse- tern, von denen in Hollywood der Imperativ gilt, hen zu lassen, als seien sie am Ort gewesen.)«79

25 Der Mann

Gemälde aus Licht: John Altons Lichtsetzung für und Arlene Dahl in reign of terror, 1948 (Standfoto)

26 Stil

Auch in Manns Filmen vor und nach Alton mark (für Columbia), dem letzten vollständig ist jederzeit eine besondere Wertschätzung von Mann verantworteten Film. des filmischen Schauwerts fühl- und sichtbar. In Anthony Manns erfolgreichste Karrierepha- Das trifft vor allem auf Manns Western zu, ob- se fiel der Boom des Breitwandfilms; der Regis- wohl hier in elf Filmen neun verschiedene Ka- seur machte auf souveräne Weise davon Gebrauch, meramänner zum Einsatz kamen: Nur William dabei aber auch: reserviert, zurückgenommen. Mellor (the naked spur [1953, MGM], the last Für Manns nüchterne, pragmatische Haltung frontier [1955, Columbia]) und William Daniels den neuen Formaten gegenüber spricht, dass er (winchester ’73 [1950], the far country [1955, verhältnismäßig selten mit dem superbreiten beide Universal]) arbeiteten an je zwei Western CinemaScope operierte. Fünf Filme drehte er im mit. Daniels, ein weiterer Star unter den Kame- 2,35:1-Format, den von ihm nicht fertiggestell- ra-Routiniers, berühmt für seine Arbeiten mit ten a dandy in aspic eingeschlossen; demgegen- (foolish wives [1922] und über stehen elf Widescreen-Filme (inklusive des merry-go-round [1923, beide Universal], greed nachträglich beschnittenen thunder bay80) in [1924, MGM]) und Greta Garbo (u.a. grand ho- gemäßigteren Breiten von 1,66 bis 2,20:1. In den tel 1932 für Edmund Goulding, queen christina Fällen, in denen Mann als Produzent die Parame- 1933 für Rouben Mamoulian, ninotchka 1939 für ter der Produktionen selbst bestimmen konnte, Ernst Lubitsch, alle MGM]) in den 1920ern und wählte er für zwei von drei Filmen (men in war 30ern, fotografierte für Mann auch noch thun- und god’s little acre) ein Format von 1,85:1 – der bay (1953) und das elegante Musical-Biopic ein Mittelding, näher am Klassischen, letztlich: the glenn miller story (1954) für Universal. ihm mehr gemäß. Mit dem Western bend of the river wechselte Für Norbert Grob ist die Breitwand »das For- Anthony Mann 1952 zum Farbfilm (Technicolor; mat des nachdrücklicheren Augenscheins, es zeigt für Universal), nur für drei Produktionen kehr- nicht, es präsentiert«.81 Mehr Raum um die Figuren, te er danach zum Schwarz-Weiß zurück. Zwei mehr Platz für Angedeutetes, Beiläufiges, Mitge- davon, men in war (1957) und god’s little acre meintes: freierer Raum = freierer Blick = freierer (1958, beide für United Artists), fotografierte Er- Sinn. Das breite Format korrelierte mit Anthony nest Haller (auch Kameramann bei gone with Manns Überzeugung, dass der Regisseur Räume the wind 1939 für Victor Fleming, mildred und Figuren zu ordnen und das Drama passieren pierce 1945 für Michael Curtiz, rebel without zu lassen habe, Bedeutung dabei anbietend, nicht a cause 1955 für Nicholas Ray) mit einem erle- vorgebend. Jean-Luc Godard hat – anlässlich von senen Spektrum an Graunuancen; dass Haller man of the west in CinemaScope – gemeint: »Mit auch ein Meister des Farbfilms war, bewies er Anthony Mann erhalten wir in jeder Einstellung 1958 für Mann und United Artists in subtilem zugleich die Analyse und die Synthese oder, wie MetroColor mit man of the west. Für seine bei- Luc Moullet es sehr richtig festgestellt hat, das den epischen Großprojekte el cid (1961) und the Instinktive mit dem Reflektierten.«82 Letztlich fall of the roman empire (1964), die grandiose heißt dies, dass der Regisseur Ein- und Mehrdeu- Landschaftspanoramen mit prächtigen Indoor- tigkeit, Klarheit und Unschärfe, Kalkül und Zu- Sets vereinen, vertraute Mann schließlich auf fall zeitgleich zuließ, in jeweils einer Einstellung, Robert Krasker (brief encounter 1945 für Da- in jeweils einem Moment. vid Lean, the third man 1949 für Carol Reed, Souverän und unaufgeregt fügte Mann die the quiet american 1958 für Joseph L. Manki- breiten Formate ein in sein bestehendes ästhe- ewicz); mit ihm machte Mann in norwegischem tisches Konzept. Die überbreiten Bilder erlaub- Schnee und Eis 1964/65 auch die melancholisch ten es ihm, den lange erprobten Stil noch feiner gefärbten Aufnahmen zu the heroes of tele- zu nuancieren, mit mehr Spielraum, mit mehr

27 Der Mann

Möglichkeiten der Variation. Damit handhab- gungen […], die aus einer anderen Zeit zu stammen te Mann die Widescreen-Revolution – wie auch scheinen. […] Von der puren Dramatik gelangt man den Umstieg vom Schwarz-Weiß- zum Farbfilm, so ins Lyrische.«84 den er wenige Jahre zuvor mit bend of the river vollzogen hatte – augenblicklich als Gegebenheit, Physischer Stil nicht als Novität. Und mit einer auch technischen Meisterschaft, die Wim Wenders (anlässlich von Die Verpflichtung an ein Primat des Visuellen man of the west mit Ernest Haller an der Kame- könnte sich auf jeden beliebigen Bestandteil des ra) hervorhebt: Films beziehen: auf den Dekor zum Beispiel, auf die Inszenierung von (Innen-)Räumen, auf einen »Einstellung für Einstellung dieselbe souveräne Rausch der Farben, auf einen Widerstreit von Nutzung des Raumes, obwohl es kaum ein Bild- Schwarz und Weiß. Bei Mann aber bezog sich das format gibt, das so schwer auszufüllen und zu Primat des Visuellen unverkennbar auf die Dar- beherrschen ist wie Cinemascope, die Staffelung steller, und damit: auf die Körper der Darsteller der Personen wie in klassischen holländischen und ihre Relation zum sie umgebenden Raum. Gemälden, und dann vor allem die überraschen- Selbst im Monumentalfilm, dessen Markenzei- de Tiefenschärfe!« chen die Massenszenen sind, kam Mann für die Schlüsselmomente immer wieder zurück auf die Die Aufgabe des Regisseurs, sagte Anthony Mann intime Situation. (Nur dort, wo ihn die Story nicht einmal, sei es, Visionen zu entwickeln; die Kunst überzeugte, wählte er andere visuelle Zentren: in des Kameramanns bestehe darin, diese Visionen strategic air command [1955] die Kampfjets, in in Bilder umzusetzen. »Not all cameramen can thunder bay [1953] die Architektur der Bohrinsel.) see what you can see, and not all cameramen can Mann arbeitete mit Geschichten, die ihm An- capture what you can feel.«83 Seinen Filmen nach satzpunkte boten für sein Primat des Visuellen: zu urteilen, bewies Mann hier ein sicheres Ge- Stories, die die Physis ihrer Figuren thematisier- spür. Weitere große Kameramänner, mit denen ten und besonderen Körpereinsatz der Schau- Mann zusammenarbeitete, waren Charles Lang spieler verlangten. Es kommt nicht von ungefähr, (a foreign affair 1948 und some like it hot 1959 dass Manns Filme als besonders gewalttätig in für Billy Wilder, the big heat 1953 für Fritz Lang, Erinnerung bleiben. Rangeleien, Überfälle, Ver- 1960 für John Sturges) folgungsjagden, Morde bilden narrative und in- bei the man from laramie (1955 für Columbia) szenatorische Höhepunkte seiner Arbeiten. Dabei sowie Loyal Griggs (shane 1953 für George Ste- sind Szenen mit expliziter Gewaltdarstellung so- vens, the ten commandments 1956 für Cecil B. wohl in den Films noirs als auch in den Western DeMille, the hangman 1959 für Michael Curtiz) verhältnismäßig spärlich eingestreut: »The sec- bei the tin star (1957 für Paramount). ret«, so Jim Kitses, »is to allow the whole to be Für Raymond Bellour ist die Kamera in den coloured by one or two parts. Thus much of the Filmen von Anthony Mann violence in Mann is a violence of atmosphere«.85 Virtuos jonglierte Mann mit einzelnen, sorgfältig »zumeist Beobachterin und treue Begleiterin […], inszenierten Schockmomenten, um der Atmo- die für die präzise logische Einordnung jeder Sze- sphäre eines Films schlagartig und nachhaltig ne sorgt; unvermittelt aber auch ins Träumerische eine Prägung zu geben. Nina Mann, die Tochter wechselt, Abstand sucht, liebkost, für Momente des Regisseurs, erinnerte sich in einem Interview träge ist, sich erhebt und näherkommt, verharrt, an das fast kindliche Vergnügen, das ihr Vater ein Eigenleben entwickelt. Es sind solcherart schö- entwickeln konnte, wenn er ungewöhnliche, ver- ne, fast immer draußen sich vollziehende Bewe- blüffende Vorgehensweisen erdachte, um seine

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Mann’sche Zweikämpfe: und in the naked spur, James Stewart und in winchester ’73, und in the fall of the roman empire, in the last frontier, Robert Cummings und Arnold Moss in reign of terror, in spartacus (Standfotos)

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Figuren zu malträtieren und zu Tode zu bringen.86 zum Vorschein, wenn die Figuren wie in t-men Sie nannte das Beispiel der ins Gesicht geschleu- und border incident gefoltert und ins Verhör derten Schere in the furies (1950, Paramount), genommen werden oder wenn sie, wie in despe- aber es gibt unzählige weitere: in raw deal den rate, die Sekunden bis zu ihrem Tod auf der Uhr Kampf in der Werkstatt des Tierpräparators, in herunterticken sehen.89 dessen Verlauf einer der Kontrahenten beinahe Wichtiger noch sind die körperlichen Verlet- auf ein Hirschgeweih gespießt wird; in t-men zungen, die Manns Filme in allerlei Ausformun- den qualvollen Tod (durch Ersticken?) in einem gen durchziehen. Bei den Frauen ist stets das Ge- überhitzten Dampfbad; in border incident den sicht betroffen: In strange impersonation (1946, verzweifelten Versuch eines Undercover-Agenten, Republic) wird es verätzt, in raw deal verbrüht, den Pflugscharen einer langsam heranrollen- in the furies von einer Schere zerschnitten. Bei den Landmaschine zu entkommen. Tatsächlich den Männern trifft es mit grausamer Regelmä- sind unter Manns Filmen nach 1946, also ab dem ßigkeit die Gliedmaßen, vor allem die Arme und Punkt, an dem er die Musicals hinter sich ließ, Hände, die in t-men verdreht, in the far coun- nur zwei, in denen nicht mindestens eine Figur try und the man from laramie durchschossen ums Leben kommt: strategic air command und und in strategic air command gelähmt werden. serenade. Ihnen stehen 27 Filme gegenüber, in Die Männer (die Handelnden) an den Händen, die denen gestorben wird; nur in einem von ihnen, Frauen (die Schönen) im Gesicht: Mann attackiert der glenn miller story, findet der Todoff-screen sie an ihren empfindlichsten Stellen. statt und ist Folge eines Flugzeugabsturzes, nicht Bei all dem ist festzustellen, dass Manns Kino einer Gewalttat. eine besondere Sorgfalt bei der Erfassung und Manny Farber nennt Mann einen »tin-can Darstellung stofflicher Texturen aufweist: die de Sade« und fährt fort: »Mann likes to stretch Rauheit von Fels und Gestein, die Härte von Stahl, his victims in crucifix poses against the wall or das Flirrende von Sandsturm und Staub; und die ground and then to peer intently at the demise Weichheit des menschlichen Körpers, der sehr with an icy surgeon’s eye.«87 Diesen forschenden verletzlich wirkt darin. Jim Kitses: Blick auf den (immer männlichen) Körper teile Mann mit weiteren amerikanischen Action- oder »[T]he hallmark of Mann’s style is its physical in- Underground-Regisseuren. Was immer Manns tensity, its brutal, mineral, ground-level point of Filme auf der Ebene der Narration verhandeln: view, and its vividly concrete treatment of space. Auf der Ebene der Bilder wird stets pa­ral­lel ein Spectacular, these images can also be said to be Diskurs über den Körper geführt, in den Films literally sensational, jarring the jaded viewer with noirs genauso wie in den Western, den epischen direct physical and kinetic experience. […] Mann Filmen und sogar in den Solitären men in war, is much closer to a sculptor than a painter in the god’s little ac­re und serenade. Harry Tomicek way his images work with density and gravity to spricht von einer »beklemmend p h y s i s c h e [n] register sensation directly, both on the hero’s and Intensität«, über die »sonst nur Stroheim, Hitch- the viewer’s body.«90 cock und Sternberg, unter den Neueren gelegent- lich Aldrich und Peckinpah, Fuller und Scorse- Manns Kino ist demnach im doppelten Sinne ein se« verfügten.88 physisches Kino: innerfilmisch, indem es Körper Was Mann den Körpern zumutete, das muss- auf besondere Weise inszeniert; außerfilmisch, te auch an den Körpern selbst Effekte zeigen. indem es physisch auf den Zuschauer wirkt, ihn Schweißbenetzte Gesichter finden sich in den die Qualen am eigenen Körper fühlen lässt. In je- meisten seiner Filme; vor allem in den Films dem Fall ist Manns Kino ein Kino der direkten, noirs bringen sie den körperlichen Überdruck schnörkellosen Sinnlichkeit.

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Schauspiel Blieben Mann aus seiner Zeit als B-Regisseur vor allem die zweitklassigen Schauspieler in Er- In Manns Filmen bilden die Schauspieler das innerung, nicht lausige Sets oder lächerlich klei- Zentrum: ne Budgets, konnte er ab devil’s doorway in den Jahren 1949/50 mit Hollywoods Top-Stars arbei- »[A]uf dem Hauptdarsteller fußt das gesamte Werk. ten: mit Robert Taylor, , Wal- Die Illusion, ohnehin so wichtig für das amerika- ter Huston, Victor Mature, , Gary nische Kino, erreicht hier ihren Höhepunkt […]: Cooper, , , Sophia Lo- Der Held ist gleichzusetzen mit der Erzählung und ren, Alec Guinness, Kirk Douglas. Und natürlich der Mise-en-scène. Somit zählen seine Physis, sein mit James Stewart, in dem Mann seinen idealen Spiel, sein Dasein vor allem anderen.«91 Darsteller fand. Mit winchester ’73 begann 1950 die kongeniale Zusammenarbeit, die bis 1955 dau- Anthony Mann war selbst Schauspieler, als er 1923 erte und acht gemeinsame Filme hervorbrachte; an den Broadway kam, und im November 1936 zwischen 1952 und 1955 drehte Mann keinen Film, wurde er von David O. Selznick engagiert, um in dem er nicht – auch über den Western hinaus dessen Talentsucherin Katherine Brown auf einer – die männliche Hauptrolle mit Stewart besetzte. Scouting-Tour durch die Colleges der Ostküste zu Die Schauspieler begleiteten Mann oft über vie- begleiten. Es ging um die Rolle der Scarlett O’Hara le Filme hinweg, schon in den Noirs und auch in in gone with the wind. Nach Abschluss dieser den Nebenrollen: etwa Dan Duryea (in the great »Invasion of the South«, wie Brown die letztlich flamarion, winchester ’73 und thunder bay), unergiebige Aktion in einem skeptischen Brief an Dennis O’Keefe (in t-men und raw deal), Charles den Produzenten nannte,92 castete Mann/Bunds- McGraw (in t-men, reign of terror, border in- mann mit Brown und George Cukor von New York cident, side street und cimarron), John Ireland aus weiter; noch im November 1937 tippte er Me- (in railroaded!, raw deal und the fall of the mos an Selznick, die sowohl Cukors als auch seine roman empire), John McIntire (in winchester eigenen Kommentare zu den Bewerberinnen für ’73, the far country und the tin star), Jay C. diverse Kleinrollen enthielten. Darunter: »Nothing Flippen (in winchester ’73, bend of the river, of quality – dark – cute – very little ability« (über thunder bay, the far country und strategic eine Dorothy T.); »Redhead – cute – very bad – no air command), (in bend of the talent« (über eine Frances H.).93 river und the man from laramie), Robert Ryan In den folgenden Jahren leitete Mann von (in the naked spur, men in war und god’s little New York aus weitere der legendär aufwändi- acre), Aldo Ray (in men in war und god’s little gen Screentests für Selznick, darunter für die acre). Bei den Schauspielerinnen ist eine vergleich- Produktionen intermezzo (1939; R: Gregory Ra- bare Kontinuität nicht zu erkennen; lediglich June toff) und rebecca (1940; R: Alfred Hitchcock). Allyson (in the glenn miller story und strate- Obwohl er dabei kaum auf Stars wie Bette Da- gic air command) und (in den bei- vis, Katharine Hepburn, , Loret- den Bronston-Produktionen) setzte Mann mehr ta Young, Anne Baxter und Ingrid Bergman ge- als einmal in Hauptrollen ein. Und auch bei den troffen sein dürfte, ist es gut vorstellbar, dass Nebenrollen arbeitete er nur mit Jane Greer (in er hierbei lernte, auf physische Details und dar- two o’clock courage und the bamboo blonde), stellerische Qualität zu achten, dass er Erfah- Jane Randolph (in railroaded! und t-men) und rung sammelte im Umgang mit (potentiellen) Paula Raymond (in devil’s doorway und the tall Stars und dass er ein Gespür entwickelte für target) je zweimal zusammen. die entscheidende Bedeutung der Besetzung Mann wählte seine Schauspieler sorgfältig für das Gelingen eines Films. aus. Seiner Auffassung nach musste ein Dar-

31 Der Mann steller eine Rolle nicht nur gut spielen, sondern ten Stil etwa eines Gary Coopers unterscheidet. auch körperlich ausfüllen können. Für ihn war Tendenzen zum Überspielen finden sich auch bei deshalb in besonderer Weise das ›Material‹ Victor Mature in the last frontier, Anthony wichtig, das ein Schauspieler mitbrachte: seine Perkins in the tin star und, sehr ausgeprägt, Statur, seine Physiognomie, sein Bewegungsap- bei Lee J. Cobb in man of the west. Nie ist das parat. Gelegentlich brach Mann dabei auch mit Überspielen Selbstzweck, immer entspricht es den Erwartungen von Branche und Publikum. einem Wesenszug der Charaktere, steht in einer Schon bevor er mit winchester ’73 aus James Beziehung zu den Figuren. Ohne das Ekstatische Stewart unerwartet einen spröden Westerner in Victor Matures Performance könnte das Ani- machte, besetzte er etwa in border incident malische von Jed Cooper nicht wirken, ohne das einen Musicaldarsteller (George Murphy) und Linkische bei nicht die Naivität einen Flamencotänzer (Ricardo Montalban) als Ben Owens, ohne die Exaltiertheit Lee J. Cobbs abgebrühte Undercover-Agenten. nicht der Wahnwitz Dock Tobins, ohne das Zap- Mann strebte stets danach, seine Schauspieler pelige bei Stewart nicht die Gehetztheit seiner Fi- zu einer ›realistischen‹ Darstellung zu treiben. Sein guren. Auch jenseits der Western findet sich ein Konzept von ›Realismus‹ war dabei – wie so vieles effektvolles overacting bei Arnold Moss in reign of bei Mann – nicht verkopft-theoretisch, sondern terror und border incident, bei Robert Ryan in sehr konkret. Es lief letztlich darauf hinaus, dass god’s little acre und bei Christopher Plummer seine Schauspieler nicht spielen, sondern erleben in the fall of the roman empire. sollten. Was wie ein Ableger der method klingt, Dies bedeutet nicht, dass Manns Kino eine Ei- geht tatsächlich in eine ganz andere Richtung: genschaft fehlt, die Eric Rohmer in seinem Text Denn erstens ging es dem Regisseur nicht um das über die »Wiederentdeckung Amerikas« 1955 als Nach-Außen-Kehren eines inneren Zustandes, zentral für das Klassische in Hollywood benannte: sondern um den Widerhall, den äußere Impulse Er bewundere, schrieb er da, die »elegante Nüch- im Körper finden. Zweitens sollte nicht etwa eine ternheit« der amerikanischen Regisseure, die vergangene Erfahrung erinnert und ausgespielt »der menschlichen Geste Größe geben, ohne sie werden, sondern die Erfahrung sollte vor Ort im aufzublähen«.95 Die kleine, große Geste: Sie findet Moment der Inszenierung gemacht werden. An- sich bei Mann etwa in raw deal, wenn zwei Frau- ders ausgedrückt: Nicht Psyche, sondern Physis, en, die denselben Mann lieben, einander wortlos nicht Mittelbarkeit, sondern Unmittelbarkeit auf dem Highway passieren; in devil’s doorway, kennzeichneten sein Schauspielideal. wenn der von Gesetz und Gesellschaft verratene Interessanterweise zeigen viele Darstellungen Indianer über den im Bürgerkrieg erworbenen in Manns Filmen eine Tendenz zum Über-, nicht Orden streicht; in the fall of the roman em- zum Unterspielen, wie man es von einem Realis- pire, wenn Ziehsohn und Sohn des toten Kaisers mus- oder Naturalismus-Konzept eher erwar- die Scheite unter dem Leichnam gemeinsam ent- ten würde. Vor allem auf James Stewart, dessen zünden. Der Flirt mit dem Pathos, dem man dann Schauspiel in besonderer Weise von mimischer aber doch nie ganz verfällt, gehört fest zur Film- und gestischer Aktivität geprägt ist, trifft diese kunst Hollywoods. Beobachtung zu. Luc Moullet nennt Stewart den Manns Schauspielideal verlangte nach einer »Mann der Hände«,94 und tatsächlich: Selten hält Inszenierung on location, wie vor allem der Wes- Stewart die Hände still, kaum eine Replik kommt tern und die epischen Filme sie bieten konnten. ohne begleitende Geste. Dabei ist Stewarts Spiel In den Bergen, in der Wüste, bei Wind und Wet- alles andere als plump, die Bewegungen sind klein, ter ließ Mann seine Darsteller körperlich arbeiten. die Gesten pointiert, die Mimik filigran. Es ist das »You throw them against the elements«, erklärte Nicht-Stillhalten-Können, das ihn vom reduzier- er, »and the elements make them much greater,

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Anthony Mann mit , dessen Stunt-Double sowie Jack Lord 1958 am Set von man of the west (Kontaktbogen) because they have to shout above the wind, they adept at the art of riding, fencing, swimming and have to suffer, they have to climb mountains«.96 the other things that are necessary.«97 Ein wichtiger Faktor für den Mann’schen Stil Unter den Schauspielern, berichtete Jean Wag- war die Bereitschaft der Schauspieler, auch kör- ner, habe Anthony Mann durchaus als »Tyrann« perlich fordernde Situationen selbst zu spielen, gegolten, »der nichts verzieh und der nicht zögerte, statt nach dem Stuntman zu verlangen. Mann seine Darsteller auszulaugen«.98 Laut Henry (Har- äußerte großen Respekt etwa für Walter Huston, ry) Morgan hatte Mann »a little John Ford in him« der beim Dreh von the furies, dem letzten Film bei seinem offenbar wenig zimperlichen Umgang vor Hustons Tod, trotz seines Alters immer wie- mit den Nebendarstellern.99 Unfälle am Set waren der aufs Pferd stieg. Victor Mature dagegen habe keine Seltenheit; allein Dan Duryea trug in zwei sich kaum in die Nähe eines Pferdes getraut: »It’s seiner drei Filme mit Mann Verletzungen davon: a curse when they don’t learn; when they’re not eine durchgebissene Lippe in winchester ’73 (in

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James Stewart in the man from laramie, 1954/55 (Standfoto) der Szene, in der James Stewart Duryeas Kopf programmatischen Text zu the fall of the roman gegen einen Bartresen rammt), eine gebrochene empire hielt er fest: »I have a rigorous doctor’s re- Rippe in thunder bay (wo er von einem Boots- port on myself before I get involved on one of Mr. dach fiel).100 Auch Alexander Golitzen, Art bzw. Bronston’s epics: I must be fit, able and willing.«102 Production Director bei the glenn miller sto- Mann demonstrierte in den für ihn wichtigsten ry, the far country und spartacus, berichtete, Szenen seinen Darstellern akribisch und mit ho- dass Mann im Ruf stand, »a very tough director« hem Körpereinsatz, wie sie agieren sollten. Einen zu sein; bei Manns Austausch durch Stanley Ku- Eindruck davon geben unzählige Production Stills brick in der Regie der letztgenannten Universal- zu man of the west, die Mann dabei zeigen, wie Produktion soll es 1959 Erleichterung gegeben er mit Jack Lord ringt (bei den Proben für die be- haben im Team: »Tony Mann was not an easy di- rühmte Prügelei zwischen Lords und Coopers Fi- rector to work with. He was an iron horse him- gur): zunächst noch im Mantel, dann im Hemd, self, so in a way, from [director of photo­graphy] dann, der Anstrengung wegen, mit freiem Ober- Russ Metty on down, everybody kind of breathed körper; wie er mit Lee J. Cobb arbeitet; wie er Gary a sigh of relief.«101 Cooper ein Messer an die Kehle hält. Stets war der Dabei überrascht es kaum, dass Mann ähnlich Regisseur nah an den Darstellern, dynamisch, in- hohe Ansprüche an sich selber stellte. In seinem volviert. Victor Mature urteilte in einem Brief an

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Hedda Hopper (geschrieben am Set von the last forscht den Spuren nach, die das Geschehen auf frontier): »We need more people like him – since den Körpern der Figuren hinterlässt. Dabei do- all the good directors are committed in one way minieren Nah- und Großaufnahmen Manns Stil or the other[.]«103 keineswegs; aber er scheute sie eben auch nicht. Hinsichtlich des körperlichen Arbeitens war Für Kitses ist Manns Umgang mit Groß- und Nah- insbesondere James Stewart der ideale Schauspie- aufnahmen ein Beweis für Manns »commitment ler für Mann, weil er bereit war, seinen Körper to passion and an expressive cinema«.107 über das Erwartbare hinaus an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit zu führen. Stewarts »dedica- Raum und Landschaft tion«, seine »readiness to do virtually anything, from staging a fight under horses’ hooves to al- Kein anderes Element des Mann’schen Kinos hat lowing himself to be dragged through a fire«104 soviel Beachtung und Wertschätzung erfahren war wichtig für Mann, weil sie ihm erlaubte, Ste- wie der Umgang mit Raum und Landschaft. An- warts Körper im Ganzen zu zeigen, statt ihn, um thony Mann habe, schrieb Bazin (und paralleli- das Austauschen durch ein Double zu verbergen, sierte dabei dessen Filmkunst mit den Bildern durch Montage fragmentieren zu müssen. Wenn Paul Cézannes), Raum nicht als geometrischen Stewart in the naked spur eine Gerölllawine über Körper behandelt, der feste Grenzen habe (den sich ergehen lässt, kann Mann den Körper und das Horizont), sondern stets danach gestrebt, die kon- Gesicht zeigen, weil es wirklich Stewart ist, der krete, erlebbare Qualität des Raums (seine Weite, dort am Fuß der Felswand steht. Körper und Ge- seine Unbegrenztheit) zu vermitteln: »Wenn sei- sicht gleichzeitig im Bild, in Situationen größter ne Kamera panoramiert, atmet sie.« Für Andrew Anspannung: So kann Mann zugleich zeigen – die Sarris enthalten Manns Filme »some of the most konkrete, die physische Pein – und verweisen – brilliant photography of exteriors in the history auf eine abstrakte, eine psychische Qual. of the American cinema«.108 Wie sich Manns Interesse vor allem auf den Mann hat in seinen Filmen im Grunde zwei Körper richtete, war auch der Blick der Kamera Arten von Räumen verhandelt: den urbanen, der vornehmlich auf den Körper fokussiert. Mann be- seine Films noirs bis etwa 1950 bestimmte, und den vorzugte eine sehr mobile Kamera, die sich ihre des amerikanischen Westens danach. Die Land- Bewegung von den Aktionen der Figuren diktie- schaften der späteren Filme – das mittelalterliche ren ließ. Der Regisseur inszenierte in die Tiefe des Spanien in el cid, das Alte Rom in the fall of the Raumes, verwendete mit Vorliebe tiefenscharfe roman empire, das winterliche Norwegen in the Einstellungen, in denen das Geschehen sich ent- heroes of telemark, selbst das geteilte Berlin in falten konnte, ohne durch Schnitte unterbrochen a dandy in aspic (gb 1968) – sind Variationen aus zu werden. »Mann’s work is based primarily on diesem Reservoir. composition, not editing«, bemerkt Basinger und Stadt und Natur: Räume, die per definitionem in bezeichnet die Bevorzugung der mise-en-scène Funktion und ästhetischem Zugriff so verschie- anstelle der Montage als »his primary formal den wie nur irgend möglich sind. Der städtische characteristic«.105 Raum ist gekennzeichnet durch Enge, Begrenzung Während Bazin in Bezug auf den Western und Vertikalen. Der amerikanische Westen ist noch schrieb, dass dieses Genre die Nahaufnah- definiert durch Weite, Offenheit und horizontale me praktisch nicht kenne, stellt Robin Wood bei Linien. Mann hat diese Definitionen weitgehend Mann eine regelrechte »›in your face‹ insistence« respektiert. Zuweilen aber warf er sie mit Verve fest.106 Oft nimmt in Manns Filmen die Kamera in über den Haufen. Momenten größter physischer oder psychischer Das begann damit, dass Mann in seinen Films Erschöpfung die Gesichter genau in Augenschein, noirs (und Musicals) soviel Städtisches gar nicht

35 Der Mann inszenierte. In desperate ließ er das bedrohte critical spectator, the surrogate for an intrusive, Paar aus der Stadt in eine ländliche Idylle flüchten. surveillant, and punitive outside world, which of- border incident spielt im mexikanisch-kalifor- fers little escape or little protection.«109 nischen Grenzland und ist damit im Prinzip ein Noir im Westernkleid. Mit raw deal inszenierte Nicht ohne Grund sind die von Mann gewählten Mann einen Film noir on the road, in dem wesent- Handlungsorte oft weit von der bebauten Zivili- liche Geschehnisse (noch wichtiger: wesentliche sation entfernt, die Figuren dadurch ausgestellt Verschiebungen in den Beziehungen der Figuren) alleingelassen. Eine »frostige Präsenz« entwickel- sich auf Waldlichtungen, in abgelegenen Lodges ten die Räume in Manns Filmen, so Vincent Amiel, und an leeren Stränden ereignen. Die Landschaften die wenig gemein habe mit dem umschließenden, in diesem Film verhöhnen bitterlich den roman- tragenden, einbettenden Effekt der Landschaften tischen Freiheitsdrang des Helden, der aus dem anderer amerikanischer (Western-)Regisseure.110 Gefängnis ausgebrochen ist, um wieder frei zu at- Grundsätzlich gilt: Manns Filme zeigen Land- men. Einmal wird Joe mit seinen beiden Frauen auf schaften nicht um ihrer Schönheit willen, sondern einem öden Küstenhighway gezeigt; zwei Autos um den Figuren den nötigen Raum zum Handeln halten am Straßenrand. Das Meer, der Himmel, zu geben. Nie diente ihm ein Setting als bloße die Straße, die Autos, die Menschen zerfließen Folie; immer nutzte Mann die Landschaft als grau in grau. Die Kamera fotografiert die Szene- Raum, der durchschritten, betastet, belebt, bis- rie von einem Hang herunter, sodass die massige weilen bekämpft werden will. In dieser Hinsicht Erde dem Himmel nur einen Streifen am oberen war Manns Einstellung zur Landschaft absolut Bildrand lässt. Weit und offen müsste der Blick auf pragmatisch. »I’ll never show a piece of scenery, das Meer doch eigentlich sein; stattdessen ist er a gorge, a chasm, without an actor in it«, erklär- eingezwängt: Die Bilder in raw deal simulieren te er; ein Credo, an das er sich hielt.111 Nie hat er Weite und meinen Gefangenschaft. Landschaften ikonisch eingesetzt, nie etwa ein Sogar in den Western, die ästhetisch und in- landschaftliches Sinnbild für sein Verständnis des haltlich von der ungehinderten Ausdehnung der Western gesucht, wie John Ford es im Monument Landschaft leben, machte der Regisseur das Be- Valley gefunden und durch Variation erkundet grenzen von Weite gelegentlich zu einem kontras- hat. »Where Ford has mesas, Mann has moun- tierenden Prinzip. Oft zwängen Bäume, Felswände, tains«, schreibt Robin Wood und fährt fort: »No Berghänge das Bild von den Seiten her ein. Wie der one would attempt to climb a Monument Valley Film noir seine schmutzigen Hotelzimmer (in side mesa, and they are perfectly easy to go around; street), seine billigen Bars (in the great flama- when a mountain appears in a Mann movie you rion), seine dunklen Gangsterhöhlen (in desper- are pretty certain that it will be climbed, and ate) und seine plüschigen Boudoirs (in reign of with extreme difficulty.«112 Auch Manny Farber terror) hat, haben Manns Western ihre schäbi- notiert, das Terrain in Manns Filmen sei »special gen Goldgräberhütten (in the far country), ihre in that it is used, kicked, grappled, worried, sweat- bedrückenden Saloons (in devil’s doorway), ihre ed up, burrowed into, stomped on. […] Rooms are prächtigen Ranchervillen (in the furies) und ihre boxed, crossed, opened up as they are in few oth- verfallenen Unterschlüpfe (in man of the west). er films.«113 Das gilt auch für Manns Films noirs, David Boxwell schrieb dazu: wo Feuertreppen dazu da sind, erklommen zu werden (in side street), und wo von einem Bal- »Mann’s films deliberately set out to confine char- kon bald jemand zu Tode stürzt (in strange im- acters in threateningly enclosed spaces […] and let personation). them stew in their juices, under pressure from their Ab t-men im Jahr 1947 nutzte Mann (gemein- own fears and consciences, and in full view of the sam mit John Alton) schon im Film noir zuneh-

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Dreharbeiten zu the man from laramie in New Mexico, 1954. Hinter der Kamera, mit Hut: Charles Lang; zu Pferd: Arthur Kennedy und Donald Crisp

37 Der Mann mend die Möglichkeit, on location zu drehen. t-men zwischen Manns strategischem Blick für die Details enthält Aufnahmen aus Detroit und Los Angeles. des Geländes und dem Blick eines Scharfschützen: Nirgends aber sind touristische Attraktionen zu »Mann appreciates and uses qualities inherent in sehen oder pittoreske Ansichten der Stadt. Statt- landscape the way a sniper might.«114 In bend of dessen porträtierte Mann L.A.s Chinatown in ei- the river ist die Situation des Scharfschützen ner Montage als Dante’sches Höllenreich, und den faktisch inszeniert, wenn McLyntock die in die Hafen wählte er als Schauplatz für einen Show- Falle gelockten Verfolger von einer höhergelege- down auf den Decks und entlang der Relings eines nen Felskante aus erschießt, einen nach dem an- Hochseefrachters. Sonst sind von der Stadt vor deren, wie Wild, das in die Enge getrieben wurde. allem schäbige Straßenzüge, nächtliche Indus­ (Michael Althen schreibt in Erweiterung dieser triebrachen und düstere Hinterzimmer zu sehen. Idee: »Die Menschen bei Mann bewegen sich wie Der kurze Zeit später entstandene Film noir side in einem Zielfernrohr – die Gnade besteht für sie street beginnt mit einigen Panoramen und land- vor allem darin, dass sich nicht im nächsten Mo- mark-Ansichten von New York. Nachdem aber die ment schon ein Schuss löst.«)115 Handlung einmal verortet ist, taucht der Film ab Wichtig, bei all dem: Mann nutzte seine Land- in jene Seitenstraßen, die ihm den Titel geben. Die schaften ausschließlich funktional, nie überhöhte Unübersichtlichkeit der Stadt, die Beengtheit in er sie symbolisch: »Rocks don’t ›frown‹, shadows den Häuserschluchten, die Verlorenheit des Ein- don’t ›loom‹, blue skies don’t ›mock‹«.116 »If Ford’s zelnen in dem dunklen Moloch war Mann auch ›mountains‹ are always more than picturesque, hier erheblich wichtiger als der touristische Wie- Mann’s are not picturesque at all«, schreibt Robin dererkennungswert New Yorks. Wood.117 Für sich genommen erscheinen Manns In vielen der Filme Anthony Manns, insbeson- Landschaften austauschbar: »Without their char­ dere in seinen Western mit ihren ausgesucht fel- acters, his western spaces look ordinary, even sigen Terrains, findet das Geschehen – vor allem meaningless. It is the character placed within the an den dramaturgischen Höhepunkten – in Umge- landscape that brings meaning – and relevance bungen statt, die eine Staffelung der Aktion in die – to the settings he chooses«.118 So erhalten die Vertikale ermöglichen: das Verschanzen der Her- spröden, von Graten und Klippen durchsetzten reras oberhalb eines Steilhangs in the furies, der Felslandschaften in winchester ’73 und in man Shoot-out zwischen Lin McAdam und Dutch Hen- of the west erst durch die Taten Bedeutung, die ry Brown in den Felsen von winchester ’73, Ben in ihnen begangen werden: Durch den Bruder- und Vandergroats Versteck oberhalb einer Felswand in den Vatermord drohen beide Protagonisten auch the naked spur, das Ausräuchern der McGaffey- sich selbst zu verlieren – ein möglicher Absturz, Brüder in den Hügeln von the tin star, die finale der in der Topographie der Felsen vorweggenom- Konfrontation zwischen Link Jones und Dock Tobin men wird. Gleichsam bringt in the last frontier im Geröll von man of the west. In men in war gilt die frappierende Unmoral im scheinbar zivilisier- der finale Ansturm einem zerklüfteten Hügel, in ten Fort die Wildnis draußen erst zum Leuchten, the heroes of telemark ermöglicht die Schlucht lässt sie verlockend und ihre Unwiederbringlich- zwischen den Saboteuren und der von ihnen ins keit beklagenswert erscheinen. Visier genommenen Fabrik ein spannungsreiches Anthony Mann behauptete einmal, er drehe Auf und Ab, in el cid regnen in der Schlacht um deshalb so gerne in abgelegenen Gegenden, weil Valencia Pfeile von den Festungsmauern auf die er dort seine Ruhe habe vor Produzenten und Angreifer herab. In allen Fällen nutzen die Figuren Studiobossen.119 Von diesem Pragmatismus ein- die Beschaffenheit der Landschaft zu ihrem Vor- mal abgesehen, brachten seine Streifzüge durch teil, ihr Verhältnis zum Gelände ist also taktischer Amerika gerade in den Western auch einen land- Natur. J.H. Fenwick stellt eine schöne Analogie her schaftlichen Reichtum hervor, der bemerkens-

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Dreharbeiten am Columbia Icefield in Alberta, Kanada, fernab der Zivilisation. Der Filmtitel ist Programm: the far country (1953-55). Klein im Mittelgrund: James Stewart zu Pferd wert ist. In ihrer Vielfalt sind Manns Landschaf- wirklich, gültig, durchaus auch heutig. Diese Land- ten plausible Landschaften, die dem historischen schaften […] sind trotzdem überwältigend, gerade Westen vielleicht näherkommen als die von John weil sie so ›gewöhn­lich‹ sind, nämlich amerikani- Ford, weil sie außer der Wüste und der Prärie sche Allerweltsorte, bloß dermaßen sorgfältig aus- auch die Gipfel der Rocky Mountains zeigen, die gesucht, in den Bildrahmen hineinkomponiert und Schneefelder Alaskas, die Wildwasser Oregons, die auch so sehr ›ins rechte Licht gerückt‹, daß sie über Wälder Wyomings. »[A] whole ›Daniel Boone‹ cli- sich hinauswachsen und ›archetypisch‹ werden.«121 mate« habe er schaffen wollen, erklärte Mann.120 Dazu Wim Wenders: In Spanien, wo alle Außenaufnahmen für el cid und the fall of the roman empire entstanden, »Bei John Ford hat man amerikanische Landschaf- ging Mann ganz ähnlich vor. »[S]everal thousands ten mit Ehrfurcht gesehen, da waren sie immer be- of miles over out-of-the-way Spain« habe er auf eindruckend, mythisch, aus der Vergangenheit zu der Suche nach den Drehorten für el cid zurück- uns hinüberscheinend. Bei Anthony Mann sind sie gelegt, berichtete die Presse.122 Die Anstrengung

39 Der Mann resultierte in einem heterogenen landschaftlichen ist. Alles, was geschieht, ist auch sichtbar. Selbst Panorama, das Küstenabschnitte genauso einbezog die Gesichter geben keine Rätsel auf. Der Weg ei- wie ausgedörrte Steppen, schroffes Felsgelände und nes Films von Anthony Mann ist gelassen wie der blühende Oasen: ein plausibles, reiches Spanien. Weg Gary Coopers im Mann aus dem Westen, der, als Manns Interpretation der Landschaft des Alten Julie London ihn fragt, was er tun werde, antwor- Roms in the fall of the roman empire war da- tet: ›Ich weiß nicht. Erst mal abwarten, wie sich die gegen nahezu radikal. Er verlegte die erste Hälfte Dinge entwickeln werden.‹«124 der Handlung an die Donaugrenze im Norden des Imperiums. Und so spielt die Hälfte des Films, das Schöner als Wenders hat wohl niemand das Tem- sind neunzig Minuten, in Eis und Schnee. po eines Mann’schen Films beschrieben, das so Die Schneelandschaft in roman empire weist eigenartig ist, so rätselhaft. Wie soll das mög- auf eine Art von Landschaft hin, die das letzte lich sein: Geschichten von solcher Dringlichkeit Drittel des Mann’schen Œuvres bestimmte. Die erzählen, und ruhig bleiben dabei? Die physische Rede ist von jenen Filmen, die sich vom Gegen- Aktion betonen, und stillstehen zugleich? Reise- ständlichen zunehmend ab- und der Abstrakti- bewegungen skizzieren, und nicht fortkommen on zuwandten; die darin gezeigten Landschaf- dabei? Dass Manns Filme gewalttätig, aufrüt- ten mag man dystopisch nennen (men in war), telnd, packend sind, darin sind sich alle einig. mythisch (the fall of the roman empire) oder Darin, dass das Tempo ruhig und getragen ist, geisterhaft (man of the west). Die Figuren sind aber auch: ein Paradoxon. mit den Landschaften so untrennbar verbunden Vielleicht nähert man sich dem Rätsel am bes- wie in Manns Filmen zuvor, auch handeln, leiden ten, indem man zurückschaut auf die Anfänge. und sterben sie nicht weniger rigoros. Trotzdem Manns Musicals und die Komödien dr. broadway scheinen sie eine Spur weiter von der Welt ent- und two o’clock courage scheinen wie Übungen fernt. Die derart distanzierten und distanzie- zum Steigern der Geschwindigkeit: Schneller (und renden Landschaften gehen in direkter Linie aus irrwitziger) als in moonlight in havana (1942) Manns Westernbildern hervor. kann man diese irrwitzige Geschichte kaum er- Zuletzt sei auf eine Beobachtung von Vincent zählen. Stürmischer (und komischer) als in sing Amiel verwiesen: In ausgesprochen vielen Filmen your way home (1945) lässt sich eine solche Fül- des Regisseurs (vergleichbar wohl nur mit denen le an Verwicklungen und Missverständnissen von Budd Boetticher) fehle das Verlangen der Fi- kaum präsentieren. Mit halsbrecherischem Tem- guren, sich einzuschreiben, sich festzusetzen an po peitschte Mann diese Geschichten durch und einem Ort, ihn durch dauernde Anwesenheit zu gab ihnen – in ihrer ganzen Banalität – so ihre prägen. Folglich dominiere (Fort-)Bewegung den Berechtigung. Sich selbst verschaffte er durch die Verlauf seiner Geschichten, und die paradigmati- Perfektionierung des schnellen, effizienten Erzäh- sche Dramaturgie seiner Filme beruhe auf Fahr- lens die Freiheit, sich gezielt an anderen Tempi zu ten, Transport, Passage, kurz: Transit.123 versuchen. »Slowness can be an important part of a picture«, schrieb Anthony Mann selbst. »Ac- Tempo und Rhythmus tion doesn’t make for tempo. Unless action is an integral part of a scene and is built on slowness, »Die Filme von Anthony Mann sind ruhig«, no- it doesn’t mean anything.«125 tierte Wim Wenders, nachdem er 1969 in Paris Geschwindigkeit wird immer nur spürbar eine Retrospektive gesehen hatte: durch Variation. Im Grund tat Mann in den Mu- sicals das Gewöhnliche: Er schlug ein hohes Tem- »Die Schauspieler verlassen die Schauplätze erst, po an und variierte es durch gelegentliche Pausen wenn alles, was dort geschehen konnte, vorüber (die Songs). In den Western, Epen und teils auch in

40 Stil den Films noirs machte er genau das Gegenteil: Er Im Film noir habe Mann, schrieb André Bazin schlug ein langsames Tempo an und unterbrach denn auch, eine harte Gangart gelernt; mit James es durch jähes Prestissimo (die Schlägereien, die Stewart als Darsteller und als Au- Folter, der Tod). Ein Mann’scher Film gleicht somit tor ändere sich 1950 in winchester ’73 dann sein zuweilen einer Elegie; nur dass eben mittendrin, Rhythmus: Mann finde zur Ruhe; ein geduldiger abrupt und unerwartet, mal die Pauken (don- Stupor und eine neue Beharrlichkeit bestimm- nernd), mal die Posaunen (scheppernd), mal die ten seine Filme ab da. Die Kamera verweile öfter Trompeten (schrill) dazwischenfahren. auf dem Horizont, den Wolken, dem Schnee, dem Manns erster ›ruhiger‹ Film war 1948 raw Staub (und den Figuren darunter, darauf, darin). deal, ein Film noir, aber auch schon t-men und Das Zeitempfinden verlängere sich.128 Mit raw später border incident, side street und the tall deal als frühem Auftakt näherten sich Manns target hatten ausgedehnt langsame Passagen. Filme immer mehr einer (harschen) Poesie: einer Der Film noir war ein gutes Terrain, um sich am »Poesie des Leidens, der Gewalt und paradoxer- Stillstehen zu versuchen. Als »Genre des Vertika- weise auch der Kontemplation«.129 len« (Norbert Grob)126 betont der Film noir stets Wim Wenders schrieb 1969 anlässlich des die Intensität des Moments, nicht die Hektik der Westerns the tall men (1955) von Raoul Walsh: Abfolge. Manns Films noirs sind – zu Recht – für die besondere Eindrücklichkeit ihrer Gewaltdar- »Es gibt hektische Western und ruhige. In den stellung bekannt. Dabei aber gilt, was Paul Schra- hektischen fühlt man sich von Anfang an belo- der dem Genre im Gesamten attestiert: »Compo- gen: ihre Aufgekratztheit ist die der Fernsehrei- sitional tension is preferred to physical action.« hen, ihre Figuren stammen aus dem Theater, ihre Kämpfe, Morde im Film noir seien »all marked by Landschaften sind nie mehr als Kulissen, ihre Sät- measured pacing, restrained anger and oppres­ ze klingen alle wie Pointen, und ihre Regisseure, sive compositions«.127 hätten sie im vorigen Jahrhundert gelebt, wären Und so sind die Handgreiflichkeiten in raw mit der Eisenbahn zugereist statt mit dem Pferd deal und sogar in dem sonst so dynamischen vorgeritten. […] In den ruhigen Western stimmen reign of terror keineswegs spektakulär in dem die Geschichten, Sätze, Figuren und Landschaften Sinne, dass Fäuste fliegen, Stühle kippen, Kör- miteinander überein.«130 per durch die Räume segeln. Vielmehr resultiert die Eindrücklichkeit der Szenen aus der schieren Langsamkeit in solchen Filmen heiße: »durch Wucht, mit der die Kontrahenten vorgehen, und Schnitte und den Wechsel von Bildgrößen nicht aus der Unmittelbarkeit, mit der die Kamera das nur den Fortgang der Geschichte zu bewirken, Angreifen, Aufbäumen und Niederringen zeigt: sondern auch deren Dauer spürbar zu machen«. Sie insistiert. Sie bleibt dem Geschehen zugewandt Und weiter: »[A]uch die Leute, deren Geschichte und zwingt uns, hinzusehen: in die schmerzver- der Film zeigt, lassen sich Zeit. Sie lassen sich Zeit zerrten Gesichter, auf die ins gegnerische Fleisch mit ihren Entscheidungen. Wenn sie sich entschei- verkrallten Hände. Die Kamera bleibt dabei sta- den, versteht man ihre Gründe. Wenn sie etwas tisch, meist in der Halbtotalen positioniert, und überstürzen, überstürzt sich auch der Film.« In die Einstellungen sind von langer Dauer; wenn den derart ruhigen Filmen sei eine gleichmäßi- ein Kopf einmal näher an die Kamera heran- ge »Anspannung« anstelle von »Spannungen, rückt, dann regelt das die mise-en-scène, selten die Höhepunkte oder Ruhepausen bewirken«, die Montage. Hart, oft brutal sind diese Szenen, das Resultat.131 aber eben zugleich konzentriert und statisch. Eher Diese Anspannung selbst in den bedächtigs- ähneln sie spannungsreichen tableaux vivants als ten Momenten bemerkt auch Raymond Bellour: herkömmlichen Actionszenen. Anders als bei »Hawks’ magischen Wechseln von

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Ruhe und Tumult, der eleganten Gelassenheit Godard.134 Und Charlton Heston ist ohnehin die von Ford oder der manchmal schematischen menschliche Entsprechung eines Monuments. Regelmäßigkeit von Walsh« entwickle sich bei Er tut in el cid kaum mehr, als sich hinzustellen Mann die Handlung immer »strikt nach vorn, und der Cid zu sein; nicht anders kann es sein in von Einstellung zu Einstellung, durch Blicke, diesem Film. So banal es scheint: Es ist kein Zu- Gesten, Innehalten, Einhalten gar«, welches aber fall, dass auch die schiere Dauer von Manns Fil- niemals Ausdruck sei von der »spielerischen men sich zum Schluss enorm verlängerte. Mit je Variabilität der Zeit, sondern im Gegenteil er- drei Stunden waren el cid und the fall of the wächst aus einer Rastlosigkeit, die sich selber roman empire dreimal so lang wie Manns kür- in die Falle geht«: zester Film, strangers in the night (1944). Kein Augenblick scheint zuviel, und man würde gern »Man sehe sich den stets wachsamen Stewart an, die 40 zusätzlichen Minuten sehen, die roman der keinen Moment der Ruhe kennt. Gelassen, zwei- empire nach Manns Willen noch länger dauern fellos, im Sinne der Zurückgenommenheit und der sollte und die vor der Veröffentlichung aus dem Effektivität, aber stets geschlagen mit einer nervö- Film herausgeschnitten wurden.135 sen Angst, welche seine müden langen Arme und Abschließend Eric Rohmer: »Um den Ausdruck sein gesenkter Kopf nur schlecht verbergen mö- zu intensivieren, ist es nicht immer dienlich, den gen. Sein Blick sucht beständig. Gewalt, die nur Rhythmus zu beschleunigen, sondern oft genug, am Rande hervorbricht, legt sich als Färbung, als ihn bis zur Grenze der Unbeweglichkeit zu ver- Möglichkeit über jede Einstellung. Gebannt von langsamen.«136 den Ereignissen, kommt der Mann’sche Held bis 132 zum letzten Bild davon nicht frei.« Die Klarheit des Ausdrucks Das Verharren auf dem Moment steigerte sich bei »Diesem Regisseur gelingt es, alles so zu zeigen, Mann über die Jahre noch; the far country und wie es ist. (Das heißt: wie es sein könnte…) Seine the man from laramie waren 1955 Meilenstei- ganze Vorgehensweise ist betörend (verstörend) ne, men in war 1957 ein erster Höhepunkt. Mit einfach. ›Phänomenologisch‹. Es gibt nie etwas man of the west (1958) trieb Mann dann den hinter den Dingen oder Landschaften. Sie sind. Stillstand auf die Spitze. Kaum scheint sich Gary Keine Metaphysik, kein transzendenter Schein[.]«137 Coopers Figur in der eigentümlich kühlen Hölle, Wim Wenders durch die sie geht, noch auf den Beinen halten zu können. Von einem »herrlich gelassenen Er- Simple Stories zählfluß« schreibt Wim Wenders anlässlich die- In Manns Filmen lasse sich, so Eric Rohmer, eine ses Films, davon, dass »jeder Schnitt voller Ruhe »fast mathematische Schönheit« finden, die »sich und Sicherheit« sei und »der Erzählrhythmus selbst genug« sei: Dem Regisseur gelinge es, durch von einer abgeklärten Gelassenheit, die sich auf ein »unentwegtes Spiel der Linien« die gewagtesten die Handlung und die Figuren überträgt, in die- Konstruktionen zu entwerfen, um sie schließlich sem Fall auf Gary Cooper, der nirgends so gut ist aufzulösen in einer Weise, die »die einfachste, und wie hier«.133 Die Intensität des Moments scheint damit zugleich die eleganteste« sei.138 nun vollends wichtiger als die Entwicklung der Es ist nicht verwunderlich, dass Manns Stil Geschichte. seinen überzeugendsten Ausdruck in jenen Fil- Mit einer Entschleunigung des Stils geht not- men fand, die auf kleinen, kompakten Stories wendigerweise ein lakonisches, minimalistisches basierten. Manns Verständnis vom Kino war im Spiel der Darsteller einher. Gary Cooper gehöre in Grunde ein elementares: Seine Filme sind Plädo- man of the west dem Mineralogischen zu, schreibt yers für Einfachheit, in den Bildern genauso wie

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Transit, Reisen, on and on: Dreharbeiten zu winchester ’73, 1950 in den Geschichten. Es muss etwas passieren, da- Manns Filme entfalten sich als Abfolge sehr mit sein Körperkino zum Tragen kommt, es muss konkreter, sehr physischer Aktionen in einer gehandelt werden. »If Christ hadn’t risen, there sehr konkreten, sehr physischen Welt. Oft fol- would have been no story«, sagte Mann im In- gen Manns Helden einer Reiseroute und begeg- terview mit Sight and Sound. Und warum Hamlet nen dabei Schrecklichem, unterwegs genauso wie fünf Akte brauche, um den Mörder seines Vaters am Ziel: In the great flamarion reist ein Betro- zu töten, habe er überhaupt nie verstehen kön- gener seiner Geliebten nach, um sie zu töten; in nen. Mann ließ seine Helden Ziele formulieren, the naked spur verliert ein Gottverlassener in sie verfolgen und erreichen, denn er verabscheute der Wildnis jeden Halt; in men in war wird eine »failure stories«. Die totale Determination seiner militärische Expedition zum Inbegriff sinnlosen Figuren, die bedingungslose Fixierung auf ihr Ziel Tuns; in el cid und the fall of the roman em- geht so weit, dass Jacques Rancière davon spricht, pire verlagert sich das Geschehen von einem Ort dass für Manns prototypischen Held außer dem zum anderen, es geht hin und her, vor und zurück, Tun überhaupt nichts zählt: »He acts and that’s ohne dass irgendjemand wirklich von der Stelle it, he does some things.«139 kommt. winchester ’73 ist in dieser Hinsicht ein

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Extrem, eine motivische tour de force durch das man kann spekulieren, dass dieses Projekt eher Western-Genre mit Indianerangriff, Banküber- eine ferne Variation des Stoffs geworden wäre als fall, Schießereien, mit Kavallerie, Saloons und eine wirkliche Adaption von Shakespeares Drama, sogar Wyatt Earp (Wenders: »In Manns Winchester so wie zuvor auch the man from laramie schon 73 passieren für ein Gewehr so viele Geschichten, motivische Anleihen an King Lear (und Sophokles’ daß man daraus mindestens acht gute italieni- König Ödipus) genommen hatte, so wie the furies sche Western machen könnte«).140 Und trotzdem aus Dostojewskis Der Idiot nur Elemente aufgriff, so gelingt es Mann, in diesem Film nie sein eigentli- wie el cid weniger mit Corneilles klassizistischem ches Zen­trum aus dem Blick zu verlieren, diesen Drama zu tun hatte als mit der Nationallegende erstaunlichen Westerner, der seine Mission so be- in ihrer volkstümlichen Form. Statt vorhande- harrlich wie skrupellos verfolgt. Dabei ist James ne, manifeste Formen eines Mythos (ein Drama, Stewart als Lin McAdam eine beträchtliche Zeit- ein Heldengedicht) erneut zu überformen, grif- lang nicht einmal im Bild zu sehen. fen Mann und seine Autoren Archetypen heraus Weil Mann über das Bild zum Ausdruck fand, und demonstrierten – anhand einer spezifischen suchte er sich Stories, die sich unmittelbar visuell historischen Situation, in einem spezifischen na- erzählen ließen, nicht vermittelt durch Voice-over- tionalen Kontext, am Beispiel eines spezifischen Kommentare, Textinserts oder elaborierte back- Personals – deren zeitlose Relevanz. stories. Parallele Handlungsstränge und Sprünge Mit der Freilegung der Archetypen ging not- in der Zeit sind rar, stets bleibt Mann den Figuren wendigerweise die Vereinfachung der Story ein- auf den Fersen, die ihn interessieren, nie schweift her und die Betonung der Aktion, die die Refle- er ab. Grundsätzlich gilt bei Mann, dass alles, was xion erst möglich macht. Es sei die ureigene Auf- gezeigt wird, wichtig ist; und alles, was wichtig gabe des Filmemachers, so Eric Rohmer, »einen ist, wird gezeigt. Mythos oder eine vermischte Nachricht aus der In einem System, das ökonomisch wie künst- Zeitung in ein Kunstwerk zu verwandeln« (statt lerisch auf Serialität und Wiedererkennbarkeit ein vollendetes literarisches Werk in einen Film fußte, fand Mann einen adäquaten Fundus für zu übersetzen).142 Mann nahm große Mythen sein erzählerisches Konzept. Die Prinzipien von und Tagesschlagzeilen gleichermaßen ernst. Im Wiederholung und Variation, die der Genre- Interview mit der BBC sagte er (und man kann Politik der Studios zugrunde lagen, ermöglich- hier ›Drama‹ getrost durch ›Mythos‹ ersetzen): ten ihm die Erprobung, Ausformung, Revision und Verfeinerung (was immer gleichbedeutend »You can take any of the great dramas – doesn’t war mit Vereinfachung und Reduktion) seines matter whether it’s Shakespeare, Greek plays or dramatisch-narrativen Arsenals im jeweiligen what – you can always lay them in the West, and Genre-Rahmen. they somehow become alive, and this kind of passion Wenn Mann der klassische Tragiker war, als and this drama – you can have patricide, any kind der er oft beschrieben wird (vieles spricht dafür), of -cide […] in a Western, and you can get away with dann äußert sich die Unmittelbarkeit seines Stils it because it is […] where all action took place.«143 auch im gezielten Zugriff auf das Reservoir an Mustern, Standards, Klischees, Mythen und Le- Die größte Strenge in der narrativen Komposition genden, an denen ihn stets der Kern interessier- teilen bei Mann Filme unterschiedlichster Genres: te, das Drängende, das aus ihnen erwächst. Wann Der Film noir the tall target, der Western the hat denn Mann je einen ausgeformten tragischen naked spur, der (Anti-)Kriegsfilm men in war Stoff verfilmt? Er plane einen King Lear als Wes- sind zeitlich und räumlich aufs Äußerste begrenzt tern, mit in der Titelrolle, erzählte (und erfüllen weitgehend die klassischen aristo- Mann den Cahiers du cinéma kurz vor seinem Tod;141 telischen Einheiten der Zeit, des Ortes und der

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Große Kulissen für kleine Stories: Turnierszene in el cid, 1961

Handlung). Unerwartet gesellt sich auch reign of the fall of the roman empire ist auch ein Film terror dazu, der Mix aus Historienfilm und Film über den Zerfall der römischen Idee, aber zuerst noir: Statt, wie vom Produzenten Walter Wanger die Geschichte zweier Quasi-Brüder, die sich ge- zunächst geplant, einen Film über die Französi- geneinander wenden und am Ende auf Leben und sche Revolution zu drehen, machten Mann und Tod duellieren müssen. Hier, wie in allen seinen Yordan daraus eine wilde Räuber-und-Gendarm- Filmen, koppelte Mann die Erzählung von mög- Geschichte rund um Robespierre, Fouché und lichen historischen, politischen, mythischen, Saint-Just, die viel Witz, einen starken love inter­ moralischen Höhen zurück an das menschliche est und jede Menge Action bietet (dies ist einer Drama im Kern. jener Mann-Filme, die ganz entschieden keinen Die Geschichten in Manns Filmen sind simpel, ruhigen Rhythmus haben). Weniger anarchisch, aber nicht seicht; kompakt, aber nicht karg; in aber im Grunde ähnlich sind die Adaptionen der den Worten von Elisabeth Bronfen und Norbert anderen historischen Stoffe angelegt. el cid ist Grob: »stringent, aber auch offen, konkret, aber auch ein Film über Spaniens nationale Einigung auch mehrdeutig«.144 Je spartanischer das nar- im 11. Jahrhundert, aber zuerst die Geschichte ei- rative Gerüst, desto reicher die Möglichkeiten, nes erstaunlichen Mannes, der äußere und innere die Lücken dazwischen auszufüllen durch die Kämpfe ausficht um Pflicht und privates Glück. Arbeit mit der Kamera, den Schauspielern, der

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Landschaft. Über die Erzählkonventionen, die an der Kamera, selbst mit einem pompösen Schau- das Classical Hollywood im Allgemeinen teilte, spieler wie Robert Taylor in der Titelrolle, selbst schreiben Bronfen und Grob: mit einem Sprengstoff-Sujet wie dem historischen Verbrechen an den amerikanischen Ureinwohnern »Auf den ersten Blick scheint zu gelten: Je einfa- als Thema schuf Mann einen Film, der in erster cher die Geschichte, je eingängiger der Stil, desto Linie Story ist und nicht Diskurs (die Rede ist von größer der Erfolg beim Publikum. Auf den zwei- devil’s doorway). Josef Rauscher formuliert das ten, dritten Blick aber wird klar, dass viele Filme – am Beispiel des Western the man from lara- nie einfach und eingängig bleiben. Stets ist ein äs- mie – wie folgt: »Anthony Manns große reflexive thetischer Überschuss inszeniert, der auf Irritati- Leistung ist es, die Projektion klassisch im Bild zu on oder Enigmatisches abzielt. Das Erzählen geht erfüllen und zugleich in der Aktion selbst, ohne im Erzählten nicht auf, es ist als zweites, drittes die Handlung an die Reflexion zu verraten oder Abenteuer in die Komposition der laufenden Er- eine Meta-Ebene zu installieren, die Projektion eignisse integriert.«145 zutage treten zu lassen.«148 »Klassisch« sei Mann nach Tavernier und Cour- Einfachheit der Mittel sodon durch »die lineare Unerbittlichkeit seiner Für den ästhetischen Überschuss sorgt auch bei Intrigen, die Klarheit und die funktionelle Ein- Mann, selbstverständlich, die Ausgestaltung mit fachheit seines Szenarios, das Zurückweisen des den Mitteln des Films. Diese ist, wie die Stories Pittoresken, Barocken, Ungewöhnlichen.« Wim selbst, von großer Klarheit. Das bewunderungs- Wenders nennt Manns Stil »präzise, lakonisch, würdigste Merkmal des amerikanischen Kinos, konzentriert«: »Jede Einstellung hat ihren Stellen- so Eric Rohmer 1955 in den Cahiers du cinéma, sei wert in der Architektur dieser Filme, […] da merkt ja gerade die Nüchternheit der Inszenierung, die man einen hohen Formwillen ihres Autors.« »Ein sich nie dominieren lasse vom Willen zum künst- Werk ohne Fett« habe Mann geschaffen, bemerkt lerischen Surplus. »Effektivität« und »Eleganz« Philippe Roger; stets zeige der Regisseur »nur den nennt Rohmer als Schlüsselbegriffe. Die ameri- Muskel eines Films«. David Bordwell spricht von kanischen Filmemacher, fährt er fort, »setzen Manns ›diskretem‹ Stil (in Unterscheidung zum mehr auf die Kraft dessen, was sie zeigen, als auf zuweilen ›exzessiven‹ Stil bei Vincente Minnelli den Winkel, aus dem heraus sie es uns zu zeigen oder Douglas Sirk).149 Christian Viviani schreibt gedenken«. Wie erstaunlich, so Rohmer weiter, in Positif, Manns Stil sei »ohne Koketterie« und dass »diese Wissenschaft der Effektivität, diese stets »darauf bedacht, die Wirklichkeit zu erfas- Klarheit der Linien, diese Ökonomie der Mittel, sen, ohne sie in ein Spektakel zu transformieren«. klassische Eigenschaften allesamt« ausgerechnet Er fasst Manns Stil wie folgt zusammen: bei den Amerikanern zu suchen seien statt bei den Franzosen, »deren Privileg die Klassik doch »Ein Desinteresse für die Predigt zugunsten der Be- immer war!«146 schreibung. Eine Verweigerung des Redeschwalls Anthony Mann ist ein Klassiker im besten, be- zugunsten der Geste. Ein Misstrauen gegenüber dem scheidensten Sinne. Seine Filme erfüllen in Rein- Pittoresken zugunsten des Nützlichen. Bei ihm stellt form, was Thomas Elsaesser als eine der heraus- sich Schönheit als Beigabe ein. Ein herber, messer- ragenden Eigenschaften der klassischen Ästhetik scharfer Stil, der unablässig den Menschen auf im- Hollywoods beschrieb: »[T]he American cinema, mer neue Weise in seiner Umgebung verortet, der determined as it is by an ideology of the specta­ geografischen ebenso wie der menschlichen.«150 cle and the spectacular, is essentially dramatic […] and not conceptual[.]«147 So unwahrscheinlich es Manny Farber, der bei anderen der von ihm so ver- scheint: Selbst mit einem Stilisten wie John Alton ehrten Action-Regisseure oft das Vaudeville’sche

46 Stil betont, kann das bei Mann natürlich nicht ent- te Essays geschrieben: Das klassische Zeitalter des decken. Manns Filme gehörten zu den »faceless Films (1949) und Wie eitel ist doch die Malerei (1951). movies«, und das ist bei Farber als Auszeichnung Rohmer erinnert daran, dass man jene Perio- gemeint.151 Man darf ›faceless‹ hier weniger mit den klassisch nennt, »in denen Kunstschönes ›gesichtslos‹ übersetzen als mit ›unmaskiert‹. und Naturschönes eins zu sein scheinen«. Auch Dann bedeutet der Begriff den Verzicht auf die wenn das Klassische als unzeitgemäß empfun- wiedererkennbare Oberfläche; die Verweige- den werde, hält Rohmer ihm die Treue gegen rung einer aggressiven (experimentellen, libera- jene »Flickschusterei«, die die Epoche »bis in ihre len, …) Agenda; die Absage an alles Ostentative, spontansten Äußerungen hinein« bestimme.155 den Stil genauso betreffend wie das Thema. Klar, Einer Kultur, die, der gefälligen Nachahmung der einfach und direkt statt vertrackt, komplex und Natur lange überdrüssig, den Weg zur Schönheit umständlich inszenierte und erzählte Mann sei- über die Auflösung, Zerteilung, Zertrümmerung ne Geschichten. Wie diese (Anti-)Haltung sich in der Form (im Impressionismus, Kubismus, Surre- den Filmen wiederfindet, macht Farber an der alismus) zu suchen beschlossen habe, habe der folgenden Beobachtung fest: Film als Vollendung der Fotografie in der Bewe- gung (nach Bazin) den Realismus zurückgegeben. »In a Ford movie, the star is always in the center of Rohmer versteht den Realismus des Films dabei the screen telling you what the point of the scene is, keineswegs als sterilen, schon gar nicht objekti- the camera’s always upshooting, and these beauti- ven Blick auf die Welt – dass im Film jedes Auf- ful physical specimens have all the leisure time to stellen der Kamera, jede Wahl eines Filters, jede glory in being themselves […]. But Mann is able to Geste des Darstellers, jeder Schnitt eine ästhe- get the character off the center, somewhat periph- tische Entscheidung bedeutet, versteht sich von eral, toward the edge of the screen.«152 selbst. Der spezifische Realismus der filmischen Kunst hat für Rohmer damit zu tun, dass der J.H. Fenwick demonstriert das Unprätentiöse des Film anders als die anderen (älteren) Künste un- Mann’schen Stils am Beispiel der Tiefenschärfe, seren Blick nicht auf Details beschränkt und uns die Mann pragmatisch, beiläufig, quasi-säkular auffordert, darin die Essenz der Welt zu erken- einsetze mit dem einzigen Ziel »to enable objects nen. Stattdessen »breitet der Film ein komplexes to be seen«. Fenwick weiter: Ganzes vor unseren Augen aus, das uns erlaubt, eine der vielen möglichen Bedeutungen zu ent- »This is a much more casual use than is normal: hüllen«. Der Film sei in der Lage, einen Moment Other directors tend to be self-conscious about such der Wirklichkeit einzufangen, die »anders hät- shots and reserve them for atmosphere and delib- te sein können, nun, da es so gewesen ist, aber erately heightened moments. Mann does not deal nicht mehr anders sein kann«. Er mache uns er- very much in atmosphere, and his tough straight- neut empfänglich für »die unbearbeitete Schön- forwardness has the shock of purity.«153 heit der Dinge«.156 Das Unbearbeitete – das heißt auch: das Ungekünstelte, das Schlichte, das Kla- Es ist der Schock der Klarheit, der Mann zum re. Hier schließt sich der Kreis zum Klassischen Klassiker macht. (und zu Anthony Mann): Nur: Was ist das eigentlich, das Klassische in einer Kunst, die so jung ist, dass sie nicht ein- »Die Filmkunst […] enthüllt uns eine Schönheit, mal ein halbes Jahrhundert hatte, um zu ihrem an deren Ewigkeit und augenblickliche Zugäng- vollendeten Ausdruck zu finden?154 Eric Rohmer, lichkeit wir nicht mehr geglaubt haben. Sie bringt der Klassizist unter den Kritikern der Cahiers du das, was wir als möglichen Gewinn von Revolte und cinéma, hat zu dieser Frage zwei bemerkenswer- Zerstörung ansahen, in Glück und Frieden hervor.

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Sie beweist, daß wir erneut empfindsam sind für bend of the river und the far country schrieb, die Großartigkeit von Himmel und Meer, für das einmal erzählt: banalste Bild der großen menschlichen Empfin- dungen. Wie durch ein Wunder bekräftigt sie die »Tony Mann was so faithful to the way I wrote it, I Übereinstimmung von Form und Idee[.]«157 just didn’t bother to go and see the dailies. I remem- ber [producer] used to say to me, Bei André Bazin, auf den sich Eric Rohmer in den ›What the hell’s the matter, Chase, don’t you want zuvor zitierten Texten direkt und ausdrücklich to see the dailies?‹ ›No, I know exactly how they’re bezieht, findet sich zum Stil des Classical Holly- going to be. They’re going to be exactly the way I wood eine weitere Anspruchsebene: Mehrfach be- wrote them, word for word, every shot.‹ He said, tont er die »Aufrichtigkeit« der Filmerzählung, die ›Are you complaining? Most writers are bellyaching mit dem »klugen, bewußten Einsatz der Mittel« in because somebody changes everything.‹ I said, ›I’m »vollkommene[m] Einklang« stehe; und nur An- complaining about only one thing. I got $50,000 for thony Mann habe es »anscheinend verstanden, writing the picture, Mann got $75,000 for directing durch Aufrichtigkeit wieder zu Natürlichkeit zu it. I could have directed it that way, he is supposed gelangen«.158 Aufrichtigkeit: Es ist eine moralische to add $75,000 worth to my writing. He hasn’t added Kategorie, um die Bazin die ästhetische Kategorie 10¢ to my writing. That’s why I’m a little bit teed off.‹« des Classical Hollywood hier erweitert. In Das­ klassische Zeitalter des Films schreibt Was Chase Anthony Mann hier halb ernst, halb Rohmer mit Bezug auf den virulenten Neuheits- ironisch vorwarf, war im Grunde Manns Stärke: wahn der Filmkritik (und des Publikums?) auch, die bedingungslose Hingabe an die kleine, simp- er würde sich wünschen, dass ein Werk endlich le, gute Geschichte. (Chase bemerkte wenig spä- nichts weiter mehr beweisen müsse »als sei- ter im selben Interview: »I could ask for nothing ne eigene Vollkommen­heit«.159 Anthony Mann better than to have him [Anthony Mann] direct scheint sich nie mehr vorgenommen zu haben every picture I wrote.«)164 Nie vernachlässigte als gerade das. Deshalb, so Jeanine Basinger, sei Mann die Story zugunsten des Themas. Nie opfer- Manns Kino »crystal clear«: »What it says it is te er die Figuren für einen flüchtigen Effekt. Nie is what it is.«160 waren seine Arbeiten prätentiös. Anthony Mann Mann selbst wurde kurioserweise verschie- selbst hat von sich – in Abgrenzung zu Erich von dentlich als Intellektueller beschrieben (von Stroheim und Preston Sturges – gesagt: »I’m not seiner Ehefrau ,161 von seinem Pro- a genius: I’m a worker.«165 duzenten Richard Goldstone,162 von David Thom- Ganz bei sich bleiben, nicht mehr sein wollen, son).163 Nicht nur in Manns Interviews, auch in als man ist: Das gilt auch für Manns Filme. Sie ha- seinen Filmen findet sich davon überhaupt nichts ben nicht den apokalyptischen Rigorismus von wieder. Frei von Zitaten (aus den eigenen Filmen Edward Dmytryk (im Fall der Films noirs), nicht oder aus den Werken anderer), frei von double den ironischen Schematismus von Budd Boetti- entendres, stattdessen ganz konzentriert auf die cher (im Fall der Western), nicht die scharfe Po- Essenz der Figuren und des Plots, verhalten sich lemik von (insgesamt). Sie be- Manns Filme gewissermaßen antithe­tisch zu je- klagen nichts. Sie beweisen nichts. Sie erzählen der Vorstellung eines intellektuellen Kinos, wie es Geschichten, einfach und gut. das europäische, in Teilen auch das US-amerika- Anthony Mann ist früh gestorben, gerade nische Filmschaffen (in Form des New Hollywood) 60-jährig, weit weg von Hollywood beim Filmdreh in in den (späten) 1960er Jahren prägte. Berlin. »Even if he had lived«, so Jeanine Basinger, Im Interview mit Jim Kitses hat Borden Chase, »the times were inappropriate for the purity of his der für Mann die Drehbücher von winchester ’73, style… at least in the commercial Hollywood.«166

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Immer auf der Hut in einer unwirtlichen, kalten Welt: Kirk Douglas in the heroes of telemark, 1964/65 (Standfoto)

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»Es gibt das Dogma, ein Film müsse ein Thema Predigt nutzte, niemanden von irgendetwas über- behandeln. […] Filme müssen offen sein. Bei einem zeugen, sondern allenfalls beeindrucken, vielleicht Anthony Mann habe ich immer das Gefühl, es geht auch nur berühren wollte. In Manns Filmen seien, noch weiter. Da muss direkt daneben noch ein Film so Wim Wenders, »›Ideen‹ jeglicher Art und die liegen. Dann wird es interessant.«167 Bilder davon […] nicht auseinanderzu­dividieren. Christian Petzold Erzählen ist hier Einheit von beiden, eine Rein- form, eigentlich Utopie. […] Hier gehören Formen Conditio humana und Inhalte so zusammen, als könnte (bräuchte) anns Œuvre wurde und wird oft abgespro- man sie überhaupt nicht getrennt denken.«168 Mchen, dass es ein erkennbares Thema habe. Worauf richtete Mann die Kamera: auf Hand- Das kommt wohl daher, dass dieser Regisseur nie lungen und Taten, ja, aber immer zuvorderst auf eine Agenda vor sich hertrug, nie seine Filme zur die Figuren, die diese Taten begehen. Auf Land-

49 Der Mann schaften, ja, aber immer auch auf die Körper, die einander stehen: All dies hat eine Bedeutung, die sich in diesen Landschaften bewegen. Auf histo- über die bloße Ästhetik hinausgeht. Und so sind rische Situationen, ja, aber immer zuerst auf die bei Mann Bäume, Felsen, Graslandschaften kein Menschen, die sich in und zu ihnen verhalten. »Dekor«, wie Jean Wagner (mit Bezug auf Bazin) Anthony Manns Filme haben ein Thema. Es ist schreibt, sondern »ein Milieu«.171 das älteste und zugleich modernste, das anachro- Körper und Landschaft, Mensch und Natur sind nistischste und zeitloseste, das ein Künstler sich untrennbar miteinander verbunden bei Mann – wählen kann: die Conditio humana, die Seinwei- so sehr, dass man von »a land of interiority ex- se des Menschen in der Welt. ternalized« sprechen kann (Robert Smith), von Manns Annäherung an die Conditio humana einer »Geographie der Seele« und einem »psy- ist dabei nicht akademischer Art. Er folgt keinem chologischen no man’s land« (Christian Viviani) fixen philosophischen Programm; er argumentiert oder von einer »Bühne für Männer […], die sich nicht, sondern lässt Bilder und Situationen lang- ändern können« (Verena Lueken). Jean Wagner sam ihren Sinn entfalten. Vieles erschließt sich merkt an, gerade James Stewarts Westerner sei- erst durch Schichtung: die Paranoia in einer aus en so sehr der Landschaft zugehörig, dass sie mit den Fugen geratenen Welt (in den Films noirs), ihrem Pferd verwachsen zu sein scheinen und mit die Determination durch schon Erlebtes (in den dem Gras, auf dem es steht. Die Folge, für Wag- Western, vor allem in jenen mit James Stewart), ner: »James Stewart war ein Unendlicher in einem der Zwiespalt zwischen Pflicht und Selbstentfal- Unendlichen.«172 tung (in den Epen). Die philosophische Idee in Die primäre Beziehung zwischen den Körpern Manns Filmen, hat Manny Farber lakonisch be- und den Räumen bei Mann ist die des Kampfes, merkt, »seems to be that nothing is easy in life or und das sagt einiges über Manns Auffassung vom the making of films.«169 Das ist, in der gewohnten Menschsein aus. Er konfrontiert seine Figuren mit Farber’schen Verkürzung, gar nicht falsch. den Gewalten von Technik (in border incident) Die Frage nach der Seinsweise des Menschen und Natur (in bend of the river), lässt sie gegen muss, in der Terminologie der phänomenologi- das Tosen des Meeres (in thunder bay) und des schen Philosophie gesprochen, das In-der-Welt-Sein Himmels (in strategic air command) antreten. und das Zur-Welt-Sein, also das Sich-zu-der-Welt- Wollte man ein ikonisches Bild wählen für Manns Verhalten des Menschen stets umfassen.170 Das ist Kino, so müsste man zu einem jener Motive grei- ein Leichtes für die Filmkunst, die es (anders als fen, die Männer am Boden zeigen: auf der Erde, im viele Spielarten der Literatur) nie darauf anlegt, Staub (bzw. im Film noir: in den Straßenpfützen, auf Figuren ganz aus ihrem Umraum herauszulösen; dem Asphalt). Dennis O’Keefe in raw deal, George wenn, dann nur für die Dauer einer Großaufnah- Murphy in border incident, James Stewart wieder me. Es gehöre zu Hollywoods »reife[m] Stil«, so und wieder in winchester ’73, the naked spur und David Bordwell, nicht nur das Aussehen der Figu- the man from laramie, Aldo Ray und Jack Lord ren beständig aus verschiedenen Blickwinkeln zu in god’s little acre, Robert Ryan in men in war, erforschen, sondern auch »ihre Beziehung zum Gary Cooper in man of the west: In den kataklys- Raum um sie herum, vor allem hinter ihnen«. mischen Szenen in diesen Filmen drücken sich die Jede Kameraeinstellung bedeutet somit implizit Helden »panisch und instinktiv an die Flanken von eine Positionsbestimmung des Menschen in der Felsen, an Steinberge, Baumstrünke, Brettgehstei- Welt; auf Anthony Manns Filme trifft das mehr ge, als wären diese festen Massen aus Naturmate- noch als auf andere zu. »Mann was a landscape rial Schultern, Lenden, Rücken und Bauchdecken«. film-maker«, bemerkt David Thomson: »an artist Und Harry Tomicek nennt als »Kraftquelle« des of spatial relationships.« Distanzen, Staffelungen, Mann’schen Kinos den »tragische[n] Rigor« des Überlagerungen, die Winkel, in denen Figuren zu- Regisseurs, »mit Leibern und Landschaften und

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Gebautem wie mit zusam- menprallenden Gegnern einer Schlacht zu verfah- ren«.173 All das oft gefilmt aus einer Kameraposition nah am Boden, um das Ver- wachsensein von Figuren und Umraum ästhetisch zu untermauern. Manns Helden sind da- bei typischerweise keine Auserwählten, nicht un- besiegbar und nicht von hohem Stand; stattdes- sen versammelte Mann die Randständigen, Be- drückten, Skeptischen, manchmal Schwachen, oft Gewöhnlichen in seinen Filmen. »[Mann] stuck to the low road«, schrieb die New York Times 2004 an- lässlich einer Mann-Retro­ spektive, »where ordinary human beings scratched and clawed to survive«. Dabei geht es im Grunde nicht darum, ob Manns Helden den Kampf über- stehen: Das setzt Mann voraus, das mutet er ih- An den Fels geschmiegt: Aldo Ray und Robert Ryan in men in war, 1956/57 nen zu. Eher geht es um (Standfoto) die Frage, wie und mit welcher Haltung sie überleben. Was Sam Rohdie wächst (nach Hannah Arendt).175 Anthony Manns über Manns Westerner schrieb, lässt sich daher Ansatz war direkter, man könnte auch sagen: ele- auf Manns gesamtes Œuvre übertragen: »[I]t is a mentarer. Der Mensch, auf sich allein zurückge- manner of behaving, a comportment, courage in worfen, steht im Mittelpunkt. Mann gab seinen the face of time and nothingness.«174 Figuren eine körperliche und eine seelische Di- Wer nach der Conditio humana fragt, der wird mension, wobei das Seelische dem Körperlichen in der Regel die historische und soziale Bedingtheit nachgeordnet ist und sich zudem auch jederzeit des Menschen mitbeachten und betonen: mit Blick mehr über den Körper äußert als etwa über Spra- darauf, dass aus der Auffassung vom Menschen che. Die historische und politische Dimension des eine historische Verantwortung resultiert (nach Menschen thematisiert Mann dagegen nur am Helmuth Plessner); und mit Blick darauf, dass aus Rande: Verantwortlich sind die Figuren in der ihr die Verpflichtung zu politischem Handeln er- Regel nur sich selbst.

51 Der Mann

Nicht also, wie ein Mensch sich in einer his- Dass Manns forschender Blick auf die Condi- torisch-politischen Situation verhält, sondern tio humana – in der beschriebenen Ausformung wie er sich überhaupt verhält, können Manns – mit Manns stilistischem Programm in Perfek- Filme demonstrieren: zu was er fähig ist. Was tion zusammengeht, muss kaum eigens erwähnt er aushält. Was ihn zum Überkochen bringt. werden: Das Primat des Visuellen bedingt die und Kurz: wo seine Grenzen liegen, und zwar stets folgt aus der Abneigung gegen thesenhaftes Re- die zum Abgrund, nicht zu edlen Höhen. (Eric den. Der physische Stil korrespondiert mit dem Rohmer hat einmal geschrieben, dass Holly- Interesse für die menschliche Leiblichkeit. Der woods Popularität sich mehr dem Teufel als Umgang mit Raum und Landschaft ermöglicht die Gott verdanke.)176 Wie die meisten Filmemacher Erkundung des In-der-Welt- und Zur-Welt-Seins forschte auch Mann nach dem Außergewöhnli- des Menschen. Das ruhige, von Gewaltanfällen jäh chen im Gewöhnlichen, nach den Untiefen un- unterbrochene Tempo erlaubt den gelegentlichen ter den Oberflächen, nach der Rohheit unter Blick in die Psyche der Figuren. dem kultivierten Tun. »There was a mean trick Keine Frage: Manns Kino ist universell. Es ge- played on us somewhere«, sagt der schlichte Ty- höre schließlich zu den grundlegenden Tugenden Ty (Robert Ryan) in god’s little acre einmal: des amerikanischen Kinos, so Rohmer, die Welt »God put us in the bodies of animals and tried stets mit den größten, tiefstschürfenden, allum- to make us act like people.« fassenden Fragen zu befragen; die thematischen Die Freiheit, könnte man fragen, wo bleibt in Vorlieben des Classical Hollywood könne man da- Manns Auffassung vom Menschen die Freiheit? her als »Gemeinplätze« fassen. Oder als »Ideen, Es ist keineswegs so, dass Freiheit in seinen Fil- so alt wie die Welt«.177 Das Raffinierte des Clas- men keine Rolle spielt, aber sie äußert sich tat- sical Hollywood besteht dann gerade darin, die sächlich immer nur ex negativo. Man mag an den größten Themen oft in den kleinsten Geschich- Delinquenten denken, der in raw deal aus dem ten zu verpacken. Gefängnis flüchtet, nur um in den Tod zu gehen; oder an den Westerner in the far country, der Conditio masculina so ungebunden, frei und rastlos durch die Lande zieht, dass er am Ende im kanadischen Schnee Muss es ausgesprochen werden? Manns Kino ist versinkt. Äußere Fesseln halten Manns Figuren entschieden maskulin, und zwar zu einem sol- dabei praktisch nie: Es sind stets innere Zwänge, chen Ausmaß, dass man ohne Weiteres die Con- Obsessionen, Codices, die hemmen und beschweren ditio humana durch die Conditio masculina er- (einerseits) und zu gewaltigen Zerstörungsakten setzen mag. Es ist kaum Zufall, dass vier seiner antreiben (andererseits). Selbst dort, wo äußere Filme – seiner Hauptwerke sogar – den ›Mann‹ Kräfte das Handeln der Figuren anstoßen – das im Titel tragen. t-men, the man from laramie, juristische Philistertum in devil’s doorway, der men in war, man of the west: Diese Filme erhe- Kriegszustand in men in war und the heroes of ben schon im Titel den Anspruch, man himself zu telemark, die politischen Krisen in el cid und präsentieren. the fall of the roman empire –, interessierte Man darf Sara (Sarita) Montiels Ausführun- Mann weniger die systemische Herstellung der gen über ihren zeitweiligen Ehegatten Anthony Unfreiheit als vielmehr die Art und Weise, wie Mann nicht zu wichtig nehmen; abgesehen von der Einzelne sich zu ihr verhält (und sich mögli- fehlender Faktentreue ist in Montiels Autobio- che Auswege selbst verbaut). Manns Kino ist da- graphie stellenweise eine maliziöse Lust an der mit in gewisser Weise postexistentialistisch: Sie absichtsvollen Geringschätzung ihres früheren mag zwar denkbar sein, die Freiheit, aber für sei- Partners zu spüren. (Des Mannes, der sie nach ne Helden gewinnt sie nie Substanz. der künstlerisch unbefriedigenden Zusammen-

52 Themen arbeit in serenade 1957 heiratete und in keinem rung (Gary Cooper), Monumentalität (Charlton seiner folgenden Filme mehr besetzte; Montiels Heston). So als hätte man das Männliche von enorm populäre Rollen in lateinamerikanischen allem Tand und allen Preziosen befreit und den und spanischen Melodramen muss er zudem kaum Kern desselben freigelegt. (Wohl wissend, dass ernst genommen haben.) Im Folgenden liegt Mon- der ›Kern‹ erst durch die Konstruktion in diesen tiel jedoch nicht falsch: »Sie hatten recht, all jene, Filmen entsteht.) die sagten, dass er großartig war, wenn er ›Män- Drehbuchautor Philip Yordan beschrieb sei- nergeschichten‹ erzählte […]; was er aber […] mit ne Arbeit für die Filme Anthony Manns einmal den Frauen in seinen Filmen anfangen sollte, war wie folgt: Er habe den »Mann, der irgendwoher ihm schleierhaft.«178 kommt und irgendwohin geht, der von den Furien Dies bedeutet nicht, dass es in Manns Filmen gejagt wird und verzweifelt seinen inneren Frie- nicht zuweilen charaktervolle und durchset- den sucht« kombiniert mit »einer typisch ame- zungsstarke weibliche Figuren gibt, verkörpert rikanischen, ganz alltäglichen Figur«: von charaktervollen und durchsetzungsstarken Frauen: Claire Trevor in raw deal (1948), Barba- »Mit jemande[m], von dem man sagt, wenn man ra Stanwyck in the furies (1950), Joan Fontaine ihn auf der Straße sieht: ›Das ist ein Mann.‹ Man in serenade (1956), auf ihre herzliche Art auch weiß nicht recht, warum man das sagt, aber man June Allyson in the glenn miller story (1954) hat recht. Im allgemeinen lebt dieser Mann für sich, und strategic air command (1955), auf ihre zu- bittet nie jemanden um irgend etwas, versucht nie, gleich erdverbundene und weltenthobene Art etwas abzustauben, bewahrt seine Würde. Er ver- auch Sophia Loren in el cid (1961) und the fall achtet die Menschen nicht und fürchtet sie nicht of the roman empire (1964). Meistens aber sind und wenn man ihn angreift, wird er gefährlich. die Frauen bei Mann passiv inszeniert, als Beob- Und wenn er Angst hat, hat alle Welt Angst. […] Er achterinnen und zuweilen Kommentatorinnen hat Würde und sucht Würde. Er schlägt sich nie, am Rande. außer wenn er dazu gezwungen wird; dann aber »[A] bit of male truth« hätten Mann und die ist er schrecklich.«180 weiteren Underground-Regisseure in Filmform gefasst, konstatiert Manny Farber, und das sei Coursodon und Tavernier formulieren knapper, ihr großes Verdienst: »The underground direc- aber im Grundsatz gleich: Manns Helden »wer- tors have been saving the American male on the den lebendig als Männer, die für nichts anderes screen for three decades.« Farber führt nicht existieren als für die Tat«.181 weiter aus, was diese (spezifisch amerikanische) Aufgrund ihrer außerordentlichen und wider- Männlichkeit ausmache, aber er sagt deutlich, sprüchlichen Präsenz wurden Manns Männer in was sie nicht sei: »[C]oyness (early Robert Tay- den 1980er Jahren zu Fallstudien der Queer Stu- lor), unction (Anthony Quinn), histrionic conceit dies; Paul Willemen widmete dem Thema 1981 (Gene Kelly), liberal knowingness (Marlon Bran- den Aufsatz Looking at the Male, Steve Neale 1983 do), angelic stylishness (Mel Ferrer), oily ham- Masculinity as Spectacle. Willemen befragte die ming (José Ferrer), Mother’s Boy passivity (Rock eigentümliche Fokussierung der Kamera auf die Hudson), or languor (Montgomery Clift).«179 Im männlichen Körper in Manns Filmen und das Umkehrschluss hieße das, auf Anthony Manns Verhältnis des Zuschauers dazu: Männer bezogen: Kompromisslosigkeit (der späte Robert Taylor), Handfestigkeit (Dennis O’Keefe), »The viewer’s experience is predicated on the plea- Ausdauer (James Stewart), animalische Virilität sure of seeing the male ›exist‹ (that is, walk, move, (Victor Mature), stoische Gelassenheit (Henry ride, fight) in or through cityscapes, landscapes Fonda), Explosivität (Robert Ryan), Versteine- or, more abstractly, history. And on the unquiet

53 Der Mann

pleasure of seeing the male mutilated (often quite sich zum einen dramaturgisch: Mann inszeniert graphically in Mann) and restored through vio- Gewalt eruptiv, einzelne Schockmomente struk- lent brutality.«182 turieren das Ganze, fesseln die Aufmerksamkeit des Publikums und staffeln die Handlung zum Neale, der an Willemen anschloss, interessierte sich Höhepunkt hin. Zum anderen äußert er sich äs- mehr für das Konzept der als Narzissmus qualifi- thetisch: Mann forscht dem Effekt von Gewalt auf zierenden Männlichkeit in den Filmen und für die den Körper »with graphic detail« nach und re- Wehmut angesichts ihres drohenden Verlusts. Er gistriert auf den Gesichtern und Körpern seiner nannte dieses Männerbild ›nostalgisch‹ und ord- Figuren den Schmerz, den eine Wunde bereitet, nete die autarken, dabei verletzlichen Helden als und die Anstrengung, die das Töten abverlangt. im Grunde schon zur Entstehungszeit der Filme John Ford, so William Darby, inszeniere das Böse anachronistisch ein.183 Für Claudius Seidl hinge- maßgeblich als Abwesenheit des Guten, Mann gen waren Anthony Manns (vor allem Western-) dagegen inszeniere das Böse selbst. Und Robin Helden der 1950er Jahre höchst moderne Figuren, Wood stellt fest: »Where Ford keeps us at a dis- besonders im Vergleich zu den selbstmitleidigen tance, Mann forces us in close.«187 Männern im deutschen Nachkriegskino: Es handle Es gehört zu Manns spezifischem Umgang mit sich um »Männer mit böser Vergangenheit; nur Gewalt, dass er sie mit Vorliebe gegen seine Helden daß sie sich der gestellt hatten und davon nicht wendet. Das beginnt mit den heftigen Prügeln, die selbstmitleidig, nur schweigsam geworden waren, Steve Brodie 1947 in desperate erlebt, und endet Männer, die bereit waren zu zahlen, für ihre Ta- 1968 in a dandy in aspic mit dem Auto, das Lau- ten, aber auch für ihre Unterlassungen«.184 rence Harvey in hohem Tempo frontal erfasst. An- Das Aufregende, das Bestürzende, das Fantas- thony Mann in einem Interview, schon 1953: »I’m tische an Manns Männern ist dabei, dass es ge- the most unsadistic guy in the world, personally, rade keine Supermänner sind, sondern Männer, but I’ve done so many westerns and gangsters I die am Boden liegen; Männer, die alte und frische don’t know how to kill a man any more.«188 (Da Wunden pflegen; Männer an der Schwelle zum hatte er the man from laramie und man of the (Nerven-)Zusammenbruch.­ west noch gar nicht gedreht.) Fritz Lang äußerte sich Mitte der 1960er Jah- Gewalt und Schmerz re über Gewalt im Film: »Anthony Mann betrachtet seine Helden beim »Do you think there are many people in our audi- Kämpfen und beim Leiden mit Zuneigung und ence today who believe in punishment after death? Sympathie. Er findet Gefallen an ihrer Gewalt, No. So what are they afraid of? Only one thing – weil sie menschlich ist[.]«185 André Bazin pain. […] [N]ot so much death on a battlefield as being hurt, being mutilated. At this moment vio- »Great drama needs violence«, meinte Anthony lence becomes an absolutely legitimate dramatic Mann einmal, schon die Antike habe das gewusst.186 element, in order to make the audience a collabo- Maß und Qualität der Gewalt sind bei Mann be- rator, to make them feel.«189 achtlich, vor allem in den Western, und vor allem in den Western mit James Stewart. Diese Filme, Diese Auffassung schien Anthony Mann zu teilen. schreibt Rancière, enthielten »scenes of violence Nicht Gewalt, sondern Schmerz müsse man daher and cruelty, rituals of humiliation, whose­ parox­ als thematisches Charakteristikum des Mann’schen ysms […] always exceed what the simple narrative Œuvres begreifen, schlägt David Boxwell vor.190 logic of the confrontation calls for«. Der besondere Der Schmerz scheint bei Mann Voraussetzung zu Stellenwert der Gewalt in Manns Filmen äußert sein für jede Form von Erkenntnis. Darauf weist

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Mann’sche Zweikämpfe, zweiter Teil: Robert Taylor und James Millican in devil’s doorway, Dan Duryea und James Stewart in thunder bay, und Ricardo Montalban in border incident, Charles McGraw und Glenn Ford in cimarron, Jack Lord und Gary Cooper in man of the west, Tom Fadden und Dennis O’Keefe in raw deal (Standfotos)

55 Der Mann letztlich auch Jacques Rivette in seinen Notizen zu ihrer Gewaltausbrüche kaum ein rationales Kor- einer Revolution hin, wenn er den Wechsel von Ge- rektiv entgegenzusetzen haben. Wieder und wie- walttätigkeit und Kontemplation in den Filmen der erliegen sie »Ausbrüche[n] von Grausamkeit, von Mann, Nicholas Ray, Richard Brooks und Ro- die oft durch selbstzerstörerische Neigungen her- bert Aldrich beschreibt: beigeführt werden«.194 Dies ist entscheidend: Manns Helden werden »[D]er Gegenpol des schöpferischen Prozesses ist nicht nur zum Objekt, sondern sind zugleich Sub- für all diese Regisseure die Reflexion; das heißt, die jekt der Gewalt. Sie prügeln, quälen, töten ohne Gewalttätigkeit hat, sind die Ruinen der Konven- Unterlass und stehen damit dem übelsten Schur- tion erst einmal zu Staub zerfallen, kein anderes ken in nichts nach. Anthony Mann, so Douglas Ziel, als einen Zustand der Gnade, eine Bereitschaft Pye, transformiere das Ideal des Westernhelden zu schaffen, im Herzen derer die Helden, aller will- in ein »nightmare of psychological trauma, vi- kürlichen Fesseln ledig, frei sind sich selbst zu be- olence and hysteria«.195 Die Gewaltexzesse, zu fragen und ihr Schicksal zu vertiefen. So entstehen denen Manns Helden fähig sind – oder im Lauf die langen Pausen, die Windungen, die das Zent- der Filmhandlung befähigt werden –, machen rum der Filme Rays, wie der Manns, Aldrichs und sie zu borderlinern an der Schwelle zu Hysterie Brooks’ bilden.«191 und Wahn. Die Notwendigkeit, Gewalt zu gebrau- chen, konkurriert in ihnen mit dem Willen, sie So paradox es scheint: Gewalt und Schmerz ge- letztlich zu überwinden. Was aber in den meis- ben Manns Filmen ihren humanistischen Gehalt. ten Western nur mittelbar eine Rolle spielt, ist Bei Anthony Mann haben Gewalt und Schmerz in Manns Filmen ostentativ nach außen gekehrt. als existentielle, individuelle Erfahrung zualler- Bernd Kiefer nennt dies die »tragische Weltsicht erst in den Films noirs und in den Western ihren Anthony Manns: Menschlichkeit ist nur zu er- Platz (in den Epen ist die Gewalt eine Spur stär- langen um den Preis der Konfrontation mit dem ker institutionalisiert). In beiden Genres gehört Unmenschlichen«.196 Deshalb muss die Gewalt, Gewalt zum modus operandi, auch wenn die Kon- die Manns Figuren ausüben, stets auch auf sie notationen verschieden sind: Im Film noir ist Ge- selbst zurückfallen. walt stets der – wenn auch alltägliche – Störfall, Noch einmal Jacques Rivette (über Mann, Ray, in dem soziale und psychische Abweichung sich Aldrich und Brooks): manifestiert als »an unexpected and intense exer- cise of rage«.192 Im Western hingegen hat Gewalt »Ihre erste Tugend ist die Gewalttätigkeit; nicht eine systemische Funktion: Sie ist Grundprinzip diese simple Brutalität, die einen Dmytryk oder und Grundrecht der Pioniergesellschaft, nicht wer Benedek zum Erfolg führte, sondern ein mann- sie einsetzt, sondern wer sie besser einsetzt, tri- hafter Zorn, der von Herzen kommt und seine umphiert. Ihre Anwendung ist sowohl innerhalb Wurzeln weniger im Drehbuch oder der Wahl des Filmnarrativs als auch historisch legitimiert der Szenen hat als im Ton des Erzählens und der durch das Prinzip der »Regeneration through Vi- Technik der mise en scène selbst. Die Gewalttätig- olence«.193 Allein die Frage des Maßes markiert keit ist niemals Ziel, sondern wirksamstes Mittel, die Grenze zwischen Unrecht und Recht. und all diese Fausthiebe, Waffen und Dynamit- Bei Anthony Mann verschwimmt diese Grenze explosionen verfolgen keinen anderen Zweck, verlässlich regelmäßig. Gewalt ist bei ihm kom- als die angehäuften Trümmer der Gewohnheit promisslos, blindwütig, exzessiv; sie ist nicht not- in die Luft zu jagen, einen [sic] Bresche zu schla- wendiger Teil eines heroischen Mythos, sondern gen: kurz, um die kürzesten Wege freizulegen. reklamiert ein Existenzrecht an sich. Das äußert […] [D]iese vier [entwerfen] ein ergreifendes Bild sich in der Konzeption der Figuren, die der Wucht der Welt unserer Zeit; sie sprechen zu uns durch

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ihre Aktualität, den physischen Eindruck, daß tion. Anthony Mann evoziert sachte und diskret ihre Bilder stimmig sind.«197 die Stimmung des Versäumten und Verlorenen, die weniger eine nostalgische Rückschau ist als Schicksal, oder: Temps perdu vielmehr ein grimmiges Erstaunen über das, was war; das, was ist; und das, was unweigerlich sich In besonderer Weise ist Manns Filmen das Ende daraus entwickeln muss. Es gehöre Kühnheit dazu, oft am Anfang bereits eingeschrieben. Auch wenn seine Filme »so konsequent in einer Atmosphäre sich Manns Films noirs, Western und Epen mal des Danach« anfangen zu lassen, schreibt Gerhard rasant, mal zögerlich, aber immer streng nach Midding (und bezieht sich dabei vor allem auf el vorn entwickeln, bleibt ihnen ein rückwärtsge- cid und men in war, die mit den »Nachwirkun- richteter Sog erhalten, der in die Vergangenheit gen einer Schlacht« beginnen).198 zielt, auf das Übel und den Schmerz, der vor Be- Manns Helden sind Getriebene ihrer eigenen ginn der Filmhandlung sich schon ereignet hat. Geschichte. Das gilt für den Kunstschützen, der Selten erfahren wir genau, wer oder was die al- in the great flamarion wohl nur deshalb zum ten Wunden geschlagen hat, meist können wir die Mörder wird, weil ihn schon zum zweiten Mal Narben nur erahnen. In der Andeutung aber liegt eine Frau schlimm betrogen hat; das gilt für den oft die größere Kraft im Vergleich zur Explika- Kleinganoven, der in raw deal keine Zukunft ha-

»Atmosphäre des Danach«: Marsha Hunt, Claire Trevor und Dennis O’Keefe in raw deal (Standfoto)

57 Der Mann ben kann, weil ihn die Gosse, in der er aufwuchs, ing what is best«, schreibt William Darby.201 Hät- wie magisch wieder anzieht. Und das gilt für ten sie die Wahl, würden sie sich wohl gegen ihr praktisch alle Mann’schen Westerner, die aus- Handeln entscheiden. ziehen, Rache zu nehmen (winchester ’73, the man from laramie), oder die eingeholt werden Individualismus von einem Leben, das sie hinter sich zu lassen hofften (bend of the river, the tin star, man »I have a feeling that audiences don’t like heroes of the west). Sie alle schleppen Vergangenes mit anymore.«202 Anthony Mann sich herum, das ihnen doch ständig gegenwär- tig ist. Sie streben weg vom eigenen Selbst in der »Why is the American Western film such a success vagen Hoffnung, zu einem neuen Selbst zu fin- throughout the world?«, fragte Anthony Mann in den – so wie James Stewart als Glyn McLyntock seinem kurzen Text Empire Demolition: »It is be- in bend of the river, der auf die Frage seines cause a man says ›I am going to do something‹ Gefährten: »Who are you running away from?« – and he does it […]. This is what drama is. This mit dem Eingeständnis antworten muss: »A man is what pictures are all about. I don’t believe in by the name McLyntock.« anything else.«203 Folgerichtig ist A man has to do Zur Stimmung des Vergeblichen gehört die what he has to do die radikale, die bestimmende, Ohnmacht, die das Tun so vieler Helden dieses Re- die einzige Ideologie des Mann’schen Universums. gisseurs begleitet; besonders in den Films noirs ist Niemand hat wie dieser Regisseur das »A man die Ahnung übermächtig, dass jedes Aufbäumen, has to do…« so ohne die Möglichkeit des Wider- alles Treten und Um-Sich-Schlagen sinnlos sein spruchs zum Credo erhoben und kompromisslos könnte angesichts des Unvermeidlichen. Der Film durchgespielt: bei Ford war es trauriger, bei Hawks noir, so , sei schließlich bestimmt heldenmutiger; bei beiden war die Möglichkeit, von »a mood of temps perdu: an irretrievable past, beiseite zu treten und auszusteigen aus dem Fluss a predetermined fate and an all-enveloping hope­ der Ereignisse, am Rande immer angedeutet. Es lessness«; auf viele der Filme Anthony Manns ist ja nicht ohne Grund die Frau, die das Vater- trifft dies in besonderer Weise zu.199 Von temps Sohn-Duell in red river (1948, United Artists) zu perdu zu sprechen scheint dabei erheblich sinni- einer Lachnummer macht; und es ist nicht ohne ger, als den Begriff des Schicksals zu bemühen. Grund der Sonntagstanz um die frisch errichtete Schicksal: Das impliziert das Vorhandensein ei- Kirche, der Wyatt Earp (Henry Fonda) in my dar- ner äußeren, übergeordneten Kraft, die den Weg ling clementine (1946, Fox) für lange Momente des Einzelnen ›vorzeichnet‹, seine ›Geschicke‹ be- heraushebt aus seinem tristen Geschick. Frauen stimmt und alle Geschehnisse zu einem (sinnstif- (die bei Mann manchmal ganz fehlen, wie in bor- tenden?) Ganzen ›fügt‹. Der Akzent wäre in Manns der incident) und Gemeinschaft (die bei Mann Fall falsch gesetzt. Denn auch wenn ihr Ende un- korrumpiert ist, wie in the fall of the roman ausweichlich scheint: Manns Helden sind autarke empire) können aber bei Mann nie Ausweg sein. Figuren, die ihren zerstörerischen Weg aus einer Bei Ford und Hawks gehe es, so Rüdiger Suchs- inneren Notwendigkeit heraus beschreiten. Zen- land, »um die Integration des Westerners in die tral ist eine Beobachtung von Jim Kitses: »The Rechtsordnung und den zivilisatorischen Konsens characters of Anthony Mann are extreme men – bei Mann aber um das Herausfallen aus ihm«.204 stretching out beyond their reach. Rarely is it a Raymond Bellour betont, dass Manns Western kei- matter of choice; as if possessed, these men push ner gesellschaftlichen Utopie zustreben, sondern ahead completely at the mercy of forces within der (stets verfehlten) Sehnsucht nach persönli- themselves.«200 Manns Helden »must choose what cher Harmonie (»une harmonie individuelle«). is better instead of indulging the luxury of choos­ Bellour nennt Mann in Anlehnung an Jean-Luc

58 Themen

Godard den »vergilischsten« aller Filmemacher, viduum bedeutet, zu entkommen, ist gerade im weil alles Tun und Streben nur auf eines ausge- Westen, wo das zivilisatorische Projekt um jeden richtet ist: »das Wohl der eigenen Seele« (»le seul Preis gelingen muß, unmöglich.«210 bonheur de l’âme personnelle«).205 »Some things a man has to do, so he does Alles dreht sich bei Mann um das Individuum ‘em«:206 Das alte Diktum des Westerner wird somit (was selbst daran ersichtlich wird, dass in devil’s bei Anthony Mann zum Fluch. Seine Helden voll- doorway Lance Poole [Robert Taylor] nicht getötet führen »angestrengte Gewaltakte, die ihren Sinn wird, weil er ein Indianer ist, sondern weil er ein nur noch in sich selbst haben, aber ›geschichtlich‹ reicher Indianer ist). Manns radikaler Individua- nichts bewirken«.207 Ihr Handeln ist von einem lismus verlangt, dass in seinen Filmen der Held, angenommenen ›großen Ganzen‹ abgelöst. Des- und nur der Held, im Zentrum steht. Und selbst halb stehen sie am Ende ohne alles da, mit leeren wenn die weibliche Hauptrolle im billing an zwei- Händen sowieso, aber auch mit leeren Herzen und ter Stelle kommt, ist sie de facto dem Gegenspieler leeren Seelen. Vom ›Helden‹ will Anthony Mann nachgeordnet, also jener Figur, die dem Helden oft auch nicht mehr sprechen, sondern vom »man verstörend ähnlich ist: In desperate interessiert with a purpose«, der am Ziel seiner Mission nicht uns nach Steve Brodie nicht Audrey Long, son- erhaben dasteht, sondern erschöpft. »He’s done dern der teuflische Raymond Burr. In the naked the job«, sagt Mann einfach, »and thank heaven spur fesselt uns nach James Stewart der gerisse- it is done.«208 ne Robert Ryan viel mehr als Janet Leigh. In the Manns Filme der späten 1940er und frühen fall of the roman empire sticht der schillernde 1950er Jahre handeln auf einer zweiten oder Christopher Plummer die schöne Sophia Loren dritten Ebene immer auch vom Übertritt in ein hinsichtlich der Faszinationskraft um Längen modernes Zeitalter: das der Post-Frontier-Zeit aus. (Tatsächlich schaffen es bei Mann die Bösen (in den Western) und das der Post-WWII-Zeit (in ja häufig, den weniger Bösen mit Verve die Show den Films noirs). Einige der Mann’schen Helden zu stehlen; das gilt vor allem für die frühen Filme, entscheiden sich, den Schritt nicht zu gehen und wo die Heldendarsteller noch nicht das Kaliber zu sterben (in raw deal, in devil’s doorway, im von Stewart, Fonda und Cooper hatten: Man den- Grunde auch in the last frontier); andere passen ke an Helene Thimigs schauerliche alte Dame in sich an (die Westerner, die James Stewart spielt). strangers in the night [1944, Republic], an John Wenn stimmt, was Hannes Böhringer schreibt, Irelands selbstverliebten Gangster in railroaded! dass nämlich »Amerikas Gelassenheit […] von der [1947, Eagle-Lion], an Arnold Moss’ nonchalanten Möglichkeit [lebt], weiter nach Westen ziehen zu Opportunisten in reign of terror [1949, Eagle-Li- können«,209 dann kommt dieses Entfaltungspo- on].) Das Publikum, meint Richard Cor­liss, müsse tential für den Einzelnen historisch notgedrun- sich in Manns Filmen grundsätzlich fühlen wie gen irgendwann zu einem Ende. Elisabeth Bronfen der alte Goldgräber (Millard Mitchell) in the na- bezeichnet die solcherart verzweifelt nomadisie- ked spur: »He is supposed to aim his rifle at the renden Helden als »im Zuge der geglückten Zivi- bad guy but confesses, ›It’s gettin’ so I don’t know lisierung des Westens selbst obsolet« geworden: which way to point this no more.‹«211 Der Held, als früherer Krimineller oder Kopfgeldjäger, als »Der weite, endlose Raum verspricht dem Helden Gequälter und Peiniger, in vergehender Wildnis scheinbar einen Ausweg aus den unerträglichen und korrumpierter Zivilisation, hat von seinem Widersprüchen eines Lebens in der Gemeinschaft, Glanz verloren. Seine Triumphe sind kläglicher, bietet ihm aber eigentlich nur die Möglichkeit, in fragiler, gar fraglich geworden. Manns großes diesem Raum unbegrenzt zu kreisen. […] Den Be- Interesse gilt somit letztlich nicht dem Helden, schränkungen, die die Gesellschaft für das Indi- sondern dessen Krise.

59 Der Mann

Der Held als Leerstelle: Mit diesem Thema mit erfundenen Namen zu verhindern suchen, war Mann, selbstverständlich, nicht allein. »Der dass man ihre eigentliche Identität erkennt. Die Western altert[e] seit den 50er und definitiv seit Westerner in bend of the river, the naked spur, den 60er Jahren in der Form des Spätwestern mit the far country, the tin star: Getriebene, die dem zunehmenden Verfall des American Dream es an Orte fern der Heimat zieht, hoffend, dass vom Land der Tapferen und Freien«, und die Un- man ihre Namen dort nicht kennt. Im Spionage- möglichkeit des Heldentums wurde zu einem zen­ thriller a dandy in aspic schließlich wird die Op- tralen Topos. Die alten Meister verabschiedeten tion, einen Namen zu tragen, an sich unmöglich. sich von ihren Helden, jeder auf seine Art: »trot- zig gegen die Zeit« Howard Hawks mit rio bravo Moral (1959) und el dorado (1967), »nostalgisch« John Ford mit the man who shot liberty valance Anthony Mann zeige in seinen Filmen, so Em- (1962).212 Jüngere Regisseure, die erst in den 1950er manuelle Le Fur, stets die »Aufrichtigkeit, weder und 60er Jahren in das Genre einstiegen, gingen die Gewalt noch den Tod je zu banalisieren«. Der rabiater vor: analytisch-stagnierend Budd Boetti- Mann’sche Held, indem er die Verantwortung für cher in seinen Variationen des Immergleichen im sein Handeln anerkenne, sei damit grundsätzlich Western-Zyklus mit Randolph Scott (1956-1960), und unbestreitbar »ein schuldiger Held«. Für Ve- formen- und bildersprengend Samuel Fuller in rena Lueken zeichnet Manns Œuvre »ein Bild der forty guns (1957), apokalyptisch Sam Peckinpah Welt […], in der jeder einzelne zählt und in der es in the wild bunch (1969). darauf ankommt, wie er sich entscheidet«. Und für Eine Beobachtung am Rande: Ein Kennzeichen Franz Everschor heben sich Manns Western aus des ausgeprägten Individualismus in Anthony dem Genre ab durch »ihre Auseinandersetzung Manns Filmen ist die herausgehobene Rolle, die mit dem Westernhelden als ethische Modellfigur«. die Namen der Figuren spielen. Im Werk dieses Immer gilt dabei, darauf weist Jean Wagner hin: Puristen, der das Erzählen in Symbolen mied und Manns Dramen umkreisen stets nur Fragen der den Bedeutungsexzess scheute, legen die Namen Moral, niemals der Prinzipien.214 (meist) der Helden eine eigene Spur. Oft haftet Es ist nur folgerichtig, dass nicht etwa die dem Namen eine Bürde an, die den Namensträger Gesellschaft, sondern die Helden selbst den mo- verfolgt. Das gilt besonders für Rodrigo (Charlton ralischen Anspruch in ihr Handeln einbringen. Heston) alias El Cid. »[T]aking on / being given / Jim Kitses bezeichnet Manns Figuren als »over- having to live up to a title or name« gehöre zu den reachers«, als Charaktere, die zuviel von sich Konstanten des epic, schreibt Leon Hunt (und ver- verlangen und unter der selbst auferlegten Last weist auf Anspruch und Strahlkraft von Namen zusammenzubrechen drohen.215 Sie wissen, was wie Spartacus und Ben-Hur), »which in turn in­ ein Leben bedeutet, wenn sie ein Leben nehmen; volves living according to an almost impossible sie wissen, was Recht ist, wenn sie gegen Recht code or law, which in turn involves, in most cases, verstoßen. Das unterscheidet sie vom Scheusal the hero giving up his life«.213 Aber auch zuvor und vom Tölpel. Die Folge für ihren Charakter ist schon zieht sich das Motiv des Namens, der grö- ein »schizophrenic style«:216 Denn dass sie gegen ßer und mächtiger ist (oder zu werden droht) als ihre eigenen Ansprüche werden verstoßen müs- der Held, durch Manns Werk. ›The Great Flama- sen, ist klar. rion‹: ein glamouröser Bühnenname, der umso Insbesondere Manns Westerner sind für die deutlicher macht, wie wenig ihm der Namens- 1950er Jahre radikal moderne Figuren, weil sie träger abseits der Shows entspricht. desperate, sich in den Grenzbereichen des genreeigenen t-men, border incident, the heroes of tele- Verhaltenskodex bewegen, ohne ihr Grenzgän- mark: Männer auf der Flucht und undercover, die gertum zu reflektieren oder einer moralisch

60 Themen eindeutigen Lösung zuzuführen. Der Weg, den ein Mann’scher Westerner geht, ist aufgezwun- gen und der Ort, an den er ihn führt, der Schau- platz seines Martyriums; aber es ist eben auch »a place where he is not entirely unhappy to be«.217 »You’re beginning to like it«, sagt Spade (Millard Mitchell) zu Lin McAdam (James Stewart), der in winchester ’73 seinen eigenen Bruder jagt. Lins Beteuerung, dass dem nicht so sei, kann nicht recht überzeugen. Das ist das Radikale: Lin McAdam erschießt seinen Bruder »much as he would do anything else«.218 Der Verhaltenskodex des Westens hat für ihn entweder zu große Bedeutung (die Rache um jeden Preis, obwohl es sein Bruder ist) oder keine Bedeutung mehr (die Rache um jeden Preis, gerade weil es sein Bruder ist). Für Howard Kemp (James Stewart) in the naked spur ist der Kodex noch relevant, Kemp weiß bloß nicht, wie er ihn aus- legen soll. Er ist hin- und hergerissen zwischen dem, was er tun muss, und dem, was er tun will, soll oder sollte; ein Zustand, der ihn bis zur Bewe- gungsunfähigkeit lähmt. Am Ende bricht er emo- tional und körperlich zusammen und entscheidet sich, die Leiche des Banditen zu vergraben, statt sie zu Geld zu machen. Offen bleibt, ob das Schei- tern seiner Kopfgeldjagd ein moralischer Triumph ist oder ein weiterer Schlag des Regisseurs in die Magengrube seiner Figur.219 An den ethischen Dilemmeta, in die Mann sei- ne handelnden Figuren verwickelte, interessierte ihn stets der Einzelfall: Es geht um die Priorisie- rung von Freundschaft oder Recht (in cimarron, wo Glenn Ford als Yancey Cravat widerstrebend einen früheren Kameraden tötet) oder um das Ab- wägen einzelner Leben gegen eine große, hehre Mission (im norwegischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten, von dem the heroes of te- lemark erzählt). Vor allem geht es um das ewi- ge Problem der Rache (Naturrecht? Anmaßung?), Der Brudermord: James Stewart und Stephen McNally in winchester ’73 (Screenshots) das in so vielen Filmen Anthony Manns zu finden ist, entweder plotbestimmend wie in the great flamarion, strange impersonation, the furies of the river, the far country, the man from und winchester ’73 oder in untergeordneter Plot- laramie, the last frontier, serenade und man struktur wie in raw deal, reign of terror, bend of the west. Joe Hembus:

61 Der Mann

»Der wahre Seelenzustand [des Mann’schen Helden] Jahre.222 Schrader hatte nicht ganz recht damit: ist seine ständige Disponibilität zur Rache. Wenn Anthony Mann (und andere) transportierten die er genug gerächt hat und zu höheren Einsichten fä- Abgründe, die der Film noir geöffnet hatte, über- hig ist, überkommen ihn die Verzweiflung und der zeugend in den Western der 1950er. Katzenjammer, ein Leid, das um so schmerzlicher Jeder Western ist a priori der Nachvollzug der wirkt, je mehr es von der Einsicht in die eigene […] historisch-nationalen Anstrengung, die Frontier Deformierung begleitet ist.«220 zu schließen, das wilde Land zu unterwerfen und durch Zivilisation einem Zustand freiheitlicher Am Ende steht nie der geläuterte, der be- oder Ordnung zuzuführen. Keiner der Mann’schen verurteilte, sondern der verzweifelte Held. Und Western aber löst diesen Anspruch ein: How the so bleibt Moral in Manns Filmen als fortwähren- West Was Won war kein Thema, das den Regisseur de Frage präsent, auf die höchstens jene Antwort interessierte, lediglich in cimarron taucht es pro- folgt, die Gary Cooper als Ex- (und neuerlicher) minent auf in Form des Oklahoma Land Rush. Aber Killer in man of the west artikuliert: »There’s a es dominiert der Schauwert, nicht die Doktrin point where you grow up and become a human des Manifest Destiny: Die Sequenz der Landnah- being or you rot with that bunch.« me ist grandios, von großer visueller Kraft und packender Dynamik – eine der eindrucksvollsten Politik und Nation Inszenierungen dieses historischen Ereignisses überhaupt. Aber wenn das Rennen um die besten »Ich bin mir fast sicher«, hat Jean Wagner über Plätze beendet ist, die Claims gesteckt sind, ist der Mann geschrieben, »dass er nie die mindeste Nos- Film eigentlich zu Ende. Was dann noch kommt, talgie verspürte für Amerika, obgleich er doch die Entwicklung der Stadt mit als als typischer Amerikaner gelten kann.«221 Mann Sendbotin der Zivilisation, kümmert weder das hat mit den amerikanischsten aller Schauspieler Publikum noch Anthony Mann, der das Projekt (James Stewart, Gary Cooper) die amerikanischs- am Ende frustriert verließ.223 ten aller Filme gemacht (den Western, den Film Manns Films noirs und Western könnten Aus- noir). Aber er hat das Amerikanische daran meis- sagen über den Zustand der Gesellschaft treffen, tens weggelassen, oder zumindest umgedeutet. aber das tun sie nicht. Der Regisseur dramatisierte Aus dem All-American Boy James Stewart machte Geschichten, die in Amerika spielen, aber nie von Mann einen hysterischen Soziopathen. Aus dem nationalen Erfahrungen handeln, sondern immer Western als Gründungsmythos der amerikani- nur von den persönlichen Erfahrungen der Figuren. schen Nation machte er kleine, private Stories Man braucht nur an the tall target (1951, MGM) über individuelles Scheitern. zu erinnern: Schützt der Detective das Leben des Dass der Film noir als uramerikanisches Gen- designierten Präsidenten Abraham Lincoln, weil re gelten könne, war anfänglich umstritten. Als er für die nationale Einigung brennt oder für die »aberration of the American character« wurde Abschaffung der Sklaverei? Keineswegs: Die De- die schwarze Serie von den Zeitgenossen vielmehr batten zwischen Nord- und Südstaatlern nimmt er gesehen. Erst als der Kriegs- und Nachkriegsge- höchst beiläufig zur Kenntnis. Er setzt sein Leben sellschaft dämmerte, dass die Aberration wohl ein für Lincoln, weil der ihm einst freundschaft- der Normalfall war, akzeptierte sie das Genre als lich die Hand geschüttelt hat und ihn mit seinem Ausdruck einer kollektiven Mentalität. »Never be- Wesen einnahm. Nicht patriotische Überzeugung fore had films dared to take such a harsh uncom- also treibt ihn an, sondern persönlicher Affekt. plimentary look at American life, and they would Im Individualismus selbst ist also bei Mann das not dare to do so again for twenty years«, schrieb Amerikanische zu suchen, mithin in seinen Vari- Paul Schrader über den Film noir der End-1940er ationen des American Dream. In der naiven Form

62 Themen finden sich solcherlei Erfolgsgeschichten kaum in tern ist, demonstriert schließlich tief in Georgia seinem Œuvre wieder, lediglich in den Backstage- die Niederlage der großen amerikanischen Wer- Musicals nobody’s darling (1943) und my best te – Familie und Religion – in der Konfrontation gal (1944, beide Republic) sind sie präsent sowie mit den Leidenschaften jedes Einzelnen: Wenn ein in zwei der Filme, die Mann mit James Stewart Bruder hier dazu bereit ist, den anderen zu töten, zwischen den Western realisierte: In thunder muss das amerikanische Projekt – wie schon in bay (1953) und in the glenn miller story (1954, winchester ’73 – als gescheitert gelten. beide Universal) setzen willensstarke Männer sich Manns radikaler Individualismus, seine Bevor- gegen Naturgewalten und den Kleingeist ihrer zugung der persönlichen Moral über das gesell- Mitbürger durch; ihr Wollen ist jederzeit gesund schaftliche Prinzip, sein Interesse für das Streben und gerecht, ihr Triumph am Ende absolut. Der (und Scheitern) des Einzelnen statt für die natio- eine hat Amerika die Musik gegeben, der andere nale Idee machten Manns Kino notwendigerweise das Öl: Das Beste für den Einzelnen ist hier in je- unempfänglich für politische Programmatik. So der Hinsicht deckungsgleich mit dem Besten für waren seine Filme selbst in den Kriegsjahren nicht die amerikanische Nation. entschieden patriotisch. (Die einzige potentielle Anders stellt sich die Situation in den Films Ausnahme, das RKO-Musical the bamboo blonde, noirs dar, die sich – wie die Western – keine Illu- das recht gleichgültig einmontierte Aufnahmen sionen darüber machen, dass der pursuit of hap- von amerikanischen Bombenabwürfen auf japa- piness des Einzelnen nicht zu denken ist ohne nische Städte enthält, ging erst nach Kriegsende den Konflikt mit der Gemeinschaft (und mit sich im September 1945 in die Produktion.)224 Manns selbst). Im Grunde zeigen diese Filme den Ameri- Zeit am Broadway legt es nahe, ihn der linkslibe- can Dream durchweg in seiner pervertierten Form: ralen Richtung zuzuordnen: Er inszenierte Stü- Der Gelegenheitsbriefträger in side street (1949, cke, die drängende gesellschaftspolitische Fra- MGM), dem die Augen übergehen, wenn er auf die gen aufgriffen, darunter das antimilitaristische Pelzmäntel der New Yorker Schaufenster blickt, Drama So Proudly We Hail über Gewaltexzesse und wird in seinem Streben nach Höherem zum Dieb- Machtmissbrauch in einer Kadettenschule oder stahl und zu einer persönlichen Höllenfahrt ver- das kontroverse Stück Big Blow, das die Faszination führt. Die mexikanischen Gastarbeiter, die sich einer Weißen für einen der Vergewaltigung ver- im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gute dächtigten Schwarzen thematisiert.225 Anderer- Arbeit und ein gutes Leben erhoffen, werden in seits: Ist denn das New Yorker Theater der 1930er border incident ihres Ersparten und ihrer Träu- Jahre ohne den linksliberalen Impetus überhaupt me beraubt. In t-men verwenden Geldfälscher zu haben? »[L]iberalish«, nicht ›liberal‹ nannte ihre ganze Kreativität und Energie darauf, die Norma Barzman, die Ehefrau des als Kommunist Vereinigten Staaten als System zu untergraben. verfemten und mit Berufsverbot belegten Au- Sie setzen dazu an Amerikas empfindlichster tors Ben Barzman, der mit Anthony Mann in den Stelle an: dem Vertrauen in die Währung, dem 1960er Jahren an el cid, the fall of the roman Glauben an das Geld. em­pire und the heroes of telemark arbeitete, Geld ist ohnehin auch in Manns Western häufig denn auch Manns politische Haltung: »He wasn’t die einzig gültige Religion. Was bleibt übrig vom what I would call progres­sive, but he was liberal­ amerikanischen Traum, wenn ein Kopfgeldjäger ish, easygoing about what happened and what was – wie in the naked spur und the tin star – Lei- happening«.226 Seine beiden Töchter schickte der chen zu Dollars macht? In cimarron führt das Regisseur auf eine alternative, von Robert Ryan Prosperieren der Frontiergemeinschaft unweiger- und dem Produzenten Sidney Harmon in Ryans lich den Untergang des einzelnen, freien Mannes Hinterhof gegründete und organisierte Schule, herbei. god’s little acre, der natürlich kein Wes- die auf Kreativität und Kooperation zielte sowie

63 Der Mann auf die Festigung der demokratischen Idee. Nina ihr. Ein »Gefühl des Weltenendes«230 schwingt in Mann berichtete von ihrem Besuch der Oakwood Manns Filmen mit, zum ersten Mal spürbar in raw School, die noch immer in privater Trägerschaft deal; es schwappt in Wellenbewegungen immer in North Hollywood existiert: »The teachers were wieder in Manns Œuvre hinein, fließt durchthe very forward-thinking in their approach to edu- man from laramie, men in war und man of the cation. It was a kind of experiential education.« west besonders stark hindurch und reißt in the Unter den Lehrerinnen und Lehrern habe es, so fall of the roman empire das ganze römische die damaligen Gerüchte, durchaus Sympathie für Forum mit sich weg. Manns Weltsicht ist, durch die kommunistische Idee gegeben. Nina sagt über und durch und unverrückbar, tragisch. Dabei in ihren Vater: »I would say that he was more sup- einer Färbung, wie Rudolf Arnheim sie in seinem portive of that which is progressive.«227 Aufsatz Vom Tragischen beschrieb: »Diese Tragik ist Anthony Mann, der in New York, Los Ange- ganz undramatisch, gemäldehaft, denn sie zeigt les, später Madrid und London lebte, außerdem keine Entwicklung auf, sondern Zuständliches, in Rom, Berlin und Norwegen Filme drehte, mag kein Geschehen, sondern ein Sein.«231 auf dem Papier wirken wie ein Kosmopolit. An der Manns Tragik ist entschieden modern, frei Welt aber schienen ihn nie die Länder, sondern von allem Pathos, klar, intim, auf berührende stets die Landschaften zu interessieren. Für die Weise wahr. Für Jacques Rivette, der an Anthony usa – und für Mexiko, wo er border incident und Mann und anderen Regisseuren im Jahr 1955 eine serenade zu Teilen drehte – galt das im Grunde filmische »Revolution« festmachte, sprengen in auch. Amerikanisch sei am amerikanischen Film den Werken dieser Filmemacher »moderne Bitter- nicht die Form, hat Wim Wenders einmal gesagt, keit und Ernüchterung« die »klassische[…] Fassa- sondern eine besondere »attitude towards things de«.232 Im Vergleich zur Bibel und den alten Grie- and actors and people«.228 Anthony Manns Filme chen rückt die Frage nach der Ursache der Plagen sind amerikanisch in genau diesem – diffusen – (die in beiden vorgenannten Fällen das Göttliche Sinn: in der Art, wie sie auf die Dinge blicken. In ist) in den Hintergrund; es ist ganz unausgespro- der Art, wie sie die Darsteller inszenieren. In der chen klar, dass das Böse aus den Menschen sel- Art, wie sie Aussagen treffen oder vielmehr An- ber kommt. Nur die Wirkung zählt bei Mann: das deutungen machen über das Menschliche – im konkrete Leiden, die konkrete Qual. Manns Helden großen, im existentiellen Stil. sind nicht Spielball göttlich lenkender Gewalten; sie stolpern nicht wie Ödipus in die Katastrophe, Tragik, oder: Happy Ends um deren Ausmaß erst zum Schluss zu erkennen, sondern gehen ihren Weg selbstgewählt, der Kon- Bernd Kiefer nennt Anthony Mann, in Abgren- sequenzen ihres Tuns jederzeit gewahr. Fritz Lang zung zum »Epiker« John Ford, den »Tragiker« hat 1948 der »moderne[n] Tragödie« vorgeworfen, des Western, »inspiriert von der Bibel und von »allzu oft nur negativ« zu sein und »den Triumph Shakespeare«.229 Unnötig hinzuzufügen, dass des Bösen und die Verschwendung menschlichen Mann am Biblischen nie die Religion interessier- Lebens aus nichtigen Gründen an nichtige Zwe- te, sondern der Reichtum der kleinen, erstaun- cke« zu zeigen.233 Entlang dieses Abgrunds wan- lichen Geschichten, die darin versammelt sind. deln Anthony Manns Helden, in der Tat. Dass sie Mit der Bibel und mit Shakespeare teilte Mann nicht abstürzen – straucheln zwar, doch zum die Auffassung, dass der Mensch auf Gedeih und Schluss nicht fallen, ist das große ›Aber‹ in den Verderb hindurchmüsse durch seelische und kör- Mann’schen Filmen: das Happy End. perliche Pein, auf dass er zu einer Erkenntnis ge- Im Werk Anthony Manns, dieses »Kino-Pes- lange, die schlimmstenfalls nichts weiter ist als simisten« (Rüdiger Suchsland),234 gehen nur vier die Einsicht, dass die Welt schlecht ist – und er mit Filme wirklich übel aus: the great flamarion

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Tieftragische Figur: Erich von Stroheim als the great flamarion (1944/45), kurz vor Entdeckung des Betrugs (Standfoto)

(der Kunstschütze stranguliert die Betrügerin in railroaded!, gerade noch um das Leben von und wird dabei von ihr erschossen), raw deal (die Sheila Ryan gebangt (und insgeheim den Tod des Geliebte kann der ambivalente Held zwar retten, Bösewichts beklagt), wie kann sie denn so schnell aber er selbst stirbt auf einem tristen Bürgersteig), in der elterlichen Küche sitzen und einen ande- devil’s doorway (wo Neid und Niedertracht trau- ren küssen? Wir haben doch, in the naked spur, rig triumphieren) und a dandy in aspic (den be- James Stewart gerade noch hemmungslos heulen trogenen Agenten holt sein Doppelleben ein, er gesehen, wie kann denn Janet Leighs Umarmung wird von einem vermeintlichen Kameraden aus ihn so unvermittelt trösten? Wir haben doch, in dem Weg geräumt). Alle anderen Filme enden vor- the fall of the roman empire, gerade erst er- geblich mit einem Happy End. Vorgeblich deshalb, lebt, wie die politische Macht verschachert wird, weil soviel Glückliches in den letzten Bildern oft- wie sollen wir denn die Flucht von Stephen Boyd mals gar nicht steckt. und Sophia Loren als glückliche Fügung deuten Dass die Happy Ends bei Mann oft bitter sind, statt als Desertion? Manche Enden wurden fak- liegt daran, dass sie das Publikum so häufig hef- tisch ohne Manns Zutun, teils gegen seinen aus- tig überrumpeln. Es bleibt fast immer der Ein- drücklichen Willen dem Film vom Produzenten druck zurück, kurz vor den Schlusscredits Ent- aufgezwungen (railroaded!, side street, beson- scheidendes verpasst zu haben: Wir haben doch, ders geärgert hat sich Mann über den Eingriff in

65 Der Mann the last frontier). Aber nicht nur die, sondern of closure on ideological grounds« gelte das Hap- auch Manns ›echte‹ Happy Ends wirken frap- py End als Ausdruck des Dumpfen, Konformen, pierend häufig aufgesetzt. Sie säen einen leisen Reaktionären. Zweifel, der langsam und stetig seine Kraft ent- MacDowell schreibt: faltet, wenn man aus dem Kino geht. Die Irrita- tion wirkt effektiver als jeder Schockeffekt, der »There has essentially only ever been one major heftig, aber rasch verpuffen würde: Wir müssen method of approaching the ›happy ending‹ that schließlich selber darauf kommen, dass das Lein- has made claims for its acceptability, and that is wandglück – womöglich – ganz substanzlos ist. to argue that a film is employing it ironically, or in Es gilt, was Douglas Sirk über seine Filmschlüs- a way that appears otherwise ›tacked-on‹ so as to se sagte: »[Y] ou don’t believe the happy end and seem self-conscious and unconvincing.«238 you’re not supposed to.«235 Das Happy End wird gemeinhin als mächtigste Im Happy End stets das Fehlerhafte, Brüchige, Irri- Konvention des Classical Hollywood betrachtet. Der tierende zu suchen, ist nach Mac­Dowell demnach britische Filmwissenschaftler James MacDowell ein kritischer Reflex mit dem Ziel, die Verweige- zieht das stark in Zweifel. »Does the Hollywood rung des vollständig geschlossenen Endes als »an Happy Ending Exist?«, hat er in einem gleichna- act of ideological resistance« zu interpretieren migen Aufsatz gefragt. Den Ausgangspunkt seiner und die künstlerische Integrität des Regisseurs Argumentation bildet die Beobachtung, dass der gewissermaßen wiederherzustellen. »Implausi­ angenommenen Vorherrschaft des Happy Ends ble« Happy Ends würden daher öfter als »spoiled« weder eine zufriedenstellende Definition dessel- denn als »openly complicated« bezeichnet, öfter als ben noch ein empirischer Nachweis gegenüber- »subverted« denn als »ambiguous«.239 stehe.236 Das Verdikt von Kritikern und Denkern Eindrücklicher Beleg für MacDowells Beob- von Kracauer bis Žižek, das Happy End sei stan- achtung ist David Bordwells Essay Happily Ever Af- dardised (Mulvey), predetermined (Maltby), predict- ter, Part Two aus dem Jahr 1982, in dem Bordwell able (Schatz), typical (Booker), necessary (Mayne), abrupten, unglaubwürdigen und damit ›akzep- in­evitable (Kracauer), required (Sharrett), mandatory tablen‹ Happy Ends vor allem bei Fritz Lang (the (Kapsis), expected (Rowe/Wells), usual (Žižek), for- woman in the window, ministry of fear [beide mulaic (Umphlett) oder clichéd (Orr),237 entbehre 1944]) und Alfred Hitchcock (suspicion [1941], the damit der Grundlage. Besondere Aufmerksamkeit wrong man [1956]) nachgeht. Bordwells zentrale widmet MacDowell dem tiefsitzenden Argwohn, These: »[T]he unmotivated ending calls attention den die an der Kritischen Theorie und dem Post- to the very convention that led us astray […]. Pro- strukturalismus geschulte Filmkritik dem Hap- perly exploited, the dissatisfaction we feel with py End gegenüber empfinde und der auch in den an arbitrary ending can force us to recognize the vorstehenden Zuschreibungen zum Ausdruck conventions that rule classical cinema.«240 kommt. Dieser Argwohn stehe im Zusammen- Was MacDowell stört am Dünkel gegenüber hang mit dem von Colin MacCabe und der Zeit- dem Happy End, ist das Erstaunen, mit dem die schrift Screen Mitte der 1970er Jahre vertretenen Kritik jedes komplexe Ende zum Sonderfall erhebt, Konzept des »classic realist text«, das für die Po- statt es als Regel hinzunehmen. Mit Nachdruck pulärkultur des 20. Jahrhunderts, insbesondere plädiert MacDowell dafür, dem Happy End jene den Hollywood-Film, charakteristisch sei und in Haltung entgegenzubringen, die man den filmi- welchem die Geschlossenheit einer Erzählung schen Genres seit Jahrzehnten selbstverständlich als gleichbedeutend mit der Geschlossenheit der gewährt: dass eine Konvention – anders als ein darin zum Ausdruck gebrachten Weltsicht ver- Klischee – gerade da funktioniert und wirksam standen werde. Auf Grundlage dieser »suspicion wird, wo sie abweicht vom (ohnehin nicht zu er-

66 Themen reichenden, ohnehin niemals erstrebten) Ideal, keit des Happy Ends. Möglichst »durchdacht« und wo sie variierend stetig Neues schafft. Mit Mac- »empfunden« habe es zu sein, nicht ein »durch Dowell gesprochen, ist das Happy End demnach irgendwelche Wunder bewirktes ›Ende gut, alles ebenso eine Chimäre, wie es der Western, das Mu- gut!‹«.244 Johannes Binotto schreibt dazu, das Hap- sical, das Melodram ist.241 py End im Classical Hollywood lasse sich verstehen Fritz Lang machte sich in dem 1948 erstmals »als Moment einer offenkundigen Lüge, in dem erschienenen Aufsatz Happily Ever After, auf den der Film aufrichtiger ist, als wenn er versuchen sich Bordwell schon im Titel seines eigenen Texts wollte, die Wahrheit restlos zu sagen«. Das Hap- bezieht, zur Überraschung vieler vehement stark py End schließe anders als der tragische Schluss dafür, die Berechtigung des Happy Ends, die »ge- nicht andere Auflösungen aus und behaupte auch radezu despotische Forderung nach dem Kitsch«, nicht, die einzige Wahrheit zu sein. Das Wissen vorbehaltlos anzuerkennen.242 Er schlug darin um das »sehr viel wahrscheinlichere, tragische zunächst vor, statt vom ›glücklichen‹ Ende (was Ende [ist] bereits inkludiert und durchzieht mit- mehr als eine Frage aufwerfe, zuallererst die, wer hin das Happy End wie ein Riss oder Sprung. In denn eigentlich glücklich sein solle: der Protago- eben diesem Riss aber ist das Happy End schließ- nist oder das Publikum?) vom ›positiven‹ Ende zu lich wahrhaftiger, als es ein tragisches Ende sein sprechen. Des weiteren argumentierte er histo- könnte«. Und »[w]ährend die Tragödie so tut, als risch: Er selbst habe zu jenen Künstlern gehört, sei die Realität bestimmt von ausweglosen Kau- die nach dem Ersten Weltkrieg »die Tragödie zu salbeziehungen, insistiert das Happy End auf der ihrem Fetisch« machten und »von der naiv-heiteren Kontingenz und Offenheit eben dieser Realität«.245 Problemlosigkeit des neunzehnten Jahrhunderts Die Frage nach der Aufrichtigkeit des Happy hinüber in das entgegengesetzte Extrem eines Ends ist dabei nicht losgelöst vom Genre-Kontext Pessimismus um seiner selbst willen« gewechselt zu entscheiden. Ein ›positives‹ Ende im Kriegs- seien. Was aber das Publikum, ausdrücklich nicht film oder im Western stellt sich anders dar als in nur das amerikanische, nach dem Ende des Zwei- der Romantic Comedy: Wenn im Widerstreit von ten Weltkriegs habe sehen wollen, sei das Happy Pflicht und Neigung die Pflicht triumphiert und End, verstanden als angedeutet wird, dass in greifbarer Zukunft wo- möglich auch die Neigung zu ihrem Recht kom- »die Geschichte des unbesiegbaren Helden, der spie- men kann, ist alles erreicht, was man sich erhoffen lend alle Probleme löst und alles erreicht, was sein durfte. Anthony Manns the man from laramie Herz begehrt. Es ist die Geschichte vom Kampf des endet genau so, mit James Stewart, der davon- Guten gegen das Böse, über dessen Ausgang kein reitet, nachdem er die zurückbleibende Frau hat Zweifel besteht. Der junge Mann bekommt sein wissen lassen, dass er ›vielleicht‹ zurückkehrt, Mädchen, der Schurke die gerechte Strafe, und alle irgendwann einmal. Träume werden wahr, wie unter einem Zauberstab. Andere Mann’sche Filme enden kitschiger, um Das Publikum zieht eine solche Geschichte dem tra- mit Lang zu sprechen. Etwa winchester ’73: James gischen Film vor, und ich finde, es hat recht damit.« Stewart als Lin McAdam sinkt dort am Ende in die Arme einer Frau, nachdem er zuvor seinen Bru- Wichtig dabei: Langs Forderung an die Filmema- der erschossen hat. David Bordwell hat in Happily cher, sich »die größere Reife zu eigen [zu] machen, Ever After, Part Two ausgerechnet diese Szene ange- die in dem Glauben zum Ausdruck kommt, daß führt als Beispiel für ein vollkommenes, geschlos- sich die Zukunft nicht von selbst erfüllt, sondern senes, sauber motiviertes Happy End: inhaltlich, errungen werden muß.«243 indem der Held sein Ziel erreicht; formal, indem Was Lang also in die Diskussion einbrachte, der Film abschließt mit einer Großaufnahme des war die Forderung nach der Verhältnismäßig- Winchester-Gewehrs, wie sie auch zu Beginn des

67 Der Mann

res Klischee und weiter nichts als ein Zugeständ- nis an die Erwartung des Publikums. Zwischen diesen gegensätzlichen Positionen ist eine dritte Lesart denkbar, die die Komplexi- tät dieses Filmschlusses anerkennt und als pa- radigmatisch gelten kann für Anthony Manns Handhabung des Happy-End-Problems insgesamt. Peter Falconer geht in seinem Aufsatz über das Mel­ancholy Couple in Winchester ’73 der Frage nach, in­wieweit das Zusammentun von McAdam und Lola nicht doch als Besiegelung einer bestmög- lichen Partnerschaft gewertet werden könne. Er argumentiert, dass es geteilte Melancholie sei, die McAdam und Lola verbinde: Melancholie ver- standen als eine »awareness of life’s menace and sufferings«, assoziiert mit Einsicht, Weisheit, He­ rausgehobenheit und Größe.249 McAdams Exzellenz in allen Western-Fertigkeiten steht von Beginn an außer Frage. Bemerkenswert aber, dass auch Lola zu den ›Wissenden‹ gehört: »I understand Happy? James Stewart und Shelley Winters in about the last one«, offenbart sie, als sie ange- winchester ’73 (Standfoto) sichts eines bevorstehenden Indianerangriffs die Patronen für ihren Revolver aus McAdams Hand Films zu sehen war: »The last shot […] precisely entgegennimmt. Der Mythos der letzten Kugel, echoes the first shot of the film and indicates the zurückbehalten für den Kopf der weißen Frau, return to a stable narrative situation.« Durch die um sie vor der Schändung durch die Indianer zu Umarmung mit Lola (Shelley Winters) werde zu- bewahren: eines der letzten, schrecklichen Ge- dem eine positive Zukunft in Aussicht gestellt: heimnisse der Frontier-Gemeinschaft. Dass Lola »[T]he characters’ futures are settled.«246 davon weiß, macht sie zur Eingeweihten und für Das sehen Douglas Pye und Brian Fairlamb den Westerner zur ebenbürtigen Partnerin. Im ganz anders. Pye argumentiert (auch mit Blick Ganzen betrachtet, lässt winchester ’73 die häus- auf the far country, wo die Stewart-Figur ganz liche Zukunft des Paares als wenig wahrscheinlich offensichtlich mit der falschen Frau zurückbleibt, erscheinen (symbolkräftig: die einzig ›gesunde‹ während die, die ihm nahe war, Momente zuvor Darstellung eines Zuhauses, die Hütte der Familie erschossen wurde): »In The Far Country and Winches- Jameson, ging zuvor in Flammen auf). Dennoch: ter ’73, James Stewart is left respectively with the In der Umarmung besiegeln Lola und McAdam characters played by Corinne Calvet and Shelley den Film »in the most positive way that the logic Winters. In neither case has a relationship devel­ of the movie will allow – as survivors.«250 oped that seems a likely base for the marriage that Als Überlebende: Aus dieser Haltung heraus, the end seems to indicate.«247 Fairlamb meint mit die der Katastrophe zögerliche Zuversicht hin- Blick auf Lola: »[T]here is little doubt throughout zumischt, erschließt sich wohl am besten das that McAdam’s treatment of her is inspired by the Wesen der Helden, die uns in den folgenden Ka- Western chivalric code and that the gun – with all piteln begegnen werden. Manns Œuvre, so Jean it represents – is the real object of desire«.248 Aus Wagner, habe mit Humor begonnen, um in Tra- dieser Sicht wäre das Ende von winchester ’73 pu- gik zu enden.251 »I believe in the nobility of the

68 AnmerkungenThemen human spirit«, schrieb Anthony Mann anlässlich 9 Weitere Regisseure, die zu einem ähnlichen Zeit- der Arbeit an the fall of the roman empire, mit- punkt wie Anthony Mann geboren wurden und/oder in die Filmindustrie einstiegen: (ge- hin ganz am Ende seiner Karriere: »I do not be- boren 1904); er arbeitete zunächst als Kameramann, lieve that everybody is bad, that the whole world begann seine Regiearbeit mit Kurzfilmen und reali- is wrong. The greatness of Shakespeare’s plays is sierte 1935 mit alice adams (mit Katharine Hepburn) the nobility of the human spirit, even though he und annie oakley (mit Barbara Stanwyck) seine ers- may destroy the character.«252 Möge man dieses ten Prestige-Produktionen (beide für RKO). Fred Zin- nemann (geboren 1907) emigrierte aus Österreich in Credo erinnern, wenn im Folgenden gelegentlich die USA; er drehte zunächst Kurzfilme, dann 1942 die Welt über Manns Helden zusammenbricht. zwei B-Films-noirs und stieg mit the seventh cross (1944, für MGM) rasch in die A-Riege auf; wie auch George Stevens drehte er nach 1960 kaum noch Filme. Anmerkungen Edward Dmytryk (geboren 1908) arbeitete schon im 1 Cahiers du cinéma 1955 [ohne Angabe eines Autors], Schulalter als Messenger Boy für Paramount, wurde S. 56 (Orig.: »C’est le plus vieux des jeunes metteurs Filmvorführer, dann Cutter und schließlich Regisseur. en scène, c’est le plus jeune des vieux metteurs en Ab den frühen 1940ern war er intensiv im B-Segment scène«). – Sofern nicht anders angegeben, stammen aktiv, wo er mehr Genres als Mann bearbeitete. Als die Übersetzungen von der Autorin. einer der Hollywood Ten wich er um 1950 nach Groß- 2 Die Geburtsjahre der genannten Regisseure: DeMille britannien aus, arbeitete anschließend aber bis in die 1881, Dwan 1885, Walsh 1887, Ford 1894, Hawks 1896, 1970er Jahre hinein wieder in Hollywood. Elia Kazan Hathaway 1898, Wyler 1902, Ray 1911, Fuller 1912, (geboren 1909) hatte seine Anfänge wie Mann am Siegel 1912, Wise 1914, Boetticher 1916, Aldrich 1918. Theater, erst als Schauspieler, dann als Regisseur in Vgl. auch Hans Helmut Prinzlers Systematik in dessen der ›Group‹ um Lee Strasberg; 1945 drehte er seinen Aufsatz zum New Hollywood (Prinzler 2004, S. 7). Er ersten Film (a tree grows in brooklyn, für Fox), 1976 legt die erste Generation der Hollywood-Regisseure als Abschluss einer mit rund 20 Titeln vergleichsweise auf Geburtsjahre vor 1890 fest, gibt die zweite Gene- kurzen Filmographie seinen letzten (the last tycoon, ration mit Geburtsjahren zwischen 1890 und 1905 an für Paramount). Budd Boetticher (1916 geboren) kam und rechnet Mann gemeinsam mit Ray, Fuller u.a. der als Horse Wrangler zum Film. Er arbeitete einige Jahre dritten Generation (geboren zwischen 1905 und 1920) lang als Assistant Director, legte sich schnell auf den zu. Es fällt auf, dass Mann, 1906 geboren, auch nach Western fest und wechselte ab 1950 zwischen Holly- dieser Systematik auf einer Generationenschwelle wood und dem Fernsehen hin und her. liegt. 10 Boxwell 2003 (ohne Seitenzählung). Vgl. auch Smith 3 Seidl 2006, S. 31. 1976, S. 9 sowie Viviani 2005, S. 86. 4 Vgl. Wagner 1968, S. 382 (Orig.: »C’était l’époque où 11 Vgl. Alvarez 2014, S. 139ff und S. 155, sowie die Filmo- l’on entrait dans l’industrie cinématographique plus graphie im Anhang dieses Buches. par hasard que par vocation«). 12 Wenders 2006, S. 57. 5 Vgl. Alvarez 2014, S. 15ff. 13 Vgl. Godard 1971, Rivette 1989b, Bazin 2004c, Bitsch/ 6 Vgl. ebd., S. 22f, Basinger 2007, S. xix sowie Darby 2009, Chabrol 2008. S. 7. 14 Vgl. Sarris 1996, S. 98f. 7 Zur Herkunft des Vaters aus dem damals in weiten 15 Farber 1998b (zuerst 1957), S. 14. Teilen deutschsprachigen Mähren bzw. Böhmen vgl. 16 Vgl. Comas 2004, S. 11 sowie Darby 2009, S. 254. den ›Biographischen Abriss‹ im Anhang dieses Buches. 17 Wenders 2006, S. 57. Vgl. auch die Email von Nina Mann an die Verfasserin 18 Wim Wenders, zitiert nach Kass 1978, S. 5. vom 05.03.2017: Offiziell legte Anthony Mann seinen 19 Wagner 1968, S. 379 (Orig.: »Un jour que j’interviewais Geburtsnamen nie ab, wie die Tochter mit Verweis Billy Wilder, je glissai timidement dans la conversation auf den Erbschein ihres Vaters sowie auf ihre eigene le nom d’Anthony Mann. Je n’eus pour toute réponse Geburtsurkunde (Nina Jere Bundsmann) schreibt. Das qu’un superbe éclat de rire«). ›Bunds-‹ ließ er, selbst jüdisch, mutmaßlich fallen, um 20 Sarris 1996, S. 25. die Referenz zur deutschen Sprache und zum ›Bündi- 21 John Ford, zitiert nach Studlar/Bernstein 2001, S. 1. schen‹ des Nationalsozialismus (in den USA war 1936 22 Reuters-Meldung, abgedruckt in der New York Times der ›German American Bund‹ gegründet worden) zu vom 30.04.1967, S. 86. eliminieren. Vgl. auch Alvarez 2014, S. 9f. 23 Rafferty 2004, S. AR14. 8 Bronfen/Grob 2013, S. 12; S. 62ff. 24 Sarris 1996, S. 30.

69 Der Mann

25 Ritzer 2009, S. 22. 54 Sarris 1996, S. 275. 26 Vgl. ebd., S. 20. 55 Basinger 2007, S. 3. 27 Sarris 1996, S. 37. 56 Missiaen 1967, S. 46. 28 Truffaut 1999b, S. 17. 57 Alvarez 2014, S. 25. 29 Grob 2002, S. 49. 58 Vgl. ebd., S. 26. 30 Balázs 2001, S. 30. 59 Die Laufzeit des 16mm-Films ist auf der Webseite des 31 Grob 1998, S. 131. Paley Center mit 5:48 Minuten angegeben; Alvarez 32 Sarris 1996, S. 31. spricht von elf Minuten. Ausschnitte können online 33 Ritzer 2009, S. 19. angeschaut werden: http://www.paleycenter.org/si- 34 Farber 1998b (zuerst 1957), S. 17. mon-the-dead-sea-scroll-of-tv-history/ [10.11.2016]. 35 Bazin 1985 (zuerst 1957), S. 257f. 60 Koszarski 2008, S. 454. 36 So der Titel von Thomas Schatz’ einflussreicher Studie 61 Anthony Mann, zitiert nach Fenwick 1965, S. 186. (Schatz 1988). Die Phrase selbst wurde von André Bazin 62 Anthony Mann, zitiert nach Missiaen 1967, S. 50. 1957 geprägt (vgl. Bazin 1985 [zuerst 1957], S. 258). 63 Mann 2009 (zuerst 1964), S. 134. 37 Dominik Graf, zitiert nach Graf/Petzold/Hochhäusler 64 Philip Yordan, zitiert nach McGilligan 1991c, S. 357. 2007, S. 41. Tatsächlich wurde men in war von Ben Maddow ge- 38 Turan 2004, S. 352; Rafferty 2004, S. AR14; Fenwick schrieben und von Philip Yordan, der als front agierte, 1965, S. 189. nur überarbeitet. 39 Wagner 1968, S. 380f (Orig.: »Aucun mystère apparent 65 Treatment Follow Me Quietly von Francis Rosenwald und et aucun volonté d’amorcer une révolution«). Anthony Mann, 1947. UCLA, Performing Arts Special 40 Die in den zugänglichen Produktionsunterlagen auf- Collections, RKO Studio Records, Production files, findbaren Wohnadressen lauten auf Ventura Canyon B644, Box 1341S, S. 13f. (im Jahr 1947) sowie Hollyline Avenue (im Jahr 1954) 66 Anthony Mann, zitiert nach Bitsch/Chabrol 2008, S. 24. in Sherman Oaks (vgl. USC, Cinematic Arts Library, 67 Anthony Mann, zitiert nach Missiaen 1967, S. 46. Edward Small Collection, raw deal, Box 9, sowie Aca- 68 Prümm 2000, S. 15; Bordwell 1995, S. 171f; Elsaesser demy of Motion Picture Arts and Sciences, Margaret 1991, S. 75. Herrick Library, Paramount Pictures production re- 69 Rohmer 2000b, S. 84. cords, strategic air command, 196a-f-9). 70 Bordwell/Staiger/Thompson 1985, S. 3. 41 Zitiert nach meinem Interview mit Nina Mann vom 71 Vgl. Ritzer 2009, S. 36. 22.03.2016. 72 Bazin 2004b, S. 94. 42 Wenders 2006, S. 57. 73 Vgl. McCarthy 1995, S. x sowie Tomicek 1997, S. 130. 43 Vgl. Wicking/Pattison 1969, S. 35. 74 John Alton, zitiert nach McCarthy 1995, S. ix. 44 Anthony Mann, zitiert nach Bitsch/Chabrol 2008, S. 75 Tomicek 1997, S. 130f. 19. 76 Ebd., S, 132. John Alton gilt nicht nur als einer der 45 Althen 2001, S. 45. visuell wagemutigsten Kameramänner der 1940er 46 Prümm 2000, S. 17. und 50er Jahre, sondern auch als einer der effizien- 47 Vgl. Barahona 1997, Comas 2004, Morsiani 1986, Pol- testen: Für Manns Regieassistent Reggie Callow war lone 2007. Alton »without a doubt the fastest cameraman I ever 48 Vgl. beispielhaft die umfangreiche Anthologie des worked with« (zitiert nach Behlmer 2010, S. 68). Historikers Martin Winkler, die ausschließlich die- 77 Gunning 2009, S. 327. sem Film gewidmet ist (Winkler 2009a). 78 Basinger 2007, S. 29. 49 Arnheim 2004c (zuerst 1933), S. 136f. 79 Wenders 2006, S. 57. 50 Prümm 2000, S. 18f. 80 Gedreht hatte Mann thunder bay von September bis 51 Bordwell 1985b, S. 19. November 1952 im Normalformat, und es war zu die- 52 Rohmer 2000e, S. 149. sem Zeitpunkt nicht vorherzusehen, dass das Studio 53 Anthony Mann in einem nur mit Press Release über- den Film im Nachhinein um zwölf Prozent seiner Höhe schriebenen, womöglich unveröffentlichten Text vom beschneiden würde. »We filmed the picture over six 21.04.1953, der sich in den Public-Relations-Unterlagen months ago in the actual Louisiana locale without zur Universal-Produktion thunder bay (1953) findet. a thought towards super-sized, panoramic screens. Mann äußerte sich in dem Text (sofern er ihn tatsäch- Such things were in an embryonic stage in the studio lich selbst geschrieben hat) zu einigen grundlegenden technical departments at that time, and there was no Prinzipien seines filmkünstlerischen Ansatzes. USC, mention of them even in the trade papers«, wird Mann Cinematic Arts Library, Universal files, Box 444, folder in einem Pressetext von Universal aus dem April 1953 13188. zitiert (Press Release, 21.04.1953, USC, Cinematic Arts

70 AnmerkungenThemen

Library, Universal files,thunder bay, Box 444, folder 97 Anthony Mann, zitiert nach Wicking/Pattison 1969, 13188, S. 1f). thunder bay im Vorführformat von 1,85:1 S. 49; vgl. auch ebd., S. 38. war Universals erster Breitwandfilm. Erreicht wurde 98 Wagner 1968, S. 381 (Orig.: »un tyran qui ne pardon- das breitere Format allerdings anders als beim ana- nait rien et n’hésitait pas à épuiser ses interprètes«). morphotischen Cinemascope nicht durch ein ausge- 99 Henry (Harry) Morgan, zitiert nach Dewey 1996, S. 349. klügeltes technisches Verfahren, sondern durch die 100 Vgl. USC, Cinematic Arts Library, Dan Duryea Collec- Kaschierung des Bildkaders am oberen und unteren tion, Coll. 69, Box 2, Vol. 4, sowie Box 3, Vol. 2 (Scrap- Rand, und zwar erst in der Projektion, nicht schon in books mit Zeitungsausschnitten und Fotos). der Aufnahme. Vgl. Furmanek (ohne Datierung, ohne 101 Alexander Golitzen, zitiert nach Academy of Motion Seitenzählung), Belton 2012 und Koshofer 1993. Picture Arts and Sciences, Oral History Program, In- 81 Grob 2003a, S. 185. terview mit Barbara Hall, 1992, S. 109 und S. 127. 82 Godard 1971, S. 119. 102 Mann 2009 (zuerst 1964), S. 134. 83 Anthony Mann, zitiert nach Fenwick 1965, S. 188. 103 Brief von Victor Mature an Hedda Hopper (undatiert, 84 Bellour 1993, S. 278 (Orig.: »Observatrice et suivante ca. 1955); Academy of Motion Picture Arts and Scien- fidèle, elle […] assure par la reconnaissance précise ces, Margaret Herrick Library, Hedda Hopper papers, de chaque acte et linéarité logique du récit; mais rê- 71.f-2256. veuse soudain, prenant, au sens propre, du champ, 104 Kitses 2004, S. 141. caressante, s’attardant un peu trop, elle s’élève ou se 105 Basinger 2007, S. 70; S. 20. rapproche, se fige, se prend d’une vie propre, et ce 106 Vgl. Bazin 2004c, S. 264; Wood 1998, S. 31. sont les si beaux mouvements, presque toujours en 107 Kitses 2004, S. 163. extérieurs, […] qui paraît presque d’un autre temps. 108 Bazin 1956, S. 35 (Orig.: »Comme Cézanne qui le voulait […] Du dramatique pur, on glisse au lyrique«). peindre, Anthony Mann veut nous faire sentir l’espace 85 Kitses 2004, S. 163. aérien non comme un contenant géométrique, un vide 86 Vgl. Nina Mann, Interview auf DVD the furies (Cri- de l’horizon à l’horizon, mais comme la qualité con- terion Collection). crète de l’espace. Quant sa caméra panoramique, elle 87 Farber 1998b (zuerst 1957), S. 13; S. 16. respire«); Sarris 1996, S. 98. 88 Tomicek 1997, S. 131f. 109 Boxwell 2003 (ohne Seitenzählung). 89 Vgl. Garsault 2005, S. 96. 110 Amiel 2005, S. 97f (Orig.: »Présence froide […] dont 90 Kitses 2004, S. 167f. l’espace n’est précisément jamais ce cadre envelop- 91 Bellour 1993, S. 278f (Orig.: »l’acteur principal, sur qui pant que d’autres cinéastes ont dessiné autour de l’œuvre repose en sa totalité. L’illusion, déjà si forte en leurs personnages«); vgl. auch Le Fur 1989, S. 54. tout film américain, atteint ici son point extrême […]: 111 Anthony Mann, zitiert nach Fenwick 1965, S. 187. le héros est l’équation du récit et de la mise en scène. 112 Wood 1998, S. 30. Vgl. auch Wood 2008, S. 8: »You know Ainsi son physique, son jeu, son style d’être, impor- at once that his heroes and his villains will, sooner or tent-ils avant toute autre chose«). later, have to struggle up [the mountains], that there 92 Katherine Brown, Invasion of the South, Memo an Da- will be pain, death, and desperation«. vid O. Selznick, 17. November 1936. Die Scouting-Tour 113 Farber schreibt Manns Zugriff auf Räume eine »topo- begann am 23. November 1936; Bundsmann war von graphical grimness« zu, die er zugleich als zentrales Anfang an dabei. Vgl. Chronology of Casting, Verfas- Merkmal des ›Underground‹-Kinos bezeichnet. Er ser unbekannt, undatiert. David O. Selznick Collec- spricht von den »road-mapped strategies that play tion, Harry Ransom Center, University of Texas, Aus- movement against space« und hält fest: »In every un- tin (online unter: www.hrc.utexas.edu/exhibitions/ derground film, these vigorous ramifications within a web/gonewiththewind). Vgl. auch Alvarez 2014, S. 22f, sharply seen terrain are the big attraction, the main Basinger 2007, S. xix sowie Darby 2009, S. 7. tent.« Farber 1998b (zuerst 1957), S. 21f. 93 Anton Bundsmann [= Anthony Mann], Today’s activities 114 Fenwick 1965, S. 188. on »Gone With The Wind«, Memo an David O. Selznick, 115 Althen 2003, S. 189. 16. November 1937. David O. Selznick Collection [on- 116 Fenwick 1965, S. 188f. line]. 117 Wood 1998, S. 30. Vgl. auch Franz Everschor, der Manns 94 Moullet 1993, S. 111 (Orig.: »l’homme de mains«). Landschaftseinsatz mit jenem anderer (Western-) Re- 95 Rohmer 1955, S. 12 (Orig.: »cette sobrieté élégante, de gisseure vergleicht: » macht funktiona- conférer au geste humain une grandeur exempte de len Gebrauch von ihr [der Landschaft]. […] Budd Boet­ boursouflure«). ticher hat sie fast ununterbrochen im Bild, nimmt ihr 96 Anthony Mann, zitiert nach BBC-Interview von 1967 aber alles Pittoreske. Anthony Mann hat mit Boet­ticher (DVD the furies [Criterion Collection]). die Entzauberung gemein und mit Daves die ständige

71 Der Mann

Wechselbeziehung zwischen Landschaft und Film- cité, mais toujours possédé d’une angoisse nerveuse handlung.« Everschor 1996, S. 6. que cachent mal ses grands bras alanguis et sa tête 118 Basinger 2007, S. 69. inclinée. Le regard cherche constamment. Violent est 119 Anthony Mann, zitiert nach Wicking/Pattison 1969, S. 43. le moment de la péripétie, mais sa couleur, sa possibi- 120 Anthony Mann, zitiert nach Missiaen 1967, S. 49. lité passent dans chaque plan. Pris par l’événement, le 121 Wenders 2006, S. 57. Vgl. dazu auch Nicolas Saada, der héros de Mann n’en est délié qu’à la dernière image«). davon schreibt, dass der Zuschauer mit Mann gewis- 133 Wenders 2006, S. 57. sermaßen »den Westen zum allerersten Mal« entde- 134 Vgl. Godard 1971, S. 120. cke (Saada 1987, S. V; Orig.: »Il reste que ses westerns 135 Vgl. Audiokommentar von Bill Bronston und Mel Mar- donnent au spectateur l’impression de découvrir tin auf der Blu-ray der untergang des römischen l’Ouest pour la première fois«). reiches, Koch Media, 2010. 122 Vgl. Welles 1961, S. X5. 136 Rohmer 2000c, S. 97. 123 Vgl. Amiel 2005, S. 99. 137 Wenders 2006, S. 57. 124 Wenders 1986b, S. 19. Vgl. auch Frieda Grafe: »Manns 138 Rohmer 1956, S. 39 (Orig.: »une beauté quasi mathé- Western sind wie sein Hauptdarsteller [James Stew­ matique qui se suffit à alle seule. […] C’est chez lui un art]: langsam, fast phlegmatisch, man hat viel Zeit perpétuel jeu de lignes, des constructions hardies sich umzuschauen und auch viel Platz« (Frieda Grafe amenant la solution la plus concise et donc la plus in der Süddeutschen Zeitung, zitiert nach Hembus 1995, élégante«). S. 408f). 139 Anthony Mann, zitiert nach Fenwick 1965, S. 186, und 125 Anthony Mann, Press Release, 21.04.1953. USC, Cinemat­ Missiaen 1967, S. 50. Vgl. auch Rancière 2006, S. 78 (mit ic Arts Library, Universal files, Box 444, folder 13188. Bezug auf James Stewart in the naked spur). 126 Grob 2008a, S. 24. 140 Wenders 1986b, S. 19. 127 Schrader 1972, S. 11. 141 Vgl. Missiaen 1967, S. 50. 128 Vgl. Bazin 1955, S. 56. 142 Rohmer 2000f, S. 198. Eric Rohmer bezieht sich dabei 129 Wagner 1968, S. 397 (Orig.: »poésie de la souffrance, auf John Hustons Adaption des Herman-Melville-Ro- poésie de la violence et aussi paradoxalement poésie mans Moby-Dick. de la contemplation«). Vgl. auch André Bazin, der die 143 Anthony Mann, zitiert nach BBC-Interview von 1967 Kontemplation als das »ultimative Ziel« der Filme An- (DVD the furies [Criterion Collection]). thony Manns bezeichnet (Orig.: »Contempler est en 144 Bronfen/Grob 2013, S. 23. effet pour Anthony Mann le but ultime de la mise en 145 Ebd. scène. Non qu’il n’ait de goût pour l’action et sa vio- 146 Rohmer 1955, S. 12 (Orig.: »Ses cinéastes [du cinéma lence, sa cruauté même. Il sait au contraire la faire américain] comptent plus sur la force de ce qu’ils mon- éclater avec une soudaineté éblouissante, mais nous trent que sur l’angle selon lequel ils choisissent de nous sentons bien qu’elle déchire la paix et qu’elle aspire à le montrer«; »Cette science de l’efficace, cette pureté y retourner«). Bazin 1956, S. 35. de lignes, cette économie de moyens, propriétés tou- 130 Wenders 1986c, S. 35. tes classiques, que diable, ne furent-elles pas à nous 131 Ebd., S. 35f. Vgl. auch Franz Everschor, der in Manns Français, tout au long de l’histoire notre apanage!«). Western den »Erzählrhythmus bedächtig« und die 147 Elsaesser 1991, S. 78. »Austragung der Konflikte […] unaufwendig« nennt. 148 Rauscher 2013, S. 354. Everschor 1996, S. 4. 149 Coursodon/Tavernier 1970, S. 247 (zitiert nach der 132 Bellour 1993, S. 278 (Orig.: »Il ignore cette alternance deutschen Übersetzung in Amy de la Bretèque 2006, un peu magique des temps forts et des temps faibles S. 286); Wenders 2006, S. 57; Roger 1993, S. 100 (Orig.: qui fait le charme et le génie de Hawks, la suave dé- »une œuvre sans graisse. Anthony Mann ne montre contraction de Ford, l’égalité brutale et un peu déta- que le muscle du film«); Bordwell 1995, S. 162. chée de Walsh. Incessamment il fait de son héros le 150 Viviani 2005, S. 88 (Orig.: »Son style sans coquetterie, lieu d’un problème constant; il n’y a pas chez Mann soucieux de saisir une vérité sans la transformer en de vrai repos; vive ou cachée sourdement, l’action, spectacle«) und S. 86 (Orig.: »Un désintérêt pour le autant dire l’aventure d’un homme, s’établit plan par prêche au profit du descriptif. Un refus pour l’épan- plan, par un regard, un geste, une attente, un arrêt chement verbal au profit du geste. Une défiance à même, qui n’instaure jamais la liberté du temps, mais l’égard du pittoresque au profit de l’utilitaire. Chez bien au contraire une inquiétude de l’action prise à ses lui, la beauté s’impose comme de surcroît. Un style propres pièges. Regardez Stewart, veillant toujours, sec, tranchant, qui ne cesse de rechercher les ma- et qui ne connaît pas un seul instant d’apaisement. nières de situer l’homme dans son environnement, Calme, sans doute, au nom de la réserve, de l’effica- tant géographique qu’humain«).

72 AnmerkungenThemen

151 Farber 1998b, S. 13 und S. 16. 172 Smith 1976, S. 9; Viviani 2005, S. 86f (Orig.: »une géo- 152 Manny Farber, zitiert nach Thompson 1998, S. 377. graphie de l’âme«; »un no man’s land psychologique«); 153 Fenwick 1965, S. 188. Lueken 2006, S. 45; Wagner 1968, S. 420 (Orig.: »James 154 Bazin macht in seinem Text zur Entwicklung der Film- Stewart était un infini dans un infini«). Vgl. auch sprache bereits »alle Merkmale der Reife einer ›klas- Gérard Legrand, der von »Seelenbildern« spricht sischen‹ Kunst« an zwei Filmen aus dem Jahr 1939 (Orig.: »images de l’âme«; Legrand 1993, S. 99). fest: stagecoach von John Ford und le jour se lève 173 Tomicek 1997, S. 131f. von Marcel Carné bewiesen, »daß hier eine Kunst ihr 174 Rafferty 2004, S. AR14; Rohdie 2012, S. 107. vollkommenes Gleichgewicht, ihre ideale Ausdrucks- 175 Vgl. Plessner 1979 sowie Arendt 1999. form gefunden« habe. Bazin 2004b, S. 97. 176 Vgl. Rohmer 1955, S. 11 (Orig.: »Il y a du juste, je le 155 Rohmer 2000b, S. 83. reconnais, dans tout cela: la popularité d’Hollywood 156 Rohmer 2000c, S. 89; S. 91; S. 87. doit plus au diable qu’à Dieu«). 157 Ebd., S. 100. 177 Ebd., S. 12 (Orig.: »ce caractère d’universalité, nous le 158 Bazin 2004d, S. 273f; S. 281. An anderer Stelle schreibt retrouvons dans les thèmes que le cinéma américain se Bazin – anlässlich des Mann-Western the man from plaît à développer. Bien sûr, dira-t-on, ce ne sont en gé- laramie – über den Zusammenhang von Poesie und néral que lieux communs. Mais mieux me plaisent des Wahrhaftigkeit im Film: Entscheidend für die mise- idées vieilles comme le monde, et qui ont leur blason, en-scène sei nicht, dass sie »laut« (»fort«), sondern que l’écho affadi de cette littérature de début de siècle dass sie »wahr« (»juste«) auftrete. Bazin 1956, S. 34. où l’Europe puise le plus souvent son inspiration«). 159 Rohmer 2000b, S. 80. 178 Montiel 2001, S. 215 (Orig.: »Tenían razón todos los 160 Basinger 2007, S. 14. que decían que él era buenísimo contando historias 161 Vgl. Montiel 2001, S. 187: »una persona tan inteligente ›de hombres‹ […], pero que no sabía nada […] de cómo como Anthony Mann, que era muy culto, le gustaba la utilizar a las mujeres en sus películas«). música clásica, la ópera; que tocaba la violín de ma- 179 Farber 1998b, S. 18f. Mit den ›drei Dekaden‹ meint Far- ravilla y tenía a Renata Tebaldi constantemente en el ber die 1930er, 40er und 50er Jahre, also die Ära des tocadiscos. Un hombre muy preparado, muy buen di- Tonfilms (Farbers Text ist 1957 erstmals erschienen). rector y muy buena persona. […] Un hombre mayor.« 180 Philip Yordan, zitiert nach Hembus 1995, S. 409. Man muss dazu sagen, dass Montiels Autobiographie 181 Coursodon/Tavernier 1970, S. 247 (Orig.: »Ils vivent com- aufgrund ihres kolportagehaften, sensationalistischen me des hommes […] qui n’existaient que par l’action«). und wenig faktentreuen Charakters eine in höchstem 182 Willemen 1998 (zuerst 1981), S. 211. Maße unzuverlässige Quelle ist. 183 Vgl. Neale 1992 (zuerst 1983), S. 283. 162 Richard Goldstone, zitiert nach Academy of Motion 184 Seidl 2006, S. 31. Picture Arts and Sciences, Oral History Program, In- 185 Bazin 1956, S. 35 (Orig.: »Anthony Mann regarde ses terview mit Douglas Bell, 1995, S. 819: »[H]e was an héros lutter et souffrir avec tendresse et sympathie, extremely articulate, genuine intellectual.« il trouve que leur violence est belle parce qu’elle est 163 Vgl. Thomson 1977, S. 29: »Today, Mann looks a rather humaine«). academic director, a little too composed to be urgent«. 186 Anthony Mann, zitiert nach BBC-Interview von 1967 164 Borden Chase, zitiert nach Kitses 1972, S. 158f. (DVD the furies [Criterion Collection]). 165 Anthony Mann, zitiert nach Wicking/Pattison 1969, 187 Rancière 2006, S. 79f; Basinger 2007, S. 35; Darby 2009, S. 35. S. 264; Wood 1998, S. 31. 166 Basinger 2007, S. 14. 188 Anthony Mann, zitiert nach Scheuer 1953, S. 3. 167 Christian Petzold, zitiert nach Lueken/Kilb/Körte 189 Fritz Lang, zitiert nach Bogdanovich 1967, S. 87f. 2012, S. 33. 190 Vgl. Boxwell 2003 (ohne Seitenzählung). 168 Wenders 2006, S. 57. 191 Rivette 1989b, S. 100f. 169 Farber 1998b, S. 19. 192 Dickos 2002, S. 122. 170 Vgl. Marzano 2013, S. 51f. Vgl. zu diesem Komplex aus- 193 »Regeneration Through Violence« meint die vorüber- führlich Bayer 2015. gehende Regression in einen vorzivilisatorischen Zu- 171 Bordwell 2001, S. 103; Thomson 1977, S. 28f; Wagner stand, den die frühe Pioniergesellschaft in Kauf habe 1968, S. 418. Bei Bazin heißt es (hinsichtlich der Prä- nehmen müssen, um sich dann durch den notwendi- sentation von Landschaft in Manns Western): »Dans gen Einsatz von Gewalt zu neuer Größe zu erheben. la plupart des westerns et même des meilleurs […], Detailliert und überzeugend beschreibt der Histori- le paysage est un cadre expressionniste où viennent ker Richard Slotkin dieses Prinzip als identitäts- und s’inscrire les trajectoires humaines. Chez Anthony formgebend für die US-amerikanische Nation. Vgl. Mann c’est un milieu.« Bazin 1956, S. 35. Slotkin 1993, S. 10ff.

73 Der Mann

194 Hembus 1995, S. 237 (über Henry Hathaways garden talgie de l’Amérique, bien qu’il pût passer pour une of evil [1954]). sorte d’Américain typique«). 195 Pye 1996, S. 170. 222 Schrader 1972, S. 13; S. 8. 196 Kiefer 2002a, S. 456. 223 Vgl. das Kapitel zu ›Geschichte: Europa‹ in diesem 197 Rivette 1989b, S. 99ff. Buch sowie Basinger 2007, S. 146. 198 Midding 2006b, S. 23. 224 Vgl. Alvarez 2014, S. 47; S. 75. Der einzige Film mit ei- 199 Schrader 1972, S. 11. ner ausgesprochen patriotischen Botschaft in Manns 200 Kitses 1969, S. 29. Werk ist der von James Stewart initiierte Aviation-Film 201 Darby 2009, S. 92. strategic air command aus dem Jahr 1955, wobei hier 202 Anthony Mann, zitiert nach BBC-Interview von 1967 schon wieder auffällig ist, mit welcher Nüchternheit (DVD the furies [Criterion Collection]). sich Mann der Botschaft annimmt. 203 Mann 2009 (zuerst 1964), S. 135. 225 Vgl. ebd., S. 22; S. 24. 204 Suchsland 2004, S. 16. 226 Norma Barzman, zitiert nach Alvarez 2014, S. 21. 205 Bellour 1993, S. 277. 227 Zitiert nach meinem Interview mit Nina Mann vom 206 James Stewart als Lin McAdam in winchester ’73. 22.03.2016. 207 Seeßlen 1979, S. 152. 228 Wim Wenders, zitiert nach Kass 1978, S. 5. 208 Anthony Mann, zitiert nach BBC-Interview von 1967 229 Kiefer 2002a, S. 454. (DVD the furies [Criterion Collection]). 230 Viviani 2005, S. 87 (Orig.: »Ce sentiment de fin d’un 209 Böhringer 1998, S. 73. monde«). 210 Bronfen 1999, S. 331f (Elisabeth Bronfen bezieht sich 231 Arnheim 2004b (zuerst 1932), S. 116. hier auf John Wayne / Ethan Edwards in John Fords 232 Rivette 1989b, S. 102. the searchers [1956] als Paradigma des heimatlosen, 233 Lang 1949 (zuerst 1948), S. 100. für das Konzept von Heimat verlorenen Westernhel- 234 Suchsland 2004, S. 16. den). 235 Douglas Sirk, zitiert nach MacDowell 2010, S. 19. 211 Corliss 2006b, ohne Seitenzählung. 236 Vgl. MacDowell 2010 sowie die später erschienene Mo- 212 Kiefer 2002b, S. 668. nographie, MacDowell 2013. Den oft ins Feld geführten 213 Hunt 1993, S. 66. Verweis auf David Bordwell lässt MacDowell dabei nicht 214 Le Fur 1989, S. 54 (Orig.: »Mann a en effet l’honnêteté gelten, sondern führt Bordwells Mini-Statistik selbst de ne jamais banaliser ni la violence ni la mort […]. Le als Beispiel an für die fehlende Präzision im Umgang héros mannien, en acceptant d’assumer cette charge, mit dem Happy End. Bei Bordwell heißt es recht vage: est fondamentalement un héros coupable«); Lueken »[O]f one hundred randomly sampled Hollywood films, 2006, S. 45; Everschor 1996, S. 4; Wagner 1968, S. 408. over sixty ended with a display of the united romantic 215 Kitses 2004, S. 168. Jim Kitses hat auch das Kapitel couple – the cliché happy ending, often with a ›clinch‹ über Anthony Mann in Horizons West mit »The Over- – and many more could be said to end happily« (Bord- reacher« überschrieben (vgl. ebd., S. 139). Vgl. hierzu well 1985a, S. 159). Vgl. MacDowell 2013, S. 2. auch Enno Patalas, der über den Westernhelden und 237 Zitiert nach MacDowell 2013, S. 1f. sein Ringen um das richtige Tun (auch, aber nicht nur 238 Vgl. ebd., S. 4ff.; S. 18. bei Mann) schreibt: »seine moralische Überlegenheit 239 MacDowell 2010, S. 20ff. ist nicht naturgegeben, sondern erworben« (Patalas 240 Bordwell 1982, S. 6. 1965, S. 16). 241 Vgl. MacDowell 2013, S. 8f. 216 Kitses 2004, S. 142. 242 Lang 1949, S. 98. 217 Horton 1990, S. 41. 243 Ebd., S. 99ff. 218 Rancière 2006, S. 74. 244 Ebd., S. 100. 219 Sogar die Zensurbehörde war unentschlossen. Auf 245 Binotto 2015, S. 117ff. dem Formular zur »Analysis of Film Content« für the 246 Bordwell 1982, S. 4. naked spur ist angekreuzt: »Happy« – mit dem zu- 247 Pye 1996, S. 172. sätzlichen Kommentar: »more or less« (Academy of 248 Fairlamb 1998, S. 22. Motion Picture Arts and Sciences, Margaret Herrick 249 Klibansky/Panofsky/Saxl 1964, S. 245; zitiert nach Fal- Library, PCA files). Joe Hembus hat diesen Filmschluss coner 2013, S. 128. Vgl. ebd. die »herzzerreißendste[…] Szene der ganzen Western- 250 Falconer 2013, S. 137. geschichte« genannt (Hembus 1995, S. 25). 251 Vgl. Wagner 1968, S. 395 (Orig.: »le ton de l’œuvre qui 220 Hembus 1995, S. 25. s’ouvre dans l’humour pour se terminer dans le tra- 221 Wagner 1968, S. 381f (Orig.: »Je suis même à peu près gique«). certain […] qu’il n’a jamais éprouvé la moindre nos- 252 Mann 2009 (zuerst 1964), S. 135.

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