Chopin ETUDES Amir Katz
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Frédéric Chopin ETUDES Amir Katz FRÉDÉRIC CHOPIN (1810–1849) 12 Études op. 10 1 No. 1 C-Dur. Allegro 1’53 2 No. 2 a-Moll. Allegro 1’25 3 No. 3 E-Dur. Lento ma non troppo 4’08 4 No. 4 cis-Moll. Presto, con fuoco 1’55 5 No. 5 Ges-Dur. Vivace 1’42 6 No. 6 es-Moll. Andante 4’01 7 No. 7 C-Dur. Vivace 1’33 8 No. 8 F-Dur. Allegro 2’15 9 No. 9 f-Moll. Allegro molto agitato 2’02 10 No. 10 As-Dur. Vivace assai 2’11 11 No. 11 Es-Dur. Allegretto 3’16 12 No. 12 c-Moll. Allegro con fuoco 3’02 12 Études op. 25 13 No. 1 As-Dur. Allegro sostenuto 2’39 14 No. 2 f-Moll. Presto 1’34 15 No. 3 F-Dur. Allegro 1’51 16 No. 4 a-Moll. Agitato 1’38 17 No. 5 e-Moll. Vivace – Più lento – Tempo primo 3’28 18 No. 6 gis-Moll. Allegro 2’15 19 No. 7 cis-Moll. Lento 5’17 20 No. 8 Des-Dur. Vivace 1’13 21 No. 9 Ges-Dur. Allegro assai 1’07 22 No.10 h-Moll. Allegro con fuoco 3’27 23 No.11 a-Moll. Lento – Allegro con brio 3’49 24 No.12 c-Moll. Allegro molto con fuoco 2’59 AMIR KATZ Die überwältigende Wirkung, die die ners Wagner), bestehend anfäng- Chopin-Etüden bei der ersten Be- lich aus den ersten Obertönen eines gegnung auf den Hörer insgesamt Grundtones – ein würdiges, fanfaren- ausüben, hat sehr viel mit der spek- haftes Präludium, gewagt, neuartig, takulären Wirkung des unmittelbaren vieles zugleich. Anfangs der eröffnenden ersten Etü- de zu tun. Wohl nie zuvor und sehr Überwältigend waren und sind im- selten seitdem hat ein Klavierstück mer noch auch die Schwierigkeiten so großartig-erhaben und zugleich auf Seiten der Pianisten – kein Gerin- auch für die Wahrnehmung trotz al- gerer als Géza Anda sprach davon, ler Klarheit und Einfachheit der Fak- dass man, um sie richtig spielen zu tur uneinholbar virtuos angehoben können, für die Etüde C-Dur op. 10/1 – um für den überwältigten Hörer in eigentlich 25 Jahre lang Pianist sein sich stabilisierender Wahrnehmung müsse – und hat selber zwar nur die und einer Art zweiten Überraschung zweiten zwölf Etüden op. 25 im Studio auf höherer Ebene genau so fort- aufgenommen, aber dafür ehrenvol- zusetzen! Eine erwartete Pause tritt lerweise einen Konzertmitschnitt al- nicht ein, dafür wird eine nicht ab- ler 24 Etüden hinterlassen. Bis vor et- reißende, gefühlte Ewigkeit von etwa wa einer Generation machten die zwei Minuten lang ein erhabenes meisten großen Pianisten einen Bo- Gebilde aus weiten harmonischen gen um die 24 Etüden und spiel- Bögen entfaltet, in denen die beiden ten höchstens einzelne. Auch wenn Komponenten, die gebrochenen, über es bis heute beeindruckende, he- die ganze Klaviatur herauf und he- rausragende frühe Aufnahmen ein- runter laufenden Akkordbrechungen zelner Etüden aus den ersten Jahren der rechten Hand und die meist und Jahrzehnten der Tonaufnahme oktavierten Bässe der linken harmo- gibt, legten nur sehr wenige und mit nisch spannnungsvoll gegeneinan- ihrem Repertoire und Interpretations- der gesetzt sind, um über längere stil eher als „seriös” geltende Künst- Abschnitte hin immer wieder modu- ler wie Backhaus, Cortot und Arrau latorisch „befriedigende” Zwischen- Gesamtaufnahmen vor – Amir Katz kadenzwirkungen hervorzubringen. verweist besonders auf die Gesamt- Ein höchst beeindruckendes Musik- aufnahme von Raoul Koczalski, sei- stück aus bloßen Akkordbrechungen nerseits Schüler des Chopin-Schülers als Eingang für einen ambitionier- Karol Mikuli. Arthur Rubinstein da- ten Zyklus (wie auf andere Art das gegen bekannte freimütig, nie al- Rheingold-Vorspiel des Chopin-Ken- le beherrscht zu haben, und Horo- witz gab auf die Frage, welches die Nocturnes op. 9 von 1832, zwar in schwierigsten Chopin-Etüden seien, sich schon absolut vollendete Bei- zu: „Oh, sie sind alle schrecklich. spiele für Chopins vollentwickelten Die Doppelgriff-Etüden sind furchtbar subtilen Kompositionsstil, aber gat- schwer, besonders op. 25/6 (...). Für tungsbedingt einem zierlicheren, mich ist die schwierigste die in C-Dur, meditativeren, nicht dem auftrump- die erste, op. 10/1. Ich kann sie nicht fend virtuosen Klavierstil wie die Etü- spielen und die andere in C-Dur, den angehörend (wie man ihn auch op. 10 /7, ebenso wenig. Und die in in einigen Préludes, in den schnel- a-Moll op. 10/2 schaffe ich auch len Sätzen der Sonaten und den Bal- nicht richtig.” laden und in den Scherzi findet). So könnte es sein, dass es Chopin bei Kompositorisches Umfeld seiner Veröffentlichungspolitik auf diesen spektakulären Eindruck regel- Um die bahnbrechende Wirkung zu recht angelegt hat. ermessen, die die Etüden für die Wahrnehmung von Chopins Rang Reduktion als Reiz als Pianist und Komponist zum Zeit- punkt ihrer Publikation 1833 gehabt Mit der oben genannten Überraschung haben müssen, lohnt es sich, sich zweiter Stufe ist ein weiteres, wenn kurz das kompositorische Umfeld der nicht das primäre Merkmal der Etü- bis dahin und kurz danach veröffent- den Chopins angesprochen. Beson- lichten Werke bewusst zu machen. ders offensichtlich ist es in den jewei- Diese zerfallen ganz offensichtlich in ligen technischen Aufgaben etwa zwei Gruppen: einerseits Kammer- der Terzen-Etüde gis-Moll op. 25/6, musikwerke und Werke für Klavier der Sexten-Etüde op. 25/8, der Okta- und Orchester, die einem früheren ven-Etüde op. 25/10, den raschen brillanten Konzertstil angehören, nicht Sprüngen der linken Hand in op. 25/4, dem bahnbrechenden, höherdimen- der sogenannten „Schwarze Tasten- sionalen Klavierstil, den er mit seinen Etüde” op. 10/5 und so weiter. Die- Etüden kreiert hat. ses für die Wahrnehmung so an- sprechend „Einfache” und Klare der Andrerseits die zwölf Werke, die er klaviertechnischen Monothematik, der im Jahr 1832, dem Jahr vor der Ver- damit einhergehende komposito- öffentlichung der Etüden op. 10, dru- rische Verzicht auf Kontrasteffekte, cken ließ, die vier Mazurken op. 6, steht dabei bei jedem Stück neu in die fünf Mazurken op. 7 und die drei reizvoller Spannung zu der ein ums andere Mal bewiesenen musikali- Zunächst nähern sich die durch die schen Meisterschaft – was insbeson- jeweilige technische Aufgabe ge- dere den selber pianistisch geübten gebenen fortlaufenden Wiederho- unter den musikalisch interessierten lungen von Spielfiguren mit ihrer sich Hörern ein besonderes Vergnügen daraus ergebenden relativen „Ho- bereiten muss. In dem zweistimmig mogenität” den rhythmisch einheit- unisono geführten kurzen presto- lichen motorischen Satzmodellen der Schlusssatz seiner 1840 komponier- Barockzeit an (siehe etwa den tän- ten Sonate b-Moll op. 35 hat Chopin zerischen Rhythmus der Griff-Figu- dieses Mittel der Reduktion noch ein- ren von op. 25/9), Ähnliches gilt aber mal und noch radikaler angewandt. auch für die für Chopins romanti- sche Musiksprache eher ungewöhn- Dem entspricht in der Faktur, dass lichen durchlaufenden Linien von neben die scheinbare technische op. 10/2 oder op. 25/7. Hauptaufgabe mindestens so an- spruchsvolle und wichtige technisch- Sodann ist auf die 24-teilige Gesamt- musikalische Aufgaben treten – dazu anlage des Zyklus zu achten. Auf das noch einmal Horowitz über op. 25/6: Vorbild der 2 x 24 Präludien und Fu- „Jeder versucht mit der Schnelligkeit gen des Wohltemperierten Claviers seiner Terzen zu glänzen, aber die (WTC) von Johann Sebastian Bach Schönheit des Stücks liegt in der lin- bezogen sich schon seit 1790 mehr ken Hand.” oder weniger direkt zahlreiche kla- viertechnische Lehrwerke, und Bach „Neobarocke” Anlage bildete schon früh einen zentralen Teil von Chopins eigenem Klavier- Dies führt zu einem weiteren charak- Lehr-Repertoire und war ihm selbst teristischen Zug, der die Wahrneh- noch viel länger zum inneren Kern- mung der Etüden in ihrer Eigenart bestand seiner klaviermusikalischen von Anfang an – und besonders am Identität geworden. Als ihm seine Anfang, wie auch am Ende – prägt. Schülerin Friederike Streicher ihre Und zwar eröffnet der stilistisch „re- Bewunderung für die Leistung aus- duzierte” Charakter der Stücke zu- sprach, ihr auswendig 14 Präludien gleich die Möglichkeit, ihnen einen und Fugen von Bach vorzutragen, Zug zu verleihen, den man „neo- antwortete er : „Cela ne s’oublie ja- barock” genannt hat. Und das be- mais” (So etwas vergisst man nie- trifft sowohl die Textur der einzelnen mals). Stücke als auch ihre Gesamtanlage. Aber auch in der Machart der ein- nis und Beachtung der Kohärenz der zelnen Stücke findet sich manche einzelnen Stücke auf der Tempo- „neobarocke” Perspektive. So entfal- Ebene wichtig – so verweist er auf ten sich in der relativ ruhigen drit- den direkten Zusammenhang der ten Etüde op. 10 und mehr noch Tempi in Chopins Metronomanga- in der auch ruhigeren op. 10 Nr. 6 ben für op. 10/1, 1/4 = 176, op. 10/4 dichte mehrstimmig kontrapunkti- und Nr. 8 2/4 = 88, und darauf, dass sche Stimmverläufe; der Satz der an- entgegen früherer Tradition auf- schließenden unruhigen C-Dur-Etü- grund der Manuskriptlage sich auch de op. 10/7 kann als toccatenhaft für die langsameren Stücke op. 10/3 bezeichnet werden. Aber vor allem und 10/6 oder die langsamen Mittel- die Grundfigur der ersten Etüde ist teile von op. 25/5 und 25/10 ein sehr bei genauerer Betrachtung so ver- fließendes Tempo ergibt. Aber auch blüffend genau nach der des ersten über die Dur-/Moll-Paare hinaus gibt Präludiums aus dem WTC I von Bach es eine tonartlich fortschreitende geformt – im selben C-Dur –, dass Dramaturgie bis zu einem ruhigen dies nur als direkter Bezug und Hom- „Mittelpunkt” und wieder zurück zu mage gewertet werden kann. dem abschließenden c-Moll-Stück (nebst Beethoven-op. 111-Hommage – Zykluscharakter Ende von dessen erstem Satz!). Noch offensichtlicher wird dies mit Hatte er seine vorangegangenen Ver- der Fortsetzung des Zyklus op. 25 im öffentlichungen von Mazurken und Jahr 1837 (den Chopin schon ange- Nocturnes in Kleingruppen jeweils fangen hatte, bevor der erste veröf- unter einer Opuszahl zusammenge- fentlicht war).