2 Impressum

Herausgeber Fachverband Freizeit- und Sportbetriebe in der Wirtschaftskammer Österreich Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien

Redaktion Zukunftsinstitut Österreich GmbH Rudolfsplatz 12/DG1, 1010 Wien Tel: +43 (0) 1 943 4030 Fax: +43 (0) 1 253 30 33 40 30 [email protected] www.zukunftsinstitut.at

Chefredaktion Harry Gatterer

Projektkoordination Christiane Varga

Autoren Christiane Varga, Jana Ehret

Trend Research Elisabeth Petermann

Redaktionelle Mitarbeit Verena Muntschick, Florian Knotz

Cover & Grafik-Design Ksenia Pogorelova

Lektorat Franz Mayer

© Zukunftsinstitut GmbH, Juli 2015. Alle Rechte vorbehalten. 3

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Einleitung Events von morgen: eine Übersicht in Bildern

12 20 30

Events der Zukunft Events der Zukunft Events der Zukunft sind Live-Höhe- lassen die Gäste erzählen punkte im digitalen kreativ sein Geschichten Strom

44 56 66

Das Event der Events der Zukunft Das Event der Zukunft sind grün Zukunft braucht Visionen und regional lebt von Glück und Genuss

76 86 96

Das Event der Das Event wird Event-Matrix: Zukunft nimmt sich zum Alltag, Entschlüsselung Anleihen aus der Alltag wird des Event-Genoms der Vergangenheit zum Event 4 Einleitung

Die Form wird zum Inhalt

Es wird wieder mehr geheiratet. Kein Wunder, denn der Mensch sehnt sich in einer entfesselten Welt wie- der nach mehr Geborgenheit und Menschlichkeit. Auch in einer digitalisierten Welt können wir nur real überleben. Das Event schlägt die Brücke zwischen dieser Realität und unseren Projektionen. Bedürfnis- se wollen befriedigt werden, Wünsche bleiben oft un- erfüllt. Nur Sinnstiftung kann diese Lücke füllen. Erst der inszenierte Raum gibt unserem Dasein eine Be- deutung. Österreich mit seiner ausgeprägten Veran- staltungskultur leistet hier einen unverwechselbaren Beitrag. Ohne Leben gibt es keine Zukunft. Die Form wird zum Inhalt. Lederhose und Laptop sind das Sinnbild eines neuen Lebensgefühls. Das Event wird zur Klammer. In diesem Sinne wünscht Ihnen der Fachverband Freizeit- und Sportbetriebe viel Lesever- gnügen mit der neuen und hochaktuellen „Event der Zukunft“ Studie.

KR Gerhard Span Obmann Fachverband Freizeit- und Sportbetriebe 5

Events neu gedacht eignisse, oder auch Events, geben damit Halt, weil sie tatsächlich passieren und Fakten erzeugen. Gerade Events sind unser Alltag. Wir lieben, leben, arbei- weil wir unser Nähe-Distanz-Gefühl verlieren, ahnen ten; sind unterwegs, sind überfordert. Wollen unsere wir uns sogar mittendrin, wenn wir örtlich weit weg Ruhe, sind gleichzeitig ständig online, wollen echte sind. Wir können nun auch virtuell dabei sein. Dies Berührung, haben gleichzeitig aber auch Angst vor kompensiert das Physische nicht, erzeugt aber einen dem Verletzt-Werden. Wir suchen Tiefe und leben die neuen, komplementären Erfahrungsraum. Das Physi- Oberfläche. Wir sehnen uns nach ländlicher Idylle und sche ist immer noch die Basis jedes Ereignisses, deren leben in Städten. Diese Welt ist paradox, vielschichtig Grenzen aber labil und fragil sind. Und dennoch, die und fluid. Die Aufmerksamkeit, die uns zur Verfügung Kulturtechnik des Ereignisses pflastert in Zukunft den steht, zerstreut sich in immer mehr Fragmente, die Weg jedes Menschen. Weshalb Profis wie Event-Agen- wir kaum mehr miteinander verbinden können. Uns turen, Planer oder Veranstalter sich ihrer Verantwor- so leben wir ein „Pop-up“-Leben: Wir haben gelernt tung immer mehr bewusst werden – oder es sich zu zu lieben, was sich uns gerade in den Weg stellt. Wir Nutze machen können. Events sind kleine Haltestellen haben uns darauf eingeschworen, dass unser Leben im Verlauf eines Lebens, aber wesentliche, vielleicht in Dramaturgien und Ereignissen verläuft – und nicht richtungsweisende – sie geben Orientierung und kön- in Bahnen und Plänen. Wir haben verlernt, was Nähe nen für Momente von Klarheit und Da-Sein sorgen. und was Distanz ist, weil unsere virtuellen Fenster eine Sie können Präsenz erzeugen und haben die Kraft, gleichzeitige Präsenz von allem erzeugen. Wir haben dass sich Menschen selbst wahrnehmen. Ganz nah, also aufgehört, uns generell mit Distanzen und dem ganz persönlich, ganz intim, und doch nicht alleine. Konkreten zu beschäftigen, weil das omni­präsent Flüssige unser Alltag geworden ist. So sehen wir nicht Events sind Orientierungspunkte im Leben. mehr fern – was auf Distanz verweist. Sondern wir sur- Events sind zentrale Rituale im kaleidoskopi- fen, chatten, mailen, streamen… – was Nähe imitiert. schen Leben des 21. Jahrhunderts. Und weil wir Nähe und Distanz nicht mehr unter- scheiden können, erleben wir Ereignisse nicht mehr Die vorliegende Lektüre soll Profis inspirieren, die direkt – selbst wenn wir vor Ort sind. Wir fühlen uns Fragmente der gesellschaftlichen Entwicklungen selbst dann getrennt vom Ereignis und erleben das noch deutlicher wahrzunehmen. Damit kann man Event als Mosaik von Fragmenten. Man könnte be- auch sich selbst wahrnehmen und an den Trends eine haupten, wir sind „kaleidophil“, weil wir nicht mehr Art Reflexion für das eigene Tun erzeugen. Wir freuen das Ganze sehen, sondern nur mehr viele Teile, die uns, wenn dies gelingt, und wünschen Ihnen bei der scheinbar zusammenhängen. Gestaltung von Zukunft viel Erfolg.

Im 21. Jahrhundert avancieren Events zur wesentlichen Kulturtechnik

Was wie ein Abgesang auf die moderne Kultur klingen mag, ist gar nicht so gemeint. Es ist nun einfach so: Mitten im Übergang zur nächsten – der vernetzten – Gesellschaft ändern sich Paradigmen. Es entstehen neue Kulturtechniken und Rituale, neue Werte und Bedeutungen. Und in dieser nächsten Gesellschaft spielt das Event eine ganz wesentliche Rolle, weil es selbst zu einer Kulturtechnik geworden ist. Ereignisse planen den Alltag von Kaleidophilen und prägen ihre Erinnerungen; sind damit also wegweisend. Indem man sich im Alltag an den Ereignissen orientiert, die Harry Gatterer sich sozusagen ergeben, findet man seinen Weg. Er- Geschäftsführer Zukunftsinstitut 6

Gestern: Sehnsucht nach...

Erlebnis 7

Morgen: Sehnsucht nach...

Orientierung 8 gestern Private Events morgen

selten oft

Vorhersehbare Biografien markieren wenige, klas- Ob Heiraten, Geburtstag feiern oder zusammen sische Feste im Leben des Einzelnen, die mit einem essen – immer mehr Menschen machen aus persön- überschaubaren Familien- und Freundeskreis geteilt lichen Feiern wahre Events, die cool, einzigartig – werden. und vor allem perfekt inszeniert sein müssen.

gestern Präsenz morgen

jetzt immer

Das Event findet an einem physischen Ort, zu einer Die virtuelle Erweiterung eines Events über unter- bestimmten Zeit statt. Die Vor-Ort-Identität eines schiedliche Kanäle hebelt den Faktor Zeit aus und Events macht es einerseits exklusiver, andererseits lässt Ausdehnung zu. Die Teilnehmerzahl lässt sich kann es die Wirkungsmacht verringern. virtuell beliebig erhöhen. 9 gestern Individuelles Erlebnis morgen

Abgrenzung Verbindung

Die hochgradige Individualisierung führt dazu, dass Durch die Hyperindividualisierung steigt das Ver- der Einzelne seine Identität über Abgrenzung formt. langen nach Zusammengehörigkeit. Die Verbindung Erlebnisse wie Events schaffen subjektive Erfah- zu anderen steht im Zentrum, das analoge und rungen, die nicht geteilt werden. digitale Teilen von Gedanken und Emotionen wird elementar.

gestern Agenda morgen

Antworten Fragen

Das vorgegebene Muster strukturiert das Event, mit Starre Strukturen werden aufgebrochen, das Event klassischen Komponenten wie Begrüßung, Redner, ist geprägt von Interaktivität und Konnektivität. Der Verabschiedung und Weinempfang. Der Teilnehmer Teilnehmer partizipiert. konsumiert. 10 gestern Frequenz morgen

Jahresevent Pop-Up

Es finden wenige große Events statt, die bei ihrer Kontinuität weicht einem Zeitmodell, das durch eine Zielgruppe fix im Terminkalender markiert sind. Ein asynchrone Gleichzeitigkeit geprägt ist. Neben festen routinierter Jahres-Rhythmus gibt den regelmäßigen Routinen flimmern kurzfristige, kleine Events auf. Takt im Event-Kalender vor.

gestern Vertrieb morgen

direkt indirekt

Ein Thema oder ein Produkt steht im Zentrum des Unterschiedliche Themen und Produkte werden auf Geschehens und wird über seine offenkundige Prä- einem Event gemeinsam präsentiert und kreieren ein sentation beworben. einzigartiges Gesamtkonzept. 11

gestern Vorgang morgen

Planung Serendipity A A

C

B D B

Lange Planungszeiten führen zu perfekt durchorga- Die Faszination des Plötzlichen zeichnet sich durch nisierten Veranstaltungen. Überraschungselemente eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich gibt es kaum, weder für den Veranstalter noch für den nicht Gesuchtem aus. Events eröffnen Möglichkeits- Besucher. räume, in denen genau das passieren kann.

gestern Wissen über die Kunden morgen

Erfahrung Auswertung

Das Wissen über den Kunden generiert sich über Big und Small Data machen es möglich, über den einen längeren Zeitraum hinweg, Basis bildet der Kunden innerhalb von kurzer Zeit enorm viel zu

Handschütteln-Zeichen: DEADTYPE, Noun Project DEADTYPE, Handschütteln-Zeichen: persönliche Kontakt. erfahren – auch schon vor dem ersten Event. 12

Event-Hashtag Digital Natives Online-Sein Chat Teilhabe Macht der Bilder Partizipation Digital Age Netzwerkgesellschaft Hybrid-Event Big Data Macht der Bilder Match-Making Events real-digitalvirtuelle Teinehmer Event-Apps Event-Hashtag Digital Natives Online-Sein Gaming ChatBig01 Data Pinterest digitale Kanäle Informationsvielfalt kollaborativ Partizipation Datenaustausch virtuell erleben intelligentesEvents Feedback der ZukunftSmartphone Macht der BilderLive-Events digitale Kanäle Chat Teilhabe Machtsind Live-Höhe der Bilder-Partizipation Digital Age Hybrid-Event Big Data punkte Match-Makingim Events real-digitalvirtuelledigitalen Teinehmer Strom Event-Apps Event-Hashtag Digital Natives Online-Sein GamingChatBig Data Social Media Pinterest digitale Kanäle Informationsvielfalt kollaborativ PartizipationDatenaustausch virtuell erleben Teilhabe intelligentes Feedback Smartphone Macht der Bilderdigitale Kanäle Live-Events Chat Teilhabe Macht der Bilder Partizipation Digital Age Netzwerkgesellschaft Hybrid-Event Big Data Macht der Bilder Match-Making Events real-digital virtuelle Teinehmer Event-Apps Event-HashtagOnline-Sein Digital Natives Gaming Chat Big Data Social Media Pinterest digitale Kanäle Informationsvielfalt kollaborativ Partizipation Datenaustausch virtuell erleben Teilhabe intelligentes Feedback Smartphone Macht der Bilder Live-Events digitale Kanäle Big Data Macht der Bilder Match-Making Events real-digital virtuelle Teinehmer Event-Apps 13

Das Smartphone ist für die meisten Menschen – allen voran Jugendliche und junge Erwachsene – zum Beglei- ter für alle Lebenslagen geworden. Es ist die größte und am schnellsten zugängliche Wissens-Enzyklopädie der Welt, nie versiegende Quelle von Neuigkeiten aus den unterschiedlichsten Themenfeldern, Navigations- und Orientierungshilfe und – vor allem – das am vielfältigs- ten nutzbare und am häufigsten genutzte Kommunika- tionstool.

Die Grenzen zwischen Online- und Offline-Zeit haben sich längst aufgelöst. Die Macht der Vernetzung durch- dringt dabei alle Lebensbereiche. Nicht nur Smart­ phones, sondern auch Tablets und Laptops sind weder aus unserem privaten noch beruflichen Alltag wegzu- denken. Und dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass das „Digital Age“ angebrochen ist. Erst seit 1991 kann das World Wide Web öffentlich genutzt werden, und die Social-Media-Plattform­ Facebook ist seit 2004 in der heutigen Form online.

Gäste setzen die Einbindung von digitalen Devices vor, nach und auch während eines Events immer stärker vor- aus. Dabei geht es weniger um ein MÜSSEN, sondern um ein KÖNNEN. Entweder hat der Gast gerade Interesse­ daran, über digitale Kanäle an mehr Informationen zu kommen, stärker zu partizipieren, oder auch nicht. Er muss nur die Wahl haben. Dies stellt für Veranstalter eine nie dagewesene Chance dar, denn mit ihren Events liefern sie jene Inhalte, die durch , Instagram und Co. erst lebendig werden. 14

Trend 01 Interviews mit den Entwicklern zu ihrer Arbeit sowie dem Highlight der Vorführung: einem inszenierten Teilhabe in der real-digitalen Video, in dem Reggie Fils-Aime, Chef von Nintendo of America, und Satoru Iwata, Chef von Nintendo of Netzwerk­gesellschaft Japan, gegeneinander kämpfen und sich mit einem Augenzwinkern selbst aufs Korn nehmen. Ein Schritt in eine neue Richtung, denn der Auftakt der E3 war „We‘re reflecting the current realities“ („Wir reflek- bis zu diesem Zeitpunkt immer von den gigantisch tieren die gegenwärtigen Realitäten“) – dieses State- inszenierten Live-Performances der Big Player ge- ment gab der japanische Konsolenriese Nintendo im prägt. Microsoft, Sony, EA und Ubisoft bringen auch Rahmen seiner Pressekonferenz auf der Electronic heute noch professionelle Redner auf die Bühne und Entertainment Expo in Los Angeles ab. Der Grund: präsentieren die aktuellsten Veröffentlichungen in Die Pressekonferenz auf der weltweit wichtigsten einer großen Halle, vor einem Publikum, das haupt- Gaming-Messe war gar keine Pressekonferenz, keine sächlich aus Presse und Fachleuten besteht. klassische zumindest. Vielmehr hat Nintendo 2014 erstmals ein „Digital Event“ inszeniert und so die Für Nintendo war dieses Konzept nicht mehr zeitge- Verknüpfung von realen und digitalen Räumen auf mäß. Die Möglichkeit, über Online-Streaming ein eine neue Stufe gehoben. Massenpublikum zu erreichen, das vor allem aus der entscheidenden Zielgruppe, nämlich den End- Sowohl der Messebesucher als auch jeder einzelne kunden, besteht, ließ den Spielehersteller mit dieser Fan weltweit konnten das knapp 45-minütige Event Tradition brechen. Reggie Fils-Aime sieht die Ent- per Live-Stream mitverfolgen. Die Bandbreite des scheidung für das neue Format als logische Entwick- Gezeigten war eine Mischung aus Spiele-Sequenzen, lung in einer digitalisierten Welt: „Meine erste E3 war 15 Foto: , EMR_2013, E3 Nintendo Interior, CC-BY Interior, E3 Nintendo EMR_2013, Flickr, Foto: Trend 02

Hybrid-Events im real-digitalen Zeitalter

Die Verschmelzung von Real und Digital findet auf unterschiedlichen Ebenen und in mehreren Di- mensionen statt. Ein Event, das real passiert, wird im- mer häufiger durch die Teilnahme auf virtueller Ebe- ne ergänzt. Das sogenannte Hybrid-Event besteht aus einer inhaltlichen und technischen Vernetzung, die aus der Verbindung und Interaktion zwischen einer Kernzielgruppe und einer virtuell erweiterten Zielgruppe entsteht, die beide an einer Veranstaltung teilnehmen. Die Kanale können dabei vielfältig und unterschiedlich sein: zum Beispiel über Live-Twitter mit eigenem Event-Hashtag oder per Video-Stream. Wie am Beispiel von Nintendo ersichtlich wird, lautet Die Entdeckung neuer Realitäten: die Grundprämisse daher: Ein virtueller Teilneh- ein Hybrid-Event bei Nintendo mer ist eine real existierende Person.

Hier wird deutlich, dass die komplexen Wechselwir- vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren gab es weder Youtu- kungen des neuen Netzwerks nicht nur online beste- be noch Twitch. Vor zehn Jahren konnte man nur bei hen. Und vor allem, dass die digitale Evolution nicht den klassischen Medien um Aufmerksamkeit buhlen. zu einem Rivalen von Events geworden ist, wie eine Heute tippt jeder auf seinem Laptop oder Smartpho- Zeit lang befürchtet wurde. Vielmehr belebt die Digi- ne herum, und es schauen sich mehr Menschen Kon- talisierung das Event. Und erweitert den Wirkungs- ferenzen online an als real vor Ort.“ radius enorm. Dies bestätigt auch Marketing- und Eventexpertin Jutta Jakobi: „Viele der kommunikati- Die Idee hat auch außerhalb der Szene großen An- ven Entwicklungen, die das Event angeblich allmäh- klang gefunden und Nintendos Ruf als Innovator lich ersetzen, sind in Wahrheit Verstärker für diese nach langer Zeit wieder nach vorne gepusht. Damit Kommunikationsplattform.“ hat das Unternehmen sogar Marktgiganten wie Mi- crosoft oder Sony aus dem Scheinwerferlicht der Und die sollten genutzt werden. Denn besonders die Presse gestoßen. Der Blogger Erik Kain schreibt in Vertreter der jüngeren Generation stellen sich die einem Forbes-Artikel: „When it comes to big press Frage von On- und Offline-Sein schon lange nicht events like E3, Nintendo is simply reading the writing mehr. Was Eric Schmidt, ehemaliger CEO von Google, on the wall.“ In Zukunft werden nicht nur Videospie- bereits 2011 an seinen eigenen Kindern beobachten le-Pressekonferenzen per Live-Stream übertragen, konnte: „Meine Kinder kennen nur zwei Zustände: sondern auch andere Events, die sowohl real als auch Schlafen oder Online-Sein.“ digital stattfinden. Nintendo hat erstmals einer brei- teren Öffentlichkeit eine neue Form von Veranstal- Dies bestätigt auch eine Umfrage des DIVSI, des tung näher gebracht: das Hybrid-Event. Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet. Mit der folgenden Aussage konnten sich be- sonders junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren 16

stark identifizieren: „Sobald ich morgens aufstehe, auf Trend 03 die Toilette gehe, bin ich kurz im Internet. Meist Face- book oder WhatsApp. (...) Ich bin eigentlich immer im Wie Pinterest & Co. mit Bildern Internet, außer, wenn ich schlafe.“ (DIVSI U25-Studie: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der di- Geschichten erzählen gitalen Welt. 2014)

Genau diesen Zustand haben sich bereits viele Unter- Die im Vergleich dazu schon fast traditionellen Platt- nehmen zunutze gemacht, um über die Plattformen formen Pinterest und Instagram erfreuen sich in der sozialen Medien auch soziales Marketing zu be- Sachen Unternehmer-Marketing besonderer Beliebt- treiben. Für die „Digital Natives“ ist Social Media heit und sind seit ihrer Gründung rasant gewachsen. selbstverständlich, für die ältere Generation innova- Nur neun Monate, nachdem Pinterest online ge- tiv und für die Unternehmen selbst ein maßgebliches gangen ist, konnte die Plattform bereits 10 Millionen Spielfeld im Marketing-Management. User vermelden. Das Besondere: Es gibt kaum ein ge- schriebenes Wort, die Seiten leben ausschließlich von Das Potenzial ist enorm, die Tendenz steigend: Jede der Macht der Bilder. Und diese Bilder erzählen die Minute werden 3600 Fotos bei Instagram geteilt, jeweiligen Geschichten. Kurz, prägnant, dafür umso mehr als 100.000 Tweets über Twitter versendet, 2083 emotionaler. Bei der steigenden Informationsfülle in Check-Ins auf Foursquare getätigt. Jede Minute wird sozialen Netzwerken funktioniert diese Art von Kom- auf Youtube neues Videomaterial in der Länge von munikation besonders gut. 48 Stunden hochgeladen und werden auf Facebook 684.478 Inhalte veröffentlicht sowie 34.722 Marken →→ Die amerikanische Supermarktkette Target hat und Unternehmen „geliked“. Jede Minute an jedem diesen Trend erkannt und sich ihre Möbellinie, die sie Tag. neben Dekorationsartikeln und Kleidung im Angebot führt, statt von etablierten Designern von Pinterest- →→ Das Bedürfnis, sich mitzuteilen und zu kommuni- Heavy-Usern kuratieren lassen. Der direkte Konkur- zieren, zu bewerten und bewertet zu werden, scheint rent von Wal-Mart hat eine etwas jüngere, gebildetere unermüdlich. Ihren bisherigen Höhepunkt hat diese und vorrangig weibliche Zielgruppe, was zum demo- Entwicklung in Form von YouNow, einer Live-Strea­ grafischen Profil des durchschnittlichen Pinterest- ming-Plattform, gefunden. Die aufgrund von man- Nutzers passt. Die drei User, die für die Zusammen- gelnder (Daten-)Sicherheit bereits höchst umstritte- arbeit ausgewählt wurden – Joy Cho (13 Millionen ne Streaming-Seite macht es den Usern möglich, sich Follower), Jan Halvarson (8 Millionen Follower) und jederzeit über ihr Smartphone per Videostream auf Kate Arends (2 Millionen Follower) – arbeiten in de- die große Bühne der Online-Welt zu schalten. Vor- signnahen Berufen und führen vielgelesene Weblogs. nehmlich Kinder und Jugendliche erzählen dann all- Target verzeichnet seit Beginn der Zusammenarbeit zu freimütig über ihr Leben, während dies die ande- 70 Prozent mehr Traffic auf seiner Webseite. Natür- ren User – die unerkannt bleiben können – über eine lich müssen die 23 Millionen Pinterest-Follower noch Chat-Funktion beobachten und live kommentieren irgendwie an den Point of Sale gelockt werden. Im Ge- können. spräch ist Target durch diese Aktion aber bereits jetzt schon (ohjoy.com/products/oh_joy_for_target.html).

Als unkomplizierte, dafür umso wirkungsvollere Er- gänzung wird Pinterest auch immer häufiger für Event- Marketing genutzt. Ob „Insights“ durch Fotos beim Aufbau oder Eindrücke vom Event selbst – Geschich- ten werden in Zukunft verstärkt über Bilder erzählt. 17 Foto: Flickr, Bjørn Giesenbauer, CC-BY-NC-SA Bjørn Giesenbauer, Flickr, Foto:

Trendprognose

Der Mensch steht im Mittelpunkt. Dies gilt in unserer hoch digitalisierten Welt mehr denn je zuvor. Denn die Möglichkeiten der Partizi- pation durch Vernetzung sind vielfältig und werden in Zukunft noch stärker genutzt. Die Digitalisierung des Lebens eröffnet einen viel- versprechenden Datenaustausch zwischen Veranstalter und Gast – die Grundlage für die kollaborative Kundenbeziehung von morgen. Über individuelle Kundenprofile lassen sich so Bedürfnisse, Wünsche und Anregungen immer besser vorsortieren. Die Events der Zukunft – bzw. ihre Organisatoren – bespielen digitale Medien proaktiv. Sie öffnen die Grenzen zwi- schen Unternehmen und Kunden und kommu- nizieren authentisch und auf Augenhöhe. Und sie nutzen die Möglichkeiten der Informations- vielfalt, um ihre Events und Leistungen virtuell erlebbar zu machen. 18 Best Practices

WÄHREND DES EVENTS

Partizipation der Teilnehmer Um Gruppendiskussionen ins Rollen zu bringen, bedarf es oft einer gewissen Warm-up-Phase. Ob bei kleineren Workshops im Rahmen eines Event-Tages oder bei Fragen aus dem Publikum bei größeren Vorträgen – oft mangelt es an einer Mobile End­geräte verändern angenehmen Atmosphäre, die die Zuhörer dazu einlädt, selbst etwas das Event-Erlebnis zu sagen. Oder es liegt schlicht an technisch-baulichen Unzulänglich- keiten, wie eine schlechte Akustik Der Gadget- und App-Markt bekommt einen starken oder ein pfeifendes Mikrofon. Zuwachs an kreativen Ideen für die Eventbranche. Noch nie zuvor wurden von Start-­ups so viele neue Tools ent- Catchbox ist ein bunter Würfel, in wickelt, um das Event­-Erlebnis für die Teilnehmer zu den ein Mikrofon integriert ist und den die Hersteller als „Audience maximieren oder die Organisation für die Veranstalter mic“, als Publikums-Mikrofon, zu erleichtern. Big Data wird hier von Small Data abge- bezeichnen. Indem der Würfel zu der löst, denn es werden verstärkt Daten des einzelnen Teil- Person geworfen wird, die gerade sprechen möchte, entsteht eine nehmers gesammelt: über mehr Feedback, mehr Inter- lockere Stimmung. Gleichzeitig ist aktion mit anderen Teilnehmern oder Mitwirkenden und der Zeitaufwand um einiges geringer mehr Echt-Zeit-Analysen. als bei dem klassischen Mikrofon, das im Zweifel durch große Säle oder viele Hände gereicht werden muss. www.getcatchbox.com VOR DEM EVENT Social Seating Ein wichtiger, wenn nicht sogar der Hauptgrund, auf Veranstaltungen Konzeption und und Events zu gehen, ist für die

Planung meisten das Netzwerken. Um hier CatchBox Foto: wieder etwas mehr Spannung Der Anbieter EventMobi verspricht hineinzubekommen und gleichzeitig eine „einfache Anwendung und die Effizienz beim Kennenlernen zu Noch schneller hat der Teilnehmer eine helfende Hand“ für alle, die steigern, etablieren sich immer häu- mit Crowdmics ein Mikrofon in der eine Veranstaltung planen. Die viel figer Match-Making Events. Match- Hand. Die App muss nur auf das umfassende App deckt unterschied- Making Events haben sich dabei individuelle Handy geladen werden, liche Phasen in der Event-Planung Anleihen aus der Dating-Branche und schon ist das Smartphone zum und -Durchführung ab und bietet ein genommen (Match-Making bedeutet Wireless-Mikro geworden. Es bein- paar Extras, wie detaillierte Anpas- übersetzt „Heiratsvermittlung“) und haltet außerdem eine Abstimmungs- sungsmöglichkeiten, Erkenntnisse platzieren bspw. Gäste mit einem sowie Kommentarfunktion. Letztere aus Nutzungsstatistiken, einen ähnlichen Social-Media-Interessen- bindet auch jene Gäste mit ein, die privaten In-App-Chat, eine persona- profil auf Sitzplätzen nebeneinander. eine Sprachhemmung vor größerem lisierte Teilnehmer-Schaltzentrale Der „Fachausdruck“ hier: Social Publikum haben und trotzdem ihre oder auch Live-Abstimmungen und Seating. Meinung kundtun möchten. Event-Spiele. 19

WÄHREND DES EVENTS Teilnehmer während der Mittags- NACH DEM EVENT pause oder einen ganzen Workshop abfilmen. Die Übertragung funkti- Handeln oniert sowohl auf beliebig vielen Intelligentes Feedback Leinwänden vor Ort als auch auf dem Wenn der Gast während des Events Smartphone der Teilnehmer oder Nach dem Event ist bekanntlich in Entscheidungsprozesse mit online, auf Social-Media-Kanälen. vor dem Event. Dies gilt ganz eingebunden ist, erhöht sich das www.flybrizi.com besonders in Zeiten, in denen die Gefühl der unmittelbaren Teilhabe. „Eventisierung“ unseres sozialen Dies führt zu einer stärkeren emo- Shortcut ist eine mobile App, die Lebens so vielfältig stattfindet wie tionalen Resonanz, durch die das den Gästen ermöglicht, während des heute. Ein gehaltvolles Feedback Event positiv konnotiert wird und so Live-Events Getränke, Essen oder der Teilnehmer ist deshalb umso viel stärker in Erinnerung bleibt. Ein andere beliebige Produkte wie die wichtiger. Auch darauf reagiert die weiterer Effekt: Jeder erzählt gerne aktuellste Publikation des Vortra- Entwickler-Welt und tüftelt an opti- spannende Erlebnisse weiter, an genden direkt vom Platz aus zu malen digitalen Fragebögen, die den denen er teilgenommen hat. ordern. Das Bezahlsystem ist dabei Teilnehmer weder überfordern noch ebenfalls gleich integriert. Der Gast langweilen, dem Veranstalter aber Brizi ist die erste Event-Drohne. Sie verpasst somit nichts von der jewei- gleichzeitig die wirklich relevanten kann über den Veranstaltungsort ligen Darbietung und hat gleichzeitig Informationen liefern. Hier muss fliegen und die verschiedenen eine Handlungsmacht, durch die er klar sein, welche Infos auch wirklich Orte oder Räume eines Events, die sich unabhängig und souverän fühlt. Nutzen bringen.

Explori ist ein Tool, das weit über das Standard-Feedback hinausgeht. Mit Explori kann der Veranstalter Fotos: Brizi Fotos: bis ins kleinste Detail analysieren, welche Wirkung seine Veranstaltung auf den Gast hatte. Dabei ist es nicht nur möglich, die Daten und Auswer- tungen der Events im eigenen Port- folio zu vergleichen, sondern auch mit anderen Events aus der gleichen Branche, weltweit. Explori fokussiert sich also auf wirklichen Kontext, intelligent designte Umfragen und Online-Recherche. www.explori.com

Auch bei Statisfy spielt das Design eine große Rolle. Es soll sowohl für den Gast als auch für den Veran- stalter visuell ansprechend sein. Die Präsentation des digitalen Fragebogens ist genauso simpel und aussagekräftig wie die Darstellung des Ergebnisses. Die Plattform ist für Umfragen vor und nach einem Event geeignet. Und sie geht noch einen Schritt weiter. www.statisfy.com 20

AustauschZusammenarbeit Creative Community Free Flow Public Viewing Wertewandel Wir-Kultur Kollaboration Sharing Free Flow Kreativität Zusammenarbeit Mitmachen Gemeinschaft Kreativität Kollaboration Netzwerk Entfaltung Creative Community Chance Interaktivität Wir-Kultur Wertewandel02 Komplexität New Work SharingAustausch Wettbewerb Sharing Crowdfunding Teilhabe Public Viewing Sportivity BarcampEvents derco-aktiv ZukunftOpen Source Zusammenarbeit Creative Community Public ViewinglassenWertewandel die Gäste Wir-Kultur Kollaboration Sharing Free Flow Kreativität ZusammenarbeitkreativMitmachen sein Gemeinschaft Kreativität Kollaboration Netzwerk Entfaltung Creative Community Chance Interaktivität Wir-Kultur Komplexität New Work Mitmach-EventWettbewerb Austausch Crowdfunding Teilhabe Public Viewing Sportivity Barcamp co-aktiv Open Source AustauschZusammenarbeit Creative Community Free Flow Public Viewing Wertewandel Wir-Kultur Kollaboration Sharing Free Flow Kreativität Zusammenarbeit Mitmachen Gemeinschaft Kreativität Kollaboration Netzwerk Entfaltung Creative Community Chance Interaktivität Wir-Kultur Wertewandel Komplexität New Work SharingAustausch Wettbewerb Mitmach-Event Free FlowCrowdfunding Teilhabe Public Viewing Sportivity Barcamp co-aktiv Open Source AustauschZusammenarbeit Creative Community Free Flow Public Viewing Wertewandel Wir-Kultur Kollaboration Sharing Free Flow Kreativität 21

Der kreative Impact der Netzwerkgesellschaft hebt das Event der Zukunft auf eine neue Ebene. Angekommen in der Kreativökonomie, liegt der Fokus auf Kollaboration, Wissens- und Gedankenaustausch. Dafür sind Entfal- tungsräume wichtig. Dass das Netzwerk immer mehr zur Grundhierarchie unserer Gesellschaft wird, spiegelt sich auch in der neuen, flexibleren Arbeitswelt wider. Strikte Hierarchien lösen sich auf und schaffen Raum für neues Denken. In Folge dessen entstehen jedoch auch Unsicherheiten und Ängste.

Der entscheidende Wert bemisst sich für die Vertreter einer neuen Generation daher weniger in materiellem Besitz als vielmehr im Sammeln von Erfahrungen und Erlebnissen mit anderen Menschen. Ein neues Gemein- schaftsgefühl entsteht und schafft eine Wir-Kultur, de- ren Bindeglieder Intuition und Vertrauen sind.

Die Menschen wollen sich austauschen, sie wollen kre- ieren, teilen und tauschen. Ihre Ideen, ihre Erfahrungen und auch ihre Freude. Kreativität spielt für die meisten eine entscheidende Rolle. Mehr als 70 Prozent der Ös- terreicher geben an, dass ihnen Kreativität in ihrem pri- vaten Leben enorm wichtig ist (Quelle: Österreich 2025, Zukunftsinstitut/Karmasin). Zukünftig sind Veranstalter ein wesentlicher Teil dieser Creative Community und fei- ern mir ihr gemeinsam neue Erfolge. 22

Trend 01 steht. Das macht Events künftig zu einem neuen Spielplatz der Möglichkeiten. In Zukunft ist ein Event Die neuen Werte der Kreativ­ eine Einladung, aus dem eigenen Potenzial und dem der anderen gemeinsam zu schöpfen. Veranstalter ökonomie avancieren hier zu Chancenanbietern. Je mehr Chancen die Gäste bekommen, sich in ihrer Kreativi- In den Gesellschaften der westlichen Industrie­ tät zu entfalten, desto attraktiver wird das Event für sie nationen macht sich ein Wertewandel breit. So auch sein. in Österreich. Die Idee vom guten Leben wird neu austariert, verhandelt und bemessen – besonders in Kongresse folgen nach wie vor einem standardisier- Bezug auf die Arbeitswelt. Wettbewerb und ständige ten Verfahren, das in einigen Fällen durchaus sei- Beschleunigung werden vom Einzelnen nicht mehr ne Legitimation findet, allerdings jeden möglichen als notwendiges Übel angesehen, um auf der Karriere­ Überraschungseffekts entbehrt. leiter aufzusteigen, sondern zunehmend hinterfragt. Das Muster: Begrüßung – Redner – Essen – Redner – Die starke Suche, besonders jüngerer Generationen, Verabschiedung – Schluss. nach neuer Gemeinschaft wurde international zuerst Das Setting: große, eher unpersönliche Säle. bei den Millennials beobachtet, auch Generation Y genannt. Sie prägen den Wandel der Arbeitswelt Die Kommunikation zwischen den Teilnehmern wird mit ihrer Sichtweise vom sinnvollen Teilen von Wis- auf die Pause delegiert. Das reicht im Stile des Mega­ sen und gemeinschaftlicher Arbeit entscheidend mit. trends „New Work“ jedoch nicht immer aus. Die Teil- Aus einem fest gefügten Rahmen mit Abteilungen nehmer wollen teilhaben. Sie wollen konsumieren, und hierarchischen Strukturen wird ein fließender wollen aber auch beitragen. Die neuesten technologi- Prozess mit Projekten und temporären Hierarchien. schen Antworten auf dieses gesteigerte Bedürfnis sind Traditionelle Strukturen lösen sich auf, denn die in Kapitel 1 (S.18) beschriebenen Apps und Gad- die Komplexität und Differenzierung in der Arbeits- gets. Geprägt vom Mitmach-Internet und von Mass welt ist nur durch Individualisierung gestaltbar. Nie Customization, geben sich vor allem jüngere Ge- gab es so viel Freiheit, Zeit und Raum, die Arbeit den nerationen nicht mehr damit zufrieden, auf das Glas eigenen Vorstellungen anzupassen – sowohl für Wein zu warten, bei dem man sich austauschen kann. Unternehmen als auch den Einzelnen. Sie möchten vielmehr gleich am Geschehen teilha- ben und Neues erschaffen. Interaktivität, Sponta- Das gilt besonders für die „Kreative Klasse“, wie sie nität und Connectivity – damit werden die starren der US-amerikanische Ökonom und Hochschullehrer Strukturen der klassischen Kongresse aufgebrochen, Richard Florida in seiner gleichnamigen Theorie be- um eine neuartige, spannende Kongresslandschaft zu schreibt. Im Kern leisten ihre Mitglieder Wissensar- entwickeln, die primär von Abwechslung geprägt ist. beit und erfüllen komplexe Aufgaben, was nur durch Damit vollzieht sich eine Transformation, die der uni- ständiges Lernen voneinander möglich ist. Der krea- formierten Kongresslandschaft der Gegenwart in die tive Flow wird zum alles verbindenden Element, bei Zukunft verhilft. dem der teamorientierte Austausch im Vordergrund 23

Kein Konzept ist auch ein Konzept Evolution

Der kalifornische Open-Source-Programmierer Tim der Unternehmens- O’Reilly wollte sich nicht mehr auf den üblichen Architektur Kongressen langweilen und stundenlangen Monolo- gen folgen und organisierte kurzerhand selbst einige Treffen, die im Sinne des Open-Source-Gedankens ablaufen sollten: Es kommt, wer Lust hat, es spricht, Früher wer etwas zu sagen hat, und jeder kann mitmachen. Das erste Barcamp fand 2005 in Palo Alto, Kaliforni- en, statt. Alles wurde in weniger als einer Woche or- ganisiert, vom Konzept bis zum Event selbst mit 200 Teilnehmern.

Die erste Ad-hoc-Nicht-Konferenz im deutschspra- chigen Raum fand im September 2006 in Wien statt. Den Besucherzahlenrekord hält die Stadt Yangon in →→Hierarchie Myanmar (Burma), als im Januar 2013 über 6400 Teil- →→vorgegebene Kommunikationsstrukturen nehmer registriert waren. →→linearer Karriereverlauf →→Angestellte als Befehlsempfänger Getreu dem Grundgedanken gibt es auf keine Zuschauer, sondern nur Teilnehmer. Der Ab- laufplan für die Präsentationen wird erst am entspre- Zukunft chenden Tag selbst erstellt. Die Themen werden nicht mehr von Referenten hinter einem Pult behandelt, sondern die Teilnehmer selbst bieten ihr Wissen an, organisieren sich spontan zu Gruppen, teilen die Er- gebnisse allen mit. Dies entspricht der Idee von Open Source, aus der auch das Wissensportal Wikipedia und die Open-Source-Software Linux entstanden sind.

Die Barcamps verändern die heutige Eventkultur. Inzwischen haben Treffen in über 350 Städten welt- weit stattgefunden. Diese Kultur ist ein Lernfeld für →→non-hierarchisch alle – von der Industrie bis zu Eventmanagern. Und →→jeder ist Unternehmer im Unternehmen auch die Themenvielfalt wird immer größer. So for- →→lernendes Unternehmen mieren sich mittlerweile Camps mit unterschiedli- →→nach außen offen und teamorientiert

chen Schwerpunkten wie „Enterprise Social Business Zukunftsinstitut Quelle: →→Kreativität 24 Foto: Flickr, Quimbaya, CC-BY-NC-ND Quimbaya, Flickr, Foto:

Mittendrin statt nur dabei: Der Zuschauer wird zum Handlungsaktivisten

Barcamp“, „Sci Barcamp“, „Podcast Barcamp“, „Future Trend 02 Music Camp“, „India Camp“, „Create Camp“, „Fashion Camp“ – um nur ein paar davon zu nennen. Let’s create together Wettbewerbe – and the winner is… Bringt man alles auf den Punkt, so lautet die Formel für ein erfolgreiches Mitmach-Event: Integrieren In der Kategorie „Wettbewerbe“ gibt es jene Events, Sie die schöpferische Kraft der Menschen in die Kon- die auf teils jahrhundertealten Bräuchen gründen, zepte. Doch ganz so „einfach“ ist es nicht. Wenn die wie das Brennnessel-Essen im englischen Dorset Teilnehmer selbst gestalten, sich beteiligen und mit- oder das Ehefrauentragen im finnischen Sonkajärvi. machen, braucht es einen (Moderations-)Rahmen, Manchmal sind sie auch neueren Datums, aber nicht der immer noch vom Veranstalter selbst festgelegt minder verrückt. Wie etwa die Schnupftabak-WM in und während des ganzen Prozesses nicht aus den Bayern oder das weltweit ausgetragene Stöckelschuh- Augen verloren wird. Ansonsten passiert eines: Ihre Rennen. Manche Zuschauer stolpern zufällig über Botschaft geht schlicht unter. Einzige Ausnahme ist, diese Veranstaltungen, andere reisen von weither an, wenn das Event selbst die Botschaft sein soll. Dann um sich den Spaß nicht entgehen zu lassen. muss dies jedoch auch bewusst entschieden werden. Das Prinzip der Selbstorganisation ist also auch in der Eventbranche zu beobachten. Die Teilnehmer Weil der Grad zwischen Free-Floating und Kontroll- wollen partizipieren und sich mit anderen Menschen verlust so schmal ist, wagen sich besonders etablierte- und damit auch mit anderen Meinungen auseinan- re Branchen nicht an Kreativevents. Doch die Trend- dersetzen. Dabei wird den Teilnehmern an den Events pioniere zeigen, dass die Crowd nicht mehr gewillt ist, immer wichtiger, dass nicht alles perfekt und fertig ist. nur auf Botschaften zu warten. Ein Ermöglicher, die- Getreu dem Motto: „Ich bin das Event!“ sen Schritt zu gehen, ist auch hier das Internet. Es gibt 25

heute Plattformen, die es der Crowd ermöglichen, sich Event-Camp-Findings zu beteiligen. In Form von Ideen, Designvorschlägen oder mit technischen Lösungen. Das Prinzip der Be- teiligung setzt sich immer stärker durch und wird zu Die Findings, die auf dem ersten „Event- einem Leitgedanken zukünftiger Generationen. camp“ im Jahr 2010 als fünf Kernelemente ausformuliert wurden, haben heute, fünf Jahre später, immer noch Gültigkeit. Die Unter dem Motto „Let’s create together“ lädt die folgenden Elemente können jede Veranstal- Workgroup breadedEscalope zu ihrem Projekt tung bereichern, je nach Thema und Ziel, mit Collective Furniture ein. Das Konzept beinhaltet unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: einen moderierten, öffentlichen Entwurfsprozess, bei dem ein interessiertes Publikum die Entstehung ei- nes Möbelstücks mitverfolgen, aber auch aktiv daran Offener und ehrlicher teilnehmen kann. Entscheidungen und Kompromis- Austausch se in der Entwicklung werden durch Diskussionen, Wahrheit und Transparenz in der Kommu- Abstimmungen sowie Workshops herbeigeführt, um nikation, mit einem Blick auf das Wohl der gewisse Vorgaben und Parameter immer weiter zu Gemeinschaft, haben oberste Priorität. verdichten – als zentrales Kommunikationswerkzeug Alle Diskussionen, bei denen es um die dafür dient eine Online-Plattform, die dadurch konti- Herausforderungen geht, vor denen unsere nuierlich von unterschiedlichen Leuten bespielt wird. Community steht, sollen öffentlich und frei sein. Meinungen und Informationen zurück- Das Projekt wurde von breadedEscalope entwickelt zuhalten, die für das Wohl der Community gut und nun mit der Neuen Wiener Werkstätte sowie wären, widerspricht dieser Regel. mit der Unterstützung von departure, dem Kreativ- zentrum der Wirtschaftsagentur Wien, durchgeführt – Gegenseitiger Respekt Ziel ist es, in einem rund einjährigen Prozess alle Unsere Handlungen und Worte sind getragen Schritte einer Produktentwicklung von der anfängli- von gegenseitigem Respekt. Die goldene chen Ideensammlung über die ersten Prototypen bis Regel ist unser Kompass: „Behandle andere hin zum serienreifen Produkt gemeinsam und mit so, wie du selbst behandelt werden willst.“ An diesen Grundsatz müssen wir uns halten und dem Einfluss der Community zu durchlaufen. uns gegenseitig durch offenes, konstruktives Feedback soweit es geht unterstützen.

Trend 03 Geist der Zusammenarbeit Unser gemeinsames Ziel ist, voneinander Sportevents – der Zuschauer als zu lernen und eine gemeinsame Wissens­ Teilnehmer ressource für das Eventbusiness aufzubauen. Innovation Der Gast wird nun auch bei Sportevents zum Hand- Wir sehen das Eventcamp als ein Lernlabor, lungsaktivisten. Wie auf vielen Märkten zu beobach- als einen geschützten Ort, um neue Ideen auszuprobieren und mit neuer Technologie zu ten ist, findet hier ebenfalls eine Wende statt: weg von experimentieren. der reinen Bespaßung oder passiven Berieselung, hin zur Einbindung und Partizipation. Dabei geht Vielfalt der Gedanken es weniger um eine bewegungsintensivere Teilhabe, sondern vielmehr um einen kreativeren Blickwin- Wir heißen gegensätzliche Standpunkte und ungewohnte Meinungen, die den Horizont kel. Sport wird zu Sportivity, denn Sport wird zur erweitern, willkommen. Die einzige schlechte Selbstverständlichkeit im Alltag. Das neue Lebens- Idee ist die, die nicht geäußert wird. gefühl der Sportivity krempelt die Freizeitmärkte um, 26

Kreativität gehört heute zum Fan-Alltag.

wobei es nicht nur um eine pro-aktive Haltung in gegen neue Chancen, sich über Kreativität und/oder Form von sportlicher Betätigung geht, sondern vor mutige Grenzüberschreitungen zu definieren. allem auch um eine co-aktive, in Form von Event- Teilnahme. Das neue Kreativwerden im (Sport-)Event­ bereich findet auf mehrdimensionalen Ebenen Das Sportevent hat sich schon lange vom kleinen statt. Das gilt besonders für den technologisch-in- Nischenereignis zu einem Massenphänomen ent- teraktiven Bereich. Ein Ansatz ist die Bereitstellung wickelt. Gerade die Europa- und Weltmeisterschaf- von Informations- und Kommunikationstools für ten der letzten Jahre im Fußball haben das deutlich mobile Endgeräte. FanCake vermischt die Sphären gemacht. Worauf es vielen angekommen ist, war die Sport und Gaming, indem die App Anwender dafür Teilhabe. Auch die, die sich sonst wenig für den Ball- belohnt, dass sie die Sportereignisse im Fernsehen sport interessieren, haben sich ihre Landesfahnen verfolgen. Gleichzeitig werden Zuschauer animiert, auf die Bäckchen gemalt und an einem großen, be- dabei aktiv zu werden, indem sie zum Beispiel auf Er- rauschenden Fest teilgenommen. Fußball war zu die- eignisse wie den Ausgang des Spiels oder auch Spiel- ser Zeit ein verbindendes Element, das die Menschen verstöße wetten. Prophezeit der User den Spielver- während des Public Viewings miteinander vernetz- lauf oder -ausgang richtig, erhält er FanCake-Credits, te und vorübergehend eine Identitätsfläche schuf. tippt er daneben, verliert er Punkte. Apps sind hierfür Unabhängig davon, ob der Zuschauer überhaupt eine Grundvoraussetzung. Affinität zu Sport hatte oder nicht. Die Konsumenten nehmen Sporthappenings zum Anlass, um zu feiern, Auch die Medien werden als multioptionale Platt- sich zu treffen, eine Gemeinschaft zu erleben – und form genutzt. Welcher Sport in seiner Eventisie- zunehmend auch, um sich kreativ auszutoben. rungsform kreative Auswüchse für andere Branchen mit sich bringt, zeigen nicht nur die sportindizierten Das bedeutet: Auch Sport wird unter dem Aspekt des Werbungen, wenn ein Spot für den Toyota Hybrid Unterhaltungsmotivs in Zukunft eine neue, erweiter- den Auftakt zur Bundesliga zum Anlass nimmt, um te Funktion als Kreativ-Happening enthalten. Der die beiden „Tatort“-Kommissare aus Münster drib- Zuschauer möchte sich auch hier direkt einbringen, beln zu lassen. Bereits zum elften Mal fand im Jahr partizipieren und mitgestalten. Diese Mitmach­ 2014 das internationale Fußballfilmfestival in Berlin mentalität stellt die Sportakteure vor neue Heraus- statt. 50 Kurz-, Spiel- und Dokumentarfilme rund um forderungen, denn sie verlieren nicht nur ihre Leit- den Ball wurden von dem Verein „Brot und Spiele“ funktion, sondern auch an Einfluss und Macht. Vor gesammelt und gezeigt. In den Cinemaxx-Kinos lau- allem die klassischen Großevents sind hier betroffen, fen Outdoor-Filmreihen unter dem Motto „Adrena- denn sie müssen besonders stark umdenken. Für all lin on the big screen“, und der ehemalige Chef des jene Sportarten, die neu sind und die sich daher we- Restaurants „Ikarus im Hangar-7“, Roland Trettl, hat niger über Medaillen und Erstplatzierungen in etab- gemeinsam mit 30 Sportlern ein „Athletenkochbuch“ lierten Sportsystemen konstituieren, liegen hier da- herausgebracht. 27 Foto: Realistic Shots , Abigail Keenan , CC0 , Abigail Keenan , Shots Realistic Foto:

Trendprognose

Der Gast ist durchaus Handlungsaktiver – nämlich in der Mitgestaltung des Erlebnisses. Er ist sekundärer Eventakteur, zum Beispiel indem er über die Nachfrage maßgeblich die inhaltliche Neugestaltung von Sportgroßver- anstaltungen der Zukunft mitgestaltet. Dies ist den Sportveranstaltern in vielen Bereichen noch längst nicht in aller Deutlichkeit klar, doch z.B. im Fußball lassen sich solche fande- mokratischen Entwicklungen schon deutlich ausmachen.

Eine neue Wir-Kultur hat sich etabliert; teilen, „sharen“, tauschen, Kollaboration und Ge- meinschaft – all das hat Konjunktur. Das „Wir“ steht hoch im Kurs, was sich in neuen, krea- tiven Event-Konzepten widerspiegeln wird. Denn Kreativität entsteht in Zukunft häufiger im „Wir“ und nicht im „Ich“. 28 Best Practices

Die Virtual-Reality-Brille „Oculus Rift“ gibt dem Spieler das Gefühl, direkt dabei zu sein 29 Foto: Flickr, Jonas Grimsgaard, CC-BY-NC-ND Jonas Grimsgaard, Flickr, Foto:

Die erweiterte Realität Event, Community Was künftig mehr und mehr zum und Sponsoring Tragen kommt, sind neue Formen Die Siebenkämpferin Christina der Hardware, die Partizipation neu Kiffe geht einen neuen Weg, der definieren. Für die Virtual-Reality- Event, Community und Sponsoring Brille „Oculus Rift“ hat der britische miteinander vereint: Crowdfunding. Netzbetreiber O2 mit „England Die Internetplattform Aurango.com Rugby“ ein 360-Grad-Spieleerlebnis wurde für Sportler wie Kiffe extra geschaffen, in dem sich der Spieler von einem Team aus ehemaligen als Sportler unter sein Team mischen Leistungssportlern sowie Marke- kann. Wearables geben dem Konsu- ting- und Onlinemarketingexperten menten ebenfalls das Gefühl, direkt gegründet. Athleten jeder Couleur dabei zu sein – und zwar über die können hier ihr Projekt starten. Kleidung. So übermittelt das „Alert Christina Kiffe hat ihr Ziel nur knapp Shirt“ dem Zuschauer über den zur Hälfte erreicht, andere Sportler Stoff, was der Spieler gerade fühlt. sind erfolgreicher. Dennoch ist das Zugrunde liegen Echtzeitdaten, die Modell ein Blick in die Zukunft der an eine App gesendet und von dort Finanzierung von Leistungs-, aber via Bluetooth an den Jerseystoff auch Vereinssport. Die Partizipati- übermittelt werden. onsmöglichkeit des Eventsportlers, also des Zuschauers und Fans, erreicht über diese Möglichkeit eine Air Sex Performance neue Qualität, wenn je nach Spen- densumme eine direkte Aktion mit Eine skurrile Form der Performance, dem Sportler, dem Team stattfinden die aus Japan stammt, ist das For- kann. Wer etwa das Kunstradteam ­mat „Air Sex“. Wer glaubt, Luftgitarre Lea Schaepe und Karoline Müller zu spielen sei albern, der hat noch mit 40 Euro unterstützte, bekam als nicht von dem Phänomen dieser Gegenleistung eine Fahrradtour mit Luft-Porno-Performance gehört. den beiden Studentinnen durch „ihr“ Erfunden hat es eine Gruppe von Potsdam. gelangweilten Single-Männern aus Tokio. Beim Air Sex geht es darum, zwei Minuten lang Sex mit der Luft zu haben. Es gibt nur wenige Regeln: Die Teilnehmer dürfen nicht nackt sein und keinen echten Orgasmus haben – eine parodistische Porno- Performance. Bald schwappte das Phänomen nach Amerika über: Die Kinokette Alamo Drafthouse hält alle zwei Monate Air-Sex-Veranstal- tungen ab und einmal jährlich eine Weltmeisterschaft.

www.airsexworld.com 30

Fan-Fiction Superhirne Zusammenhalt Editing Erlebnis Selbsterfindung Wir-Gefühl Sinnsuche Komplexität Diagramme Timeline Sharing Teammoderne HeldenInformationsdesign authentisch Storytelling Erlebnis Wir-Gefühl gemeinsame Identitäten Sharing Fotogeschichte03 Social-Media-Kanäle Diagramme Internet der Dinge Selbsterfindung Fan-FictionStreben nach Aufmerksamkeit ZusammenhaltEventseinzigartig der ZukunftIndividualisierung Editing Community hybride Gemeinschaften Superhirne erzählenZusammenhalt Editing Selbsterfindung Wir-Gefühl Sinnsuche KomplexitätGeschichtenDiagramme Timeline Sharing moderne Helden Informationsdesign authentisch Storytelling Erlebnis Geschichte gemeinsame Identitäten Sharing Fotogeschichte Social-Media-Kanäle Internet der Dinge Selbsterfindung Fan-Fiction Streben nach Aufmerksamkeit Zusammenhalt einzigartig Individualisierung Editing Community hybride Gemeinschaften Fan-Fiction Superhirne Zusammenhalt Editing Erlebnis Selbsterfindung Wir-Gefühl Sinnsuche Komplexität Diagramme Timeline Sharing Teammoderne HeldenInformationsdesign Sharing authentisch Storytelling Erlebnis Geschichte Wir-Gefühl gemeinsame Identitäten Sharing Fotogeschichte Social-Media-Kanäle Diagramme Internet der Dinge Selbsterfindung Fan-Fiction Streben nach Aufmerksamkeit Zusammenhalt einzigartig Individualisierung Editing Community hybride Gemeinschaften 31

Mehr als je zuvor suchen die Menschen nach dem Sinn im Leben. Laut einer Umfrage des Zukunftsinstituts trifft dies auf 72 Prozent der Österreicher zu (Quelle: Österreich 2025, Zukunftsinstitut/Karmasin). Das liegt vor allem an dem hohen Individualisierungsgrad unserer Gesell- schaft. Äußere Normen sind verschwunden. Heute haben wir so viele Möglichkeiten wie noch nie, das eigene Leben nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Diese Entwick- lung machte aus unserer Gesellschaft einen wahren Fli- ckenteppich von Individuen. Jeder einzigartig, jeder mit einer eigenen Geschichte, die es zu erzählen gibt.

Nun ist Sinnsuche jedoch nicht immer gleich etwas zu- tiefst Philosophisches, sondern widmet sich insbeson- dere Alltagsfragen und mündet in der wiederentdeckten Sehnsucht nach Gemeinschaft. Das erklärt, warum pa- rallel zur Individualisierung unserer Gesellschaft auch unser Wir-Gefühl zunehmend stärker geworden ist. Überall in unserer Gesellschaft klingt es heute nach „Wir“. Nach Zusammenhalt, dem Bedürfnis, mehr oder neue Gemeinschaft zu spüren, zu erzeugen. WIR teilen, WIR liken – und WIR hören zu.

Bereits 1979 prognostizierte der französische Philosoph Jean-François Lyotard das „Ende der großen Erzählun- gen“. Das Ende der von allen akzeptierten Grundannah- men einer Gesellschaft erlegt jedem auf, seine eigene „Story“ zu erzählen. Jeder Mensch und jedes Ding muss erklären, warum er bzw. es interessant oder gut ist. Die- ser Zwang zur Narration, zum Storytelling, ist einer der zentralen Treiber des Social-Media-Booms. Auf Face- book, Twitter und Co. definieren wir uns vermehrt über verbindende Geschichten und Erlebnisse, denn in Ge- schichten spiegelt sich das eigene Leben wider, sie die- nen als Projektionsfläche und emotionaler roter Faden. Gekonntes authentisches Storytelling gehört dement- sprechend zu den Events der Zukunft. 32

Das Zeitalter des Wir

Sprechen wir heute von Gemeinschaft, meinen wir nicht mehr alleine die Horte hochpersönlicher Bezie- hungen wie Familie oder Freundeskreis. In unserer Gesellschaft finden sich zunehmendhybride Ge- „ meinschaften, die sich offline und online vernetzen und auf den unterschiedlichsten (sozialen) Kanälen austauschen. Das „Wir“ ist zu einem hochrelevanten, Warte, bis du die breitenwirksamen gesellschaftlichen Trend gewor- Gesichter von den, der sich auf alle Teilbereiche der Gesellschaft auszuwirken beginnt. Überall finden sich vernetzte denen siehst, die Teams, Kollaborationen und Gemeinschaften. dachten, wir Menschen teilen Kleidung, Essen, Werkzeug – und wären erledigt. Geschichten.

Die Sache mit dem „Wir“ ist natürlich nicht neu. His- Alejandro González Iñárritu, torisch gab es schon immer Kooperationsformen und Birdman or the Unexpected Gemeinschaftskonstrukte. Was neu ist, ist der Schub, Virtue of Ignorance den Wir-Optionen durch die rein technologische Ver- netzung bekommen – und die Intensität, mit der wir Foto: Flickr, Julien Harneis, CC-BY-SA Julien Harneis, Flickr, Foto: 33

uns damit beschäftigen. Wer jetzt aber glaubt, dass und kann als erstes „Event“ in der Geschichte der das „Ich“ – und mit ihm der Megatrend Individua- Menschheit bezeichnet werden. Die Tradition des lisierung – passé ist, irrt. Das „Wir“ und das „Ich“ gemeinschaftlichen Geschichtenlauschens wurde sind keine Gegensätze. Vielmehr braucht das eine das später in Mitteleuropa durch Hexen, Minnesänger, andere, um sich auszubilden und zu entwickeln. Das Troubadoure und Hofnarren fortgesetzt – jeweils mit „Wir“ gibt dem Flickenteppich von Individuen eine ihren eigenen Mitteln wie Musik und Komik, aber gewisse Struktur und bringt – unabhängig von sozi- immer mit dem Ziel, ihren mühsam erworbenen Er- alen Gebilden wie Religion, Stand oder Familie – zu- fahrungsschatz weiterzugeben, Mythen zu kreieren, sammen, was zusammengehört. Innerhalb des „Wir“ Wissen zu vermitteln und eine Verbindung zwischen kann sich das Individuum trotzdem frei entwickeln. gestern und morgen herzustellen.

Hinter den neuen konnektiven Organisationsformen Jedes Erlebnis, das heißt jede Geschichte, ist eine steht ein emotionales Bedürfnis: Es gibt eine tiefe Reizwirkung, die im menschlichen Gehirn physiolo- Sehnsucht nach gemeinsamen Identitäten und gische Spuren in Form von andauernden strukturel- nach einer Kultur, die Beziehungen schafft. Dieses len Änderungen hinterlässt. Die Gesamtheit dieser neu erwachende Vergemeinschaftungsbedürf- Spuren, auch „Engramme“ genannt, von denen nis kann von Handel und Industrie wie auch von der Milliarden im Gehirn vorhanden sind, ergeben un- Eventbranche gar nicht ernst genug genommen wer- ser Gedächtnis. Somit sind wir die Summe unseres den. Sich in der Gemeinschaft selbst wiederzufinden Erlebten. Das war schon immer so, doch unser Be- und nach Identitäten zu suchen, die über das eigene wusstsein hat sich signifikant weiterentwickelt. Ich hinausgehen, wird zu einem zentralen Trend in der Gesellschaft. Wir wollen zusammen feiern, zu- Laut dem Soziologen und Ökonomen Jeremy Rif- sammen Geschichten erzählen – zusammen erleben. kin waren unsere Vorfahren der mündlichen Kultu- ren von einem mythischen Bewusstsein geprägt. Mit Vom ersten Event der Schrift fand später das theologische und mit dem Buchdruck schließlich das ideologische Bewusstsein Einst versammelte der Mensch sich nach getaner in unsere Köpfe. Mit der Erfindung der Elektronik Arbeit im Kreis um eine Feuerstelle, und alle lausch- wandelte sich unser Bewusstsein erneut hin zu einer ten – gewärmt von den Flammen in ihrer Mitte – den psychologischen Geisteshaltung. Mit Megatrends wie Geschichten, die jemand erzählte. Diese Erzählun- Globalisierung und Individualisierung fand ein gen erlaubten es den Menschen, die Welt besser erneuter Wandel unserer Psyche statt. Mit der zuneh- zu verstehen. Oft war einer unter ihnen besonders mend vielfältigeren und komplexen Welt verlieren gut darin, die Phänomene des Lebens zu deuten: ein wir die Übersicht und Orientierung. Das lässt uns zu Medizinmann oder ein Heiler. In manchen Kulturen unseren Wurzeln zurückkehren. wurde er Schamane genannt, was vom Wortursprung her gesehen „der mit Feuer umgeht“ heißt. Archäo- Unter Berücksichtigung der vorherigen Entwicklun- logische Ausgrabungen weisen darauf hin, dass es gen sehnen sich unsere „Superhirne“ wieder nach bereits vor mindestens 30.000 Jahren Schamanen mehr Ordnung, nach mehr Dramaturgie, nach mehr gab. Neben ihrer medizinischen Tätigkeit erzählten Sinn in unserem Leben. Der Wertewandel von der sie Geschichten von der diesseitigen und jenseiti- hedonistischen Kultur der 1970er- und 1980er-Jahre gen Welt, von beseelten und unbeseelten Dingen. über die LOHAS-Kultur der 1990er bis hin zur heu- Das Geschichtenerzählen am Lagerfeuer war für tigen, hochgradig individualisierten und global ver- alle Beteiligten eine ganz besondere Veranstaltung netzten Wir-Kultur dokumentiert dies eindringlich. 34 Foto: Unsplash, Jordan McQueen, CC0 McQueen, Jordan Unsplash, Foto:

Geschichtenerzählen im digitalen geteilt), „geliked“ (für gut befunden) und „kommen- Zeitalter tiert“. Der individuelle Selbstfindungsprozess ist ei- ner dauerhaften medialen Selbstinszenierung Im Jahr 2015 sind wir dauerhaft miteinander ver- gewichen. Diese Art des Identitätsmanagements bunden, wenn wir das wollen. High-Speed Inter- gründet auf einer Ansammlung von Narrationen in net Access, hohe Bandbreiten, mobile Endgeräte, Text sowie (bewegtem) Bild. Bezeichnend dafür ist eine Vielzahl von Apps und das Internet der Dinge, die Facebook-Timeline: Geschichten, Ereignisse und also Vernetzung über diverse Produkte, gehören für Events werden dem eigenen Lebensstil angepasst immer mehr Menschen zur Grundausstattung. In und möglichst spannend aufbereitet bzw. in Szene Zukunft wird das Internet uns auch dann mit dem gesetzt. Man will ja schließlich Eindruck im sozialen Rest der Welt verbinden, wenn wir gar nicht „online Raum hinterlassen. Die damit verbundene Kommu- gehen“ – weil wir immer schon „online“ sind. In ei- nikation setzt auf permanente Informationen, die nem solch komplexen Kommunikations- und In- weniger das Mitteilen als das Teilen („Sharing“), im formationsumfeld kommen wir via Google, Social- Sinne von Teilhaben, propagieren. Media-Kanäle und Communitys immer schneller an Jean-François Lyotard sollte mit seiner These vom Informationen heran – werden von ihnen oft sogar „Ende der großen Erzählungen“ Recht behalten. Die regelrecht überschüttet. Dabei wird unser Streben Zeiten, in denen wir einem Auserwählten am Lager- nach Aufmerksamkeit zum wichtigen Gut der Infor- feuer lauschten, sind vorbei. Heute ist ein jeder von mationsgesellschaft. uns ein Geschichtenerzähler und Medienproduzent. In medialen Erzählräumen erscheint keiner mehr auf Mit der Digitalisierung erfährt auch das traditionel- seine eigentliche Rolle beschränkt. Ob Erzähler, Pro- le Geschichtenerzählen eine Renaissance. Und für das duzent oder Rezipient – jeder vermag jede Position zu Storytelling ergeben sich neue Plattformen und Mög- übernehmen. Diese neue „Schwarm-Kreativität“ lichkeiten. Vor allem die spannenden Erzählstränge des Erzählens ist verantwortlich für „Fan-Fiction“, rücken jetzt verstärkt in den Mittelpunkt. Nur derje- „Gamification“ oder „Crowd Poetry“. Wir erzählen nige, der in , auf Twitter, Facebook und Co. die zusammen Geschichten. Wir gestalten unser Event beste Geschichte erzählt, wird „retweeted“ (weiter- zusammen. 35 Foto: Flickr, Patrik Nygren, CC-BY-SA Nygren, Patrik Flickr, Foto:

Mit dem Boom der sozialen Medien wuchs auch die ne Grenzen geht.“ Das ist die Story von „Birdman Or Zahl der Fotogeschichten und -montagen, die immer (The Unexpected Virtue of Ignorance)“. Ganz gleich häufiger Texte ersetzen. Der stetig wachsende Erfolg ob Riggan nur mit weißen Unterhosen bekleidet über von Instagram (instagram.com) als „Social Photo- den Broadway läuft und damit innerhalb von nur we- graph“ zeugt davon. Wie beim Text hat der Erzähler nigen Sekunden zum Internetstar avanciert oder als auch hier die Möglichkeit, mithilfe eines Filters das „Birdman“ durch die Häuserschluchten New Yorks Bild seiner Intention entsprechend anzupassen. Das fliegt, die Grenzen zwischen Realität und Fantasie kommt geradezu einem kuratorischen Akt gleich. sind fließend. Immer wieder geht es in der Geschichte Ähnlich verhält es sich bei den Youtube-Videos: Hier um die Frage nach dem Sein und Schein. wird die Geschichte über Bewegtbilder erzählt. Über Schnitt und Montage, das sogenannte „Editing“, kön- Daneben greift Regisseur Alejandro González Iñárritu nen filmische Narrationen adaptiert werden. immer wieder die Frage auf, wo Kunst aufhört und das Leben anfängt. Wie weit muss man als Künstler – hier Letztlich lässt sich über nahezu alle Social-Media- als Schauspieler – gehen und was muss man aufge- Kanäle Storytelling betreiben, ob über Erfahrungsge- ben, um beachtet und respektiert zu werden? schichten oder Aggregationen. Einen besonderen Reiz erhält die Geschichte durch Von Helden und guten Geschichten die unübersehbaren biographischen Bezüge zwi- schen der Figur des Riggan Thomson und dem Dar- steller Michael Keaton. Wie auch sein filmisches Wie wäre es mit dieser Geschichte? „Einst verkörperte Abbild spielte Keaton in den 1990er-Jahren einen Riggan Thomas einen ikonischen Superhelden, doch Superhelden. Als Batman wurde er gefeiert, bevor er heute gehört er zu den ausgedienten Stars einer ver- vollends in der Vergessenheit verschwand – nur um gangenen Ära. Um sich selber und allen Kritikern zu dann als „Birdman“ das „Comeback des Jahrhun- beweisen, dass er es noch immer drauf hat, versucht derts“ (so titelte das US-Magazin Variety) hinzulegen. er in seiner Verzweiflung ein Broadway-Stück auf die 2015 wurde der Film mit vier Oscars und zwei Golden Beine zu stellen. Er schafft es, indem er weit über sei- Globes ausgezeichnet. 36

Der Held macht eine Reise voll von Hindernissen, auf Kurort Bad Schönau wieder in eine märchenhafte der er, nach vielen Kämpfen, am Schluss etwas Beson- Bühnenlandschaft. Vom klassischen Erzähler, Clow- deres erringt – den goldenen Ring, die schöne Frau nerie, Akrobatik und Tanz bis zu Musik, 30 der welt- oder den Sieg zum Wohl der Menschheit. Das ist die besten Erzählkünstler erzählen hier ihre Geschich- Essenz einer guten Geschichte. Sportveranstaltun- ten. Daneben erwarten den Besucher Köstlichkeiten gen waren schon immer eine solche Heldenreise. von den Genusserzählern – wahrhaft ein Festival für Die Zuschauer können beim Anblick von gestählten alle Sinne! Gladiatoren, die auf dem Weg zum Sieg zahlreiche www.fabelhaft.at Hindernisse überwinden, entspannen. In Sportarten wie Fußball oder Skispringen funktioniert dieses Sto- →→ In den USA sind die Storytelling-Events mitt- rytelling hervorragend. Die Medien erzählen die Ge- lerweile so zahlreich, dass sie – nach Bundesstaaten schichte vom kleinen „Wunderkicker“ aus den Slums und Städten sortiert – auf einer eigenen Website auf- oder vom „Überflieger“, der von den Mädels beinahe geführt werden (www.callofstory.org/en/resources/ als Popstar verehrt wird. Das entscheidende Tor und events.asp). Als Highlight gilt dabei, wenn das Nati- der finale Sprung sind der Höhepunkt der Story. Hier onal Storytelling Network zur weltweiten Nacht der schlägt das Herz schneller und hier wird „Geschichte Erzählkunst aufruft. geschrieben“. www.tellabration.org

→→ Jeder hat seine Grenzen. Nicht jeder akzeptiert Der sich weiter verstärkende Trend des Storytelling sie: Der 43-jährige gebürtige Salzburger Felix Baum- sorgt aber nicht nur für Zulauf bei Festivals, son- gartner ist ein Mann der Superlative. So überquerte dern er erfasst jedes Event. Künftig haben poten- er zum Beispiel im Gleitflug den Ärmelkanal von Do- zielle Gäste immer stärker das Bedürfnis nach einer ver nach Calais und sprang von den spektakulärsten erlebten Geschichte. Deshalb muss das Event selbst Spots und höchsten Gebäuden der Welt, wie etwa der eine werden. Dass auch die Kulisse oder eben der Ort Christusstatue in Rio de Janeiro oder dem Petronas des Events maßgeblich zur Erzählung beiträgt, stellt Tower in Kuala Lumpur. Mit seinem Stratosphären- Eventlocations in Zukunft vor eine neue Herausfor- Sprung am 14. Oktober 2012 machte er sich endgül- derung. Ein hohes Maß an Wandelbarkeit und Ge- tig zur Legende. Im freien Fall durchbrach er als erster staltungsraum ist Voraussetzung für eine gekonnte Mensch die Schallmauer und stellte gleich noch zwei Inszenierung. Weltrekorde für die „höchste bemannte Ballonfahrt“ bzw. den „höchsten Absprung“ auf. Unter „Red Bull Am eigenen Körper erleben Stratos“ begleitete Red Bull ihn bei der Vorbereitung und setzte den Sprung medial meisterlich in Szene – schöner kann man heutzutage (Helden-)Geschichten Der demographische Wandel und der Umgang mit kaum erzählen. dem Älterwerden zählen zu den wichtigsten tages- www.redbullstratos.com politischen Themen und Herausforderungen un- serer Gesellschaft. Menschen werden immer älter. →→ Auch die Erzählkultur, als reinste Form der 2030 wird rund ein Drittel der Bevölkerung in den Weitergabe von Geschichten, erlebt ein unglaub- Industrie­ländern über 65 Jahre alt sein. Doch wie wird liches Revival. Zu den Trendsettern der neuen Er- das Leben im Alter aussehen? Menschen setzen Alter zählkultur gehört das Festival fabelhaft! in Nieder- gerne mit dem Verlust an Aktivität und Attraktivität österreich. Auch 2015 verwandelt sich der idyllische gleich. Viele haben Angst und sind verunsichert. 37 Foto: Flickr,Benoit Duchatelet, CC-BY Duchatelet, Flickr,Benoit Foto:

Felix Baumgartner: die moderne Heldengeschichte, von Red Bull perfekt inszeniert 38 Foto: Kay Herschelmann Kay Foto:

Senior-Guides erklären bei der Ausstellung „Dialog mit der Zeit“, was Älter-Sein bedeutet 39

Formel für gutes Informations- design

Die Geburtsstunde des Diagramms: The Commercial and Political Atlas, William Playfair, 1786

→→ Das Museum für Kommunikation in Frankfurt Visuelles Geschichtenerzählen am Main hat sich mit dem Thema Alter auseinander- gesetzt und eine wundervolle Ausstellung mit dem Hirnsausen durch Reizüberflutung – so könnte man Titel „Dialog mit der Zeit“ geschaffen. Im Mittel- den Allgemeinzustand der Mitglieder unserer Gesell- punkt dieser Ausstellung steht die Aufklärung über schaft beschreiben, die Tag für Tag unzählige Eindrü- die Bedürfnisse der älteren Menschen. Wer jetzt je- cke verarbeiten müssen. Und die es sich am Abend doch Führungen durch Räume voller Informationen vor dem Fernseher gemütlich machen, um durch erwartet, der irrt. Das Konzept hinter der Ausstellung noch mehr (weitestgehend sinnlose) Informationen ist spielerisch und interaktiv. Jede Führung wird das Hirn auf ein gefühltes Nulllevel herunterzufahren. jeweils von einem Senior-Guide gemacht, der den Es kommt zum Information Overflow. Besucher in seine Welt mitnimmt und Antworten auf Fragen wie „Was sind die Herausforderungen des Äl- Doch an dieser Stelle ändert sich gerade etwas. Die terwerdens?“ oder „Welche Möglichkeiten und Chan- Kreativen unter den Wissensarbeitern haben keine cen habe ich, das eigene Leben zu gestalten – jetzt und Lust mehr, sich mit täglicher Unlust der Informations- in Zukunft?“ gibt. Daneben gibt es Räume, in denen flut zu stellen, und etablieren ein neues Level, eine Art man das Alter am eigenen Körper erfahren kann: Wie Metaebene der Information. In Informationsgrafi- fühlen sich Menschen, die nicht mehr gut hören oder ken wird auf wenig Platz verarbeitet, was ansonsten sehen können oder mit einem Tremor einen Löffel eine Unmenge an Platz in Anspruch nimmt. Hierzu halten müssen? Die Ausstellung ist ein wahres Erleb- ein Beispiel, das wir alle kennen: 39473822349. Ir- nis für Körper und Geist. Sie soll Denkanstöße geben gendeine Zahl, möchte man meinen. Aber schon und verschiedene Generationen zu einem Perspekti- kleine Ergänzungen machen aus der Zahl die Telefon- venwechsel anregen sowie das Potential, das im Alter nummer +39 (473) 822 349 in Marlengo, Italien. Die liegt, offenlegen und damit all denen als Katalysator wenigen Zeichen „formen“ die rohe Information so, dienen, die das Alter fürchten. dass unser geschultes Auge den Sinn und Zweck der www.dialog-mit-der-zeit.de Nummer sofort erkennt. Die Form erzeugt den Inhalt 40

oder, anders gesagt, komplexe Informationen werden Die Industrie der Geschichtenzeichner durch Formgebung dem menschlichen Bewusstsein schmackhaft gemacht. Meistens geschieht dies durch Aus der Informationsgrafik ist im Lauf der Zeit eine grafische Hilfsmittel wie Balken- und Kuchendia- ganze Industrie der „Geschichtenzeichner“ entstan- gramme etc. Doch diese zeigen nie das ganze Bild, den, und heute kommt fast kein Medium mehr ohne sind oft unterkomplex und nicht selten aus dem Zu- Informationsdesign aus. Die neuesten Grafikergüsse sammenhang gerissen. Daraus ergibt sich eine neue werden gerne im Stil von Pin-up-Girls präsentiert: Aufgabenstellung: Komplexität auf bezaubernde vollflächig auf einer Seite, bunt und glänzend, groß- Weise in Bilder zu verwandeln, die zu Erkennt- artig. Jedes Bild ist ein Erlebnis, ohne das man später nissen führen. Heute ist dies notwendig, zumal ohne nicht mehr leben möchte. diese Metaebene alle Informationen der Welt unver- wendbar vor uns liegen würden. Unser Gehirn würde →→ Wired, das Vordenkermagazin, nennt in seiner erschlagen durch das Zuviel. Mittels Infodesign be- US-Ausgabe eine ganze Rubrik „Infoporn“. Die New kommen nackte Fakten ein Gesicht und Informatio- York Times hat eigens zur Visualisierung von Da- nen erhalten den Eindruck von Geschichten. ten eine Task Force eingerichtet. Das Innovation Portfolio Team entwickelt intuitiv verständliche, in- Storytelling ist die große Kunst, die jeder erlernen teraktive Grafiken, die sich mit den verschiedensten muss, der einem Publikum komplexe Inhalte vermit- Themen beschäftigen (www.nytinnovation.com). In teln möchte. Und genau das sind die Variablen der Deutschland widmet sich vor allem DIE ZEIT Info- Formel des Infodesigns. design: Sie veröffentlicht jede Woche neue Infografi- ken zu tagesaktuellen Themen – immer auf mindes- Als Geburtsstunde der modernen Informations- tens einer ganzen ZEIT-Seite! Alles, was gerade im grafiken wird häufig das Jahr 1786 genannt, in dem öffentlichen Diskurs besprochen wird, erhält sofort William Playfair „The Commercial and Political eine eigene „Deutschlandkarte“, wie zum Beispiel Atlas“ veröffentlichte. In diesem Buch finden sich „Wer X wissen will, muss nach Y fahren“ oder „Wo bereits die Infoporn-Klassiker: Kuchen-, Balken- und der Nerd zuhause ist“ (www.zeit.de/themen/serie/ Liniendiagramme. Die Wirtschaft Englands im 18. index?q=deutschlandkarte). Jahrhundert wurde somit als erste komplexe Informa- tionsmasse leichter verständlich und übersichtlich Diese Form des Bildchenzeigens ist Information und aufbereitet. All diese Tools – Diagramme, Histogram- Unterhaltung zugleich. Die Schnittstelle ist kaum me oder auch Karten – mussten jedoch mit Legen- wahrzunehmen. Der Begriff des Edutainment ist den oder weiteren Erläuterungen versehen werden, hier mehr als berechtigt. um „lesbar“ zu werden. Erst mit der Entwicklung der „Chernoff-Gesichter“ 1973 durch den Amerikaner Herman Chernoff gab es die ersten „selbstredenden“ Informationsgrafiken. Chernoff bezog sich dabei auf die ausgeprägte Fähigkeit aller Menschen, kleinste Unterschiede in der Mimik äußerst schnell zu deuten bzw. zu verarbeiten. Die von den Daten abhängigen Gesichtsausdrücke können so wesentlich schneller von Menschen erfasst und verarbeitet werden als Zahlentabellen. 41 Foto: Flickr, TEDxSydney, Vincenzo Amato, CC-BY-NC-ND Amato, Vincenzo TEDxSydney, Flickr, Foto:

Trendprognose

Im digitalen Zeitalter besteht kein Mangel an Kommunikation. An der erzählerischen Kom- petenz schon eher. In der Ära des Wir fühlen wir uns alle zum Geschichtenerzähler berufen. Wir kreieren Geschichten zunehmend im Kollektiv. Für die Eventbranche bedeutet das, neben dem Individuum auch das Wir nicht zu vergessen. Social-Media-Kanäle bieten ferner eine groß- artige Plattform, um gemeinsam Geschichten zu schreiben und zu verbreiten. Events werden im Kollektiv erarbeitet und entsprechend den eigenen Vorstellungen und Wünschen gestal- tet. 42 Best Practices Foto: Flickr, Vincent Tam, CC-BY-ND Tam, Vincent Flickr, Foto:

Deutsche Cosplay-Meisterschaft Cosplay ist die Abkürzung des eng- lischen „costume play“ und stammt aus der japanischen Popkultur. Bei diesem Kostümrollenspiel schlüpfen die Teilnehmer in ihre Lieblingsfigur aus Comic oder Filmen und ver­ körpern sie möglichst originalgetreu in allen Facetten. In Deutschland gibt es schon lange eine große Fan-­ gemeinde, die zuerst aus dem Manga- und Anime-Boom der 90er Jahre entsprang. Mittlerweile finden auch häufig Cosplays zu Filmklas- sikern wie „Herr der Ringe“ oder sogar Computergames wie „League of Legends“ statt, wo die Teilnehmer in Wettbewerben gegeneinander antreten. Zum Finale der Deutschen Cosplay-Meisterschaft finden sich alle „Cosplayer“ im Oktober im Rahmen der Frankfurter Buchmesse zusammen.

www.dcm-cosplay.de 43 Foto: Flickr, Carrotmob Köln, CC-BY-ND Köln, Carrotmob Flickr, Foto:

Event mit Message: der Carrotmob findet weltweiten Anklang

Storytelling Salon Storytelling 2.0 Carrotmob Frankfurt Der Storytelling Salon ist ein Erzähl- Mit der „/answers“-Kampagne Menschen, die sich an einem abend im Rahmen des Black History demonstrierte Siemens, dass Storys Carrotmob beteiligen, belohnen Un- Month (BHM). Erstmals 1926 in den sprichwörtlich auf der Straße liegen. ternehmen, die sich für eine Verbes- USA initiiert, findet der BHM heut- Die Kampagne besteht aus mehreren serung ihrer Klimabilanz einsetzen. zutage weltweit jährlich im Februar Kurzfilmen, die von renommierten Das Unternehmen, das sich im statt. Seit 1990 auch in Deutschland. unabhängigen Dokumentarfilmern Bieterwettbewerb mit dem höchsten Ziel der Veranstaltung ist es, die gedreht wurden. Siemens setzte Umsatzanteil für klimafreundliche Geschichte sowie die kulturelle, wirt­ dabei auf Authentizität und Un- Maßnahmen durchsetzt, wird von schaftliche und gesellschaftliche derstatement pur. Anstelle des der Masse des „Buykott“-Flashmobs Leistung schwarzer Menschen ins Unternehmens steht in jedem Film unterstützt. Die Menschen werden Gedächtnis zurückzurufen. Und der Mensch und seine Geschichte im aufgerufen, in dem jeweiligen über Geschichten Lebenserfahrung Mittelpunkt. So sind über 50 thema- Unternehmen einkaufen, essen und Wissen zu vermitteln, aber tisch völlig unterschiedliche Filme oder tanzen zu gehen, um dieses zu auch Denkprozesse anzuregen und entstanden (mal ging es um die belohnen und positive Anreize für Hoffnung zu spenden. Um die Zeit- Alzheimerforschung in Kolumbien, andere Unternehmen zu setzen. Die geschichte möglichst vielfältig und mal um gemeinnützige Gärten in der Aktion kommt aus den USA, nach authentisch zu beleuchten, wird bei New Yorker Bronx), in denen echte dem Prinzip „carrots and sticks“, zu der Veranstaltung der afrikanischen Geschichten von echten Menschen Deutsch „Zuckerbrot und Peitsche“, Tradition der Oral History, der münd- erzählt werden. Am Ende jedes Films und hat sich mittlerweile weltweit lichen Weitergabe von Geschichte, schlägt dann lediglich ein nüchterner verbreitet. gefrönt. Erklärtext die Brücke vom Inhalt des Films zum Unternehmen. Die Filme carrotmobfrankfurt.de isdonline.de erfreuten sich schnell einer großen Beliebtheit bei Filmkritikern sowie in den sozialen Medien und wurden schon vielfach ausgezeichnet.

www..com/user/answers 44

Selbstverständnis kollektive Emotionen Tiefe Entfaltung Multigrafie Werte Ermächtigung Glück Smart Mob Sinn Richtung Geschichte Tiefe Swapping Schöpfung Überblick Vision Orientierung einmalig Transzendenz AchtsamkeitAnti-Alltag kollektive Emotionen FlashmobUrban04 Farming Mehrwert Helden Entfaltung Selbstverständnis Multigrafie Selbstverständnis kollektive Emotionen EntfaltungMultigrafieDas EventWerte Ermächtigung Smart Mob Sinn Richtung Geschichte Swapping derSchöpfung Zukunft Überblick Orientierung einmalig Transzendenz AchtsamkeitAnti-Alltagbraucht kollektive Emotionen FlashmobUrbanVisionen Farming Mehrwert Helden Entfaltung Selbstverständnis Multigrafie Selbstverständnis kollektiveTiefe Emotionen Entfaltung Multigrafie Werte Ermächtigung Smart Mob Sinn Richtung Geschichte Tiefe Swapping Schöpfung Überblick Vision Zusammen Orientierung einmalig Transzendenz AchtsamkeitAnti-Alltag kollektive Emotionen Flashmob Urban Farming Mehrwert Helden Entfaltung Selbstverständnis Multigrafie Selbstverständnis Tiefe kollektive Emotionen Entfaltung Multigrafie Werte Ermächtigung Glück Smart Mob Sinn Richtung Geschichte Tiefe Swapping Schöpfung Überblick Vision Zusammen Orientierung einmalig Transzendenz Achtsamkeit Anti-Alltag kollektive Emotionen Flashmob Urban Farming Mehrwert Helden Entfaltung Selbstverständnis Multigrafie Tiefe Swapping Schöpfung Überblick Vision 45

Zukunft zu gestalten bedeutet, sich in der Gegenwart für eine Richtung zu entscheiden. Die Vielfalt an Optionen macht dies jedoch nicht einfach. Deshalb sind echte Vi- sionen wichtig, denn durch sie können konkrete Vorstel- lungen über Zukunftsbilder generiert werden, die wie- derum Resonanz erzeugen.

Events können zu langfristigen, nachhaltigen Verände- rungen beitragen, zumal Visionen durch die Euphorie des Events Wirklichkeit werden. Die Frage lautet daher: Wel- ches Bild der Zukunft möchten wir durch dieses Event verstärken? Das als relevant empfundene Ereignis wird außerdem zum Distinktionsmerkmal im unübersichtli- chen Optionen-Dschungel.

Kooperation, Zusammenkunft, Visionen und Sinnhaf- tigkeit sind die Parameter der neuen Idee von sozialen Events. Denn: „Dass die Menschen besser als ihr Ruf zu sein scheinen, ist nur eine der wichtigen neuen Erkennt- nisse, die es in unser Menschenbild und unsere Institu- tionen einzugliedern gilt“ (Manfred Spitzer). 46

Trend 01

Übergeordnete Zusammenhänge stiften Sinn

Die Suche nach individueller Entfaltung steht künf- tig in engem Zusammenhang mit der Suche nach ei- nem übergeordneten Sinn. Die massive Einwirkung des Megatrends Individualisierung auf alle Berei- che der Gesellschaft in den letzten Jahren hat einen weitreichenden Wandel bewirkt und zu einer starken Fragmentierung geführt. Biografien wurden zu Mul- tigrafien, Normen lösten sich auf und wurden neu interpretiert, mögliche Familienstrukturen erweitert, der Ruhestand zum Unruhestand, das Job-Umfeld massiv verändert. Die Folge: Unser Lebenslauf findet heute in Schleifen statt.

Befürchtungen einer egogetriebenen Hyper-Kon- sumkultur wurden besonders in den 90er Jahren immer wieder laut, haben sich aber nicht bestätigt. Im Gegenteil. Seit die Wirtschaftskrise gehörig am Selbstverständnis und an den Welterklärungsmodel- len westlicher Industrienationen gerüttelt hat, hat 47 Foto: Flickr, Marc Smith, CC-BY Smith, Marc Flickr, Foto:

Visualisierung eines Twitter-Netzwerks, Marc Smith

sich auch das kollektive Mindset verschoben. Spätes- Eventveranstalter müssen in Zukunft auf dieses gestei- tens seitdem gelten individuelles Entfaltungsstreben gerte Bedürfnis eingehen. Der Gast sucht immer we- und größtmögliche Regelfreiheit nicht mehr als allei- niger nach einem eindimensionalen Gebrauchswert. niger Königsweg, sondern auch als Gefahr dafür, dass Vielmehr sind Produkte und Dienstleitungen mit Tief- das individuelle Handeln zur Entkopplung sozialer gang erwünscht, die ideelle Werte versprechen, eine Verantwortung führen kann. Unsere Interpretation Richtung geben und das eigene Tun in einen größeren vom eigenen „guten Leben“ hat sich weg von einem Zusammenhang stellen. Dabei muss der Spaßfaktor hedonistischen Zugang, hin zu einer umfassenderen nicht zu kurz kommen; wer aber nicht noch zusätzli- Sichtweise wandelt. chen Mehrwert bietet, kann zwar kurzfristige Freude bereiten, aber keine Vision kreieren. Hinzukommt, dass uns unser Leben in der Multi- Zusammenhang entsteht auch über die Einbet- optionsgesellschaft bruchstückhaft erscheint und tung einer Veranstaltung in den passenden Ort. Das deshalb das Bedürfnis nach Kohärenz, nach Zusam- Münchner Oktoberfest wird mittlerweile weltweit menhängen, wächst. Das Bedürfnis nach Visionen. kopiert, aber trotzdem pilgern jedes Jahr Menschen- Nach einem bestimmten Blick auf die Welt, einem massen aus aller Welt in die bayerische Hauptstadt, Überblick. Denn für die meisten Menschen bedeutet um das Gefühl zu haben, Teil eines ortsspezifischen das Leben in einer globalisierten Multioptionsgesell- Brauchtums zu sein. Die Werte und die Tradition schaft auch einen Verlust des Überblicks. eines Ortes können eine maßgebliche Wirkung auf den ideellen Charakter eines Events haben. Ein gutes Event stellt diesen Überblick zumindest punktuell wieder her, indem es Zusammenhänge auf- Schöpferische Orte nutzen zeigt, die blinden Flecke des detailgetriebenen Exper- tentums unserer Zeit. Denn: Je mehr Detailwissen wir Gerade für Österreich ist es entscheidend, die Kom- aufbauen, umso schwieriger wird das Erkennen von bination aus globalen Möglichkeiten und lokalen Sinn, von Zusammenhängen und Mustern. Stärken auch wirklich zu nutzen, indem ortsbezo- 48

gene Eigenschaften mit den Kommunikations- und Event hinaus, in den Alltag der Gäste hinein. Dem- Zusammenarbeitsstrukturen der globalen Wirtschaft nach braucht jede Feier, jeder Kongress und jede verbunden werden und somit eine globale Reichweite Messe eine Ebene, die über das Produkt hinausgeht. mit der regionalen Ebene verknüpft wird. Denn wer künftig keine relevante Dimension bietet, wird selbst als nicht relevant erlebt. Konsumenten →→ International denken, lokal handeln. Vor- suchen nach mehr als dem schnellen Erlebnis. Statt- arlberg macht es mit seiner dichten Szene für Design dessen werden sie Produkte und Dienstleistungen in und neue Architektur vor. Weltweit gilt das Ländle als Anspruch nehmen, die eine oder mehrere der folgen- Vorreiter der modernen Holzarchitektur. Die jünge- den fünf Ebenen bedienen: re Geschichte der Region gibt Antwort auf die Frage nach dem Grund dieser Entwicklung: Durch die in- tensive Textilindustrie, die sich um den Bodensee 1. Werthaltigkeitsebene herum gebildet hat, war Vorarlberg immer schon Das Event besitzt einen ideellen mit Mode, Design und internationalen Kreativen in Charakter und stellt damit Kontakt. Nach dem Niedergang der Textilindustrie in Österreich blieb dem Ländle die kreative Kultur erhal- etwas besonders Wertvolles dar ten. Zusammen mit der heimischen Handwerkskunst bildete sich daraus eine unwiderstehliche Symbiose aus Bau und Design. Und diese zieht Menschen aus →→ Beispiel: Guerilla Gardening dem In- und Ausland gleichermaßen an. Ein Fak- Sie sind bewaffnet mit kleinen Schaufeln, Blumen­ tum, das in Form eines bunten Programms von un- samen und Zucchini-Setzlingen. Die Guerilla-Gärt- terschiedlichen Events ständig erneuert wird. Das ner haben es sich zum Auftrag gemacht, die Städte Design­forum Vorarlberg organisiert Workshops dieser Welt grüner, essbarer und gemeinschaftlicher und Vorträge, die auch für branchenfremde Gäste zu machen. Im Urbanismus gilt Urban Farming als zugänglich sind. Themen wie „Service-Design…? Hi- das nächste große Ding. Ziel ist eine Stadt, die sich nein in die Schuhe des Kunden“ oder Design-Pecha- selbst ernährt. Das zeigt sich an vielen Stellen: Zu- Kucha-Nächte werden regelmäßig vom Designforum nächst wurde der Schrebergarten wiederentdeckt. Vorarlberg angeboten. Nun wird der Dachgarten zum kollektiven Stecken- www.designforum.at pferd. Im urbanen Raum entstehen gemeinschaftli- che Gartenprojekte wie der Berliner Prinzessinnen- →→ Auch die Internationale Messe an der garten oder die City Farm Schönbrunn in Wien. Schnittstelle von Design, Kunst und Mode, die In Hochhäusern gedeihen riesige Themengärten. Bei Artdesign in Feldkirch, lockt jedes Jahr knapp 8000 der Eroberung des öffentlichen Raums steht Gue- Besucher aus dem In- und Ausland nach Vorarlberg. rilla Gardening als Trend neben Interventionen Messedirektorin Maya Kleber sieht die Messe als wie Flashmobs oder Guerilla Knitting. Der Brite wichtiges Aushängeschild der Region, denn sie „be- Richard Reynolds, Autor des Buches „Guerilla Gar- tont den hohen Stellenwert von Kunst, Kultur und dening“, sieht in der Bewegung Sinn auf mehreren Design in Feldkirch und Vorarlberg und unterstreicht Ebenen: „Es verändert nicht nur die Landschaft, son- den urbanen Charakter der Region“. dern die Art und Weise, wie Grundbesitzer ihr eigenes www.feldkirch.at Land wahrnehmen. Sie merken, wie Menschen damit arbeiten können. In Städten wie Berlin, Amsterdam Das Gefühl von einem lebendigen Ort lässt Zusam- und Vancouver werden sie von dem, was ,Guerilla- mengehörigkeit entstehen und trägt sich über das Gärtner‘ tun, inspiriert.“ 49 Foto: Flickr, Sebastiaan ter Burg, CC-BY-SA Burg, ter Sebastiaan Flickr, Foto:

Guerilla Gardening verändert die Art und Weise, Stadtraum wahrzunehmen 50 Foto: Buch-Piloten Foto:

Kreatives Lesen bei den Buchpiloten

2. Tiefendimension 3. Orientierungsdimension Das Event verspricht Bedeutung Das Event gibt eine Richtung und und Tiefe Perspektive

→→ Beispiel: Fork it over →→ Beispiel: Pangea Day Eine Tätigkeit, die wir täglich verrichten, kann durch Horizonterweiterung als Gemeinschaftserfahrung. ein paar simple Elemente eine große Bedeutung be- Unter diesem Motto versammelten sich 2008 Tau- kommen und echten Impact generieren. Die Rede sende Menschen auf der ganzen Welt zum Pangea ist von Essen und Trinken. Unter dem Motto: „Eat. Day und schauten zusammen inspirierende Filme, Drink. Give.“ veranstaltet die New Yorkerin Michelle die zuvor international produziert und ausgewählt Rivera-Landers Pop-up-Charity Dinner, die je- worden waren und die den kulturellen Horizont der weils an einem anderen Ort stattfinden und deren Zuschauer erweitern sollten. Die Idee dazu hatte die Einnahmen an lokale Gemeindeeinrichtungen oder Amerikanerin Jehane Noujaim, die sich bereits als gemeinnützige Vereine gehen. Alle Informationen zu kleines Mädchen wünschte, zum Frieden beizutra- Anmeldung, Ort und Menü finden sich, neben vielen gen, indem Menschen mehr voneinander erfahren. Fotos der letzten Veranstaltungen, auf der eigens da- Auch Hollywood-Schauspieler wie Cameron Diaz für eingerichteten Facebook-Seite „Fork It Over: Pop- und der inzwischen verstorbene Robin Williams rie- up Dinners For Charity“. Rivera-Landers betont in ih- fen dazu auf, sich an diesem Tag auf der ganzen Welt ren Einträgen, wie wichtig es ihr ist, ihre Gemeinde zu zu versammeln: „Join us and learn something. It’s unterstützen, aber auch, wie viel Spaß es ihr macht, gonna be fun.“ für andere zu kochen und immer wieder neue Leute gemeinsam an einen Tisch zu bringen. www.pangeaday.org 51 Foto: SnippyHolloW, CC-BY-SA SnippyHolloW, Foto:

Urbane Landwirtschaft im Prinzessinnengarten

4. Kollektivdimension 5. Transzendenzdimension Das Event stellt den Moment in einen Das Event hat eine Bedeutung, die über größeren Zusammenhang von Tradition den konkreten Alltag hinausgeht und Zusammengehörigkeit →→ Beispiel: Prinzessinnengarten →→ Beispiel: Buchpiloten Der Prinzessinnengarten ist eine soziale und ökolo- Kreativität und die Ermächtigung zum Handeln als gische urbane Landwirtschaft und befindet sich Fundament einer funktionierenden Gesellschaft! So am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg. Auf einer jahr- lautet das Motto der Buchpiloten. In den „Writing zehntelang brachliegenden Fläche werden heute ge- Centers“ treffen Kinder, KünstlerInnen, PädagogInnen meinschaftlich über 500 verschiedene Gemüse- und und TutorInnen aufeinander, um aus den vielen fan- Kräutersorten mitten in der Stadt angebaut. Angefan- tastischen Gedanken der Kinder Geschichten werden gen damit wurde im Sommer 2009, als über hundert zu lassen. Aus den Ideen werden Bewegungen – Wor- Freiwillige die verwahrloste Fläche vom Müll befrei- te – Sätze – Geschichten – strahlende Bilder; daraus ten. Seither wurde mit der Unterstützung von Tau- entsteht ein Buch, und die BuchpilotInnen können senden von Helfern die vergessene Brache in einen sagen: „Ich habe mein erstes eigenes Buch ge- lebendigen Nutzgarten verwandelt. In einem Bezirk schrieben!“ Die Vereinigung der Buchpiloten be- mit hoher Verdichtung, wenig Grün und vielen sozi- schreibt auf ihrer Website ihr Hauptmotiv: „Wir sind alen Problemen können Kinder, Jugendliche und Er- überzeugt, dass Sprache der Schlüssel zu Integration wachsene, Nachbarn, interessierte Laien, passionier- ist und Kreativität der Schlüssel zu Selbstbewusstsein.“ te Gärtner und Freiluftenthusiasten – mit einem Wort alle, die wollen – in dieser sozialen und ökologischen www.buchpiloten.org Landwirtschaft in der Stadt gemeinsam voneinander lernen, wie man lokal Lebensmittel herstellt und ge- meinsam einen neuen Ort urbanen Lebens schafft. 52

TREND 02 Beschäftigung und die Möglichkeit, ihr kulinarisches Können unter Beweis zu stellen: Täglich wechselnde Mittagsmenüs nach Originalrezepten der Menschen Metasphären und Glücks­ aus vielen Gegenden der Welt, von Samouzas bis zu momente im Anti-Alltag georgischem Fürstenbrot und anderen Snacks. Dazu die besten, von österreichischen Winzern zur Verfü- gung gestellten Weine, Säfte, Kaffees. Das Restaurant Die Metasphäre stellt die Gegenwelt zum Alltag dar. bietet Besuchern 26 gemütliche Indoor-Sitzplätze und Sie ist der Fluchtpunkt einer Gesellschaft, die sich einen kleinen Schanigarten. Das Purple Eat ist nicht durch die Industrialisierung in zwei Zeitzonen ge- nur ob seiner sozialen Mission eine wirklich gute Sa- splittet hat: die Arbeits-Zeit und die Frei-Zeit. Diese che, selbst Gourmetkritiker finden Geschmack an den Trennung hält sich jedoch immer weniger, erleben wir exotischen Gerichten. doch heute meist bereits die Vermischung der beiden www.purplesheep.at Zeitzonen. Wodurch in einem ersten Reflex ein noch stärkerer Drang nach Freizeit und Anti-Alltag ent- steht. Der Gast nützt seine individuellen sinnlichen TREND 03 Erfahrungen für die aktive Selbstentfaltung. Das fin- det immer häufiger in Interaktion mit anderen statt. Kollektive Emotionen Die eigene Wahrnehmungskapazität in Bezug auf sich selbst und die Umwelt auszubauen und bewusst zu Seit einiger Zeit wird Rockmusik wieder als kollekti- entwickeln ist auch ein Thema der Welle der „Acht- ves Ereignis wahrgenommen und zelebriert. Auf dem samkeitstrainings“, die gerade durch die Wirt- Nürburgring tummeln sich einmal im Jahr mehr als schaft läuft. Achtsamkeit ist dabei zu einem Instru- 80.000 Menschen bei Rock am Ring. Die Open-Air- ment geworden, das die Wahrnehmung schärft und Gottesdienste der Popkultur begeistern die Konzert- den Moment intensiviert. agenturen, verzücken Städte und Kommunen und machen die Rockstars reich. Seit die mediale Verfüg- →→ Ein Beispiel ist das Netzwerk Achtsame Wirt- barkeit jedes einzelnen Songs der Popgeschichte zur schaft, das Schüler des Zen-Meisters Thich Nhat Normalität gehört, steigt das Bedürfnis der jungen, Hanh gegründet haben. „Gemeinsam eine achtsa- häufig aber auch nicht mehr so jungen Rockfans nach mere Wirtschaft zu schaffen, jeder an seinem Platz dem Musikgenuss ohne Konservierungsstoffe. „Live, und mit seinen Talenten, dazu lädt das Netzwerk analog, einmalig und vor Ort“ rettet gerade die Achtsame Wirtschaft ein“, heißt es auf der Website. Musikindustrie, deren CD-Geschäft in der iPod-Ära Und: „Achtsamkeit ist kein Konzept. Es ist ein Geistes­ innerhalb kürzester Zeit drastisch eingebrochen ist. zustand, der unsere Perspektive auf die verschiedens- Topstars verdienen mit einem Auftritt Millionen. ten Prozesse des Wirtschaftens umfassend verändern kann.“ Menschen mit ihren individuellen Talenten mit Die Menschen suchen den unverwechselbaren einzubeziehen und damit die umfassenden Potenzi- Moment statt der digitalen Perfektion. Sie su- ale einer vielfältigen Gesellschaft zu nutzen, kreiert chen die Selbstvergewisserung vor Ort. Und sie lieben sowohl für den Mitwirkenden als auch für den Gast es, Teil der Gesamtinszenierung zu sein. Populäre Glücksmomente, die zu Visionen werden können. Musik entdeckt ihren kollektiven Ursprung wieder, achtsame-wirtschaft.de mit Musik verbinden gerade junge Leute wieder so et- was wie Gemeinsinn. Und in dem Maße, in dem stär- →→ In dem vom Verein Purple Sheep initiierten ker nach dem Sinn von Musik gefragt wird, beginnt „Purple Eat“-Marktstand am Meidlinger Markt in sich ein einflussreicher globaler Markt zu drehen. Auf Wien finden Asylbewerber eine sinn- und freudvolle den ersten Blick scheint es paradox: Aber nach der 53

Erfahrung, dass Musik als billige Ramschware im In- „ ternet downloadbar ist, beginnen die Konsumenten wieder, teils horrende Preise für Musikkonzerte zu zahlen. Natürlich genießen wir aber auch weiterhin Denken ist wundervoll. die totale Verfügbarkeit von digitaler Musik. Aber noch wunder- Menschen berühren und durch Glücksmomente ei- voller ist das Erlebnis. nen Anti-Alltag schaffen, das gelang vielen (auch gro- ßen Unternehmen) mit Flash-Mobs. Diese „Blitzzu- Oscar Wilde sammenkünfte“ sind Performance-Events, die zwar in der realen Welt auf öffentlichen Plätzen stattfinden, jedoch erst durch das Internet möglich wurden. Die Treffen sind kurz und scheinbar spontan, in Wirk- lichkeit aber online organisiert. Für wenige Minuten tun die Teilnehmer ungewöhnliche, oftmals sinnfreie Dinge – etwa still verharren, eine einstudierte Cho- reographie tanzen oder singen. Bei manchen Flash- mobs sind die Teilnehmenden Musical-Darsteller, bei anderen sind es ganz normale Leute, die einfach Spaß an den Aktionen haben. Um die Jahrtausendwende Foto: Flickr, Alberto Varela, CC-BY Varela, Alberto Flickr, Foto: traten sie als Guerilla-Kunst auf den Plan, doch heu- te sind Flash-Mobs weitgehend professionalisiert und finden als kostengünstiges Marketingtool mit hohem viralem Potenzial weithin Verwendung, auch von gro- ßen Konzernen wie der Telekom.

Event-User konsumieren Bühnendarbietungen, die einen Ticketkauf, also einen informierten Kaufent- scheid, voraussetzen, während sie in die Flashmobs eher hineingeraten – es sei denn, sie melden sich online als Teilnehmer an. Die Emotionalität der Live- Events garantiert jedoch die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer, selbst wenn sie, wie im Fall von Flash- mobs, nicht selbst aktiv beteiligt sind.

Der Beweggrund, einen Flash Mob zu initiieren, kann jedoch auch gesellschaftspolitischer Natur sein; das Ganze wird dann Smart Mob genannt. So rief die Ca- ritas in Südtirol im August 2014 zu einer Spende ge- gen den Hunger in Afrika auf, indem sie in Bozen mit einem Smart Mob darauf aufmerksam machte, dass etwa alle drei Sekunden ein Mensch an Hunger stirbt. Mittlerweile häufen sich die politisch getriebenen Zusammenkünfte sogar. Auf der deutschen Website anleitungen-buergerproteste.de gibt es bereits genaue Anweisungen zur Organisation von Smart Mobs. 54 Best Practices 55

Swappen statt shoppen In den USA wird seit einigen Jahren quer durchs Land geswappt, was das Zeug hält: Menschen treffen sich nicht nur, um Kleider oder Accessoires zu tauschen, son-

Foto: Flickr, Juhan Sonin, CC-BY Juhan Sonin, Flickr, Foto: dern auch Angebautes, Eingemachtes und Selbstgekochtes.­ Food Swap nennt sich das – und es findet online und offline von Los Angeles bis Washington DC statt. So ist z.B. der monatlich stattfindende Chicago Food Swap ein regelrechtes Paradies für Foodies. Auch in Deutschland – etwa in Hamburg – for­mieren sich die ersten Food-Swap-Foren, auf denen sich Foo- dies jenseits von Super­märkten und Markenprodukten mit selbst geernteten oder selbst hergestellten Lebensmitteln versorgen. Beim Swapping (oft im Rahmen von Partys) stehen Spaß und Kommuni- kation im Vordergrund – aber auch der ökologische Aspekt des Tauschens ist ein wichtiger Nebeneffekt. Und man lernt den Produzenten oder die Produzentin ganz persönlich kennen.

www.lafoodswap.com www. dcfoodswap.org www.chicagofoodswap.com www.foodswap.de

Polly & Bob, Berlin: Analoge Nachbarschaft in einer digitalen Welt Polly & Bob ist eine selbstorganisierte Nachbarschaftsplattform, die über virtuelle Wege gemeinsame Aktivitäten, Veranstaltungen und nachbarschaftliche Hilfe in der realen Welt organisiert. Die Plattform hilft Menschen in der Nachbar- schaft, Gruppen zu finden oder zu gründen, private Dienstleistungen zu vermitteln und relevante Informationen nicht nur online, sondern auch offline auszutauschen und damit neue Formen des Zusammenlebens in der unmittelbareren Wohnumgebung anzuregen und zu fördern.

www.pollyandbob.com 56 new Local Verwurzelung regional Neo-Ökologie Verwurzelung Gewissen Intimität Green Music Bio Fairtrade Cradle-to-Cradle new Local Neo-Ökologie Nachhaltigkeit Relokalisierung authentisch Upcycling Glokalisierung VerwurzelungCorporate Social Responsibility Zero Waste 05 neue Nachbarschaften Intimität ökologisch feiern Umweltschutz Green Music Herkunft grün new Local Events derregional ZukunftNeo-Ökologie VerwurzelungGewissen Green Music Intimität Fairtrade sindCradle-to-Cradle grün new Local Relokalisierung Neo-ÖkologieNachhaltigkeit Upcycling authentischund regionalregionalGlokalisierung Verwurzelung Corporate Social Responsibility Zero Waste neue Nachbarschaften Bio Intimität ökologisch feiern Umweltschutz Sustainable Partying Herkunft grün new Local regional Neo-Ökologie VerwurzelungGewissen Intimität Green Music Bio Fairtrade Cradle-to-Cradle new Local Neo-Ökologie Nachhaltigkeit Relokalisierung regional authentisch Upcycling Glokalisierung Verwurzelung Corporate Social Responsibility Gewissen Zero Waste neue Nachbarschaften Bio Intimität ökologisch feiern Umweltschutz Green Music Sustainable Partying Herkunft grün new LocalVerwurzelung regional Neo-Ökologie Verwurzelung Gewissen Intimität Green Music Bio Fairtrade Cradle-to-Cradle new Local Neo-Ökologie Nachhaltigkeit Relokalisierung regional authentisch Upcycling Glokalisierung Verwurzelung Corporate Social Responsibility 57

Bereits 2009 beschrieben wir, wie der Megatrend „Neo- Ökologie“ die Koordinaten des Wirtschaftssystems in Richtung einer neuen Businessmoral im Sinne von Um- weltschutz, Ressourcenschonung, CO2-Einsparung und Corporate Social Responsibility (CSR) verschiebt und welche Bedeutung das für die Eventbrache haben werde. Events wurden zunehmend grüner. Infolgedessen feiern sogenannte „Sustainable-Partys“, die Nachhaltigkeit und Event verbinden, heutzutage Hochkonjunktur.

Ganz gleich ob im Tourismus, der Gastronomie oder dem Handel, im Zuge der Globalisierung zeigt sich immer öf- ter eine Relokalisierung menschlicher Lebensbezüge und unternehmerischer Prinzipien.

So wird der eigene Stadtteil oder die heimische Region auf einmal wieder interessant, regionale Waren werden populär. Immer häufiger fragen Verbraucher nach der Herkunft von Produkten. Seit einigen Jahren zeigt sich bereits, dass diese Sehnsucht der Menschen nach Na- tur, Regionalem und damit einhergehender Authentizität in nächster Zeit auch nicht nachlassen wird. Heute ist eine bestimmte Verwurzelung an einen Ort wieder hip, hat sogar einen gewissen Exklusivitätsfaktor. Daraus er- geben sich spannende Chancen für die Event-Branche. 58

Trend 01

The new Local

Neben der Globalisierung schien es jahrelang keinen anderen Entwicklungstrend zu geben. Immer mehr Verflechtung und eine immer stärkere Internationa- lisierung in immer gewaltigeren Dimensionen. Glo- balisierung wurde zu DEM ökonomischen Imperativ, zur Leitdevise für Unternehmen, aber auch für indi- viduelles Fortkommen. Doch mit der Globalisierung geht für viele Menschen auch ein Verlust des Über- blicks einher: Wo geschieht was, wer ist verantwort- lich, wie hängt alles zusammen? Da verwundert es auch nicht, dass die Globalisierung auch eine Men- ge gegenläufiger Entwicklungen hervorgebracht hat. Von den „Gegnern“ der Globalisierung bis hin zu ei- nem ganz neuen Regionalismus, der sich an vie- len Stellen unserer Gesellschaft zeigt. Paradoxerwei- se werden gerade urbane Umfelder immer häufiger zu „neuen Nachbarschaften“ inszeniert. Der Ort, den Menschen früher wegen der Chance auf Anony- mität aufsuchten, um einen Lebensstil jenseits der gesellschaftlichen Zwänge kontrollierender Nachbar- schaftskultur zu pflegen, dieser Ort wird zum neu- en Kristallisationspunkt maximaler Nähe. Der kollektive Garten auf der Brachfläche, der geteilte Parkplatz, das Freundesauto, der Honig, der auf dem 59 Foto: Flickr, Jonathan Spence, CC-BY-NC-ND Spence, Jonathan Flickr, Foto:

städtischen Flachdach erzeugt und an die Hausge- Ursachen: Konsumenten haben dadurch nicht selten meinschaft verteilt wird. Immer öfter zeigt sich eine das Gefühl, ganz nahe an der Herstellung zu sein, re- Relokalisierung menschlicher Lebensbezüge und gionale Anbieter zu unterstützen und Umweltschutz- unternehmerischer Prinzipien. Doch der Trend geht kriterien zu erfüllen. nicht etwa „zurück aufs Land“. Es geht vielmehr um eine Neukombination des Globalen und des Für die Eventbranche wird es durch die regionale Lokalen. Im Wort „Glokalisierung“ gipfelt diese Anbindung leichter, ihr Event emotional aufzuladen Entwicklung – „glokal“ meint bekanntlich lokal und und den Besucher wahrlich zu begeistern. Gerade in global zur gleichen Zeit. Zurück zum Ursprung, zur Zeiten der Globalisierung schaffen sie durch authen- Natur, Erdung; Heimatbezug über volkstümliche In- tische und bekannte Orte Sicherheit und Wohlbefin- szenierung, regionale Produkte, bei denen man noch den. So gewinnt sogar ein Hotelaufenthalt an Event- weiß, wo sie herkommen. All dies sind Zeugen dieser Charakter: Um ihren Kunden tiefe Einblicke in den 4. Rekursionsentwicklung. Bezirk liefern zu können, verwandeln die Urbanauts aus Wien (www.urbanauts.at) zum Beispiel alte Ge- Heimat ist „in“ schäftsräume in Übernachtungsstätten. Umliegende Dienstleister, lokaler Handel und ortsansässige Infra- Vom Tourismus über den Einzelhandel bis zur Gast- struktur bilden dabei ein hyperlokales Netzwerk. ronomie, der Trend zu mehr Loyalität gegenüber Die Zimmer befinden sich unter anderem in einer der eigenen Region lässt sich in nahezu allen Märk- alten Schneiderei, der Frühstücksraum in einem be- ten und Branchen beobachten. Das Thema Regio- nachbarten Kaffeehaus, und statt Minibar auf dem nalität erhält eine neue Dynamik und gewinnt an Zimmer gibt es eine ganz reale große Bar an der Ecke. Relevanz. Lokale Gegebenheiten erfahren eine neue Der Gast wird quasi mitten ins Wiener Leben gewor- Wertigkeit. „Das Produkt wird als etwas Besonderes fen – voller Annehmlichkeiten, Services und Komfort. oder gar Einzigartiges gesehen“, weiß auch Dr. Peter Und „mit echten Nachbarn“, wie es die Urbanauten Weichhart, Professor an der Universität Wien (Weich- versprechen. hart 2011, S. 19), zu berichten. Dass sich Regionalität zunehmend als Trend durchsetzt und zu einer Art Hilfsgröße für den Verbraucher wird, hat mehrere 60

Trend 02

Gewissen als Eventmotor

Der Megatrend Neo-Ökologie führt zu einer immer Ökologie und die Rettung des Planeten werden zu in- stärkeren gesellschaftlichen Sensibilität für Themen trinsischen Antrieben. Nicht erst seit der Fukushima- rund um nachhaltiges Leben, Konsumieren und Wirt- Katastrophe zeichnet sich ein neuer Umgang der schaften. Es setzt sich die Auffassung durch, dass die Menschen mit der Erde ab. Die coole Inszenierung Weltwirtschaft in ihrer jetzigen Form in Hinblick auf darf dabei aber nicht zu kurz kommen. Umweltschutz, die Kapazitäten des Planeten und die globale Gesell- im weitesten Sinne, darf alles, nur nicht langweilig schaft nicht haltbar sein wird. Aus Themen wie Bio sein. Vor allem die Gemeinschaft und der Bezug zur und Fairtrade sowie Cradle-to-Cradle (Wiederver- Nahumgebung des eigenen Wohnorts machen aus wenden von Materialien in einem ewigen geschlos- einer von den Ökos abstammenden Randbewegung senen Kreislauf) und Share Economy entwickelt eine massentaugliche Strömung, die spannend und sich derzeit ein neues Phänomen, das in Zukunft zum abenteuerlich ist und vernetzend wirkt. Zusammen zentralen Thema nachhaltigen Konsumierens werden die Welt ein Stück besser zu machen ist ein sinn­ wird: Zero Waste. Die Idee dahinter ist, erst gar kei- erfüllendes Erlebnis für immer mehr Menschen. Es nen Müll anfallen zu lassen, statt ihn zu recyceln oder gehört schon fast zum guten Ton der coolen Klasse, wiederzuverwerten. Während in den vergangenen sich der Rettung des Planeten in verträglichen Do- Jahren vor allem Recycling und dann auch Upcyc- sen zu widmen – mit Recyclingprodukten im kreativ-­ ling (Aufwerten von recycelten Materialien) für Auf- stylischen Glanz oder in Form von Crowd-inspirierten sehen sorgten, wird in den kommenden Jahren das Hilfsaktionen. Precycling zum brisanten Thema auf den Konsum- märkten werden: die möglichst vollständige Vermei- →→ Partys und Events produzieren in den USA die dung von Müll. Recycling, Upcycling und Cradle-to- zweitgrößte Menge an Müll, direkt nach dem Bau- Cradle sind somit nur die Vorstufen zu Zero Waste. gewerbe. Das in Brooklyn ansässige Unternehmen Dies hat Auswirkungen auf die Energieindustrie, die Susty Party ermöglicht es, Partys nachhaltiger zu Produktionskette und natürlich auf den Handel. gestalten. Es vertreibt unter Fair-Trade-Bedingungen hergestelltes, umweltfreundliches Party-Zubehör Dass der Stellenwert und der Wille zur Erhaltung der sowie kompostierbares Geschirr. 2013 gewann das Natur hoch ist, verwundert in Zeiten von alternativen Jungunternehmerinnen-Duo den Yoshiyama Young Energien, halbjährlichen Klimagipfeln und „Save the Entrepreneurs Award. Teller und Schüsseln sind aus world!“-Parolen niemanden mehr. Von Anglizismen Tapiokastärke sowie aus Gras und Bambusfasern her- wie „Up-cycling“ oder „Cradle-to-Cradle“ bis zur gestellt. Die Farben, auf mineralischen Rohstoffen „Zero-Waste“-Idee – längst hat sich der „grüne Ge- basierend, sind ungiftig und lebensmittelecht. Susty- danke“ in unseren Köpfen festgesetzt. Konsum findet Strohhalme bestehen aus FSC (Forest Stewardship unter veränderten Prämissen von ethisch-ökologi- Council)-zertifiziertem Papier, kompostierbarem schen Kriterien und Nachhaltigkeit statt. Wer weiter Wachs und Haftmittel. Susty ist der Sustainability- auf Business as usual setzt oder nur oberflächliches Spagat (deutsch: Nachhaltigkeit) zwischen ökologi- „Greenwashing“ betreibt, bleibt mittelfristig auf der schen und sozialen Aspekten gelungen, denn auch Strecke. Die Konsumenten, vor allem junge Men- in puncto Humanität beeindruckt das Unternehmen: schen, möchten sich nicht mit dem Verfall unseres Die Tassen werden in einem gemeinnützigen Verein Planeten abfinden, und die „Sorge“ ist immer deutli- gefertigt, der blinde und sehbehinderte Menschen cher zu spüren. Darin liegen große Chancen, und das unterstützt. Auch bei den anderen 24 Produkten von Verlangen nach gutem Gewissen wird zum Event­ Susty ist der Verein beteiligt. motor der Zukunft. www.sustyparty.com 61 Foto: Anneke Hymmen, www.energy-floors.com Hymmen, Anneke Foto:

Sustainable Dance Floor wandelt die Bewegung der Tanzenden in elektrische Energie um 62 Foto: Flickr, Paul, CC-BY-NC Paul, Flickr, Foto:

Trend 03

Feiern mit Genuss und Gewissen

Lange war das Thema Sustainability der Eventbran- für Kultur- und Kreativtrendwirtschaft des Bundes hat che fremd. Hedonismus, öko-soziales Gewissen und sie 2012 in Hamburg das erste GreenMusicEvents Sparsamkeit – das schien nicht zusammenzupassen. (GME) BarCamp organisiert. Hier trafen sich Club- Doch diese Auffassung hat sich geändert: Um den betreiber und Festivalveranstalter mit Dienstleistern, nachhaltigen Bewusstseinswandel voranzutreiben, Beratern und Vertretern aus der Politik, um sich über haben sich Clubs und Konzerte mittlerweile als ide- nachhaltige Ansätze und Ideen in der Musik- und Ver- ale Veranstaltungsorte entpuppt. Sustainability kann anstaltungsbranche auszutauschen. sexy sein! Dieses hedonistische grüne Credo wird von immer größeren Teilen der Gesellschaft aufgegriffen. →→ Die Croissant Neuf Summer Party ist das best- Der grüne Aspekt wird entsprechend für die Veran- gehütete Geheimnis der britischen Festival-Szene. staltungsbranche immer wichtiger. Das familienfreundliche Festival bietet Musik, Zirkus, Spiel und Spaß – und hat ein ausgeprägt grünes Ge- Die Sustainable-Partying-Bewegung hat ihren wissen! Auf dem Festival wird mit Sonnenenergie ge- Ursprung in den USA, findet sich aber inzwischen arbeitet, Generatoren wurden noch nie benötigt. 2012 auch in Großbritannien, den Niederlanden und Skan- wurde die gesamte Energie alternativ gewonnen. Die dinavien. Und auch in Deutschland gibt es immer LED-Beleuchtung auf der Bühne ist sparsamer als mehr Unternehmen, Kampagnen und Initiativen, die ein Föhn, 95 Prozent des Mülls werden recycelt. Spei- sich diesem Themenbereich widmen: Das Crowd- sen und Getränke sind, wo immer möglich, Bio, Fair funding-Unternehmen Enviu (www.enviu.org) zum Trade und aus der Region. Besucher werden ermutigt, Beispiel ist ein wahrer Impulsgeber in Sachen Nach- öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Veran- haltigkeit. Ihm ist unter anderem der Sustainable stalter versprechen: Für drei angereiste Autos wird ein Dance Floor (www.sustainabledanceclub.com) zu Baum gepflanzt. Ergebnis: Auf dem Festivalgelände verdanken, der die Bewegung der Tanzenden in elek- gibt es schon 4000 heimische junge Bäume. Croissant trische Energie umwandelt. Auch die Green Music Neuf Summer Party wird zu Recht als das grünste Fes- Initiative (www.greenmusicinitiative.de) themati- tival Großbritanniens bezeichnet und wurde bereits siert Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Mu- mehrfach ausgezeichnet. sik- und Eventbranche. Zusammen mit der Initiativ- www.partyneuf.co.uk Agentur Zuendwerke und dem Kompetenzzentrum Foto: Unsplash, CC0 Unsplash, Foto: 63

Trendprognose

Ob Hersteller, Händler oder Serviceanbieter – wer den Kunden künftig nicht nur zufrieden- stellen, sondern auch emotional abholen und begeistern möchte, der setzt im Zeitalter der fortschreitenden Globalisierung vor allem auf die Betonung und Förderung der regiona- len Herkunft und ihrer Besonderheiten. Das schafft Authentizität und Intimität. Kunden werden zum Teil eines Events.

Daneben wird ein gesunder und nachhalti- ger Lebensstil immer weniger als etwas ver- standen, wozu man sich notgedrungen quälen muss. Er ist vielmehr ein Konsumgut sowie ein Faktor für Genuss und Status. Sustainability bietet professionellen Veranstaltern Raum für die Entwicklung spannender, innovativer Kon- zepte. 64 Best Practices

Outstanding in the field: Feine Küche wird in die Region gebracht

Regionaler Genuss Regionale Köstlichkeiten Das Prinzip Regionalität als gastro­ Jenseits vom Fondue-Stübli und nomisch erlebbares Konzept Heidi-Klischees nimmt das Alpen- versucht „Outstanding in the field“ rose in Zürich seine Gäste bereits auf die Spitze zu treiben: Hier seit 20 Jahren auf eine kulinarische wird nicht die Region in die Küche, Reise zu den Wurzeln der Schweiz sondern die Küche in die Region mit. Die Inhaberinnen Tine Giacobbo gebracht. Ob auf Bauernhöfen oder und Katharina Sinniger kochen nach am Strand – inmitten der Natur wird alten Schweizer Rezepten mit biolo- ein langer Tisch aufgebaut, auf dem gischen Produkten aus der Region. ausschließlich lokale Spezialitäten Daneben haben sie ein breites Netz- serviert werden. Die Speisen werden werk an Lieferanten – und künden von lokalen Spitzenköchen zube- davon auch stolz auf der kleinen, reitet. Der Gedanke: Speisen und ihre saisonalen Speisekarte: „Bio-Nüssli- Herkunft neu zu verbinden sowie den salat vom Hans Etter-Bangerter, Ried örtlichen Bauern und „kulinarischen bei Kerzers, mit verlorenem Landei“. Künstlern“ Wertschätzung entge- Oder „Sommerliches Ragout vom genzubringen. 1999 in Nordamerika Auslikoner Gitzi Ringo von Katrin und entwickelt, wird das Konzept jetzt Esthers Hof nahe Pfäffiker See, im auch in Asien und Europa praktiziert. Myrridor geschmort“. Regionalisierung at its finest. www.alpenrose.me www.outstandinginthefield.com 65

Nachhaltig heiraten Karneval der Sinne Finanziell und ökologisch be- Jedes Jahr treffen sich rund 60.000 trachtet, ist der schönste Tag im Musik-Fans beim Fusion Festival in Leben eines Paares der Inbegriff dem 500-Einwohner-Ort Lärz unweit von Verschwendung: Nicht nur wird der Mecklenburgischen Seenplatte. das Brautkleid nur einmal getragen, Fernab vom Alltag, mitten in der Foto: Flickr, Mike McCune, CC-BY McCune, Mike Flickr, Foto: auch die Schnittblumen sind in der Natur, erwartet die Feiernden ein Regel mit Pflanzenschutzgiften Event der ganz speziellen Art mit belastet und verursachen durch Theater, Performance und Kino bis

ihren Transport Unmengen an CO2. hin zu Installationen, Interaktion Ganz zu schweigen von der un- und Kommunikation. Das Motto des

günstigen CO2-Bilanz, die durch die „größten Ferienlagers der Republik“ Anreise der Gäste entsteht. Grün zu heißt Ferienkommunismus. An vier heiraten ist nicht nur ein Bekenntnis Tagen entsteht laut Veranstalter der Liebe zweier Menschen zu­ eine „Parallelgesellschaft, die sich einander, sondern auch das „Ja“ zu im kollektiven Ausnahmezustand einem nachhaltigen, ökologischen entfaltet“. Es ist ein wahrer Karneval Leben. Möglichkeiten gibt es viele: der Sinne, in dem sich die Sehnsucht Beim Hochzeitsessen etwa können nach einer besseren Welt spiegelt. die Gäste durch die Wahl regionaler, Die Teilnehmer vereint die Freiheit, vegetarischer oder veganer Produkte sein zu können, wie immer sie sein verköstigt werden. Außerdem im An- wollen – und das zwanglos und gebot: ein Brautkleid aus ökologisch unkontrolliert. zertifiziertem Stoff, Ringe aus einer Fair-Trade-Goldschmiede, die Frisur www.fusion-festival.de vom Biofriseur, Make-up aus Natur- produkten. Das Angebot der „Green Wedding Company“ umfasst eine Kombination aus Online-Shop und Dienstleistungen und berücksichtigt soziale, faire und umweltschonende Aspekte.

www.oekologisch-feiern.net

Fusion Festival: die Freiheit fern vom Alltag Foto: Flickr, seven resist, CC-BY-NC-SA resist, seven Flickr, Foto: 66

GlückParallelwelt SuperfoodGlücksbooster Genuss Peer-Groups Inszenierung Mitmachen Parallelwelt Erlebnis-Kultur Balance Hochgenuss Crowd Gastronomie Wanting Geschmack Peer-Groups Begegnung Gruppenevents Freiwillige Subkultur Open Air Freude Wohlbefi nden06 Festivals Glücksbooster gastronomie Wanting Geschmack Inszenierung Mitmachen Erlebnis-KulturDas EventBalance der Hochgenuss gastronomie Wanting Geschmack begegnen Zukunft Gruppenevents freiwillige Subkultur Open Air Freude Wohlbefindenlebt vonFestivals Glück Glücksbooster Peer-Groupsund GenussInszenierung Mitmachen Erlebnis-Kultur Balance Hochgenuss Superfood Freiwillige FreudeOpen AirSubkultur Crowd Gastronomie Wanting Geschmack Liking Inszenierung FreudeGruppenevents Superfood Freiwillige Subkultur Open Air Freude Genuss Peer-Groups Inszenierung Mitmachen Glück Parallelwelt Superfood Glücksbooster Parallelwelt Erlebnis-Kultur Balance Hochgenuss GlückWohlbefindenFestivals Glücksbooster Crowd Gastronomie Wanting Geschmack Peer-Groups Liking Begegnung Gruppenevents Superfood Freiwillige Subkultur Open Air Freude GlückWohlbefindenFestivals Glücksbooster Parallelwelt Erlebnis-Kultur Balance Hochgenuss Crowd Gastronomie Wanting Geschmack Peer-Groups Liking Begegnung Gruppenevents Superfood Freiwillige Subkultur Open Air Freude GlückWohlbefindenFestivals Glücksbooster 67

„Sustainability“, Nachhaltigkeit, ist ein Schlagwort, das ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen be- inhaltet. Nun haben zwei Dinge zusammengefunden, die unvereinbar schienen: Sustainability und Partying. Auf der Feier sucht man in Zukunft gesunden Genuss: Sich- Gehenlassen ja, aber bitte ohne Reue am nächsten Tag.

Die Individualisierung der Gesellschaft bringt eine Kul- tur der Wahl mit sich. Beruflich und privat entscheidet jeder Einzelne über sein Leben. Auch und vor allem, was das eigene Wohlbefinden angeht. Die Verantwortung für die Gesundheit rückt immer weiter in Richtung des Indi- viduums. Doch was in seiner Intention zur Balance füh- ren soll, erhöht erst einmal den Individualstress.

Denn mit dieser Freiheit geht auch der Druck einher, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Für Orientierung in diesem Lebensdschungel sorgt dabei etwas, das uns gut liegt und Freude bereitet: der Genuss. Für das Event der Zukunft gilt es somit, das Glück der Menschen zu meh- ren, indem es den Genuss auf eine höhere Ebene treibt. 68 Foto: Flickr, sflickr_sputnik mi, amor_CC-BY mi, sflickr_sputnik Flickr, Foto:

Trend 01 cher des Musikfestivals Coachella (coachella.com) in Kalifornien für eine Übernachtung bis zu 500 Euro Festivals als Glücksbooster zahlen, 260 Prozent mehr als noch im Durchschnitt im Jahr zuvor. Neo-Freizeitparks à la Area 47 („The Ultimate Outdoor Playground“, area47.at) verzeich- In der englischen Sprache unterscheidet man zwi- neten trotz „Regen-Sommers“ 2014 die beste Saison schen „Happiness“ als Gefühl, Zustand und Hal- bisher. Und das Highlight schlechthin auf den Musik- tung und „Luck“ im Sinne von glücklichem Zufall, festivals in Deutschland waren die Einkaufszelte von etwa wenn man im Lotto gewinnt. Lottosieger haben Lidl und Real. Glück, sind aber nicht unbedingt glücklich. Jedenfalls nicht in der ORF-Soap „Die Lottogewinner“. Deshalb Die Festivalwirtschaft boomt, von den 13 Open- braucht ein Event ein Glücksverständnis, das dem Air-Festivals, welche die FKP Scorpio Konzertpro- englischen Happiness, dem Glücksgefühl bzw. dem duktionen GmbH 2014 veranstaltete, waren sieben Glücklichsein, entspricht, denn „man kann Glück ausverkauft. Bei einer Umfrage von Virtualnights nicht definieren, aber man weiß, wann man glück- (virtualnightsmedia.com) gab jeder Dritte zwischen lich ist“, meint Potter Stewart. Events können dieses 18 und 35 Jahren bei der Frage „In welche Location(s) Glücklichsein erzeugen. gehst Du?“ an, dass er/sie am liebsten auf Festivals/ Feste gehe. Nicht nur für Veranstalter birgt das ein Die Nachrichten über den Erfolg von Festivals liefern enormes Potenzial. Selbst wenn subkulturelle Ideale sich derzeit einen Schlagabtausch, der weniger mit hinter den Festivals stehen, werden sie schnell von ih- der Qualität von Künstlern oder Programm zu tun hat rem eigenen Erfolg überrannt und müssen sich nicht als mit sekundären Attraktionen. So mussten Besu- selten einer kommerzialisierten Professionalität fü- 69 Foto: Anthony Peterson, Burningman Peterson, Anthony Foto:

gen (z.B. Tollwood-Festival). Nur wenige Festivals weniger Stunden ausverkauft, und das Monate, bevor wie z.B. das legendäre Burning Man schaffen es, überhaupt feststehe, wer auftritt. McKay zufolge geht trotz Bekanntheit und Größe selbstorganisiert und es um mehr, nämlich um das Erlebnis des Ortes (im nichtkommerziell zu bleiben. Und dabei jedes Jahr Rahmen von Glastonbury des Landerlebnisses), um neue Besucherrekorde aufzuweisen. die Gemeinschaft, das Miteinander und um das Wir- Gefühl: „We, the crowd, are the main event.“ Ein Teil der neuen Festivalkultur basiert auf Tradition, ein Teil wird komplett neu inszeniert. Und so sprießen insbesondere Festivals zu Spezialthemen wie etwa zu Die Neudefinition von Arbeit: Festivals Cyborgs (borgfest.com), ein Schulfrei-Festival (schul- und New Work frei-festival.de) oder ein Tofu-Festival (soyandtofufest. org) überall wie Pilze aus dem Boden. Diese Form der Festivalkonsum findet auf verschiedenen Ebenen Events floriert heute wie in Zukunft, erfüllt sie doch statt. Eine Vielzahl von Events lebt von der Mithilfe Bedürfnisse des Individuums nach unkomplizierter, durch Freiwillige, die mitmachen, um eine andere Art temporär befristeter Gemeinschaft und das gleichsam des Festivalerlebnisses zu generieren. Hier manifes- episodenhafte Eintauchen in eine Parallelwelt. tiert sich schon fast eine neue Arbeitskultur, wenn die Es kann ein vorhandener Lebensstil gefeiert oder ein Freiwilligen sich von Einsatz zu Einsatz eine gewisse völlig fremder ausprobiert werden. Festivals jeglicher Event-Expertise erarbeiten. Es greifen neue Struktu- Couleur werden für die kommende Generation eine ren, wenn Arbeit und Freizeit nicht mehr zwei ver- Mischung aus Cluburlaub und Kurzreise darstellen. schiedene Lebenswelten darstellen, sondern Hand in Hand gehen und Urlaubstage zur Organisation Für einen gewissen Zeitraum entzieht man sich dem eines Musikfestivals investiert werden. Dabei sind es Alltag, um abzuschalten. Am extremsten ist diese nicht immer nur die kleinen Veranstaltungen, wel- Form des Eintauchens und Erschaffens einer Paral- che auf freiwillige Unterstützung setzen (wie etwa das lelwelt sicherlich beim Burning Man Festival. Und Umsonst & Draußen in Stuttgart, ud-stuttgart.de); dabei geht es nur am Rande um das Programm. Ei- auch Größen wie das South By Southwest in Austin ner Umfrage von MSN UK (uk.msn.com) unter briti- in den USA, das Outlook-Festival in Kroatien, das schen Festivalbesuchern 2013 zufolge gehen nur 45 Sundance-Film-Festival in Salt Lake City in den Prozent wegen der Musik zu Musikfestivals. George USA oder das hiesige Melt bauen auf ehrenamtliche McKay (georgemckay.org), Professor für Kulturstu- Helfer. Im Gegensatz zu früher geht es nicht mehr um dien an der Salford University, bestätigt diese neuen den Spirit einer Generation oder die gemeinsamen Entwicklungen, u.a. führt er den Ticketverkauf des Ideale einer Bewegung, sondern um Erlebnis, Mitma- Glastonbury Festivals an. Die Karten seien innerhalb chen, Partizipation. 70

Trend 02 trieben durch die Genussforschung, angefangen bei Klassikern wie Wein oder Spirituosen. Nun erreicht Kulinarischer Hochgenuss sie die Branche im ganz großen Stil und eröffnet un- zählige neue Felder. Superfoods sind der neue Gesundheitstrend aus New York. Superfoods – das ist die Wiederentdeckung Geschmack wird zur Orientierung im Lebensmittel- nährstoffreicher Lebensmittel wie Blaubeeren, Brok- überfluss bei zunehmender Individualisierung im- koli, Lachs, Avocado oder Rote Bete. Superfoods ha- mer wichtiger. Das Sehen, ehemals „höchster“ und ben üblicherweise einen besonders hohen Anteil an nach wie vor mächtigster Sinn, bekommt Konkurrenz. Antioxidantien, Vitaminen, Mineralien oder anderen „Niedere“ Nahsinne wie Riechen und Schmecken wertvollen Nährstoffen, und ihnen wird ein positiver werden, gestützt durch Wissenschaft und Forschung, Effekt auf die körperliche und geistige Gesundheit wichtiger. Dies geht einher mit der Verfeinerung sowie auf das allgemeine Wohlbefinden nachgesagt. und Weiterentwicklung einer Genusssprache, Dieser Trend verändert die Gastronomie – und damit die uns hilft, sensorische Eindrücke besser zu ver- auch die Musik- und Eventbranche. balisieren und ins Bewusstsein zu holen. Erst damit gewinnt der individuelle Geschmack Macht über die Der Eventbranche war das Thema Nachhaltigkeit bis- Gewohnheit und kann somit unsere Konsument- lang eher fremd: Hedonismus, öko-soziales Gewissen scheidungen gezielt beeinflussen und verändern. und Sparsamkeit – das schien nicht zusammenzupas- sen. Doch diese Auffassung hat sich geändert: Clubs →→ Am Beispiel der Schokolade lässt sich die neue und Konzerte haben sich mittlerweile als ideale Ver- Macht des Geschmacks erläutern: 1850 kommt die anstaltungsorte entpuppt, um den nachhaltigen erste Schokolade in festem Zustand auf den Markt Bewusstseinswandel voranzutreiben. Events sind und erobert in den nächsten Jahrzehnten als Milch- Veranstaltungen mit Ereignischarakter und von gro- schokolade Herz und Gaumen der Konsumenten. Im ßer Emotionalität, bei denen sich Besucher als Kon- Diskurs um gesunde Ernährung geriet sie in Misskre- sumenten aktiv einbringen können. Sustainability dit: schmeckt gut, ist aber ungesund. 140 Jahre später kann sexy sein! Dieses hedonistische grüne Credo kommt es zur Rückbesinnung auf das geschmacks- ist das Lebensmotto des „Lifestyle of Health and Sus- gebende Ausgangsprodukt: die Kakaobohne. Nach tainability“. und nach wurden alle übrigen Zutaten wie Zucker, Milchpulver, Nüsse etc. reduziert oder ganz wegge- →→ Das „Restaurant der Zukunft“ steht in der lassen. In einem zweiten Schritt wurde die Vielfalt an Mensa der niederländischen Universität Wagenin- verschiedenen Kakaobohnensorten und deren Her- gen. Dort werden im praktischen Alltag der Studen- kunft thematisiert (www.winterfeldt-schokoladen.de). ten laufend verschiedene Esstechniken untersucht: Und Hand in Hand damit wurde der Fokus gezielt auf Wie kauen wir? Wann schlucken wir? Und was macht den Gehalt gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe (Fla- das mit dem Geschmackserlebnis? Prof. van der Bilt, vonoide und Antioxidantien) gelenkt sowie auf die Leiter der Untersuchung, ist überzeugt: Unsere „oral Versprachlichung der Geschmackseindrücke, processing habits“ sind einzigartig wie unser Finger- die das bewusste Erschmecken erleichtert und för- abdruck. Was wir schmecken, entscheidet sich ganz dert. Und siehe da: Eine solche Schokolade wird als individuell in unserem Mundraum. Die Erkenntnis, „Sensual Food“ wahrgenommen, dessen bewusste dass jeder alle Dinge anders schmeckt, noch dazu ab- Verkostung als vielfältiges sinnliches Erlebnis erfah- hängig von der Situation, wurde maßgeblich vorange- ren wird. 71

Durch Potenziale Die unmittelbare sinnliche Erfahrung von des Genusses hin zur Genuss fördert das Selbsterleben und ist ein Werkzeug der Selbsterkenntnis Selbsterkenntnis

Genuss ist eine ganzheitliche, intensive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und geistigem Wohlbehagen verbunden ist

Genuss stimuliert kognitive Prozesse, die eine gegenüber anderen Menschen aufgeschlossene, zugewandte und sozial integrierte Gefühls- und Handlungslage fördern

Differenziertes Genussverhalten ist eine starke subjektive Orientierungshilfe im Lebens- und Genussmittelüberfluss und eine Therapie gegen die Skepsis

Genussfähigkeit ist die Voraussetzung für

Quelle: Zukunftsinstitut Quelle: den lustvollen Umgang mit Genussmitteln 72

Die drei Phasen des Glücks Quelle: Zukunftsinstitut Quelle:

Neurologisch betrachtet, hat Glücksempfinden einen wissen- schaftlich nachvollziehbaren Ablauf:

1. Wanting 2. Liking 3. Learning Streben danach, was uns glücklich Entsteht, wenn wir uns auf das Freude flacht ab, wir spüren sie machen soll. Vorfreude entsteht, Objekt der Begierde zubewegen. noch, man überlegt jedoch gleich- Genuss wird erlebt. zeitig, ob man das Erlebnis wieder- holen würde.

Trend 03 Teil einer Gruppe sein, einer Art Ersatz-, Zweit- oder Glück und Genuss gemeinsam Wahl-Familie. Das Gemeinsame fühlt sich „stärker“ an. Der Eigenverantwortung und Freiheit mit Leis- erleben tungsdruck steht eine neue Verheißung der Teilhabe durch Zugehörigkeit gegenüber. Die Herausforde- Mit seinen innovativen Food & Kitchen-Shops in Lon- rung dabei scheint im „Maß der Verbindlichkeit“ don und Brighton hat Jamie Oliver gezielt auf die zu liegen, welche erst ein tatsächliches, nachhaltiges sich verändernden Lebensumstände seiner Kunden Gefühl der geliehenen Geborgenheit gewährleisten reagiert. In seinen „Recipease“ getauften Shops, die kann. Die pure Individualität der persönlichen Frei- mehr Begegnungs- als bloße Einkaufsräume sind, heit wird durch ein neues Gruppengefühl ersetzt. kann man sitzen, trinken und plaudern, schauen und einkaufen, beim Kochen zuschauen und selbst ko- Höhere Mobilität und Flexibilität, gepaart mit ei- chen. Je nach Sichtweise sind sie entweder die leben- ner punktuellen Identifikation zu unterschiedlichen digste Kochschule, das lehrreichste Lebensmittelge- Peer-Groups, machen Gruppenevents mit minima- schäft oder das sinnlichste Café der Welt. lem Aufwand zu einer sich abzeichnenden Entwick- lung. Der Genuss, der dabei entsteht, generiert sich Die Sehnsucht nach kollektiven Erlebnissen nicht mehr ausschließlich durch das leibliche Wohl, wächst wieder. Dies überrascht auf den ersten Blick, sondern entsteht im gemeinsamen Erleben. Den Mo- da in der jüngeren Vergangenheit gleichzeitig ein ment zelebrieren ist das Motto einer „Erlebnis-Kul- Trend zu einer stärker werdenden Individualisie- t u r “, die dadurch Kristallisationspunkte zum Treffen, rung und Customization zu beobachten war. Schaut Austauschen, Lernen und gemeinsamen Feiern ent- man jedoch genauer hin, ist gerade deswegen ein Ge- stehen lässt und eindimensionalen Veranstaltungen gentrend zu beobachten: Individuen wollen wieder nichts mehr abgewinnen kann. 73 Foto: Flickr, Peretz-Partensky,_CC-BY Flickr, Foto:

Trendprognose

Festivals haben Zukunft. Weil sie dem Indivi- duum in seinem eigenen Lebensstil ein befris- tetes Untergehen in der Masse ermöglichen, ohne dass es sich dabei neu erfinden oder sein Selbst verraten müsste. Für Unternehmen und Anbieter haben Festivals Zukunft. Hier haben sie die Möglichkeit, in einem lockeren Umfeld in direkten Kontakt mit dem Endverbraucher zu treten.

Alternative Werte- und Wirtschaftsmodelle lassen sich im Rahmen von Festivals ebenso testen – und das nicht immer nur mit ideologi- schem Ansatz, wie die Freiwilligenkultur zeigt. Orte können sich hier ebenso neu positionie- ren, wie sich Veranstalter als neue Marken eta- blieren können.

Genuss und Gesundheitsbewusstsein gehö- ren zusammen. Superfoods und der daraus folgende Trend zum Sustainable Partying sind Indikatoren für eine größere Entwicklung: Ein gesunder und nachhaltiger Lebensstil wird im- mer weniger als etwas verstanden, wozu man sich notgedrungen quälen muss, sondern wird immer mehr zum Genussfaktor, Statussymbol und Konsumgut. 74 Best Practices

Holi-Festival Jedes Jahr begrüßen die Menschen Tag mit buntem, gefärbtem Puder – Respekt und Toleranz machen das in Indien den Frühling auf ganz dem Gulal. Das allem übergeordnete Holi-Fest jedes Jahr unvergesslich. besondere Art und Weise: „Holi“ Motto lautet: An diesem Tag sind alle Das Festival Of Colours greift die ist das Fest der Farben und eine Menschen gleich. Unterschiede zwi- Stimmung dieser indischen Tradition der wichtigsten Feierlichkeiten des schen Kasten, Religion oder Herkunft auf und bringt das Kulturfest nach Landes. Dabei feiern sie nicht nur sind während des Holi nicht mehr Europa. Das bundesweit erste Holi den Wechsel vom Winter zum Früh- sichtbar. Gesellschaftliche Grenzen Festival Of Colours im Juli 2012 ling, sondern nach hinduistischem zwischen den sozialen Schichten, begeisterte in Berlin die Menschen. Glauben auch den Sieg des Guten Jung und Alt, Arm und Reich ver- Gleichheit und Gemeinschaft stehen über das Böse – und zwar sehr schwimmen. An diesem einen Tag einen Tag lang im Mittelpunkt – egal, farbenfroh. Denn die Menschen be- sind alle Menschen gleich. Kultu- wie alt die Teilnehmer sind und wo werfen und bemalen sich an diesem relle Vielfalt, Freude, gegenseitiger sie herkommen. 75 Foto: Death to the Stock Photo the Stock to Death Foto: Foto: Flickr, Steven Gerner, CC-BY-SA Gerner, Steven Flickr, Foto:

Hash-Run: Sport und Party zugleich

Club of Plenty, Wien – Hash-Run Kochen, diskutieren, Der Konsum von Alkohol ist und genießen bleibt Bestandteil des Glücksemp- findens der Menschen. Der Rausch Plenty bedeutet zu deutsch Fülle, stimuliert. Gleichzeitig nimmt Menge, Reichtum, Überfluss. Seit im allgemeinen Gesundheitsbe- Sommer 2011 beschäftigt sich wusstsein aber auch die Kritik am der Club of Plenty mit Essen und Konsum von Alkohol oder auch der Trinken und den vielfältigen damit viel besprochenen Zigarette zu. Die verbundenen Fragen zur täglichen ökonomische Lösung, die sich im Ernährung, zu geographischen und Moment anbahnt, steckt im Verrin- biologischen Hintergründen, zu gern der Dosis: Schnaps mit nur 25 ökonomischen, soziologischen und Prozent Alkohol oder Bier gemischt kulturellen Zusammenhängen, zu mit Ribiselsaft (Johannisbeersaft). Fragen der Politik, Philosophie und Der Umsatz mit Wein ohne Alkohol Ethik. Ähnlich wie die „Betonküche“ wächst bei den Briten jährlich um (www.facebook.com/Betonkueche), fast 10 Prozent! Das sind die Ergeb- deren Betreiber sich nun anderen nisse dieser Bewegung. Und dennoch Projekten widmen, begeistert der wird der leichte Glücksverzehr – gut Club of Plenty mit seinen zahlrei- dosiert und als kleines Exil ver- chen Pop-up-Cooking-Events an standen – auch in Zukunft seine unterschiedlichen Orten, die in nicht Bedeutung haben. Beim Hash-Run oder nur selten genutzten Räumen wird dieser Glücksverzehr mit Sport organisiert werden. Gemeinsam und Schweiß kombiniert. Hashing mit interessierten Menschen geht Festival of Colours ist eine Kombination aus Laufen, es um das Ergründen eines zeitge- Schnitzeljagd und Party. Gelaufen mäßen Verhältnisses von Mensch wird in Zweierteams. Alle Teams und Landschaft, das Aufzeigen von starten gleichzeitig und müssen Zusammenhängen von Produktion vier verschiedene Orientierungs- und Verteilung sowie darum, in Wort laufrunden absolvieren. Nach jeder und Tat Alternativen zum Status quo Runde wird das Zielgebiet passiert. aufzuzeigen. Denn zum heutigen Dort gibt es als Zwischenverpflegung Verständnis von Glück gehört auch Bier. Nach dem Austrinken darf die das Erkennen von Zusammenhängen nächste Runde gelaufen werden. und der bewusste Umgang damit. Wer am schnellsten alle Runden mit den vorgegebenen Kontrollpunkten www.clubofplenty.org absolviert und alle Biere getrunken hat, ist das Siegerteam.

www.hashrun.de 76

Heimaturlaub Landlust Schick naturgetreu Chic naturgetreuNostalgieNeu-Übersetzung Inszenierung Sehnsucht Zusammenkunft Salon Exklusivität Schick Beständigkeit Inszenierung HeimaturlaubCharme des Lokalen Landlust Wohlfühlen naturgetreu Entschleunigung Landlust 07Wohlfühlen Retro Exklusivität Naturgetreu Beständigkeit Zusammenkunft Sehnsucht Nostalgie Alpin-Retro-Chic entschleunigungDasSchick EventCharme der Zukunft des Lokalen Neu-Übersetzung Inszenierung Heimat HeimaturlaubnimmtLandlust sichSchick naturgetreu naturgetreu Nostalgie Neu-Übersetzung InszenierungSehnsuchtAnleihenZusammenkunft aus der Salon entschleunigungVergangenheitSchick Charme des Lokalen Retro Neu-ÜbersetzungInszenierung Heimat HeimaturlaubLandlust Schick Naturgetreu Naturgetreu Nostalgie Neu-Übersetzung Sehnsucht ZusammenkunftSalon Exklusivität Schick Beständigkeit Inszenierung Heimaturlaub Charme des Lokalen Landlust Wohlfühlen Naturgetreu Entschleunigung Oma Landlust Wohlfühlen Retro Exklusivität Naturgetreu Beständigkeit Zusammenkunft Sehnsucht Salon Nostalgie Alpin-Retro-Chic Entschleunigung Schick Charme des Lokalen Retro Neu-Übersetzung Inszenierung Heimat Heimaturlaub Landlust Schick Naturgetreu naturgetreu Nostalgie Neu-Übersetzung Inszenierung Sehnsucht Zusammenkunft Salon Exklusivität Schick Beständigkeit Inszenierung Heimaturlaub Charme des Lokalen Landlust Wohlfühlen Naturgetreu Entschleunigung Landlust Wohlfühlen Retro Exklusivität 77

Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit ist heute aus- geprägter denn je. Ob Antiquitäten in der Wohnung, die Vintage-Tasche zum Outfit oder traditionelle Speisen aus dem Rezeptbuch der Großmutter: Ganze Branchen profitieren vom Retrotrend. Mittlerweile hält dieser Trend schon so lange an, dass er selbst wieder „retro“ zu sein scheint, doch ein Ende ist nach wie vor nicht in Sicht.

Denn der Retro- oder Nostalgietrend setzt einen Kontra- punkt zur Beschleunigung unseres Alltags in einer glo- balisierten und vernetzten Welt, in der sich die Taktzahl ständig erhöht. Die Grenzen, in denen wir interagieren können, weiten sich zudem durch das Internet mit all seinen Social-Media-Kanälen und Informationsseiten schier ins Unendliche aus. Dadurch werden wir perma- nent mit Veränderung konfrontiert. Es entsteht das Be- dürfnis nach Beständigkeit und einer weit weniger kom- plexen Welt. Diesen Sehnsuchtsort verorten wir in der Vergangenheit.

Das Event der Zukunft baut deshalb Elemente aus der Vergangenheit in sein Konzept mit ein oder inszeniert ganze Veranstaltungen, die von Anfang bis Ende wie eine Reise in längst geschehene Zeiten wirken. Und ermög- licht dem Gast dadurch, in persönlichen oder kollektiven Erinnerungen zu suchen wie in einer Schatztruhe. Emoti- onalisierte Wohlfühlmomente sind so vorprogrammiert. 78

Josef Danhauser, Die Schachpartie, 1839. © Belvedere, Wien

Trend 01 meinem Diwan wird Österreich lebendig.“ Die Tochter des Verlegers Moritz Szeps und der Journa- Salons – Renaissance listen-Tochter Amalie Schlesinger wuchs in einem Umfeld auf, das geprägt war von Treffen mit der natio- des Schönen, Guten und Wahren nalen und internationalen Prominenz der damaligen Zeit. Dadurch entwickelte sie schon bald ein Gespür Als Plattform zum Netzwerken, Ort für Diskussionen dafür, wie gute Gespräche zustande kommen und wie oder Stätte der gelebten Kultur: Der traditionelle Sa- bereichernd sie für alle Beteiligten sein können. Im lon erlebt ein Revival. Besonders in Wien, der Stadt, in Hause Zuckerkandl herrschte jedoch stets eine libe- der das Salonleben um 1900 seine letzte große Hoch- rale Atmosphäre, weit entfernt von elitärem Gebaren. phase erlebte, gibt es heute wieder unterschiedliche „Hier war kein Raum für Snobismus und Arroganz. Formate der traditionellen Zusammenkünfte. Als Vor- Sowohl ,Weltdamen‘ als auch ,einfache Frauen‘ ha- bild gilt die häufig als „Salonlöwin“ bezeichnete Berta ben an der Salontradition teilgenommen“, schreibt Zuckerkandl, die mit den bedeutendsten österreichi- Berta Zuckerkandl in ihrer Biografie. schen Künstlern und der wissenschaftlichen Elite ih- rer Zeit bekannt war. Johann Strauss (Sohn), Gustav Eine öffentliche Welt an einem privaten Klimt, Arthur Schnitzler sind nur einige der großen Ort Namen, die den legendären Treffen regelmäßig bei- wohnten. Alma Mahler-Werfel lernte hier ihren Ehe- Der Salon hat sich als Gegenidee zur höfischen Kul- mann Gustav Mahler kennen. tur im Frankreich des 17./18. Jahrhunderts entwickelt, um neue Formen von Kommunikation und Nähe zu Berta Zuckerkandl verkörpert wie keine andere ermöglichen. Nach dem Motto „Leistung vor Geburts- die Wiener Salontradition, was sie selbst in einem recht, Anstand vor Geld“ breiteten sich Salons auch prägnanten Satz auf den Punkt gebracht hat: „Auf im übrigen Europa und in Russland aus. Kunst und 79 Matern Felicitas Foto:

Räume des Salon Z in Wien

Kultur fanden erstmals auch außerhalb der höfischen Zentrum rücken: Gespräche und Podiumsdiskussio- Mauern statt. Der Spirit von exklusiven Zusammen- nen über Kunst, Kultur und Politik. Das Setting wird künften und intellektuellen, schöngeistigen Gesprä- häufig ebenfalls adaptiert. Besonders gut dafür geeig- chen rettete sich über die französische Revolution hi- net ist eine Stadt wie Wien, deren historische Pracht- naus. Endlich konnte die Macht und der Einfluss der bauten weltweit bekannt sind. Aristokratie außerhalb des Hofes minimiert werden. Besonders Frauen machten den Salon schnell zu ih- →→ Das macht sich auch der Salon Z zunutze, der rer Domäne und nutzten ihn als Instrument, um sich in der Oppolzergasse 6 im ersten Bezirk Zusammen- persönlich in die Diskurse der Zeit einzubringen und künfte in der ehemaligen Wohnung von Berta Zucker- ihre Meinung kundzutun. Da der private Raum seit kandl organisiert. So steht das Z auch für Zuckerkandl. jeher der Frau zugeschrieben war, konnte sie hier Der von der PR-Expertin Gabi Spielfeld und Markus ihre Machtposition positiv zu ihren Gunsten nutzen. Schindler ins Leben gerufene Salon Z findet einmal Heute findet der Salon in unterschiedlichen Adaptio- im Monat statt und legte von Beginn an Wert auf ein nen statt. Gleich geblieben ist die Lust und Freude an hohes Niveau an Teilnehmern. Sowohl Referenten als Treffen mit interessanten Menschen im privat-öffent- auch Gäste sind im Top-Level der Wirtschafts-, Me- lichen Raum. dien- und Politiklandschaft Österreichs anzusiedeln. Exklusivität dient hier als Unterscheidungsmerkmal. Der Salon heute Doch es gibt auch immer häufiger Unternehmen, die Philosophische Zirkel, Impulsreferate, Soireen, Kurz- für Kundenevents die ganz spezielle Atmosphäre der Konzerte, interessante Gespräche und Cocktail- klassischen Salons aufleben lassen. Die vom Bank Abende – die Ausführung der Salons hat sich ausdif- Austria-Vorstandsvorsitzenden Willibald Cernko ini- ferenziert. So gibt es zahlreiche Treffen, die vor allem tiierten Salon-Veranstaltungen finden zu Themen den klassischen Gedanken der Zusammenkunft ins wie „Gastlichkeit“ oder „Entschleunigung“ im Ba- 80

Retro-Party im „Great Gatsby“-Style

rocksaal im Alten Rathaus Wien statt. Geladen werden (so heißt der Unterhaltungskünstler mit bürgerlichem Kunden, die der Podiumsdiskussion der Experten zu Namen) zur Audienz ruft und seine Sangeskünste in den jeweiligen Themen aus Kunst und Kultur, Philo- kleinem und intimen Setting zum Besten gibt. Der sophie, Design oder Wirtschaft zuhören können. neuinszenierte Salon findet dadurch zu seinen alten Ehren im Zuckerkandl’schen Sinne: Unabhängig vom Eine zeitgemäße Abwandlung der klassischen Salons Lebensstil und der Zugehörigkeit zu einer bestimm- hat das Event der Salonshow mit Friedrich („Super- ten Gruppe treffen sich hier alle Kategorien, jung und geil“) Liechtenstein geliefert. Die Inszenierung dieser nicht mehr ganz so jung, Streetstyle und Schick. Kunstfigur zeigt per se schon eine Sehnsucht nach Idolen aus früheren Zeiten, die nicht so greifbar wa- Der Salon erfreut sich so großer Beliebtheit, weil das ren und noch nicht jeden Gedankenschnipsel mit Bedürfnis nach echten Begegnungen in einer be- Millionen von Menschen auf Twitter teilten. sonderen Atmosphäre mit dem wachsenden Grad der Digitalisierung wächst. In Zeiten omnipräsenter On- So lockt der deutsche Musiker und Schauspieler Fried- linekommunikation und Eventabfertigung kultivieren rich von Liechtenstein ein sehr unterschiedliches Salons das direkte und persönliche Gespräch. Sie ge- Publikum an: Sowohl Hipster mit Jutesack und ge- ben Raum für Innovation, Kreativität, aber auch Muße pflegtem Vollbart als auch Anzugträger und Damen in und Inspiration. Cocktail-Kleid sind da, wenn Hans-Holger Friedrich 81 Foto: Flickr, Dennis Bonilla, CC-BY-ND Dennis Bonilla, Flickr, Foto: Heimatverbundenheit aus. Der Charme des Loka- len hielt erstmals wieder Einzug in das Mainstream- Bewusstsein, als vor knapp fünf Jahren die Mode- und Möbelbranchen erste Zitate in ihre Kollektionen mit einfließen ließen. Naturgetreu nachempfundene Hirschgeweihe, Kuhglockendeko und altmodisch ka- rierte Bettwäsche waren plötzlich omnipräsent, Ma- gazine wie Landlust erlebten ihre erste Glanzzeit. Dem Landleben frönen, in Form eigenen Kräuter- oder Strauchtomatenanbaus, Marmeladen selbst ein- kochen und saisonale Wohnungsdeko, das waren die Handlungsempfehlungen im Hype. Und keine gerin- gere Marke als Chanel, Synonym für zeit- und schnör- kellose Eleganz, feierte mit ihrem Landei-Look auf der Fashion Week in Paris 2010 eine inszenierte Heu- schober-Party.

Print-Magazine

Die Formensprache einer Region vermittelt das woh- lige Gefühl einer heilen Welt, suggeriert, dass es sie noch gibt: Orte, die abgrenzbar und dadurch über- sichtlich sind, die uns nicht ständig überfordern, son- dern uns in ihrer Einfachheit auch mal durchatmen und uns treiben lassen. Auch deshalb heißt die „mo- derne“ Variante der Retro-Magazine nicht mehr „Landlust“ & „Gartenfreund“, sondern Flow. Dies ha- ben die Verleger eines Mediums erkannt, dessen Fort- bestand in unserer digitalisierten Welt aktuell heiß diskutiert wird: des Printmagazins. Hauptzielgruppe Trend 02 sind die 30- bis 45-Jährigen, die, mitten in der Rush Hour des Lebens, ein paar Momente zwischen Job, Alles Retro: Wie ein Trend sich Kindern, Partner, Eltern und Haushalt in die Heile- ständig selbst erneuert Welt-Romantik eintauchen möchten. Das Magazin Flow wirkt wie ein Gegenentwurf zur modernen Me- dienlandschaft und bescherte dem ebenfalls von der Die Retro-Welle ist kein neues Phänomen, und doch Medienkrise nicht verschont gebliebenen Verlags­ schwappt sie in immer neuen Formen in immer un- giganten Gruner + Jahr eine kleine Sensation. Seit der terschiedlichere Branchen hinein. Auch das Event ersten Ausgabe im Jahr 2013 hat das Magazin seine profitiert von der Wiederbelebung vergangener Zei- Auflage mehr als verdreifacht. ten und ihrer Neuübersetzung ins Hier und Jetzt. Der Nostalgietrend wird in folgenden Bereichen beson- Was für den Erfolg einer Zeitschrift gilt, deren The- ders stark zelebriert: menspektrum sich zwischen „Selbermachen: Schö- ne Scherenschnitte“, „Granny Chic: Die Kunst, sich Mode und Möbel einzurichten wie bei Oma“ und „Achtgeben auf sich selbst – gar nicht so einfach, aber so wichtig“ bewegt, Der Gegentrend zur globalen, hypervernetzten Ge- sickert auch immer mehr in die Tourismusbranche sellschaft zeichnet sich durch eine wiederentdeckte durch. 82 Foto: Flickr, Susanne Tofern, CC-BY-SA Tofern, Susanne Flickr, Foto:

Trend 03 laub in Sommerfrische. Während Urlaub in der Nach- kriegszeit noch etwas Besonderes war, hat der Boom Retro-Tourismus des Pauschaltourismus in den 80ern und 90ern auch die entlegensten Ecken für den Durchschnittsbürger zugänglich und die Reise ans Mittelmeer selbstver- Auch im Tourismus macht sich die Sehnsucht nach ständlich gemacht. der guten alten Zeit, in der man von exotischen Karibik-Stränden meist nur träumen konnte, bemerk- →→ Der Kurort Bad Gastein zelebriert den Alpin-Ret- bar. Die Karibik-Strände sind seit der Entstehung von ro-Chic wie kein anderer Ort in Österreich, ja sogar im Pauschalreisen und mit immer günstiger werdenden deutschsprachigen Raum. Mit dem verstaubten K&K- Flugpreisen in erreichbare Nähe gerückt. Und auf ein- Flair wird eine Stimmung erzeugt, die transzendental mal mutet es exotisch an, wieder in die Alpen oder ins zwischen dem Hier und Jetzt und der Vergangenheit Salzkammergut zu fahren. zu schweben scheint. Ruhig und idyllisch gelegen, umringt von mächtigen Bergen, wirkt der Ort, als sei Laut aktueller Statistik Austria-Erhebung zu den Rei- Kaiser Franz Joseph gerade erst wieder abgereist. Und segewohnheiten der Österreicher verreisen 3 von 4 doch bieten Boutique-Hotels Zimmer an, die einen Bürgern über 16 Jahre mindestens einmal im Jahr. ganz eigenen Mix aus „Modern und Vintage“ verkör- Das Ausschlaggebende dabei: Das Ziel von knapp pern. Wer Bad Gastein besucht – ob online oder real –, mehr als der Hälfte dieser Reisen war Österreich. Die hat das Gefühl, auf den Spuren von Thomas Manns Lust am (Wieder-)Entdecken des eigenen Landes ist Sanatorium auf dem „Zauberberg“ zu wandeln oder angesagt. Dass der Trend zu „Heimaturlaub“ geht, aber denkt unwillkürlich an die Filmkulisse aus dem zeigt auch der abermalige Begriffswechsel von Ur- „Grand Budapest Hotel“. 83 Foto: Unsplash, Michael Browning, CC0 Browning, Michael Unsplash, Foto:

Trendprognose

Die Bandbreite von vergangenheitsbezogenen Angeboten wird weiter wachsen. Der Retro- Trend ist noch lange nicht vorbei – vielmehr taucht er in unterschiedlichen Branchen im- mer wieder als Rekursion auf und wird jedes Mal aufs Neue wiederbelebt. Da der aus dem Lateinischen stammende Begriff „retro“ nichts anderes als „rückwärts“ bedeutet, ist die An- leihe, die wir uns aus der Vergangenheit neh- men, an keine bestimmte Zeit oder Epoche ge- bunden.

Somit sind auch den Konzepten für das Event der Zukunft keine Grenzen gesetzt: Swing- Beats, inspiriert von den Stilelementen der Gol- denen Zwanziger, oder Poesiealben-Charme und Heimaturlaub aus den kollektiven Kind- heitserinnerungen: Zitate aus der Vergangen- heit können vielfältig sein. 84 Best Practices Foto: © Elena Gatti PH, www.elenagattiphotography.it PH, Gatti © Elena Foto:

Neo-Burlesque: Es wird getanzt, verführt, verzaubert

Live Burlesque Shows Glitzer, Glamour und viel Eine Neuauflage eines traditionellen nackte Haut: Das Londoner Formates ist die Neo-Burlesque, welche Burlesque Festival vor allem in Großbritannien und den USA eine enorme Renaissance erfährt. Das Das seit 2006 jährlich stattfindende burlesque Theater greift auf die Ästhetik Londoner Burlesque Festival trifft den der Fetisch-Szene und klassischer Pin- Nerv der Zeit und bietet eine etwas ups zurück. Es kokettiert mit der Erotik andere Unterhaltung. Hier tummelt und wirkt für heutige Verhältnisse recht sich alles, was in den alternativen harmlos in Bezug auf seine sexuelle Retro-Subkulturen Rang und Namen Deutlichkeit – nicht von ungefähr hat. Das Show-Angebot ist entspre- gilt die Burlesque als „die kultivierte chend vielseitig: von den klassischen Stiefschwester des Striptease“. Als eine Burlesque-Revues über die Gender- gesellschaftlich akzeptierte Form der Bending-Performances (= ambiva- Erotik ist der Besuch einer Burlesque- lente Geschlechtszuweisung), wie die Vorführung etwas zum Vorzeigen, zum sogenannte „Boylesque“ (Burlesque Angeben, etwas, was auch zur Selbst- mit Männern), bis zum etwas sonderbar darstellung des Zuschauers beiträgt. anmutenden „Twisted Kabarett“.

www.londonburlesquefestival.com 85

Retro-Skirennen in Österreich Der Club „Bleib retro“ organisiert gerne besondere Ski-Events wie den „Retro Parallel Slalom“ in Going am Wilden Kaiser in Ellmau. Die österreichischen Meisterschaften stellen eigene Regeln auf, so muss die Skilänge größer als CC-BY-SA Frigeri, Alessandro Flickr, Foto: die Körpergröße sein, und neben dem Wanderpokal in Form eines Retro-Holz- skis für den Sieger wird auch das beste Outfit und die beste Show prämiert. Seinen Höhepunkt findet das Event schließlich in einer großen Retro-Party. www.goingsport.at/category/events

L’Eroica – Rennradliebhaberei in der Toskana Die L’Eroica-Radrundfahrt findet jährlich im Herbst in der Toskana statt und ist ein Highlight für alle Liebhaber von alten Rennrädern. Die Fahrräder müssen alle aus der Zeit vor 1987 stammen. Seit das Rennen erstmalig im Jahr 1997 ausgetragen wurde, hat sich die Teilnehmerzahl ständig erhöht. Im Jahr 2008 war das Rennen mit 3000 Teilnehmern zum ersten Mal ausgebucht. Obwohl die Teilnehmer dabei auch Strapazen auf sich nehmen müssen, denn zu der Tatsache, dass die älteren Räder weniger komfortabel sind als neue Modelle, kommt die schwierige Straßenbeschaffenheit hinzu. Knapp 50 Prozent der Strecke verlaufen auf den sogenannten „strade bianche“, den typischen „weißen Straßen“, die aus Schotter bestehen und, besonders mit den schmalen Rädern, schwierig zu befahren sind. Neben dem Rennen gibt es unzählige Feste sowie einen Ersatz- teilemarkt für die Räder. L’Eroica-Radrundfahrt: Hier kommen Radnostalgiker auf ihre Kosten 86

Live-Stream professionell Eventisierung des Alltags Storytelling Vernetzung perfekt inszeniert live-Stream SelbstdarstellungMotto-Party StorytellingEventkochenVergnügungsparkHochzeit MärchenhochzeitShowformat Eventstagram Vernetzung besondersShowformat perfekt inszeniertEvent-Dienstleister08 spektakulär Themen-Hochzeit Individualisierung unmittelbare Unterhaltung Spielshow professionellDas EventEventisierung wird des Alltags Social MediaGuerilla-Restaurants Kreativität StorytellingzumVernetzung Alltag, perfekt inszeniert Themen-Hochzeit Showformat Eventstagram Vernetzungder Alltag wirdperfekt inszeniert Themen-HochzeitzumShowformat Event Eventstagram SelbstdarstellungMotto-Party Live-Stream EventkochenVergnügungspark Promihochzeit Storytelling besondersShowformat perfekt inszeniertEvent-Dienstleister spektakulär Themen-Hochzeit Weddingplaner Individualisierung Eventstagram unmittelbare Unterhaltung Spielshow Live-Stream professionell Eventisierung des Alltags Social Media Guerilla-Restaurants Kreativität Storytelling Vernetzung perfekt inszeniert Themen-Hochzeit Showformat Eventstagram Selbstdarstellung Motto-Party Live-Stream Eventkochen Vergnügungspark Promihochzeit Storytelling Vernetzung besondersShowformat perfekt inszeniert Event-Dienstleister spektakulär Themen-Hochzeit Weddingplaner Individualisierung Eventstagram unmittelbare Unterhaltung Spielshow Live-Stream professionell Eventisierung des Alltags Social Media Guerilla-Restaurants Kreativität 87

Durch die Digitalisierung ist die moderne Welt so ver- netzt wie nie. Wir teilen, posten, liken – und das Ganze nicht selten im Sekundentakt. Wer in diesem (sozialen) Netzwerk auffallen möchte, der weicht vom Standard ab und macht Alltägliches zum Ereignis.

Ganz gleich ob eine Heirat, Geburtstagsfeier oder ein ge- meinsames Essen – immer mehr Menschen machen aus persönlichen Feiern wahre Events, die cool, einzigartig – und vor allem perfekt inszeniert sein müssen. Auf Platt- formen wie Pinterest oder Facebook und in TV-Showfor- maten wie „Das perfekte Dinner“ oder „Vier Hochzeiten und eine Traumreise“ begegnen uns dabei tagtäglich die Inszenierungen anderer und erhöhen den Druck, es bes- ser zu machen – unseren Alltag zu einem noch imposan- teren und professionelleren Event zu machen.

Da die Eventisierung des Alltags in der Regel mit einem Mehraufwand verbunden ist, entsteht ein neuer Markt für Dienstleister, die zur Unterstützung der perfekten In- szenierung gebraucht werden. Ganz gleich ob die 50er- Jahre-Motto-Party, die traumhafte Vintage-Hochzeit oder der Geburtstag der Kinder, immer mehr Menschen übergeben die Planung und Ausführung ihres Events in die Hände von Professionals wie Weddingplaner, Agen- turen für Kindergeburtstage und Co. Und auch in der pri- vaten Küche findet man zunehmend den Profikoch, der uns kulinarisch verwöhnt. 88

Trend 01 Foto: © Corey Balazowich, Corey Ann Photography Corey Balazowich, © Corey Foto: Event-Hochzeiten: Der schönste Tag im Leben

Diverse Hochzeits-Showformate wie „Vier Hochzei- ten und eine Traumreise“ (vox.de/cms/sendungen/4- hochzeiten-und-traumreise.html), immer öfter öffen­t- ­­lich zelebrierte Promihochzeiten und Plattformen wie Pinterest oder Facebook, die regelrecht vor DIY- Tipps und Tricks für die perfekte Hochzeit überquel- len, setzen Brautpaare zunehmend unter Druck, die perfekte Hochzeit veranstalten zu müssen. Wurde früher noch im kleinen Kreis der Familie in einer klei- nen Gaststätte um die Ecke gefeiert, sind heute drei- tägige Hochzeitsfeiern nicht unüblich. Neben dem gegenseitigen Bekenntnis der Liebe geht es zuneh- mend auch darum, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Wie wäre es mit einer richtigen Märchenhoch- zeit im Stil von Disneys „Frozen“ (ivyandolive.de/ portfolio/maerchenhafte-winterhochzeit) oder viel- leicht einer traditionellen Zeremonie im rustikalen Ambiente? Ob auf dem Meer oder in der Luft, die Möglichkeiten, sich das Jawort zu geben, scheinen unerschöpflich und so individuell wie das Brautpaar selbst. Heutzutage reicht es vielen Paaren nicht, BE- SONDERS zu heiraten. Hochzeiten müssen EXTRA- VAGANT sein. Je spektakulärer, desto besser. Liebe und Tradition rücken dabei zugunsten eines perfekt geplanten und ausgeführten Events in den Hinter- grund. Der Fokus liegt auf der perfekten Loca- tion, dem perfekten Essen und dem perfekten Kleid. Jedes noch so kleine Detail, wie Tischkarten, Kirchenbücher oder Farben, muss aufeinander abge- stimmt sein. Event-Hochzeiten sind die perfekte In- szenierung der Liebe zweier Menschen. 89

Mehr als Standard nehmen immer mehr Paare einen Weddingplaner als Dienstleister in Anspruch, der ihnen dann mit Besonders hoch im Kurs stehen bei Paaren Themen- Rat und Tat zur Seite steht und als Vermittler zu den Hochzeiten. Entsprechend dem Megatrend Indivi- unterschiedlichen Branchen fungiert. Wer sich zum dualisierung kann das Thema hierbei außergewöhn- Weddingplaner berufen fühlt, kann einen Lehrgang lich – oder zuweilen skurril sein: ob Zwanzigerjahre, in Deutschlands erstem Schulungscenter für Professi- Blumenhochzeit oder Black‘n White, der eigenen Kre- onelle Hochzeitsplaner machen. Hier lernt man alles ativität ist nahezu keine Grenze gesetzt. Internetsei- über Trauungsrituale, Locationwahl, Vertragswesen ten wie themenhochzeiten.de oder 1001hochzeiten. und Existenzgründung. de bieten hilfreiche Tipps für die Konzeption und Or- hochzeitsplaner-ausbildung.de ganisation. Brautpaare finden hier Ideen für Mottos, die passende Hochzeitsdekoration und ein Netzwerk Trend 02 von Händlern. Bevorzugten Paare 2014 noch pompö- se Hochzeiten im Vintage-Stil, liegen 2015 vor allem Kindergeburtstage: It’s my Party schlichte Hippie-Hochzeiten im Trend.

→→ Doch die schönste Event-Hochzeit nutzt nichts, Die zunehmende Eventisierung beschränkt sich je- wenn man sie nicht mit der (digitalen) Außenwelt tei- doch nicht nur auf die Welt der Erwachsenen, auch len kann. Das W Hotel (wnewyorkunionsquare.com/ die Kleinen feiern schon wie die Großen. In gemie- manhattan-wedding-venues) in Manhattan hat sich teten Gemeindesälen ausgerichtete Mottopartys mit hierfür etwas überlegt: es bietet für 3.000 Dollar einen Hüpfburgen, Clowns und DJ, bei denen die ganze Social Media Wedding Concierge an, der live für alle Jahrgangsstufe, zumindest aber die ganze Klasse zum twittert, die nicht bei der Hochzeit dabei sein können. Geburtstagsevent eingeladen wird – das ist mittler- weile Standard für den Kindergeburtstag. In Großbri- →→ Echte Instagram-Liebhaber können mit dem Pro- tannien bereits gang und gäbe, findet sich der Trend gramm Eventstagram arbeiten. Hier werden die Bil- zu aufwendigen Geburtstagsevents für Kinder der aller Gäste während des Festes live auf eine Lein- zunehmend auch in Deutschland. wand übertragen (eventstagr.am). Die Kids-Events stoßen unter anderem deshalb auf Begeisterung, weil Kinder von heute die Art unmittel- Der gute Geist im Hintergrund barer Unterhaltung erwarten, die sie beim Einschalten ihrer Handheld-Konsolen und Tablets bekommen. Immer individueller, origineller, kreativer – durch den „Boredom in the midst of plenty“ (Langeweile Trend zu Event-Hochzeiten wird die Organisation mitten im Überfluss) ist eine prägnante Charakteri- komplexer, die Erwartungen werden höher und die sierung. Das Angebot ist vielfältig – die Dimensionen Unsicherheiten größer. Das verlangt nach einer pro- der Branche erstrecken sich von Alleinunterhaltern fessionellen Organisation und schafft Raum für die bis zu Unternehmen, die mit ihren Produkten, Un- Berufsgruppe der Weddingplaner. In den USA wer- terrichts- und Unterhaltungsangeboten nicht nur auf den bereits seit Jahrzehnten 70–90% aller Hochzei- dem freien Markt um den Konsumenten buhlen, son- ten professionell begleitet, und auch in Deutschland dern auch gezielt an die Schulen gehen. 90 Foto: Flickr, Chris Moseley, CC-BY-ND Chris Moseley, Flickr, Foto:

Alles für die Kleinen Clowns, Ballonkünstlern, Puppentheatern, Kinder- Ob Zoo, Spielparadies oder Vergnügungspark, um sich schminken und Hüpfburgen. Bei den Hüpfburgen gibt die Arbeit in den eigenen vier Wänden zu ersparen, es nun in Erweiterung diverse weitere „aufblasbare“ verlegen viele Eltern die Partys ihrer Kleinen an spe- Attraktionen, wie Sumo-Ringer, Rutschen, Fußballtore zielle Veranstaltungsorte. Laut der International Asso- oder Hindernisparcours. Das amerikanische Unter- ciation of Amusement Parks and Attractions (IAAPA), nehmen Unique Inflatables (bouncies.com) hat sich dem größten internationalen Fachverband für dauer- auf die Herstellung dieser sogenannten „Inflatables“ hafte Vergnügungseinrichtungen weltweit, geben El- spezialisiert. In Deutschland zählt Neumann zu den tern in den USA umgerechnet rund 330 Euro pro Party wichtigsten Lieferanten (neumannxxl.de). aus. Bei knapp 2000 Partys im Jahr ist das ein lukrativer Gewinn. Professionelles Geburtstags-Event →→ Hoch im Kurs der Kleinen stehen auch Motto- Partys: von der Superheld-Party bis zum Prinzessin- Wo Süßigkeiten, Kuchen und unkomplizierte Spiele nen-Ball. Online-Plattformen wie Geburtstagsfee. wie Topfschlagen oder Reise nach Jerusalem jahr- de oder Haveaniceparty.com bieten DIY-Kom- zehntelang für gute Laune auf Kindergeburtstagen plettsets für eine unvergessliche Feier – und das nicht sorgten, gelten jetzt andere Maßstäbe. Kids-Events nur für die Kleinen. sind ein boomender Markt, der nach vielen Dienst- leistern verlangt. Von der Wahl der Location über →→ Nach wie vor ein Hit für Groß und Klein ist die die Einladungskarte bis hin zum Entertainment-Pro- klassische Jahrmarktunterhaltung mit Zauberern, gramm – und den richtigen Partygeschenken – gibt 91 Foto: Flickr, Jonas Seaman, CC-BY-NC-SA Jonas Seaman, Flickr, Foto:

Trend 03

Kochen und Essen als Event

Selbst in Familien wird selbstgekochtes Essen immer seltener. Nicht selten speisen Berufstätige in der Kan- tine oder ernähren sich vor allem von Snacks. Auch wenn sich das durchschnittliche Arbeitsvolumen in den letzten vierzig Jahren um mehr als 20 Prozent ver- ringert hat, beklagen sich rund 40 Prozent der Bevöl- kerung weiterhin über einen akuten Zeitmangel.

Zeitraubende Arbeitswege, Home Office, Doppelbe- lastung oder Zweitjobs sind Gründe für unregelmä- ßige Feierabende und fehlende Strukturen im Alltag. Neben den beruflichen Anforderungen wachsen auch die sozialen Verpflichtungen. Ganz gleich ob Haus- es viel zu beachten. Für Eltern zwischen beruflicher halt, Sport, Unternehmungen mit Freunden oder Fa- Auslastung und sozialen Verpflichtungen ist das heut- milie, in der Regel bleiben die ausgewogenen Mahl- zutage kaum noch zu schaffen. zeiten auf der Strecke. Für viele gehören stattdessen Fertiggerichte und Fast Food zum Alltag. Doch ein Für Entlastung sorgen zunehmend Agenturen für Kin- Wandel ist in Sicht: Frisch Gekochtes in Gesellschaft derevents. Sie bieten in der Regel das Rundum-Sorg- zu essen mausert sich zu einem neuen Trend. Ko- los-Paket mit allem, was das kleine Kinderherz höher chen wird zum Event – für das man sich Zeit nimmt. schlagen und die Eltern erleichtert aufatmen lässt.

→→ Die Agentur Farbenfroh (agentur-farbenfroh. Beim Zusammen-Essen ist man de) bei Frankfurt am Main zum Beispiel verlangt für weniger alleine ein dreistündiges Geburtstagsprogramm mit einem Clown und einer Schminksession etwa 170 Euro. Das Wie wäre es mit dem „perfekten Dinner“ unter Freun- besondere Etwas bieten die Münchner Kinderge- den, einem Kochduell gegen Arbeitskollegen oder so- burtstagsmacher tollkids (tollkids.de). Hier zahlen gar einem Kochevent mit völlig fremden Menschen? Eltern zwar stolze 600 Euro für eine Motto-Party und Online-Plattformen wie Co-cooking.de, Koch- mindestens 1500 Euro für eine maßgeschneiderte gruppen.de oder Yumwe.de haben Hochkonjunk- Feier, müssen sich dann aber um nichts mehr küm- tur. Getreu dem Motto „Gemeinsam kochen macht mern. Die Agentur organisiert alles, von der Dekora- mehr Spaß“ findet man hier Kochpartner und -grup- tion über die Einladungen bis zum Give-away für die pen in allen größeren Städten – von Berlin bis Frank- kleinen Gäste. furt. Wahre Kochevents finden sich zum Beispiel auf 92 Foto: Unsplash, Ali-Inay, CC0 Ali-Inay, Unsplash, Foto:

rudirockt (rudirockt.de). Quer durch eine Stadt wer- kulinarisch von ihm verwöhnen zu lassen. Das passt den hier Drei-Gänge-Menüs mit beliebig vielen Teil- zum Zeitgeist der ambitionierten Hobbyköche und nehmern veranstaltet. Gekocht wird in Zweierteams, Foodies. Noch vor zehn Jahren war Essengehen an- und jeder Gang wird in einer anderen Küche serviert. lassgetrieben, heute feiern wir zunehmend den Bei der abschließenden After-Dinner-Party sieht man Rückzug ins Private – zu privaten Dinner-Events alle Teilnehmer zum ausgelassenen Feiern und Re- mit möglichst wenig Aufwand. zepte austauschen sowie Vereinbaren weiterer Tref- fen wieder. Das Projekt Kitchensurfing hilft bei dieser kulinari- schen Privatisierung. Via Online-Community werden →→ Das etwas andere Kochevent erwartet Interessier- hier Köche in New York, Boston und Berlin an Haus- te bei ComeCookAndEat. Das Projekt wendet sich halte und Firmen vermietet. 70 Köche im Raum Ber- vor allem an Reisende und setzt auf Internationalität lin bieten einen solchen Service bereits an – Tendenz und Multikultur. Anhand eines Profils können Reisen- steigend. de mit Gastgebern aus anderen Ländern Kontakt auf- kitchensurfing.com nehmen, um gemeinsam mit ihnen einzukaufen und zu kochen. Durch das gemeinsame Kochen sollen Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren soge- sich die Teilnehmer vor allem über kulturelle Tradi- nannte Guerilla-Restaurants, bei denen fremde tionen sowie Essgewohnheiten anderer Kulturen aus- Menschen zusammenkommen, um sich von einem tauschen und voneinander lernen können. Profi oder einem passionierten Hobbykoch verkös- comecookandeat.org tigen zu lassen. Die Kommunikation solcher Events findet vor allem über Blogs oder Social-Media-Kanäle Gourmetküche lässt grüßen statt. Hier kann man sich anmelden und erfährt den Dinner-Ort. Da diese Art der Gastronomie eine Grau- Eine exklusivere Form des Eventkochens ist, sich ei- zone ist, ist es schwer zu sagen, wie viele solcher Gue- nen Koch direkt nach Hause zu bestellen und sich rilla-Restaurants es mittlerweile gibt. 93 CC0 Gregory, Ed Foto:

Trendprognose

„Denken Sie groß“ heißt der aktuelle Song der Band Deichkind: „Ein bisschen Größenwahn- sinn schadet nicht.“ Warum eigentlich nicht? Unsere Gesellschaft ist hochgradig individu- alisiert. Gemacht wird in der Regel, was uns gefällt. So passiert es schnell, dass der Alltag zum Event wird. Hier werden wir uns auch in Zukunft „austoben“, verrückt sein und uns so- wie unsere Wünsche verwirklichen.

Da die Inszenierung und die Organisation eines solchen Alltagsevents viel Zeit und Aufwand bedeutet, wir aber weiterhin beruflich und so- zial voll eingespannt sind, wird auch der Markt für Dienstleister aus dem Eventbereich weiter wachsen. 94 Best Practices

(Kinder-)Geburtstagsevents

Die Spielshow für den Für Superhelden und Geburtstag Prinzessinnen „Was hast du drauf?“ fragt der Dip- Über Kinderdienstleistungen lomsportlehrer, Sporttherapeut und ist ein erneutes Aufleben der Personal-Trainer Thomas Kurth. Auf Geschlecht­erteilung zu erkennen: seiner Website bietet er ein Event Immer stärker werden die Angebote im Stile von Stefan Raabs Spielshow speziell auf die vermeintlichen „Schlag den Raab“ an und garan- Bedürfnisse von Jungen und tiert: „ Affengeile Spiele, kombiniert Mädchen abgestimmt: Partys nur in mit Teamgeist und Kooperation“. Pink, Makeover-Partys, „Pamper“ Es geht um eine Kombination von (Verwöhn/Wellness)-Partys für Mäd- Wissen, Geschick und Ausdauer. chen, und für die Jungen diverse Kurths Konzept richtet sich an Sport-Partys. Das amerikanische Unternehmen, Jugendzentren oder Unternehmen „Fairest of Them Sportgruppen, eignet sich aber All Princess Parties“ hat sich zum auch für Kindergeburtstage oder Beispiel auf Prinzessinnen-Partys Junggesellenabschiede. spezialisiert.

www.was-hast-du-drauf.de www.fairestprincess.com 95 Fotos: © 2013 Tyler Branch Photo, www.tylerbranchphoto.com Photo, Branch Tyler © 2013 Fotos:

Event-Hochzeiten Kochevents

Die Hochzeits-Koryphäe Gemeinsam kochen Kitchen Guerillas Frank „Froonck“ Matthée ist seit und essen verbindet Hinter der mobilen Kücheneinheit seiner Organisation der spektaku- Das Prinzip hinter der – von Kersten stecken Olaf Deharde und die Brüder lären Fernsehhochzeit von Popstar und André 2013 ins Leben geru- Onur und Koral Elci aus Hamburg. Sarah Connor 2005 eine wahre Wed- fenen – Coocasa-Bewegung ist so Die drei sind nicht nur Freunde, son- dingplaner-Ikone. Mit seiner Agentur simpel wie genial: „Koch dich durch dern lieben es, richtig gut zu kochen „Wedding Agency“ verspricht er seit die Küchen deiner Stadt.“ Der Zufall und zu essen. Als Kitchen Guerillas 2002 extravagante Hochzeiten mit entscheidet, ob man in der eigenen bringen sie Menschen zwischen Glamour. Neben seiner aktuellen oder einer fremden Küche kocht. Istanbul und Hamburg an wech- Tätigkeit als Kommentator bei „Vier Dabei stellt der Gastgeber die Küche, selnden Orten zusammen – ganz Hochzeiten und eine Traumreise“ während die Mitesser den Einkauf gleich ob Restaurants oder leerste- bringt er unter „Monsieur Froonck“ erledigen und Getränke mitbringen. hende Hallen. Bei ihren Kochevents ausgesuchte Hochzeitsaccessoires Die Kosten werden untereinander geht es dabei nicht nur um gutes auf den Markt. geteilt. Bereits 2351 „Herdplatten- Essen, sondern vor allem ums Gast- rocker“ waren aus Deutschland, geben – mit Herz und Leidenschaft. www.monsieur-froonck.com Österreich und der Schweiz dabei. www.wedding-agency.de kitchenguerilla.com www.cookasa.com 96

Creative Community Wir-Kultur Wertewandel Umweltschutz Selbsterfindung Netzwerkgesellschaft Glücksbooster Creative Community Kollaboration Entfaltung virtuell erlebenKomplexität Vision CrowdfundingChance Editing Glokalisierung swapping gemeinsame IdentitätenErlebnis mitmach-Event09Transzendenzhybride Gemeinschaften Storytelling Exklusivität Smart Mob Nostalgie Open PublicSource Viewing Sharing kollaborationAnti-AlltagEvent-Matrix:kollektive Emotionen entschleunigungHerkunftErlebnis-Kultur Smartphone einzigartig EntschlüsselungIndividualisierung kollektive Emotionenintelligentes Feedback Corporate SocialSportivitydes Event-GenomsSharing ResponsibilityBarcamp Wohlfühlen gastronomie Partizipation Digital Natives Informationsdesign AustauschGewissen DatenaustauschVerwurzelungSustainable Partying virtuelle teinehmer Bio Selbsterfi ndung HochgenussVerwurzelungFairtrade Vision Balance Social Mediakollaborativ Informationsvielfalt Exklusivität Geschichte Swapping Peer-Groups Creative Community naturgetreu Wir-Kultur Wertewandel Umweltschutz Selbsterfindung Netzwerkgesellschaft Hybrid-EventCreative CommunityKollaboration Superhirne virtuell erlebenKomplexität Vision Crowdfunding Chance Editing Glokalisierung Swappinggemeinsame IdentitätenErlebnis Transzendenz hybride GemeinschaftenMitmach-Event regionalGreen MusicExklusivität Smart Mob Überblick Public Viewing Open Source Sharing Kollaboration Anti-Alltag kollektive Emotionen Entschleunigung HerkunftErlebnis-Kultur Smartphone einzigartig neue Nachbarschaften Individualisierung 97

Unsere Welt wird immer komplexer, dynamischer und undurchsichtiger. Globalisierung, Wirtschaftswachstum und weltweite Vernetzung bergen neue Herausforderun- gen, der Einzelne hat immer häufiger das Gefühl, dass sich die Geschwindigkeit erhöht.

Torsten Krauel, Redakteur der Tageszeitung DIE WELT, schreibt in einem Kommentar zum Thema Beschleuni- gung, dass besonders Jugendliche einen Komplexitäts- grad in ihrem Alltag erreicht haben wie früher Manager: „Der durchtechnisierte Alltag erfordert von Jugend- lichen eine Verhaltenskomplexität, wie sie früher nur Topmanager beherrschen mussten. Die aber hatten ein Sekretariat für die Aufgabenplanung (...).“

Die Komplexität geht gegen unendlich: Festhalten ist sinnlos, Fließen wird zum zentralen Motiv (Byung-Chul Han). Wenn alles fließt, können Events zu kurzzeitigen Verankerungspunkten werden.

Haben Events deshalb besonders heute und in Zukunft einen so großen Erfolg? Hier lohnt eine nähere Betrach- tung: die Entschlüsselung der Event-DNS. 98

Die Event-DNS und ihre Veränderung

Bereits in der ersten Ausgabe dieser Studie haben wir uns die Event-Strukturen mit Hilfe einer Metapher ver- deutlicht: dem Biomolekül, das alle Lebewesen in sich tragen: der DNS.

Die DNS (Desoxyribonukleinsäure) ist jenes Molekül, das die Erbanlagen aller Lebewesen und damit die Grundlage für Leben und dessen Weiterentwicklung beinhaltet. Dieses Bild lässt sich sehr gut auf Events übertragen, bestehen diese doch, unabhängig von ihrem Ziel und ihrer Ausrichtung, auch aus unter- schiedlichen Grundbausteinen, die, je nach Kombi- nation, ein Ereignis formen. Und auch die Einzelteile von Events verformen sich aufgrund unterschiedlicher sozio-kultureller und technologischer Entwicklungen auf ihrem Weg in die Zukunft.

Die Grundbausteine, die mit unterschiedlichen Ele- menten gefüllt werden können, sind, wie auch in der ersten Studie, folgende: Auslöser, Zeit, Dimensi- on, Ort, Rituale, Kommunikation, Emotion und Geld.

Diese Bausteine bilden die Parameter, die sich nicht verändern. Einzig ihr Inhalt und ihre Dimension sind dem Wandel der Zeit und damit dem Wandel der Gesellschaft unterworfen. Bricht man die Events auf deren DNS-Grundstruktur hinunter, wird deutlich, welche Veränderungen auf die einzelnen Felder ein- wirken und welche Stellschrauben gedreht werden können, um die Struktur selbst zu verändern. Anhand realer Beispiele lässt sich gut vor Augen führen, wel- ches enorme Potenzial in der Gestaltung eines Events liegt – jetzt und in Zukunft.

Dabei gibt es nicht den einen richtigen Entwurf, son- dern eine Vielzahl an Möglichkeiten. So wie die Höchstleistung eines Panthers nicht mit den Fertigkei- ten einer Ameise in Konkurrenz steht, können unter- schiedliche Events gleichermaßen erfolgreich sein. 99

Die Bestandteile der Sich inszenieren Event-DNS und ihre Togetherness Veränderungen Interaktivität Openness Webgerecht Storytelling Spielerisch

Bigger gets bigger gets smaller Vor- und Nachbereitung Viele Kleine Persönlicher Prosumer K(l)eine Mitte Rituale Viral Virtualität

Kommunikation­ Dimensionen

Multiplikatoren Verrückte Orte Instant Vernetzung ungewöhnliche Überall Zeitpunkte Zeit Menschen Ort Ausdehnung Mobilitäts­ bereitschaft Fraktal Nicht-Orte Kürzer/schneller

Emotion Geld

Engramme, Neuromarketing Crowdsurfing Auslöser & -manipulation ROI Konzentriert (volle Dosis) Sponsoring Flow-Kanal Krise Spaß Low-Now-Budget

Aufmerksamkeit erzeugen DIY (Interessen) Reiz des Ungewöhnlichen Vielfalt Soziale Missstände Natur Informationsflut Teilhaben

Quelle: Zukunftsinstitut Quelle: Internet wird Realität 100

Veränderung 01: Auslöser Veränderung 02: zeit

Wenn die Vergangenheit zum Wird die Zeit verzögert und die Auslöser für einen Perspektiven­ Langsamkeit des Seins un­ wechsel wird, sprechen wir von erträglich, ist die Band Sunn O))) Historical Reenactment nicht weit

Die Presse titelte „Riesige Ritterschlacht mit 6.000 Je nach Veranlagung ist bereits der Besuch eines Teilnehmern“, diesem Spektakel wohnten 150.000 Musik­konzerts an sich ein Akt der Entschleunigung. Zuschauer bei; hierbei kann man getrost von einem Gelangt man allerdings zu einem Gig der Band Sunn Event sprechen. Geschehen bei der Nachstellung der O))), wird die Reduktion durch Minimalimus auf Schlacht von Tannenberg im Jahre 2010, zum 600-jäh- das Maximum getrieben. Sunn O))) spielen Drone rigen Jubiläum einer der größten Ritterschlachten Doom, eine extreme Form des an sich schon sehr der europäischen Geschichte. Dieses Historical schleppend gespielten Doom Metals. Kennzeichnend Reenactment, zumeist von Schlachten, hat in den sind neben brachial verzerrten Gitarren sehr langsa- USA eine große Tradition, insbesondere die Kämpfe me Schlagzeugrhythmen, manchmal im Bereich von im Zuge des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861– weniger als 10 bpm (Anschlägen pro Minute). Zum 1865) werden als Living History aufgeführt. Vergleich: Popsongs bewegen sich meist rund um 100 bpm, der menschliche Herzschlag zwischen 70 und Die Verarbeitung und Veranstaltung der Vergangen- 80 bpm. heit in der Gegenwart kann auch den Blick auf die Zu- kunft freimachen. Bei aller Gefahr der Verharmlosung So entsteht bei Konzerten von Sunn O))) ein minima- und Geschichtsklitterung ist wohl auf keinem ande- listischer Sound-Ozean, taucht man als Zuschauer ren Wege ein größeres Publikum, welches Geschichte darin ein, löst sich das konventielle Zeitempfinden erlebt, zu erreichen. auf. Sunn O)))-Konzerte können als musikalische Annäherung an das Nichts, als Negierung der Zeit ge- →→ Event-Veranstalter nehmen sich Anleihen aus der deutet werden. Somit erreicht hier Zeit im Zuge des Vergangenheit, um sich Richtung Zukunft zu orientie- Events eine doppelte Bedeutung. ren. →→ Events der Zukunft spielen mit der Zeit – über ex- →→ Die Do-It-Yourself-Kultur entwickelt sich zu einer treme Kürze oder extreme Länge. proaktiven, selbstorganisierten Wir-Kultur, die für ein neues Gefühl von Gemeinschaft sorgt. →→ Events können zu Löchern in der Zeit eines durch- strukturierten Alltags werden und diesen erträglicher →→ Die Teilhabe an großen Vorgängen lässt einen machen. kollektiven Erfahrungsschatz entstehen, der gerne mit anderen geteilt wird – auch und vor allem über →→ Ungewöhnliche Zeitpunkte geben einem Event das Internet. eine gewisse Nuancierung. 101

Veränderung 03: dimension Veränderung 04: ORT

Wenn Charity und Glamour eine Wenn öffentliche Orte als internationale Dimension Straßenküche genutzt werden, annehmen, geht es um den Life spricht man von Street Food Ball Markets

Auch wenn der Life Ball im Jahr 2015 bereits zum 23. Längst wird der öffentliche Raum immer wieder als Mal über die Bühne geht, so schaffen es Gery Keszler eine Erweiterung der eigenen vier Wände genutzt. So und sein Team jedes Jahr aufs Neue, das eigene Event auch bei Street Food Markets, die sich Elementen zu übertrumpfen – bezogen auf Einnahmen (2015 mit der Straßen- und Nachtmärkte aus Asien und Süd- einem Reinerlös von 2,3 Millionen Euro), internatio- amerika bedienen. Hier wird das Essen frisch zuberei- nale Promidichte (Sean Penn, Charlize Theron, Mary tet – und hebt den Begriff des Fast Food auf eine neue J. Blige u.v.m) und Publicity (Mitteilung Keszlers, dass Ebene. er HIV-positiv ist). Das anfängliche Underground-Fest hat sich zu einem Welt-Event etabliert, das Österreich Während Street Food Markets in New York und Lon- einen schillernden und kosmopolitischen Anstrich don seit einigen Jahren ihren festen Platz in der lo- verleiht. kalen Gastronomie haben, etablieren sie sich hier- zulande vor allem in jungen, hippen Vierteln und Der Life Ball in Wien ist das größte Benefiz-Event in Locations der Städte. Ihr Dorfplatzcharakter macht Europa zu Gunsten HIV-infizierter und AIDS-erkrank- sie zum Anziehungspunkt für Foodies. Die Straßen­ ter Menschen. Im Vordergrund des Life Balls stehen snacks sind nicht nur dafür da, satt zu werden, son- nicht nur die aufwendigen und bombastischen Kos- dern gemeinsam zu genießen und neue Gerichte zu tüme, die sich jedes Jahr einem neuen Motto widmen, entdecken. Street Food wird als Event zelebriert. Nicht das Sehen und Gesehenwerden und Feiern, sondern selten werden die kulinarischen Highlights daher von vor allem der Kampf gegen AIDS. Ein wichtiges The- einem kulturellen Programm mit Live-Musik, Theater ma auf diese Art und Weise jedes Jahr ins Zentrum etc. begleitet. der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken, sprengt jede Dimension. →→ Der Reiz des Ortes nimmt mit zunehmender Digitalisierung ebenfalls zu. →→ Feiern und Sich-Inszenieren schafft eine willkom- mene Parallel-Welt, Sinn und gutes Gewissen werden →→ Immer mehr Menschen wollen den öffentlichen dabei aber zum Event-Motor. Raum erobern und gemeinsam Events erleben.

→→ Im Kern zählt die Message und definiert die wah- →→ Der digitale Raum eignet sich – v.a. über soziale re Größe des Events. Auch kleine Events können Di- Netzwerke – hervorragend dafür, Events an realen mensionen sprengen. Orten zu organisieren und zu präsentieren.

→→ Das Internet ermöglicht neue Dimensionen in der Reichweite eines Events. 102

Veränderung 05: rituale Veränderung 06: kommunikation

Wenn (fast) ein ganzes Land Wenn Kommunikation ur­ in den Chor einstimmt, kann man sprünglich wird, spricht man von von einem Ritual sprechen Creative Jobs Speed Dating

Liederfeste haben im Baltikum ein großes Standing. Ein Event, das den Job auf den ersten Blick verspricht! Im Jahre 1869 fand in Estland das erste laulupidu Das Konzept basiert auf der klassischen Speed-­ (dt.: Liederfest) statt, Lettland und Litauen zogen bald Dating-Idee: zwei Menschen sitzen sich gegenüber nach. Das estnische Liederfest findet derzeit alle fünf und haben 5 Minuten Zeit, von sich zu erzählen und Jahre statt und ist fest im kulturellen Bewusstsein des mehr über den anderen zu erfahren. Danach bewer- Landes verankert. Sichtbar wird dies an den Teilneh- tet jeder den kurzen Austausch für sich, und der Ge- merzahlen: Beim Liederfest 2014 traten über 33.000 sprächspartner wird wieder gewechselt. Sänger vor fast 153.000 Zuhörern auf, der gemeinsa- me Chor bestand aus etwa 22.000 Sängern (Estland Die Erfolgsgeschichte von creative job speed da- hat etwa 1,3 Mio. Einwohner). 2003 wurden die estni- ting entstand im Frühjahr 2013 im Rahmen einer schen, lettischen und litauischen Lieder- und Tanzfes- Geburtstagfeier von Mode- und Werbefotograf Mi- te von der UNESCO als Meisterwerke des mündlichen chael Dürr im stilvollen 50er-Jahre-Hotel Prinz Eugen und immateriellen Erbes der Menschheit anerkannt in Wien. Die Hoteldirektion stellte Dürrs Freunden und 2008 in die Repräsentative Liste des immateriel- und Berufskollegen, neben der Hotellobby und Bar, len Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. einen zusätzlichen Raum für ein klassisches Speed Dating zur Verfügung. Wegen der Hemmschwelle für Entgegen der Annahme erfreuen sich diese großen verheiratete und vergebene Gäste, an einem Speed Volksfeste, welche traditionelles Liedgut verwenden, Dating teilzunehmen, entwickelte Dürr gemeinsam steigender Beliebtheit. Dieser Umstand ist auch dem mit Designerin Riki Wieland das Konzept eines Job wiedererstarkten nationalen Bewusstsein nach dem Speed Datings für die Kreativbranche. Dabei geht es Auseinanderbrechen der Sowjetunion zuzuschreiben. um etwas, das in Zeiten starker digitaler Kommunika- Hier wird in einem riesigen Event eine Antithese zu tion, sowohl im Berufs- als auch im Privatleben, viel schnell verbrauchter Popmusik erarbeitet; und gleich- zu kurz gekommen ist: den ersten Eindruck. Face-to- zeitig die Bewahrung des Regionalen gegenüber einer face-Kommunikation, kurz, knackig und unmittel- fortschreitenden kulturellen Globalisierung forciert. bar, erfreut sich im digitalen Zeitalter wieder großer Beliebtheit. →→ Rituale sind Anker in einer komplexen und globa- lisierten Welt und können als Event Werte transpor- →→ Menschen wollen mit Menschen sprechen, auch tieren. und vor allem im digitalen Zeitalter.

→→ Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Identität →→ Räume können unterschiedlich wirken – Gesprä- bündelt sich in interaktiven und spielerischen Events. che hemmen oder sie fördern.

→→ Storytelling ist auch in Zukunft das Kernelement →→ Gäste wollen immer stärker mitreden und werden ritualisierter Events. zu proaktiven Akteuren. 103

Veränderung 07: emotion Veränderung 08: geld

Wenn Emotionen hoch und run- Wenn Scheitern zum Schlüssel ter schaukeln, wohnt man dem für Erfolg wird, findet eine Fuck- Schauspiel der Jungen Burg bei Up Night statt

Lange eine Institution im Wiener Nachtleben, steht Wer sich mit dem „Einmaleins des Scheiterns“ ausei- das Projekt der SchauSpielBar aufgrund finanzieller nandersetzen will, ist bei den mittlerweile regelmäßig Engpässe kurz vor dem Aus. Und das, obwohl es alles in Berlin stattfindenden FuckUp Nights genau rich- beinhaltet, was ein gutes Event haben muss, um alle tig. Ob es um die eigene Verarbeitung einer geschei- Emotionen der Teilnehmer zumindest anzustoßen. terten Businessidee geht, um ein wenig Voyeurismus oder schlicht um Prävention, die Kultur des Schei- Das Publikum erwartet ein dreistündiges Überra- terns muss gesamtgesellschaftlich entstigmatisiert schungsprogramm von jungen Künstlern, jeder werden, so die Idee der Veranstalter. Jeder kann mit- Auftritt dauert etwa zehn Minuten. Zirkus, Theater, machen, der schon einmal wirtschaftlich gescheitert Konzert und Kabarett, durch den Abend führen Prak- ist. Auf einer Bühne erzählt er oder sie dem Publikum tikanten des Burgtheaters. Nach den Vorführungen auf unterhaltsame, oft auch humorige Art und Weise verwandelt sich der Raum in eine Disco, und alle fei- von Fehlentscheidungen, persönlichen Niederlagen ern gemeinsam eine große Party. und vor allem vom Wieder-Aufstehen. Der Zuhörer ist neugierig, berührt und lernt. Der Vortragende findet Das Event erfreute sich so großer Beliebtheit, dass die einen Sinn in der Weitergabe seiner Erfahrung und meist jungen Besucher stundenlang vor dem Kasino durchläuft eine Katharsis. am Schwarzenbergplatz Schlange standen, um an Karten zu gelangen. Dies verwundert nicht weiter, be- Die FuckUp Nights sind 2012 in Mexiko geboren und dient das Konzept doch zwei zukunftsweisende Seiten mittlerweile eine globale Bewegung. Das Franchise- einer Medaille: partizipieren, mitmachen und sich Konzept trifft den Zeitgeist, in dem es nicht mehr um präsentieren oder genießen, jubeln und anfeuern. stromlinienförmige Standard-Karrieren geht und sich der Erfolg künftig auch immer weniger um Geld dreht. →→ Events mit Emotion treffen den Flow-Kanal der Erfahrungen sind von größerer Bedeutung, erst recht, Menschen, öffnen das Herz und landen im Hirn. wenn sie mit anderen geteilt werden.

→→ Mit Neuromarketing wird daher versucht, emo- →→ Teilen von Erfahrungen gewinnt in Zukunft einen tionale Events zu gestalten und echte Relevanz zu höheren (Stellen-)Wert als Geld. transportieren. →→ Der Return on Investment muss dennoch für je- →→ Je stärker der Einzelne emotional angesprochen des Event klar sein, ist aber nicht immer Geld. wird, desto aktiver bindet er sich in das Event ein. →→ Durch die Zunahme von Selbstorganisation wird deutlich, dass Low oder No Budget immer auch Op- tionen sind. 104