A KIFF AARAU WE KEEP YOU in the LOOP
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
DEZ.18/JAN.19 2018 EINSCHLAUFEN FLIEG, HIMMELSVOGEL! Betrifft: Gott holt sich sein Maschinengewehr zurück Impressum Nº 10.18 DER MUSIKZEITUNG LOOP 21. JAHRGANG Was bleiben wird vom Jahr, das war? Der Es gibt freilich auch ein paar Lichtblicke zu endlos lange Sommer mit «Sonnenschein von vermelden. Beispielsweise das Tier des Jahres, P.S./LOOP Verlag Juni bis September», wie der grosse Fernseh- bei dem es sich um einen Schmetterling mit Hohlstrasse 216, 8004 Zürich Entertainer Rudi Carrell in seiner leichtfüs- dem doch eher verblüffenden Namen Gros- Tel. 044 240 44 25 sigen Version des Schienenverkehr-Klassikers ser Fuchs handelt. Oder das britische Königs- www.loopzeitung.ch «City of New Orleans» sang. Die Eiswürfel haus, das uns nicht nur mit der Netflix-Serie im Bourbon-Tumbler verdünnisierten sich «The Crown» ein paar vergnügliche Stunden bereits nach kurzem Klirren, man schaltete bereitet hat, sondern mit Meghan Markle Verlag, Layout: Thierry Frochaux den Tischventilator auf Dauerrotation und über eine traufrische Prinzessin verfügt. [email protected] googelte in obskuren Online-Shops nach Aber dann sind da eben auch noch jene he- begehbaren Kühlschränken. Lang und lustig rausragenden Persönlichkeiten, deren Bio- Administration, Inserate: Manfred Müller reihten sich die Nächte aneinander, mal vor grafien mit dem Jahr 2018 enden: Nouvelle- [email protected] der Kaschemme unten am Fluss, mal in den Cuisine-Erfinder Paul Bocuse, der grosse Hügeln Apuliens, von wo aus sich ein ver- Kleinganoven-Darsteller Rolf Zacher, Wrest- Redaktion: Philippe Amrein (amp), blüffender Blicke auf den am Firmament vor- ler Bruno Sammartino, die Hitparaden-Mo- Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe beiziehenden Mars und später auf die totale deratoren Dieter Thomas Heck und Stephanie Mondfinsternis werfen liessen. Tücking und der berühmte TransAm-Fahrer Mitarbeit: Philipp Anz, Reto Aschwanden, Der meteorologische Zauber soll jedoch Burt Reynolds. Und eben auch der Erwe- Yves Baer, Thomas Bohnet, Marcel Elsener, nicht davon ablenken, dass die Verrohung ckungstheologe und Johnny-Cash-Versteher Markus Ganz, Michael Gasser, Christa Helbling, der Welt auch in den vergangenen zwölf Billy Graham, den sie das «Maschinengewehr Hanspeter Künzler, Tony Lauber, Susanne Loacker, Monaten weiter vorangetrieben wurde. In Gottes» nannten. Sie alle hat der Schöpfer Sam Mumenthaler, Philipp Niederberger, Singapur kam es zum Gipfeltreffen der Un- nach Hause geholt. Sie werden uns fehlen. Jürg Odermatt, Christian Pauli, Jochen Schmid, sympathen, in Grossbritannien zum russi- Doch die Kerzen auf unseren Fensterbrettern Fabienne Schmucki, Markus Schneider, schen Agentenvergiften, derweil die Italiener spenden ein wenig Trost. Adrian Schräder, Veit F. Stauffer im Frühjahr eine Regierung mit Rechtsdrall Guido Goodyear installierten. Für ein paar wenige Lichtblicke Titelbild: Aretha Franklin sorgten überraschenderweise die Schweizer, PS: Die vorliegende Ausgabe wartet mit einer Besonder- die an der Urne nicht nur den Angriff auf das heit auf. Zum ersten Mal in 21 Jahren gibt es diesmal we- Druck: Tagblatt Print, St. Gallen gebührenfinanzierte Fernsehen abwehrten, der Plattenbesprechungen noch Konzertvorschauen. Das sondern auch der dummdreisten Selbstbe- ist der umfangreichen Anzahl von Nachrufen geschuldet Das nächste LOOP erscheint am 25.01.2019 stimmungsinitiative eine Abfuhr erteilten. – und wird definitiv eine Ausnahme bleiben. Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Hohlstrasse 216, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] FLIEG, HIMMELSVOGEL! Auf dem Höhepunkt löste Claudius claudius scholer Scholer seine Bands jeweils auf. So ging er fast vergessen, obwohl er zu den herausragenden Musikern der Schweiz zählte. Eine persönliche Erinnerung. Claudius Scholer hatte eine verschwenderische Fülle an Gaben und Talenten: Er konnte seine Zuhörer in den Bann ziehen, höchsten Respekt bei Musikerkollegen hervorru- fen, aber auch die eigenen Leute mit Absatztricks überra- schen. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs löste er als Sky Bird seine Begleitband The Fish of Hope auf. Heimlich arbeitete er zwei Jahre an seinem dritten Album «Das Schaf», das er 1993 im für Popmusiker metaphorischen Alter von 27 Jah- ren veröffentlichte. Danach gelang ihm der Absprung in die Realpolitik: Ausbildung zum Sozialarbeiter und Arbeit mit Jugendlichen im Zürcher Seefeld. Später war er langjähri- ger Delegierter für das Schweizerische Rote Kreuz, zuletzt in Kigali in Ruanda, wohin Scholer seine Familie mitge- nommen hatte. DIE ENERGIEN DES PUNK Dieser Nachruf wäre eine nostalgische Angelegenheit, gäbe es nicht das kostbare Comebackalbum «The Kimihurura Tapes». 2013 führte Skybird Senior, wie sich Scholer jetzt nannte, sein neues Material mit einer hervorragend be- stückten Ad-hoc-Band in Zürich auf. Unvergesslich dabei Fotograf Tobias Madörin, früher Bassist bei The Fish of Hope, dem nach dem Konzert wutentbrannt die ganzen Er- innerungen hochstiegen. Es war als Kompliment gedacht: Warum verschwendete dieser Bursche dermassen sein mu- sikalisches Talent? Bezeichnend auch: Vom Zürcher Thea- terspektakel lag eine Einladung für die grosse Bühne vor. Skybird Senior hatte dafür neben seinem hart fordernden Beruf schlicht zu wenig Spielraum. Die Kritiker waren sich einig: Stephan Eicher musste sich match in Kigali war gene- Begonnen hatte Scholers musikalische Laufbahn 1984 mit zukünftig warm anziehen. Die Frauenfiguren bei Scholer tisch bedingt und nicht dem den Baboons. Auf Konzertausflügen bis nach Deutschland waren emanzipierter und gefährlicher: etwa in «Janine Lebensstil geschuldet. entwickelten er und sein Umfeld eine Chuzpe und Profes- aime les terroristes», eine Hommage an die Memoiren von Beruflich entwickelte er ei- sionalität, die ihn zu Soloarbeiten zu Hause am Vierspur- Bommi Baumann. Oder «Babette»: Eine ganze Mädchen- nen ausgereiften Pragma- recorder beflügelten. Die kulturell aufgeheizte Atmosphäre schar verschwindet im Urwald, macht mit verschiedenen tismus: zu den Ideen der der Achtzigerjahre liess sie nach Querverbindungen und Tieren Liebe und kehrt nicht mehr zurück. 68er-Bewegung oder zur essenziellen Einflüssen suchen. Das einzige Album der «political correctness» ging Baboons erschien «rechtzeitig» zur Auflösung im Febru- EIN SOLO FÜR PASOLINI er zuweilen auf kritische Di- ar 1988, eine wilde Mischung aus Westcoast-Psychedelic- stanz. Er begrüsste sehr früh Rock und den Energien des Punk. Durch das Umfeld von Sky Bird wurde ich mit wichtigen die Stoner-Rock-Bewegung, Claudius wandelte sich vom Affen (Baboons) zum einsa- Klassikern bekannt gemacht: Vladimir Vissotsky sowie in Zürich war er mit Alain men Himmelsvogel (Sky Bird). Der Name seiner stilsicher den Silver Apples. Der schönste Moment kam, als ich im Kupper befreundet und zusammengestellten Begleitband The Fish of Hope war Herbst 1988 die Sky-Bird-Platte wendete. spielte als Gast in dessen nach dem Vergiften des Rheins in Basel im November 1986 Das erste Stück der B-Seite hiess «Scorching a Bird», und Band Demolition Blues. Die ein klares politisches Statement gegen die Chemiefabriken. mit dem Akkordeon klang es wie eine irische Ballade aus Zürcher Sängerin Emanuela Das Soloalbum von Sky Bird durchzieht ein Klima der alten Tagen. Oder das neckische «Your Blue Skirt» im Pol- Hutter möchte eine begon- Frühreife und eine verspielte Kreativität. «Nightmare 701» karhythmus, eine Vorwegnahme von Stiller Has und Att- nenene Zusammenarbeit war sozusagen eine Country’n’Brubeck-Spielerei mit der wenger. Bemerkenswert auch das von Harmonium und Gi- noch vollenden. Eröffnungszeile im Stil eines gestandenen Rappers: «Bob tarrensolo begleitete, neunzig Sekunden kurze «Pasolini’s Zuletzt traf ich Claudius im Dylan calls my name, I got a bullet in my brain.» Das Trembling», in dem Claudius Drogenerfahrungen des ita- Juli 2017 in der Züri Bar, sechsminütige «Blind Prostitutes Eating» mündete als mo- lienischen Regisseurs verarbeitete: «There is no real reason an einer Abschiedsfeier für notones Mantra in eine faszinierende Geräuschcollage wie why I tremble that much, said Pier Paolo Pasolini.» Sky Urban Gwerder, dessen Ge- bei den Krautrockern von Faust. Über allem schwebte der Bird hat die Komposition 1993 nochmals aufgenommen, dicht «Cyrano’s Nose» er Geist von Jacques Brel, Leonard Cohen oder Tom Waits: nachdem sie sich an Konzerten zur zehnminütigen Zugabe 1993 mit rasantem Banjo Sky Bird sang mit brechtscher Inbrunst und zu gewieftem entwickelt hatte und klang, als würde Jim Morrison ge- vertont hatte. Banjo, ausgerüstet mit Megafon und Cowboystiefeln – und gen Ravels «Bolero» ansingen. Der plötzliche Herztod von mit einem genial gerollten R in der Aussprache. Claudius Scholer am 25. März 2018 nach einem Tennis- Veit F. Stauffer EIN FALL FÜR SICH und machte dafür auch die New-Labour-Lifestylepolitiker sein, die meist grossartigen Mit Mark E. Smith hat die Musikwelt verantwortlich: Unter ihnen sähen renovierte Pubs aus wie Kollaborationen mit unter- «Konzentrationslager mit Zapfhähnen». schiedlichsten Leuten wie Ende Januar einen ihrer eigenwilligsten Nun fühlt man sich im Stich gelassen: Wer Tod und Teufel Edwyn Collins, D.O.S.E so verhöhnte, dem traute man noch ein paar Jahre über oder Mouse On Mars (Von Exponenten verloren. Seinen Fans 60 zu. Doch haben ihn die gleichaltrigen Kumpel des Gip- Südenfed!) nicht mitge- feltreffens der «Unhold Trinity» (NME-Coverstory 1989) zählt. Unfassbar viel für lässt er auch nach dem Tod keine Ruhe.