Video, Memory & Rock 'N' Roll
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Staging Cambodia Video, Memory & Rock ’n’ Roll www.hebbel-am-ufer.de 16.–19.1.2014 Staging Cambodia – Video, Memory & Rock ’n’ Roll Im kollektiven Gedächtnis ist Kambodscha untrennbar The Cambodian Space Project rekonstruieren die wäh- mit den Folterungen und Morden an 1,7 Millionen Men- rend der 60er Jahre in Kambodscha entstandene Popmu- schen verbunden, die zwischen 1975 und 1979 unter der sik und überführen den Glamour jener Ära und die Tradi- Herrschaft der Roten Khmer verübt wurden. Bis heute tion der ‘Diva’ erfolgreich in die Gegenwart. Die ursprüng- zählt das Land im Südosten Asiens zu den ärmsten Län- lichen Protagonisten dieser kulturellen Blüte wurden, ge- dern der Welt. Eine international zunehmend beachtete nauso wie andere Künstler und Intellektuelle, durch das Kunstszene, das pulsierende Nachleben und eine schil- Pol-Pot-Regime verfolgt und eliminiert. lernde musikalische Subkultur stehen für das Bemühen, über die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit Unter dem Titel “Clips on Cambodia” zeigt Marc Eberle im hinaus einen Blick auf Zukunft zu gewinnen. Gespräch mit Margarita Tsomou ergänzend ausgewählte Ausschnitte aus seinem umfangreichen Filmarchiv, die den Einige Anzeichen dieses Aufbruchs hat Michael Laub in Zusammenhang zwischen der kulturellen und der politi- der jüngsten Folge seiner “Portrait Series” eingefangen. schen Geschichte des Landes dokumentieren. Zwei Tage Seit 2002 setzt der Regisseur und Choreograf dieses For- später moderiert die Kulturwissenschaftlerin und Journa- mat an unterschiedlichen Orten um. Im Rahmen eines listin eine Gesprächsrunde mit Michael Laub über die Ent- langen Themenwochenendes zeigt er – erstmals in Euro - stehung und Konzeption von “Staging Cambodia”, bei der pa – seine in Battambang entstandene und im Medium auch wichtige Protagonisten seines Projekts zu Wort des Videofilms realisierte Arbeit. Die Aufnahmen mit jun- kommen: Xavier Gobin, Produzent der Phare Ponleu Selpak gen Zirkusartisten, Tänzern und Bildenden Künstlern, Association, Srey Channthy und Julien Poulson, die beiden aber auch Security Guards, Bauern, Gemüseverkäuferin- Gründer des Cambodian Space Project – und Khvay Sam- nen und Bettlern fügen sich zu einem manchmal trauri- nang, ein international renommierter Video- und Perfor- gen und verstörenden, aber auch poetischen und höchst mancekünstler, der zu Beginn des Themenwochenendes vitalen Panorama. Alle Darsteller kommen aus dem Um- eine Ausstellung mit ausgewählten Arbeiten eröffnet. Es feld der Phare Ponleu Selpak, einer NGO, die mit den Mit- werden Fotos aus seinen Serien “Human Nature” und teln der Kunst den kulturellen Wiederaufbau von Kam- “Newspaper Man” gezeigt. bodscha vorantreibt und in deren Räumen die “Portrait Series” entstanden ist. Die vorliegende Publikation versteht sich als Einführung in einen ebenso verstörenden wie faszinierenden The- Direkt im Anschluss an die Uraufführung dieser Arbeit folgt menkreis, der viel mit den schmerzvollen Prozessen der ein von Michael Laub in Szene gesetztes Konzert der in- Dekolonisierung, der fragwürdigen politischen Rolle des ternational gefeierten Band The Cambodian Space Pro- Westens in Südostasien und unserem Blick auf die Kul- ject, inklusive Musikern und Tänzern aus Phnom Penh und turen des Fernen Ostens zu tun hat. Wir hoffen, dass die Battambang. Bei der Performance kommen Visuals des in hier abgedruckten Interviews, Artikel und Begleitmate- Kambodscha lebenden Dokumentarfilmers Marc Eberle rialien zu den Künstlern und Programmpunkten neugierig zum Einsatz. Sie orientieren sich am Stil psychededeli- machen auf einen Besuch der viertägigen Veranstaltung scher Lightshows, zeigen aber auch Aufnahmen aus dem im HAU Hebbel am Ufer. Alltag der Musiker. Unter dem Titel “Galaxy Khmer” ent- steht ein flamboyanter Rock ’n’ Roll Circus, der sein Zelt Annemie Vanackere dicht am Trauma aufschlägt. und das Team des HAU Hebbel am Ufer 3 4 Fotogra fien in diesem Heft: Khvay Samnang, Serie “Human Nature” (2011). Mit herz - lichem Dank an den Künstler, Erin Gleeson und die Galerie SA SA BASSAC in Phnom Penh. www.sasabassac.com Christoph Gurk: Unter einem ‘Porträt’ verstehen wir üb- ben, weil es sich als unmöglich erwies, Leute oder heiterem Himmel zu weinen an, ohne dass ich ihnen licherweise Bilder – Gemälde oder Fotos – von Leu- Einrichtungen für dieses Projekt zu interessieren. vorher auch nur eine Frage gestellt hatte, und sie ta- ten. Seit mehr als einer Dekade interpretieren Sie Dieser Freund in Bangkok nun, der aus naheliegen- ten das in einer Sprache, von der ich kein Wort ver- dieses Genre als eine Form, in der Sie Menschen un- den Gründen sein Heimatland, Kambodscha, im Alter stehen konnte. Ich sah, dass sie hochgradig emotio- ter den Bedingungen eines Theaters zeigen, und von neun Jahren verlassen musste, erzählte mir von nalisiert waren. Aber die Gründe blieben meiner Vor- haben daraus eine Serie entwickelt, die Sie an un- einem ehemaligen Tänzer der Maurice Béjart Com- stellung überlassen, bis mir später übersetzt wurde, “I did not terschiedlichen Orten auf der Welt realisieren. pany. Er hatte in Europa alles stehen und liegenge- was sie gesagt hatten. Ein Mann redete und weinte lassen, um in einer mir damals vollkommen unbe- sogar weiter, als es einen Stromausfall gab, das Licht Michael Laub: Nicht, dass ich mich mit Federico Fellini kannten Stadt namens Battambang bei einer NGO ausging und meine Kamera zum Stillstand kam. Wir vergleichen möchte. Aber durch seinen Film “Roma” zu arbeiten. Der Freund in Bangkok schlug mir vor, konnten ihn im Dunkeln nicht mehr sehen und hörten bin ich auf die Idee gekommen, ich sollte diesen Tänzer, der sich nur noch seine Stimme. Es wurde immer interessan- dass es interessant sein könnte, “Die Personen pro- später als überaus charmante ter. So kam ich mit der Zeit auf den Gedanken, meine die Serie in verschiedenen Städ- jizieren ein Bild Person herausstellen sollte, viel- nächste “Portrait Series” genau an diesem Ort zu er- ten fortzuführen, nachdem ich leicht einfach mal besuchen. Also arbeiten. look for the davon, wer sie sein die erste Folge als Auftragsarbeit reisten wir nach Battambang, lie- in Hamburg inszeniert hatte. Da- möchten.” fen in dem Gebäudekomplex he- CG: Warum haben Sie sich entschieden, diese Folge mals arbeitete ich in der italieni- rum, der die Phare Ponleu Selpak nicht für die Theaterbühne zu produzieren, son- schen Hauptstadt an einem Por- Association beherbergt, und dern alles auf Video festzuhalten? stellten fest, dass es da eine Zirkusschule gab, eine trät von Marina Abramović und ihrem Werk. Ich hielt es von Anfang an für eine Falle, auf diese Weise eine Musikschule, eine Kunstschule. ML: Jede andere Lösung erwies sich sehr schnell als ganze Metropole repräsentieren zu wollen. Genauso völlig impraktikabel. Die meisten Protagonisten wa- trauma. It vermessen wäre der Anspruch, überhaupt auch nur CG: Soweit ich weiß, verfolgt diese NGO das Ziel, die ren einfach nicht mobil genug. Es wäre schon ein eine Person porträtieren zu können. Was mich an kulturellen Traditionen, die in Kambodscha durch Problem gewesen, sie nach Phnom Penh zu bringen. diesem Format am meisten interessiert, ist ganz im das Pol-Pot-Regime nahezu vollständig ausge- Von einer Reise nach Europa ganz zu schweigen. Gegenteil, wie etwas gezeigt und gerahmt werden löscht worden waren, mit den Mitteln der Kunst kann, das meiner eigenen Aufmerksamkeit entgan- wiederzubeleben. CG: Einige der Menschen, die in den nun entstande- gen ist. Wie kommt das ins Bild? Je länger ich an die- nen Videos zu sehen sind, scheinen auf schwerste ser Serie sitze, desto klarer wird für mich, dass die ML: Die Organisation wurde in den 90er Jahren von Weise traumatisiert zu sein. Wäre es nicht schon Personen, mit denen ich arbeite, auf der Bühne oder acht Menschen, die sich in einem Flüchtlingscamp aus diesem Grund unmöglich gewesen, sie jeden came to me.” im Film vielleicht gar nicht so sehr ein Bild – ein kennengelernt hatten, Schritt für Schritt aufgebaut. Abend auf eine Theaterbühne zu stellen? Wenn Image – von dem projizieren, wer sie sind, sondern Wenn Sie heute diesen Ort betreten, hören Sie aus das, wie Sie anfangs bereits sagten, schon bei je- davon, wer sie sein möchten. Es gehört zu den inte- der einen Ecke wundervolle Musik. In einem anderen dem Nichtprofessionellen ein Problem ist, wie un- ressantesten Herausforderungen an meiner “Portrait Gebäude sieht man Zirkusartisten, die sich mit Deh- vorhersehbar müssen die Resultate dann in diesem Michael Laub über die Schwierigkeiten, lebendige Series”, dass ich bei dem Vorgang, Menschen auf die nungsübungen für ihre Proben vorbereiten. Das alles Fall sein, ganz abgesehen von den ethischen Pro- Bühne zu bringen, sehr schnell an die Grenzen des ist eine herrliche Kakophonie der Klänge und Aktivi- blemen, die das mit sich gebracht hätte? Menschen auf die Bühne und auf eine Leinwand zu Theaters stoße. Eine Person, die noch am Vorabend täten. Eigentlich hasse ich die Welt der Schaustelle- eine vollkommen glaubhafte Darstellung hingelegt rei. Wenn ich als Kind zum Zirkus mitgenommen ML: Gleich in einer der ersten Szenen des Videos mei- bringen, seine “Portrait Series Battambang” und das hat, kann schon bei der nächsten Vorstellung große wurde, hat mich das jedes Mal so deprimiert, dass ich ner “Portrait Series Battambang” ist eine Frau zu se- Schwierigkeiten haben, bei genau dem gleichen Vor- weinen musste. Aber das hier, in Battambang, war hen, die in Tränen ausbricht, weil ihr Mann trinkt und gang eine Integrität zu entwickeln – ganz einfach,