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Dokumentation Führungsmaßnahmen des Generalkommandos der Gruppe v. Kleist beim Durchbruch aus dem Brückenkopf 5.-8. Juni 1940

Während der vom 5. bis 8. Juni 1940 dauernden Durchbruchsschlacht an derSomme war der 6. Armee (v. Reichenau) ein großer Panzerverband, die Gruppe v. Kleist, unterstellt. Daraus ergaben sich Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Schilderung des Einsatzes der Gruppe bereits an anderer Stelle1 behandelt worden sind. Die dabei vom Generalkommando der Gruppe getroffenen Führungsmaß• nahmen dürften besonders deswegen interessieren, weil General der Kavallerie v. Kleist und der Chef des Generalstabes der Gruppe, der damalige Oberst i. G. Zeitzier, mit der von Generaloberst v. Reichenau befohlenen Art des Einsatzes der Panzerverbände der 6. Armee von vornherein nicht einverstanden waren. Da die damit verbundenen Probleme, die psychologische Situation und die einzelnen Frik­ tionen unmittelbar nur an den Quellen selbst deutlich werden, wurde das Thema hier zum Gegenstand einer Dokumentation2 gewählt. Die 6. Armee gehörte mit drei Armeekorps und zwei in der Gruppe v. Kleist zu­ sammengefaßten Panzerkorps zur Heeresgruppe B (v. Bock), die zwischen der Küste und der Mündung des Oise-Aisne-Kanals in die Aisne gegen den westlichen

1 Kurt Zeitzier, Die Panzer-Gruppe v. Kleist im zweiten Teil des Westfeldzuges 1940, in: Wehrkunde, Jg 8, 1959 [künftig zitiert: Zeitzier, Die Pz.-Gr. v. K.], S. 293-298. Volkmar Regling, Der deutsche Durchbruch südlich von Amiens 5.-8. Juni 1940, vorgesehen für die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene Reihe: Einzelschriften zur mili­ tärischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges, die demnächst mit den ersten Arbeiten bei Rombach, Freiburg i. Br., erscheint. 2 Hierfür wurden folgende Akten aus den Beständen der Dokumentenzentrale des Militär• geschichtlichen Forschungsamtes, deren künftige Zitierung - ebenso wie die der folgenden Literatur - durch eckige Klammern herausgehoben wird, verwendet: A.O.K. 6, Ia, Kriegstagebuch Nr. 2 vom 10. 5. 1940-27. 6. 1940 [A.O.K.6,K.T.B.], Wl060/2. A.O.K. 6, Ia, Armeebefehle, 1. 6. 40-25. 6. 40 - Westen [A.O.K. 6, Armeebefehle], E 169,3. A.O.K. 6, Ia, Morgen- und Abendmeldungen an H. Gr. B, 10. 5. 40-25. 6. 40 - Westen [A.O.K. 6, M. u. A. - Meldungen], E 169,4. Generalkommando XXII. A.K. (Gruppe v. Kleist), Kriegstagebuch (Abschrift) 10. 5. bis 11. 7. 1940, Durchbruch aus dem Brückenkopf Amiens vom 1. 6.-10.6. 1940 [Gr. v. K.,K.T.B., Amiens], E 275. Gruppe von Kleist, Anlagenheft 4 (1-181) zum Ktb. Nr. 4, 1. 6. 40-10. 6. 40 [Gr. v. K., Anl.-Heft 4 z. K.T.B. 4], W 2080 e. Gruppe von Kleist (XXII. A.K.), Anlagenheft Sc zum Ktb. Nr. 4, Fernsprechbuch, 2. 3. 40 bis 6.7.40 [Gr. v. K., Fernsprechbuch], W 2080 L. XXII. A.K. (Gruppe von Kleist), Chef des Generalstabes, Anlage B zum K.T.B. Nr.3, Vor­ läufige Erfahrungen mit großen motorisierten Verbänden, 10. 8.1940 [Gr. v. K., Vorläufige Erfahrungen], W 3240. 9. Inf.Div., Ia, An!. c z. K.T.B. Nr. 3, 31. 5. -11. 6.1940 [9. I. D., K.T.B.], W 6971/8. 10. Panzer-Division, Abt. Ia,K.T.B. Nr.3 (Westen), ca. 13. 5.-29.6.1940 [10.Pz.Div.,K.T.B.], 8996,1. Gen-St. d. H., Org.Abt., Kriegsgliederungen des Feldheeres, Stand 15. 4. 1940 [Gen.- St. d. H., Kriegsgliederungen], III H 107. Günther Blumentritt, Der Westfeldzug 1940, Bd. 2, Darstellung der Operationen; Historical Division Headquarters United States Army, Europe [Blumentritt], MS P - 208. Weiterhin wurden von Herrn Oberstleutnant Dr. Hermann aus seinem Besitz freundlicher­ weise zur Verfügung gestellt: Kriegstagebuch Nr. 2 der I./Aufklärungsregiment 9 - Begonnen: 1. November 1939, Abge­ schlossen: 6. 7. 1940 [I./Aufkl.Rgt. 9, K.T.B.]. Aufklärungsregiment 9, Einsatz West (1. 12. 1939-6.7. 1940) (vervielfältigte übersicht in 93 Kriegstagebuchform) [Aufkl. Rgt. 9, E. W.].

Abschnitt der Weygand-Linie zum Angriff aufmarschierte3. Links an sie schloß die Heeresgruppe A (v. Rundstedt) an. Die Heeresgruppe Β sollte zunächst in einem ersten Operationsabschnitt mit der 6. und der 9. Armee auf der Linie Chantilly - Bourg-et-Comin die Ausgangsbasis für die Hauptoperation gewinnen, die, mit Eingreifen der Heeresgruppe Α und ergänzt durch eine Nebenoperation der Heeresgruppe C vom Oberrhein her, das Ziel hatte, durch Angriff zwischen (ausschließlich) und den Argonnen die Masse des französischen Heeres im Gebiet Paris - Beifort - Metz zu schlagen und die Maginot-Linie zum Einsturz zu bringen. Der Schutz der Westflanke der Haupt- operation war der 4. Armee übertragen, die schon während des ersten Operations- abschnitts Le Havre, Rouen und Brückenköpfe an der unteren Seine möglichst frühzeitig in Besitz zu nehmen hatte4. Im Rahmen des ersten Operationsabschnitts hatte die 6. Armee den Auftrag, aus der Linie Amiens - Coucy-le-Chäteau anzutreten und unter Sicherung gegen Paris so schnell wie möglich den Übergang über die Oise und die Aisne in Linie Creil - Soissons (ausschließlich) sowie den Wald von Compiegne zu gewinnen (Doku- ment 1). Dafür war ihr die aus dem XIV. und dem XVI. Armeekorps5 bestehende Gruppe v. Kleist unterstellt worden. Reichenau setzte die Gruppe nicht geschlossen ein, sondern trennte die beiden Korps, indem er das XIV. Armeekorps aus dem Brückenkopf Amiens, das XVI. Armeekorps aus dem Brückenkopf Peronne an- setzte. General v. Kleist war mit dem getrennten Ansatz der beiden Panzerkorps nicht einverstanden. Er bemängelte vor allem, daß bei dem von der Armee befohlenen Einsatz, der eine einheitliche Führung der Gruppe ausschloß, jeder der beiden, ohnehin durch die vorangegangenen Kämpfe geschwächten Verbände für die dop- pelte Aufgabe der Erzwingung des Durchbruchs und des daran anschließenden weiten Vorstoßes einem abwehrbereiten Gegner gegenüber zu schwach sei. Da es an der Zeit fehle, den Ansatz grundlegend zu ändern, könne das Generalkommando der Gruppe v. Kleist lediglich versuchen, die ihm »aufgezwungene Lösung im Rah- men des möglichen zu verbessern« (Dokument 2). Bekanntlich waren die deutschen Erfolge im Polenfeldzug und während der ersten Phase des Westfeldzuges wesent- lich auf den Einsatz massierter Panzerkräfte und ihre operative Verwendung zu- rückzuführen. Generaloberst v. Reichenau gab zwar zu, daß es der Auftrag für die Gruppe, der Armee nach dem Durchbrach weit vorauszueilen, angebracht erscheinen ließ, sie unter einheitlicher Führung zusammenzufassen. Er begründete den getrennten Ein- satz aber damit, daß die beiden Brückenköpfe den Panzer- und schnellen Ver- bänden nur beschränkte Entwicklungsmöglichkeiten geboten hätten. Er wolle vor dem Stoß in die Tiefe zunächst erst den Durchbruch an einzelnen Stellen der feind- lichen Front erzwingen (Dokument 3). War es notwendig, die einengenden Brückenköpfe für den Panzeransatz auszu- nutzen? Südlich Amiens war die Bewegungsfreiheit der Panzer weiterhin ein- geschränkt durch kleine Flüsse, die Seile und die beziehungsweise die Noye. Überhaupt war das Gelände hier günstiger für die Verteidigung als für einen Panzerangriff. Später, am 8. Juni, also am vierten Kampftag, als die inzwischen gemachten neuen Erfahrungen die Befürchtungen Kleists rechtfertigten, wurde während eines Vortrages, den der Chef des Generalstabes des Heeres, General der

3 Siehe Skizze. 4 Hans-Adolfjacobsen, Dokumente zumWestfeldzug 1940,Göttingen-Berlin-Frankfurtl960 [Jacobsen], S. 152 f. * Auch die Panzerkorps hießen damals offiziell noch »Armeekorps«.

Artillerie Halder, Hitler hielt, festgestellt, daß es erwünscht gewesen wäre, »die Panzerverbände [der 6. Armee] aus dem Bereich Laon ostwärts der Oise einzu- setzen«®. Bei seinen Bemühungen um Verbesserung gelang es General v. Kleist nicht, die Aufteilung der Nachsdiuborganisation der Gruppe zu verhindern7. Kleist setzte aber durch, daß er wenigstens über das XIV. Armeekorps als befehlsführend ein- gesetzt wurde, wobei es ihm zunächst nur darauf ankam, dieses Korps durch Unter- stellungen von Verbänden so stark wie möglich zu machen. Auf eine weitere Ein- flußnahme glaubte er verzichten zu müssen, da im AngrifFsstreifen nur der Kom- mandierende General des Korps, General der Infanterie v. Wietersheim, ver- antwortlich befehlen könne (Dokument 2). Weiterhin erreichte Kleist, nachdem sich der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst v. Brauchitsdi, seiner dies- bezüglichen Ansicht angeschlossen und offenbar in diesem Sinne auf das Armee- Oberkommando 6 eingewirkt hatte, daß sich Reichenau damit einverstanden er- klärte, das XIV. mit dem XVI. Armeekorps nach gelungenem Durchbruch im Gebiet südlich Montdidier unter dem Generalkommando der Gruppe wieder zu vereinigen. Die Bedenken Kleists, ob den beiden bis dahin getrennten Panzerkorps der Durchbruch einzeln gelingen werde, blieben jedoch weiterhin bestehen. Das XIV. Armeekorps hatte die Aufgabe, über Breteuil und St. Just-en-Chauss£e vorgehend, das Südufer der Oise in der Linie Creil - Verberie zu gewinnen, um danach, im Zuge der Hauptoperation, ohne Aufenthalt weiter vorzustoßen und Brückenköpfe an der Marne in Besitz zu nehmen8. Der Heeresgruppe Β stand die französische Heeresgruppe 3 (Besson) gegenüber, deren linke Grenze durch die Kanalküste südlich St. Valery-sur- bestimmt wurde und deren rechte Grenze zur Heeresgruppe 4 (Huntziger) von Neufchätel an der Aisne über ostwärts Reims — ostwärts Epernay verlief. Die französische Führung rechnete mit zwei Angriffen starker deutscher Panzerkräfte: einem Angriff in der Champagne und einem anderen von Amiens aus auf die untere Seine. Die Heeresgruppe 3 war gegen den von Amiens aus geführten Angriff eingesetzt. Die französische Führung hatte nur noch wenige operative Reserven zur Verfügung. Im Bereich der Heeresgruppe 3 konnten lediglich die divisionsstarke Gruppe Petiet und die Gruppe Audet, später XXV. Armeekorps, bei Formerie beziehungsweise südlich bereitgestellt werden®. Gegenüber der deutschen 6. Armee befanden sich der rechte Flügel der französi- schen 10. Armee (Altmayer) und der linke der französischen 7. Armee (Frere) - Trennungslinie ostwärts Villers-Bretonneux - ostwärts . Südlich von Amiens sollte das französische X. Armeekorps (Grandsard), an das links das IX. und rechts das I. Armeekorps anschlossen, die um Amiens nach Süden verlaufenden Verbindungen gegen den hier erwarteten Vorstoß starker deutscher Panzerkräfte sperren10. Darum war das X. Armeekorps, mit der 16. Infanterie-Division und der 4. Kolonial-Infanterie-Division in Front, durch einen weiteren Großverband, die

• Jacobsen, S. 181. Warum der Bereich von Laon günstiger für den Ansatz der Panzerverbände der 6. Armee gewesen wäre als Amiens und Pironne, wird nicht erklärt. Wahrscheinlich des- wegen, weil Halder von vornherein die noch verbliebenen Reserven des französischen Heeres auf der Linie Paris-Chalons vermutete und daher der Ansicht war, daß vor allem der Raum- gewinn an den inneren Flügeln der Heeresgruppen Β und Α ausgenutzt werden müßte. Siehe dazu Anmerkung 41. 7 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 12 u. 25. 8 A.O.K.6, Armeebefehle: Armeebefehl Nr. 3 vom 4. Juni 1940,18.00 Uhr. • Maxime Weygand, Memoires, Bd. 3, Rappelö au service, Paris 1950 [Weygand], S. 157. 10 Siehe Skizze. 24. Infanterie-Division, die südlich der Straße - - Ailly-sur-Noye in Reserve lag und einen Panzerriegel bildete, verstärkt worden11. Die Art der französischen Verteidigung in der Weygand-Linie war durch ein System aus Widerstandszentren und Stützpunkten, für die Ortschaften und Wald- stücke ausgenutzt worden waren, gekennzeichnet. Dadurch war, bei dem im ganzen noch starr-linearen Zusammenhang, in dem durchschnittlich zehn Kilometer tiefen Verteidigungsgürtel selbst ein verhältnismäßig hohes Maß an Elastizität gewähr- leistet. Zweck dieser Feldbefestigungsanlage war es, den deutschen Angriff dadurch zum Stehen zu bringen, daß die begleitende Infanterie von den durchstoßenden Panzern getrennt und vor den Stützpunkten aufgerieben wurde12. Die französische militärische Führung hatte versäumt, die Armee auf den mo- dernen, von den motorisierten Kräften bestimmten Bewegungskrieg durch ent- sprechende Ausbildung und Erziehung vorzubereiten13. Sie vertrat taktische und operative Ansichten, die sie im Ersten Weltkrieg gewonnen hatte. Die französische Panzerwaffe diente lediglich der taktischen Unterstützung. Die erste Phase des Westfeldzuges hatte ihre führungs- und einsatzmäßige Unterlegenheit bewiesen. Die hohen Verluste, die die Streitkräfte bei den Kämpfen im Norden erlitten hat- ten, konnten am wenigsten bei den fliegenden und den schnellen Verbänden aus- geglichen werden. So war, neben der kräftemäßigen Unterlegenheit, die Unbeweg- lichkeit der damaligen französischen Armee der Grund für das Verteidigungs- system der Weygand-Linie. Sieht man es als Notbehelf an, so wird man aber an- erkennen müssen, daß der ihm zugrunde liegende Gedanke, die Zersplitterung des Angriffs und das Brechen des Panzerstoßes durch eine verhältnismäßig tiefe, ent- sprechend gegliederte Stellungsanlage, unter diesen Umständen und da die fran- zösische Führung entschlossen war, keinen Meter Bodens kampflos zu räumen, ein Gegenprinzip darstellte, dessen Anwendung immer noch die meiste Aussicht auf Erfolg hatte. Voraussetzung war, daß die Stützpunkte bis zur letzten Patrone ver- teidigt wurden. General Weygand hatte seinen Truppen daher befohlen, die Stel- lungen »ohne Gedanken an Rückzug«14 zu halten. Freilich konnte die Weygand- Linie nur dann den Schutzwall darstellen, als der sie gedacht war, wenn es der französischen Führung, die auf Hilfe aus England und Amerika hoffte, noch recht- zeitig gelang, die zu ihrer Stützung notwendigen Reserven aufzustellen beziehungs- weise zu erhalten15.

11 C. Grandsard, Le 10« Corps d'Armde dans la bataille 1939-1940 - Sedan, Amiens, De la Seine ä la Dordogne, Paris 1949 [Grandsard], S. 204 f. u. 214. la Weygand, S. 158. - De Bardies, La Campagne 39-40, Paris 1947 S. 261. - Ernst Kabisch, Der Ablauf der Operationen, in: Unser Kampf in Frankreich - vom 5. Juni bis 25. Juni 1940, Mün- chen 1941, S. 77. 13 Kurt Zeitzier, Erkenntnisse und Erfahrungen der Panzer-Gruppe v. Kleist im Westfeldzug 1940, in: Wehrkunde, Jg 8,1959 [Zeitzier, Erkenntnisse], S. 367. - Siehe auch die diesbezüg- lichen kritischen Bemerkungen in den ersten beiden Kapiteln von Charles de Gaulle, Memoiren - Der Ruf 1940-1942, Berlin u. Frankfurt a.M. 1955 [de Gaulle], und von Eugfene Carrias, La pensde militaire fran^aise, Aix-en-Provence 1960, S. 332 f. Französische Truppenführung - Vorschrift für die taktische Verwendung der Großen Ver- bände, Paris 1937, Ubersetzung mit Genehmigung des französischen Kriegsministeriums, Berlin o. J., [Französische Truppenführung] S. 49-53. Die europäischen Heere und ihr[e] Kampfverfahren, 1. Jg, Berlin 1938, S. 24. - Eddy Bauer, Der Panzerkrieg - Die wichtigsten Operationen des Zweiten Weltkrieges in Europa und Afrika, Bd I, Vorstoß und Rückzug der deutschen Panzerverbände, Bonn 1965, S. 17-22. 14 Weygand, S. 140: Aufruf vom 25. Mai 1940. Die »Verteidigung ohne Rückzugsgedanken« (ddfensive sans esprit de recul) war in der französischen Truppenführung ein feststehender Begriff zur Unterscheidung von den übrigen Verhaltensformen im Rahmen der »Abwehr«, nämlich dem »Hinhaltenden Widerstand« (mancevre en rettaite), dem »Rückzug« (retraite) und den »Sonderfällen der Abwehr«. Siehe Französische Truppenführung, Abschnitt V, Kapi- tel III, Die Abwehrschlacht, S. 155-185. 15 Weygand, S. 145-155. - De Gaulle, S. 46 f. Das deutsche Armee-Oberkommando 6 wies seine Verbände an, die Angriffskräfte an den beabsichtigten Einbruchsstellen scharf zusammenzufassen und Erfolge ohne Rücksicht auf die Flanken auszunutzen (Dokument 4). In den »Weisungen für die Kampfesführung«1® betonte Generaloberst v. Reichenau, daß es darauf ankomme, schnell zwischen den vom Feuer eingedeckten Dörfern hindurchzustoßen, vornehm- lich auch bei Nadit. In diesem Zusammenhang wurde, in erheblidier Untersdiätzung der Realität, das neue Kampfverfahren des Feindes als »primitive Verteidigung« bezeichnet. Zweifellos war in diesen Befehlen und Weisungen Reichenaus jener draufgänge- rische, auf schnellen Durdibruch abzielende Geist spürbar, in dem die ersten Schlachten dieses Feldzuges so erfolgreich geschlagen worden waren. Es fehlte aber bei der 6. Armee eine wesentliche Voraussetzung für den praktischen Weg zu einem neuen, schnellen Erfolg: die klare, durch den zusammengefaßten Einsatz der Pan- zerkräfte ausgedrückte Schwerpunktbildung. Die deutsche Offensive begann am 5. Juni 1940, 5.00 Uhr. Die (reduzierte) Gruppe v. Kleist trat an in zwei Treffen. Das erste Treffen bestand aus dem XIV. Armee- korps mit der 9. und der 10. Panzerdivision, die durch das Infanterie-Regiment Großdeutschland verstärkt worden war, sowie der 9. Infanterie-Division, die vor- her bereits im Brückenkopf Amiens gelegen hatte. Die 9. Panzer-Division, die nur über ein Panzer-Regiment verfügte, griff rechts, die 10. Panzer-Division, bei der der Schwerpunkt lag, links der Straße Amiens — Essertaux — Breteuil17 an. Die 9. Infanterie-Division hatte, nach Freiwerden der im Brückenkopf eingesetzten Teile, den Schutz der linken Flanke der 10. Panzer-Division zu übernehmen, oder — je nach Lageentwicklung - den Durdibruch durdi Angriff bis an die Avre zu ver- breitern. Das zweite Treffen wurde durch die 13. Infanterie-Division (mot) ge- bildet, welche als einziger Großverband einstweilen zur Verfügung der Gruppe blieb18. Der Angriffsverlauf bestätigte die Richtigkeit der taktischen Maßnahmen der fran- zösischen Führung: den deutschen Panzern, die mit unterstellten Teilen der 9. Infanterie-Division vor den Sdiützenverbänden angriffen, gelang es nadi harten Kämpfen, bis fast zur Straße Conty - Ailly vorzustoßen, die Schützen- und Infanterieverbände blieben jedoch vor den Stützpunkten liegen. Am Abend muß- ten die Panzer zurückgezogen werden19. An der gesamten Front der Armee war der Angriff nach Anfangserfolgen zu einem »mühsamen Abringen« geworden20. Dieser Mißerfolg überraschte auch insofern, als die französische Infanterie, die von einer bis in die Stützpunkte vorgezogenen, geschickt flankierenden Artillerie unterstützt wurde, einen wesentlich höheren Kampfwert bewies als während des bisherigen Feldzuges21. General v. Kleist erkannte, daß der Durchbrach ohne Rück- sicht auf die Flanken, wie ihn das Armee-Oberkommando gefordert hatte, nicht möglich war. Er befahl daher für den 6. Juni, die für den Vormarsch notwendigen

19 Gr. v. K., Anl.-Heft 4 z. K.T.B. 4: Der Oberbefehlshaber der 6. Armee, Weisungen für die Kampfesführung, 3. Juni 1940. 17 Hier nur grobe Angabe der Trennungslinie. 18 Gr.v.Kleist, K.T.B., Amiens, S.6 u.8.-10.Pz.Div.,K.T.B., Bl. 95/24-35. - 9. I.D.,K.T.B.: Divisionsbefehl Nr. 23 für den Angriff, 4. 6. 40,14.30 Uhr. - Kriegstagebuch 9. Panzer-Divi- sion, Westfeldzug 1940, in: Mitteilungsblatt der Kameradschaft der Schnellen Division des ehemaligen österreichischen Bundesheeres (nachmals 4. Leichte Division, 9. Panzer-Division) [K.T.B. 9. Pz.Div., Mittlgsbl.], Folge 8, Dezember 1958, S. 5. 19 10. Pz.Div., K.T.B., Eintragungen 5. 6.1940. - Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. lOf. - K.T.B. 9. Pz. Div., Mitdgsbl., 8, S. 5f. 20 A.O.K. 6, M. u. A.-Meldungen: Armee-Oberkommando 6, Abteilung Ia/op., Abendmeldung an Heeresgruppe B, 5. Juni 1940. 21 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 10. Dörfer zu nehmen - auch wenn dafür bereits durchgebrochene Panzer wieder herangezogen werden müßten. Das Generalkommando der Gruppe rechnete damit, daß sich die ausgebaute feind- liche Widerstandszone nicht über die bei dem Panzereinbrudi erreichte Linie nörd- lich der Straße Conty - Ailly nach Süden ausdehne (Dokument 5). Die Stellungen der französischen 24. Infanterie-Division waren also trotz der deutschen Luft- überlegenheit noch nidit erkannt worden. Bei ΡέΓοηηβ stellten sich dem XVI. Armeekorps ähnliche Schwierigkeiten entgegen wie dem XIV. Armeekorps bei Amiens22. Am 6. Juni konnte das XIV. Armeekorps zwar einen breiteren, aber kaum tieferen Einbruch als am Vortage erzielen. Da zunächst die Stützpunkte genommen werden mußten, waren die Panzer hinter den Schützen- und Infanterieteilen eingesetzt worden und wurden ihnen später abteilungsweise unterstellt. Damit hatte der Verteidiger dem Angreifer eine Kampfart aufgezwungen, bei der dessen gefähr- lichste Erdwaffe auf eine unterstützende Funktion beschränkt wurde. Immer deut- licher zeichnete sich die Gefahr ab, daß sich die wertvollen schnellen Verbände in einem langwierigen Kampf gegen Stellungen, für den sie nicht geschaffen worden waren, aufrieben23. Uber den Einsatzwillen der Offiziere und Soldaten konnten keine Zweifel bestehen. Der Feind, obwohl zwischen Seile und Noye in zwei Teile zerrissen, kämpfte nach wie vor außerordentlich zäh (Dokument 6). Um zu über- prüfen, ob sich die kämpfende Truppe den neuen, durch das französische Abwehr- verfahren bestimmten Verhältnissen angepaßt habe, unternahm ein Offizier - offenbar im Auftrag des Generalkommandos der Gruppe — eine Erkundungsfahrt. Er berichtete, daß sich die schnellen Verbände noch nicht auf die veränderte Kampf- weise des Gegners umgestellt hätten und daß sie noch nach Grundsätzen fochten »wie bei erstem Vormarsch, als wenn keine zusammenhängende Feindabwehr- front« vorhanden sei (Dokument 7). Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Β stellte fest: »Es scheint, als ob wir fest- sitzen! ... Ich bin der Ansicht, daß, wenn der Gegner, wie es zur Zeit den Anschein hat, weiter hält, aus der dünnen Suppe der 6. Armee nur bei scharfer Schwerpunkt- bildung etwas zu machen ist.« Er entschloß sich, das XIV. Armeekorps bei Amiens herauszuziehen und zusammen mit dem XVI. Armeekorps bei P£ronne einzu- setzen, damit ein »ganz starker Angriffsklotz«24 die Armee vorwärtsreiße. Zur Ausführung dieses Entschlusses kam es jedoch nicht, da bei der 4. Armee der Feind vor den Panzerverbänden des XV. Armeekorps (Hoth) nachgab und am linken Flügel der 6. Armee und bei der 9. Armee die französische Verteidigung zusammenbrach. Damit bestand Aussicht, daß der Feind auch südlich Amiens bald seinen Widerstand aufgab. Nach wie vor sollte die Vereinigung der Gruppe v. Kleist vor der Front der Armeen erfolgen25. Da am Abend der feindliche Widerstand nachzulassen schien - General Grandsard übertrug die Verteidigungsführung im Schwerpunkt dem Kommandeur der 24. In- fanterie-Division und ließ in der Nacht einige Stützpunkte nördlich der Straße Conty - Ailly räumen26 -, erwartete General v. Kleist, daß der Durchbruch endlich am 7. Juni gelingen werde (Dokument 8). Nun aber traf der Angriff auf die Stel- lungen der französischen 24. Infanterie-Division. Nur mit äußerster Mühe gelang

M Ebda, S. 11. 13 10. Pz.Div., K.T.B.: Eintragungen 6.6.1940.-K.T.B.9. Pz.Div.,Mittlgsbl.,8, S.6.-Gr.v.K., K.T.B., Amiens: Eintragungen 6. 6. 1940. 24 Jacobsen, S. 175. 24 Ebda, S. 175f. 29 Grandsard, S.221f. es den beiden Panzerdivisionen, über die Straße vorzudringen. Kleist erließ einen scharfen Befehl, daß Breteuil noch am gleichen Tage erreicht werden müsse (Do- kument 9). Trotzdem mußte der Angriff, für den Kleist eine artilleristische Ver- stärkung des XIV. Armeekorps mit drei schweren Abteilungen durchgesetzt und ihm die 13. Infanterie-Division (mot) unterstellt hatte, am Abend eingestellt wer- den. Es wurde erkannt, daß die deutschen Kräfte südlich von Amiens auf eine besonders starke Stelle der feindlichen Verteidigung getroffen waren27. General v. Kleist war sehr ungehalten darüber, daß ihm zunächst ein falsches, näm- lich viel günstigeres Bild von der Lage vermittelt worden war. Nach den Meldun- gen hatte er den Eindruck gewonnen, daß der Feind vor dem linken Flügel des XIV. Armeekorps dem Druck der 9. Infanterie-Division, die auf das Ostufer der Noye vorging, auswich. Audi vor dem linken Nachbarn, dem XXXX. Armee- korps, setzte sich der Gegner ebenso ab wie vor dem rechten, dem XXXVIII. Ar- meekorps, neben dem das XV. Armeekorps seinen Einbruch zwischen Aumale und Poix zum Durchbruch ausweitete. Kleist wies Wietersheim an, den Erfolg der 9. Infanterie-Division auszunutzen, da sich auf dem Ostufer der Noye gute Aus- sichten für ein rascheres Vorwärtskommen zu eröffnen schienen. Hierzu sollten Teile der 13. Infanterie-Division (mot) bei Ailly durchbrechen. Tatsächlich zog sich aber die französische 4. Kolonial-Infanterie-Division nicht auf Grund des deut- schen Drucks, sondern im Zuge einer von General Weygand unter dem Eindruck der deutschen Erfolge an den Flügeln der französischen Heeresgruppe 3 am 6. Juni befohlenen Frontverkürzung in die Gegend von Moreuil zurück. Die Front der französischen Heeresgruppe 3 sollte danach auf der Linie - Hornoy - Poix - Conty - Ailly-sur-Noye — Moreuil - Avre — Aisne verlaufen, war tatsächlich aber schon zwischen Hornoy und Poix durchbrochen. Vor der neuen Stellung der fran- zösischen 4. Kolonial-Infanterie-Division traf die 9. Infanterie-Division wieder auf harten Widerstand28. Wegen der »spärlichen und zum Teil auch irreführenden Meldungen«29, die das Generalkommando der Gruppe erhalten hatte, sprach der Chef des Generalstabes den Generalstabsoffizieren des XIV. Armeekorps und der ihm unterstellten Ver- bände seine Mißbilligung aus (Dokument 10). Trotz ihres harten Widerstandes hielt es General v. Kleist für möglich, daß sich die französische 24. Infanterie-Division vielleicht sogar noch in der Nacht unter dem Eindruck der Erfolge des deutschen XXXVIII. Armeekorps zurückziehen werde. Es kam ihm darauf an, dies rechtzeitig zu erkennen, damit gegebenenfalls sofort nachgestoßen werden konnte, um zu verhindern, daß sich der Feind wieder fest- setzte. Ferner sollte die Weiterführung des Angriffs für den nächsten Morgen vor- bereitet werden. Dafür war Kleist vom Armee-Oberkommando 6 die Unterstützung durch einen Teil des Fliegerkorps VIII zugesichert worden30 (Dokument 11). Tatsächlich nahm die französische 24. Infanterie-Division, die viel mehr gelitten hatte, als dies beim deutschen XIV. Armeekorps bekannt war, wegen hoher Ver- luste, Munitionsmangels und der aus dem Raum südwestlich Conty heraus be- stehenden, durch das Ausweichen der linken Nachbardivision verursachten Bedro- hung ihrer linken Flanke noch in der Nacht zum 8. Juni ihre Stellungen zurück. Ihr Kommandeur beabsichtigte südlich der Straße Conty - Ailly eine Widerstands- linie aufrechtzuerhalten und nördlich von Breteuil zwischen Seile und Noye eine Auffanglinie zu bilden. Nördlich von Crevecoeur stand die 2. Panzer-Division,

27 10. Pz.Div., K.T.B.: Eintragungen 7. 6. 1940. - K.T.B. 9. PzDiv., Mttlgsbl., 8, S.6. 28 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens: Eintragungen 7. 6.1940. - Weygand, S. 175. 29 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 17. IOO 80 Ebda, S. 18. die bisher keinen Angriff auf die bei Poix durchgebrochenen deutschen Kräfte unternommen hatte und sich am 8. Juni nach Abwehrkämpfen schließlich auf Cler- mont zurückzog31. Die 24. Infanterie-Division konnte jedoch ihre Verteidigung nicht mehr in der beabsichtigten Weise umorganisieren, da sie in der Nacht weite- ren Angriffen ausgesetzt war. Die 9. Panzer-Division brach in die französische Widerstandslinie ein32. General v. Kleist hatte für den Fall weiteren feindlichen Widerstandes angeordnet, daß der Angriff nidit, wie ursprünglich vorgesehen, in den frühen Morgenstunden, sondern erst nach gründlicher Vorbereitung um 10.00 Uhr beginnen sollte33. Die in dieser Hinsicht widersprüchlichen Berichte über den erwähnten Angriff der 9. Pan- zer-Division ergeben allerdings eher den Eindruck, daß der Widerstand der fran- zösischen 24. Infanterie-Division nicht mehr sehr stark war. Es wurde festgestellt, daß sich der Feind vor dem rediten Flügel bei Conty zurückzog34. Einige Stunden später erkannte audi der Kommandeur der 10. Panzer-Division, Generalleutnant Schaal, daß sidi südostwärts von Essertaux kein stärkerer Feind mehr befand. Schaal wollte sofort angreifen, aber General v. Kleist hatte sich inzwischen dazu entschlossen, am Vormittag überhaupt nidit mehr angreifen zu lassen. Immer wie- der im Laufe des Vormittags bat Generalleutnant Schaal, ein sehr energischer Panzertruppenführer, angreifen zu dürfen. General v. Wietersheim gestattete ihm jedoch nur, dem weichenden Feinde zu folgen, lediglich mit Spähtrupps vorzufüh- len und warnte ihn davor, auf eine neue Feindstellung aufzulaufen. Audi General v. Kleist empfahl Zurückstellung des Angriffs aus Rücksicht auf die Gesamtlage (Dokument 12). Dies, obwohl sich nach Fliegermeldungen die Franzosen am späten Vormittag südlich der Linie Crevecoeur — Breteuil zurückzogen35. Trotzdem drängte die 10. Panzer-Division schneller nach, als es General v. Wietersheim, sei- nen wiederholten Warnungen nadi zu schließen, wünschte. Die 9. Panzer-Division setzte um 10.00 Uhr Aufklärungskräfte zur Verfolgung an. Breteuil wurde von vorausgeworfenen Teilen um die Mittagszeit erreidit und befand sich 14.45 Uhr in der Hand der Sdiützenbrigade der 10. Panzer-Division3®. Nadidem das Generalkommando der Gruppe v. Kleist drei Tage lang auf die möglichst rasche Erzwingung des Durdibruchs gedrängt hatte, erscheint Kleists und Wietersheims Forderung nach Zurückhaltung zunädist völlig unverständlich. Die Erklärung ergibt sidi aus folgendem Zusammenhang: General v. Kleist hatte am Vormittag mit Unterstützung von Teilen des Flieger- korps VIII angreifen wollen. Als er um 5.15 Uhr erfuhr, daß das Armee-Ober-

31 Grandsard, S. 234 0. - Jacques Benoist-Mdchin, Der Himmel stürzt ein - Frankreichs Tragödie 1940, Düsseldorf 1958 [Benoist-Michin], S. 275. - Erich v. Manstein, Verlorene Siege, Bonn 1955, S. 138. 8a K.T.B. 9. Pz.Div., Mittlgsbl.,8, S. 6. - I./Aufkl.Rgt. 9, K.T.B., 8.6.1940. - Kriegstagebuch der I. Abteilung des Schützenregiments 11, Einsatz Westen 1940 vom 29.11.1939 bis 6.7.1940, in: Mitteilungsblatt der Kameradschaft der Schnellen Division des ehemaligen österreichischen Bundesheeres (nachmals 4. Leichte Division, 9. Panzer-Division) [K.T.B., I./Schtz.Rgt. 11, Mitdgsbl.], Folge 18, März 1961, S. 6. -10. Pz.Div., K.T.B., Bl. 97/18. -P. Vasselle, Labataille au sud d'Amiens 20 Mai-8 Juin 1940 - Combats des 7® D.I.C. et 16· D.I. sur le plateau de Dury et de la 24« D.I. sur la position d'Essertaux, 2. Aufl., , ο. J. [Vasselle], S. 163 ff. 38 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 18. 34 Aufkl.Rgt. 9, E.W., S. 10. 85 Gr. v. K., Anl.-Heft 4 z. K.T.B. 4: Koluft v. Kleist, Ic, Abwurfmeldung der 3. (H) 14,8.6.1940, 12.50 Uhr. 38 Grandsard, S. 241. - Vasselle, S. 167. - Die ersten Truppen, die Breteuil erreichten, gehörten vermutlich zur Aufklärungs-Abteilung (mot) 90 (10. Pz.Div.). Jedenfalls war der Abteilung um 8.40 Uhr befohlen worden, bei Breteuil einen Brückenkopf zu bilden und Aufklärung in Richtung St. Just anzusetzen (siehe Dokument 12). kommando die Flieger nicht beim XIV., sondern beim XVI. Armeekorps einsetzen wollte, zog er den Angriffsbefehl für den Vormittag zurück. Nach den voran- gegangenen Meinungsverschiedenheiten war das Verhältnis zwischen dem General- kommando der Gruppe und dem Armee-Oberkommando ohnehin gespannt. Der Gruppenbefehlshaber beabsichtigte nunmehr, »erst am Nachmittag zusammen mit der Luftwaffe anzugreifen, aber auf jeden Fall nadizustoßen, falls der Feind selbst abbauen sollte«. Die Begründung ist eindeutig. Kleist wollte die Panzerdivisionen »nicht unnötig verbluten lassen« (Dokument 13). Dieser Grund sprach auch wesentlidi dafür mit, daß Generaloberst v. Reichenau, der Kleists Entschluß billigte, seiner um 8.00 Uhr dem Chef des Generalstabes der Heeresgruppe gegebenen Auffassung der Lage zu- folge, das XIV., das XXXX. und das XVI. Armeekorps am gleichen Tage über- haupt nicht mehr, sondern erst wieder am 9. Juni angreifen lassen wollte37 - obwohl dem XIV. Armeekorps einige Stunden vorher die Luftwaffenunterstützung mit dem Hinweis darauf verweigert worden war, daß die Flieger beim XVI. Armee- korps, bei dem der Schwerpunkt liege, dringender gebraucht würden. War es aber gerechtfertigt, den Panzerdivisionen des XIV. Armeekorps die Er- laubnis zum Angriff oder zu energischer Verfolgung zu verweigern, nachdem der Feind vor ihrer Front nachgab und bis zum Mittag immer deutlicher wurde, daß er sich in einer größeren, bereits die Straßen verstopfenden Rückzugsbewegung befand? Tatsächlich bildeten die Teile der französischen 24. Infanterie-Division, die nicht in südlicher Richtung flohen oder an manchen Stellen noch kurzen Wider- stand leisteten, bei und südlich von Ailly auf dem Westufer der Noye nur noch einen Brückenkopf, während sich die 4. Kolonial-Infanterie-Division bis zum Abend hartnäckig auf dem Ostufer verteidigte38 (Dokument 13). Nach der Beurteilung der Gesamtlage war Kleists Sorge, das XIV. Armeekorps könne auch mit seinen beiden Panzerdivisionen bald wieder auf harten Feind- widerstand stoßen, gerechtfertigt. Seit dem Abend des 7. Juni hatte das Ober- kommando des Heeres und das der Heeresgruppe Β immer mehr den Eindruck, daß sich der Feind noch vorwärts der Seine schlagen wolle. Er landete Truppen bei Le Havre39 und verstärkte sich bei Beauvais. Die Lage nördlich von Beauvais mußte um so gefährlicher werden, je weiter die Panzerspitzen der 4. Armee auf Rouen vorstießen und je breiter dadurch die Lücke zwischen den inneren Flügeln der 4. und der 6. Armee wurde. Darum entschloß sich Generaloberst v. Bock am Vormittag des 8. Juni, der 4. Armee zu befehlen, Rouen zu nehmen, aber mit der Masse nach Osten abzudrehen und in Richtung Gournay - Cr^vecoeur anzugreifen. Die 6. Armee sollte den Gegner nördlich der Oise lediglich fesseln und nur südlich zusammen mit der 9. Armee weiter im Angriff bleiben40. Das Kriegstagebuch der Gruppe v. Kleist erwähnt diese gravierende Änderung des Plans für den ersten Operationsabschnitt, die der Auffassung entgegenkam, die Hauptoperation nicht, wie befohlen, nach Südosten, sondern Südwesten weiter- zuführen41, nur im Hinblick auf die damit verbundene Abgabe des XIV. Armee-

87 A.O.K. 6, K.T.B., S. 449fi. 38 Grandsard, S. 237-241. - Vasselle, S. 166f. - A.O.K. 6, K.T.B., S. 453. 39 Benoist-Michin, S. 271 f. - Es handelte sich um 100000 Franzosen, die sich aus Dünkirchen retten konnten und von England zurückgebracht wurden, in ihrem augenblicklichen Zustand aber kaum Kampfwert besaßen. 40 Jacobsen, S. 180 u. 185. 41 Nach der Aufmarschanweisung Rot war es das Ziel der Hauptoperation, »die Masse des franz. Heeres im Gebiet Paris-Belfort-Metz zu schlagen und die Maginot-Linie zum Einsturz zu bringen« - siehe Jacobsen, S. 152f. Das Oberkommando des Heeres hatte es jedoch von vom- 102 herein für möglich gehalten, daß sich statt der Einnahme des »leeren oder fast leeren Festungs- korps an die 4. Armee. Es erwähnt auch diesen neuen Operationsplan, für den die Befehle des Oberbefehlshabers der Heeresgruppe um 12.30 Uhr beim Armee- Oberkommando 6 eingetroffen waren42, erst im Zusammenhang mit der um 16.00 Uhr stattgefundenen Besprechung des Chefs des Generalstabes beim Armee- Oberkommando 4 (Dokument 13). Daß Kleist jedoch das XIV. Armeekorps jetzt nicht nur wegen der entzogenen Fliegerunterstützung, sondern vor allem im Hin- blick auf das neue operative Vorhaben zurückhielt, dürfte aus einer um 13.40 Uhr vorgenommenen Eintragung im Kriegstagebuch des Armee-Oberkommandos 6 deutlich werden. Hier wurde eine Meldung von Kleist notiert, nach der der Feind vor den beiden Panzerdivisionen des XIV. Armeekorps anscheinend hinhaltend kämpfend zurück- gehe und daß er sidi südlidi der Linie Ailly - Moreuil verbissen vor der 13. Infan- terie-Division (mot) und der 9. Infanterie-Division halte. Das XVI. Armeekorps habe den Auftrag, »wo Gegner weicht, nachzustoßen, jedoch bei sich versteifen- dem Feindwiderstand nicht anzugreifen«43. Wahrscheinlich handelt es sidi bei »XVI. Armeekorps« um einen Schreibfehler, muß es »XIV. Armeekorps« heißen; denn es war vorher von Teilen des XIV. Armeekorps die Rede, ohne daß gesagt wurde, welchen Auftrag dieses Korps angesichts des südlich von Amiens zurück- gehenden Feindes habe. Vor allem unterstand das XVI. Armeekorps gar nicht General v. Kleist, und es ist nicht anzunehmen, daß Kleist hier lediglich einen Auf- trag feststellte, den dieses Korps nur von der Armee haben konnte. Andererseits hatte Kleist nach dem Kriegstagebuch der 10. Panzer-Division dem XIV. Armee- korps zehn Minuten vorher Zurückhaltung im Angriff aus Rücksicht auf die Ge- samtlage befohlen (Dokument 12). Nun ist »angreifen« nicht dasselbe wie »nach- stoßen«; es wäre also möglich, daß Kleist zwar keinen Angriff, wohl aber eine energische Verfolgung wünschte. Es kann jedoch angenommen werden, daß Wie- tersheim im Sinne Kleists verfuhr, wenn er immer wieder vor einer zu schnellen und energischen Verfolgung warnte. Daß Kleist die Panzerdivisionen vor dem neuen Einsatz bei der 4. Armee schonen wollte, geht aus der an die Notiz über den Auf- trag für das XVI. (oder XIV.) Armeekorps anknüpfenden Bemerkung im Kriegs- tagebuch des Armee-Oberkommandos 6 hervor: »Gruppe v. Kleist glaubt damit dem großen Operationsgedanken, die Panzerdivisionen für die Umfassungsauf- gaben aufzusparen, am besten Rechnung zu tragen44.« Im Zusammenhang mit dem Problem der Abnutzung der Panzerverbände war vorher nie die Rede gewesen von Umfassungsaufgaben, um die es sich bei der Zangenbewegung gegen die fran- zösischen Kräfte nördlich der Seine jetzt handeln sollte, sondern immer nur von einem weiten Vorstoß in die Tiefe des Feindraums im Sinne des alten Operations- plans, nach dem zunächst die Ausgangsbasis für die Hauptoperation gewonnen werden sollte. Um 14.30 Uhr hielt - wie bereits erwähnt45 - der Chef des Generalstabes des Heeres Vortrag bei Hitler, wobei die Panzerverwendung des Armee-Oberkom- mandos 6 kritisiert wurde. Eine halbe Stunde später erschien Hitlers Adjutant, Oberst d. G. Schmundt, bei General v. Kleist und überbrachte ihm die Weisung, »daß die Panzerverbände keinesfalls an Stellen starken Widerstandes verbraucht

gehäuses« eine Schwenkung in südwestlicher Richtung und eine Einkreisungsoperation gegen den Raum von Paris als notwendig ergeben würde. Hitler wollte jedoch zunächst das Erz- becken von Elsaß-Lothringen in seine Hand bekommen. Siehe Jacobsen, S.167f. - hier auch Zitat - und Blumentritt, S. llOfl. 42 A.O.K. 6, K.T.B., S. 452. « Ebda, S. 454. 44 Ebda. 45 Siehe S. 94 fl. werden dürfen, sondern unter allen Umständen für lohnende Operationen mit wei- ten Zielen aufzusparen seien« (Dokument 13). Damit war zugleich gesagt, daß das Generalkommando der Gruppe v. Kleist nach Ansicht der obersten Führung richtig gehandelt hatte, als es vom XIV. Armeekorps Zurückhaltung verlangte. Tatsächlich waren die beiden Panzerdivisionen bei einem Vorstoß auf St. Just in der linken Flanke bedroht, solange sich der Feind nodi bei Ailly und ostwärts der Noye hielt. In der rechten Flanke des XIV. Armeekorps konnten sich dagegen die französischen Verbände gegenüber dem deutschen XXXVIII. Armeekorps nidit halten. Vor der Front der beiden Panzerdivisionen gab es keine starke Feind- stellung mehr. Bei Beauvais stand zwar das französische XXV. Armeekorps, Gruppe Audet, aber es behinderte einen deutschen Vorstoß auf St. Just nidit. In der Nacht vom 7. zum 8. Juni war der französischen Heeresgruppe 3 der Rüde- zug auf die untere Seine, die Pariser Sdiutzstellung und die Marne befohlen wor- den. Das X. Armeekorps hatte jedoch den Rückzugsbefehl nidit erhalten, und das XXV. Armeekorps erhielt den Auftrag, es zu unterstützen. Da das Oberkommando der zerrissenen 10. Armee über die Lage südlich Amiens offenbar nicht genau im Bilde war, beauftragte es General Audet gleichzeitig damit, »eventuell«48 das X. Armee- korps aufzunehmen. Audet ging mit seinem Korps am Nadimittag nördlich und nordwestlich von Beauvais in Stellung. General Grandsard gelang es bis zum Abend nicht, diese Front mit den auf dem Rückzug befindlichen Teilen des X. Armeekorps und anderer Verbände nach Osten gegen das deutsche XVI. Armee- korps zu verlängern47. Nach dem Kriegstagebuch der Gruppe trat die Veränderung der Lage südlich Amiens erst während der Zeit ein, als sich ihr Chef des Generalstabes in der Be- sprechung beim Armee-Oberkommando 4 befand - also nach 16.00 Uhr (Doku- ment 13). Nach dem Fernsprechbuch der Gruppe hatte aber General v. Wietersheim bereits um 15.00 Uhr gemeldet, daß der Gegner vor den beiden Panzerdivisionen zurückgehe, und um Entscheidung gebeten, »ob weiter nachgestoßen oder angehal- ten werden soll«. Daraufhin war er um 15.20 Uhr von General v. Kleist ange- wiesen worden, hinter dem weichenden Gegner »so weit als möglich in der befoh- lenen Richtung«48, also auf St. Just, nachzustoßen. Hierbei ist nicht klar, aus welchem bestimmten Anlaß Wietersheim den Beginn des Rückzugs gerade um 15.00 Uhr meldete. Möglicherweise hängt dies mit der Meldung Generalleutnant Sdiaals um 14.35 Uhr zusammen, nach der sich der Feind vor seiner Schützenbrigade »im vollen Rückzug« (Dokument 12) befand. Um 13.40 Uhr hatte man bei der Gruppe v. Kleist noch den Eindruck gehabt, daß er hinhaltend kämpfend ausweiche4®. Jedenfalls scheint sich in den frühen Nadimit- tagsstunden die Lage für die Generalkommandos der Gruppe und des XIV. Armee- korps dahingehend geklärt zu haben, daß zunächst ein stärkerer Widerstand vor der Front der Panzerdivisionen nicht mehr zu befürchten war und dem Wunsche Schaals50 - er war nicht weniger als fünfmal bei Wietersheim vorstellig geworden (Dokument 12) - nach entschlossenem und schnellem Vorgehen entsprochen werden konnte.

48 Grandsard, S. 246. 47 Ebda, S. 237-250. - Benoist-M6chin, S. 271. - R. Altmayer, La X. Armde - sur la Basse-Somme en Normandie et vers le »reduit breton« Mai-Juin 1940, Paris 1945, S. 76-82. 48 Gr. v. K., Fernsprechbuch, 8. 6. 1940,15.00 und 15.20 Uhr. 48 A.O.K. 6, K.T.B., S. 453. 60 Nach dem Durchbruch sprach General v. Wietersheim der 10. Panzer-Division, der der Hauptanteil am Erfolg zukomme, für ihre hervorragenden Leistungen sein besonderes Lob aus. Siehe 10. Pz.Div., K.T.B, Bl. 98/24. Generaloberst ν. Bock erfuhr etwa um 17.00 Uhr, daß der Feind nun audi südlich Amiens zurückging. Etwas später wurde ein Funkspruch mitgehört, durch den der französischen 7. Armee befohlen wurde, sich vom Feinde zu lösen. Bock machte sofort alle Befehle rückgängig, die im Sinne des abgeänderten Operationsplans zur Einschließung der französischen Kräfte nördlich der Seine schon herausgegangen waren. Alles behielt die alten Aufträge51. Die Verfolgung in Richtung St. Just, wohin die Aufklärungsabteilung der 10. Pan- zer-Division vorgeworfen wurde, mußte unterbrochen werden, da die ostwärts des deutschen Durchbruchraumes befindlichen französischen Kräfte nadi Südwesten auszubreiten versuchten. Daher kam es bei St. Just, wo die Aufklärungs-Abtei- lung 90 zu schwach war, um den Ort gegen die herausdrängenden Feindmassen zu halten, zu schweren Kämpfen, bei denen die Franzosen Panzer einsetzten82. Am 9. Juni traf die 9. Panzer-Division in ihrer Stoßrichtung auf Creil bei Clermont nodi einmal auf harten Widerstand. Noch einmal sah es so aus, als sollten die beiden Korps der Gruppe v. Kleist weiterhin getrennt eingesetzt bleiben, da das Armee-Oberkomamndo 6 das XIV. Armeekorps zur Bildung von Brückenköpfen über die Oise für die nachfolgende Infanterie verwenden wollte. Auf dringende Vorstellung General v. Kleists, der befohlen hatte, lediglich Aufklärung bis Creil und Verberie vorzutreiben, wurde das XIV. Armeekorps aber dann doch am 10. Juni herausgezogen und hinter der Front mit dem XVI. Armeekorps zusam- mengeführt. Der nächste Einsatz der nun wieder vollständigen Gruppe v. Kleist erfolgte von Chäteau-Thierry53 aus im Rahmen der Hauptoperation, die mit dem Eingreifen der Heeresgruppe A am 9. Juni begonnen hatte. Bei rückschauender Betrachtung der Kämpfe vertrat das Generalkommando der Gruppe v. Kleist die Auffassung, daß die Gruppe bei einheitlicher Zusammen- fassung beider Korps und bei Ansatz an einer Stelle von geringerer feindlicher Widerstandskraft am vierten Tage der Operation südlich der Oise hätte stehen können54. Die während des Durchbruchs aus dem Brückenkopf Amiens gewon- nenen Erkenntnisse wurden in einer vom Generalkommando der Gruppe erarbei- teten Studie über die Erfahrungen mit großen motorisierten Verbänden verwertet (Dokument 14). Volkmar Regling

81 Jacobsen, S. 185. 82 Siehe zu diesen Kämpfen gegen die französischen Durchbruchsversuche die Eintragungen der hier angegebenen Kriegstagebücher. 53 Zeitzier, Die Pz.Gr. v. K., S. 295. 54 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 22-26. Dokumente

1. Auszug aus dem Armeebefehl Nr. 1 des A.O.K. 6 vom 2. 6.194065

1. Feind im Absdmitt der Armee hat si>cb zur Abwehr gegliedert und beabsichtigt, sich an den Flußläufen zu verteidigen. In der Front sind 8 Divisionen festgestellt. Da- hinter sind in der Tiefe Reserven bisher nidit erkannt. 2. Die Armee tritt am Α-Tag X-Uhr aus der Linie Amiens - Coucy-le-Chateau (28 km nördlich Soissons) nach kurzem Feuersdilag überraschend zum Angriff an und gewinnt unter Sicherung gegen Paris so schnell wie möglich den Obergang über die Oise und Aisne in Linie Creil-Soissons (ausschließlich) sowie den Wald von Compi^gne. 3. Nadobarn: Rechts greift XXXVIII. A.K. () über die Somme in allgemeiner Richtung Grandvilliers an. Links greift XVIII. A.K. (Laon) über den Oise-Aisne-Kanal an und gewinnt mit star- kem rechten Flügel über die Höhen von Terny den Aisne-Übergang ostwärts Soissons. 4. Es greifen an: Gruppe v. Kleist58 XXXX. A.K. XVI. A.K. Truppeneinteilung siehe Anlage 1 V. A.K. Verteilung der Heerestruppen erfolgt gesondert XXXXIV. A.K. 5. Aufträge: a) Gruppe v. Kleist greift aus dem Brückenkopf Amiens zwischen Seile und Avre an und gewinnt mit starkem rechtem Flügel beiderseits Breteuil vorgehend zunächst das Höhengelände nördlidi St. Just-en-Chauss£e; b) XXXX. A.K. greift mit scharf zusammengefaßtem linken Flügel über -Ro- si£res an und gewinnt die Avre-Übergänge zwisdien Moreuil und zur Fortsetzung des Angriffs in Richtung Montdidier; c) XVI. A.K. greift aus dem Brückenkopf Pironne an, gewinnt die Avre-Übergänge beiderseits Roye und stößt auf das Höhengelände von M£ry durch; d) V. A.K. gewinnt unter Ausnutzung der Flankierung vom südlichen Oise-Ufer mit Schwerpunkt auf dem linken Flügel den Obergang über die Somme und den Cro- zat-Kanal sowie die Höhen beiderseits Noyon. Von hier aus setzt es den An- griff über die Oise in südlicher Richtung unverzüglich fort. Frühzeitige Gewinnung eines Brückenkopfes bei und ostwärts Noyon ist wichtig. e) XXXXIV. A.K. unterstützt durdi Angriff mit starkem rechten Flügel aus der Linie Pierremande - Coucy-le-Chiteau den Angriff des V. A.K. und gewinnt als erstes Angriffsziel den Höhenblock nördlich Morsain. Der Angriff ist so anzuset- zen, daß er von hier aus entweder aa) durch Fortsetzung in Richtung Carlepont den Übergang des V. A.K. über die Oise unterstützen, oder bb) über die Höhen von Nouvron den Obergang über die Aisne und die Bildung von Brückenköpfen beiderseits Ambleny erzwingen kann. [...]«

88 A.O.K. 6, Armeebefehle. 86 Ohne XVI. Armeekorps. 87 Es folgen die Trennungslinien der Korps sowie weitere Anweisungen, welche die Befehls- übernahme durch einzelne Verbände, Unterstellungen und Einsatz von Artillerie, Einsatz von , Fliegerverbänden, Aufklärung und Erkundung, Truppenverschiebungen und Gefechtsstände Ιθ6 betreffen. 2. Auszug aus den Eintragungen für den 1. Juni 1940 im Kriegstagebuch der Gruppe v. Kleist58

[·;•]•· Dieser Ansatz der schnellen Kräfte deckt sich in keiner Weise mit den Ansichten des Generals der Kavallerie v. Kleist. Wenn auch über den ersten Ansatz verschiedene Auf- fassungen vertretbar sind, so muß doch der Grundgedanke der Vereinigung aller schnel- len Kräfte an entscheidender Stelle und unter einheitlicher Führung im Vordergrund bleiben. Den Gedankengängen und Wünschen des Gruppenstabes entspräche am meisten der geschlossene Einsatz der gesamten Gruppe aus großer Tiefe an einer Stelle. Im Hin- blick auf die volle Abwehrbereitschaft des Gegners, der etwa 10 Tage Zeit dazu gehabt hat, erscheint es auch zweckmäßiger, das Loch für die Panzerverbände erst durch die Infanteriedivisionen schlagen zu lassen und dann nadizustoßen. Gegen den getrennten Einsatz spricht vor allem auch die geschrumpfte Gefechtskraft der schnellen Kräfte. Bei den Panzerdivisionen sind nur 50 °/o der Panzer einsatzfähig, zu- mal es zu keiner nennenswerten Ruhe- und Auffrischungszeit gekommen ist. Die hohen personellen Lücken der Schützenbrigaden sind gleichfalls nicht aufgefüllt; allein bei der 10. Pz.Div. fehlen 300 Schützen60. Die unverhältnismäßig hohen Offiziersverluste fallen dabei besonders ins Gewicht. Der in Aussicht gestellte Mannschaftsersatz ist aus unbe- kannten Gründen über Antwerpen bzw. Brüssel geleitet worden und kann daher zeitlich für den Angriff nicht mehr zurechtkommen. Der getrennte Ansatz der Panzerkorps macht vor allem auch Nähren des Angriffs aus der Tiefe von vornherein unmöglich. Die Panzerkorps werden voraussichtlich schon einen großen Teil ihrer jetzigen Gefechtskraft verbraucht haben, wenn ihre operative Aufgabe in der Tiefe des Feindes beginnt. Auch wo der getrennte Kräfteansatz anfänglich durch die Brückenköpfe bedingt er- sdieint, muß doch die frühzeitige Vereinigung unter Führung der Gruppe von vorn- herein ins Auge gefaßt und vorbereitet werden. Die Begrenzung des ersten Angriffs auf verhältnismäßig kurzgesteckte Ziele (Höhengelände westlich Breteuil für XIV. A.K.,

58 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S.4-6. Die Wiedergabe eines Teils dieses Dokuments vom 1.6.1940 erfolgt hinter der Wiedergabe des Auszugs aus dem Armeebefehl Nr. 1 des A.O.K. 6 vom 2. 6. 1940 (Dokument 1) mit Rücksicht auf den Sinnzusammenhang des Dokumentations- themas. - Die Eintragungen enthalten die Stellungnahme des Generalkommandos der Gruppe v. Kleist zu dem von dem Armee-Oberkommando 6 befohlenen getrennten Ansatz der beiden Korps der Gruppe. Vgl. Dokument 1. 59 Die Eintragungen für den 1. 6.1940 beginnen in Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, auf S. 1. Sie be- handeln zunächst den neuen Kampfauftrag für das Heer, unter besonderer Berücksichtigung der motorisierten Truppen, und gehen dann auf die Umgliederung der Gruppe v. Kleist sowie die Operationsabsichten des Armee-Oberkommandos 6 und auf den von ihm befohlenen ge- trennten Ansatz des XIV. und des XVI. Armeekorps ein. 80 Die 10. Panzer-Division vertrat zusammen mit den Divisionen der Nummern 1 bis 5 mit einer Schützenbrigade und einer Panzerbrigade von zwei Regimentern zu je zwei Abteilungen und einer Sollausstattung von etwa 300 Panzern den an Panzern stärksten Typ der deutschen Pan- zerdivisionen, hatte aber in den Kämpfen vor dem Einsatz bei Amiens besonders gelitten. Die 9. Panzer-Division stellte dagegen mit nur einem Panzerregiment zu zwei Abteilungen und mit einer Sollausstattung von etwa 150 Panzern die an Panzern schwächste Division der deutschen PanzerwaSe überhaupt dar. Die Schützenbrigaden - die Schützen wurden später in Panzergrenadiere umbenannt - bestanden bei beiden Divisionen aus zwei Schützenregi- mentern zu zwei Bataillonen, doch besaß die 9. Panzer-Division außerdem noch ein Krad- schützenbataillon bei den Aufklärungskräften, die darum auch hier in einem Aufklärungs- regiment zusammengefaßt waren. Im April 1939 machten 2400 Mann die Sollstärke eines Schützenregiments aus. Demnach war die Sollstärke beider Schützenbrigaden zusammenge- nommen 9600 Mann zuzüglich der Brigadestäbe. Siehe Gen.St.d.H., Kriegsgliederungen, 9. und 10. Panzer-Division, sowie Handbuch für Heerestaktik, April 1939, Teil 1, Grundbegriffe, Hrsg. der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Lehrstab für Heerestaktik, Berlin 1939, S. 77, und Burkhart Mueller-Hillebrand, Das Heer 1933-1945 - Entwicklung des organischen Aufbaues, Bd II, Die Blitzfeldzüge 1939-1941 - Das Heer im Kriege bis zum Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion im Juni 1941, Frankfurt/M. 1956, S. 141. Höhengelände um Mery für XVI. A.K.) trägt diesem Gedanken nidit Rechnung. Der Panzerangriff dient auf diese Weise nicht dem Hauptzweck eines tiefen Durchbruchs, sondern dem Nebenzweck, den Angriff aus den Brückenköpfen vorzureißen. Die Kürze der Zeit verbietet eine grundlegende Änderung des Ansatzes. Der Kommandie- rende General und der Chef des Generalstabes der Gruppe v. Kleist können daher ledig- lidi versudien, die ihnen aufgezwungene Lösung im Rahmen des Möglichen zu ver- bessern. Hierbei handelt es sidi in erster Linie darum, die baldige Vereinigung der getrenn- ten Kräfte unter Führung des Gruppenstabes wenigstens vorzubereiten. Dazu gehören als Voraussetzung: Volle Erhaltung der mit Aufteilung bedrohten O.Qu.-Organisation, volle Erhaltung des Koluft-Stabes und seiner Einrichtungen, enge, unmittelbare Verbindung mit Fliegerkorps und Flakkorps wie bisher, enge Verbindung zu beiden Panzerkorps. Diese Bemühungen führen zunädist wenigstens zu einer Einschaltung des Gruppenstabes insofern, als durdi den endgültigen Angriffsbefehl des A.O.K. 6 vom 2. 6. die Gruppe v. Kleist den Befehl auf dem rediten Armeeflügel im Brückenkopf Amiens mit den dort neu angesetzten Kräften des XIV. A.K. und der schon eingesetzten 9. I.D. übernimmt. Als Zeitpunkt der Befehlsübernahme wird der 3. 6., 8.00 Uhr, bestimmt. Damit ist der Gruppenstab wenigstens an einer Stelle verantwortlidi in die Angriffsführung eingeschal- tet. Er sieht in dieser Lage seine Aufgabe zunächst darin, das XIV. A.K. für den Durdi- bruchsangriff so stark wie möglich zu machen. Die der Gruppe neu zugeführten bzw. in Aussicht gestellten Heerestruppen werden dazu fast sämtlidi dem XIV. A.K. unterstellt. Auf eine weitere Einflußnahme glaubt der Gruppenstab bewußt verziditen zu müssen, da im Angriffsabschnitt des XIV. A.K. lediglich der Kommandierende General dieses Korps verantwortlich befehlen kann. Eine Einwirkung auf das XVI. A.K. ist unter den gegebenen Befehlsverhältnissen überhaupt nidit möglidi. [...]«

3. Auszug aus den Eintragungen für den 4. Juni 1940 im Kriegstagebuch des Armee- Oberkommandos 662 [ •;·]®8

Die Grundgedanken für die Durchführung des Auftrages der Armee bei den kommen- den Operationen ergaben sich aus folgenden Überlegungen: 1. Um wieder zur Bewegungsoperation zu kommen, muß zunädist die eingerichtete Ver- teidigungsstellung des Feindes durchbrodien werden. 2. Für den Ansatz des Angriffs muß ausgenutzt werden: a) Der Brückenkopf Amiens b) Der Brückenkopf ΡέΓοηηβ c) Die weite Vorwärtsstaffelung des linken Armeeflügels im Höhengelände von St. Gobain.

81 Die Tageseintragungen enden mit den Hinweisen, daß das Infanterie-Regiment Großdeutsch- land der Gruppe als Verstärkung für die in den vorhergehenden Kämpfen besonders ge- schwächte 10. Panzer-Division belassen wird, daß eine Flakbrigade auf Zusammenarbeit mit dem XIV. Armeekorps angewiesen wird und daß die unmittelbare Verbindung zum Flieger- korps VIII auf Schwierigkeiten stößt, weil das Armee-Oberkommando 6 den Gesamtschwer- punkt nicht bei der Gruppe v. Kleist sieht. 82 A.O.K. 6, K.T.B., S. 418-421. - Der hier wiedergegebene Angriffsplan des Armee-Oberkom- mandos 6 enthält die Begründung für den getrennten Ansatz der beiden Korps der Gruppe v. Kleist. •3 Die Eintragungen für den 4. Juni 1940 beginnen auf S. 410 und betreffen bis S. 416 Vorberei- tungen für den Angriff, Meldungen über das Verhalten des Feindes, Besprechungen, einen Anneetagesbefehl sowie Tages- und Abendmeldungen. Der hier wiedergegebenen Eintra- gung ist keine Uhrzeit vorangestellt; die letzte Eintragung davor wurde um 23.00 Uhr vor- genommen. Es bedarf eines planmäßig aufgebauten und an entscheidenden Stellen scharf zusammen- gefaßten Angriffs, um den Feind, der sich bei seiner Geschicklichkeit in der Verteidigung sicherlich tapfer schlagen würde, an einzelnen Stellen zu durchstoßen und damit das ganze Gebäude und den Zusammenhang seiner Verteidigung zum Einsturz zu bringen. Der Auftrag für die der Armee unterstellte Gruppe v. Kleist, nadi dem Durdibruch der Armee weit vorauszueilen und über die Oise hinweg unter Außerachtlassung von Paris bis an und über die Marne in Linie Lagny - Chateau-Thierry durchzustoßen, ließ es angebracht erscheinen, diese schnellen Verbände unter einheitlicher Führung zusammenzu- fassen. Demgegenüber stand die Tatsache, daß die verhältnismäßig engen Brückenköpfe Amiens und Pironne nur beschränkte Entwicklungsmöglichkeit der Panzer und schnel- len Verbände bieten und daß vor dem Stoß in die Tiefe zunächst einmal der Durch- bruch durch die feindliche Stellung erkämpft werden muß. Die Armee entsdiloß sich da- her dazu, zunächst fünf Armeekorps angreifen zu lassen und die Vereinigung der bei- den Panzerkorps erst in der Tiefe auf dem Höhengelände südlich Montidier zu suchen. Es wurden angesetzt: je ein durch Infanterie verstärktes Panzerkorps aus den Brücken- köpfen von Amiens und Pironne und ein ausgesprochener Infanterie-Schwerpunkt am linken Armeeflügel unter Ausnutzung von dessen Vorwärtsstaffelung südlich der Oise. Der Armeeabschnitt war 120 km breit, und es zeigte sich, daß die für den Abschnitt zur Verfügung stehenden infanteristischen und artilleristischen Kräfte reichlich schwach waren. Die Armee legte entscheidenden Wert darauf, den ersten Schritt der Operationen, den Durchbruch durch die ausgebauten feindlichen Verteidigungen, von vornherein mit ausreichenden Kräften zu führen, weil sie in einem schnellen Anfangserfolg überhaupt die Vorbedingung für das Gelingen der Operation erblickte. Aus diesen Erwägungen gab sie alle Infanterie-Reserven aus der Hand und bemühte sich, möglichst starke Artillerie für die Vorbereitung und Begleitung des ersten Angriffs heranzuziehen, wozu sie außer der Artillerie ihrer gesamten Reserven mit Genehmigung der Heeresgruppe auch die Divisions-Artillerie zweier Divisionen der Heeresgruppen- reserve heranzog. Die Kommandobehörde der Gruppe v. Kleist wurde von Anfang an überlagernd im rechten Korpsabschnitt eingesetzt, um sie in die Lage zu versetzen, die Kampfführung des rechten, schnellen Flügels der Armee bestimmend zu beeinflussen und die Vereinigung mit dem XVI. A.K. in der Tiefe vorzubereiten und zu suchen. Es bestand die Hoffnung, bei günstigem Verlauf der Operationen, raschem Vorwärts- kommen der Gruppe v. Kleist und schnellem Erfolg des linken Armeeflügels frühzeitig neue Armeereserven aus dann frei werdenden Infanteriedivisionen der Front zu bilden. Trotzdem mußte die Armee die Zurückhaltung so zahlreicher Infanteriedivisionen und so starker Artillerie in der Reserve der Heeresgruppe und des O.K.H. bedauern. Der Ein- satz zweier weiterer Infanteriedivisionen in der Front wäre unter Heranziehung der 4. und 38. I.D. möglich gewesen. Das Heranführen der schnellen Verbände und der aus allen Himmelsrichtungen einzeln heranströmenden Heerestruppen litt unter dem Zeitdruck und den durch die zahlreichen Marschbewegungen nicht zu vermeidenden Straßenverstopfungen im rückwärtigen Armee- gebiet. So ergab sich das Bild, daß bis zum Angriffsbeginn eine ganze Anzahl Heeres- truppen, insbesondere der Pionierwaffe, nicht rechtzeitig genug herangekommen war und daß selbst der Anmarch einer für den Einsatz in der Front vorgesehenen Panzerdivision sich bis in den Nachmittag vor dem Angriff hinzog. Auch die soeben im Raum zwischen Lille und der Küste begonnene Wiederherstellung und Auffrischung der Panzerverbände mußte vorzeitig abgebrochen werden. [...]«*

64 Danach werden die Eintragungen für den 4. Juni 1940 durch einen Hinweis auf das Wetter sowie die Registrierung des Zu- und Abgangs unterstellter Truppen abgeschlossen. 4. Auszug aus dem Armeebefehl Nr. 2 des A.O.K. 6 vom 3. 6.194085

2. Kampfführung: Die infanteristischen und artilleristischen Angriffskräfte sind an den beabsichtigten Einbrudistellen scharf zusammenzufassen. Errungene Erfolge sind ohne Rücksicht auf die Flanken sofort zu weiterem Durch- stoßen in der befohlenen Angriffsriditung durch die Tiefe der feindlidien Linie hin- durdi auszunutzen. Mit der Möglidikeit, daß der Feind am Fluß und besonders vor unseren Brücken- köpfen nur mit Gefeditsvorposten, mit seinen Hauptkräften aber in weiter abgesetz- ten Stellungen steht, ist zu rechnen. Artillerie und zum Erdkampf bestimmte Flakartillerie gehören also gerade beim er- sten Stoß weit nach vome. Insbesondere ist, wo es die Verhältnisse erlauben, starke Artillerie sdion zum Angriffsbeginn in den Brückenköpfen einzusetzen. 3. Vorbereitung und Durchführung des Angriffs: Um X-Zeit beginnt einheitlich der Feuerschlag der Artillerie auf die feindlidien Infanterieanlagen unter gleichzeitiger Lähmung der gefährlichsten feindlichen Artillerie-Gruppen. Das Feuer auf die vor- derste feindliche Infanterie bleibt bis zum Einbruch der Infanterie bzw. der Panzer- wagen liegen, seine Dauer ist also nach den örtlichen Verhältnissen verschieden. Die Einnahme einer näher an den Feind herangeschobenen Sturmausgangsstellung bleibt den örtlichen Verhältnissen in der Nacht vor dem Α-Tag überlassen. Die Korps geben die entsprechenden Anordnungen für ihren Bereich. Nadi dem ersten Feuerschlag sind, ohne das Ergebnis der Einbrüche abzuwarten, so- fort einzelne Batterien im Sinne von Infanterie-Begleitbatterien nach vorne zu werfen. Zeitdauer und Stärke des begleitenden Artilleriefeuers (Feuerglocke für Panzer!) bleibt den Armeekorps je nadi Absichten, örtlichen Verhältnissen und Munitionsbeständen überlassen. Auf die Ausnutzung der äußersten Sdiußweiten der in den Stellungen nördlidi der Absdinitte verbleibenden Batterien der Armee- und Heeresgruppen-Re- serve wird hingewiesen. [•••]β7

5. Gruppenbefehl Nr. 23 der Gruppe v. Kleist vom 5. 6.1940ββ

1. Der Feind hat seine Widerstandszone hartnäckig verteidigt. Den Panzern der 10.Pz.Div. ist der Durchbruch bis in die Gegend gelungen. Um die Dörfer Dury, Ru- migny und Seins wird noch gekämpft. Über 200 Gefangene sind bisher eingebradit. Es ist damit zu redinen, daß die ausgebaute Widerstandszone sich nicht über Ores- maux in der Tiefe ausdehnt. 2. Das Ziel für den 6. 6. ist der Durdibruch/durch die Widerstandszone und die Ver- einigung der Gruppe v. Kleist (XIV. A.K. und XVI. A.K.) in der Gegend südlich von Montdidier, um von dort aus das Südufer der Oise bei Verberie gewinnen zu können. 3. Aufträge: a) XIV. A.K. beendet den Durchbruch durch die feindlidie Widerstandszone. Sodann geht es über Gegend Breteuil bis zu dem Höhengelände von St. Just vor. Das weitere Vorgehen auf die Oise wird die Gruppe je nadi dem Vorkommen des XVI. A.K. neu befehlen.

•6 A.O.K. 6, Armeebefehle. Die Wiedergabe eines Teils dieses Dokuments vom 3.6.1940 erfolgt hinter der Wiedergabe des Auszugs der Eintragungen des K.T.B, des A.O.K. 6 vom 4.6.1940 (Dokument 3) mit Rücksicht auf den Sinnzusammenhang des Dokumentationsthemas. ββ Hinweis unter Ziffer 1., daß Zeitpunkt des Angriffs noch befohlen wird. 87 Es folgen Hinweise auf die Zusammenarbeit mit der Luftwaffe, auf Änderungen in der Glie- derung und auf den Einsatz der Artillerie sowie auf die Nachrichtenverbindungen. 110 ·β Gr. v. K., Anl.-Heft 4 z. K.T.B. 4. Die 9. I.D. ist entsprechend dem Vorkommen der Panzerdivisionen so nachzufah- ren, daß an den widerstandleistenden Schwerpunkten möglichst schnell starke In- fanterieteile zum planmäßigen Einsatz kommen können. b) 13. I.D. ist ab 6. 6., 9.00 Uhr, abmarschbereit in den Unterkünften. Vorgehen auf den Durchmarsdistraßen Α und C auf Amiens ist beabsichtigt. c) A.A. (mot) 1 hält sich in ihren Unterkünften nördlich Amiens so bereit, daß sie ab 7.00 Uhr jederzeit nach vorn vorgezogen werden kann. Unterstellung unter XIV. A.K. ist beabsichtigt. d) Die übrigen der Gruppe unmittelbar unterstehenden Heerestruppen verbleiben zunächst in ihren Unterkunftsräumen. Sie erhalten Sonderbefehl. 4. Dem neuen Verfahren der Franzosen, die Panzer durchbrechen zu lassen und hinter ihrem Rücken Dörfer, Wälder und Straßenknotenpunkte hartnäckig zu verteidigen, ist dadurch zu begegnen, daß solche für den Vormarsch notwendigen Dörfer je nach der Lage entweder von vornherein im Zusammenwirken zwischen Stuka, Panzern und vorausgeholten Schützen zu Fall gebracht werden, oder daß sie nach Umgehung durch die Panzer durch planmäßigen, in kurzer Frist vorbereiteten Angriff unter Ein- satz von Artillerie, Flak für Erdbeschuß, Flammenwerfern, Vernebelung usw. einge- nommen werden. Unter Umständen kann hierzu ein Wiederheranziehen schon durdb- gebrodiener Panzer notwendig sein6®. 5. Zuteilungen: Pionier-Lehr-Bataillon (mot) ohne Sturmboot-Kompanie und ohne Brücken-Kolonne wird dem XIV. A.K. vorübergehend unterstellt. 6. Gmppen-GefeAtsstand: . Verlegung am 6. 6. vormittags nach Montigny ist beabsichtigt. Bekanntgabe darüber erfolgt am 6. 6. vormittags.

6. Abendmeldung des XIV. Armeekorps an die Gruppe v. Kleist vom 6. 6. 194070

Das XIV. A.K. erreichte im Angriff Nordrand St. Sauflieu-Nordrand Oresmaux. 10. Pz.Div. greift seit 16.00 Uhr aus dem Wald südlich Sains die Höhe 127 (3 km südlich) an. Der Angriff ist noch im Gange, er wird morgen früh fortgesetzt. Der Gegner vertei- digte sich in Dörfern und Waldstücken außerordentlich zäh. Die Artillerieflankierung durch den Gegner von West und Ost blieb den Tag über bestehen. Gefangenenzahl bis- her 1000. Korpsgefeditsstand Amiens, Rue Zola 23

7. Bericht über eine am 6. 6.1940 vorgenommene Überprüfung des taktischen Verhaltens der im Einsatz befindlichen Schnellen Truppen71

1. Schnelle Truppen haben sich auf veränderte Kampfweise des Gegners noch nicht um- gestellt. Fechten nodi nach Grundsätzen wie bei erstem Vormarsch, als wenn keine zusammenhängende Feradabwehrfront [vorhanden sei]. a) Lkw., Pkw. und Kräder fahren an Ortschaften und Wälder heran, obwohl Feind- freiheit nicht festgestellt; daher erhebliche Verluste (vor Essertaux sieben Lkw. des Nachrichten-Zuges A.R. 90 mit durchschossenen Reifen und Motoren. Mehrere Fah- rer tot und verwundet. Feindliches MG eröffnet Feuer auf 100 m).

·· Mit diesen neuen Anordnungen änderte das Generalkommando der Gruppe v. Kleist die vom A.O.K. 6 erlassenen Anweisungen für die Kampfführung ab. Vgl. Dokument 4. 70 Gr. ν. Κ., Anl.-Heft 4 z. K.T.B.4: Fernschreiben Nr. 561 desXIV.A.K.an Gruppe von Kleist vom 6. 6.1940,19.40 Uhr. III 71 Ebda, Bericht vom 8. 6.1940. b) Aufklärungs-Abteilung 9072 (keine Kampftruppe) versucht bei Essertaux und Ju- mel gewaltsam durchzustoßen, verlor drei Panzerspähwagen durch Pak und Panzerbüchsen. c) Infanterieregimenter gingen ohne planmäßige Gefechtsaufklärung gegen Wald- stücke vor, verließen sich auf Aufklärung der AA, sicherten sich lediglich durch entwickeltes Vorgehen. Feindliche MG-Nester, die auf 200 bis 100 m Feuer er- öffneten, waren vorher unbekannt; kein vorheriges Herauslocken des Feuers durch Nahsicherung. d) Infanterieangriffe müssen m. E. von Schützenregimentern bei den derzeitigen Kampfverhältnissen ebenso vorbereitet geführt werden wie von normalen Infan- terieregimentern. Niederhalten erkannter feindlicher MG-Nester durch sMG, IG. Ausschalten von Flankierung durch schwere Infanteriewaffen und leichte Artillerie. Masse der schweren Infanteriewaffen wurde aber dichtfolgend nachgeführt und erst bei feindlichem Feuer eingesetzt. e) Angriffe erfolgen meist frontal. Innerhalb der Gefechtsstreifen keine ersichtliche Schwerpunktbildung auf Grund von Feind- und Geländebeurteilung. 2. Stukaangriffe haben für Infanterieangriff nur Wert, wenn sie zeitlich und örtlich so angesetzt sind, daß Infanterieangriff niederhaltende Wirkung unverzüglich ausnutzen kann. Angriff Infanterie-Regiment Großdeutschland am 7. 6.7S erfolgte erst eine Stunde nach Stukaangriff auf ein Ziel, das von vorderster Linie drei bis vier Kilo- meter entfernt war. Offenbar falsche Lagemeldung. 3. Franzosen hißten mehrfach weiße Flaggen, eröffneten aber dann trotzdem auf kurze Entfernung das Feuer. _ . Boelsen Major.

8. Gruppenbefehl Nr. 24 der Gruppe v. Kleist vom 6. 6.194074

1. Der Feind vor der Front der Heeresgruppe ist durch die Kämpfe der 2 Tage an ver- schiedenen Stellen weich geworden und gibt nach. So konnte das Panzerkorps Hoth bis über die Straße Poix - Aumale vorkommen. Die Panzerdivisionen des XVI. A.K. stehen 21.00 Uhr abend* beiderseits von Roye. Patrouillen der 1. Geb.Div. haben westlich Soissons die Aisne überschritten. Unser rechter Nachbar - die 27. I.D. - hat am Abend fast ohne Kampf erreicht. Unser linker Nachbar, der wenig vorgekommen ist, erhält am 7. 6. Verstärkung zu- geführt. 2. Das Ziel der Gruppe v. Kleist für den 7. 6. bleibt wie am 5. 6. befohlen. Ich erwarte, daß das augenscheinlich sich auch vor der Gruppe v. Kleist einbahnende Nachlassen in der Widerstandskraft des Feindes sofort ausgenützt und mit aller Tat- kraft zum Durchbrach ausgenutzt wird. Es ist alle Aussicht vorhanden, daß die Gruppe v. Kleist sich am 7. 6. südlich von Montdidier wieder vereinigt. Jeder Führer muß davon durchdrungen sein und dazu sein Bestes hergeben. 3. Der Auftrag für das XIV. A.K. bleibt bestehen. Die 13. I.D. (mot) wird unterstellt. Die Division ist einzusetzen, um den Einbruch zu verbreitern und um in seiner [ihrer] ausgeruhten Angriffskraft die schon seit 2 Tagen im Gefecht stehenden Teile mitzu- reißen. 4. Die Aufträge für A.A. (mot) 1 und die übrigen der Gruppe unmittelbar unterstehen- den Heerestruppen bleiben bestehen. 5. Gruppen-GefeAtsstandMontvgay. ^ Kleist

72 10. Panzer-Division. 73 Also erst am Tage nach der Erkundungsfahrt, auf die sich, der Überschrift nach, alle Be- merkungen beziehen! 74 Gr. v. K., Anl.-Heft 4 z. K.T.B. 4. 9. Vorbefehl General ν. Kleists an das XIV. Armeekorps und unterstellte Verbände vom 7. 6.1940, 20.10 Uhr™

Vorbefehl: Feind überall weich geworden. Audi Gruppe v. Kleist muß vorkommen. An- griff ist bis zur Dunkelheit fortzusetzen. Breteuil muß noch heute erreicht werden. Feind darf nicht zur Ruhe kommen. Angriff 8. 6., 6.00 Uhr, beginnen. Wo Feind hält, umfas- sen, umfassen! . .

10. Schreiben des Chefs des Generalstabes der Gruppe v. Kleist an den Chef des General- stabes des XIV. Armeekorps und die Generalstabsoffiziere der unterstellten Verbände vom 8. 6. 194076

Die Gruppe v. Kleist hatte von dem Kampf des 7. 6. bis in den Abend hinein kein klares Bild. Das lag daran, daß ich von den Generalstabsoffizieren, audi von denen der Divisionen, die ich persönlich anrief, keine klaren Unterlagen bekam. Daneben erhielt idi audi Mel- dungen, die sidi nachher als falsdi herausstellten. So ist die Führung nicht in der Lage, Entsdilüsse zu fassen. Ich führe einige Beispiele an. 1. Die Gruppe v. Kleist hatte nach vieler Mühe erreicht, daß vor ihrer Front Stuka-An- griffe stattfinden sollten. Es war in Stunden niidit möglich, die erwünschten Ziele zu erfahren, weil die vordere Linie stundenlang nicht bekannt war. Die Stuka-Angriffe sind nutzlos verpufft. 2. Die Gruppe hat stundenlang ein sehr optimistisches Bild über die Angriffe der 9. und 10. Pz.Div. erhalten, das nidit der Wirklidikeit entsprach. 3. Die Lage ostwärts des Noyebadies wurde dauernd sehr günstig dargestellt. Als die Gruppe daraus die entsprechenden Schlüsse zog und Einsatz eines Regiments der 13. I.D. (mot) befahl, stellte sidi ein wesentlich ungünstigeres Bild heraus, das diesen Ent- sdiluß nidit rechtfertigte. 4. Die Generalstabsoffiziere waren stundenlang von ihren Kommandeuren, die in ridi- tiger Erkenntnis der Lage vorn waren, getrennt. Das wird oft der Fall sein. Dann muß der Generalstabsoffizier alles tun, um von seinem Kommandeur Unterlagen über die Lage zu bekommen. Wenn er ohne diese in der Befehlsstelle ist, nützt es nichts, daß er gute Verbindungen mit der Gruppe hat. Auf Grund dieser Erfahrungen muß idi die Herren Generalstabsoffiziere um folgendes ersuchen: a) Der Generalstabsoffizier muß im allgemeinen ständig in der Lage sein, die vordere Linie anzugeben. Es kann selbstverständlich vorkommen, daß dies 1 bis 2 Stunden nicht möglidi ist. Es ist aber ausgeschlossen, daß dies von Mittag bis Abend nicht fest- steht. Dann hat der Meldeweg zum Generalstabsoffizier versagt, oder er ist schlecht oder überhaupt nicht organisiert gewesen. b) Der Generalstabsoffizier muß sidi auf Grund der Aufklärung ein Bild über den Feind machen, und - wenn er dies stundenlang nicht kann - so muß er alles tun, um sich hierzu die Unterlagen zu schaffen. c) Der Generalstabsoffizier muß von sich aus dem Chef des Stabes öfter über Feind- nadiriditen und seine Feindbeurteilung melden. d) Der Generalstabsoffizier muß wissen, wo sich sein Kommandeur befindet und in der Lage sein, mit diesem - eventuell mit Funk - in Verbindung zu treten. Er muß aber auch so in der Auffassung und in dem Gedankengang seines Kommandeurs leben, daß er in seinem Sinne selbst Entsdilüsse fassen kann.

78 Ebda. 78 Ebda. Ich bitte den Herren Kommandeuren hierüber Vortrag zu halten. Zeitzier Oberst und Chef des Generalstabes

11. Gruppenbefehl Nr. 25 der Gruppe v. Kleist vom 7. 6.194077

1. Der Feind ist am 7. 6. fast vor der gesamten Armeefront weit zurückgedrängt. Unser rediter Nachbar hat mit der 6. I.D. die Gegend nördlidi Grandvillers, mit der Kav.Div. die Gegend Fremontieres erreicht. Der linke Nachbar hat den Luce-Badi überschritten. Der Feind vor der Front der Gruppe v. Kleist hat sich sehr geschickt hinhaltend ver- teidigt. 2. Für die Gruppe v. Kleist kommt es darauf an, rechtzeitig zu erkennen, ob der Feind abbaut. Dann ist - auch bei Nacht - unverzüglich nachzustoßen, um zu ver- hindern, daß der Feind sidi wieder setzt. Daneben sind alle Vorbereitungen zu treffen, daß die augenblicklich besetzte feind- liche Widerstandslinie am 8. 6. vormittags - so zeitig wie möglidi - unter Einsatz der gesamten dem Korps zur Verfügung stehenden Artillerie und unter Mitwirkung von Sturzkampffliegern angegriffen werden kann. Der Zeitpunkt des Angriffs wird von der Gruppe befohlen. 3. Das XIV. A.K. hat die 9. und 10. Pz.Div. und die 13. I.D. (mot) zu diesem Angriff in allgemeiner Riditung Breteuil und ostwärts einzusetzen. Späteres Ziel St. Just. Die 9. I.D. hat den ostwärts des Noye-Badies begonnenen Angriff in allgemeiner Richtung Montdidier fortzusetzen. 4. Der Gruppe v. Kleist steht am 8. 6. ein Teil des Fliegerkorps VIII zur Unterstüt- zung des Angriffs zur Verfügung. Für das XIV. A.K. kommt es hierbei darauf an, dem Fliegerkorps rechtzeitig genaue Wünsche zu übermitteln und es dauernd über die vordere Linie auf dem Laufenden zu halten. Bei dem Ansetzen der Panzerangriffe kommt es darauf an, daß die moralisdie Wir- kung sofort für den Einbruch ausgenutzt wird. 5. Für die Luftaufklärung Räume und Aufträge wie bisher. ^

12. Auszug aus den Eintragungen für den 8. Juni 1940 im Kriegstagebuch der 10. Panzer- Division78

Divisions-Gefeditsstand Grattepandie 8.00 Uhr: Divisions-Gefechtsstand wird nadi Grattepandie verlegt. Chef XIV. A.K. teilt mit, daß ein zur Unterstützung vorgesehener Stuka-Angriff nicht stattfinden kann, da die Stuka anderweitig benötigt werden, und befiehlt, um 10.00 Uhr vorläufig nicht anzugreifen, da sidi das Korps den Angriffsbeginn bis nadi erfolgter Kräfteumgruppierung und erneuter Bereitstellung vorbehält. (13. I.D. [mot] und Artil- lerie.) Die Masse der Division soll stehenbleiben. Starke Gefechtsaufklärung ist vorzu- treiben und, falls Feind zurückgeht, am Feind zu belassen.

77 Ebda, 22.55 Uhr. - Im Hinblick darauf, daß General von Kleist am 8. Juni das XIV. Armee- korps zunächst nicht angreifen ließ, sind drei Hinweise dieses Befehls besonders zu beachten: erstens, daß es darauf ankomme, rechtzeitig zu erkennen, ob der Feind abbaue, damit unver- züglich nachgestoßen werden könne; zweitens, daß daneben alle Vorbereitungen für einen Angriff |zu treffen seien; drittens, daß der Gruppe zur Unterstützung des Angriffs ein Teü des Fliegerkorps VIII zur Verfügung stehe. 78 10. Pz.Div., K.T.B. Bl. 97/15-24. Das K.T.B, ist an den Texträndern durch Brand beschädigt worden und dadurch stellenweise unleserlich. 8.40 Uhr: Da das I./S. R. 86 den um Mitternacht gegebenen Befehl für die Verschie- bung des Angriffs auf 10.00 Uhr nidit erhalten hat, ist das Bataillon um 7.00 Uhr ange- treten, ohne auf stärkeren Gegner zu stoßen. Der Divisionskommandeur hat die Absicht, diesen Anfangserfolg sofort auszunützen. Er befiehlt an die A.A. 90, mit Masse zunächst L'Hortoy zu erreichen, Spähtrupps vorzutreiben und einen Brückenkopf bei Breteuil zu bilden. Von hier aus ist Aufklärung Richtung St. Just anzusetzen. 8.45 Uhr: Der Divisionskommandeur orientiert den Kommandierenden General über die neue Lage und bittet, angreifen zu dürfen. Kommandierender General entscheidet: Ba- taillon stößt mit Spähtrupps weiter vor. Masse bleibt in L'Hortoy, weiterer Befehl folgt. 9.00 Uhr: Neuer Befehl des Kommandierenden Generals: Gegner folgen, Nachhuten Abbruch tun. Bei einer neuen Feindstellung nicht den Kopf einstoßen. Das Korps ent- scheidet, ob angegriffen werden darf. Die Division befiehlt sofort an I.R. Großdeutschland und Schützenbrigade, daß starke Gefechtsaufklärung vorzutreiben ist. Bei starkem Widerstand nicht angreifen. Panzer bleiben nicht unterstellt. Die Panzerbrigade steht zur Verfügung der Division. Der Divisionskommandeur beab- sichtigt, sobald er den Angriffsbefehl erhält, die Panzerbrigade geschlossen einzusetzen, um mit der Wucht des PanzerangrifFes den letzten Widerstand des Feindes schnell zu brechen und dem Gegner keine Gelegenheit zum erneuten Festsetzen zu geben. 9.55 Uhr: Kommandeur I.R. Großdeutschland wird eingewiesen. Die Straße Lavarde - steht dem Regiment [unleserlich] marsch zur Verfügung. Gefechtsaufklä- rung ist am Bois de Berny vorzutreiben. Das Regiment tritt mit unterstellter II./A.R. 677 an. 10.25 Uhr: Die Fühlung mit dem Feind ist bald überall hergestellt. A.A. 90 meldet Lavarde und L'Hortoy feindbesetzt, I.R. Großdeutschland starkes Artilleriefeuer auf den Westteil des Bois de Domont. A.A. 90 Baumsperre ostwärts Bonneuil. Die Schützen- brigade kommt weiter vorwärts, besetzt L'Hortoy und strebt vor auf Höhe 175 und Bonneuil. I.R. Großdeutschland erreicht 11.50 Uhr den Weg, der von Flers in den Bois de Berny führt. Das II. Bataillon wird noch durch feindliche Artillerie niedergehalten. Der rechte Nachbar 9. Pz.Div. hat fast aufgeschlossen, er erreicht 11.00 Uhr - . 11.15 Uhr: Der Kommandierende General gibt nochmals den Befehl, daß Division nur mit Spähtrupps vorfühlen soll. Am Nachmittag voraussichtlicher Einsatz des Arko 20, dem die Beob.Abt. 33 wieder unterstellt wird und der die Artillerievorbereitung und Leitung der gesamten Artillerie des Korps für den Angriff übernehmen soll. 12.30 Uhr: Aufklärungsflieger meldet fortlaufend, daß der Gegner jetzt in vollem Rück- zug nach Südosten ist. Soweit möglich, wird er durch [unleserlich] (10 cm Kanonen- Batterie mit Artillerie-Flieger) bekämpft. Nach der Ansicht des Divisionskommandeurs müßte jetzt überraschend mit Panzern angegriffen werden. Er befiehlt, daß die Panzerbrigade sich fertig machen soll. Ein An- griff der Infanterie mit Bereitstellung und Artillerieaufmarsch gibt dem Gegner in dieser Lage Zeit, sich neu zu ordnen und sich wieder zur Verteidigung planmäßig einzurichten. 13.30 Uhr: Gruppe v. Kleist empfiehlt Zurückhaltung im Angriff im Rahmen der Ge- samtlage. 13.30 Uhr: Divisionskommandeur orientiert Kommandierenden General darüber, daß der Feind im Raum südlich Cr£vecoeur-Breteuil zurückgeht und daß die Division die Absicht hat, mit der Panzerbrigade anzugreifen. Der Kommandierende General gibt die Antwort, »dies kann nur im Rahmen eines Gesamtangriffs geschehen«. 13.35 Uhr: Divisionskommandeur gibt weitere Fliegermeldungen über den Rückzug des Feindes an den Kommandierenden General weiter. Kommandierender General entschei- det: Angriff nur auf Befehl des Korps. 14.20 Uhr: Das Sturm-Pi.Btl. 43 muß auf Befehl herausgezogen werden und steht zur Verfügung der Gruppe v. Kleist in . 14.30 Uhr: Ordonnanzoffizier meldet, daß der Feind vor der Schützenbrigade in vollem Rückzug ist. Artillerie schießt aus offener Feuerstellung von den Höhenrücken ostwärts Bonneuil in den fliehenden Feind. Eigene Infanterie fährt aufgesessen Richtung Breteuil, Anfang etwa bei Esquennoy. Auch I.R. Großdeutsdiland ist in flottem Vorgehen nach Süden über Hallivillers. 14.35 Uhr: Divisionskommandeur schildert diese Lage dem Korps und bittet um klare Anweisung. Das Korps trifft keine Entscheidung. 15.15 Uhr: Anruf des Divisionskommandeurs beim Korps. Er erhält den Auftrag, dem weidienden Feind bis St. Just nachzustoßen. Der Divisionskommandeur entscheidet: Artillerie macht Stellungswechsel nach vorn süd- lidi Hallivillers. Panzerbrigade vorziehen zur Verfügung der Division bis in das Wald- stück ostwärts L'Hortoy. I.R. Großdeutsdiland nimmt Höhe 117 und bildet Brücken- kopf bei Paillart. Panzerjäger-Lehrabteilung nach Esquennoy. Die entsprechenden Be- fehle werden gegeben. Panzerbrigade besteht aus Pz.Rgt. 7 und den noch vorhandenen Panzern des Rgts. 8, die zu 1 Kompanie zusammengefaßt und unterstellt sind. Masse des Pz.Rgts. 8, also Räderteile und instandzusetzende Panzer, verbleiben für die Instandsetzungsarbeiten zu- nächst Südrand Amiens. Der Divisionskommandeur fährt mit dem Ol (Hauptmann v. Bieberstein) im Befehls- wagen über Esquennoy nach Breteuil. 15.25 Uhr: Befehl an I.R. Großdeutsdiland: Feind geht in breiter Front nadi Süden zurück. Die Division verfolgt über Breteuil auf St. Just und nördlich davon. Verstärktes I.R. Großdeutsdiland stößt vor über Paillart-Tartigny-Chepoix-Gannes-Brunvillers. Im Abschnitt eingesetzte Teile bleiben unterstellt. Divisionsstab über Flers - Esquennoy auf rechter Vormarschstraße. 15.40 Uhr: Gruppe von Kleist wird vom Ia über die Lage orientiert. Die Verfolgung geht sehr flott vorwärts. 14.45 Uhr ist Breteuil in der Hand der Schüt- zenbrigade. 15.05 Uhr meldet A.A. 90 als Standort Breteuil und schon 15.43 Uhr meldet Artilleriekommandeur, daß Artl.Gruppe Gerloch bei Breteuil in Stellung geht. 15.45 Uhr: Auch vorderste Teile I.R. Großdeutschland haben Breteuil erreicht, die durdi den Divisionskommandeur entsprechend des dem Regiment erteilten Auftrages gegen den noch vom Feind gehaltenen Ubergang bei Paillart angesetzt werden. [...]«

13. Eintragungen für den 8. Juni 1940 im Kriegstagebuch des Generalkommandos der Gruppe v. Kleist80

Um 5.15 Uhr früh meldet der Chef des Generalstabes des XIV. A.K. fernmündlich, das Fliegerkorps VIII könne den Wünschen des XIV. A.K. für den Angriff am 8. 6. nicht nachkommen, da nach Anweisung der A.O.K. 6 der Schwerpunkt weiter beim XVI. A.K. liege. Eine Rückfrage des Chefs des Generalstabes der Gruppe v. Kleist bei Gene- ral Paulus ergab die Richtigkeit der Meldung; der Oberbefehlshaber der 6. Armee hat entschieden, daß das Fliegerkorps der Gruppe v. Kleist nicht zu helfen habe. Oberst Zeitzler weist mit Nachdruck darauf hin, der für XIV. A.K. geplante Angriff sei ganz wesentlich auf der Mitwirkung der Luftwaffe aufgebaut. Er bitte um Entscheidung, ob trotzdem keine Unterstützung stattfinden solle. Der Armeeführer habe doch erst gestern im Beisein des Generals v. Richthofen die Unterstützung der Gruppe v. Kleist durch die Luftwaffe zugesagt. General Paulus hält die ablehnende Entscheidung aufrecht mit der Begründung, die zugesagte Unterstützung habe nur für den 7. 6. gegolten. Demgegen- über betont Oberst Zeitzler, daß nicht nur die Gruppe, sondern auch General v. Ridit- hofen den Armeeführer dahin verstanden hätten, daß die Unterstützung für den 8.6. gelten solle.

7· Es folgen weitete Eintragungen über die Verfolgung, Maßnahmen gegen die französischen Ausbruchsversuche und Befehle an die nach St. Just vorgeworfene und dort von den aus- brechenden französischen Teilen gefährdete Aufklärungs-Abteilung (mot) 90. 80 Gr. ν. Κ., K.T.B., Amiens, S. 18-21. General d. Kav. v. Kleist entschließt sich deshalb, den beabsichtigten Angriff nicht durch- zuführen, um die Panzer-Divisionen nicht unnötig verbluten zu lassen. Er beabsichtigt, erst am Nadimittag zusammen mit der Luftwaffe anzugreifen, aber auf jeden Fall nach- zustoßen, falls der Feind selbst abbauen sollte. Dies wird der Armee gemeldet; sie billigt die Absicht der Gruppe. Der starke Widerstand vor dem XIV. A.K. findet im übrigen nach Gefangenenaussage darin eine weitere Erklärung, daß hier inzwischen auch noch die 24. französische I.D. eingeschoben worden ist. Die zunehmende Abnutzung der beiden Panzerdivisionen bestimmen die Gruppe, beim A.O.K, auf baldiges Nachführen von Infanteriedivisionen zu drängen. Die Armee führt das zunächst greifbare VIII. A.K. jedodi aus unbekannten Gründen nicht auf Amiens, sondern auf nach. Die Ereignisse beim XVI. A.K. haben sidi inzwischen ähnlich wie beim XIV. A.K. ent- wickelt. Nadi anfänglichen Erfolgen ist das XVI. A.K. mit 3. und 4. Pz.Div. südlich der Avre bei Roye gleichfalls auf so starken Widerstand gestoßen, daß die Fortsetzung des Angriffs vorläufig aussichtslos erscheint. Auch hier kann erst das Nachführen der 4. und 33. I.D. Angriff wieder in Fluß bringen. Die Zersplitterung der schnellen Verbände auf 2 getrennte Ansatzstellen und noch dazu an den Stellen des voraussichtlich stärksten Widerstandes hat somit zu dem Mißerfolg geführt, den die Gruppe v. Kleist von vorn- herein befürchtet hatte, den sie jedoch nicht hatte verhindern können. Bei der rechtsanschließenden 4. Armee ist der Angriff an diesem Tage nadi Südwesten gut vorwärtsgekommen. Besonders hat das Pz.Korps XV. (Hoth) in Richtung Homoy erheblich Boden gewonnen. Die Heeresgruppe erwägt daher eine Änderung der Operationen dahin, daß Gruppe v. Kleist zur 4. Armee übertritt und mit Gruppe Hoth vereinigt wird. Der Chef des Generalstabes des Gruppe v. Kleist wird zu 16.00 Uhr zum A.O.K, zur Entgegennahme weiterer Weisungen bestellt. Gegen 15.00 Uhr trifft der Adjutant des Führers, Oberst Schmundt, ein, um sich im Auftrage des Führers über die Kampfkraft und weiteren Aussichten der Gruppe v. Kleist zu unterrichten. Er präzisiert die Auffassung des Füh- rers dahin, daß die Panzerverbände keinesfalls an Stellen starken Widerstandes ver- braucht werden dürfen, sondern unter allen Umständen für lohnende Operationen mit weiten Zielen aufzusparen seien. Ein weiterer zweckloser Kräfteverbrauch der Panzer- verbände sei zu unterbinden. Die gleiche Auffassung ist von der Gruppe v. Kleist von vornherein gegenüber dem A.O.K. 6 fortgesetzt vertreten worden, ohne bisher auf Verständnis gestoßen zu sein. Während der Besprechung beim A.O.K. 4 tritt an der Front ein Umschwung der Lage ein. Das XIV. A.K. erkennt, daß der Gegner vor seiner Front nach Süden abzieht. Es beabsichtigt, im Sinne des Auftrages vom Abend vorher dem Gegner an der Klinge zu bleiben, sich vor etwaigem neuen Widerstand jedoch nicht festzubeißen. General v. Kleist befiehlt gleichfalls in diesem Sinne das sofortige Nachstoßen, bis sich neuer, ernsthafter Widerstand geltend macht. Dem nachdrängenden XIV. A.K. gelingt es, bis zum Abend mit vordersten Teilen St. Just- en-Chaussee zu erreichen, also sein ursprünglich gestecktes 1. Angriffsziel. Die Zusammenhänge beim Feind klären sich dahin, daß sich die französische 10. Armee bereits seit gestern abend im Zurückschwenken nach Süden und Südwesten befindet, während die nadi Osten anschließende 7. Armee noch Widerstand leistet. Die Tren- nungslinie beider franzosischer Armeen ist der Noye-Bach. So erklärt es sich, daß die 9. I.D. ostwärts des Noye-Baches noch am Nachmittag des 8. 6. nicht nur zwischen Ailly und Moreuil auf starken Widerstand stößt, sondern sogar von Süden mit Panzern ange- griffen wird, während westlich des Noye-Baches 9. und 10. Pz.Div. mit geringer Mühe schnell vorwärtskommen. Im Zusammenhang mit Fortschritten des linken Flügels der 6. Armee bei Noyon bahnt sich somit eine Einkreisung des nördlich der Oise stehenden Gegners an. Durch mitgehörte Funksprüche ergibt sich, daß die französische 7. Armee in Erkenntnis dieser Gefahr nun gleichfalls das Loslösen befiehlt. Mit Durchbruchsversuchen nach Südwesten muß daher gerechnet werden. Gruppe v. Kleist befiehlt für die Nacht dem XIV. A.K. einen derartigen Durchbruch zu verhindern. 14. Auszug aus der vom Generalkommando der Gruppe v. Kleist erarbeiteten Studie »Vorläufige Erfahrungen mit großen motorisierten Verbänden«81

[· · ·]βϊ III.

Einsatz großer motorisierter Verbände Die Gruppe v. Kleist ist zu den verschiedensten Aufgaben, in dem unterschiedlidisten Gelände und unter den verschiedensten Vorbedingungen eingesetzt worden. Es haben sidi folgende Haupterfahrungen ergeben: 1. Einsatz nur dort, wo operative Auswirkung zu erwarten. Hierzu sind audi günstige taktische Vorbedingungen notwendig. Also ζ. B. Ansatz erst, wo Feind schon weidi ist, wo Überrasdiung zu erwarten ist, wo feindlidie In- fanterie schon durchstoßen ist oder ähnliches, aber nidit dort, wo Feind Kampfwagen vermutet und Minen gelegt hat oder wo Feind auf besonders zähen Widerstand ein- gerichtet ist (dort erst, nachdem Feind 2-3 Tage mürbe gemacht ist oder moralisch durch Stuka-Angriff usw. ersdiüttert werden kann oder er keine Panzer erwartet). 2. Der Einsatz muß aus der Tiefe genährt werden können. Das gilt innerhalb der Gruppe als audi für die obere Führung. Genau so wie idi den Infanteriearmeen irgend- welche O.K.H.-Reserven nachführe, muß ich für die motorisierte Gruppe audi moto- risierte O.K.H.-Reserven bereithalten. Innerhalb der Gruppe ist die vorhandene große Tiefe auch gleichzeitig der Flankensdiutz. 3. Treffenweiser Einsatz der Gruppe nur in Ausnahmefällen. Er hat viele Nachteile. Das alte Problem »treffenweiser oder flügelweiser Einsatz« ist hier noch verschärft zuun- gunsten des treffenweisen Einsatzes, da der motorisierte Führer 3 Divisionen neben- einander schlecht führen kann. Die Befehlsübermittlung und der persönliche Einsatz des Führers ist dann sdiwer. Der Führer der Gruppe ist in seiner Führungsmöglidikeit behindert. Der reditzeitige Einsatz des 2. Treffens daneben macht große Schwierig- keiten. 4. Die Abänderung der Richtung nach erfolgtem Einsatz oder Herausziehen und Ein- satz an anderer Stelle ist in einem Maße durdigeführt worden, wie man es vorher nicht für möglich hielt. Die Beweglichkeit einer solchen motorisierten Masse ist also sehr groß, wenn die Befehle hierzu rechtzeitig kommen und die motorisierte Masse einen wendigen, mit allen Hilfsmitteln ausgestatteten Führungsstab hat. [.. .]«>

81 Gr. v. K., Vorläufige Erfahrungen. Vgl. hierzu Zeitzier, Erkenntnisse, S. 366-372. 8a Die beiden ersten Kapitel behandelten die Führung und die Marschbewegungen großer motorisierter Verbände. 83 Es folgen Kapitel über das Zusammenwirken großer motorisierter Verbände mit der Infan- terie und der Luftwaffe sowie Organisationsfragen bei großen motorisierten Verbänden.