TRIUMPH DER MITTE DURCHBRUCH DER DEMOKRATIE Bei der Wahl zur Nationalversammlung Der Historiker Andreas Wirsching 1919 siegt die Weimarer Koalition SEITE 7 im Interview zur Revolution 1918 SEITE 9

Sonderthema:

Novemberrevolution 1918

Was uns die Ereignisse heute bedeuten

Berlin, Montag 23. Juli 2018 www.das-parlament.de 68. Jahrgang | Nr. 30-31 | Preis 1 € | A 5544

KOPF DER WOCHE Gesicht des EU-Freihandels Die vergessene Revolution Cecilia Malmström Sie hat etwas getan, was sie als oberste Verfechterin des Freihandels ei- gentlich ablehnt: EU-Handelskommissarin Cecilia JUBILÄUM Erst 100 Jahre später rücken die Ereignisse von 1918/19 wieder in ein positiveres Licht Malmström verhäng- te vergangene Woche mit der EU-Kommissi- n seinen 1936 im südfranzösischen on im Stahlkonflikt Exil geschriebenen Erinnerungen mit den USA Schutz- bemerkte Theodor Wolff, der frühe- maßnahmen für eu- re Chefredakteur des Berliner Tage- ropäische Firmen. Be- blatts, im Rückblick auf die deut- troffen sind 23 Pro- sche Revolution von 1918/19: „Bei duktkategorien, bei

© picture-alliance/dpa der Berührung mit diesem Ereignis ver- denen beim Über- Iflüchtigt sich aus der Sprache des Chronis- schreiten bestimmter Einfuhrmengen Zölle auf- ten gewissermaßen jedes Atom einer pa- geschlagen werden. „Wir haben keine andere thetischen Substanz.“ Am 10. November Wahl, als Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um 1918 hatte derselbe Theodor Wolff in ei- unsere heimische Industrie vor einem Anstieg nem Leitartikel für das, was gerade in Ber- der Einfuhren zu schützen“, sagte Malmström. lin geschah, noch andere Worte gefunden: Die 50-jährige Schwedin treibt zum Ausgleich „Die größte aller Revolutionen hat wie ein gegen die Abschottungspolitik von US-Präsident plötzlich losbrechender Sturmwind das Donald Trump bilaterale Freihandelsabkommen kaiserliche Regime mit allem, was oben der EU voran – zuletzt wurde der Vertrag mit Ja- und unten dazugehörte, gestürzt. Man pan („Jefta“) unterzeichnet. Europa ist die Lei- kann sie die größte aller Revolutionen nen- denschaft der liberalen Politologin. 1999 bis nen, weil niemals eine so fest gebaute, mit 2006 saß sie im Europaparlament, danach war soliden Mauern umgebene Bastille so in ei- sie Europaministerin in Schweden und von 2010 nem Anlauf genommen wurde.“ bis 2014 EU-Innenkommissarin. kru T Mit dem Wandel seines Urteils stand der Journalist keineswegs allein dar. Vielmehr spiegelte sich darin ein allgemeiner Prozess ZAHL DER WOCHE der Umdeutung und Verdrängung der Re- volution, der schon bald nach 1919 einge- setzt hatte. In der Rückschau erschienen 129 die Ereignisse vom November 1918 in im- mer dunklerem Licht. Mit dieser Revoluti- Milliarden Euro betrug im vergangenen on mochte sich kaum jemand identifizie- Jahr das Handelsvolumen zwischen der EU ren, nicht einmal die Sozialdemokraten, und Japan, mit dem Brüssel jetzt einen Han- die von der politischen Rechten als „No- 9. November 1918: Der SPD-Politiker (links) ruft auf einem Balkon des Reichstags unter großer Anteilnahme der Bevölkerung (rechts) die Republik aus, nachdem delspakt vereinbarte. Deutschland exportier- vemberverbrecher“ verleumdet wurden. Reichskanzler Max von Baden die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. verkündet hatte. © picture-alliance/ZB/Deutsches Historisches Museum te 2017 Waren im Wert von rund 19,5 Milli- Bezeichnend war, dass sie sich nicht für arden Euro nach Japan. den 9. November, sondern für den 11. Au- gust, den Tag der Unterzeichnung der neu- wistische Importe verdächtigt, erschienen unbedingt notwendige Maß hinaus betrie- Publikationen. Versucht man, eine vorläu- EDITORIAL en Verfassung durch Reichspräsident Fried- sie nun als Träger eines „radikaldemokrati- ben habe. Bei größerem Gestaltungswillen, fige Bilanz der vielfältigen Initiativen zu ZITAT DER WOCHE rich Ebert, als wichtigsten Feiertag der Wei- schen Potenzials“, das, wäre es aufgegriffen so lautete das Urteil des Berliner Histori- ziehen, so ergibt sich ein differenzierter Be- marer Republik entschieden. worden, der Republik von Weimar zu grö- kers Heinrich August Winkler, hätten die fund. Der Anfang der Republik wird nicht So wurde der November 1918 nicht zum ßerer Stabilität hätte verhelfen können. Sozialdemokraten mehr verändern können mehr ausschließlich aus der Perspektive ih- Ständige »Ich fahre positiven Gründungsmythos der ersten Scharfe Kritik richtete sich an die Adresse und weniger bewahren müssen. res späteren Scheiterns betrachtet. Viel- deutschen Demokratie. Und in ihrer der SPD-Volksbeauftragten, weil sie es ver- Mit der „friedlichen Revolution“ von 1989 mehr wird das eigentümliche Janusgesicht dahin Schlussphase, vollends nach ihrem endgül- säumt hätten, dieses Potenzial für eine und dem Untergang der DDR endete auch der Revolution von 1918/19 deutlich. Auf Bewegung tigen Scheitern 1933, verstärkten sich die durchgreifende Demokratisierung des Ob- die geschichtspolitische Konkurrenz, wel- der einen Seite wird deren Bedeutung für heiter und Zweifel, ob das, was sich in ihrer Geburts- rigkeitsstaates nutzbar zu machen. che die Auseinandersetzung über das Erbe die deutsche Demokratiegeschichte hervor- VON JÖRG BIALLAS stunde zugetragen hatte, überhaupt den Das neue Bild der Revolution beherrschte von 1918/19 beflügelt hatte. Das Interesse gehoben. Von einem „Aufstand für die gelassen.« Namen einer Revolution verdiente. die Forschungsdiskussion der beiden fol- an der Novemberrevolution nahm spürbar Freiheit“ spricht zum Beispiel der Histori- Demokratie fällt nicht vom Himmel. Demokra- Nach 1945 änderte sich die Sicht grundle- genden Jahrzehnte. Allerdings wurden seit ab. Anders als die gescheiterte Revolution ker und Journalist Joachim Käppner in sei- tie ist überall auf der Welt das Ergebnis einer Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Kommissi- gend. Gleichzeitig geriet sie in den Sog des den späten 1970er Jahren einige Korrektu- von 1848, deren 150. Jubiläum 1998 in nem Buch „1918“, das er als „Beitrag zur Sehnsucht nach Gerechtigkeit, daraus folgen- on, zu seiner Reise an diesem Mittwoch nach Kalten Krieges und der Sys- ren vorgenommen. Von ei- Wissenschaft und Öffent- Ehrenrettung der Revolu- der Proteste, mitunter blutiger Auseinanderset- Washington zu US-Präsident Donald Trump, temkonkurrenz zwischen ner romantischen Überhö- lichkeit große Aufmerk- tionäre“ versteht. zungen und zahlreicher Rückschläge. Ohne um den Handelskonflikt zu entschärfen beiden deutschen Staaten. Mit hung der Rätebewegung, samkeit fand, fristete die Die Gewalt- Stärker als zuvor rücken da- mutige Querdenker, selbstlose Utopisten, die In der Bundesrepublik wur- wie sie im Gefolge der Stu- revolutionäre Zäsur von bei die Errungenschaften bereit sind, Leib und Leben für die Idee einer den die führenden Vertreter dieser dentenrevolte von 1968 im 1918 in der Erinnerungs- exzesse ins Bild: ein modernes Herrschaft des Volkes einzusetzen, können de- IN DIESER WOCHE der SPD rehabilitiert. Ih- Schwange war, rückte man kultur des vereinigten Wahlrecht, das den Frauen mokratische Strukturen nicht durchgesetzt nen wurde zugutegehalten, Revolution ab. Eingehende regionalge- Deutschland nur noch ein erwiesen sich erstmals das Stimmrecht werden. Darum ist Demokratie nicht selbstver- THEMA mit ihrem Kurs der schar- mochte schichtliche Untersuchun- Mauerblümchendasein. als schwere gab; eine neue Verfassung, ständlich, nirgendwo. Interview Der frühere SPD-Vorsitzende fen Abgrenzung nach links gen zeigten nämlich, dass Der Rostocker Historiker die die bürgerlichen Frei- Auch hierzulande hat es lange gedauert, bis Franz Müntefering im Gespräch Seite 2 und der engen Kooperation sich kaum die meisten Räte, jedenfalls Alexander Gallus sprach Hypothek für heitsrechte festschrieb; fort- die Demokratie so gefestigt war, dass sie dau- mit den alten Eliten des jemand in der ersten Phase der Re- anlässlich des 90. Jahres- die junge schrittliche Sozialgesetze erhaft bestehen kann. Nach all dem Grauen, Sommer 1918 Die Hoffnung auf einen Kaiserreichs Deutschland volution, weder radikalde- tags 2008 sogar von einer wie die Einführung des dem Blutvergießen und den politischen Turbu- Sieg der Mittelmächte schwindet Seite 4 vor „russischen Zuständen“ identifizieren. mokratisch noch revolutio- „vergessenen Revolution“. Republik. Achtstundentags und die lenzen, die Deutschland in der ersten Hälfte bewahrt zu haben. Diese när waren, sondern sich Das scheint sich in diesem Anerkennung der Gewerk- des vergangenen Jahrhunderts der Welt zuge- Lenins Fahrt ermöglicht dem Deutung brachte der Kieler eher als verlängerter Arm Jahr, in dem sich die No- schaften als Tarifpartner. mutet hat und selbst ertragen musste, entwi- Umstürzler die Reise nach Russland Seite 6 Historiker Karl-Dietrich Erdmann 1955 auf von SPD und Gewerkschaften verstanden vemberrevolution zum 100. Mal jährt, zu Auf der anderen Seite werden aber auch ckelte sich zunächst im Westen eine stabile die Formel: Es habe nur eine Wahl gegeben und ihre Aufgabe vor allem in der Wah- ändern. In Kiel, dem Ursprungsort, erin- die verpassten Chancen und Gefährdungen parlamentarische Demokratie. »Dolchstoß« Für die Niederlage 1918 – entweder eine proletarische Diktatur rung von „Ruhe und Ordnung“ sahen. nert eine große Ausstellung – die erste des demokratischen Aufbruchs von 1918 Die weder absehbare noch selbstverständliche werden Sündenböcke gebraucht Seite 10 nach bolschewistischem Muster oder die Die Entmythologisierung der Rätebewe- überhaupt zum Thema in der Landes- nicht verschwiegen. Als besonders gravie- Wiedervereinigung des Landes vor nunmehr parlamentarische Demokratie im Bündnis gung ging einher mit einer deutlichen Ab- hauptstadt – an den Aufstand der Matro- rend gilt das Versäumnis der SPD-Volksbe- fast 30 Jahren war dann eine abermalige Ver- Frauenrechte 1919 dürfen auch Frauen mit den konservativen Kräften. schwächung der Kritik an der SPD-Füh- sen. Auch in Hamburg, Wilhelmshaven auftragten, durch eine grundlegende Mili- beugung vor der einzig überzeugenden Staats- in Deutschland erstmals wählen Seite 11 Erdmanns These erlangte in der westdeut- rung. Ihr wurde nicht mehr vorgeworfen, und anderen Orten widmen sich Sonder- tärreform eine republiktreue Truppe aufzu- form. schen Geschichtsschreibung der 1950er dass sie mit den Repräsentanten des alten ausstellungen den Ereignissen. Begleitet bauen. Stattdessen stützten sie sich auf das Und doch braucht Demokratie Schutz. Schutz Jahre nahezu kanonische Bedeutung. Da- Regimes zusammengearbeitet, sondern wird das neuerwachte Interesse von wissen- alte kaiserliche Militär und neugebildete vor Unwissenheit, vor Leichtfertigkeit, vor be- gegen wurde in der DDR ein Revolutions- dass sie diese Zusammenarbeit über das schaftlichen Tagungen und einer Fülle an Freikorps, die im Kampf gegen die radikale wusst provozierter Beschädigung, betrieben MIT DER BEILAGE bild gepflegt, das der SED-Parteilinie folg- Linke auch vor Massakern nicht zurück- von Populisten, den schlimmsten Feinden lö- te. Die SPD-Führung wurde, anknüpfend schreckten. In einem aufsehenerregenden sungsorientierter politischer Ansätze. an die Polemik der KPD während der Wei- Buch („Am Anfang war Gewalt“) hat der Wer die deutsche Geschichte nicht kennt, wer marer Republik, beschuldigt, 1918 eine englische Historiker Mark Jones die Ge- nicht weiß, wie schmerzhaft der Weg zu einem mögliche grundlegende sozialistische Um- waltexzesse im Frühjahr 1919 beschrieben, demokratischen Staat war, wird die damit ver- gestaltung der Gesellschaft verhindert, mit- die sich als schwere Hypothek für die jun- bundenen Errungenschaften schwerlich wert- hin die Revolution „verraten“ zu haben. ge Republik erweisen sollten. schätzen können. Folgerichtig feierte sich die DDR selbst als Der Umbruch von 1918/19 war nicht „die Von politischer Einfältigkeit und intellektueller „ersten sozialistischen Staat auf deutschem größte aller Revolutionen“, aber doch, Unbedarftheit gekennzeichnete Phänomene Boden“, der „das Vermächtnis der Novem- trotz aller Schattenseiten, ein Meilenstein wie „Pegida“ oder „Identitäre Bewegung“, berrevolution verwirklicht“ habe. in der Geschichte der deutschen Freiheits- aber auch manch linksextremistische Organi- In der Bundesrepublik setzte in den 1960er bewegungen. Als ein solcher gebührt ihm sation setzen auf mangelndes historisches Be- Jahren mit dem Ende der Adenauer-Ära endlich auch ein fester Platz im Gedächt- wusstsein als Baustein einer wirren Weltan- und dem Beginn der Entspannungspolitik nis unserer Republik. Volker Ullrich T schauung. eine Revision ein. Die Konstruktion eines Dagegen hilft nur Bildung, vermittelt in Eltern- alternativlosen Entweder-Oder wurde auf- Der Autor ist Historiker und Publizist häusern und Schulen. Und die Überlegung, ob Das Parlament gegeben zugunsten der These von einer re- und lebt in Hamburg. unseren Kindern und Kindeskindern das Leben Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH lativen „Offenheit“ der Situation, die den in Frieden, Freiheit und Sicherheit inzwischen 60268 Frankfurt am Main verantwortlichen Politikern einen relativ möglicherweise so selbstverständlich gewor- großen Handlungs- und Entscheidungs- den sein könnte, dass sie Gefahren für die De- 13130 spielraum geboten habe. mokratie nicht ausreichend sensibel begeg- nen. In diesem Zusammenhang rückten die Ar- Kiel, neben Wilhelmshaven Ausgangsort der Revolution, würdigt das Jubiläum mit einer Weiterführende Links zu den beiter- und Soldatenräte in den Mittel- großen Sonderausstellung. „Die Stunde der Matrosen“ läuft noch bis 17. März 2019 im Themen dieser Seite finden Denn: Demokratie ist ständige Bewegung, 4 194560 401004 punkt des Interesses. Vordem als bolsche- Stadt- und Schifffahrtsmuseum. © Matthias Friedemann/Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum Sie in unserem E-Paper nicht Stillstand. 2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

Herr Müntefering, haben Sie in Ih- die SPD-Regierung mit antidemokrati- GASTKOMMENTARE rer Zeit als Abgeordneter Besuchern ab schen Freikorps linksradikale Umsturz- und zu den Balkon des Reichstagsgebäu- versuche zur Errichtung einer Räterepu- IST UNSERE DEMOKRATIE GEFESTIGT GENUG? des gezeigt, auf dem Philipp Scheide- blik niederschlug – ein Trauma für die mann vor 100 Jahren die Republik aus- politische Linke, oder trennte sich da rief? schlicht, was nicht mehr zusammen ge- Ja, natürlich. Peter Struck und ich haben »Nahe hörte? dort gemeinsam eine Plakette angebracht, Nein, das ist schon nahe dran am Trauma. Eben nicht Weimar die an Scheidemann erinnert – die gab es Die Sozialdemokraten wollten die Wahl vorher dort nicht. Die ist jetzt dort, wo vom 19. Januar, damit eine Nationalver- ielleicht liegt es daran, dass es so Scheidemann damals gesprochen hat. sammlung entsteht, die legitimiert ist zur PRO neue, ungewohnte Gedanken sind. Schaffung der neuen Verfassung. Die USPD Wer in den 1960er- und 1970er Jahren Ein Sozialdemokrat rief 1918 die Repu- und die Kommunisten lehnten diese Wahl V aufwuchs – und das sind viele –, war blik aus, die SPD setzte die parlamenta- am aber ab und wollten ihren Boykott. Das erst 30 oder noch mehr Jahre nach der Nazidikta- rische Demokratie durch ... war eine sehr belastete Situation, die noch tur politisch sozialisiert. Demokratie, Frieden, Ja. Seit ihren Anfängen 1863 war es immer verschärft wurde durch den für das Militär Westbindung und Europa galt ihnen als Teil der die Maxime der Sozialdemokraten, dass zuständigen Volksbeauftragten Gustav deutschen DNA, als Selbstverständlichkeit. wir eine Demokratie wollen, gestützt auf Noske, SPD, und andere, die die Freikorps Deswegen erschrecken sie seit einiger Zeit. Putin ein Parlament, dass als Legislative funktio- hinzuzogen. Es gab Militanz links und scheint den Frieden in Frage zu stellen, Trump die niert und die Regierung kontrolliert, und rechts, aber wenig loyale Wehrmacht. Der Westbindung, der Brexit Europa. Und in Deutsch- dass Frauen und Männer frei, gleich, ge- Trauma« Mord an Rosa Luxemburg und Karl Lieb- land geht eine Partei deutlich rechts der Mitte mit heim und direkt wählen können. Beides ist knecht war eine Katastrophe. Tausende bislang für undenkbar gehaltenen Parolen gegen erst mit der Wahl zur Nationalversamm- wurden Opfer. Man kann die Situation er- das bewährte politische System und aggressiver lung im Januar 1919 durchgesetzt worden. FRANZ MÜNTEFERING Der klären, aber nicht schönreden. Islamfeindlichkeit erfolgreich auf Stimmenfang. Darum ging ja auch der Kampf damals: Daraus entsteht ein Wahrnehmungsgemisch, an Soll es die Parlamentarisierung und ver- Ex-SPD-Chef über Fehler der Das damalige Arbeitermilieu gibt es dessen Ende die Frage auftaucht: Wird die freiheit- fasste Demokratie mit Wahlen geben oder heute nicht mehr, und die SPD hat sich liche Demokratie durchhalten? eine Räterepublik? Die SPD hielt Wort. längst von einer Arbeiter- zu einer Volks-

© DBT/Achim Melde Novemberrevolution und die Eckart Lohse, Bei allem Verständnis für die Angst, dass solche partei entwickelt. Lässt sich dieser An- »Frankfurter Allgemeine höchsten Güter Schaden nehmen oder gar in Ge- Wurde die SPD damals zur „Staats- staatstragende Rolle seiner Partei spruch aber noch aufrechterhalten bei Zeitung« fahr geraten könnten: Die bundesrepublikanische partei“, zur staatstragenden Partei? Wahlergebnissen von 20 Prozent und we- Demokratie ist eben nicht mit der Weimarer Repu- Das war sie in Maßen vorher schon. Sie niger? blik zu vergleichen. Immerhin kann auf fast 70 war ja im Parlament und hat Verantwor- Das hängt nicht daran, wie groß eine Partei Jahre demokratische Stabilität zurückgegriffen tung übernommen für das Ganze; 1918 am ist. Die SPD steht dazu: Wir sind keine werden. Die Kriegsgefahr war während des Kalten Ende auch mitregiert. Erreicht hat sie Klientelpartei, sondern verantwortlich für Krieges, zumal während dessen Eskalationen, hö- dann, einen drohenden Bruderkrieg in das Ganze. Wir wollen Freiheit und Ge- her als heute. Die Bonner Republik hat die Heraus- Deutschland zu verhindern. Sie hat aber rechtigkeit, dass es den Leuten gut geht – forderung durch den RAF-Terror überstanden, den nicht erreicht, was sie sich eigentlich vorge- und zwar allen. Dazu gehören auch eine von weiteren 40 Jahren Diktatur geprägten Lan- nommen hatte: Sie haben die Demokratie intakte Wirtschaft, Unternehmertum, Bil- desteil integriert und verkraftet sogar eine Partei, verfasst, aber nicht die Reste der alten dung und Wissenschaft. Nur wenn das deren einer Teil in der Nachfolge der SED steht. Macht beseitigen können. Sie hatten keine Ganze funktioniert, kann die Demokratie Diese Diagnose hat natürlich keine unbegrenzte loyale Wehrmacht, keine loyale Adminis- gelingen. Deshalb können auch relativ Gültigkeit. Sorglosigkeit mit dem Hinweis, dass tration. Also: Der entscheidende Ansatz kleine Parteien Volksparteien sein, die SPD sieben gute Jahrzehnte der Garant für die Ewig- war richtig, aber man blieb hinter dem ei- sowieso. keit seien, wäre fahrlässig. Aber ein gesunder Op- gentlich Gewünschten zurück. Das hatte timismus ist gerechtfertigt und bekommt dem auch Gründe. Vor 100 Jahren ging es darum, die Land besser als Angst und Schlechtreden. parlamentarische Demokratie zu etablie- Nämlich? ren; nach Weimar sollte die bundesdeut- Das war eine schwere Zeit 1918/19: das sche Demokratie „wehrhaft“ sein. Wenn Kriegsende, Millionen Tote, Verletzte, Ver- Sie sich heute umsehen, bei uns und an- Grund für Skepsis misste, ein Land in Not und in Angst vor derswo, wo Rechtspopulisten auf dem einem Chaos wie in Russland mit den Bol- Vormarsch sind: Müssen wir uns wieder ie Straßenbahnen kommen pünktlich. schewiki. Auch war Ende 1918 nicht be- Sorgen machen um die Demokratie? CONTRA Der Bundestag arbeitet vorschriftsge- wusst, wo 1914 die Kriegsschuld lag. Karl Sorgen muss man sich machen, weil sich mäß. Die Regierung will nicht das Kautsky bekam den Auftrag zur Klärung: Es die Bedingungen, unter denen Demokratie Verfassungsgericht oder unabhängige war eindeutig, Deutschland hatte den stattfindet, fundamental verändern: die In- DMedien unter ihre Fuchtel bekommen. Wir sind Krieg angestachelt. Reichspräsident Ebert dustriegesellschaft, die Geschwindigkeit nicht in Polen oder Ungarn, wo die Rechtspopulis- wollte das den Deutschen offen sagen. von Information und Kommunikation, der ten an der Macht versuchen, das demokratische Aber Scheidemann als Kanzler und andere Wandel der politischen Willensbildung. System der checks and balances zu manipulieren. unterbanden das. Das war falsch. So war Das fordert die Demokratie immer wieder Doch es gibt Gründe, die These, dass Deutschland im Lande die Empörung groß, als von den neu heraus. Am dringendsten notwendig aus schlimmer Erfahrung klug geworden und sei- alliierten Siegermächten Deutschland für ist, dass der Bundestag wieder der Ort der ne Demokratie auf ewig stabil ist, skeptisch zu be- schuldig erklärt und gewaltige Kriegsfolge- gesellschaftspolitischen Debatte wird. Wir trachten. Wir erleben das langsame Verschwinden kosten auferlegt bekam. So entstand viel brauchen Grundsatzdebatten über die gro- des Modells Volkspartei, ohne dass zu erkennen Unglück für die junge Demokratie. ßen Herausforderungen, vor denen wir ste- ist, was danach kommt. Wie robust unsere Demo- hen. Wir müssen über die Perspektiven un- kratie in einer tiefen Wirtschaftskrise wäre, wissen Die Verantwortung für das Ganze, serer Gesellschaft sprechen, denn die ver- wir nicht. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt unter wie Sie sagten, prägt heute noch die ändern sich fundamental – weil die ganze fünf Prozent. Wie es aussähe, wenn wie in Spanien SPD – etwa im März beim mehrheitli- Welt sich fundamental verändert. Man darf oder Italien jeder dritte junge Erwachsene arbeits- chen Ja zur Großen Koalition, nachdem sich diese Debatte nicht ersparen wollen ©Privat Stefan Reinecke, los wäre, möchte man lieber nicht wissen. „Jamaika“ gescheitert und das Land aus Angst vor möglichen Reaktionen bei »die tageszeitung«, Mit der AfD sitzt schließlich nicht nur eine zu schon ein halbes Jahr ohne richtige Re- © picture-alliance/Bernd Thissen/dpa den Menschen. Die Aufklärung ist der Berlin Rechtsextremismus und Rassismus – zumindest in gierung war? wichtigste Verbündete der Demokratie. Teilen – offene Partei im Bundestag. Schlimmer ist, Das ist ganz sicher so, wenngleich natür- dass sie in kaum für möglich gehaltenem Maße lich die Verhältnisse völlig andere sind. Brandt und andere berufen, die gemahnt 2004 sagten Sie, Opposition sei Mist, Das Gespräch führte Helmut Stoltenberg. T den Diskurs prägt. Ein Ministerpräsident redet vom Ebert sagte damals zutreffend, sie seien die haben, dass man an der Linie festhalten das sollten andere machen, die SPD wol- Ende des Multilateralismus und klingt wie Trump. Konkursverwalter der Kaiserzeit. Heute muss, die einem wichtig ist, weil so Ver- le regieren. Gilt das immer? Franz Müntefering (78) war 2004/05 Der Versuch, die AfD durch Übernahme rechter Pa- sind wir eine verlässliche Demokratie und trauen wächst. Dass die SPD vor 1918 jahr- Ich habe das gesagt, als ich SPD-Vorsitzen- und 2008/09 SPD-Vorsitzender. Im rolen einzuhegen, macht nicht nur die AfD stärker. das Vertrauen in diese Demokratiefestigkeit zehntelang Wahlen gefordert hatte, führte der wurde und meine Partei gerade einmal Bundestag, dem er mit einer Unter- Schlimmer ist, dass der rechtspopulistische Diskurs ist ein hohes Gut – das darf man nicht ge- auch dazu, dass dann die große Mehrheit wieder Sehnsucht hatte nach Opposition. brechung von 1975 bis 2013 angehörte, in die Mitte einsickert und normal wird. fährden. der Menschen bei den Mehrheits-Sozialde- Wer als Politiker nicht den Willen hat zu stand er von 2002 bis 2005 an der Spitze Der bundesdeutschen Demokratie wurde schon mokraten war, der MSPD. Parteien müssen regieren und lieber in der Opposition ist, seiner Fraktion. 1998/99 Bundesverkehrs- oft das Ende prophezeiht – stets voreilig. Sie hat Die Minderheit beim Mitgliederent- zwei Fragen beantworten: Welche Politik weil das vielleicht harmloser ist, ist an der und Bauminister, war er 2005 bis 2007 die Notstandsgesetze, die RAF, den Rechtsextre- scheid im März wollte in die Opposition, ist für das Land die beste, und wie kann Stelle falsch. Dass man sich nur in der Op- als Minister für Arbeit und Soziales mismus nach der Wende überstanden. Doch was um die Partei frei von Koalitionskompro- man die Wahl gewinnen? Die Antwort ist position regeneriert, ist Quatsch. 1966 bis zugleich Vizekanzler. früher falsch war, muss es nicht bleiben. Der ge- missen als „SPD pur“ zu erneuern. Das oft nicht die gleiche. Man kann die Men- 1969 beispielsweise waren wir auch in ei- fährlichste Augenblick ist immer der, an dem nie- hat in der SPD ja auch eine 100-jährige schen nur für seine Politik gewinnen, ner Großen Koalition – mit dem Ergebnis, mand mehr an die Gefahr glaubt. Tradition, hin- und hergerissen zu sein wenn man eine offene, nötigenfalls auch dass wir hinterher die Regierung Brandt zwischen Regierungs- und Reformpartei, streitige Debatte führt und dann Kompro- hatten. Pragmatismus und Programm… misse findet. Diese Entscheidung muss Weiterführende Links zu den Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 12. Es ist immer die Frage, wo man am meis- dann allerdings auch von allen akzeptiert 1918/19 spaltete sich die Arbeiterbe- Kontakt: [email protected] Themen dieser Seite finden ten erreicht. Da kann man sich auf Willy werden. wegung in blutigen Kämpfen, in denen Sie in unserem E-Paper

PARLAMENTARISCHES PROFIL

Herausgeber Deutscher Bundestag Fotos Abonnement Die Traditionsbewusste: Sahra Wagenknecht Platz der Republik 1, 11011 Berlin Stephan Roters Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Ausland zuzüglich Versandkosten) Mit der ständigen Beilage Alle Preise inkl. 7% MwSt. ine „verpasste“, eine „bewusst verspielte Gelegenheit“. ten, möchte Wagenknecht nicht überbewertet sehen. Dass in Die DDR, in der Wagenknecht aufgewachsen ist, hat das Revo- Redaktionsschluss Aus Politik und Zeitgeschichte Kündigung jeweils drei Wochen vor 20. Juli 2018 Sahra Wagenknecht betont das Wort „bewusst“. Mit Deutschland im Spätherbst 1918 politisch Verantwortung tra- lutionsgedenken mit Mahnmalen und Ritualen gepflegt. Die ISSN 0479-611 x Ablauf des Berechnungszeitraums. (verantwortlich: Bundeszentrale Ein kostenloses Probeabonnement gemischten Gefühlen blickt die Co-Chefin der Linksfrak- gende Sozialdemokraten sich auf dieses abschreckende Beispiel jährliche Wallfahrt zu den Gräbern Liebknechts und Luxem- für politische Bildung) für vier Ausgaben kann bei unserer tion auf die Novemberrevolution 1918, bei der nach ih- beriefen und mit der Notwendigkeit, Massenelend und Chaos burgs zu deren Todestag, dem 15. Januar, war in ihrer Erinne- Vertriebsabteilung angefordert Erem Urteil die Chance einer „progressiven Umgestaltung“ nicht zu vermeiden, die Zusammenarbeit mit den etablierten Mäch- rung eine der wenigen offiziellen Staatskundgebungen, wo vie- Druck und Layout werden. Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH ergriffen wurde, und zu deren Hinterlassenschaft die tiefe Spal- ten begründeten, hält sie für einen Vorwand. le freiwillig hingingen, sogar aus tiefem Herzen. Deswegen ha- Anschrift der Redaktion Kurhessenstraße 4–6 Namentlich gekennzeichnete Artikel tung der Arbeiterbewegung in verfeindete Parteien zählte. Dass Schließlich hätten die führenden Köpfe der radikalen Linken be sich die Tradition auch bis heute gehalten. Die Menschen (außer Beilage) 64546 Mörfelden-Walldorf stellen nicht unbedingt die Meinung Platz der Republik 1, 11011 Berlin der Redaktion dar. Für unverlangte für beides die damalige Mehrheits-SPD, die Partei Friedrich Eberts selbst damals deutlich gemacht, dass sie das bolschewistische seien nicht gekommen, um Erich Honecker zuzuwinken, son- Telefon (030)2 27-30515 Einsendungen wird keine Haftung und Philipp Scheidemanns, das Hauptmaß an Verantwortung dern aus Respekt für die beiden Toten. Telefax (030)2 27-36524 übernommen. Nachdruck nur mit Internet: Leserservice/Abonnement Genehmigung der Redaktion. trug, steht für Wagenknecht außer Frage. Von „Versagen“ spricht ...... Das Schicksal Liebknechts und Luxemburgs hat Sozialdemokra- http://www.das-parlament.de FAZIT Communication GmbH Für Unterrichtszwecke können Kopien sie, mit Blick auf die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Lieb- ten und Kommunisten lange entzweit – für Wagenknecht mitt- E-Mail: c/o InTime Media Services GmbH in Klassenstärke angefertigt werden. knechts auch von „Verbrechen“. »Rosa Luxemburg und lerweile ferne Vergangenheit. Was heute zwischen der Linken redaktion.das-parlament@ Postfach 1363 bundestag.de 82034 Deisenhofen Gewiss, der November 1918 habe den Sturz der Monarchie und Karl Liebknecht wurden und der SPD stehe, sei vielmehr die Erfahrung, dass Sozialde- Telefon (089) 8 5853-832 „zum ersten Mal auf deutschem Boden allgemeine freie Wah- mokraten immer wieder Bündnisse mit Kräften geschlossen ha- Telefax (089) 8 5853-62832 mit Billigung damals E-Mail: len“ gebracht. Andererseits seien die Machtverhältnisse des verantwortlicher So- ben, die den Interessen ihrer Anhänger zuwiderhandeln. In Wa- Chefredakteur [email protected] Kaiserreichs konserviert worden mit der Folge, dass der Weima- genknechts Augen quasi eine Konstante von Ebert bis Schröder Jörg Biallas (jbi) zialdemokraten ermordet.« rer Demokratie eine kurze Lebensdauer beschieden war. Sozial- Dabei sieht sie das linke Lager keineswegs als zur Spaltung ver- © dpa-picture alliance demokraten hätten den damaligen Umbruch nutzen können, dammt. Es gebe Beispiele erfolgreicher linker Einheit. Die briti- Verantwortliche Redakteure Anzeigenverkauf, um gerechte Eigentumsverhältnisse zu schaffen. Sie seien sche Labour Party unter Jeremy Corbyn oder Podemos in Spa- Claudia Heine (che) Anzeigenverwaltung, „Das Parlament“ schließlich in der Arbeiterschaft breiter verankert gewesen als Modell für Deutschland ablehnten. Rosa Luxemburg habe sich nien. Auch in der Bundesrepublik habe jahrzehntelang mit der Alexander Heinrich (ahe), stellv. CvD Disposition ist Mitglied der Claus Peter Kosfeld (pk) FAZIT Communication GmbH Informationsgesellschaft USPD und Spartakusbund, die radikale Linke. Statt dessen habe von den „undemokratischen Elementen“ in der russischen Ent- SPD eine einheitliche linke Kraft bestanden, bis sie unter Ger- Hans Krump (kru), CvD c/o InTime Media Services GmbH zur Feststellung die SPD falsch gespielt und Hoffnungen getäuscht. Sie sei oh- wicklung distanziert und sich auch gegen den bewaffneten Auf- hard Schröder „ihre ganze Programmatik verleugnet“ habe. Hans-Jürgen Leersch (hle) Postfach 1363 der Verbreitung von Johanna Metz (joh) 82034 Deisenhofen Werbeträgern e. V. (IVW) nehin in Teilen der fortschrittlichen Gesellschaft bereits seit Au- stand des Spartakusbundes Anfang Januar 1919 ausgespro- Seit einiger Zeit wirbt Wagenknecht selber für ein neues ge- Kristina Pezzei (pez) Telefon (089) 8 5853-836 gust 1914 isoliert gewesen durch ihre „Kriegsbefürwortung“. chen. Sie und Liebknecht seien dennoch von Regierungstrup- meinsames Projekt, das im September an den Start gehen soll, Sören Christian Reimer (scr) Telefax (089) 8 5853-62836 Für die Herstellung der Wochenzeitung Helmut Stoltenberg (sto) E-Mail: fazit-com-anzeigen@ „Das Parlament“ wird ausschließlich Den Eindruck, den die blutigen Exzesse der bolschewistischen pen ermordet worden, wohl nicht „im Auftrag“, gewiss aber eine „Sammlungsbewegung“ für progressiv Bewegte aus SPD, Alexander Weinlein (aw) intime-media-services.de Recycling-Papier verwendet. Herrschaft in Russland auf die damaligen Zeitgenossen mach- „mit Billigung“ damals verantwortlicher Sozialdemokraten. Grünen und der eigenen Partei. Winfried Dolderer T Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018 REVOLUTION 1918 3

Revolutionäre Matrosen entladen im November 1918 in Wilhelmshaven Munition von den Großkampfschiffen der Kaiserlichen Marine. © picture-alliance/ullstein bild »Dann fahr mal alleine los« AUFSTAND Im Oktober 1918 meutern Matrosen der Kaiserlichen Marine und leiten die Revolution ein

s ist eine bizarre Situation: Auf Vertreter.“ So sind es eigentlich nicht die sie getrennt. Am 1. November wird das be- müse, Fleisch, Butter Brot.“ Möglich war Im Sommer 1917 führt die schlechte Stim- am Abend kommt es zwischen Matrosen der Reede vor Wilhelmshaven Matrosen der Kaiserlichen Marine, die sonders renitente III. Geschwader mit rund dies, weil die Offiziere, die ihre Speisen mung unter den Matrosen schließlich zu des III. Geschwaders und ihren Kieler Ka- wird auf den Torpedobooten meutern, sondern die Admirale und das 200 verhafteten Seeleuten nach Kiel ver- und Getränke in den Offiziersmessen ersten Unruhen. Als am 2. August 600 meraden sowie Arbeitern zur Verbrüde- „B 97“ und „B 137“ der Kaiser- Offizierskorps. In der SKL ist man sich ab- legt, auf der Fahrt werden weitere Matrosen selbst zahlen mussten, über ein gutes Ge- Mann die „Prinz Luitpold“ verlassen und rung. Es werden Protestversammlungen lichen Marine der Z-Stander solut bewusst, dass die geplante Aktion so inhaftiert. Diese Entscheidung wird zum halt verfügten und den Speiseplan mit Ein- nach Rüstersiel marschieren, wo der Heizer und die Befreiung der inhaftierten Matro- gesetzt und somit Feuerbereit- gut wie keine Chance auf Erfolg hat, sie sei Brandbeschleuniger für Revolution. käufen auf dem Schwarzmarkt verbesser- Albin Köbis eine flammende Rede gegen sen geplant. Als zwei Tage später eine Mili- Eschaft signalisiert. Die geladenen Torpedo- in erster Linie eine „Ehren- und Existenz- Die Gründe für die Meuterei der Matrosen ten. Bereits im Sommer 1915 hält der Ma- den Krieg hält, greift das Flottenkomman- tärpatrouille direkt in einen Demonstrati- rohre sind allerdings nicht auf feindliche frage der Marine“. sind nicht allein in der Entscheidung der trose Richard Stumpf an Bord der „Helgo- do hart durch und eröffnet Kriegsgerichts- onszug feuert und acht Menschen tötet Kriegsschiffe ausgerichtet, sondern auf „Wir verfeuern unsere letzten 2.000 Schuss Marineführung für eine letzte „Todesfahrt“ land“ in seinem Tagebuch fest, dass die verfahren wegen Landesverrats, die mit und 29 verwundert, eskaliert die Situation. „Seiner Majestät Schiff Thüringen“, einem und wollen mit wehender Flagge unterge- der Flotte zu suchen, sondern auch in der Kluft zwischen Offizierskorps und Mann- fünf Todesurteilen enden. Admiral Scheer Die aufgebrachten Matrosen bilden Solda- 167 Meter langen Großkampfschiff des hen“, hatte Kapitän zur See Karl Windmül- inneren Struktur der Marine. „Der Vorge- schaften noch nie so groß gewesen sei, wie mildert als damaliger Flottenchef zwar drei tenräte und übernehmen in den folgenden I. Geschwaders der deutschen Hochseeflot- ler seiner Mannschaft am setzte“, so heißt es in ei- im Krieg. „Während wir der Urteile in hohe Zucht- Tagen Stück für Stück die Kontrolle in der te. Am 31. Oktober 1918, nur wenige Tage 29. Oktober zugerufen. nem Ausbildungsleitfaden uns mit halber Brotration hausstrafen ab, aber Köbis Stadt. Über den Kriegsschiffen steigen rote vor Ende des Ersten Weltkriegs, bahnt sich Doch den Matrosen steht »Wir selbst von 1914 für Offiziersan- begnügen müssen, finden »Soldaten, und der Matrose Max Fahnen auf – die Offiziere haben endgültig ausgerechnet in der von Kaiser Wilhelm II. im vierten Kriegsjahr nicht wärter, müsse seinem Un- in der Messe Ess- und Reichpietsch werden am die Kontrolle verloren. Dem von der so geliebten Kriegsmarine eine Entwick- mehr der Sinn nach sinnlo- greifen nicht tergebenen „Vertrauen ein- Trinkgelage statt, bei wel- schießt nicht 5. September erschossen. Reichsregierung zur Beruhigung der Lage lung an, an deren Ende der Monarch ab- sen Heldentaten. „Dann flößen“. Erst das „gegensei- chen 6-7 Gänge aufgetischt Dies löst unter den Mann- entsandte SPD-Reichstagsabgeordnete Gus- danken muss. fahr mal alleine los!“, an. Weiter als tige Vertrauen von Offizie- werden. Im Frieden sagte auf Arbeiter! schaften zusätzliche Verbit- tav Noske gelingt es schließlich am 7. No- Auf der „Thüringen“ wie auch auf vielen schallt es dem Komman- bis Helgoland ren und Mannschaften gibt man dazu nichts, paßt das Arbeiter, lasst terung aus und kann die vember, mit Hilfe der Soldatenräte als neu- anderen Kriegsschiffen meutern die einfa- danten der „Thüringen“ einer Besatzung die feste, aber für die jetzige tief- Disziplin allenfalls kurzzei- er Gouverneur die Befehlsgewalt in Kiel zu chen Matrosen – gegen ihre direkten Vor- entgegen. „Greift der Eng- fahren frohe Überzeugung, alles ernste Zeit?“ die Soldaten tig wieder herstellen. Trotz- übernehmen. Die revolutionären Unruhen gesetzten und einen militärisch unsinnigen länder an, so stehen wir wir nicht.« leisten zu können“. Doch Vor allem auf den Groß- nicht im Stich!« dem zeigt sich Scheer in haben sich inzwischen auch auf Berlin und und politisch katastrophalen Befehl der unseren Mann. Aber wir Meuternde Matrosen auf vier Jahre nach Kriegsaus- kampfschiffen machen sich Text eines Flugblatts aus seinem Bericht an den Kai- andere Städte ausgeweitet. Zwei Tage später Seekriegsleitung (SKL) vom 24. Oktober. selbst greifen nicht an. der „Thüringen“ bruch ist das Vertrauen zwi- die Klassenunterschiede Kiel im November 1918 ser überzeugt davon, dass dankt Kaiser Wilhelm II. ab und in Berlin Die kaiserlichen Admirale, allen voran Weiter als bis Helgoland schen Offizieren und besonders stark bemerkbar. die Besatzungen der Schiffe wird die Republik ausgerufen. Reinhard Scheer, Adolf von Trotha und fahren wir nicht“, lassen Mannschaften zerrüttet. Bilden auf U-Booten und wieder „fest in der Hand ih- Resigniert aber treffend beschreibt Korvet- Magnus von Levetzow wollen die Hochsee- die Meuterer ihre Vorgesetzten in einer Er- Die Hoffnung vieler Deutscher, der Krieg kleineren Schiffen Mannschaft und Offizie- rer Vorgesetzten“ seien. Eine fatale Fehlein- tenkapitän Ernst von Weizsäcker, Vater des flotte zu einer letzten Entscheidungs- klärung wissen. würde die Klassenunterschiede im wilhel- re mitunter eingeschworene Einheiten, schätzung, wie die Ereignisse ein Jahr spä- späteren Bundespräsidenten Richard von schlacht gegen die britische Royal Navy Auf vielen Schiffen der drei Flottenge- minischen Kaiserreich einebnen, hat sich wahren die höheren Dienstgrade auf ei- ter in Wilhelmshaven und Kiel zeigen. Weizsäcker, in den ersten Novembertagen auslaufen zu lassen. Und scheinen nun ge- schwader, die am 30. Oktober unter dem nicht bestätigt. Im Gegenteil: In der Marine nem Schlachtschiff weitestgehend Distanz Als das III. Flottengeschwader in den frü- 1918 in seinem Tagebuch die Bedeutung willt, diesen Befehl unter Androhung von Befehl von Admiral aus- treten sie stärker zutage als zuvor. zum einfachen Matrosen. Der Tonfall der hen Morgenstunden des 1. Novembers der Kaiserlichen Marine für die Revolution: Gewalt durchzusetzen. laufen sollen, spielen sich ähnliche Szenen Offiziere ist nicht nur militärisch hart, son- 1918 in der Kieler Förde vor Anker geht, ist „Diese Marine! Entsprungen dem Welt- ab. Heizer löschen die Feuer in den Kes- Hungerwinter Das Offizierskorps, das sich dern oftmals beleidigend und arrogant. die Bühne für die Revolution bereitet. Kiel, machtsdünkel, verdirbt unsere Auswärtige Frage der Ehre Abgesprochen ist der seln, Matrosen verweigern die Befehle ihrer vor allem aus dem Adel und dem Bürger- In der deutschen Flotte insgesamt ist die der größte Flottenstützpunkt des Deut- Politik 20 Jahre lang, hält ihre Verspre- „Operationsbefehl Nr. 19“ mit General Vorgesetzten oder schließen sich unter tum rekrutiert, pflegt nach wie vor seine Stimmung schlecht. Nach der Skagerrak- schen Reichs, quillt über von Soldaten und chungen im Kriege nicht und entfacht nun Erich Ludendorff in der Obersten Heeres- Deck in den Mannschaftsunterkünften Standesdünkel und Privilegien – nur dass schlacht im Sommer 1916 liegen die Groß- Arbeitern – und Unzufriedenheit. Bereits den Umsturz!“ Alexander Weinlein T leitung (OHL), nicht aber mit der Reichsre- selbst ein. Hipper lässt zunächst das Aus- dies auf dem beengten Raum der Kriegs- kampfschiffe zur Tatenlosigkeit verdammt gierung unter Kanzler Max von Baden. Der laufen um 24 Stunden verschieben, dann schiffe den einfachen Matrosen besonders in den Häfen. Trotz höherer britischer Ver- Anzeige hatte die Marineführung explizit aufgefor- überlegt er, nur die U-Boote und „zuverläs- bitter aufstößt. So lassen es viele Seeoffizie- luste hat die größte Seeschlacht der Weltge- dert, alles zu unterlassen, was die Waffen- sigen“ Großkampfschiffe in den Kampf zu re selbst während des sogenannten Steck- schichte nichts am Kräfteverhältnis ändern stillstandsverhandlungen mit den West- schicken, schließlich ordnet er an, die rübenwinters 1916/17, der durch Missern- können. Die britische Flotte hält die See- mächten stören könnte. Und Kaiser Wil- Meuterer auf der „Thüringen“ und der ne- ten und die britische Seeblockade ausge- blockade aufrecht und die kaiserliche Flot- helm II. hatte im Zuge der Oktoberrefor- ben ihr liegenden „Helgoland“ verhaften lösten Hungersnot, gut gehen. „Wir an te bleibt in der Deutschen Bucht wie in ei- Europa geht uns alle an. men (siehe Seite 4) die klare Order erlas- zu lassen. Angesichts der drohenden Torpe- Bord essen immer noch hervorragend“, no- nem Gefängnis eingekerkert, wie es eine sen: „Der Obermilitärbefehlshaber trifft al- dierung geben die meuternden Matrosen tiert Kapitänleutnant Knobloch im Januar amerikanische Zeitung treffend beschreibt. le seine Anordnungen und Entscheidun- auf den Schiffen auf, 400 Seeleute werden 1917 auf dem Kreuzer „Danzig“ vergnügt Tausende Seeleute sind auf den stählernen gen im Einverständnisse mit dem Reichs- verhaftet. Um ein weiteres Ausweiten der in seinem Tagebuch. „Wir haben Kartoffeln und unwohnlichen Großkampfschiffen zu- Denkart Europa | Mindset Europe | 27 kanzler oder dem von diesem bestellten Unruhen in der Flotte zu vermeiden, wird vollauf, Erbsen, Bohnen und anderes Ge- sammengepfercht – zwischen monotonem Dienst und Langeweile. Bei Landgang kommen sie in den Hafenstädten in Kon- Europa für uns takt mit den Werftarbeitern, die sich ange- Christian D. Falkowski Warum wir Europa brauchen sichts der unzureichenden Lebensmittel- Europa für uns kommandiert und nach seiner Teil- versorgung zunehmend radikalisieren. Im Von Christian D. Falkowski Karl nahme an Streiks im März 1917 zu nach Erfolgen trachtenden Offizierskorps Warum wir Europa brauchen 2., aktualisierte Auflage 2018, 287 S., sechs Monaten Festungshaft verur- wiederum macht sich wegen der Untätig- brosch., 39,– € 2. Auflage Artelt teilt. Nach Haft und Dienst in einer keit der Hochseeflotte Frustration breit. ISBN 978-3-8487-4925-6 Strafkompanie in Flandern wird Ar- In Folge der Skagerrakschlacht und der eISBN 978-3-8452-9138-3 Seine letzten Jahre bis zu seinem telt erneut nach Kiel versetzt. weiterhin bestehenden deutschen Unterle- Tod 1981 verbrachte Karl Artelt im Zusammen mit dem Kieler USPD-Po- genheit bei den Großkampfschiffen nimmt (Denkart Europa | Mindset Europe, Bd. 14) Seniorenheim „Clara Zetkin“ in Hal- litiker Lothar Popp führt Artelt im die SKL Anfang 1917 erneut den uneinge- nomos-shop.de/37787 le/Saale. Damit hatte sich der Kreis November 1918 schließlich den Kie- schränkten U-Boot-Krieg auf. Dies führt seines politischen Lebens auch na- ler Matrosenaufstand an und grün- vermehrt zu Personalwechseln, die die an- „Warum wir Europa brauchen“ ist aktueller denn je, nämlich zur langfristigen mentlich geschlossen. Schon wäh- det den ersten Soldatenrat. Als des- gespannte Stimmung weiter verschlechtert. Sicherung unserer Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand durch eine rend seiner Ausbildung zum Maschi- sen Repräsentant nimmt er den Ver- Erfahrene Offiziere werden zu den U-Boo- umfassende europäische politische Integration mit liberalen Werten und nenschlosser bringt dem 1890 in handlungen mit Gouverneur Wil- ten abkommandiert, ihre Posten auf den Normen, offenen Gesellschaften statt nationaler Egoismen. Europa geht uns Salpke bei Magdeburg geborenen helm Souchon teil und sorgt durch Kampfschiffen übernehmen junge und im © picture-alliance/ZB alle an! Arbeiterkind der spätere Dichter seinen persönlichen Einsatz dafür, Umgang mit den Mannschaftsdienstgraden Erich Weinert das „Einmaleins des der DDR. Nach seiner Ausbildung ar- dass sich Truppen, die zur Nieder- unerfahrene Offiziere. Marxismus“ bei. Als 18-Jähriger tritt beitet er als Heizer auf Handelsschif- schlagung des Aufstandes entsendet Nomos Artelt der SPD bei, wechselte später fen, seinen Militärdienst leistet er werden, sich den Revolutionären an- eLibrary Unser Wissenschaftsprogramm ist auch online verfügbar: www.nomos-elibrary.de zur USPD, gehörte 1919 zu den beim Ostasiengeschwader ab. Bei schließen. Von Dezember bis Anfang Gründungsmitgliedern der KPD in Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird Januar 1919 leitet er schließlich als Portofreie Buch-Bestellungen unter www.nomos-shop.de Magdeburg und wurde nach dem er erneut zur Marine in Kiel einge- Vorsitzender den Obersten Solda- Weiterführende Links zu den Alle Preise inkl. Mehrwertsteuer Zweiten Weltkrieg SED-Mitglied in zogen, an die Germaniawerft ab- tenrat. aw T Themen dieser Seite finden Sie in unserem E-Paper 4 REVOLUTION 1918 Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

CHRONIK

8.8.1918 „Schwarzer Tag des deutschen Heeres“: An der Westfront fügen alliierte Truppen in der Schlacht bei Amiens den Deutschen schwere Verluste zu.

14.9. Kaiser Karl I. von Österreich sendet an alle alliierten und neutralen Länder eine Friedensnote.

29.9. Die Oberste Heeresleitung (OHL) er- klärt überraschend gegenüber Kaiser Wil- helm II. den Krieg für verloren. General- quartiermeister Erich Ludendorff fordert Waffenstillstandsverhandlungen und dringt darauf, die Regierung auf eine parlamenta- rische Basis zu stellen.

30.9. Wilhelm II. kündigt an, in Deutschland ein parlamentarisches System einzufüh- ren. Reichskanzler Georg von Hert- ling tritt zurück. Die Seekriegslei- tung zieht die deutsche Hoch-

© picture-alliance/akg-images seeflotte in Wil- Wilhelm II. helmshaven zu- sammen. Bulgarien kapituliert.

3.10. Neuer Reichskanzler wird Prinz Max von Baden. In sein Kabinett treten mit Phi- lipp Scheidemann und (am 4.10.) auch zwei Vertreter der Mehrheits- SPD (MSPD) ein. In einer Schlange vor einem Lebensmittelgeschäft erleidet eine alte Frau einen Schwächeanfall. Aufgenommen wurde die Szene 1917/18 in Berlin. © picture-alliance/ullstein bild 4.10. Max von Baden ersucht US-Präsident Woodrow Wilson in einer öffentlichen Note um Friedensverhandlungen.

23.10. Wilson fordert die Entmachtung Wilhelm II., die Entwaffnung des Deut- schen Reiches, die Rückgabe von Elsass- Lothringen an Frankreich und die Aufhe- bung des Friedens von Brest-Litowsk. Schlechte Stimmung

24.10. Die deutsche Marineführung gibt Befehl zum Auslaufen der Hochseeflotte. KRIEGSZEITEN Im Sommer 1918 schwand in der Bevölkerung die Hoffnung auf einen Sieg Ungarn erklärt sich für unabhängig.

26.10. Der Reichstag verabschiedet das timmungen sind volatil: Sie gebuch: „Es ist namenlos traurig, zusehen einfach aus den Zügen gestiegen waren. krankten das Leben. Der Münchner Histo- in Rüstungsbetrieben. Polizei warn- „Gesetz zur Abänderung der Reichsverfas- können ansatzlos und binnen zu müssen, wie sich das Geschick allmäh- Die Disziplin, auf die sich das deutsche riker Karl Alexander von Müller erinnerte te, im Spätherbst und Winter 1918 sei mit sung“, das am 28. Oktober in Kraft tritt. kurzem vollkommen drehen. lich an Deutschland erfüllt.“ Heer so viel eingebildet hatte, löste sich sich: „In den großen Industriebetrieben „Arbeitseinstellungen und Unruhen für ei- Ludendorff wird entlassen; ihm folgt Gene- Noch im Frühjahr 1918 hatte in Ende Juni 1918 deutete Deutschlands auf. Der Generalstabsoffizier Albrecht von waren bis zu einem Drittel der Belegschaf- nen Frieden um jeden Preis“ zu rechnen. ral Wilhelm Groener nach. der Reichshauptstadt Berlin wie Chefdiplomat Richard von Kühlmann im Thaer notierte, wie er die Auswirkung auf ten ausgeschaltet.“ Düster notierte er, Doch noch fehlte der Anstoß, der die Ein- fast überall im Deutschen Reich Reichstag vorsichtig an, ein Ende des Krie- die meisten Deutschen empfand: „Sie hat- selbst infiziert: „Der erste apokalyptische sicht in die hoffnungslose Lage umschla- 27.10. Auf mehreren Schiffen der Hoch- SZuversicht vorgeherrscht. Das zaristische ges „allein mit militärischen Mitteln“ sei ten zu sehr darauf gehofft, dass dieser gro- Reiter – wer weiß, ob nicht die anderen im gen ließ in Aktivität. seeflotte kommt es zu ersten Befehlsver- Russland war geschlagen, im Westen stie- kaum mehr zu erwarten. Die Reaktion fiel ße Schlag den Krieg im März beenden wür- fahlen Abendrot ihre Rosse zäumen?“ weigerungen. ßen die Truppen des Kaisers in ihrer Früh- harsch aus: „Kühlmanns Rede hat wie eine de. Man hatte daraufhin noch einmal alle Anfang August 1918 zerbröselte dann die Unruhen befürchtet Am 17. September jahrsoffensive weiter vor als je in diesem Bombe eingeschlagen und wird von allen Energie zusammengerissen. Nun ist die deutsche Front in Belgien und Nordost- 1918 schilderte Hofmiller die Lage in Mün- 28.10. Scheidemann fordert den Thronver- Krieg seit Herbst 1914. An eifrig besprochen“, resü- Enttäuschung da, und sie frankreich geradezu, als chen: „Alles ist seelisch erschüttert.“ Die zicht Wilhelm II., der Berlin verlässt und in den alltäglichen Einschrän- mierte Fürstin Blücher: „Als ist groß.“ französische, britische und Demobilisierung habe „bei den Gemü- das Hauptquartier im belgischen Spa fährt. kungen hatte sich jedoch politischer Akt ruft sie die Zugleich zeichnete sich ab, »Keiner frische US-Truppen zu tern“ begonnen. Berlins Polizeipräsident Ausrufung der Tschechoslowakei. nichts geändert, im Gegen- Noch im Kritik wach und wäre, mei- dass die kommende Ernte mehreren Großoffensiven Heinrich von Oppen berichtete: „Bei der teil: Die Versorgungslage Frühjahr 1918 ner Ansicht nach, bewun- erneut miserabel ausfallen glaubt ansetzten. Scharenweise Unberechenbarkeit der Masse und dem 29.10. Der Chef der Hochseeflotte, Admiral hatte sich noch einmal ver- dernswert, hätte er nicht, würde; umgehend stiegen verließen deutsche Solda- leichten Umschlag ihrer Stimmungen muss Franz von Hipper, suspendiert den Befehl schlechtert, die Lebensmit- herrschte fast höherem Drucke folgend, auf dem Schwarzmarkt die mehr, ten ihre Stellungen und deshalb nach wie vor mit der Möglichkeit zum Auslaufen der Flotte am 30. Oktober, telrationen waren erneut überall im am nächsten Tag seine Äu- Preise stark. In München dass wir schlugen sich nach Hause von Unruhen gerechnet werden, insbeson- nachdem Matrosen des 1. und 3. Geschwa- gekürzt worden. Gleichzei- ßerungen widerrufen.“ Sie demonstrierten daraufhin durch. „Die Zeiten werden dere für den Fall, dass etwa die Wahlrechts- ders die Kesselfeuer stillgelegt hatten. tig betrug die Pflichtar- Deutschen wunderte sich: „Jeder gibt verzweifelte Frauen dreimal den Krieg betrüblich interessant“, frage oder eine weitere Verschärfung der beitszeit der meisten im Reich zu, dass er die Wahrheit nacheinander auf dem Ma- gewinnen.« merkte der Münchner Lebensmittelnöte oder endlich Kleider- 30.10. Das Osmanische Reich kapituliert. Reich lebenden Erwachse- und nichts als sie gespro- rienplatz; die Polizei traute Josef Hofmiller, Lehrer, Gymnasiallehrer Josef Hof- und Kohlennot im Winter den Funken ins nen, Männer wie Frauen, Zuversicht. chen hat, doch war es eine sich nicht einzuschreiten, August 1918 miller am 19. August 1918 Pulverfass wirft.“ 31.10. Nachdem vor Wilhelmshaven Torpe- zwölf Stunden pro Tag, Gotteslästerung, sie zu äu- obwohl solche Kundgebun- an: „Keiner glaubt mehr, Ende September 1918 kam dieser Funke – doboote ihre Geschütze auf die Schlacht- manchmal mehr; Freizeit ßern.“ gen selbstverständlich ver- dass wir den Krieg gewin- allerdings aus unerwarteter Richtung, näm- schiffe „Thüringen“ und „Helgoland“ ge- oder Erholung gab es nicht mehr. Aller- Parallel zu Kühlmanns erzwungenem boten waren. Ebenfalls im Juli 1918 wälzte nen. Alle wissen, dass wir ihn verloren ha- lich aus dem Hauptquartier der deutschen richtet haben, lassen sich deren meuternde dings auch keine Kritik an den Zuständen, Rücktritt kippte die optimistische Stim- die Verlegergattin Charlotte Herder in Frei- ben, und doch rückt keiner mit der Spra- Obersten Heeresleitung im belgischen Kur- Matrosen verhaften. Während der Rückkehr denn die Regeln des Belagerungszustandes mung. Denn in der Heimat sickerte durch burg depressive Gedanken: „Wer weiß, was che heraus. Wir sind gereizt, sogar, wenn ort Spa: Ausgerechnet der faktische Militär- des Geschwaders nach Kiel werden weitere schränkten jede öffentliche Äußerung stark Feldpostbriefe, Fronturlauber und Verwun- im nächsten Jahr aus uns geworden ist? der andere dieselbe Meinung äußert, die diktator des Reiches, Erich Ludendorff, of- Matrosen verhaftet. ein, und die Zeitungen wurden nach wie dete in den Lazaretten die Erkenntnis ins Dass wir rettungslos dem Abgrund entge- wir im Stillen selbst hegen; als wären wir fiziell Erster Generalquartiermeister, for- In Wien übernimmt die erste deutschöster- vor zensiert. Bewusstsein, dass die Frühjahrsoffensive gentreiben, das kann sich niemand mehr abergläubisch, dass sie nicht ausgespro- derte nämlich die „sofortige Herausgabe reichische Regierung unter Karl Renner Klarsichtig beschrieb eine geborene Britin endgültig gescheitert war. Hinzu kam: Vie- verhehlen. Wir können nicht mehr weiter.“ chen werden dürfe.“ eines Waffenstillstandsangebots“ an die (SPD) die politische Gewalt. die Lage in Berlin: „Die Hauptmasse der lerorts in Deutschland tauchten plötzlich Verschärft wurde die Lage durch die rapide Die radikale Linke sah in der gekippten Kriegsgegner. Faktisch also die Kapitulati- Bevölkerung hat immer noch unbegrenz- junge Männer auf, in seit Jahren nicht Ausbreitung einer hochansteckenden In- Stimmung ihre Chance. Die USPD und die on vor dem Feind. Sven Felix Kellerhoff T 3.11. Österreich-Ungarn kapituliert. ten Glauben an Ludendorff und Hinden- mehr gesehener Zahl – Deserteure, die bei fektion. Die „Spanische Grippe“ befiel im klandestin in vielen Betrieben aktiven Re- In Kiel werden bei einer Demonstration sie- burg“, notierte Evelyn Stapleton-Brether- Transporten von der Ost- an die Westfront Sommer 1918 vor allem junge, kräftige volutionären Obleute machten Stimmung Der Autor ist leitender Redakteur der ben Matrosen erschossen. ton, verheiratete Fürstin Blücher, in ihr Ta- oder von Lazaretten zurück an die Front Menschen und kostete jeden vierten Er- für einen baldigen Generalstreik vor allem „Welt“ für Zeit- und Kulturgeschichte.

4.11. In der Stadt werden Soldatenräte ge- bildet; Kiel ist in der Hand der Aufständi- schen. Ostpreußen vom August 1914 als 5.11. Alle Kriegsschiffe haben die rote Fah- Parlamentarisierung der Monarchie nationale Heldenfiguren. Am ne gehisst. In Brunsbüttelkoog und Lübeck VERFASSUNG Erst kurz vor Kriegsende erhielt der Reichstag die Schlüsselrolle 26. Oktober 1918 wurde Luden- entstehen Arbeiter- und Soldatenräte. dorff gleichwohl entlassen – nach- In der Politik gibt es immer Alternativen. Kreise an die Regierung zu bringen, denen „ihre Herabminderung bis zur tatsächli- dem er in den Wochen zuvor erst Drei Szenarien für Deutschlands Zukunft wir es in der Hauptsache zu verdanken ha- chen Ohnmacht“ sei unmöglich. Als Vo- auf ein Waffenstillstandsangebot skizzierte der neue Chef des Auswärtigen ben, dass wir so weit gekommen sind. Wir raussetzung für Verhandlungen wollten die Deutschlands und eine Parlamenta- Amtes, Paul von Hintze, am 29. September werden also diese Herren jetzt in die Mi- USA den Kaiser abgesetzt oder wenigstens risierung des Reichs gedrängt hat- 1918 im belgischen Spa Kaiser Wilhelm II.: nisterien einziehen sehen. Die sollen nun in politische Bedeutungslosigkeit abge- te, dabei die Verantwortung für die Erstens könne eine Militärdiktatur innere den Frieden schließen, der jetzt geschlos- drängt sehen. Max von Baden steckte im Niederlage auf die demokratischen Unruhen bei Fortdauer des Krieges unter- sen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt Dilemma. Er wollte die Monarchie vertei- Parteien abzuwälzen suchte, um drücken. Zweitens denkbar sei eine Revolu- essen, die sie uns eingebrockt haben.“ digen, und der Kaiser war sein Cousin. dann angesichts der geforderten tion, die aber die Hohenzollern-Dynastie Max überlegte, als Regent den Thron für de-facto-Kapitulation eine Fortset- wegfegen werde. Als dritten Weg beschrieb Neues Kabinett Die Sozialdemokraten Wilhelms Enkel freizuhalten; die Regie- zung des „Widerstands mit äußers- © picture-alliance/ullstein bild Hintze eine „Revolution von oben“, die machten sich die Entscheidung nicht rung könne ein vom Parlament gestützter ten Kräften“ zu verlangen. den „beim Übergang von Siegeszuversicht leicht. Fraktionschef Philipp Scheidemann Kanzler übernehmen, etwa Ebert. Doch die Maßgeblich mitverantwortlich für zur Niederlage eintretenden Schock von sprach sich gegen eine Regierungsbeteili- SPD verlangte, dass der Kanzler von der Erich die so republikschädliche „Dolch-

© picture-alliance/dZB Reich, Monarchie, Dynastie“ ablenken wer- gung aus, weil es „unangebracht“ sei, „im Volksvertretung abhängig sein müsse. stoßlegende“ (siehe Seite 10), mach- Revolutionäre Matrosen in Hamburg 1918 de. Dazu sollten gemäßigte Sozialdemo- Augenblick der schlimmsten Zuspitzung Diese ungeplante Weiterung des Hintze- Ludendorff te Ludendorff 1923 gemeinsame Sa- kraten und Liberale in die Regierung ge- eine Verantwortung zu übernehmen, die Plans versuchte Max von Baden zu vermei- che mit Adolf Hitler beim geschei- 6.11. In Wilhelmshaven, Cuxhaven, Bre- holt werden. Erst dieses Kabinett werde zu tragen wir kaum in der Lage“ seien. den – erfolglos: Am 26. Oktober 1918 ver- Als „deutsche Verhängnisgestalt“ terten Putschversuch vom9. Novem- men, Hamburg, Rendsburg und Flensburg Kontakt zu den Feindstaaten aufnehmen. Doch schließlich setzte sich Parteichef abschiedete der Reichstag eine Verfassungs- wird er beschrieben, als „Totengrä- ber, wurde aber im darauf folgen- übernehmen Arbeiter- und Soldatenräte die Erich Ludendorff, seit Herbst 1916 der star- Friedrich Ebert durch. Am 3. Oktober 1918 änderung. Fortan bedurfte der Reichskanz- ber des Kaiserreichs“, als „Diktator den Hochverratsprozess freigespro- politische Gewalt; in ganz Deutschland fol- ke Mann der Reichsleitung, hatte Hintze ernannte Wilhelm II. Prinz Max von Baden ler „zu seiner Amtsführung des Vertrauens im Ersten Weltkrieg“: Erich Luden- chen und saß von 1924 bis 1928 für gen in den folgenden Tagen eine Vielzahl kurzfristig in das deutsche Hauptquartier zum Reichskanzler. Er schien der richtige des Reichstages“. Der Fraktionschef der dorff, als Generalquartiermeister die „Nationalsozialistische Freiheits- weiterer Städte. (Weiter Seite 6) T bestellt, um eine Entscheidung herbeizu- Mann für Verhandlungen mit den USA zu Deutschkonservativen kritisierte die Ent- treibende Kraft der dritten Obers- partei“ im Reichstag. 1925 trat er führen. Am Vorabend hatte sich der Gene- sein, weil er sich 1917 öffentlich gegen den scheidung: „Aus dem monarchisch-konsti- ten Heeresleitung, die der Berufsof- bei der Wahl des Reichspräsidenten ralquartiermeister mit Paul von Hinden- uneingeschränkten U-Boot-Krieg ausge- tutionellen Reich ist ein nach den Grund- fizier gemeinsam mit Generalfeld- an, blieb aber mit 1,1 Prozent der burg verständigt, um Waffenstillstand zu sprochen hatte. Zu seinem Kabinett gehör- sätzen der westlichen Demokratien parla- marschall Paul von Hindenburg Stimmen weit abgeschlagen. 1865 ersuchen. Erst wollte der Kaiser von einer te auch der unwillige Scheidemann. mentarisch regierter Staat geworden.“ Der 1916 übernommen hatte mit dem als Sohn eines Rittergutsbesitzers in SPD-Beteiligung nichts hören, doch Bald zeigte sich aber: Max‘ Ernennung ge- Sache nach traf das zu; Friedrich Ebert Ziel der „absoluten Kriegsfüh- der preußischen Provinz Posen ge- schließlich überredete Hintze ihn. Darauf- nügte nicht. US-Präsident Woodrow Wil- gönnte sich einen Moment des Triumphs rung“. Damals galten die beiden boren, starb Ludendorff 1937 mit Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden hin verkündete Ludendorff: „Ich habe Sei- son teilte mit, Frieden „ohne Vernichtung und rief den „Geburtstag der deutschen Sieger der Tannenberg-Schlacht in 72 Jahren in München. sto T Sie in unserem E-Paper ne Majestät gebeten, jetzt auch diejenigen jeder willkürlichen Macht“ oder zumindest Demokratie“ aus. sfk T Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018 REVOLUTION 1918 5

ehr als 100.000 gen 89 Stimmen abgelehnt. Dagegen wur- Menschen folgten de der Antrag von Max Cohen (SPD), am am 7. November 19. Januar 1919 eine Nationalversamm- 1918 in München lung zu wählen, mit einem sogar noch ein- dem gemeinsamen deutigeren Stimmenverhältnis angenom- Aufruf der SPD und men. ihrerM linkeren Abspaltung, der „unabhängi- Deutscher Umsturz Kurz darauf, am 23. Dezember, befahl der gen“ Sozialdemokraten (USPD) zu einer Rat der Volksbeauftragten der Volksmarine- großen Friedensdemonstration und forder- division den Abzug aus Berlin und die Re- ten auf der Theresienwiese die Beendigung WENDEZEIT Nach dem erstaunlich unblutigen Ende der Monarchie drifteten die duzierung ihrer Truppenstärke. Doch die des Krieges, Abdankung des Kaisers, Demo- Volksmarinedivision, die außerdem noch kratisierung Deutschlands und Einführung sozialistischen Kräfte in Deutschland zunehmend auseinander offene Soldforderungen hatte, zog nicht des Achtstundentags. Anschließend stürm- ab, sondern brachte die Reichskanzlei in te eine sehr viel kleinere Gruppe mit Kurt ihre Gewalt. Am Tag darauf kam es zu hef- Eisner (USPD), der als Anführer des Streiks tigen Kämpfen zwischen Truppen, die Ge- im Januar 1918 enorm populär geworden neralleutnant Groener auf Eberts Bitte in war, die Kasernen der Stadt; noch in der die Stadt entsandt hatte, und den Matrosen Nacht rief Eisner den „Freistaat Bayern“ der Volksmarinedivision, die im Berliner aus und erklärte König Ludwig III. für ab- Schloss ihr Hauptquartier hatten und den gesetzt. Im Bayerischen Landtag konstitu- Berliner Stadtkommandanten Otto Wels ierte sich ein Arbeiter-, Soldaten- und Bau- im Marstall als Geisel hielten. Die im Häu- ernrat; Eisner wurde Ministerpräsident und serkampf unerfahrenen Frontsoldaten erlit- Außenminister des Freistaats Bayern. ten dabei erhebliche Verluste. Die Volks- Der Wittelsbacher war nur der erste deut- marinedivision blieb erhalten, erhielt ih- sche Monarch, der im November vor 100 ren Sold und Wels musste am 27. Dezem- Jahren seine Krone verlor. Innerhalb weni- ber zurücktreten. Nach diesen Ereignissen ger Tagen waren alle 22 gekrönten Häup- verließen die Vertreter der USPD den Rat ter, die in Deutschland bis dahin regiert der Volksbeauftragten. Stattdessen kamen hatten, abgesetzt oder zurückgetreten. Die am 28. Dezember die Sozialdemokraten Revolution hatte in Deutschland gesiegt, und hinzu. fast ohne auf Widerstand zu stoßen. Noske erhielt den Befehl, eine bewaffnete Kaiser Wilhelm II. hatte sich schon am Macht zur Verteidigung der Regierung auf- 29. Oktober in das Große Hauptquartier zubauen und dabei verstärkt auch auf Frei- im belgischen Spa begeben. Inzwischen korps zu setzen. Er nahm diesen Auftrag an forderten nicht nur die Fortschrittliche mit den berühmt gewordenen Worten „Ei- Volkspartei und die SPD, sondern auch das ner muss der Bluthund sein“. Zentrum seine Abdankung. Dennoch zö- gerte er und überlegte, nur als Kaiser, nicht Januaraufstand Am 4. Januar 1919 wurde aber als preußischer König und Oberbe- der Berliner Polizeipräsident Emil Eich- fehlshaber des Heeres zurückzutreten, so- horn abgesetzt, weil er während der Weih- dass Reichskanzler Prinz Max von Baden nachtskämpfe mit den revolutionären Ma- schließlich gezwungen war, Wilhelms Ab- trosen kollaboriert hatte. Seine Absetzung dankung am 9. November ohne Autorisie- wurde von den revolutionären Kräften als rung bekanntzugeben. Wilhelm II. fuhr am große Provokation empfunden. Die Zen- nächsten Morgen über die Grenze und be- trale der am 31. Dezember gegründeten gab er sich in die Hände der niederländi- KPD warnte davor, die Machtübernahme schen Regierung, die ihm Asyl gewährte. anzustreben, weil dafür die Machtbasis im Noch am 9. November übertrug Prinz Max Land fehlte. Riesige Massendemonstratio- Friedrich Ebert als Vorsitzendem der größ- nen am folgenden Tag führten zu einem ten Reichstagsfraktion das Amt des Reichs- Stimmungsumschwung und am Abend be- kanzlers, da er selbst seine Mission als er- schloss eine Versammlung von etwa 70 Re- füllt ansah. Man verständigte sich darauf, volutionären Obleuten und dem Zentral- dass eine Nationalversammlung über die vorstand der Berliner USPD mit großer Frage der künftigen Staatsform entscheiden Mehrheit, den Kampf um die Macht aufzu- solle. Um 14 Uhr rief der Sozialdemokrat nehmen. Ein Revolutionsausschuss erklärte Philipp Scheidemann dennoch vor dem den Rat der Volksbeauftragten für abge- Reichstag die deutsche Republik aus, sehr setzt. Daraufhin rief die SPD ihre Anhän- zum Ärger Eberts. Zwei Stunden später ger in die Wilhelmstraße, wo sie durch ihre propagierte der Spartakist Karl Liebknecht Präsenz die Regierung schützen sollten. von einem Balkon des Berliner Stadtschlos- Der Rat der Volksbeauftragten beschloss ses „die freie sozialistische Republik“. die Organisation loyaler militärischer Ver- bände, wobei er auch mit den Freikorps Neue Regierung Ebert entschloss sich an- zusammenarbeitete. Am 8. Januar begann gesichts der revolutionären Situation zu die gewaltsame Niederschlagung des Auf- Verhandlungen mit der USPD über die Bil- stands, wobei die Regierungstruppen von dung einer rein sozialistischen Regierung, Gustav Noske befehligt wurden. Vor allem wobei allerdings die bisherigen Staatsse- um das von den Aufständischen besetzte kretäre im Amt blieben. Am 10. November Zeitungsviertel wurde erbittert gekämpft. konstituierte sich der „Rat der Volksbeauf- Nach der Einnahme des Polizeipräsidiums tragten“. Ihm gehörten von Seiten der SPD brach der unzureichend vorbereitete Auf- Ebert, Scheidemann und stand rasch zusammen. Er forderte insge- an, für die USPD die eher gemäßigten Hu- samt 165 Todesopfer. Für die Weimarer Re- go Haase und Wilhelm Dittmann sowie publik war die Klärung des grundsätzli- der Radikale Emil Barth, der auch bei den Auf der Regierungsbank im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin sitzen am 16. Dezember 1918 beim Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte die Volksbeauftragten Phi- chen politischen Zielkonflikts zwischen „Revolutionären Obleuten“ – unabhängi- lipp Scheidemann (SPD, 2.v.l.), Otto Landsberg (SPD, 3.v.l.) , Hugo Haase (USPD, 3.v.r.), Friedrich Ebert (SPD, 2.v.r.) und Emil Barth (1.v.r.). © picture-alliance/ullstein bild SPD und KPD – parlamentarische Demo- gen Vertrauensleuten in den Betrieben – ei- kratie oder sozialistische Räterepublik – ei- ne führende Rolle spielte. Generalleutnant nerseits eine notwendige Existenzbedin- Wilhelm Groener, seit Ludendorffs Entlas- bisher die verschiedenen Reichsämter gelei- Derweil hatte am 11. November der Erste zeichung. Die Grundintention der Sieger- te. Zeitgleich wurde der Vollzugsrat vor- gung, andererseits eine schwere Belastung. sung faktisch Chef der Obersten Heereslei- tet hatten, übergeordnet, de facto aber auf Weltkrieg nach mehr als vier Jahren und mächte war, dass Deutschland künftig übergehend verhaftet. Es gibt Anhalts- So wie es der im Dezember 1918 tagende tung, versicherte Ebert am 10. November deren Sachkenntnisse angewiesen. Die Sozi- Millionen Toten mit der Unterzeichnung nicht mehr angriffsfähig sein sollte. punkte dafür, dass dies ein rechter Putsch- Reichskongress der Arbeiter- und Soldaten- in einem Telefongespräch, dass das Heer aldemokraten waren hier gegenüber den des Waffenstillstands in einem Eisenbahn- Der Dezember 1918 war die Phase des versuch zur Entmachtung des Arbeiter- und räte beschlossen hatte, wurde am 19. Janu- sich der neuen Regierung unterstellt. Die- Volksbeauftragten der USPD im Vorteil, waggon im Wald von Compiègne nördlich Übergangs zwischen der erstaunlich unblu- Soldatenrates war. Wer den Schießbefehl ar 1919 die Nationalversammlung gewählt. ser sogenannte Ebert-Groener-Pakt trug er- weil die Ministerialbeamten viel lieber mit von Paris ein Ende gefunden. Der vierköp- tigen Novemberrevolution und den gewalt- erteilt hat, konnte nie geklärt werden. An (Siehe Seite 7). Es gab nun erstmals ein heblich zur Konsolidierung der neuen Re- ihnen zusammenarbeite- figen Delegation Deutsch- samen Konfrontationen im dem darauffolgenden Wo- von allen erwachsenen Deutschen frei ge- gierung bei. ten. Zudem sicherte sich lands unter der Leitung des Januar 1919. Am 6. Dezem- chenende kam es zu zahl- wähltes Parlament. Man konnte den Ein- Im Zirkus Busch versammelten sich an die- die SPD die wichtigsten Zentrum-Politikers Matthias ber kam es in Berlin zu einer losen Demonstrationen druck großer Stabilität gewinnen, doch der sem Tag mehr als 3.000 Delegierte der Berli- Ressorts. Der Rat der Volks- Der Ebert- Erzberger, der inzwischen grauenvollen Schießerei, bei Mit 344 gegen der verschiedenen politi- relativierte sich rasch. Schon bei den ersten ner Arbeiter- und Soldatenräte und wählten beauftragten nahm sehr Groener-Pakt Staatssekretär geworden war, der innerhalb von wenigen 89 Stimmen schen Lager, die nun im- regulären Reichstagswahlen im Juni 1920 einen „Vollzugsrat“. In dessen Auftrag sollte rasch seine Arbeit auf und trat der französische Mar- Minuten ein Blutbad ange- mer deutlicher auseinan- erreichten die Parteien der „Weimarer Ko- die neue Regierung die von den Arbeiter- erließ eine Vielzahl von trug erheblich schall Ferdinand Foch ge- richtet wurde. Gardefüsiliere votierte der derstrebten. alition“, die noch im Jahr zuvor über eine und Soldatenräten formulierten Ziele um- Gesetzen und Anordnun- zur genüber, seit März 1918 schossen an der Kreuzung Reichsräte- Die Spartakisten arbeite- Dreiviertel-Mehrheit verfügt hatten, nicht setzen, doch von dieser Erwartung emanzi- gen. Das betraf klassische Oberbefehlshaber der alli- Chausseestraße/Invaliden- ten zunehmend auf die einmal mehr die einfache Mehrheit der pierte sich der Rat der Volksbeauftragten Grundrechte wie die Mei- Konsolidierung ierten Streitkräfte an der straße auf demonstrierende kongress Gründung einer eigenen Stimmen, während die beiden Parteien am sehr rasch. Dominierende Figur war Friede- nungsfreiheit, vor allem der neuen Westfront. Erzberger, der die Soldaten und Matrosen, tö- gegen das politischen Partei hin, rechten Rand ihren Stimmenanteil glatt rich Ebert, der durch das zusätzliche Amt aber das Gebiet der Sozial- Bestimmungen der Waffen- ten 16 und verletzen etwa nachdem sie bei dem ers- verdoppelten. Tatsächlich erwiesen sich die des Reichskanzlers mit Prestige und admi- politik. So wurde zum Regierung bei. stillstandsvereinbarung au- 80, davon zwölf schwer. Es Rätesystem. ten Reichsrätekongress ei- Verhältnisse als wenig stabil. In den nistrativen Möglichkeiten ausgestattet war. 1. Januar 1919 der acht- ßerordentlich hart fand, gingen Ereignisse voraus, ne herbe Niederlage erlit- 14 Jahren der Weimarer Republik wurde Diese Personalunion brach der Gefahr einer stündige Normalarbeitstag hielt Rücksprache mit Ebert, deren Hintergrund nie wirk- ten hatten. Der Antrag von acht Mal der Reichstag gewählt und es gab Doppelherrschaft von Regierung und Räten, eingeführt. Den Gewerkschaften brachte am der ihm die Weisung erteilte, zu jedweden lich aufgeklärt werden konnte. Eine Grup- Ernst Däumig (USPD), das Rätesystem zur 20 verschiedene Regierungen. Ernst Piper T wie es sie 1917 in Russland gab, von vorn- 15. November das „Stinnes-Legien-Abkom- Bedingungen zu unterschreiben. Auch Paul pe schwerbewaffneter Soldaten, die Ebert Grundlage der Verfassung einer deutschen herein die Spitze ab. men“, benannt nach den Verhandlungsfüh- von Hindenburg, der 1916 zusammen mit nötigte, die Reichskanzlei zu verlassen und sozialistischen Republik zu machen, wurde Der Autor ist außerplanmäßiger Professor Die Mitglieder des Rates der Volksbeauftrag- rern, die Anerkennung der Arbeitgeber als Ludendorff die Oberste Heeresleitung auf die Straße zu kommen, wollte ihn zum von den Vertretern der Arbeiter- und Solda- für Neuere Geschichte ten waren formal den Staatssekretären, die „berufene Vertretung der Arbeiterschaft“. übernommen hatte, drängte auf die Unter- Reichspräsidenten ausrufen, was er ablehn- tenräte aus dem ganzen Reich mit 344 ge- an der Universität Potsdam.

zu einer grundsätzlichen Entfrem- Eine eigentümliche Revolution Rosa dung und 1917 zur Spaltung der ÖSTERREICH Das Ende der Habsburger Monarchie hatte auch operettenhafte Züge Partei. Luxemburg, die die Kriegs- Luxemburg zeit zum großen Teil im Gefängnis Hat in Österreich 1918 eine Revolution Imperium gelöst hatten, wurde die Repu- Umsturz weitgehend unblutig blieb, war verbracht hatte, gehörte am 31. De- stattgefunden? Einerseits ja, offensichtlich. blik ,,Deutschösterreich“ am 12. Novem- der Umsicht von Leuten wie den Sozialde- Rosa Luxemburg wurde am 5. März zember 1918 zu den Gründern der Schließlich wurde der Kaiser entthront, ber im Parlament von Abgeordneten aus- mokraten Victor Adler und Karl Renner zu 1871 in der polnischen Kleinstadt KPD. Sie plädierte für eine sozialisti- enteignet und musste das Land verlassen. gerufen, die 1911 gewählt worden waren. verdanken. Die Rotgardisten wollten Zamosc geboren, die damals zum sche Revolution und die Diktatur Die neue Republik schaffte den Adel und Fast möchte man es eine gemütliche Revo- durchaus eine sozialistische Republik unter Zarenreich gehörte. 1888 ging sie des Proletariats, lehnte aber den ro- alle Vorrechte ab. Die politischen Verhält- lution nennen, die operettenhafte Züge roter Fahne ausrufen. Die Besetzung der zum Studium nach Zürich, wo sie ten Terror der bolschewistischen Re- nisse wurden umgewälzt: im Wortsinn eine trägt. Sie äußern sich etwa in der Anekdote, „Presse“ fand statt, aber die Geschichte mit 1897 mit einer Arbeit über die in- volution in Russland ab. Sie hielt ei- Revolution. Aber eine eigentümliche Revo- wonach Egon Erwin Kisch, der ,,Rasende dem Brief an die Mama ist wohl erfunden, dustrielle Entwicklung Polens pro- ne Revolution nur für legitim, wenn lution. Reporter“, an der Spitze der Roten Garde wenn auch schön. Stephan Löwenstein T moviert wurde. 1898 übersiedelte sie von der großen Mehrheit der Ar- Nicht nur, weil das Eigentum weitgehend in die Redaktion der ,,Neuen Presse“ ein- sie nach Berlin. Nachdem sie zuvor beiterschaft getragen war. Deshalb © picture-alliance/United Archives/WHA unangetastet blieb und keine Vertreter des dringt und diesen Hort der Bürgerlichkeit Der Autor ist Korrespondent der „Frank- in der polnischen Sozialdemokratie lehnte sie den Januaraufstand ab, Ancien Régime aufgeknüpft wurden. Die für besetzt erklärt. Sein Bruder Paul, Redak- furter Allgemeinen Zeitung“ in Wien. gewirkt hatte, schloss sie sich nun Als profilierteste Vertreterin des lehnte es aber auch ab, sich in Si- Revolutionäre, wenn man sie denn so nen- teur der ,,Presse“, tritt ihm entgegen: Er der SPD an und konnte dort sehr kleinen linken Flügels kämpfte sie in cherheit zu bringen, wie ihr von nen will, bedienten sich der bestehenden, weiche der Gewalt, ,,aber ich schreibe es rasch großes Ansehen als Theoreti- der SPD gegen den Revisionismus Freunden geraten wurde. Am verfassungsgemäßen Körperschaften. Und heute noch der Mama nach Prag“. Darauf kerin, Publizistin und Wahlkämpfe- und für Massenstreiks als politisches 15. Januar 1919 wurde sie gemein- die k.u.k. Beamtenschaft half ihnen, die gibt Egon das Signal zum Rückzug. rin gewinnen. Schon früh war sie Kampfmittel. Als die Reichstagsfrak- sam mit Karl Liebknecht von Ange- Ordnung aufrecht zu erhalten. Nachdem Aber Vorsicht vorm Klischee! So undrama- auch in der Sozialistischen Interna- tion der SPD am 4. August 1914 den hörigen der Garde-Kavallerie-Schüt- Weiterführende Links zu den die slawischen Völker und Ungarn sich an- tisch waren die Tage im Oktober und No- Themen dieser Seite finden tionale aktiv. Kriegskrediten zustimmte, kam es zen-Division ermordet. Ernst Piper T gesichts des verlorenen Krieges aus dem vember 1918 auch in Wien nicht. Dass der Sie in unserem E-Paper 6 REVOLUTION 1918 Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

CHRONIK

7./8.11.1918 In München erklärt Kurt Eis- ner (USPD) den bayerischen König Ludwig III. und die Dynastie Wittelsbach für abge- setzt und ruft den Freistaat Bayern aus. Im Landtag konstituiert sich ein Arbeiter-, Sol- daten- und Bauernrat. Eisner wird bayeri- scher Ministerpräsident und Außenminister.

9.11. Reichskanz- ler Max von Ba- den gibt eigen- mächtig die Ab- dankung von Kai- ser Wilhelm II. be- kannt und über- gibt die Kanzler- schaft an den MSPD-Vorsitzen- den Friedrich Ebert. Philipp

© picture-alliance/akg Scheidemann ruft Max von Baden vom Reichstags- gebäude aus die „deutsche Republik“ aus, der Linkssozialist Karl Liebknecht vom Berliner Stadtschloss aus die „Freie Sozialistische Republik Deutschland“.

9./10.11. Wilhelm II. reist vom belgischen Spa ins Exil in die Niederlande. Bedingung für seinen dortigen Aufenthalt ist der Ver- zicht auf jede politische Betätigung.

10.11. Der „Rat der Volksbeauftragten“, dem drei MSPD- und drei USPD-Mitglieder Lenin kommt nach seiner Fahrt durch Deutschland, Schweden und Finnland im April 1917 mit dem Zug auf dem Finnländischen Bahnhof in der russischen Hauptstadt Sankt Petersburg an. Anhänger der Bolschewisten begrüßen angehören, übernimmt unter dem Vorsitz den Revolutionsführer enthusiastisch, wie diese Zeichnung auf Fotogrundlage zeigt. © picture-alliance/Everett Collection von Friedrich Ebert (MSPD) und Hugo Haa- se (USPD) die Regierungsgeschäfte. Die Berliner Betriebe und Garnisonen wäh- len Arbeiter- und Soldatenräte. Auf einer Versammlung im Zirkus Busch wählen die- se Räte einen „Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin“, der bis zur Zusammenkunft eines ersten Reichsräte- kongresses im Dezember den Rat der Sonderzug zur Revolution Volksbeauftragten kontrollieren soll. Generalleutnant Groener versichert Ebert in einem Telefonat, dass sich das Heer der RUSSLAND Mit Hilfe der deutschen Regierung reiste Bolschewistenchef Lenin 1917 nach Sankt Petersburg neuen Regierung unterstellt. Im Gegenzug sichert Ebert zu, dass das Offizierskorps weiterhin die Befehlsgewalt über die Trup- m Nachhinein war einigen Beteilig- Die Lage in diesem dritten Jahr des Ersten Truppen an die Westfront verlegt werden front ein. Sie richteten Speziallager für ukrai- am Abend des 16. traf Lenin, von jubelnden pen inne hat („Ebert-Groener-Pakt“). ten die Sache ein wenig peinlich. Weltkrieges war die, dass deutsche Truppen könnten. nische und muslimische Kriegsgefangene ein, Arbeitermassen begrüßt, auf dem Finnländi- Erich Ludendorff etwa, der fast all- weit nach Osten vorgestoßen waren. Sie hat- Die neue Provisorische Regierung in Petro- um die Insassen auf den nationalen Aufstand schen Bahnhof in Petrograd ein. 11.11. In einem Eisenbahnwaggon bei der mächtige Generalquartiermeister der ten Litauen und die südliche Hälfte des heu- grad dachte indes nicht an Kapitulation und oder den Heiligen Krieg einzustimmen. Die Früchte der Operation Sonderzug ernte- nordfranzösischen Stadt Compiègne unter- Dritten Obersten Heeresleitung, legte tigen Lettland besetzt, Polen und den Westen Sonderfrieden. Sie gab sich – auch durch Ein- ten die Deutschen ein knappes Jahr später, zeichnet der Reichstagsabgeordnete und Wert auf die Feststellung, dass nicht der Ukraine und das Russische Reich an den wirkung der Entente – entschlossen, den Wohlwollend Sie hatten auch die Kolonie als sie im März 1918 der Sowjetregierung den Staatssekretär (Zentrum) Ier die Idee ausgeheckt hatte, den berüchtig- Rand des Zusammenbruchs getrieben. Dage- Kampf an der Seite der Westalliierten fortzu- linksradikaler Russen, die vor dem Krieg in Frieden von Brest-Litowsk aufnötigten. für Deutschland den Waffenstillstandsvertrag. ten russischen Agitator auf dem Weg nach gen hatte sich an der Westfront seit Anfang setzen. Was in dieser Lage zu tun war, formu- der Schweiz Zuflucht gefunden hatten, früh- Deutschland gewann ein gewaltiges Ost-Im- Hause quer durch Deutschland reisen zu 1915 so gut wie nichts bewegt und lieferten lierte am .2. April der deutsche Botschafter in zeitig im Blick. Bereits im September 1914 perium, bestehend aus dem Baltikum, Polen lassen: „Ich bin nur gefragt worden, ob ich Deutsche, Franzosen und Briten einander Kopenhagen, Ulrich Graf von Brockdorff- suchte der deutsche Botschafter in Bern, Gis- und der Ukraine, die von Russland abge- etwas dagegen einzuwenden hatte. Das hatte ebenso verlustreiche wie ergebnislose Abnut- Rantzau. Es gelte jetzt, in Russland „größt- bert Freiherr von Romberg, den Kontakt zur trennt und in halb souveräne Satellitenstaa- ich nicht, da mir die Reichsleitung zugleich zungsschlachten. mögliches Chaos“ anzurichten und alles zu revolutionären Exilgemeinde und ließ sich ten umgewandelt werden sollten. Die Freude verbesserte Friedensmög- tun, um „die Gegensätze regelmäßig berichten. So über den Sieg im Osten währte freilich nur lichkeiten durch innere »Gottesgeschenk« Im zwischen den gemäßigten wurden die Deutschen spä- ein halbes Jahr. Auf die Niederlage an der Schwächung Russlands in »Es gilt Frühjahr 1917 stand oben- und den extremen Parteien testens im Frühjahr 1915 auf Westfront folgten Kapitulation und Revoluti- Aussicht stellte.“ drein der Kriegseintritt der zu vertiefen, denn wir haben Der Albtraum Lenin als den führenden on auch in Deutschland. Auch deutsche Regierungs- jetzt, in USA bevor, womit absehbar das größte Interesse daran, Kopf der Szene aufmerksam vertreter machten keinen Russland ein war, dass sich das Kräftever- dass die letzteren die Ober- russischer und nahmen auch dessen Schreck bekommen Mittlerweile war der Hehl daraus, dass sie diesen hältnis im Westen sehr bald hand gewinnen“. In einem Verhältnisse Forderung, den Krieg bedin- Schrecken über den Roten Terror in Russland Wladimir Iljitsch Uljanow, größtmög- zu Deutschlands Ungunsten solchen Fall dürfte binnen gungslos zu beenden, wohl- den Zeitgenossen gehörig in die Glieder ge- genannt Lenin, der mit ihrer liches Chaos verschieben würde. Ein Son- drei Monaten „die Zerset- prägte die ge- wollend zur Kenntnis. fahren, nicht zuletzt den deutschen Sozialde- freundlichen Unterstützung derfriede mit dem zermürb- zung genügend vorgeschrit- samte Politik Nach dem Sturz des Zaren mokraten, denen in der Revolution eine im April 1917 von Zürich anzurichten.« ten Russland, um im Osten ten“ sein, um „den Zusam- beauftragte Kanzler von Schlüsselrolle zufallen sollte. Bereits im Janu- nach Petrograd fahren durf- Ulrich Graf v. Brockdorff- Entlastung zu schaffen, war menbruch der russischen der SPD. Bethmann-Hollweg den Bot- ar 1918 hatte der spätere preußische Minis- te, im Normalfall nicht ein- Rantzau, Diplomat seit längerem der sehnlichste Macht zu gewährleisten“. schafter in Bern, dem Bol- terpräsident Otto Braun im „Vorwärts“ die mal mit der Kneifzange an- Wunsch der Berliner Regie- Durch Verschärfung innen- schewikenchef deutsche Hil- „Säbelherrschaft“ der Bolschewiken verur- gefasst hätten. „Ein Offizier rung. politischer Konflikte die fe bei der Rückkehr nach teilt. Während der Umbruchmonate prägte

© picture-alliance / dpa Dena aus einem der ältesten preußischen Ge- So empfand Reichskanzler Theobald von Feindmächte zu destabilisieren, war von Russland anzubieten. Lenin ließ sich nicht der Albtraum russischer Verhältnisse und die Matthias Erzberger (links) vor dem Eisen- schlechter stammend“, klagte ein an der Akti- Bethmann-Hollweg es als „ein wahres Gottes- vornherein ein deutsches Konzept gewesen. lange bitten. Er saß in Zürich ohnehin auf Absage an jede Form der Räteherrschaft die bahnwaggon bei Compiègne. on beteiligter Diplomat des Kaiserreiches in geschenk“, als Anfang 1917 die kriegs- und Mit Hilfe flämischer Nationalisten versuch- glühenden Kohlen. Bis zum 7. April einigte gesamte Politik der SPD. So wurde die deut- Bern, „wird als eine Art Ehrenkavalier diesem hungererschöpften Bewohner der russischen ten die Deutschen, das besetzte Belgien in ih- er sich mit den Deutschen über die Konditio- sche Revolution zum Gegenentwurf der russi- In Berlin kommt es zur Neugründung des russischen revolutionären Gesindel, das wir Hauptstadt massenhaft auf die Straßen gin- rem Sinne umzugestalten. Sie leisteten Hilfe nen. Er behielt sich vor, die Reisegesellschaft schen. Hatten dort die Bolschewiken die de- linksradikalen Spartakusbundes um Rosa sonst nach Russland ausweisen, dem aber gen und am 14. März der Zar stürzten. Auch beim irischen Aufstand 1916 gegen die Bri- zusammenzustellen, die in einem für exterri- mokratische Konstituante verjagt, so stellte Luxemburg und Karl Liebknecht. jetzt der Hof gemacht wird, beigegeben, nur Ludendorff notierte wenige Tage später, dass ten. Sie bildeten finnische Freiwillige aus, die torial erklärten Waggon, also ohne Grenz- im Dezember 1918 der Berliner Rätekongress Kaiser Karl I. von Österreich verzichtet auf in der Hoffnung, dadurch den Frieden etwas mit einer russischen Offensive nun wohl die Loslösung ihres Landes vom Zarenreich kontrolle, Deutschland durchqueren sollte. die Weichen zur Wahl der Weimarer Natio- die Ausübung der Regierungsgeschäfte. zu beschleunigen – das ist die Lage.“ nicht mehr zu rechnen sei, und bereits jetzt erstrebten, und setzten sie 1917 an der Ost- Am 9. April verließ Lenins Sonderzug Zürich, nalversammlung. Winfried Dolderer T

12.11. Der Rat der Volksbeauftragten hebt den Belagerungszustand auf, schafft die Zensur ab und erlässt eine Amnestie für politische Straftaten. Ferner gilt fortan das wie in Berlin Rechtswissenschaft, er- gleiche, geheime, direkte und allgemeine warb 1897 den Doktortitel und ließ Im Ausnahmezustand Wahlrecht für alle Frauen und Männer ab sich 1899 in der Berliner Chaussee- PRESSE Nach Ende der Zensur mussten sich die Zeitungen gegen die Revolutionäre behaupten 20 Jahren; für den Jahreswechsel wird der straße als Anwalt nieder. Zwei Jah- Achtstundentag angekündigt. re nach seinem Beitritt zur SPD Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stellte verlangt. So schrieb die bürgerliche „Frankfur- bis regierungstreue Soldaten die alten Verhält- Im Parlament in Wien wird durch die Provi- wurde er 1902 sozialdemokrati- auch die Journalisten in Deutschland vor eine ter Zeitung“ am 8. November 1918: „Jetzt ist nisse herstellten. Am 12. November erließ die sorische Nationalversammlung die Repu- scher Stadtverordneter, zog 1908 neue Situation. Die Pressefreiheit wurde durch längeres Zögern unmöglich. Wir haben nur Übergangsregierung, der „Rat der Volksbeauf- blik „Deutschösterreich“ proklamiert; ein ins Preußische Abgeordnetenhaus Verordnung am 31. Juli 1914 aufgehoben und die Wahl zwischen dem Thronverzicht des tragten“, unter Ebert einen Aufruf, in dem es Versuch der kommunistischen „Roten Gar- und 1912 in den Reichstag ein. für die Militärzensur im Februar 1915 eine Kaisers oder dem Bürgerkrieg.“ hieß: „Eine Zensur findet nicht statt. Die Mei- de“, das Parlament zu besetzen, scheitert. Liebknechts Lebensthema war der Oberzensurstelle gebildet. So wurde die Bevöl- Für viele im Land war es ein Schock, als der nungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.“ Kampf gegen Aufrüstung und die kerung über die tatsächlichen militärischen viereinhalbjährige Krieg trotz unendlicher Op- Dieses Programm der Presse- und Meinungs- 15.11. Unterzeichnung des Stinnes-Legien- Dominanz des Militärs im wilhemini- Gegebenheiten im Unklaren gehalten. Das fer mit der Niederlage Deutschlands zu Ende freiheit musste nun gegen die linken Revolu- Abkommens, mit dem die deutschen Unter- schen Reich. Für seine Schrift „Milita- hielten viele Zeitungen bis in die letzten ging. Der Kaiser dankte ab, die Monarchie im tionäre durchgesetzt werden. Und das nicht nehmer die Gewerkschaften als gleichbe- rismus und Antimilitarismus“ wurde Kriegstage durch, als die üblichen Frontbe- Reich und in den Ländern war am Ende. Je nur in Berlin. So wurde in Leipzig vom Arbei- © picture-alliance/dpa rechtigte Tarifpartner anerkennen. er 1907 wegen Hochverrats zu an- richte trotz Hungers und Kriegsmüdigkeit wei- nach Zeitung, fielen die Bekanntmachungen ter- und Soldatenrat eine Zeitung mit Zerstö- derthalb Jahren Festungshaft verur- ter erschienen: So schrieb wenige Tage vor der ganz unterschiedlich aus. In Berlin wie in der rung bedroht, wenn sie einen bestimmten Be- 16.11. Ausrufung der ungarischen Republik. Karl teilt. Im Prozess äußerte er, auch der faktischen Kapitulation das „Berliner Tage- Provinz. So war das epochale Ereignis dem richt bringe. In Mülheim/Ruhr wurden Druck- Kaiser dürfe den Truppen keine ver- blatt“ am 26. Oktober 1918 vom „gewaltigen, württembergischen Heimatblatt „Dürrmenz- platten zerschlagen, weil sich Deutsche Volks- 28.11. Wilhelm II. unterzeichnet die Abdan- Liebknecht fassungswidrigen Befehle erteilen. erfolgreichen Ringen im Westen“. Allerdings Mühlacker Bote“ zwar ein paar Zeilen auf der partei und Zentrum in Flugblättern gegen die kungsurkunde. Im Dezember 1914 verweigerte bot die Presse in den letzten Wochen des Kai- Titelseite wert, der Fortsetzungsroman „Das Verhaftung Mülheimer Bürger gewandt hatten. Agitator, Parlamentarier, Revolutio- Liebknecht erstmals als einziger serreichs ein buntes, vielfältiges Meinungsbild Heideprinzesschen“ wurde am 11. November Am 12. Dezember 1918 mahnte der Rat der 6.12. Soldaten eines Infanterieregiments när, Märtyrer. Sein gewaltsamer Reichtagsabgeordneter neuen von rechten, linken und liberalen Zeitungen. 1918 dennoch halbseitig auf Seite 1 weiterge- Volksbeauftragten: „Die Reichsregierung ver- versuchen erfolglos, den Berliner Vollzugs- Tod im Januar 1919 hat Karl Lieb- Kriegskrediten seine Zustimmung. Uniform waren nur noch die Heeresberichte druckt. Der „Berliner Lokal-Anzeiger“ schrieb: wahrt sich gegen jede gewaltsame Beschrän- rat der Arbeiter- und Soldatenräte zu ver- knecht zu einer Ikone der Linken Als einziger Abgeordneter wurde und die amtlichen Meldungen und Kommen- „Es wird eine der wichtigsten Aufgaben der kung des freien Wortes. Sie fordert von den haften, andere rufen Ebert vor der Reichs- werden lassen. Es war indes der er deswegen selber zum Militär ein- tare des Wolffschen Telegraphenbüros. deutschen Geschichtsforschung sein nachzu- Arbeiter- und Soldatenräten die völlige Auf- kanzlei zum Präsidenten aus. Ebert reagiert hartnäckige und zunächst einsame gezogen. Als Organisator und Inzwischen breitete sich nach der Meuterei weisen, dass die Weltgeschichte einen grausa- rechterhaltung der Pressefreiheit.“ Die linken ausweichend. Gardefüsiliere schießen in Widerspruch gegen den Ersten Hauptredner einer Anti-Kriegs- der Kieler Matrosen am 29. Oktober 1918 die men, furchtbaren Justizmord begangen hat.“ Revolutionäre mussten weichen, so wie mit der Stadt auf demonstrierende Soldaten Weltkrieg, aus dem zu Lebzeiten Kundgebung im Mai 1916 ver- Revolution aus. Das USPD-Blatt „Leipziger ihrer von der Reichskonferenz der Arbeiter- und Matrosen. 16 Menschen kommen ums bereits Liebknechts Ruhm erwuchs, schwand Liebknecht bis zum Okto- Volkszeitung“ schrieb am 2. November 1918: Pressefreiheit Für die Presse war der Über- und Soldatenräte erhobenen Forderung, „den Leben. (Weiter Seite 8) T der ihm die Ächtung der SPD-Mehr- ber 1918 hinter Gittern. „Der wahnwitzige Gedanke, dass Deutschland gang zur Republik mit großen Änderungen großkapitalistischen industriellen Meinungs- heit im Reichstag und mehr als Anfang 1919 beteiligte er sich an den Krieg fortsetzen müsse, wird im Großen verbunden. Am Tag der verkündeten Abdan- fabriken Beschränkungen ihres ökonomischen zwei Jahre Zuchthaus eintrug. der Gründung der KPD sowie am Hauptquartier immer noch aufrechterhalten. kung des Kaisers und der Bestellung von Fried- Übergewichts“ aufzuerlegen. Im Januarauf- Geboren 1871 als Sohn des SPD- Berliner Spartakus-Aufstand. Ge- Die Forderungen des Proletariats sind: Nicht rich Ebert (SPD) zum Reichskanzler am stand 1919 wurde Berlins Zeitungsviertel er- Mitbegründers Wilhelm Liebknecht meinsam mit Rosa Luxemburg wur- Fortsetzung des Krieges – sofortiger Frieden. 9. November 1918 besetzten Revolutionäre neut besetzt. Truppen von Gustav Noske zer- in Leipzig, studierte Karl von 1890 de er am 15. Januar von Freikorps- Es lebe die sozialistische Republik.“ Immer Berlins Zeitungsviertel. Die Abendausgabe des schlugen aber den Aufstand. Das Blatt „Der Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden bis 1893 in seiner Geburtsstadt so- Soldaten ermordet. wid T mehr wurde nun in der liberalen und linken konservativen „Berliner Lokal-Anzeigers“ er- Montag“ verkündet am 13. Januar 1919 „Ber- Sie in unserem E-Paper Presse die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. schien als „Rote Fahne“ der Spartakusgruppe, lins Befreiung vom Spartakus“. Hans Krump T Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018 REVOLUTION 1918 7

m Reich nichts Neues – so oder iern und konservativer Industrie-Bourgeoi- ähnlich wäre einem oberflächlichen sie hatte sich zudem mit dem Dreiklassen- Beobachter wohl das Ergebnis der wahlrecht nach dem Steuerzensus im Wahl zur verfassunggebenden Na- mächtigen Bundesstaat Preußen ein Boll- tionalversammlung erschienen, das werk geschaffen, das erst im Zuge der Revo- drei Tage nach dem Urnengang vom lution von 1918 geschleift wurde. Denn im I19. Januar 1919 einigermaßen feststand. Sieg der Demokratie Bundesrat, der Länderkammer, besaß das Seit der letzten Reichstagswahl vom Januar Land Preußen eine Sperrminorität. 1912 waren die Stimmenverhältnisse fast Es ist eine tragische Ironie der Geschichte, unverändert geblieben, als hätte es keinen NATIONALVERSAMMLUNG Bei der Wahl vom 19. Januar 1919 stimmten mehr dass die Führung der SPD sich von der Par- verlorenen Weltkrieg, keine Revolution, lamentarisierung des Reiches den Durch- keinen Kaisersturz, keinen Bürgerkrieg, kei- als 75 Prozent für Parteien, die die neue Ordnung bejahten bruch der Demokratie erhoffte, mit Partei- ne Veränderung des Wahlrechts und kei- en, die gar nicht darauf vorbereitet waren, nen umstürzenden Wandel der Wahlbe- den gewachsenen Aufgaben nachzukom- rechtigten gegeben. Mehr als drei Viertel men. Auf jeden Fall verzichtete die SPD- aller Stimmen entfielen auf Parteien, die Führung darauf, maßgeblichen Einfluss auf die neue Ordnung bejahten. die künftige Verfassung zu nehmen, son- Triumphaler hätte der Durchbruch der par- dern überließ es dem linksliberalen Staats- lamentarischen Demokratie in Deutsch- rechtler Hugo Preuß, die rechtlichen land kaum geraten können. Vergeben und Grundlagen der Republik zu formulieren. vergessen schienen die zwei Millionen Ge- Der Mitbegründer der DDP, der im No- fallenen, die 2,7 Millionen Versehrten des vember 1918 zum Staatssekretär des Inne- Weltkriegs, die Millionen, die an der Hei- ren berufen worden war, zählte zudem zu matfront verhungert oder in Not gestürzt den bürgerlichen Fachleuten, mit denen worden waren, das Verschwinden von Dy- der Schulterschluss wesentlich leichter fiel nastien, die über Jahrhunderte hinweg den als mit den Sozialisten auf der Linken, die Takt in den deutschen Ländern vorgegeben einer radikalen Umgestaltung der Gesell- hatten, die tönenden Hoffnungen und ver- schaft das Wort redeten. geblichen Opfer und – vor allem – der in Nicht einmal der zentralistische Staatsauf- den vergangenen Wochen nicht selten mit bau, den Preuß in seinem ersten Entwurf Waffengewalt ausgetragene Streit, ob der durchaus im Einklang mit der SPD-Füh- neue Staat eine demokratische Republik rung vorgeschlagen hatte und der die Ni- oder ein sozialistisches Räteregime sein vellierung Preußens bedeutet hätte, konnte sollte. Die politischen Kräfte, die auf die sich durchsetzen. Nicht nur protestierte Demokratie setzten, hatten bei der Wahl Bayern gegen eine Erosion der Länderbe- mit überwältigender Mehrheit gesiegt. fugnisse, sondern auch die mehrheitlich Der große Gewinner war die SPD. Sie von SPD und USPD gestellten Regierungen konnte bei reinem Verhältniswahlrecht ih- in anderen Gliedstaaten erhoben massiven ren Stimmenanteil mit 37,9 Prozent im Widerspruch. Vergleich zu 1912 um 3,1 Prozent steigern. Zweitstärkste Kraft wurde mit 19,7 Prozent Grundsatzentscheidungen Anstatt nun (1912: 16,4) das katholische Zentrum, das eine grundsätzliche Diskussion zu eröff- unter dem Namen Christliche Volkspartei nen, setzte man auf eine Beschleunigung einen eher zaghaften Ausbruch aus dem des Verfahrens. Bereits am 8. Februar, zwei konfessionellen Korsett versucht hatte. Tage, nachdem die Nationalversammlung Auch andere Parteien des Kaiserreichs sig- in Weimar erstmals zusammengekommen nalisierten durch Umetikettierungen einen war, legte Preuß den Entwurf für das „Ge- Neuanfang. Die Deutsche Demokratische setz über die vorläufige Reichsgewalt“ vor. Partei (DDP) als Nachfolgerin der Fort- Mit ihm sollten die verfassungsrechtlichen schrittlichen Volkspartei gewann 18,5 Pro- Rahmenbedingungen für die weitere Arbeit zent (12,3). Damit etablierte sie sich als festgezurrt werden. Bereits am 10. Februar führende Kraft des liberalen Bürgertums wurde das gerade einmal zehn Paragrafen deutlich vor der Deutschen Volkspartei umfassende Gesetz ohne große Debatte (DVP), die im Kern der Nationalliberalen verabschiedet. Partei des Kaiserreichs folgte und nur Damit waren zwei Grundsatzentscheidun- 4,4 Prozent (13,6) der Stimmen erzielte. gen getroffen: Die Republik würde kein Mit 10,3 Prozent konnte die Deutschnatio- Einheitsstaat werden. Über einen „Staaten- nale Volkspartei (DNVP) als Sammelbe- ausschuss“ wurde den „Freistaaten“ wichti- cken der Konservativen in etwa die Stim- ge Mitspracherechte eingeräumt. Er sollte menzahl halten, die Deutschkonservative zum Vorläufer des „Reichsrats“ werden. Partei und Deutsche Reichspartei 1912 auf Und die Führung der „Geschäfte des sich vereinigt hatten (8,5 / 3,0). Regional Reichs“ wurden dem „Reichspräsidenten“ gebundene Parteien wie die Bayerische anvertraut, dem zudem die Berufung der Bauernpartei oder die Deutsch-Hannover- Reichsregierung oblag. Der später in die sche Partei blieben unter ferner liefen, zo- Verfassung eingeschriebene Dualismus von gen aber wegen des Fehlens einer Fünfpro- Parlament und Präsident schien bereits auf zent-Hürde in die Nationalversammlung und sollte sich denn auch bis 1933 als ein. dauerhaft erweisen. Unter dem Druck, angesichts von Demobi- Staatspartei SPD Auch wenn manche in lisierung, Versorgungskrisen, sozialen Ver- der SPD auf die absolute Mehrheit gehofft werfungen und den Angriffen von links hatten, bedeutete das Ergebnis einen ein- Nach seiner Wahl zum ersten Reichspräsidenten am 11. Februar 1919 hält Friedrich Ebert (SPD) eine Rede auf dem Balkon des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, in dem die und rechts vor dem Abschluss der Frie- drucksvollen Sieg. In der Rückschau war es Nationalversammlung tagte. © picture-alliance/akg-images densverhandlungen mit den Siegermäch- das beste Resultat, das eine Partei über- ten handlungsfähig zu werden, verzichtete haupt bei Reichstagswahlen in der Weima- die „Weimarer Koalition“ auf eine detail- rer Republik erzielen konnte. Damit stieg beteiligt hätte. Stattdessen setzte die im Ja- So war auch das wichtigste Ergebnis der profitierte wenig davon. Viele Frauen ga- Rückgriff auf traditionelle „Gesinnungsge- lierte Prüfung des Gesetzes. Einen Tag spä- just die politische Kraft, die von den Eliten nuar von Spartakusbund und „Bremer Wahl zur Nationalversammlung, dass es zu ben bürgerlichen bis konservativen Partei- meinschaften“ nahe, als die die deutschen ter, am 11. Februar, wählte die Nationalver- des Kaiserreichs in fortwährender Opposi- Linksradikalen“ gegründete Partei weiterhin einer Koalition aus SPD und bürgerlich-de- en ihre Stimme, in katholischen Regionen Parteien seit 1848 beschrieben werden: „Je- sammlung Friedrich Ebert, den Vorsitzen- tion gehalten worden war, zur „eigentli- auf den bewaffneten Aufstand des Proletari- mokratischen Parteien keine Alternative dem Zentrum. Dafür gelang es der SPD, de Partei hält sich selbst für den Sachwalter den der SPD, zum Reichspräsidenten. chen Staatspartei der Republik“ auf, wie es ats nach dem Vorbild der Bolschewiki, was gab. Die „Weimarer Koalition“ aus SPD, die Landarbeiter Ostelbiens für sich zu des Ganzen, erhebt einen ans Religiöse Noch am gleichen Tag erhielt Philipp „Vorwärts“-Chefredakteur Friedrich Stamp- die SPD den Bürgerlichen geradezu in die Zentrum und DDP/DVP formierte sich, je- mobilisieren. Erstaunlich ist auch, dass das streifenden Anspruch auf Allgemeingültig- Scheidemann den Auftrag zur Bildung ei- fer beschrieb. Arme trieb. Bereits den „Ja- ne Kräfte, die bereits in der Gros der heimkehrenden keit und verspricht ihrer nes Kabinetts, das am 13. Februar ernannt Das Wahlergebnis löste das größte Pro- nuaraufstand“ in Berlin ließ Endphase des Kaiserreichs Soldaten für demokrati- Anhängerschaft, eher Kir- wurde. blem, vor dem die SPD-Führung um Fried- der Rat der Volksbeauftrag- dessen Parlamentarisierung sche Parteien votierte. Na- che als Interessenvertretung Als Eberts Wahl mit 277 von 379 Stimmen rich Ebert und Philipp Scheidemann stand: ten mit Freikorps unter Füh- Angesichts der vorangetrieben hatten. tionalistische und völki- Auf die zu sein“, hat es der Histori- verkündet wurde, saß Theodor Wolff, Wie sollte das Verhältnis zu den beiden an- rung kaiserlicher Offiziere Brüche und Dafür stand auch die we- sche Gruppierungen am gewachsenen ker Hagen Schulze formu- Chefredakteur des „Berliner Tageblatts“, im deren sozialistischen Arbeiterparteien ge- niederschlagen. Die Ermor- sentlich verbreiterte Legiti- äußersten rechten Rand liert. Saal. Er beschrieb das „kraftvolle Gelöbnis“ staltet werden? Zusammen mit der USPD, dung der KP-Führer Karl Gräben bot mationsbasis der National- sollten sich erst später for- Aufgaben Im konstitutionellen Mo- des Gewählten, „und als er mit einem die nur 7,6 Prozent der Stimmen erhalten Liebknecht und Rosa Lu- das Wahl- versammlung. Zwar war mieren, dann aber sehr waren narchismus des Kaiserreichs Hoch auf Volk und Vaterland endete, ju- hatte, wäre allenfalls die Bildung einer xemburg durch Angehörige die Wahlbeteiligung gegen- schnell mit ihren Deu- wurden derartige Weltan- belte fast die ganze Nationalversamm- Minderheitsregierung möglich gewesen. der Garde-Schützen-Kavalle- ergebnis eine über 1912 mit 83 Prozent tungsmustern von Nieder- die Parteien schauungsparteien konser- lung“. Fast, denn rund 40 Abgeordnete der Nur in zwei der 37 Großwahlkreise, in rie-Division hatte zwar al- erstaunliche (1912: 85) fast gleich ge- lage und Not zu wählbaren gar nicht viert. Statt im Rahmen ei- Koalition hatten ihm die Stimme verwei- Merseburg und in Westsachsen um Leipzig, lenthalben für Empörung blieben. Aber statt Alternativen aufsteigen. nes parlamentarischen Sys- gert. Viele Parlamentarier wurden die konnte sich ihre linke Abspaltung vor der gesorgt und die Gräben in- Kontinuität. 12,2 Millionen Männern Gleichwohl bot das Wahl- vorbereitet. tems praktische Politik und Schatten der Vergangenheit nicht los. Auch SPD platzieren. In Bremen, wo die USPD nerhalb der Arbeiterschaft ab 25 Jahren waren nach ergebnis eine Kontinuität, damit Machtwillen und Wolff stellte über die vorläufige Verfassung kurz zuvor mit linksradikalen Gruppen ei- vertieft. Aber die Gewaltta- dem Wahlgesetz vom 30. die angesichts der Brüche Kompromissfähigkeit im ernüchtert fest, dass sie „stets vom Reiche ne Räterepublik proklamiert hatte, wurde ten beförderten in weiten Kreisen des Bür- November 1918 nun bereits die 20-Jähri- und Gräben in der deutschen Gesellschaft Sinne des Gemeinwohls einzuüben, ver- und vom Reichspräsidenten“ spreche. „Das sie mit knapp 19 gegenüber 41,5 Prozent gertums auch die Angst vor einer bolsche- gen zur geheimen und gleichen Wahl auf- erstaunlich anmutet. Ein Grund mag aus- harrten sie weiterhin als Interessenvertreter Wort ,Republik‘“, konstatierte Wolff, ent- für die SPD geradezu abgestraft. wistischen Revolution und ihren Folgen, die gerufen, Männer und Frauen, knapp 36,8 gerechnet das allgegenwärtige Gefühl der fest umrissener Gruppen, die das Regieren halte sie nicht. Berthold Seewald T Das wäre der KPD vermutlich auch passiert, Hunderttausende deutscher Soldaten bei ih- Millionen insgesamt. Doch die SPD, der Heimatlosigkeit gewesen sein. Wo allent- Vertretern der alten Elite und der aus ihr wenn sie Rosa Luxemburgs Rat befolgt und rem Vormarsch im Osten 1918 aus eigener sich vor allem die Durchsetzung des Frau- halben Weltbilder, Gewissheiten, Loyalitä- rekrutierten Beamtenschaft überließen. Der Autor ist leitender Redakteur für sich an der Wahl zur Nationalversammlung Anschauung erlebt hatten. enwahlrechts verdankte (siehe Seite 11), ten und Familienbande zerbrachen, lag der Das Bündnis aus ostelbischen Großagrar- Kulturgeschichte bei der „Welt“.

Doch der Volksschulabsolvent, 1871 Friedrich in Heidelberg geboren und zum Die Dichter waren dran Sattler ausgebildet, wurde von ra- BAYERN Die Münchener Räterepublik währte nur kurz und endete mit einem Blutbad Ebert dikalen Linken und rechten Natio- nalisten gleichermaßen angefein- Ein Revolutionär sei er gewesen, mit dem Ernst Niekisch riefen im April 1919 die baye- dieser Freikorps übten in München eine ein- Der Kaiser dankte ab, Philipp Schei- det. Erstere hatten eine sozialisti- Staat zu machen war, so hat es der Publizist rische Räterepublik aus und erklärten die wöchige Terrorherrschaft aus, ihrem Ein- demann rief die Republik aus - und sche Revolution nach russischem Sebastian Haffner einmal beschrieben. Doch nach Wahlen gerade erst gebildete SPD-ge- marsch fielen 335 Zivilisten zum Opfer. Füh- plötzlich stand ausgerechnet der Vorbild angestrebt und sahen in Kurt Eisner, „ein Bilderbuch-Intellektueller führte Regierung für abgesetzt. In der Räte- renden Protagonisten der Räterepublik und SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert an Ebert nun einen Verräter der Arbei- mit Bart und Brille und Boheme-Allüren“ führung gaben pazifistisch gesinnte Intellek- Hunderte Sympathisanten oder vermeintli- der Spitze der Revolutionsregie- terklasse. Letztere diffamierten ihn blieb nur wenige Wochen Regisseur und tuelle wie Ernst Toller, Erich Mühsam und che Sympathisanten wurden von Freikorps- rung. Überzeugt davon, dass nur als Vaterlandsverräter. In einem Hauptdarsteller einer „Ein-Mann-Schau“ in Gustav Landauer den Ton an, nach einem verbänden ermordet, von Standgerichten eine verfassungsgebende Ver- Prozess, den ein Journalist gegen Bayern, das sich 1919 zu einem Zentrum des Putschversuch und permanenten Angriffen zum Tode oder zu langen Haftstrafen verur- sammlung zwischen der künftigen ihn anstrengte, stellte das Gericht Rätegeschehens entwickelt hatte. durch Freikorpsverbände übernahmen KPD- teilt. Die bürgerliche Rechtsregierung unter Staatsform – Monarchie oder Repu- 1924 fest, dass Ebert wegen seiner „Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt! Bay- Mitglieder wie Eugen Leviné und Max Levien Gustav von Kahr machte Bayern dann ab © picture-alliance/ullstein bild blik – entscheiden könne, hatte er Beteiligung am Munitionsarbeiter- ern ist fortan ein Freistaat!“ hatte Eisner, das Kommando: Beide stammten aus Russ- 1920 zu einer „Ordnungszelle“, der Freistaat bis zuletzt vergeblich versucht, den Bahnen zu lenken. Nach den Wah- streik im Januar 1918 Landesverrat einst Redakteur des „Vorwärts“ und Mitglied land, von rechts wurde die Angst vor einer wurde zu einem Rückzugsort für straffällig gewaltsamen Umbruch zu verhin- len am 19. Januar 1919 wählte die begangen habe. Der überzeugte der USPD, am 8. November im Münchner „russischen Bolschewisierung“ geschürt. gewordene Rechtsextremisten. ahe T dern. Doch Max von Baden über- seit dem 6. Februar in Weimar ta- Demokrat, gewillt seinen Ruf zu Mathäserbräu gerufen und nach der Wahl Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) be- gab Ebert eigenmächtig sein Amt – gende Nationalversammlung Ebert retten, zögerte daraufhin eine ärzt- durch Soldaten- und Arbeiterräte als Bayerns schloss Mitte April den Einsatz der Reich- und der Revolutionär wider Willens zum Reichspräsidenten der Weima- lich empfohlene Behandlung weit Ministerpräsident regiert. Kein Schuss war wehr, um dem „Karneval des Wahnsinns“ ein sah es fortan als seine Aufgabe an, rer Republik. Der wollte ein über- hinaus. Am 28. Februar 1925 starb gefallen bei dieser Revolution, doch nach der Ende zu setzen. Am 2. Mai 1919 unterlag die die Revolution schnellstmöglich zu partlicher Versöhner sein, ein Ebert 52-jährig an einer Blinddarm- Ermordung Eisners durch einen Rechtsradi- Räterepublik und ihre „rote Armee“ der Weiterführende Links zu den beenden und in parlamentarische Staatsoberhaupt aller Deutschen. entzündung. Johanna Metz T kalen im Februar 1919 geriet der Freistaat in Übermacht der „weißen Armee“ von 35.000 Themen dieser Seite finden einen Strudel der Gewalt. Revolutionäre wie Reichswehr- und Freikorpssoldaten. Teile Sie in unserem E-Paper 8 REVOLUTION 1918 Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

setz über die vorläufige Reichsgewalt vom CHRONIK 10. Februar 1919 nieder, das die wichtigsten Verfassungsorgane – mit dem Reichstag als 10.12.1918 Ebert begrüßt von der Front Kernelement des neuen parlamentarisch-de- heimkehrende Divisionen vor dem Bran- mokratischen Legitimationsprinzips – fest- denburger Tor mit den Worten: „Kein Feind schrieb. Die entscheidenden Verfassungsbe- hat euch überwunden.“ Die kriegsmüden ratungen fanden – ungeachtet dreier Lesun- Truppen laufen kurz darauf auseinander. gen mit der Schlussabstimmung am 31. Juli 1919 – nicht im öffentlichen Plenum der in 14.12. Rosa Luxemburg veröffentlicht das Weimar tagenden Nationalversammlung Programm des Spartakusbundes. statt, sondern hinter verschlossenen Türen im Verfassungsausschuss. Gegenüber Preuß‘ 16.12. In Berlin kommen Vertreter von Ar- Wunschvorstellungen kam es zu zwei wichti- beiter- und Soldatenräten aus ganz gen Änderungen: Entgegen seiner Forderung Deutschland zu einem Reichskongress zu- nach einem unitarischen Modell blieb es bei sammen, auf dem die MSPD eine breite einer föderativen Reichsstruktur, allerdings Mehrheit hat. Während der bis zum 21. De- mit einem höheren Grad an zentralen Befug- zember dauernden Beratungen votiert der nissen als im Kaiserreich. Außerdem forder- Kongress klar gegen die Schaffung eines ten schon die Volksbeauftragten in einer ers- Rätesystems und entscheidet sich für den ten Reaktion auf Preuß‘ Konzept die Einfüh- 19. Januar 1919 als Wahltermin für die Na- rung eines Grundrechteteils. Am Ende glie- tionalversammlung. Ferner bildet er einen derte sich die Verfassung in zwei Hauptab- „Zentralrat“, der die Regierung kontrollie- schnitte: „Aufbau und Aufgaben des Reichs“ ren soll. Ihm gehören nur MSPD-Vertreter sowie „Grundrechte und Grundpflichten der an, da die USPD die Wahl boykottiert. Deutschen“.

23./24.12. Im Dissens um Grundrechte Ganz ohne Streit Streit um die For- blieben die Verfassungsdebatten indes nicht, derung nach ei- wenngleich „herausragende politische Köp- nem Abzug der ur- fe“ fehlten, wie der Historiker Reinhard Rü- sprünglich zum rup kritisch bemerkte, und die Nationalver- Schutz der Regie- sammlung „unter einem deutlichen Mangel rung bestimmten an Ideen, Energie und Selbstbewusstsein“ Volksmarinedivisi- litt. Wenig kontrovers wurden in den Bera-

© picture-alliance/dpa on aus dem Berli- tungen die Fragen rund um Staatsform und Zerstörtes Portal ner Stadtschloss Staatsaufbau ausgetragen. Selbst die Kon- des Schlosses besetzen deren struktion eines starken Reichspräsidenten als Matrosen die eine Art „Ersatzkaiser“ und Gegengewicht zu Reichskanzlei, stellen die Regierung unter Die Republik feiert sich selbst: Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD, 5. von links) schreitet auf der Verfassungsfeier am 11. August 1922 mit Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum, einem nicht nur von Preuß befürchteten Arrest und nehmen Stadtkommandant Otto 4. von links) und General Hans von Seeckt (3. von links) eine Ehrenkompanie ab. © picture-alliance/akg-images „Parlaments-Absolutismus“ löste keinen Wels (MSPD) als Geisel, um zurückgehalte- durchdringenden Widerspruch aus. Das galt nen Sold einzufordern. Am Morgen des 24. sogar für den später so angeprangerten Not- Dezember veranlasst Ebert, das Schloss zu standsparagraphen 48. Für mehr Streit sorgte räumen, doch ein Angriff regierungstreuer der in der Tradition der Paulskirchen-Verfas- Truppen scheitert. Bei den „Weihnachts- sung von 1848 stehende Grundrechteteil. kämpfen“ sterben 56 Soldaten der Regie- Preuß hätte ihn gerne aus der Verfassung he- rungstruppen und elf Matrosen. rausgehalten, erkannte er darin doch zu Recht ein Einfallstor für Dissens. Hier rangen 28./29.12. Nach einer gemeinsamen Sit- Fixierung des Neuen die von Partikularinteressen getriebenen Par- zung von Regierung und Zentralrat treten teien am stärksten miteinander – zumal in die drei USDP-Volksbeauftragten Hugo diesen Passagen nicht nur Individual-, son- Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth VERFASSUNG Die Weimarer Konstitution blieb ohne dauerhafte Integrationskraft dern auch Gemeinschaftsrechte festgeschrie- aus Protest gegen Eberts Vorgehen aus der ben wurden. Am Ende fand sich darin, so Regierung aus; für sie rücken Gustav Noske Rürup, eine „Aneinanderreihung der unter- und Rudolf Wissell (beide MSPD) nach. er 11. August avancierte ab Kriegsniederlage und den als überaus hart ihrer Einhegung. Ihre tonangebenden Köpfe rerseits waren große Grundsatzdebatten im schiedlichsten Forderungen, ein Nebenei- 1921 zum Nationalfeiertag und ungerecht empfundenen Friedensbedin- waren insofern revolutionär, als sie den radi- Parlament nicht mehr zu führen, weil die nander von sozialistischen, liberalen, kon- 30.12. In Berlin beginnt der dreitägige der Weimarer Republik. gungen von Paris zu erkennen. Die Diskussi- kalen und doch auf Kontinuität basierenden wesentlichen Pfeiler der neuen Verfassung fessionellen und konservativen Normen und Gründungsparteitag der „Kommunistischen Zwei Jahre zuvor hatte an on über den Friedensschluss überlagerte die Systemwechsel von der konstitutionellen bereits eingeschlagen worden waren – nicht Zielvorstellungen“. Früh zeigte sich hier, dass Partei Deutschlands“ (KPD), zu der sich der jenem Tag Reichspräsident Verfassungsberatungen sowohl zeitlich als Monarchie hin zur parlamentarischen De- zuletzt die Staatsform der Republik und ihre es die Verfassung schwer hatte, eine allgemei- Spartakusbund und kleinere linksradikale Friedrich Ebert die neue auch emotional. Die Weigerung, dem Ver- mokratie forcierten, auf einen kompletten Verfasstheit als parlamentarische Demokra- ne Konsensbasis oberhalb der heterogenen Gruppen zusammenschließen. D„Verfassung des Deutschen Reichs“, die am sailler Vertrag zuzustimmen, führte zum gesellschaftlichen Umbau im Sinne marxisti- tie, aber auch die Reform des Wahlrechts, das Interessen der einzelnen Weltanschauungs- 14. August 1919 in Kraft trat, im thüringi- Ausscheiden der liberalen Deutschen Demo- scher Vorstellungen aber verzichteten. Ein nun auch Frauen mit einschloss. und Milieu-Parteien zu behaupten. 4.1.1919 Der Berliner Polizeipräsident Emil schen Schwarzburg unterzeichnet. So sehr kratischen Partei (DDP) aus der „Weimarer Signal in diese Richtung war der frühzeitige Die Parlamentarisierung des Reiches war Eichhorn (USPD) wird entlassen. Als Reakti- die Wahl des Verfassungstags auf eine den Koalition“ mit Sozialdemokraten und Zen- Rückgriff auf bürgerliche Expertise bei der 1918 schon vor der Novemberrevolution Viel Kritik Seit jeher stand die Weimarer Ver- on rufen Revolutionäre Obleute, USPD und Streit der politischen Lager überwölbende trum. So verabschiedete sich die eigentliche Verfassungsschöpfung. Schon am 15. No- weit vorangeschritten, als – im Rahmen der fassung in der Kritik. Hoben die einen ihren KPD für den nächsten Tag zu einer Massen- Verbundenheit mit der neu- Verfassungspartei, der auch vember 1918 betraute der Reichsverfassung von 1871 – Kompromisscharakter und innere Wider- demonstration in Berlin auf. en Verfassung zielte, so Preuß angehörte, aus der Re- Rat der Volksbeauftragten mit den „Oktoberreformen“ sprüchlichkeiten hervor, erkannten die ande- mangelte es ihr doch gerade gierung. Preuß als frisch gekürten der Wechsel von der konsti- ren darin – zumal nach Hitlers Machtüber- 5.1. Während der Großdemonstration wer- daran. Hat sich für das Für Hierin deutet sich ein weite- Staatssekretär des Reichsam- An ihrem tutionellen hin zur parla- nahme 1933 – durchweg eine Fehlkonstruk- den Pressegebäude – unter anderem des Grundgesetz der Bundesre- Verfasssungs- rer Grund dafür an, warum tes des Innern mit dieser modernen mentarischen Monarchie tion. Beklagt wurde zuvorderst der Dualis- sozialdemokratischen „Vorwärts“ – be- publik Deutschland mit der die Arbeit an der Verfassung Aufgabe. vollzogen wurde (siehe Seite mus zwischen einem demokratischen Parla- setzt. Ein Revolutionsausschuss unter Vor- Zeit die Rede von einem da- patriotismus vergleichsweise wenige poli- Preuß, dem Wort des Juris- Verfassungs- 4). Erst am 9. November mentarismus und einem zu autoritärer Herr- sitz von Karl Liebknecht (KPD) sowie je ei- ran geknüpften „Verfas- fehlte tische Energien freisetzte: Es ten Walter Jellinek nach der werk folgte dann die Revolution schaft neigenden Präsidentialismus. nes Vertreters von USPD und Revolutionä- sungspatriotismus“ einge- war eine im Kern bürgerliche „am weitesten links gerichte- im staatsrechtlichen Sinne, Das Motto der frühen Bundesrepublik ren Obleuten wird gebildet. bürgert, fehlte im Weimarer Weimar eine Verfassung, vorangetrieben te Staatsrechtslehrer des da- war die als Prinz Max von Baden ei- „Bonn ist nicht Weimar“ bezog sich nicht Fall ungeachtet der Wahl entsprechene indes von der nominell maligen Deutschlands“, be- Republik nicht genmächtig die Abdankung zuletzt auch auf die unterschiedlichen Ver- 6.1. Der Revolutionsausschuss erklärt den des Verfassungstags eine stärksten sozialistischen trachtete es als „Aufgabe des des Kaisers verkündete, das fassungen der beiden deutschen Demokra- Rat der Volksbeauftragten für abgesetzt. entsprechende Euphorie. Euphorie.« Kraft, den gemäßigten Sozi- Verfassungsentwurfs“, so gescheitert. Amt des Reichskanzlers in tien. Dabei war die Weimarer Republik nicht Die SPD ruft ihre Anhänger auf die Straßen Hugo Preuß, linksliberaler aldemokraten unter Fried- drückte er es Anfang 1919 Eberts Hände legte und an ihrem modernen Verfassungswerk ge- des Regierungsviertels. Der Rat der Volks- Staatsrechtslehrer und rich Ebert und Philipp Schei- aus, „den politischen und Scheidemann die Republik scheitert, sondern vorrangig daran, dass sein beauftragten beschließt die Schaffung Hauptautor der Weimarer Verfassung, hielt demann. Ihren Anhängern war nicht leicht staatsrechtlichen Niederschlag der Revoluti- ausrief. Ein Zurück zur Monarchie war un- Geist sich nur allzu selten in der gelebten loyaler militärischer Verbände, Noske über- sie für „nicht im Sonnenglanz des Glückes zu vermitteln, warum die neue Verfassung on festzulegen“. Diese Formulierung brachte denkbar geworden. In den folgenden Wo- Verfassungswirklichkeit niederschlug. Die nimmt den militärischen Oberbefehl: „Einer geboren“. Mochte sie der erste Präsident der nicht vorrangig an den Massen der Arbeiter- auf den Punkt, dass die durch das Verfas- chen rangen die Mehrheitssozialdemokraten Weimarer Verfassung darf insofern, wie es muss der Bluthund werden.“ Nationalversammlung und SPD-Minister bewegung ausgerichtet war, hatten sie doch sungswerk zu dokumentierenden Grundsatz- – letztlich erfolgreich – um die Schaffung ei- der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter nach ihrer Verabschiedung im wesentlich die Revolution im Herbst 1918 entscheidungen schon gefallen und nicht ner parlamentarischen, verfassungsstaatlich Grimm einmal ausdrückte, als „glücklos“, 8.1. Nach gescheiterten Verhandlungsver- Parlament am 31. Juli 1919 (mit 262 zu 75 vorangetragen. Wie ein Hintergrundrauschen erst in der Verfassunggebenden Nationalver- abgestützten Demokratie anstelle von Rä- aber nicht als von vornherein „missglückt“ suchen zwischen Regierung und Aufständi- Stimmen, bei 84 abwesenden Abgeordne- blieb in ihren Reihen der Satz präsent: „Re- sammlung auszuhandeln waren. Dies ent- teexperimenten, die sie in letzter Konse- gelten. Alexander Gallus T schen zeigt sich der Rat der Volksbeauf- ten) als die „demokratischste der Welt“ prei- publik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das sprach einer widersprüchlichen Lage: Die quenz für undemokratisch hielten und mit tragten in einem Aufruf entschlossen zur sen, so dominierte doch Skepsis. Ziel“. Mehrheitssozialdemokratie setzte ganz auf denen sie – im schlimmsten Fall – „russische Der Autor ist Professor für gewaltsamen Niederschlagung des Auf- Gedämpfte Leidenschaft prägte schon den Grob betrachtet, schlugen zwei Herzen in die Bildung einer Konstituante, die als de- Verhältnisse“ verbunden sahen. Politische Theorie und stands: „Gewalt kann nur mit Gewalt be- Prozess der Verfassungsgebung. Das hatte der Brust der Sozialdemokratie, die sowohl mokratisch legitimiertes Organ die Verfas- Dies schlug sich bereits im ersten Ideengeschichte an der kämpft werden.“ mehrere Ursachen. Die wichtigste war in der die Partei der Revolution war als auch jene sung hervorbringen sollte – einerseits. Ande- Preuß’schen Verfassungsentwurf und im Ge- Technischen Universität Chemnitz.

9.1. Der Revolutionsausschuss ruft zum Ge- neralstreik auf.

Sozialdemokrat seine Erinnerung an Die Lehren aus Weimar den 9. November beschrieben. Mit GRUNDGESETZ In wichtigen Punkten weicht unsere Verfassung von ihrer Vorgängerin ab der Ausrufung der Republik auf dem Balkon des Reichstatgs macht Bevor sich der Parlamentarische Rat am Staaten. Lediglich die „Allgemeine Erklä- Aufgrund schlechter Erfahrungen im Jahr er Geschichte: „Das alte Morsche ist 1. September 1948 in Bonn konstituierte, rung der Menschenrechte“, die am 10. De- 1929 entschied der Parlamentarische Rat, zusammengebrochen! Es lebe die um elf Monate später das „Grundgesetz für zember 1948 von der Generalversamm- Plebiszite vermeiden. Gestärkt wurde im deutsche Republik!“ die Bundesrepublik Deutschland“ zu ver- lung der Vereinten Nationen verkündet Vergleich zu Weimar die verfassungsrechtli- Scheidemann, geboren 1865 in einer

© picture-alliance/ZB abschieden, beriefen die westdeutschen worden war, fand lebhafte Beachtung bei che Stellung des Kanzlers, die des Staats- Handwerkerfamilie in Kassel, gelern- Regierungstruppen während des Januar- Ministerpräsidenten im August 1948 den der Ausarbeitung des Grundgesetzes. oberhauptes dagegen geschwächt. Auch die ter Schriftsetzer und Buchdrucker, Aufstandes 1919 in Berlin „Verfassungskonvent Herrenchiemsee“ ein. Die Grundrechte waren zwar schon in der Auflösung des Bundestages wurde er- später Redakteur sozialdemokrati- Hier erarbeiteten die Verfassungsexperten Weimarer Reichsverfassung als Staatsziele schwert. Denn es war ein struktureller Feh- scher Zeitungen, ist zwischen 1913 11.1. Regierungstruppen stürmen das „Vor- aus den deutschen Ländern in nur 13 Ta- bezeichnet worden. Doch dem Grundge- ler der Weimarer Verfassung, dass sich die und 1918 SPD-Fraktionschef und wird wärts“-Gebäude und die besetzten Presse- gen einen ersten Verfassungsentwurf, der setz zufolge stellen sie unmittelbar gelten- Nationalsozialisten auf scheinbar verfas- 1919 Reichsministerpräsident des © picture-alliance/dpa häuser. dem Parlamentarischen Rat bis zum Ab- des Recht dar, das die gesamte Staatsgewalt sungsrechtlich legale Weise den Weg in die Übergangskabinetts einer Koalition schluss seiner Arbeiten als Orientierungs- – einschließlich den Gesetzgeber – bindet. Diktatur gebahnt hatten. aus SPD, Zentrum und DDP. Zum Stol- 12.1. Mit der Stürmung des Polizeipräsidi- hilfe dienen sollte. Grundlage des Entwurfs Menschen- und Bürgerrechte wurden als „Bonn ist nicht Weimar“ lautete 1956 der Philipp perstein wird ihm die Ablehnung des ums durch Regierungstruppen endet der von Herrenchiemsee war die Weimarer Ver- einklagbare subjektive Rechte formuliert. Titel eines Buches, das die Bonner von der Versailler Vertrags: „Welche Hand Januar-Aufstand, bei dem insgesamt 165 fassung. Von ihr stammten viele wörtliche Die Grundrechte erhielten in Artikel 19 Weimarer Verfassungswirklichkeit ab- Scheidemann müsse nicht verdorren, die sich und Menschen ums Leben gekommen sind. Formulierungen bis hin zur Anreihung Absatz 2 des Grundgesetzes eine besondere grenzt. Eine Verfassung muss aber mit Le- uns diese Fessel legt?“ Als die Regie- und Zählung der einzelnen Artikel. Stärkung. Sie dürfen zwar geändert, aber ben gefüllt werden; und Demokratie findet „Scheidemann komm schnell, vom rung sich dem wohl Unvermeidlichen 13.1. Freikorps rücken in Berlin ein. Das überrascht auf den ersten Blick, denn nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet in Parlamenten statt. Dass die junge „Bon- Schlossbalkon aus redet Lieb- fügen muss, tritt er zurück. Wie längst waren bei Verfassungsrechtlern die werden. Ohnehin wurden Verfassungsän- ner Demokratie“ diese erfreuliche Entwick- knecht“, mit diesen Worten sollen kaum ein anderer wurde er als Ver- 15.1. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Schwächen der Weimarer Verfassung be- derungen an eine Zweidrittelmehrheit ge- lung nahm, war dem Grundgesetz, aber Arbeiter und Soldaten íhn zur Rede körperung der jungen Republik zur werden von Freikorpssoldaten verhaftet, kannt, die zum „Scheitern“ der Weimarer bunden und so grundsätzlich erschwert. auch der Geschäftsordnung und ihrer An- gedrängt haben. Es ist der 9. No- Hassfigur von Rechts- und Linksradi- misshandelt und ermordet. (Weiter S. 10) T Republik 1933 beitrugen. Doch die Exper- Eine Lehre aus der Parteiengeschichte der wendung im Bundestag geschuldet. Es dau- vember 1918, Aufruhr im Reich, kalen. Mit Glück überlebte er 1922 ten auf dem Verfassungskonvent Herren- Weimarer Republik war die verfassungsmä- erte bis 1960, dass Friedrich Karl Fromme Reichskanzler Prinz Max von Baden einen Mordanschlag der rechtsextre- chiemsee beabsichtigten, auch das zukünf- ßige Regelung, dass die politische Willens- die überraschende Feststellung formulieren hat die Abdankung des Kaisers er- men „Organisation Consul“. Die Na- tige Grundgesetz in die deutsche Verfas- bildung in den Parteien stattfinden sollte. konnte, dass das Grundgesetz nur „eine klärt, der Linksrevolutionär Karl zis entzogen 1933 dem von ihnen als sungstradition zu stellen, die mit der Na- Damit sollte dauerhaft die Bildung eines modifizierte Neubelebung“ der Weimarer Liebknecht will die Sowjetrepublik „Novemberverbrecher“ Verunglimp- tionalversammlung in der Frankfurter Einparteiensystems verhindert werden. Verfassung sei. Michael F. Feldkamp T ausrufen. „Deutschland eine russi- fen die Staatsbürgerschaft, Scheide- Paulskirche 1848/49 begann. Gleichzeitig wurde aber die Möglichkeit sche Provinz? Eine Sowjetfiliale? mann verstarb 1939 im Exil in Kopen- Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden So interessierte sich der Parlamentarische geschaffen, verfassungsfeindliche Parteien Der Autor arbeitet als Historiker in der Nein! Tausendmal nein!“, so hat der hagen. Alexander Heinrich T Sie in unserem E-Paper Rat kaum für die Verfassungen anderer zu verbieten. Verwaltung des Deutschen Bundestages. Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018 REVOLUTION 1918 9 »Paradoxe Revolution«

ANDREAS WIRSCHING Der ZUR PERSON Andreas Wirsching ist Direktor des Münchener Historiker über die Instituts für Zeitgeschichte, zu dessen Arbeitsschwerpunkten Diktaturen Unzufriedenheit der Revolutionäre im 20. Jahrhundert und Demokratien und ihr historisches Selbstverständnis von 1918 mit dem Verlauf und den gehören. Seit 2011 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Ergebnissen des Umsturzes Ludwig-Maximilians-Universität München.

Herr Professor Wirsching, Sie haben Haben Sie eine Erklärung dafür, wa- terns zu beschreiben. In den Vordergrund den 9. November 1918 einmal als „parado- rum eine solch offenkundige Verdrehung rücken seither Fragen nach den Potentialen xe Revolution“ bezeichnet. Was haben Sie der Tatsachen wie die Dolchstoßlegende und zukunftsweisenden Entwicklungen der damit gemeint? bei so vielen Zeitgenossen verfangen konn- Zwischenkriegszeit, die werdende Konsum- Dieses Schlüsseldatum der deutschen Ge- te? gesellschaft etwa, die Geschichte der Me- schichte ist paradox, weil keine bedeutende Die große Mehrheit der Deutschen war dien, Berlin als weltweit ausstrahlende Me- historische Kraft oder politische Strömung in 1918 überzeugt, einen Verteidigungskrieg zu tropole. Deutschland die Revolution in dieser Form führen und auch 1914 in einen solchen Ver- gewollt hat oder mit ihren Ergebnissen zu- teidigungskrieg gegangen zu sein. Das ist in- Und wie steht es um die öffentliche frieden gewesen ist. Am ehesten gilt das noch sofern paradox, als der Krieg nicht auf deut- Diskussion? für die Sozialdemokratie, die zu dieser Zeit schem Boden stattfand. Im März 1918 en- Lange Zeit hat Weimar als Negativfolie zur selbst mehrheitlich keine revolutionäre Par- dete der Krieg im Osten mit dem Frieden Selbstvergewisserung der alten Bundesrepu- tei mehr war. Die SPD mit Friedrich Ebert von Brest-Litowsk, der hochfliegende Hoff- blik gedient unter dem Postulat: Bonn darf und Philipp Scheidemann an der Spitze war nungen auf einen „Siegfrieden“ auch im nicht Weimar werden. Das gehörte zum evolutionistisch eingestellt, auf parlamenta- Westen weckte. Und innerhalb kürzester Kernbestand der politischen Bildung, hat rische Entwicklung hin orientiert. Ein revolu- Zeit wird den Deutschen dann im Herbst sich aber nach 1990 verflüchtigt. Heute, wo tionärer Bruch wie 1918 war von ihr nicht 1918 klar, dass dieser Krieg verloren zu ge- es neue Erfahrungen mit Regierungsbil- beabsichtigt. Die radikale Linke, also große hen droht und man einen Waffenstillstand dungskrisen in einem zunehmend schwieri- Teile der USPD und der Spartakusbund, be- bedingungslos zu akzeptieren habe. In sol- geren internationalen Umfeld gibt, kommen trachteten dagegen die Ergebnisse der Revo- chen Situationen neigen Menschen zu ein- gelegentliche Warnungen vor Weimarer Ver- lution als Verrat an den Interessen der Arbei- hältnissen wieder hoch. terbewegung. Die Träger der Revolution und diejenigen, die es hätten sein können, waren Kann man auf die Revolution von mit ihrem Verlauf nicht einverstanden. Und 1918 anders blicken als durch das Prisma das gilt natürlich erst recht für die Gegner der Republik, die sie schuf und die 1933 der Revolution, für die Vielzahl an monar- so fundamental scheiterte? chistisch eingestellten Bürgerlichen und Aris- Die SPD mit Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann Die Ausrufung der Republik markierte 1918 tokraten. an der Spitze war mehrheitlich keine revolutionäre das Ende des Kaiserreichs und das Ende ei- ner tausendjährigen monarchischen Ge- Das Deutsche Reich war 1918 nach vier Partei mehr, sondern evolutionistisch eingestellt, auf schichte in Deutschland. Insofern kann man Jahren Krieg und sich abzeichnender Nie- das Datum des 9. November natürlich nicht derlage ein ausgezehrtes Land. Wie erklärt parlamentarische Entwicklung hin orientiert. von der dann entstehenden Republik tren- sich dieser plötzliche revolutionäre nen. Man sollte aber nicht immer nur durch Schwung? die Brille von 1933 schauen. Andreas Wirsching Die Unzufriedenheit war schon länger greif- bar, vor allem nachdem ab 1916 die Versor- Können Sie dafür ein Beispiel geben? gungslage schlechter wurde und die Schlan- Der sozialpolitische Ehrgeiz war in der Wei- gen vor den Lebensmittelgeschäften wuchsen. marer Zeit zum Beispiel erheblich. Das ist In den letzten Kriegsmonaten wurde Kaiser fachen Erklärungen des eigentlich Unerklär- teils eine Fortsetzung der Bismarckschen So- Wilhelm II. zunehmend als Friedenshinder- lichen und die vermeintlich einfachste Er- zialpolitik, nun aber nicht mehr im Sinne nis wahrgenommen und so richtete sich der klärung war die Dolchstoßlegende, nach der von Zuckerbrot und Peitsche gegenüber den Unmut auch gegen das monarchische Ober- Sozialdemokraten und Juden im Inneren Sozialisten, sondern im Sinne von sozialen haupt. Eine Rolle spielte außerdem eine die Niederlage herbeigeführt hätten. Diese Grundrechten, die in der Weimarer Reichs- grundsätzliche Unzufriedenheit mit der Re- Behauptung, mit der sich die Oberste Hee- verfassung verbrieft sind. Das ist ein großer formunfähigkeit des Kaiserreiches, sichtbar resleitung auch von ihrer Mitverantwortung Fortschritt, der in Form von Arbeitslosenver- etwa am Dreiklassenwahlrecht in Preußen, für die Kriegsniederlage reinwaschen wollte, sicherung, staatlicher Fürsorge, in der Sozial- dessen Abschaffung viele gefordert hatten ist eine sehr schwere Hypothek für die Wei- Andreas Wirsching © picture-alliance/Matthias Balk/dpa partnerschaft und in Form des Acht-Stun- und das erst im Zuge der Oktoberreformen marer Republik gewesen. Auch die weitver- den-Tags Gestalt annahm. Die Weimarer Re- 1918 fiel. Es ist ein Beispiel, das zeigt, wie breitete Vorstellung, man sei „im Felde un- publik war allerdings auch ein überforderter schwer es diesem Kaiserreich fiel, sich parla- besiegt“ geblieben und hätte den Krieg Aus Sicht der SPD-Führung stand das wie das der Historiker Heinrich August ner revolutionären Politik der Rechtsbrüche Sozialstaat, der Ansprüche und Erwartungen mentarisch und demokratisch zu öffnen. dank der stärkeren Bataillone gewinnen Land 1918/19 vor der Wahl zwischen Bol- Winkler einmal beschrieben hat? entschieden hätten. weckte, die er am Ende nicht erfüllen konn- können, war mit Blick auf den Kriegseintritt schewismus oder parlamentarischer Demo- Die These, es hätte gerade mit den Räten ein te. Auch das gehört zur Geschichte des Gelegentlich ist die Rede von einer ver- der USA eine Illusion. kratie und der Preis für die letztere sei letztlich nicht ausgeschöpftes Potential zur Warum ist der 9. November 1918 im Scheiterns. Schließlich bleibt die Weimarer späteten oder gar überflüssigen Revoluti- der Pakt mit den alten Eliten. Wie hat die Demokratisierung und Entmachtung der al- Gedächtnis der Deutschen so schwach ver- Republik natürlich bei aller differenzieren- on. Was ist damit gemeint? Friedrich Ebert hasste die Revolution Wissenschaft diese These beurteilt? ten, antidemokratisch eingestellten Eliten ankert? den Betrachtung immer auch ein Menetekel Die Verfassungsänderung, die das Reich zu „wie die Sünde“, Gustav Noske ließ als Das war bis in die 1960er Jahre die herr- gegeben, ist auch von anderen Autoren ver- 1918 und die Weimarer Republik sind durch für das Aufkommen selbstzerstörerischer einer parlamentarischen Monarchie machen „Bluthund“ auf Aufständische schießen. schende Meinung in der Geschichtsschrei- treten worden, insbesondere von Arthur Ro- die Verbrechen des Nationalsozialismus er- Kräfte in einer Demokratie und die Ausliefe- sollte, kam viel zu spät. Das hat man im Ok- Gab es ein Misstrauen führender Sozialde- bung. Zu nennen wäre hier etwa Karl Die- senberg, dem ersten Geschichtsschreiber der innerungspolitisch stark überlagert. Hinzu rung an eine verbrecherische Diktatur. Man tober 1918 gewissermaßen per Dekret von mokraten gegenüber dem Treiben der Ar- trich Erdmann, der das Kapitel zur Weimarer Weimarer Republik. Die Frage ist aber be- kommt, dass es eigentlich keine politische kann das Jahr 1933 nicht verschwinden las- oben versucht durchzusetzen. Der Impuls beiter- und Soldatenräte? Republik im „Gebhardt“ verfasst hatte, dem rechtigt, ob das sehr legalistische Vorgehen Kraft in Deutschland gibt, die sich völlig un- sen. kam von der Obersten Heeresleitung, von Es gab bei der Mehrheits-SPD die große Handbuch der deutschen Geschichte. Im der SPD und des Rates der Volksbeauftrag- zweideutig dieser Revolution angenommen Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, Sorge, dass es nach dem Vorbild der russi- Grunde handelt es sich um eine Fortschrei- ten nach dem Ausscheiden der USPD im hätte. Am ehesten trifft das tatsächlich auf Welches sind die größten Errungen- und zwar erst im Angesicht der drohenden schen Oktoberrevolution eine Sowjetisie- bung der Selbstwahrnehmung der Sozialde- Dezember 1918 zu wenig integrativ nach die SPD zu. Sie hat versucht, die Erinnerung schaften der Revolution von 1918? Kriegsniederlage. Man wollte Deutschland rung Deutschlands geben könnte. Außer- mokratie. Die Forschung ab den 1960er Jah- links gewirkt hat. an 1918 hochzuhalten, zum Beispiel mit der Der Durchbruch der Demokratie, die insbesondere gegenüber US-Präsident Woo- dem wollten die Sozialdemokraten nicht ren mit Eberhard Kolb, Peter von Oertzen Namensgebung für die Friedrich-Ebert-Stif- Grundrechte in der Verfassung, ein Schub in drow Wilson als ein demokratisches Land die Machtausübung einer Minderheit in- und Reinhart Rürup hat diese Lesart wider- Zu welcher Antwort gelangen Sie? tung oder dem Eintreten für die Gedenkstät- der Sozialstaatlichkeit und wenn man das darstellen, um bessere Bedingungen für Frie- stitutionalisieren, sondern mit freien und legt, weil sie nachweisen konnte, dass die Ich habe Zweifel, ob der Handlungsspiel- te in Eberts Geburtshaus in Heidelberg. zusammenfassen möchte: der Durchbruch densverhandlungen zu erreichen. Das war gleichen Wahlen zu einer Nationalver- Räte überwiegend demokratisch gesinnt wa- raum so groß war. Es ist richtig, der Rat der der kulturellen Moderne. dieselbe Heeresleitung, die sich innenpoliti- sammlung den Übergang zu einer parla- ren und in ihnen jedenfalls keine Parteibol- Volksbeauftragten hat sich festgelegt, dass Ist der Blick auf 1918 noch immer von schen Reformen während des Krieges strikt mentarischen Demokratie gestalten. Seit schewisten Leninscher Prägung wirkten. die Pensionen der Beamten sicher sein soll- dem heimlichen Wunsch gelenkt, Weimar Das Gespräch führte Alexander Heinrich. T verweigert hatte. Wenn die Oktoberreformen sich die SPD 1914 über die Frage der Be- ten. Aber man stelle sich vor, er hätte das nicht scheitern zu lassen und der deut- Zeit gehabt hätten, integrativ zu wirken, willigung von Kriegskrediten zerstritten Von Kurt Tucholsky ist der Satz über- nicht getan. Die Gegenrevolution war ja prä- schen Geschichte im 20. Jahrhundert we- wenn sich ein neuer Reichstag hätte konstitu- und später gespalten hatte, gab es eine liefert, eine Revolution, die von Pensions- sent, sie drückte sich später im Kapp-Lütt- nigstens gedanklich einen glücklicheren ieren können, dann hätte gelingen können, starke Agitation von links, die diesen evo- ansprüchen der Beamten des alten Systems witz-Putsch und anderen Putschversuchen Verlauf zu eröffnen? was schließlich durch die Revolution 1918 lutionären Weg diskreditierte, weil er letzt- spricht, gehöre ausgelacht. Hat die SPD- aus, auch im gewaltsamen Vorgehen vieler Die Forschung hat sich spätestens seit den Weiterführende Links zu den erreicht wurde: der Übergang zu Demokratie lich nur die Herrschaft des Kapitals stabili- Führung aus Sorge vor einem Bürgerkrieg Freikorps. All das hätte sich verschärft, wenn 1990er Jahren weitgehend davon gelöst, Themen dieser Seite finden und Parlamentarismus. siere. zu viel bewahrt und zu wenig verändert, sich die Sozialdemokraten für den Weg ei- Weimar vor allem als Geschichte des Schei- Sie in unserem E-Paper 10 REVOLUTION 1918 Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

CHRONIK

19.1.1919 Wahl der Verfassunggebenden Nationalversammlung. Erstmals haben auch Frauen das volle aktive und passive Wahlrecht. Wahlberechtigt sind alle Deut- schen, die das 20. Lebensjahr vollendet ha- ben – knapp 37 Millionen; die Wahlbeteili- gung liegt bei 83 Prozent. Mit 37,9 Prozent geht die MSPD als stärkste Kraft aus der Wahl hervor und bildet mit dem Zentrum, das auf 19,7 Prozent kommt, und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP, 18,6 Prozent) eine Koalition, die über eine Dreiviertel-Mehrheit (76,2 Prozent) verfügt. Die USPD erreicht 7,6 Prozent der Stimmen; die KPD nahm nicht an der Wahl teil. © picture-alliance/ullstein bild Wahllokal in Berlin am 19. Januar 1919

6.2. Die Nationalversammlung mit ihren 423 Abgeordneten kommt im Deutschen Nationaltheater im politisch ruhigen Wei- Die Dolchstoßlegende hat sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs noch lange gehalten, hier illustriert auf einem Wahlplakat der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) von 1924. © picture-alliance/akg-images mar zu ihrer Konstituierenden Sitzung zu- sammen.

10.2. Die Abgeordneten verabschieden das „Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt“, das die Regierungsgewalt bis zum Inkraft- treten der neuen Verfassung regelt. Im Pa- ragraf 1 heißt es: „Die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung hat die Legende vom Dolchstoß Aufgabe, die künftige Reichsverfassung so- wie auch sonstige dringende Reichsgesetze zu beschließen.“ SCHULDFRAGEN Verschwörungstheorien fielen nach der Kriegsniederlage auf fruchtbaren Boden

11.2. Die Nationalversammlung wählt Friedrich Ebert mit 73,1 Prozent der Stim- m 29. September 1918 for- unter der alliierten Hungerblockade litt und Legende vom Dolchstoß als innenpolitische argumentatives Material, das die Generalität unabhängigen „Militär-Siedler-Staat“ zu grün- men zum Reichspräsidenten. derte der faktische Oberbe- die Presse ausführlich über die Rückzüge an Waffe. So beschloss die Führung des rechtsra- in der folgenden Zeit umfassend nutzte. den, war die Dolchstoßlegende eine Tatsache. fehlshaber der deutschen Ar- der Westfront berichtete, schien weiterer Wi- dikalen Alldeutschen Verbandes bereits vor Für diese Veteranen, von denen viele nach der 13.2. Philipp Scheidemann wird Reichsmi- mee, General Erich Luden- derstand zumindest möglich zu sein. Für viele dem Waffenstillstand, einen Judenausschuss Integratives Motiv Im November 1919 ver- Auflösung der Freikorps 1919/20 in die Illega- nisterpräsident; er tritt am 20. Juni zurück, dorff, die Regierung in Berlin Menschen in der Heimat kam das Gesuch einzusetzen. Dieser hatte die Aufgabe, die Ju- wendete Hindenburg diese Version der OHL lität abtauchten, war der Weltkrieg noch nicht um nicht den Versailler Friedensvertrag un- ultimativ auf, ein Waffen- nach Waffenstillstand deshalb völlig überra- den für die Niederlage, die sich abzeichnete, in etwas abgewandelter Form vor dem Unter- vorbei. Vor einer Erneuerung des Waffengan- terzeichnen zu müssen. Hugo Preuß (DDP) stillstandsgesuchA an die Entente zu senden. schend. Krisen hatte es in diesem Krieg häufig verantwortlich zu machen. suchungsausschuss der Nationalversammlung. ges musste aber zunächst die Republik, die als übernimmt das Amt des Reichsinnenminis- Zugleich warb er dafür, die Regierung auf eine gegeben, doch stets war es gelungen, die Lage Das Weltbild der Alldeutschen war zutiefst Das deutsche Heer sei „im Felde unbesiegt“ schwächlich und zu nachgiebig gegenüber der ters. Reichswehrminister ist Gustav Noske. parlamentarische Basis zu stellen. Zu diesem wieder zu stabilisieren. Entscheidend für die durch einen radikalen biologischen Rassismus geblieben, aber von oppositionellen Revolu- Entente angesehen wurde, beseitigt werden. Matthias Erzberger bleibt als Minister ohne Zeitpunkt war der Obersten Heeresleitung spätere Rezeption der Dolchstoßlegende war, und Sozialdarwinismus geprägt. Der neu ge- tionären in der Heimat „von hinten erdolcht“ Vor allem die terroristische „Organisation Geschäftsbereich weiterhin mit den Frie- (3. OHL) klar, dass die strategische und opera- dass einem großen Teil der zivilen Bevölke- gründete Deutschvölkische Schutz- und Trutz- worden. Die neu gegründete Deutschnationa- Consul“, die auf der Brigade Ehrhardt basierte, densverhandlungen betraut. tive Situation der Mittelmächte hoffnungslos rung die unmittelbare Erfah- bund überschwemmte in den le Volkspartei (DNVP), die seit 1919 eine hete- baute in München ein umfangreiches konspi- waren. Am 1. Oktober sagte Ludendorff dann rung der Niederlage fehlte. folgenden Jahren das Reich rogene Sammlungsbewegung rechter, rechtsra- ratives Netz auf, das von der bayerischen Re- 16.2. In Österreich findet die Wahl der Kon- mit Blick auf die demokratischen Parteien, sie Dies stellte einen wichtigen mit primitivster antisemiti- dikaler, völkischer und monarchistischer Krei- gierung und der Polizei teilweise geduldet, stituierenden Nationalversammlung statt, sollten „die Suppe jetzt essen, die sie uns ein- Unterschied zum Ende des Für viele scher Hetz- und Hasspropa- se war, übernahm die Dolchstoßlegende. teilweise auch offen gefördert wurde. die unter anderem eine parlamentarische gebrockt haben“. Die ältere Literatur nimmt Zweiten Weltkrieges dar. ganda. Diese traf bei den Un- In mehreren Wahlkämpfen (vor allem 1924) Bundesverfassung beschließen wird. Auch an, dass der General damit den Keim für die Im Moment des Zusammen- Menschen terschichten und den unteren konnte sie mit einer aggressiven und offensi- Der Feind steht rechts Die Attentate auf Phi- hier können erstmals Frauen das volle sogenannte Dolchstoßlegende gelegt habe. Al- bruches waren verschiedene kam der Mittelschichten, die ökono- ven Propaganda diese unterschiedlichen poli- lipp Scheidemann (SPD), Erzberger und Wal- Wahlrecht ausüben. lerdings zeigt eine detaillierte Betrachtung, Versionen der Dolchstoßle- misch unter der beginnenden tischen und sozialen Submilieus an sich bin- ther Rathenau (DDP) wurden von Aktivisten dass die Angelegenheit komplizierter ist. Ers- gende bereits weit verbreitet. Waffenstill- Hyperinflation besonders lit- den. Auch andere rechtsextremistische Kreise dieser Organisation geplant und ausgeführt. 21.2. Kurt Eisner wird in München auf dem tens hat es in der Geschichte wohl keinen Ihre Vorgeschichten gehen bis stand völlig ten, auf erhebliche Resonanz. nutzten den Mythos vom Dolchstoß gegen die Der Mord an Erzberger wurde in weiten Teilen Weg zur konstituierenden Sitzung des neu- Oberbefehlshaber gegeben, der nach einem in den Sommer 1917 zurück, Dieser Bund hatte zeitweise Novemberrevolution und die Weimarer Repu- des nationalen Bürgertums begrüßt, weil er en Landtages, auf der er nach der verhee- verlorenen Krieg die Verantwortung bei sich als mehrere Ereignisse die überraschend. etwa 400.000 Mitglieder, be- blik, was den Aufstieg und Erfolg der Natio- 1917 die Friedensresolution initiiert, 1918 den renden Wahlniederlage der USPD vom 12. gesucht hätte – schuld waren fast immer ande- zerstrittene deutsche Gesell- vor er wegen Streitigkeiten in nalsozialisten unter Hitler begünstigte. Die Waffenstillstand unterzeichnet und maßgeb- Januar seinen Rücktritt als bayerischer Mi- re. Zweitens stellt die Dolchstoßlegende eine schaft noch stärker polarisier- unterschiedliche Fraktionen Nachfolgeorganisationen der Freikorps spiel- lich zum Aufbau der parlamentarischen De- nisterpräsident erklären will, von einem na- typische Verschwörungstheorie dar. Entschei- ten. So entstand im Juli 1917 zerfiel. Die Führungsgruppe ten eine zentrale Rolle. Diese Einheiten von mokratie beigetragen hatte (siehe Beitrag un- tionalistischen Studenten erschossen. dend ist nicht, dass diese in die Welt gesetzt ein scharfer Konflikt, als der Zentrums-Abge- wurde selbst zum Opfer ihrer immer obskurer Freiwilligen waren 1918/19 gebildet worden, ten). Rathenau hingegen konnten – abgese- wurde, sondern dass Millionen Deutsche sie ordnete Matthias Erzberger im Reichstag die werdenden Verschwörungstheorien. weil die neue sozialistische Regierung keine hen von seiner jüdischen Herkunft – auch Na- 31.7. In Weimar beschließt die Nationalver- nachweislich geglaubt haben. Hierfür waren Marine scharf angriff, weil diese gefälschte Truppen zur Verfügung hatte, die gegen eine tionalisten nicht mit dem Dolchstoß in Ver- sammlung die neue Verfassung für das wiederum mehrere Gründe verantwortlich. Zahlen über die Versenkungserfolge der deut- Wilhelminische Eliten Ein weiteres Beispiel befürchtete bolschewistische Bedrohung hät- bindung bringen. Nach dem Mord kam es zu Deutsche Reich. Zum Zeitpunkt der faktischen deutschen Kapi- schen U-Boote in Umlauf gesetzt hatte. In der zeigt, wie Mitglieder der wilhelminischen Eli- ten eingesetzt werden können. einer turbulenten Sitzung im Reichstag, bei tulation waren die Fronten im Westen noch Folge verabschiedete der Reichstag eine Frie- ten ihre eigene Rolle beim Untergang des Kai- der Kanzler Wirth (Zentrum) in einer impro- 14.8. Erstmals tritt für Deutschland eine de- weit von der Heimat entfernt, und das gesam- densresolution. Hierzu war er nach der Verfas- serreiches beschönigten. Kuno Graf von West- Radikalisierte Freikorps Wie die Forschung visierten Rede sagte: „Da steht der Feind, der mokratische Verfassung in Kraft. sto T te Osteuropa war von Truppen der Mittel- sung nicht berechtigt, und der Schritt hatte arp, Chef der preußischen Konservativen Par- der letzten Jahrzehnte eindeutig gezeigt hat, sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. mächte besetzt. Auch wenn die Heimat schwer auch keine Folgen, weil die Initiative von der tei, stellte fest, dass die Vorwürfe, der Kaiser sei wurde die Furcht vor einer Radikalisierung der Da steht der Feind, und […] dieser Feind steht Regierung sofort entwertet wurde. „getürmt“ oder sogar „desertiert“, die Monar- Revolution dramatisch überschätzt, aber die- rechts.“ Der Tathergang wurde schnell ermit- Anzeige chisten wirkungsvoll diskreditierten. Deshalb ses Faktum war für die handelnden Akteure telt, die Hintermänner der Attentate blieben Verrat Zugleich bildeten aber die Zentrums- sammelte er Material für eine pro-monar- nicht erkennbar. Die zahlreichen Freikorps, aber unbehelligt oder konnten ins Ausland partei, die Mehrheitssozialdemokraten und chische Denkschrift der Generäle. Ziel war ers- Einwohnerwehren und Milizen waren anfangs fliehen. Hier wurde deutlich, dass die Justiz die Linksliberalen den Interfraktionellen Aus- tens, den Kaiser vom Vorwurf des Versagens zu weitgehend unpolitisch, radikalisierten sich der Weimarer Republik tendenziell „auf dem schuss, der bereits den Kern der späteren Wei- entlasten, und zweitens Generalstabschef Paul 1919 aber erheblich. Besonders die Marinebri- rechten Auge blind“ war. Dies zeigte sich auch marer Koalition enthielt. Daraufhin formierte von Hindenburg aus den Debatten über den gade II (Brigade Ehrhardt), die im Frühjahr bei dem nachsichtigen Urteil, das Hitler und sich auch das rechte Lager neu, und das Wort Zusammenbruch herauszuhalten, damit er 1920 das Fußvolk für den Kapp-Lüttwitz- Ludendorff wegen des Putschversuches vom Ausschreibung Medienpreis Parlament 2019 vom „Verrat“ gegen Burgfrieden und Volksge- politisch einsatzfähig blieb. Die Wirkung die- Putsch stellte, bildete einen erheblichen Unru- 9. November 1923 erhielten. Boris Barth T meinschaft wurde populärer als zuvor. Die ser Denkschrift in der Öffentlichkeit war be- heherd. Seit 1993 vergibt der Deutsche Bundestag den Medienpreis. Mit der Auszeichnung werden hervorragende, in einem Print- oder Online- These vom „Verrat“ erhielt weitere Nahrung, grenzt, weil sie zu einem ungünstigen Zeit- Auch für die sogenannten Baltikumfreikorps, Professor Barth ist Historiker und lehrt am Medium oder in Rundfunk oder Fernsehen erschienene, publizistische als Ende Januar 1918 Massenstreiks einen Teil punkt – der Unterzeichnung des Versailler Ver- die etwa 50.000 Mann umfassten und die im Institut für Internationale Beziehungen der Arbeiten gewürdigt, die zu einem vertieften Verständnis parlamen- der Rüstungsindustrie für Tage lahm legten. trages – publiziert wurde. Sie lieferte jedoch Sommer 1919 versuchten, in Lettland einen Karls-Universität Prag. tarischer Praxis beitragen und zur Beschäftigung mit Fragen des Arbeiter protestierten gegen die ausufernden Parlamentarismus anregen. Forderungen bei den Friedensverhandlungen Der Medienpreis Parlament ist mit 5.000 Euro dotiert und wird vom Präsidenten des Deutschen Bundestages verliehen. mit Russland in Brest-Litowsk. Sie waren be- z Der eingereichte Beitrag muss zwischen dem 1. Oktober 2017 und reit, ihre Pflicht zu tun, wollten aber einen dem 30. September 2018 erschienen sein. Einsendeschluss ist der schnellen Frieden ohne extreme Annexionen. ne bei Paris das Waffenstillstandsab- 5. Oktober 2018. Als kurz nach dem deutschen Waffenstill- Matthias kommen unterschrieb, das für das z Es werden sowohl Eigenbewerbungen als auch Benennungen durch standsgesuch die Matrosen meuterten, weil sie Deutsche Reich harte Bedingungen Dritte berücksichtigt. z Dem Bewerbungsschreiben sind drei Exemplare der zur Auszeich- nicht in einem letzten Himmelfahrtskom- Erzberger vorsah: Rückzug aus den besetzten nung vorgeschlagenen Arbeit, ein Lebenslauf der Autorin bzw. des mando buchstäblich verheizt werden wollten Gebieten, die Abtretung der links- Autors sowie die unterschriebene Einverständniserklärung zur und die Revolution in Berlin die Monarchie Der Finanzexperte der katholischen rheinischen Region und die Auslie- Verarbeitung personenbezogener Daten beendete, fielen vor allem im Bürgertum und Deutschen Zentrumspartei, Matthias ferung von Waffen. Dieses Abkom- (abrufbar unter www.bundestag.de/medienpreis) beizufügen. in den alten Eliten viele Verschwörungstheo- Erzberger (1875-1921), erahnte sei- men sowie der 1919 gebilligte Ver- Eine unabhängige Fachjury aus sieben renommierten Journalistinnen rien auf fruchtbaren Boden. Die These von nen frühen gewaltsamen Tod. „Die sailler Vertrag wurden von vielen und Journalisten entscheidet über die Vergabe des Preises. dem lang vorbereiteten Umsturz schien einige Kugel, die mich treffen soll, ist Deutschen als Erniedrigung wahrge- Plausibilität beanspruchen zu können. schon gegossen“, merkte der Katho- nommen. Erzberger wurde Anfang Bewerbungen oder Rückfragen sind an folgende Adresse zu richten: lik an, kurz bevor er von Aktivisten 1919 in das Kabinett von Philipp Antisemitische Hetze Im Moment des Zusam- der nationalistischen und rechtster- Scheidemann (SPD) berufen und Deutscher Bundestag menbruches nutzten verschiedene Interessen- roristischen „Organisation Consul“ war für Waffenstillstandsfragen ver- Fachbereich WD 1 © picture-alliance/akg-images Medienpreis Parlament gruppen – oft unabhängig voneinander – die erschossen wurde. Der hochbegabte antwortlich. Er akzeptierte den Ver- Platz der Republik 1 und aus einfachen Verhältnissen in kretär in die Regierung Prinz Max trag von Versailles. Später erwarb er 11011 Berlin Württemberg stammende Erzberger von Badens berufen und leitete die sich als Finanzminister mit einer bis wirkte nach einer Ausbildung zum Waffenstillstandskommission, die heute wegweisenden Steuer- und Telefon: +49 30 227-38630, Fax: +49 30 227-36464 E-Mail: [email protected] Volksschullehrer von 1903 bis 1918 zum Ende des Ersten Weltkriegs ge- Finanzreform große Anerkennung. Internet: www.bundestag.de/medienpreis als Abgeordneter im Reichstag. Im bildet wurde. Es war Erzberger, der 1921 wurde Erzberger auf einem Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Herbst 1918 wurde er als Staatsse- am 11. November 1918 in Compièg- Spaziergang erschossen. pk T Sie in unserem E-Paper Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018 REVOLUTION 1918 11 Der Weg war weit FRAUENWAHLRECHT Der Kampf begann schon 1848. Erst die Weimarer Republik machte es im November 1918 möglich

ch frage jeden aufrichtigen Men- Menschheit geben könne ohne die soziale schen, wären Gesetze wie die über Unabhängigkeit und politische Gleichbe- das Vermögensrecht der Frauen, rechtigung der Geschlechter. Seine SPD über ihre Rechte an den Kindern, sollte die einzige der politischen Parteien über Ehe, Scheidungen denkbar in in Deutschland bleiben, die für die Einfüh- einem Lande, wo die Frauen das rung des Frauenwahlrechts eintrat. IStimmrecht ausübten? – Für mich liegt der Anfang alles wahrhaften Fortschritts auf Neuer Schwung Der Kampf um Frauen- dem Gebiet der Frauenfrage im Stimm- rechte nahm ab 1880 an Fahrt auf. Ein li- recht der Frauen.“ beraleres politisches Klima und wirt- Als Hedwig Dohm diese Sätze 1873 veröf- schaftspolitische Entwicklungen begünstig- fentlichte, erntete sie Unverständnis und ten mehr weibliche Teilhabe am Staat und Kritik. 25 Jahre nach der gescheiterten am Arbeitsmarkt. Die Bürgerliche und die 1848er Revolution herrschte in Deutsch- proletarische Frauenbewegung entwickel- land ein repressives Klima in Sachen Frau- ten jeweils eigene Emanzipationskonzepte. enrechte. Die ehemaligen Revolutionärin- In Fortführung der ADF-Linie diskutierte nen waren durch Vereins- und Pressegeset- die Lehrerin Helene Lange die Frauenfrage ze politisch mundtot gemacht worden. Sie als Kulturfrage: Deren Ausbildung sei drin- hatten für Demokratie und Frauenrechte gend zu reformieren, damit Frauen ihren gekämpft und zum ersten Mal eine organi- positiven kulturellen Einfluss geltend ma- sierte Frauenbewegung in Deutschland ins chen können. Lange ging von einer Ge- Leben gerufen, waren aber schlechterdifferenz qua Na- von ihren männlichen Mit- tur aus und entwickelte die revolutionären fallengelas- Idee von „geistiger“ oder sen worden: Die Männer »Wahlrecht ist „organisierter Mütterlich- der Frankfurter National- Menschen- keit“, die die Gesellschaft versammlung planten eine auf allen Ebenen verbessern neue Verfassung, die nur recht. Und sollte. Männern über 25 das Menschen- Das sah Clara Zetkin, cha- Wahlrecht geben sollte. rismatische Führungsper- Trotzdem hatten ehemali- rechte haben sönlichkeit der proletari- ge 1848erinnen einen kein Ge- schen Frauenbewegung, er- Neuanfang gewagt und wartungsgemäß anders. 1865 den Allgemeinen schlecht.« Gleichberechtigte Erwerbs- Deutschen Frauenverein Hedwig Dohm, arbeit und Klassenkampf (ADF) gegründet. Unter Frauenrechtlerin waren für Zetkin die Werk- Berlin kurz vor dem Ersten Weltkrieg: Frauen demonstrieren dort 1912 für ihr Recht, wählen zu dürfen. © picture-alliance/akg-images dem Damoklesschwert des zeuge, um die kapitalisti- Politikverbots formulierten schen Verhältnisse zu über- sie die sogenannte Frauenfrage als Bil- winden. Darüberhinaus entstanden zahl- halb des BDF waren zu unterschiedlich. wurde Vizepräsidentin des Weltbunds für der deutschen Frauenbewegungen. Deren Ein halbes Jahr später war der Krieg zu En- dungsfrage. Gleiche staatsbürgerliche Rech- reiche Vereine unterschiedlichster Zielset- Und so spalteten sich schon nach fünf Jah- Frauenstimmrecht (IWSA). Und auch der große Mehrheit begriff den Krieg gar als de, die Revolution vielerorts ausgebrochen, te galten bestenfalls als utopisches Fern- zungen, unter ihnen solche, die sich in Ab- ren die radikalen Vereine unter Minna BDF war als Mitglied eines internationalen Chance, sich endlich die volle Anerken- und die sozialdemokratische Übergangsre- ziel. grenzung zur „gemäßigten“ Frauenbewe- Cauer und Anita Augspurg vom BDF ab Dachverbands der Frauenbewegungen nung als gleichberechtigte Staatsbürgerin- gierung, der „Rat der Volksbeauftragten“ Kein Wunder, dass die ADF-Frauen Dohms gung als „radikal“ im Sinne von „an die und gründeten den alternativen Verband (ICW) aktiv und richtete 1904 die große nen zu „verdienen“. Die allgemeine Kriegs- mit Friedrich Ebert an der Spitze, verkün- Wahlrechtsforderung als schädlich für die Wurzel gehend“ verstanden. Ein Zentrum fortschrittlicher Frauenvereine. internationale Weltfrauenkonferenz in Ber- begeisterung riss die meisten Frauen mit dete am 12. November 1918 in einem Auf- Sache der Frauen kritisierten. Eine Freiden- der Radikalen – und politische Heimat für lin mit 2.000 Teilnehmerinnen aus: Beiden und wischte bisherige Differenzen vom ruf an das deutsche Volk das allgemeine kerin wie Dohm konnte dagegen mit den Hedwig Dohm – war Minna Cauers 1888 Politische Vereine sind möglich Im jun- Verbänden ging es um mehr Frauenrechte, Tisch. Kriegsgegnerinnen wie Clara Zetkin aktive und passive Wahlrecht – auch für al- moderaten Reformforderungen nicht viel gegründeter Verein Frauenwohl, der weit- gen 20. Jahrhundert fiel das politische Ver- doch während die radikalen Demokratin- oder Rosa Luxemburg wurden in der eige- le deutschen Frauen ab 21. Sie waren auf- anfangen. Sie forderte für die Frauen die gefächerte Angebote machte: Bildung, einsverbot für Frauen, und sofort wurden nen um Augspurg und Heymann eine nen Partei angefeindet. gerufen, am 19. Januar 1919 eine verfas- völlige ökonomische, soziale und juristi- Rechtsberatung, Professionalisierung weib- zahlreiche Stimmrechtsvereine aller politi- schlagkräftige Organisation zur Erlangung sunggebende Nationalversammlung zu sche Gleichberechtigung. Das Wahlrecht licher Sozialarbeit bis hin zu einer gewerk- schen Richtungen gegründet, die jedoch des Stimmrechts formten, setzten die gro- Das Wahlrecht kommt Nach rund zwei wählen, um Deutschland eine demokra- war für Dohm Voraussetzung für jede wei- schaftsähnlichen Berufspolitik für Frauen. uneinig darüber waren, welches Wahlrecht ßen Verbände BDF und ICW weite auf eine Jahren Krieg schlossen sich die Frauen- tisch legitimierte Regierung zu geben. tere emanzipatorische Entwicklung und Nun aber, als die Frauen vor den Toren der zu fordern sei: das jeweils auch für Männer Politik der kleinen Schritte. stimmrechtsvereine unter dem Vorsitz der 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen, schlichtweg ein Menschenrecht, und: Parlamente, der Universitäten und weiterer geltende (in Preußen also das ungleiche Auch Zetkins Frauenbewegung knüpfte ih- langjährigen BDF-Vorsitzenden Marie Stritt unter ihnen die 87jährige Hedwig Dohm, „Menschenrechte haben kein Geschlecht!“ männlicher Bollwerke standen, rüsteten und indirekte Dreiklassenwahlrecht) oder re internationalen Beziehungen fester und zum Deutschen Reichsverband für Frauen- gaben ihre Stimme ab, und rund 40 weibli- Mitstreiterinnen fand sie dafür 1873 aber sich die Gegner und gründeten ihrerseits das demokratische – allgemeine, gleiche, initiierte schließlich den Internationalen stimmrecht zusammen. Hatte man in der che Abgeordnete zogen ins Parlament ein. so gut wie keine. explizit antifeministische Organisationen. direkte und geheime – Wahlrecht. Frauentag, der 1911 spektakulär zeitgleich ersten Kriegsphase noch zugunsten einer Diese Frauenquote von knapp 10 Prozent Auch die junge Arbeiterbewegung bewies Die bürgerliche Frauenbewegung antworte- Den ersten dieser Vereine gründete 1902 in Deutschland, Dänemark, Österreich, der nationalen Identitätspolitik Frauenrechts- wurde erst wieder im Deutschen Bundestag einen ausgeprägten proletarischen Antife- te den Antifeministen mit noch dichterer die Juristin Anita Augspurg zusammen mit Schweiz, Bulgarien und den USA (dort ei- forderungen zurückgestellt, wurde nun ge- 1983 erreicht. Nikola Müller T minismus: Frauenarbeit als Konkurrenz Vernetzung – und mit Internationalisie- ihrer Partnerin Lida Gustava Heymann in ne Woche früher) zum ersten Mal lautstark meinsam das Wahlrecht gefordert, sogar sollte verboten werden, und der Kampf um rung. Zunächst gründete sie 1894 einen Hamburg, den Deutschen Verein für Frau- begangen wurde – mit der Forderung des vom BDF. Im Dezember 1917 reichten die bürgerliche Rechte schloss das patriarchale Dachverband, den Bund deutscher Frauen- enstimmrecht. Er entwickelte sich in kurzer Wahlrechts. Der Kriegsausbruch 1914 ver- Vereine eine gemeinsame „Erklärung zur Die Autorin ist Historikerin und hat Familienideal ein. August Bebel, Mitgrün- vereine (BDF). Aber die Positionen zu Zeit zu einem Sprachrohr für das Frauen- änderte die Situation jedoch grundlegend, Wahlrechtsfrage“ beim Reichsparlament die erste kommentierte Gesamtausgabe der der SPD, blieb eine Ausnahme. Er war Frauenwahlrecht, Prostitution, Eherecht stimmrecht. Die Aktivistinnen vernetzten der Erste Weltkrieg zerbombte fast voll- und allen Länderparlamenten ein. Doch der Werke Hedwig Dohms mit überzeugt, dass es keine Befreiung der und gesellschaftlicher Doppelmoral inner- sich auch international, Anita Augspurg ständig die internationalen Beziehungen alle Forderungen blieben unerfüllt. herausgegeben.

Kein Spiegelbild der Gesellschaft FRAUEN IN PARLAMENTEN Die Zahl der weiblichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr Die Bundestagswahl 2017 stellte die Zäsur seit 2013 Verteidigungsministerin ist und familienministerin (das war Aenne Brauk- Aber auch in Ländern, in denen die AfD Dänemark, Litauen, Polen und Portugal ist dungspositionen habe sich positiv entwi- einer jahrzehntelangen Entwicklung dar: Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP), die von siepe, CDU) noch die erste Bundestagsprä- überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, der Frauenanteil der ins EP entsendeten ckelt, so ein EP-Bericht: Im Vergleich zur Die Anzahl weiblicher Abgeordneter sta- 1991 bis 1994 das Ministerium für Raum- sidentin (das war Annemarie Renger, SPD), zeigt sich diese Schieflage besonders: In Abgeordneten größer als der in den natio- vorhergehenden Wahlperiode sei die An- gnierte nicht nur, sondern ging sogar stark ordnung, Bauwesen und Städtebau innehat- doch Süssmuth ist in beiden Ämtern in Er- Sachsen-Anhalt ist von 22 gewählten AfD- nalen Parlamenten. Ein Grund dafür sind zahl der weiblichen Vizepräsidenten von zurück. Wirft man einen genaueren Blick te. Die ehemalige Entwicklungshilfeministe- innerung geblieben. Bereits Mitte der Abgeordneten nur eine weiblich, die AfD- oftmals gesetzliche Quotenregelungen für drei auf fünf von insgesamt 14 gestiegen. unter die Kuppel des Reichstages, zeigt rin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die 1980er Jahre ermutigte sie Frauen, sich Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern ist die Aufstellung der Wahllisten der Partei- Auch werden die Hälfte der 24 Ausschüsse sich, dass unter den 709 Abgeordneten ge- das Ministerium von 1998 bis 2009 führte, mehr in das berufliche und öffentliche Le- ausnahmslos männlich. en. Auch die Zahl der Frauen in Entschei- von Frauen geleitet. Lisa Brüßler T rade einmal 218 Frauen vertreten sind, das und die amtierende Justizministerin Katari- ben einzubringen. Zehn Jahre, von 1988 Als erste Frau in der Geschichte war Heide entspricht einem Anteil von 30,9 Prozent – na Barley (SPD) bilden weitere Ausnahmen bis 1998, amtierte sie als Bundestagspräsi- Simonis (SPD) mit der Führung eines Lan- So viele waren es zuletzt 1998. von diesen Ressorts. Das Kabinett Merkel IV, dentin. In der Historie des Bundestages ist des betraut: Als Ministerpräsidentin von Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte dem Barley angehört, ist mit sieben von 16 das die drittlängste Amtszeit. Nur Eugen Schleswig-Holstein führte sie zwischen der Bundesrepublik, dass die Zahl weibli- Posten das Kabinett mit den meisten Frauen Gerstenmaier und Norbert Lammert (beide 1993 und 2004 die Geschäftes des Landes. Clara Zetkin kämpfte ihr Leben cher Abgeordneter zurückgeht, aber einen in der Geschichte der Bundesrepublik. Für CDU) hatten das Amt länger inne. In Thüringen erlangte 2009 Christine Lie- lang nicht nur für die Überwindung so starken Abfall hat es noch nie gegeben. eine paritätische Besetzung der Posten reich- berknecht (CDU) den Posten der Minister- des Kapitalismus, sondern auch für In der vergangenen Legislaturperiode hatte te es allerdings noch nicht. Noch keine Bundespräsidentin Ein Blick präsidentin, bevor Hannelore Kraft (SPD) die Emanzipation der Frauen. Als der Anteil noch bei 36,5 Prozent gelegen – Geht es um die Vorbildfunktion, darf eine in die Kandidatenliste für das Amt des als dritte weibliche Ministerpräsidentin Führungsfigur der proletarischen das bedeutet ein Minus von über fünf Pro- nicht fehlen: Rita Süssmuth (CDU). Sie Bundespräsidenten zeigt, dass es zwar be- von 2010 bis 2017 die Geschicke Nord- Frauenbewegung initiierte sie den zentpunkten. Diese Entwicklung nannte war zwar weder die erste weibliche Bundes- reits acht Frauen gab, die sich um das rhein-Westfalens lenkte. Auch im Saarland ersten Internationalen Frauentag, die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, höchste Amt im Staat beworben haben, und in Rheinland-Pfalz folgten mit Anne- der seit 1911 begangen wird und Mona Küppers, „beschämend“, da das Par- aber keine, die erfolgreich gewählt wurde. gret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Malu kämpfte schon früh für das Frauen- lament somit nicht widerspiegele, dass die > STICHWORT Besonders knapp war die Entscheidung im Dreyer (SPD) erstmals Frauen in das Mi- wahlrecht (siehe Text oben). Gesellschaft im Land zur Hälfte aus Frauen Jahr 2004. Da unterlag Gesine Schwan nisterpräsidentenamt dieser Länder. Im Juli 1857 in Sachsen geboren, besuchte besteht. Internationaler Vergleich (SPD) dem CDU-Kandidaten Horst Köhler 2017 schrieb Manuela Schwesig als derzeit sie ab 1874 das von der Frauen- Bei einem genaueren Blick in die einzelnen mit nur 15 Stimmen Unterschied. Bei dem jüngste Ministerpräsidentin Deutschlands rechtlerin Auguste Schmidt geleite- Fraktionen fallen die großen Unterschiede >Interparlamentarische Union Die IPU wiederholten Duell im Jahr 2009 entfielen und erste Frau an der Spitze Mecklenburg- te Lehrerinnenseminar in Leipzig, © picture-alliance/dpa bei der Anzahl der Mandatsträgerinnen ins wertet regelmäßig in 193 Staaten aus, wie auf Köhler 613 Stimmen, während Schwan Vorpommerns Geschichte. hörte im Arbeiterbildungsverein Auge: Während die CDU/CSU-Fraktion viele Sitze in nationalen Parlamenten an nur 503 erhielt. Ein respektables Ergebnis Vorträge von August Bebel und be- knapp ein Fünftel weibliche Abgeordnete Frauen vergeben werden. konnte fünf Jahre zuvor auch Dagmar Vorbildcharakter Auf europäischer Ebene Clara geisterte sich für die Ideen der Sozi- stellt und die FDP-Fraktion 22,5 Prozent, Schipanski erzielen, die dem späteren Bun- stellt das Europäische Parlament (EP) ei- aldemokratie. 1878 trat sie in die findet sich nur bei der AfD ein noch gerin- >Überraschend Nicht etwa Schweden despräsidenten Johannes Rau (SPD) mit nen Lichtblick dar: Mit einem Anteil von Zetkin Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), gerer Wert: Elf Prozent oder anders ausge- oder Island, ausgerechnet das ostafrikani- 572 Stimmen zu 690 Stimmen unterlag. 36,1 Prozent weiblicher Abgeordneter liegt später SPD, ein und initiierte, auch drückt: zehn Frauen. Deutlich mehr Frauen sche Ruanda führt das Ranking mit 61,3 Pro- der Frauenanteil deutlich höher als im Im August 1932 eröffnete zum ers- auf internationaler Ebene, verschie- entsendet die SPD mit knapp 42 Prozent, zent Frauen im Parlament an. Nach dem Ge- In den Ländern Auch in den Landtagen weltweiten Durchschnitt. Finnland, Irland ten Mal eine Frau den neugewähl- dene sozialistische Frauenkongres- während Frauen bei der Linken und der nozid im Jahr 1994 sank der Männeranteil in und den Parlamenten der Stadtstaaten und Kroatien entsenden mehr weibliche ten Reichstag. Clara Zetkin gehörte se. 1915 wurde sie im Zusammen- Grünen-Fraktion mit 54 und 58 Prozent der Bevölkerung stark. Die Frauenbewegung setzte ab Mitte der 1980er Jahre eine als männliche Abgeordnete und Malta, diesem bereits seit 1920 als Abge- hang mit einer Anti-Kriegs-Konfe- die Mehrheit der im Bundestag vertretenen im Land setzte sich daraufhin für eine Trendwende ein und der Anteil der Frauen Lettland und Schweden stellen exakt gleich ordnete der Kommunistischen Par- renz und wegen der Verteilung von Parlamentarier bilden. 30-Prozent-Frauenquote ein. überstieg erstmals die Zehn-Prozent-Mar- viele Abgeordnete beider Geschlechter. Mit tei Deutschlands (KPD) an. In dieser Flugblättern verhaftet und wegen ke. Rund um die Wiedervereinigung stieg Ausnahme von Belgien, Bulgarien, Zypern, Rede rief sie den Reichstag nicht Landesverrats angeklagt. Frau Ministerin In den Geschichtsbüchern >Mittelfeld Deutschland findet man erst er weiter an auf 20 Prozent. Ab 2004 pen- nur dazu auf, das Präsidialkabinett Die Zustimmung der SPD zu den der Bundesrepublik finden sich insgesamt auf Platz 23. Mit Bolivien auf Platz zwei delte sich der Wert um die 30 Prozent ein der Regierung Papen zu stürzen. Kriegskrediten im Jahr 1914 führte 33 Ministerinnen auf Bundesebene – vor (53,1 Prozent), Kuba auf Platz drei (48,9 Pro- – jedoch nicht in allen Bundesländern. Sie forderte außerdem den Zusam- jedoch zum Bruch mit der Partei. allem in den „weichen“ Ressorts Familie, zent) sowie Nicaragua auf Platz fünf (45,7 Infolge unterschiedlicher politisch-parla- menschluss aller demokratischen 1919 trat sie der KPD bei, zu deren Gesundheit, Umwelt, Bildung oder Ernäh- Prozent) haben Frauen vor allem in Mittel- mentarischer Traditionen gibt es vor allem Kräfte gegen den heraufziehenden Führungszirkel sie bis zu ihrem Tod Weiterführende Links zu den rung und Verbraucherschutz. Ausnahmen und Südamerika politisch „viel zu sagen“. in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfa- Themen dieser Seite finden Nationalsozialismus. im Jahr 1933 gehörte. che T bilden Ursula von der Leyen (CDU), die len und Niedersachsen Nachholbedarf. Sie in unserem E-Paper 12 KEHRSEITE Das Parlament - Nr. 30-31 - 23. Juli 2018

AUFGEKEHRT ORTSTERMIN: GESCHICHTSSTUNDE AM PLATZ DER REPUBLIK PERSONALIA >Ursula Seiler-Albring Revolution Bundestagsabgeordnete 1983-1994, FDP im Badischen Am 19. Juli vollendete Ursula Seiler-Albring ihr 75. Lebensjahr. Die Diplom-Soziologin arlsruher werden auch mal me- trat 1969 der FDP bei und war von 1988 bis lancholisch, wenn sie an die Ver- 1993 Mitglied des Bundesvorstands. Von gangenheit denken. Wer weiß 1988 bis 1990 amtierte sie als Parlamenta- noch, dass man selbst einmal rische Geschäftsführerin ihrer Bundestags- KHauptstadt eines stolzen Landes Baden fraktion und von 1991 bis 1994 als Staats- war, von einem Großherzog regiert, der ei- ministerin im Auswärtigen Amt. Von 1995 nem König praktisch gleichstand. Das bis 2006 war sie Botschafterin in Öster- Land gibt es seit 1952 nicht mehr, als man reich, Bulgarien und Ungarn. nach einem Plebiszit im Südweststaat Ba- den-Württemberg aufging. Seither schauen >Erika Steinbach die Badener misstrauisch Richtung Landes- Bundestagsabgeordnete 1990-2017, hauptstadt Stuttgart, ob man nicht bei För- CDU, seit 2017 fraktionslos dermaßnahmen von den listigen Württem- Erika Steinbach wird am 25. Juli 75 Jahre bergern (pauschal Schwaben genannt) wie- alt. Die Diplom-Verwaltungswirtin schloss der mal ausgetrickst worden ist. sich 1974 der CDU an und gehörte von Zur Linderung der fortwährenden Wunde 2000 bis 2010 dem Bundesvorstand an. Von rächen sich die abwertend „Gelbfüßler“ ge- 1977 bis 1990 war sie Stadtverordnete in nannten Badener mit Racheaktionen gegen Frankfurt/Main. Steinbach, die im Innen-, die „Schwaben“. Kürzlich haben Verant- Kultur- sowie im Menschenrechtsausschuss wortliche in Karlsruhe rotzfrech die alte mitwirkte, verließ im Januar 2017 ihre Frak- gelb-rot-gelbe Badenflagge auf dem Turm tion und trat aus der CDU aus. Von 1998 bis des früheren Residenzschlosses aufgezogen 2014 war sie Präsidentin des Bundes der – offiziell als Werbung für die Ausstellung Vertriebenen. „Revolution für Anfängerinnen“ im dorti- gen Landesmuseum, in der es auch um die >Brunhilde Irber badischen Revolutionäre des März 1848, Bundestagsabgeordnete 1994-2009, Friedrich Hecker und Gustav Struve, geht. SPD Dagegen erfolgte ein knochentrockenes Ve- Am 27. Juli wird Brunhilde Irber 70 Jahre to aus dem Stuttgarter Staatsministerium alt. Die Verwaltungsangestellte aus Oster- wegen einer Vorschrift, wonach solche In- hofen/Kreis Deggendorf trat 1971 der SPD subordination nicht erlaubt ist. Dies er- bei und amtierte von 2000 bis 2009 als Be- zeugte mächtig Ärger in Karlsruhe, so lan- zirksvorsitzende in Niederbayern. Von 1978 ge, bis der grüne Ministerpräsident Win- bis 2005 war die Sozialdemokratin Kreisrä- fried Kretschmann („Wir sind ja keine tin und von 1990 bis 2005 Stadträtin. Irber Doktrinäre“) persönlich einschritt und ei- war von 1998 bis 2005 Sprecherin der Ar- ne Ausnahme für die Ausstellungszeit zu- beitsgruppe Tourismus ihrer Bundestags- ließ. Im Internet hat man aber Blut geleckt fraktion und wirkte im Tourismusausschuss gegen Stuttgart und erinnert an Friedrich Historischer Schauplatz: Seit 1999 erinnert die Bronzetafel an der Balkonbrüstung am Reichstagsgebäude an den mutigen Akt Philipp Scheidemanns.© Deutscher Bundestag/Achim Melde sowie zuletzt im Auswärtigen Ausschuss Heckers Worte von 1848, dass man nun mit. „an die Stelle nutzloser Reden die Tat set- zen“ müsse. Handlungsanweisungen könn- >Manfred Opel te ein Spiel in der Schlossausstellung ge- Bundestagsabgeordneter 1988-2002, ben, das eigene persönliche revolutionäre Des Bundestages berühmtester Balkon SPD Potenzial zu erkunden. Hans KrumpT Manfred Opel begeht am 27. Juli seinen „Dem Plan nach war dort ein Lesesaal, das heißt dort la- Heute befindet sich an dieser Stelle nicht mehr der Lese- kord liegt bei 2.15 Uhr“, erzählt Nowak, der seit acht Jah- 80. Geburtstag. Der Diplom-Ingenieur und gen Zeitungen aus“, erzählt Historiker Michael F. Feld- saal, sondern das Abgeordnetenrestaurant. Der geschichts- ren beim Restaurant-Betreiber Käfer Berlin arbeitet. Brigadegeneral der Luftwaffe trat 1968 der kamp über den Raum, aus dem Philipp Scheidemann trächtige Ort wird gern besucht, erzählt Mario Nowak, gas- Auch von außen erkennt man die Bronzetafel mit dem Re- SPD bei und war von 1993 bis 1999 Kreis- VOR 60 JAHREN... (SPD) am 9. November 1918 herausgegangen sein muss, tronomischer Leiter des Restaurants: „Gäste dürfen hier liefporträt Scheidemanns, die vom Bildhauer Heinz Spilker vorsitzender in Nordfriesland. Der von 1998 um – in einem nicht abgesprochen Akt – die Republik nur in Begleitung von Mitgliedern des Bundestages he- erschaffen wurde, an der Balkonbrüstung. Im Juni 1976 bis 2002 amtierende stellvertretende sicher- auszurufen. Neben dem Eingangsportal des Berliner rein. Manche Abgeordnete sprechen uns an, welcher der wurde sie auf Initiative der ersten Bundestagspräsidentin, heitspolitische Sprecher seiner Bundestags- Kein Plebiszit Reichstages, im ersten Stock der zweite Balkon zur Spree- fünf Balkons es denn ist, andere wissen das schon und Annemarie Renger (SPD), enthüllt, damals noch im Inneren fraktion arbeitete seit 1990 im Verteidi- seite, das ist er, auf den Scheidemann mit seiner improvi- kommen extra dafür mit ihren Gästen oder kleinen Besu- des Gebäudes. Doch das war kein leichtes Unterfangen, fand gungsausschuss mit. zu Atomwaffen sierten Rede getreten, ja sogar auf die Balkonbrüstung ge- chergruppen vorbei“, sagt er. „Das kommt nicht nur bei Scheidemann-Experte Lothar Machtan in der noch unveröf- klettert sein muss. Von der linken Seite des Balkons aus in historisch interessierten Parlamentariern vor, sondern fentlichten Publikation „Zeitenwende ohne Beglaubigung“ >Klaus Töpfer 30.7.1958: Volksbefragung über Aus- die Menge des heutigen Platzes der Republik rufend, be- über alle Fraktionen hinweg“, so der Restaurantleiter. heraus: Bereits 1967 hatte die SPD-Fraktion beim damaligen Bundestagsabgeordneter 1990-1998, rüstung der Bundeswehr gescheitert zeichnete er die Monarchie als „das Alte und Morsche“ Das Abgeordnetenrestaurant mit seinen knapp 170 Plät- Parlamentspräsidenten Eugen Gerstenmeier (CDU) das An- CDU Bundeskanzler Konrad Adenauer und rief mit den Worten „Es lebe das Neue! Es lebe die zen wirkt zurückgenommen und ist schnörkellos gehal- bringen einer Gedenktafel erwirken wollen. Doch der lehnte Am 29. Juli vollendet Klaus Töpfer sein (CDU) wollte die Bombe: „Die takti- Deutsche Republik“ ebendiese aus. Zwar gibt es verschie- ten. „Ein kleines, ehrenwertes Restaurant“, nennt Nowak ab. Erst Renger setzte durch, dass Scheidemanns Leistung 80. Lebensjahr. Der promovierte Volkswirt schen atomaren Waffen sind im Grun- dene Versionen seiner Rede, doch eine Bronzetafel erin- es mit einer frischen, hausmannskost-lastigen Speisekarte. mit einem dauerhaften Kunstwerk sichtbar gedacht wurde. und Hochschullehrer, CDU-Mitglied seit de genommen nichts anderes als eine nert an das, womit Scheidemanns Name bis heute ver- Eine Mischung für alle Geschmäcker muss es sein, denn Nach dem Umbau des Bundestages wanderte die Tafel im 1972, war von 1990 bis 1995 Landesvorsit- Weiterentwicklung der Artillerie“, er- knüpft wird: Die Entstehung des ersten demokratischen das Restaurant hat in Sitzungswochen so lang geöffnet, Jahr 1999 sogar noch ein Stück näher an den Original- zender seiner Partei im Saarland. Von 1989 klärte er 1957. Man müsse „die neueste Staatswesens auf deutschem Boden. wie der Plenarsaal in Betrieb ist. „Mein persönlicher Re- Schauplatz: direkt an die Balkonbrüstung. Lisa Brüßler T bis 1998 gehörte er dem CDU-Bundesvor- Entwicklung mitmachen“, schließlich stand und von 1992 bis 1998 dem Partei- sei es nur durch militärische Stärke präsidium an. Töpfer war von 1987 bis 1994 Bundesumweltminister sowie von 1994 bis 1998 Bundesbauminister. Mit seinem Na- men sind vor allem die Gründung des Bun- LESERPOST desamts für Strahlenschutz, eine neue Ver- Infomobil in packungsordnung sowie das FCKW-Verbot Zur Ausgabe 25-26 vom 18. Juni 2018, der Zuständigkeiten? Ist Frau Merkel Chefin terrente nicht aus Steuermitteln – wie es eine verbunden. „Alle unter Kontrolle“ auf Seite 3: der Europäischen Union? Herr Tusk sollte nicht gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre – be- Süddeutschland In Russland gibt es einige menschenrechtlich warnen, sondern mit den EU-Mitgliedern die zahlt, sondern von den Beiträgen der Renten- >Volker Stephan bedenkliche Umstände. Aber die Inhaftierung Integration und die Menschenrechtsverpflich- versicherten. In der „Teufel-Tabelle“, benannt Parlament vor Ort Das Infomobil des Bundestagsabgeordneter 1990, einiger Greenpeace-Aktivisten, die versucht tungen umsetzen! nach ihrem Verfasser Otto W. Teufel, findet sich Deutschen Bundestages geht auf Ferien- SPD hatten, eine Ölplattform des Staatskonzerns Manfred Grabowski, dazu mehr. So gesehen leisten die Rentenversi- tour. In den Sommermonaten kann es in Am 1. August wird Volker Stephan 80 Jahre Gazprom zu besetzen, ist nachvollziehbar und Rostock cherten indirekte zusätzliche Steuerzahlungen. den südlichen Bundesländern, an belieb- alt. Der Veterinärmediziner aus Stendal ge- „widerspricht“ nicht den Menschenrechten. Heinz Dauner, ten Ferienorten in den Bayrischen Alpen, hörte 1990 der ersten frei gewählten Volks- Denn der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Zur Debattendokumentation der Aus- Calw im Allgäu und am Bodensee besucht wer- kammer der DDR und dem Bundestag an. Sebastian Richter, gabe 28-29 vom 9. Juli 2018: den. Dort verweilt das Infomobil jeweils Von 1994 bis 2001 war er Oberbürgermeis-

© picture-alliance/dpa Berlin Die Aussage von Andrea Nahles (SPD), der Zu- fünf Tage. Das rollende Informationsange- ter von Stendal. Das Bundesverfassungsgericht in Karls- schuss an die gesetzliche Rentenversicherung PANNENMELDER bot will den Besuchern die Aufgaben und ruhe im Jahr 1958 Zur Ausgabe 27-28 vom 2. Juli 2018 „Die steige auf 94 Milliarden Euro, stimmt so nicht. Zur Ausgabe 28-29 vom 9. Juli 2018. Arbeitsweise des Parlamentes näher brin- >Ernst Kastning eigentliche Arbeit kommt erst noch“ Dieser Zuschuss ist kein echter Zuschuss, son- Im Artikel „Von der Leyen bleibt bei gen. Auch Abgeordnete aus den jeweiligen Bundestagsabgeordneter 1983-1998, auf Seite 1: dern eine Ausgleichszahlung für die der Ren- Zwei-Prozent-Ziel“ auf Seite 8 wurde To- Wahlkreisen werden über ihre persönli- SPD möglich, die Sowjetunion „dahin zu Die Unterüberschrift „Merkel wertet die Eini- tenversicherung auferlegten versicherungs- bias Lindner irrtümlich als haushaltspo- chen Erfahrungen berichten und Fragen Am 1. August wird Ernst Kastning 80 Jahre bringen, Bereitschaft zur Verständigung gung im Asylstreit als Erfolg, Ratspräsident fremden Leistungen. Sie ist in den zurücklie- litischer Sprecher der Fraktion Bündnis beantworten. Zudem steht das Infomobil alt. Der Diplom-Politologe aus Bückeburg zu zeigen“. In der Bevölkerung regte Tusk warnt vor schwieriger Umsetzung“ lässt genden Jahren in der Regel immer nur teilwei- 90/Die Grünen bezeichnet. Tatsächlich mit seiner überdachten Bühne, einem Be- trat 1958 der SPD bei und amtierte von sich heftiger Protest. Unter dem Motto mich fragen: Was ist das für eine Verdrehung se bezahlt worden. Zum Beispiel wird die Müt- ist er der sicherheitspolitische Sprecher. sprechungsraum und einem Großbild- 1974 bis 1987 als Unterbezirksvorsitzender „Kampf dem Atomtod“ bildeten sich schirm Besuchergruppen offen. Für einen in Schaumburg. Von 1968 bis 1983 war er Aktionsbündnisse – unterstützt von der Vortrag über die Aufgaben des Parlamentes Kreistagsmitglied. Kastning, von 1978 bis SPD, die Adenauers Atompläne stop- können sich interessierte Gruppen telefo- 1983 niedersächsischer Landtagsabgeord- pen wollte. SEITENBLICKE nisch unter 030 /227 -35196 anmelden. neter, engagierte sich im Bundestag zumeist Laut einer Umfrage vom April 1957 wa- Die nächsten Stopps des Infomobils sind im Haushaltsausschuss. ren zwar 63 Prozent der Bundesbürger Prien am Chiemsee (23.-28.7.), Oberstdorf gegen eine atomare Bewaffnung der (30.7-4.8), Friedrichshafen am Bodensee >Angela Schmid Bundeswehr. Bei der vom Ost-West- (6.-11.8) und Titisee im Schwarzwald Bundestagsabgeordnete 2004-2005, Konflikt überschatteten Bundestags- (13.-18.8.). Danach geht es mit zweitägi- CDU wahl im Herbst half das der SPD je- gen Aufenthalten weiter nach Weißenburg, Angela Schmid wird am 1. August 75 Jahre doch nichts. Die Union holte die abso- Heidenheim an der Brenz, in den Wahl- alt. Die Juristin aus Stuttgart, von 1999 bis lute Mehrheit. Daraufhin strengte die kreis Donau-Ries, nach Ingolstadt sowie 2004 dort Stadträtin, gehörte im Bundestag SPD eine „Volksbefragung über Atom- nach Landshut. Alle Stationen und Termi- dem Familienausschuss an. waffen“ auf Länder- und kommunaler ne der Infomobil-Tour finden Sie unter: Ebene an. Die Bundesregierung klagte www.bundestag.de/besuche/ausstellungen/ >Günter Oesinghaus dagegen. Ende Mai ließen die Karlsru- bundestagunterwegs/infomobil lbr T Bundestagsabgeordneter 1987-2002, her Richter die Volksbefragungen in SPD Hamburg und Bremen aussetzen und Am 4. August vollendet Günter Oesinghaus erklärten die entsprechenden Volksbe- sein 75. Lebensjahr. Der Hauptschullehrer fragungsgesetze für verfassungswidrig: aus Köln trat 1969 der SPD bei und war von Länderparlamente dürften sich nicht in Haben Sie Anregungen, Fragen oder 1977 bis 1991 Mitglied des Unterbezirks- die Außenpolitik der Bundesregierung Kritik? vorstands Köln. Der Direktkandidat des einmischen, hieß es. Eine Atommacht Schreiben Sie uns: Wahlkreises Köln IV arbeitete im Verkehrs- wurde Deutschland dennoch nicht. Al- ausschuss sowie im Ausschuss für die Ange- lerdings wurden Bundeswehrsoldaten Das Parlament legenheiten der Europäischen Union mit. trainiert, mit in der Bundesrepublik sta- Platz der Republik 1 tionierten Atomwaffen der USA umge- 11011 Berlin >Marlies Pretzlaff hen zu können. Benjamin Stahl T [email protected] Bundestagsabgeordnete 1994-2002, CDU Leserbriefe geben nicht die Meinung Marlies Pretzlaff wird am 4. August 75 Jah- der Redaktion wieder. Die Redaktion re alt. Die Lehrerin aus Northeim trat 1975 behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. in die CDU ein und gehörte dem Bezirksvor- stand Hildesheim an. Die Christdemokratin Weiterführende Links zu den Themen dieser Seite finden Die nächste Ausgabe von „Das arbeitete im Ausschuss für wirtschaftliche Sie in unserem E-Paper Parlament“ erscheint am 6. August. Zusammenarbeit mit. bmh T Informationen in Leichter Sprache Ausgabe Nr. 97 Beilage für:

leicht Das Jahr 1918 erklärt! In Deutschland endet die Monarchie

In diesem Jahr gibt es Monarchen herrschen manchmal ein wichtiges Jubiläum. ihr ganzes Leben lang über ein Land. Vor genau 100 Jahren endete Und sie dürfen oft sehr viel bestimmen. die Monarchie in Deutschland. In früheren Zeiten durften sie sogar Und danach entstand die erste meist alles bestimmen. Demokratie für ganz Deutschland. Die Monarchen befahlen. Im folgenden Text steht genauer, Die Menschen in dem Land was das bedeutet. mussten gehorchen.

Was ist eine Monarchie? Monarchie in Deutschland Es gibt Länder, Auch in Deutschland herrschten viele Jahrhunderte lang Könige und Kaiser. in denen eine einzelne Person über das ganze Land herrscht. Deutschland war also eine Monarchie. Zum Beispiel ein König oder ein Kaiser. Mit der Zeit wurden viele Menschen Das nennt man dann: eine Monarchie. damit immer unzufriedener. Und den Herrscher nennt man: Sie fingen an, sich zu beschweren. Monarch. Sie wollten in ihrem Land Eine Monarchie ist also mitbestimmen. eine bestimmte Art, Und sie wollten selbst bestimmen, wie ein Staat geleitet wird. wer das Land leiten soll. In einer Monarchie wird die Zum Beispiel, Herrschaft oft vererbt. indem sie Politiker wählen. Das bedeutet: Wenn die Bürger in einem Land Wenn ein Herrscher stirbt, wird eines durch Wahlen mitbestimmen, von seinen Kindern der neue Herrscher. nennt man das: Demokratie. Das Jahr 1918 • In Deutschland endet die Monarchie

Das Deutsche Kaiser-Reich Im Krieg kämpften In den Jahren von 1871 bis 1918 gab 2 große Gruppen gegeneinander. es in Deutschland eine besondere In der einen Gruppe Monarchie. waren zum Beispiel: Man nennt sie: • das Deutsche Kaiser-Reich Das Deutsche Kaiser-Reich. • Österreich-Ungarn Das Deutsche Kaiser-Reich bestand • ein Land mit dem Namen aus verschiedenen kleineren Ländern. Osmanisches Reich So ähnlich wie Deutschland heute Dieses Land gibt es heute aus verschiedenen Bundes-Ländern nicht mehr. besteht. In der anderen waren zum Beispiel: In fast allen Ländern herrschte ein Monarch. • Frankreich Und über ganz Deutschland • Groß-Britannien herrschte der Deutsche Kaiser. • Russland • die USA

Im Deutschen Kaiser-Reich gab es aber auch schon ein wenig Demokratie. Ende vom Ersten Welt-Krieg Die Menschen durften nämlich Politiker wählen, die sie vertraten. Im Jahr 1918 war Deutschland kurz Diese Politiker arbeiteten in einer davor, den Krieg zu verlieren. Versammlung zusammen. Diese Versammlung hieß: Reichs-Tag. Darum bat es seine Gegner darum, das Kämpfen zu beenden. Der Erste Welt-Krieg Und es bat darum, In Europa gab es neben dem über einen Frieden zu sprechen. Deutschen Kaiser-Reich noch andere große Länder. Die Gegner von Deutschland Zum Beispiel Frankreich, hatten aber eine Forderung: Groß-Britannien, In Deutschland sollte es Österreich-Ungarn und Russland. mehr Demokratie geben. Zwischen diesen Ländern gab es Erst dann wollten sie über immer wieder Streitereien. einen Frieden sprechen. Die Länder wollten immer mehr Einfluss in der Welt haben. Dabei standen sie sich gegenseitig im Weg. Die Herrscher versuchten, die Forderungen zu erfüllen. Die Streitereien wurden immer schlimmer. Sie änderten die Gesetze so, Schließlich entstand daraus dass in Deutschland mehr der Erste Welt-Krieg. Demokratie möglich wurde. Das war ein großer Krieg. Er fand von 1914 bis 1918 statt. Das war im Oktober 1918. Länder auf der ganzen Welt Aber diese Änderungen waren daran beteiligt. kamen zu spät. Und viele Millionen Menschen wurden getötet. Und zwar aus folgendem Grund: Widerstand gegen Befehle Die Herrscher konnten sich schon bald nicht mehr dagegen wehren. Deutschland und seine Partner hatten den Krieg so gut wie verloren. Im November 1918 zogen sie sich alle Da trafen die Chefs von der zurück. deutschen Kriegs-Flotte eine wichtige Sie gaben die Leitung Entscheidung. über ihr Land an die von den Die Kriegs-Flotte sind die Schiffe, Bürgern gewählten Politiker ab. die in einem Krieg kämpfen. Manche taten das freiwillig. Die Chefs sagten: Die deutsche Andere wurden vertrieben. Kriegs-Flotte soll noch einmal kämpfen. Und zwar gegen die Kriegs-Flotte von Besonders wichtig war Groß-Britannien. der 9. November 1918. Doch: Die See-Männer auf den An diesem Tag wurde der deutsche Schiffen weigerten sich. Kaiser aus seinem Amt entlassen. Sie befolgten die Befehle von ihren Sein Name war Wilhelm der Zweite. Vorgesetzten nicht. Sie wollten nicht Man sagt darum: in einem Krieg kämpfen, Am 9. November 1918 endete der sowieso schon verloren war. die Monarchie in Deutschland. Sie wollten lieber, dass es schnell Frieden gibt. Die erste Demokratie in Deutschland Demos im ganzen Kaiser-Reich Es gab nun keine Monarchie mehr, Erst passiert das nur also brauchte man auf den Kriegs-Schiffen. eine neue Staats-Form. Aber schnell machten immer mehr Menschen mit. Man musste das Land ganz neu regeln. Nicht nur See-Männer. Sondern vor allem auch Arbeiter. Dafür waren vor allem die gewählten Denn sie hatten genug. Politiker zuständig. Schon vor dem Krieg wollten viele Es war klar: Der neue Staat soll eine Menschen die Monarchie abschaffen. Demokratie werden.

Durch den Krieg wurden es Die Politiker besprachen sich immer mehr. einige Monate lang. Sie hatten kein Vertrauen mehr in die Sie überlegten, welche Regeln genau Herrscher. für die Demokratie gelten sollen. Dabei stritten sie viel. Sie wollten Frieden. Im August 1919 waren die Regeln Darum zogen sie durch die Straßen dann fertig. von vielen deutschen Städten. Sie übernahmen wichtige Gebäude. Man hatte sie in einem Gesetzes-Text Sie nahmen den Herrschern die aufgeschrieben. Macht. So einen Text nennt man Verfassung. Und sie sagten: In einer Verfassung stehen die Man soll die Monarchie abschaffen. wichtigsten Regeln für ein Land. Das Jahr 1918 • In Deutschland endet die Monarchie

Nun gab es also die erste In der Weimarer Republik richtige Demokratie in Deutschland. gab es eine Verfassung. Und weil die Verfassung in der Stadt Unsere heutige Verfassung ist das leicht Weimar erarbeitet wurde, Grund-Gesetz. nennt man diese Demokratie: die Weimarer Republik. Und viele Dinge, die schon in der Weimarer Verfassung standen, erklärt! stehen auch in unserem Die Weimarer Republik Grund-Gesetz. gibt es heute nicht mehr. Zum Beispiel Regelungen über Religions-Gruppen in Deutschland. Ab dem Jahr 1933 haben sich die National-Sozialisten nicht mehr an die Verfassung gehalten. Was im Jahr 1918 geschah, Mehr über die National-Sozialisten hat Deutschland völlig verändert. steht in einer früheren Ausgabe von „leicht erklärt“. In diesem Jahr wurde Deutschland Und zwar in der Ausgabe Nummer 57. von einer Monarchie zur Demokratie. Sie lag in „Das Parlament, Die Folgen davon Nummer 5-7/2017“ bei. merken wir bis heute. Durch die National-Sozialisten gab Darum hat das Jahr 1918 für es in Deutschland keine Demokratie Deutschland eine große Bedeutung. mehr.

Erst im Jahr 1949 wurde wieder eine neue Demokratie gegründet. Weitere Informationen Die Bundes-Republik Deutschland. in Leichter Sprache gibt es unter: Also der Staat, www.bundestag.de/leichte_sprache in dem wir noch heute leben.

Zwischen der Weimarer Republik und der Bundes-Republik Deutschland gibt es viele Ähnlichkeiten.

Viele Ideen aus der Weimarer Republik wurden auch Impressum in der Bundes-Republik wieder umgesetzt. Dieser Text wurde Nachrichten in Leichte Sprache Hier 2 Beispiele: Werk übersetzt vom: www.nachrichtenwerk.de

Ratgeber Leichte Sprache: http://tny.de/PEYPP In der Weimarer Republik gab es den Reichs-Tag. Titelbild: © picture alliance / Stefan Sauer/dpa-Zentralbild/ZB. Piktogramme: Picto-Selector. © Sclera (www.sclera.be), © Paxtoncrafts Charitable Trust (www.straight-street.com), © Sergio Er wurde von den Bürgern gewählt. Palao (www.palao.es) im Namen der Regierung von Aragon (www.arasaac.org), © Pictogenda (www.pictogenda.nl), © Pictofrance (www.pictofrance.fr), © UN OCHA (www.unocha.org), © Die Politiker dort arbeiteten Ich und Ko (www.ukpukvve.nl). Die Picto-Selector-Bilder unterliegen der Creative Commons Lizenz (www.creativecommons.org). Einige der Bilder haben wir verändert. Die Urheber der zum Beispiel an Gesetzen mit. Bilder übernehmen keine Haftung für die Art der Nutzung.

Der Reich-Tag hatte also ähnliche Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ 30-31/2018 Aufgaben wie heutzutage Die nächste Ausgabe erscheint am 6. August 2018. der Bundes-Tag.