Inn

Um das Jahr 350 Rom * Als im 4. Jahrhundert - nach der Bekehrung Konstantins - das "Römische Imperium" ein "christliches Reich" wird, muss sich das Christentum der veränderten Situation anpassen.

Augustinus entwirft die Theorie des "gerechten" Krieges: "Gerecht werden die Kriege genannt, die Unrecht rächen". Und weiter: "Ich glaube nicht, dass der Soldat, der einen Feind tötet, wie auch der Richter und der Henker, die einen Verbrecher hinrichten, sündigen, denn mit ihrem Handeln gehorchen sie dem Gesetz".

Nur ein Krieg mit dem Ziel Reichtümer und Ehre zu gewinnen, gilt als unstatthaft. Ein "gerechter Krieg" sollte dagegen Unrecht strafen und wieder gutmachen.

Um 420 Algerien * Aurelius Augustinus, einer der vier lateinischen "Kirchenlehrer" der Spätantike, hat sich bereits im frühen 5. Jahrhundert mit dem beschäftigt, was wir heute unter den Begriffen "Hexe" und "Schadenszauber" verstehen.

Es geht ihm aber weniger um die Angst vor einer "schädlichen Magie", sondern vielmehr darum, den christlichen Glauben von allen Verunreinigungen durch den "heidnischen" und "abergläubischen" Irrglauben zu reinigen.

Augustinus will die "absolute Überlegenheit" des katholischen Christentums propagieren und deutet deshalb die heidnischen Götter und Göttinnen zu "teuflischen Dämonen" um, die "Luzifer" hierarchisch unterstellt wären.

Wer also in diesem Sinne "Magie" betreibt, macht sich automatisch des "Teufelspaktes" schuldig.

22. Juni 431 Ephesus * Das Konzil von Ephesusbeginnt. Es dauert bis zum 31. Juli. Auf dem Konzilwird das erste Marianische-Dogmader katholischen Kirche verkündet. Es lautet: "Maria ist Mutter Gottes."

5. Mai 553 Konstantinopel * Das "Konzil von Konstantinopel" beginnt. Es dauert bis 2. Juni.

Das "Konzil von Konstantinopel" verkündet den zweiten "Marianischen Glaubensgrundsatz". Er lautet: "Maria hat Jesus als Jungfrau empfangen und geboren".

Um das Jahr 650 Rom * Im 7. Jahrhundert wird die "augustinische Definition" präzisiert: "Gerecht ist ein Krieg, der nach Warnung geführt wird, um Güter zurückzugewinnen oder Feinde zurückzuschlagen".

Genau dieses Argument dient zur Rechtfertigung der "Kreuzzüge", die sich zum Ziel gesetzt haben, die "heiligen

Seite 1/362 Stätten" zurückzugewinnen, da sie unzulässigerweise von den "Ungläubigen" besetzt worden sind.

3. Juli 750 Erching * Der Freisinger Bischof Joseph von Verona erhält von Herzog Tassilo III. Grundbesitz im benachbarten Erching, wozu auch Bauerngüter in Föhring gehören. Damit beginnt die Besitzgeschichte der Freisinger Bischöfe in Föhring.

753 Freising * Der Weinanbau in Freising ist urkundlich belegt.

Bischof Arbeo nennt Altbayern ein "mit Wein wohlversehenes Land". Bis in die Gegend des Tegernsees und Schliersees, am Staffelsee und Chiemsee, bei Adelholzen und Traunstein, bei Tölz und Lenggries wird Wein angebaut.

Das "Kerngebiet" des regionalen Landweins, des sogenannten "Baierweins", liegt an den Hängen der Donau, bei Regensburg, Kehlheim und Donaustauf vor allem.

Von der Donau aus schiebt sich der Weinbau in die Seitentäler der Wörnitz, der Altmühl, der Naab und des Regen hinein. Im schwäbischen Donauwörth, bei Straubing und Passau, an den Ufern von Isar und Inn, an Salzach und Rott wird Wein angebaut. Landshut und die untere Isar sind Zentren des Weinanbaus, deren besten Gewächse noch bis ins 17. Jahrhundert in die "Hofkeller der Münchner Residenz" wandern. ab 800 Mitteleuropa *Beginn der Zeit des mitteleuropäischen Klimaoptimums für den Weinanbau.

10. August 955 Lechfeld * Die dreitägige "Schlacht auf dem Lechfeld" beginnt.

Die "Hunnen" genannten ungarischen Reiterhorden werden von einem zusammengewürfelten Heer aller deutschen Stämme (Sachsen, Franken, Baiern und Schwaben) besiegt.

Anschließend setzen die "Panzerreiter" Ottos des Großen den Flüchtenden nach, werden "eingeschlossen und von Bewaffneten niedergemacht". Weitere Tausende Ungarn ertrinken angeblich in den Fluten des Lechs, dessen Wasser vom Blut der vielen Toten rot gefärbt ist. Das "Schlachtfeld" am Lech ist mit Toten übersät.

Die "Schlacht auf dem Lechfeld" gilt unter Historikern als eines der bedeutendsten Ereignisse in der deutschen Geschichte. Man spricht sogar von der "Geburtsstunde der deutschen Nation".

10. April 1096 Trier * In Trier gestaltet sich das Zusammenleben der "Juden" und der "Christen" bislang weitgehend friedlich.

Seite 2/362 Doch jetzt drohen die "Kreuzfahrer" den "Juden" mit einem "Massaker", wenn sie nicht auf ihre Geldforderungen eingehen.

In ihrer Todesangst geben ihnen die "Juden" alles, was sie haben. Daraufhin ziehen die "Kreuzfahrer" weiter, doch kommt dann der zweite Trupp und verlangt ebenfalls Geld und Wertsachen. Die "Juden" kratzen den Rest zusammen und geben es hin. Der Trupp zieht ab und schon bald kommen die nächsten "Kreuzfahrer-Kontingente", die zum Teil auch mit "Bürgern" der Städte und den "Landbewohnern" gemeinsame Sache machen.

Nun haben die "Juden" nichts mehr, weshalb fundamentalistische Geistliche in den Reihen der "Kreuzfahrer" die Losung ausgeben: "Wer einen Juden erschlägt, dem werden seine Sünden vergeben".

Berufen können sie sich auf den Abt des Klosters, aus dem auch Papst Urban II. stammt, Pierre de Cluny. Sein Leitspruch lautet: "Es ist sinnlos die Feinde unseres Christenglaubens in der Fremde zu bekämpfen, wenn diese Juden, die schlimmer als die Muslims sind, in unseren Städten ungestraft unseren Herrn Jesus Christ beleidigen dürfen".

Insgesamt kommen anlässlich des "Ersten Kreuzzuges" mindestens 2.500 Angehörige der deutschen "Judengemeinden" ums Leben. Nur wer sich nach christlichem Ritus "taufen" lässt, kann sein Leben retten. Viele "Juden" ziehen allerdings der "Zwangstaufe" den "Freitod" vor.

1126 Jerusalem * Hugo von der Champagne tritt dem "Templer-Ritterorden" bei - und damit beginnen die "Schenkungen" zu strömen.

1130 Clairvaux * Für Bernhard von Clairvaux ist der "gerechte Krieg" als das "kleinere Übel" akzeptiert.

Unter Christen ist er nur gerecht, wenn die "Einheit der Kirche" auf dem Spiel steht. Gegen die "Juden", die "Ketzer" und die "Heiden" soll Gewalt vermieden werden, weil sich die "Wahrheit" nicht mit Gewalt durchsetzen lässt.

Der Christ soll überzeugen, weshalb - aus der Sicht des später zum "Heiligen" erklärten Bernhard von Clairvaux - gegen diesen Personenkreis nur ein "Verteidigungskrieg" gerechtfertigt ist, bei dem er allerdings die Gewalt auf ein Mindestmaß reduziert wissen will.

Vom "Gerechten Krieg" zum "Heiligen Krieg" ist es damit nicht mehr weit, solange er gegen die "Heiden" und "Ungläubigen" gerichtet ist. Bernhard von Clairvaux hebt in seinen "Kreuzzugpredigten" die islamische Aggression und Bedrohung der gesamten christlichen Kirche hervor. Sein Fazit lautet: Nur durch einen "Gerechten und Heiligen Krieg" kann der "Frieden" wieder hergestellt werden. Unter "Frieden" versteht der Kirchenmann die "Aufrechterhaltung der gottgewollten Ordnung".

Bernhard von Clairvaux will aus "Raubrittern", "Weiberhelden", "Totschlägern", "Meineidigen" und "Friedensbrechern" zutiefst beherrschte, asketische und christliche Ritter machen. Dabei will er aber die

Seite 3/362 natürlichen Triebe - wie Aggression - nicht unterdrücken, sondern sie durch höhere Ziele - sozusagen - "veredeln". Im Zentrum seines Werkes steht deshalb der Begriff der "militia Christi". "Gute Ritter" kämpfen, um Glauben und Kirche zu verteidigen, "Schlechte Ritter" wirken in prunkvollem Aufzug und folgen eigensüchtigen Motiven. In einer Werbeschrift für die "Tempel-Ordensritter" sagt der heilige Bernhard: "An erster Stelle stehen Disziplin und uneingeschränkter Gehorsam. Jeder kommt und geht, wie es der Vorgesetzte befiehlt. Jeder trägt die ihm zugeteilte Kleidung, keiner besorgt sich Nahrung oder Kleidung nach seinem Gutdünken. Hinsichtlich Ernährung und Gewandung gibt man sich mit dem Notwendigsten zufrieden und meidet alles Überflüssige. Die Templer leben maßvoll und fröhlich in einer Gemeinschaft, ohne Frauen und Kinder. Um der apostolischen Lebensweise möglichst nahe zu kommen, leben sie alle unter gleichen Bedingungen im gleichen Haus, auch nennen sie nichts ihr eigen, um einer einheitlichen Gesinnung und eines friedlichen Zusammenlebens willen. Ungebührliche Reden, nutzlose Beschäftigung, lautes Gelächter, heimliches Tuscheln und selbst unterdrücktes Kichern sind unbekannt. Sie verabscheuen Schach und Würfelspiel; sie hassen die Jagd, ja, sie erfreuen sich nicht einmal am Flug des Falken. Sie verachten Komödianten, Taschenspieler, Schwätzer und zweideutige Lieder sowie Vorstellungen von Possenreißern, denn sie erachten das alles als sinnlose, nichtige Torheiten. Sie tragen das Haar kurz geschnitten, weil es ihrer Ansicht nach beschämend für einen Mann ist, langes Haar zu haben. Niemals übertrieben gekleidet, baden sie selten; sie sind schmutzig und behaart, und ihre Haut erscheint gebräunt vom Tragen des Kettenhemds und von der Sonne". Die "Glaubenskrieger" sollen in die "Schlachten Gottes" ziehen. Und sollte ein "Templer" dabei sein Leben verlieren, so stirbt er "selig" als "Blutzeuge" für den "christlichen Glauben". In der Werbeschrift Bernhards liest sich das so: "Freue dich, starker Kämpfer, wenn du in dem Herrn lebst und siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich mit dem Herrn vereinst". Die Gegner der "Glaubenskrieger" sind ja "nur" Heiden ohne Glauben.

Um 1132 Clairvaux * Dass sich kriegerische Auseinandersetzungen nur schwer mit dem Wort und Sinn des "Neuen Testaments" in Einklang bringen lassen, bekümmert den Ordensmann, Mystiker und Prediger Bernhard von Clairvaux nur wenig.

Mit welchen rhetorischen Mittel er arbeitet und welche menschenverachtende Argumentation er dabei benutzt, lässt sich anhand eines Zitats aus einer Predigt zeigen, mit der der Heilige für den "Zweiten Kreuzzug" wirbt: "Wenn sich dein Vater auf die Schwelle legte, wenn deine Mutter die Brust zeigte, die dich genährt, so steige über deinen Vater hinweg, tritt deine Mutter mit Füßen und folge trockenen Auges dem Kreuzbanner nach. Hier für Christus grausam sein ist die höchste Stufe der Seligkeit".

Denn, so Bernhard weiter: "Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selbst, wenn er tötet, nützt er Christus". Wer aber so argumentiert, wem man "Honigsüße" nachsagt, weil er eine ideologische Grundlage für einen "Gerechten und Heiligen Krieg" und eine Argumentationskette schafft, die aus einem "Angriffskrieg" einen "Verteidigungskrieg" macht, der ist wirklich ein "komischer Heiliger".

1135 Rom-Vatikan * Papst Innozenz II., ein ehemaliger "Zisterziensermönch" und Schüler von Bernhard von Clairvaux, treibt die Gründung von "Bruderschaften" zur finanziellen Unterstützung der "Templer" voran.

1139 Rom-Vatikan * Papst Innozenz II. erklärt die "Spende der Weihen" zu einem "trennenden Ehehindernis".

Damit können verheiratete Männer nur noch dann zu Priestern geweiht werden, wenn sie ihre Frau durch

Seite 4/362 Ablegung eines "Keuschheitsgelübdes" freigibt.

Für die Erlangung der "Bischofswürde" ist sogar der Eintritt der Ehefrau in ein Kloster Voraussetzung.

1139 Rom-Vatikan * In der Bulle "Omne datum optimum" gibt Papst Innozenz II. den "Tempel-Rittern" eine umfangreiche "Ordensregel", die mit Ergänzungen im Jahr 1230 und 1260 auf insgesamt 678 Artikel anwachsen wird.

Durch die "päpstliche Bulle" werden die "Tempelherren" als "extemt" erklärt, also aus dem kirchlichen Gesamtorganismus heraus genommen. Sie sind damit die erste Gemeinschaft von "Rittermönchen", die jeglicher "bischöflicher Jurisdiktion" entnommen und alleine und direkt dem "Heiligen Stuhl" unterstellt sind.

Er erklärt die "Templer" auch zu "Vorkämpfer der Christenheit" und hebt sie damit über alle anderen "Orden".

Dadurch nehmen die "Templer" in der Gesamtkirche eine elitäre Ausnahmestellung ein, die von den Folgepäpsten fortgeschrieben und durch eine Vielzahl von "Privilegien" erhärtet wird.

So darf kein Kirchenmann oder Laie, lediglich der "Templer-Meister" mit Zustimmung des "Kapitels", die "Ordens-Statuten" ändern. Das Recht der "Tempel-Ritter" eigene "Priester" zu haben, wird in der "Bulle" ebenso festgeschrieben wie die "Freistellung vom Zehent".

Die "Templer-Kapläne" sind berechtigt "Spenden" zu sammeln, um "Almosen" zu bitten und einmal im Jahr in jeder Kirche die "Kollekte" für sich zu behalten.

Einmal jährlich dürfen sie in den unter "Interdikt", dem "Verbot gottesdienstlicher Handlungen", gestellten Regionen die "Messe" halten.

Die Kirche macht - nicht nur aus Sicht der "Templer" - viel zu viel Gebrauch von dieser Strafmaßnahme, die darauf abzielt, jede religiöse Aktivität, ob das nun Messen oder die Segnungen der Sakramente sind, in einer Ortschaft, einer Region oder einem ganzen Königreich zeitweilig zu verbieten. Damit wollen die Kirchenmänner die Sünden eines Herren, einer Gemeinde oder eines Königs bestrafen.

Gottesdienste, die in solchen vernachlässigten und teilweise auch vollkommen ungerechtfertigt bestraften Regionen abgehalten werden, ziehen freilich viele Gläubige an und bringen schon deshalb außergewöhnlich hohe Einnahmen von "Almosen und Opfergaben".

Darüber hinaus dürfen die "Tempelherren" eigene "Kirchen und Friedhöfe" besitzen, worin sie auch "Exkommunizierte" beerdigen können, was ihnen häufig großzügigst gedankt wird.

Schließlich ergänzt Papst Coelestin II. die "Privilegien der Templer" indem er die "Ritter-Brüder", ihre "Vasallen" und "Grundholden" von den durch die Bischöfe ausgesprochenen "Exkommunizierungen" und "Interdikten" als ausgeschlossen erklärt. Dies geschieht sehr zum Ärgernis des "Weltklerus" und vergiftet das eh schon angespannte Verhältnis zwischen dem "Ritterorden" und den "Weltpriestern".

Seite 5/362 Dennoch hält der "Heilige Stuhl" beständig seine "schützende Hand" über die "geistlichen Ordensritter" und stellt die gewährten "Privilegien" nie in Frage.

Seit Hugo von Payns den "Tempelherren" seine Besitzungen schenkte, folgte jeder, der in den "Orden" eintritt oder sich ihm anschloss, diesem Beispiel.

Durch Schenkungen von Land und Vermögen sind die "Ordensritter" sehr schnell reich geworden. Und nachdem heimgekehrte "Kreuzfahrer" Wunderdinge über das "Heldentum der Templer" berichten, führt dies in ganz Europa zu einer großzügigen Spendentätigkeit für die Ordensgemeinschaft.

1140 Paris * Die "Templer" besitzen ausgedehnte Ländereien in Frankreich, England, Schottland, Spanien, Portugal, Flandern, Italien, im Deutschen Reich, Ungarn und in der Levante.

Geschenkt wird ihnen vor allem für die "Ablösung von Sünden" sowie das "Seelenheil" des Spenders und seiner Angehörigen. Durch Tausch, Verkauf und Erwerb optimieren die "Templer" die Ertragslage ihrer "Schenkungen" zu wirtschaftlich lukrativen Gebilden.

Da ihre Besitzungen hohe Renditen erwirtschaften, fließen dem "Ritterorden" daraus reichliches Einkommen zu. Viele ihrer landwirtschaftlichen Gründe haben sie verpachtet.

Nur wenn sich die Ertragslage der Böden wirklich rentiert, dann bearbeiten sie diese auch in "Eigenbewirtschaftung". Dafür holen sie sich eigens qualifizierte Spezialisten. In Spanien und auf den Balearen beschäftigen die "Tempelherren" dafür sogar geschickte "Muslime".

Durch ihren Kontakt zur jüdischen und islamischen Welt sind die "Tempelherren" recht weltoffen und für neue Wissenschaften und Ideen empfänglich geworden. Der "Orden" besitzt die "fortschrittlichste Technologie" der Zeit: im Bereich der "Landwirtschaft", des "Vermessungswesens", des "Straßenbaus" und der "Schifffahrt".

Die "Templer" veranlassen die "Bewässerung des Rio-Cinca-Tales" in Aragón, den Bau eines Mühlensystems an der Aude und die Einführung des vierjährigen Fruchtwechsels in der Normandie. Mit "Mühlen" lässt sich ebenso viel Geld verdienen wie mit dem "Weinanbau" in Portugal. Der Wein wird bis nach England verkauft.

Auch die "Templer-Schiffe" bringen einen erheblichen Gewinn. Den "Ordensrittern" gehören eigene Häfen, Werften und Schiffe. Sie sind die Ersten in Europa, die mit einem Magnetkompass ausgestattet sind.

Selbst die der europäischen weit überlegene arabische Medizin ist den "Templern" nicht fremd. In den Krankenhäusern des "Ordens" kommen moderne Prinzipien wie "Hygiene" und "Sauberkeit" zum Tragen und sogar das Wissen um die "antibiotische Wirkung von bestimmten Pilzen" ist vorhanden.

Die "Tempelherren" sind also keineswegs reine "Haudraufs". Neben ihren kriegerischen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten betreiben sie auch noch Geldgeschäfte.

Seite 6/362 Sie sind die einzigen Christen, die aufgrund eines weiteren päpstlichen Privilegs Geld gegen Zinsen verleihen dürfen. Dadurch können sie einen gewaltigen Reichtum anhäufen.

Und da, um seine Wertgegenstände aufzubewahren, nichts so sicher und unverletzlich ist wie ein "gottgeweihtes Haus" und nichts mehr Vertrauen erweckt als die "Templer-Burgen", die von hohen Mauern geschützt, von "Ritter-Mönchen" verteidigt vor jedem Angriff sicher scheinen, dienen diese bald als Tresore für Kostbarkeiten von weltlichen und geistlichen Herren. Sie werden zu "Depots" für Wertgegenstände, Schmuck und Geld, die den Grundstock des immer noch gesuchten "Templerschatzes" bilden.

Die "Templer" verwalten die "Depots" ihrer Kunden, die damit über ein "laufendes Konto" verfügen. Sie können Geld abheben, Zahlungen durch einen simplen Brief an den "Schatzmeister" entrichten und erhalten darüber hinaus drei Mal jährlich einen "Kontoauszug" zugeschickt.

Zu jedem trogähnlichen Geldschrank gibt es, ähnlich wie bei den heutigen "Bankschließfächern", zwei verschiedene Schlüssel. Je einen für den "Hüter der kirchlichen Kostbarkeiten" und dem "Depotinhaber". Bis auf wenige Ausnahmen sind die Depots der "Templer" absolut sicher, da geldgierige Herrscher nur ganz selten ihre Finger nach ihnen ausstrecken.

So können sich die Niederlassungen der "Templer" in Europa und im Nahen Osten zu "Zentren des Finanzwesens" entwickeln und das "Pariser Ordenshaus", der "Temple", zum "europäischen Finanzzentrum". Der König von Frankreich vertraut beispielsweise im 13. Jahrhundert seine "Kronjuwelen" der Obhut der "Pariser Templer" an.

Die Finanzspezialisten der "Tempelherren" führen bald fortschrittliche Techniken im "Kreditwesen" und in der "Buchführung" ein. Sie entwickeln den "bargeldlosen Zahlungsverkehr" und führen den "Wechselbrief" und den "Scheck" in Europa ein.

Wer also in einem "Ordenshaus" eine Summe einzahlt, kann sie nach Vorlage der "Kassenanweisung" in einer weit entfernten "Komturei" wieder in Empfang nehmen. Der "Orden" kassiert dafür lediglich Gebühren und verdient an den Zinsen. Doch wird dadurch der risikoreiche Transfer von Münzgeld fast völlig entbehrlich.

Neben der einfachen Vermögensverwaltung für Dritte betreibt der "Templer-Orden" auch "Geldleihe", wodurch er die eigenen Gelder und die ihnen durch Dritte anvertrauten Einlagen arbeiten lässt. Alle "Klöster" und "Konvente" fungieren deshalb als "Leihkasse".

An Bauern verleihen die "Templer" kleinere Summen, damit diese einen Engpass überbrücken können, Kaufleuten geben sie größere Kredite. Als Sicherheit ziehen sie Grundbesitz heran. Gibt es bei der Rückzahlung des Kredits Probleme, dann halten sie sich an den Ländereien des "Schuldners" schadlos.

Zwar passen die Finanzaktivitäten des "Templer-Ordens" nicht zu ihrer religiösen Berufung, es ist aber die allgemein den "Ritterorden" aufgetragene Mission, die sie auch in diesem Bereich tätig werden lassen. Auch die "Johanniter", der "Deutsche Orden" und selbst die traditionellen "Mönchsorden" betätigen sich ähnlich,

Seite 7/362 allerdings auf einer wesentlich niedrigeren Stufe.

Um im Orient überleben zu können, muss der "Templer-Orden" über umfangreiche Finanzmittel verfügen und all seine Einkünfte weitestgehend in Geld verwandeln. Sie kaufen dazu auf Märkten und Messen möglichst viele Rechte und Monopole, die ihnen wiederum Einnahmen sichern.

So wird zum Beispiel das ausschließliche "Wiegerecht", das der "Orden" vom Grafen der Champagne erwirbt, sehr zu Ungunsten der dort ansässigen Bürger vereinnahmt. Von dem eingenommenen und erwirtschafteten Verdienst gehen anfangs ein Drittel an die Häuser im Orient. Später werden die Abgaben auf ein Zehntel reduziert.

Aus abendländischer Sicht entsteht immer wieder der Eindruck, als hätten die Männer und Frauen aus dem Westen die Kultur in den "Nahen Osten" gebracht. Genau das Gegenteil ist richtig.

Die arabischen Reiche sind den Christen nicht nur militärisch, sondern auch in ihrer Kultur weit überlegen. Dort im Osten ist das geistige Erbe der Griechen und Römer bewahrt und weiterentwickelt worden. Geniale Mathematiker und Astronomen sowie geschickte Kaufleute kommen von dort her.

Die Araber haben ein Zahlensystem entwickelt: die arabischen Ziffern, die wir heute noch verwenden. Eine der wesentlichen Neuerungen besteht darin, dass es für "nichts" ein eigenes Zeichen gibt: die "Null". Diese macht das Multiplizieren und das Bruchrechnen viel einfacher und erlaubt die einprägsame Darstellung des "Dezimalsystems".

Und genau dieses System lernen die Christen, allen voran die "Tempelherren", zur Zeit der "Kreuzzüge" kennen. Die "arabischen Ziffern" ersetzen die bisher üblichen "römischen". Da die Kaufleute nun einfacher rechnen können, rechnen sie auch besser und erhalten damit ein genaueres Bild über den Verlauf ihrer Geschäfte.

3. Mai 1140 Freising * Der "Stauferkönig" Konrad III. verleiht dem Freisinger Bischof in einer Urkunde das Privileg, wonach

im gesamten Bistum die "Münzstätten" bischöflich sein müssen, der Stadt Freising ein "vollberechtigter Fernhandelsmarkt" für Salz und andere Großgüter gewährt wird und gleichzeitig die Errichtung weiterer "Fernhandelsmärkte" im Bistum ohne königliche Legitimation ausdrücklich verboten wird.

Bischof Otto I. von Freising, aus dem Geschlecht der Babenberger, will den Raum seines "Bistums" alleine seinen Interessen unterordnen. Die monopolistische Politik des "Kirchenfürsten" richtet sich zunächst gegen den amtierenden Herzog, das war Ottos eigener Bruder Leopold IV., aber auch gegen alle künftig regierenden Herzöge.

In der Folge verlegt der Kirchenfürst das "Freisinger Marktrecht" kurzerhand an das wesentlich verkehrsgünstiger gelegene Föhring. Damit maßt er sich ein ihm nicht zustehendes "königliches Privileg" an.

Seite 8/362 Dieser Flussübergang stellt jedoch für den geschäftstüchtigen "Freisinger Bischof" eine sichere, lukrative, aber auch kostengünstige Einnahmequelle dar, da die zum Salz- und Warentransport benutzten "Saumpferde" zuvor lange Zeit auf den herzoglichen Straßen unterwegs sind, um nur kurz vor der Isarbrücke auf "Freisinger Gebiet" zu wechseln und es danach ebenso schnell wieder zu verlassen. Dazwischen kassieren die "bischöflichen Zöllner".

Außerdem lässt Bischof Otto I. hier eine "Salzniederlage" und "Zollstätte" errichten, mit der er sich den ganzen "Handel mit Salz" zinsbar macht, und das, obwohl es für Föhring gar keine "Marktverleihungsurkunde" gibt.

Der Markt in Föhring beruht nur auf dem "Herkommen", also auf einem "Gewohnheitsrecht".

1144 Europa * Ab dem 12. Jahrhundert beginnt die Blütezeit der Alchemie auch im christlichen Abendland. Die europäischen Alchemisten übernehmen das über den jüdisch-muslimischen Kulturkreis entwickelte Wissen und lassen sich vom abwägend-kritischen Denken ihrer orientalischen Kollegen inspirieren.

Bedeutende arabische Alchemiebücher werden ins Lateinische übersetzt. Das erste ist das "Buch über die alchemischen Mischungen" aus dem Jahr 1144. Dadurch kann sich die Alchemie zu einer weit verbreiteten Form früher Naturwissenschaft entwickeln. Dabei ist die neue Sicht auf die Natur wesentlich, die bis dahin - wenn überhaupt - lediglich als Beiwerk der auf den Menschen konzentrierten Schöpfung aufgefasst wird.

25. Dezember 1144 Edessa * Dem kometenhaften Aufstieg der Templerim Osten und der erfolgreichen Tätigkeit im Westen folgt ein langsamer, sich immer mehr beschleunigender Niedergang des Ritterordens. Er beginnt am Weihnachtsabend des Jahres 1144, als der islamische Herrscher von Aleppo und Mosul, Imad al-Din Zengi, Edessa erobert.278 Templerfallen während der Kampfhandlungen.

In der islamischen Welt wird die Eroberung Edessasals Triumph im Glaubenskrieggefeiert.Immerhin war die Stadt seit dem Jahr 1098 in den Händen der Lateinischen Christen.

April 1146 Vézelay * Bernhard von Clairvaux wirbt an Ostern für die Teilnahme am "Kriegszug".

Vor der StadtVézelayer auf einem freien Feld, wo sich Tausende von Menschen einfinden: hoher und niedriger Adel, Kleriker, Söldner und viele, die der himmlische Lohn lockt, oder die normalen Zugewinne im Krieg, oder beides.

Der "Zisterzienser-Abt" predigt: "Du tapferer Ritter, du Mann des Krieges, jetzt hast du eine Fehde ohne Gefahr, wo der Sieg Ruhm bringt und der Tod Gewinn". Bernhard von Clairvaux wendet sich auch an die Kriminellen und fordert sie zur "Kreuzfahrt" auf: "Ist es denn nicht eine ausgesuchte und allein für Gott auffindbare Gelegenheit, dass der Allmächtige Mörder, Räuber, Ehebrecher, Meineidige und mit anderen Verbrechen Belastete in seinen Dienst ruft. [...] Misstraut nicht, Sünder, der Herr ist bei euch!"

Und weiter: "Selige nenne ich die Generation, die den Zeitpunkt derart reichlicher Vergebung ergreift und dieses wahrhafte Jubeljahr lebend angetroffen hat. [...] Gürtet euch mannhaft und ergreift im Eifer für den christlichen

Seite 9/362 Namen die Glück bringenden Waffen". Die versammelte Menge ist derart begeistert, dass sie die Teilnahme an dem "Kreuzzug" gelobt und Bernhard, um genügend Stoffkreuze für die Gewänder der "Kreuzfahrer" zur Verfügung zu haben, seine Kleider zerreißen muss. Die "Kreuzzug-Ideologie" ist inzwischen auf die verschiedensten Schauplätze christlicher Kriegsführung übertragbar gemacht worden. Deshalb soll der "Zweite Kreuzzug" nicht nur mehr im "Nahen Osten", sondern gleichzeitig an zwei weiteren Fronten stattfinden: gegen die "Mauren" in Spanien und gegen die heidnischen "Wenden" im Norden Deutschlands.

1147 Rom-Vatikan * Das rote und typische "Tatzenkreuz" der "Tempel-Ordensritter" kommt auf den weißen Umhang.

Es wird ihnen von dem, dem "Ritterorden" nahestehenden "Zisterzienser-Papst" Eugen III. verliehen. Die rote Farbe soll an den "Opfertod Christi" erinnern und die "Bereitschaft zum Martyrium für den Glauben" symbolisieren.

Ein weiteres wichtiges Erkennungszeichen ist deren "Siegel". Es zeigt eine Darstellung von zwei Rittern auf einem Pferd und wird inzwischen als "Symbol der Brüderlichkeit", des "guten Einvernehmens", der "Harmonie" und der "Disziplin", die im "Orden" herrschen soll, angesehen.

Ebenso symbolträchtig ist der Artikel "Über die Näpfe und Becher" in der "Templer-Regel". Dieser besagt: "Was die Näpfe angeht, so sollen sie jeweils für zwei Brüder verteilt werden, damit ihn sich jeder vom anderen besorge; sie sollen das Leben in der Enthaltsamkeit und im Brauch des gemeinsamen Essens schätzen lernen".

Es geht hierbei nicht um das Essen aus einem Napf, sondern um das gemeinschaftliche Leben im "Konvent".

Juli 1148 Damaskus * Die "Kreuzfahrer" können zwar die Obstgärten von Damaskus erobern, stoßen aber auf heftigen Widerstand und verlegen deshalb ihre Truppen in den Osten der Stadt.

Doch dieses Gebiet war eine offene Ebene, die weder Schutz noch Wasser bot, sodass die christlichen Kampftruppen schließlich zum Rückzug gezwungen waren. Die "Templer" erwerben sich durch ihre Teilnahme am "Zweiten Kreuzzug" den Ruf "fanatischer Kämpfer von großem Mut", "äußerster Disziplin", aber auch von "außerordentlicher Überheblichkeit".

Frankreichs König Ludwig VII. berichtet, dass es nur den "Tempelherren" zu verdanken sei, dass der falsch geplante und schlecht geführte "Kreuzzug" nicht in einem Desaster endete.

Es folgen wechselseitige Beschuldigungen, die das Verhältnis zwischen dem "Abendland" und den "Kreuzfahrerstaaten" auf Jahre hin vergiften. Und die Akteure des "Zweiten Kreuzzuges" beschönigen die Geschichte, indem sie eisern die "Schmach" verschweigen oder schön reden.

Die Kritiker, die den Tod von vielen Tausenden als sinnlose Opfer bezeichnen, werden immer lauter. Bernhard von Clairvaux, der in seinen "Kreuzzug-Predigten" sagte: "Im Tod des Heiden sucht der Christ seinen Ruhm, weil Christus verherrlicht wird", erklärt jetzt, dass das Desaster durch die "Sünden der Pilger" verursacht worden ist und dass Gott deshalb den "Kreuzfahrern" seinen Segen entzogen habe. Bischof Otto von Freising, ein Bruder des "Stauferkönigs" Konrad III. und selbst aktiver Teilnehmer am "Zweiten Kreuzzug", räumt zwar den Misserfolg

Seite 10/362 des Unternehmens ein, versucht aber zumindest einen kleinen Gewinn zu erkennen, wenn er den Kritikern entgegnet: "Wenn [...] unser Feldzug nicht gut war zur Ausweitung unserer Grenzen, noch für die Wohlfahrt unseres Leibes, so war er dennoch gut für das Heil vieler Seelen".

Bernhard von Clairvaux ist von der Kritik an seiner Person schwer enttäuscht, weshalb er sich gegenüber Papst Eugenius III. ausführlich rechtfertigt und dabei jede Schuld von sich weist: "Wir eilten nicht dorthin wie ins Ungewisse, sondern auf Deinen, ja durch Dich auf Gottes Befehl". Der "Zisterzienser-Abt" lässt sich schließlich in Chartres erneut zum Anführer eines "Kreuzzuges" wählen, doch der Papst will nach den gemachten leidigen Erfahrungen diesen Plan erst fördern, wenn die Aussicht auf Erfolg auch gesichert ist.

6. April 1156 Worms * In Worms erklärt Kaiser Friedrich Barbarossa in einer Urkunde alle Zölle am Main - bis auf wenige Ausnahmen - für aufgehoben.

Fernhändler hatten sich bei ihm beschwert, dass sie zwischen Bamberg und Mainz allzu oft von regionalen Herrschern zur Kasse gebeten würden. Die Anmaßung königlicher Befugnisse durch die Fürsten widerspricht aber den politischen Zielen Kaiser Friedrich Barbarossas, weshalb er diesen Missbrauch eindämmen will.

Der Kaiser setzt den Grundherren daraufhin eine Frist, binnen der sie die Berechtigung dieser Zollerhebungen anhand königlicher Privilegien nachzuweisen haben. Nur die wenigsten Betroffenen können den geforderten Nachweis erbringen.

Gut vorstellbar, dass sich vor diesem Hintergrund auch ein heftiger Streit über die "bischöflichen Einnahmen" aus dem "Zoll", dem "Markt", der "Münze" und der "Isarbrücke" in Föhring entzündet hat. Man muss davon ausgehen, dass Herzog Heinrich XII. "der Löwe" die unsicheren Rechtsgrundlagen des Freisinger Bischofs Otto I. über seine selbstherrlich geschaffenen Einrichtungen bewusst sind.

Außer den Ansprüchen der beiden Kontrahenten spielt dabei natürlich auch das machtpolitische Interesse des Kaisers mit. Dieser tritt zwar vordergründig als unparteiischer Richter oder Schlichter auf, kann aber im Hintergrund agierend so seine Interessen und Ziele dennoch verwirklichen.

Der Herzog und der Kaiser ziehen also am gleichen Ende des Seiles.

Um den 1. Februar 1176 Chiavenna * Es kommt zum Bruch zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen, nachdem der Herzog in Chiavenna am Comer See dem Kaiser die militärische Unterstützung für dessen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Lombardei versagt. Denn als Gegenleistung verlangt Herzog Heinrich der Löwedie Kaiserpfalz Goslar und deren reichen Silberminen. Eine Forderung, die der Kaiser strikt ablehnt.

Es kommt angeblich zum Kniefall des Kaisers vor dem mächtigen und uneinsichtigen Herzog - und damit kommt es unausweichlich zum Konflikt. Nun beginnt der Stern des Löwenzu sinken, denn ein kaiserlicher Kniefall gehört zum Zeremoniell der staatlichen Ordnungund gilt zugleich als ein Verfassungselement. Da sich aber der Welfenherzog auch durch diese kaiserliche Geste nicht erweichen lässt, verletzt er die Regeln, was ihm als Überheblichkeit, Hochmut und Verachtung gegenüber dem Reich und dem Kaiser ausgelegt wird.

Seite 11/362 Um 1180 München * Die erste Isarbrücke entsteht.

Der Verlauf der "Salzstraße" findet sich heute in der "Einstein-" und in der Fortsetzung in der "Inneren-Wiener-Straße" wieder. Beim später entstandenen "Leprosenhaus" führt sie über den Streckenabschnitt "Am Gasteig" (= gacher Steig = steiler Weg) mit einem starken Gefälle hinunter zur Isar, die durch mehrere Inseln in viele Flussläufe geteilt ist.

13. Juli 1180 Regensburg * Auf dem Reichstag zu Regensburgwiderruft Kaiser Friedrich Barbarossa die Belehnung des Herzogtums Baiern an Herzog Heinrich dem Löwen. Das Regensburger Urteil, der zweiten für die Gründung Münchenswichtigen Kaiserurkunde, wird vom selben Fürstengremium getroffen, das den Herzog zuvor abgesetzt hat und steht damit natürlich in einem engen Zusammenhang mit der EntmachtungHeinrichs des Löwen.

Erstmals ist darin von der Zerstörung der Brückeund der gewaltsamen Verlegung des Marktes von Föhringdie Rede. Die Regensburger Kaiserurkundebezieht sich allerdings mit keinem Wort auf den Augsburger Schiedvom 14. Juni 1158. Dafür heißt es: "Es mögen daher in Gegenwart und Zukunft alle Getreuen des Reiches wissen, dass unser geliebter Albert, Bischof von Freising, vor unserer Majestät erschienen ist und untertänig vor uns Klage geführt hat, dass der Edelmann Heinrich von Braunschweig, vormals Herzog von Baiern und Sachsen, den Markt mit der Brücke in Föhring, den seine Kirche seit uralten Zeiten ungestört in Besitz gehabt hatte, zerstört und ihn gewaltsam in den Ort München verlegt habe".

Die Darstellung ist knapp und sehr ungenau. Welchen Markt und welche Brücke sollte denn der Löwe zerstört haben? Lautete der erste Punkt des "Augsburger Schieds" vom 14. Juni 1158 doch: "Der Markt, der bisher zu Föhring abgehalten wurde, die Zollbrücke und die Münze, werden dort künftig nicht mehr bestehen".

Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Stadt enthält der vierte Absatz des Kaiserdiplomseine regalrechtliche Regelung.Demnach wird dem Freisinger Bischof der Marktund die Zollbrückeübertragen. Wie künftig die Einkünfte der Münze aufgeteilt werden, darüber trifft die Urkunde jedoch keine Aussage.

Um diesen Sachverhalt und die Berechtigung der Klage zu untermauern und eine spätere eventuelle Zurücknahme der Entscheidung zu verhindern, bietet der Freisinger Bischof eine Reihe von hochrangigen Würdenträgern als Zeugen auf.

Damit ist die Rechnung des Klage führenden Bischofs von Freising aufgegangen, indem er sich an das knapp einen Monat zuvor abgeschlossene landrechtliche Verfahrenangehängt und gewonnen hat. Er hat in dieser Verfahrensweise die Gelegenheit gesehen, über eine Verurteilung des Welfenherzogs als Friedens- und Rechtsbrecher einen Gewinn für die eigene Kirche herauszuholen. Die Münchner Stadtherrschaftder Freisinger Bischöfe wird bis zum Jahr 1240 andauern.

1198 Rom-Vatikan * Papst Innozenz III. erklärt, dass "alle, die öffentliche Frauen aus dem Bordell führen und sie zu Ehefrauen machen, den Ablass ihrer Sünden erhalten".

Wohlgemerkt, der Ehemann erhält den "Ablass", nicht die "Ex-Prostituierte".

Seite 12/362 Vor 1202 München-Graggenau * Die Münchner "Seelhäuser" mit ihren kleinen Gemeinschaften der "Seelnonnen" haben ihren Ursprung in der "Armenbewegung" und der "religiösen Frauenbewegung" des Spätmittelalters. Sie stehen damit in Beziehung zu der weite Teile Europas erfassenden "Beginenbewegung".

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hat sich die Lebensform der weiblichen "Beginen" und der männlichen "Begarden" rasch in Flandern, Brabant, den nördlichen Niederlanden, in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz ausgebreitet.

In einem Bericht aus dem Jahr 1241 heißt es dazu: "Die Anzahl gewisser Frauen, die das Volk Beginen nennt, mehret sich, vor allem in Deutschland, bis zu Tausenden und Abertausenden in unglaublicher Weise; sie geloben und beobachten die Keuschheit und fristen von ihrer Hände Arbeit ein Leben der Zurückgezogenheit".

Die frühesten zeitgenössischen Berichte über "Beginengemeinschaften" verweisen auf das "Herzogtum Brabant", auf die "Diözese Lüttich". Als älteste nachweisbare Niederlassung gilt das "Beginenhaus" von Tirlemont in Brabant. Es besteht bereits vor dem Jahr 1202.

In die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts fallen die Entstehung der brabantischen "Beginensiedlungen" von Nivelles [1220] und Herentals [1226] sowie der große "Beginenhof" von Löwen [1232]. In der "Grafschaft Flandern" entstehen die "Beginenhöfe" in Gent [1234], Kortrijk [1238] und Brügge [1245].

Die Hochburgen der "Beginen" im deutschen Sprachraum sind Großstädte und Bischofssitze wie Köln, Straßburg, Mainz, Basel, Worms, Trier und Würzburg, die als soziale, wirtschaftliche und geistige Zentren günstige Voraussetzungen für das Entstehen von "Beginengemeinschaften" bieten.

Schon für das Jahr 1211 - oder kurz danach - ist der Ursprung eines "Beginenkonvents" in Nürnberg bekannt, aus dem später das "Dominikanerinnenkloster Engental" hervorgeht. Der erste "Beginenhof" in Ulm, die "Sammlung", wird kurz nach dem im Jahr 1229 entstandenen "Franziskanerkloster" gegründet.

Für 1241 sind "Beginen" in Nördlingen, 1243 in Dillingen belegt. Anno 1242 wird eine "femina religiosa" in Frankfurt, 1244 eine "sorores conversae" in Straßburg genannt.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstehen auch in München mehrere "Seelhäuser" als "Stiftungen" wohlhabender Bürger.

1207 San Damiano * Der "Franziskanerorden" - als erster "Bettelmönchsorden" - wird gegründet.

Franz von Assisi wandelt das benediktinische "Gelübde der Armut" in ein "Gelübde des Bettelns" um und schließt damit eine Lücke im System der katholischen Kirche. Er verkündet "völlige Armut und politische Machtlosigkeit" und lehnt jede "hierarchische Unterordnung innerhalb des Ordens" ab.

Die "Franziskaner" gehen barfuß, verfügen weder über Grundbesitz noch Vermögen, ihre Kleidung besteht aus einem groben grauen Umhang mit einer Kapuze, der mit einem Strick zusammengehalten wird.

Seite 13/362 So gekleidet unterscheiden sie sich kaum von den damals populären "Wanderpredigern". Nur für den täglichen Bedarf dürfen die Mönche betteln, doch außer für kranke Mitbrüder kein Geld annehmen.

Besonders die Schichten der städtischen Bewohner, die sich früher wahrscheinlich den "Ketzern" zugewandt hätten, geraten nun in den Bannkreis der "Minoriten", die für sie das Ideal einer am "Urchristentum" orientierten Kirche verkörpern.

Obwohl die "Franziskaner" von einer Woge des im Volk populären Armutsideal emporgetragen worden sind, nimmt sie die Kirche dennoch nur schrittweise auf.

Anno 1215 Rom-Lateran * Mit der Gründung des "Ordens der Reuerinnen der Heiligen Magdalena" wird den "Prostituierten" die Möglichkeit eröffnet, in ein "sündenfreies Leben" zurückzukehren.

1223 Rom-Lateran * Nachdem der "Franziskanerorden" bereits in vielen Teilen Europas - möglicherweise auch schon in München - Anhänger gefunden hat, bestätigt Papst Innozenz III. die Ordensregel schriftlich.

Nicht aber ohne zuvor noch Änderungen vorzunehmen. So werden beispielsweise die "Wanderpredigten" verboten und es muss eine Organisation, verbunden mit dem Entstehen einer Ordenshierarchie, aufgebaut werden.

1226 Rom-Lateran* Die Ordensgemeinschaft der "Einsiedlerbrüder vom Berge Karmel" erhält ihre päpstliche Bestätigung.

Mit dem Vordringen der Muslime gehen viele Eremitenmönche im 13. Jahrhundert nach Zypern, Sizilien, Südfrankreich und England. Dort wenden sie sich einer mehr weltzugewandten Richtung zu, sodass Papst Innozenz IV. die "Karmeliter" unter die Bettelorden eingereiht und ihnen so die Möglichkeit der Niederlassung in den Städten gibt.

1232 Landshut * Herzogin Ludmilla von Baiern, die Ehefrau von Herzog Ludwig I. "der Kelheimer", gründet in der Nähe von Landshut das "Zisterzienserinnenkloster Seligental".

5. August 1240 Landshut * Herzogin Ludmilla von Baiern, die Ehefrau von Herzog Ludwig I. demKelheimer, stirbt in Landshut. Ihre Grabstätte befindet sich im Zisterzienserinnenkloster Seligentalbei Landshut.

Um das Jahr 1250 Italien * Thomas von Aquin greift die Ideen des "Kirchenlehrers" Aurelius Augustinus aus dem frühen 5. Jahrhundert wieder auf und entwickelt die weitreichende Theorie des "explizit" [= ausdrücklich] und "implizit" [=

Seite 14/362 stillschweigend] geschlossenen "Teufelspaktes", nach dessen Abschluss die Dämonen dem "Magier, Zauberer oder Wahrsager" hilfreich zur Seite stehen.

Neben seiner Lehre vom "Teufelspakt" spekuliert Augustinus darüber, ob der Geschlechtsverkehr zwischen Frau und Dämon möglich sei und ob daraus Nachwuchs hervorgehen könne.

Auch Thomas von Aquin vertritt die Auffassung, dass es zwischen Menschen und Dämonen zu Sexualkontakten kommen kann. Da aber alle "Schöpferkraft" nur bei Gott liegt, können sie keine Kinder zeugen.

Deshalb muss der Dämon zuerst in Gestalt einer "succuba" [= weiblicher, unten liegender Dämon] einem Mann den Samen entziehen, um ihn dann in Gestalt eines "incubus" [= männlicher, oben liegender Dämon] einer Frau einzupflanzen.

Diese Theorie wurde ebensolange diskutiert wie die Frage, ob solche im Prinzip vom Menschen abstammenden Kinder eine zu taufende "Seele" hätten oder nur "teuflische Wechselbälger" seien.

Ja, mit so einem Unsinn können sich intelligente Menschen scheinbar intensiv beschäftigen.

1252 Rom-Lateran * Papst Innozenz IV. sieht in der Bulle "Ad extirpendam" die "Folter" ausdrücklich als Mittel vor, um in Fällen der "Häresie" die Wahrheit ans Licht zu bringen.

1284 München-Graggenau - München-Angerviertel * Die beginnende Erweiterung Münchens auf den sechsfachen Umfang des befestigten Marktes Heinrichs des Löwen führt zur Verlegung des "Franziskanerklosters" nördlich der herzoglichen Burg.

Besondere Unterstützung findet der Neubau des "Franziskaner-Klosters" durch die Familie der Sendlinger, die eigentlich an der Errichtung eines "Klarissenklosters" interessiert ist. Sie kauft den "Barfüßern" deshalb das bestehende "Angerkloster" weit über seinen Wert um 800 Pfund Pfennigen.

Damit können die "Klarissen" aus dem Kloster Söflingen, also Nonnen des "Zweiten Ordens" der "Franziskaner", das verlassene Kloster "St. Jakob am Anger" übernehmen.

3. Februar 1290 Burghausen - Landshut *Herzog Heinrich XIII. stirbt in Burghausen. Seine Grabstätte befindet sich im Zisterzienserinnenkloster Seligentalbei Landshut.

5. April 1291 Akkon * Beginn der Belagerung von Akkon.

18. Mai 1291

Seite 15/362 Akkon * Akkon wird nach mehreren Wochen der Verteidigung von den Muslimenerobert. Die Templerleisten aus ihrem turmartigen Haus weiterhin Widerstand. Als jedoch die Situation für die Verteidiger immer aussichtsloser wird, verspricht ihnen Sultanal-Aschraf Halil den freien Abzug.

Kaum haben die Ordensritterden Turm verlassen, stürzen sich die Angreifer auf sie, nehmen sie fest und schlagen ihnen die Köpfe ab.Als die sich noch im Turm befindlichen, aber verwundeten Tempelherrendies bemerken, setzen sie sich mit letzter Kraft wieder zur Wehr. Daraufhin beginnen die Belagerer mit dem Unterminieren des Turmes.

16. November 1306 München-Angerviertel * Die Klarissinnen-Nonnenvom Kloster Sankt Jakob am Angererhalten das Brau- und Schankrecht.

16. Oktober 1307 Paris * Frankreichs König Philipp IV. informiert die europäischen Herrscher über die Operation Templerund fordert sie umgehend zum Handeln im Sinne seiner Politik der vollendeten Tatsachen auf. Zur Untermauerung enthält das königliche Schreiben die gegen die Tempelherrenerhobenen Vorwürfe:

"Die Brüder des Ordens der Miliz vom Tempel, die die Wolfsnatur unter dem Schafspelz verbargen und unter dem Habit des Ordens in erbärmlicher Weise die Religion unseres Glaubens beleidigen, werden beschuldigt, Christus zu verleugnen, auf das Kreuz zu spucken, sich bei der Aufnahme in den Orden obszönen Gesten hinzugeben."

Und weiter schreibt der König:

"Sie verpflichten sich durch ihr Gelübde und ohne Furcht, das menschliche Gesetz zu beleidigen, sich einander hinzugeben, ohne Widerrede, sobald es von ihnen verlangt wird."

Um den 20. Oktober 1307 Paris * Die Verhöre der verhaftetenTemplerbeginnen.

1308 Oxford *Wilhelm von Ockham beginnt sein Studium der Theologie an der "Universität Oxford".

Mai 1308 Poitiers * Papst Clemens V. wird bei der Zusammenkunft in Poitiers endgültig der Wille zum Widerstand genommen.

Mit den führenden "Templern", Jacques de Molay und Hugues de Pairaud, die in Chinon inhaftiert sind, trifft der "Pontifex maximus" nie zusammen, weshalb sie ihm auch nie ihre Sicht der Dinge erklären können.

Seite 16/362 Deshalb beginnt der Papst allmählich selbst an der Unschuld der "Tempelherren" zu zweifeln und hebt die "Suspension der Inquisitoren" wieder auf.

1310 München-Graggenau * Erstmals wird ein "Rathaus" in München genannt, das als "der Stadt Haus" oder als "Haus der Bürger" bezeichnet wird.

Über die innere Einteilung dieses älteren Rathauses kann keine Aussage gemacht werden.

24. August 1313 Bounconvento/Siena * Der römische König Heinrich VII. von Luxemburg stirbt und damit beginnt ein Feilschen um seine Nachfolge. Vier Fürsten bewerben sich um seine Nachfolge.

Die meisten Chancen werden Heinrichs Sohn, König Johann von Böhmen, und dem österreichischen Herzog Friedrich der Schönezugeschrieben. Als wenig chancenreich werden dagegen die Bewerbungen von Graf Wilhelm III. von Holland-Hennegau und Herzog Ludwig IV. von Baiern angesehen.

22. Dezember 1315 Freising * Im Auftrag des Freisinger Bischofs Konrad III. dem Sendlingerwird eine Diözesan-Beschreibunggefertigt, die sogenannte Konradinische Matrikel.

Sie beinhaltet sämtliche fürstbischöfliche Besitzungen und zählt gleichzeitig alle Einnahmen auf. Daneben enthält sie eine präzise Diözesanbeschreibung, die alle Kirchen, Kapellen, Klöster und Friedhöfe aufführt.

Nach derKonradinischen Matrikelist das Bistum Freisingin 18 Dekanateeingeteilt, die insgesamt 233 Pfarreien, 564 Filialkirchen und 22 weitere Kapellen umfassen. Das rechte Isarufer gehört bis hinunter zur Menterschwaigezur Pfarrei Bogenhausen, die wiederum dem Dekanat Ismaningunterstellt ist. ?Die Pfarrei Bogenhausenumfasst die Filialkirchen mit Begräbnisstättenin Haidhausen, die Leprosenkirche am Gasteig, sowie die in Giesing, Trudering, Riem, Gronsdorf, Haar und Harthausen, einer im Dreißigjährigen Krieg untergegangenen Siedlung bei der heutigen Menterschwaige. Aus der Konradinischen Matrikelgeht auch hervor, dass die zum Dekanat Ismaninggehörende Pfarrkirche in Baumkircheneine Filialkirche in Pachembesitzt. In dieser Matrikelfindet sich erstmals eine farbige Abbildung des Hochstiftswappen, das den Freisinger Mohrenthält.

7. August 1316 Leyden* Der 67-jährige französische Kardinal Jacques Duèze - in deutschen Quellen auch Jakob von Cahors genannt - wird in Leyden in den Niederlanden nach einem vierzigtägigenConclavezum Papst gewählt. Als

Seite 17/362 Johannes XXII. besteigt er den Apostolischen Stuhlin Avignon.

Zuvor hatte Dante die sieben italienischen Kardinäle beschworen, einen Italiener zum Papst zu wählen, der die Kurie wieder nach Rom bringen sollte.Das Ansinnen hatte jedoch gegen die 17 französischen Kardinäle keine Chance. Johannes XXII. ist der zweite in Avignon residierende Papst.

Im deutschen Thronstreit nimmt Johannes XXII. lange eine abwartende Haltung ein und betrachtet den Thron des Reiches als vakant.

1318 Mittenwald * Das Speditionswesen ist in Mittenwald durch den "Verein der bürgerlichen Fuhrleute", der sogenannten "Rott", organisiert.

Die "Strata inferior", die "Untere Straße", die über den "Brenner" durch die "Grafschaft Werdenfels" führt, ist eine der "Haupttransitstrecken". Zahlreiche Ortschaften entlang dieses Verkehrsweges verdanken ihren Aufschwung diesem spätmittelalterlichen Handel und Verkehr. Neben den Städten Bozen, Meran, Innsbruck oder Schongau, sind dies in der "Grafschaft Werdenfels" Mittenwald und Partenkirchen.

Für diesen Handel bildet sich ein Frachtwesen heraus, das unter dem Namen "Rottfuhrwesen" bekannt ist.

Und so ist die "Rott" organisiert: An der Handelsstraße werden in Tagesabständen [20 bis 30 Kilometer] "Rottstationen" [= Niederlagen] errichtet. Den "Rottfuhrleuten" dieser Stationen steht das alleinige und ausschließliche Recht zu, "Rottgüter" gegen "Niederlagegeld" und "Fuhrlohn" von ihrer Station zur nächsten zu befördern.

Außerdem wird bereits von einem regen "Floßverkehr" auf der ab Mittenwald floßbaren Isar berichtet.

20. Juli 1328 Avignon * Wilhelm von Ockham wird vonPapst Johannes XXII.exkommuniziert. Er wird nun zu einem Vorkämpfer der Gegner des Papstes und beginnt sich intensiv mit politischen und kirchenrechtlichen Grundsatzfragen zu befassen.Insbesondere dem Verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Macht und den Grenzen der Befugnisse des Papstes.

1347 München * Die heutige "Ludwigsbrücke" wird im "Stadtrechtsbuch" sinngemäß beschrieben:

"Im Abstand von 36 Schuh [9,36 Meter] werden Joche, die aus einer Reihe von senkrecht zur Strömung gerichteten Baumstämmen bestehen, in den kiesigen Untergrund getrieben.

Dann sägt man sie auf gleicher Höhe ab und verbindet sie mit Querhölzern. Sechs Balken liegen von Joch zu Joch. Auf diese Balken werden Bohlen von 16 Schuh [4,67 Meter] Länge quer aufgebracht. Dies ergibt die Brückenbreite. Über diese Bohlen wird Kies geschüttet.

Seite 18/362 Die Höhe über den mittleren Wasserstand ist so ausgelegt, daß ein Mann, der auf einem Floß oder Kahn unter der Brücke hindurchfährt, mit ausgestrecktem Arm die Hauptträger nicht berühren kann".

20. Oktober 1349 Avignon * Papst Clemens VI. verbietet das Flagellantentum.Die Flagellantensind nach Beginn der Pest gekommen. Sie ziehen durch die Städte, singen Hymnen und schlagen sich mit Peitschen, um damit Vergebung für die Sünden der Menschen zu erflehen.

6. Dezember 1352 Avignon * Papst Clemens VI. stirbt. Er wird in der Abtei La Chaise-Dieu beigesetzt. Sein Nachfolger auf dem apostolischen Stuhl wird Innozenz VI..

7. August 1372 München * Da die alten Bräuämterden Bedarf an Greußlingnicht herstellen können, gibt es Zwietracht in der Münchner Bevölkerung. Da aber daraufhin "heimlich und widerrechtlich" Greußling gebraut wird, entgehen dem Herzog Steuereinnahmen. Deshalb soll künftig jeder brauen können, der vom Herzog mit dem Braurechtbelehnt wird.

Die Reform leitet das Ende des sogenannten Patrizierbrauensein.

1380 München-Graggenau - München-Angerviertel * Aufgrund seiner Zweckbestimmung als "Zollstätte für den Einfuhrzoll" wird das "Isartor" nun auch "Zolltor" genannt.

Das "Isartor" besteht zunächst nur aus dem vierzig Meter hohen, sechsgeschossigen Turm. Die spitzbogigen Torgewölbe sind gerade so breit, dass ein Planwagen die Durchfahrt passieren kann. Der Zugang zum Turm befindet sich, leicht erhöht, innerhalb der gewölbten "Torhalle".

Vor dem Tor muss erst der von Bächen bewässerte "Stadtgraben" überwunden werden. Über die Wasserfläche führen hölzerne Brücken, deren letztes Stück - unmittelbar vor dem Portal - als "Zugbrücke" hochgeklappt werden kann.

Beim Turm des "Isartores" kann man noch heute sehr gut den ins Mauerwerk eingelassenen Führungsschacht eines "Fallgitters" erkennen, dessen Einzelstäbe aus jeweils 10 bis 15 Zentimetern starkem Eichenholz bestanden haben.

1385 München-Graggenau * Städtische "Amtsleute" überwachen den "Weinmarkt".

Schon sehr früh entdeckt man den Wein als sprudelnde Einnahmequelle. Eine "Verbrauchssteuer", das "Ungelt", in Höhe von 4 Mass vom Eimer (circa 60 Mass) wird vom Herzog erhoben.

Das Bier bleibt zunächst vom "Ungelt" befreit.

Seite 19/362 26. Mai 1388 Andechs *Auf dem halbverfallenen Burgberg in Andechs machen die Herzöge Stephan und Johann unter dem Altar zufällig einen Fund. Sie entdecken eine eisenbeschlagene Holztruhe, die selbst 150 Jahre nach der Zerstörung der Andechser Burg, nicht einmal nennenswert Rost angesetzt hat, und in welcher zahlreiche Reliquien eingelagert sind. Darunter befinden sich

drei Hostien, das Spottzepter und das Schweißtuch Christi, ein Teil der Dornenkrone, ein Stück der Lanze des Longonius, das Brautkleid und das Kreuz der heiligen Elisabeth, das Siegeskreuz Karls des Großen, sowie zahlreiche Hirnschalen, Rippen, Fuß- und Armknochen.

Allerdings war bis zu ihrem wundersamen Auftauchen von diesen Reliquien niemals die Rede.

Die baierischen Herzöge bringen das Schatzkästlein samt Inhalt in die Lorenzkapelledes Alten Hofes. Die Kapelle hat schon vorher zur Aufbewahrung der Reichsinsignien gedient. Der Aufbewahrungsort und die Art der Reliquien sind eine bewusste Anspielung auf die verlorenen Reichsinsignien.

Ob es Zufall oder ein geschickt eingefädelter Coup ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Auch deshalb, weil gleichzeitig eine Vernebelungstaktik beginnt. Die Einträglichkeit eines solchen Fundes ist den Herzögen freilich bekannt. Und der seit 1385 begonnene Bau der Neuen Vestekostet viel Geld.

Ab 17. März 1392 Rom-Vatikan - München * Papst Bonifaz IX. gewährt für die Zeit vom 17. März bis zum 1. August 1392 einen auf München und seinen Burgfriedensbezirk beschränkten Ablass. Er gilt für alle Sünden, außer für vorsätzliche Tötungen.

Es war das erste "Gnadenjahr" außerhalb Roms.

Die Ablasserbitter müssen in dieser Zeit

nach München pilgern, dort sieben Tage verweilen, je dreimal die Frauenkirche, die Peterskirche, die Jakobskirche am Anger und die Spitalskapelle besuchen und mindestens einmal die ausgestellten Reliquien verehren, beichten und ein vom Beichtvater festgelegtes Almosen spenden.

Seite 20/362 Die ganze Aktion ist nur darauf angelegt, dieses "Almosen", eine versteckte Steuer, den Gläubigen aus der Tasche zu ziehen. Der Zugang zum Himmel muss mit barem Geld erkauft werden.

Der Kirche ist es höchst effektvoll gelungen, den um ihre arme Seele fürchtenden Gläubigen einzureden, sie könnten sich durch Beichte und milde Gabe von der Strafe des Fegefeuers loszukaufen: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!"

Nonnen wollen trotz Klausur nach München. Ihre Kirchenoberen können es ihnen nur unter Androhung der Exkommunikation und des Kerkers verbieten. Damit die Pilger ihr Geld nur an die vorbestimmte Stelle bringen, wird eine eigene Straßenpolizei gegründet.

Die Masse der kleinen Leute ist es, die das Geld nach München bringt. Die Geschäftsleute Münchens machen einen enormen "Schnitt". Auch die "Jakobidult" erlebt ab dem Gnadenjahr einen ungeheueren Aufschwung.

Ursprünglich hat man geplant, die Einnahmen je zur Hälfte den genannten Kirchen und dem Papst zuzugestehen.

Später wird auch Herzog Stephan ein Viertel zugesprochen.

Da die Münchner einen Teil der Einnahmen abzweigen und der Papst dadurch leer ausgeht, werden über die "ruchlose Stadt" die höchsten Kirchenstrafen verhängt: "Bann und Interdikt". Das gesamte kirchliche Leben der Stadt muss solange ruhen, bis die Gelder zurückerstattet werden.

1394 München-Graggenau * Die Franziskaner-Klosterkirche "St. Franziskus" wird dem heiligen "St. Antonius von Padua" geweiht.

Durch den Bau der Ringmauer liegt das "Franziskaner-Kloster" inzwischen geschützt innerhalb der Stadt.

1403 München * Das "Ungelt" von Wein und Met wird auf 6 Mass vom Eimer erhöht.

Neben "Steuern und Zöllen" ist das "Weinungelt" jahrhundertelang die Haupteinnahmequelle der Stadt.

25. März 1409 Pisa * Das "Konzil von Pisa" beginnt.

Noch nie zuvor hat ein "Kardinalskollegium" - ohne Rücksprache mit Papst oder Kaiser - ein allgemeines Konzil der Gesamtkirche einberufen. Die Initiative der "Kardinäle" stößt auf breite Zustimmung: Über 600 Kleriker nehmen am "Konzil von Pisa" teil.

Die parallel einberufenen "Konzilien" der beiden Päpste Gregor XII. in Cividale und Benedikt XIII. in Perpignan haben nicht annähernd so viele Teilnehmer. Die überwiegende Zustimmung des Klerus zum "Konzil in Pisa" isoliert die beiden Päpste auf Dauer.

Seite 21/362 Das "Konzil von Pisa" zitiert die Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII. nach Pisa und macht ihnen nach deren Weigerung einen förmlichen "Ketzerprozess" als hartnäckige "Schismatiker". Damit ist die entscheidende Grundlage für das weitere Vorgehen geschaffen.

3. November 1414 Konstanz * Jan Hus trifft zwei Tage vor Beginn des Konzilsin Konstanz ein.

Ab dem 5. November 1414 Konstanz * DasKonzil von Konstanzbeginnt.Es dauert bis zum 22. April 1418. Der wichtigste Tagesordnungspunkt desKonzilsist die Beendung desAbendländischen Schismaund damit dieWiederherstellung der Einheit der Kirche.Die Lösung besteht darin, alle drei Päpste abzusetzen und einen neuen, von allen anerkannten Papst zu wählen.

Doch auf dem Konzil wird nach kurzer Zeit eine ungewöhnliche Reform des Stimmrechts unternommen:Fortan gilt nicht mehr das Prinzip ein Teilnehmer, eine Stimme, sondern es wird nach Nationen abgestimmt, wobei jede Nation nur eine Stimme haben soll. Damit haben die Italiener nur noch eine Stimme, die gegen die drei anderen Nationen England, Deutschland und Frankreich sowie die des Kardinalskollegiums steht.

Dem Kirchenkritiker Jan Hus, dem König Sigismundfreies Geleitzugesichert hatte, wird auf demKonzil von Konstanzder Prozess gemacht und am Scheiterhaufen verbrannt.

8. November 1417 Konstanz * Das Konklavebeginnt mit der Wahl des neuen Papstes.

Um das Jahr 1420 Paris * Der nächste Schritt zur Kriminalisierung der "Magie" kristallisiert sich zwischen 1400 und 1430 heraus und ist eine Folge der politisch motivierten "Magie- und Schadenszauberprozesse" am französischen Königshof.

Eine neue Tätergruppe wird gefunden in den "gotteslästerlichen, die göttliche wie obrigkeitliche Ordnung verleugnende Ketzersekte der schadenstiftenden Hexen", die sich zu ihren nächtlichen "Verschwörungsorgien" an "heimlichen Orten" auf "allerlei Fluggeräten" auf den Weg machen.

Daraus leitet sich ab: der "Pakt", die "Buhlschaft", der "Flug", der "Sabbat" und der "Schadenszauber".

Das ist der Beginn einer breiten "Hexenverfolgung" in den Tälern der Westalpen.

1425 München-Angerviertel * Der "Dekan" von "Sankt Peter", in dessen Pfarrei sich das"Haus des Scharfrichters"und damitdas "Stadt-Bordell" liegt, fordert die Beseitigung dieser "Stätte der Unzucht".

Doch der Münchner Rat lehnt dieses Ansinnen mit dem Hinweis auf "das Herkommen und das Alter" dieser Einrichtung kategorisch ab.

Seite 22/362 Vor dem 29. Mai 1432 München-Graggenau * Den bei der Münchner Einwohnerschaft beliebten Franziskaner Barfüßernfließt innerhalb weniger Generationen ein stattliches, ständig wachsendes Vermögen zu. Zahlreiche Adelige und Bürger stiften dem Kloster sogenannte Jahrtagemit regelmäßigen Reichnissen in Naturalien und Bargeld. Das führt schnell zur Verwahrlosung der Klostersitten, sodass sich der Münchner Rat zum Einschreiten veranlasst sieht.

9. März 1437 München-Angerviertel * Die Vorarbeiten am Münchner "Frauenhaus" beginnen.

Für 15½ Pfund Pfennige werden 17.000 Mauersteine gekauft.

Um den 28. Oktober 1437 München-Angerviertel * Das neue Stadtbordellwird eröffnet.Es befindet sich in der Mühlgasse am Anger, Ecke Rossmarkt und Blumenstraße.Umgeben ist das Gebäude von einem kleinen Garten.

Das Münchner Frauenhausist ein zweigeschossiges, äußerlich an ein oberbaierisches Bauernhaus erinnerndes Gebäude mit 32 großen und zwei kleinen Fenstern. In jedem Geschoss ist eine Stubeuntergebracht, in der die Kontakte zwischen dem Freierund den Prostituiertenhergestellt werden. Hier kann aber auch gezecht und vermutlich gespielt werden. Sie sind also ein Ort der Geselligkeit.

Um diese Stuben, die als einzige Räume beheizbar sind, gruppieren sich insgesamt zwölf abschließbare Kammern. Diese sind mit je einem Bett bestückt. Sehr wahrscheinlich sind das die einzigen Einrichtungsgegenstände dieser Räume. Das Münchner Frauenhaus"ähnelte demnach eher einem modernen Barbetrieb mit angeschlossenen chambres separéesals einem heutigen Eroscenter.

Das Frauenhausist nicht weit vom Haus des Scharfrichtersentfernt. In dem direkt an das Haus angebauten Gebäude mit dem Aufzuggiebel ist lange Zeit der städtische Schinder, Wasenmeisteroder Abdeckeruntergebracht, der ebenso wie der Henkerbis zum Ende des 18. Jahrhunderts als "ehrlos" gilt und nicht im bürgerlichen Wohnbereich geduldet wird.

1441 Haidhausen *Zur Errichtung "stadteigener Ziegelwerke" kauft der Rat den zur Lehmgewinnung erforderlichen Grund und Boden in Haidhausen.

Ab dem Jahr 1450 Landshut * Etwa ab dem Jahr 1450 biszum Jahr 1500 bezieht das niederbaierische Herzogshaus rund 90 Prozent seiner Einnahmen aus dem "Weinbau".

Die Staatseinnahmen vom Bier liegen bei zwei Prozent.

Um 1450 München-Graggenau - München-Angerviertel * Das "Isartor" erhält sein größtes Ausmaß.

Seite 23/362 Diese Erweiterung und Verstärkung ist notwendig geworden, nachdem sich die Waffentechnik der Angreifer grundlegend geändert hat. Die aufkommenden "Pulvergeschütze" entwickeln sich zu einer gefährlichen Bedrohung für die herkömmlichen Burg- und Stadtmauern.

Die Verstärkung wird erreicht, indem man eine zweite Mauer in einem Abstand von sieben bis neun Metern parallel vor die bestehende "Stadtmauer" baut. Diese sogenannte "Zwingermauer" ist mit durchschnittlich vier bis fünf Metern nur etwa halb so hoch wie die "Hauptmauer". Den Zwischenraum innerhalb der beiden Mauerführungen, der bis zu zwei Meter hoch aufgeschüttet ist, bezeichnet man als "Zwinger".

Gleichzeitig müssen nach dem selben Prinzip natürlich auch die "Haupttore" verstärkt werden. Dazu werden dem bestehenden "Hauptturm" - im Zuge der "Zwingermauer" - zwei "Vortürme" vorgelagert.

Die beiden achteckigen und drei Geschosse hohen "Flankentürme" sind durch ein hohes Mauerwerk, einer sogenannten "Barbakane", miteinander verbunden. Dadurch entsteht eine nach innen und außen abgeschlossene "Torburg".

Jeder, der diesen "Torzwinger" betritt, musste freilich damit rechnen, dass er hier gefangen gesetzt werden kann, wenn vor ihm die "Fallgatter" im "Torturm" und hinter ihm im sogenannten "Vortor" niederrasselten. Anstelle der heutigen drei "Torbögen" muss man sich ein "Mittelportal" als "Zugang" beziehungsweise "Zufahrt" und je eine seitliche "Schlupfpforte" vorstellen. Vor dem "Isartor" überwölbt eine Brücke den "Stadtgrabenbach". Rechts von der "Tordurchfahrt" befindet sich das "städtische Zollhaus".

Die am "Isartor" eingenommenen Zölle: "Brückenzoll", "Wasserzoll", "Salzzoll", "Pflasterzoll" und "Zoll für das Trockengut" sind die für die Stadt Einträglichsten.

Im Gebäude links von der "Tordurchfahrt" ist der "Stadtwagner" untergebracht, der auch für die Instandhaltung und für das Aufziehen und Niederlassen der vor dem "Isartor" gelegenen "Zugbrücke" verantwortlich ist.

Die mit Eisen beschlagenen Torflügel werden bei Tagesanbruch geöffnet und bei Sonnenuntergang mit Riegeln verschlossen.

Ab dem "Vesperläuten" gilt die "kleine Torsperre". Wer danach aus oder in die Stadt will, musst dafür bezahlen.

Die Glocken der "Frauenkirche" verkündeten im Sommer um 22 Uhr, im Winter eine Stunde früher, die "große Torsperre". Denn in der Nacht ist München hermetisch verrammelt.

3. Juni 1464 München * Umfangreiche und 107 Pfund und 11 Pfennige teuere Arbeiten an der Isarbrückebeginnen und dauern bis 7. Oktober an.

1470

Seite 24/362 München-Graggenau * Jörg von Halspach, der als "Obrist-Maurer" auch die "Frauenkirche" erbaut, beginnt mit dem Neubau des [Alten]"Rathauses".

Sein Vorhaben konzentriert sich auf den nördlich des "Rathausturmes" anschließenden Trakt, in dem in der Erdgeschosszone ein neues "Stadtgefängnis" und ein von allen städtischen Bäckern bedientes "Brothaus" entsteht.

Über der Sockelzone des Neubaus wird ein großer "Fest- und Tanzsaal" geschaffen, der dem Repräsentationsbedürfnis der Bürgerschaft und der Stadtherrschaft dient.

Dazu muss zuvor der"Saalbau"des ersten Münchner"Rathauses"abgerissen werden.

Um 1475 München-Graggenau *Über die Zulässigkeit der regelmäßigen Einkünfte und über den Umgang mit ihrem Grundbesitz kommt es innerhalb des "Franziskaner-Ordens" zum Streit.

1475 München * In der inneren Stadt dürfen keine Schweine gehalten werden.

Im Bereich an der heutigen Erhardstraße werden auf städtischem Grund Schweinställe angelegt.

7. April 1475 München * Nachdem den Bürgern die Anzahl der Schweine und die damit verbundene Verunreinigungs- und Geruchsbelästigung zu hoch geworden ist, verbietet der Rat der Stadt die Schweinehaltung in der Innenstadt ganz und schränkt sie in der äußeren Stadt auf sechs Stück je Schweinehalter ein.

1476 München-Graggenau * Die Ausschmückung des "Fest- und Tanzsaales" im "Alten Rathaus" beginnt.

Hier werden Erasmus Grassers"Moriskentanzfiguren"aufgestellt.

Nach 1480 München-Graggenau * Die Münchner "Franziskaner" leben nach der Klosterreform in erster Linie von "Almosen".

Ihre "Klosterbrauerei" entsteht erst nach Einführung der strengen "Observanz" als neuer Erwerbszweig. Traditionell bilden zudem die Gebühren für Bestattungen und dem Lesen von Messen auf dem bei den Münchner Bürgern beliebten "Klosterfriedhof" eine Einnahmequelle.

Als neuer "Hausbetrieb" entsteht im Münchner Kloster eine "Tuchmanufaktur". Sie beliefert die gesamte Provinz mit Stoffen für den "Habit und Wolldecken".

An handwerklich ausgebildeten "Laienbrüdern" mangelt es nicht, verfügt doch der umfangreiche Konvent durchschnittlich über siebzig Mönche. Auch das "Studium der Kleriker" findet im eigenen Haus statt.

Seite 25/362 1484 Rom-Vatikan * Der Verfasser des "Hexenhammers", Heinrich Kramer ["Henricus Institoris"], erwirkt von Papst Innozenz VIII. die Bulle "Summis desiderantes", in der er die von "Hexen" begangenen Schäden beklagt, die in den "Erzbistümern" Köln, Mainz, Trier, Salzburg und Bremen aufgetreten sein sollen.

Gleichzeitig kritisiert er den Widerstand, mit dem viele Städte und Territorien eine "Hexenverfolgung" verweigern.

1484 Rom-Vatikan * Papst Innozenz VIII. erlässt eine "Hexenbulle".

1486 Speyer * Der berüchtigte "Hexenhammer - Malleus maleficarum", ein "Lehrbuch des Hexenglaubens und der Hexeninquisition", wird veröffentlicht.

Der "Dominikanermönch" Heinrich Institoris, der zudem "Inquisitor der oberdeutschen Ordensprovinz" ist, schreibt das Buch, nachdem er mit einer Inquisition in Innsbruck in der "Diözese Brixen" gescheitert ist.

Nach dieser Niederlage will er seine Position stärken und die "Hexenverfolgung" vor deren Gegnern zu rechtfertigen.

Das Buch wird als Vorbild für die künftig in Deutschland geführten "Hexenprozesse" dienen und wird bis ins 17. Jahrhundert hinein in 29 Auflagen erscheinen.

3. Januar 1487 Innsbruck * Der 39jährige Baiernherzog Albrecht IV. entführt und ehelicht die 21-jährige Kaisertochter Kunigunde in Innsbruck.

1490 Rom-Vatikan * Der päpstliche Vikar Giacomo Botta erlässt ein Dekret, das allen Klerikern und Laien bei Androhung der "Exkommunikation" und des "Verlustes der Ämter und Pfründe" das "öffentliche oder heimliche Halten von Konkubinen" verbietet.

Papst Innozenz VIII., das ist übrigens auch der mit dem "Hexenhammer", lässt den Erlass umgehend zurücknehmen und erklärt, dass das "Konkubinat" nicht verboten sei. In der Folge gibt es in der heiligen Stadt Rom kaum noch einen Priester oder "Kurialen", der ohne "Konkubine" lebt.

1502 München * In 39 Münchner bürgerlichen Brauereien wird Bier hergestellt.

Erstmals stimmt die Zahl der Brauer mit der Zahl der Brauhäuser überein. Die 39 Brauhausbesitzer stellen für 13.500 Einwohner Bier her.

Seite 26/362 Zum Vergleich: Im Jahr 1372 brauten 21 Brauer für 11.500 Münchner. Kamen also 1372 noch 536 Münchner auf einen Brauer, so waren es 1502 nur mehr 346. Das kann sich nur dann rentiert haben, wenn sich der Bierumsatz des einzelnen Münchners um mindestens das Eineinhalbfache gesteigert hat.

War das der Beginn für den unvergleichlichen Aufstieg des Bieres und der Anfang vom Niedergang des Weinkonsums in München?

21. Juni 1504 München - Landau an der Isar * Der Landshuter Erbfolgekriegbeginnt. Mit einem Heer, bestehend aus 12.000 Mann Fußtruppen und 2.000 Reiter, belagert Herzog Ruprecht von der PfalzLandau an der Isar und erobert es nach Beschießung mit Bomben.

8. Juli 1506 München * Herzog Albrecht IV. legt mit dem Primogeniturgesetzdie Unteilbarkeit Baierns fest. Künftig soll nur mehr der erstgeborene Sohn im Baiernland herrschen. Für die nachgeborenen Söhne müssen sich die herzoglichen Familienväter anderswo Einnahmen und Finanzquellen eröffnen.

1509 Reichenhall - München * Die Reichenhaller Salzsiedestellen gehen in den Besitz Herzog Wilhelm IV. über.

Damit verfügt er über das einträgliche Monopol für die Salzgewinnung.

31. Oktober 1517 Wittenberg - München * Martin Luther schlägt seine 95 Thesen an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg. Umgehend setzt eine Diskussion über den künftigen Umgang mit den Prostituiertenund ihren Einrichtungen ein.

Das erste städtische Frauenhauswird noch in diesem Jahr geschlossen.Der Prozess zieht sich aber bis zum Jahr 1595 hin, dauert also weit über siebzig Jahre. Er beginnt in den evangelisch beeinflussten Ortschaften und in den Reichsstädten.

In den katholischen Gebieten setzt der Prozess später ein und dauert entsprechend länger. Das Münchner Frauenhausist eines der letzten, wenn nicht sogar das Letzte, das geschlossen wird.

6. Mai 1527 Rom* Der "Sacco di Roma" beginnt. Die Erstürmung, Plünderung und Besetzung Roms durch deutsche Landsknechtedauert bis zum 17. Februar 1528. Die Stadt fällt den Landsknechten wie eine reife Frucht in den Schoß, weil die völlig korrupte und seit Jahrzehnten ein Lotterlebenführende römische Oberschicht nicht in der Lage ist, sich gegen die enthemmt wütende Soldateskazu wehren.

Die Kirchen Roms werden zu Pferdeställen, Bordelle und öffentlichen Toiletten umgewandelt. Die Mätressen, aber auch die Nichten der Kirchenfürsten, die Frauen und Töchter der Fürsten und Herzöge sowie jede Nonne, die sie fangen, vergewaltigten sie und tun das am Liebsten unter dem Hochaltar.

Seite 27/362 Sie notzüchtigten die Damen des Adels im Beisein ihrer Ehemänner, Väter und Brüder. Sie foltern die Häupter der ältesten und reichsten römischen Feudalgeschlechter viele Wochen lang.So lange, bis sie auch die letzten Verstecke verraten, in denen sie ihre Frauen und ihr Gold versteckt haben.

1530 München * Der Rat der Stadt ändert die schon länger bestehende "Bettelordnung".

Sie verbietet allen "Bürgern und Gästen beiderlei Geschlechts" das "Betteln" und gestattet es nur denjenigen, die vom "Rat" die ausdrückliche Erlaubnis dazu haben. Diese drückt sich eben im Tragen des "Bettelzeichens" aus.

Zur Erteilung der "Bettelerlaubnis" muss aber zuvor die "Bedürftigkeit" nachgewiesen werden.

Dazu gehört neben der Darlegung des Personenstandes, der Kinderzahl und der Vermögensverhältnisse, die Bestätigung des "Beichtvaters", dass der Antragsteller im vergangenen Jahr mindestens einmal gebeichtet und die "Absolution" erhalten hat.

Der "Hausbettel" ist nach der "Bettelordnung" strengstens verboten. Hauptsächlich vor den Kirchentüren, nicht aber im Kircheninneren ist das "Betteln" erlaubt.

Missgestaltete, behinderte Bettler müssen ihre "Gebersten" bedecken, damit "schwangere Frauen" durch den Anblick "nicht Schaden nehmen". Es dürfen auch keine "gemalten Bilder, wunderliche Tiere und sonstige Schaustücke" gezeigt werden. Lediglich Singen ist ihnen gestattet. Den Schülern ist das "Betteln" nur dann zu genehmigen, wenn sie in der Schule "fleißig und gehorsam" waren und für bettelnde "Wöchnerinnen" werden gesonderte Zeichen bereitgehalten.

Es werden vier "Bettelmeister" bestellt.

Deren Hauptaufgabe ist die "gerechte Auswahl" der "berufsmäßigen Bettler". Halbjährlich müssen sie die Inhaber der "Bettelzeichen" - gemeinsam mit ihren Kindern - an einem Ort zusammenkommen lassen und prüfen, ob ihre Bedürftigkeit auch weiterhin besteht. Für die Einhaltung der "Bettelordnung" sind die "Bettelknechte" verantwortlich.

Sie müssen vor ihrem Amtsantritt "geloben und schwören", dass sie niemanden bevorzugen oder benachteiligen und dass sie sich nicht bestechen lassen.

Anno 1530 München * Der Rat der Stadt erlässt eine "Ordnung wider die Laster", die sich vor allem gegen die "Winkelhurerey" außerhalb des "Frauenhauses" wendet.

Seite 28/362 In dem Dekret heißt es: "Glaubhaften Berichten zufolge trieben etliche unverschämte Weibspersonen öffentlich innerhalb und außerhalb der Stadt, unter den Kramen am Marktplatz, in Ställen, in der Au etc., bei Tag und bei Nacht Unzucht".

10. Juni 1530 München - Haidhausen * Der eigentliche Höhepunkt soll aber erst rund achthundert Meter weiter kommen, etwa an der Stelle des heutigen Rosenheimer Platzes. Dort ist innerhalb von wenigen Tagen - fast nach Hollywood-Manier - eine wehrhaft aussehende Burg mit vier Türmen und Bastionen aus Holz, Leinwand und Farbe errichtet worden. Alles wirkt sehr realistisch.

In der Festung warten einhundert schwerbewaffnete Männer, bis die Gäste auf der Ehrentribüne Platz genommen haben. Auf ein Zeichen Herzog Wilhelms IV. rücken die von Ramersdorf kommenden Angreifer heran und es kommt unausweichlich zur Schlacht, bei der sechzehnhundert Mann unter ohrenbetäubendem Kriegsgeschrei das Schloss stürmen.

Nachdem einige an die Mauern gelehnte Sturmleitern von den Verteidigern der Burg umgestoßen worden sind und sich dabei die Angreifer und das nachdrängende Fußvolk etliche Blessuren zugezogen haben, "überkam beide Seiten eine große, unbändige Wut", schreibt unser Zeitzeuge. Und da es sich sowohl bei der Burgbesatzung als auch bei den Angreifern um "temperamentvolle, rauflustige und keine Schmähung duldende Altbaiern? handelt, wird aus dem zur Ergötzung des Kaisers veranstaltetem Scheingefecht sehr schnell blutigster Ernst.

Die Manöver-Gegner dreschen derart rabiat aufeinander ein, dass am Ende acht Tote und eine unbekannte Zahl von Männern verletzt liegen bleibt. Das wird von den Ehrengästen auf ihren Tribünen natürlich nicht bemerkt. Immerhin erhalten die Getöteten ein Begräbnis auf dem Salvatorfriedhof und deren Witwen und Waisen ein jährliches Gnadengeschenk aus der landesherrlichen Privatschatulle.

Auf dem Manöverfeld schießen die Angreifer die Burg später schließlich noch in Trümmer und Fetzen. Der Chronist vermerkt: "Mit ungeheuerem Krachen entluden sich alle Geschütze auf einmal.?Immerhin zeigt sich Kaiser Carl V. von dem Manöver und der dabei gezeigten baierischen Kampfkraft mächtig beeindruckt.

10. Juni 1530 München - Haidhausen * Nach der Schlacht bei Haidhausen setzt sich der Zug wieder in Richtung München in Bewegung. Als die hochgestellten Persönlichkeiten von der Stadt aus sichtbar werden,

beginnen alle Glocken Münchens zu läuten, von den Türmen und Stadtmauern begrüßen Freudenschüsse die Gäste, von der Isarbrücke aus gibt es ein Fischerstechen zu sehen und über dem Isartor schwebt ein Ballon in Gestalt eines fliegenden Drachens. Hoch in der Luft, noch über dem Ballon, werden weißblaue Fahnen mit dem baierischen Wappen sichtbar, die ein Taubenschwarm trägt.

Auf dem weiteren Weg können von den hochrangigen Gästen dann noch die damals so beliebten lebenden Bilder besichtigt werden. Sie stoßen auf um so größeres Interesse, je blutiger es dabei zugeht. Und die Münchner sollen

Seite 29/362 an diesem Pfingstfreitag voll auf ihre Kosten kommen.

Auf einer Bühne bei der Hochbrücke im Tal sehen die Besucher die Geschichte der Königin Esther, die als Gemahlin des persischen Königs Xerxes ihren jüdischen Glaubensbrüdern zu blutiger Rache verhilft. Das zweite Bild zeigt die Skythenkönigin Tomiris, wie sie das abgeschlagene Haupt des Cyrus in einen Eimer voll Blut stößt. "Der Schauplatz bei den städtischen Fleischbänken war dafür nicht übel gewählt", schreibt Sigmund Riezler lapidar dazu. Auf der dritten Bühne - an der Burgstraße - lässt der Perserherrscher Kambyses einen ungerechten Richter schinden und mit dessen Haut einen Sessel polstern, auf den sich der Sohn des Bösewichts setzen muss, um als Nachfolger seines Vaters später einmal gerecht zu urteilen. Andere Bilder zeigen das Herausreißen des Herzens aus einer geöffneten Brust durch einen Wilden und ähnliche Grässlichkeiten, die aber durchwegs mit Wohlgefallen und Zustimmung aufgenommen werden.

Nur der Kaiser zeigt sich - nach Aussage eines Augenzeugen - "ein wenig befremdet ob des vielen Blutes?.

Dem päpstlichen Legaten Campeggi "schien es gut zu sein, Seiner Majestät zu sagen, dass die Szenen nicht ohne geheime Anspielung gemacht seien, und dass man sie auf die Ketzer beziehen könne, gegen welche man, wenn sie den von Seiner Majestät gebotenen Gottesfrieden nicht annehmen wollen, die eisernen Ruten brauchen werde".

13. November 1549 Ingolstadt * Auf Betreiben Herzog Wilhelms IV. kommen die Jesuiten nach Ingolstadt, um die dortige Universität im Sinne des erneuerten katholischen Glaubens zu übernehmen.

1550 Rom * Das Verbot des Gebrauchs von Kutschen für "Kurtisanen" ist ein harter Schlag für das "Kurtisanenwesen", weil sich Kutschen als besonderer Luxus und somit als Statussymbol ersten Ranges darstellen.

Das Verbot ist das am häufigsten überschrittene Gesetz und eine reich sprudelnde Einnahmequelle des "Kirchenstaates".

Andere Maßnahmen erschweren zwar das Leben der "Kurtisanen", können die gehobene "Prostitution" aber nie ernsthaft eindämmen. Das liegt freilich auch an der wenig konsequenten Durchführung der Maßnahmen.

1552 Ingolstadt * Der 21-jährige Philipp Apian übernimmt die Druckerei seines Vaters und erhält im selben Jahr eine Professur an der "Universität Ingolstadt".

Er lehrthier Mathematik und beginnt parallel dazu ein Medizinstudium.

Nach 1560 Europa * Die Missernten haben aufgrund der Klimaveränderung nach 1560 stark zugenommen.

Seite 30/362 Der Mechanismus einer "Agrarkrise" lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen: Das Ergebnis einer klima- oder unwetterbedingten "Missernte" ist die "Verknappung der Grundnahrungsmittel", was bis ins 19. Jahrhundert hinein immer das "Brotgetreide" betrifft.

Die unmittelbare Folge davon ist eine "Teuerung", die dazu führt, dass große Teile der Bevölkerung hungern oder an Unterernährung leiden. Dieser verschlechterte Allgemeinzustand bewirkt oft das Auftreten von epidemischen Krankheiten oder eine stark erhöhte Krankheitsanfälligkeit.

Dieser Zyklus dauert bis zur nächsten Ernte, also bis zum Spätsommer des folgenden Jahres. Folgt aber in der Zwischenzeit eine weitere "Missernte", erhöht sich der Schaden um ein Vielfaches.

Die "Perioden der Teuerung" treten um das Jahr 1560 häufiger auf und dauern länger. Diese "Hungerkrisen" betreffen große Teile Europas, weshalb neue "Hexenverfolgungen" beginnen und in den verschiedenen Ländern zu einer Verschärfung der "Hexen-Gesetzgebung" führen.

Die Verfolgung der "Hexen" ist nicht von der konfessionellen Überzeugung der Verfolger abhängig. Auch drängen sich nach der "Reformation" die katholisch gebliebenen Gebiete - wie man gerne unterstellt - nicht in den Vordergrund.

Im Gegenteil: In Spanien hat sich die "Inquisition" seit dem Jahr 1526 auf eine sehr gemäßigte Position zurückgezogen. In Italien führt eine Debatte in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zu einem deutlichen Widerstand gegen die "Hexenverfolgungen" in den oberitalienischen Alpentälern.

Anders verhält es sich mit den "Hexenverfolgungen" in Deutschland. Hier beginnen die "Protestanten" achtzig Jahre später dort, wo die "Katholiken" in den 1480er Jahren aufgehört haben, nämlich im deutschen Südwesten.

3. August 1562 Südwestdeutschland * Ein großes Hagelunwettervernichtet - zu Beginn der Erntezeit - den Wein und das Getreide - und damit das täglich Brot. Das Unwetter löst die erste große Hexenjagd der Neuzeitaus.Alleine in der kleinen protestantischen Herrschaft Wiesensteigwerden 63 Hexenverbrannt. Die Verfolgungen werden relativ spontan und gesetzlos durchgeführt.

1572 München * Eine neue "Bettelordnung" wird veröffentlicht.

In ihr zeichnet neben dem "Rat der Stadt" erstmals auch der "Landesherr" verantwortlich.

Unter dem Einfluss Herzog Albrechts V. wird in dem Gesetzeswerk ein "absolutes Bettelverbot" ausgesprochen. Wirte und allen Einwohnern war die Beherbergung "nichtansässiger Bettler" verboten. Den "Bettelrichtern" zahlt man "Fangprämien" und den Festgenommenen drohen schwere Strafen.

Seite 31/362 Im besten Fall ihre "Ausweisung", im schlimmsten Fall aber "Hängen".

Doch schnell wird klar, dass sich in München ein "absolutes Bettelverbot" und die Versorgung der "Armen" aus der Gemeindekasse nicht verwirklichen lassen. Die Einnahmen der Sammlungen reichen einfach nicht aus.

"Sondersieche", also mit ansteckenden Krankheiten Behaftete, und "Blinde" haben sich mit "betteln" zu ernähren, da sie keine Arbeit finden können.

Außerdem sammeln die "Biedermänner" das "Freitagsbrot" nun zusätzlich am Mittwoch.

1581 Haidhausen * Der Turm der "Nicolai-Kirche" am Gasteig wird abgetragen und innerhalb von 40 Tagen als schlanker, achteckiger Zwiebelturm wieder aufgebaut.

1586 München * Untersuchungen der "Hofkammer" ergeben, dass aus dem "Weißbier" durchaus Gewinn zu ziehen ist.

Voraussetzung ist die Errichtung eigener "Weißer Brauhäuser" durch den Herzog.

1589 Schwabmünchen * In dem zum "Hochstift " gehörenden Schwabmünchen beginnen die "Hexenverfolgungen", wo der als "Hexenbischof" bekannte Marquard II. vom Berg bald das Gefängnis erweitern lassen muss, um die Angeklagten unterzubringen.

Hierher kommt der Biberacher "Hexenspezialist" Christoph Hiert.

Das Ergebnis des bischöflichen "Hexenwahns" sind 27 Hinrichtungen.

Juli 1589 Schongau - München * Das Zentrum des"ersten altbaierischen Hexenprozesses"ist Schongau bei Weilheim, das vom Bruder Wilhelms V., Herzog Ferdinand, verwaltet wird.

Herzog Ferdinand reagiert empfindlich, als ihm sein "Landrichter von Schongau" von "Hagelschäden, Ernteausfällen" und den damit verbundenen "Einnahmeverlusten" berichtet.

Zum Glück kann "Richter" Hans Friedrich Herwarth von Hohenburg gleich die für die Katastrophe Verantwortlichen benennen: die "Hexen".

Ab August 1589 Schongau * In dem ohne gesetzliche Grundlage durchgeführten und "Hexenprozess" werden unter rücksichtslosester Anwendung der "Folter" die unsinnigsten Geständnisse erpresst.

Seite 32/362 Die Frauen gestehen unter anderem

das "Wettermachen", das "Töten von Tieren" durch Beschmieren mit der "Hexensalbe", das "Ausgraben und Sieden von Kindern" zur Salbenherstellung, "sexuellen Umgang mit dem Teufel" und "nächtliche Ausfahrten auf der Heugabel" zu teuflischen Festen.

Die Aussagen der so gepeinigten Angeklagten werden mit einer entsprechenden Empfehlung des "Schongauer Landrichters" Hans Friedrich Herwarth von Hohenberg an Herzog Ferdinand gesandt, der dann den "Hinrichtungsbefehl" gibt.

27. September 1589 München-Graggenau * Die Hofkammerwill die Geldverschwendung für den Durst der Hofschranzeneingeschränkt sehen, weshalb sie einen Antrag für den Bau eines "aigen Preuhaus" formuliert.Das Datum gilt seither als offizieller Gründungstermin des Hofbräuhauses.

Einen Brand beim alten Hennen- und Badhausim Alten Hoferkennt man als Zeichen des Himmels und umgehend beginnen die Arbeiter in der Nähe des Zerwirkgewölbesdie Wände einzureißen, die Keller einzuschachten und Sudanlagen zu installieren. Der Keller diente zuvor dem Herzogshof als Vorratsraum. Der Standort am Alten Hofkam den Verantwortlichen aufgrund der "besseren Überwachung bezüglich der möglichen Veruntreuungen" gerade recht.

Darin wird zunächst nurbraunes Biergebraut.

28. September 1589 Freising - Werdenfelser Land * In der zum Fürstbischofvon Freising gehörenden Grafschaft Werdenfelsbeginnt mit der Verhaftung der 55-jährigen Ursula Klöck sowie Elsbeth Schlamp und ihre Tochter Appolonia eine große Hexenverfolgung, in deren Verlauf fünfzig Frauen und ein Mann der Hexereibeschuldigt werden.

Als Landesherr des Freisinger Kirchenstaatessteht ebenfalls ein Bruder des baierischen Herzogs Wilhelm V. an der Spitze:FürstbischofErnst von Freising ist zugleich Kurfürst des Fürstbistums Kölnam Rhein.

Um Juni 1590 München * In München findet ein Hexenprozessstatt, in dessen Zusammenhang vier Frauen verbrannt werden. Der Münchner Falkenturmfungiert als Hexenturm.

Leider haben sich die Akten nur lückenhaft überliefert, sodass weder ein Zusammenhang des Hexenprozessesmit dem Einsturz des Turms der Michaelskirche, noch mit der Nennung von vier Brauerinnenhergestellt und bewiesen werden kann. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass es auch wesentlich mehr als die vier bekannten Opfer gewesen sein können.

2. Juli 1590

Seite 33/362 München * Der von Herzog Wilhelm V. ausgehende Hexenprozessist zu Ende. Die Anklage gegen vier "Weibspersonen" unterschiedlichen Alters lautet auf

Buhlschaft mit dem Teufel, Leichenraubund Leichenschändung, Hostienentweihungsowie Hexerei.

Die vier Frauen, Anna Anbacherin, Brigitte Anbacherin, Regina Bollingerin und Regina Lutzin, machen die üblichen Geständnisse: Ausfahrt mit dem Teufel über Felder und in verschiedene Weinkeller.Eine andere gestand, sie habe ein totes Kindlein auf dem Gottesacker vor dem Sendlinger Thor ausgegraben und daraus eine wässrige, zähe und wasserfarbige Salbe bereitet.

Aufgrund des erdrückenden Beweismaterialswerden alle vier Frauen als Hexenzum Tode verurteilt.Wegen ihres hohen Alters werden sie - auf Fürbitte hoher fürstlicher Personen - vorher erdrosselt und danach ihre geschundenen Körper verbrannt.

1591 München * Peter Binsfelds Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" erscheint in München in deutscher Sprache.

Der Münchner "Stadtgerichtsassessor" Bernhard Vogel hat das Werk aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Der "Verleger" Adam Berg lässt es im Einverständnis mit dem "Geistlichen Rat" drucken.

Gewidmet ist das Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" Herzog Ferdinand, der den "Schongauer Hexenprozess" der Jahre 1589/90 führte und nachträglich für seine abscheuliche Tat gerühmt werden soll.

Adam Berg schreibt im Vorwort des Buches, dass es gerade jetzt notwendig sei, da man "zu diser zeit etliche Personen finden möchte, die sagen dörfften, man thue den Leuthen unrecht". Das Buch verfolge also vornehmlich den Zweck, "das diejenigen, so irgent hierinn zweiflen, ein Bericht haben und nit also freventlich die hohe Obrigkeit in Straffung solcher Laster urtheilen und Nachreden".

1. November 1591 München-Graggenau * Am Allerheiligen-Tagist das Werk endlich vollendet. Heimeran Pongraz richtet das Braune Hofbräuhausals hochmoderne Musteranlage ein.

Während in anderen Braustätten noch die Maischevon Hand geschöpft und die Würzein Holzkübeln geschleppt werden muss, läuft bei Pongraz fast alles über Leitungen. Es gibt eine rechteckige kupferne Sudpfanne, die man mit einem offenen Feuer aus Fichtenholz beheizt. Über eine Rinne aus Lärchenholz läuft die Maischezum runden eichenenMaischbottich. Abgeläutertwird durch die schmalen Schlitze eines Bretterbodens. Dampfend fließt die Würzedann in die beiden Kühlschiffeaus Lärchenholz und von dort durch eine Bleileitung zu den Gärbottichenim Keller.

Seite 34/362 Der ledige Braumeister muss während des Brauvorgangs im Brauhausschlafen, um bei Bedarf jederzeit eingreifen zu können.Sein Einkommen beträgt bei freier Kost und Logis vierzig Gulden im Jahr.

1593 Rom * Reformbewegungen führen zur Spaltung und zur inneren Reform des "Karmeliter-Ordens".

Die Hauptträger der Erneuerung des "Karmels" - Theresia von Avila und Johannes vom Kreuz - greifen auf die alten Regeln, ohne die späteren Milderungen, zurück.

Im Volk nennt man die Mitglieder dieser Reformklöster die "Unbeschuhten Karmeliter". Nach langen Konflikten losen sich die "Unbeschuhten Karmeliter" vom "Beschuhten" Stammorden los.

Der Papst will die "Unbeschuhten", ähnlich wie die anderen Reformorden, vordringlich zur Erneuerung des kirchlichen Lebens in den Städten, zur Abwehr der "Häretiker" und zur Ausbreitung des Glaubens in den Missionsgebieten einsetzen.

18. November 1595 München * Die letzte Meldung über das Münchner Frauenhaustaucht auf. An diesem Tag wird dem Hanns Ernst und seiner Hausfrau Rosina Selberin, "verschidener zeit gewester wirtin im gemainen haus alhie", von der Stadtkammerdie zehn Gulden Büßerinnen-Prämieausbezahlt, die man jeder Prostituiertenüberreicht, wenn sie aus dem Bordellausscheidet.

1598 München * Eine aus 18 Personen bestehende "Zaubergesellschaft" sitzt in der "Schergenstube" in Haft, deren Mitglieder

"Zauberbücher" und glückbringende "Alraunenwurzeln" besaßen, sich unter dem "Galgen" oder in der oberen Stube des Alexander Freisinger in der Au trafen und dort "Beschwörungen" zur Wiedergewinnung gestohlener oder verlorener Sachen und "Ansegnungen gegen den bösen Feind" betrieben.

Eine eigene "Ratskommission" wird gebildet, die sich aus Mitgliedern des "Inneren" und "Äußeren Rats" zusammensetzt.

Die Urteile sind glimpflich.

Die meisten werden auf die "Schragen" gestellt, zum Teil mit umgehängten "Zauberbüchern". Diese Strafe ist - im Gegensatz zum "Pranger" - nicht "ehrlos". Einige werden zusätzlich zu den Jesuiten zur "Beichte und Kommunion" geschickt, zwei erhalten eine Geldstrafe und einer wurde zu vier Jahren "gegen den Erbfeind der Christenheit", die Türken, verurteilt.

Seite 35/362 16. April 1600 Altmannstein - München * Die Familie Pämb nach München überführt und im "Falkenturm" eingekerkert.

Die Männer kommen in einzelne, "Keuchen" genannte Zellen. Nur Hansel durfte bei seiner Mutter bleiben.

Nun beginnt der sogenannte "Pappenheimer-Prozess".

23. April 1600 Wien * Maria Anna, die Schwester von Herzog Maximilian I., wird mit Erzherzog Ferdinand II. von Innerösterreich, dem späteren Kaiser, verheiratet.

29. Juli 1600 München-Maxvorstadt * Am Galgenbergwerden die fünf Männer gerädert. Dazu bindet man die Malefikantenauf ein scharfkantiges Balkengerüst und zerschmettert ihnen mit einem eisenbeschlagenen Richtraddie Gliedmaßen. Für gewöhnlich beginnt diese Bestialität bei den Unterschenkeln.Die Zahl und der Rhythmus der Schläge sowie die Reihenfolge der Gliedmaßen sind genau vorgeschrieben. Paulus Pämb wird nun zusätzlich "gespießt".Der Henkerrammt ihm einen kurzen Jagdspießdurch den After in den Unterleib.

Der letzte Akt der Justizwillkürim Namen des Herzogs Maximilian I. ist der Feuertod.Man zerrt die Pämbs und ihre Bekannten zu ihren Scheiterhaufen, bindet sie an - Anna setzt man dabei auf einen Stuhl- und verbrennt die "Teufelsbrut" lebendig und "unter jämmerlichem Geschrei".

11. August 1600 München-Graggenau * Die zwanzigjährige Agnes Klostermüller wird elfmal "aufgezogen", davon zehnmal belastet mit einem fünfzig Pfund schweren Stein. Das Mädchen bleibt standhaft, obwohl ihm alle Glieder zerrissen werden. Nichts, außer der Beteuerung ihrer Unschuld, ist aus ihr herauszubringen.

Vor dem Beginn der FoltersprichtHofratDr. Johann Simon Wagnereckh lateinische Verse und Psalme über sie, um sie zu "entzaubern". Da hier der Name Jesus vorkommt, sagt Agnes Klostermüller: "sie wolle diesen Jesus nit [in dessen Namen man Unschuldige martert] sondern wolle den haben, der sie erschaffen und für sie am Stamme des Kreuzes gelitten".

Nach der Folterlässt man Agnes für etwa zehn Wochen in Ruhe.

1. August 1602 Degenberg * Der Degenbergische Pfleger und BräuverwalterLeonhard Mair wird beauftragt das weiße Brauwesenwie bisher und mit dem selben Personal als landesherrliches Unternehmen weiterzuführen. Das ist die Geburtsstunde des wittelsbachischen Weißbierbrauwesens. Die Brauereien befinden sich in Schwarzlach, Zwiesel und Linden.

Weil auch sämtliche weiteren Einnahmen der Degenberger Güter an den Herzog gehen kommt es zu einem

Seite 36/362 langjährigen Rechtsstreit.

1605 München-Graggenau * Das "Herzogliche Hofbräuhaus" braut insgesamt 2.256 "Eimer" Winter- und Sommerbier. Da ein "Eimer" 64 Liter fasst, sind das 1.444 Hektoliter.

Davon werden 705 "Eimer" an die Münchner Bevölkerung verkauft, weshalb die Bilanz mit einem Reingewinn von fast 200 Gulden abschließt.

26. Mai 1608 Donauwörth * Während der Fronleichnams-Prozessiongeht ein schweres Gewitter über der Stadt Donauwörth nieder, das man sich nur mit Schadenszauber und Hexereierklären kann. Birgit Schuster und Paul Ritter werden als Verursacher des Unwettersverhaftet.

Birgit Schuster gesteht unter der Tortur, nennt über hundert weitere Hexenund wird verbrannt.Paul Ritter wird ebenfalls den Flammen übergeben. Durch die Denunziation werden weitere 17 "Unholdinnen" angeklagt.

1610 München-Graggenau * Die Baumaßnahmen für den zukünftigen "Hofgarten" beginnen im Osten.

Sie dauern bis 1620. Der Garten wird beträchtlich vergrößert und erreicht etwa seine heutige Dimension.

1612 München * Dieser "Landtag" beschäftigt sich erneut mit dem herzoglichen "Weißbier-Brauwesen".

Herzog Maximilian I. entkräftet sämtliche Argumente, muss aber zugestehen, dass er bei einer "Weizenknappheit" das Getreide aus dem Ausland beziehen oder die "Weißbierproduktion" einschränken wird.

Die als "Komposition" bezeichnete Abgabe in Höhe von 10.000 Gulden zahlt der Herzog auch weiterhin an die "Landschaftskasse". Dieser Betrag ist aber im Vergleich zu den Einnahmen aus dem herzoglichen "Weißbiermonopol" lächerlich gering.

17. Februar 1612 Arnsberg - Köln * Kölns Kurfürst und Erzbischof Ernst stirbt bei einem Jagdausflug im westfälischen Arnsberg in Westfalen. Er wird im Kölner Dom beigesetzt.Sein Nachfolger wird der jüngste Sohn von Herzog Wilhelm V., Herzog Ferdinand von Baiern, der Bischof von Lüttich.

Er erhält nun zusätzlich das Bistum Köln einschließlich der Kurfürstenwürde, dazu die Bistümer Hildesheim und Münster, ohne dass dagegen der Papst, der Kaiser oder die Fürsten einschreiten.Nur das Freisinger Domkapitelwidersteht allen Einschüchterungsversuchen des Münchner Hofs.

Ferdinand zeigt sich als kompromissloser Vorkämpfer einer kirchlichen Restauration auf der Grundlage des

Seite 37/362 Trienter Konzils.Trotzdem weigert er sich lebenslang, die höheren Weihenzu empfangen und als konsekrierter Bischofseiner Ämter zu walten. Selbst die Jesuitenin seiner Umgebung, die als ständige Berater und Beichtväter die einflussreichsten Positionen einnehmen, können Ferdinand diese Entscheidung nicht abringen.

23. Mai 1613 München - Markt Schwaben * Herzog Maximilian I. macht der Vorschlag, das Urteil gegen Dr. Gottfried Sattler außerhalb von München zu vollstrecken, um so ein größeres Aufsehen zu vermeiden. Dr. Gottfried Sattler wird wenig später in Markt Schwaben hingerichtet. Es ist aber nicht die willkürliche Art seiner Prozessführung, die zu seiner Verurteilung führt, sondern

die "Unterschlagung und Veruntreuung" und damit die"Schmälerung der landesherrlichen Einnahmen".

Erst nach dem Wemdinger Fiasko setzt sich beim Hofrateine vorsichtigere Verfolgungspraxis durch.Die Außenbeamten werden jetzt sorgfältiger überwacht und voreilige Maßnahmen frühzeitiger gerügt.In der Folgezeit endeten die meisten Untersuchungen wegen Zaubereimit strengen Verweisen.

1614 München * Die Gebrüder Bettaga bitten um Aufnahme als Bürger und wollen ebenfalls eine Seidenhandlung eröffnen. Und das, obwohl "ein Verschleiß in nicht katholischen Ländern besser ist".

Sie begnügen sich jedoch nicht mit einem einfachen Geschäft, sondern errichten dazu eine Seidenspinnerei. Das Unternehmen soll "jährlich bis zu 7.000 Seelen, arme, meist junge Leuthe abrichten und ernehren, welche sonst dem müssiggang und Petl nachgehen".

Die Bettegas führen das Geschäft ganze sieben Jahre.

12. September 1615 München-Graggenau * Ohne eigenes Zutun kommt das Münchner Stadtgerichtzu einem Hexenprozess. Eine Bettlerinwird nach einem Selbstmordversuch festgenommen und diese erklärt dazu völlig unerwartet, dass sie, Barbara "Bärbl" Schwerzin, "vom Teufel besessen" und sie, ihre Schwester Elisabeth "Elsl" und besonders ihre Mutter Katharina Hexenseien. An diesem 12. September beginnt der Hexenprozess.

25. Juni 1616 München * Aufgrund der großen und langanhaltenden Hitze beginnt man mit der Getreideernte. Fünf Bittprozessionenwerden abgehalten. Doch die Hitze schadet den Feldern so sehr, dass Getreidemangel eintritt und jede Ausfuhr von Hafer, Flachs, Hanf, Garn, Wolle und Schmalz verboten wird.

29. September 1616 München * Mit dem LandrechtHerzog Maximilians I. wird die endgültige Rechtseinheitin Baiern hergestellt, die alle Rechtsgebiete umfasst. Damit ist Baiern eines der wenigen deutschsprachigen Territorien, das über eine systematisch erfasste und in allen Rechtsangelegenheiten abgestimmte Landesgesetzgebungverfügt.

Seite 38/362 Die Landes- und Polizeiordnungenthält:

Eine Polizeiordnung. Das Landrecht, das einheitlich für Ober- und Niederbaiern gültige Zivilrecht, das bis 1756 in Kraft bleibt. Eine Gerichtsordnung, die den ordentlichen Prozess auf der Grundlage der Gerichtsordnungvon 1520 regelt. Die summarische Prozessordnung, die bis 1753 Gültigkeit hat.

Sie schreibt unter anderem das Wandern der Handwerksgesellenals Grundlage für den Erwerb der Meisterschaftvor. Sie enthält eine allgemeine Fischordnungfür Donau, Salzach, Isar und den Inn usw.. Sie schafft in der Malefizordnungdie Strafe des Ertränkensab.

1617 Eichstätt * Im "Bistum Eichstätt" beginnen die Hexen-Verfolgungen.

Dort ist es Johann Christoph von Westerstetten, der sich bereits im "Bistum Ellwangen" als fanatischer "Hexenbischof" hervortat und an seiner neuen Wirkungsstätte die "Hexen-Verfolgungen" forciert.

In seiner Amtszeit zwischen 1617 und 1630 lassen sich mindestens 155 Hinrichtungen [133 Frauen und 22 Männer] nachweisen.

Mit seinem Tod enden auch die Verfolgungen. Auch in Eichstätt gehen die Verfolgungen durch alle sozialen Schichten, Opfer werden Bürgermeister, Ratsherren und deren Frauen ebenso wie der "Klosterrichter" und andere.

29. Juni 1617 Prag * Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes wählen die böhmischen LandständeErzherzog Ferdinand - noch zu Lebzeiten von Kaiser und König Matthias - zum designierten König von Böhmen, nachdem auch er die im Majestätsbriefgarantierten Freiheiten und Privilegien beeidet.Erzherzog Ferdinand II. wird von dem böhmischen Ständen- trotz seines bekanntermaßen kämpferischen Katholizismus - zum König gewählt und im PragerVeitsdomfeierlich gekrönt.

Doch die an den herzoglichen, königlichen und kaiserlichen Höfen sitzenden und Einfluss habenden Jesuitenwollen - ebenso wie der spanische Hof - die Bestimmungen des Majestätsbriefesrückgängig machen.Sie ersinnen eine Gegenstrategie, in deren Folge zwei protestantische Kirchen abgerissen werden.

1. Juli 1618 Preßburg * Ferdinand II. wird in Preßburg zum König von Ungarn gekrönt.Sofort beginnt man mit einer gegenreformatorischen Politik.

Seite 39/362 21. November 1618 Pilsen * Peter Ernst II. Graf von Mansfeld gelingt nach einem 15-stündigen Kampf die Einnahme der habsburgtreuen Stadt Pilsen. Es ist der erste Belagerungskampf des Dreißigjährigen Krieges. Pilsen gilt als bedeutendster Stützpunkt der katholischen Kaisertreuen und hatte sich dem Böhmischen Aufstand nicht angeschlossen.

Der Söldnerführer Graf von Mansfeld lässt nach der gewonnenen Schlacht einen Galgen errichten, an dem als Erster der Pilsener Henker sein Leben lässt. Ihm wird nachgesagt, dass er sich bei der Verteidigung der Stadt als Scharfschütze mit einer stets treffenden Teufelskugel hervorgetan hätte. Die meisten Verteidigererhalten aber einen freien Abzug, heuern aber hinterher bei der Mansfeldschen Armee an.

Nach dem Fall von Pilsen bekommt die protestantische Sache in Böhmen großen Auftrieb. Der Kaiser verhängt zur Strafe die Reichsacht über Mansfeld.

1619 München * Der Ausbau der Stadtmauer zu einem barocken Befestigungsgürtel mit Wall und Gräben beginnt.

1619 Haidhausen * Herzog Maximilian I. schenkt der "Sankt-Johann-Baptist-Kirche" die "rechte Kinnlade des heiligen Johannes des Täufers" um Haidhausen in den Status eines Wallfahrtsortes zu setzen.

Die kostbare Reliquie stammt aus dem "Benediktinerkloster Stablo-Malmedy", das in der "Erzdiözese Köln" liegt, das von dem jüngeren Bruder des Wittelsbachers, Kurfürst Ferdinand, regiert wird.

Die "Verehrung der heiligen Knochen" bringt den Andachten in der Haidhauser Kirche einen noch größeren Zulauf.

Die "Kopfreliquie des heiligen Johannes des Täufers" wird heute an mehreren Orten verehrt. Das bedeutet, dass der Heilige - vorsichtig gesagt - mindestens vier Köpfe haben musste.

1620 München - Rom *Die nächste Reform der altbaierischen "Franziskaner-Konvente" entspringt den kirchenpolitischen Vorstellungen des regierenden Herzogs Maximilian I..

Es geht dem die "Gegenreformation" tragenden Herrscher um die innere Erneuerung der katholischen Kirche, damit sich diese erfolgreich gegenüber der lutherischen "Reformation" behaupten und verloren gegangenes Terrain zumindestens teilweise zurückgewinnen kann. Er will Baiern zu einem gut verwalteten und modernen Zentralstaat ausbauen, der in alle Lebensbereiche seiner Untertanen eingreifen und diese beaufsichtigen soll. Dazu gehört auch die Übereinstimmung der kirchlichen und staatlichen Territorialgrenzen.

Ein Hauptziel liegt dabei in der Abtrennung der altbaierischen "Franziskanerkonvente" von der "Observatenprovinz Straßburg", um so eine baierische - und damit unabhängige, aber staatstreue - "Franziskanerprovinz" zu errichten.

Zur Durchsetzung seiner Ziele besetzt Herzog Maximilian I. - obwohl keine besonderen Missstände im Münchner

Seite 40/362 und den anderen baierischen "Franziskaner-Niederlassungen" vorliegen - die Schlüsselpositionen und sogar halbe "Konvente" mit italienischen "Riformati", einer italienischen Reformgruppe innerhalb des Ordens, neu. Diese "Reformaten" übernehmen als erstes und wichtigstes Kloster in Altbaiern den "Franziskaner-Konvent" bei der "Münchner Residenz".

Januar 1620 München-Graggenau * Die "Schanzarbeiten" beginnen vor dem "Schwabinger Tor" und verlaufen in Richtung "Kosttor".

200 Männer und 300 Frauen werden von der Stadt für die Arbeiten am Festungsbau bezahlt. Straftäter werden nicht mehr des Landes verwiesen, sondern zum "Schanzbau" zwangsverpflichtet, Bettler und Landstreicher aus allen Rentämtern werden dem Großbauvorhaben zugeführt.

Im ersten Jahr sind etwa 2.000 auswärtige Arbeiter in München im Ausbau der Festung beschäftigt.

Mai 1620 Schärding * Der bereits 60-jährige "Karmelitengeneral" Dominicus a Jesu Maria geht auf päpstliche Weisung nach Baiern.

Noch in Rom hat er den Sieg von Prag vorausgesagt: "Wenn die Schlacht anfangen wird, werde ich auf einem mutigen Pferd sitzen, durch die Glieder des Kriegsheeres reiten, die Soldaten anfrischen: Die mich erblickenden Feinde werden aufschreien: Was für ein Teufel aus der Hölle kommt zu dem katholischen Kriegsheer?"

In Schärding am Inn, wo die "Liga" ihre Truppen gesammelt hat, trifft der "Karmeliter-Pater" Dominicus a Jesu Maria erstmals auf Herzog Maximilian I. und dessen Ehefrau Elisabeth Renata von Lothringen.

Gemeinsam begeben sich die zur "Strafaktion" versammelten Regimenter und Maximilians Hofstaat nach Böhmen. Der "Karmeliter-Pater" reist in einer Sänfte.

In einem von den böhmischen Aufständischen zerstörten Dorf findet der Ordensmann ein kleines Bild, das die Geburt Jesu darstellt.

Calvinistische Bilderstürmer haben Maria und Josef die Augen ausgekratzt. Sofort hängt sich der "Karmelit" dieses "Gnadenbild" um den Hals.

30. Juni 1620 Wien - München * Kaiser Ferdinand II. erteilt dem baierischen Herzog Maximilian I. den Auftrag, im Land ob der Enns (Oberösterreich) mit der Niederwerfung des Aufstandes zu beginnen.

Oktober 1620 Prag * Für Erzherzog Ferdinand ist die "Rebellion von Prag" der erhoffte Anlass, um gegen die "böhmischen Stände" loszuschlagen.

Seite 41/362 Die "Ständevertreter" interpretieren ihre Gewalttat als Notwehr, doch für den habsburgischen Kaisersohn ist die kriegerische Niederwerfung der "Aufständischen" unausweichlich geworden. Die dafür notwendige Finanzierung soll durch die eingezogenen Güter der "Rebellen" sichergestellt werden. Außerdem soll "der Schrecken der Hinrichtungen die Stände zum Gehorsam zwingen".

In Prag geht inzwischen das Gerücht um, dass die "Jesuiten" eine "Bluthochzeit", also die Ermordung der Protestanten, planen. Andererseits streuen die kaiserlich Gesinnten das Gegengerücht, wonach die "böhmischen Stände" vom "türkischen Kaiser Hilfe begehrt hätten".

Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den "Kaiserlichen" und den "Böhmischen" beginnen.

Bis 1622 Herzogtum Baiern * Die anderen altbaierischen "Franziskaner-Klöster" - in Landshut, Ingolstadt und Kelheim sowie die geistliche Leitung des "Klarissinnenklosters St. Jakob am Anger" - werden von "Reformaten" übernommen.

Viele der alten "Observanten" verlassen daraufhin die neue Provinz wegen des "welschen guberno", also der Vorherrschaft ihrer italienischen Mitbrüder. Doch schon innerhalb einer Generation sind die einheimischen "Reformaten" wieder nachgewachsen.

7. Januar 1623 Regensburg * DerRegensburger Fürstentagbeginnt.Um die Verhältnisse nach der Niederschlagung des Böhmischen Aufstands zu regeln, lädt Kaiser Ferdinand II. die Regenten aus Köln, Mainz, Trier, Kursachsen, Brandenburg, Braunschweig-Wolfenbüttel, Pommern, Hessen-Darmstadt, Baiern, Salzburg und Bamberg zu einem Treffen nach Regensburg.

Bis auf Hessen-Darmstadt lehnen alle protestantischen Fürsten die Teilnahme ab. Sachsen und Brandenburg entsenden lediglich Beobachter zu dieser Besprechung.

13. Mai 1623 München * Als die Gebrüder Beniamin und Sinj aus Florenz das Unternehmen der Gebrüder Bettega übernehmen wollen, laufen die Münchner Handwerker der "Loder, Leinweber, Strumpfwürckher und Gschlachtgwandter" dagegen Sturm, da ihnen die besten Spinnerinnen "von den Italiänern abgerungen werden [...] und das clainod vnd fürnembste comercium des landts, das gewerbe mit loden, Tuech, federrith, handschuech und strimpf geht zu grund".

Der Münchner Bürgermeister unterstützt den Protest der ansässigen Handwerker mit dem Argument, dass der Holzverbrauch der Seidenwirker unvergleichlich hoch sei.

Doch Herzog Maximilian I. erhebt sich über die Proteste und erteilt für die "besonders lieben Beniamin und Sinj" am 13. Mai 1623 das erbetene Privileg, da sie "weeder mit einer abwerbung der gespunstleüth noch in ander weeg den loders etc. khainen eintrag thuen". Außerdem dürfen für die Arbeiten nur Leute beschäftigt werden, die aus Orten kommen, die fünf Meilen entfernt sind.

1624

Seite 42/362 München * In einem Bericht an Kurfürst Maximilian I. betont der Stadtrat, dass er starke "Bettler und Bettlerinnen" in "Eisen schlagen" und anschließend zur "Zwangsarbeit beim Schanzenbau" einsetzen lässt.

Mit diesen Zwangsmaßnahmen wollen die "Stadt- und Landesherren" den "Arbeitsscheuen" den "Teufel des Müßiggangs" austreiben. Doch nach ihrer Entlassung finden die "Bettler" trotzdem keine Möglichkeit der Beschäftigung vor.

Um den 12. Mai 1626 Lembach im Mühlkreis - Oberösterreich * Mit dem Frankenburger Würfelspiel sollte ein Exempel statuiert werden. Doch wächst dadurch der Zorn der protestantischen Bauern noch stärker, worauf im Mai 1626 der Bauernkrieg durch erste Kampfhandlungen in Lembach im Mühlkreis beginnt. Bei einer Rauferei im Markt Lembach werden sechs baierische Soldaten getötet.

Der Oberösterreichische Bauernkrieg richtet sich gegen Kurfürst Maximilian I. und die baierische Besatzungsmacht. Zehntausende Bauern versammeln und organisieren sich. Über ihren Haufen wehen schwarze Fahnen, die mit Totenköpfen geschmückt sind.

Eines ihrer Kampfleder lautet: "Von Baiern Joch und Tyrannei, Und seiner großen Schinderei, Mach uns, o lieber Herr Gott, frei!"

1. März 1627 Eichstätt * Ursula Bonschab wird der Hexereibeschuldigt. Sie wurde aufgrund von 16 Denunziationengefangen genommen und "gütlich und peinlich vernommen". 20 Tage hält sie den Qualen einer extrem grausamen und sich immer steigernden Folterprozedurstand, erst dann ist die selbstbewusste Frau gebrochen.

Sie gesteht schließlich alles, was man ihr vorsagt: "Wetterzauber, Kinderausgraben, Coitus mit dem ?bösen Feind?, Schadzauber mit Pulver und Salben an Menschen und Tieren".Außerdem nennt sie noch 34 "Gespielinnen", an denen sich die fürstbischöflichen Kommissareim Anschluss ebenfalls vergehen.

6. August 1628 Köln - München-Kreuzviertel * Der Kölner Kurfürst und Erzbischof Ferdinand, ein Bruder des baierischen Kurfürsten Maximilian I., schenkt der Münchner Marianischen Männerkongregationein Stück jener Eiche, in deren Inneren im Jahr 1609 im flandrischen Foy eine Marienfigur gefunden worden war.

Der Hofbildhauer Hans Krumper formt daraus die sogenannte "Feuermadonna", die noch heute von der Marianischen Männerkongregatio" in Ehren gehalten wird.

Mai 1631 München * Die Schrift "Cautio Criminalis" des "Jesuitenpaters" Friedrich Spee erscheint, in der er sich - erstmals im katholischen Bereich - kritisch mit der Anwendung der "Folter" und den "Hexen-Verfolgungen" auseinander setzt.

Die Schrift muss "anonym" erscheinen.

Seite 43/362 Auch ein aussagekräftigerer Titel - wie etwa "Wider den Hexenwahn" - wäre ein eindeutiger Verstoß gegen die allgemein herrschende Überzeugungen gewesen und geeignet, neben dem Verfasser auch noch den Drucker und den Verleger in Verdacht zu bringen, dass sie "Hexen" in Schutz zu nehmen und somit die "Partei des Satans" stärken würden.

Der "Jesuitenpater" Friedrich Spee hatte während seiner Aufenthalte in den Zentren der "Hexenverfolgung" in Köln, Trier, Würzburg, Mainz, Speyer und Paderborn "Hexenprozesse" verfolgt und kam dabei zur Überzeugung, dass die "Folter" nicht zur "Wahrheitsfindung" geeignet sei.

Das verstößt freilich gegen die damalige "Rechtsauffassung", denn daraus lässt sich ableiten, dass die verdächtigten Frauen - trotz ihrer Geständnisse unter der "Tortur" - unschuldig sind.

Innerhalb der "Gesellschaft Jesu" bleibt die Autorenschaft des "Paters" Friedrich Spee nicht verborgen. Zeitweise droht ihm sogar die Entlassung aus dem "Jesuitenorden".

10. Mai 1631 Magdeburg * Das "Massaker von Magdeburg" beginnt. Rund 26.800 kaiserliche Soldaten unter Führung des katholischen OberbefehlshabersTilly, belagern die Stadt Magdeburg, die eine der bedeutendsten Städte in Deutschlands ist und in der rund 35.000 Menschen leben.

17. Mai 1631 Magdeburg * Die katholische Ligabeginnt mit der Bestürmung Magdeburgs.

15. Mai 1632 München * Die schwedische Schutzgarde wird nach München verlegt und nimmt Einquartierungen in den "Klöstern und Häusern der Vornehmen in München, deren Insassen meist nach Tirol oder Italien geflohen waren".

Die innerhalb der Stadtummauerung lebenden Münchnerkommen wieder einmal glimpflich davon. Die Soldateskaplündert, verwüstet, drangsaliert und vergewaltigt dafür um so stärker in den Vororten - besonders in der bevölkerungsreichen Au und in Haidhausen.

12. August 1634 München * Mit dem Todesfall der Bäckerswitwe Gebhartin in der Sendlinger Gasse beginnt die schwerste Pest, die München je erlebt hat. Sie dauert bis Februar 1635.

6. September 1634 Nördlingen - Augsburg * Die Schweden werden bei Nördlingen vernichtend geschlagen. Anschließend beginnt die Belagerung Augsburgs durch die kaiserlich-baierische Armee.

12. Dezember 1637 München * Kurfürst Maximilian I. teilt dem Münchner Rat - ohne Rücksicht auf dessen Bestimmungsrecht über den Marktplatz - selbstherrlich mit, er werde "der Heiligen Himlkönigin zu Ehrn, und ewiger gedechtnus, ein offentliches Monumentum, von einer Seulen, und darauf stehenden unnser lieben Frauen Bildtnus, mitten deß

Seite 44/362 Plazs, aufrichten". Die Arbeiten beginnen zwei Tage später.

Er begründet dies mit der "unbezweifelbaren Fürbitte der Himmelskönigin und Muttergottes", die als Patronin und Beschützerin das Land und die Stadt "von Brand und anderm feindlichen Verderben behütet und errettet".

Der Rat der Stadt, der zu dieser Entscheidung nicht herangezogen worden ist, muss dies unwidersprochen hinnehmen, obwohl die Stadt seit dem Jahr 1315 das PrivilegKaiser Ludwigs des Baiern besitzt, alleine über die Bebauung des Platzes bestimmen zu dürfen. Auf dem zentralen Platz der Bürgergemeinde München ist künftig der Landesherrmit einer persönlichen Votivgabepräsent.

4. Oktober 1648 Salzburg - Berg am Laim* Freifrau Maria Jakobäa von Lerchenfeld stirbt in Salzburg, wo sie auch am Petersfriedhofbegraben wird. Ihr Herz wird in einer Zinnurne in der Loretokapellein Berg am Laim beigesetzt.

14. Mai 1650 München - Turin ? Entgegen dem ursprünglichen Ansinnen der savoyischen Herzogin Christine Marie, den baierischen Kurprinzen Ferdinand Maria mit der ein Jahr älteren Margarete Jolande zu verheiraten, einigte man sich schließlich auf den baierischen Vorschlag, die gleichaltrige, hübschere, intelligentere Henriette Adelaide zu nehmen.

An diesem 14. Mai 1650 wird gleichzeitig in München und Turin der Ehevertrag unterzeichnet. Er enthält die Zusage einer Mitgift von 200.000 Goldscudi, die bis zum Jahr 1669 in Raten abbezahlt werden soll.

14. Mai 1650 München - Turin ? Entgegen dem ursprünglichen Ansinnen der savoyischen Herzogin Christine Marie, den baierischen Kurprinzen Ferdinand Maria mit der ein Jahr älteren Margarete Jolande zu verheiraten, einigte man sich schließlich auf den baierischen Vorschlag, die gleichaltrige, hübschere, intelligentere Henriette Adelaide zu nehmen.

An diesem 14. Mai 1650 wird gleichzeitig in München und Turin der Ehevertrag unterzeichnet. Er enthält die Zusage einer Mitgift von 200.000 Goldscudi, die bis zum Jahr 1669 in Raten abbezahlt werden soll.

14. Mai 1650 München - Turin ? Entgegen dem ursprünglichen Ansinnen der savoyischen Herzogin Christine Marie, den baierischen Kurprinzen Ferdinand Maria mit der ein Jahr älteren Margarete Jolande zu verheiraten, einigte man sich schließlich auf den baierischen Vorschlag, die gleichaltrige, hübschere, intelligentere Henriette Adelaide zu nehmen.

An diesem 14. Mai 1650 wird gleichzeitig in München und Turin der Ehevertrag unterzeichnet. Er enthält die Zusage einer Mitgift von 200.000 Goldscudi, die bis zum Jahr 1669 in Raten abbezahlt werden soll.

18. Juni 1652 Wasserburg am Inn * Vor Wasserburg am Inn findet die offizielle Begegnung des baierischen Hofstaatsmit dem Brautzugder savoyischen Prinzessin Henriette Adelaide zusammen. Die hohen Herrschaften begeben sich

Seite 45/362 anschließend ins Wasserburger Schloss zum Abendessen.

10. August 1662 München-Kreuzviertel ? Da die Rochus-Kapelle seit ihrer Niederlassung den Augustiner-Eremiten anvertraut worden war, galten ihre Vorrechte auch noch, als die Theatinerpatres die Kirche für ihre Zwecke nutzen. Denn die Augustiner lesen hier wöchentlich zwei Messen. Dass das die Theatiner als störend empfinden, kann nachvollzogen werden. Entsprechend unzufrieden sind sie deshalb auch mit dieser Situation. Deshalb bitten sie den Ferdinand Maria um Erweiterung der Kirche und des Wohnhauses. Der Kurfürst verweigert in Anbetracht des geplanten Neubaus dieses Ansinnen.

20. September 1662 München * Der Salzburger Fürstbischof Max Gandolph zieht feierlich in München ein. Er soll am nächsten Tag den Kurprinzen Max Eanuel taufen. Am Abend wird auf dem Hirschangerein "architektonisches Feuerwerk" gezündet. Dazu ist extra eine Bühne mit flankierenden Pyramiden und feuerspeienden Türmen aufgebaut worden. Mit dem Feuerwerk beginnt ein pompöses Geburtstags- und Freudenfest. Es endet am 3. Oktober mit der Abfahrt der Gäste und dient der Demonstration baierischen Machtanspruchs.

26. September 1662 München-Graggenau * Die Fortsetzung der Festtriologiefindet mit dem Turnierspiel "Antiopa Giustificata" statt, das im überdachten Brunnenhofder Residenz beginnt und am Nachmittag im Turnierhaus am Hofgartenfortgesetzt wird. Dort hat man zwei gegenüberliegende Bühnen aufgebaut:

Eine männlichemit dem baierischen Wappen und eine weiblichemit dem Wappen von Savoyen.

Eine Sphinx tritt mit einem Spiegel auf, in dem Kurfürst Ferdinand Maria die "herrlichen Taten" seines Sohnes erkennen könne, mit denen Max Emanuel "die Welt überraschen" werde:Die "Siege über die Barbaren" und den "Triumph über die Türken", der den "Untergang des Halbmondes" zur Folge haben wird.

Juni 1663 Starnberger See * Der Rumpf des Bucentaur, des Leibschiffs des Kurfürsten Ferdinand Maria,ist fertig und kannauf Walzen ins Wasser gebracht werden. Umgehend beginnen nun die Arbeiten an den Aufbauten und dem Innenausbau.

3. August 1664 Au * Der Rat des Innerenund Aufschlagseinnehmer der Landschaft in Baiern, Georg Benno Schobinger von Steppberg, verkauft den Edelsitz Wageggin der Au an Anna Maria Cammerloherin, der Ehefrau des HofkammerratsJohann Christoph Cammerloher.

13. April 1667 München * Nach der Entlassung des Kanzlers Johann Georg von Oexl übernimmt "Vizekanzler" Caspar von

Seite 46/362 Schmid als "Vorsitzender des Geheimen Rates" die Regierungsgeschäfte.

Die gesamte Innen- und Außenpolitik liegt seither in seinen Händen. Er genießt das volle Vertrauen des Kurfürsten, der die klare Zielsetzung seiner Politik schätzt.

Um den 1668 München * Dr. Johann Joachim Becher ist zwischenzeitlich zum kurbaierischen Leibmedicus und kurfürstlichen Rat erhoben worden, hat sich aber nach einem zweijährigen Aufenthalt in Baiern - wegen der "erfahrenen Schmähungen" - verärgert nach Wien zurückgezogen, wo er sich der dortigen Seidenmanufaktur widmet. Das Wiener Unternehmen entwickelt sich bald zur großen baierischen Konkurrenz.

Zu Bechers Nachfolger als Direktor der Churbaierischen Seidencomapgnie wird der kurfürstliche Revisionsrath Dr. Jobst ernannt. Die Churbaierische Seidencompagnie ist - wie alle merkantilistischen Unternehmen - mit besonderen Freiheiten und Privilegien ausgestattet worden. Alleine die Gesellschaft ist befugt, "die roh eingeführte oder im Land erzeugte Seide verarbeiten" zu lassen. Nur sie darf die Seide in grosso verkaufen.

Das heißt, dass alle baierischen Kaufleute ihren Bedarf an Seide bei der Churfürstlichen Seidencompagniedecken müssen. Wer gegen diese Vorgaben verstößt und fremde Seidenwaren einführt, muss die Confiscation der Ware hinnehmen und dem Staat eine Strafe von 1.000 Reichstalern bezahlen.

1. Januar 1669 München * Die Churbaierische Seidencompagnie nimmt endlich ihre Tätigkeit auf. Der in Venedig geborene und dort lebende Holländer Lucca van Uffele wird zum Fabrikdirektor erkoren. Er besitzt wertvolle Beziehungen zur venezianischen Seidenindustrie und bekommt schon deshalb den Titel eines Directore Complimentario und Scriptuali Generali übertragen.

In seinen umfangreichen Conditiones heißt es unter anderem: "Van Uffele ist schuldig, der Seidenkompagnie alle nötige Seide von auswärts zu bestellen und auf sein Risiko nach München liefern zu lassen". Darüber hinaus wird er verpflichtet, "so oft eine gefertigte Quantität vorhanden ist, sie gegen Bargeld zu verschleißen". Liegt der Gewinn unter acht Prozent, hat van Uffele den Schaden zu tragen. Überhaupt ist der Venezianer verpflichtet worden, die Einlagen pro Jahr mit fünf Prozent zu verzinsen.

Außerdem soll er die maestranzen [= Meister] aus Italien holen und "eine Anzahl von 2.000 Personen hierländische Arbeitsleuth unterrichten lassen".

Ab dem 1. Januar 1669 München - Au * Da es noch an ergiebigen Maulbeerplantagen mangelt, muss die Rohseide aus dem Ausland bezogen werden. Zusätzlich lässt Kurfürst Ferdinand Maria"im großen Hofgarten, im Residenzgarten, Krautgarten, Kuchlgarten zu München, in den Hofgärten zu Dachau, Berg am Laim, Bogenhausen, Schleißheim und Nymphenburg" eine große Menge Maulbeerbäumeanpflanzen.

Den Kapitalstock für das Unternehmen liefern sowohl Privatleute als auch die frühen Sozialeinrichtungenwie das Heiliggeistspital, das Städtische Waisenhaus oder das Leprosenhaus am Gasteig.

Eine barocke Gründerzeit-Mentalität ist zu verzeichnen. In grenzenlosem Vertrauen fließt das Geld in erstaunlichen Mengen, sodass bald mehrere Tausend Gulden zur Verfügung stehen, um in Italien

Seite 47/362 Seidenspinner-Eier zu bestellen. Das übrige Kapital wird in den Neubau für ein Seidenhaus in der Au investiert.

1672 Schloss Nymphenburg * Der Dachstuhl für das "Schloss Nymphenburg" ist fertiggestellt.

Jetzt können die Arbeiten im Inneren beginnen.

Mai 1674 München - Schloss Nymphenburg * Agostino Barelli verlässt München.

HofbaumeisterEnrico Zuccalli aus Roveredo in Graubünden übernimmt zusammen mit der Bauleitung an der Theatinerkirchedie Ausführung von Schloss Nymphenburg.Er lässt denGroßen SaalinSchloss Nymphenburgeinwölben. Gleichzeitig beginnen die Bauarbeiten an den beiden quadratischen Seitenpavillons und der doppelläufigen Freitreppe auf der Stadtseite.

Oktober 1676 München * Lucca van Uffele wird als "Unschuldig" freigesprochen und in die Freiheit entlassen.

Das Gericht stellt in seiner Urteilsbegründung allerdings fest, dass das Seidenunternehmen schon deshalb scheitern musste, da von der Unternehmensleitung zu viel Kapital in zu große und unnötige Gebäude investiert worden seien. Damit fehlte das Geld für die laufenden Kosten der Seidenfabrikation. Nachdem die Manufaktur nicht mit dem erwarteten Gewinn arbeitet, fordern die Geldgeber ihre Kapitaleinlagen zurück. Auch vom kurfürstlichen Hof können keine Investitionen mehr erwartet werden, da kurz zuvor ein Brand Teile der Residenz zerstört hatte. Damit ist das vorläufige Ende der Churfürstlichen Seidencompagnie - nach nur elf Jahren - gekommen.

Die Auer Seidenfabrik ist noch bis anno 1680, die am Jakobsplatz bis 1705 betriebsbereit.

2. Februar 1678 Meran * Der Bischof von Brixen erteilt Frater Onuphrius vom heiligen Wolfgangin seiner Klausenahe Meran seine Priesterweihe. In der Folge kommt Bruder Onuphriusauf Reisen nach Wien und München mit höchsten Adelskreisen in Verbindung. Sie fördern das Eremitenleben als romantisierende religiöse Modeerscheinung.

Der Eremit gewinnt unter anderem die tatkräftige Unterstützung der Kurfürstin Maria Antonia, die Onuphriusdie Wahl einer geeigneten Niederlassung in Baiern anbietet.

1683 München * Nach dem Regierungsantritt des Kurfürsten Max Emanuel erhöhen sich die Kosten für das Militär von 440.000 Gulden im Jahr 1679 innerhalb von nur vier Jahren auf 1.848.000 Gulden.

1683 Münster * Der Kölner Kurfürst Maximilian Heinrich, Herr über die dreiBistümer Köln, Lüttich und Hildesheim, wird mit Hilfe hoher Bestechungsgelder noch zum Bischof von Münster gewählt.

Seite 48/362 Doch Papst Innozenz XI. erkennt die Wahl aufgrund der Vorfälle nicht an, sodass Maximilian nur Landesherr, nicht aber Bischof ist.

26. Januar 1683 München - Wien * Dem Treffen von Altötting vom März 1681 folgen langwierige Verhandlungen zwischen den kaiserlichen und den baierischen Abgesandten, die letztlich in einem Defensivbündnis enden, in dem sich das Kurfürstentum Baiern verpflichtet, in den bevorstehenden Auseinandersetzungen mit den Osmanen ein Truppenkontingent von 8.000 Mann zu stellen.

Baiern kann die Zusage aushandeln, dass das Land jährlich Subsidienzahlungen in Höhe von 250.000 Gulden, im Kriegsfall von 450.000 Gulden, erhält.

Da jedoch vorhersehbar ist, dass Wien - in Anbetracht der politischen Lage, der sonstigen Verpflichtungen und der verstärkten Kriegsanstrengungen gegen die Osmanen - diese Summe nie aufbringen kann, verlangen die kurfürstlichen Verhandlungsführer Sicherheiten. Das waren die Einkünfte der Grafschaft Neuburg am Inn, der Markgrafschaft Burgau und des Mautamtes Tarvis. Das Ziel ist eine spätere Gebietserweiterung um die Ämter Kufstein und Rattenberg.

Der Bündnisvertrag bedeutet jedoch keinesfalls die völlige Abkehr von Frankreich. Zwar werden sich die politischen Beziehungen zwischen München und Paris ein wenig abkühlen, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Beziehungen wurden jedoch kaum beeinträchtigt.

31. März 1683 Rom - Wien - Warschau * Der päpstlichen Diplomatie gelingt es Ende März 1683, Kaiser Leopold I. und den polnischen König Johann III. Sobieski zum Abschluss eines Defensivbündnisses gegen die Osmanen zu bringen. Auch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen erklären sich zum Beistand des Kaisers bereit.

Papst Innozenz XI. unterstützt die christlichen Herrscher in ihrem Kampf gegen die vorrückenden Türken mit 1,5 Millionen Gulden - und seinem Segen. Er selbst sieht sich als "Streiter für die Reinhaltung des katholischen Glaubens".

Schon deshalb bemüht er sich während seines ganzen Pontifikates, die Fürsten zu einer "Heiligen Liga" zum "Kampf und zur Abwehr der Osmanen" zu gewinnen.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche bittet mit einem päpstlichen Aufruf die Gottesmutter unter der Parole "Maria hilf!" um ihre Unterstützung.

7. Juli 1683 Wien - Krems - Melk - Linz - Passau * Kaiser Leopold verlässt fluchtartig - gemeinsam mit seiner Gemahlin Eleonore von Pfalz-Neuburg - seine Residenzstadt. 69 Kaleschen [= vierrädrige leichte Kutschen] und 32 schwere Wagen für den Kaiser und 33 Kaleschen, 22 schwere Wagen und 203 leichte Wagen für die Prinzessinnen und Prinzen verlassen samt dem Hofstaat die vor der Belagerung stehende Stadt.

Die Flucht führte zunächst nach Krems und von dort über Melk und Linz per Schiff nach Passau.

Seite 49/362 14. Juli 1683 Wien * Die Belagerung Wiens durch die Türken beginnt.Die Stadt ist von allen Seiten eingeschlossen.

5. März 1684 Rom * Mit Unterstützung von Papst Innozenz XI., der sich selbst als "Streiter für die Rein•haltung des katholischen Glau•bens" sieht, gelingt die Gründung einer Heiligen Ligazum "Kampf und zur Abwehr der Osma•nen". König Johann III. Sobieski von Polen, Kaiser Leopold I. und die Republik Venedigschließen dazu ein Bündnis, dem zwei Jahre später auch Russland beitreten wird.

Durch die Heilige Ligafließen umfangreichere Subsidien, sodass die baierische Armee auf eine Sollstärke von 18.000 Mann erhöht werden kann.

14. Juli 1684 Buda/Ofen * Am Jahrestag des Anfangs der Belagerung Wiens, beginnen die Kaiserlichen mit der Belagerung von Buda.

Zwar schaffen es die Belagerer die Unterstadt von Buda einzunehmen, doch die türkischen Verteidiger wehren alle weiteren Angriffe ab. Und nachdem die Zahl der diensttauglichen kaiserlichen Soldaten von 34.000 auf 12.500 gesunken ist, sinkt die Motivation und Kampfmoral auf ein extrem niedriges Niveau ab.

Um Oktober 1684 Wien - München * Die "Heiratsverhandlungen" der baierischen Räte über eine Verehelichung des Kurfürsten Max Emanuel mit der Erzherzogin Maria Antonia beginnen.

Sie dauern bis zum Frühjahr 1685.

12. April 1685 München - Wien * Gleich nach dem Abzug aus Buda/Ofen am 30. Oktober 1684 beginnen die Heiratsverhandlungen über eine Vermählung Max Emanuels mit der österreichischen Erz•herzogin Maria Antonia, der Tochter Kaisers Leopolds I..

Am 12. April 1685 wird der Ehevertrag unterzeichnet.

18. April 1685 Haidhausen * Der "Auer Gerichtsherr", Dr. Georg Jobst, äußert schwere Bedenken gegen das Leiblfing?sche Ansinnen, Haidhausen in eine "geschlossene Hofmark" umzuwandeln.

Das Ausscheiden Haidhausens aus dem Verband des "Gerichts ob der Au" würde zu einem Einnahmeausfall führen, der dem eh schon so kleinen und armen Gericht durch den Entzug von 77 Einwohnern entstehen würde und dass dadurch die Bewohner der Au und Niedergiesings für die gesamten Kosten aufkommen müssten.

19. August 1685

Seite 50/362 Neuhäusl - München - Wien * Auf die Entsatzschlacht von Gran folgt die Eroberung von Neuhäusl. Wieder ist Max Emanuel am Erfolg der Schlachten wesentlich beteiligt. Baierns Kurfürst hatschon am Beginn der Allianz mit Kaiser Leopold I. ein selbstständiges Kommando verlangt. Dass er sich der Befehlsgewalt einem in der Hierarchie unter ihm stehenden Herzog Carl von Lothringen unterordnen muss, wird von ihm als auf Dauer nicht hinnehmbar angesehen und führt deshalb zu steten Protesten.

Je länger der Krieg dauert und je häufiger Kurfürst Max Emanuelentscheidend in die Kämpfe eingreift, desto lauter fordert er den Oberbefehl über alle kaiserlichen Truppen. Als Schwiegersohn hat sich die Beziehung zum Kaiser inzwischen besonders intensiviert, was die Ansprüche des Kurfürsten zusätzlich erhöht.

Doch genau jene militärischen Tugenden, die Max Emanuel bisher auszeichneten, sprechen in Wien gegen die Übertragung einer so großen Verantwortung an den Kurfürsten, auch wenn er durch seine Kühnheit, Risikofreude, Spontanität und seiner Lust zum Handstreich ohne Rücksicht auf das eigene Leben die wichtigsten Siege für den Kaiser errang. Den Wiener Kriegsplanern ist Max Emanuel einfach zu ungestüm.

Um den 15. Juni 1686 Buda/Ofen * Zwei Jahre nach der erfolglosen Belagerung von Buda/Ofen wird ein wiederholter Feldzug zur Einnahme der ungarischen Hauptstadt gestartet, an der diesmal mit 75.000 bis 80.000 Mann eine doppelt so starke christliche Streitmacht teilnimmt. Die erneute Belagerung beginnt.

12. August 1687 Mohács *Bei einer der seltenen Feldschlachtendes Türkenkriegsstehen 60.000 Türken etwa 50.000 Verbündeten des Kaisers am Berge Harsán bei Mohács gegenüber. Die Schlacht endet mit einem glänzenden Sieg der Kaiserlichen.

Der von Kurfürst Max Emanuel befehligte linke Flügel erzwingt den Sieg, indem er zuerst den ersten Angriff der türkischen Reitereiabwehrt, danach mit einem Gegenangriff den Gegner zurückwirft und so lange beschäftigt, bis Herzog Carl von Lothringen die türkischen Verschanzung gewinnen kann.

7. Januar 1688 Köln * Die Kölner Domherrenlegen sich - auf Wunsch des Fürstbischofs Maximilian Heinrich - einstimmig für Wilhelm Egon von Fürstenberg als Koadjutor[= Nachfolger]für den Kölner Bischofsstuhl fest.

Kaiser Leopold I. erklärt die Wahl für ungültig und auch Papst Innozenz XI. erkennt das Ergebnis der Wahl nicht an und zögert die Sache so lange hinaus, bis Kurfürst Maximilian Heinrich stirbt.

19. Juli 1688 Köln - Rom-Vatikan * Es kommt zur Wahl zum Kölner Erzbischof und Kurfürsten.

Bei der Kampfabstimmung erhält der Straßburger Bischof Wilhelm Egon von Fürstenberg 13 der 24 Stimmen. Bischof Joseph Clemens von Freising und Regensburg erhält dagegen nur neun Stimmen.

Seite 51/362 Dennoch bestätigt Papst Innozenz XI. den unterlegenen Kandidaten in der Funktion des Kölner Fürstbischofs und Kurfürsten.Daraufhin lässt der französische König Ludwig XIV. Köln besetzen. Der frisch gekürte 17-jährige Kurfürst Joseph Clemens kann dadurch die nächsten neun Jahre nicht in Köln residieren.

28. Juli 1688 Belgrad * Die Belagerung Belgrads durch Baierns Kurfürst Max Emanuel beginnt.

1690 Au * Die Münchner Bäcker errichten - sehr zum Ärger der Auer Bäcker - ein "Brothäusl" auf dem innerhalb des "Münchner Burgfriedens" gelegenen Gasteigbergs.

18. Juni 1690 Freising * Bischof Joseph Clemens trifft in Freising ein, wo ihn Deputierte des Domkapitelsin einem Zeltlagervor der Stadt begrüßen. Anschließend formiert sich ein Festzug, in dem "Ihro kurfürstliche Durchlaucht von Köln, unser gnädigster Herr" in der blausamtenen, mit Gold reich verzierten Leibkutsche- begleitet von "zwei kleinen, getauften Türken" - sitzt und mit großem Gefolge zum Dombergzieht. Kein anderer Freisinger Fürstbischofleistetsich einen solchen Aufwand für die feierliche Gestaltung der Einnehmung von Freising.

31. Oktober 1691 München * Die Weinwirte, Gastgeben und Bierbrauer bitten den Inneren Ratkünftig auch die Zunft der Handelsleute sowie das Handwerk der Köche, Metzger, Landkutschiere und Branntweiner am Transport der Geschütze auf die Wälle heranzuziehen.

Bei feierlichen Anlässen und Einzügen müssen die "Stuckh" genannten Geschütze zum Salutschießenauf die Wälle gebracht werden. Diese Aufgabe wird bisher von den Weinwirten und Bierbrauern wahrgenommen.

3. März 1692 Haidhausen * Da Graf Franz Pongraz von Leiblfing in seinem Bestreben, die Erhöhung seines Besitzes in Haidhausen zur geschlossenen Hofmark, nicht nachlässt, erklärt Kurfürst Max Emanuel schließlich die Hofmarkdes Geheimen und Conferenzrates, Kämmerers, Revisionsrates und Pflegers von Waldmünchen, des inzwischen in den Reichsstanderhobenen Reichsgrafenvon Leiblfing - wegen der "vill vnd lange Jar trew geleisteter Dienst vnd aus absonderlichen gnaden" - mitsamt dem Brunnthalfür geschlossen. Damit istder Haidhauser Schlossbesitzer endlich am Ziel seiner langjährigen Bemühungen.

In seiner geschlossenen Hofmarkunterstehen ihm nun alle dem "Hofkastenamte zinsbaren Unterthanen zu Haidhausen" und nicht nur die Bauern und Dienstboten, die seine Güter bearbeiteten. Neben riesigen landwirtschaftlichen Flächen besitzt der Graf auch das Recht Scharwerke, Bodenzinsund sonstige Steuern und Abgaben- also die gesamten Einkünfte aus Haidhausen - einzutreiben. Selbst die Vergabe der Gerechtsamkeiten"also die Erlaubnis innerhalb der Hofmarkein bestimmtes Handwerk oder Gewerbe ausüben zu dürfen, unterliegen nun ausschließlich seiner Entscheidung.

Seite 52/362 Dem Hofmarkherrnunterstehen "im Dorfe 85 Hausbesitzer, die Scharwerkgeld zu entrichten haben. In der Schwaige nimmt er von 42 Untertanen Scharwerkgeld und Bodenzins ein. Der Großwirt hat Stift und Giltzu entrichten und Melber, Metzger, Schmid, Hufschmid und Schneider haben unterschiedliche Beträge abzuführen. Der jährliche Ertrag der Hofmark beläuft sich auf 188 Gulden 11 Kreuzer". Die Konsequenz aus der Erhebung Haidhausens zur geschlossenen Hofmarkist der Austritt aus dem Verband des Gerichts ob der Au.

Während der Leiblfing?schen Hofmarkszeit wird die Ansiedlung minderbemittelter Leute stark begünstigt. Jeder, der die Gebühren entrichten und eine Herberge erwerben kann, darf sich niederlassen und heiraten. Zeitgenossen merken kritisch an, dass der Hofmarkherrnur auf seinen Vorteil bedacht ist und sein Streben einzig der Erhöhung seiner Einnahmen gilt. Er ergreift "jede Gelegenheit Geld aus den Untertanen zu pressen, z.B. durch offenbare Begünstigung der Herbergskäufe und Ansässigmachungen und Verehelichungen, wegen der anfallenden Laudemien, Verbriefungs- und anderer Taxen und Sporteln".

20. April 1694 Lüttich * Unmittelbar vor Beginn der "Bischofswahl" ziehen die für "Pfalzgraf" Ludwig Anton eingestellten kirchlichen Würdenträger aus dem "Kapitelsaal" aus.

Die "baierische Partei" wählt daraufhin Kurfürst Joseph Clemens zum neuen Lütticher Bischof.

4. Mai 1694 Lüttich *Pfalzgraf Ludwig Anton stirbt an einer in Lüttich grassierenden Seuche. Damit ist der Pfalzgrafals Konkurrent um das Bistum Lüttich ausgeschieden. Papst Innozenz XII.kann dadurchKurfürst Joseph Clemens - ohne auf die Vorgänge der Wahl eingehen zu müssen und ohne Stellung zu Fragen der besseren Legitimität des baierischen Bewerbers zu nehmen - das Amt des Fürstbischofs von Lüttichübertragen.

Um sich nicht dem Vorwurf der Nachgiebigkeit gegenüber dem Haus Baiernund der Parteilichkeitaussetzen zu müssen, entzieht Papst Innozenz XII. daraufhin Bischof Joseph Clemens die Bistümer Freising und Regensburg, indem er sie für "vakant" erklärt und die dortigen Domkapitelzur Wahl eines neuen Bischofs auffordert. In Erinnerung an die Reformbeschlüssedes Konzils von Trient, welche die Anhäufung von geistlichen Pfründenals "unerträglichen Missstand" brandmarkten, siehtsich der Papst zum Handeln gezwungen.

Um den Besitzstand des 22-jährigen Kurfürsten ein wenig zu beschneiden, greift der Papst zum Mittel der Einziehung der eher unbedeutenden Bistümer Freising und Regensburg.Gleichzeitig sichert er ihm aber die Nachfolge in Hildesheimzu.

17. Februar 1695 Regensburg * Das Domkapitelin Regensburg wählt Joseph Clemens zum zweiten Mal zu ihrem Bischof.Papst Innozenz XII. überträgt ihm daraufhin das Bistum, verbindet es aber mit einer Klausel, wonach er bei einem Regierungsantritt in Hildesheimendgültig auf das Bistum Regensburgverzichten muss.

August 1700 Freystadt * Giovanni Antonio Viscardi beginnt mit dem Bau einer neuen Wallfahrtskirche Maria Hilf in Ferdinand

Seite 53/362 Franz Lorenz Xaver von Tilly zu Breiteneggs Herrschaft Freystadtin der Oberpfalz.

1702 München * Die "Rekrutierungsverfahren" zur Gewinnung von Soldatennachwuchs werden verschärft.

Sogar der "Hofkriegsrat" stellt in einem Gutachten fest, dass das Verfahren negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Steuerkraft des Landes haben wird.

Die kurbaierischen "Zwangsaushebungen" unterscheiden sich kaum von den "Zwangsrekrutierungen" der österreichischen "Kaiserlichen Administration" im Jahr 1705.

1. September 1702 München - Versailles * Kurfürst Max Emanuel erneuert sein Bündnis mit Frankreich. König Ludwig XIV. verspricht ihm für die aktive Kriegsteilnahme territoriale Gewinne und die mögliche Anerkennung der Königswürde.

8. September 1702 Ulm * Mit dem Überfall auf die ReichsstadtUlm beginnt die militärische Aggression Max Emanuels. Damit beginnt der Spanische Erbfolgekriegzwischen Frankreich und Österreich. Der baierische Kurfürst Max Emanuel steht gemeinsam mit seinem Bruder Joseph Clemens, dem Kurfürsten von Köln, als einzige Reichsfürsten auf der Seite der Franzosen.

Januar 1703 Wien - Kurfürstentum Baiern* Beginn der konzentrierten Angriffe der "Kaiserlichen Armee" gegen Baiern.

2. Juli 1703 Innsbruck * Die baierischen Truppen unter Führung des Kurfürsten Max Emanuel besetzen die ReichsstadtInnsbruck.

31. Dezember 1703 München * Eine im Jahr 1703 von den städtischen Behörden erstellte Untersuchung über den Anteil der Kirchen und Klöster auf dem Stadtgebiet hat ergeben, dass von den 237,5 Tagwerk Grund und Boden innerhalb der Stadtumwallung Münchens 38,375 Tagwerk - oder ein Sechstel - kirchlichen Einrichtungen gehören.

Um den 10. Oktober 1705 Niederbaiern - Oberpfalz * Im Innviertel, an Vils und Rott sowie in Teilen der Oberpfalz kommt eswegen derZwangsrekrutierungenzu ersten Tumulten.

16. Oktober 1705 Au * Die Kirche zur Unbefleckten Empfängnis Mariaam Gaisbergwird geweiht. Von jetzt an dürfen Messen in der Kapelle gelesen, das Allerheiligstejedoch noch nicht darin aufbewahrt werden.

Seite 54/362 13. November 1705 Burghausen * Der Kampf um Burghausen beginnt.

4. Dezember 1705 Braunau * Der frühere baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs kommt nach Braunau. Gemeinsam mit Plinganser plant er die Ausweitung der Rebellion übers ganze Land und die Einnahme Münchens.

Lokale Erhebungen im Bairischen Wald, an der unteren Isar und im Raum Kehlheim sollen Teile der kaiserlichen Besatzungstruppen binden, während das starke Unterländer Defensionsheerüber Mühldorf und Ebersberg auf die baierische Hauptstadt vorstoßen soll.

Flankierend sollen aus den Gerichten nördlich und südlich von München zwei Unterstützungsangriffe gegen die Stadt erfolgen.

Um den 8. Dezember 1705 Burghausen * Die Aufstandsbewegungunter der Führung des Pfarrkirchner GerichtsschreibersGeorg Sebastian Plinganser erzielt bedeutende Erfolge und kontrolliert nach der Einnahme der Städte Burghausen, Braunau und Schärding die Innlinie und große Teile des Rentamtes Burghausen.

Als sich die Rentamtsregierungnotgedrungen auf die Seite der Aufständischenstellt, breitet sich die Rebellion über das Rott- und das Vilstal weiter aus.

9. Dezember 1705 Tölz * Der ehemalige baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs begibt sich von Braunau nach Tölz, wo er den dortigen PflegskommissärJohann Ferdinand Dänkel für die Aufstandspläne gewinnen kann. Die Bevölkerung des Oberlandssteht dem Aufstand positiv gegenüber. Fuchs legt dazu ein angebliches Mandat des Kurfürsten Max Emanuel vor. Diese Fälschung war vermutlich von der Braunauer Führungsgruppe um Plinganser gefertigt worden. Es lautet:

"Wir, von Gottes Gnaden Maximilian Emanuel, Churfürst zu Baiern etc. etc..

Nachdem Wir mit Schmertzen vernommen, dass ihr, meine Liebe, Getreue, seit unser Abwesenheit mehr und mehr beschweret werdet, und man euch eine Million nach der andern abpresset, benebst den Teutschen Krieg aus euren Mitteln fortsetzen wolle, wodurch dann die Armuth bey auch dermassen zugenommen, dass ihr die unerträglichen Lasten, sowohl in Geld, als Mannschafft, freye Einquartierung, und hin= und wider= Marches nicht länger ertragen könnet, dass ihr auch eur Vieh und Hauß-Zierathe zu Gelde gemacht, und nichts mehr als die leere Wohnung übrig habt, so haben wir nach der allzeit gegen euch erwiesenen und noch habenden Güt und Vorsorge rathsam und gut befunden, euch solchen vorzustellen und zu ermahnen, dass ihr solche unchristliche Beschwerungen nicht länger duftet, sondern hingegen- gesamter Hand einander beystehet, mit Gewehr euch versorget und auf alle Arth und Weise das Land selbst zu beschirmen trachtet, und solches um soviel mehr, da man noch über dem die bequeme Mannschafft zu dem Kriegesdienst mit Gewalt zwingen und wegführen will.

Seite 55/362 Zu dem Ende wollen wir auch nicht unterlassen, euch, soviel möglich ist, beyzustehen, und unser Winter-Lager nahe bey euch zu nehmen, biß ihr einen festen Fuß ins Land haben werdet.

Womit wir, wie vor diesem, euch in Gnaden und Gunst gewogen verbleiben."

Um den 10. Dezember 1705 München * Die Gerüchte, wonach die baierischen Prinzen nach Österreich gebracht werden sollen, werden lauter.

19. Dezember 1705 München * Die Kaiserliche Administrationerlässt ein Mandat, in dem sie der "rottirten rebellischen Baurschaft" befiehlt, die Waffen niederzulegen. Zudem sollen die Bauern die Anführer der Aufstandbewegungzur Anzeige bringen.

Die Kaiserliche Administrationwarnt davor, "daß diejenige Dörffer, Höf und Häuser, wo die Bauerschafft sich abwesend befindet, ohne alle Gnad und Bedenken verbrennet und in Asche geleget, diejenige Mannschaft aber, so in Wöhr und Waffen verblieben, und darinne erdappet werden wird, als Rebellen angesehen, und mit Galgen und Schwerdt, Vertreibung ihrer Haab und Gütter gestraft" werden.

Auch die Eltern der Aufständischenwürden "der Straff des Brands und Plünderung, als wann sie selbsten dabey wären, underworffen seyn". Keiner könne sich damit entschuldigen, nur unter Zwang gehandelt zu haben.

21. Dezember 1705 Braunau - München * Der Höhepunkt der politischen Phase des BaierischenVolksaufstandsist erreicht. In Braunau konstituiert sich ein Parlament, der Landesdefensionskongress.Ein Direktorium, die provisorische Regierung, wird gebildet.

DieKurbaierische Landes-Defension Oberland und Unterlandunternimmt den Marsch nach München, um mit der Landeshauptstadtbeginnend ganz Baiern zu befreien.

24. Dezember 1705 Thalkirchen * Gegen 22 Uhr erreicht der Tross Thalkirchen. Weil sich etwa 400 Bauern abgesetzt haben, ist die Abteilung auf rund 2.300 Kämpfer geschrumpft. AuchKriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs und derTölzer WeinwirtFranz Jäger, der Bruder des MünchnerJägerwirtshaben das Aufgebot verlassen.

In Thalkirchen wird unter der Leitung vonLeutnantJohann Houis der Angriff auf München vorbereitet.Die verbliebene Streitmacht wird dazu in drei Gruppen aufgeteilt.

Die erste Gruppe mit 800 Mann, darunter der größte Teil derSchützen, soll unter der Führung vonLeutnantJohann Georg Aberle denRoten Turmeinnehmen und den Flussübergang sperren. Die zweite Gruppe mit ebenfalls 800 Männern, aus der Masse derSpießler und Stänglerbestehend, soll unter der Leitung vonLeutnantJohann Clanze gegenüber demAngertorStellung beziehen, um einen Ausbruch derKaiserlichenzu verhindern. Der Rest, die am schlechtesten Bewaffneten, sowie dieReitereiund dieArtillerie, etwa 700 Mann stark, sollen in

Seite 56/362 dem nahe gelegenen DorfUntersendlingStellung beziehen. Dieser Gruppe schließt sich auch die Führungsgruppe derAufständischenan.Sie bezieht im dortigen Wirtshaus ihr Hauptquartier.

Um Mitternacht treten die einzelnen Gruppen den"Marsch auf München"an.

25. Dezember 1705 München * Ein von vornherein aussichtsloser Kampf beginnt.Der Angriffsplan der Aufständischenzeigt zugleichdie Unfähigkeit ihrer Anführer.

Wie sollen die Oberländer- ohne Unterstützung der Münchner Bevölkerung und der wesentlich zahlreicheren Unterländer- die mit starken Befestigungen versehene Stadt stürmen?

Die Münchner Befestigung besteht aus den beiden 10 und 7 Meter hohen Mauerringen. Denen vorgelagert liegt ein 25 Meter breiter Wassergraben mit gemauerten Böschungen. Jenseits des Grabens befindet sich ein 5 bis 7 Meter hoher Erdwall mit Palisadenwand. Das Isartorwird zudem durch einen vorgeschobenen Ravelingesichert.

8. Januar 1706 Aidenbach * Das Massaker von Aidenbach beginnt.Die Unterländerwerden niedergeschlagen.Freiherr von Gemmel berichtet:

"Es haben sich aber die Rebellen, ehe man die Höhe gar besteigen können, gleichsam in dem Augenblick, ohne Verlierung des geringsten Feuers, in den hinter sich gehabten Wald gezogen; ihr Kommandant und andere Offiziere sind, gleich wie sie schelmischer Weise ihr rebellisches Kommando angetreten, wieder solchergestalten auf ihren Pferden mit der wenig gehabten Kavallerie durchgegangen und haben ihre Hauptarmee im Stich gelassen, welche der verbitterte Soldat sowohl zu Pferd als zu Fuß sogleich umringt und in den Wäldern und Feldern aufgesucht, alles, was sich nur blicken lassen, gegen einen wenigen Widerstand solchergestalten niedergemacht und massakriert, daß der wenigere Teil davongekommen.

Teile von ihnen haben sich in einige unweit von dieser Niederlage gelegene Bauernhäuser retiriert und sonderbar aus einem auf die Kaiserlichen mit kleinem Gewehr stark Feuer gegeben, daher diese Häuser sämtliche in Brand gesteckt und was nicht darinnen verbrennen, sondern entlaufen wollen, ohne Unterschied niedergemacht worden ist."

Der Volksaufstandbricht zusammen.

16. Januar 1706 München - Wien * Graf Maximilian Carl von Löwenstein-Wertheim-Rochefort berichtet an den Kaiser:"Nachdem von diesem Gesindel bei Sendling und Aidenbach, auch bei Wiedergewinnung von Kelheim, Vilshofen und anderen Orten und in verschiedenen Scharmützeln gegen 10.000 Mann massakriert worden, haben sie kein corpo mehr zu Felde [...]."

Seite 57/362 Mai 1706 Klagenfurt * Die vier ältesten baierischen Kurprinzen Carl Albrecht (* 1697), Philipp Moritz (* 1698), Ferdinand Maria Innozenz (* 1699) und Clemens August (* 1700) werden nach Klagenfurt gebracht.

Prinzessin Maria Anna (* 1696) und die jüngeren Prinzen Johann Theodor (* 1703) sowie Max Emanuel Thomas (* 1704) bleiben in München.

14. Oktober 1709 Au - Freising * Johann Maximilian von Alberti wendet sich an den ihm gewogenen Bischof von Freising, um "das hochwürdigste Gut für ständig in der Kapelle einsetzen und zeitweilig zur öffentlichen Anbetung aussetzen" zu dürfen. Da es sich bei dem Kirchlein am Gaisbergum eine Privatkapelle handelt, ist dazu die Zustimmung durch die höchste katholische Instanz notwendig, den Papst.

Dezember 1709 ??? * Die Verhandlungen Max Emanuels über einen "Separatfrieden" beginnen.

Sie dauern bis Anfang 1710 - und scheitern.

29. Mai 1710 Haidhausen - Au * Nachdem es mit den Paulaner-Patreszu Problemen wegen der Überführung des Allerheiligstengekommen ist, wendet sich Johann Maximilian von Alberti erneut an den Freisinger Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck. Dieser erlaubt ihm die Übertragung des Allerheiligstenaus der Haidhauser Sankt-Johann-Baptist-Kirche.

Die eifersüchtig auf ihre Rechte pochenden Paulanerbefürchten, dass auf sieeine Schmälerung ihrer Einnahmendurch Lesen von Messenin der Kapelle am Gaisberg,aberauch bei den Spenden im Opferstockzukommenund letztlich für die Mariahilf-Wallfahrteine starke Konkurrenz erwachsen würde.

30. August 1710 Au * Mit der Erbschaft seiner verstorbenen Frau nimmt BürgermeisterJohann Maximilian von Alberti die nächste Phase der Klosterwerdung auf dem Gaisbergin Angriff. Er stellt einen mit 12.000 Gulden dotierten "Fundationsbrief zur Aufrichtung eines Jungfrauenklosters nach der Regel des hl. Benedikt" aus.

11. Mai 1711 Wien - München * Die Kaiserwitwe Eleonore Magdalena Theresia aus Wien gibt ihre Zustimmung, in München ein "Karmelitinnenkloster der theresianischen Reform" für zwanzig Frauen zu bauen und das Haus der Nonnen mit der gelobten Dreifaltigkeitskirche zu verbinden.

Als Architekt soll Giovanni Antonio Viscardi tätig werden.

17. September 1711 München * Das Karmelitinnenkloster in München wird gegründet. Die ersten vier aus Österreich kommenden

Seite 58/362 Karmelitinnen werden am 14. Oktober eintreffen.

14. Oktober 1711 München-Kreuzviertel * Maria Anna Lindmayr wird in das am 17. September 1711 gegründete Karmeltinnenkloster aufgenommen. Damals treffen die ersten vier aus Österreich kommenden Karmelitinnen in München ein. Sie finden ihre vorläufige Unterkunft Ecke Pacellistraße/Promenadeplatz, wo ihnen die Lindmayrin ein provisorisches Kloster eingerichtet hat. Das war noch bevor mit dem Bau der Dreifaltigkeitskirchebegonnen wurde.

1712 Klagenfurt - Graz * Die Hofhaltung der baierischen Kurprinzen Carl Albrecht, Philipp Moritz, Ferdinand Maria Innocenz, Clemens August und Johann Theodor wird von Klagenfurt nach Graz verlegt.

Ihre Schwester Maria Anna Carolina bleibt weiterhin in München. Das Nesthäkchen Max Emanuel ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

22. Mai 1712 München * Am Dreifaltigkeitsfest erhält Maria Anna Lindmayr die Zulassung zum Noviziat, verbunden mit der Einkleidung.

1713 Walchensee * Das "Interdikt", die "Gottesdienstsperre", über die "Hieronymitaner" wird bald wieder aufgehoben und "Pater Onuphrius" erreicht endlich die römische Anerkennung seiner Gemeinschaft.

Im Gegenzug beginnt der "Abt" von Benediktbeuern nun ein "Priorat" unmittelbar neben den "Klausen" am Walchensee zu errichten, um die "Dahergelaufenen Waldbrüder" auszuschalten.

22. März 1713 München * Maria Anna Lindmayr kann die feierliche Ordensprofess ablegen und den Namen "Josepha a Jesu" annehmen.

10. Juni 1713 München * Maria Anna Lindmayr feiert ihr Schleierfest. Um Gott näher zu kommen geißelt sie sich mit Ruten, hungert, trägt Stachelketten oder schläft auf Brennnesseln.

August 1714 München-Kreuzviertel * Der Stuckateur Johann Georg Baader beginnt mit der plastischen Kirchenausschmückung der Dreifaltigkeitskirche.

September 1714 München-Kreuzviertel * Der Freskant Cosmas Damian Asam beginnt mit seinen Arbeiten an der

Seite 59/362 Dreifaltigkeitskirche.

8. Oktober 1714 München-Angerviertel - München-Kreuzviertel * Die Karmelitinnen werden durch die Klarissin Emanuela Theresia a Corde Jesu aus dem Angerkloster, der einzigen Tochter des baierischen Kurfürsten Max Emanuel, in ihr neues Kloster eingeführt.

10. April 1715 München * Kurfürst Max Emanuel zieht nachts um 23 Uhr mit seiner Familie in aller Stille durch das "Neuhauser Tor". Freudenbezeugungen sind zuvor verboten worden.

Der erneut in seine Herrschaftsrechte eingesetzte Kurfürst Max Emanuel trifft damit wieder mit seiner Familie zusammen.

Er hat Großes mit seinen Söhnen vor und in seinem Exil beschlossen, dass drei seiner fünf Söhne in der "Reichskirche" untergebracht werden sollen: Philipp Moritz, Clemens August und Johann Theodor.

21. November 1715 Au * Die ersten zwei Klosternonnen vom Kloster Niedernburgtreffen am Gaisbergein. Maria Agnes Dascher wird als Priorindas Kloster leiten, Maria Antonia von Eiseneck als Wirtschaftsleiterindie Geschicke der Klostergemeinschaft lenken.

Danach unterstellt man ihnen die sechs schon vorhandenen Nonnen und erhebt die Gemeinschaft zum Benediktinnerinnenkloster, für das sich bald der Name Lilienbergeinbürgert.

1716 Schloss Nymphenburg * Der Ausbau des "Schlosses Nymphenburg" beginnt.

1716 Schloss Nymphenburg * Joseph Effner beginnt mit dem Bau der "Pagodenburg" im "Nymphenburger Schlosspark".

Die Arbeiten dauen bis 1719 an.

März 1716 München-Kreuzviertel * Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr wird für drei Jahre zur Priorin des Karmelitinnenklosters gewählt.

1718 Schloss Nymphenburg * Joseph Effner beginnt mit dem Bau der "Badenburg" im "Nymphenburger Schlosspark".

Seite 60/362 Die Arbeiten dauen bis 1721 an.

1719 München * Herzog Ferdinand Maria Innocenz ehelicht die Tochter des Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von Neuburg, Maria Anna Carolina.

Ihr gemeinsamer Sohn, Clemens Franz, ist neben dem Kurfürsten Max III. Joseph der einzige Vertreter der letzten baierisch-wittelsbachischen Generation.

1719 München-Kreuzviertel * Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr wird für weitere drei Jahre in ihrem Amt als Priorin des Karmelitinnenklosters bestätigt.

Juli 1719 Regensburg * Johann Theodor, der jüngste Sohn des baierischen Kurfürsten Max Emanuels muss als 16-jähriger das Bistum Regensburg von seinem älteren Bruder Clemens August übernehmen, obwohl er überhaupt keine Neigung zum geistlichen Stand in sich fühlt.

Der übermächtige Vater droht ihm - mit unbeugsamer Härte - mit der rechtlichen Zurücksetzung innerhalb der Familie. Damit bewegt er seinen Sohn zur Annahme dieses hohen und einträglichen Kirchenamtes.

Obwohl Johann Theodor bis zu seinem Tod im Jahr 1763 das Bistum Regensburg insgesamt 44 Jahre als Erzbischof regiert, glänzt er dort durch Abwesenheit und hält sich bevorzugt in den väterlichen Schlössern, später in seinem "Jagdschloss in Ismaning" auf.

Die tatsächliche Bistumsverwaltung übernehmen die vom Fürstbischof eingesetzten geistlichen Ratskollegien, Generalvikare und Weihbischöfe. Ungeachtet seiner Untätigkeit für die ihm anvertrauten Aufgabengebiete macht der Wittelsbacher Herzog dennoch Karriere.

1721 Rom-Vatikan - Prag * Nepomuk, der Beichtvater der böhmischen Königin Sophie, wird von Papst Innocenz XIII. "selig" gesprochen.

1721 München * In München lodert das letzte "Hexenfeuer".

Die Tochter des "Hofstallknechts" Dellinger wird erwürgt, bevor man ihren leblosen Körper dem Feuer übergibt.

Der "Geschichtsschreiber" Andreas Felix Oefele bezeichnet sie als "ein elendes Mädchen, schwach und seiner Sinne nicht mächtig".

1722

Seite 61/362 München-Kreuzviertel * Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr lehnt eine weitere Wiederwahl zur Priorin des Karmelitinnenklosters ab. Sie wird aber von ihren Mitschwestern gedrängt, das Amt der Novizenmeisterin anzunehmen.

Bis zum Jahr 1723 Freising * Zwischen 1721 und 1723 werden acht Burschen und junge Männer im Alter zwischen 14 und 23 Jahren und drei "Bettlerinnen" mittleren Alters in Freising hingerichtet.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Zenit der "Hexen-Verfolgungen" allerdings längst überschritten. Der "Freisinger Prozess" ist ein Auslaufmodell, was aber den "Hingerichteten"allerdings nicht hilft.

23. August 1723 Au * Johann Maximilian von Alberti richtet eine Bitte an der Kurfürsten. Er soll das Benediktinnerinnenkloster am Lilienbergin den Münchner Burgfriedeneinbeziehen.

18. August 1724 Au * Johann Georg Messerer erhält die Weißbiergerechtigkeitund bald darauf auch die Braunbier- und Branntwein-Ausschank-Gerechtigkeit. Messerer muss viel Geld in den Umbau des Hauses und die Urbarmachung seiner Gründe investieren.

Die Falkenauist noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Isarau.Auch einige Häuser sind entstanden. Da aber Herzog Ferdinand Maria Innocenz, der Bruder des Kurfürsten Carl Albrecht, um das Jahr 1730 die Falkenauzur Hühnerjagdnutzen will, dürfen auf den öden Gründen keine weiteren Häuser errichtet werden. Man überlegt sogar, die vorhandenen Tagwerkerhäuser abzutragen, "weil in den Gebüsch der Auen allerhandt herrnlose Pursch und zimblich ybl renomiertes Angesindl zu großer Beschwerdte vnd besorglichen Unhäyls der ganzen Nachbarschaft" sich aufhält.

1725 Schloss Nymphenburg * Joseph Effner beginnt mit dem Bau der "Magdalenenklause" im "Nymphenburger Schlosspark".

Die Arbeiten dauen bis 1728 an.

6. Dezember 1726 München-Kreuzviertel * Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr stirbt.

17. Dezember 1726 München-Kreuzviertel * Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr wird in der Gruftdes Münchner Karmeltinnenklosters beigesetzt.

19. Januar 1727 München-Kreuzviertel * Für Maria Anna Josepha a Jesu Lindmayr wird ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet -

Seite 62/362 aber nie zu Ende geführt.

19. Mai 1727 München-Lehel * Die österreichische Kaisertochter Marie Amalie, die Schwiegertochter des inzwischen verstorbenen Kurfürsten Max Emanuel, legt den Grundstein für das Kloster im Lehel. Die Anna-Kirchewird zur Dankvotivkirchefür den am 28. März 1727 geborenen Kurprinzen Max Joseph. Dadurch erfreut sich der Kirchbau besonderer Fürsorge des kurfürstlichen Hofes, was zur Folge hat, dass die besten und angesehensten Künstler engagiert werden und zusammenwirken können.

Es entsteht einer der kostbarsten Sakralräume Münchens und die erste Rokokokirche von München und Baiern. An diesem verhältnismäßig kleinen Bau erfindet der 35-jährige Architekt Johann Michael Fischer eine ganz neue Lösung. Er benutzt keine der bisher gültigen Elemente: keine Wandsäulen, kein durchgehendes Gebälk, keine Halbkugelkuppel, keine ebenen Begrenzungen und keinen rechten Winkel, keinen stabilisierten Grundriss und Aufriss. Fischers Konzeption zielt auf eine geschmeidige Innenverbindung von Längs- und Zentralräumlichkeit. Es ist Fischers dritter Kirchenbau von den 32 Kirchen und Klöstern seines Lebenswerkes. Den Kirchenbau selbst führte der Maurermeister Philipp Zwerger aus.

Den größten Teil der Innenausstattung besorgen die nicht weniger bedeutenden Gebrüder Asam. Egid Quirin Asam schafft die sämtlichen Altaraufbauten, Plastiken und Stuckaturen; Cosmas Damian Asam malt die Fresken und die Altarblätter. Für die Asambrüder ist es die zweite Kirchenarbeit in München. Das Herzstück des Hochaltars, den Tabernakelbaumit den beiden Engeln, und die Kanzel stammen von dem jungen Johann Baptist Straub.

Juni 1728 München * Die neuen "Burgfriedenssäulen" werden unter Beteiligung einer Kommission aus kurfürstlichen "Hofräten" und aus städtischen Abgeordneten aufgestellt.

Begleitet werden sie von 37 Bürgersöhnen im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren, die Kohlen aus Eichenholz und Glasscherben zum Einlegen in die Grundsteine der Säulen mittragen. Jeder der Knaben erhält zur Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis einen "Gedenkpfennig" und eine "Maulschelle", die an das alte baierische Recht erinnert, bei dem die Zeugen an den Ohren gezogen wurden.

Ähnlich einem Bildstock wird die "Stele" oben von einer halbrunden Bekrönung abgeschlossen. Die Säulen sind aus Tuffstein, der aus der Gegend um Valley stammt. Sie zeigen auf der einen Seite einen Mönch, auf der anderen das Rautenwappen, das Stadt- und das Landeswappen.

Ab 1731 Berg am Laim * Auf seinem Berg am Laimer "Hofanger" lässt sich Kurfürst Clemens August ein "neues Hofmarkschloss" erbauen.

Es dient allerdings nicht ihm, sondern seinem älteren Bruder Ferdinand Maria Innocenz "zur Jagdlust und zum Gebrauch". Dieser war - als drittgeborener Sohn - vom Kurfürstenvater Max Emanuel nicht in eine geistliche Laufbahn gedrängt worden, bekleidete damit auch keine einträglichen und einflussreichen Ämter.

Das neue Schloss liegt mit seiner Längsseite an der heutigen Josephsburgstraße und lehnt sich an das alte

Seite 63/362 Schloss an. An der südlich gelegenen Gartenseite des Zentralbaues befand sich ein Pavillon. Im Inneren erstreckt sich der Salon über zwei Stockwerke. An beiden Seiten des Haupttrakts schließen sich doppelgeschossige Flügel mit großen Stallungen für jeweils 16 Pferde an. Sie beinhalten zusätzlich die Zimmer für die Stallknechte und zwei Heukammern.

Herzog Ferdinand Maria Innocenz unternimmt von hier aus die damals so beliebten "Parforcejagden". Die Zwinger für die dazu notwendige große Hundemeute waren jedenfalls vorhanden. Neben der "Parforcejagd" ist Ferdinand Maria Innocenz ein großer Liebhaber der "Falknerei". Wie sein Bruder Clemens August benutzt der Herzog die im heutigen Untergiesing gelegenen "Falkenau" zur Jagd mit den verschiedenen Greifvögeln auf Reiher und sonstiges Getier.

31. Oktober 1731 Salzburg *Der Salzburger Fürstbischofund Landesherr, Leopold Anton von Firmian, befiehlt die Ausweisung der in seinem Land lebenden Protestanten. Über 20.000 Salzburger müssen ihre Heimat verlassen.

Den Besitzenden wird eine Frist von drei Monaten eingeräumt; die Besitzlosen - Tagelöhner, Knechte, Mägde - müssen sich innerhalb von acht Tagen auf den Weg machen. Mitnehmen dürfen sie nur das, was sie auf dem Leib tragen oder auf einer Karre hinter sich herziehen können.

1732 Haidhausen - Au * Der "Viehmarkt Auf den Lüften" ist derart ausgebildet, dass die "kurfürstliche Hofkammer" in einem Schreiben an den "Münchner Rat" feststellt, dass die Münchner Metzger ihr Schlachtvieh "nicht mehr am gewöhnlichen Ort auf dem Anger, wo dieser Markt seit jeher stattgefunden hat, sondern bei dem sogenannten Lüftenhaus auf dem Isarberg? kaufen.

Anschließend treiben sie die gekauften Tiere in Richtung Schwabing auf die Weide an der "Stadtbleiche" und mischen es unter das dortige Weidevieh, um es am Abend mit den anderen Tieren in die Stadt hineintreiben zu lassen. Damit können die Münchner Metzger den so genannten "Viehaufschlag", eine Steuer, umgehen.

Dass der Ausfall der Steuereinnahmen dem "Münchner Rat" nicht gefällt, sei hier nur der Form halber erwähnt. Für die Stadtherren grenzt diese Verfahrensweise an Betrug, weshalb diese nicht länger geduldet werden darf. Dennoch bleibt der "Viehmarkt" bestehen.

Die Münchner müssen sich vom "Pfleggericht Wolfratshausen" sogar den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihnen lediglich um die Einnahmen aus dem Pflaster- und Brückenzoll geht und sie den "Viehmarkt auf den Lüften" nur als Vorwand nutzen, um den "Burgfrieden" wieder erweitern zu können.

1734 Heidelberg - Schwetzingen * In der klimatisch besser begünstigten Pfalz gibt es seit dem Jahr 1734 eine Seidenbaugesellschaft, die innerhalb von nur vier Jahren 12.000 Maulbeerbäume entlang der Straße zwischen Schwetzingen und Heidelberg anpflanzen lässt. Es dürfte damit die älteste Maulbeerallee in Deutschland sein.

Da die Maulbeerbäume bei den Pfälzern nicht sonderlich beliebt sind, nennt man die Bäume im Volksmund "Zwing-uff", also "aufgezwungene Bäume".

Seite 64/362 1740 Köln * Der Kölner Kurfürst und Fürsterzbischof Clemens August gründet - nach dem päpstlichen Verbot der Freimaurer - als Ersatz den Mopsorden. Es handelt sich dabei um einen für Männer und Frauen gleichsam zugänglichen Orden, der vermutlich auch am Münchner Hof Verbreitung findet.

Um den Papst nicht erneut zu erzürnen, ersetzt man den Eid der Freimaurer durch das Ehrenwort der Geheimhaltung und nimmt - am Anfang - nur Katholiken in den Logen auf. Um die ganze Angelegenheit als harmlos und ungefährlich hinzustellen, befürwortet man den Zutritt der Damen. Dabei ist gerade dies eine fast revolutionäre Tat, da den Möpsinnen alle Grade der Loge offen stehen und die Ämter paritätisch besetzt werden.

Der Name Mopsorden geht auf die im 18. Jahrhundert vorhandene Begeisterung für die gleichnamigen Hunde zurück. Zugleich steht die französische Bezeichnung für die Ehefrau eines Freimaurers Pate: Mopse. Das Brauchtum ist von "einer gewissen galanten Laszivität, wie sie dem Geschmacke des Rokoko entsprach".

Der Zirkel in der Mopsloge soll Folgendes lehren: "Gleich, wie alle Durchschnitte des Kreises durch seinen Mittelpunkt gehen, müssen alle Handlungen eines Mopses aus einer Quelle gehen, nämlich der Liebe."

14. Juli 1741 Au * Josef Anton von Kern verkauft den in der Au gelegenen Grundbesitz Falkenauan Fräulein Maria Josepha Gräfin Fugger auf Zinneberg. Diese kauft noch eine Wirtschaft dazu.

24. August 1745 Untergiesing * Die Gräfin Maria Josepha Gräfin Fugger auf Zinneberg gerät in Zahlungsrückstand. Josef Anton von Kern nimmt daraufhin den Besitz wieder unter seine Verwaltung, zahlt die bereits ausgezahlten 12.000 Gulden zurück und legt weitere 3.000 Gulden für die neue Wirtschaft drauf.

1. November 1747 Au * Im ehemaligen Hofmarkschloss Neudeckbeginnt der Münchner Hafnermeister Franz Ignatz Niedermayer mit der Herstellung von Hartporzellan. Er kommt aber über feine Hafnerware nicht hinaus. Das Datum gilt trotzdem als Gründungsdatum der Nymphenburger Porzellanmanufaktur.

1748 München * Nach der unter Kurfürst Max III. Joseph erlassenen "Bettelordnung" werden aufgegriffene "Bettler" zuerst mit 15 bis 20 "Stockhieben" bestraft und dann für ein halbes Jahr in das "Zuchthaus" gebracht.

Ausländische "Bettler und Vaganten", darunter versteht man alle "nichtbaierischen", werden nach ihrer Festnahme mit einem "B" gebrandmarkt.

Verlassen sie nicht innerhalb von vier Tagen das Land, droht ihnen die Todesstrafe.

19. Februar 1749 Au * Priorin und Konventbeschließen die Erweiterung des Klosters am Lilienbergdurch einen Neubau.Der Konventder Benediktinerinnenumfasst inzwischen 23 Professenund 4 Schwestern.

Seite 65/362 Um 1750 Kurfürstentum Baiern * In Kurbaiern gibt es 25 "Franziskaner-Konvente", neun "Hospize" und drei "Residenzen", worunter man kleine Niederlassungen verstand.

Der Personalbestand liegt bei 700 "Patres", 100 "Kleriker" und 200 "Laienbrüder". Dazu sind der "Provinz" noch etwa 300 Nonnen - "Klarissen" und "Tertianerinnen" - unterstellt.

1750 Mühldorf * In Mühldorf am Inn, das zu diesem Zeitpunk zum "Fürstbistum Salzburg" gehört, wird der 16-jährigen Maria Pauer der Prozess wegen "Schadenszauber" gemacht.

Im Mühldorfer "Hexenkammerl" hält man sie monatelang wie ein Tier gefangen. Am Ende des "Hexen-Prozesses" wird sie zum Tode durch "Verbrennen" verurteilt, dann aber "gnadenhalber" zuvor geköpft.

Maria Pauer müsste die letzte "Hexenverbrennung" auf bayerischem Boden gewesen sein.

Ab 1750 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die Pfeiler der "Inneren Ludwigsbrücke" werden erstmals aus Stein erbaut.

Die Arbeiten dauern bis 1752.

23. August 1750 Au * Der Abt von Andechsweiht das neue Haus des Klosters am Lilienberg.

1751 München-Graggenau * Das "Palais Toerring-Jettenbach" in der heutigen Residenzstraße 2 ist unter Dach.

Das elf Fenster breite Gebäude mit seinem vorgebuchteten Mitteltrakt unterscheidet sich durch seine eher zurückhaltend gestaltete Rokokofassade von den älteren Münchner Adelspalästen.

Mit den Stuckarbeiten ist Johann Baptist Zimmermann betraut worden. Die Innenausstattung übernimmt Johann Baptist Gunetzrhainer.

Die Baurechnungen belaufen sich auf 55.170 Gulden, wobei die Gesamtkosten sicherlich wesentlich höher sind.

1751 München * Der "Codex Juris Bavarici Criminalis"droht:

"Gemeine und offenbare Hurerey, welche mit jedermann ohne Scheu um Gewinns willen getrieben wird, oder auch in Gestalt der Ehe gepflogener Beyschlaf, ist mit der Landesverweisung, oder da das Handwerck schon lange dauert, noch schärfer zu bestraffen".

Seite 66/362 1765 Berlin - München * Während König Friedrich der Große im aufgeklärten Preußen alle "Hurenstrafen" abgeschafft hat, wird die "Prostitution" in München erst wieder zu Beginn des 19.Jahrhunderts offiziell etabliert.

Doch bis in München wieder ein "Bordell" eröffnet werden kann, werden noch Jahre vergehen.

Man bekämpft hier nicht nur die "Huren", die "durch ihr geiles Hingeben und Toben [auf dem Tanzboden] die Achtung und Ehrfurcht der Männer längst verloren hatten", sondern sogar den "Wiener Walzer".

18. August 1765 Innsbruck * Kaiser Franz I. Stephan stirbt in Innsbruck. Sein Nachfolger als Kaiser wird Joseph II..

März 1766 Bogenhausen * Die Umbauarbeiten an derBogenhausener "Georgskirche" beginnen.

Ab 1767 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die "Innere Ludwigsbrücke" wird in Steinbauweise erbaut.

1773 München-Kreuzviertel - München * Der Frauenfriedhofwird - wie alle anderen innerstädtischen Gottesäcker- offiziell aufgelöst.

5. April 1774 München-Isarvorstadt * Kurfürst Max III. Joseph fordert den Stadtmagistrat auf, einen Standort für einen neuen Friedhof zu finden oder die Erweiterung des bestehenden "Friedhofs vor dem Sendlinger Tor", des heutigen "Alten südlichen Friedhofs", zu überdenken.

Die bestehenden Friedhöfe innerhalb der Stadtmauer sollen aufgelassen, gekalkt und gepflastert werden. Auch die "Grüfte" in den Kirchen, diese "stinkenden, vergifteten Vorratskeller ansteckender Luft", sollen aufgelassen werden.

Sofort organisiert sich Widerstand gegen diese kurfürstlichen Maßnahmen, wobei das einfache, ärmere Volk davon weniger betroffen ist, weil sie schon seit längerer Zeit ihre Toten vor das Sendlinger Tor begleiten müssen.

1775 München-Graggenau - München-Isarvorstadt * Der "Friedhof des Franziskanerklosters" wird lange vor dem "Specialreskript" von Kurfürst Carl Theodor aus dem Jahr 1788, das die Auflösung aller innerstädtischen Friedhöfe vorschreibt, geschlossen.

Die Gebeine der Verstorbenen bringt man auf den neuen "Gesamtfriedhof", der weit vor den Toren der Stadt liegt, dem "Südlichen Friedhof" an der Thalkirchner Straße.

Seite 67/362 1. Mai 1776 Ingolstadt * Der Ingolstädter "Professor für Kirchenrecht und praktische Philosophie", Johann Adam Weishaupt, gründet den Geheimbund der "Illuminaten", dem ein Großteil der baierischen Beamtenschaft, zahlreiche Mitglieder der Landstände und Geistliche angehören und dessen Ziel die Errichtung eines fürsten- und religionslosen Weltstaates ist.

Die Vereinigung hat von den "Freimaurern" wesentliche aufklärerische Grundpositionen, Organisationsformen und Rituale übernommen. Weishaupts Motive bewegen sich durchaus in die Richtung eines gesellschaftspolitischen Umsturzes.

Auch Maximilian Joseph von Montgelas gehört den "Illuminaten" unter dem Ordensnamen "Musäus" an. Obwohl der Freiherr zum "Illuminatus maior" aufsteigt, spielt er innerhalb des "Geheimbundes" nie eine größere Rolle.

1777 Bogenhausen * Mit den zwei Seitenaltären ist die Innenausgestaltung der "Georgskirche" in Bogenhausen abgeschlossen.

30. September 1777 München-Graggenau * Wolfgang Amadeus Mozart antichambriertmit Kurfürst Max III. Joseph in der Residenz. Den Verlauf des Gesprächs schreibt Wolfgang Amadé an seinen Vater:

"Als der Kurfürst an mich herankam, sagte ich: "Euer Kurfürstliche Durchlaucht erlauben, daß ich mich untertänigst zu Füßen lege und meine Dienste antragen darf" ? "Ja, völlig weg von Salzburg? ? "Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht" ? "Ja, warum denn, habts enck z?kriegt?" ? "Ei, beileibe, Eurer Durchlaucht: ich habe nur um eine Reise gebeten, er [der Salzburger Fürstbischof] hat sie mir abgeschlagen, mithin war ich gezwungen, diesen Schritt zu machen; obwohl ich schon lange im Sinn hatte, wegzugehen, denn Salzburg ist kein Ort für mich." - "Mein Gott, ein junger Mensch! Aber der Vater ist noch in Salzburg?" - "Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht. Ich bin schon dreimal in Italien gewesen, habe drei Opern geschrieben, bin Mitglied der Akademie in Bologna, habe müssen eine Probe ausstehen, wo viele Maestri 4 bis 5 Stunden gearbeitet und geschwitzt haben, ich habe es in einer Stund verfertigt: das mag zum Zeugnis dienen, daß ich im Stande bin, in einem Hofe zu dienen." ? "Ja, mein liebes Kind, es ist keine Vakatur da. Mir ist es leid, wenn nur eine Vakatur da wäre" ? "Ich versichere Euer Durchlaucht, ich würde München gewiß Ehre machen" ? "Ja, das nutzt alles nichts. Es ist keine Vakatur da" - Dies sagte er gehend. Nun empfahl ich mich zu höchsten Gnaden."

Gerade weil der Kurfürst so musikverständig war, müssen andere Gründe als die fehlende Planstelleder Anstellung Mozarts im Wege gestanden haben.Hätte Baierns Kurfürst Max III. Joseph die AnstellungWolfgang Amadeus Mozarts wirklich gewollt, so hätte er die Planstellefür den Hofmusikerauch durchgesetzt und Mittel und Wege der Finanzierung gefunden. Es trifft freilich zu, dass im Bereich der Hofmusikdamals die Ämter des Kapellmeisters, des Kammerkompositeursund der Konzertmeisterbesetzt waren.

Seite 68/362 Und dennoch war die Aussage mit der fehlenden Vakatureine typische Sachzwang-Argumentation.Guten Willen vorausgesetzt, hätte der baierische Herrscher den Komponisten aus seiner Kabinettskassebezahlen können, wie er es schon mehrmals bei bedeutenden Sängerinnen und Sängern machte. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, Mozart den Auftrag für eine Oper zu erteilen.

Es scheint naheliegend, dass Mozarts Musik nicht dem kurfürstlichen Geschmack entsprochen hat.Kurfürst Max III. Joseph war ein überzeugter Anhänger der älteren neapolitanischen Virtuosenoper. Mozarts Musik dürfte ihm zu wenig traditionell, zu reich, zu vielschichtig, kurz - zu modern gewesen sein. Seine eigenen, etwas altväterlichen Kompositionen scheinen dies zu bestätigen.

Die Ursachen liegen aber zweifellos am Salzburger Bischofshof.Denn wer, wie Mozart, gegen den Bischof von Salzburg aufmümpfige Redenführt und es nicht versteht sich den hergebrachten ständischen Normenund hierarchischen Strukturen zu unterwerfen, für den ist auch am baierischen Hof kein Platz. Da kommt Kurfürst Max III. Joseph die Argumentation, dass er jeden ausgegebenen Gulden seinen Untertanen vom Mund absparen muss, nur gelegen.

4. Oktober 1777 München-Kreuzviertel * Im Weingasthof Zum schwarzen Adlerkommen unter Wolfgang Amadeus Mozarts Leitung mehrere Werke zur Aufführung. Mit einem vorgetragenen Violinsolo beeindruckt Mozart ganz besonders:"Da schaute alles groß drein, ich spielte, als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre."Mozart und Albert sind zufrieden.

Der Musik liebende WeinwirtFranz Joseph Albert hat schon lange erkannt, welcher Gewinn Mozart für München wäre und entwickelt ein interessantes Projekt, das er dem stellenlosen Musiker unterbreitet:

Er solle in München bleiben und von guten Freunden monatlich mit 50 Gulden unterstützt werden. Wenn er für Kompositionen vom HofintendantenGraf Joseph Anton von von Seeau nur 200 Gulden bekäme, so wären das 800 Gulden im Jahr.

Wolfgang Amadé ist begeistert, nur sein Vater nicht einverstanden, da er seinen Sohn in einer gesichertenStellung wissen will.

1780 München * Maximilian Joseph von Montgelas wird, im Alter von 21 Jahren, Mitglied des "Bücherzensurkollegiums".

Der Freiherr führt seine Tätigkeit als "Zensor" eher kontraproduktiv im Sinne seines Auftraggebers aus.

So lässt er "Aufgeklärtes" passieren, hält aber diesem Entgegengesetztes auf. Das macht er beispielsweise mit Gebetsbüchern mit "übertriebenen Verehrungen der Heiligen, gar zu sinnlichen Andächteleien, in ungeheurer Menge versprochenen Ablässen".

Außerdem sind die Angehörigen der "Zensurbehörde" Mitglieder oder zumindest Sympathisanten des Geheimbundes der "Illuminaten".

Seite 69/362 1781 Königsberg * Immanuel Kant veröffentlicht seine "Kritik der reinen Vernunft".

Doch auch wenn Immanuel Kant in seinen Aufsätzen schreibt: "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!", so bleiben solche Gedankengänge in Europa noch lange Zeit pure Theorie. Doch auch hier ändert die "Aufklärung" sowie der Fortschritt der Naturwissenschaften und der Technik - langsam - das Weltbild.

Die Welt wird plötzlich erklärbar. Für viele Phänomene, die man zuvor dem direkten Eingreifen Gottes zugeschrieben hat, findet man jetzt logische Erklärungen. So macht beispielsweise die Erfindung des "Blitzableiters" den bislang üblichen "Wettersegen" überflüssig. Damit waren die Zeiten, in denen der Blitz als Zeichen oder gar als "Strafe Gottes" galten, endgültig vorbei.

Schriftsteller der "Aufklärung", darunter Lorenz Westenrieder, versuchen die neuen Denkanstöße in zahlreichen Artikeln zu verbreitern. Sie benutzen dazu die in dieser Zeit neu entstandenen Zeitschriften und Journale, aber auch Flugschriften. Westenrieders Schriften widersprechen oft der Lehrmeinung der katholischen Kirche und werden deshalb verboten.

Und selbst wenn die verbreiteten Denkansätze zum Teil die Unterstützung des Kurfürsten finden, so sollen die Inhalte - schon aus reinen Machterhaltungsbestrebungen heraus - kanalisiert werden. Die Gedanken der "Aufklärung" zu Ende gedacht bedeuten diese aber auch, dass sich die Menschen früher oder später nicht mehr in ihre Untertanenrolle fügen, sondern die Teilnahme am politischen System einfordern werden.

Das ist der Beginn von gesellschaftspolitischen und sozialen Umwälzungen.

30. April 1783 München * Kurfürst Carl Theodor überträgt das "Privilegium des Pfandhauses" an die Heiliggeistspitalverwaltung.

Die jährlichen Einnahmen kommen der Hebammenschule zugute und dienen der "Verpflegung hilfloser Kinder" und "verunglückter armer Weibspersonen".

16. Januar 1784 München - München-Kreuzviertel * Die Münchner Bierbrauer beschweren sich über die Brauerei des Augustinerklosters.Die Mönche haben wiederholt Bier innerhalb und außerhalb des Klosters ausgeschenkt und verkauft und dazu sogar eine Gaststube eingerichtet. Dem Kloster wird im Wiederholungsfalle eine Strafe von 100 Dukaten oder das Herausreißen der Braukessel angedroht.

April 1784 Geldern * Die dreizehn Münchner, die Ende Januar von dem tollwütigen Hund gebissen worden sind, werden nach "St. Hubert" im österreichischen Geldern - "im Ardenner Wald" - geschickt.

Dort wird ihnen zur Heilung die Stola des heiligen Hubertus aufgelegt oder einFaden aus der Stola des Heiligen in die Kopfhaut einnäht.

Seite 70/362 Drei von ihnen sterben unterwegs.

1786 München * Der aus Trient stammende "Glockengießersohn" Peter Paul Maffei wird als Bürger und Handelsmann in München aufgenommen.

Der Neubürger heiratet Walburga Mayer, die 5.400 Gulden als Aussteuer in die Ehe mitbringt. Er selbst hat 2.000 Gulden und den ausgeprägten Willen, dieses Vermögen zu vermehren.

Als Tabakfabrikant in der Bruderstraße im Lehel, mit der er jährlich 25.000 Gulden Gewinn erwirtschaftet, und mit seinen Einkünften als Großhändler bringt es Maffei zu einem ansehnlichen Vermögen.

1787 München * Als Folge der "Illuminatenaffäre", in deren Verlauf die Mitglieder dem Vorwurf "landesverräterischer und religionsfeindlicher Bestrebungen" ausgesetzt sind, verlässt Maximilian Joseph von Montgelas das Kurfürstentum Baiern und tritt in den Dienst Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken.

Dieser wird, je länger die Kinderlosigkeit des pfalz-baierischen Kurfürstenpaares andauert, als voraussichtlicher Erbe von Pfalzbaiern, der drittgrößten Ländermasse des Reiches, gehandelt, und von den fünf Großmächten umworben.

Kurfürst Carl Theodor hat sich aufgrund seiner Pläne, Kurbaiern gegen die österreichischen Niederlande einzutauschen, bei der baierischen Bevölkerung äußerst unbeliebt gemacht. Und selbstredend liegt das Interesse der zweibrückischen Herzöge an der Verhinderung des Tauschprojekts. Und da kommt ihnen Freiherr Montgelas gerade recht.

Von Zweibrücken aus hält er die geheimen Verbindungen zu den baierischen Oppositionskreisen aufrecht. Dadurch kann - in Verbindung mit dem preußischen König Friedrich II. und der antiösterreichischen "Patriotenpartei" am Münchner Hof - die Existenz Kurbaierns unangetastet erhalten werden.

Eine der wichtigsten Vorkämpferinnen ist die Witwe des Herzogs Clemens Franz de Paula, des Cousins des letzten baierischen Kurfürsten Max III. Joseph: Herzogin Maria Anna.

12. März 1787 Untergiesing * Der Gräfin Maria Josepha von Toerring-Seefeld werden alle Forderungen gebilligt.

Voraussetzung ist allerdings die Erfüllung von zwei Auflagen.

Zum einen muss die Gräfin die dem "Landrichter" und dem "Amtsknecht" entgangenen Einnahmen in Höhe von 175 Gulden im Jahr ersetzen, zum anderen die "Inleute der Falkenau" gegen den herkömmlichen Lohn zur "kurfürstlichen Jagdlust" sowie zur "Räumung der kurfürstlichen Fischweiher" gebrauchen lassen.

Dagegen wehrt sich die Gräfin und verlangt nun ihrerseits die Überlassung des "Paulanerstocks" in der Au.

Seite 71/362 Damit jedoch verärgert die Gräfin Maria Josepha von Toerring-Seefeld den Kurfürsten und die den Vorgang bearbeitende Administration massiv.

Sie kann nichts mehr erreichen und versucht nun, die "Hofmark Falkenau" an den Landesherren zu veräußern. Dafür verlangt sie 45.000 Gulden und begründet den Preis mit dem Argument, dass das Anwesen durch die "Jurisdiktion" so wertvoll geworden sei. Sie vergisst geflissentlich zu erwähnen, dass sie selbst genau diesen Preis bei ihrem Kauf bezahlen musste.

Doch am kurfürstlichen Hof empfindet man diese Preisvorstellungen als ungehörig hoch - und geht deshalb gar nicht darauf ein. Statt dessen wird ein Untersuchungsverfahrens eingeleitet, ob bei der Verleihung der "Hofmarksrechte" denn wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen war.

1788 München - Au * Auf Initiative des "Hofkammerrats" Piaggino soll in München ein "Arbeitshaus für beschäftigungslose arme Menschen" errichtet werden.

Doch staatliche und städtische Stellen wollen kein Geld für dieses Projekt bereitstellen.

Stattdessen wird Piaggiono aufgefordert, selbst einen Vorschuss in Höhe von 8.000 Gulden zu leisten. Als Gegenleistung soll er die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über alle Gewinne der Anstalt haben. - Und natürlich auch für alle Verluste haften.

1788 Haidhausen * Nach Regina von Osterwalds Tod geht ihr Besitz am Gasteig an ihre beiden Neffen Peter Paul von Schneeweiß, "Hofrat" und "Pflegsverweser von Hohenschwangau", und Franz Joseph von Schneeweiß, der dem "Inneren Rat" der Stadt München angehört, über.

Von den Brüdern erhält das Gebäude den Namen "Schneeweißschlösschen" oder "Schneeweißenburg". Man nennt es auch nach dem in der Nähe befindlichen "Gasthaus zum Schwane" die "Schwanenburg".

16. Januar 1789 München - München-Isarvorstadt * Mit einer kurfürstlichen Verordnung beginnt die Aufhebung der Friedhöfe innerhalb der Stadtmauern. Einziger Friedhof ist bereits seit neun Monaten der heutigeAlte südliche Friedhofvor dem Sendlinger Tor.

14. Juli 1789 Paris * Mit dem Sturm auf die Bastillebeginnt in Paris die Französische Revolution. Durch dieses Ereignis wird das Militärgarten-Projektin München [= Englischer Garten] zu einem Politikum, das in aller Eile realisiert werden muss.

Um September 1789 München-Englischer Garten - Lehel * Nach Planungen des "Ingenieur-Lieutenants beim Hofkriegsrat", Johann

Seite 72/362 Baptist Lechner, entsteht ein "Apollo-Tempel" als Staffage-Bau im "Englischen Garten".

Das von spiegelnden Wassern umgebene "Hein-Heiligtum" befindet sich im alten "Hirschangerwald" auf einer Halbinsel. Der Rundtempel mit Dorischer Ordnung ist im wesentlichen eine Holzkonstruktion. Die Gebälkzone und das Kuppelinnere sind zum Teil gemauert, zum Teil aus stuckiertem Holz. Die Kuppelabdeckung besteht aus Blech.

Seinen Standort nimmt heute die "Steinerne Bank" ein.

1790 München-Englischer Garten - Lehel * Die Aufbauarbeiten am "Chinesischen Turm" sind abgeschlossen.

Südlich des "China-Turms" entsteht die "Chinesische Wirtschaft". Es ist ein Rechteckbau mit vier niedrigen Eckpavillons, sowie Haupt- und Nebengebäuden aus Holz mit den charakteristisch geschweiften Dächern. Im Inneren befindet sich sogar ein "Porcellain-Zimmer".

1790 München-Englischer Garten - Lehel * In der Nähe der "Wirtschaft des Chinesischen Turms" entsteht der "Gotische Pavillon".

Der Holzbau wird von der Münchner Bevölkerung ebenso exotisch und bizarr betrachtet wie die chinesische Baukunst.

Er verschwindet - wie die meisten Holzkostruktionen - bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

7. Juli 1790 München * Durch jährlich abzuhaltende Ausstellungen junger Künstler soll der Kunstgeschmackder Münchnerinnen und Münchner angehoben werden.

31. Juli 1790 München * Kurfürst Carl Theodor empfindet die Rechtfertigungsschriftdes Magistrats vom 28. Juli und die darin enthaltenen Angriffe auf die "verfehlte Regierungspolitik des Landesherrn" als Majestätsbeleidigung und Hochverrat. Er lässt ein Exempel statuieren, den gesamten Inneren-und Äußeren Ratvor eine kurfürstliche Spezialkommissionbringen und einzeln verhören. Bis zur nächsten Stadtratswahl überträgt er die Geschäfte einer kurfürstlichen Stadtadministrationskommission.

3. Mai 1791 München * Kurfürst Carl Theodor regelt die Ratswahlordnungneu. Ein von den Zünften gewähltes Gremium von 36 "Ausschüssern" sollen als Repräsentanten der gesamten Stadtgemeinde den Äußeren Ratund mit diesem gemeinsam den Inneren Ratjährlich komplett neu wählen.

Seite 73/362 13. Juli 1792 Haidhausen - Au * Die Oberste Landesregierungerinnert erneut an ihr Verbot des "Gästesetzens in den Märzenkellern" auf dem Gasteig und am Lilienberg vom 13. Mai des Jahres.

Um den 8. Februar 1795 München - Innsbruck * Gut gelaunt und ausgeruht begibt sich Kurfürst Carl Theodor nach Innsbruck, wo er Maria Leopoldine von Österreich-Este ehelichen wird.

13. Februar 1795 Innsbruck * Maria Leopoldine von Österreich-Este trifft mit ihren Eltern und umfangreichem Gefolge in Innsbruck ein.

14. Februar 1795 Innsbruck * Kurfürst Carl Theodor trifft erstmals mit seiner 18-jährigen Braut Maria Leopoldine von Österreich -Este, einer Enkelin Maria Theresias, und der erzherzoglichen Familie zusammen.

15. Februar 1795 Innsbruck * Der 70-jährige pfalzbaierische Kurfürst Carl Theodor heiratet am Faschingssonntag, um 18 Uhr, die 52 Jahre jüngere Maria Leopoldine von Österreich-Este.

Die Ehe wird im "Thronsaal der Innsbrucker Hofburg" geschlossen. Erzherzog Ferdinand, der Brautvater, bezahlt das "Heiratsgut" von 162.000 rheinischen Gulden in einer Summe.

15. September 1796 München-Isarvorstadt * Graf Rumford lässt durch Militärkolonnen mit Arbeiten an einer Ringstraße, die heutige Rumfordstraße, beginnen. Er will das Gelände im unmittelbaren Vorfeld der Wälle räumen und zur leichteren Umfahrung der Stadt eine breite, verkehrstüchtige Straße anlegen lassen.

Noch bevor die Besitzer protestieren und ihre bewegliche Habe in Sicherheit bringen können, werden die auf der geplanten Trasse liegenden Gartengrundstücke enteignet.Nicht einmal die Ernte ihrer Anpflanzungen dürfen sie noch einholen.

So entsteht vor den Stadttoren die erste Umfahrung Münchens. Weil die Ringstraßeals militärisch Straßenanlage begründet worden war, wehrt sich der Magistrat erfolgreich gegen jede finanzielle Beteiligung. Auch, als man die Straßenanlage als wesentlichen Beitrag zur Verschönerung Münchens ansah.

17. Oktober 1797 Campo Formio * Österreich schließt mit Frankreich in Campo Formio einen Separatfrieden. In einem geheimen Zusatzabkommen wird Frankreich das linke Rheinufer zugestanden. Österreich erwirbt dafür Gebiete östlich des Inns, was eindeutig zu Lasten Baierns geht.

Seite 74/362 9. Dezember 1797 Rastatt * Der Friedenskongressin Rastatt beginnt.

1798 Untergiesing * "Reichsfreiherr" Ferdinand Leopold von Adrian-Werburg lässt den "Edelsitz Pilgramsheim" in der "Frankfurter Lotterie" ausspielen.

Gewinner der Lotterie ist der "churtrierische Kammerherr" von Horben.

27. Dezember 1798 München * In einer Polizei-Erinnerungwird erneut verboten, Hunde in die Kirche mitzubringen. Begründet wird das Verbot mit der "schuldigen Ehrerbietung" in den "Gott geheiligten Häusern".

1799 Au * Angesichts der drohenden "Säkularisation" richtendie "Benediktinerinnen am Lilienberg" eine Mädchenschule im Kloster ein, um so ihr Überleben zu sichern.

März 1799 München-Englischer Garten * Der "Englische Garten" ist inzwischen nicht mehr der "Militärbehörde", sondern dem "kurfürstlichen Kabinett" unterstellt.

Reinhard Freiherr von Werneck ist hauptamtlicher "Direktor" des 375 Morgen großen "Englischen Gartens". Er untersteht aber dem zum "Gartenbaudirektor für die Rheinpfalz und ganz Baiern" ernannten Friedrich Ludwig Sckell.

Werneck achtet hauptsächlich auf die wirtschaftliche Rentabilität der Gartenanlage. Durch landwirtschaftliche Einrichtungen soll sich das Gartenprojekt selbst tragen - und möglichst sogar einen Gewinn erwirtschaften.

Dies will Werneck durch die Erweiterung der Wiesen- und Waldflächen, durch eine Vergrößerung des Viehbestandes und den Ausbau der Ökonomie und der Mühlen erreichen. Die Ökonomie und die "Schweizerey" wird dem "Englischen Garten" einverleibt.

1. März 1799 Frankreich - Deutschland *Französische Truppen überschreiten den Rhein. Der Zweite Koalitionskriegbeginnt.

16. Juni 1799 München - Leimen * Kurfürst Max IV. Joseph erklärt öffentlich, dass er "die bayrischen Finanzen in großer Unordnung, alle Staatskassen ausgeleert und selbe überdies noch mit unerschwinglichen Rückständen belastet angetroffen habe". In den baierischen Regierungskreisen erinnert man sich an den umtriebigen jüdischen Leimener Finanzier Aron Elias Seligmann.

Seite 75/362 18. Oktober 1799 Au * In der Au wird eine Spinnstubefür Arme eingerichtet.

3. Dezember 1800 München * Da sich in München zunächst die Nachricht verbreitet, die Österreicher hätten in der Schlacht in Hohenlinden gewonnen, macht sich die Angst breit, nun könnten die zurückgebliebenen französischen Truppenteile Verteidigungsmaßnahmen ergreifen, die sich für die Stadt als gefährlich erweisen würden.

Um ihn davon abzubringen, bietet man dem Platzkommandanten Briant 100 Luisdors an. Briant lehnte das Ansinnen ab, weil diese Summe für einen Platzkommandanten zu "unwürdig" sei, mit 200 Luisdors wäre er allerdings schon einverstanden gewesen. Der Magistrat lässt ihm daraufhin den Betrag überreichen. Erst später verbreitet sich die Siegesmeldung der Franzosen.

Anschließend ziehen sich die Österreicher hinter ihre Grenze zurück. Die Baiern haben dagegen die Franzosen als Besatzungsmacht im Land und müssen sechs Millionen Gulden Kontribution, die Staatseinnahmen eines Jahres, zahlen.

Die Landschaft verlangt daraufhin, dass das Kurfürstentum Baiern kein Bündnis gegen Frankreich mehr eingehen dürfe. Ein politisches Zusammengehen mit Österreich ist somit für die nächsten Jahre ausgeschlossen.

9. Februar 1801 Lunéville * Zu den Gewinnern des Friedensvertrages von Lunéville gehört auch der baierische Kurfürst Max IV. Joseph. Denn dem genannten Verlust von 200 Quadratmeilen und 730.000 Einwohnern steht ein Gewinn von 288 Quadratmeilen und 843.000 Einwohnern gegenüber.

Das Kurfürstentum Baiern erhält die Hochstifte Freising, Augsburg, Bamberg und Würzburg, Teile der Hochstifte Eichstätt und Passau, dreizehn Reichsabteien und fünfzehn Reichsstädte in Franken und Schwaben. Freilich noch nicht die Großen: Augsburg und Nürnberg. Baiern kann sich dadurch jedoch territorial maßgeblich erweitern.

19. Juni 1801 München * Das Topographische Bureauwird gegründet. Damit beginnt die allgemeine Landes- und Katastervermessung Baierns, das dadurch das erste exakt vermessene Land Europas werden wird.

Mit fünf jeweils fünf Meter langen Messstangen wird die 21.653,8 Meter lange Basisliniezwischen Oberföhring und Aufkirchen bei Erding gemessen.Die Verlängerung der Linie verläuft auf der einen Seite durch die Turmspitze der Aufkirchener Kirche und auf der anderen Seite durch die Spitze des nördlichen Turms der Frauenkirche, die zugleich den Nullpunkt des bayerischen Koordinatensystemsbildet. Die Vermessung erfolgte in Metern, obwohl die Maßeinheit erst im Jahr 1872 im Deutschen Reicheingeführt wird.

24. August 1801 München - Paris * Baiern schließt mit Frankreich einen Vorvertrag ab, dem es Kurfürst Max IV. Joseph ermöglicht, seine in Aussicht gestellten Entschädigungsgebiete bereits vor der Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses in Besitz nehmen zu können."In Paris begann ein Handel mit deutschen Bistümern, Abteien, freien Reichsstädten, wobei die fürstlichen Bewerber vor dem ersten Konsul [?] in

Seite 76/362 Regensburg um die Wette krochen. Es war ein höchst widerliches Schauspiel."

Österreich will Baiern zuvor als Entschädigung für seine eigenen Kriegsverluste einverleiben. Dieses Ansinnen kann letztlich nur durch die Intervention von Russland und Großbritannien verhindert werden. Für Kurfürst Max IV. Joseph und seinenMinister Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas ist aufgrund dieser Erfahrung eine Annäherung an Frankreich naheliegend.

Nach dem 25. August 1801 München * Mit tatkräftiger Unterstützung seines Ministers Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas nimmt Kurfürst Max IV. Joseph eine Reform seines Landes in Angriff. Zur dauerhaften Stabilisierung des Staates ist eine Umverteilung von Rechten, Pflichten und Chancen notwendig.

Zu dieser Revolution von oben gehört auch die revolutionäre Gleichbehandlung aller Baiern, mit dem Anspruch des Herrschers, "allen Untertanen, Reichen und Armen, Witwen und Waisen, Geistlichen und Weltlichen, gleiches Recht und Schirm zu verschaffen".

Durch diese Reformen kann der Baiernregent einen Großteil der Kritik, die zu Beginn seiner Regierung die öffentliche Debatte geprägt hatte, den Boden entziehen. Vieles von dem wird beseitigt, was unter der Regentschaft des Kurfürsten Carl Theodor als willkürlich und korrupt angegriffen worden ist.

Gleichzeitig lässt er energisch eingreifen und setzt sich mit Militärgewalt durch, wenn seiner Politik offene Auflehnung entgegen schlägt. Beides, die umfangreichen und weitreichenden Reformen sowie das energische und harte Durchgreifen, lassen die heftige Kritik der Anfangsjahre und jedes Auflehnen gegen seine Politik allmählich verstummen.

Durch sein leutseliges Verhalten kann Kurfürst Max IV. Joseph sogar die Zuneigung der Münchnerinnen und Münchner erringen und sich so zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten der Wittelsbacher hocharbeiten. Schon bald gehören die anfänglichen Differenzen zwischen dem Herrscher und dem baierischen Volk der Vergangenheit an.

1802 München-Lehel*Die heutige "Praterinsel" ist vor der "Säkularisation" der "Erholungsplatz der Franziskaner", nachdem diese in ihrem Kloster für eine Stätte der Einkehr und Besinnung keinen ausreichenden Platz gefunden haben.

Mit der "Säkularisation" kommt die Insel in das Eigentum des Staates.

25. Januar 1802 Kurfürstentum Baiern*Das kurfürstliche Dekret zur Aufhebung der Bettelordensklösterin Baiern beginnt mit der Feststellung,

dass die Bettelordendie "Fortpflanzung des Aberglaubens und der schädlichen Irrtümer" begünstigen und die Entstehung und Entwicklung "richtiger Begriffe der moralischen Bildung im Volke" verhindern, weshalb die fortdauernde Existenz der Mendikantenklösterzwecklos und schädlich für die Bürger ist.

Seite 77/362 In Altbaiern sind davon einundneunzig derartige kirchliche Einrichtungen betroffen. In München sind folgende Bettelorden betroffen: Kapuziner, Franziskaner, Karmeliten, Karmelitinnen, die Benediktinerinnen am Lilienberg, die Paulanerinnen im Lilienthalund das Pütrichkloster.

Zur zweckmäßigen Einrichtung der Bürger- und Landschulenwird ein Schulfondseingerichtet, der aus dem Vermögen der aufgehobenen Orden gebildet wird, da es an anderweitigen staatlichen Mitteln mangelt.

Zur sofortigen Verminderung der Insassen werden

alle Ausländer, das heißt, die nicht in Pfalzbaiern geborenen Klostermitglieder, in ihre Heimat geschickt, die Laienbrüderin die Prälatenklösterversetzt und Kleriker, die noch keine Profeßabgelegt haben, entlassen. Neuaufnahmen und das Überwechseln von Ordensangehörigen in andere Klöster wird streng untersagt. Priestermönchekönnen unter bestimmten Voraussetzungen in den Weltpriesterstandübertreten, was dem Staat die Pensionskosteneinsparen hilft. Alle übrigbleibenden Klosterindividuensollen in Zentralklöster- in Wirklichkeit Aussterbeklöster- ihres Ordens verbracht werden. Außerdem ist den Franziskanernkünftig nur noch Predigt und Beichthörenin der eigenen Ordenskircheerlaubt, jedoch keinerlei Seelsorgeaushilfe. Dazu unterstehen sie der verschärften Aufsicht der zuständigen Landrichter.

Als Unterhalt für die Franziskanersetzt man, da ihnen das Almosensammelnverboten worden ist, jährlich 125 Gulden fest, zahlbar aus dem Vermögensfonds der nichtständischen Klöster.

Der Inhalt des Aufhebungsdekreteswird öffentlich nicht bekannt gemacht. Die ganzen Vorbereitungen der staatlichen Klosteraufhebungenlaufen bis zur Ausführung im Wesentlichen geheim. Das verstärkt die Unsicherheit und lässt jede Gegenwehr erlahmen. Ebenfalls besteht Unkenntnis über die Befugnisse der eingerichteten Spezialkommission.

Ausgenommen vom kurfürstlichen Aufhebungs-Dekret der Bettelordensklöstersind - aufgrund ihrer Tätigkeit in der Krankenpflege beziehungsweise im Schulwesen - die Klöster derBarmherzigen Brüdersowie derEnglischen Fräuleinund derElisabethinerinnen.Das Kloster derUrsulinenin München wird mit denNonnen de Notre Damein Nymphenburg vereinigt.

In der Haupt- und Residenzstadt München gibt es nur einständisches Kloster: dasKlarissen-Kloster zu Sankt Jakob am Anger.

22. Februar 1802 München-Kreuzviertel * Der Aufhebungskommissär Bernmiller begibt sich zur Bestandsaufnahme ins Karmelitinnenkloster. Im Konvent leben zwanzig Schwestern vom regulierten Dritten Orden der Unbeschuhten Karmelitinnenund zwei Novizinnen.

Seite 78/362 25. Februar 1802 München-Graggenau * Es ergeht eine weitere wichtige Instruktion zur Klosteraufhebung. Sie ist unmittelbar für das Franziskanerkloster St. Anton in Münchenbestimmt, wird aber richtungweisend für die tatsächliche Durchführung der Klosteraufhebungen.

Sofort nach Erhalt der Instruktionmuss sich Graf Arco in das Kloster begeben, das Bargeldzählen und das übrige Klostervermögenfeststellen. Anschließend haben sich alle Klostermitglieder im Refektoriumzu versammeln, wo ihre Personalien, Beschäftigungen und besonderen Einsätze schriftlich festgehalten werden.Bei diesem überfallartigen Vorgehen geht es um Geld und sonstiges für die Staatskasseinteressantes Vermögen und um weitere Einsparungen für den Staat.

Dem Kommissarist eingeschärft worden, "diesen Auftrag in der vorgeschriebenen Ordnung mit allem Eifer, Schnelligkeit und der Sache angemessenen Anstand in Vollzug zu bringen". Die Ergebnisse gehen an die Spezial-Klosterkommission.

Der weitere Inhalt der Instruktionlautet kurz gefasst:

Alle Ausländersind umgehend in ihre Heimat zu schicken; sie erhalten 25 Gulden Zehrgeldund einen Reisepass; aber Abreisetag und Reiseroute werden genau festgelegt. Wer gesund und nicht zu alt ist, muss drei Tage nach der Mitteilung auswandern; nur einige Alte und Gebrechliche erhalten Aufschub bis April. Das Sammelnauf der Reise ist den Mönchen strengstens verboten.

Alle inländischen Laienbrüder, die in das bürgerliche Leben zurückkehren wollen, erhalten zum Auszug25 Gulden und die nötigen Kleider.

Diejenigen, die den Ordensstand nicht verlassen wollen, sind - bis auf wenige, die noch zu den nötigsten Hausarbeiten als Gärtner, Köche, in der Brauerei und so weiter benötigt werden - auf die oberpfälzischen oder baierischen Prälatenklösterals Konventdiener oder Pfründnerzu verteilen. Die nach Abzug der Krankenund Ausländischenverbliebenen sieben Laienbrüderdes Münchener Franziskanerklosterssind in ständische Abteienzu schicken.

Die kurfürstliche Verordnunggibt auch Anweisung über den möglichen Rücktritt von Priestermönchen der Mendikantenordenin den Weltpriesterstand.

Diese Mönche müssen sich einer Prüfung durch die Spezial-Klosterkommissionunterziehen. Dabei werden weniger ihre theologischen Kenntnisse begutachtet, sondern vielmehr festgestellt, "ob die Austretenden auch im Sinne der Staatsauffassung genügend aufgeklärt" sind. Haben die Aspirantenihre Prüfung bestanden, erhalten sie von der Kommission die Erlaubnis zum Überwechselnmit einer jährlichen Pension von 125 Gulden.

Seite 79/362 26. Februar 1802 Hofmark Berg am Laim * Die seit dem Jahr 1693 bestehende Zusammenarbeit zwischen der Michaels-Bruderschaftund dem Franziskaner-Ordendauerte bis zur Klosteraufhebungim Rahmen der Säkularisationan.

Bis diese staatlich verordnete Zwangsmaßnahme eintritt, verrichten die Münchner Franziskaner zum heiligen Antonius von Paduaden Gottesdienst und die Seelsorge in den franziskanischen Frauenklösternder Stadt und leiteten auch deren Wirtschaftsbetriebe. Bei den etwa sechzig Klarissen zu Sankt Jakob am Angerbesitzen die Mönche eine ständige Niederlassung.Dieses Hospizwird zumeist von zwei Patresund einigen Brüdernbewohnt.

30. März 1802 München * Kurfürst Max IV. Joseph bestimmt das Karmelitinnenkloster in Neuburg zum Zentralkloster des Frauenordens.

Um den 1. Mai 1802 Au * Im "Bendektinerinnenkloster am Lilienberg" leben 17 "Chorfrauen" und sechs "Laienschwestern" im "Konvent".

Zwei "Novizinnen" werden sofort entlassen, eine 73-jährige geistesgestörte Nonne wird in die "Irrenanstalt" gebracht.

22. Mai 1802 Au * Den Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergwird ihre Versetzung mitgeteilt. Jeder wird erlaubt, ihr Bett und den übrigen Hausrat ihrer Zelle mitzunehmen. Um jegliches Aufsehen zu vermeiden wird einigen Nonnen erlaubt, ihre Eltern und Verwandten in München in geschlossenen Wägenzu besuchen.

24. Mai 1802 Kurfürstentum Baiern * Für Baiern beginnen die Landzugewinne.Kurfürst Max IV. Joseph hat mit Frankreich in einem Geheimvertrag vereinbart, dass er die vertraglich zugewiesenen Territorien noch vor der Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlussesmilitärisch in Besitz nehmen kann.

29. Mai 1802 Au * In der Frühe um 4 Uhr werden die ersten der zwanzig verbliebenen Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergin das ständische Kloster der Benediktinerinnennach Geisenfeld gebracht.

31. Mai 1802 Au * Die restlichen Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergwerden in die ständischen Klöster der Benediktinerinnennach Kühbach und Hohenwart gebracht. Die Mädchenschulewird von zwei weltlichen Lehrerinnen weitergeführt.

15. Juni 1802

Seite 80/362 München-Kreuzviertel - Neuburg * Um 4 Uhr früh wird ein Teil der zwanzig Karmelitinnen und zwei Novizinnen auf Wägen gesetzt und in ihre neue Niederlassung nach Neuburg gebracht, wo sie am späten Abend ankommen. Zu Protesten der Bevölkerung kommt es nicht.

19. Juni 1802 München-Kreuzviertel - Neuburg * Um 4 Uhr früh werden die restlichen Karmelitinnenin ihre neue Niederlassung nach Neuburg gebracht.

28. Juni 1802 München-Graggenau * Die Abbrucharbeiten am Franziskaner-Klosterbeginnen.

12. August 1802 Mühldorf *Siegmund Christoph von Hartmann, der Pflegervon Mühldorf am Inn, meldet dem Hofratsdirektoriumin Salzburg, dass "Mühldorf an die weise und gerechte Regierung von Baiern" abgetreten werden soll.

19. August 1802 Mühldorf * Baierns Militär marschiert um 16:30 Uhr in das zum Fürstbistum Salzburggehörende Mühldorf am Inn ein und nimmt die Stadt militärisch in Besitz.

14. September 1802 Au * Weil es kein zweites Paulanerinnen-Klosterin Baiern gibt, werden die 17 Schwestern in ständische Frauenklösterzur unentgeltlichen Verpflegung versetzt. Am 14. und 15. September werden die Paulanerinnen vom Kloster Lilienthal in der Auin ihre ihnen zugewiesene Klöster abtransportiert:

sechs zu den Brigittinnennach Altomünster, sechs ins ZisterzienserinnenklosterNiederschönenfeld und die restlichen fünf ins AugustinerinnenklosterNiederviehbach.

4. Oktober 1802 Au * Eine weltliche Lehrerin betreibt die ehemalige Klosterschule am Lilienberg. Nachdem Ende Mai die Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergweggebracht worden waren, hatten achtzig Schülerinnen keine Lehrerin mehr.

30. Oktober 1802 München-Kreuzviertel * Die Klostergebäude an der Rochusstraße sind für den 30. Oktober 1802 zur öffentlichen Versteigerung ausgeschrieben, werden dann aber um 34.000 Gulden dem Staat als Pfand- und Leihhausüberlassen. Lediglich das Nutzungsrecht der Dreifaltigkeitskirche erhält die Lateinische Kongregation, von der das Muttergottes-Gnadenbild stammt.

Seite 81/362 1. Dezember 1802 Mühldorf * Der kurfürstliche Generalkommissar für die Zivilbesitzergreifung des Hochstifts Freising sowie der Stadt Mühldorf, Johann Adam Freiherr von Aretin, nimmt zivilrechtlich Besitz von der Stadt Mühldorf am Inn.

2. Dezember 1802 Mühldorf *Johann Adam Freiherr von Aretin nimmt - unter großem Jubel der Bevölkerung - mit dem Besitzergreifungspatentvom 26. November offiziell Besitz von der Stadt Mühldorf am Inn. Er weist das Pfleggerichtan, ab sofort keine Weisungen und Befehle mehr aus Salzburg entgegenzunehmen.

Nach der Vereidigung der Beamten findet ein feierlicher Gottesdienst in der Pfarrkirche statt.Am Abend wird in der Stadt gefeiert.

13. Dezember 1802 München-Kreuzviertel * Das ehemalige Karmelitinnen-Klosteram Rochusberg wird um 34.000 Gulden der Pfandhausverwaltungüberlassen.

1803 München-Englischer Garten * Das "Dianabad" beim "Englischen Garten" öffnet seine Pforten.

Zur luxuriösen Ausstattung gehören neben 51 Hotelzimmern auch zwei geräumige und mit viel Pomp ausgestattete "Festsäle". Die Badewannen bestehen aus innen verzinktem Kupfer.

1803 Au * Das "Hofkrankenhaus für kurfürstliche Hofbedienstete" am heutigen Kolumbusplatz wird in eine "Irrenanstalt" umgewandelt.

Bis dahin sind die Geisteskranken im "Haus für Wahnsinnige" im Münchner "Heiliggeistspital" untergebracht. Da die Räume im "Heiligeistspital" für die "Irren" auf Dauer aber nicht ausreichen, kommt es zur Verlegung an den Kolumbusplatz, wo diese Einrichtung unter dem Titel: "Magistratisches Krankenhaus zu München" oder auch "Irrenhaus Giesing" zum schlechten Ruf der Vorstadt beiträgt.

Bis dahin befinden sich im Heiliggeist-Spital "22 Narren". Im "Josephsspital" sind neben anderen Kranken und "Pfründnern" noch epileptische Patienten - die sogenannten "unschädlichen Narren" - untergebracht.

Das Erdgeschoss des "Giesinger Irrenhauses" ist für die "ganz Tollen" bestimmt und enthält - neben dem Wärterzimmer - dreizehn Zellen. Jede Zelle hat zwei Türen: die dicke innere, welche von außen versperrt werden kann und die äußere Türe, die aus Holz ist und die "Ausbrüche der Tollheit" weniger hörbar machen soll. Das obere Stockwerk ist für ruhige "Wahnsinnige" bestimmt. Es enthält neun Zellen und ein Wächterzimmer. Im "Irrenhaus" ist eine Kapelle eingerichtet, die mit einem "eisernen Vorhang" vom "Speisezimmer der Irren" abgetrennt ist. Besonders verehrt werden dort die "Haare der Muttergottes". Das sind "Berührungsreliquien", die die "echten Haare der Muttergottes" - aus dem "Pantheon" zu Rom - berührt haben.

Seite 82/362 1803 München-Angerviertel- Au * Der Auer Wirt Kaspar Barthmann kauft die "Singlspielerbrauerei" mit allen Zubehör: von der Bettwäsche und den Zinntellern über Brauerei- und Schäfflerrequisiten, Wagen und Pferde, Häuser, Märzenkeller und Wiesengründe.

19. Januar 1803 München * In der Nacht des 19. Januar 1803 wirft man die Gebeine der Maria Anna Lindmayr zusammen mit den Überresten anderer verstorbener Klosterschwestern auf einen städtischen Müllwagen, transportiert das Ganze auf den Alten Südlichen Friedhof und verscharrt alles in einem Massengrab.

25. Februar 1803 Regensburg * Die letzte Tagung des "Immerwährenden Reichstags" befasst sich mit der Annahme des Reichsdeputationshauptschlusses. Es ist das letzte bedeutende Gesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationund behandelt die Neuordnung des Reiches.

Im Reichsdeputationshauptschlusserfolgt die Kompensationfür die Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Grundlage für den Text ist ein im Juni 1802 zwischen Frankreich und Österreich vereinbarter Entschädigungsplan, der wiederum auf den am 9. Februar 1801 geschlossenen Friedensvertrag von Lunévillezurückgeht.

Die Wittelsbacher haben aber nicht nur die Herzogtümer Zweibrücken und Jülich sowie die linksrheinische Kurpfalz verloren, sondern müssen jetzt auch noch die rechtsrheinische Kurpfalz um Mannheim und Heidelberg an Baden abgeben.

Doch durch den § 2 des Reichsdeputationshauptschlusseserhält das kurfürstliche Baiern

das Fürstbistum Freisingmit der dazugehörigen Grafschaft Werdenfelsund die Herrschaft Isen-Burgrainoffiziell überschrieben; dazu die Fürstbistümer Augsburg, Bambergund Würzburgsowie Teile von Eichstätt, Passauund Salzburg. Zu den genannten Territorien kommen noch 15 Reichsstädteund 13 Reichsabteiendazu. Freilich noch nicht die Großen: Augsburg und Nürnberg. Doch damit werden wesentliche Teile Schwabens und Frankens bairisch.

Insgesamt stehen dem Verlust von 200 Quadratmeilen und 730.000 Einwohnern ein Gewinn von 288 Quadratmeilen und 834.000 Einwohnern aus den aufgelösten geistlichen Staaten und wirtschaftliche Werte von über 43 Millionen Gulden von den Klöstern gegenüber.

26. März 1803 Au * Das ehemalige "Paulanerinnen-Kloster im Lilienthal" wird dem "Schulfond" übergeben.

Das Kloster wird zum "Pfarrhof" sowie ein Schulhaus für je eine Jungen- und eine Mädchenschule und einer weiblichen "Feiertagsschule".

Seite 83/362 27. März 1803 München-Kreuzviertel * Freiherr Maximilian Joseph von Montgelas erwirbt vom Grafen Maximilian Johann Nepomuk de la Perouse [Perusa] für 66.000 Gulden ein "Barock-Palais".

Da Freiherr von Montgelas jedoch seinen Wohnsitz zugleich auch als Ministerbüro und für repräsentative Zwecke nutzen will, gibt ihm sein Arbeitgeber Kurfürst Max IV. Joseph 53.000 Gulden als Geschenk dazu.

Maximilian Joseph von Montgelas beauftragt für die Umbau- und Vergrößerungsplanungen den aus Portugal stammenden und gerade zum "Oberbaukommissär" beim "Ministerium des Innern" ernannten Emanuel Joseph von Herigoyen mit der Vergrößerung des Palais.

Das palastartige Gebäude am Promenadeplatz 2/ Ecke Kardinal-Faulhaber-Straße trägt den Namen seines Erbauers: "Palais Montgelas".

Nach dem 25. August 1803 München-Angerviertel - Wien * In der Haupt- und Residenzstadt München gibt es nur ein ständisches Kloster: das Klarissen-Kloster zu Sankt Jakob am Anger, dessen Äbtissin Mitglied der Landschaftist. Es ist eines der siebzig Landsässigen Klösterin Altbaiern, das durch den verfassungsrechtlichen Schutz erst im Jahr 1803 aufgehoben werden kann.

Auch Österreich zieht - damals noch als baierischer Verbündeter - einen erheblichen Gewinn aus der Aufhebung der baierischen Klöster.Diese haben ihre Aktiva- aufgrund der in Baiern nicht vorhandenen Bankhäuser - bei der Wiener Bankangelegt.Nach der Klosteraufhebung kassiert Österreich diese Guthaben ein und beschlagnahmt deren Grundherrschaften, vor allem Weingüter in Südtirol und in anderen habsburgischen Gebieten. Baiern muss dagegen die Schulden der Klöster übernehmen.

September 1803 Au * Die "Mädchenschule" im ehemaligen "Benediktinerinnenkloster am Lilienberg" wird geschlossen.

1. Oktober 1803 München-Kreuzviertel * Die Aufhebung des Zentralklosters der Augustinerwird vollzogen. Bis auf drei alte Patresübernimmt nun auch der Rest des Konvents seelsorgerische Aufgabenaußerhalb des Ordens.

Die Insassen desAugustiner-Klosterssollen umgehend die Gebäude verlassen.Weil dieAugustinerin keinAussterbeklostergebracht werden sondern Anstellungen alsWeltgeistlicheannehmen, müssen sie in der Stadt eine Unterkunft suchen. Dadurch verzögert sich die Räumung des Klosters bis Anfang November. Die Kirche wird in der Folge zurMauthalle, zumZollamt, umgebaut.Die dazu notwendigen Arbeiten werden umgehend begonnen.

Das heimatlose Augustiner Christkindlfindet Obhut bei den Barmherzigen Schwestern der heiligen Elisabeth, die die Tradition der weihnachtlichen Verehrung des Gnadenbildes in ihrer Spitalkirche an der heutigen Mathildenstraße fortsetzen.

27. November 1803 München-Angerviertel - Dietramszell * Der erste Teil der Klarissinnen vom Angerbegibt sich in ihr

Seite 84/362 Aussterbeklosternach Dietramszell.

2. Dezember 1803 München-Angerviertel - Dietramszell * Der zweite Teil der Klarissinnen vom Angermacht sich auf den Weg in ihr Aussterbeklosternach Dietramszell.

26. Dezember 1803 München * Viele Münchner besuchen das zur Verehrung ausgestellte Augustiner-Christkindlim Kloster der Elisabethinerinnen.

1804 München - Neuburg - Pielenhofen * Das ehemalige Zisterzienserinnen-Kloster in Pielenhofen an der Naab wird zum Aussterbekloster aller Karmelitinnen bestimmt.

Die letzte Karmelitin stirbt dort im Jahr 1844.

18. Mai 1804 Paris * Eine Änderung der Verfassung mit 74 Ja-Stimmen bei fünf Gegenstimmen und einer Enthaltung bringt Frankreich das Kaisertum. Auf Betreiben Napoleons einigt man sich auf den Titel eines Kaisers [= französisch: Empereur], da ein monarchischer Titel nötig ist, jedoch der des Königs unliebsame Erinnerungen wecken würde.

Ab 1805 Bogenhausen * Durch die ab der "Bogenhausener Brücke" in Richtung Oberföhring beginnende Isarregulierung durch Oberst Adrian von Riedl wachsen Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas 117 Tagwerk Grund zu. Auf dem Gelände entsteht später der heutige "Herzogpark".

Neben seinen Münchner Besitzungen hat Montgelas noch kleinere und größere Besitzungen über ganz Baiern verstreut.

1805 Haidhausen * Die "Baierische Landesregierung" gibt der "Hofmarkverwaltung" die Schuld an den unhaltbaren Zuständen in Haidhausen, da sie "ständig ganz unvermögenden Leuten die Ansiedlung und Verehelichung genehmige, sich aber dann nicht mehr um sie bekümmere, so daß sie in Armut gerieten und zum Bettel ihre Zuflucht nehmen müßten, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen".

23. Mai 1805 London - Paris * Großbritannien erklärt Frankreich den Krieg.Das ist der Beginn des Dritten Koalitionskrieges. Österreich, Russland und England haben sich zur Dritten Koalitiongegen Frankreich zusammengeschlossen.

Wie soll sich Baiern verhalten, wo doch ein österreichisches Kriegsziel die Annexion Baiernswar?Neutralität kommt nicht in Frage, also müssen die Baiern ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.

Seite 85/362 8. September 1805 Kurfürstentum Baiern * Der Dritte Koalitionskrieg beginnt mit dem Einmarsch der Österreicher nach Baiern. Rücksichtslos bestimmt Kaiser Franz II. Baiern zum Kriegsschauplatz. Noch sind die österreichischen Truppen im Glauben an ein gemeinsames Bündnis mit Baiern gegen Frankreich über die Landesgrenze gekommen, doch nun marschieren sie als Feinde nach München.

Die wertvollsten kurfürstlichen Besitztümer und die Gemäldesammlung können noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, um sie so vor feindlichen Beutezügenzu schützen. Auch der Kurfürst ist samt seiner Familie weit genug von der österreichischen Grenze entfernt, so dass er das Eintreffen der napoleonischen Truppen sicher abwarten kann.

21. September 1805 München?Auch Kaiser Franz II. trifft in München ein und bietet als Oberhaupt des das Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation dem Kurfürstentum Baiern den Königstitel an, wenn es sich der Dritten Koalition anschließen würde.

Doch das hätte nicht gleichzeitig die Erringung der vollen staatlichen Souveränität bedeutet, wie sie Napoleon angeboten hat. Diese war aber für Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas die rechtliche Voraussetzung für die inneren Reformen der kommenden zwölf Jahre, insbesondere für die Ausschaltung der Stände und die Schaffung einer Konstitution.Denn noch ist die Ständeverfassung gültig, die durch das Reichsrecht und die Reichsgerichte geschützt ist.

12. Oktober 1805 München * Baierische Truppenkontingente unter der Führung des französischen Generals Bernadotte können München nahezu kampflos einnehmen. Die baierische Haupt- und Residenzstadt ist damit von allen Besatzungssoldaten befreit.

Nur wenige Stunden später treffen die ersten französischen Kavalleristen in München ein, um sofort die Verfolgung der Österreicher aufzunehmen.

Ab 16. Oktober 1805 Ulm * Die Beschießung von Ulm durch baierisch-französische Truppen beginnt. Ulm wird von den Österreichern verteidigt und will nicht kapitulieren.

26. Oktober 1805 Inn * Napoleon Bonaparte überquert mit seiner Grande Armée den Inn.

5. November 1805 Scharnitz - Innsbruck * Französische Truppen erobern die Festung Scharnitzund Innsbruck.

1806 München * Weitere Flussregulierungsarbeiten an der Isar beginnen.

Seite 86/362 Sie dauern bis 1812.

Die Isar wird in ein knapp 44 Meter breites Flussbett gezwängt. Dabei gräbt sich die Isar so tief ein, dass man das Flussbett im Jahr 1889 wieder auf 60 Meter erweitern muss.

1806 München - Rom-Vatikan * Das Königreich Baiern beginnt mit dem Vatikan Verhandlungen über ein "Konkordat".

Die Gespräche werden jedoch im darauffolgenden Jahr wieder abgesetzt.

1. Januar 1806 München-Graggenau * Was fehlt, sind die Kroninsignien und natürlich die feierliche Krönung mit kirchlicher Salbung des Königpaares. Napoleon hätte gerne eine Krönung gesehen, die aber in München nicht gewollt ist. Begründet wird dies damit, dass im immer noch bestehenden Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation derartige Königskrönungen unbekannt sind.

Da aber Baiern, Württemberg, Baden und Frankreich bestrebt sind, die Bestimmungen des Friedens von Preßburg vom 26. Dezember 1805 schnellstmöglich umzusetzen und damit unumkehrbar zu machen, fehltfür eine Krönung sowohl in München als auch in Stuttgart die dazu notwendige Vorbereitungszeit. So findet lediglich die Proklamation der neu entstandenen Königreiche Baiern und Württemberg zeitgleich statt.

Freilich gibt es noch andere Gründe, die gegen eine Krönung sprechen, aber nicht laut ausgesprochen werden:

Die Wittelsbacher wollen den Anschein vermeiden, die Königswürde sei dem militärischen Erfolg und dem Willen Napoleon Bonapartes zu verdanken. Dieser hat eine Rangerhöhung der süddeutschen Staaten nur deshalb angestrebt, um zuverlässige Bündnispartner gegen Österreich zu gewinnen und dessen Machteinfluss zu beschränken. Damit ist Napoleon auch dem Ziel, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zu zerschlagen und zu beerben, ein Stück näher gekommen. Und wenn man schon die baierische Unabhängigkeit und Souveränität als eine von Frankreich und Napoleon unabhängige legitimiert gewusst haben will, scheint eine Krönungszeremonie - noch dazu in Anwesenheit des französischen Kaisers - für absolut unakzeptabel.

Im Königlich-Baierischen Regierungsblatt vom 1. Januar 1806 wird deshalb angemerkt: "Unsere feyerliche Krönung und Salbung haben Wir auf eine günstigere Jahreszeit vorbehalten, welche Wir in Zeiten öffentlich bekannt machen werden."Geplant ist die Krönungszeremonie für Oktober 1806.

16. April 1806 Innsbruck - Tirol * Der österreichische General Chasteler trifft in Innsbruck ein, hat aber nichts mehr zu "befreien".

21. November 1806 München * Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas übernimmt zusätzlich das Innenministerium.Er wird das Amt bis 1817 ausüben. Das Ministerium der Finanzen, das Montgelas seit 1803 ausübt, gehtan Johann Wilhelm

Seite 87/362 Freiherr von Hompesch über.

1807 München * Im "Morgenblatt für gebildete Stände" heißt es zum Theater der breiten Masse:

"Endlich sind die bretternen Bühnen, auf welchen Schweiger und Lorenzoni den Sommer hindurch unser Publikum belustigen, geschlossen. Trauriges Zeichen der Zeit, wenn solche Gesellschaften auf eine sichere und im Verhältnis zu ihrem Werte glänzende Unterstützung zählen dürfen!

Manches Stück, das auf unserem Nationaltheater nicht ohne allen Eifer gespielt ward, fand ein leeres Haus, indessen Lorenzonis und Schweigers Hütten mit Zuschauern aller Stände angefüllt waren. [...] Dass übrigens beide Banden auf den ästhetischen Sinn unseres Publikums nachteilig einwirken, ist nicht zu bezweifeln.

Der häufige Anblick des Rohen, Plumpen und Ungeschliffenen, die gänzliche Geschmacklosigkeit, die in der Komposition und Deklamation der Stücke liegt, die Misstöne, welche besonders in den Singspielen unzählig sind, erzeugen Nachlässigkeit im Urteil und jene ärgerliche Genügsamkeit, die immer nur um den billigen Preis lachen will".

1807 München * Das bisher freiwilige "Bürgermilitär" wird zur "Festigung der inneren Ordnung" aufgestellt.

3. April 1807 München * Das "Mandat über die Uniformierung und Organisation des bürgerlichen Militärs in den Städten, Flecken und Märkten des Königreichs" wird erlassen.

Es bildet eine allgemein verbindliche Rechtsgrundlage für den Wach- und Sicherheitsdienst des "Bürgermilitärs", denn bisher hatten die Bürger diese Aufgabe ja freiwillig erfüllt.

Wichtigster Punkt für den Staat ist die neue allgemeine Musterungspflicht aller Bürger zum "Bürgermilitär". Untaugliche müssen eine "Wehrersatzgebühr" bezahlen. Als Gegenleistung gesteht der Staat den "Offiziers- und Unteroffizierskorps" der einzelnen Waffengattungen des "Bürgermilitärs" ihre Ergänzung und Beförderung zu höheren Chargen zu.

Über die Aufgabe des "Bürgermilitärs" sagt das "Mandat" folgendes: "[...] Nie kehrt der Bürger seine Waffen gegen den äusseren Feind. Seine Bestimmung bleibt ausschliessend, den friedlichen, rechtlichen Einwohner zu beschützen, und die Wirkungen des Gesetzes gegen polizeiliche Vergehungen und das Verbrechen zu unterstützen. Er übernimmt demnach bei dem Abzuge der Feldregimenter aus den Garnisonen den Dienst daselbst, besorgt denselben in jenen Städten, wo keine gewöhnliche Garnison liegt, für beständig, um durch auszusendende Sicherheits-Patrouillen die Umgebungen vor allem, der öffentlichen Ruhe und Sicherheit gefährlichen Gesindel rein zu halten".

Das unmittelbare Kommando über das "lokale Bürgermilitär" hat der jeweils ranghöchste beziehungsweise rangälteste "Bürgeroffizier". Dieser untersteht wiederum in einer "Garnisonsstadt" der "militärischen Stadtkommandantschaft", ansonsten dem zivilen "Landrichter" oder "Polizeidirektor".

Seite 88/362 Der Vorschlag für ein "Pferderennen" aus Anlass der "Kronprinzenhochzeit" (1810) kommt aus den Reihen der "Königlich-Baierischen Nationalgarde III. Klasse". Diese entwickelt sich aus dem "Städtischen Wehrwesen". Dieses "Münchner Bürgermilitär" gehört nicht im eigentlichen Sinne zur "Münchner Garnison".

Die traditionelle Abgrenzung von "Armee" und "Bürgertum" beziehungsweise von "Garnison" und "Bürgerwehr" bleibt bis weit ins 19. Jahrhundert bestehen.

1. Mai 1808 München * Die "Konstitution des Königreichs Baiern" tritt in Kraft.

Die erste einheitliche Verfassung des Königreichs Baiern besteht aus 45 Paragraphen, die auf acht Seiten Platz finden.

Nach der Auflösung des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und dem großen Gebietszuwachs, den Baiern erfahren hat, ist es notwendig geworden, das Recht zu vereinheitlichen und die Rechtsgleichheit in den verschiedenen Landesteilen herzustellen. Nur Altbaiern war, bis auf wenige Enklaven, ein geschlossenes Staatsgebiet. Ansonsten gleicht das neue Baiern mit seiner Anhäufung von Besitzungen verschiedener Fürsten, Grafen, Herren und Ritter eher einem "Fleckerlteppich".

Baiern muss nun zusammenwachsen und nach einheitlichen gesellschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Grundsätzen regiert werden.

Damit werden "alle besonderen Verfassungen, Privilegien, Erbämter und Landschaftliche Korporationen der einzelnen Provinzen" aufgehoben. Die Verfassung garantiert die Gleichheit aller vor dem Gesetz und den Steuerbehörden sowie beim Zugang zu den Staatsämtern. Die Rechte des Adels werden darin eingeschränkt und deren bisherigen politischen Vorrechte ausdrücklich abgelehnt. In einer neu eingeführten "Adelsmatrikel" muss der Adelstitel erst staatlich anerkannt werden. Die "Leibeigenschaft" wird ersatzlos abgeschafft. Die Sicherheit des Eigentums wird ebenso gewährleistet, wie die "Gewissensfreiheit" und die "Pressefreiheit". Letztere wird allerdings durch Gesetze teilweise wieder eingeschränkt. Das Gesetz sieht ein "stehendes Volksheer" und eine "Bürgermiliz" vor.

Mit 21 Jahren muss jeder "Staatsbürger" vor der Verwaltung seines "Kreises" einen Eid ablegen, dass er "der Konstitution und den Gesetzen gehorchen - dem König treu sein wolle". Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Monarchen darf kein "Staatsbürger" auswandern oder ins Ausland reisen.

Zum "Königlichen Hause" wird in der "Konstitution" festgelegt, dass die Krone erblich ist "in dem Manns-Stamme des regierenden Hauses, nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatisch-linealischen Erbfolge". Die Prinzessinnen sind "für immer von der Regierung ausgeschlossen", so lange noch männliche Nachkommen vorhanden sind. Sämtliche Familienmitglieder des königlichen Hauses stehen "unter der Gerichtsbarkeit des Monarchen, und

Seite 89/362 können bei Verlust Ihres Erbfolge-Rechts nur mit dessen Einwilligung zur Ehe schreiten".

Nach den Bestimmungen der "Konstitution" besteht zur Verwaltung des "Königreiches Baiern" das "Ministerium" aus fünf "Departements": dem des "Äußeren", der "Justiz", der "Finanzen", des "Inneren" und des "Kriegs-Wesens". Zudem teilte sie das Königreich in "Kreise" ein, um so einen einheitlichen Beamten- und Verwaltungsstaat zu schaffen. Auch das Justiz- und Militärwesen werden neu organisiert.

Ein "Parlament" ist in Form einer "National-Repräsentation" vorgesehen, kommt aber nicht zustande. Gleichwohl werden die Vertretungen der einzelnen Teilgebiete des Königreichs mit Inkrafttreten der Verfassung abgeschafft.

Die "National-Repräsentanten" sollten für die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Dazu sollten in jedem der acht "Kreise" von den 200 höchstbesteuerten "Land-Eigenthümern, Kaufleuten und Fabrikanten" von Wahlmännern sieben Mitglieder gewählt werden. Diese 56 Gewählten hätten dann die "Reichs-Versammlung" gebildet.

Durch die Einführung der "Konstitution" verhindert Minister Maximilian Joseph von Montgelas, dass der auf Napoléon Bonapartes Drängen geschlossene "Rheinbund" die Souveränität des "Königreich Baierns" zu stark einschränkt.

1809 München * Durch eine Neuorganisation des Militärs wird die bisher freiwillige "Bürgerwehr" nach französischem Vorbild in die dreigliedrige "Nationalgarde" eingegliedert.

Die "Nationalgarde I. Klasse" bildet das "Stehende Heer", die "II. Klasse" wird zur "Landesverteidigung innerhalb des Königreichs" verpflichtet. Die "Nationalgarde III. Klasse" war die ehemalige "Bürgerwehr". Sie untersteht jetzt den staatlichen Behörden für "polizeiliche Aufgaben".

Seit dem Spätmittelalter hatte die "Bürgerwehr" in zunehmenden Maße "repräsentative Funktionen bei festlichen Anlässen" der Städte und des Fürstenhauses wahrgenommen. Die vornehmsten Aufgaben - "Ehrengeleit und Ehrenwache für höchste Herrschaften" blieb der "Bürger-Kavallerie" vorbehalten. Eine "Kavallerie-Division" gibt es - neben dem "Invanterie-Regiment" und der "Artillerie-Kompanie" - auch in München.

Sie wird unter ihrem "Major" Andreas von Dall?Armi das "Pferderennen" aus Anlass der Hochzeit von "Kronprinz" Ludwig I. und "Prinzessin" Therese von Sachsen-Hildburghausen austragen. Eine "Schicki-Micki-Armee".

1809

Seite 90/362 München-Ludwigsvorstadt *Der "Konvent der Barmherzigen Schwestern der heiligen Elisabeth" wird aufgelöst. Ihr Frauenspital wird in das "Allgemeine Krankenhaus" eingegliedert.

Sechs ehemalige Nonnen kümmern sich auch weiterhin um das "Augustiner Christkindl".

Ende Januar 1809 Wien - Tirol * Erzherzog Johann lädt drei der zu den führenden Köpfen des Widerstands zählenden Tiroler nach Wien.

Darunter ist Andreas Hofer, der "Sandwirt" aus dem Passeier. In vertraulichen Gesprächen werden Informationen und Meinungen ausgetauscht und konkrete Vereinbarungen getroffen.

Um mögliche rechtlich-moralische Bedenken der Tiroler Bevölkerung im Aufstand gegen die baierische Landesherrschaft auszuräumen, will der Erzherzog gleich bei Kriegsbeginn ein "Besitzergreifungspatent" unterzeichnen und damit Tirol wieder mit Österreich vereinen. Damit wären die Tiroler keine baierischen Untertanen mehr, sondern Österreicher. Und wer dann gegen die Baiern kämpft, wäre kein "Aufständischer" sondern ein "Freiheitskämpfer".

In der Folge wird die "Erhebung Tirols" ins Rollen gebracht.

Es sind viele Gründe zusammengekommen, die den "Aufstand der Tiroler" gegen die baierische Herrschaft letztlich auslösen. Keiner allein hätte ausgereicht:

weder die Aufhebung der alten Verfassung noch die Überheblichkeit baierischer Beamter, weder die drückende Steuerlast noch die religionspolitischen Maßnahmen; ja nicht einmal die verhasste Rekrutierung zum baierischen Militär hätte unter anderen Umständen solche verheerende Folgen gezeigt.

Ausschlaggebend war, dass die Tiroler unter Baiern keine Tiroler bleiben durften, sondern zu "Südbaiern" gemacht wurden.

12. März 1809 Innsbruck * Die baierischen Behörden wollen in Axams bei Innsbruck erstmals in Tirol Rekruten "ausheben".

Weil sich die betroffenen Burschen in den Wäldern verstecken, schwärmen Patrouillen aus, um die Entlaufenen festzunehmen.

Als eine baierische Patrouille zwei bewaffnete junge Männer festnehmen will, werden sie in die Flucht geschlagen. Daraufhin wird das Militär in Alarmbereitschaft gesetzt.

Jetzt greifen die Bauern zu den Waffen, nehmen baierische Soldaten gefangen, entwaffnen sie und schicken sie nach Innsbruck zurück.

Seite 91/362 24. März 1809 München * Sechzig"wirklich hochsinnige Maenner", Aristokraten und geadelte Mitglieder der "Baierischen Akademie der Wissenschaften" sowie höhere Beamte, aber kein einziger aktiv praktizierender Landwirt, bitten König Max I. Joseph eine "Landwirthschaftliche Gesellschaft" gründen zu dürfen.

Sie beabsichtigen die "practische Beförderung der Landwirthschaft" und des in "näherer Verbindung stehenden Gewerbes".

9. April 1809 Österreich - Königreich Baiern * Mit dem Einmarsch der österreichischen Truppen in Baiern beginnt der Krieg Österreichs gegen Frankreich.

10. April 1809 Tirol * Die Nachricht vom Kriegsbeginn und der Vormarsch der österreichischen Truppen verbreitet sich in ganz Tirol wie ein Lauffeuer. Auf Flugzetteln, die selbst in den hintersten Tälern kursieren, wird die Bevölkerung zu den Waffen gerufen.

Eine starke baierische Einheit greift das Dorf Axams zur Strafexpedition an. Die Baiern stoßen dabei auf bewaffneten Widerstand. Es fallen Schüsse, in denen der erste baierische Soldat stirbt.

Erzherzog Karl überschreitet in der Zwischenzeit mit der Hauptmacht der österreichischen Armee den Inn und marschiert in Richtung München.

12. April 1809 Innsbruck * In und um Innsbruck toben heftige Kämpfe.

Um 5 Uhr früh greifen 6.000 Bauern die baierischen Soldaten an. Innsbruck wird von den Tiroler "Aufständischen" erobert. Die baierischen Truppen werden gefangen genommen.

Um 10 Uhr ist der Kampf beendet. Danach beginnen in der ganzen Stadt Plünderungen, die auch Judenfamilien einschließen, die kurz zuvor Kirchensilber ersteigert haben.

Die Volkswut tobt.

13. April 1809 Innsbruck - Tirol * Der französische General Bisson rückt mit 2.000 Mann auf Innsbruck vor. Er kapituliert ohne Kampfhandlung.

Damit haben die Tiroler "Aufständischen" die französisch-baierische Armee ohne österreichische Unterstützung geschlagen. Diese Tat geht als "Erste Befreiung Tirols" in die Geschichte ein.

Seite 92/362 21. April 1809 Tirol * Nachdem es in Innsbruck nichts mehr zu tun gibt, bricht der in Lothringen geborene österreichische General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles mit seinen Truppen nach Trient auf, um dort die Franzosen zu vertreiben.

22. April 1809 Eggmühl * Südlich von Eggmühl gewinnt Napoléon Bonaparte die entscheidende Schlacht gegen die Österreicher.

12. Mai 1809 Tirol * General Carl Philipp Joseph vonWrede hält vor seinen Soldaten eine Rede, in der er auf die Vorgänge des Vortags eingeht:

"Ich habe heute und gestern, an den Tagen, wo ich über so manche tapfere Tat der Division zufrieden zu sein Ursache hatte, Grausamkeiten, Mordtaten, Plünderungen, Mordbrennereien sehen müssen, die das Innerste meiner Seele angegriffen und mir jeden frohen Augenblick, den ich bisher über die Taten der Division hatte, verbittern.

Wahr ist es Soldaten! Wir haben heute und gestern gegen rebellische, durch das Haus Österreich und dessen kraftlose Versprechungen irre geführte Untertanen unseres allergeliebten Königs gekämpft, aber wer hat Euch das Recht eingeräumt, selbst die Unbewaffneten zu morden, die Häuser und Hütten zu plündern und Feuer in Häusern und Dörfern anzulegen.

Soldaten! Ich frage Euch, wie tief sind heute und gestern Euere Gefühle von Menschlichkeit gesunken?".

19. Mai 1809 Innsbruck - Tirol * Die DivisionenWrede und Deroy rücken kampflos in Innsbruck ein. Napoleon Bonaparte gibt den Befehl, General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles "als Räuberanführer, als Urheber der an den gefangenen Franzosen und Baiern verübten Mordtaten und als Anstifter des Tiroler Aufstandes in die Acht erklärt, vor ein Kriegsgericht zu stellen und binnen 24 Stunden zu erschießen".

Andreas Hofer verhandelt inzwischen am 19. in Mühlbach und am 20. in Bruneck mit General Chasteler und kann ihn zum Verbleib in Tirol überreden.

25. Mai 1809 Innsbruck * Rund 5.000 Tiroler Aufständischeunter der Führung von Andreas Hofer greifen am Bergiseldie Division Deroyan.Diese Erste Bergisel-Schlachtdauert nur wenige Stunden, da ein heftiger Gewitterregen und die einbrechende Nacht die Kämpfenden trennt.

29. Mai 1809 Innsbruck * Es kommt zur Zweiten Bergisel-Schlachtdurch die Tiroler Aufständischenunter der Führung von Andreas Hofer.Über 15.000 Tiroler und österreichische Truppen kämpfen gegen 5.240 Baiern. Die Schlacht bringt die Zweite Befreiung Tirols.

Seite 93/362 Die siegreichen Tiroler Aufständischenbemerken nicht, dass sich die baierischen Truppen in der Nacht auf die Flucht begeben haben.Und vor lauter Jubel über den Sieg, vergessen sie die Verfolgung des Feindes.

30. Juli 1809 Innsbruck * Marschall François Joseph Lefébvrezieht kampflos in Innsbruck ein und nimmt in der HofburgQuartier. Ihm ist klar, dass der Besitz der Tiroler Hauptstadt noch lange nicht die Eroberung Tirols bedeutet.Dazu mussder Kern des Landes von mehreren Seiten angegriffen werden, wozu man die 20.000 Mann in mehrere Korps aufteilt.

11. August 1809 Innsbruck * Die völlig demoralisierten TruppenMarschall François Joseph Lefébvresind in Innsbruck eingeschlossen.

17. Oktober 1809 Tirol * Der baierische Einmarsch in Tirol beginnt.

24. Oktober 1809 Innsbruck * Die baierischen Truppen ziehen in Innsbruck ein. Der Bergiselist nur notdürftig besetzt. Viele der besten Anführer und Kompanien der Tiroler wollen nicht mehr kämpfen. Die Baiern hätten die Tiroler Stellungen einfach überrennen können, doch KronprinzLudwig I. will ein unnötiges Blutvergießen vermeiden. Stattdessen solleine Truppenparade die baierische Macht demonstrieren und jeden weiteren Widerstand als sinnlos erscheinen lassen.

25. Oktober 1809 Innsbruck * Der baierische KronprinzLudwig I. zieht in Innsbruck ein.

28. Oktober 1809 Tirol * Erzherzog Johann unterrichtet im Auftrag seines kaiserlichen Bruders die Tiroler Freunde über den Frieden von Schönbrunnund der Überlassung Tirols an Baiern. Der Tiroler OberkommandantAndreas Hofer will daraufhin nach Innsbruck fahren und mit dem baierischen KronprinzenLudwig I. verhandeln.

Da erscheint der KapuzinermönchJoachim Haspinger, genannt "Pater Rotbart", der Hofer - mit seiner Redekunst, aber auch mit Lügen - umstimmen will. Und der der Geistlichkeit hörige Andreas Hofer lässt sich umstimmen. Erzherzog Johann informiert auch den Südtiroler Josef Giovanelli über den Frieden von Schönbrunn.Daraufhin machen sich viele Aufständischeauf den Nachhauseweg.

1. November 1809 Innsbruck - Bergisel * Es kommt zur vierten und letzten Schlacht am Bergisel.20.000 baierische Soldaten stehen etwa 8.500 Tirolern unter der Führung des SandwirtsAndreas Hofer gegenüber.Die Schlacht istnach knapp drei Stunden entschieden. Die - von baierischer Seite "Rebellen" oder "Insurgenten" genannten - Aufständischenvernichtend geschlagen.

Seite 94/362 Der Aufstand der Tiroler und die zunächst vergeblichen Versuche, Tirol zurückzuerobern, sind in den Augen Napoleons eine militärische Schande, die seinen Ruf als unbesiegbaren Feldherrn beschädigt.Dies führt dazu, dass der Franzose eine Teilung für notwendig erachtet.

Die Südtiroler nehmen an den Kämpfen nicht mehr teil.Rund einhundert Abgeordnete versammeln sich in Bozen, beschließen die Niederlegung der Waffen und informieren Andreas Hofer darüber.

4. November 1809 Tirol - Pustertal - Innsbruck * Andreas Hofer unterzeichnet als "gewöster Oberkommandant" ein "Unterwerfungsschreiben" für das Pustertal an den in Innsbruck kommandierenden General Drouet.

Nahe der Trostburg in Südtirol wird eine 1.200 Mann starke französische Truppe angegriffen.Um ein Drittel dezimiert entkommt die Einheit nach Bozen.

16. November 1809 Meran - Tirol * Am Meraner Küchelbergkommt es zum Kampf zwischen den Franzosen und den Südtirolern. Es beginnt zu regnen, was das Schießen stark beeinträchtigt. Die Franzosen geraten in die Defensive und müssen sich in die Meraner Häuser zurückziehen. In der Nacht können sie fliehen, erleiden aber starke Verluste durch von den Tirolern aufgeschichteten und bewegten Steinlawinen.

24. November 1809 Paznauntal * Im Paznauntalkommt es zu Kämpfen, die durch das Aufgebot von über 100 Bäuerinnen und Dirnen eine gewisse Berühmtheit erlangt haben.

Nach dem 9. Dezember 1809 München-Kreuzviertel * Nach dem Tod des Baierischen Ministers der Finanzen, Johann Wilhelm von Hompesch, übernimmt Maximilian Joseph Graf von Montgelas zum zweiten Mal die Funktion des Finanzministers. Damit konzentrieren sich die drei wichtigen Ministerien Außenministerium, Innenministeriumund Finanzministeriumin einer Person.

Montgelas hat im Verlauf seiner Tätigkeit in Bayern sehr viel Macht, Entscheidungsgewalt und Einfluss auf seine Person konzentriert. Er ist nicht nur mächtig, sondern sogar allmächtig. Ein Zustand, den er übrigens im Ansbacher Mémoiremassiv kritisiert hat. Dies führt im Krankheitsfall des Ministers allerdings zum nahezu völligen Erliegen der Regierungstätigkeit.

August 1810 Tirol * Die neue Grenzziehung in Tirol ist abgeschlossen.

Baiern behält Nordtirol, den Vinschgau sowie das obere Eisack- und das Pustertal.

Der südliche Teil geht an das Königreich Italien, Osttirol und Innichen werden zum Bestandteil der illyrischen Provinzen. Baierischen Berechnungen zufolge hatte "Gesamt-Tirol" im Jahr 1807 exakt 618.857 Einwohner. Etwa 289.000 davon lebten in "Welschtirol", dem italienisch sprechenden Süden.

Seite 95/362 Das Königreich Baiern muss also einen Bevölkerungsverlust von 300.000 Einwohnern verkraften.

Doch nahezu gleichzeitig kann das Baiernland einen Zugewinn von rund 700.000 Einwohnern verzeichnen, nachdem sie die Herrschaft über , das Innviertel und Teile des Hausruckviertels, aber auch über Bayreuth und Regensburg erlangt.

August 1810 Tirol * Der Aufstand der Tiroler und die zunächst vergeblichen Versuche Baierns, Tirol zurück zu erobern waren in den Augen Napoleon Bonapartes eine "militärische Schande", die seinen Ruf als unbesiegbaren Feldherrn beschädigte.

Dies führt dazu, dass Baiern "Südtirol" verliert, "Nordtirol" bleibt dagegen weiterhin baierisch.

Dem Verlust von 300.000 Einwohnern steht aber ein Zugewinn von 700.000 gegenüber, weil Baiern zusätzlich die Herrschaft über Berchtesgaden, das Innviertel und Teile des Hausruckviertels sowie über Bayreuth und Regensburg erlangt.

13. Oktober 1810 München * Am Abend findet eine große Festbeleuchtung statt. Ganz München erstrahlt im Lichterschmuck. Mit den Aufbauten zur Illumination auf dem Max-Joseph-Platz ist bereits sechs Wochen zuvor begonnen worden. An den öffentlichen und privaten Gebäuden der Stadt leuchteten "transparente Gemälde und Inschriften". So trägt die Fassade des Rathauses ein allegorisches, zur Vermählung passendes Bild mit den Wappen des Brautpaares.

Am Gebäude der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Künsteleuchtet"Hymens Fackel, und Ludwigs und Theresens Namenszüge von Blumen" mit den Worten: "Der neuen Hoffnung des alten Hauses der Wittelsbacher huldigen Wissenschaft und Kunst."Soweit die staatlich verordnete Fürstenhuldigung.

Unter den Adelspalais erregt das des Freiherrn Maximilian Joseph von Montgelas besondere Aufmerksamkeit. "Letzteres war eigentlich hinter einem prächtigen dorischen Tempel verschwunden, der um dasselbe ausgeführt reichlich mit Grün und Blumengirlanden geschmückt, und durch die Lichtmassen wie in eine Feuerwohnung verwandelt war."

Auch der Bankier Andreas von Dall?Armi hatte sein Haus am Rindermarkt festlich ausstaffiert. Die Fassade trägt "eine kolossale mit einem ruhenden Löwen und [?] mit der Inschrift, die den ganzen oberen Stock einnahm: Wittelsbachs Stamm blühe ewig!"

Auch die anderen privaten Gebäude sind, soweit es sich die Bewohner finanziell leisten können, aufwändig geschmückt und erleuchtet. Für Kaufleute, Gastwirte, Cafétiers, Weinhändler, Juweliere und Bierbrauer, kurz gesagt, für die besonders gut situierten Kreise der Münchner Bewohnerschaft, bietet sich hier die einmalige Gelegenheit, miteinander mit prunkvollen Illuminationen zu Ehren des Königshauses sich gegenseitig zu übertreffen und nur das Beste vom Besten zu zeigen.

13. Oktober 1810 München * Nicht das einfache Volk benimmt sich während der Hochzeitsparty in der Innenstadt schlecht, sondern die bessere Gesellschaft. Das belegt ein Geheimprotokoll des damaligen Vizedirektors der Münchner Polizei,

Seite 96/362 Markus von Stetten. Im einfachen Volk kommt es weder zu Ausschreitungen noch zu Raufereien oder grobem Unfug.

Er notiert lediglich: "[?] dem Bacchus und der Liebe wurde in der letzten Nacht treulich geopfert [?]" und berichtet weiter von Bierleichen, die im Polizeigebäude gestapelt werden und auch am Abend des nächsten Tages ihren Rausch noch nicht ausgeschlafen haben. Von Stetten: "Doch dies gehört zu dem Ganzen und ist ein wesentlicher Teil eines Volksfestes."Er stoppt den Ausschank von Bier und Wein, als er merkt, dass die Menge auf den Festplätzen der Stadt nur noch lallt und wankt.

Dann widmete sich der Polizeivize der Münchner Gesellschaft, die in der Hofoper feiert. Dort kommt es zu Schlachten am kalten Buffet, Herren in staatlichen Spitzenpositionen sitzen mit hochrotem Kopf inmitten von geleerten Flaschen. Ein Offizier schlägt eine Garderobenfrau nieder, ein Geheimer Rat gibt eine Portion Eis zurück, als er hört, dass er sie selbst bezahlen muss. Nach dem Fest wirdein Haufen Silber vermisst.

Mehrere Besucher schickt man volltrunken aus der Oper, eine Dame bleibt bewusstlos auf der Straße liegen. "Ein Fall, der sich unter Frauen bei einem Volksfeste nicht ereignete."

14. Oktober 1810 München - Salzburg *König Max I. Joseph ernennt KronprinzLudwig I. zum Generalgouverneur des Inn- und Salzachkreisesmit Sitz in Innsbruck. Er wird mit seiner Frau Therese im Schloss Mirabellin Salzburg wohnen.

Die Ernennung soll nicht zuletzt dazu dienen, den Kronprinzenmit den Verwaltungsgeschäften vertraut zu machen.Außerdem will ihn sein Vater in Distanz zur Regierungszentrale in München halten, um Auseinandersetzungen zwischen dem Kronprinzenund dem Außen-, Innen- und FinanzministerMaximilian Joseph Freiherr von Montgelas, die sich beide nicht sonderlich mochten, zu vermeiden.

Der Super-Minister hat eine Menge Arbeit mit der Reorganisation des neuen Staates, um tiefgreifende Reformen und um die Schaffung eines einheitlichen Beamten- und Verwaltungsstaates. Gegen seine Aufgabe ist die Deutsche Wiedervereinigungein Kinderspiel.

Eine wichtige Voraussetzung für die zentralistisch geführte Verwaltung war die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte.So gibt es alleine 93 verschiedene Flüssigkeitseinheiten, die anno 1809 durch die Einführung der baierischen Maaßersetzt werden.Das Baierische Maaßfasst 1.069 Kubikzentimeter und wird Massausgesprochen.

1811 München - Italien * Joseph Anton Ritter und Edler von Maffei, Peter Paul von Maffei's Sohn, spielt während eines längeren Italienaufenthalts mit dem Gedanken Bildhauer zu werden.

Erst nach strengen väterlichen Ermahnungen widmet sich der feinsinnige und vielseitig interessierte Schöngeist der Tätigkeit im Familienunternehmen. Dort erweist er sich bald als vorausschauender Geschäftsmann.

27. Mai 1811 München-Isarvorstadt * Grundsteinlegung für die Neue Isarkasernean der Zweibrückenstraße. Auf dem Baugelände befinden sich noch die Obst- und Gemüsegärten des Stifts der Englischen Fräulein. In der

Seite 97/362 Nachbarschaft liegen der Holzlagerplatz der Münchner Kistlerzunftund eine Werkstatt der Stadt, in der die hölzernen Wasserleitungsrohre gebohrt werden.

Der Flurname An den Schweineställen, in früherer Zeit auch Plärrer, kommt vom Verbot der Schweinehaltung in der inneren Stadt.

12. Oktober 1811 München-Theresienwiese * Das 2. Münchner Oktoberfestbeginnt.

14. Oktober 1811 München-Theresienwiese * Am zweiten Tag des Oktoberfestes, einem Montag, beginnt die erste baierische - und gleichzeitig deutsche - Landwirtschaftsausstellung. 23 Hengste, 29 Zuchtstuten, 31 Kühe, 27 Schafböcke und 3 Schweine werden präsentiert und ausgezeichnet. Mit einem Viehmarkt, bei dem 1.026 Stück Vieh zum Kauf angeboten werden, endet das erweiterte Oktoberfestdes Jahres 1811.

13. Dezember 1811 Stepperg * Maximilian Bernhard Graf von Arco-Zinneberg wird auf Schloss Stepperggeboren. Seine Mutter ist die Kurfürsten-Witwe Maria Leopoldine, sein Vater Ludwig Joseph Graf von Arco.

Um das Jahr 1812 München-Kreuzviertel * Für die Innendekoration des "Montgelas-Palais" kann Graf von Montgelas den jungen, in Rennes in Frankreich geborenen und seit dem Jahr 1811 in München als "Inspektor der königlichen Baukommission" tätigen Jean Baptiste Métivier gewinnen.

1812 Vorstadt Au - Untergiesing * Nach der Trennung der "Lohe" und der "Falkenau" von der "Vorstadt Au" bleibt die "Irrenanstalt" zunächst innerhalb der Auer Gemarkung.

Dagegen protestiert die Anstaltsverwaltung und erreicht die Zuordnung zur Gemeinde Giesing.

Da jedoch das königliche Landgericht München, "das wegen der verhaßten und gegen dessen Willen erwirkte allerhöchst genehmigten Trennung der Loh und Falkenau immer feindselig für die Gemeinde Giesing gestimmt war", darüber keinerlei Aufzeichnungen führt, kommen die Auer - clevere Vorstädter mit viel Phantasie im Geldeintreiben - dreißig Jahre später auf die Idee, von den Giesingern die Rückvergütung von 1.515 Gulden für den "Malzaufschlag" zu verlangen, die die Gemeinde Giesing - nach Auffassung der Auer - seit über zehn Jahren zu Unrecht erhalten hat.

Diese "Biersteuer" muss - für das in der Anstalt ausgeschenkte Bier - an die zugehörige Gemeinde bezahlt werden.

Die Giesinger wehren sich dagegen.

24. Juni 1812

Seite 98/362 Russland * Mit der Überschreitung der Memel durch die französische Armee beginnt - ohne Kriegserklärung - derRusslandfeldzug. Unter den 450.000 Soldaten der Großen Armeebefinden sich 30.249 baierische Soldaten, die von den GenerälenCarl Philipp Joseph von Wrede und Bernhard Erasmus von Deroy kommandiert werden.

27. März 1813 Berlin - Paris * Preußen erklärt Frankreich den Krieg. Damit beginnen die "Befreiungskriege".

Nach dem gescheiterten "Russlandfeldzug" sind in ganz Europa - und damit natürlich auch in Baiern -"Befreiungsbewegungen" gegen Napoléon Bonaparte gewachsen. Es geht um die Beseitigung der französischen Vorherrschaft und Fremdherrschaft in Europa.

27. Juli 1813 München-Kreuzviertel * Maria Ellenrieder schreibt sich als erste Münchner Kunststudentin an der Akademieein. Bis 1841 weisen die Matrikelbücherinsgesamt 47 Kunststudentinnen aus.

16. Oktober 1813 Leipzig * DieVölkerschlacht bei Leipzigbeginntals Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege gegen Napoleon. Sie dauert bis zum vom 19. Oktober 1813. Dabei kämpfen die Truppen der Verbündeten Österreich, Preußen, Russland,Schweden und Baiern gegen die französischen Truppen.

Die Verbündetenbringen Napoleon Bonaparte die entscheidende Niederlage bei, die ihn zwingt, sich mit der verbliebenen Restarmee und ohne Verbündete aus Deutschland zurückzuziehen. In dieser wahrscheinlich größten Schlacht der Weltgeschichtewerden von den rund 600.000 beteiligten Soldaten 92.000 getötet oder verwundet.

1814 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die Wiederaufbauarbeiten für die heutige Ludwigsbrückebeginnen. Sie werden aber nie beendet.

26. Februar 1814 Bar sur Aube * Die baierisch-österreichischen Truppen unter GeneralCarl Philipp Joseph von Wrede kämpfen in Bar-sur-Aube gemeinsam mit Russen und Preußen gegen französisches Militär.Den Baiern gelingt es sogar ein Stadttor aufzubrechen und in das Stadtinnere vorzudringen. Doch sie werden schnell wieder vertrieben.

In der Nacht sitzen die Franzosen im Innern der Stadtmauern fest, während die Baiern das Gelände davor beherrschen.

27. Februar 1814 Bar sur Aube * Die Kämpfe um Bar-sur-Aube gehen weiter. Die Baiern greifen die Stadt entschlossen an, können eines der Stadttore erstürmen und aufbrechen und dringen in die Stadt ein. Ein heftiger Häuserkampf entbrennt, bei dem die Einwohner der Stadt auf der Seite ihrer Truppen mitkämpfen.

Seite 99/362 Als sich aber die französischen Truppen außerhalb der Stadt über die Aube zurückziehen, beginnt auch die französische Besatzung der Stadt ihren Rückzug über den Fluss. Die Baiern können nun Bar-sur-Aube im Sturm erobern und die in der Stadt festsitzenden französischen Soldaten gefangen nehmen.

Der Name dieses Schlachtortes findet sich seit 1826 in der Barer Straßewieder.Diese hieß zuvor Carolinenstraße beziehungsweise ab dem CarolinenplatzWilhelminenstraße.

21. März 1814 Arcis-sur-Aube * Im weiteren Kampfverlauf in der Schlacht von Arcis-sur-Aubeordnet Napoleon Bonaparte um 12 Uhr mittags den sofortigen Abzug seiner sämtlichen Truppen an. Damit ist der Weg für die Verbündetennach Paris frei.

Auch an diese Schlacht erinnert eine Straße in der Maxvorstadt, die Arcisstraße, die vor 1826 den Namen Ludwigstraßetrug. Die spätere Meiserstraßeund heutige Katharina-von-Bora-Straßehieß damals noch Amalienstraße.

26. Juni 1814 Innsbruck - Wien* Österreich ergreift offiziell Besitz von Tirol. Damit endet dort die baierische Herrschaft endgültig. Österreich übernimmt die meisten Errungenschaftender baierischen Verwaltung und hütet sich davor, zu den alten Strukturen zurückzukehren. Selbst die alte Ständeverfassung, deren Abschaffung eine der Hauptursachen des Aufstands von 1809 war, wird nur in sehr mild abgeänderter Form wiederbelebt.

26. August 1814 Innsbruck - Wien * Tirol wird mit Österreich wieder vereinigt.

18. September 1814 Wien * Der Wiener Kongress beginnt. Er tagt bis zum 9. Juni 1815. Im Mittelpunkt der vom österreichischen Staatskanzler Fürst Clemens Menzel von Metternich geleiteten und unter starkem Einfluss des Zaren Alexander I. und England stehenden Verhandlungen steht die Neuordnung Europas nach den Befreiungskriegen und dem Zusammenbruch des napoleonischen Herrschaftssystems.

Ein wesentlicher Punkt auf der Tagesordnung der europäischen Politik ist die Schaffung einer neuen Friedensordnung, die der Wiener Kongress vornehmlich dadurch umzusetzen versucht, indem er die Macht zwischen den Großmächten ins Gleichgewicht bringen will. Für die Königreiche, darunter Baiern, sowie die Großherzogtümer, Herzogtümer und Grafschaften des Rheinbundes ist vordringlich, dass nach ihrem Wechsel zur antinapoleonischen Allianz die Eigenstaatlichkeit und Souveränität ihrer bestehenden Staaten vertraglich festgeschrieben wird.

1815 München-Englischer Garten - Lehel * Der "Große Wasserfall" an der Kreuzung des Schwabinger Bachs und des Eisbachs wird geschaffen.

Seither stürzen die durch ein Stauwehr zurückgehaltenen Wassermassen über von Menschenhand platzierte Felsen.

Seite 100/362 Die Szenerie erinnert an ein romantisches Landschaftsgemälde.

Ab Juni 1815 Deutscher Bund * Die Zeitspanne vom Ende des Wiener Kongresses [1815] bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution [1848] in den Ländern des Deutschen Bundes wird als Biedermeier bezeichnet.

In dieser Zeit wird ein großer Teil der Bevölkerung daran gehindert, einen eigenen Hausstand zu gründen und zu heiraten. Als besonders streng gelten die Vorschriften im rechtsrheinischen Königreich Baiern. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist die Eheschließung in Bayern an eine obrigkeitliche Genehmigung gebunden.

Um August 1816 Königreich Baiern * Der Vulkanausbruch auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien vom April 1815 führt dazu, dass in Baiern ein kaltes und regenreiches Jahr beginnt. Man spricht von einem Jahr ohne Sommer.

Es folgt eine Missernte - und damit eine Hungersnot, da siebzig Prozent der Ernährung aus Getreideprodukten besteht.

2. Februar 1817 München-Kreuzviertel * Mit den Worten: "Sonntag um elf Uhr werde ich mich bei Ihnen einfinden; adieu mon cher Montgelas. Ich hoffe, Sie in besserer Gesundheit anzutreffen, als ich Sie verlassen habe", hat der baierische Herrscher sein Kommen für den 2. Februar 1817 angekündigt. Doch statt demKönigfährt ein Bote mit der Entlassungsurkundein der Tasche in das Palais am Promenadeplatz.

Der abgesetzte Minister erhält nicht einmal die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.Das Kündigungsschreibenist so formuliert, als hätte der Graf selbst aus gesundheitlichen Gründen gebeten, "ihn der ganzen Last der ihm bisher anvertrauten Staatsämter zu entheben". Graf Maximilan Joseph von Montgelas schweigt nach der Überreichung des Schreibens erst einmal eine Viertelstunde und äußert sich dann nur über die - aus seiner Sicht - viel zu niedrige Höhe der Pension.30.000 Gulden erhält der Neurentner, statt der 36.000 Gulden, die er als aktiver Minister erhalten hat.

Das ist also der Dank des Hauses Wittelsbachfür den Mann, der ihnen in jahrzehntelanger Arbeit das Land vergrößerte, einen modernen Staat geschaffen und die Königskrone errungen hatte. Doch für Kronprinz Ludwig ist der Minister, der Baiern geformt, reformiert und modernisiert hat, einfach zu "unteutsch".

In dieser Zeit kursieren zudem Schmähschriften, in denen Montgelas unterstellt wird, er sei nur ein "halber Baier" und gehöre der alles unterjochenden französischen Nation an. Als Ernestine von Montgelas nach der Entlassung ihres Mannes als Minister die Gruppierung der Verschwörer an der Hoftafelbeschimpft, erhält sie lebenslanges Hofverbot.

Kein Wunder, dass der ansonsten denkmalgeile König Ludwig I. dem Architekten des modernen Baiern kein Bronzestandbild setzen lässt, wohl aber seinem Mitverschwörer Fürst Carl Philipp von Wrede.Danach bewirkt eine deutsch-national gestimmte bayerische Geschichtsschreibung, dass Montgelas bei den Bayern in keinem guten Andenken bleibt.

Nach der Entlassung des Grafen Maximilian Joseph von Montgelas werden die Ministerien neu aufgeteilt.Das Portefeuille des Äußerenerhält Alois Graf von Rechberg, das des InnerenFriedrich Graf von Thürheim und das

Seite 101/362 der FinanzenMaximilian Freiherr von Lerchenfeld.

12. Februar 1817 München-Kreuzviertel * Mitglieder der Marianischen Männerkongregationbitten Kronprinzen Ludwig I. in einem Brief, ihnen "den ehemaligen Gnadenschatz der hiesigen Augustinerkirche, nämlich das im Wachs wirklich schön und künstlich bousirte Jesukind" zu überlassen. Als Entscheidungshilfe fügen sie hinzu, dass die Kongregation, sollte ihre Bitte Gehör finden, "dem hiesigen Armen-Fonde die baare Summe von Eintausend Gulden als Geschenk überreichen" werde.

Gegen diese berechnende Wohltätigkeit der finanzkräftigen Marien•verehrer können die sechs ehemaligen Elisabethinerinnen, in deren Besitz sich das Augustiner Christkindlbefindet, nichts entgegensetzen.Obwohl sie in Bittschriften an König Max I. Joseph verbissen um das Kindl kämpfen, stehen sie bei diesem Angebot auf verlorenem Posten.

Ab März 1817 Königreich Baiern * Eine Teuerungshysterie beginnt. Man vermutet hinter den horrenden Getreidepreisen das Werk und die Machenschaften von Spekulanten und Wucherern.

Die Folge sind Hungerkrawalle, Magazinplünderungen und Bauernaufstände im Ausland und in Baiern.

18. April 1817 München-Kreuzviertel * Die sechs ehemaligen "Elisabethinerinnen" müssen das "Augustiner Fatschenkindl" herausrücken.

Das hochverehrte gefatschte "Augustiner-Christkindl" wird nun von der "Elisabethkirche" in den "Bürgersaal" gebracht, wo man es mit einer liturgischen Feier willkommen heißt.

Oktober 1817 München-Angerviertel - München-Theresienwiese * Der "Polytechnische Verein" stellt Produkte der "vaterländischen Industrie durch alle Klassen der Fabrikation" aus.

Diese Schau ist der Beginn der späteren "Landmaschinen-Ausstellungen".

Die Objekte werden aber nicht auf der Theresienwiese, sondern in der Münchner Rosengasse ausgestellt.

5. Februar 1819 München-Lehel * Da dem Fuhrwesen-Bataillondie Lehel-Kaserneimmer noch zu klein ist, schlägt das Oberadministrativkollegiumder Armee vor, den Mittelbauum eine Etage aufzustocken, um so sechs zusätzliche Zimmer für 102 Unteroffiziere und Mannschaften zu gewinnen. Der Plan wird an diesem Tag genehmigt und das Vorhaben bis zum Sommer ausgeführt.

3. Oktober 1819 München-Theresienwiese * Nachdem mit dem Gemeindeediktvom 17. Mai 1818 die Selbstverwaltung der Städte

Seite 102/362 und Gemeindenwieder hergestellt worden war, übernimmt die Stadt München die Organisation und Finanzierung des Oktoberfestes.

Der Beginn des Oktoberfesteswird auf den ersten Oktober-Sonntag vorverlegt.Für das Ende wird der 12. Oktober, der Namenstag des Königs, festgelegt.

Eine städtische Tribüne wird direkt gegenüber dem Königszeltaufgebaut, um - sozusagen auf gleicher Augenhöhe mit dem Herrscherhaus - das Festgeschehen beobachten zu können.

12. Oktober 1819 München-Theresienwiese * Das erste von der Stadt München selbst organisierte und finanzierte Oktoberfestendet am Namenstag von König Max I. Joseph. Die Stadt gibt für das Oktoberfest1.165 Gulden aus. Diesen stehen lediglich 346 Gulden Einnahmen gegenüber.

1821 Berg am Laim * Beginn der Reparaturarbeiten am Dachstuhl und den Gesimsen der Berg am Laimer "Michaelskirche".

März 1821 Griechenland * Unter dem Kommando des Fürsten Alexandros Ypsilantis beginnen die Griechen im offenen Aufstand für ihre Freiheit und Selbstständigkeit zu kämpfen.

Da aber die von Russland erwartete Unterstützung in diesem "Unanhängigkeitskrieg" nicht erfolgt, wird die "Heilige Schar" unter Alexandros Ypsilantis innerhalb von nur drei Monaten vollkommen aufgerieben. Es kommt in der Folge zu grausamen Massakern unter der griechischen Bevölkerung.

Mit Beginn des "Unabhängigkeitskrieges" gründen sich in ganz Westeuropa Vereinigungen von "Philhellenen" (das bedeutet "Griechenfreunde"), die in der Öffentlichkeit für die griechische Sache werben, diese mit Geldspenden unterstützen und sich auch selbst in die Kampfhandlungen einmischen. Zu diesen "Philhellenen" zählt sich auch Ludwig I.. Der Bayernkönig unterstützt - leidenschaftlich und mit viel romantischem Pathos versehen - die griechischen Patrioten in ihrem "Freiheitskampf".

Die Griechen kämpfen einen "Guerillakrieg". Die griechischen "Freiheitskämpfer" werden von einem "Kapetánii" angeführt und bezeichnen sich selbst als "Klephte", was eigentlich Dieb oder Räuber bedeutet, oder als "Pallikare", was junger Mann oder Held heißt. In der Zeit des "Unabhängigkeitskrieges" sind unter diesen Bezeichnungen aber immer "Freiheitskämpfer" gemeint.

1822 Untergiesing * Die "bürgerliche Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" entschließt sich, nachdem sie jahrelang dem Geschehen in der "Mayer'schen Lederfabrik" tatenlos und voller Neid zugesehen hat, zu einem Protest bei "allerhöchster Stelle" - vermutlich dem "Königlichen Ministerium des Inneren" - gegen die "gewissenlosen Gewerbebeeinträchtigungen, welche wir von den hiesig- und umliegenden Lederfabrikanten und Israeliten durch die widerrechtliche Anmaßung der Selbstfabrikation ihrer in Accord übernommenen

Seite 103/362 MilitaÌ?rlieferungen viele Jahre hindurch sehr empfindlich zu erdulden hatten".

In der Folge fordert die Behörde den "Lederfabrikanten" auf, künftige Militäraufträge bei den ansässigen Schuhmachermeistern fertigen zu lassen. Doch die Freude der Schuster über ihren Sieg gegenüber dem Lederfabrikanten dauert nur kurz.

Dem geschäftstüchtigen Fabrikbesitzer Ignaz Mayer gelingt es nämlich, den Schwabinger Schumacher Hanrieder davon zu überzeugen, dass er seine Werkstatt mit "Sack und Pack" sowie mit der Genehmigung der zuständigen Behörden in die "Untergiesinger Lederfabrik" verlegt. Der "Schuhmacher" erhält dafür "eine wöchentliche Entschädigung [...], und [kann] sonach genüßlich sein Leben in Wohltätigkeit durchbringen". Ignaz Mayer aber kann über den Trick der ausgeliehenen "Hanriederischen Konzession" - sehr zur Empörung der "bürgerlichen Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" - seine Militärlieferungen auch künftig weiter in eigener Regie herstellen lassen.

Der "Schuhmacherzunft" bleibt nur mehr das Beschreiten des Protestwegs. Ihr Protest gegen die "unerlaubte Transferierung einer Gewerbekonzession von einer Vorstadt in die andere" findet beim "Königlichen Landgericht" zunächst positives Gehör.

Doch die "Regierung des Isarkreises" hebt das Verbot umgehend wieder auf. Eine "königliche Anweisung" zieht schließlich einen Schlussstrich unter die Affäre - und zwar zugunsten der industriellen Produktion in der "Lederfabrik".

Es war das "Königliche Handelsministerium", das sich in den Vorgang um die umstrittene Konzession einmischte und die Entscheidung zugunsten des "Hoflieferanten" beeinflusste.

Wenn schon nicht das Einzelmitglied, so hätte doch die "Schuhmacherzunft" den Einfluss ihres Kontrahenten und damit die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkennen müssen. Immerhin ist Ignaz Mayer nicht nur der Schwiegersohn des dem bayerischen Königs als millionenschweren Kreditgebers unentbehrlich gewordenen Leonhard von Eichthal, sondern seit dem Jahr 1809 auch der Schwiegervater von Simon Freiherr von Eichthal, der bei der Gründung der "Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank" eine zentrale Rolle spielte.

Der "Hofbankier" organisiert nicht nur die neue Kreditbank, sondern stellte auch dem späteren König Ludwig I. Mittel für seine Kunsteinkäufe zur Verfügung.

23. Oktober 1823 München-Lehel * Noch bevor die Zentralklöstervöllig aussterben, verhilft König Ludwig I. der bayerischen Franziskanerprovinz zum heiligen Antonius von Paduazu neuem Leben. Im Einvernehmen mit ErzbischofAnselm von Gebsattel erhalten die Franziskanerin München die Pfarr- und ehemalige Hieronymitenkloster-Kirche Sankt Anna im Lehelals neuen Sitz.

Über die massiven Bedenken, ob man die Bettelmöncheüberhaupt wieder in München ansiedeln soll, setzt sich der klösterrestaurierende Bayernherrscher - sehr zur Freude seiner konservativ eingestellten Untertanen- einfach hinweg. Als Begründung für seine Entscheidung zugunsten der Franziskanergibt er an: "Eingedenk, daß Mitglieder dieses Hauses Unsern erhabenen Vorfahren Kaiser Ludwig den Bayern zu einer Zeit vertheidigt haben, in welcher dieses mit größter Gefahr verbunden war."

Kurz und bündig gibt er an das Ministerium des Innerndie Weisung: "Am Allerheiligentage sollen die Franciscaner von Ingolstadt in ihrem hiesigen Kloster eintreffen, daselbst Hochamt halten."

Seite 104/362 1824 München-Angerviertel * Baubeginn der "Synagoge" in der Theaterstraße, der heutigen Westenriederstraße, nach einem Entwurf des "Königlichen Baurats" Jean Baptiste Métivier.

Die Arbeiten sind bis 1826 fertiggestellt.

Oktober 1824 München-Theresienwiese * Innerhalb der "Pferderennbahn" befindet sich der "Wirtsbudenring".

Die sie betreibenden Bierwirte und Brauereien sorgen mit Kegelbahnen und Kletterbäumen für Unterhaltung und Volksbelustigung.

1825 München-Isarvorstadt * Simon von Eichthal erwirbt den sumpfigen "Heilig-Geist-Anger" in der Absicht, ihn in möglichst viele kleine Grundstücke zu parzellieren und danach gewinnbringend zu verkaufen.

Daraus wird das "Gärtnerplatz-Viertel".

1825 München-Kreuzviertel - Königreich Baiern * Die Ständeversammlung befasst sich mit den Themen Ansässigmachung und Verehelichung. Man verweist auf England und Holland, wo der Wohlstand auf einer zahlreichen und gewerbefleißigen Bevölkerung basiert.

Dagegen hindern im Königreich Baiern die "Erschwerung der Heiraten und Ansässigmachungen [?] ein unserem dürftigen Boden und seiner großen Oberfläche angemessenes Wachstum der Bevölkerung und beraubten uns dadurch gerade der Entwicklung jener kostbaren Kräfte, durch deren fruchtbare Produktion der innere Wohlstand am segensreichsten gedeiht und die Gewichtigkeit eines Staates am sichersten emporsteigt".

Bedenken, dass die wachsende Bevölkerung nicht ernährt werden könne, zerstreut der Abgeordnete Jakobi mit Hunden in der Landeshauptstadt: "In München werden viele Tausend unnütze Hunde gehalten, die besser genährt und gefüttert werden oft als Tausende von Menschen".

März 1826 München-Maxvorstadt * Die an die "Napoleonischen Befreiungskriege" erinnernden Straßenumbenennungen erfolgen.

Aus der Karolinenstraße bzw. Wilhelminenstraße wird die "Barer Straße", aus der Ludwigstraße die "Arcisstraße", die die heutige Katharina-von-Bora-Straße mit einschließt, die vor 1826 den Namen Amalienstraße trägt. Die Königsstraße, die ab dem "Königsplatz" Kronprinzenstraße heißt und aus dem ehemaligen "Fürstenweg" nach Nymphenburg entstanden sind, wird zur "Brienner Straße".

Seite 105/362 25. April 1826 München-Graggenau * Christian Daniel Rauch übernimmt den Auftragfür das "Max-Joseph-Denkmal", modellierteinen kleinen"Bozzetto"der Sitzfigur und kommt in der Zeit vom 25. April bis 13. Mai 1826 nach München.

Da seine plastische Skizze von allen Seiten für gut befunden wird, beginnt man in München schon mal mit der Herstellung des Sockels.

1827 Königreich Bayern * Die Seidenzucht und Seidenspinnerei lässt sich als neuer Industriezweig in Bayern nachweisen. Das dafür notwendige Fachwissen wird unter anderem durch Lehrbücher verbreitet, die auf dem Zentral-Landwirtschaftsfest erworben und gewonnen werden können.

1828 München-Maxvorstadt * Friedrich von Gärtner beginnt mit den Planungen zur "Ludwigskirche".

10. März 1828 München-Maxvorstadt * Das von Leo von Klenze neu erbaute "Odeon", ein Musiksaal mit hervorragender Akustik, wird eröffnet.

Das Gebäude ist gegenüber dem "Leuchtenberg-Palais" entstanden und hatte sich diesem anzupassen, weshalb Leo von Klenze den "Konzertsaal" im Inneren des Neubaus versteckt. Freilich gibt des deshalb kein natürliches Licht im 37 Meter langen "Konzertraum".

1. September 1828 München-Kreuzviertel * Als Bauernopferfür die gescheiterte Stände-Versammlungmuss der liberal gesinnte Freiherr von Zentner herhalten, der von dem als liberal geltenden Joseph Ludwig Graf von Armansperg, keine zwei Wochen nach dem Ende der Stände-Versammlung, ersetzt wird.

Armanspergs bisherige Aufgabe als Innenministerübernimmt der als konservativ geltende Eduard von Schenk. Er giltKönigLudjwig I. als wesentlich gefügiger als sein Amtsvorgänger, der die "Trennung von Religion und Staat" vertritt.

Oktober 1829 München-Theresienwiese * Wegen der oft ungünstigen Witterung im Oktober wird für den "Wiesnbeginn" den 3. Sonntag im September vorgeschlagen.

Der Magistrat lehnt dieses Ansinnen mit der Begründung ab: "Weil bey dem Oktober-Feste die umliegenden änger vieler Privater begangen und befahren werden, was den bestehenden Kulturverordnungen gemäß vor Michaeli um so weniger geschehen darf, da in hiesiger Gegend das Grumet vor Ende September nicht eingebracht wird".

Seite 106/362 1830 Indien - Europa * Die "Cholera", die lange Zeit endemisch in Indien beheimatet war, erreicht - durch intensiven Handel, Reiseverkehr und Krieg - erstmals Europa.

Die Erkrankung beginnt mit sturzbachartigen Durchfällen und Dauererbrechen. Der mit der "Cholera" infizierte verliert am Tag bis zu 15 Liter Körperflüssigkeit, sodass die erkrankte Person innerhalb weniger Stunden zu einer "verrunzelten Karikatur ihres früheren Ichs zusammenschrumpft".

Geplatzte Kapillargefäße verfärben die Haut schwarz und blau, der Kranke wird von Krämpfen geschüttelt, die Organe versagen, der Kreislauf bricht zusammen, das Herz stolpert und die Nieren arbeiten nicht mehr. Die Temperatur kann bis auf 20 Grad absinken, weshalb die "Cholera" auch "Kalte Pest" genannt wird. Der Tod tritt in drei bis fünf Tagen ein, oft aber schon nach wenigen Stunden.

Die Verbreitung der Krankheit erfolgt hauptsächlich über das Trinkwasser, das mit Exkrementen von "Cholera-Kranken" verunreinigt ist. Einen weiteren Übertragungsweg bilden Nahrungsmittel, die mit verseuchtem Wasser und ohne Erhitzung zubereitet werden.

Eine Ansteckung ist nur möglich, wenn der Erreger über den Mund in den menschlichen Verdauungstrakt gelangt. Dabei reicht schon eine Berührung der Lippen mit infizierten Händen aus.

1830 München * Die bayerische "Post" erzielt alleine aus Briefportoeinnahmen 663.956 Gulden Gewinn.

Nur diese Zahlen faszinierten den König.

Da König Ludwig I. die "Post" als Anstalt zur Erzielung von Einnahmen sieht, unterstellt er die "Generaldirektion der königlichen Posten", samt seiner sieben "Postämter", 22 "Postverwaltungen", 175 "Postexpeditionen", 16 "Posthaltereien" und neun "Briefsammlungen" dem "Staatsministerium der Finanzen".

28. Januar 1831 München * König LudwigI. schränkt die Pressefreiheitdurch starke Zensurbestimmungenfür die innenpolitische Berichterstattung in der Tages- und Wochenpresse ein.

Zuvor hatte er drei aus dem Auslandstammende Publizisten des Landes verweisen lassen. Die Maßnahmen führen zu einer politischen Entrüstung der liberal eingestellten Bevölkerung, die in der Pressefreiheitein extrem schützenswertes Gut sieht.

20. Februar 1831 München-Kreuzviertel * Die zweite Ständeversammlungin Ludwigs I. Regierungszeit beginnt. Die Sitzungsperiode dauert bis zum 29. Dezember 1831.

Die Mitglieder der Abgeordnetenkammersind im Dezember des Vorjahres neu gewählt worden. Das Ergebnis brachte 62 Abgeordnete auf die christlich-konservative Regierungsseite und 66 Abgeordnete auf der fortschrittlich-liberale Bank der Opposition.

Seite 107/362 Weil der Monarch mit dem Wahlergebnis nicht einverstanden ist, macht er von seinem ihm verfassungsgemäß zustehenden "Ausschließungsrecht" bei fünf zur Opposition zählenden AbgeordnetenGebrauch und verweigert ihnen die Teilnahme an der Ständeversammlung.

22. Mai 1831 München-Kreuzviertel * Die schwäbischen und fränkischen Oppositionellen zwingen in der Frage der Pressefreiheit- sehr zum Ärger von König Ludwig I. - den InnenministerEduard von Schenk zum Rücktritt. Dadurch muss König Ludwig I. die Zensurverordnungwieder zurücknehmen, was allerdings nichts an der Praxis der Zensurändert.

12. Juni 1831 München * König Ludwig I. muss die von ihm am 28. Januar eingeführte Zensur für periodisch erscheinende Blätter auf dem Gebiet der Innenpolitik wieder zurücknehmen.

17. September 1831 München-Kreuzviertel * Die Abgeordneten des Bayerischen Landtagsberaten über das Budget. Um die Abgeordneten zur Eile und damit zu nicht allzu gründlicher Beratung der Einzelposten zu zwingen, lässt König Ludwig I. - angesichts der herannahenden Cholera - verkünden, die Abgeordneten hätten so lange auszuharren, bis das Budget vereinbart ist.

Die Abgeordneten kürzen den Gesamtetat von 28 auf 26,8 Millionen Gulden, dieZivillistedes Königs von 3,15 Millionen auf 2,5 Millionen Gulden und den Heeresetatvon 6,7 auf 5 Millionen.

Innerhalb dieser Kürzungen beschließen sie zahllose Umverteilungen von Ausgabeposten sowie neue Ausgaben.Gekürzt wird bei den königlichen Prestigeobjekten Alte Pinakothek, Staatsbibliothekund Odeonsowie den Ausgaben für die zahlreichen wiedererrichteten Klöster.Mehr Geld soll dagegen in die Rechtspflege, die innere Verwaltung und das Bildungswesen fließen.

Für den König bedeutet dieses Verhalten "Anmaßung und Eingriff in die Exekutive".Zum Glück gibt es noch die Erste Kammer, die Kammer der Reichsräte,die umgehend ihr Veto gegen die Kürzungen und Umverteilungen einlegt - und damit die Regierung rettet.

Unter dem Druck der Regierung, die sogar mit der Auflösung der Abgeordnetenkammerdroht, knicken viele Abgeordnete ein.Dabei werden die Kürzungen der königlichen Zivillisteweitestgehend zurückgenommen.Die anderen Etatkürzungen fallen nicht so extrem aus, sodass immerhin noch 2 Millionen Gulden eingespart werden.

19. April 1832 München * Das "Bayerische Innenministerium" befasst sich mit der "Cholera" und gibt erste vorsorgliche Hinweise an die Bevölkerung.

Seite 108/362 9. August 1832 München-Maxvorstadt * Mit dem Guss der Königsfigurauf dem Max-Joseph-Platzkann begonnen werden. Stiglmaier hat erstmals beim Guss des "Max-Joseph-Denkmals" die Form mit der sogenannten Schwarzen Masse, einer Mischung aus angefeuchtetem Sand, Lehm und Holzkohle hergestellt und will die Figur in einem Stück gießen.

Das Metall wird mehrere Tage lang in einem mit Holz gespeisten sogenannten Flammofenbis zum Schmelzen erhitzt.Zuerst wird das Kupfer geschmolzen, zuletzt das leicht verbrennende Zinn untergerührt.Nach Entfernen des Tonpfropfens aus dem Flammofen, fließt die flüssige Bronze in einem schmalen, feuerfesten Kanal in ein größeres Reservoir über der fertigen Gussform.Auf ein Kommando öffnen die Arbeiter alle mit eisernen Pfropfen verschlossenen Zuflussöffnungen, sodass das flüssige Material aus dem Reservoir in die Gussformstürzen kann.

Der Guss der Königsstatueist ein derart außergewöhnliches Ereignis, dass daran der komplette Magistrat der Haupt- und Residenzstadt München, der Finanzministe, der Direktor der Königlichen Münzeund Leo von Klenze teilnehmen.An den Guss einer auch nur annähernd gleichwertigen Bronzeplastik kann sich keiner der Gäste erinnern.Er lag viele Generationen zurück.

Doch der Versuch, die Figur in einem Stück zu gießen, missglückt.Fünfzehn Personen werden bei diesem Unglück verletzt und das Werk von achtzehn Monaten Arbeit vernichtet.Ferdinand Miller beziffert den Schaden auf 8 bis 10.000 Gulden.

25. August 1832 Haidhausen * Das Innenministeriumgenehmigt die Umbenennung des Haidhauser Ridlerschlößlsin Schloss Haidenau.

14. Oktober 1832 München-Theresienwiese * Um den griechischen Abgesandten die Teilnahme am Oktoberfestzu ermöglichen, wird der Beginn der Wiesnvom 7. auf den 14. Oktober verschoben.

1833 Haidhausen * An der Ecke Innere-Wiener- und Preysingstraße entsteht der Hallerbräukeller, der nach seinem Besitzer auch Schützinger Kellergenannt wird. An seiner Stelle entsteht später ein Wohnhaus, das in seinem Erdgeschoss das Kaffee- und Gasthaus Gasteigbeherbergt. Heute ist dort das Café Atlas.

1833 Haidhausen * Da Dr. Sieber die Ansicht vertritt, dass sein Haidhauser Gut Haidenausich "bey Haidhausen" befindet, erklärt das Landgericht Au, dass der Besitz Haidenaunicht nur "bey", sondern sogar "mitten" in Haidhausen liegt und "durch den Starrsinn des Besitzers nicht in eine andere Gemeindegemarkung versetzt" werden kann.

3. Juni 1833 München * Maximilian Bernhard Graf von Arco-Zinneberg heiratet Leopoldine Gräfin von -Zeil-Trauchburg.

Seite 109/362 1. September 1833 München-Graggenau *Leo von Klenze legt dem König die Grundzüge seiner Planungen für den Platz vor der Oper in Form von zwei Baulinienalternativen vor.

Die eine führt zu einer symmetrischen Platzgestalt, indem der Königsbauund die geplante neue Fassade der Hauptpostzwei gleich große Flächen beidseitig der Mittelachse begrenzen, die ihrerseits durch die Längsachse des Nationaltheatersund den geplanten Aufstellungsort des Max-Joseph-Denkmalsfestgelegt ist. Diese Symmetrie ist allerdings nur um den Preis einer "ganz in die Karikatur fallende Breite" des Postgebäudesvon etwa vier Metern zu erreichen. Der zweite Vorschlag rückt die Bauflucht weiter in den Platz, ausgerichtet auf die Südecke der Perusagasse, was erheblichen Gewinn an Raumtiefe für das Postgebäudebedeuten würde.

König Ludwig I. entscheidet sich für die erste Lösung, da im anderen Falle das Denkmalfür seinen Vater aus der Platzmitte geraten würde.

Mit der Hauptpostsoll ein markantes Beispiel für die hauptsächlich auf Stadtverschönerung ausgerichtete Baupolitik Ludwigs I. entstehen. Es ist aber zugleich ein Musterbeispiel dieser höchst fragwürdigen Baupolitik. Um seine Planungen verwirklichen zu können, braucht der König öffentliche und private Investoren, die seine gestalterischen Ideen unter Vernachlässigung von wirtschaftlichen und funktionalen Überlegungen akzeptieren. Private Bauherren lassen sich unter solchen Bedingungen kaum noch finden. Das haben nicht zuletzt die Erfahrungen in der Ludwigstraßegezeigt.

Doch auch die Veranlassung öffentlicher Bauaufträge gestaltet sich zunehmend schwierig.Die staatlichen Aufwendungen für königliche Luxusbautengeraten immer stärker in die Kritik. Insbesondere im Umgang mit der Ständeversammlung, die die Ausgaben bewilligen oder, wie bei der Hauptpost, im Hinblick auf weitere Bauaufgaben zumindest akzeptieren soll, findet Ludwig eigene Wege. Im Fall des Postgebäudesist dies eine Mischung aus Täuschungsmanövern, neoabsolutistischer Herrscherwillkür sowie einer Instrumentalisierung von teils opportunistischen, teils ahnungslosen Beteiligten.

Denn letztlich werden bei den äußerst komplizierten und kaum durchschaubaren Vorgängen, bei denen man auch den Einsatz eines Strohmannes und die bewusste Verfälschung und Verschleierung wichtiger Tatsachen nicht scheut, nahezu alle mit den Plänen befassten Instanzen, von der Postadministrationüber dasMinisterium des Königlichen Hauses, des Innen-, Außen- und Finanzministeriumsund der Ständevertretung, in unterschiedlicher Form und in jeweils anderen Punkten getäuscht und ausgenutzt.

Um den 5. September 1833 München-Graggenau * Leo von Klenze legt - unaufgefordert und ohne "Anspruch auf diesen Bau zu begründen" - einen Vorschlag für die Fassadengestaltung der Residenzpostvor, die er zur Kaschierung der 292 Fuß [90 Meter] langen und 70 bis 80 Fuß hohen Front auf dem nur 18 bis 19 Fuß tiefen bebaubaren Grundstück für geeignet hält. Dabei verfällt er "auf den Gedanken eines offenen Portikus - eines so schönen Gedankens der alten und neuen Zeiten, wozu hier der Bauplatz und seine Lage nach Norden und sein Verhältnis wie geschaffen scheint".

Da das "Törringsche Palais in seiner ganzen Höhe bedeckt werden müßte, so schien es beßer, die Analogie einer Anlage aus dem Cinquecento als aus der Antike zu nehmen, und Florenz bietet dazu die schönsten Beispiele dar".Beigefügt sind wieder zwei alternative Vorschläge.Sie sehen über einer in Anlehnung an Filippo

Seite 110/362 Brunelleschis Findelhausgestalteten Bogenhalle ein wahlweise in kleine Fenster oder Arkaden geöffnetes Obergeschoss vor.

Das florentinische Vorbild dürfte Klenze nicht allein im Hinblick auf Dimensionen und Proportionen gewählt haben.So wie er den Königsplatzals ein hellenisch-antikes Forum gestaltete, konnte mit dem an den Palazzo Pittierinnernden Königsbauund die Angleichung des Toerring-Palaisan das "Ospedale degli Innocenti" ein Platz entstehen, der einen Eindruck der florentinischen Renaissance vermittelt.

Die Rückwand der Arkaden ist schmucklos: "Ich habe in diesen Skizzen den Grund der Arkaden ganz glatt und ungeziert gelaßen, jedoch würde sich eine paßliche, vom Königsbaue aus vorzüglich anzusehende Zierde [...] leicht finden laßen. [...] Es scheint mir hier eine der seltenen Gelegenheiten die Großartigkeit und Einfachheit der Florentinischen Gebäude, welche ich soviel wie irgendjemand kenne und schätze, ohne Manier, Gewalt und Opfer dessen, was Vernunft und architectonische Consequenz erheischen anzuwenden und zu erreichen."

Dem möglichen Wunsch des Königs nach einer dem Königsbauähnlichen Fassade begegnete Klenze im Voraus mit dem Hinweis auf die völlig unterschiedlichen Größenverhältnisse. König Ludwig I. akzeptiert die Idee der Bogenhalle, gibt aber zu bedenken, wie ein Gebäudeteil finanziert werden könne, der "nur Zierde" und deshalb der Postkassekaum aufzubürden sei. Klenze wiegelt ab: "Da dieser Bau namentlich im oberen Stock nicht blos Zierde, sondern für den Nutzen der Post eingerichtet würde, so glaube ich nicht, daß ein Grund vorliegt, ihn nicht von dieser Administration bestreiten zu laßen".

In den folgenden Monaten wird diese Frage zum zentralen Streitpunkt.König Ludwig I. verteidigt die Idee gegenüber dem FinanzministerMaximilian Emanuel Freiherr von Lerchenfeld und dem Minister des königlichen HausesGise. Die beiden Minister machen etatrechtliche Bedenken insbesondere im Hinblick auf die Ständeversammlunggeltend, die ihrerseits bei der Entscheidungsfindung völlig übergangen worden ist.

20. Oktober 1833 Haidhausen - Ottobrunn * Der in Haidhausen niedergelassene SteinmetzmeisterAnton Ripfel beginnt mit den Arbeiten an dem 8,75 Meter hohen Ehrendenkmal in Form einer griechisch-dorischen Säule am Ortsrand von Ottobrunn, dem damaligen Hehenkirchner Forst. Die sogenannte Ottosäuleträgt die Inschrift: "3 ¼ Stunden von München entfernt, wo Ludwig I., König von Bayern, von seinem edlen Sohn, Otto I. von Griechenland, am 6. Dezember 1832 Abschied nahm."

Die Aufstellung der Ottosäulegeschiehtin Abstimmung mit dem Regenten.Da der huldigende Aspekt des Denkmals schon von Anfang an feststeht, wünscht König Ludwig I. solche Initiativen nicht nur, sondern erwartet sie geradezu.

4. März 1834 München-Kreuzviertel * Das nächste Zusammentreffen der Stände-Versammlungwird für die Zeit vom 4. März bis 3. Juli 1834 einberufen. InnenministerLudwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein setzt alles daran, dass die Beratungen zu einem Erfolg für König Ludwig I. werden sollen. Und die vorausgegangenen, vom König veranlassten Einschüchterungen zeigen auch in der Abgeordnetenkammerihre Wirkung.

Juni 1834 München-Graggenau * Monatelang ziehen sich die Auseinandersetzungen um die Umbaufinanzierung des Palais

Seite 111/362 Toerring-Jettenbachhin. Die Ministerienhaben wegen der Unzweckmäßigkeit und Unglaubwürdigkeit des Projekts erheblich Vorbehalte. Der teuere Vorbau bringt kaum einen Zugewinn an Raum und ist außerdem durch mangelnde Belichtung nur sehr schlecht nutzbar. Was also soll die entstehenden Kosten rechtfertigen?

Schon deshalb holen die befassten Ministerieneinen Gegenentwurf des MaurermeistersHöchl ein, der anstelle der Bogenhalle eine einfache Fassade vorsieht.Doch das steht den Interessen des Königs diametral entgegen. Ludwig I. geht es einzig und alleine um die Gestaltung der Fassade, die er von den Wohnräumen seines Schlosses aus zu sehen bekommt.

Einen letzten Vermittlungsversuch unternehmen die MinisterMaximilian Emanuel Freiherr von Lerchenfeld und Friedrich August Freiherr von Gise im Juni 1834. Wenn der König schon nicht auf den kostspieligen Arkadenvorbauverzichten will, soll er dessen Errichtung doch durch einen Zuschuss aus seinen Mitteln unterstützen, "damit, wenn in künftiger Ständeversammlung dieser Bau zur Sprache kommt und dem Ministerium zum Vorwurf gemacht wird, es habe denselben mit Vernachlässigung des Raums nur im Sinne architektonischer Schönheit geführt, alle Klagen einzelner Mitglieder der Ständeversammlung dadurch beseitigt werden können".

Der König reagiert rigoros, selbstherrlich und schroff: "Die Stände über Fassaden von Gebäuden zu hören ist der Verfassung nicht gemäß. Einmischung derselben in die Administration leide ich nicht. Dieses ist Mein letztes Wort in Betreff dieses Gegenstandes."Da der GeneralpostadministratorLippe nichts weiter als ein opportunistischer Erfüllungsgehilfe des Königs ist, genügt ein Machtwort und die Postdirektionbezahlt den gesamten Umbau des Palais- einschließlich der nicht nur unbrauchbaren, sondern für ihre Belange geradezu unfunktionalen Säulenhalle - aus dem eigenen Haushalt.

Juli 1834 Nürnberg - Fürth * Nachdem die Aktien schnell verkauft sind, kann der Königlich-Bayerische BezirksingenieurPaul Denis mit den notwendigen Vermessungsarbeiten zur Errichtung der Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth beginnen. Aufgrund eines trockenen Sommers kommen die Schienenverlegungsarbeiten für die 6,05 Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg und Fürth schnell voran.

1. Juli 1834 München-Kreuzviertel * Innenminister Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein bringt in die Ständeversammlung einen Gesetzentwurf zur Revision des Ansässigmachungs- und Verehelichungsgesetzes ein.

Ziel der Gesetzesvorlage ist die Begrenzung des Bevölkerungswachstums durch Verhinderung der Verehelichung und Familiengründung durch Besitzlose. Damit sollen gleichzeitig

die Lasten der Armenkasse gesenkt sowie die Unzufriedenheit der sozialen Unterschichten und die damit verbundene Revolutionsbereitschaft unterbunden werden.

Der Innenminister kommt damit der überwältigenden Mehrheit der Abgeordnetenkammer entgegen, die bereits am 13. September 1831 derartige Schritte forderte. Fürst Ludwig von Oettingen-Wallenstein schafft mit diesem Deal auch die Zustimmung zu anderen Gesetzesvorlagen wie die Zivilliste, den Festungsbau in Ingolstadt und den Ludwig-Main-Donau-Kanal.

Seite 112/362 11. September 1834 München-Graggenau * Nach einem ersten Verkaufsangebot über 250.000 Gulden senkt Graf Toerring-Gutenzell - auf Einspruch König Ludwigs I. - den Preis für seinen Besitz an der Stelle der späteren Residenzpostaus "patriotischer Gesinnung" auf 185.000 Gulden, um dann einen um weitere 5.000 Gulden gedrückten Vertrag zu unterzeichnen.

November 1834 Heidelberg *Adolf Friedrich von Schack wechselt an die Universität in Heidelberg. Dort beginnt er mit der Übersetzung des persischen Dichters "Firdausi".

1835 Vorstadt Au * In einem Bericht heißt es: "Die Auer neigen sich insbesondere zu zwei Hauptuntugenden hin, nämlich zu einem unbegränzten Leichtsinne und zum übermäßigen Trinken."

Um März 1835 München-Graggenau * Vom Baubeginn bis zum Herbst 1836 haben sich die Baukosten für die Hauptpost infolge "höchst nöthiger und diensttauglicher Bauwendungen" auf 186.229 Gulden erhöht. Ausschlaggebend sind Nachforderungen Lippes sowie Veränderungen an der Hauptfassade des Rokoko-Palais, die entgegen Ludwigs Weisung vorgenommen worden sind.

Ab dem 11. April 1835 München-Maxvorstadt * Die Arbeiten für die von Friedrich von Gärtner im Stil des romantischen Historismus geplanten Bauten gegenüber der Universität beginnen. Sie dauern sechs Jahre an.

Nördlich der heutigen Veterinärstraße entsteht das "Max-Joseph-Stift" für "höhere Töchter"; südlich davon das "Georgianum" für angehende Geistliche.

1. Juni 1835 Aibling * Das Theresienmonumentan der Brücke über die Mangfall, gleich hinter Aibling, wird eingeweiht. Das Denkmal erinnert an die tränenreiche Verabschiedung der Bayernkönigin Therese von ihrem 17-jährigen Sohn Otto, auf seinem Weg nach Griechenland. Das Theresienmonumentist eine neugotische "Fiale mit eingestellter Muttergottesfigur", nach Plänen von Friedrich Ziebland.

1836 München-Englischer Garten - Lehel * Die Bauarbeiten am "Monopteros", auf dem durch Menschenhand künstlich aufgeschütteten Hügel, beginnen.

Die Arbeiten dauern bis 1837. Der Architekt ist Leo von Klenze.

Heute geht hier der Blick geht über die "Po-Ebene", weil sich hier das bevorzugte Revier der sich hüllenlos

Seite 113/362 sonnenden Parkbesucher befindet.

Um März 1836 Süddeutschland * Die "Cholera" grassiert erstmals in Süddeutschland.

Das Bürgertum fühlt sich zunehmend von den "armen" Bevölkerungsschichten bedroht, weshalb das "Bayerische Staatsministerium des Innern" eine Verordnung erlässt.

In dieser wird die Notwendigkeit der Unterstützung der Armen angesichts der herrschenden Epidemie eingefordert, da sie "zum Schutze der Gesamtheit nicht minder als zum Schirme der Dürftigen selbst" notwendig sei, "da die in den Hütten sich steigernde Krankheit auch auf alle übrigen Klassen und den Gesundheits-Zustand ganzer Orte nicht ohne Rückwirkung bleibt".

1837 Haidhausen * Die Einnahmen der "Haidhauser Armenpflege" liegen bei 4.872 Gulden, die Ausgaben bei 7.055 Gulden.

Das Defizit von 2.773 Gulden muss die Gemeindekasse übernehmen.

1837 Vorstadt Au - Haidhausen - Giesing *Der Auer "Armenarzt" Anselm Martin schreibt:

"In den Herbergen sind nicht nur Menschen, sondern auch noch alle Gattungen Hausthiere Katzen, Kaninchen, Vögel, Mäuse und dergleichen, so wie alle nur erdenklichen Handwerksgeräthe, Hausutensilien, alte, bereits halb verfaulte, zusammengesammelte Leinwand, zerbrochenes Glas, neugewaschene zum Trocknen aufgehängte Wäsche und dergleichen in den kleinsten, mit zurückstoßender Luft angefüllten Gemächern anzutreffen.

Die Öfen sind gewöhnlich von Ziegel, selten von Eisen. Die Feuerung geschieht mit Holz und zwar mit den schlechtesten und wohlfeilsten Holzgattungen, oft mit halbverfaulten, in der Isar aufgefangenen Gerten und Prügeln".

Die "Höhe der Wohnräume" liegt bei 180 bis 192 Zentimetern; die "Dachdeckungen" aus Ziegel oder Blech lösen erst im 19. Jahrhundert die Schindel- oder Strohdeckung ab; ihre "Galerien und Träger" verzieren die Bewohner mit Schnitzereien.

"Gemeinsamer Besitz" aller Hausbewohner sind das "Grundstück", die "Umfassungsmauern" und das "Dach".

Diese komplizierten Eigentumsverhältnisse führen häufig zu ausgiebigen Streitereien. Wird das Dach undicht, so sind in erster Linie nur die Parteien des obersten Stockwerks vom Schaden betroffen, die Bewohner des Parterres dagegen haben nur sehr wenig Interesse an einer kostspieligen Reparatur. Deshalb soll es vorgekommen sein, dass die "Oberen" kübelweise Wasser auf den Fußboden schütteten, um die "Unteren" drastisch an die gemeinsamen Verpflichtungen zu erinnern.

Nicht umsonst heißt es in den Akten des Landgerichts: "So viele Herbergsbesitzer sich in einem Hause befinden, ebensoviele Hauseigentümer gibt es im selben; keiner lässt sich vom andern etwas einsprechen, jeder tut in seiner Herberge, was er will".

Seite 114/362 Auch die "hygienischen Zustände" sind katastrophal. Das "Trinkwasser" muss von weit entfernten "Pumpbrunnen" geholt werden.

Da eigene "Abtritte" fehlen, benutzt man "Häfen und Leibstühle". Wegen der fehlenden Kanalisation werden "Abfälle und Abwässer" jeglicher Herkunft in den "Auer Mühlbach" geschüttet. Eine "städtische Verordnung" bestimmt deshalb, dass dies nur während der Nacht geschehen darf, da tagsüber die Frauen ihre Wäsche im "Auer Mühlbach" waschen.

Das Fehlen der "Abfalltonnen" bedingt viele unreinliche Wohnungen. Dadurch sind die "Herbergsviertel" in "Seuchenzeiten" Brutstätten von Krankheiten.

Es ist also kein Wunder, dass viele Bewohner an den "Typhus- und Choleraepidemien" sterben und die Einwohner oft hohen Blutzoll zu entrichten haben.

2. Februar 1837 München-Kreuzviertel * Die nächste Zusammenkunft der Volksvertretungbeginnt am 2. Februar und dauert bis zum 17. November 1837. Das Ergebnis der im Vorfeld durchgeführten Wahlen war von der Staatsregierung schon ganz in ihrem - konservativen - Sinne beeinflusst worden.

18. September 1837 München-Kreuzviertel * König Ludwig I. argumentiert vor der Stände-Versammlungso:

"Die Verfassungsurkunde räumt den Ständen keineswegs das Recht ein, die einzelnen Positionen der Einnahmen und Ausgaben unabänderlich mit verbindender Kraft für die Regierung festzustellen, nur zum Zwecke der Steuerbewilligung wird denselben das Budget vorgelegt; ein Finanzgesetz ist in der Verfassung nicht vorgeschrieben, sondern nur durch eine gezwungene Interpretation ist die bisherige Übung eingeführt worden. Zwingen lasse ich mich nicht, dafür meyne ich, sollte ich zu gut bekannt seyn. [...]."

Die Kammer der Abgeordnetenwollte einen derartigen Angriff des Königs freilich nicht akzeptieren und selbst die Kammer der Reichsräteist von den Argumenten des InnenministersOettingen-Wallerstein überzeugt. Es kommt, was kommen musste: wer dem König nicht nach dem Mund spricht, hat mit Sanktionen zu rechnen, weshalb Ludwig I. seinen liberal geltenden InnenministerLudwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein am 4. November 1837 entlässt.

4. November 1837 München * König Ludwig I. entlässt seinen als liberal geltenden InnenministerLudwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein. An seine Stelle rückt der erzkonservative MinisterialratKarl August von Abel.

1838 München-Englischer Garten - Schwabing *In Erinnerung an Freiherr Reinhard von Wernecks "verdienstvolle Tätigkeit" als "Direktor des Englischen Gartens" veranlasst König Ludwig I. die Errichtung des "Werneck-Denkmals" auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe des Ostufers des "Kleinhesseloher Sees".

Seite 115/362 Architekt ist Leo von Klenze.

1839 Untergiesing *Die Urbarmachung der Isar in Untergiesing beginnt.

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Isar ein ungebändigter und wilder Gebirgsfluss, der im Süden der Stadt aus unzähligen, sich ständig verändernden Armen, Sümpfen und zum Teil bewachsenen Inseln besteht. Eine Besiedlung der ufernahen Bereiche ist aufgrund der Überschwemmungsgefahren unmöglich.

Gleichzeitig entstehen hier die ersten "städtischen Grünanlagen", nachdem "Baurat" Franz Carl Muffat die Sümpfe und Wasserarme der weitverzweigten Isar mit Bauschutt, Haus- und Straßenabfällen auffüllen lässt, um so nutzbares Land für die "Anpflanzung von Maulbeerbäumen" zu gewinnen.

Die bayerische Regierung verspricht sich von der Züchtung eigener Raupen die Unabhängigkeit von den teueren Seidenimporten. Zur Ernährung der Raupen sind aber die Blätter der "Maulbeerbäume" Grundvoraussetzung.

1839 München-Kreuzviertel * Der königliche Wunsch, "daß ein bedeutender Gasthof hieher komme", trifft bei Joseph Anton Ritter von Maffei auf offene Ohren. Er erwirbt für 163.400 Gulden zwei Anwesen an der Prannergasse und vier ihm benachbarte Häuser an der ehemaligen Kreuzgasse, darunter den Gasthof Goldener Bär.

Anschließend lässt er das Hotel zum Bayerischen Hofprojektieren und errichten.König Ludwig I. äußert für den Hotelbau einen ganz persönlichen Wunsch. Ausgerechnet der verantwortliche Bauherr der Ludwigstraßeund der Ruhmeshalle, der Glyptothekund der Pinakothekensowie zahlreicher anderer Bauwerke innerhalb und außerhalb Bayerns, hat in seiner Residenz kein adäquates Badezimmer, sodass er sich zwei Mal im Monat die Ehre gibt, im Hotel zum Bayerischen Hofsein Bad zu nehmen.

Schon aus diesem Grund besitzt die neue Nobelherberge das besondere Wohlwollen "Seiner Allerhöchsten Majestät", die dem Hotelbetrieb deshalb sogar das Führen des Bayerischen Staatswappensmit Löwen, Rauten und Krone erlaubt. Mit dieser Nobelherberge schafft Anton Ritter und Edler von Maffei einen Übernachtungsbetrieb, der - bis zum heutigen Tag - als erste Adresse Münchens gilt.

28. Dezember 1839 München-Kreuzviertel * Die Stände-Versammlungdauert vom 28. Dezember 1839 bis 15. April 1840. Die Reichsräteund die Abgeordnetenhaben sich nun auch mit dem politischen Kurswechsel in der ludovizianischen Innenpolitikdurch den konservativen InnenministerKarl August von Abel auseinanderzusetzen.

1840 München-Maxvorstadt - Schwabing * Friedrich von Gärtner beginnt im Auftrag König Ludwigs I. mit den Planungen zum "Siegestor".

Johann Martin von Wagner wird mit dem Skulpturenschmuck des "Siegestores" beauftragt.

Seite 116/362 1840 Untergiesing * Die Kultivierung des durch die Regulierung der Isar gewonnenen Landstreifens der rechten Isarseite beginnt mit der Pflanzung von Weiden.

Sie zieht sich aber lange Zeit hin, weil der Dammbau nur schleppend vorankommt.

1840 Fürth * Friedrich Bürklein beginnt den Bau des Rathauses in Fürth, das nach dem Vorbild des "Palazzo Vecchio" in Florenz ausgeführt wird.

1840 Großbritannien * In England wird eine "Postreform" durchgeführt, die ein einfaches und kundenfreundliches Tarifsystem beinhaltet.

Es basiert auf dem Grundsatz, dass die niedrig bemessene und nur nach Gewicht gestaffelte "Portogebühr" ohne Rücksicht auf die Entfernung erhoben wird und hofft, dass durch die preiswerte Briefbeförderung die Zahl der versandten Briefe und damit auch die Einnahmen steigen werden.

Dazu werden "Briefmarken" eingeführt.

1841 London * Eliza oder Betty James [= Lola Montez] befasst sich mit den damals modernen spanischen Tänzen und besucht einige Ausbildungsstunden bei einer Tanzlehrerin in London.

Seit dieser Zeit gibt sie sich als spanische Adelige mit dem exotischen Namen "Maria de los Dolores Porrys y Montez? aus.

Bald stellten sich die ersten Verehrer aus den besten Londoner Kreisen ein und schon erscheint ihr Name in allen Zeitungen. Damit beginnt der Karriere-Stern der "Donna Lola Montez vom Teatro Real, Sevilla? zu leuchten.

Das gebildete England begeistert sich seit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts an Spanien und den von dort stammenden Tänzen.

1841 Vorstadt Au - Giesing * Die Auer legen Beschwerde ein, da die "Irrenanstalt" ja innerhalb ihrer Grenzen liegt.

Die Giesinger Gemeindeverwaltung argumentiert damit, dass sich die aus der Au seit 1812 weder um die "Irrenanstalt", noch um die Straßen und Wege gekümmert haben. Außerdem beweist alleine schon der Name "Giesinger Irrenhaus" deren gemeindliche Zugehörigkeit.

Schließlich haben die Giesinger damit Erfolg.

Seite 117/362 25. September 1841 Wöllkauer Anhöhe bei Irschenberg * In der Nacht vom 25. zum 26. September 1841 zitieren etwa 100 Habererauf der Wöllkauer Anhöhebei Irschenberg den Pfarrer Ignaz Kalm zur mitternächtlichen Stunde heraus und lesen ihm beim Schein von Fackeln und Laternen aufgrund seines recht liederlichen Lebenswandelsdie Leviten.

Man wirft ihm unter anderem vor, dass "er sich mit Dirnen und Eheweibern abgebe, ja, daß er sich sogar soweit verfehlt habe, einer am Sterbebette befindlichen Weibsper•son die Schamteile zu berühren". Die Anschuldigungen führen dazu, dass der Pfarrer Ignaz Kalm "wegen seines äußerst unsittlichen und in der That höchst empörenden Wandels" des Amtes enthoben wird.

Die geistlichen Herrenrücken immer mehr in das Zentrum der Verfolgung, je mehr die Amtskirchemit der zunehmenden Kriminalisierung der Haberereine kritische Position gegenüber den Treibeneinnimmt.

14. November 1842 München-Kreuzviertel * Die nächste Stände-Versammlungdauertvom 14. November 1842 bis zum 30. August 1843. Sie ist zu Beginn überschattet vom Ausschlussmehrerer Abgeordneter, hauptsächlich aus der Pfalz.

Den Schwerpunkt der Verhandlungen bildetwiederholt die Frage der "Erübrigungen", deren Summe seit dem Jahr 1837 auf fast 30 Millionen Gulden angewachsen ist, und die der König ohne Beteiligung der Volksvertretungfür sich beanspruchen will.

Eingespart wurden diese Gelder zum größten Teil bei Infrastrukturmaßnahmen. Dabei war der Zustand der Straßen so katastrophal, dass man amüsiert feststellte, man könne bald nicht mehr zu den PrachtbautenLudwigs gelangen. Doch der öffentliche Straßenbau interessierte den König nicht, da ihm sonst nicht genügend Geld für "seine Sachen" bleibt.

Zudem wird bei der Verwaltung und den Bildungseinrichtungen gespart.Der Bildungsetat bleibt dreißig Jahre lang gleich und beträgtfür ganz Bayern nur ein Viertel der Zivillistefür das Königshaus.

Das Ergebnis der Stände-Versammlungist das sogenannte "Verfassungsverständnis", in dem der König seinen Anspruch auf die alleinige Verfügungsmacht über die "Erübrigungen" aufgeben muss. Das Parlamenterhält bei der Verwendung der Gelder ein Mitspracherechtund geht aus dieser Auseinandersetzung gestärkt hervor.

1843 Königreich Bayern * Die bayerische "Post" erzielt alleine aus Briefportoeinnahmen 868.220 Gulden Gewinn.

1844 Obergiesing * Der Pächter der Theres Feldmüller in Obergiesing setzt sich unter Hinterlassung von Schulden ab.

Vermutlich ist die Ökonomie wegen der fortdauernden Grundstücksverkäufe nicht mehr Gewinn bringend zu bewirtschaften. Die Strafanzeige erbringt nichts.

8. September 1844 München-Maxvorstadt * Die Ludwigskirche wird - nach 15-jähriger Bauzeit - durch Erzbischof Lothar Anselm von

Seite 118/362 Gebsattel eingeweiht. Der ursprüngliche Weihetermin war für den 25. August 1844 vorgesehen, konnte aber nicht eingehalten werden, weshalb weder der sich inzwischen auf einer Badereise befindliche König Ludwig I., noch der Architekt Friedrich von Gärtner und der Innenminister Karl August von Abel daran teilnehmen können.

1845 München-Englischer Garten - Hirschau* Da Joseph Anton von Maffei seine erste, im "Eisenwerk Hirschau" gefertigte Lokomotive immer noch nicht verkauft hat, greift er zur Feder und schreibt an König Ludwig I. folgende Zeilen:

"Es sind sechs Jahre, seitdem der "Münchner"zu bauen angefangen wurde. Die Durchschnittszahl der in dieser Fabrik allein seither Beschäftigten Arbeiter beläuft sich für ein Jahr auf 230. Jeder derselben, gering gerechnet, gebraucht zur Stillung seines Durstes des Tages drei Maaß Bier, was in sechs Jahren 1.511.100 Maaß betrug. Bekanntlich entrichtet die Maaß Bier beiläufig 1 Kreuzer ärarialischen Aufschlag, so entziffert sich an diesem einzigen Gefälle schon seither eine Staatseinnahme von ohngefähr 25.000 Gulden".

Daraufhin kauft die "Königliche Bayerische Staatsbahn" den "Münchner" für 24.000 Gulden und reiht ihn unter der "Nummer 25" in ihren Lokomotivenpark ein.

1845 England * Friedrich Engels veröffentlicht sein Werk "Über die Lage der arbeitenden Klasse in England", das ihn auch in Deutschland populär macht.

Darin schreibt er: "Die Teilung der Arbeit, die Benutzung der Wasser- und besonders der Dampfkraft und der Mechanismus der Maschinerie - das sind die drei großen Hebel, mit denen die Industrie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts daran arbeitete, die Welt aus ihren Fugen zu heben. [...]

Denn wie die neue Industrie erst dadurch bedeutend wurde, dass sie die Werkzeuge in Maschinen, die Werkstätten in Fabriken - und dadurch die arbeitende Mittelklasse in arbeitendes Proletariat, die bisherigen Großhändler in Fabrikanten verwandelte; wie also schon hier die kleine Mittelklasse verdrängt und die Bevölkerung auf den Gegensatz von Arbeitern und Kapitalisten reduziert wurde, so geschah dasselbe, außer auf dem Gebiet der Industrie im engeren Sinne, in den Handwerken und selbst im Handel. [...] Die wichtigste Frucht aber dieser industriellen Umwälzung ist das englische Proletariat".

1. Dezember 1845 München-Kreuzviertel * Die Stände-Versammlungwird für den 1. Dezember 1845 einberufen und tagt bis zum 24. Mai 1846. Die feierliche Eröffnung der Zusammenkunft der Volksvertreterfindet, wie bereits beim vorhergegangen Treffen des Jahres 1842, in der Residenzstatt. König Ludwig I. sucht das Ständehausin der Prannerstraße nicht mehr offiziell auf.

Neun Abgeordnete werden ausgeschlossen, darunter acht Protestanten. Nun kochtder Widerstand gegen die Konfessionspolitikdes InnenministersKarl August von Abel hoch. Die evangelischen Untertanenfühlen sich schon seit längerer Zeit zurückgesetzt und ungerecht behandelt.

12. Dezember 1845

Seite 119/362 München * König Ludwig I. muss den sogenanntenKniebeugeerlassvollständig zurücknehmen.

26. März 1846 Obergiesing * Theres Feldmüller verkauft ihr letztes Grundstück in Obergiesing und verlässt danach den Ort.

Sie hat innerhalb von sechs Jahren in der Entwicklung des Dorfes bleibende Spuren hinterlassen.

14. Oktober 1846 München-Graggenau * Die Solotänzerin Lola Montez tritt zum zweiten und gleichzeitig letzten Mal im Münchner Hof- und Nationaltheaterauf. Luise von Kobell schreibtüber den Auftritt:"Lola Montez stellte sich inmitten der Bühne, nicht im Trikot, mit dem üblich kurzen Ballettröckchen, sondern in spanischer Tracht, mit Seide und Spitzen angetan, da und dort schimmerte ein Diamant.

Sie blitzte mit ihren wunderbaren Augen und verbeugte sich wie eine Grazie vor dem König, der in seiner Loge saß.Dann tanzte sie Nationaltänze, wobei sie sich in den Hüften wiegte und bald diese, bald jene Haltung einnahm, voll unerreichter Schönheit. Solange sie tanzte, fesselte sie alle Zuschauer."

2. Dezember 1846 München * August Manostetter, der Anwaltder Lola Montez, stellt beim Magistrat der Stadt Münchenden Antrag auf Erwerbung des bayerischen Indigenates durch Naturalisation. Im Bewusstsein um die Brisanz des Antrags, verschleppt der Magistrat die Angelegenheit.

Die Regierung von Oberbayernlehnt die Einbürgerungab und begründet dies unter Berufung auf das Gesetz vom 1. Juli 1834 damit, dass "Frauenspersonen [...] nicht ansässig im Sinne des Gesetzes werden, wenn sie sich nicht gleichzeitig verehelichen oder wieder verehelichen". Gleichzeitig stellt man klar, dass Lola Montez weder einen Pass hat, noch sonst imstande ist, sich auszuweisen.

1. Januar 1847 München-Kreuzviertel * Dem InnenministerKarl August von Abel wird ein wichtiges Ressort entzogen, indem man ein eigenes Ministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheitenins Leben ruft. Zum zuständigen Ministerwird Karl Freiherr von Schreck ernannt.

11. Februar 1847 München * InnenministerKarl August von Abel soll das Indigenat[= Einbürgerung, Staatsangehörigkeit, Heimatrecht] für Lola Montez gegenzeichnen. Doch dieser versicherte sich der Solidarität seiner Justiz-, Finanz- und Kriegsminister-Kollegen und bittet in einem von ihm verfassten und gemeinsam unterzeichneten Memorandumum die "Entfernung der Unruhestifterin" oder um Amtsenthebung.

Der Inhalt des Memorandums, das Karl August von Abel in einem Akt mit der Aufschrift "Die unnennbare Weibsperson betr." aufbewahrt, wird in der Augsburger Allgemeinen Zeitungveröffentlicht.

16. Februar 1847 München * Die Veröffentlichung des Memorandumsvon Karl August von Abel in der Augsburger Allgemeinen

Seite 120/362 Zeitungverärgert den starrsinnigen König derart, dass er in seiner Empörung die vier aufsässigen Ministerentlässt. Für die Ultramontanenum Minister Karl August vonAbel kommen jetzt liberale Männer in Amt und Würden. Man spricht jetzt vom "Ministerium der Morgenröte".

Mit der Neubesetzung der Ministeriensteht der Ernennung der Señora Lola Montez zur Gräfin Maria von Landsfeld nichts mehr im Weg. Immerhin ist es den deutschen Landesfürsten seit dem Jahr 1806 möglich, selbst Adelsbriefeauszustellen. Auch König Ludwig I. macht von dieser Regelung regen Gebrauch und adelteseine Künstler reihenweise - bezahlt sie dafür aber schlecht.

19. Februar 1847 München-Maxvorstadt * Der UniversitätsprofessorErnst von Lasaulx fordert im Senat der Universität, dass man dem abgetretenen InnenministerKarl August von Abel für sein "mannhaftes Eintreten für die Sache des Rechts und der Moral" eine Dankaufwartungmachen sollte. Daraufhin wird ihm vonKönig Ludwig I. die Lehrerlaubnisentzogen.

28. Februar 1847 Karlsruhe * Im Karlsruher Hoftheaterbricht ein Feuer aus, das innerhalb von 28 Minuten gelöscht werden kann und deshalb "nur" 63 Menschenleben fordert.

4. August 1847 München * König Ludwig I. erteilt seinem "führenden Minister" Georg Ludwig Freiherr von Maurer den Auftrag, das "Adelsdiplom" für Lola Montez entsprechend dem üblichen Reglement gegenzuzeichnen.

Vorsorglich teilte ihm Ludwig mit: "Es ist keine Verfassungsverletzung das Grafendiplom zu unterzeichnen, für Adelsverleihungen braucht der König niemand zu vernehmen". Sollte er sich jedoch sträuben, droht der Bayernmonarch "einen anderen Ministerverweser zu benennen".

Gleichzeitig schreibt Ludwig I. seiner Geliebten: "An meinem Geburtstag mache ich mir selbst das Geschenk, Dir die Gräfinnen-Würde zu verleihen".

6. September 1847 München * Erst jetzt beauftragt König Ludwig I. seinen Staatsratund InnenministerFranz von Berks mit der Veröffentlichung der Ernennung Lola Montezzur Gräfin Landsfeld im Regierungsblatt. Dadurch gerät jetzt allerdings die Königin Therese in Rage.

30. November 1847 München-Kreuzviertel * Auch deshalb, weil sich die "Herren Minister" weigern, die Gräfin von Landsfeld zu gesellschaftlichen Veranstaltungen einzuladen, bildet König Ludwig I. - gleich nach Beendigung der Stände-Versammlung- das Kabinettum.

Ludwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein wird Minister des Königlichen Hauses und des Äußerensowie Minister des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten.

Seite 121/362 16. Dezember 1847 München * Die neuernannte Regierung versucht umgehend innenpolitisch die Wogen zu glätten und erreicht die "Aufhebung der Zensur für die inneren Angelegenheiten". Der Leitende MinisterLudwig zu Oettingen-Wallerstein sammelt inzwischen - natürlich ohne Wissen des Königs - Material für die "Entfernung der Lola Montez".

Das bedeutet allerdings, dass satirische Zeitschriften nun vermehrt Karikaturen von Lola und Ludwig veröffentlichen. Auch Schmähschriften kursieren in großer Menge. In der politischen Presse offenbart sich, dass die Person des Königs nicht mehr unantastbar erscheint und Ludwig I. den Staat nicht mehr unangefochten repräsentiert.

Um den 6. Januar 1848 München * Zu Beginn des Jahres 1848 herrscht eine positive Lage in München. In Geheimberichtenheißt es:

"Die Stimmung gegen die Frau Gräfin von Landsfeld ist gleichfalls von Seiten der Bürgerschaft gut zu nennen und wenn auch hie und da sich ein oder das andere bürgerliche Individuum beygehen lassen sollte, Resonements auszusprechen, so ist dies eine Folge von hochgestellten Personen, die in Gast- oder Kaffeehäusern Abends zusammen kommen und dort Gespräche führen, woraus sich Ressonements gegen die Frau Gräfin entnehmen lassen."

9. Februar 1848 München-Maxvorstadt * König Ludwig I. lässt wegen der öffentlichen Proteste der katholisch-konservativen Partei gegen die königliche "Mätressenwirtschaft" die "Universität" schließen und verfügt, dass alle Studenten umgehend München zu verlassen haben.

Als der der "Burschenschaft Alemannia" zugehörige Eduard Graf von Hirschberg am Odeonsplatz von anderen "Burschenschaftlern" bedrängt wird, zieht der Graf sein Messer und fuchtelt damit in der Luft herum. Dadurch eskaliert die Situation. Verletzt wird bei dieser Aktion jedenfalls niemand.

Lola Montez mischt sich unter die Schaulustigen und sieht sich sofort einer bedrohlichen Verfolgungsjagd ausgesetzt. Sie kann gerade noch vor der aufgebrachten Menge in die "Theatinerkirche" flüchten, wo sie von ausgerückten "Kürassieren" in die "Residenz" eskortiert werden muss.

König Ludwig I. tobt und lässt daraufhin umgehend die "Universität" bis zum "Wintersemester" schließen. Außerdem verfügt er, dass alle nicht aus München stammenden Studenten innerhalb von 48 Stunden die Stadt zu verlassen haben.

In München sind etwa 1.500 Studenten "immatrikuliert". Rund die Hälfte davon zieht vor das Haus des "Rektors" Friedrich Wilhelm von Thiersch, der die Betroffenen mit den Worten beruhigt: "Sagen Sie überall, Sie seyen arme Studenten aus München, die man aus der Stadt gewiesen, aus Gründen, die Sie vor aller Welt aussprechen dürfen".

10. Februar 1848 München * Der autokratische König Ludwig I. hält unbeirrt an seinem Vorhaben fest, der TänzerinLola Montez

Seite 122/362 das bayerische Indigenat[= Einbürgerung, Staatsangehörigkeit, Heimatrecht] zu übertragen. Er ist der rechtlichen Auffassung, dass er mit der Anhörung des Staatsratsder Verfassung Genüge getan habe.

Daraufhin fertigt er das Indigenathöchstpersönlich aus, indem er dem Protokoll des Staatsratsvom Vortag hinzufügt: "Den Staatsrat vernommend habend, erteile ich der Senora Lola Montez (Maria de los Dolores Porrys y Montez) das bayerische Indigenat hiemit und das tax- und siegelfrei und mit Beibehaltung ihres dermaligen Indigenats."

Um aber dem ganzen Vorgang Gesetzeskraft zu verleihen, mussder Minister des Königlichen Hauses und des Äußerendie Urkunde gegenzeichnen. Dieses Ansinnen lehnt Otto Graf von Bray-Steinburg ab und bittet gleichzeitig um seine Entlassung.Damit ist die ursprünglich rein private Beziehung des bayerischen Monarchen zu seiner Favoritin zu einer Staatsangelegenheitgeworden.

11. Februar 1848 München-Maxvorstadt - Schloss Blutenburg * Am Morgen belagert eine aufgebrachte Menge das Palais Montezin der Barer Straße. Die ersten Steine fliegen, ein Eingreifen des Militärs wird als aussichtslosangesehen. Der Bayerische InnenministerFranz von Berks meint sogar:"Die Position an der Barer Straße ist unhaltbar" und befürchtet, "die Gräfin könne eine Stunde nach dem Angriff eine Leiche sein."

Auch der Polizeidirektorwill für Lolas Sicherheit nicht mehr garantieren und erklärt ihr, sie müsse innerhalb einer Stunde die Stadt verlassen. Da bleibt nur die Flucht. Lola Montez entkommt in einer Kutsche, die sie im Eiltempo aus der Stadt bringt. Das Palaisder Gräfin von Landsfeld wird danach gestürmt - eine Verwüstung der Villa aber verhindert.

Lola Montez flieht - eskortiert und bewacht von einem Tross, den Graf von Arco-Steppberg anführt - über die Vorstadt Au nach Baiersbrunn. Dort verlassen sie ihre Bewacher. Nun begibt sie sich über Schleichwege über Großhesselohe nach Schloss Blutenburg. Der Wirt meldet das Versteck, weshalb die Polizei die sich auf der Flucht befindliche Gräfin von Landsfeld festnimmt, sie nach Pasing bringt und in den Zug nach Augsburg setzt.

Nach dem 1. März 1848 Deutschland * Innerhalb weniger Wochen greifen die revolutionären Vorgänge auch auf die übrigen Staaten des Deutschen Bundesüber. Ein wesentliches Ziel der Märzrevolutionist die Überwindung der Restaurationspolitik, die die Zeit seit dem Wiener Kongressgeprägt hat. Einer der bedeutendsten Verfechter der politischen Restauration ist der österreichische StaatskanzlerKlemens Wenzel Fürst von Metternich.

Die Politik der Restaurationwurde auf dem Wiener Kongressam 9. Juni 1815 von den meisten europäischen Staaten beschlossen. Sie sollte innenpolitisch und zwischenstaatlich die politischen Machtverhältnisse des Ancien Régimein Europa wiederherstellen, wie sie vor der Französischen Revolutionvon 1789 geherrscht hatten. Dies bedeutet die Vorherrschaft des Adelsund die Wiederherstellung seiner Privilegien.

Weiterhin sollte die napoléonische Neuordnung Europas, die mit dem Code civilauch bürgerliche Rechte etabliert hatte, rückgängig gemacht werden. Innenpolitisch wurden im Zuge der RestaurationForderungen nach liberalen Reformenoder nach nationaler Einigungunterdrückt, Zensurmaßnahmenverschärft und die Pressefreiheitstark eingeschränkt. Vor allem die studentischen Burschenschaftensind zu dieser Zeit die Träger der Forderung nach nationaler Einigungund demokratischen Bürgerrechten.

In manchen Ländern des Deutschen Bundeslenken die Fürsten rasch ein. Dort kommt es bald zur Errichtung von

Seite 123/362 liberalen "Märzministerien", die den Forderungen der Revolutionärenachkommen, durch Einrichtung von Schwurgerichten, der Abschaffung der Pressezensur,und der "Bauernbefreiung". Oft bleibt es jedoch bei bloßen Versprechungen.

2. März 1848 München * In München beginnt die "Märzrevolution" mit dem Sturm auf das Haus des MinistersFranz von Berks, einem Vertrauten König Ludwigs I., der mit Unterstützung von Lola Montez in die Position des Innenminister-Verwesersgehievt worden war und deshalb von den Münchnern als "Lola-Minister" oder "Huren-Minister" bezeichnet wird.

3. März 1848 München * In einem Forderungskatalog verlangen die Münchner Untertanenvom König:

Die Verabschiedung eines Gesetzes über Ministerverantwortlichkeit. Die Einführung voller Pressefreiheit und eines Pressegesetzes. Die Einführung öffentlicher Gerichtsverfahren. Die Unterstützung des Wunsches nach Schaffung einer Volksvertretung für den Frankfurter . Die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung. Die Verabschiedung eines neuen Polizeigesetzes. Die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes. Die Entlassung des Verwesers des Innenministeriums Berks.

DieResolutionliegt imRathausauf und"innerhalb von nur vier Stunden sollen bereits mehr als 10.000, bald gar 20.000 Unterschriften gesammelt worden sein". DerMagistratund zwei aus demBürgerstandausgewählte Vertrauensmänner überreichen dieResolution.

Noch am Abend verkündet der Leitende MinisterLudwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein, dass dieStändezur Prüfung derResolutionvorzeitig einberufen werden sollen.Als Termin wird der 31. Mai festgesetzt. König Ludwig I. kann und will die Forderungen der Bürger nicht akzeptieren, verspricht aber die Entlassung Berks. Außerdem soll die nächste Stände-Versammlungauf den 31. Mai 1848 vorverlegt werden.

Als die Münchner diese Forderungen aufstellen, hat Lola Montez das Königreich Bayernbereits seit drei Wochen in Richtung Schweiz verlassen. Es geht nicht mehr um die Affäre mit der Spanischen Tänzerin, es geht nur noch um das autokratische und neoabsolutistische Herrschaftssystem König Ludwigs I., das nicht mehr länger aufrechtzuerhalten ist.

13. März 1848 Wien * Die Forderungen des "Landtagsabgeordneten" Lajos Kossuth werden in Wien mit "Petitionen" unterstützt und im "Ständehaus" beraten.

Vor dem Gebäude demonstrieren Studenten, Bürger und Arbeiter, die den Rücktritt des verhassten "Staatskanzler" Klemens Wenzel von Metternich fordern. Metternich personifiziert für sie ein repressives, jegliche Freiheitsregung rücksichtslos verfolgendes System.

Seite 124/362 Die Stimmung eskaliert, als am Nachmittag das Militär die Demonstranten plötzlich mit Waffengewalt angreifen. Es beginnen Straßenkämpfe in der Innenstadt und in den Vorstädten, die mehrere Dutzend Opfer fordern.

18. März 1848 Berlin * In Berlin kommt es in der Nacht vom 18. auf den 19. März zu einem erbittert geführten Barrikadenkampf.

Vor dem Berliner Stadtschlosshat sich eine große Menschenmenge versammelt, um auf die Antwort des Königs auf die Märzforderungender Berliner Bürgerschaft zu warten.

Als während der Verlesung eines Patentsvon König Friedrich Wilhelm IV. zu den Reformen in Preußenauf der anfangs friedlichen Versammlung revolutionäre Parolen laut wurden, fallen zwei - angeblich versehentlich ausgelöste - Schüsse. Das ist das Signal für einen Barrikadenkampf.

Innerhalb von wenigen Stunden türmen sich im Zentrum von Berlin die Barrikadenauf. Das Militär geht mit großer Härte und Brutalität auch gegen Unbeteiligte in den Häusern vor. Dennoch kann sich das Militär nicht durchsetzen.

Als Bedingung für einen Waffenstillstandmuss der König am 19. März seine Truppen abziehen.

20. März 1848 München * König Ludwig I. dankt ab und übergibt die Bayerische Krone an seinen Sohn Maximilian II.. Sein Enkel Ludwig (II.) wird dadurch "Kronprinz".

Auch wenn sich Max II. nach Außen hin als Musterbild eines bürgernahen, konstitutionellen Staatsoberhauptes darstellt so plagt ihn zeitlebens die Furcht, dass ihm von seinem Volk ein ähnliches oder gar schlimmeres Schicksal bereitet werden könnte, wie seinem abgedankten Vater Ludwig I..

Die revolutionären Begleitumstände, die König Max II. auf den Thron verhalfen und seinen Vater vom selben stießen, haben den neuernannten Bayernherrscher geradezu traumatisch geprägt. Er fühlt sich, nachdem auch das Militär auf die Verfassung vereidigt worden ist, "schutzlos der Demokratie preisgegeben".

Doch nachdem sich die revolutionäre Situation wieder beruhigt hat, kann König Max II. seine politischen Visionen endlich in die Tat umsetzen.

Dazu gehören auch Maßnahmen zur Förderung einer bayerisch-monarchischen Gesinnung. Greifbare Formen nehmen das "Athenäum-Projekt? und der Bau des "Prachtboulevards" an.

22. März 1848 München-Kreuzviertel * Der sogenannte "Reform-Landtag" beginnt. Er wird bis zum bis 30. Mai 1848 dauern.

Diese "Stände-Versammlung" leistet wichtige Arbeit, verabschiedet in nur zwei Monaten 14 Gesetze, die der bayerischen Verfassung liberalere Züge verleihen.

Seite 125/362 29. Juni 1848 Frankfurt am Main * Die Nationalversammlungwählt den österreichischen ErzherzogJohann zum Reichsverweser.

Die Monarchistenstimmen zu, da er Fürstist, die Großdeutschen, da er Österreicherist, der Linkenist er genehm, weil er als volkstümlichgilt. Überhaupt ist ErzherzogJohann ein Gegner Metternichs gewesen.

Seine Popularität bei den Linkenbasiert auch auf seiner morganatischen Ehemit einer bürgerlichen Postmeisterstochter. Am 18. Februar 1829 hatte er die aus Aussee stammende Anna Plochl geheiratet und hinnehmen müssen, dass er von der Thronfolgeausgeschlossen wurde.

18. September 1848 Frankfurt am Main * In Deutschland kommt es zum sogenannten September-Aufstand. Dieser beginnt, nachdem sich eine Demonstration in Frankfurt zu einem Barrikadenkampfzwischen revolutionären Arbeitern, Bauern und Handwerkern einerseits und dem preußischen und österreichischen Militär auf der anderen Seite, auswächst.

Der Aufstand wird sehr schnell unterdrückt, da die Handwerker, Tagelöhner und Gesellen spontan und planlos vorgehen. Sie haben zwar an rund vierzig Stellen in der Stadt Barrikadenerrichtet, aber versäumt, wichtige militärische Zufahrtswege zu sperren und aus den Dörfern Unterstützung zu holen. Gegen Mitternacht ist der Aufstandniedergeschlagen. Bei den Kämpfen fallen dreißig Aufständischeund zwölf Soldaten.

Doch mit diesem September-Aufstandsind die revolutionären Veränderungen von Staat und Gesellschaftgescheitert. Den Demokratengeht es nur mehr um die Wahrung der Märzerrungenschaften.

26. Oktober 1848 Wien *Nach Ablauf des Ultimatumsgibt der Oberbefehlshaber aller österreichischen Truppen, Alfred Fürst zu Windischgrätz, den Befehl zum Kampf. Innerhalb von fünf Tagen nehmen seine Truppen die Stadt ein. Die Bilanz: über 2.000 Tote.

Zwei Wochen nach der Niederschlagung des Wiener Aufstandswerden 1.600 Personen verhaftet, davon 966 wieder entlassen.24 Todesurteile kommen zur Vollstreckung. Das prominenteste Opfer ist der Nationalversammlungs-AbgeordneteRobert Blum, der - trotz seiner Immunität- am 9. November 1848 standrechtlicherschossen wird.

15. Januar 1849 München-Kreuzviertel * Der neugewählte Landtag, es war der 13., tagt vom 15. Januar bis 7. März sowie vom 15. Mai bis 11. Juni 1849. Es ist der erste und bislang letzte Bayerische Landtagmit einer linkenMehrheit. Diese Mehrheit vertritt eine andere Auffassung als die Königliche Regierung.

69 Abgeordnete leisten ihren Verfassungseidnur mit dem Vorbehalt, dass sie durch diesen "an der Anerkennung der Gültigkeit der Reichsgesetze insbesondere der die Grundrechte betreffenden hiedurch nicht gehindert" sein

Seite 126/362 sollen.

Bei der ersten öffentlichen Sitzung der Abgeordnetenkammererklärt sich InnenministerHermann von Beisler bereit, "die Gesetzgebung Bayerns mit der des deutschen Reiches in Einklang zu setzen. In diesem Sinne werden Ihnen bezüglich der Grundrechte die entsprechenden Vorlagen gemacht werden."

8. März 1849 München-Kreuzviertel * Der Abgeordnetenkammerwird die Vorlage einer im Sinne der "Frankfurter Grundlage" geänderten Bayerischen Verfassungversprochen. Doch noch am gleichen Tag vertagt König Max II. den Landtagund bildet die Regierungum.

3. April 1849 Berlin - Frankfurt am Main * Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnt die ihm von der Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone ab. Die von Volksvertretern angebotene Krone besteht für Friedrich Wilhelm IV., der in seinem monarchischen Selbstbild vom traditionellen Gedanken des Gottesgnadentums ausgeht und die Idee der Volkssouveränität ablehnt, nur aus "Dreck und Letten". Ein "Kaiser von Volkes Gnaden" will er keinesfalls sein. Damit sind auch die Deutsche Einheit und die Reichsverfassung gescheitert.

Die Zurückweisung der Kaiserkrone durch den preußischen König liegt an dessen innerlichen Ablehnung der Frankfurter Reichsverfassung, weil diese von Demokraten und Liberalen beschlossen worden ist. Denn während der Revolutionszeit hat der Preußenkönig immer wieder seine Bereitschaft signalisiert, an die Spitze eines deutschen Bundesstaates zu treten. Er wünscht sich allerdings eine konservativere Verfassung und scheut sich vor dem Titel eines Kaisers.

Viel wichtiger ist ihm, die Zustimmung seiner Standesgenossen, der anderen deutschen Fürsten, zu erhalten.Bereits am 3. April 1849, als Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone des Frankfurter Parlaments ablehnt, lässt er die übrigen deutschen Staaten wissen, dass er an die Spitze eines deutschen Bundesstaates treten wolle, an dem diejenigen Staaten teilnehmen sollen, die dies wünschen.

11. Mai 1849 Baden * Der beginnende "Badische Maiaufstand" führt zur Flucht des Großherzogs Leopold von Baden am 13. Mai und zur Ausrufung der "Republik Baden".

Doch preußische Truppen rückten gegen Baden vor.

Ab dem 13. Juni 1849 Pfalz * Der Aufstand in der Pfalzwird ab dem 13. Juni mit preußischer Unterstützung niedergeschlagen. Nach den Unruhen in Schwaben und Franken, welche die Bürger aufgeschreckt und verunsichert haben, gewinnen die gemäßigten und konservativen Kräfte wieder die Oberhand.

1. Oktober 1849 München-Ludwigsvorstadt * Nach einer Bauzeit von 26 Monaten kann Friedrich Bürkleins Centralbahnhofder Öffentlichkeit übergeben werden. Der Architekt Friedrich Bürklein hat ein Zweckgebäude im sogenannten

Seite 127/362 Rundbogenstilkonzipiert, das Elemente der Romanik und der italienischen Renaissance verbindet.

Das der Stadt zugewandte Empfangsgebäudeerinnert mit seiner Fensterrosetteund der vorgelagerten Arkadenhallefast an die Bonifazkirche.Die den Mittelbau flankierenden, zweigeschossigen Seitenbauten dienen dem Billettverkauf, der Post und als Wohnungen für Beamte.

Die Einsteighallegilt als erstes großes Bauwerk der technisch-industriellen Ära in München, deren Kühnheit und Originalitätweithin gerühmt wird.Halbrundförmig, rund 110 Meter lang, 29 Meter breit und bis zu 20 Meter hoch, überspannte sie fünf Gleise.Doch es ist noch eine hölzerne Konstruktion, die kurz vor der dann aus Eisen erbauten Schrannenhalleausgeführt worden ist.Eine Fußbodenheizung erwärmt die Warte- und Restaurationsräumeauf 17,5 bis 20 Grad Celsius.

1. November 1849 München-Graggenau * Der königliche Postbeamteam Münchner Hauptpostamtgibt die erste deutsche Briefmarke, den "Schwarzen Einser", heraus. Erst einen Tag nach der Ausgabe der ersten Bayern-Markewerden die Münchner über die Neuerung im Intelligenzblattinformiert."Die Marken", so kann man lesen, "sind jedesmal von dem Absender auf der Adreßseite des Briefes etc. im oberen Eck links durch Befeuchten des auf denselben befindlichen Klebstoffes gut zu befestigen".

Geregelt werden in dem königlichen Erlassauch die Gebühren, Taxengenannt. Ein Brief innerhalb Münchens kostet einen Kreuzer ["Schwarzer Einser"]. Für Briefe, die nicht weiter als zwölf Meilen [knappe 20 Kilometer] verschickt werden, muss man drei Kreuzer berappen, sonst das Doppelte. Ein kleiner Preisvergleich: Für einen Kreuzer erhält man im Jahr 1849 ein Pfund Roggenbrot.Ein Pfund Schweinefleisch kostete zehn Mal soviel.

Die Herstellung des Spezialpapiers bereitet solche Probleme, dass die ersten bayerischen Briefmarkenvier Wochen später als ursprünglich vorgesehen in die Postämterkommen.Peter Hasenay, der im Hauptberuf Geldscheine zeichnet, muss nur drei Werte entwerfen: "1 Kreuzer schwarz", "3 Kreuzer blau" und "6 Kreuzer braunrot"; erst im darauffolgenden Jahr kommt noch eine weitere Marke hinzu: die "9 Kreuzer grün".

Zu dieser Zeit ist die erste Marke, der "Schwarze Einser", schon wieder aus dem Handel gezogen.Der Schwärze wegen, denn sie macht die Stempel unleserlich.Die General-Verwaltung der königl. Posten und Eisenbahnengibt eine neue, weniger schwarze Einser heraus.Von der ursprünglichen Marke werden rund 725.000 Stück verkauft.

9. November 1849 München * In einem Schreiben an seinen InnenministerTheodor von Zwehl kündigt König Max II. an: "Es ist von großer Wichtigkeit, auch in Bayern das Nationalgefühl des Volkes zu heben und zu kräftigen."

Mit diesem Programm will er die Monarchie in Bayern sichern. Ihm ist klar, dass fast die Hälfte seines Staatsgebiets und seiner Bevölkerung nicht das Geringste mit Bayern zu tun hatte.Die revolutionären Ereignisse haben gezeigt, dass besonders von Franken, das keinerlei geschichtlichen Bezug zu Bayern hatte, der stärkste Widerstand gegen die Monarchie ausging.

Durch die Förderung von Tracht, Brauchtum und Geschichte, durch Geschichtszyklen und dynastische Feste, durch Denkmäler, Nationalhymne und den Ausgleich der Religionen sowie durch gezielte Unterstützung aller konservativen, monarchiefreundlichen Institutionen und Vereinigungen, soll die gesamtbayerische Identitätsstiftung gesteuert werden.

Seite 128/362 All diese Maßnahmen schlagen sich nicht zuletzt auch in Fragen der Architektur nieder.Denn zum Ziel zur Förderung einer bayerisch-monarchischen Gesinnung zählen auch die Bemühungen des Bayernregenten um einen neuen Baustil, bei dem programmatisch gotische und bäuerliche Architekturformen, also letztlich "deutsche" und "bayerische" Elemente verschmolzen werden sollen.

Darüber hinaus verfolgt Max II. mit einem neuen, in Bayern erfundenen Baustil außenpolitische Ziele.

Er will damit für Bayern eine Vorrangstellung unter den deutschen Mittelstaaten erreichen und so das Land als dritte Kraft zwischen Preußen und Österreich etablieren und zumindest in der Architekturund im Städtebaueine führende Rolle einnehmen. Daneben hätte er mit der Erfindung eines neuen Baustils auch seinen Vater, den dominierenden Kunstkönig, in dessen ureigenstem Gebiet übertroffen.

1850 München-Maxvorstadt - Schwabing * Das "Siegestor" wird zwei Jahre nach der Abdankung König Ludwig I. fertiggestellt.

Es soll an die siegreichen Feldzüge der Jahre 1813 bis 1815 gegen Napoleon erinnern. Das "Siegestor" ist 411.000 Gulden teuer.

9. Oktober 1850 München-Theresienwiese * Bei strahlendem Sonnenschein kann die Bavariaenthüllt werden. Die Münchner Neuesten Nachrichtenbeschreiben das Ereignis wie folgt:"In ehrfurchtsvoller Haltung umstanden Tausend und Tausende den gefeierten König Ludwig, dem Momente harrend, der dessen großartige Schöpfung dem Volke vor Augen stellen sollte.

Ein Zeichen - und eine Bretterwand von circa 70 Fuß Höhe und 40 Fuß Breite stürzt in einem Stück unter dem Donner der Kanonen über den Berg, ein zweiter Wink, und die zu beiden Seiten derselben befindlichen Bretterwände stürzen weiters krachend zusammen und ,Bavaria?, das Sinnbild des bayer. Vaterlandes, stand vom schönsten Sonnenlichte beleuchtet vor den Augen der staunenden Volksmenge, welche in endlosen Jubelruf ausbrach."

Gegossen wurde die Bavariain der Königlichen Erzgießereiunter Ferdinand von Miller.Der Entwurf für die Statue stammt von Ludwig von Schwanthaler. Von der Sohle zum Scheitel misst die Bavaria 15,78 Meter, bis zum Kranz 18,1 Meter, und vom Sockel sind es gar 30 Meter. Es ist damals das größte erzene Standbild der Welt.Alleine das Erzgewicht beträgt 1.438,66 Zentner. Über 126 Stufen kann man der monumentalen Frau im Inneren bis in den Kopf steigen.

Um November 1850 München * Um zu einem neuen Baustil zu gelangen, veranlasst König Max II. eine öffentliche Ausschreibung für das "Athenäum"-Projekt.

Die "Kgl. Akademie der Bildenden Künste" verschickt dazu eine "Einladung zu einer Preisbewerbung die Anfertigung eines Bauplanes zu einer höheren Bildungs- und Unterrichtsanstalt betreffend" an insgesamt

Seite 129/362 einhundert Architekten in Deutschland, deren Beteiligung man gerne gesehen hätte. Zudem wird die Konkurrenz in Tageszeitungen und Fachzeitschriften angekündigt.

Das Wettbewerbsprogramm und die nachgereichten "Erläuternden Bemerkungen" stellen die Bewerber jedoch vor eine komplexe Aufgabe.

So soll durch die "Verschmelzung der Elemente und Eigentümlichkeiten" der Stilgattungen aller Epochen - unter Berücksichtigung der "altdeutschen" gotischen Baukunst ein "bis dahin noch nicht dagewesener Baustil" im Sinne eines "bayerischen Nationalstils" geschaffen werden.

Der Wunsch nach Verwendung des "Formenprinzips der altdeutschen, sogenannten gotischen Architektur" lassen aber den Architekturwettbewerb letztlich scheitern.

Um Dezember 1850 München * Der Architekt Georg Christian Friedrich Bürklein reicht - im Auftrag des Königs - einen "Stadtverschönerungsplan" ein.

Bürklein bringt auch den Gedanken des "Forums" ein, indem er die Straße mit der vom König gewünschten Parkanlage verbindet.

Die Anlage wäre allerdings wesentlich größer und parkähnlicher ausgefallen, als dies heute der Fall ist. Da sich aber ein großer Park mit der Verkehrsstraße nur schwer vereinbaren lässt und außerdem die Vororte jenseits der Isar vom Stadtbezirk eher ferngehalten worden wären, nimmt man Abstand von diesen Plänen.

Was bleibt ist die Verbindung der Straße mit der Grünanlage, eben das heutige "Forum", deren Platzmitte in den früheren Planungen mit vier Fontänen ausgestattet werden sollte.

Obwohl sich die Planungen für das Straßenprojekt noch über viele Jahre hinziehen, beginnt die praktische Umsetzung schon wesentlich früher.

1851 München-Englischer Garten - Hirschau * Maffei gewinnt mit seiner 72. Lokomotive, die ebenfalls auf den Namen "Bavaria" hört, den ersten Preis beim "Semmering-Wettbewerb" um die leistungsfähigste "Steilrampen-Lokomotive".

1. Juni 1852 München-Graggenau - München-Lehel * Der Architekt Georg Christian Friedrich Bürklein reicht - im Auftrag Königs Max II. - einen Stadtverschönerungsplanein.Bürklein bringt auch den Gedanken des Forumsin der heutigen Maximilanstraße ein, indem er die Straße mit der vom König gewünschten Parkanlage verbindet.Die Anlage wäre allerdings wesentlich größer und parkähnlicher ausgefallen, als dies heute der Fall ist.

Da sich aber ein großer Park mit der Verkehrsstraße nur schwer vereinbaren lässt und außerdem die Vororte jenseits der Isar vom Stadtbezirk eher ferngehalten worden wären, nimmt man Abstand von diesen Plänen.Was bleibt ist die Verbindung der Straße mit der Grünanlage, eben das heutige Forum, deren Platzmitte in den früheren Planungen mit vier Fontänen ausgestattet werden sollte.

Seite 130/362 Obwohl sich die Planungen für das Straßenprojekt noch über viele Jahre hinziehen, beginnt die praktische Umsetzung schon wesentlich früher.

25. September 1852 Vorstadt Au * Johann Valentin Fey beginnt beim Auer TapeziererKarl Falk in der Entenbachstraße 63 zu arbeiten.

2. Dezember 1852 Paris * Frankreichs Staatspräsident Charles Louis Napoleon Bonaparte lässt sich zum Kaiser der Franzosen ausrufen. Das war am ersten Jahrestag des Staatsstreichs und am selben Tag, als sich sein Onkel Napoleon Bonaparte im Jahr 1804 selbst zum erblichen Kaiser von Frankreich krönte.

Das bedeutet zusätzlich das Ende der im Jahr 1848 ausgerufenen Zweiten Republik und den Beginn des Zweiten Kaiserreichs. Fortan nennt er sich Napoleon III..

11. Dezember 1852 München * König Max II. schreibt an seinen Innenminister: "Ich will die gegenwärtige ruhige Zeit nicht ungenützt vorübergehen lassen, um [...] die Regierung der lähmenden und auf geradezu antimonarchische Grundlagen gebauten Gesetze zu entledigen, welche das Jahr 1848 förmlich oktoyiert hat."

1853 Haidhausen * Im "Kloster der Frauen vom guten Hirten" in Haidhausen gibt es 25 "Chorschwestern", 25 "Laienschwestern" und 4 "Pförtnerinnen".

1853 München * Joseph Anton von Maffei übernimmt den Vorsitz der "Aktiengesellschaft für die Dampfschiffahrt auf Inn und Donau".

1853 München - Starnberg * Der weitere Ausbau des Eisenbahn-Streckennetzes wird angegangen.

Ulrich Himbsel, der ehemalige "Baudirektor der München-Augsburger-Eisenbahngesellschaft", beginnt, trotz der anfänglich auftretenden Probleme mit der Finanzierung, mit dem Streckenbau zu dem "an Naturschönheiten so reichen Starnberger See".

Die Linie zweigt hinter Pasing nach Süden ab und erfreut sich beim "gebirgssinnigen Münchner Publikum" bald großer Beliebtheit.

1853 München-Angerviertel- Vorstadt-Au * Über Brathmanns Tochter Katharina gingt die "Singlspielerbrauerei" als Aussteuer in die Ehe mit dem Grünwalder Wirtssohn und Brauer Mathias Wild ein.

Der neue "Bräu" vervierfacht die Leistung des Betriebs innerhalb kürzester Zeit. Im Jahr 1853 erreicht er mit 3.481

Seite 131/362 versottenen Schäffel Malz seine Höchstleistung.

Februar 1853 Cincinnati * Lola Montez tritt in Cincinnati/Ohio auf.

1. Mai 1853 Cincinnati - Panama City * Lola Montez, die "pikante Abenteuerin", reist mit dem Schiff "Philadelphia" in Richtung Panama City ab.

18. Juli 1853 München-Graggenau - München-Lehel * Nachdem das königliche Einverständnis zur Erhöhung des Pflasterzolls, der Weinsteuerund des Malzzuschlagsvorliegt, beginnt die Stadt, unter Leitung des noch jungen Bauingenieurs beim Stadtbauamt,Arnold Zenetti, mit den Straßenbauarbeiten zur Maximilianstraße.

Die gewünschte Auffüllung der Bäche wird abgelehnt, da dies den wirtschaftlichen Ruin für den Münchner Osten bedeuten würde.Deshalb werden später viele Kellergeschosse aus den massiv gemauerten Bacheinfassungen hergestellt.

24. Juli 1853 München * OberstFranz Freiherr von Hörmann zu Hörbach legt einen Sicherheitsberichtfür München vor. Er trägt den Titel: "Erläuterungen zum Entwurfe der militärischen Dispositionen für die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit der Haupt- und Residenzstadt München behufs Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung." Es ist die Angst vor einer neuen Revolution, die König Max II. seine Armee auf einen Bürgerkriegvorbereiten lässt.Um verbindliche Vorschläge auszuarbeiten, gründet er eine Special-Commissorium.

Inhaltlich geht OberstHörmann von einem Bedrohungsszenario aus, wonach "der inländische Pöbel - durch auswärtiges Proletariat verstärkt - bei Tag und Nacht ohne Hindernis in die Stadt eindringen kann, theils um die größten Schätze des Staates und des Landes zu plündern, theils um die heillosen Umtriebe der machtlosen Umsturzpartei in Vollzug zu setzen". Freiherr von Hörmann fügt noch eine interessante Einteilung der Tumulte in vier Klassenbei.

Als Erste und harmloseste Klasse bezeichnete er darin "Tumulte ohne insurreaktionäre politische Tendenz", etwa die Studenten- und Handwerkertumulteoder die Münchner Bierkrawalle. Als nächste Kategorie folgen "Politische Tumulte durch demokratische Umtriebe der republikanisch gesinnten Umsturzpartei veranlaßt".Als Beispiel führt er die Märzrevolutionvon 1848 an. Als dritte Klasse bezeichnet er "Tumulte mit kommunistischer Tendenz".Der erzkonservative Oberstverschließt dabei aber keineswegs die Augen vor der bitteren Armut vieler Zeitgenossen und fordert zur Vorbeugung eine effektive staatliche Sozialpolitik. Die Letzte und zugleich gefährlichste Form der Unruhe klassifiziert der Militarist die "Tumulte durch Theuerung, Mißwachs und Hungersnoth veranlaßt".

Sein konkreter Vorschlag beinhaltet die Erhöhung der Zahl der Kasernen in der Innenstadt und weitere flankierende Maßnahmen, um die Hauptverteidigungspunktezu schützen. Dazu zählen unter anderem - neben der

Seite 132/362 Residenz- das Nationaltheater, das Postgebäude, die Münzeund derAlteHof.

1854 München-Untergiesing * Die "Untergiesinger Lederfabrik" spezialisiert sich auf feines, lackiertes Leder, das für die Innenausstattung von Kutschen, später von Automobilen und für die Schuh- und Bekleidungsindustrie benötigt wird.

Die Giesinger Lederfabrik produziert nicht nur für den deutschen Markt, sondern exportiert ihre auf verschiedenen Weltausstellungen prämierten Produkte in fast alle Länder der Welt. Zumindestens dort hin, wo es die Zollbestimmungen ermöglichen.

Februar 1854 München * Franz Lenbach kommt nach München und beginnt dort sein Studium in der "Zeichenklasse" von Professor Hiltensperger an der "Akademie der Bildenden Künste".

17. Mai 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen *Fünf Jahre dauern die Überlegungen des Kgl. Bay. Staatsministeriums des Inneren, bis die 25 Paragraphen zur Eingemeindung ausgearbeitet sind. Nun ist die Vereinigung Münchens mit der Au, Haidhausen und Giesing genehmigt.

"Seine Majestät der König haben die nachgesuchte Vereinigung der Gemeinde Au, Giesing und Haidhausen mit der Reichshaupt- und Residenzstadt München in Eine Gemeinde unter Erhebung jener drei Gemeinden zu Vorstädten von München [...] allergnädigst zu genehmigen geruht."

29. Juli 1854 München * Der 39-jährige Tagelöhner Peter Stopfer stirbt. Mit ihm beginnt offiziell die Statistik der Cholera-Todesopfer.

2. August 1854 München * Das Bayerische Innenministeriumberuft ein Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr, das sich bis Mitte Oktober wöchentlich zwei Mal treffen wird.

Beim ersten Zusammentreffen muss man seit dem 29. Juli weitere 22 Brechdurchfall-Erkrankungenzur Kenntnis nehmen, von denen zwölf mit dem Tod endeten.Aufgrund der Arztberichte bestätigt sich das Vorhandensein der Cholera.

Eine vorsichtige Information der Bevölkerung in der halbamtlichen Neuen Münchner Zeitungwird beauftragt.Mit den Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln hofft das "Komitee" auf keine weitere Verbreitung der Krankheit.

29. September 1854 München-Graggenau * Ein "Verein hiesiger Bürger" lädt für den 3. Oktober zu einem feierlichen Dankamtzur Mariensäule am Schrannenplatzein, "um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen". In dieser Einladung wird die Choleraschon für beendet erklärt.

Seite 133/362 1. Oktober 1854 München-Au - München-Untergiesing * Mit der Eingemeindung von Haidhausen, Giesing und der Au unterscheidet man eine Innere Birkenauund eine Äußere Birkenau. Die letztgenannte reicht von der eigentlichen Siedlung bis zur Entenbachstraße.

3. Oktober 1854 München-Graggenau * Aus Dankbarkeit für die Abwendung der Choleraversammeln sich "zahllos die Andächtigen jeden Standes, Geschlechts und Alters um die im schönsten Blumenschmuck prangende Mariensäule" am Schrannenplatz. Ein "Verein hiesiger Bürger" hatte dazu bereits am 29. September eingeladen, "um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen".

1856 München-Au - München-Isarvorstadt *Wegen des großen Erfolgs der "Schweiger-Theater" bei allen Bevölkerungsgruppen bittet "Hoftheaterintendant" Franz Dinglstedt das "Innenministerium", das "Interesse seines Hoftheaters" gegen die lästige Konkurrenz aus der Vorstadt zu schützen.

So kommt es zum "Aufführungsverbot klassischer Dramen".

14. Juni 1858 München-Lehel - München-Haidhausen * Die Feierlichkeiten zum 700-jährigen Bestehen Münchens beginnen mit einer Prozessionund der Grundsteinlegung der neuen Maximiliansbrücke.

August 1858 Zürich - Venedig - Paris - Karlsruhe * Richard Wagner trennt sich von seiner Frau Minna, verlässt Zürich und übersiedelt nach Venedig. Danach folgen Paris und Karlsruhe.

3. November 1858 München - Landshut * Auf den Vorarbeiten der staatlichen Eisenbahn-Commissionaufbauend, kann die Landshuter Linieeröffnet werden. Die Landshuter Alleeerinnert noch heute an die ursprüngliche Trassenführung.

1859 Geiselhöring - Passau - Regensburg * Ab dem "Verkehrsknotenpunkt Geiselhöring" wird auf zwei Strecken die "Ostbahn" weitergebaut.

Die eine Strecke führte nach Passau, die andere nach Regensburg, Amberg und Nürnberg. Mit einem Aufgebot von bis zu 17.000 Arbeiterinnen und Arbeitern wird das 453 Kilometer umfassende Grundnetz der "Bayerischen Ostbahnen" fertiggestellt werden.

Paul Camille von Denis schafft das in einer fünfeinhalbjährigen Bauzeit.

Der "Direktor der Ostbahngesellschaft" unterschreitet damit nicht nur die zeitliche Vorgabe der staatlichen

Seite 134/362 "Eisenbahn-Commission", die dafür eine Bauzeit von sieben Jahren vorgesehen hatte, sondern auch die Baukosten gegenüber dem Voranschlag von 46,5 Millionen Gulden um 12,8 Millionen Gulden. Das sind nahezu dreißig Prozent.

Damit ist Paul Camille von Denis, dem "Altmeister des Eisenbahnbaus", die allgemeine Anerkennung sicher.

In Zeitungsartikeln halten sich die Zeitgenossen mit ihrer Bewunderung für diese Leistung nicht zurück: "Der Erfahrungssatz, der leider bei uns in Deutschland viel zu wenig bekannt oder anerkannt scheint - ?Zeit ist Geld? -, spricht sich in allen Anordnungen der Ostbahn-Direction aus".

21. November 1859 München-Au * Die Kreisirrenanstalt für Oberbayernwird eröffnet. Das neue Nervenkrankenhauses liegt bei ihrer Errichtung in einem völlig unbebauten Gebiet zwischen der Rosenheimer- und der Auerfeldstraße. Unter der Leitung desObermedizinalratsDr. Bernhard von Gudden gilt die Einrichtung als Musteranstalt.

Der quadratische Gebäudekomplex hat vier Höfe. Die Länge der Flügelbauten betragen hundert Meter. Im Südflügel sind die Verwaltungsräume, in der Mittelachse die Küche, die Anstaltskapelle mit Werkstätten ist im Erdgeschoss, ebenso eine Turnhalle mit dem zentralen Bad und den Beschäftigungsräumen.

In den beiden südlichen, nur auf drei Seiten geschlossenen Höfen sind die "ruhigen Irren", in den beiden nördlichen geschlossenen Höfen die "unruhigen Kranken" untergebracht. Die Zimmer der "ruhigen" Patienten liegen außen. Die Räume der "unruhigen" Kranken sind genau umgekehrt angeordnet.

Nur die Fenster und Türen im Erdgeschoss haben Gitter und da sie die Form der rundbogigen Fenster aufnehmen, bleiben sie relativ unauffällig. Die Anlage um die vier Höfe entspricht den zeitgemäßen Forderungen nach Trennung der Patienten nach Geschlechtern und der Schwere ihrer Erkrankung. Eine Trennung nach Klassen ist nicht vorgesehen.

Die Beschäftigten der Kreisirrenanstaltfinden allerdings keine mustergültigen Arbeitsbedingungen vor. Das Pflegepersonal untersteht der Gesindeordnung.Es gibt weder eine Pflegequote, noch Urlaubsregelungen oder eine Altersversorgung für die Pflegekräfte. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt einhundert Stunden und mehr. Der Dienst beginnt um 5:00 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Selbst verheiratete Pfleger müssen in der Anstalt schlafen und dürfen nur einen Nachmittag pro Woche bei ihren Familien verbringen.

Durch das rapide Bevölkerungswachstum der Stadt - München wächst vom Jahr 1854 von 100.000 Einwohnern auf fast 500.000 im Jahr 1900 - kommt es in der Kreis-Irrenanstaltzu einer über fünfzigprozentigen Überbelegung und wird unter diesen Umständen den Bedürfnissen nicht mehr gerecht.

1860 München-Isarvorstadt * Die Bautätigkeit für das "Gärtnerplatz-Viertel" - als ein planmäßig angelegtes typisches Mietshaus-Quartier - beginnen.

Seite 135/362 3. September 1860 München-Englischer Garten - Hirschau * Das Eisenwerk Hirschauvon Joseph Anton von Maffei liefert den von ihr gefertigten eisernen Dachstuhl für die Befreiungshallebei Kehlheim und beginnt vor Ort mit den Arbeiten. Innerhalb von 14 Tagen ist die Bedachungdes kolossalen Gebäudes vollendet.

4. März 1861 München-Haidhausen - Ramersdorf * Mit einer Entschließung des Staatsministerium des Innerenund des Justizministeriumssoll das Gebiet Auf der Ramersdorfer Lüftenund jenes am Kuislkünftig

von der Gemeinde Ramersdorf abgetrennt, mit der Vorstadt Haidhausenvereinigt und in den Münchner Burgfrieden aufgenommen werden.

16. Juni 1861 München * Der bürgerliche LohnkutscherMichael Zechmeister will "einem längst gefühlten Bedürfnisse unserer Residenzstadt" abhelfen und richtet einen privaten "fahrplanmäßigen Stellwagenverkehr" ein. Seine drei Groschenwagenfahren fünfmal täglich die Strecke Centralbahnhof - Marienplatz - Tal - Lilienstraße - Mariahilfplatz.

Doch auch wenn Michael Zechmeister mit seinem Stadtomnibuserstmals die innerstädtische Beförderung einer größeren Menschenmenge ermöglicht, so ist die Nachfrage nach dieser Dienstleistung noch sehr gering. Das liegt auch an der Durchschnittsgeschwindigkeit der Pferde-Omnibus-Linie, die nur wenig über der eines Fußgängers liegt und deshalb mehr der Bequemlichkeit und weniger dem schnelleren Vorwärtskommen dient.

Hinzu kommen die hohen Fahrpreise, die sich nur gut situierte Fahrgäste leisten können.Sie liegen bei sechs Kreuzern und sind damit doppelt so teuer wie ein Brot. Damit scheidet die Unterschichtals Kundschaft aus. Die zahlungskräftige Oberschichtlässt sich aber von Fiakernoder in eigenen Equipagenkutschieren.

Um September 1861 München - New York * Der aus New York stammende "Zivil-Ingenieur" S. A. Beer sucht in München um eine "Konzession für eine Pferdebahn" nach.

Doch der Münchner "Magistrat" lässt den Amerikaner abblitzen, weil die Sache für ihn zu wenig erprobt und er München schlichtweg für zu klein hält.

Tatsächlich besteht München damals lediglich aus der Innenstadt, der zum ehemaligen "Burgfrieden" gehörenden "Anna-Vorstadt", der "Maxvorstadt", der "Ludwigsvorstadt", der "Isarvorstadt" und den seit dem 1. Oktober 1854 eingemeindeten Vorstädten "Haidhausen", "Au" und "Giesing".

Durch die Eingemeindung hat sich das Stadtgebiet Münchens zwar verdoppelt. Doch dieses Stadtgebiet entspricht mit seinen rund 3.200 Hektar gerade einmal zehn Prozent der heutigen Stadtfläche, die damals von 130.222 Menschen bewohnt wird.

Seite 136/362 Außerdem, so lautet ein weiteres Argument des "Stadt-Magistrats", hat ja der "bürgerliche Lohnkutscher" Michael Zechmeister gerade einen privaten "Stellwagenverkehr" eingerichtet, der seine drei "Groschenwagen" fünfmal täglich die Strecke "Centralbahnhof - Marienplatz - Tal - Lilienstraße - Mariahilfplatz" anfahren lässt.

Ab 1862 München-Graggenau * Der Bildhauer Konrad Knoll beginnt mit der Erneuerung des "Fischbrunnens".

Die Arbeiten dauern bis 1865 an.

1862 München * Carl Kern beschreibt in seinem Buch "Oberbayerisches Sittenbild: Die Haberfeldtreiber" das Sexualleben auf dem Land als "durchaus nicht nach den Ansprüchen einer sittlichen Warte geartet".

Anders gesagt: "Wer eine hohe Idee von Sitteneinfalt und Sittenreinheit nach dem Oberlande mitbrächte, würde sich getäuscht finden. Die Geschlechter genießen einer zügellosen Freiheit im gegenseitigen Umgang, und das Kammerfenstern hat sich zur bedauerlichen Berechtigung verholfen.

Dass ein Brautpaar eine Familie von vier und fünf Kindern mit an den Traualtar bringt, ist weder eine Seltenheit, noch eine Schande. Sind die Leute aber verheiratet, dann tritt Ordnung und Mäßigung an ihren Sinn auf das Erwerben".

Und weiter: "Weit häufiger als in den Städten sieht man auf dem Lande die ungleichartigsten Paare zusammengekoppelt, den 60-jährigen Greis mit dem 20-jährigen Weibe, oder die 50-jährige Frau mit dem 25-jährigen Manne, ohne dass diese Ehen zu solchen schauderhaften Experimenten werden, wie in den Städten".

Ab 1862 Nordamerika - Kanada * Der "Westernheld" William Frederick Cody, besser bekannt unter seinem Pseudonym "Buffalo Bill", ist ein ehemaliger Offizier der amerikanischen Nordstaaten, der als "Militärkundschafter und Fährtensucher" im Rang eines "Colonels" steht.

Seinen Namen macht er sich in den "Indianerkriegen" der Jahre 1862 bis 1872, wo er als gefürchteter Kämpfer seine Opfern - nach Indianer-Vorbild - sogar eigenhändig skalpiert. Zusätzlich ist der "exzentrische Abenteurer" und "Glücksritter" auch als "Expreß-Pony-Reiter" unterwegs und verdient sein Geld mit der "Büffeljagd" in Nordamerika und Kanada.

Für ein Gehalt von monatlich 500 Dollar dezimiert der hoch verschuldete "Buffalo Bill" im Auftrag der amerikanischen Eisenbahngesellschaften in kürzester Zeit ganze Büffelherden. Aus übelster Profitgier ist der "Offizier" zum brutalen Massenschlächter geworden, der innerhalb von eineinhalb Jahren 4.280 Büffel zur Strecke bringt.

1863 München * Die Ernennung zum "Adeligen lebenslänglichen Reichsrat der ersten Kammer des Landtags" durch König Max II. ist der Höhepunkt der politischen Karriere von Joseph Anton von Maffei.

Damit gehört er dem höchsten bayerischen Gremium an und sitzt an der Spitze der Entscheidungsträger.

Seite 137/362 Dieses politische Engagement verschafft dem Geschäftsmann und dem gesamten "Geldadel" seiner Zeit einen massiven Informationsvorsprung.

Mit diesem Insider-Wissen ist es vergleichsweise einfach, sein Geld in gewinnbringende Projekte und Immobiliengeschäfte zu investieren. Von der "Karmelitenbrauerei" in Regensburg über das "Gut Weichs" bei Ohlstadt zu einer "Villa in Feldafing" und einem weiteren Großanwesen in der Nähe von Iffeldorf, das "Gut Staltach".

September 1863 München * Mit Professor Karl von Pilotys Befürwortung kann Eduard Theodor Grützner ein Kunststudium in München beginnen.

Um den 10. Oktober 1863 München-Kreuzviertel * Der Bayerische Landtaggenehmigt die für die Stadtviertel des Münchner Ostens so wichtig werdende Eisenbahnstrecke über Mühldorf zur österreichischen Landesgrenze.Zeitgleich bewilligt er 15,4 Millionen Gulden für den Bau der Linie. Die genaue Streckenführung ist zu diesem Zeitpunkt allerdings an mindestens zwei Stellen noch offen.

Einmal, weil auf österreichischer Seite die rund fünfzig Kilometer lange Teilstrecke von der Grenze in Richtung Linz nicht von der Eisenbahnverwaltung, sondern von einem privaten Konsortium aus Großgrundbesitzern, Unternehmern und Bankiers finanziert wird und sich als Alternativen der Grenzübergang bei Braunau oder das vierzig Kilometer innabwärts gelegene Schärding anbieten. Von einem dieser Grenzübergänge soll die Eisenbahn das oberösterreichische Neumarkt und darüber hinaus Linz erreichen. Die zweite ungeklärte Streckenführung war gleich am Beginn der Bahnlinie.

Die Generaldirektion der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen- als zuständige Planungsbehörde - will jedenfalls die Strecke unmittelbar nach der Großhesseloher Brücke- der seit dem Jahr 1858 bestehenden Hauptverkehrsstrecke München - Holzkirchen - Rosenheim - Salzburg- abzweigen lassen.In einem weiten Bogen soll die Bahntrasse dann durch den Perlacher Forst, weiter über das Obergiesinger Feld, südlich an Haidhausen vorbeiführend das Stadtgebiet in östlicher Richtung verlassen.So jedenfalls sieht die grobe Planung lange Zeit aus.

Nun ist aber in Obergiesing, östlich der Tegernseer Landstraße, ein großes Neubaugebietgeplant.Und um zu verhindern, dass die Bahnverwaltung baureife oder möglicherweise schon bebaute Grundstücke teuer erwerben muss, verweigert das Ministerium des Inneren, das bei allen Bauvorhaben in der Haupt- und Residenzstadt ein Planungs- und Einspruchsrecht besitzt, ihre Zustimmung zum Wohnungsbau so lange, bis eine detaillierte Bahnplanung vorliegt.Erst danach will das Innenministeriumden künftigen Baulinien zustimmen.

März 1864 Augsburg * Eine Gruppe Augsburger Arbeiter tritt dem 1863 in Leipzig gegründeten "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein - ADAV" bei.

Seite 138/362 Damit beginnt in Bayern die Geschichte der "Sozialdemokratie", denn der "ADAV" ist die erste selbstständige deutsche Arbeiterpartei.

22. Juli 1864 München * Nur elf Tage nach der Geschäftseröffnung desKonsumvereins von 1864ist die Zahl der Mitglieder auf 400 gestiegen.

"Sie [die Konsumvereine] sind daher geradeso für die Reichen wie für die Unbemittelten. Jene ziehen aus ihnen, weil sie am meisten verbrauchen, verhältnismäßig den größten Gewinn, während wieder die Unbemittelten dadurch, daß sie einem Verein mit großen Warenumsatz angehören, die Waren für den möglichst billigen Preis bekommen, also auch bei kleinen und kleinstem Bedarf die höchst möglichen Ersparnisse bei bester Qualität der Waren machen".

7. Oktober 1864 München * König Ludwig II. vereinbart mit Richard Wagner die Vollendung und Aufführung des "Ring des Nibelungen" innerhalb der nächsten drei Jahre.

29. Dezember 1864 München-Graggenau * König Ludwig II. empfängt den ArchitektenGottfried Semper und gibt ihm einen mündlichen Planungsauftrag für ein neues Opern- und Festspielhaus. Man fasst ein Terrain südlich des seit dem Jahr 1857 im Bau begriffenen Maximilianeumsins Auge.

Da Richard Wagner aber keine sechs Jahre bis zur Fertigstellung des neuen Theaters warten will, überredet er den König, für die Zwischenzeit noch ein provisorisches, hölzernes Theater im Glaspalastzu errichten, um - so die Begründung - nach Abschluss des "Nibelungen Rings" im Sommer 1867 sofort mit den Aufführungen beginnen zu können.

Doch damit wäredie Nutzung des Glaspalastesals Ausstellungsort massiv eingeschränkt worden, weshalb nun zusätzliche Gegner des Projekts auf den Plan treten.

10. Juni 1865 München-Graggenau * Im Hof- und Nationaltheaterwird Richard Wagners "Tristan und Isolde" uraufgeführt.Auch hier führt Hans von Bülow den Dirigentenstab.Die Oper ist ein weiterer Höhepunkt im Leben des Komponisten.

Die Frankfurter Rundschauschreibt darüber:"Das schönste und erhabenste Werk, welches die Welt besitzt". Dagegen meintDer Volksbote, eine bayerische Provinzzeitung:"Musik ein Tollsinn, Text ein Unsinn, das Ganze ein Irrsinn". Doch der Märchenkönigistwieder einmal begeistert.

Wegen der "Schweinehunde-Affäre" und den deshalb befürchteten Ausschreitungen befindet sich die Polizei im Zuschauerraum.

Um Oktober 1865 München - München-Obergiesing * Nachdem noch immer keine endgültige Bahntrassenführung durch Obergiesing feststeht, teilt das "Innenministerium" dem für den Eisenbahnbau zuständigen "Handelsministerium"

Seite 139/362 mit, dass sich die Erschließung und Bebauung des "Neubaugebiets"nicht länger verzögern lässt.

Um den 10. November 1865 München-Untergiesing * Nur wenige Monate vor dem Ende des dreijährigen österreichischen Verhandlungsmarathons, legt sich die Generaldirektion der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnenauf einen anderen Streckenverlauf fest.

Nach diesem sollte, um den Umweg über die Großhesseloher Brückezu umgehen, bereits in Friedenheim eine Trasse von der Hauptstrecke München - Augsburgabzweigen und über Untersendling und einer neu zu erbauenden Isarbrücke nach Untergiesing und von dort weiter nach Haidhausen führen.

Diese Streckenführung ist gar nicht so revolutionär, da schon bei der Projektierung der Strecke München - Salzburgin der 1850er-Jahren dieser Verlauf zum Teil angedacht worden war. Allerdings würde die neue Bahntrasse doppelt so teuer wie die ursprüngliche sein.

Die Planer können aber darstellen, dass die Bahnstrecke zehn Kilometer kürzer ist und außerdem weniger Steigungen überwinden muss.Dadurch entsteht nicht nur eine enorme Zeitersparnis, sondern gleichzeitig ein beträchtlich verringerter Energieverbrauch. Den Mehraufwand für die neue Brücke von 800.000 Gulden kann man in Kauf nehmen, da sich die erhöhten Baukosten bereits innerhalb weniger Jahre wieder amortisieren.

25. Januar 1866 Dresden * Richard Wagners Ehefrau Minna stirbt in Dresden.

Ab Februar 1866 München-Graggenau * König Ludwig II. lässt nach seiner Verlobung mit Herzogin Sophie Charlotte in Bayern die Unteren Hofgartenzimmerin der Residenzfür die künftige Königin reicher ausgestalten. Zusätzlich dazu lässt er eine Wendeltreppe, die von seinem Arbeitszimmerdirekt in das künftige Königinnen-Appartementführt, anlegen.

Um den März 1866 Wien - Braunau * Das österreichische Eisenbahn-Konsortiumeinigt sich auf den Übergangspunkt bei Braunau am Inn.

23. Juni 1866 Berlin - Prag * Mit dem Einmarsch der Preußen in das habsburgische Königreich Böhmen beginnt der Deutsche Krieg. Preußen hat bereits vor Kriegsbeginn den Bundesvertrag des Deutschen Bundesfür nichtig erklärt und schert aus der anno 1815 in Wien beschlossenen Friedensordnungaus.

Preußen führt also keinen Krieg gegen Österreich, sondern gegen ganz Deutschland. Die auf österreichischer Seite stehenden süddeutschen Bundestruppentragen deshalb auch schwarz-rot-goldeneArmbinden, als sie gegen die in Schwarz-Weißantretenden Preußen kämpfen.

September 1866 München * Die Vermessungsarbeiten, um den genauen Verlauf der Bahnstrecke nach Braunau am Inn

Seite 140/362 festzulegen, beginnen. Die angedachte Trasse soll südlich von Untergiesing durch die Isarauen verlaufen, dann die Hangkante auf der Höhe des späteren Stadions an der Grünwalder Straßedurchschneiden und östlich von Obergiesing durch die Hochau nach Haidhausen führen. Damit wären die drei Stadtviertel des Münchner Ostens direkt an die Eisenbahnangebunden.

Als nächste Entscheidung steht die Standortwahl für den nach dem Zentralbahnhofzweiten großen Staatsbahnhofauf der Tagesordnung. Für das betroffene Stadtviertel hätte das weitreichende Folgen auf die wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Entwicklungen, denn es geht bei dieser Entscheidung immerhin um die Drehscheibe für den künftigen Güter- und Personenverkehr im Münchner Osten.

Um Oktober 1866 München-Haidhausen - München-Giesing - München-Au * Nachdem Einzelheiten über den Streckenverlauf und den Bahnhofsstandort der Eisenbahnstrecke nach Braunau am Inn durchgesickert sind, gründen sechs Haidhauser Unternehmer und Geschäftsleute ein Komitee. Nach den Planungen der Eisenbahn-Generaldirektionsoll der künftige Ostbahnhofan der heutigen Regerstraße, auf damals Giesinger Gebiet, entstehen. Dieser Standort gilt als ideal, da er

von den Zentren der drei Stadtviertel Au, Giesing und Haidhausen nahezu gleich weit entfernt ist und einer möglichen Erweiterung des Bahnhofs sowie der Ansiedelung von Industrie- und Gewerbebetrieben nichts im Wege steht.

Das Haidhauser Komiteespricht sich gegen den Bahnhofsstandort in Giesing und für einen solchen in Haidhausen - nahe dem heutigen Rosenheimer Platz - aus. Der Vorsitzende des Haidhauser Komiteesist der Besitzer der Franziskaner-Leistbrauerei, Joseph Sedlmayr. Nach Auffassung der Haidhauser Unternehmer spricht für den Standort Haidhausen, dass

der Hauptpersonen- und Hauptgüterverkehr schon immer über diesen Ort lief und demzufolge alle verkehrstechnischen Infrastruktureinrichtungen vorhanden sind. Die "gefährliche Verkehrsanbindung" über den steilen und nicht regulierten Giesinger Bergund dem gleich abschüssigen Nockherbergsprechen gegen Giesing. Hinzu kommen die fehlenden Brückenverbindungen für die Pferdefuhrwerke.

Der Münchner Magistratund das Kollegium der Gemeindebevollmächtigtenschließen sich umgehend den Forderungen der Haidhauser an. Doch das für den Eisenbahnbau in Bayern zuständige Handelsministeriumsteht den Vorschlägen völlig konträr gegenüber, da nach seiner Auffassung der zweite Bahnhof höchstens ein kleiner Nebenbahnhof werden soll, an dem nur wenige Züge halten.

1. Oktober 1866 München * Die von Richard Wagner konzipierte Deutsche Musikschulewird eröffnet. Rund 75 Schülerinnen und Schüler werden unter der Leitung von Karl von Perfall, dem späteren Intendanten des Hof- und Nationaltheaters, Hans von Bülow als Künstlerischem Direktor, sowie Peter Cornelius als Lehrer für Harmonie und Rhetorikausgebildet.

Seite 141/362 Ab 1867 München-Untergiesing - München-Isarvorstadt *Die Arbeiten an der Braunauer Eisenbahnbrücke, die einen Bestandteil der neuen Eisenbahntrasse von München nach Simbach/Braunau am Inndarstellt, dauern bis 1870 an.

Nach vorhergehenden Probebohrungen wird mit den Fundamentierungsarbeiten der vier Brückenpfeiler begonnen. Für die beiden inneren Pfeiler sind dafür aufwändige Arbeiten auszuführen. Im Gegensatz dazu werden die beiden äußeren Pfeiler durch die sie umgebenden Hochwasserdämme stabilisiert.

Mit sogenannten Lokomobilen, das sind auf Schienen bewegbare Dampfmaschinen, können Bagger, Förderbänder sowie Pumpen betrieben und über einen DynamoStrom erzeugt werden. So eine Lokomobileleistet sechs PS. Um sie aufzubauen oder zu versetzen und zur Montage der Baggermaschine sind acht Arbeiter zehn Tage beschäftigt.

Die Bedienungsmannschaft der "Lokomobile" setzt sich aus dem "Baggerführer", dem "Führer der Lokomobile" und vier weiteren Arbeitern zusammen.

Die elektrischen "Lichtbogenlampen" kommen zum Einsatz, nachdem die Spundwände für die Pfeiler gesetzt und mit den Betonierungsarbeiten begonnen worden ist. Um diese Arbeiten zügig fertig zu stellen, arbeiten die Brückenbauer bis spät in die Nacht hinein. Der riesige, schwenkbare Scheinwerfer ist dazu auf einem zwölf Meter hohen Holzturm angebracht. Die ursprünglich ausschließlich für militärische Zwecke - von der "Telegraphenbau-Anstalt Siemens & Halske" entwickelte Beleuchtungsanlage kommt beim Bau der "Braunauer Eisenbahnbrücke" erstmals im zivilen Bereich zum Einsatz. Nachdem die Fundamente errichtet worden sind, baute die aus Nürnberg stammende Eisenbaufirma "Cramer-Klett", von der schon die "Großhesseloher Brücke" stammt, auch diese Brücke. Nun überspannen zwei unabhängig voneinander parallel verlaufende Fachwerkträgerkonstruktionen mit drei gleichen Öffnungen auf 150 Meter das Isarbett. Die sieben Meter hohen Eisenfeldträger können rationell in Serienproduktion hergestellt werden und werden anschließend an den Stößen vernietet.

Der hölzerne Werksteg wird nach Beendigung der Bauarbeiten abgebaut und circa siebenhundert Meter isarabwärts - in der Höhe der heutigen "Wittelsbacher Brücke" wieder montiert. Er diente bis zur Fertigstellung dieser für Giesing so wichtigen Verkehrsanbindung - im Jahr 1875 - als provisorischer Flussübergang. Er darf bis dahin jedoch nur von Fußgängern benutzt werden.

1867 München *Der inzwischen zum "Oberingenieur" ernannte Arnold Zenetti übernimmt als "Baurat" die Leitung des "Stadtbauamts".

Nun besteht für ihn die Möglichkeit, einmal gefasste Ideen und Bauvorhaben in die Tat umzusetzen.

Max von Pettenkofers leidenschaftliche Forderungen und Vorschläge, München endlich zur colera- und typhusfreien Stadt zu machen, fallen bei Arnold Zenetti auf fruchtbaren Boden und finden in ihm einen energischen Unterstützer. Es beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Männer, zu denen sich ab dem Jahr 1870 noch der "Erste Bürgermeister von München", Alois von Erhardt, hinzugesellt.

Die gewaltigen Aufgaben, denen sich die Drei stellten, sind

Seite 142/362 die Errichtung einer neuzeitlichen "Kanalisation", verbunden mit einer einwandfreien zentralen "Wasserversorgung" sowie der Errichtung eines "städtischen Vieh- und Schlachthofs".

Dadurch können die mehr als achthundert Schlachtstätten der Metzgereien, die in denkbar unhygienischer Art und Weise arbeiten, geschlossen werden.

1867 München-Graggenau * König Ludwig II. lässt die "Nibelungensäle" im "Königsbau" der Residenz fertigstellen.

Im "Saal der Klage" fehlen noch zwei Bilder, die jetzt - 40 Jahre nach Beginn der Malerarbeiten - von dem Maler und Graphiker Michael Echter ergänzt werden.

Auf dem Bild gegenüber dem Eingang gibt der Maler dem lorbeerbekränzten Dicchter des "Nibelungenliedes" die Gesichtszüge Ludwigs I.. Dem daneben stehenden jungen Sänger im roten Mantel gibt er das Aussehen König Ludwigs II..

1867 München-Maxvorstadt * Als Abschlussarbeit verlangt Karl von Piloty von seinen Schülern einen "großen historischen Unglücksfall".

Als Thema für Eduard Grützner schlägt er vor: "Heinrich II. von England lässt sich 1174 am Sarkophage des Erzbischofs Thomas Becket geißeln". Da der Student der Thematik nur wenig Sympathie abgewinnen kann, malt er eine ganz andere Unglücksgeschichte.

Es wird ein humoristisches Kellerbild mit Mönchen, auf dem ein behäbiger, zum Weinholen geschickter Klosterbruder abgebildet ist. Er hat zu tief und zu lange ins Glas geschaut und ist deshalb angetrunken - an einem Weinfass stehend - eingeschlafen. Von einem anderen Pater denunziert, wird der Mönch nun vom Prior kritisch beobachtet.

Piloty sieht sich das Bild lange an und sagt schließlich: "Bravo, gratuliere!" Eduard Grützners nächstes Werk hat eine ähnliche Thematik: Ein von Zahnweh geplagtes Pfäfflein steigt in den Weinkeller, um dort Linderung für seine Pein zu suchen. Dieses Bild kauft der "Kunstverein" an und versteigert es für dreihundert Gulden. Der Käufer veräußert es umgehend für beinahe das Dreifache.

Um 1867 Lenggries * Als "Metzgergeselle" in der "Alten Wirtschaft" in Lenggries beginnt der Steyrer Hans mit dem Heben von Steinblöcken unter erschwerten Bedingungen, nämlich mit nur einem Finger.

5. Januar 1867 München * Malvina Schnorr von Carolsfeld erhält von König Ludwig II. eine Aufforderung zur umgehenden Ausreise aus Bayern.Falls sie dieser Anordnung nicht innerhalb von zwei Wochen nachkommt, sollihr der

Seite 143/362 "verliehene Jahresbezug von 2.000 fl. sofort sistirt" werden.

Um Februar 1867 München-Haidhausen * Eine weitere Interessengruppe meldet sich zur Standortfrage des "Ostbahnhofs" zu Wort.

Diese Gruppierung hat für den Bahnhof ebenfalls einen Standort in Haidhausen vorgesehen. Dieser liegt aber etwa einen Kilometer östlicher, bei einem "Kuisl" genannten alleinstehenden landwirtschaftlichen Anwesen, das dem Perlacher Gärtnereibetreiber Peter Ballauf gehört.

Das ist der Platz, auf dem sich heute der "Ostbahnhof" befindet. Der genannten Interessengemeinschaft gehören - neben Peter Ballauf - ausschließlich Personen an, die in der Nachbarschaft des "Kuisl-Anwesens" ausgedehnte Grundstücke besitzen.

Sprecher und Vorsitzender dieses "Konsortiums" ist der "Hofbankier" Carl von Eichthal, der kurz zuvor ein riesiges und unbebautes, "Auf der Ramersdorfer Lüften" bezeichnetes Gelände erworben hat.

Februar 1867 München-Au - München-Giesing - München-Haidhausen * Noch eineInteressengemeinschaft zur Standortfrage des "Ostbahnhofs" tritt auf.

Ihr gehören "Handels- und Gewerbetreibende" aus der Au, Giesing, Haidhausen und "südlicher Stadtteile" an. Sie wollen einen "Südbahnhof" in Untergiesing, südlich des im Jahr 1847 als "Männerfreibad" eröffneten "Schyrenbades" installiert sehen. Der Bahnhof soll die Anlage eines ausgedehnten Industrieviertels in den Isarauen ermöglichen. Ein Vorschlag, der heute möglicherweise Erstaunen hervorruft. Aber am "Auer Mühlbach" war von "Hellabrunn" bis hinauf zur "Bäckerkunstmühle" sogar ein Gebiet für schwerindustrielle Güter im Entstehen.

Mit den genannten Vorschlägen liegen vier Standorte für einen Bahnhof und zwei alternative Streckenführungen zur Auswahl:

eine "innere", unmittelbar am Haidhauser Zentrum, und eine "äußere", am östlicher gelegenen "Kuisl-Anwesen" vorbeiführende Linie.

Um Mai 1867 München-Haidhausen * Carl von Eichthal unterbreitet dem "Innenministerium" ein lukratives Angebot:

Wenn die "Braunauer Eisenbahnlinie" am "Kuisl" vorbei geführt wird, tritt die Interessengemeinschaft - "der guten Sache halber und im Interesse der Vorstadt Haidhausen und zum allgemeinen besten" - dem Staat "schenkungsweise" einen Tagwerk Grund ab. Gleichzeitig bietet er an, die zusätzlich für die Anlage des Bahnhofs und der Bahnstrecke benötigten Flächen zu einem Preis von lediglich 2.000 Gulden pro Tagwerk zur Verfügung zu stellen.

Natürlich liegt dem "Konsortium" an der Wertsteigerung ihrer noch unerschlossenen Grundstücke.

Seite 144/362 Das vorgelegte Angebot liegt zwar weit unter dem Verkehrswert, doch durch die geänderte Streckenführung würde sich das "Entgegenkommen" durch die in die Höhe schnellenden Baulandpreise schnellstens wieder ausbezahlen.

1. Juni 1867 München-Graggenau * Die Arbeiten am Neuen Rathausbeginnen. Der erste Bauabschnitt ist bis 1874 fertig gestellt.

August 1867 München-Haidhausen * Es kommt zur Entscheidung in der Standortwahl des "Ostbahnhofs".

In verschiedenen Gutachten werden eindeutig die Bahnhofs-Standorte in Haidhausen bevorzugt.

Dabei fällt die Wahl zunächst eindeutig auf die "Sedlmayr?sche Streckenführung" mit dem Bahnhofnahe dem heutigen Rosenheimer Platz.

September 1867 München-Haidhausen * Nur wenige Wochen nach der vorhergehenden Entscheidung, stell die "Generaldirektion der kgl. Staatseisenbahnen" fest, dass sie wegen bautechnischer Schwierigkeiten auf den Bau der "Sedlmayr?schen" Alternative zugunsten der "Eichthal?schen" verzichten muss.

Und diese Entscheidung steht felsenfest.

Da bewirkten selbst die Proteste des Besitzer der "Franziskaner-Leistbrauerei", Joseph Sedlmayr, der die getroffene Entscheidung lauthals als "Resultat gelungener Agitation und Privatspekulation" bezeichnet, nichts mehr.

Als eindeutiger Gewinner geht aus diesem monatelangen Tauziehen Carl von Eichthal hervor. Der "Hofbankier" hat anno 1856 zusammen mit den bedeutendsten deutschen Großunternehmern und Bankchefs die "Ostbahn-Aktiengesellschaft" ins Leben gerufen.

Carl von Eichthal gehört unter anderem dem "Kollegium der Gemeindebevollmächtigten" sowie der "Abgeordnetenkammer" an und verfügt damit über einen massiven Informationsvorsprung, der seine Eisenbahngeschäfte mit der Bodenspekulation verschmelzen lässt.

Bei der Entscheidungsfindung für die "äußere" Bahnlinie und dem Bahnhofsstandort am "Kuisl" war es zumindest nicht hinderlich, dass Gustav von Schlör vor seiner Ernennung zum "Handelsminister" lange Jahre Direktor bei der "Ostbahngesellschaft" war.

Eichthal und Schlör kennen sich persönlich gut und dem entsprechend gut sind die geschäftlichen Verbindungen zwischen dem "Bankier" und dem "Minister". Darüber, ob es interne Absprachen zwischen den beiden Akteuren gab oder dass der einflussreiche "Bankenchef" Druck auf den "Staatsminister" ausübte, lässt sich nur spekulieren.

Anno 1868

Seite 145/362 Haidhausen - Rosenheim - Simbach/Braunau * Die Gleisverlegungsarbeiten an den Bahnlinien nach Simbach/Braunau am Inn und der neuen Streckenführung nach Rosenheim beginnen.

Von Rosenheim aus sollte noch eine weitere, insgesamt kürzere Strecke nach Salzburg abzweigen.

Im selben Jahr wird auch der Bau für den "Haidhauser Bahnhof" begonnen, der zu dieser Zeit noch "mitten auf der grünen Wiese" entsteht.

Juli 1868 Schloss Neuschwanstein * Für das "Neue Schloss Hohenschwangau" an der Stelle der "Burgruine Hinterhohenschwangau", dem späteren "Schloss Neuschwanstein", beginnen mit Sprengungen und Erdarbeiten die Vorbereitungen für den Bauplatz.

Um den Dezember 1868 Berlin ? Helmuth von Moltke, der Chef des preußischen Generalstabs, beginnt bereits im Winter 1868/69 mit den konkreten und detaillierten Planungen für die kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich. Wichtig ist ihm dabei, dass der Krieg nicht lange dauern darf. Schnelligkeit zählen neben zahlenmäßiger Überlegenheit und guter Bewaffnung zu den wichtigsten Voraussetzungen eines modernen Krieges.

1870 München * 20 Jahre nach der Erfindung der großflächigen Glasscheiben beginnt das Zeitalter der Schaufenster.

16. Juli 1870 Norddeutscher Bund ? Einen Tag nach der Mobilmachung beginnen die Truppentransporte. Dazu werden die Bahnstrecken für den zivilen Verkehr gesperrt.

4. August 1870 Weißenburg ? Die ersten Kampfhandlungen zwischen deutschen und französischen Truppen beginnen bei der elsässischen Grenzstadt Weißenburg. Erstmals tritt hier ein gesamtdeutsches Heer auf. Nach der Einnahme Weißenburgs wenden sich die Deutschen den französischen Stellungen auf dem Geisberg zu, auf dem sich auf halber Höhe das Schloss Geisberg befand, in welchem der französische General Abel Douay sein Hauptquartier eingerichtet hatte, sowie oben auf dem Berg ein Gehöft mit dem Namen Schafbusch.

Die französischen Truppen sind zwischen den beiden Gebäuden verteilt. Der Großteil der deutschen Truppen wird auf das Schloss Geisberg konzentriert. Die Franzosen sind im Schloss und in den Gebäuden allerdings gut verschanzt. Dadurch muss die Erstürmung des Geisbergs mit vielen Opfern bezahlt werden. Den Sieg in der Schlacht haben die Deutschen ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit zu verdanken. Scheinbar ist der französische General Douay auf die Schlacht nicht ausreichend vorbereitet. Die Verluste sind auf beiden Seiten erheblich. So gibt es auf deutscher Seite 700 Tote, Verwundete und Gefangene, auf französischer Seite waren es über Tausend, darunter General Abel Douay.

6. August 1870 Wörth * Auch in Wörth prallen die deutschen und die französischen Soldaten aufeinander.

Seite 146/362 Bei Karl Graf von Rambaldi liest sich das so: "Zur Erinnerung an die Schlacht bei Wörth [?], an welcher beide bayerischen Armeekorps [?] mit Auszeichnung Anteil nahmen. [?] Heiß war der Kampf; die die Weinberge dicht besetzt haltenden Turkos und Zuaven wehrten sich grimmig; aber unaufhaltsam war das Vordringen der Deutschen und zuletzt zerstob die französische Armee in wilder Flucht. [?] Der Sieg war mit einem eigenen Verlust von 489 Offizieren und 10.153 Mann erkauft.?

15. August 1870 Straßburg * An Napoleon Bonapartes Geburtstag beginnen die deutschen Truppen mit der Belagerung von Straßburg. Sie wird bis zum 27. September andauern.

16. August 1870 Toul * Die Einnahme der Festung Toul durch scheitert am Widerstand der Besatzung.

20. August 1870 Metz * Die Belagerung von Metz beginnt. Mehrere Ausbruchsversuche scheitern. Sie dauert bis zum 27. Oktober 1870 und endet mit einer vernichtenden Niederlage für die Franzosen.

4. September 1870 Paris * Die französische Kaiserin Eugénie verlässt am Nachmittag Paris und flieht nach England, nachdem die Demonstranten vor den Tuilerien unverhohlen ihren Kopf fordern und alles, was an Napoleon III. erinnert zerstören.

12. September 1870 Toul * Die deutsche Belagerung von Toul beginnt.Sie dauert bis zum 23. September 1870.

23. September 1870 Toul?Die deutschen Belagerer beginnen Toul zu beschießen. Schon kurz darauf hisst die Besatzung die weiße Fahne.

30. September 1870 Schloss Linderhof * König Ludwig II. beauftragt einen Anbau an das Königshäuschenim Graswangtal. Das ist der Beginn der Planungen für Schloss Linderhof.

23. November 1870 München - Berlin * In den sogenannten Novemberverträgenkann sich das Königreich Bayern mehrere Reservatrechtesichern.Sie betreffen vor allem

das Militär, die Eisenbahn,

Seite 147/362 das Post- und Telegrafenwesen, die Branntwein- und Biersteuersowie die allgemeine Staatsverwaltung.

Die Reservatrechtesind von der Aufsicht und Gesetzgebung des Deutschen Reichsbefreit. Eisenbahn, Post und Biersteuer stellen wichtige Einnahmequellen dar.

Das Bayerische Heerbildet - in Friedenszeiten - einen geschlossenen Bestandteil innerhalb der Streitkräfte des Deutschen Reichs. Es steht mit eigener Verwaltung unter der Hoheit des bayerischen Königs. Doch mit dem Beginn der Mobilmachung- und damit dem Eintritt des Kriegsfalles - untersteht das bayerische Militär direkt dem Kaiser.

1871 Wien * Im Gegensatz zu München dürfen in Wien erst jetzt Frauen auf Kleinkunstbühnenauftreten.

18. Januar 1871 Versailles ? Als Tag der Kaiserproklamation hat man den 18. Januar 1871 auserkoren. Es ist der Tag, als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg im Jahr 1701 zum ersten preußischen König Friedrich I. gekrönt und damit zugleich das Königreich Preußen gegründet worden ist. Mit der Terminwahl will das Haus Hohenzollern an seinen Aufstieg innerhalb von 170 Jahren von Kurfürsten zu mächtigen Monarchen Europas erinnern.

18. Januar 1871 Versailles ? Um 12 Uhr beginnt die Zeremonie der Kaiserproklamierung im prachtvollen Schloss des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV.. Nach einer kurzen Rede Wilhelms I., in der er die Kaiserwürde annimmt, verliest Reichskanzler Otto von Bismarck die Proklamation. Dann wird es spannend. Der Großherzog von Baden tritt nach vorne und ruft: "Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch! Hoch! Hoch!" Eine elegante Lösung. Otto von Bismarck fällt ein Stein vom Herzen.

Gleichzeitig wird auch das Zweite Kaiserreich gebildet und ausgerufen.

21. Januar 1871 München-Kreuzviertel * Nach einer zehnstündigen Redeschlachtstimmen 102 Abgeordnete für den Beitritt Bayerns zum Deutschen Kaiserreichund nur noch 48 dagegen. Damit ist die Zweidrittelmehrheit - wenn auch knapp - erreicht.

Das im Jahr 1871 gegründete Deutsche Reichist nach der Präambel seiner Verfassungein "ewiger Bund zum Schutz des deutschen Bundesgebietes und des innerhalb dieses gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes".

Diesen Bundschließen die 22 Repräsentanten

der vier KönigreichePreußen, Bayern, Württemberg und Sachsen; der sechs GroßherzogtümerBaden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Hessen-Darmstadt, Oldenburg

Seite 148/362 und Sachsen-Weimar; der fünf HerzogtümerBraunschweig, Anhalt, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg; der sieben FürstentümerSchwarzburg-Sonderhausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe, des mitregierten ReichslandesElsass-Lothringen sowie der Regierenden Bürgermeisterder drei Freien StädteHamburg, Bremen und Lübeck.

Dieser Bundesstaatwird durch zwei Institutionen - Bundesratund Reichstag- repräsentiert. Verfassungsrechtlich ist der Bundesratdas höchste Reichsorgan, in dem Preußen aufgrund seiner Größe und seiner hegemonialen Stellung dominiert.

In diesem Gremium sind die einzelnen Länder entsprechend ihrer Größe mit unterschiedlichen Stimmenzahlen ausgestattet vertreten:

Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, die kleineren je 2 oder 1 - insgesamt 58 Stimmen.

15. März 1871 München-Haidhausen * Das Empfangsgebäude des Braunauer Bahnhofswird eröffnet. Spätestens jetzt bricht für das Ostenddas Eisenbahnzeitalter an. Allerdings verlassen zunächst nur drei Personen- und wenige Güterzüge den Hauptbahnhofüber die neue Isarbrücke durch Untergiesing zum Braunauer Bahnhofund weiter in Richtung Rosenheim und nach Simbach/Braunau am Inn.

16. April 1871 Deutsches Reich - Königreich Bayern* Die Reichsverfassungwird rechtskräftig.

Das Zweite Deutsche Kaiserreichist ein Bundesstaat, dem - unter preußischer Hegemonie- 25 Einzelstaaten angehören. Der preußische Ministerpräsidentist gleichzeitig Reichskanzler.

Das Deutsche Reichist nach der Präambelseiner Verfassung ein "ewiger Bund zum Schutze des deutschen Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes".

Diesen Bundschließen die 22 Repräsentanten:

der vier KönigreichePreußen, Bayern, Württemberg und Sachsen; der sechs GroßherzogtümerBaden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Hessen-Darmstadt, Oldenburg und Sachsen-Weimar;

Seite 149/362 der fünf HerzogtümerBraunschweig, Anhalt, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg; der sieben FürstentümerSchwarzburg-Sonderhausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe, des mitregierten ReichslandesElsass-Lothringen sowie der Regierenden Bürgermeisterder drei Freien StädteHamburg, Bremen und Lübeck.

Dieser Bundesstaatwird durch zwei Institutionen - Bundesratund Reichstag- repräsentiert. Verfassungsrechtlich ist der Bundesratdas höchste Reichsorgan, in dem Preußen aufgrund seiner Größe und seiner hegemonialen Stellung dominiert.

In diesem Gremium sind die einzelnen Länder entsprechend ihrer Größe mit unterschiedlichen Stimmenzahlen ausgestattet vertreten: Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, die kleineren je 2 oder 1 - insgesamt 58 Stimmen.

Bis im Rahmen der Reichsgründungauch in Bayern das metrische Maß eingeführt wird, fasst die Bayerische Mass1.069 Kubikzentimeter. Durch die Preußische Maß- und Gewichtsordnungwird das Bayerische Maaßabgeschafft. Als gesamtdeutsche Maßeinheit gilt nun der Liter. Und dieser ist auf 1.000 Kubikzentimeter festgelegt worden.

21. Mai 1871 Paris * Die Truppen der Versailler Regierung beginnen mit dem Sturm auf Paris. Die "Blutige Woche" beginnt.

1. Juni 1871 München - Braunau - Linz - Wien * Die über Mühldorf nach Simbach/Braunau am Inn führende Hauptverkehrsstrecke der Eisenbahn wird eröffnet.Sie führt weiter über Linz nach Wien. Spätestens ab jetzt istes mit der Ruhe und der Beschaulichkeit in Untergiesing vorbei.

Während die neue Streckenführung für den Güter- und Personenverkehr einen erheblichen Zeitgewinn bedeutet und reiche Spekulanten noch reicher macht, ist die Bahnlinie für Untergiesing mit erheblichen Nachteilen verbunden und bringt für die ansässigen Bewohner neben einer Lärmbelästigung noch zusätzlichen Gestank und einen sieben Meter hohen, die ganze Ortsflur durchtrennenden Bahndamm.

Der gewünschte Bahnhof, verbunden mit der Möglichkeit der Ansiedelung von Industrieanlagen, bleibt den Untergiesingern ebenfalls versagt.War zu Beginn noch von einer Station mit Güterhalledie Rede, so verwarf die Generaldirektionauch diese Pläne, da Bodenuntersuchungen die Untergiesinger Isarauen als denkbar ungünstiges Areal für einen Bahnhof bezeichneten.

Das bedeutet für die Stadt München, dass sie nach einen neuen Standort für den Städtischen Schlacht- und Viehhofsuchen muss, der ursprünglich zwischen Schyrenbadund Stadtgartendirektiongeplant war.

9. Juli 1871 München-Haidhausen * Das Einverständnisschreiben des Innenministeriumsfür die "Straßenzüge zum Braunauer Bahnhof in der Vorstadt Haidhausen" enthält gegenüber der Ursprungsplanung nur geringfügige Änderungen. Daraufhin kann Bürgermeister Alois von Erhardt noch im gleichen Monat das Konzept der Öffentlichkeit

Seite 150/362 vorstellen.

Das Franzosenviertelist von dem Münchner StadtbauratArnold Zenetti streng geometrisch als Dreistrahlanlage geplant worden.Das Konzept umschließt das künftige Straßennetz zwischen dem Bahngelände, der Stein-, Rosenheimer-, Wolfgang- und der Äußeren-Wiener-Straße und sieht den Ostbahnhofund das ihn umgebende Rondell des Orleansplatzesals Mittelpunkt des Viertels vor."Diese Zentrierung auf den Ostbahnhof nimmt sich wie die Persiflage eines residenzstädtischen Grundrisses aus, im dem - dem Arbeiterviertel entsprechend - der Platz des Herrscherhauses von dem Pendlerbahnhof eingenommen wird".

Damit die neue Wohnsiedlung an die Vorstadt Haidhausenund an das Gasteig-Geländeangebunden werden kann, sind in Zenettis Planungskonzepten Straßendurchbrüche von der Wörth- zur Preysingstraße und Verbreiterungen der Rosenheimer-, Stein- und Milchstraße vorgesehen. Im Gegensatz zu der am Beginn des 19. Jahrhunderts angelegten Maxvorstadtund zu dem ab dem Jahr 1860 erbauten Gärtnerplatz-Viertelhaben die Straßen und Plätze des Franzosenviertelserstmals unterschiedliche Breiten. Dafür sind - neben verkehrstechnischen - vor allem ästhetische Gesichtspunkte ausschlaggebend.

Vom 530 Fuß messenden, halbkreisförmigen Orleansplatz ausgehend, bildet die 100 Fuß breite Wörthstraße die Mittelachse der symmetrischen Dreistrahlanlage.Ihre Aufweitung - der früher als Forumbezeichnete heutige Bordeauxplatz- bildet den prunkvollen Mittelpunkt innerhalb des Franzosenviertels.An seiner Stelle beträgt die Straßenbreite 200 Fuß. Ein ebenfalls 100 Fuß breites Straßenprofil verzeichnen die Rosenheimer- und die Orleansstraße. Die Weißenburger- und die Belfortstraße verlassen das Rondell am Orleansplatz als Diagonalachsen.Diese Verkehrswege messen, ebenso wie die sie kreuzende Pariser- und Breisacher Straße 60 Fuß in der Breite.Die restlichen Straßen haben eine Breite von 50 Fuß.

An den beiden diagonal verlaufenden Straßenzügen sind Platzanlagen geplant.So folgt an der Weißenburger Straße dem 220 Fuß messenden, rechteckigen Pariser Platzder im Durchmesser 300 Fuß umfassende, kreisrunde Weißenburger Platz. Spiegelbildlich zum Pariser Platzsoll an der Belfortstraße ebenfalls eine quadratische Platzanlage, der Straßburger Platz, angelegt werden. Die Planung, die mit ihrer symmetrischen Straßenführung an eine barocke Bauweise erinnert, kann aber nur dort verwirklicht werden, wo sich der Grund in der Hand eines Besitzers befindet.

Im Gegensatz zu dem Baugebiet das sich überwiegend im Besitz Carl von Eichthals befindet und das etwa bis zur Wörthstraße reicht, scheitert nördlich davon der weitere Ausbau am Kloster der Frauen zum guten Hirten, das das Gelände des ehemaligen Preysing-Schlossesseit 1840 besitzt.Die Klosterverwaltung lehnt jeden Verkauf der notwendigen Grundstücke zur Fertigstellung des Franzosenviertelsab und tritt nicht einmal einen Quadratmeter Grund für die Straßenanlagen ab.

Ein Opfer dieser unnachgiebigen Haltung wird der Straßburger Platzden der Königlich-bayerische Major a.D., Karl Graf von Rambaldi, im Jahr 1894 in seiner Zusammenstellung der Münchner Straßennamenwie folgt beschreibt:"Straßburgerplatz. Liegt in Haidhausen zwischen der Elsaß-, Pariser- und Belfortstraße, nördlich vom Ostbahnhofe". Doch ohne ein Entgegenkommen der Klosternonnen kamen die weiteren Planungsarbeiten für dieses Gebiet ins Stocken. Dies auch,

weil einerseits keine aussichtsreichen Enteignungsmöglichkeiten bestehen, andererseits, weil sich in den Zeiten der geometrischen Stadtplanungkein Verantwortlicher zu einer Planänderung entschließen kann.

Seite 151/362 Erst mit dem Amtsantritt Theodor Fischers, dem Vorstand des Münchner Stadterweiterungsbüros, werden die Planungen wieder aufgenommen.

1. August 1871 München-Untergiesing * Schon wenige Monate nach Eröffnung der Eisenbahnlinie über den Ostbahnhof nach Braunau kommtes zum ersten tödlichen Unfall. Die Frau des GemeindebevollmächtigtenWilhelm Kanzler, der in Obergiesing die bekannte Gastwirtschaft Zum Giesinger Weinbauernbetreibt, stirbt.

Mutter Kanzler ist mit ihrem Sohn in der Kutsche über den Giesinger Berg in Richtung Innenstadt gefahren.Bei der Eisenbahnbrücke erschrecktein heraneilender Zug das Pferd so sehr, dass es scheut,die Kutsche umwirft undbeide Insassen unter sich begräbt.Während der Sohn mit leichten Blessuren davonkommt, stirbt die Mutter an ihren Verletzungen.

Es kommtfast täglich zu solchen Unfällen, "weil die Bauernpferde aus den außergelegenen Dörfern noch keinen Kurs bezüglich der Vorsichtsmaßregeln genommen und jetzt wie früher scheuen und durchgehen".

September 1871 München * Auf Anregung Ignaz von Döllingers tagt in München der erste Altkatholikenkongress. Der Gelehrte hat das Stichwort von der "alten katholischen Kirche" geprägt und meint damit "alt" im Sinne von "ursprünglich". Döllinger warnt zwar eindringlich vor der sich anbahnenden Kirchenspaltung, doch ist die Gründung der Altkatholischen Kircheunumgänglich.

11. November 1871 München * Die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernwird als Lehranstalt für weltliche Lehrerinnendurch einen Beschluss des Bayerischen Landtagsgegründet. Damals werden Schulen nur von klösterlichen Lehrerinnen geleitet. Für interessierte und begabte Frauen ist es jedoch nur über Einrichtungen dieser Art möglich, eine beruflich gehobene Qualifikation zu erreichen und damit zu gesellschaftlichem Ansehen zu kommen.

Da die Universitäten "frauenfrei" gehalten werden, ist der Beruf der Volksschullehrerineine der wenigen, möglichen Alternativen.

Um den 15. Januar 1872 München * Prinz Otto wird von mehreren Ärzten untersucht. Die Mediziner sehen eine Heilung im Bereich des Möglichen, wenn der Patient von München entfernt und einer konsequenten Behandlung unterzogen werden würde. Ottos Leibarzt Dr. Gietl vermutet sogar, dass der Prinz innerhalb eines halben Jahres sterben wird, wenn er sich nicht einer strengen Kur unterzieht.

Man attestiert ihm aber nicht Schizophrenie, sondern Syphilis. Erst als Ottos Tod partout nicht eintreten will, ändert man das Krankheitsbild auf Paranoiaum.

8. April 1872 München-Angerviertel * Zunächst wird die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernim Schulhaus im Rosenthal untergebracht.

Seite 152/362 6. Mai 1872 München-Graggenau * Im Residenztheaterwird mit dem Lustspiel "Die Gräfin du Barry" die erste offizielle Separatvorstellungfür König Ludwig II. aufgeführt. Weitere 208 werdenfolgen. Zwischen dem 6. Mai 1872 und dem 12. Mai 1885 hat das Residenztheater, vom Oktober 1873 an auch das Hof- und Nationaltheater, exklusiv für den Märchenkönig154 Schauspielvorführungen, 44 Opern- und elf Ballettaufführungen angesetzt.Dabei entgehen den genannten Schauspielhäusern etwa 200.000 Mark an Einnahmen.

Der König erklärt dem IntendantenErnst Possart zur Begründung:"Ich kann keine Illusion im Theater haben, solange die Leute mich unausgesetzt anstarren und mit ihren Operngläsern jede meiner Minen verfolgen. Ich will selbst schauen, aber kein Schauobjekt für die Menge sein."

29. September 1872 München-Theresienwiese * Wegen der vergangenen Schlechtwetterperioden im Oktober wird der Wiesnbeginnerstmals in den September verlegt.

14. Oktober 1872 München-Maxvorstadt * Die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernhat im Gebäude des Damenstiftsan der Ludwigstraße ihre neue Unterkunft gefunden. Die Lehramtsaspirantinnenmüssen eine höhere Erziehungs- und Unterrichtsanstaltbesuchen und anschließend eine zweijährige Fachausbildung durchlaufen, werden aber nicht in den gleichen Fächern ausgebildet wie die Männer.

Behörden und Lehrer sehen die Frau in der Schule - zwar als einen hübschen, aber dennoch - als Ärgernis erregenden Fremdkörper an. Kritiker betonen, dass der Körper der Lehrerinnen "den Anstrengungen des Schulberufs weniger gewachsen ist als der der Männer.Wir Deutsche aber, die dem konzentrischen Drucke aller Völker Europas ausgesetzt sind, können die Verweiblichung am allerwenigsten brauchen.Wir können uns in unserer Stellung nur halten aufgrund jener harten Männertugenden, die das schönste Erbteil des deutschen Volkes sind."

Die Lehrerinnenwerden von ihrem männlichen Kollegen verteufelt, obwohl ihr Lohn sowieso schon geringer als der ihrer männlichen Kollegen ist. Außerdem haben die meisten weiblichen Lehrkräfte keine feste Anstellung und kommen über die untersten Stufen der Hierarchie nicht hinaus. Hinzu kommt noch ein strenges Zölibat, ein Heiratsverbot. Das verordnete Eheverbot für die Lehrerinnenist ein wirksames Mittel, die Quote der weiblichen Lehrkräfte niedrig zu halten.

Die Unvereinbarkeit zwischen Ehe und Lehrberufwird begründet und verteidigt.So kommt der Bayerische Landtagzur Erkenntnis, dass das Eheverbot "einem dem Interesse der Schule schädlichen Widerstreit zwischen den Pflichten einer Frau als Lehrerin und als Ehefrau" zuvorkomme.

Um Oktober 1873 München * An einem nebeligen Herbsttag treten dreizehn Mitglieder des "Münchner Velociped-Klubs" zur ersten "Velociped-Wettfahrt" der Landeshauptstadt an.

Seite 153/362 Die Herren mussen schon hart gegen sich selbst sein, denn sehr leicht und bequem lassen sich die Maschinen aus Holz mit ihren eisenbeschlagenen Rädern nicht fortbewegen.

Die Strecke beträgt circa neun Kilometer und beginnt am Sendlingertorplatz. Der Sieger benötigt 42 Minuten.

Er hatte Glück, da sein wichtigster Konkurrent unterwegs durch "eine unfreiwillig wichtige Besprechung mit einem Gensdarm" an der Weiterfahrt gehindert wurde.

1874 München-Haidhausen * Rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahres wird das neue "Schulhaus an der Kirchenstraße" seiner Bestimmung übergeben.

Ab 1874 München * Die Planungen für eine "zentrale Wasserversorgung" beginnen.

1874 München * Nachdem Prinz Otto von Bayern partout nicht sterben will, attestieren ihm die Ärzte "Paranoia".

Darunter versteht man zu dieser Zeit "Geistesstörungen mit Sinnestäuschungen, Wahnvorstellungen und Beziehungsideen, Verfolgungs- und Größenideen".

Februar 1874 München * Die "Kgl. Polizeidirektion" als genehmigende Aufsichtsbehörde lehnt die "Pferdeeisenbahnlinie" aus "verkehrstechnischen Gründen" ab,

da sich in der Innenstadt "eine große Zahl von Industriellen niedergelassen habe, denen Tag für Tag große Quantitäten Waren auf umfangreichen Transportmitteln zugeführt werden, da ferner die Straßenkörper noch zu speziellen Verrichtungen, wie Holzmachen, Entleerung von Abortgruben, Beladen von Möbelwagen, ununterbrochen in Anspruch genommen werden müssen".

Doch die Idee für eine "Münchner Pferdeeisenbahnlinie" war dennochnicht mehr auszulöschen.

22. Mai 1874 Dommelstadt * Erhard Auer wird in Dommelstadl bei Passau geboren.

Ab dem 1875 München-Isarvorstadt * In den Jahren von 1875 bis 1878 entsteht der "Vieh- und Schlachthof" für eine Summe von fünf Millionen Mark auf einem 101.000 Quadratmeter großen Gelände im Münchner Süden.

Die Stadt zählt damals zwar erst 215.000 Einwohner, dennoch ist die Planung von Arnold Zenettis schon auf eine

Seite 154/362 Großstadt mit erheblich mehr Einwohnern ausgerichtet.

Zahlreich - in enger Zusammenarbeit mit Max von Pettenkofer und Bürgermeister Alois von Erhardt - sind Arnold Zenettis Anstrengungen, durch Verordnungen, die in die Praxis umgesetzt werden, die Gesundheit und Reinlichkeit im Sinne der allgemeinen Hygiene zu heben.

1875 München * Das fahren mit dem "Veloziped" innerhalb des Münchner Burgfriedens ist "gänzlich untersagt".

16. Juli 1875 München-Au * Der Anbau für das Wohnhaus des bürgerlichen TapezierermeistersKarl Falk an der Entenbachstraße 63 wird von der Baupolizeiabschließend besichtigt. Mit der Umbaumaßnahme ergibt sich ein Raumgewinn von zwei größeren Zimmern pro Etage, die als Wohnungen vermietet werden.Der Eingang ist auf die Rückseite verlegt worden. Das Dach ist zur Hofseite hin abgewalmt.

26. März 1876 München - Brüssel * "Bürgermeister" Alois von Erhardt schließt mit dem aus Brüssel stammenden "Industriellen" Edouard Otlet - vorbehaltlich der Genehmigung durch die beiden "Ratskollegien" - einen Vorvertrag ab. Dieser sieht eine "Konzession" auf dreißig Jahre vor.

Edouard Otlet, der bereits zuvor in Prag und Wiesbaden erfolgreich "Pferdebahnen" aufgebaut hat, verpflichtet sich, auch in München ein weit gespanntes Linienkreuz zu errichten.

Die "West-Ost-Achse" soll vom "Nymphenburger Schlosspark" über Neuhausen zum Stachus führen und sich dort verzweigen. Ein Nebenast soll über den "Lenbachplatz" zum "Promenadeplatz" und den dort gelegenen Hotels und Geschäften führen. Der Hauptast soll - die Altstadt umfahrend - über die Sonnenstraße den Sendlinger-Tor-Platz erreichen und von dort über den Gärtnerplatz zur Isarbrücke, weiter durch die Rosenheimer- und Weißenburger Straße und am damals noch "Haidhauser Bahnhof" genannten "Ostbahnhof" enden. Der Verlauf der "Nord-Süd-Linie" beginnt am "Großen Wirt" in Schwabing und führt weiter über die heutige Leopoldstraße zum Odeonsplatz, von dort über die Brienner Straße zum Stachus, weiter zum Bahnhofsplatz und endet am Fuße der "Theresienhöhe". Mit dieser Linienführung können die engen Altstadtstraßen geschickt umfahren werden.

Außerdem soll die "Pferdetram" in einem zehnminütigen Abstand verkehren und Otlets Gesellschaft - für die Benutzung des städtischen Straßengrundes ein Prozent der Bruttoeinnahmen an die Stadtgemeinde abführen.

Juli 1876 München-Kreuzviertel - München-Maxvorstadt * Die Gleisbauarbeiten für die erste Versuchsteilstrecke für Münchens erste "schienengebundene Pferdetrambahnlinie" - vom "Promenadeplatz" über den Stachus zur Nymphenburger Straße - beginnen.

Sie endet an der "Burgfriedensgrenze" an der "Maillingerstraße".

Seite 155/362 25. August 1876 München-Ludwigsvorstadt - München-Au * Am 31. Geburtstag König Ludwigs II. wird die Wittelsbacherbrückeder Öffentlichkeit übergeben. Die eiserne Brücke stammt von der Münchner Tochtergesellschaft der Cramer-Klett'schen Eisenwerke Nürnberg, der Süddeutschen Brückenbaugesellschaft.

Einen besonderen Aufwand betreibt man mit den zwei Brückenportalen, die reich ausgestattet waren.Den bisherigen Holzsteg reißt man kurz vor Fertigstellung der Brücke ab. Zweifellos ist eine leistungsfähige Brücke für Untergiesing überlebensnotwendig, da hier bisher nur sehr wenig funktioniert hat: kein Bahnhof, kein Schlachthof, dafür aber der städtebaulich stark behindernde Bahndamm.

Eine Brücke ist Untergiesings letzte Chance, denn nur durch sie ist mit einer großflächigen Ansiedlung von Industriebetrieben und Unternehmen zu rechnen, nur durch sie entstehen neue Impulse für die Entwicklung des Stadtviertels, nur durch den neuen Isarübergang kann der Wohlstand der Bewohner gefördert werden und nur durch ihn kann bei der Vorstadt-Bevölkerung "Bildung und bürgerlicher Freisinn" zunehmen.

21. Oktober 1876 München * Münchens erste schienengebundene Pferdetrambahnliniekann eröffnet werden. Schon am ersten Tag wird die Münchner Tramway Ed. Otletvon 5.092 Fahrgäste genutzt. Das sind weit mehr Straßenbahnbenutzer, als die Betreiberfirma zuvor erwartet hat. Damit beginntder Siegeszug der Straßenbahn.

Um den Oktober 1877 Berlin * Das von Graham Bell entwickelte ein elektromagnetisches Telefon kommt nach Deutschland und - da es hier nicht patentrechtlich geschützt war - von Firmen wie "Siemens & Halske" nachgebaut wird.

Werner von Siemens erkennt frühzeitig die Bedeutung des "Telephons" und verbessert die "Bell?schen Apparate" erneut. Damit beginnt der Siegeszug des "Telephons".

6. November 1877 Rinnerspitz * Girgl Jennerwein, der berühmte "stolze Wildschütz?", der in "seinen schönsten Jahren" als Wildererwird auf dem Rinnerspitzin den Schlierseer Bergen ermordet. Er ist auf dem Friedhof Westenhofen in Schliersee beerdigt.

1878 Berlin * In einer "Reichspolizeiverordnung" wird festgelegt, dass jeder Vortrag in einem "Tingeltangel" polizeilich genehmigt werden muss, dass diese Genehmigung nur für ein bestimmtes Lokal gilt und dass die Erlaubnis zudem zurückgezogen werden kann.

Außerdem wird die Aufführung von Dramen, Lustspielen, Possen, Opern, Operetten, Sing- und Liederspielen, Tänzen und Balletts als unzulässig erklärt. Nur Gesangs- und Deklamationsstücke mit einer Besetzung von höchstens zwei Personen sind erlaubt.

Die vortragenden Personen dürfen aber nur in bürgerlicher Kleidung (Gesellschaftsanzug) auf der Bühne erscheinen.

Seite 156/362 Alle Vorträge im Kostüm sind verboten. Als Ausnahme wird der Auftritt im "wirklichen Nationalkostüm" (Tracht) genehmigt.

Auch Kulissen, Vorhänge und jede Art von Requisiten werden von der Bühne verbannt.

Außerdem durften die vorgetragenen Gesangs- und Deklamationsstücke in Inhalt und Vortragsweise nicht gegen die Religion, die Sittlichkeit, die staatlichen Einrichtungen, den öffentlichen Anstand und die öffentliche Ordnung verstoßen.

Die Vorträge dürfen frühestens um 18 Uhr beginnen und müssen spätestens um 23 Uhr beendet sein.

13. Juni 1878 Berlin * In Berlin beginnt unter der Führung des ReichskanzlersOtto von Bismarck ein Kongress, der die Balkankrisebeenden und eine neue Friedensordnung für Südosteuropaaushandeln soll. Der Berliner Kongressendet am 13. Juli mit dem Berliner Vertrag.

5. Oktober 1878 München-Isarvorstadt * Die Singspielhalle Kil's Colosseumerhält die Konzession für Singspielhallen und Café chantants. Sie wird in Bezug zum Bayerischen Polizei-Strafgesetzbuchvom 16. Dezember 1871 gestellt, in dem festgelegt ist: "das sogenannte Chansonetten-Kostüm selbst in der abgeschwächten Form des kurzen ausgeschnittenen Kleides mit kurzen Ärmeln und mit Trikot ist verboten.

Die Chansonetten und Coupletsängerinnen dürfen nur in langem Gesellschaftskleide auftreten.Nur das National-Costüm von echten National-Sängern ist von den Bestimmungen [...] ausgenommen".

1879 München-Untergiesing * Im "Münchner Fremdenblatt" sind - 25 Jahre nach der Eingemeindung - über Giesing folgende Zeilen zu lesen:

"(...) Viel berechtigter wäre der Ausspruch: "Die neue Wittelsbacherbrücke sei über die Isar gebaut, um bei ihrem prächtigen Anblick zu vergessen, welche Enttäuschung folgt, wenn man sie überschritten hat und sich einer Vorstadt nähert.

Da wir einmal auf dem Wege sind, wollen wir uns auf dem Schyrenplatz, so genannt zum Andenken der Wittelsbacher Ahnen, weiter wagen; denn es ist Schönwetter und die Police der Unfallversicherung in unserer Tasche.

Die Stadt hat aufgehört und liegt hinter uns - das Dorf beginnt, und zwar ein schmutziges Dorf. Lassen wir den Tummelplatz des Rieser und niederbayerischen Federviehs (den Weideplatz der Martinsvögel, die jedoch hier zu jeder Zeit vertilgt werden, wenn sie nur 'gansln'), links liegen und haben wir die blauweiße Tafel passiert, auf der geschrieben steht "Gänsemarkt", so kommen wir rechts vor dem Eingang in das eigentliche Giesing, an eine eigentümliche Fallgrube.

Auf unser Befragen hin wurde uns mitgeteilt, das sie die Universalabtrittsgrube der Adjazenten [= Anwohner] weit herum bilde, die in ihren Häusern des allernötigsten Rückzugsortes entbehren, der für alle zivilisierten Völker der notwendigste ist.

Seite 157/362 Gleich neben der Kommunegrube arbeitet die Wasserversorgungsanstalt, welche die Vorstadt mit filtriertem (?) Isarwasser beglückt.

Und wieder nur einen Schritt weiter kommen wir an eine Pfütze, an ein Stinkwasser, das von Zeit zu Zeit ein ärgeres Parfüm ausströmt, als alle Böcke von Bar el Maserim - und wahrhaftig diese stinken arg. Giesing hat eine Gemeinschaft mit allen orientalischen Städten, nämlich: man soll sie von weitem anschauen, aber nicht hineingehen. [...]

Links ein eingeplankter Garten, rechts Holzhütten, in deren Vergleich die Troglodyten [= Höhlenbewohner] noch besser logiert haben, schließen eine Straße ein, zu deren Herstellung respektive Erweiterung schon längst hätte energisch vorgegangen werden müssen - wenn eben Giesing kein Stiefkind der Stadt wäre.

Einstimmig muß man von den Giesingern hören: "Wir sind nur gut genug, Steuern und Abgaben zu bezahlen, im übrigen schert sich kein Mensch um uns". [...]

In dem ganzen zur Stadt gehörigen Giesing ist mit Ausnahme der Tegernseer Landstraße kein Trottoir; bei jedem Regen stehen die Tümpel in den Straßen, die nach längerer Zeit die Luft verpesten und die Gesundheit schädigen.

Während in den übrigen Vorstädten die Nacht hindurch die bestimmten Gaslaternen noch Licht haben, ist diese Wohltat für die Giesinger nicht gegeben; um 1 Uhr nachts sind alle Lichter gelöscht - um diese Zeit hat eben der Giesinger nichts mehr auf der Straße zu suchen!"

Januar 1879 Schloss Herrenchiemsee * Der Rohbau von "Schloss Herrenchiemsee" ist weitestgehend fertiggestellt.

Der Innenausbau beginnt im Frühjahr.

Anno 1880 München-Au - München-Haidhausen * Die Balanstraße erhält ihren Namen erst, nachdem sich einige Anwohner des ursprünglich "Irrenweg? genannten Verkehrswegs gegen diese seit dem Jahr 1867 gültige amtliche Bezeichnung wenden.

Die neue Straßenbezeichnung leitet sich von der am 1. September 1870 tobenden Schlacht des nahe Sedan gelegenen Balan ab. An sie knüpfen sich "ruhmreiche Erinnerungen für die bayerische Armee, in Sonderheit für die Münchner Regimenter".

1880 München-Maxvorstadt * Der "Bildhauer" Anton Heß lässt sich durch den Architekten Leonhard Romeis neben seinem "Atelierbau" ein villenartiges Wohnhaus im Stil der "deutschen Renaissance" errichten.

Der Bildhauer will ein Wohnhaus, in dem er seine über Jahrzehnte angesammelten Antiquitäten, vornehmlich aus der Renaissancezeit, als Wohngegenstände gebrauchen kann. Leonhard Romeis muss deshalb "von innen nach außen" planen.

Seite 158/362 Fußböden, Holzdecken und Wandvertäfelungen bilden die Vorgaben, nach deren Abmessungen sich die Zimmergrößen der einzelnen Räume zu richten haben. Aus den Maßen der Zimmereinrichtung ergibt sich die Zimmergröße und -höhe, aus der Zimmergröße der Grundriss und erst daraus kann er die Gestaltung der Fassade entwickeln.

Architekt Romeis hat also zum einen die Aufgabe, fünf komplette Zimmer mit Wandvertäfelung und zum Teil auch Erker und Sitznische sowie verschiedene Decken in einen Bau zu integrieren, als auch gleichzeitig fehlende Teile im Stil der historischen Teile zu entwerfen, um eine einheitliche Wirkung des ganzen Hauses zu erzielen.

Anton Heß verzichtet in einigen Bereichen auf Komfort und zieht unpraktische Möbel, wie kurze, gotische Betten, oder zum Teil niedrigere Türen einem Wohnen in zeitgenössischem Mobiliar vor. Der Bildhauer sammelt die Gegenstände also zur wirklichen Benutzung und strebt keine "Stilreinheit" an.

So kombiniert er in seinem Haus Südtiroler Stuben aus Kurtatsch und Montan aus dem Jahr 1576 mit Türen und einem Treppengeländer aus Münchner Bürgerhäusern, Portal- und Türverkleidungen aus Kloster Seeon, um 1620, und Plafonds aus Ulm.

Ab dem Jahr 1881 München-Graggenau - München-Haidhausen * Das "Sud-, Gär- und Kühlhaus" sowie das Verwaltungsgebäude des "Hofbräuhauses" werden an den neuen Standort in der Inneren-Wiener-Straße verlegt.

21. Mai 1881 München-Hackenviertel * "Das Aquarium" am Färbergraben wird eröffnet.Der Eintrittspreis beträgt 1 Mark.

Die namensgebende Attraktion - das Aquarium - befindet sich im Keller des Anwesens.Dort gibt es in einer Tropfsteinhöhle eine "Tauchergrotte" und 30 offene oder verglaste Süß- und Salzwassergrottenzum bestaunen.In den Becken tummeln sich - neben einheimischen Fischen und diversemMeeresgetier - auch Seehunde, Haie und zwei Nilkrokodile. Im Erdgeschoss sind Affen, ein junger Bär, Schlangen, Eidechsen und eine Anzahl exotischer Vögel ausgestellt. Der erste Stock beherbergt eine umfangreiche Kunstsammlung, die ein Sammelsurium von Gegenständen beinhalten:Chinesische Skulpturen, historische Waffen, ausgestopfte Tiere, Spieluhren und moderne mechanische und elektrische Automaten; darunter auch einige lebensgroße mechanische Wachspuppen. Ein sogenanntes Lachkabinett, bestehend aus verschiedenen Vexierspiegeln, sorgt für zusätzliches Vergnügen. Im zweiten Stock befindet sich "Ein wunderbar perspektivisches Gemälde von Neapel mit dem Vesuv" sowie 19 verschiedene Wachsfigurengruppenund eine Sammlung von Totenmasken. Im als Steingrotteeingerichteten Innenhof des Anwesens können die Besucher im Gartenlokal "Alhambra" - wenn sie wollen - "noch ein Stündchen im trauten Gespräch beim Glase Spatenbier das Gesehene am Geistesauge vorbeiziehen lassen".

Dort oder in einem Konzert- bzw. Vorstellungssaal finden darüber hinaus regelmäßig diverse Sonderdarbietungen statt:Tiere und Menschen werden zur Schau gestellt, aber auch Automaten.

27. Juni 1881 München - Schweiz * König Ludwig II. und der Schauspieler Josef Kainz begeben sich auf eine Reise in die

Seite 159/362 Schweiz. Dort soll Kainz, an den Originalschauplätzen von Schillers "Wilhelm Tell" Passagen aus dem Werk zitieren.

Auf dieser Reise entstehtauch das berühmte Erinnerungsfoto, bei dem Kainz die Hand auf die Schulter des Königs legt. Die Hand wird später durch Retusche entfernt.

25. September 1881 München-Theresienwiese * Der MetzgermeisterJohann Rössler kommt mit einem selbst entworfenen Apparat aufs Oktoberfest. In einem Plakat beschreibt er die neue Attraktion:

"Auf der Theresienwiese. Seltene Volksbelustigung!Das Braten eines ganzen Ochsen.

Sonntag, den 25, September 1881 wird ein ganzer Ochse auf einer eigens dazu construirten Maschine am Spiess gebraten.Anfang der Zubereitung Früh 8 Uhr. Beginn des Bratens 9 Uhr.Das Garsein wird auf Abends halb 5 Uhr festgesetzt und wird durch drei Böllerschüsse bekannt gegeben.Preis per Portion 50 Pfg. Entrée 50 Pfg.Von 2 Uhr an Musik-Produktion.Ausschank von gutem, alten Hacker-Bier.Die Maschine steht von Montag, den 26. September an gegen Entrée von 10 Pfg. ausgestellt,Wozu ergebenst einladen die Unternehmer J. Rössler & A. Schibanek."

Die Ochsenbratereiwird in den Polizeiberichten als "Schaustellung" und nicht als gastronomischer Betriebgeführt.

1. Mai 1882 München-Untergiesing * Mit der Gründung des Vereins kann das "Marianum" Mieträume im sogenannten "Eichthal-Schlößchen" an der Pilgersheimerstraße beziehen und dort eine "gesunde, Licht und Luft reichlich bietende Heimat" finden.

Die "Frauen von Maria-Stern" aus Augsburg übernehmen das "Marianum". Die Klosterfrauen leiten die Anstalt und betreuen die Bewohnerinnen.

Das Ziel des Vereins "Marianum für Arbeiterinnen e.V." ist, den "Mädchen sittlichen Halt und Schutz zu bieten und sie in allen weiblichen Handarbeiten zu unterrichten, teils um sie tüchtig auszurüsten für den hauslichen Beruf, teils um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, als Arbeiterinnen sich selbst zu ernähren". Letzteres gilt besonders für die körperlich behinderten Heimbewohnerinnen.

Juli 1882 München * Die "Generaldirektion der königlichen Verkehrsanstalten" beginnt in München mit dem Bau einer "Telephonanlage".

Doch auch jetzt hat die Landesregierung noch Bedenken und behält sich das Recht vor, die Anlage nach zwei Jahren wieder aufzulösen.

1883 Pfronten * Die Planungen für "Burg Falkenstein" bei Pfronten beginnen.

Seite 160/362 1884 Berlin - Deutsches Reich * Die "Reichsregierung" beginnt mit der Ausstellung von "Schutzbriefen", um die bislang als private Besitztümer geltenden, hauptsächlich in Afrika gelegenen Landstriche offiziell als "deutsche Kolonien" anzuerkennen und unter die "Verwaltung des Deutschen Reiches" zu stellen.

1884 Leipzig - München-Haidhausen* Ein Artikel der in Leipzig erscheinenden "Illustrierten Zeitung" beschreibt die Villa des Kunstmalers Eduard Theodor Grützner: "Da haben nun die vereinigten Antiquitäten mehr oder weniger sich selbst die Räume geschaffen.

Das Haus ward lediglich nach denselben gebaut; nach dem dadurch bedingten Inneren gestaltete sich naturgemäß mit Hilfe der geschmackvollen Anordnung beider Künstler [gemeint waren Grützner und Romeis] auch das Äußere dieses anmuthigen Gebäudes, mit all seinen Winkeln und Vorsprüngen, mit seinen Erkern, Altanen und Thürmchen, die demselben solch ein charaktervolles, deutsch anheimelndes Aussehen verliehen".

1884 Obergiesing * Der Innenputz der neuen "Heilig-Kreuz-Kirche" ist fertiggestellt.

Mit der Innenausstattung wird begonnen.

September 1884 Theresienwiese * Nachdem auf der "Theresienwiese" neben der obligatorischen "Pferde-Rennbahn" eine zusätzliche Spur für "Rad-Rennfahrer" angelegt worden ist, gewinnt Heinrich Roth acht Jahre hintereinander das große "Oktoberfest-Rennen".

Und jedes Mal gratuliert ihm bei der Preisverleihung der "Prinzregent" und schüttelt ihm die Hand. Nach dem sechsten Sieg sagt der bayerische Monarch: "Geh, Roth, lassen's halt aa amal de andern gwinna". Darauf erwidert der "Rennfahrer" nur: "De braucha bloß schnella fahrn!"

28. Oktober 1884 Berlin * ReichskanzlerOtto von Bismarck ändert seine Einstellung gegenüber der Kolonialpolitikin Hinblick auf die Reichstagswahlenaus innenpolitischen Gründen. Über das Kolonialfieberwill Bismarck die am 28. Oktober angesetzten Reichstagswahlenzugunsten der regierungsfreundlichen Parteienzu beeinflussen, da die bürgerliche Linkeund die Sozialdemokratieoffen zu ihrer Kolonialgegnerschaftsteht.

Und tatsächlich verliert das linksliberale Lager, bestehend aus der Deutschen Fortschrittspartei, der Liberalen Vereinigung, der Deutschen Freisinnigen Parteiund der Deutschen Volkspartei41 Sitze im Reichstagund fällt von 115 auf 74 Mandatezurück. Unabhängig davon können die Sozialdemokraten- trotz der Behinderungen durch das Sozialistengesetz- ihre Mandatevon 12 auf 24 verdoppeln.

29. September 1885 München-Kreuzviertel * Die Sitzungsperiodedes Bayerischen Landtagsbeginnt.

Seite 161/362 Nachdem ReichskanzlerOtto von Bismarck die Übernahme der Schulden von König Ludwig II. durch den Landtagvorgeschlagen hat, entwickelt sich bei den Abgeordneten der Patriotenparteieine für den König sehr ungünstige Stimmung. Pläne zur Erhöhung der Zivilliste, um König Ludwig II. - unter strengen Auflagen - die Abzahlung seiner Schulden zu ermöglichen, werden zwar diskutiert, aber nicht weiter verfolgt.

Bei den Konservativenbesteht keine Neigung für eine Finanzhilfe. "Wir halten fest zu unserem angestammten Fürstenhause, zu unserem Könige, aber was auch kommen möge, wir werden auch die Interessen des Volkes hoch halten, Wünschen gegenüber, die mit dem Volkswohl nicht im Einklang stehen". Eine Diskussion des Themas im Landtagwird sogar als gefährlich bezeichnet, "denn die Stimmung im Lande sei der Art, daß jede Discussion die Aufregung bis zum Überlaufen steigern und Dinge ans Licht bringen könne, über die man sich entsetzen würde".

1886 München - München-Untergiesing * William Frederick Cody, besser bekannt unter seinem Pseudonym "Buffalo Bill", hält sich mit seiner "Wildwest-Schau" in München auf.

Die Münchner sind begeistert von den "tollkühnen Zugstücken", worunter man die Reiterkünste bei einem nachgespielten Überfall auf einen Eisenbahnzug versteht. In der Schau treten neben der "ritterlich schönen Erscheinung" Buffalo Bills noch "nordamerikanische Indianer" und "mexikanische Baqueros" auf.

Die Zuschauer schwärmen von den "Künsten der Naturreiter" und ihren "wahrhaft schönen und sicheren Sitz und ihrer prächtigen Haltung" und vom Anblick der Indianer, "deren nackte, ebenmäßige Glieder so bunt bemalt sind, als trügen die braunen Herrschaften grellfarbene Tricots".

Beim Rennen gegen "Buffalo Bill" treten "die besten Hochradfahrer Europas" an: der in Haidhausen wohnende Heinrich Roth und der aus dem "Westend" stammende Josef Fischer. Ausgetragen wird das ungleiche "Rennen zwischen Roß und Stahlroß" auf der "500-Meter-Radrennbahn" am "Schyrenplatz".

Die Rennstrecke haben die Konkurrenten zuvor auf fünfzig Kilometer festgelegt. Auf der mit Sand aufgefüllten Innenbahn spornt "Buffalo Bill" seine extra aus Amerika mitgebrachten Pferde an. Auf der Außenbahn mit den "überhöhten Kurven", die hohe Geschwindigkeit zulassen, strampelten sich die "Radrennfahrer" ab.

Und so verläuft das Rennen: "Die Radfahrbahn kann die Masse der Zuschauer nicht fassen. (...) Buffalo Bill jagt sein erstes Pferd fünf Runden in halsbrecherischem Tempo neben den Radfahrern. Dann - den Zuschauern bleibt der Atem weg - voltigiert er in vollem Galopp auf das zweite Pferd.

Dieser kühne Wechsel wiederholt sich mehrere Male. Buffalo Bills Helfer treibt mit einem Peitschenschlag das nächste Pferd an die Seite des dahinstürmenden Reiters - ein kraftvoller Schwung, Oberst Cody sitzt im Sattel des frischen Tieres. Rücksichtslos bearbeiten die talergroßen Sporen die Flanken des keuchenden Pferdes, dem blutiger Schaum vom Mund flockt.

Die Radfahrer fallen zurück, aber sie geben nicht auf. Als Buffalo Bill auf sein letztes Pferd wechselt, sind sie bereits wieder in Führung.

Seite 162/362 Der schnelle Hengst, den der Oberst sich bis zum Schluß aufgespart hat, vermag daran nichts mehr zu ändern: Heinrich Roth und Josef Fischer gehen als Sieger durchs Ziel und kassieren den unwahrscheinlich hohen Siegespreis von 1.500 Mark, der ihnen in 150 blanken 10-Mark-Stücken aus funkelndem Gold ausbezahlt wird".

13. Juni 1886 Schloss Berg * Am Pfingstsonntag gegen 18.30 Uhr treten der abgesetzte und entmündigte König Ludwig II. und der Leiter der Kreisirrenanstalt von München und Oberbayern, ProfessorDr. Bernhard von Gudden, einen Spaziergang an. Nachdem sie um 20 Uhr noch immer nicht zum Abendessen erschienen sind, beginnt man mit der Suche.

Gegen 23 Uhr findet man die Leiche des Ex-Königs auf dem See schwimmen, das Gesicht nach unten.Nur ein paar Meter entfernt treibt der tote Dr. Gudden. Bei der Leichenschau finden sich an Ludwig II. keine Verletzungen, jedoch im Gesicht des 61-jährigen PsychologenKratzwunden über dem rechten Auge. An der Stirn wird eine Beule festgestellt.Ein Fingernagel ist abgerissen und am Hals finden sich Würgemale.

Das Volk gibt die Schuld an der Königstragödiedem Prinzregenten.

17. Juni 1886 München * In einem geheimen Protokollwird über den Gesundheitszustand des fünften bayerischen Königsdas Nachfolgende ausgeführt:"Der Zustand seiner Majestät des Königs Otto sei ein solcher, daß auch der Laie die Regierungsunfähigkeit zu bestätigen vermöge.

Das Leiden hatseinen Anfang genommen [...] wie bei Seiner Majestät König Ludwig. Zuerst seien Seine Majestät König Otto zur Führung einer längeren Conversation befähigt gewesen, jetzt könnten sich Seine Majestät gar nicht mehr artikuliert ausdrücken, wenn auch ein gewißes Verständnis und Erkennungsvermögen bestehe. Wenn Ihre Majestät die Königinmutter oder ein Curator das Schloß Fürstenried besuche, so erkennen Seine Majestät dieselben, lachen und springen davon, weil Seine Majestät außer Stande sind, zusammenhängend zu sprechen."

Und an einer anderen Stelle der gleichen Protokollnotiz steht geschrieben:"Hienach finden sich bei Seiner Majestät König Otto bald Exaltations-, bald Depressions-Zustände mit Aufregungen, lebhaften Sinnestäuschungen, zuckende Bewegungen, Wahnideen sowie Geistesschwäche vor, und ist dieser Zustand als ein unheilbarer zu erachten."

20. Juni 1886 München * Der Journalist Anton Memminger schreibt in der Bayerischen Landeszeitung: "Um sich auf seinen Sesseln weiter halten und in gewohnter Weise fortwursteln zu können, hat das Ministerium Lutz den Prinzen Otto zum König eingesetzt. [...]

Allein der klare Wortlaut der Verfassung widerspricht der Ernennung Ottos zum König. In der Urkunde heißt es, dass der König den Eid auf die Verfassung leisten muss. Ein Prinz, der aber nichtfähig ist einen Eid zu leisten, weil er den selben weder verstehen noch halten kann, soll der nun fähig sein, König zu werden? [...]

Das ganze Volk war auch völlig verblüfft, als ihm das Ministerium einen irrsinnigen Prinzen als König vorstellte. [...] Wo soll das hinaus? Man kann doch dem Volke nicht zumuten, dass es die Ehrfurcht, Liebe und Achtung, die es dem genialen König Ludwig II. auch im Unglück nicht versagte, auf einen unheilbaren blödsinnigen Prinzen

Seite 163/362 überträgt."

Der Verfasser der Zeilen wird wenig später deswegen verurteilt.

13. Oktober 1886 München * Die Münchner Neuesten Nachrichteninformiertdie Bevölkerung ausführlich über die Lebensumstände und den Gesundheitszustand des neuen Bayernkönigs Otto I..Die Öffentlichkeit erfährt erst jetzt, dass Prinz Otto an Verrücktheitoder Paranoialeidet.

"Der kranke König wird durch anhaltende Sinnestäuschungen (Halluzinationen) und Wahnvorstellungen so sehr vom realen Leben abgezogen, daß der Nichtunterrichtete [...] jeden geistigen Zusammenhang des Monarchen mit der Außenwelt für aufgehoben hält.Nur gelegentlich zeigen sich vorhandene Reste normaler Geisteskräfte. [...]Die Prognose geht mit Bestimmtheit dahin, daß an Heilung nicht gedacht werden kann.Auf die Lebensdauer hat das Leiden keinen Einfluß."

8. Januar 1887 München - Vorstadt Schwabing * Die Regierung von Oberbayern, Kammer des Innernübergibt der Stadt Schwabingihr neues Stadtwappen. Es zeigt zwölf goldene Ähren im blauen Schild, deren Halme von einem silbernen, zu einer Schleife verschlungenen Band zusammengehalten werden.

8. März 1887 München * Das Bayerische Innenministeriumstellt einen Antrag an Prinzregent Luitpold, Kostümierungserlaubnissealleine auf Singspielhallenzu beschränken, da diese leichter zu überwachen sind, als andere Etablissements.

26. Juni 1887 Tölz * Die Marktgemeinde Tölz hat "zur Erinnerung an die Gefallenen des Krieges gegen Frankreich 1870/71" ein Kriegerdenkmalerrichtet.Dazu wird die Figur des Kaiserlichen Feldhauptmannsund Herzoglichen Pflegers zu Tölz"Kaspar Winzer, verwendet werden.

Als besonderen Glanzpunkt der Enthüllungsfeier und des dazugehörigen Festzugswird der "Einzug des Feldobersten Kaspar von Winzer zu Roß an der Spitze seiner Landsknechte, Hackenschützen und Hellbeardierer in Tölz nach der Siegeschlacht von Pavia 1525" nachgestellt. Der Münchner RestauratorKarl Joseph Zwerschina gewinnt dazu Freunde und Kollegen, die in den Kostümen nicht nur eine "gute Figur" machen, sondern sich auch in ihre Rollen hinein leben. Sie nennen sich "Winzerer Fähndl".

September 1887 München-Theresienwiese * Der Steyrer Hans zieht mit festlich geschmückten Wagen zur "Theresienwiese".

Er selbst fährt mit seiner Familie im Vierspänner, es folgen sieben Zweispänner, beladen mit Musikanten sowie Schank- und Bedienungspersonal. Der Aufzug beginnt am "Restaurant Steyrer Hans" in der Tegernseer Landstraße in Obergiesing.

Nach einem Umtrunk im "Schneider Weißen" im Tal wird Steyrers "Wiesneinzug" von der Polizei gestoppt.

Seite 164/362 Ein Gerichtsverfahren endet mit einer Geldbuße wegen "Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit", was jedoch die Sympathie für den bayerischen "Kraft-Athleten" bei der Bevölkerung vermehrt. Das wiederum wirkt sich positiv aufs Geschäft aus.

Damit ist der Steyrer Hans der Erfinder des "Einzugs der Wiesnwirte".

1888 München-Isarvorstadt * Der "Ernst des Lebens" beginnt auch für Valentin Ludwig Fey. Er besucht die Klenzeschule.

1888 München-Graggenau * Der kleinere "Sitzungssaal" für den "Magistrat" im "Neuen Rathaus" wird von Wilhelm von Lindenschmitt mit einem Fresko ausgeschmückt.

Es zeigt eine "Monachia", die von König Ludwig I. gekrönt wird. Man wollte damit "pflichtschuldig" daran erinnern, dass München "seinen Aufstieg zu einer erstrangigen Kunststadt Europas alleine dem Bauwillen und dem Sammlungseifer dieses Regenten zu verdanken hatte".

1888 München-Lehel - Praterinsel * "Stadtbaurat" Friedrich Loewel erbaut das "Weinrestaurant und Wiener Café Isarlust" auf der "Feuerwerkinsel".

Er realisiert hier ein Rokoko-Schlösschen, das mit seinem hohen Mittelbau fast an einen Theaterbau erinnert und deren mächtige Kuppel und reiche Dachlandschaft sich schön zwischen die hohen Bäume einfügt. "Die prunkvolle Rokokoausstattung des Innern lässt noch deutlich den seinerzeitigen Einfluss der Prachtbauten Ludwigs II. erkennen".

Nach der "Kunstgewerbe-Ausstellung" wird die "Isarlust" eine gehobene Restauration für die feine Gesellschaft, in der auch Künstlerfeste stattfinden.

1. Januar 1888 Berlin * Der Deutsche Kolonialvereinund die Gesellschaft für deutsche Kolonisationschließen sich offiziell zur Deutschen Kolonialgesellschaftals Dachverband der organisierten Kolonialbewegungzusammen. Sie bringt wöchentlich die Deutsche Kolonialzeitungheraus und kann ihren Mitgliederstand von 14.838 im Dezember 1887 auf über 42.000 zu Beginn des Ersten Weltkriegs steigern.

15. Juni 1888 Berlin * Wilhelm II. von Preußen wird Deutscher Kaiserund übernimmt damit die Macht im Deutschen Reich. Die Kolonialbewegungist inzwischen zu einem ernstzunehmenden Faktor in der deutschen Innenpolitik herangewachsen. In den Mittelpunkt der deutschen Außenpolitik entwickelt sich ein Großmachtstreben.

Um August 1888

Seite 165/362 München-Au * Johann Bucher kauft die Anwesen Entenbachstraße 11 (heute Zeppelinstraße) und Lilienstraße 89.

Dort kann er im Innenhof eine große Werkstätte mit Schmiedefeuer und einem Webstuhl zur Drahtgitterherstellung einrichten und betreiben.

In Handarbeit stellter und seine Beschäftigten Siebe, Wurfgitter für Baustellen sowie Kies- und Sandgewinnungs-Unternehmen "Rabitzgewebe" und verschiedene Formen von Ziergitter her.

September 1888 München-Lehel * Die Münchner "Gemeindekollegien" beschließen, der protestantischen Kirchengemeinde den Mariannenplatz zum Bau ihrer dritten Kirche zu überlassen.

Als Bedingungen werden gestellt, dass der Bau innerhalb der nächsten drei Jahre begonnen und als ein der "Quaistraße" entsprechender und monumentaler Bau ausgeführt werden muss.

1889 München* Die Brüder Heinrich und Wilhelm Hildebrand beginnen mit der Konstruktion eines"Zweirades mit Dampfmotor", nachdem Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach mit ihrem kleinen und schnell laufenden"Benzinmotor"in der 1880er Jahren die Voraussetzung für die Weiterentwicklung des"Velocipedes"zum"Motorzweirad"geschaffen hatten.

Zur Verwirklichung ihres"Dampf-Kraftrades"wenden sich die Brüder Hildebrand an zahlreiche Fahrrad- und Motorfirmen, die ihr Projekt - eine Dampfmaschine mit Kessel, Wasser- und Kohlevorrat - allerdings immer wieder ablehnen.

Wilhelm steigt schließlich aus Frust aus dem Projekt aus, doch Heinrich Hildebrand kann den Ingenieur Alois Wolfmüller gewinnen und mit ihm Zweiräder mit einem"wassergekühlten Zweizylinder- Viertaktmotor"ausstatten.

Das ist der Durchbruch.

1889 München-Graggenau * Erweiterungsarbeiten am "Neuen Rathaus" beginnen im Bereich Diener- und Landschaftsstraße.

1889 München-Englischer Garten - München-Graggenau - München-Haidhausen - Bogenhausen * Das Rad fahren im "Englischen Garten", in den "Maximiliansanlagen" und im "Hofgarten" ist untersagt.

Auch viele Straßen der Innenstadt sind für "Velocipedisten" tagsüber nur zu Fuß zu benutzen, das Rad muss geschoben werden.

20. April 1889 Braunau am Inn * , der spätere deutsche Reichskanzler, wird in Braunau am Inn in Österreich

Seite 166/362 geboren.

1890 München * Im Verwaltungsbericht "Über den Stand der Gemeindeangelegenheiten der königlichen Haupt- und Residenzstadt München" werden die Zweifel an den bisherigen Methoden der Abfallsammlung deutlich formuliert.

Im Abschnitt "Reinlichkeitspolizei" heißt es: "Die innerhalb eines Anwesens sich ansammelnden Abfälle, insbesondere der sogenannte Hauskehricht (Kehricht, Asche, Küchenabfälle), sind in München bisher zumeist in Gruben aufgespeichert worden, welche jährlich mindestens einmal geleert werden mußten. In diesem Kehricht befinden sich fäulniserregende Stoffe, welche die Träger von Krankheiten sein können. Dies ist für die Gesundheit umso nachtheiliger, als erfahrungsgemäß die Verschlüsse jener Gruben schlechte sind, ein oftmaliges Öffnen derselben nicht vermieden werden kann, ja dieselben häufig wegen Überfüllung überhaupt offen stehen bleiben. Die Sorge für die Gesundheit der Stadt verlangt eine rasche Entfernung dieser Stoffe [...] aus den genannten Anwesen. Desgleichen verlangt die Gesundheitspflege, daß bis zu dem Zeitpunkt ihrer Entfernung die Stoffe in gut verschließbaren Behältern aufbewahrt bleiben. Der Transport der Abfälle muß in gesicherter Weise stattfinden, sodaß weder sanitäre Gefahr entsteht, noch die Reinlichkeit verletzt wird".

Um 1890 München-Obergiesing * Mit einem Körpergewicht von beinahe zweieinhalb Zentnern und seinem vierzig Zentimeter langem Schnurrbart war der "Steyrer Hans"eine stattliche, mitunter auch furchteinflößende Erscheinung.

Kein Wunder, dass ihm die Münchner unterstellten, er würde "Oachkatzln" schnupfen, die er in seiner zigarrenschachtelgroßen, dreiundvierzig Pfund schweren Tabakdose aus Marmor und Zinn untergebracht hätte. Dieses Ungetüm reicht der "Steyrer Hans" mit besonderem Vergnügen herum, weil sie kaum jemand halten konnte.

Verheiratet ist er mit Mathilde, der Tochter des "Schweinemetzgers" Schäffer. Sie betreiben nacheinander mehrere Gaststätten in München, so das Gasthaus "Zum bayerischen Herkules" in der Lindwurmstraße, ein weiteres in der Bayerstraße.

Dann übernehmen sie eine kleine Wirtschaft in Obergiesing, den "Tegernseer Garten", den sie ausbauen und bis zu seinem Tod als "Restaurant Steyrer Hans" bewirtschaften. Dieses Wirtshaus an der Tegernseer Landstraße 75 ist ein beliebter Treffpunkt der Athleten und "Kraftmenschen".

23. August 1890 München-Isarvorstadt * Die Instandsetzungsarbeiten an der Neuen Isarkasernebeginnen. Die Reparaturen sind bis zum Frühjahr 1893 abgeschlossen.

1891 München * Mitglieder des "Winzerer Fähndls" beginnen mit dem "Armbrustschießen".

Seite 167/362 Sie nennen sich "Armbrustschützengilde des Winzerer Fähndls".

Dabei war die "Armbrust" - im Gegensatz zum "Spieß", der "Hellebarde"und dem "Bihänder", dem zweihändig geführten "Schlachtschwert", nie eine Landsknechtswaffe und gehörte damit eher in das städtische Wehrwesen.

Anders verhielt es sich bei der "Armbrust" als Jagdwaffe. Doch bei höfischen Jagdgesellschaften hatten Landsknechte nichts verloren.

1. Juli 1891 München - München-Giesing * "Innerhalb der Anwesen bzw. Grundstücke sich ansammelnder Unrat" darf nicht mehr in Gruben gelagert, sondern ist "in dichten - Feuerungsreste und Asche überdies in metallenen - mit Deckel versehenen Behältern aufzubewahren [...] und zur Abfuhr bereitzuhalten".

Der Müllwird zweimal in der Woche abgeholt.Alle, die im Einzugsgebiet wohnen, müssen bei der neumodischen Müllabfuhrmitmachen und dafür Gebühren zahlen.Die außerhalb des Anschlussgebiets weiterhin benutzten Grubenmüssen nun mindestens zweimal jährlich geleert werden.

Bald nach Erlass der Richtlinievon 1891 konstruiertein Schmiedemeister aus Giesing namens Fischer einen Sammelwagen, den er patentieren lässt.Der Wagen ist einachsig, wird von einem Pferd gezogen, kann nach unten entleert werden und fasst 2,85 Kubikmeter Unrat.Er bekommt den etwas eigenartigen Namen "Harritsch". Diese Namensgebung soll vom englischen carriagefür Wagen, in das eher bayerische Harritschumgewandelt worden sein. Auch dieseUnrat-Sammelgefäßesind normiert.

Oktober 1891 Berlin * Der Mordprozess gegen das Berliner Ehepaar Heinze beginnt.

In der Verhandlung wird der Zusammenhang mit "Kuppelei" und "Prostitution" hergestellt.

Daraus schließt man, dass "Obszönität" eine der Hauptursache für kriminelles und von der Norm abweichendes Verhalten sei.

März 1892 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Die "Garnisonsverwaltung" zieht von der "Alten Isarkaserne" auf der "Kohleninsel" nach Neuhausen.

Damit beginnt die Übergabe des Geländes an die Stadt München.

Diese quartiert in der ehemaligen Kaserne zahlreiche Behörden ein:

die "städtische Desinfektionsanstalt", die "Inspektion für Blitzableiteranlagen", das "polizeiliche Krankenträgerinstitut", den "Sanitätsverband", die "Lehrwerkstätten des Volksbildungsvereins" und

Seite 168/362 die "Berufsschule für Friseure".

1893 München-Untergiesing * Josef Fischer gewinnt auf dem "Schyrenplatz" ein Rennen über viertausend Meter gegen das "Traberpferd Flora I." in 6 Minuten 47 Sekunden.

Der "Dauerradfahrer" hat dabei einen Vorsprung von 5,4 Sekunden.

1893 München-Lehel * Der Innenraum der "Anna-Klosterkirche" erhält einige Umgestaltungen im Sinne des an die "Nazarenerkunst" orientierten Zeitgeschmacks.

Dabei gehen wertvolle Altarblätter von Cosmas Damian Asam für immer verloren.

15. Juni 1893 München - Deutsches Reich- Berlin * Bei der Reichstagswahldes Jahres 1893 sind über 106.800 Münchner Männer wahlberechtigt.

Den Wahlkreis München I(Altstadt, Lehel, Maxvorstadt)gewinnt Georg Birk [SPD], der Wahlkreis München II(Isarvorstadt, Ludwigsvorstadt, Au, Haidhausen, Giesing), München-Land, Starnberg, Wolfratshausen, wird von Georg von Vollmar [SPD] erobert.

1894 München-Haidhausen * Der "Königlich-bayerische Major a.D.", Karl Graf von Rambaldi, beschreibt in seinem Buch "Die Münchner Straßennamen und ihre Erklärung? - in einer patriotisch-kriegsverherrlichenden Art und Weise - den Hintergrund der Straßenbenennung in diesem Stadtteil.

So erhält beispielsweise die Weißenburger Straße ihren Namen "Zur Erinnerung an das Treffen bei Weißenburg im Elsaß am 4. August 1870, mit welchem die 4. Bayerische Division ?Bothmer? die Operationen der III. deutschen Armee im Kriege gegen Frankreich so glücklich eröffnete. [...] Der Gesamtverlust auf deutscher Seite betrug 91 Offiziere und 1.400 Mann?.

Die Wörthstraße erinnert an die Schlacht vom 6. August 1870. Bei Rambaldi liest sich das so: "Heiß war der Kampf, die die Weinberge dicht besetzt haltenden Turkos und Zuaven wehrten sich grimmig: Aber unaufhaltsam war das Vordringen der Deutschen [darunter bayerische Armeekorps]. Der Sieg war mit einem eigenen Verlust von 489 Offizieren und 10.153 Mann erkauft?.

1894 München-Ludwigsvorstadt * Der geschäftstüchtige Münchner "Kommerzienrat" Friedrich Haenle, der mit der Herstellung von Silberbeschlägen reich geworden ist, besitzt an der Schwanthalerstraße ein 5.400 Quadratmeter

Seite 169/362 großes Grundstück. Dieses will er gewinnbringend veredeln und sein Geld mit einem weiteren Projekt vermehren.

Zusammen mit dem aus Frankreich stammenden Architekten Alexander Bluhm, der auch als "Konzessionär" verantwortlich zeichnet, baut er ein Theater für "Aufführungen von Schauspiel, Lustspiel, Schwank und Ballett".

Und wer mit einem "Unterhaltungspalast" sein Geld verdienen möchte, darf "nicht knausern". Die Beiden lassen es also krachen und setzen auf "mondänen Luxus", sodass die "Münchner Fremdenzeitung" über die ehrgeizige Ausstattung euphorisch jubiliert: "Überall ist nur das Beste gewählt, die ersten Firmen der Welt wurden mit Lieferungen betraut, ohne Rücksicht auf Entfernung oder Unkosten, die bis jetzt schon sechs Millionen verschlungen haben. Welches Finanzkonsortium hat diese sechs Millionen gezahlt? Was kümmert?s uns und Euch!".

Das Bauprogramm hatsich aber keineswegs nur auf das "Deutsche Theater" beschränkt. Die sogenannte "Schwanthaler Passage" ist eine interessante Kombination. Neben dem "Bühnenhaus" besteht die "Schwanthaler Passage" aus dreißig Wohnungen mit insgesamt 114 Zimmern. Zusätzlich bieten zwanzig Läden vielfältige Möglichkeiten für einen Einkaufsbummel.

1894 München-Untergiesing * Die "Giesinger Mühle" gehört der "Münchner Bäcker-Innung", deshalb der Name "Bäcker-Kunstmühle".

Sie kauft die Mühle "mit allem lebenden und toten Inventar" für 482.000 Mark. Nach umfangreichen Umbauarbeiten kann die Mühle noch im gleichen Jahr als "Bäcker-Kunstmühle der Bäcker-Innung München" eröffnet werden.

Die Wasserkraft des "Auer Mühlbachs" erzeugt hier 200 PS. Die Turbine wird circa 50.000 Stunden im Jahr betrieben. Der Elektromotor leistet 50 PS und läuft an etwa 1.500 Stunden im Jahr.

In dem vollautomatischen Mahlbetrieb gibt es zwei getrennte Mahlsysteme, in denen 2.995 Tonnen Roggen und 6.412 Tonnen Weizen, also eine Gesamtleistung von 9.407 Tonnen im Jahr, gemahlen werden können.

Mai 1894 München-Hackenviertel * Im "Internationalen Handels-Panoptikum" treten "Hawai-Tänzerinnen" auf.

Es gibt Programme für Familien und "Elite-Vorstellungen" nur für Herren.

1895 München-Graggenau * Valentin Ludwig Fey beginnt mit seiner Ausbildung in der "Privat-Bürgerschule Dr. Ustrich" in der Münzstraße 4.

Ab 26. Juni 1895 Deutsches Reich - Österreich * 1895, also noch bevor SamoaTeil des deutschen Kolonialbesitzesgeworden ist, reisen Inselbewohner nach Deutschland, um in den sogenannten Völkerschauenaufzutreten. Die Reise der

Seite 170/362 Truppe dauert bis Dezember 1897, dabei besuchen sie in Deutschland unter anderem Berlin, Köln, aber auch Wien.

Die Hauptattraktion sind natürlich die schönen, jungen Samoanerinnen.Diese "Marzipanpüppchen mit Chocoladenüberzug" begeistern freilich in erster Linie die Männerwelt.

1. November 1895 München-Isarvorstadt * Mit sieben Mitarbeitern beginnt die Arbeitsvermittlung von "gewerblichen Arbeitern, Handlungsangestellten, Dienstboten, Tagelöhnern und Lehrlingen" im Südpavillonauf der Kohleninsel. Damals öffnet das Städtische Arbeitsamt Münchenseine Pforten für arbeitsuchende Münchnerinnen und Münchner.

Die bayerische Hauptstadt übernimmt mit dieser Einrichtung im Bereich der kommunalen Arbeitsvermittlung - neben einigen Städten in Württemberg - eine Vorreiterrolle.

2. November 1895 München * Das Konkursverfahrenvor dem Königlichen Amtsgericht München Igegen die Firma Hildebrand & Wolfmüllerwird eröffnet. Wie viele Motorräderwirklich produziert worden sind, lässt sich nicht mehr bestimmen; es waren aber kaum mehr als einhundert.

Was war geschehen und warum wurde der kometengleiche Aufstieg der Firma so jäh wieder beendet?Denn immerhin erreichte das Auftragsvolumen nur wenige Wochen nach der Firmengründung zwei Millionen Reichsmark, was die Unternehmer in die Lage versetzte, ihre Motorräderfür einen Stückpreis von 650 Mark an die Händler abzugeben.

Alois Wolfmüller und Heinrich Hildebrand wagten sich zu früh an die Öffentlichkeit.Der Konstrukteurmusste sich - wie sein Geldgeber - um die Produktion kümmern, und fand schon deshalb keine Zeit, sich um die Verbesserung seiner sonst so fortschrittlichen Erfindung zu kümmern.

Das Grundproblem des Hildebrand & Wolfmüller-Motorradeswar die ungenügende Funktion der Zündung.Das Anlassen der H&W-Maschine- ohne Kickstarterund ohne Batterie- war laut der Beschreibung für das Motorradfür einen Geübten in drei bis fünf Minuten zu bewerkstelligen. Heute wissen wir allerdings, dass der Vorwärm-Mechanismus- ähnlich wie bei Dieselfahrzeugen - viel Fingerspitzengefühl erforderte und sicherlich 13 bis 15 Minuten dauerte - oder gar nicht gelang. Die Unzufriedenheit der Kunden war also vorhersehbar und der Konkurs der Münchener Firma damit unabwendbar.

Auch sonst war man bei diesem Pionierstück der Motorrad- Geschichtenoch von vielen heute üblichen Lösungen weit entfernt.Beim Betrachten des H&W-Motorradesfällt sofort der an ein Lokomotivengestänge erinnernde Antrieb auf.Über zwei lange Pleuelstangenwurde die Kraft der beiden Kolben - wie bei einer Dampfmaschine - direkt auf das Hinterrad des H&W-Motorradesübertragen. Der gravierende Unterschied lag im Antrieb, der bei dem Motorradüber einen Benzinmotor erfolgte.

Da bei einem Benzinmotordie Kraft durch die Explosion eines Gasgemisches erfolgt, war ohne Kupplung und Getriebe ein gefühlvolles und ruckfreies Anfahren überhaupt nicht möglich.Die mit einem für heutige Verhältnisse außergewöhnlich hohen Hubraum von 1.530 cm³ ausgestattete Maschine wurde bei jeder Zündung um 1½ Meter nach vorne "geworfen". Um den Vorwärtsdrang dieses Hubraumriesenetwas geschmeidiger zu gestalten, kamen zwei starke Gummibänder zum Einsatz, die beidseitig am Motorradangebracht wurden, einen Teil der Energie speicherten und diese dann während der Rückhubphasedes Kolbens abgaben.

Seite 171/362 Um mit dem H&W-Motorradüberhaupt in Fahrt zu kommen, musste der Fahrer - auf dem Sattel sitzend - beidseitig mit den Beinen so lange anschieben, bis der 2,5-PS-Motor seine Arbeit aufnahm, um in den Stillstand zu kommen, der Motor sogar "abgewürgt" werden.

Die einzige Bremse des Fahrzeugs bestand aus zwei Holzklötzen, die direkt auf die Lauffläche drückten.Dennoch konnte mit dem Motorradeine Geschwindigkeit von dreißig bis vierzig Kilometern in der Stunde erreicht werden. Sonderanfertigungen brachten es sogar auf neunzig Stundenkilometern.

Aus dieser - bei Weitem nicht vollständigen - Funktionsbeschreibung geht eindeutig hervor, dass die richtige Bedienung des Hildebrand & Wolfmüller-Motorradesdurch einen Laien kaum zu bewerkstelligen war.Und genau das war auch der Grund, weshalb die H&Wals Serien-Motorradnicht erfolgreich war.

1896 Paris - Roubaix * Der "Westendler" Josef Fischer gewinnt die damals zum ersten Mal ausgetragene Rennstrecke "Paris - Roubaix" und ist bis heute der einzige deutsche Sieger.

Der Münchner bekommt damals 1.000 Francs Siegprämie, das Siebenfache eines durchschnittlichen Monatslohns, für die Schinderei durch das ärmliche Nordfrankreich, das man schon "Hölle des Nordens" nannte, bevor sich der erste Radrennfahrer über die armseligen Sträßchen kämpfte.

Ab 1896 München-Haidhausen * Zwischen 1896 und 1899 wird der Haidhauser "Unionsbräu" modernisiert.

Innerhalb von 10 Jahren steigert die "Unionsbrauerei Schülein & Cie" ihren Ausstoß von 16.000 Hektolitern um das Fünfzehnfache.

11. Juli 1896 München-Hackenviertel * In der bayerischen Haupt- und Residenzstadt werden erstmals "lebende Bilder" gezeigt. Die Aufführung findet - "unter lebhafter Anteilnahme des Münchner Publikums" - in Carl Gabriels und Emil Eduard Hammers Panoptikumstatt. Der Vorführapparat wird mit Theaterkulissen umspannt und dann "drauflos gekurbelt". Die Vorführungen richtet Carl Gabriel nach französischem Vorbild ein.

Das ganze Programm ist circa 100 Meter lang und läuft innerhalb von einer Viertelstunde ab. Drei bis fünf kleine Filme werden gezeigt:

Ein heranbrausener Eisenbahnzug, Eine Schlangendomteuse, Ein Kettensprengerund Das Aufziehen der Hauptwache.

Schon einer der ersten Filme verursacht einen Skandal.Er heißt "Endlich allein" und zeigt ein Brautpaar am Hochzeitstag.Die Schlussszene wird umgehend zensiert.

Seite 172/362 11. September 1896 München-Ludwigsvorstadt * Gut zwei Wochen vor der Eröffnung des Deutschen Theatersund der Schwanthaler Passagesteht das Unternehmen am Rande des Bankrotts.Eine Gläubigerversammlungmit rund 120 Handwerkern und Lieferanten mahnt ihre ausstehenden Zahlungen an.TheaterdirektorAlexander Bluhm schafft es gerade noch, die Gläubiger zu einem Stillhaltabkommenzu überreden und sie für sechs Monate von Pfändungen abzuhalten.

Denn wenn der Theaterbetrieb erst einmal laufen würde, so argumentiert der optimistische Theaterdirektor, dann wären auch alle finanziellen Probleme gelöst.Doch nur wenige Stunden vor der Premiere muss er eine größere Summe Geld auftreiben, weil der Lieferant der roten Teppiche im Foyer ansonsten mit einem Skandal droht.

Zum Glück gibt es aber im Hintergrund noch den reichen KommerzienratFriedrich Haenle, der für sechzig Prozent aller offen stehenden Forderungen eintreten will.Dieses Angebot führt allerdings in der Familie des Unternehmers zu Überlegungen, den Patriarchen "entmündigen" zu lassen, um dadurch weiteres Unheil zu verhindern.

Aber nicht nur die verschwenderische Ausgestaltung der Schwanthaler Passagebringt die Unternehmung an den Rand des Desasters.TheaterdirektorAlexander Bluhm hat auch beim Künstlerpersonal kräftig hingelangt. Neben dem üppig besetzten Schauspieler-Ensemble leistet er sich ein mit fünfzig Musikern besetztes Orchester und ein stattliches Ballett: 36 Tänzerinnen, 16 Tänzer, 48 Figuranten und 60 Komparsen gehören zum festengagierten Stammpersonal. Weil aber Direktor Bluhm schon zwei Monate vor der Premiere kein Geld mehr für Gagen besitzt, müssen die Proben abgesagt werden.

In München machen die Probleme des neuen Theaters schnell die Runde.Für die hiesigen Lästermäuler wird aus der Schwanthaler Passageganz schnell die "Schwanthaler Blamage", während man die Betreiber des Etablissements als "Schwanthaler Bagage" verhöhnt.

Die erzkonservative Zeitung Das Bayerische Vaterlandblickt sowieso mit Schaudern auf die Programmankündigung des Unterhaltungstempelsan der Schwanthalerstraße und sieht schon dadurch die "moralischen Grundsätze des christlichen Abendlands" als gefährdet an.Die Zeitung befürchtet, dass es sich bei dem neuen Theater um ein "Institut für moralische Schweinezüchterei", ja sogar um einen "Kunstsaustall" handelt.

Neben der veröffentlichten Meinung bereiten aber auch die genehmigenden staatlichen Behörden dem TheaterdirektorAlexander Bluhm große Probleme, indem sie ihm zunächst "die ortspolizeiliche Productionsbewilligung für theatralische Vorstellungen" verweigern.Im Hintergrund agiert hier der einflussreiche Münchner HoftheaterdirektorRitter Ernst von Possart, der in dem neuen Theater in der Schwanthaler Passageeine "dauernde schwere Schädigung der materiellen Interessen der königlichen Hofbühne" sieht.

Aber nicht nur die Angst vor einer unliebsamen Konkurrenz, die den Hoftheaterndie Zuschauer abspenstig machen könnten, sondern auch eine tief empfundene Abneigung gegen alles Moderne bringen Ritter Ernst von Possart gegen das neue Theater in Rage.Der den Traditionalistenangehörende Hoftheaterintendantpflegt auf seinen Hofbühneneinen antiquierten, stark verstaubten Stil, der kaum mit dem zeitgenössischen Theater der Naturalistenzu vereinbaren ist.

22. Oktober 1896 München-Haidhausen * In Erinnerung an das Haidhauser Wolfgangskirchleinfinden sich 42 Bürger zur Gründung des Kirchenbauvereins St. Wolfgangzusammen.

Seite 173/362 Dezember 1896 München-Lehel * Ludwig Ganghofer lässt sich in seinem Wohnzimmer einen Biergarten samt Bühne einrichten.

Einer der Schreiner, der die Bühne errichtet, ist ein gewisser Valentin Ludwig Fey, der später als "Karl Valentin" eine steile Karriere als "Volkssänger" und Schauspieler machen wird.

Ludwig Ganghofer wird in demangehenden Schreiner und weiteren Münchner Bühnen-Talenten zu Beginn ihrer Karriere unterstützend unter die Arme greifen.

1897 München-Haidhausen * Der 34-jährige "Akademieprofessor" Franz Stuck erwirbt das Grundstück an der "Äußeren Prinzregentenstraße" und beginnt umgehend mit den Planungsarbeiten für seine "Künstler-Residenz".

1897 München-Obergiesing * Bis auf wenigen Ausnahmen ist der Bau der "Heilig-Kreuz-Kirche" vollendet.

Den Innenraum der Kirche bestimmen lediglich drei Materialien: Stein, Holz und Gold. Bis auf die Glasmalereien der Fenster und die Seitenaltäre ist er völlig unfarbig.

Der "Hochaltar" der "Heilig-Kreuz-Kirche", mit einer Gesamthöhe von 16 Metern, ist - wie die meisten Einrichtungsgegenstände - Geschenke oder Stiftungen reicher Münchner Privatiers. Seine Plastiken werden mit einer grauen, steinfarbenen Fassung versehen, die Gewänder haben Goldsäume. Ebenfalls vergoldet ist der Hintergrund des Mittelbildes.

Das Kreuz gegenüber der Kanzel stammt noch aus der "alten" Kirche.

5. Februar 1897 Sankt Martin * Anton Graf von Arco auf Valley wird in Sankt Martin im Innkreis, Oberösterreich, geboren.Sein Vater stammt aus dem bayerischen Adel, seine Mutter ist eine geborene Oppenheim aus der gleichnamigen jüdischen Bankiersfamilie.

4. März 1897 München-Haidhausen * Valentin Ludwig Fey beginnt auf Wunsch seines Vaters eine Lehre beim Schreinermeister Johann Hall•huber in der Weißenburger Straße 28, Rückgebäude. Der Vater muss für seinen Buben insgesamt 500.- Mark Lehrgeldbezahlen.

Um den Juni 1897 München-Haidhausen * Auf Betreiben seiner Frau erwirbt Franz Stuck ein Grundstück an der "Äußeren Prinzregentenstraße" und beginnt umgehend mit den Planungsarbeiten für seine Villa.

9. Oktober 1897 München-Haidhausen * Die Erdaushubarbeiten für die Villa Stuckan der Prinzregentenstraße beginnen.

Seite 174/362 1898 Berg am Laim * Bei der Firma Franz Kathreiner's Nachfolgerbeträgt das Wochenleistungsmaß57 Stunden.

Die Beschäftigten müssen nach der geltenden Betriebsordnungum 7 Uhr morgens im Betrieb sein und dürfen ihn vor abends 19 Uhr nicht mehr verlassen. Es gibt zwar eine allgemeingültige Gewerbeordnungfür alle Unternehmen, doch wird diese durch innerbetriebliche spezielle Arbeitsordnungen, in der die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer noch eindeutiger festgelegt sind, ergänzt. Verstöße gegen diese Hausordnungwerden durch von der Firmenleitung einseitig festgelegte Geldstrafen geahndet. Es gibt eine Paragraphen-Listefür die sogenannten "50-Pfennig-Strafen".Diese können fällig werden, wenn ein Beschäftigter während der Arbeitszeit schlafend angetroffen wird. Das ist zwar ein nicht akzeptierbares Verhalten, doch bei einer 57-Stunden-Arbeitswoche, oftmals verbunden mit schweren körperlichen Arbeit kann das schon vorkommen. Selbst das Führen von Unterhaltungen am Arbeitsplatz, die von der Geschäftsleitungals "arbeitsstörend" eingestuft werden, führen zu dieser Strafe.Das gilt gleichfalls für das "Müßiggehen" in den Geschäftsräumen. Daneben regelt die Arbeitsordnungdas Verhalten der Arbeitnehmer.So darf niemand die Arbeit niederlegen, bevor nicht das Glockenzeichenoder die Dampfpfeifenertönt sind. Die Geldstrafen für Verspätungensind bei der Firma Franz Kathreiner's Nachfolger GmbHnoch differenzierter geregelt.Da müssen jene Beschäftigte, die zu spät an ihren Arbeitsplatz kommen, außer beim ersten Mal, eine Mindeststrafe von 20 Pfennigenentrichten.Sind die Verspätungen größer als zwanzig Minuten, dann ist pro Minute ein Pfennig fällig.

September 1898 München-Theresienwiese * Der aus Nürnberg stammende "Krokodilwirt" Georg Lang erhält vom Stadtmagistrat - bei einer Gegenstimme - die Genehmigung zur Aufstellung eines Großzeltes, und das, obwohl Lang gleichzeitig drei Zulassungsbedingungen umgeht.

Er stammtnicht aus München, bewirtschaftetseinen Wiesnausschank nicht selbst und bautseine Riesenhalle auf fünf Wirtsbudenplätze alter Größe.Diese lässter über fünf Münchner Wirte als Strohmännerersteigern und dort die "Lang?s Riesenhalle" errichten.

Da die Stadt nichts dagegen unternimmt, macht sie den Weg für die Bierhallenim großen Stile frei.Da diese Form des Bierausschanks finanzkräftige Investoren voraussetzt, verlagert sich die Trägerschaft von den Wirten auf die Brauereien.

Michael Schottenhamel war noch im Jahr 1881 mit dem selben Ansinnen vom Magistrat abgewiesen worden.

1899 München * Das Kaufhaus Hermann Tietz, der spätere Hertie, wird als erstes Kaufhaus in München eröffnet. Der Kaufhausbesitzer muss sich mehrmals vor Gericht den Anschuldigungen der Antisemitenerwehren, dass er durch

Seite 175/362 ihre niedrigen Löhnedie Verkäuferinnen zur Prostitution treiben würde. Das bringtzwar den Anschuldigern hohe Geldstrafen ein, hataber auch Auswirkungen auf das Geschäft des Warenhauses Tietz.

1899 München-Graggenau * Die Arbeiten für den zweiten Bauabschnitt des Neuen Rathausesbeginnen. Sie dauern bis 1909 an. Insgesamt 43 baierische Herrscher, davon eine Frau, sind am Neuen Rathausangebracht worden. Es ist der größte Herrscherzyklusan einen deutschen Rathaus und ist als Antwort auf die Verherrlichung der Hohenzollern in der Berliner Sieger Alleezu verstehen. Insgesamt 102 Figuren und Figurengruppen schmücken das Neue Rathaus.

8. Januar 1899 Pasing * Der Pasinger Pfarrer Engelbert Wörnzhofer gründet einen Kirchenbauverein zum Neubau der späteren Pfarrkirche Maria Schutz. Er kann dafür Prinz Ludwig [III.] als Schirmherrn gewinnen.

6. März 1899 München-Isarvorstadt * Innerhalb des Turnvereins München von 1860gründet sich eine vereinseigene Spielriege, aus der die Fußballerhervorgehen.

27. April 1899 München-Isarvorstadt * Die Fußball-Abteilung des "TSV 1860 München" wird gegründet, was fast einer revolutionären Tat gleichkommt. Doch die Gruppe derer, die hinter dem Fußball herläuft, wird immer größer.

Ist schon die Gründung einer Fußball-Abteilung innerhalb eines Turnvereins nicht gerade einfach, so stellt die Suche nach einem geeigneten Spiel- und Trainingsplatz ein weiteres Problem dar.

Zur Abhaltung eines geregelten Übungs- und Wettkampfbetriebs braucht ein solcher Verein nicht nur eine beliebige freie Wiese, sondern einen gut planierten und gepflegten Rasen mit einem deutlich erkennbar abgegrenzten Spielfeld. Die Vereine wendensich deshalb an den "Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt München" mit der Bitte um Mitbenutzung der bereits vorhandenen und nach den oben genannten Kriterien angelegten "Jugendturnspielplätzen".

Der "Turnverein München von 1860" stellte den Antrag auf Mitbenutzung des nahe dem Vereinsheim an der Auenstraße gelegenen "Jugendturnspielplatzes an der Schyrenwiese" und kann daraufhin auf dem "Schyrenplatz" - allerdings unter strengsten Auflagen - üben und Wettkämpfe veranstalten. So darf der Platz nur im Sommerhalbjahr bespielt werden, an Regentagen oder bei noch nicht abgetrockneten beziehungsweise durchweichtem Boden jedoch nicht. Jährlich - bis Mitte April - hat der Verein ein Gesuch einzureichen, in dem er seine Wünsche angibt, an welchem Tag und zu welcher Stunde er welchen Platz benutzen will. Dabei muss der "Sportclub" auf die Belegung durch die Schulgruppen Rücksicht nehmen.

Nach jeder Benutzung kommt ein Inspektor vorbei, um den Rasen abzunehmen. Dabei kommt es öfter zu Schwierigkeiten, denn dem städtischen Beamten ist "ein geknickter Grashalm fast zu viel", beschwert sich der "FC Bayern", der seinen ersten Übungsplatz ebenfalls auf der "Schyrenwiese" hat, in

Seite 176/362 einer frühen Festschrift.

Die Fußballer des "Turnvereins München von 1860" trainieren scheinbar lange Zeit und mit großer Ausdauer nur für sich alleine.

Bis zum Frühjahr 1908 spielen die Fußballer in den 1860-Vereinsfarben"grün-gold"

16. Mai 1899 München-Au * Friedrich von Thiersch und das Baugeschäft Heilmann & Littmannunterzeichnen Pläne für die Erweiterung des Münchner-Kindl-Kellersan der Rosenheimer Straße. Thiersch gestaltet einen in den Proportionen wesentlich verbesserten Bau in Formen des Jugend- und Heimatstils. Die Fassadengestaltung strahlt eine Münchner Behäbigkeit aus.

Der weit über Münchens Grenzen hinaus bekannte Biertempelwird so beschrieben:"Die neue Hauptfront des Erweiterungsbaues ist in Deutschrenaissance gehalten.Die Mitte des Baues besteht aus einem 25 Meter hohen Giebel, an dessen beiden Seiten Türme angebracht sind; eine geräumige Terrasse, von Kreuzgewölben getragen, mit seitlichen Treppentürmchen versehen, erstreckt sich in der Höhe des ersten Stockwerkes.

Dass man sich vor einem modernen Bierpalast befindet, kennt man sofort an der originellen, dekorativen Weise, in der der Bau ausgeführt ist.Die an Maßkrugdeckel erinnernden Turmhauben und das große Bild des Münchner Kindls aus farbigen Tonplatten an der oberen Giebelfläche ist der beste Beweis hierfür?.

Mit einem Flächeninhalt von 1.600 Quadratmetern und einem Fassungsvermögen von über 5.000 Personen entstehthier der größte Saalbau Münchens und der viertgrößte im Reich. Hinzu kommt noch ein 500 Plätze fassendes "Bräustüberl? und ein Biergarten, in dem ebenfalls 5.000 Sitzplätze zur Verfügung stehen.

Am weithin sichtbaren Giebel, der von zwei Türmen mit kupfergedeckten Hauben flankiert ist, findet sich ein Mosaik mit dem Münchner Kindl.Zwischen den Turmgeschossen sind stilisierte Eichenbäume mit Blattwerk angebracht. An der Ecke zur Hochstraße, an der die Stützmauer des Biergartens mit schönen alten Kastanienbäumen die Höhe eines Vollgeschosses erreicht, schiebt sich ein Balkon zur Straße vor, überwölbt von einem Bogen, auf dem ein maßkrugschwingendes "Münchner Kindl" steht.

Thiersch hat die Baugruppe zu einem Blickfang an der von der Isar her ansteigenden Rosenheimer Straße gestaltet.Die Formensprache seines Anbaus zeigt keinerlei Anklänge an die Renaissancearchitektur des bestehenden Altbaus, der streng symmetrisch gegliedert war.

Sehr geschickt löst er die Aufgänge zum Biergarten und die Stützmauern aus Sichtbeton.Als Abschluss des Wirtschaftsgartens ist an der südlichen Grenze desselben noch eine gedeckte hölzerne Halle errichtet, die die unschönen Brandmauern der benachbarten Brauereien abdeckt.

Um Juli 1899 München-Haidhausen * Der gesamte Straßenbahnbetrieb wird auf Elektrizität umgestellt.

Umbauarbeiten sind notwendig, die sich aber beim "Depot" an der Äußeren- Wiener-Straße - im Gegensatz zu

Seite 177/362 anderen "Betriebshöfen" - in Grenzen halten.

Mit der Elektrifizierung wird die Straßenbahn zum innerstädtischen Massenverkehrsmittel, das die Entstehung dezentraler Wohngebiete und damit das Flächenwachstum der Stadt fördert. Das erhöht andererseits das Verkehrsaufkommen und fordert den weiteren Linienausbau.

Diese rasante Entwicklung wirkt sich natürlich auch auf den Haidhauser "Betriebshof" aus.

17. Juli 1899 Bayern *Bei den Wahlen erhalten die Liberalennur noch 44 Mandate [- 23], das Zentrum, der Bayerische Bauernbundund die SPDkönnen leicht zulegen, die Sozialdemokraten ihr Ergebnis von fünf auf elf Mandate mehr als verdoppeln.

Bei dieser Wahl schließen das Zentrumund die SPD, die sonst nur wenig Gemeinsamkeiten haben, erstmals ein Bündnis, wonach sie sich gegenseitig in den drei WahlbezirkenMünchen, Zweibrücken und Speyer ihre Stimmen geben, je nach den größeren Wahlchancen der örtlichen Kandidaten. Auf diese Weise sollen die Tücken des Mehrheitswahlrechtsüberwunden werden, wonach sämtliche Stimmen für die unterlegenen Kandidaten innerhalb eines Wahlkreises verfallen.

15. September 1899 München * Im Rahmen der Allgemeinen Deutschen Sportausstellungfindet ein Demonstrations-Spielstatt. In diesem ersten offiziellen Fußballspiel auf Münchner Boden spielt eine Mannschaft aus der damals führenden süddeutschen Fußballstadt Karlsruhe gegen die noch junge Mannschaft des Männerturnvereins von 1879 - MTV, um beim Münchner Publikum Begeisterung für die Sportart des Association Footballzu erzeugen.Das Spiel wird für die Münchner zum Desaster, denn die Karlsruher gewinnen mit 10:0 Toren.

Am Anfang distanzieren sich noch viele bürgerliche und Arbeiter-Turnvereinevon dieser Form des Wettkampfsports. Verhindern können sie diese Sportart auf Dauer natürlich nicht, da sie sonst zu viele fußballbegeisterte Sportler an andere Vereine verloren hätten.

15. Dezember 1899 München * Auf Betreiben Ernst von Possarts wird - noch bevor es einen offiziellen Bauherrn gibt- ein Vertrag geschlossen, der festgelegt, dass der geplante Theaterneubau für zehn Jahre und gegen einen geringen Zinsan die Königliche Civillisteverpachtet und von der Königlichen Hofbühnebespielt werden wird.

Damit ist der Gewinn gesichert, weshalb die drei Immobiliengesellschaftendes Konsortiumsam darauffolgenden Tag die Gesellschaft Prinzregenten-Theater [GmbH]als Auftraggeber des Theaterneubaus gründen.

Um das Jahr 1900 München * Für Frauen im Fernsprechdienstgelten folgende Einstellungsbedingungen:

"Die Bewerberinnen - Mädchen oder kinderlose Witwen - müssen zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, eine gute häusliche Erziehung erhalten und

Seite 178/362 sich sittlich tadellos geführt haben, von entstellenden Gebrechen frei und körperlich vollkommen gesund sein, namentlich ein gutes Seh- und Hörvermögen sowie normale Atmungswerkzeuge besitzen und nicht zu Ohrenleiden, Nervosität und Bleichsucht neigen. Zur Einstellung als Telegraphengehülfin ist im allgemeinen eine Körpergröße von mindestens 158 cm erforderlich. Die Bewerberinnen dürfen keine Schulden haben. Es können in der Regel nur solche Bewerberinnen angenommen werden, welche in dem Orte der Beschäftigung dauernd festen Familienanhalt durch nahe Verwandte haben und bei diesen wohnen. Ausnahmen hiervon unterliegen der Genehmigung der Ober-Postdirektion. [...] Die Beschäftigung ist eine widerrufliche und gewährt keinen Anspruch auf Zulagen, Unterstützungen usw. Die Verheiratung hat den Verlust der Stelle zur Folge."

Neben den günstigen Lohnkostenwerden die Damen auch wegen ihrer - als weibliche Sozialisationbeschriebenen - geschlechtsspezifischen Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Aufmerksamkeit, Genauigkeit, Höflichkeit, Geduld, einfach "die ausgleichenden und vermittelnden Qualitäten der Frau", eingestellt.Gerade in der Anfangsphase des Vermittlungsdienstes müssen die Frauen die Pannen, Störungen und Kapazitätsprobleme der Technik mit ihrer "natürlichen Veranlagung" ausgleichen.

Sie kommen meistens aus gutem Hause, sind unverheiratet, besitzen eine ordentliche Schulbildung - zum Teil sogar mit Fremdsprachenkenntnissen - und verfügen über einen einwandfreien Leumund.

Mit diesen Voraussetzungen garantieren sie ein adäquates Benehmen im Umgang mit den "sozial hochgestellten Telefonabonnenten".Aus einer Vielzahl von Bewerberinnen können die bestqualifiziertesten Frauen ausgewählt werden, die aufgrund ihrer Vorbildung, Sozialisation und Jugend als hoch motivierte Arbeitskräfte mit wenig anderen Berufs- oder Aufstiegschancen anerkannt sind. Die jungen Damen haben eine Aufnahmeprüfung in Rechnen, Geographie und Aufsatz zu absolvieren.Nach einer halbjährigen Probezeit müssen sie eine mündliche Prüfung ablegen und praktisch beweisen, dass sie Telefon- und Telegrafenapparate bedienen können.

Die Tätigkeit in der Telefonvermittlung wird jetzt als dauerhafte Beschäftigung für Frauen verstanden.Wie schwer der Beruf der Telefonistin war, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, beispielsweise von der Größe der Stadt und der Art der Vermittlungsstelle. Die Arbeit einer Ortsvermittlungskraft gilt als monoton und - darüber sind sich die Arbeitsmediziner einig - stellt hohe Anforderungen an das Nervensystem."Eine über mehrere Jahre tätige Telephonistin musste einfach hysterisch werden".

Die wöchentliche Arbeitszeit schwankt - je nach Schwere des Dienstes - zwischen 42 und 48 Stunden, nur jeder dritte Sonntag ist frei. Die Dienstschicht dauertelf Stunden; Urlaub gibtes keinen.

Seite 179/362 Der Durchschnittsverdienst einer Telefonvermittlungskraft liegt etwas über dem von weiblichen Kaufhausangestellten und etwas unterhalb der Einkünfte von Lehrerinnen.Nur einzelne Kräfte können zur Aufsicht aufrücken.

Während des Dienstes ist das Tragen einer einheitlichen Dienstbluse aus dunkelblauem Stoff vorgeschrieben, da man befürchtet, dass "bei der Eigenart der weiblichen Natur nur zu leicht ein gegenseitiges Überbieten in der äußeren Erscheinung Platz greifen würde".

Um 1900 München * Der durchschnittliche Stundenlohn für eine Speisträgerin, ein sogenanntes Mörtelweib, liegt bei 22 Pfennige.Ein männlicher Mörtelträgererhält für die gleiche Arbeit 50 Pfennige in der Stunde. Die Mörtelweiberarbeiten im Akkord und bilden zu je Zweien eine Partie, die in einer Trage den Mörtel, auch Speisgenannt, zu den Maurern hinaufbringen.

Besonders in den Bauboom-Jahren vor der Jahrhundertwende sind die Mörtelweiberin ihren dicken, unförmigen und langen Röcken, ihren kalkzerfressenen Blusen und den straff gebundenen Kopftüchern, aus dem Münchner Stadtbild nicht wegzudenken. Den robusten und anspruchslosen Frauen und Mädchen, die für HungerlöhneFronarbeit leisten, ist der Aufbau Münchens in der Gründerzeitzu verdanken. Der Arbeitstag dieser Frauen beginntum sechs Uhr früh; dabei befindetsich die Baustelle oft in der entgegengesetzten Richtung, irgendwo in Schwabing oder in Nymphenburg, was erstmals einen - zum Teil - mehrstündigen Fußmarsch - schon vor Arbeitsbeginn - bedeutet.

Zur Brotzeit "gönnt" man sich eine Halbe Bier, ein paar "Maurerloabe und einige Radi". Mittags gibts einen Krug Bier, mehrere Scheiben Brot und "ein Fünftel warmen Leberkäs? minderer Sorte".Das "Nachtessen" besteht aus Bergen von gerösteten Kartoffeln mit Zwiebeln.

27. Februar 1900 München * Die Fußball-Abteilung des FC Bayern Münchenwird gegründet. Während sich innerhalb des Turnvereins München von 1860- wie er damals noch hieß - eine eigene Fußballriege herausbilden kann, die den aus England kommenden Association Footballpflegen, ist die Geburt des Fußballclubs Bayern Münchenetwas komplizierter.

Zwar entstammen die Fußballer dem Männerturnverein von 1879 - MTV, der sich schon sehr früh dieser Sportart geöffnet hat und die Spiel- und Trainingsmöglichkeiten fördert. Zur Abspaltung der Fußball-Abteilung vom MTV 1879kommt es aber, nachdem sich

die Deutsche Turnerschaftgegen diese ausländische Kampfsportartausspricht, eine Doppelmitgliedschaft im Verband Süddeutscher Fußballvereineablehnt und dem Männerturnverein von 1879eine solche untersagt.

Daraufhin treten die Fußballer aus ihrem bisherigen Verein aus und gründen den Fußballclub Bayern München, der die Landesfarben weiß-blau als Clubfarben übernimmt.

15. April 1900

Seite 180/362 Shandong - China * Die "Boxer" werden offiziell verboten. Da sich jedoch reguläre kaiserliche Truppen mit ihnen verbünden, lässt sich das Verbot nicht durchsetzen.

Nun ändert die "Kaiserinwitwe" Cixi und ein Teil der hohen Beamtenschaft erneut ihre Meinung und beginnen, in den "Boxern" Verbündete gegen die "Ausländer" zu sehen.

27. April 1900 München-Bogenhausen - München-Haidhausen * Die "Firma Heilmann und Littmann" beginnt mit den Erdaushubarbeiten für das neue "Festspielhaus" am Prinzregentenplatz.

18. Mai 1900 Provinz Shandong - China * Die sogenannten Boxerbeginnen ihre Attacken gegen Ausländersowie gegen die an die Küste führenden Bahnlinien. Ausschreitungen fordern alleine an diesem 18. Mai 73 Todesopfer.

29. Mai 1900 München-Untergiesing * Der Bauplatz für das Marianum für Arbeiterinnen e.V.an der Humboldtstraße 2 wird erworben und der Bau im Folgejahr fertiggestellt. Es dient Waisenkindern und behinderten Jugendlichen als Heim und Arbeitsstätte. Die Kosten für das Gebäude und den Bauplatz belaufen sich auf 270.000 Mark.Mehrere Lotterien unterstützten die Finanzierung der Sozialeinrichtung.Selbst eine Amateur-Kunstausstellungsorgt für Geld in der Kasse.

1901 München-Untergiesing * Durch den Neubau des "Marianums für Arbeiterinnen e.V." an der Humboldtstraße 2 kann die Zahl der aufzunehmenden Mädchen verdoppelt werden.

Die Zahl der ständigen Heimbewohner wächst auf 43, wovon die Hälfte körperliche Gebrechen hat.

Gearbeitet wird im "Nähsaal", im "Goldsticksaal", im "Weißsticksaal", im "Blumenbindesaal" oder in Einrichtungen zum "Wäschewaschen" und "Feinbügeln".

Mehrfach betonten die Geschäftsberichte, dass die Tage, "für welche Herr Reichsrat Freiherr von Cramer-Klett Chokolade mit Kuchen stiftete, freudig begrüßt waren".

1901 München-Maxvorstadt * Die "weibliche Abteilung der Kunstgewerbeschule" erhält in der Richard-Wagner-Straße 10 eine neue Unterkunft.

157 "Schülerinnen" nehmen am Unterricht teil. Der Architekt ist Leonhard Romeis.

1901 München-Untergiesing * Die "Baumschule Bischweiler" wird vom damaligen "Stadtgartendirektor" Jakob Heiler als Teil der "Frühlingsanlagen" geplant.

Seite 181/362 Ihren Namen hat die "Baumschule" von der "Bischweilerstraße" erhalten, die einst dort entlang führte. Die "Gartenanlage" hat in ihrer Grundstruktur und ihrem Wegenetz die Zeiten überdauert. Heute kultiviert das "Baureferat" dort die "Ziergehölze" für die städtischen Beete.

Doch trotz ihrer eher technokratischen Aufgabenstellung ist sie nicht nur eine "Baumschule".

In "Themengärten" lassen sich Blumen und Pflanzen mit allen Sinnen erleben. Die "Stadtgärtner" legten hier einen "Rosen- und Duftgarten" an. Diese werden ergänzt durch einen "Tast-, Flieder- und Giftpflanzengarten".

Die "städtische Baumschule" ist auf "Zier- und Klettergehölze" spezialisiert. Über sechzig verschiedene Pflanzenarten und Sorten gibt es zu sehen. Sie bestechen durch auffällige Blüten, Früchte und Farben.

Alle Pflanzen sind beschildert, sodass sich die Gartenfreunde Anregungen für ihren Garten holen können.

20. Januar 1901 München-Bogenhausen - München-Haidhausen * DieStuckarbeitenfür das neue Festspielhausam Prinzregentenplatzbeginnen. Sie werdenbereits Mitte April vollendet sein.

6. August 1901 München-Bogenhausen - München-Haidhausen * Auf der Bühne des neuen Festspielhausesam Prinzregentenplatz beginnt der Probenbetrieb für die Festspiele.

14. November 1901 Augsburg * Der Prozess gegen den RäuberMathias Kneißl beginnt vor dem Oberlandesgericht Augsburg. Nach vier Verhandlungstagen fällen die zwölf Geschworenen das Urteil: Mathias Kneißl wird zum Tode verurteilt. Ein eingereichtes Gnadengesuch lehntPrinzregent Luitpold ab. Der Ablauf des Gerichtsverfahrens und das Urteil selbst sind heftig umstritten.

1902 Leipzig * Der "Publizist" Theodor Fritsch, der seine politischen Aktivitäten auf den Mittelstand konzentriert, gibt die Zeitschrift "Hammer, Blätter für deutschen Sinn" heraus.

Schon 1887 hatte er einen "Antisemiten-Katechismus" verfasst, der anno 1907 neu überarbeitet unter dem Titel "Handbuch der Judenfrage" neu erschienen war.

Sein Leipziger "Hammerverlag" verlegt nicht nur zahlreiche völkische Bücher und Zeitschriften, wie die "Antisemitische Correspondenz", die "Deutschsozialen Blätter" sowie den bereits erwähnten "Hammer, Blätter für deutschen Sinn", sondern auch den "Deutschen Müller", eine damals bekannte Wirtschaftszeitung.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg erzielen die Produkte des "Hammerverlags" Aufmerksamkeit und hohe Auflagen.

Seit 1902

Seite 182/362 München-Au * Karl Valentin beginnt mit dem Bau eines gigantischen, über 300 kg schweren Musikapparats, dem "Orchestrion", das aus mehr als 20 Musikinstrumenten besteht.

Januar 1902 München-Au * Das "Zucht-, Arbeits- und Korrekturhaus Au" wird aufgelöst und umgebaut.

Die Gefangenen kommen in die aufgelassene "Klosterkirche der Benediktinerinnen am Lilienberg".

September 1902 München-Theresienwiese * Der Magistrat erlaubt dem "Schausteller-Unternehmer" Carl Gabriel ein "Hippodrom" auf dem Festplatz des "Oktoberfestes" aufzustellen.

Es ist seinem griechischen Namen entsprechend eine "Reitarena". Im Inneren des Etablissements befindet sich eine 60 Meter lange "Pferdereitbahn", in der Besucher des Restaurationsbetriebs gegen Bezahlung reiten können. Der Umritt dauert 5 Minuten und kostet 50 Pfennige.

Der Bierausschank ist dem Inhaber anfangs verboten. Doch die Gäste können die Reitkünste der nicht immer nüchternen oder sich sonst nicht sonderlich geschickt anstellenden Damen und Herren bewundern.

So manches Kleid rutscht hoch und gibt den Blick auf ein Damenbein frei.

Kein Wunder, dass für das "Hippodrom" bald der Name "Stilaugenzelt" auftaucht. "Der unerschöpfliche Unterhaltungsstoff, den die erstmaligen Reitversuche von Herren und Damen den Zuschauern bieten, macht das Hippodrom zur ersten Volksbelustigung der Festwiese".

7. Oktober 1902 Nürnberg * Noch vor Vorstellungsbeginn erhält Karl Valentin ein Telegramm von seiner Mutter, in dem sie ihm mitteilt, dass sein Vater plötzlich schwer erkrankt ist.Er macht sich sofort auf den Weg nach Hause. Doch als er am nächsten Morgen um 8 Uhr in München ankommt, ist Johann Valentin Fey bereits im Alter von 69 Jahren verstorben.

Karl Valentin muss sich jetzt um dieFirma Falk & Feyund um seine Mutter kümmern. Der in Geschäftsdingen nicht sonderlich glücklich agierende Valentin fährt das Unternehmen innerhalb von vier Jahren voll an die Wand, sodass nicht nur die Firma, sondern gleich das ganze Anwesen verkauft werden muss.

Seit dem Jahr 1903 Straßburg - Speyer * Bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Speyerim Jahr 1911 ist Michael Faulhaber Inhaber eines Lehrstuhls eines Professors für alttestamentarische Exegese und biblische Theologiean der Kaiser-Wilhelm-Universitätin Straßburg.

Bereits während dieser Zeit nimmt er ultrakonservative Positionen ein.Unter anderem stuft er Frauen als "Menschen zweiter Wahl" ein, wenn er sagt: "Die hausrechtliche Stellung der Frau ist dem Gotteswort umzirkelt, das Weib soll die Gehilfin des Mannes sein. [...]Diese untergeordnete Stellung ist der ursprüngliche Wille des Schöpfers."

Seite 183/362 Demzufolge ist auch die Entscheidung der Reichsregierung, wonach eine verheiratete Frau auch Lehrerin werden darf, gegen den Willen Gottes.Er bezeichnet die Regelung als eine "Missgeburt mit einem doppeltem Gesichte, weil man nicht im Nebenamt Mutter sein und weil eine Person nicht zwei Berufe erfüllen kann".

Natürlich hat die Kirche nichts gegen die Frauenbildung, doch auf den Hochschulensollen die Damen die Ausnahme und in der Kirche haben sie stumm zu sein.Gerne zitiert er das Paulus-Wort: "Wenn sie [die Frauen] lernen wollen, sollen sie zu Hause ihre Männer fragen.Es ist eine Schande, wenn in den gottesdienstlichen Versammlungen eine Frau das Wort nimmt."

1904 München-Bogenhausen * Da nach Auffassung des Bogenhausener Pfarrers das "Wirtshaus Neuberghausen" zu Nahe an der Kirche, dem Friedhof und der Schule liegt, werden die beliebten Musik- und Tanzveranstaltungen, vor allem im Garten, nicht mehr gestattet.

Nur sanfte Musik, ohne Blech- und Schlaginstrumente werden im Ausnahmefall genehmigt.

Die Gastwirtschaft verliert dadurch ihre Attraktivität und Anziehungskraft, weshalb die Brauerei anno 1904 den Rückgang des Bierkonsums innerhalb von zwanzig Jahren auf ein Zehntel beklagen muss.

17. September 1904 München-Theresienwiese * Nach einem Beschluss des Magistrats soll der Hauptsonntagdes Oktoberfestes- die Allerhöchste Genehmigung immer vorausgesetzt - in der Zeit zwischen dem 28. September und dem 4. Oktober liegen. Das bedeutet einen um eineWoche früheren Wiesnbeginn.

Um Oktober 1904 Deutsch-Südwestafrika * Die Kämpfe verlagern sich nun in den Süden des "Schutzgebietes", wo die "Witbooi-Nama" aus ähnlichen Gründen wie die "Herero" den Krieg beginnen. Die "Nama" werden schon damals abwertend als "Hottentotten" bezeichnet.

Ausschlaggebend für die "Nama" ist die Forderung der deutschen "Siedler", nun, nachdem sich starke Truppen im Land befinden, auch die "Nama" zu entwaffnen und endgültig zu unterwerfen.

Allerdings unterscheidet sich die Kriegsführung der "Nama" von der der "Herero", dass sie in kleinen, für die deutschen Truppen nahezu unsichtbaren Gruppen agieren und einer Entscheidung im offenen Kampf ganz bewusst ausweichen. Dieser "Guerillakrieg" zermürbt die wesentlich besser ausgerüsteten deutschen Soldaten auf Dauer.

2. Oktober 1904 Deutsch-Südwestafrika * GeneralleutnantLothar von Trotha erlässt den "Vernichtungsbefehl". In diesem heißt es: "Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen.

[?] Das Volk der Herero muss das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot-Rohr [= Geschütz] dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk

Seite 184/362 zurück, oder lasse auf sie schießen."

Seit September 1905 München-Theresienwiese * Das "Oktoberfest" dauert 16 Tage.

Es beginnt am 3. September-Samstag um 12 Uhr - zunächst noch ohne feierliches Zeremoniell.

16. Januar 1906 Algeciras * Die Internationale Konferenzzur Souveränität Marokkosbeginnt im spanischen Algeciras.

14. Juni 1907 München - Innsbruck * Die Generalversammlung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins - DuOeAVbeschließt die Errichtung eines Alpinen Museums. Innsbruck und München bewerben sich.Die bayerische Hauptstadt erhält den Zuschlag.

1908 München * Karl Valentin tritt als "Blödsinnkönig Valentin" auf.

1908 München * Mit dem "Änderungsgesetz der Gewerbeordnung" verschwinden die "Mörtelweiber" von den Baustellen, da darin die Verwendung von Arbeiterinnen beim Transport von Materialien aller Art untersagt wird.

Bis dahin betrug der "Frauenanteil im Baugewerbe" knapp 10 Prozent.

3. Dezember 1908 München-Au * Der von Hans Grässel geschaffene Neubau für die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird seinem Zweck übergeben.

Anno 1909 München-Au * Der "Arbeiter-Turn-Verein München-Ost" gründet eine Schülerinnen- und Schülerriege.

Mai 1909 München-Bogenhausen * Die Arbeiten zum 108 x 29 Meter messenden "Fleischer-Schlössl",auf dem 2,38 Hektar großen Parkgrundstück in Bogenhausen beginnen.

Das Hochparterre sollte eine Wohnfläche von 1.600 qm bieten. Das Atelier wäre 150 qm groß geworden.

18. September 1909 München-Lehel * Der Deutsche Kaiser und König von Preußen, Wilhelm II., eröffnet die Schack-Galeriean der Prinzregentenstraße 9. Die Münchner Neuesten Nachrichtenschreiben:"Als Kunstfreund und Mäcen ist der Kaiser

Seite 185/362 bei uns erschienen, nachdem er erst als oberster Kriegsherr, umgeben vom Glanz seines militärischen Gefolges, die friedlichen Schlachtfelder im Frankenland verlassen".

Im Giebelfeld des neuen Kultur-Tempels, das von massigen Säulen getragen wird, befindet sich der preußische Adler und die Inschrift: "Kaiser Wilhelm II. der Stadt Muenchen zur Mehrung ihres Ruhmes und grossen Kuenstlern zum Gedaechtnis". In diesem Sinne ist auch die kaiserliche Eröffnungsrede gehalten, in der er die wohlgesetzten Worte spricht:"Ich weiß mich eins mit der vaterländischen Gesinnung des Münchner Bürgertums, auf welches ganz Deutschland, von der Meeresküste bis zu den bayerischen Bergen, ein Recht hat, stolz zu sein."

1910 München * Die "katholischen Lehrerinnenvereine" vertreten die Auffassung, dass die Ehe die Entfaltung der Kräfte in Erziehung und Unterricht verhindert.

Mit dieser "Zölibat-Diskussion" blamieren sich die deutschen Lehrervereinigungen europaweit, denn fast überall lehren dort verheiratete Frauen an den Schulen.

Um 1910 München - Berlin * Dienst und Ehe schließen sich für die Vermittlungskräfte aus.

In einem Weisungsbuch heißt es: "Das weibliche Postpersonal bedarf zur Eingehung einer Ehe der Erlaubnis der zuständigen Dienstbehörde.

Da sich aber aus der Verwendung von verheirateten Beamtinnen [...] Schwierigkeiten verschiedener Art ergeben können, kann dem unterstellten weiblichen Personal [...] die Erlaubnis zur Eingehung einer Ehe nicht erteilt werden".

1910 München-Maxvorstadt * Auf den bei Baubeginn noch dem "Unionsbrauerei-Gründer" Joseph Schülein gehörenden Grundstück Richard-Wagner-Straße 19 lässt dessen Schwiegersohn Dr. med. Alfred Haas eine äußerlich einem herrschaftlichen Wohnhaus ähnelnde "Privatklinik" errichten.

Dr. Alfred Haas ist mit Elsa Schülein verheiratet.

23. Oktober 1911 Tripolis * Die italienischen Besatzungstruppen gehen in einem Pogromgegen die arabische Bevölkerung vor und erschießen dabei innerhalb von fünf Tagen wahllos tausende Araber, verbrennen deren Hütten und beschlagnahmen das Vieh.

Auch in den folgenden Wochen führte die Besatzungsmacht Massenhinrichtungen auf öffentlichen Plätzen durch und deportierte etwa 4.000 Araber auf Strafinseln.

Ab 1912 München * Die 20-jährige Elisabeth Wellano tritt - solo und selbstbewusst - als "Blödsinnkönigin Frl. Lisi" auf.

Seite 186/362 8. Januar 1912 München * Pater Rupert Mayer kommt nach München.Er ist Seelsorger für katholische Zuwandererund arbeitet in denKatholischen Arbeiter- und Arbeiterinnen-Vereinenmit.

17. Oktober 1912 Balkan * Die Bündnispartner von Montenegro - Bulgarien, Serbien und Griechenland - greifen in den Krieg gegen das Osmanische Reichein. Das ist der Beginn des Ersten Balkankrieges.

18. Oktober 1912 Balkan * Die verbündeten Balkanstaaten -Montenegro,Bulgarien, Serbien und Griechenland -beginnen den Krieg gegen die Türkei.

12. April 1913 München * Die Brüder Fred und Hermann Sommer sowie Martin Fromberger gründen den "Loos-Verein Wild West", den späteren "Cowboy Club München 1913 e.V.".

Es ist am Anfang also ein "Sparverein", zu dem sich die drei "Wild West"-begeisterten jungen Münchner zusammenschließen. Sie wollen nach Amerika auswandern, haben aber das Geld für die Überfahrt nicht.

Die drei Burschen aus dem "Arme-Leute-Milieu" hätten nie und nimmer genug Geld zusammenkratzen können, weshalb höhere Mächte einspringen müssen: das Glück, "Fortuna".

Sie gründen besagten "Los-Verein", zahlen Geld ein und nehmen an diversen Lotterien teil. Einmal, so hoffen sie, würde das Glück schon zuschlagen und den Hauptgewinn ausschütten - und dann nichts wie weg über den großen Teich.

Doch der erhoffte Geldsegen stellt sich nicht ein.

29. Juni 1913 Sofia - Belgrad - Athen - Bukarest - Konstinopel -Balkan * Der Zweite Balkankriegbeginnt. Bulgarische Truppen greifen gleichzeitig die griechischen und serbischen Armeen an, ohne dass Bulgarien den beiden Staaten offiziell den Krieg erklärt hat.

Bald treten auch noch Rumänien und die Türkei in den Krieg ein, da alle Beteiligten mit Gebietszuwächsen rechnen. Die Großmächte müssen wieder vermitteln.

1914 München-Bogenhausen * In das alte Schulgebäude am Kirchplatz 3 zieht ein "Kindergarten" ein, der als "praktische Übungsstätte" des zum "Annalyzeums" im Lehel gehörenden "Kindergärtinnenseminars" genutzt wird.

Es ist Bestandteil der "Städtischen Frauenschule".

Seite 187/362 Um 1914 München * Karl Valentins Stummfilm "Der neue Schreibtisch" wird gedreht.

Sein erster "Atelierfilm" bringt ihm einen Gewinn von 200.- Mark ein.

21. Juli 1914 München-Haidhausen * Die Bauarbeiten für den neuen Atelierbauan der Villa von Franz von Stuck beginnen. Den dafür erforderlichen Grund hat er zuvor von seinem Freund, dem kgl. Bayerischen Hofschauspielerund Dichter Konrad Dreher abgekauft.

25. Juli 1914 Berlin * Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei - SPD veröffentlicht einen Massenprotest gegen den drohenden Krieg, in dem es heißt:

"Parteigenossen, wir fordern euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewussten Proletariats zum Ausdruck zu bringen.Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster als irgendeine der letzten Jahrzehnte.Gefahr ist im Verzuge! Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen.Überall muss den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg!Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung".

In 160 Städten finden bis Ende Juli 288 Versammlungen und Aufmärsche statt, an denen sich nach Angaben des Veranstalters mehr als eine Dreiviertel Million Menschen beteiligen. Alleine die große Antikriegsdemonstrationder SPD in Berlin am 28. Juli umfasst über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und das, obwohl die Kundgebung vom Berliner Magistrat ausdrücklich verboten worden ist.

26. Juli 1914 München-Kreuzviertel * Am 25. Juli, nur wenige Stunden nachdem Serbien das Ultimatum für Österreich-Ungarns nicht ausreichend devot umgesetzthat, berauschen sich im Café Fahrig, in der Neuhauser Straße, die Gäste an der Aussicht, dass jetzt Krieg droht. Die Menschen - im Café Fahrigund sonst wo - lassen Bayerns König Ludwig III. und Deutschlands Kaiser Wilhelm II. hochleben. Die Kapelle spielt die "Wacht am Rhein", "Heil Dir im Siegerkranz" und viele andere patriotische Lieder. Es wird viel gelacht, gefeiert, gesungen und natürlich getrunken.

Weil der Sohn des Gaststättenhabers Franz Fahrig einen Streit unter Gästen schlichten will, lässt er die Musik kurz unterbrechen.Doch plötzlich fliegen Stühle durchs Lokal. Die Polizei wird angefordert und räumt das Cafégegen zwei Uhr früh. Die sozialdemokratische Münchener Postschreibt über die Vorgänge: "Durch ungeschicktes Benehmen des Kapellmeisters wurde die betrunkene und fanatisierte Menge wild und demolierte das ganze Lokal".

Doch das ist noch nicht das Ende der Affäre. Wilde Gerüchte sind im Umlauf. Einer erzählt, eine serbische Kapelle hätte den Kaiser und das Reich geschmäht. Der andere hat Spioneim Café Fahriggesehen. Da ist es zu dem Schritt, der Café-Inhaber Franz Fahrig steht mit dem Feind im Bunde nicht mehr weit. Die Volksseele

Seite 188/362 kocht.Um kurz vor drei Uhr fliegt der erste Pflasterstein in eine der Fensterscheiben des Lokals. Am Morgen ist das Café Fahriginnen und außen verwüstet.

28. Juli 1914 Wien *Der bei Kriegsbeginn kurz vor seinem 84. Geburtstag stehende österreichisch-ungarische Kaiser Franz Joseph I. ist zu schnellen und grundsätzlichen Entscheidungen kaum noch in der Lage, auch wenn er versucht, täglich seine Akten pflichtbewusst und akribisch zu bearbeiten.

Sein Thronfolger, Erzherzog Karl, ist gerade 27 Jahre alt und politisch wie militärisch noch ohne Erfahrung. Weil aber die Oberbefehlsgewaltvon einem adeligen Mitglied des Erzhauses übernommen werden muss, fällt die Wahl auf der 58-jährigen Erzherzog Friedrich. Er besitzt allerdings nur wenige Eigenschaften, die ihn zum Oberbefehlshaber der österreichisch-ungarischen Armeebefähigen. Erzherzog Friedrich wird als eher ängstlich beschrieben, der nur wenig persönliche Initiative entwickelt und sich hauptsächlich mit seiner Frau beratschlagt, welche Uniform er tragen soll.

28. Juli 1914 Wien - Belgrad * Mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien beginnt der Erste Weltkrieg.

28. Juli 1914 Berlin * Die große Antikriegsdemonstrationder SPD in Berlin umfasst über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und das, obwohl die Kundgebung vom Berliner Magistrat ausdrücklich verboten worden ist.

29. Juli 1914 Belgrad * Österreich-Ungarn beginnt mit der Beschießung von Belgrad. Zar Nikolaus II. gibt daraufhin den Befehl zur Teilmobilisierung, zieht diesen jedoch - aufgrund eines vermittelnden Telegramms Kaiser Wilhelms II. - wieder zurück.

30. Juli 1914 Moskau * Zar Nikolaus II. wird von seinem Außenministerzur Generalmobilmachungüberredet. Die Münchner Neuesten Nachrichtenberichten am Nachmittag:"Der russische Botschafter hat dem Grafen Berchtold die Mitteilung gemacht, dass die russische Regierung eine bindende Erklärung, die Neutralität zu wahren, nicht geben kann. Infolgedessen steht die allgemeine Mobilisierung der österreichischen Armee innerhalb der nächsten Tage zu erwarten."

Damit ist der entscheidende Schritt zum Großen Krieggetan und ein Schuldiger gefunden. Denn zu diesem Zeitpunkt ging es nur noch um die Frage, welche Macht als Erstemobilmachenwürde. Sämtliche nun folgenden politischen Aktivitäten der beteiligten Regierungen sind ausnahmslos darauf ausgerichtet, der jeweils anderen Seite die Schuld an der kommenden Katastrophe zuzuschieben. Die Öffentlichkeit soll erkennen und davon überzeugt werden, dass man zu einem Verteidigungskrieggezwungen worden ist. Und Russland hat damit - aus deutscher Sicht - eindeutig und zweifelsfrei seine Bereitschaft zum Krieg gezeigt.

Ab August 1914 München-Ludwigsvorstadt * Mit Beginn des Ersten Weltkrieges treten im "Deutschen Theater" nur noch deutsche

Seite 189/362 Unterhaltungskünstler auf.

1. August 1914 München - Berlin * Nun erfolgtauch die Mobilmachungder bayerischen Armee. König Ludwig III. telegraphiert an Kaiser Wilhelm II. die folgenden Zeilen:"Das bayerische Heer ist heute mit dem Beginn der Mobilisierung unter deinen Befehl als Bundesfeldherr getreten. [...]In dieser Erwartung heiße ich Bayerns Söhne, sich um ihre Fahnen zu scharen, und bitte zu Gott, er möge, wenn der Kampf entbrennt, den deutschen Waffen den Sieg verleihen".

An die Armee richtete er das Manifest "An mein Heer!"

1. August 1914 München * Karl Valentin erzählt über den Kriegsausbruch:

"Für 1. August 1914 war ich wieder bei Benz engagiert.Eine Revue ?Im Lande der Kastanien? sollte einstudiert werden, mehrere Nachmittage wurde fest geprobt, [...] - mitten im Kampfe ein Trommelwirbel aus der Ferne? ...Wir unterbrachen die Probe und eilten auf die Straße, da stand, [...] ein Trommler [...] und neben ihm ein Sergant, der Folgendes vorlas: ?Im Namen seiner Majestät, König Ludwig III. von Bayern - Frankreich hat heute den Krieg erklärt usw.?.

Schweigend gingen wir in das Haus zurück, die Probe war aus und acht Tage später gingen schon mindestens zehn Männer aus dem Hause Benz hinaus und sangen mit Blumen geschmückt; ?Ich hatt? einen Kameraden?.

Vierzehn Tage nach Ausbruch des Krieges durfte, um den in der Heimat weilenden Artisten, Schauspielern usw. Verdienstmöglichkeiten zu geben, wieder gespielt werden mit der Bedingung, zeitgemäße Darbietungen zu bringen.

Jeder Theaterdirektor empfahl patriotische Darbietungen zu bringen. Auch ich musste, obwohl es eigentlich von mir als Blödsinn-Interpret niemand gewohnt war, auch ernste Sachen bringen, so unter anderem eine Kriegsmoritat.Der Erfolg war groß und zwei Monate sang ich als Komiker traurige, ernste Vorträge.

Karl Valentin und Liesl Karlstadt beteiligen sich im Ersten Weltkrieg an insgesamt rund 120 Lazarett-Vorstellungen. Im Gegensatz zu "einigen großen Persönlichkeiten der Münchner Hofbühne", die den kranken Soldaten "blutige Schlachtengedichte" vortragen, leisten sie den Genesenden mit ihrem "lustigen, harmlosen Späßen" einen wesentlich größeren Nutzen.

2. August 1914 München * Laut einer Anordnung haben "Alle Fremden, die sich über den Zweck ihres Aufenthalts nicht gehörig ausweisen können oder sich lästig machen, [...] auf Aufforderung der Distriktspolizeibehörden das Gebiet des Deutschen Reiches und zwar bis auf weiteres über binnen 24 Stunden zu verlassen".

Alle Angehörigen feindlicher Nationen - darunter die Künstler Wassily Kandinsky, Marianne Werefkin und Alexej von Jawlensky fliehen deshalb zunächst in die Schweiz. Doch auch Angehörige befreundeter Nationen verlassen die Stadt. So beispielsweise die Ziegeleiarbeiter in Berg am Laim und Oberföhring.

2. August 1914

Seite 190/362 Berlin - Brüssel * Berlin fordert von Brüssel die Genehmigung für den Durchmarsch der deutschen Truppen durch Belgien. Das Deutsche Reichbietet zum Ausgleich die Übernahme und Vergütung sämtlicher Kosten an.

Doch wider Erwarten lehnt Belgiens König Albert I. dieses Ansinnen mit Hinweis auf seine "Neutralität" ab. Er sagt: "Wenn die belgische Regierung die ihr übermittelten Vorschläge annehmen würde, würde sie sich gegen die Ehre der Nation vergehen und Belgiens Pflichten gegenüber Europa verraten".

2. August 1914 München * Den Frauen werden Sanitätskurseangeboten, da nur wenige über entsprechende Kenntnisse verfügen. Pensionierte Lehrerinnen und Lehrer werden aufgefordert, sich für die Dauer der Schulferien um die Kinder zu kümmern. Nicht eingezogene Studenten und alle in den Wehrkraftvereinenorganisierten Jugendlichen sollen sich als Erntehelfermelden.

Schauspieler und Autoren sollen während der Dauer des Krieg auf ihre Tantiemen verzichten und sich mit dem Zehrpfennig für Speise und Trankbegnügen. Theaterdirektoren sollen ihren Ausstattungsetat möglichst weit herunterfahren:"Das Publikum wird in diesen Zeiten eine einfache Ausstattung und andere Mängel gerne in Kauf nehmen. Spielt deutsche und patriotische Stücke zu mäßigen Preisen".

Hausbesitzer klagen, dass viele Mieter infolge des Kriegszustandeskeine Miete zahlen wollen.

3. August 1914 München * Während in vielen Betrieben Arbeitskräfte-Mangel herrscht, nimmt beispielsweise im Baugewerbe die Arbeitslosigkeit in erschreckendem Ausmaß zu. Die Bautätigkeit ist mit Kriegsbeginn nahezu vollständig zu erliegen gekommen.Reparaturarbeiten werden nicht mehr beauftragt.Circa 5.000 Münchner Bauarbeiter, Schreiner und Zimmerer werden nicht mehr gebraucht.

Viele wohlhabende Münchner beginnen beim Personal zu sparen. Lohnkürzungen oder Kündigungen sind die Auswirkungen. Auch den Handlungsgehilfenwird der Lohn bis zu 50 Prozent gekürzt. Doch im Unterschied zu den Dienstboten und Köchinnen wissen sie sich zu wehren. Rechnungen für gelieferte Waren werden oft nicht mehr bezahlt.

3. August 1914 München * Die außerordentliche Versammlung der Münchner Bäckerinnungstellt fest, dass - trotz der Einberufung zahlreicher Bäckermeister und Gehilfen - die Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Brot gewährleistet ist. Daneben sehen sich die verbliebenen Bäcker in der Lage, zusätzlich 20.000 Leibe Brot fürs Militär zu backen. Freilich können verschiedene Bäckereibetriebe nur mehr die gangbarste Brotsorteherstellen.

Die Versorgung Münchens mit Mehl ist für die nächsten vier Wochen gesichert; danach kommt ohnehin das Getreide der gerade anstehenden Ernte zur Vermahlung. Und weil das Militär die sechs Pferde eingezogen hat, die bisher für den Hefe-Transport benutzt wurden, kann die Hefe nicht mehr an jeden Bäcker geliefert werden.

Nach dem 4. August 1914

Seite 191/362 München-Au * Die Maria-Theresia-Kreisrealschulewird - kriegsbedingt - bis 1919 im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]untergebracht.

Nach dem 4. August 1914 München * Mit Beginn des Ersten Weltkriegs ziehen 90 Münchner "Berufsfeuerwehrmänner" auf die Schlachtfelder.

Zur Aufrechterhaltung des "Löschwesens" werden jetzt die noch nicht eingezogenen Mitglieder der "Freiwilligen Feuerwehr" herangezogen.

4. August 1914 München * Die bayerischen "Truppentransporte" mit der Eisenbahn beginnen.

Nach dem 4. August 1914 München-Au * Einen herben Rückschlag erleidet der Haidhauser "Turn- und Sportverein München-Ost" mit Beginn des Ersten Weltkrieges.

Von den inzwischen 903 Mitgliedern müssen 475 ihren Wehrdienst ableisten. Damit werden mehr als die Hälfte der Mitglieder der Vereinsarbeit entzogen und dadurch die Arbeit und die Existenz des "TSV München-Ost" gefährdet.

4. August 1914 München * Gleichzeitig richtet die Königin Marie Therese einen "landesmütterlichen" Aufruf an die "Frauen und Jungfrauen Bayerns!", damit auch diese ihren solidarischen Beitrag leisten:

"Euch aber, denen es nicht vergönnt ist, mit Blut und Leben für des Vaterlandes Ehre einzutreten, bitte ich innigst, nach Kräften mitzuwirken zur Linderung der Not jener Braven, welche das feindliche Geschoss oder die Beschwerden des Krieges verwunden oder sich zu Boden werfen. So stellt euch denn, die ihr wohl alle liebe Angehörige bei der Armee wisst, in den Dienst des Roten Kreuzes, gleich Meinen Töchtern Hildegard, Helmtrud und Gundelinde.

Draußen fließt Blut, herinnen fließen Tränen, am bittersten da, wo zur Sorge der Seele die Not des Leidens kommt. Auch hier muss und wird geholfen werden. Das Notwendige bereiten wir eben vor [...].

Soldaten, die ihr ins Feld zieht, Ich, die Königin, sage euch, euere tapferen Frauen und eure lieben Kinder sollen nicht Not leiden; schaut voraus gegen den Feind, euren Lieben gehört nun unsere Sorge".

Ab 4. August 1914 München * Der Kriegsbeginn bewirkt eine umgehende "Mobilisierung der Frauen", die ihren Einsatz an der "Heimatfront" hauptsächlich in den klassischen Frauen-Aufgaben "Krankenpflege" und "Fürsorge" sahen.

Seite 192/362 Um den 5. August 1914 München * Französische und englische Fremdwörter sind plötzlich verpönt.

"Wir brauchen keine Menus, keine Dinners, kein Dejeuner, keinen Five o?clock tea u.s.f. Wir können ohne sie leben; uns genügt ein schlichter Speisezettel, ein Mittagessen, Frühstück, Fünfuhr- oder Abendtee".

Der Begriff Restaurantwird durch Speisehausersetzt, statt im Delikatessengeschäftkauft man jetzt im Feinkostladenein. Kinosheißen nunLichtspielhausund aus dem Abonnementin der Oper wird die Platzmiete.

Über Nacht wird aus dem Hotel Englischer Hofin der Dienerstraße das Hotel Poschund aus dem Hotel Bellevueam Stachus das Hotel Königshof.

5. August 1914 München * In den Münchner Neuesten Nachrichtenist zu lesen:

"Heute Abend kam ein ganzer Zug von Gebirglern an.Wie der über den Bahnhof marschierte, da gab es ein Rufen und Winken; an allen Fenstern im Kaufhaus Tietz [später Hertie, heute Karstadt am Bahnhofsplatz] würde es lebendig, alle Verkäuferinnen winkten mit Tüchern. [...]

Und wenn man sie alle sieht, diese Prachtkerle, dann mischt sich in die ersten Erwägungen, was werden kann und werden mag, das Gefühl tröstlicher Zuversicht.Wo so viele Arme zugreifen, so viele Herzen fürs Vaterland schlagen, da kann es nicht gefehlt sein".

8. August 1914 München * Das bayerische Außenministeriumbeauftragt die Kreisregierungen, innerhalb von sechs Wochen über die "Auswirkungen des Krieges auf die gewerbliche Wirtschaft" zu berichtigen.

Um den 8. August 1914 München * Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn fordert König Ludwig III. - im Falle eines deutschen Sieges - die Angliederung des Elsass an Bayern. In einem Brief an den ReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg verlangt er ein Kriegsergebnis, das die schweren Blutopfer aufwiege.

10. August 1914 München * Im "Bayerischen Innenministerium" wird die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch während der Kriegszeit besprochen.

Da aus allen Regierungsbezirken eine gute bis sehr gute Heuernte gemeldet wird und sowohl die Kartoffel- wie die Getreideernte zufriedenstellend ausfiel, sehen die Viehzüchter keinen Grund zur Sorge. Nur der Verbrauch von Kalbfleisch sollte eingeschränkt werden.

Außerdem sollte die Haltung von Kaninchen gefördert werden, weil diese "innerhalb kurzer Zeit ein großes Quantum von Fleisch für den Haushalt liefern".

Als Bilanz der Besprechung wird festgestellt, dass Bayern hinsichtlich der Fleischversorgung vollkommen sicher

Seite 193/362 sei, selbst wenn sich der Krieg länger hinziehen sollte.

Solche Besprechungen machen deutlich, dass man sich über Fragen der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und anderer lebenswichtiger Gebrauchsgüter keine Gedanken machte. Niemand rechnete ernsthaft mit einem längeren Krieg.

13. August 1914 München * Erich Mühsam schreibt in sein Tagebuch: "Wer am meisten Menschen mordet, gewinnt".

14. August 1914 Lothringen * Der französische Vorstoß beginnt. Durch den Rückzug der Bayern dringen die Franzosen vierzig Kilometer ins Reichsgebietvor. Plangemäß können die beiden angreifenden französischen Armeen von einander getrennt werden.

14. August 1914 München-Ludwigsvorstadt * Zwei Wochen nach Kriegsbeginn kommen die ersten Verwundeten am Münchner Hauptbahnhof an. Von dort werden die verwundeten Soldaten mit umgebauten ehemaligen Sommerwagender Trambahn in die verschiedenen Krankenhäuser und Lazarette gebracht. Die Lazarettesind über die ganze Stadt verteilt.

16. August 1914 Königreich Bayern * 5.550 Truppenzüge mit 285.000 Wagen sind seit Beginn der Truppentransporteam 4. August auf dem bayerischen Eisenbahnnetz abgefertigt worden. Ebenso viele Züge kommen leer wieder zurück.

18. August 1914 München * Nachdem die Studierenden aus dem befreundeten und aus dem feindlichen Ausland die Stadt gleich zu Kriegsbeginn verlassen haben, fallen jetzt die Studenten aus Japan im Straßenbild besonders auf.

"Die ziemlich zahlreichen Gelbgesichter mit ihren Schlitzaugen belebten mit eigenartigem Reiz das Bild des hiesigen Straßenpublikums. Die mittelgroßen Leutchen kamen meist sehr gesetzt einher, mit goldener Brille im ernsten Antlitz; waren stets zu zweit oder dritt oder hatten eine deutsche Freundin bei sich; studierten fleißig, beobachteten fleißig, zeigten aber nirgends ein aufdringliches oder lärmendes, eher ein fast bescheidenes, immer freundliches Wesen und waren darum mehr ein exotisches als störendes Element.Sie waren in gewissen Kreisen sogar wohlgelitten. - Ihr plötzliches Verschwinden befremdet".

20. August 1914 Lothringen * Die Schlacht von Lothringenbeginnt; sie dauert bis zum 22. August und ist die erste große Schlacht an der Westfrontund die letzte, in der die bayerische Armee geschlossen ins Feld zieht. Zunächst geht die Rechnung der Bayern auch auf. Die Armeen unter bayerischer Führung können den Franzosen eine schwere militärische Niederlage zufügen, weshalb sie sich aus Lothringen und dem Elsass bis östlich von Nancy zurückziehen müssen.

Seite 194/362 23. August 1914 München * Nur drei Wochen nach Kriegsbeginn wird mit der Herstellung von Kriegsbrotbegonnen.

23. August 1914 München * Erich Mühsam schreibt in sein Tagebuch: "Wo man hinhört: Gefallen, ermordet, gestorben, verschollen, verhaftet, wahnsinnig. Das ist die große erhebende veredelnde Kriegszeit."

Ab dem 24. August 1914 Lunéville * Zwischen dem 24. und 26. August kämpfen französische Armeekorps bei Lunéville, um dort die deutsche Offensive zu stoppen. Es kommt zum französischen Sieg von Trouée de Charmes. Dabei müssen die deutschen Truppen erhebliche Verluste hinnehmen. Danach bleibt die Front bis zum 3. September unverändert und ruhig.

24. August 1914 Galizien * In Galizien beginnt die Schlacht zwischen Österreich-Ungarn und Russland.

26. August 1914 Tannenberg * Die Schlacht von Tannenbergbeginnt.Sie dauert bis zum 30. August.Die russischen Truppen werden vernichtend geschlagen. Zwei Männer treten hier besonders hervor: der reaktivierte Ruheständler Paul von Hindenburg und sein StabschefErich Ludendorff.

27. August 1914 Masurische Seen * Zum Glück übermitteln die Russen ihre Planungen ohne Verschlüsselung über Funk. Damit weis der deutsche Generalstab, dass der russische Gegner Nachschubprobleme hat und deshalb nicht auf breiter Front angreifen kann.Dieses Wissen nutzen die deutschen Befehlshaber und beginnen die russischen Verbände einzuschließen.

Als sich die Russen in eine Verteidigungsstellung bei den Masurischen Seenzurückziehen, werden sie von den Deutschen verfolgt und vernichtend geschlagen. Etwa 10.000 Russen ertrinken in den Masurischen Seen. Insgesamt fallen 50.000 russische Soldaten, 92.000 kommen in Gefangenschaft. Die deutschen Verluste sind dagegen vergleichsweise gering.

28. August 1914 Tannenberg - Gilgenburg - Ortelsburg * Paul von Hindenburg weiß,wie man Geschichte schreibt. Denn während die Presse noch zu Beginn von der "Schlacht bei Gilgenburg und Ortelsburg" schreibt und Kaiser Wilhelm II. Hindenburg den Dank für den "Sieg bei Allenstein" ausspricht, richtet der Oberbefehlshaber der 8. Armeeseinen Blick auf Tannenberg. Dort wütete anno 1410 eine Schlacht zwischen dem Deutschen Ordenund der Polnisch-Litauischen Union.

Paul von Hindenburgs Version klingt deshalb so: "Bei Tannenberg, das zwischen Gilgenburg und Hohenstein liegt, wurde 1410 das Ordensheer von den Polen und Litauern vernichtet.Jetzt, nach 504 Jahren, kam die Revanche."Die geschickte Verknüpfung mit Tannenbergträgt zur Entstehung des Mythos um den siegreichen

Seite 195/362 Feldherrn Hindenburg, dem "Russen-Schreck", bei.Tannenbergwird zum in Deutschland ersehnten Sieges-Mythos, Hindenburg zum "Retter des Vaterlandes".

4. September 1914 Trouée de Charmes * Das Scheitern vor Trouée de Charmes hat das Selbstbewusstsein der bayerischen Truppen geknickt. Um so wichtiger wäre aus psychologischer Sicht jetzt die Eroberung von Nancy.

Um 20:30 Uhr beginnen die Armeen auf Befehl des KronprinzenRupprecht mit dem Artilleriebeschuss von Vitrimont, Maixe und Friscati. Die Deutschen verfügen immerhin über 235 schwere Geschütze, darunter Mörser mit 21-, 30,5- und 42-Zentimeter-Granaten, dazu Fesselbalone und Flugzeuge.

5. September 1914 Marne * Die Schlacht an der Marnebeginnt.

6. September 1914 Marne * Ein Ereignis, das zwar keinen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Marne-Schlachthat, wird aber zu einem die Franzosen stark motivierenden Angriffsschub. Nachdem die Kämpfe an der Marne beginnen, lässt der französische GeneralstabschefJoseph Joffre sämtliche Taxen von Paris requirieren und je zweimal mit jeweils fünf Soldaten von Meaux an die 50 Kilometer entfernte Front vor Paris an die Marne bringen.

7. September 1914 Nancy * Der direkte Angriff auf Nancy beginnt.

8. September 1914 München * Auf Druck der betroffenen Wirtschaftskreise, insbesondere des Baugewerbes, verlässt die bayerische Staatsregierung ihren Sparkurs und ordnet eine Fortführung der Staatsbaumaßnahmen an. Mit Kriegsbeginn hatte der Staat - zur Schonung des von kriegsbedingten Einnahmeausfällen Betroffenen Haushalts - seine Aufträge weitestgehend storniert.

Um den 15. September 1914 Königreich Bayern - Westfront * Seit Kriegsbeginn sind bereits 17.000 bayerische Soldaten im Kampf an der Westfrontgestorben.

26. September 1914 München-Theresienwiese* Eigentlich müsste dasOktoberfestbeginnen. Es fällt aber kriegsbedingt aus.

Oktober 1914 München-Haidhausen * Der Rohbau für den neuen "Atelierbau" an der "Villa Stuck" ist vollendet.

Danach beginnen die Innenarbeiten.

Seite 196/362 10. Oktober 1914 München * Das Bayerische Innenministeriumverbietet wegen der Nahrungsmittelknappheit die Abgabe von Weißbrot in Gaststätten.

20. Oktober 1914 Ypern * Die erste Flandern-Schlachtbeginnt bei Ypern.

1915 Dresden * In Dresden wird der Deutsche Seidenbauverbandgegründet. In seinem Leitfaden für die deutsche Seidenraupenzuchtstellt er - den früheren Misserfolgen zum Trotz - fest:

Der Maulbeerbaum gedeiht in Deutschland vorzüglich. Die damit gezüchteten Raupen liefern eine wertvolle Seide.

In einem Punkt unterscheidet sich der Deutsche Seidenbauverband dann aber doch von der früheren Euphorie, indem er feststellt, dass der Seidenbau keinesfalls eine "glänzende und gewinnbringende Erwerbsquelle für weite Volkskreise" sein wird. Im Gegenteil, die Seidenraupenzucht muss als Liebhaberei und Nebenerwerb gesehen werden, ähnlich wie die Bienenzucht.

Anfang 1915 München * Lena Christ beschreibt in ihrem im Jahr 1916 erschienenen Roman "Rumplhanni" den Kriegsbeginn auf dem Lande:

"[...] Kein Platz ist mehr zum Sitzen; die Bauern haben den Herrgottswinkel und das Ofeneck ausgefüllt, und an den übrigen Tischen hocken die Jüngeren und die Dienstigen.

Man redet vom Krieg. Und der eine meint: "Jano; s?Belgien ham mir scho. s?Frankreich ham mir aa scho glei; Paris kriagn man auf d?Woch und s?Rußland aufn Kirta. Bis Allerheiling ham mir nachher an Engländer umbracht, und z?Weihnachten sauf i mir mein Friedensrausch o.? - ?Wenn dir der Italiener net ?s Krüagl aus der Hand haut, deiweil!? meint der Meßmer von Niklasreuth; ?woaßt, den Schlawiner tat i scheucha!?

Aber, was!? Den Katzlmacha!? heißt?s da; ?den Polentafresser! Den Maronibruada möchst ferchten! Was willst denn! Was will denn der macha! Hat Ja grad oa Loch, wo er außi kann, der Italiener!? - ?Und dees is zuapitschiert!? meint der Hauser. ?Dees ham eahm d?Östeireicher a so verpappt, daß er a Jahr braucht, bis er si durchefrißt!? Und so wird weiter disputiert und politisiert, bis Jeder voll ist und jeder genug hat [..]".

Und solange die militärischen Erfolge Bestand haben, kann der sogenannte "Burgfrieden" in der Arbeiterschaft auch weiterhin erhalten bleiben.

Seite 197/362 19. Januar 1915 Great Yarmouth - King's Lynn* Mit der Bombardierung der ostenglischen Städte Great Yarmouth und King?s Lynn durch deutsche Zeppelin-Luftschiffe beginnen die regelmäßigen Luftangriffe auf Großbritannien. Es kommen vier Zivilisten ums Leben.

23. Januar 1915 Karpaten - Ostfront * Die deutsch-österreichisch-ungarische Offensive in den Karpatenbeginnt.Sehr zum Ärger des österreichischen GeneralstabschefsConrad von Hötzendorf wird die Offensive durch den deutschen GeneralAlexander von Lisingen geleitet.

Die Russen belagern die k.u.k.-Festung Przemy?l, wo 130.000 Soldaten und 30.000 Zivilisten eingeschlossen und vom Hungertod bedroht sind. Bis Ende April 1915 wird die k.u.k.-Armeerund 800.000 Mann verlieren [Tote, Verwundete, Vermisste und Gefangene].

7. Februar 1915 Masuren - Ostfront * Deutsche Truppen beginnen an der "Ostfront" die "Winterschlacht von Masuren".

16. Februar 1915 Reims * Beginn einer britisch-französischen Großoffensive in der Champagne, die Ende März ergebnislos abgebrochen wird.

26. April 1915 Rom - Paris - London - Petersburg * Italien verbündet sich mit Frankreich, Großbritannien und Russland gegen die "Mittelmächte" Deutschland und Österreich-Ungarn.

Die "Entente" hat Italien in dem geheim gehaltenen "Londoner Vertrag" bei Kriegsende große Gebietsgewinne in Aussicht gestellt.

Der"Gebirgskrieg"an der"Italienfront"beginnt.

28. April 1915 Den Haag * Angeregt von Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Aletta Jacobs beginnt in Den Haag der Internationale Frauenfriedenskongress.

23. Juni 1915 Isonzo-Schlacht * Die erste Isonzo-Schlachtzwischen Italien und Österreich-Ungarn beginnt.

13. Juli 1915 Wünsdorf * Am Beginn des islamischen Ramadanswird in Wünsdorf nahe Berlin die erste Moscheeauf deutschem Boden feierlich eingeweiht.

Seite 198/362 25. September 1915 München-Theresienwiese* Eigentlich müsste dasOktoberfestbeginnen. Es fällt diese Jahr aber erneutkriegsbedingt aus.

10. Oktober 1915 Chemnitz * Mit den sogenannten Butterkrawallenbeginnt in Chemnitz die erste größere Antikriegsbewegung.

4. Februar 1916 München * Wegen der zunehmenden Rohstoffknappheit darf weder "Starkbier" noch das beliebte "Märzenbier" gebraut werden.

Bei Verstößen gegen das Verbot drohen Haftstrafen bis zu einem Jahr oder ersatzweise bis zu 10.000 Mark Geldstrafe.

Um das Randalieren der Soldaten auf Heimaturlaub zu unterbinden, appelliert das bayerische "Generalkommando" an die Verwandten und Freunde der Fronturlauber, diese in Gastwirtschaften nicht mehr freizuhalten.

Statt für "Freibier" sollte das Geld sinnvoller verwendet werden, etwa fürden Kauf von "Liebesgaben für die Front". Das "Generalkommando" behält sich sogar ein "allgemeines Alkoholverbot für Fronturlauber" vor.

24. Februar 1916 Verdun - Westfront * Deutsche Truppen können das Panzerfort Douaumontkampflos einnehmen. Der französische OberbefehlshaberMarschall Joseph Jacques Césaire Joffre verstärkt daraufhin innerhalb weniger Tage die Verteidigung Verduns von 150.000 auf 800.000 Mann und kann so die Festung halten. Wochenlang liegen sich deutsche und französische Soldaten im Artilleriefeuer gegenüber.

März 1916 Verdun - Westfront * Auch Ernst Toller verbringt als "Kriegsfreiwilliger" qualvolle Wochen in den Schützengräben.

Im Jahr 1933 wird er seine Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" veröffentlichen und darin die Grauen des Krieges und die Ansichten eines bayerischen Soldaten, der den "Saupreißn" die Verantwortung dafür zuschiebt, beschreiben.

"Sebastian, der Bauernknecht aus Berchtesgaden, [...] ist fromm, und er begreift nicht, warum dieser Krieg tobt. Wenn sie ihm von zu Hause Schinken und Speck schicken, setzt er sich mit abgewandtem Rücken in einen Winkel und ißt und stiert und sinnt.

Vielleicht sind die Preußen ja ?an der Gaudi? schuld, bestimmt sind sie schuld. Die können ja nie das Maul halten, wegen ihnen hat König Ludwig II. daran glauben müssen, [...] der Bismarck hat die Bayern beschissen, [...] sein Großvater hat im Krieg 1866 ganz allein sechs Preußen gefangen

Seite 199/362 genommen, ?Ergebts euch!? hat er geschrien, ?die Bayern san da?, und jetzt saufen sie uns das Bier weg aus der Kantine.

Sebastian bleibt stehen, erblickt mich nackt und schließt vor Schreck die Augen. [...] ?Jetzt woaß ma ja, warum der Krieg hat kemma müssn?, brummt er. ?Der Preiß wascht sich nackad?. Aus seinem Mundwinkel zischt ein Strahl Spucke".

1. Juni 1916 Fort Vaux - Verdun * Beginn der deutschen Großoffensive auf Fort Vaux.

4. Juni 1916 Galizien * Beginn der Brussilow-Offensivean der Ostfront, in deren Verlauf russische Truppen große Geländegewinne erzielen können.

16. Juni 1916 München * Die Nahrungsmittelknappheit treibt die Münchner auf die Straßen. Bei diesen Hungerdemonstrationenkommt es zu Krawallen, da die Behörden unfähig sind, die Lebensmittelversorgung sinnvoll zu organisieren. Die dringend benötigten Nahrungsmittel erreichen häufig die Empfänger nicht, weil durch verzwickte bürokratische Regelungen häufig Brot, Fett und Fleisch oft tagelang kreuz und quer durchs Land gefahren werden - und verderben.

Jedem Münchner Bürger stehen täglich Nahrungsmittel zu, die einen Nährwert von 1.380,4 Kilokalorien entsprechen.Nach Ansicht des Ärztlichen Beirats der Stadt München für Lebensmittelangelegenheitenist es "vollständig ausgeschlossen, dass ein gesunder Mensch bei diesen knappen Ernährungsmengen arbeitsfähig bleibt und [...] auf die Dauer eine Schädigung der Gesundheit vermieden wird".

24. Juni 1916 An der Somme * Mit gewaltigen Artillerieschlägen beginnt die Schlacht an der Somme.

1. Juli 1916 An der Somme * Beginn des britischen Angriffs auf die deutschen Stellungen.

31. August 1916 München * In der Sitzung der Gemeindebevollmächtigten erinnert der Vorstand einen Referenten eindringlich an den Burgfrieden. Der Referent hatsich in seinen Ausführungen energisch gegen diejenigen gewandt, die den Krieg gewollt haben und die jetzt auch die Not der Bevölkerung zu lindern hätten.

23. September 1916 München-Theresienwiese?Eigentlich müsste dasOktoberfestbeginnen. Es fällt diese Jahr aber erneutkriegsbedingt aus.

Seite 200/362 7. Dezember 1916 München-Ludwigsvorstadt * Im Gasthaus Zum Goldenen Ankerin der Schillerstraße beginnen jeweils am Montagabend die USPD-Diskussionsabende. Andiesem ersten Abend beteiligen sich gerade einmal 25 Personen. Doch die Zahl der Anwesenden wird rasch auf 50 und sogar 100 anwachsen.

1917 München-Graggenau * Constantin Pfrang, genannt "Stanzl", feiert zusammen mit Hans Blädel im "Café Perzl" am Marienplatz [heute: "Kaufhaus Ludwig Beck am Rathauseck"] große Erfolge.

Das "Café Perzl" bringt immer Neuigkeiten auf den Markt. Von der ersten in München spielenden "Damenkapelle" bis zu "Schleier- und Charaktertänzerinnen" - jedoch immer unter Überwachung der Polizei.

7. Januar 1917 Berlin * Der Vorstand der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft - SAGlädt zur ersten Reichskonferenz der sozialdemokratischen Oppositionnach Berlin ein. 138 Delegierteund 19 Reichstagsabgeordnetenehmen daran teil.

Vor allem der Kreis um Karl Kautsky hatte der SAG-Führungzu diesem Schritt geraten und dabei die Absicht verfolgt, dem Einflussgewinn der radikalen Linkenum und durch die Organisation einer "verantwortlichen Opposition" zu begegnen.

8. Februar 1917 München * Weil der Bedarf an Zinn für kriegswichtige Rüstungsprodukte sehr hoch ist, erlassen die Generalkommandoseine Bekanntmachung, die "die Bestandserhebung, Beschlagnahme und Enteignung von Bierglasdeckeln und Bierkrugdeckeln aus Zinn und die freiwillige Ablieferung von anderen Zinn-Gegenständen" beinhaltet.

8. März 1917 Petersburg * In Petrograd beginnt die eigentliche Revolution. In den Putilow-Werkenwird erneut gestreikt, die Streikenden demonstrieren für eine bessere Versorgung, vor allem mit Brot. Gegen 14 Uhr tretendie Arbeiterinnen in der Fabrik Ayvasebenfalls in den Ausstand. Sie demonstrieren gegen die Brotknappheit und für die Rückholung ihrer Männer von der Front. Den protestierenden Frauen schließen sich im Laufe des Tages rund 130.000 Arbeiter an.

Dabei schlagen die Kundgebungen ins Politische um: "Weg mit der Monarchie! Schluss mit dem Krieg!" steht auf den Transparenten.Die Lage in Petrograd gerät immer mehr außer Kontrolle. Es kommt zu den ersten schweren Zusammenstößen zwischen streikenden Arbeitern und dem Militär.

Sehr schnell gibt es in den Betrieben Wahlen zu Arbeiterräten. Eine Form der Selbstorganisation, die die Arbeiter schon im Jahr 1905 entwickelt hatten.Daraus entstehen in der Folge Arbeiter- und Soldatenräteim ganzen Land.

9. März 1917

Seite 201/362 Petersburg * In den folgenden Tagen münden die Proteste in einen "Generalstreik", aber auch in Plünderungen und Ausschreitungen. Die Polizei ist nicht mehr Herr der Lage, da sich die herbeigerufenen Soldaten mit den Demonstranten verbrüdern.

"Zar" Nikolaus II. reagiert auf die Streiks, indem er dem Militär befiehlt, mit Waffengewalt gegen die aufbegehrende Menschenmenge vorzugehen. Am Nachmittag schießen Angehörige eines "Garderegiments" auf die "Aufrührer". Sechzig Demonstranten sterben.

Das bewirkt jedoch genau das Gegenteil, da nun auch an anderen Orten die Proteste beginnen. Ganze Regimenter wechseln die Seiten. An anderen Orten dagegen gingen Soldaten gegen die Polizei vor.

11. März 1917 Petersburg * Die Abgeordneten der russischen Duma[= russisches Parlament] weigern sich, die von Zar Nikolaus II. verfügte Auflösung der Dumadurchzuführen. Soldaten der Petrograder Garnison solidarisieren sich mit den streikenden Arbeitern. Damit beginnt die sogenannte Februarrevolution.

16. März 1917 Petersburg * "Zar" Michail II. erklärt in einem Schreiben an das russische Volk, dass die Machtbefugnisse zunächst an die "provisorische Regierung" übergehen.

Er selbst erklärt sich bereit, die Thronfolge dann anzutreten, wenn ihn das Volk zu einem späteren Zeitpunkt in "geheimen Wahlen" wählen würde. Michail hofft mit diesem Schritt die Monarchie in Russland erhalten zu können. Mit dem Thronverzicht Michails endet die über 300jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie.

Georgij Jewgenjewitsch Fürst Lwow übernimmt nach der"Februarrevolution"in der bürgerlichen provisorischen Regierung, in der Zeit vom 16. März bis 21. Juli 1917, das Amt des russischen"Ministerpräsidenten"und"Innenministers".

21. März 1917 Petersburg * Die provisorische russische Regierung lässt den Ex-ZarenNikolaus II. und seine Familie verhaften. Sie werden im Alexander-Palastunter Hausarrestgestellt. Die Romanows müssen zunächst kaum Einschränkungen hinnehmen und können sich ihrem Familienleben widmen.

6. April 1917 Aisne *Beginn der französischen Offensive an der Aisne.

Bis zur Einstellung der Offensive Ende Mai kann kein entscheidender Durchbruch erzielt werden.

6. April 1917 Gotha * Die in Gotha bis zum 8. April stattfindende zweite Reichskonferenz der sozialdemokratischen Oppositionwird zum Gründungsparteitagder Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - USPD.

In der neuen Partei finden sich Sozialdemokraten verschiedenster Couleur wieder:

Seite 202/362 Revolutionäre Marxisten wie die Gruppe Internationale, die im Krieg die prognostizierte Krise des Kapitalismus sieht und auf revolutionäre Aktionen drängt; pazifistisch gesinnte Sozialdemokraten, die im Weltkrieg einen Angriffskrieg Deutschlands sehen und sich diesem aus ethischen und moralischen Gründen verweigern; daneben Revisionisten, aber auch führende Vertreter des marxistischen Zentrums.

Die USPD ist also keine straffe, einige revolutionäre Linkspartei. Sie zeigt sich nur einig in dem gemeinsamen Ziel: Die Beendigung des Krieges ohne Annexionen. Sie steht demzufolge für die Gegnerschaft zum Krieg, in dem sie längst keinen Verteidigungskrieg, sondern einen imperialistischen Eroberungskrieg sieht.

Die USPD ist also in erster Linie der Block der sozialdemokratischen Gegner des Burgfriedens, der gegen die Kriegskredite ist. Sonst herrschen innerhalb der USPD in der Beurteilung der Arbeiterbewegung und ihrer Taktik große Meinungsverschiedenheiten.

Zu Vorsitzenden der neuen Partei werden Wilhelm Dittmann und Hugo Haase gewählt.

Auch ist in Gotha anwesend, obwohl er immer gegen die Spaltung der Partei war. Die Unzufriedenheit mit der SPD hat auch in Bayern zugenommen.

Für die SPD sind die USPD-ler "Vaterlandsverräter", für die USPD sind die SPD-ler "Verräter am Sozialismus und an der Arbeiterschaft".

9. April 1917 Schweiz - Deutsches Reich - Russland * Mit Einverständnis und Unterstützung der deutschen Regierung durchquert Wladimir I. Lenin zusammen mit 30 "Revolutionären" aus der Schweiz kommend im Zug das "Deutsche Reich".

Deutschland verspricht sich von Lenins Rückkehr eine Verschärfung der innenpolitischen Unruhen in Russland.

16. April 1917 Nordfrankreich * Beginn der Rückverlagerung deutscher Truppen in das ab 1916 ausgebaute Verteidigungssystem der Siegfriedstellung.

18. Mai 1917 USA * In den USA beginnt die Wehrerfassung aller Männer zwischen 21 und 30 Jahren. Drei Millionen Männer werden einberufen.

17. Juni 1917 Ansbach - München * Der Regierungspräsident von Mittelfranken berichtet in einem persönlichen Brief an Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich über seine Erfahrungen mit den Lebensmittel-Hamstern:

"Die Züge der Hamster zählten oft hunderte von Personen". Sie traten noch in den entlegensten Weilern "mit

Seite 203/362 äußerster Rücksichtslosigkeit" auf. Er selbst war "wiederholt mitten in solchen schreienden, schwitzenden und schleppenden Haufen gewesen", der Versuch des Eingreifens hätte "sichere Lebensgefahr" bedeutet.

13. Juli 1917 Lille - München * Kronprinz Rupprecht berichtet seinem Vater, König Ludwig III., es sei "wahrhaft unglaublich, wie es in Berlin zugeht - der Kanzler ist wohl unhaltbar. Ludendorff muss aber unbedingt auf sein militärisches Fach beschränkt werden und darf sich nicht in alle Fragen der inneren und äußeren Politik mengen".

Er bittet seinen Vater zum Kaiser nach Berlin zu fahren, denn es steht "viel auf dem Spiel, um nicht zu sagen Alles!".

Kronprinz Rupprecht fürchtet die Einführung des Parlamentarismus auf Reichsebene am meisten, da das das Ende der Einzelstaaten bedeuten würde.

14. Juli 1917 Lille * Kronprinz Rupprecht bedauert in seinem Tagebuch die sich in weiten Teilen des Deutschen Reiches um sich greifende antimonarchische Stimmung. Die Schuld daran gibt er Kaiser Wilhelm II..

"Durch seine fortgesetzten Missgriffe und seine Untätigkeit ist der Kaiser um alles Ansehen gekommen und die Verstimmung geht so weit, dass manche monarchisch gesinnte und ernsthaft denkende Leute bezweifeln, ob die Dynastie der Hohenzollern den Krieg überdauern wird".

24. Juli 1917 Paris * Im Pariser Justizpalastbeginnt der Prozess vor dem Militärgerichtgegen Mata Hari.

In der Presse kursiert das Gerücht, Mata Harihabe den Deutschen geheime Informationen über den Bau der neuartigen Panzer zugespielt, mit denen die Alliiertendem Krieg eine entscheidende Wende geben wollen.Eine absurde Behauptung, die sogar die seriöse New York Timesaufgreift.

Mata Hari, wird deshalb beschuldigt, als Doppelagentinwichtige Informationen an die Deutschen verraten und damit das Leben von 50.000 französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg aufs Spiel gesetzt zu haben.

24. Juli 1917 Petersburg * Nach der Niederschlagung des Putschversuchsin Petrograd gegen die Provisorische Regierungflieht Wladimir I. Lenin nach Finnland.

31. Juli 1917 Ypern * Die dritte Flandernschlacht, auch dritte Ypernschlachtgenannt, beginnt. Sie endet am 6. November 1917 mit enormen Verlusten an Soldaten und Kriegsmaterial, weswegen die Flandernoffensivefür die "Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges" steht.

1. August 1917 Vatikan * Papst Benedikt XV. richtet einen Friedensappell an die kriegführenden Mächte: "Soll denn die zivilisierte

Seite 204/362 Welt nur noch ein Leichenfeld sein?", fragt der Papst in seiner Friedensnote. "Soll das ruhmreiche und blühende Europa, wie von einem allgemeinen Wahnsinn fortgerissen, in den Abgrund rennen und Hand an sich selbst anlegen zum Selbstmord?"

Er ruft in seiner Friedensbotschaft zu einem Frieden ohne Annexionen auf, so "wie es jenem ziemt, der als der gemeinsame Vater alle seine Kinder mit der gleichen Liebe umgibt".

Doch sowohl die Entente wie auch die Mittelmächte glauben an ein Komplott und diffamieren Benedikt XV. als "Papst der Gegner". Für die Franzosen wird er zum "pape boche"; der deutsche Generalquartiermeister Erich Ludendorff spricht dagegen nur noch vom "Franzosenpapst".

Wohl am enttäuschendsten sind für Papst Benedikt XV. aber die Reaktionen der Bischöfe in den kriegführenden Ländern. Die meisten haben sich schon 1914 dem allgemeinen Hurrapatriotismus angeschlossen. Statt sich nun hinter ihr übernationales Oberhaupt der katholischen Kirche zu versammeln, geben sie sich nationalistisch.

Nur im kriegsmüden Italien findet der Vorschlag große Zustimmung.

2. September 1917 Königsberg * Am Tag des Friedens bei Sedanwird die erzkonservative, nationalistische, völkische und antisemitische Deutsche Vaterlandspartei - DVLPvon ultrarechten Kräften, darunter GroßadmiralAlfred von Tirpitz und dem ostpreußischen GenerallandschaftsdirektorWolfgang Kapp, gegründet.

Innenpolitisch kündigt die Vaterlandsparteiden Burgfriedenvon rechts auf. Sie plädiert für einen unterdrückenden und autoritären Kurs gegenüber der Arbeiterbewegungund greift auch bürgerliche Politikerheftig an, die sich ? wie beispielsweise den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger - für eine Reform des politischen Systemsunter Einbeziehung der SPD aussprechen.

Die Parteiführung verfolgtden Plan, mit Hilfe eines "starken Mannes" einen autoritären Staatsumbau einzuleiten und dabei den Reichstagund die Linksparteienauszuschalten. Im äußersten Fall sollte auch der "zu weiche Kaiser" Wilhelm II. bei einer sich bietenden Gelegenheit für "regierungsunfähig" erklärt und der weit rechts stehende Kronprinz von Preußen zum Regenten ernannt werden.

Außenpolitisch tritt die Vaterlandsparteifür einen deutschen Siegfriedenund ein umfassendes Programm direkter und indirekter Expansionein.

Mit ihren Kampagnen gegen einen Verzichtfrieden- oder Judenfriedengenannten Verständigungsfrieden- und gegen Schlappheitund Verratan der Heimatfrontlegt die Deutsche Vaterlandspartei - DVLPden Grundstein für den Nachkriegsdiskurs über die Novemberverbrecherund die Dolchstoß-Legende.

22. September 1917 München-Theresienwiese?Eigentlich müsste das Oktoberfestbeginnen. Es fällt diese Jahr aber erneutkriegsbedingt aus.

25. Oktober 1917 Berlin * In einem Brief an Reichskanzler Georg Michaelis fordern Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, Marie Juchacz, Helene Lange und andere:

Seite 205/362 "Jetzt ist die Stunde da, in der wir Frauen nach unseren Staatsbürgerrechten laut verlangen müssen. Sollen wir keinen Teil haben an dem was jetzt wird? Haben wir Frauen nicht auch im vollsten Maße unsere schweren Pflichten erfüllt? Es ist bitter, immer wieder vom neuen aufzählen zu müssen, warum auch wir uns zur vollbewussten Teilnahme am Leben des Volkes berechtigt fühlen. Wir sind Staatsbürgerinnen und wollen als solche behandelt sein; Gebt uns Frauen daher das Wahlrecht!"

1. November 1917 Berlin * Kaiser Wilhelm II. ernennt den bisherigen bayerischen Ministerpräsidenten Georg Freiherr von Hertling zum Reichskanzler. Er wird Nachfolger von Georg Michaelis, der das Amt nur dreieinhalb Monate inne hatte.

6. November 1917 Ypern * Die dritte Flandernschlacht, auch dritte Ypernschlachtgenannt, endet trotz der enormen Verluste an Soldaten und Kriegsmaterial ohne nennenswerte Durchbrüche. Die Frontlinie hat sich nur minimal verschoben.

Die britische Armee muss mehr als 250.000 Tote beklagen, auf deutscher Seite sterben über40.000 Soldaten. Die Flandernoffensivesteht schon deshalb für die "Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges".

7. November 1917 Petersburg * Die Bolschewikiunter Führung von Wladimir I. Lenin stürzen in einem bewaffneten Aufstand in Petrograd die provisorischen Regierung unter Alexander F. Kerenski. Die Roten Garden der Bolschewikenbesetzen strategisch wichtige Punkte in Petrograd und belagern den Winterpalast, den Sitz der provisorischen Regierung.

Damit beginnt in Russland die Revolution. Lenin schafft eine Sowjetrepublik, die sich auf Räte[russisch: Sowjets] stützt.

Da diese Auseinandersetzungennach dem alten russischen Kalender auf den 25. Oktober fallen, erhalten diese systemumwerfenden Vorgänge den Namen Oktober-Revolution. Erst nach dieser - für die Bolschewikierfolgreichen - Revolution wird der russische Kalendervon der julianischen Zeitrechnungauf die gregorianischeumgestellt.

4. Dezember 1917 Helsinki * Finnland erklärt seine Unabhängigkeit von Russland. Die russische Oktoberrevolution vom 7. November ermöglichte Finnland die Loslösung. Das Land war von 1808 bis 1917 als ein autonomes Großherzogtum Teil des russischen Reiches.

Um den 21. Dezember 1917 Berlin - Leipzig * Kurt Eisner sendet von Berlin aus seinen Text "Notwendigkeiten" an die Leipziger Volkszeitung, den diese auch veröffentlicht. Sein Besuch in Leipzig, bei dem er die ansässigen Arbeiterführerfür seine

Seite 206/362 Friedensaktiongewinnen will, scheitert. Ein Massenstreikist unter der gegebenen Situation und zu diesem Zeitpunkt aussichtslos.

22. Dezember 1917 Brest-Litowsk * In Brest-Litowsk beginnen die Friedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der sowjetrussischen Regierung.

Ab 3. Januar 1918 Österreich-Ungarn * In Österreich-Ungarn beginnen vereinzelt und noch in kleinem Ausmaß die sogenannten Jännerstreiks.Zunächst geht es den Streikenden um eine bessere Lebensmittelversorgung, doch spätestens am 15. Jänner werden auch werden Forderungen nach Beendigung des Kriegeslaut.

8. Januar 1918 Washington - Berlin * Der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson schlägt ein 14-Punkte-Programmvor. Es sieht Folgendes vor:

"Offene, öffentlich abgeschlossene Friedensverträge. Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen, sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden". "Uneingeschränkte Freiheit der Schifffahrt auf den Meeren, außerhalb der Territorialgewässer, im Frieden sowohl wie im Kriege, [?]". "Möglichste Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken und Herstellung einer Gleichheit der Handelsbedingungen für alle Nationen, [?]". "Entsprechende gegenseitige Bürgschaften für die Beschränkung der Rüstungen der Nationen auf das niedrigste, mit der Sicherheit im Innern vereinbare Maß". "Freier, unbefangener und völlig unparteiischer Ausgleich aller kolonialen Ansprüche, [?]". "Räumung des ganzen russischen Gebietes und ein Einvernehmen über alle auf Russland bezüglichen Fragen, [?]". "Belgien muss [?] geräumt und wiederhergestellt werden, [?]". "Das ganze französische Gebiet muss geräumt und die besetzten Teile wiederhergestellt werden. [?]". "Berichtigung der Grenzen Italiens nach den genau erkennbaren Abgrenzungen der Volksangehörigkeit". "Den Völkern Österreich-Ungarns [?] sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden". "Rumänien, Serbien und Montenegro sollten geräumt, die besetzten Gebiete zurückgegeben werden. [?]". "Den türkischen Teilen des Osmanischen Reiches sollte eine unbedingte Selbstständigkeit gewährleistet werden. Den übrigen Nationalitäten dagegen, die zurzeit unter türkischer Herrschaft stehen, sollte eine zuverlässige Sicherheit des Lebens und eine völlig ungestörte Gelegenheit zur selbstständigen Entwicklung gegeben werden. [?]". "Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, der alle Gebiete einzubegreifen hätte, die von unbestritten polnischer Bevölkerung bewohnt sind; [?]". "Ein allgemeiner Verband der Nationen muss gegründet werden mit besonderen Verträgen zum Zweck gegenseitiger Bürgschaften für die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzbarkeit der kleinen sowohl wie der großen Staaten".

Mit Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programmsollen die deutsch-russischen Friedensverhandlungenunterlaufen

Seite 207/362 werden. Schon deshalb lehnt das Deutsche Reichdas Programm ab.

10. Januar 1918 München * Das Bayerische Kriegswucheramt berichtet dem Innenminsterium, dass in Niederbayern mehr Schmalznudeln als in früheren Zeiten "aus weißem Mehl unter Verwendung von großen Mengen Schmalz und Butter" gegessen werden.

14. Januar 1918 Wien * In den Daimler-Motorenwerken in Wiener-Neustadt beginnt ein Streik wegen der Verkürzung der eh schon geringen täglichen Brotration von 200 auf 165 Gramm.

21. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Der Münchner USPD-Vorstand tritt zu einer Sitzung zusammen. Der Vorsitzende, Schreinermeister Albert Winter sen., berichtet über die Mitglieder-Entwicklung der noch jungen Partei. Die Münchner USPD hat zu diesem Zeitpunkt circa 600 Mitglieder. Vier Münchner MSPD-Sektionenwollen zur USPD wechseln, sodass die Münchner USPD jetzt in die vier SektionenGiesing, Haidhausen, Schwabing und Innenstadt aufgeteilt werden kann.

Kurt Eisner berichtet von seinen Gesprächen in Berlin und davon, dass es dort auch Stimmen gibt, die - entgegen der Auffassung der Mehrheit der Berliner USPD-Führung - mehr als nur einen dreitägigen Demonstrationsstreikwollen. Auch ihr Ziel ist der Sturz der Regierenden.

22. Januar 1918 München * In einem Gespräch mit dem Münchner Polizeipräsidenten versichert der Landessekretär der Bayerischen SPD, Erhard Auer, dass "die Unabhängigen in Bayern, besonders in München, nicht viel Boden" haben.Bei den organisierten Arbeitern besteht somit keine Streikgefahr. Anders ist die Sache "bei den vielfach noch nicht organisierten weiblichen Arbeiterinnen".

24. Januar 1918 Wien * Für den österreichisch-ungarischen MinisterpräsidentenOttokar Graf von Czernin und zu Chucenitz ist ein Verständigungsfriedenauf der Grundlage der 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson akzeptabel. Er erklärt dies in Hinblick auf die innenpolitische und militärische Lage seines Landes.

27. Januar 1918 München-Kreuzviertel * In der Nacht trifft beim bayerischen Innenministeriumdie Nachricht ein, dass am darauffolgenden Tag

ein dreitägiger Generalstreikbeginnen und der Streik innerhalb von drei Tagen in ganz Deutschland zum Durchbruch kommen soll. Kuriere reisen von Berlin mit der Eisenbahn in alle größeren Städte des Deutschen Reichs, um Flugblätter zu verteilen und mündliche Nachrichten zu überbringen. Vertrauensleute sollen in Kriegswirtschaftsbetrieben, insbesondere in Munitionsfabriken zur Arbeitsniederlegung

Seite 208/362 auffordern. Demonstrationszüge mit Ansprachen sind geplant.

In einer kurzfristig anberaumten Besprechung wird vereinbart, dass

keine Gewalt gegen Arbeitseinstellungen angewandt werden soll, die Polizei soll Menschenansammlungen lediglich zerstreuen, bei "Zusammenstößen mit streikenden Arbeitern [muss] nach dreimaliger Aufforderung, auseinanderzugehen, scharf geschossen werden".

27. Januar 1918 Berlin * Eine Versammlung der der USPD nahestehenden Vertrauensleute aller Berliner Großbetriebe, die sogenannten revolutionären Obleute, beschließt einstimmig, am nächsten Morgen den Generalstreikzu beginnen.

Nach Wiener Vorbild wird ein aus 414 Personen bestehender Arbeiterratgebildet, der einen elfköpfigen Aktionsausschussaus dem Kreis der revolutionären Obleutewählt. Der Aktionsausschussfungiert als Streikleitungund wird von Richard Müller angeführt. Die USPD und die MSPD entsenden zusätzlich noch je drei Vertreter. Als Vertreter der Arbeiterparteien werden

die USPD-Reichstagsabgeordneten Hugo Haase, Georg Ledebour und Wilhelm Dittmann sowie die SPD-Vorstandsmitglieder , Philipp Scheidemann und Otto Braun hinzugezogen.

28. Januar 1918 Nürnberg * In der Nacht vom 28. zum 29. Januar 1918 beschließt die Ortsgruppe der Nürnberger Mehrheitssozialdemokraten, sich dem Streikaufrufder USPD anzuschließen. Der fränkische Streikaufruf ist auch als Seitenhieb auf den Opportunismus der Münchner Sozialdemokraten gedacht.

In Nürnberg beteiligen sich weit über 40.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an den Streikaktionen und Demonstrationen.

28. Januar 1918 Berlin * Am ersten Tag des Ausstands folgen rund 100.000 Berliner Arbeiterinnen und Arbeiter dem Aufruf der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei - USPD zum Streik.Das Motto heißt: "Frieden und Brot!". Ihre Hauptforderungen lauten:

Den sofortigen allgemeinen Frieden ohne Annexion und Kontributionen, das vollständige Presse- und Koalitionsrecht, sowie Versammlungsfreiheit, die Aufhebung des Belagerungszustandes, die Entmilitarisierung der Betriebe und Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes, die Freilassung und Aufhebung des Zuchthausurteils gegen Karl Liebknecht, sowie die Freilassung sämtlicher

Seite 209/362 politischen Gefangenen und Verurteilten.

Für Deutschland fordern die von den Streikenden gebildeten Berliner Arbeiterräte eine "durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen". Das Vorbild der österreichischen Kolleginnen und Kollegen hat auch die deutsche Arbeiterschaft ermutigt.

Die Versammelten rufen die Arbeiterschaft der Kriegsgegner auf, es ihnen gleichzutun und ebenfalls in einen Massenstreik einzutreten, "denn erst der gemeinsame, internationale Klassenkampf schafft Arbeit und Brot".Zur Umsetzung dieser Forderung sollte es allerdings nicht kommen.

Dafür gelingt es den revolutionären Obleuten - zwar widerstrebend, aber strategisch sehr geschickt, - auch die Mehrheits-SPD in den Kampf zu integrieren. Das ist ein beachtenswerter Versuch der Wiederannäherung.

29. Januar 1918 München * Im Ingolstädter Hof treffen sich Kurt Eisner, Sarah Sonja Lerch und Albert Winter sen. mit den Vertrauensleuten der Krupp-Arbeiter in den Bayerischen Geschützwerken. Es wird eine Empfehlung an die Arbeiter beschlossen, dass sie am Donnerstag, 31. Januar 1918 mit dem Streik beginnen sollen.

Kurt Eisner hält sich während der Diskussion vollkommen zurück und beantwortet lediglich Fragen, die an ihn gerichtet werden. Er sieht hier sein Ideal von der Arbeiterschaft erfüllt:

Sie soll sich selbst führen, soll sich von niemand vertreten lassen, sollen nur "Sachverständige, zu deren Charakter, Wissen, Intelligenz, Mut sie Vertrauen haben, als Berater hinzuziehen".

Eisner kann sich schon deshalb zurücknehmen, denn - so schreibt er später - "es bedurfte auch gar nicht mehr meiner Einwirkung".

29. Januar 1918 Deutsches Reich * Reichsweit beteiligen sich mindestens 250.000 Arbeiterinnen und Arbeiter am Streik.

31. Januar 1918 München * Die rund 2.000 Streikenden ziehen gemeinsam von der Schwabinger Brauereizu anderen Rüstungsbetriebenim Münchner Norden und schließlich in die Innenstadt in Richtung Hauptbahnhof. Der inzwischen auf 6.000 Menschen angewachsene Zug will in den Mathäserbräu, in dem aber bereits BMW-Arbeitereine Versammlungabhalten.

Ihr Demonstrationszugendet schließlich im Hotel Wagneran der Sonnenstraße.Hier sprechen neben Fritz Schröder auch Sarah Sonja Lerch und Hans Unterleitner.

31. Januar 1918

Seite 210/362 München-Ludwigsvorstadt * Am Abend findet im Mathäserbräusaaleine Versammlung der Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Flugzeugwerke AGstatt, bei der der SPD-Abgeordnete Erhard Auer spricht und wilde Streiksals "zwecklos und sinnwidrig" bezeichnet.

Als die Versammelten Kurt Eisner zur Stellungnahme ermunterten, blieb dieser still. Die MSPD und die Gewerkschaften können durchsetzen, dass die Arbeit erst dann niedergelegt wird, wenn sich die Parteileitung in Berlin dafür ausgesprochen hat. Die Versammlung nimmt einen erregten Verlauf und muss wegen des "großen Lärms" vorzeitig beendet werden.

31. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Der taktische Winkelzug der USPD geht auf. Felix Fechenbach von den Unabhängigen Sozialdemokratenbemächtigt sich des Vorstandstischesim Festsaaldes Mathäserbräuund beruft umgehend eine öffentliche Volksversammlungein, die er sogleich eröffnet.

Als Redner treten Kurt Eisner und Sara Sonja Lerch auf.Diese erzeugen einen Sinneswandel bei den Anwesenden, die sich jetzt ebenfalls für den Streik aussprechen.

Am Schluss wird auch die bereits am Vormittag von den Kruppianernin der Schwabinger Brauereibeschlossene Resolution zur sofortigen Beendigung des Krieges "des Wahnsinns und der Wahnsinnigen" angenommen.

31. Januar 1918 München * Die Münchner Kruppianerder Bayerischen Geschützwerketreten an diesem Donnerstag in den Streik ein.Am frühen Morgen marschieren sie - vorbei an verschiedenen Großbetrieben im Norden Münchens, die sie zum Anschließen auffordern - zum Schwabinger Bräu, wo Kurt Eisner zu ihnen spricht.

Die Krupp-Arbeiterschaftnimmt eine von Kurt Eisner verfasste Resolutioneinstimmig an.Darin erklären sich "die streikenden Arbeiter Münchens mit den Arbeitern der feindlichen Nationen einig in dem feierlichen Entschlusse, den Krieg des Wahnsinns und der Wahnsinnigen sofort ein Ende zu setzen".

31. Januar 1918 München * Nach einem Besuch des Großherzogs von Oldenburg, Friedrich August, bei König Ludwig III. erklärt dieser dem Vertrauten des Reichskanzlers, Victor Naumann, zu den preußischen Vergrößerungsplänen, dass "gegen irgendeine Bindung an Preußen [?] die gewichtigsten Gründe" sprechen. Es geht um einen Zugewinn für das Deutsche Reich im Ostseeraum.

1. Februar 1918 München-Maxvorstadt * Nach der Verhaftung von Kurt Eisner und anderen USPD-Streikführern gewinnt die MSPD-Führung wieder Einfluss auf die Streikenden. In einer Versammlung der Bayerischen Flugzeugwerkeim Löwenbräukellerfordert Erhard Auer zur "Mäßigung und zur Beendigung des Streiks" auf.

1. Februar 1918 München-Schwabing * Am Vormittag treffen sich die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Geschützwerke, Teile der Belegschaft der Lokomotivfabrik Maffei sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter der Lederfabrik Gebrüder Hesselberger und des BMW-Werkes zur Auftaktveranstaltung in der Schwabinger Brauerei.

Seite 211/362 Im Anschluss ziehen sie in einem Protestmarsch zum Polizeipräsidium in der Ettstraße.

Stand bisher die Friedensfrageim Mittelpunkt, so wird nach der Verhaftungsaktion die Freilassung der Gefangenen zur Hauptaufgabe. Zu diesem Zweck hat die Versammlung eine vierköpfige Kommission gewählt, die beim Polizeipräsidenten die Freilassung der Inhaftierten erwirken soll.

Da - nach Aussage des Polizeipräsidenten - die Polizei keine Einflussmöglichkeiten auf die gerichtlichen Entscheidungen hat, muss die Kommission ohne Ergebnis wieder abziehen.

2. Februar 1918 München * Von den Behörden wird Kurt Eisner für München als "geistiger Leiter und Organisator der Aufstandsbewegung" bezeichnet, dessen Einfluss auf die Arbeiterinnen und Arbeiter ausschließlich seiner "leidenschaftlichen Redegewandtheit" zugeschrieben wird.

Dabei ignorieren sie, dass das unbestrittene rhetorische Talent Eisners seine Wirkung nur deshalb entfalten kann, weil die Stimmungslage in der Arbeiterschaft in den verzweifelt schlechten Lebensbedingungen begründet liegt.

2. Februar 1918 München-Maxvorstadt * Die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Flugzeugwerkeversammeln sich im Löwenbräukeller.

16. Februar 1918 München-Kreuzviertel * Die am 8. Februar gewählte Kommission wird von Ministerpräsident Otto von Dandl, Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich und Kriegsminister Philipp von Hellingrath empfangen. Der Sprecher der Kommission, der MSPD-Landtagsabgeordnete Erhard Auer, trägt die Wünsche der Arbeiterausschüsse vor. Die Forderung nach Freilassung der verhafteten Streikführer ist auf der Liste nicht mehr enthalten.

Die Minister beziehen freundlich zu den Forderungen und Anregungen Stellung, Zugeständnisse machen sie jedoch keine.Der Empfang der Kommission wirkt sich dennoch beruhigend auf die Arbeiterschaft aus.

18. Februar 1918 Brest-Litowsk * Die Mittelmächtenehmen nach dem einseitigen Abbruch der Friedensverhandlungendurch Leo D. Trotzki am 10. Februar die Kampfhandlungen im Rahmen der "Operation Faustschlag"wieder auf.GeneralquartiermeisterErich Ludendorff arbeitet auf die Abtrennung der gesamten baltischen Küste und Finnlands von Russland hin.

2. März 1918 München * König Ludwig III. erinnert an das am 26. Mai bevorstehende hundertjährige Bestehen der Bayerischen Verfassung.

3. März 1918 Brest-Litowsk * DerFriedensvertragvon Brest-Litkowskzwischen der Sowjetregierungund den Mittelmächtenwird durch die Verhandlungsführer paraphiert.

Seite 212/362 Russland verliert über 25 Prozent seiner Bevölkerung, 27 Prozent seines wirtschaftlich nutzbaren Bodens und muss die Unabhängigkeit von Finnland, Estland, Livland, Kurland, Litauen, Polen, Georgien, der und von Teilen Armeniens anerkennen.

7. März 1918 Berlin - Helsinki * Zwischen dem Deutschen Reichund der bürgerlichen Regierung Finnlands wird einFriedens- und Freundschaftsvertraggeschlossen.

14. März 1918 München-Au * Kurt Eisner erklärt bei einer Angeschuldigten-Vernehmung im Gerichtsgefängnis Neudeck die durch seine Verhaftung erfolgte Wendung in den Januarstreiks:

"Ich bin [?] der Überzeugung, dass in zwei weiteren Tagen die gesamte Münchner Arbeiterschaft gestreikt haben würde, wenn wir freie Betätigung gehabt hätten und wenn uns nicht im eigenen sozialistischen Lager in der Mehrheitspartei ein Gegner in den Rücken gefallen wäre.

Wenn die Bewegung noch kurze Zeit gedauert hätte, wären die Mehrheitsführer, die ohnehin in jeder öffentlichen Versammlung, in der ich und meine Gesinnungsgenossen sprachen, eine glatte Niederlage erlitten, sicher völlig aus dem Feld geschlagen worden".

18. März 1918 Berlin * Beginn der Zeichnungsfrist für die achte Kriegsanleihe.

Ab 21. März 1918 Bapaume - Nordfrankreich * Mit einem mehrstündigen, für die Gegenseite in seiner Massivheit vollkommen unerwarteten "Sturm aus Feuer und Stahl", wie man ihn bis dahin noch nicht erlebt hat, beginnen die deutschen Truppen die "Operation Michael". Es ist die erste von fünf Schlachten der deutschen Frühjahrsoffensive, die zugleich der letzte Versuch des Deutschen Kaiserreichs ist, an der Westfront einen für die Mittelmächte günstigen Kriegsausgang zu erreichen.

Was die Briten in der Flandernschlacht in zwei Wochen verschossen hatten, verbrauchen die Deutschen in nur wenigen Stunden.Es werden nicht nur Sprenggranaten, sondern auch Giftgas-Granaten verschossen. Schon am ersten Tag des Unternehmens kann die Verteidigung des Gegners durchbrochen werden. In den Folgetagen dringen die deutschen Truppen auf einer Breite von 80 Kilometern etwa 65 Kilometer tief in französisches Territorium ein.

Die Ententesoll zurückgeschlagen werden, ehe die US-Amerikaner in Europa landen. Dies würde, so die Überlegung Erich von Ludendorffs, das Deutschen Reichin eine gute Ausgangsposition bei den Friedensverhandlungensetzen.

Seite 213/362 Die Offensive wird nur am Anfang erfolgreich sein, aber kein Triumphlauf werden. Die Übermacht der alliierten Streitkräfte, erhebliche Versorgungsprobleme und große Verluste sind Ursachen für den Untergang der deutschen Truppen. Am ersten Tag der "Michael-Offensive" werden auf deutscher Seite von 39.929 Mann 10.851 getötet, 28.778 verwundet und 300 Mann gefangen genommen. Von den eingesetzten 38.512 Briten fallen 7.512, etwa 10.000 werden verwundet und 21.000 gehen in Gefangenschaft.

22. März 1918 München * Kriegsminister Philipp von Hellingrath äußert sich zu den Führern der Januarstreiks:

"Das arbeitsscheue und verbrecherische Gesindel, das besonders die Großstädte als Schlupfwinkel für sein lichtscheues Treiben wählt, bildet in Zeiten politischer Hochspannung oder wirtschaftlichen Kämpfe eine gesteigerte Gefahr für die Sicherheit des Reiches, denn diese Elemente beteiligen sich erfahrungsgemäß in erster Linie an Unruhen und aufrührerischen Umtrieben. Die Säuberung der Großstädte und Industriebezirke von derartigen ordnungsfeindlichen Elementen gewinnt daher für die Bekämpfung künftiger Unruhen besondere Bedeutung".

Von hier aus ist es nicht mehr weit zur unseligen Rhetorik der "Schädlingsbekämpfung".

1. April 1918 München * Dr. phil. Sarah Sonja Lerch, geborene Rabinowitz, eine der Anführerinnen der Januarstreiks, wird am Ostermontag auf dem Neuen Israelitischen Friedhof an der Garchinger Straße beerdigt.

Ein Vertreter der USPD legt einen Kranz am Grab ab und erklärt, dass die Polizei einen Nachruf verboten hat. Josef Sontheimer ergreift daraufhin das Wort, wird aber sofort verhaftet und mit Handschellen gefesselt abgeführt.

Frau Lerch war gemeinsam mit Kurt Eisner, Albert Winkler, Hans Unterleitner, Emilie und Babette Landauer und anderen wegen Landesverrats verhaftet worden.

Die 35-jährige Sarah Sonja Lerch hat sich am 29. März 1918 im Gefängnis Stadelheim erhängt. Sie wird nicht die letzte Sozialdemokratin sein, die im Freitod die Erlösung aus offenbar nicht zu verändernden Verhältnissen sucht.

5. April 1918 Spa - Nordfrankreich * GeneralquartiermeisterErich Ludendorff lässt die "Operation Michael" wegen Erfolglosigkeit abbrechen.

Die deutschen Truppen können nicht zum Meer durchdringen, das britische Heer ist nicht zusammen gebrochen,

Seite 214/362 es bleibt bei einem bloßen Raumgewinn. Nach der Anzahl der Gefallenen (35.163 auf deutscher Seite) ist die "Michael-Offensive" die blutigste Schlacht des ganzen Ersten Weltkrieges.

Ludendorff führt den Misserfolg auf den "nachlassenden Angriffsgeist der Truppe" zurück.

9. April 1918 München-Au * Die am 1. Februar 1918 wegen ihrer Beteiligung am MünchnerJanuarstreikverhafteten BuchhalterinnenBetty und Emilie Landauer werden aus der Untersuchungshaft entlassen.

Ab 9. April 1918 Armentières - Nordfrankreich * Nach dem Festlaufen der "Operation Michael" Anfang April führt man die ursprünglich "Georg" genannte Vierte Flandernschlacht in reduziertem Umfang durch. Generalquartiermeister Erich Ludendorff nennt die Vierte Schlacht um Ypern deshalb "Georgette".

Diese Zweite Frühjahrsoffensive beginnt rund 15 Kilometer von Lille entfernt nach dem Muster der "Operation Michael" mit schlagartigem Artilleriefeuer.

2. Mai 1918 München * Das bayerische Innenministerium schreibt an die Kgl. Regierungen:

Die Münchner USPD bildet "das Sammelbecken für alle revolutionär gesinnten Kreise".

18. Mai 1918 München-Stadelheim * Lorenz Winkler, Aktivist beim Münchner Januarstreik, beginnt einen Hungerstreik. Er wird daraufhin psychiatrisch untersucht.

Ab 27. Mai 1918 Soissons - Nordfrankreich * Gemäß seiner "Hammerschlag-Direktive" lässt GeneralquartiermeisterErich Ludendorff die deutschen Truppen im Raum Soissons als dritte Frühjahrsoffensiveals "Operation Blücher-Yorck" in Kriegshandlungen eintreten.Die Deutschen können schließlich die Marne erreichen, weshalb die Franzosen von der "Zweiten Marneschlacht" sprechen.

Die Deutschen rücken bis auf 92 Kilometer an Paris heran und beschießen die französische Hauptstadt mit dem "Paris-Geschütz".Das hat zwar keinen militärischen Nutzen, löst aber eine Panik in der Zivilbevölkerung aus. 256 Zivilisten sterben. Die deutschen Geländegewinne sind zwar bedeutungslos, dennoch glauben viele an der Heimatfront, dass der entscheidende Sieg jetzt unmittelbar bevor steht.

Ab 8. Juni 1918 Nordfrankreich * Als vierte Frühjahrsoffensivelässt GeneralquartiermeisterErich Ludendorff die deutschen Truppen als "Operation Gneisenau" gegen Frankreich kämpfen. Da sich die Franzosen inzwischen auf die deutsche Taktik eingestellt haben, werden die deutschen Geländegewinne immer geringer, die Verluste dagegen

Seite 215/362 immer höher.

15. Juni 1918 Marne * Beginn der letzten deutschen Offensive an der Marne und in der Champagne. Sie dauert bis 17. Juni und wird scheitern.

11. Juli 1918 München - Leipzig * Kurt Eisners Rechtsanwalt, Dr. Benedikt Bernheim, beantragt die Entlassung seines Mandanten sowie der am Januarstreik Beteiligten und Inhaftierten Albert Winter sen., Albert Winter jun. und Carl Kröpelin.

Rechtsanwalt Albert Nussbaum fordert das Gleiche für Ernst Toller, Fritz Schröder, Hans Unterleitner, Franz Xaver Müller, Karl Mettler und Theobald Michler. Der Verteidiger von Emilie und Betty Landauer, Dr. MaximilianBernstein, erhebt die gleichlautende Forderung für seine Mandantinnen.

13. Juli 1918 Berlin * Die MSPD-Fraktion stimmt im Reichstag erneut dem Etat zu, obwohl in allen innenpolitischen Fragen, vor allem bei der preußischen Wahlrechtsreform, jeglicher Fortschritt fehlt.

Zur Entscheidung der MSPD-Fraktion für die neuen Kredite erklärt Friedrich Ebert in seiner Rede, dass Deutschland niemals "auf entehrende, seine politische, wirtschaftliche und kulturelle Zukunft vernichtende oder herabdrückende Bedingungen" eingehen wird, weshalb man "die Mittel bewilligen [muss], die zur weiteren Verteidigung der Lebensinteressen unseres Volkes und zur Erreichung des Friedens erforderlich sind".

Das Parlament geht danach in die Sommerpause.

15. Juli 1918 Nordfrankreich - Reims * Die fünfte deutsche Frühjahrsoffensive beginnt als "Operation Marneschutz-Reims". Sie dauert bis zum 6. August und ist eine der entscheidenden Schlachten des Ersten Weltkriegs.

Die Verluste auf beiden Seiten sind enorm. Auf deutscher Seite betragen sie im Verlauf der Schlacht 168.000 Mann, davon 29.000 Gefangene.Bei den Alliierten belaufen sie sich auf 95.000 Franzosen, 16.500 Briten, 12.000 Amerikaner und 10.700 Italiener.

18. Juli 1918 Nordfrankreich - Villers-Cotterêts * Die Gegenoffensive englisch-französischer Truppen an der Marne beginnt. Die Franzosen setzen 400 leichte, schnelle und bewegliche Renault-Panzermit einem drehbaren Turm ein. Inzwischen stehen auch 19 US-Divisionen in Frankreich.

Die Deutschen werden bei Villers-Cotterêts zum Rückzug hinter die Aisne gezwungen.Das ist die eigentliche Wende des Ersten Weltkriegs.

Seite 216/362 19. Juli 1918 München-Stadelheim - Berlin * Kurt Eisner schreibt an den USPD-Mitbegründer Karl Kautsky und beschwert sich darin: "Jetzt sitze ich bald ein halbes Jahr. [?] Die Voruntersuchung ist sachlich, aber noch nicht formell abgeschlossen". Kurt Eisner beginnt merklich zu altern und leidet unter Anfällen von Depressionen.

27. Juli 1918 Leipzig - München * Die Entlassungsanträge für die Mandantinnen und Mandanten der Rechtsanwälte

Dr. Benedikt Bernheim [für Kurt Eisner, Albert Winter sen., Albert Winter jun. und Carl Kröpelin], Albert Nussbaum [für Ernst Toller, Fritz Schröder, Hans Unterleitner, Franz Xaver Müller, Karl Mettler und Theobald Michler] und Dr. MaximilianBernstein [für Emilie und Betty Landauer]

werden von den Leipziger Richtern abgelehnt. Die Begründung lautet: "Fluchtgefahr".

30. Juli 1918 München * Der SPD-Abgeordnete Erhard Auer bittet das Innenministerium, "von der Verleihung von Anerkennungsurkunden für Kriegsarbeit an die sozialdemokratische Presse und Gewerkschaften abzusehen".

7. August 1918 München* Eine Frauendelegationerscheint im Innenministerium. Am Nachmittag demonstrieren sie vor dem Rathaus.Daraufhin beschließt das Innenministerium,die angekündigte Reduzierung der Fleischration für München außer Kraft zu setzen.

8. August 1918 Amiens - Berlin * Spätestens als mit der Panzerschlacht bei Amiensdie Schlussoffensive der Alliiertenbeginnt, ist der Krieg für Deutschland verloren. Über 70 Prozent der deutschen Verluste besteht aus Gefangenen.

Die Westfrontbricht zusammen.Die Verluste nähern sich wieder den Höchstwerten der ersten Kriegsmonate von 1914.

12. August 1918 München * Eine Münchner Hausfrau berichtet über ihre Fahrten aufs Land. Sie schildert die meisten Bauern als "unverständig, hartherzig und wenig vaterländisch gesinnt".

Nach ihren Beobachtungen sind die Bauern der Meinung, dass sie die "Stadterer" und "Großkopferten" zur Beendigung des Krieges zwingen könnten, indem sie diese aushungern.

14. August 1918 München * Arbeiterinnen, Hausfrauen und Soldaten demonstrieren. Wieder stehen Kriegsinvaliden in den ersten

Seite 217/362 Reihen. Auch das erschwert der Polizei einen massiveren Einsatz. Auf Kriegsinvaliden und Frauen mit Kindern im Arm kann man nicht so ohne Weiteres einprügeln.

18. August 1918 München * In einem Schreiben des Innenministers Dr. Friedrich Ritter von Brettreich an den Kriegsminister Philipp von Hellingrath hebt dieser hervor:"Es ist wohl ohne weiteres klar, dass schon die bloße Anwesenheit Verwundeter das Einschreiten der Polizei [bei Aufläufen] erschwert und unter Umständen hindert. Ich brauche nur an den Fall zu denken, welche Folgen es haben könnte, wenn etwa ein Verwundeter überritten oder eine Beschädigung erleiden würde".

Der Kriegsminister hat jedoch keine Überwachungsmöglichkeiten. Verwundete, Kriegsinvaliden und Kriegsurlauber nehmen meist in Uniform an den zahlreichen Demonstrationen teil. Sie sind nicht kaserniert und so dem disziplinären Zugriff der Militärbehörden entzogen.

21. August 1918 München - Nürnberg - Fürth * Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich berichtet seinen Ministerkollegen in einem Geheimschreiben über ein Gespräch mit sozialdemokratischen Arbeiterführern aus Nürnberg-Fürth.Diese sagten ihm, dass sie die Zuversicht nicht mehr teilen, "dass wir den Krieg wirtschaftlich durchhalten könnten". Die Entbehrungen der Bevölkerung haben einen Grad erreicht, dass mit dem baldigen Zusammenbruch gerechnet werden muss.

Das Vertrauen der Arbeiterschaft gegenüber den Gewerkschaften geht verloren, wenn sie weiter zu einer Regierung halten, "die ihre Versprechungen auf Besserung der Lage nicht einlösen vermocht und statt dessen immer nur neue Opfer und Entbehrungen verlangt und dadurch das Vertrauen des Volkes verloren habe. Sie würden für diese Enttäuschung mitverantwortlich gemacht, weil sie durch ihre Mitarbeit keine Besserung erreicht hätten, und sie stünden daher vor der Gefahr, ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft zu verlieren".

22. August 1918 München - Königreich Bayern * Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich stellt fest: "Der Mittelstand zeigt zurzeit eine schlechtere Stimmung wie alle übrigen Kreise".

9. September 1918 München * Die fleischlosen Wochenbeginnen.Als Ersatz für das ausfallende Fleisch werden 3 Pfund Kartoffeln pro Kopf der versorgungsberechtigten Bevölkerunggewährt.

12. September 1918 Nordfrankreich - bei Verdun * Amerikanische und französische Verbände beginnen einen Vorstoß. Als sie den Frontvorsprung von Saint-Mihiel bei Verdun erobern, bestehen 75 Prozent der deutschen Verluste aus Gefangenen.

14. September 1918 Wien * Der österreichisch-ungarische Kaiser Karl bietet den Entente-Mächten nach vier Kriegsjahren und über einer Million Toten Friedensverhandlungen unter Erhaltung der Monarchie an.

Seite 218/362 "Die österreichisch-ungarische Regierung hat beschlossen, allen Kriegführenden, Freund und Feind, einen von ihr für gangbar gehaltenen Weg zu weisen und ihnen vorzuschlagen, im freien Gedankenaustausch gemeinsam zu untersuchen, ob jene Voraussetzungen gegeben sind, welche die baldige Einleitung von Friedensverhandlungen als aussichtsvoll erscheinen lassen. Zu diesem Behufe hat die k. und k. Regierung die Regierungen aller kriegführenden Staaten zu einer vertraulichen und unverbindlichen Aussprache an einem Orte des neutralen Auslandes eingeladen und an sie eine in diesem Sinne verfaßte Note gerichtet."

Ab dem 15. September 1918 Saloniki * In den Bergen in der Grenzregion Griechenlands und Mazedoniens beginnt am Morgen die lange vorbereitete Entscheidungsoffensiveder alliierten Orientarmee. Der Widerstand der bulgarischen Armee bricht nach einem Durchbruch der Alliierten an der Salonikifront komplett zusammen.

21. September 1918 München-Theresienwiese?Eigentlich müsste dasOktoberfestbeginnen. Es fällt dieses Jahr aber erneutkriegsbedingt - zum fünften Mal hintereinander und zum insgesamt zehnten Mal - aus.

22. September 1918 München?Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich berichtet über Flugblätter, die die Überschrift "Preußenherzen hoch"tragen. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um "überaus gefährliche Fälschungen" handelt, die äußerst geschickt den in Bayern neu auflebenden Preußenhass in neue Höhen steigern und so die Geschlossenheit des deutschen Volkes sprengen soll. Hier einige Auszüge aus dem Flugblatt, das nur in Altbayern mit der Post verbreitet wird. Der Poststempel stammt aus Berlin:

"In tiefernster Stunde wenden wir uns an alle echten Preußen mit dem dringenden Mahnruf: Helft Preußen, helft Deutschland retten! [?] Vielmehr von innen als von außen droht unserem vielgeliebten Preußenlande toternste Gefahr. [?] Ein Süddeutscher Reichskanzler, ein Süddeutscher Vizekanzler, ein Süddeutscher Reichstagspräsident [?], alle wichtigen Ämter in der Hand von Bayern! Ist es da ein Wunder, wenn die Politik auf eine völlige Lahmlegung Preußens, der Kaiserkrone und der Heeresleitung gerichtet ist, und [?] Preußen und Deutschland an den Abgrund geführt hat ?

[?] Aus bayerisch-partikularistischem Hasse will man Preußens Macht zerstören um selbst in Preußen zu herrschen. [?] Auch die Heeresfront ist durch Bayern zerrissen worden. Die Disziplinlosigkeit im bayerischen Heere hat seit einem Jahr den größten Umfang angenommen. [?] Durch diese Handlungen haben preußische und andere Regimenter die größten Verluste erlitten. [?] Jetzt, wo das Vaterland wieder in der größten Gefahr schwebt, sind es wieder die Bayern, die versagen und die Gefahr vergrößern. [?]."

23. September 1918 Berlin?DieZeichnungsfristfür die 9. Kriegsanleihe beginntoffiziell. Es wird die Letzte in diesem Krieg sein.

25. September 1918 Nordfrankreich * In der Nacht vom 25. zum 26. September 1918 beginnen die Alliierteneine weitere Großoffensivegegen die"Siegfriedlinie", die stärkste deutsche Verteidigungslinie an derWestfront.

Seite 219/362 27. September 1918 Berlin * Generalquartiermeister Ernst Ludendorff beginnt dieHandhabung der Niederlagezu planen:

Die Armee muss gerettet werden - ihre Existenz und Ehre. EinWaffenstillstandsgesuchmuss von der Regierung ausgehen, nicht von derObersten Heeresleitung. Es muss politisch motiviert sein, nicht militärisch. DasWaffenstillstandsgesuchsollte von jenen politischen Kräften ausgehen, die schon immer für einenVerständigungsfriedeneingetreten sind - die Parteien derReichstagsmehrheit(SPD, Fortschrittspartei und Zentrum). Diese Parteien müssten entweder in die Regierung aufgenommen werden oder selbst die Regierung bilden. Als Anreiz für diese unattraktive Aufgabe der Regierungsverantwortung müsste diesen Parteien der Übergang zur parlamentarischen Regierungsform angeboten werden. Das würde gleichzeitig die Chancen desWaffenstillstandsgesuchsverbessern.

29. September 1918 Spa * Anschließend werden ranghohe Offiziere von der Obersten Heeresleitung - OHLüber den Stand des Krieges informiert. GeneralquartiermeisterErich Ludendorff führt hierzu aus,

dass die OHLund das Deutsche Reicham Ende sind, der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist, die endgültige Niederlage nicht mehr zu vermeiden ist, Bulgarien abgefallen ist, Österreich und die Türkei am Ende ihrer Kräfte sind und bald folgen werden, die deutsche Armee schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen und auf die deutschen Truppen kein Verlass mehr ist.

29. September 1918 Spa - Berlin * Staatssekretär Paul von Hintze verhandelt am Vormittag mit Generalquartiermeister Ernst Ludendorff über das weitere Vorgehen. Ludendorffs Forderung nach einem Waffenstillstandsersuchen binnen 24 Stunden, das unter die Verantwortung der Reichstagsmehrheit gestellt wird, wird - bei aller Gefahr für Heer, Volk, Reich und Monarchie - von Hintze befürwortet. Ludendorffbegründet es damit, dass er nicht mehr dafür garantieren kann, eine militärische Katastrophe an der Westfront zu verhindern.

Staatssekretär Paul von Hintze will eine "Revolution von oben" und damit einen vollständigen Systemwechsel vornehmen. Eine Umbildung der jetzigen Regierung lediglich durch Hinzuziehen einiger Parteienvertreter hält er nicht für ausreichend. Der Gedanke gefällt Ludendorff, da ein radikaler Bruch mit der bisherigen Regierung die Glaubwürdigkeit gegenüber den Kriegsgegnern erhöhen würde.

Der Generalquartiermeister erhält die Zustimmung für das weitere Vorgehen vom Staatssekretär Paul von Hintze und vom greisen Reichskanzler Georg Friedrich Graf von Hertling.

Anschließend informiert Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg gemeinsam mit Staatssekretär Hintze, aber

Seite 220/362 ohne den Reichskanzler, Kaiser Wilhelm II.. Dieser ist sowohl mit der Regierungsumbildung als auch mit dem Waffenstillstandsgesuch einverstanden.

1. Oktober 1918 Nürnberg * Die zur Zentrumspresse gehörende Nürnberger Volkszeitung, gibt realitätsblinde Durchhalteparolen aus:

"Fürwahr: wir können uns die Größe der Gefahr, in welcher wir schweben, wenn wir in unserer Kampfkraft nachlassen, gar nicht kraß genug vorstellen, um daraus den felsenfesten, entschlossenen Willen zu schöpfen, jede Faser unseres Willens und Herzens anzuspannen, damit wir uns kräftigen in dem Entschlusse, lieber unser Letztes herzugeben, als zu so schimpflichem Dasein verurteilt zu sein. [?]

Unsere Feinde wollen uns vernichten, sie würden auch einen noch so weitgehenden Frieden, den wir zu genießen bereit wären, abweisen, weil sie uns ?ausrotten? und unser Land zu einer Wüstenei machen wollen. Kann es da ein deutsches Herz geben, welches dem Vaterlande in dieser großen Not und Bedrängnis nicht zur Seite stehen wollte?

Jetzt ist die Stunde, in der wir die nationale Verteidigung organisieren müssen! Jetzt gibt es kein Besinnen mehr, der letzte entscheidende Gang hat begonnen!"

1. Oktober 1918 Spa * Im engsten Kreis leistet Generalquartiermeister ErichLudendorff seinen Offenbarungseid und beginnt gleichzeitig seine Flucht aus der Verantwortung. Nach den Aufzeichnungen von Oberst i.G. Albrecht von Thaer gesteht er:

"Die OHL und das deutsche Heer ist am Ende; der Krieg ist nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr steht die endgültige Niederlage wohl unvermeidlich bevor. [?] Unsere eigene Armee ist leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen ist kein Verlaß mehr. [?] Ich habe S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, dass wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!"

4. Oktober 1918 Berlin * Die Deutsche Zeitung beschreibt Prinz Max von Baden als sich doch "offen als Vertrauensmann des sozialistisch-freisinnig-zentrümlichen Volksteils" zu bekennen. Und weiter: "Wir fragen die deutschen Bundesfürsten, mit deren Rechten eine wildgewordene Reichstagsmehrheit heute Fangball spielt, ob sie diese Entwürdigung ihres hohen Berufes ruhig hinnehmen können?"

4. Oktober 1918 Berlin * Reichskanzler Prinz Max von Baden bildet eine parlamentarische Regierung, die die revolutionäre

Seite 221/362 Bewegung in Deutschland aufhalten soll. Die meisten Staatssekretäre aus der Regierung Hertling bleiben im Amt. Aus den Reihen der Reichstagsmehrheit übernimmt der Zentrums-Abgeordnete Karl Trimborn das Reichsamt des Inneren, der MSPD-Abgeordnete Gustav Bauer übernimmt das Reichsarbeitsamt. Vier weitere Parteienvertreter (Philipp Scheidemann, MSPD; Matthias Erzberger, Zentrum; Adolf Gröber, Zentrum, und Conrad Haußmann von der Fortschrittlichen Volkspartei - FVP) werden zu Staatssekretären ohne Portefeuille.

Dem 16-köpfigen Kabinett Baden gehören neun Parteilose, zwei Fortschrittliche Liberale, ein Nationalliberaler, drei Zentrums-Abgeordnete und zwei Vertreter der größten Reichstagsfraktion, den Sozialdemokraten, an.

Die halbherzige Zusammenstellung der neuen Regierung unter Reichskanzler Max von Baden ist gewiss kein Systemwechsel und Neuanfang. Sie beteiligt halt zusätzlich ein paar Parteienvertreter, die das Image der Reichsregierung aufpolieren sollen.

5. Oktober 1918 München - Königreich Bayern * Von den Bayerischen Verkehrsblättern, dem Organ des Bayerischen Beamten- und Lehrerbundes, wird eine gründliche Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Beamten als Voraussetzung zum "Durchhalten- und Aushalten-Können" gefordert.

Das Blatt warnt: "Kommt diese innere Front, durch Mangel an Erhaltungsmöglichkeiten, zum Wanken, dann wird aus der wirtschaftlichen Krisis der Beamten auch eine Krisis - des Staates."

5. Oktober 1918 Berlin * Die USPD-Parteiführung hat konkrete Vorstellungen, welche Maßnahmen in der gegebenen, reichlich verfahrenen Lage ergriffen werden sollen.

Außenpolitisch fordert sie

die Räumung der von deutschen Truppen besetzten Gebiete und die Abänderung der Diktatfriedensschlüsse im Osten.

Innenpolitisch will sie die

Amnestierung der politischen Gefangenen, Aufhebung des Belagerungszustandes, bürgerliche Freiheitsrechte, Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes, demokratisches Wahlrecht in allen Bundesstaaten und die durchgreifende Parlamentarisierung der Verfassung.

Diese Punkte werden dabei als vorläufiges Mindestprogramm verstanden.

Ab 6. Oktober 1918

Seite 222/362 Wien * Der Zerfall Österreich-Ungarns beginnt mit dem militärischen Zusammenbruch und den Niederlagen der k.u.k.-Armee.

Kroaten, Serben und Slowenen erklären am 6. Oktober ihre Unabhängigkeit, die Polen folgen ihnen am 7. Oktober, die Tschechen am 28. Oktober. Ungarn erklärt am 24. Oktober die Realunion mit Österreich zum Monatsende für aufgelöst.

9. Oktober 1918 München-Isarvorstadt * Die USPD-Mitgliederversammlung wird im Restaurant Müllerbad in der Hans-Sachs-Straße von über 200 Personen besucht. Die Polizei berichtet darüber:"Die Stimmung der Versammlung muss als durchaus revolutionär bezeichnet werden und erinnerte im allgemeinen an die Zeit kurz vor Ausbruch des letzten Massenstreiks."

Die im Reich inzwischen eingeleitete formale Parlamentarisierungbeeindruckt bei den Unabhängigenniemanden mehr. Alfred Gärtner stellte fest: "Unsere ehemaligen Führer Scheidemann und Genossen sind in die bankerotte Firma eingetreten. [?]

Es wird eine Zeit kommen, und die ist nicht mehr ferne, wo Männer wie Scheidemann ganz von der Bildfläche verschwinden müssen. Sie werden dann dort Unterschlupf finden, wohin sie gehören, nämlich in der bürgerlichen Partei, der sie die ganze Arbeiterschaft ausgeliefert haben. [?]

Aber es wird nicht mehr lange dauern und die Kerker werden sich öffnen und alle unsere lieben Kämpfer werden wir dann in unseren Reihen begrüssen können."

Um 10. Oktober 1918 München * Karl Harrer wird von der Thule-Gesellschaftbeauftragt, Arbeiter für die völkische Politik zu gewinnen.Zu diesem Zweck ruft er einen Arbeiter-Ringins Leben. Noch vor dem Sturz der Monarchie in Bayern - gründen Harrer und Anton Drexler gemeinsam den Politischen Arbeiterzirkel, der sich - laut seiner erst am 24. März 1919 festgelegten Satzung - als "eine Vereinigung ausgewählter Persönlichkeiten zwecks Besprechung und Studium politischer Angelegenheiten" versteht.

Die vom Vorstand zu Mitgliedern des Zirkelsernannten Personen werden zum Stillschweigen über die Tätigkeit und die personelle Zusammensetzung der Gruppe verpflichtet, woraus alleine schon der Einfluss der exklusiven und elitären Thule-Gesellschafterkennbar ist.

Die dominierende Figur und der geistige Führerdieses Politischen Arbeiterzirkels, dem zum größten Teil Arbeitskollegen Drexlers angehören, ist demzufolge auch nicht Drexler, sondern Karl Harrer, der vor diesem zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich im Hotel Vier Jahreszeitentagenden kleinen Kreis - besonders im Winter 1918/19 - auch ständig Vorträge zu verschiedenen aktuellen Themen hält.

Um den 10. Oktober 1918 Berlin * Eine Gruppe von Seekriegsplanern beginnt mit der Ausarbeitung geheimer Operationspläne, um die Vision der Seekriegsleitung - SKL zum deutschen Endkampf auf See in die Tat umzusetzen.

Seite 223/362 12. Oktober 1918 München-Au * Der Landesparteitag der MSPD beginnt im Franziskaner-Keller an der Hochstraße. Er dauert bis zum 13. Oktober.Der Parteitag wählt Erhard Auer als Nachfolger für Georg von Vollmar zum Landesvorsitzenden. Auer interprediert die innenpolitischen Vorgänge der vorangegangenen Tage, die Bildung einer Reichsregierung unter Beteiligung der MSPD, wie folgt:

"Wir erleben die größte Revolution, die es je gegeben hat. Nur die Form ist heute eine andere, deswegen eine andere, weil durch die Disziplinierung der Arbeiterschaft ? und das ist das Verdienst der Arbeiterbewegung ? andere Formen möglich sind, weil es möglich ist, auf legalem Wege zu erreichen, wofür wir seit Jahrhunderten stritten."

12. Oktober 1918 Berlin * Ein Erlass legt die Amnestie der politischen Gefangenen in die Hand der einzelnen Landesfürsten. Diese Entscheidung stößt bei der USPD und in Teilen der MSPD auf starke Kritik.Auch an den geltenden Zensurbestimmungen ändert sich zunächst ebenfalls wenig.

Als der USPD-Parteivorsitzende Hugo Haase daraufhin in einer öffentlichen Veranstaltung erklärt, dass noch immer "der alte reaktionäre Wind" weht, wird die Versammlung aufgelöst.Auf die Vorwürfe, dass von einer Neuorientierung in der Innenpolitik noch nichts spürbar sei, reagierte die Regierung nicht.

14. Oktober 1918 Spa - Berlin * Generalquartiermeister Ernst Ludendorff, der am 29. September einen Waffenstillstand binnen 24 Stunden gefordert hatte, plädiert nach dem Schreiben des US-Präsidenten Woodrow Wilson jetzt dafür, das deutsche Volk soll doch "um seine Ehre nicht nur in Worten, sondern tatsächlich bis zum letzten Mann kämpfen und sich damit die Möglichkeit des Wiedererstehens sichern".

Kaum hat die neue parlamentarische Regierung die Verantwortung übernommen, spielt Ludendorff den entschlossenen Feldherrn, der sich gegen eine Politik wehrt, die ihn zur Beendigung des Kampfes zwingen will. Wieder ein Baustein zur Dolchstoßlegende.

Um den 14. Oktober 1918 München * In zwei Listen werden Bronzefiguren aufgeführt, die den Metallbedarf der Rüstungsbetriebe geopfert werden sollen. Die erste Liste beinhaltet Werke, auf die man ersatzlos und für immer verzichten will. Dazu gehört unter anderem die Schwind-Büste auf der Praterinsel, das Senefelder-Denkmal, ein Germaniabrunnen und das Brunnenbuberl, das sich seinerzeit noch in der Anlage in der Sonnenstraße befindet.

Auf der zweiten Liste stehen Werke die nach dem Krieg wieder rekonstruiert werden sollen. Dazu zählt unter anderem das Maxmonument, Standbilder von Schiller und Goethe und der Wolfsbrunnen am Kosttor. Die nur wenig verbleibende Zeit bis zur Revolution rettet die Bronzeplastiken und macht sie zu den Gewinnern der Revolution und der neu entstandenen Demokratie.

22. Oktober 1918 Österreich-Ungarn * Es kommt verstärkt zu Befehlsverweigerungenungarischer und kroatischer Einheiten, zu denen sich bald Tschechen und Bosniaken gesellen. Die DoppelmonarchieÖsterreich-Ungarn befindet sich in

Seite 224/362 Auflösung. Weder die Regierung in Wien noch die in Budapest verfügtnoch über Autorität in den Landesteilen, deren Bevölkerung einen eigenen Staat gründen will.

Das führt dazu, dass viele Soldaten dieser Nationalitäten keinen Sinn im weiteren Kampf sehen und so rasch wie möglich nach Hause zurückkehren wollen.

27. Oktober 1918 Berlin - Deutsches Reich * Der Vorwärts ruft zur Zeichnung der 9. Kriegsanleihe auf, obwohl er eine Woche zuvor erkannt hatte: "Diesen Krieg werden wir nicht gewinnen."

28. Oktober 1918 München * Die Münchner Neuesten Nachrichten betonen in einem mit "Der Kaiser und die neue Zeit" überschriebenen Leitartikel, dass die neuen politischen Verhältnisse "alle Grundlagen seiner Auffassung vom Herrscherberuf über den Haufen" geworfen hätten. Daraus sollte jetzt die Folgerung gezogen werden. Sonst entsteht ein innerlich unwahrer Zustand, der über kurz oder lang zu Konflikten führen müsse.

Das ist zwar noch eine sehr verklausulierte und versteckte politische Kritik an Wilhelm II., aber damit wird das sich selbst auferlegte Verbot, den Kaiser nicht anzugreifen oder zu demontieren, immer öfter durchbrochen.

29. Oktober 1918 Kiel - Wilhelmshaven * Die Bewegung radikalisiert sich erst, nachdem die meuternden Matrosen verhaftet und mitKriegsgerichtundErschießungbedroht werden.

Jetzt beginnen Tausende in Kiel für die Befreiung ihrer Kameraden zu demonstrieren. Erst nachdem eine Militärpatrouille neun Menschen erschießt, wollen die Matrosen die Macht. Die Matrosen wählen den erstenSoldatenratin Deutschland und entwaffnen ihre Offiziere. Der Aufstand ist nicht gewalttätig und erschöpft sich im Hissen von roten Fahnen.

30. Oktober 1918 Berlin * Auch Reichskanzler Max von Baden hält nun endlich die Abdankung des Kaisers für notwendig und will in diesem Sinne auf Wilhelm II. einwirken.

31. Oktober 1918 Berlin * Statt endlich den Pflichten seines Amtes als Reichskanzler nachzukommen und den Kaiser über den Ernst der Lage genau und umfassend zu informieren, versucht Prinz Max von Baden diese Aufgabe zu delegieren. Er selbst will es dem Kaiser keinesfalls sagen, da er sich als badischer Thronfolger und deutscher Fürst nicht dazu berufen fühlt. Viel lieber möchte der Reichskanzler dazu Großherzog Ernst Ludwig von Hessen gemeinsam mit Hugo Graf von Lerchenfeld, der mit einem Mandat des bayerischen Königs Ludwig III. ausgestattet werden soll, in das OHL-Hauptquartier nach Spa zu Kaiser Wilhelm II. schicken.

Doch sowohl der Großherzog als auch der bayerische Gesandte am Kaiserhof erteilen dem Reichskanzler eine Abfuhr. Bei Großherzog Ernst Ludwig sind es nicht überlieferte persönliche Gründe. Graf Lerchenfeld wird dagegen vom Ministerpräsident Otto von Dandl zurückgepfiffen, weil

Seite 225/362 "Rücksichten auf monarchische Empfindungen" gegen diese Aktion sprechen und es im Falle einer Ablehnung des königlichen Rates zu "bedenklichen Folgen" für die künftigen Beziehungen der beiden Länder kommen könnte. Im Übrigen ist aus bayerischer Sicht allein der Reichskanzler zu dieser Aufgabe berufen und sogar verpflichtet, "die Initiative zu ergreifen".

Reichskanzler Max von Baden nimmt daraufhin den preußischen Innenminister Bill Drews in die Pflicht als Beamter und schickt ihn als Vorbote nach Spa. Auch Prinz August Wilhelm von Preußen und Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel lassen den Reichskanzler im Regen stehen, sodass das ganze Unternehmen kläglich scheitern wird.

1. November 1918 Spa * Zwischen 14 und 16 Uhr findet das Gespräch zwischen Kaiser Wilhelm II. und dem preußischen Innenminister Bill Drews statt. Reichskanzler Max von Baden hat den Innenminister zu diesem Gespräch verpflichtet. Die zur weiteren Unterstützung avisierten Hochadeligen haben alle ihre Teilnahme abgesagt.

Aus einer Niederschrift vom 3. November geht hervor, dass der Kaiser den "preußischen Beamten und Untertan" ziemlich abgekanzelt hat. "Wie denken Sie sich die Sache, was wird? Meine Söhne haben mir in die Hand versprochen, dass keiner von ihnen meine Stelle annimmt. Also mit mir tritt das ganze Haus Hohenzollern zurück."

1. November 1918 Kiel * Die Matrosen des Dritten Geschwadersschicken eine Abordnung zum Ortskommandantenund verlangen die Freilassung der aufgrund der Meuterei von Wilhelmshaveneingesperrten Matrosen.

Ihnen ist klar geworden, dass nur die Besatzungender "Thüringen" und der "Helgoland" gemeutert hatten, aber fast alle anderen knapp davor waren. Ihre Kollegen haben ihnen mit dieser Aktion das Leben gerettet und sollen jetzt dafür hingerichtet werden. Das Ansinnen wird vom Ortskommandanten abgelehnt.

1. November 1918 Spa - Berlin * Generalquartiermeister schreibt an den Vizekanzler Friedrich von Payer zu den Rücktrittsforderungen gegenüber Kaiser Wilhelm II.: "Das Rückgrat der Armee ist gebrochen, wenn diesen Männern [?] ihr oberster Dienstherr, dem sie Treue geschworen haben, genommen wird und sie dadurch in ihren innersten Gefühlen verletzt werden."

2. November 1918 München * Auf einer vom Liberalen Verein Frei Münchenveranstalteten Volksversammlung ruft Kurt Eisner: "Es kommt nicht zur Reichstagswahl, vor dem 17. November kommt die Revolution."Der "struppige Prophet"wird zwar wegen seines Aussehens belächelt, trotzdem gilt diese Versammlung als der Auftakt der Revolution.

Kurt Eisner hat bereits vor seiner Haftentlassung die Strategie der Obersten Heeresleitung - OHLdurchschaut, die mit der vorgeschobenen Parlamentarisierunglediglich die Verantwortung für den Ausgang des Krieges und den ungünstigen Friedensschluss auf das Parlament abwälzen wollte.

Seite 226/362 Aus Eisners Sicht sollte nicht nur das verhasste System restlos verschwinden, sondern gleichzeitig mit ihm auch seine Repräsentanten. Gemeint sindjene, die für das vier Jahre dauernde sinnlose Morden die Verantwortung trugen. Schließlich befand sich die Mehrheit der führenden Militärs und Spitzenbeamten in Reich und Länder ebenso in Amt und Würden wie der deutsche Kaiser und die Landesfürsten. Sie aber waren die Symbole einer expansiven Außen- und einer undemokratischen Innenpolitik.

2. November 1918 München-Kreuzviertel * Unter dem Eindruck der revolutionären Unruhen im Deutschen Reich schließt die bayerische Regierung mit Delegierten der im Landtag vertretenen Parteien ein Abkommen über parlamentarische Reformen, in der wesentliche Forderungen der SPDerfüllt werden. Sie beinhaltet:

Die Einführung der Verhältniswahl zur Kammer der Abgeordneten. Eine ergiebige Verstärkung der Kammer der Reichsräte durch Vertreter der Gemeinden, der Hochschulen und der wichtigsten Berufs- und Erwerbsstände. Von den Prinzen des Königlichen Hauses gehören nur noch der Kronprinz und fünf weitere der Reichsrätekammer an. Keine weitere Ernennung erblicher Reichsräte. Ein Veto der Reichsrätekammer gegen ein Gesetz kann durch dreimalige Abstimmung der Abgeordnetenkammer überstimmt werden. Die Einjährige Finanzperiode. Als Minister können nur Personen berufen werden, die das Vertrauen der Kammern des Landtags besitzen. Ein Ministerium für Soziale Fürsorge wird neu gebildet und mit einem Sozialdemokraten besetzt. Ferner sollen vier Abgeordnete als Minister ohne Portefeuille [= Ressort, Ministerium] berufen werden, einer davon aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion.

Die notwendige Kabinettsumbildungist für den 8. November angekündigt.

Die Verhältniswahl zur Abgeordnetenkammer isteine alte sozialdemokratische Forderung und die Vereinbarungen über die Kammer der Reichsräte laufen auf eine Demokratisierung der Kammer der Adeligen und des hohen Klerus hinaus. Dadurch hätte die Bayerische Verfassung zugleich parlamentarisiert werden sollen. Auch die Vorschrift aus dem Wahlgesetz von 1896, wonach kein Abgeordneter zum Minister berufen werden darf, würde durch diese Gesetzesvorlage abgeschafft werden.

Über den Königlichen Erlass über die Parlamentarisierung Bayernssollam 6. November 1918 die Abgeordnetenkammer abstimmen und sich am 8. November die Kammer der Reichsrätemit dieser Vorlage befassen. Doch dazu wird es nicht mehr kommen. Obwohl die sozialdemokratischeMünchener Postdie Vereinbarung als "Beginn der Demokratisierung Bayerns" feiert, stehen viele Sozisdieser Demokratisierung von obensehr skeptisch gegenüber.

3. November 1918 Spa * In einer Niederschrift über das von Reichskanzler Max von Baden beauftragte Abdankungs-Ansinnen an Kaiser Wilhelm II. versichert dieser, dass er auf seinem Posten bleiben will.

"Ich denke gar nicht daran abzudanken. Der König von Preußen darf Deutschland nicht untreu werden und in

Seite 227/362 dieser Stunde am allerwenigsten; ich habe auch meinen Eid geschworen und den werd? ich halten. Ich denke gar nicht daran, den Thron zu verlassen wegen der paar Hundert Juden und der tausend Arbeiter."

3. November 1918 München-Theresienwiese * Um 10 Uhr Vormittag findet auf der Theresienwiese, an der Freitreppe unterhalb der Bavaria, die erste Friedensdemonstration der USPD seit den Januarstreiks statt. Lediglich 800 bis 1.000 Personen nehmen daran teil. Das liegtdaran, dass das Generalkommando den Anschlag von Plakaten verboten hatte. Da die finanziellen Mittel zum Druck von Flugblättern fehlten, konnte die Einladungen zu dieser Kundgebung mit hektographierten Handzetteln erfolgen.

Hans Unterleitner erklärt am Versammlungsbeginn, dass die Veranstaltung nur unter folgenden Bedingungen des Polizeipräsidiums genehmigt worden ist:

Keine Entschließung zu fassen, dass die heutige Regierung durch eine Volksregierung ersetzt werden müsse, keine Aufforderung an die Soldaten ergehen zu lassen, die Waffen niederzulegen, keine Demonstrationszüge zu veranstalten beziehungsweise hiezu aufzufordern.

Kurt Eisner betont in seiner Rede den Friedenswillen des deutschen Volkes und sagt: "Von der eingerosteten deutschen Regierung in Berlin sind Taten zur Herbeiführung des Friedens nicht zu erwarten, deshalb muss eine Volksregierung in Bayern sofort Frieden schließen" und fordert auf zum "Sturz der Monarchie" und zur "politischen Revolution". Das Abkommen über parlamentarische Reformen vom Vortag bezeichnet er als "unaufrichtig und unzureichend".

In Hinblick auf die am 30. Oktober in Wien gebildete Staatsregierung der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich sagt Eisner: "Wir grüßen über die Grenze die neue österreichische Republik und fordern, dass eine vom Volk einzusetzende bayerische Regierung mit den deutschen Republikanern Österreichs gemeinsam den Frieden im Namen Deutschlands verkündet, sofern in Berlin nicht der Wille oder die Macht vorhanden ist, den Frieden sofort zu erreichen".

Aufgrund des Demonstrationsverbots wird im Anschluss an die Versammlung ein Spaziergang nach Stadelheim angetreten.

4. November 1918 München-Graggenau * Der Königliche Staatsratkommt zusammen, um über den Fortgang der Verfassungsreform zu beraten.König Ludwig III. ist - wie seine Berater - der Auffassung, dass den demokratischen Parteien Zugeständnisse gemacht werden müssen, weil alleine damit in dieser Situation dem Staatswohlund der Monarchiegedient werden könne.

InnenministerDr. Friedrich vonBrettreich will etwaige Bedenken gegen die Notwendigkeit einer Parlamentarisierung"unter der Wucht der Ereignisse"zurückgestellt wissen, da dieWelleneiner revolutionären Bewegung jetzt auch auf Bayernübergegriffenhätten. MinisterpräsidentOtto von Dandl will den demokratischen Parteien soweitgehende Zugeständnissemachen, weil in dieser Situation nur so demStaatswohlund derMonarchiegeholfen werden kann.

Seite 228/362 Vordringlich sei es jetzt,

dassunter dem Volk kein Zwiespalt herrscheund dieöffentliche Ruheaufrecht erhalten werde.

In der letzten von König Ludwig III. geleiteten Staatsratssitzung zieht der Monarch ein denkwürdiges politisches Resümee: "Wenn der Krieg ein so schlechtes Ende genommen hat, so können wir in Bayern unseren Schild hochhalten; er ist fleckenlos. Bayerns Heer hat sich ruhmreich geschlagen, Bayern trägt keine Schuld. Schuld trägt die unglückselige Politik, die schon vor dem Krieg seitens der Reichsleitung geführt worden ist, und noch mehr die Oberste Heeresleitung, die keinen Maßstab hatte für die Grenzen der eigenen Kräfte. [?]

Nach mehr als vierjährigen unerhörten Leistungen und Opfern stehen wir vor einer Niederlage Deutschlands, die es seit Napoleon nicht mehr erlebt hat. Wir müssen Frieden schließen und zwar unter schlechten Bedingungen."

4. November 1918 München * Nachdem sich Kurt Eisner am Vortag der Unterstützung der Bauern versichert hatte, beginnt er nun eine Reihe von Gesprächen mit einflussreichen Persönlichkeiten, darunter

Professoren der Münchner Universität, aber auch Münchner Arbeiterführer, die ihn bei den Januarstreiks unterstützt hatten, und Militaristen, die in wichtigen strategischen Positionen eingesetzt sind.

6. November 1918 Berlin * Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert erscheint in der Reichskanzlei, wo sich auch Generalquartiermeister Wilhelm Groener befindet. Ebert, der die Monarchie als solche noch immer retten will, fordert ultimativ die Abdankung des Kaisers, "wenn man den Übergang der Massen in das Lager der Revolutionäre verhindern will". Das, so Ebert weiter, ist "die letzte Gelegenheit zur Rettung der Monarchie".

Als Groener den Vorschlag als indiskutabel ablehnt, erklärt Ebert: "Wir danken Ihnen, Exzellenz, für die offene Aussprache und werden uns stets gern der Zusammenarbeit mit Ihnen während des Krieges erinnern. Von nun an trennen sich unsere Wege. Wer weiß, wo wir uns je wieder sehen werden."

6. November 1918 München - Königreich Bayern * Der Bayerische Kurier, eine führende Zeitung des Zentrums, ruft nach der Kieler Matrosenrevolte unter der Überschrift "Bedenkliche Vorkommen in Kiel" alle "staatstreuen Kräfte des Volkes" auf, Hand anzulegen, "um einen gefährlichen Brand in seinem Beginne zu löschen".

Verwundert stellt die Zeitungfest, dass die Anhänger einer staatlichen Ordnung wie von Winde verweht scheinen und fragt,"ob denn die Männer, welche ihre Stimme zu erheben berufen sind, in die Ecken verkrochen sind".

Seite 229/362 6. November 1918 München * Der bayerische Innenministervon Brettreich beruhigt die Bevölkerung, "dass sie gegen jegliche Willkür und Gewalttätigkeit den ausreichenden Schutz finden wird, den das ganze Volk von seiner Regierung erwartet". Der Aufruf wird allerdings erst am 8. November veröffentlicht werden.

6. November 1918 Washington - Berlin - Spa * Am Vormittag trifft in Berlin die Nachricht des US-Präsidenten Woodrow Wilson ein, dass der Oberkommandierende der Alliierten Streitkräfte, Marschall Ferdinand Foch, bereit sei, eine deutsche Waffenstillstandsdelegationin Compiégne zu empfangen.

Nachdem die Reichsregierungdas Ansinnen der Obersten Heeresleitung - OHL, einen militärischen Vertreter zum Verhandlungsleiter zu ernennen, ablehnt, wird noch am selben Tag der StaatssekretärMatthias Erzberger - gegen seinen Willen - mit der Aufgabe betraut und an der Spitze der Abordnung auf den Weg geschickt.Weitere Mitglieder der deutschen Verhandlungs-Abordnung sind derLeiter für HeeresangelegenheitenGeneral Detlof von Winterfeldt, derKapitän zur SeeErnst Vanselow und als Vertreter desAuswärtigen AmtesAlfred von Oberndorff.

Er muss jedoch sich zuvor im Großen Hauptquartierder Obersten Heeresleitung -OHLnoch Instruktionen abholen. Der Reichsregierungist es wichtig gegenüber den Alliiertendas politisch erneuerte Deutschland zu demonstrieren. Dazu eignet sich ein ziviler Politiker an der Spitze der Waffenstillstands-Kommissionganz besonders. Die Deutschen hoffen auf einen "milden Frieden" auf der Grundlage des 14-Punkte-Programms, das der US-Präsident Woodrow Wilson am 8. Januar 1918 verkündet hatte.

6. November 1918 München * Die Polizeidirektion informiert das Innenministerium, dass ihre Überwachungsmaßnahmen"mit Sicherheit" festgestellt haben, dass die Münchner USPD nach der großen Friedenskundgebung am 7. November einen "großen Schlag plane". Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich weist daraufhin die Polizeidirektion an, "jede zulässige Maßnahme zur Unterbindungeiner solchen Aktion vorzubereiten". Gleichzeitig wird das Kriegsministerium informiert.

Kriegsminister Philipp von Hellingrath versichert, dass in München genügend zuverlässige Truppen sind, die eventuelle Unruhen unterdrücken werden. Den Schutz der Haupt- und Residenzstadt sollen die in München stationierten Truppen übernehmen. Die Polizei wird mit uniformierten Schutzleuten die Residenz, die Preußische Gesandtschaft und die Polizeigebäude schützen. Die übrigen Polizisten sollen in Zivil die Stimmung in der Stadt erkunden.

7. November 1918 München-Graggenau - Schloss Wildenwart * Als Fluchtziel der königlichen Familie ist zuerst Gut Leutstetten ins Auge gefasst worden, doch dann hält man Schloss Wildenwart für besser geeignet. Da aber eine Fahrt mit der Königlichen Eisenbahn nicht mehr möglich ist, entscheiden sich die hohen Herrschaften für die Automobile.

Die Kraftwägen sind aber schon lange nicht mehr bewegt worden, weil sich der König geweigert hatte, in Kriegszeiten mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. Nun sind mit Eisen versehene Räder aufgezogen, die noch aus der Zeit stammen, als Ludwig III. die Truppen im Feld besuchte.

Und jetzt ist auch noch der scheinbar mit den Aufständischen sympathisierende Oberchauffeur verschwunden,

Seite 230/362 weshalb die Suche nach den eh schon geringen Benzin- und Karbidvorräten weitere Zeit wegfrisst. Erst ein ehemaliger Hofbediensteter kann Benzin in ausreichendem Umfang besorgen. Er erklärt sich zudem bereit, das königliche Paar zu chauffieren. Als dann gegen 21:30 Uhr endlich drei fahrbereite Automobile zur Verfügung stehen, kann die Reise losgehen.

Die aufgemalten Kronen werden mit Wagenschmiere übertüncht. Doch kaum ist man zur Abfahrt bereit, ist die Reise für das Königspaar schon wieder zu Ende. Man hat nämlich vergessen, die Reifen aufzupumpen. Also muss man das große Auto gegen ein kleineres eintauschen, in das aber die Notsitze nicht eingefügt werden können. Die Fahrt wird deshalb für die königlichen Insassen ziemlich ungemütlich.

Die Flucht der königlichen Familie entwickelt sich zur "Magical Mystery Tour". Denn erst verfährt sich der Chauffeur mit dem Königspaar, dann kommt das Auto mit den Prinzessinnen von der Straße ab und landet auf einer sumpfigen Wiese.

7. November 1918 München-Theresienwiese * Kurt Eisner spricht zur gleichen Zeit am anderen Ende derTheresienwiese- unterhalb vomHackerbräu. Die Demonstranten haben rote Fahnen, Tafeln und Plakate mitgebracht. Ihre Revolutionsbereitschaft demonstrieren die anwesenden Matrosen und Soldaten auch dadurch, dass sie die Reichskokarden von ihren Mützen genommen haben.

Was nach dem Abmarsch derMehrheitssozialistenund derGewerkschafterpassiert, schildert Felix Fechenbach so:"Drei Redner sprachen an dieser Stelle.

Zuerst Kurt Eisner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet worden, man müsse jetzt handeln! Der Bauernführer Ludwig Gandorfer verspricht, dass das Landvolk die Arbeiter nicht im Stiche lassen werde. Dann trete ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand, erinnere daran, dass die Soldaten in den Kasernen zurückgehalten werden. Und dann: ?Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution?.Das war das Signal."

7. November 1918 München-Theresienwiese *Um 15 Uhr beginnt die politischen Veranstaltung auf derTheresienwiese, an der sich etwa 40.000 Menschen beteiligen. Andere Quellen sprechen von über 100.000, sogar von 200.000Teilnehmern.

7. November 1918 München-Graggenau * In der Residenz läuft noch alles seinen gewohnten Gang. Die Töchter des Hauses besuchen am Vormittag die heilige Messe, während König Ludwig III. Audienz hält.

Gegen Mittag verlassen die Bayern-Prinzessinnen Helmtrud und Wiltrud gemeinsam mit der Hofdame Bertha von Wulffen die Residenz, um im Englischen Garten spazieren zu gehen. Als sie sich bereits auf dem Rückweg befinden, treffen sie den König in Begleitung des Barons Bodmann. Ein aufgeregter Radfahrer kommt ihnen entgegen, der die Damen auffordert, wegen der vermehrt aufziehenden Demonstranten möglichst schnell zur Residenz zurückzukehren.

Seite 231/362 Der als Radfahrer verkleidete Polizist will zudem wissen, wo sich der König in etwa aufhält. Es ist wohl dieser Polizist, der den König zur Rückkehr in die Residenz auffordert und nicht wie oft dargestellt, dass Arbeiter den König zum heimgehen aufgefordern, "weil Revolution is". So, als ob in Bayern so etwas wie eine Revolution an der Tagesordnung und der Beginn genau so vorgegeben ist wie der Einzug der Wiesnwirte aufs Oktoberfest.

7. November 1918 München-Graggenau * Die vom Spaziergang heimkehrenden Prinzessinnen werden mit Parolen wie: "Der Kaiser soll abdanken! Nieder mit Wilhelm! Nieder mit dem Haus Wittelsbach! Nieder mit der Dynastie! Nieder mit dem Haus Habsburg! Die Republik soll leben!" konfrontiert. Auch "Vom Millibauern, Papas Spitznamen, schrien sie etwas."Diese und weitere Wahlsprüche vermerkte Prinzessin Wiltrud jedenfalls in ihrem Tagebuch.

Die Stimmung beim Abendessen ist eher gedrückt. Es gibt Hirschkalbsbraten, Kartoffelnudeln und Erbsen. Prinzessin Wiltrud greift beherzt zu: "Ich nahm zwei Stücke, denkend es ist gut, wenn man bei Kräften ist, wer weiß, wann wir wieder ein solches Essen bekommen."

7. November 1918 München-Graggenau * Ministerpräsident Otto von Dandl und Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich überbringen das Ergebnis der Beratungen des Ministerrats an König Ludwig III., der sich damit "ohne Weiteres einverstanden" erklärt."Wir müssen fort - und zwar gleich", sagt der König zu seiner anwesenden Familie. Für Dandl heißt das freilich, dass sich lediglich die königliche Familieauf den Weg ins vorläufige Exil machen darf. Die "Damen" und "Jungfrauen" müssen bleiben.

Als sich die erste Hektik gelegt hat, zaudert der König mit seinem Schicksal. Hat man ihm doch nach der Rückkehr vom Englischen Garten in die Residenz noch versichert, dass man die Lage voll im Griff habe. Als aber die ersten Demonstranten vor der Residenz aufziehen, sagt man dem König, man kann für seine Sicherheit nicht mehr garantieren; es empfehle sich, die Stadt möglichst schnell und unauffällig zu verlassen.

"Dass man mich gar nicht über die Lage unterrichtet hat!", klagt er, "hab? ich denn niemand, der sich um mich hätte annehmen können?".

7. November 1918 München-Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber notiert in der Umsturznacht in sein Tagebuch: "Nachmittag, 15:00 Uhr, auf der Theresienwiese Versammlung. Von den Sozialdemokraten gedacht als Exploron, um das Volk zufrieden zu stellen, wollten den Unabhängigen den Wind aus den Segeln nehmen. Im Zug wohl einige Tafeln: Nieder die Dynastie, (eine andere: Das Weib keine Gebärmaschine) sonst aber ruhig und viele Harmlose dabei. [?]Dabei schwenkte unter der Roten Fahne eine Soldatengruppe ab, ?zu den Kasernen? und diese Soldaten haben die Revolution gemacht. [?]

Nachts, 23:00 Ihr, beginnt der Lärm auf der Straße. Militär, bewaffnet, erst zu Fuß, allmählich mit Lastautos, die fortwährend mit furchtbarem Lärm herumrasen, mit Maschinengewehr ausgerüstet und die Bevölkerung bestürzen sollen. Die schrecklichste Nacht meines Lebens".

7. November 1918 München * Für die Dauer derMassendemonstrationhat der Stadtmagistrat die Schließung der städtischen Büros verfügt und den Arbeiterinnen und Arbeitern den Nachmittag unter Fortzahlung des Lohnes arbeitsfrei gegeben.

Seite 232/362 Die meisten gewerblichen Betriebe und Geschäfte sind bereits ab Mittag geschlossen.

7. November 1918 München * Kurt Eisner und seine Unabhängigen ist es trotz ihrer kleinen Zahl gelungen, die Mehrheitssozialdemokraten auszumanövrieren. Auf dem Weg schließen sich ihnen weitere Arbeiterinnen und Arbeiter, Zivilisten, Männer und Frauen aber auch Kinder an. Auf einmal sind es Zehntausende. Im Mathäser-Bräu richten sie das Standquartier der Arbeiter- und Soldatenräte ein.

Oskar Maria Graf schreibt: "Der Marsch hatte begonnen und war unaufhaltsam. Keine Gegenwehr kam. Alle Schutzleute waren wie verschwunden. Aus den vielen offenen Fenstern schauten neugierig Menschen auf uns herunter. Überall gesellten sich neue Trupps zu uns, nun auch schon einige Bewaffnete. Die meisten Menschen lachten und schwatzten, als ging?s zu einem Fest. [?] Die ganze Stadt schien zu marschieren."

7. November 1918 München-Theresienwiese * DieVersammlungverläuft zunächst ganz nach den Vorstellungen Erhard Auers. DieMehrheitssozialdemokratenund dieGewerkschaftermarschieren geschlossen an.Um 15:15 Uhr beginnen die Ansprachen, dafür sind 15 Minuten vorgesehen. Der MSPD-Führer und weitere Funktionäre halten ihre Reden an der Bavaria, in der sie hervorheben, dass die Sozialdemokratische Partei

weder zum Streik noch zur Revolution auffordert, sondern die Entwicklung zum Volksstaat auf parlamentarischen Wegen erreichen möchte.

Um 15.45 Uhr lassen sie dann über eine Resolution abstimmen, danach löst sich die Versammlung auf. Nun formieren sich die Teilnehmer zurgroßen Friedensdemonstration. Mit einem Musikkorps an der Spitze marschiert der größte Teil der Massendemonstration unter Führung von Erhard Auer in vollkommener Disziplin über die Landwehrstraße, Sonnenstraße, Karlsplatz, Lenbachplatz, Maximiliansplatz, Brienner Straße, Residenzstraße, Maximilianstraße und schließlich längs der Isar entlang bis zum Friedensengel. Hier löst sich der Protestmarsch nach einer kurzen Schlussansprache des MSPD-Reichstags- und Landtagsabgeordneten Franz Schmitt auf.

7. November 1918 München * Bayerns Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich gibt in einem Aufruf bekannt: "Die Waffenstillstandsverhandlungen sind im Gang, sie werden baldigst zum Abschluss kommen."Und dann: "Jetzt gilt es erst recht, Ruhe und Ordnung zu wahren. Innere Unruhen anstiften, hieße den Krieg noch mal beginnen."Eine Variation des alten und sattsam bekannten Spruchs: "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!"

Dahinter verbirgt sich sicherlich auch die Angst vor eventuellen Ausschreitungen und Unruhen, denn für den Nachmittag des selben Tages haben die Mehrheitssozialdemokraten und die Unabhängigen zu einer gemeinsamen Versammlung auf der Theresienwiese eingeladen.

7. November 1918 München-Maxvorstadt * Um 19 Uhr erklärt Kriegsminister Philipp von Hellingrath, er sei machtlos, da ihm in der Stadt keine Truppen mehr zur Verfügung stehen. Er will noch versuchen, mit Truppen außerhalb Münchens in Verbindung zu treten.

Seite 233/362 Ihr Fazit lautet:"Da nach den vorliegenden polizeilichen Meldungen damit gerechnet werden muss, dass die Revolutionäre in der Nacht außer den Ministerien auch die Residenz besetzen und den König sowie die kranke Königin behelligen und versuchen werden, den ersteren zur Abdankung zu zwingen, sind alle Minister der Ansicht, dass der König mit seiner nächsten Familie vorerst bis zur Klärung der Lage München verlasse."

Ministerpräsident Otto von Dandl und Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich überbringenden Rat an König Ludwig III..Dieser erklärt sich damit "ohne Weiteres einverstanden".

7. November 1918 München-Au - München-Ludwigsvorstadt * Kurt Eisner zieht sich nach der Einnahme der Guldein-Schule in den Franziskaner-Keller an der Hochstraße zurück. Sicher auch, um einer eventuellen Verhaftung zu entgehen. Als er erfährt, dass der Hauptteil der Soldaten und der Arbeiter zum Mathäserbräu ziehen, begibt er sich auch dort hin.

Im Erdgeschoss wird er von den anwesenden Arbeitern zum Ersten Vorsitzenden des Arbeiterrats gewählt. Sein Stellvertreter wird Hans Unterleitner. Anschließend begeben sich er und weitere Mitglieder des Arbeiterrats in das Obergeschoss, in dem er sich mit den Führern des Soldatenrats zur gemeinsamen Sitzung zusammentrifft. Damit ist der Arbeiter- und Soldatenrat gegründet.

7. November 1918 Kiel - München * Als in München die revolutionären Vorgänge beginnen, sind sie in Kiel bereits beendet. Der Einfluss von Gustav Noske war so groß, dass er die Revolutionin Kiel im Sinne der Obersten Heeresleitung - OHL, der Reichsregierungund der Sozialdemokratischen Partei - SPD"ersticken" und "zurückrollen" kann.

8. November 1918 Berlin - München * Friedrich Stampfer, Chefredakteur beim Vorwärts in Berlin, rechnet mit seinem ehemaligen Kollegen ab und schreibt am 1. Dezember 1918 mit arroganter Überheblichkeit in der SPD-Zeitung Vorwärts einen Leitartikel über Kurt Eisner und die "Revolution in Bayern".

Darin heißt es: "Als am 8. November 1918 die Kunde kam, dass Eisner bayerischer Ministerpräsident geworden sei, erfüllte Heiterkeit die Redaktionsstuben, sie pflanzte sich fort in die Setzer- und Maschinensäle. Es war keiner unter uns, der Eisner von der alten Zeit her nicht liebte, keiner, der ihm übel wollte oder ihn missachtete. Dennoch: Heiterkeit überall, wohlwollende Heiterkeit. [?]

Wozu wären wir ein befreites Volk, wenn es nicht erlaubt wäre, einem alten Freund offen und öffentlich zu sagen: Du hast in Deinem Leben schon viele Böcke geschossen, aber dass Du Dich von Deinen revolutionären Schwabinger Literaturfreunden zum Ministerpräsidenten machen ließest, das war Dein größter Bock. [?]

Du lebst in einer Welt des holden Wahnsinns, wenn Du glaubst, Du eingewandeter Berliner Literat, der im öffentlichen Leben noch nie eine Rolle gespielt hat und den man in Bayern bis vor drei Wochen kaum kannte, Du könntest Dich auf das Vertrauen des bayerischen Volkes stützen. [?]

Diese Ministerpräsidentschaft [?] steht zum Ernst unserer Zeit in erschütterndem Gegensatz. Kasperlekomödie des Lebens, frei nach Frank Wedekind, von Kurt Eisner, mit dem Dichter in der Titelrolle. München - Schwabinger Naturtheater. In fünf Minuten geht der Vorhang herunter und dann ist Schluss."

Seite 234/362 Die preußische Sozialdemokratie fühlt sich Kurt Eisner gegenüber weit überlegen. Sie verhöhnt und verlacht ihn und sieht in ihm einen unqualifizierten Abenteurer und absoluten Dilettant, der offensichtlich nichts von Politik versteht und den Ernst der Lage völlig verkennt.

8. November 1918 München * Zwischen Mitternacht und ein Uhr bittet Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich den Führer der Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer, zu sich. Auer macht deutlich, dass er und seine Partei die "gewaltsame Niederschlagung der Revolution" und die "Festnahme der Revolutionäre" noch in der Umsturznacht dulden werden. Danach können sie nur mehr versuchen - auf der Grundlage der neu geschaffenen Verhältnisse - an der Stabilisierung der inneren Ordnung mitzuwirken.

Auf Auers Frage nach einer aus 500 Mann bestehenden zuverlässigen Truppe, erwidert von Brettreich, dass ihm keine ausreichenden Machtmittel zur Verfügung stehen, um den Umsturz niederzuwerfen. Die Polizei ist unzureichend und das Militär hat gänzlich versagt.

8. November 1918 München * Gegen Mittag ruft Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich die den Ministerpräsidenten Otto von Dandl und den Kultusminister Dr. Eugen Ritter von Knilling sowie den bayerischen MSPD-Vorsitzenden Erhard Auer zu sich.

Bei der Besprechung setzt Auer die Herren von den bevorstehenden Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung für den Freien Volksstaat Bayern, die vermutlich zum Ziele führen werden. Für die Niederschlagung der Revolution durch die derzeitige Regierung ist es zu spät.

8. November 1918 München - Freistaat Bayern * Die Bayerische Staatszeitung bringt auf der ersten Seite noch des Aufruf des inzwischen abgesetzten Innenministers Dr. Friedrich Ritter von von Brettreich vom 6. November. Darin heißt es: "[?] Die Bevölkerung darf überzeugt sein, dass sie gegen jegliche Willkür und Gewalttätigkeit den ausreichenden Schutz finden wird, den das ganze Volk von seiner Regierung erwartet."

8. November 1918 München-Kreuzviertel * Kurz nach Mitternacht hält der neu gebildete Arbeiter-, Bauern- und Soldatenratim Sitzungssaal der Abgeordnetenkammerim Landtagsgebäudean der Prannerstraße - unter der Leitung Kurt Eisners - seine erste Sitzung ab.

Kurt Eisner proklamiert die demokratische und soziale Republik Bayern, den Freistaat Bayern. Die Monarchie ist damit gestürzt, die Republik geboren. In seiner Rede bemerkt Eisner: "Die bayerische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher Könige hinweggefegt."

"Bayern ist fortan ein Freistaat" lautet der dritte Satz eines Aufrufs, der am Morgen des 8. November 1918 auf der ersten Seite der Münchener Neuesten Nachrichtenveröffentlicht wird. Mit dem Begriff Freistaatnimmt Kurt Eisner eine Definition auf, die schon 150 Jahre zuvor für Republikgebraucht wurde.

Mit dieser Wortwahl will er aber nicht nur den Unterschied zur Monarchie, sondern auch die Eigenständigkeit Bayerns innerhalb eines deutschen Staatenbundes, der "Vereinigten Staaten von Deutschland", herausstellen.

Seite 235/362 "Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern" hat diesen Aufruf "An die Bevölkerung Münchens" gerichtet.

Noch deutlicher ist ein knallrotes Plakat, das bereits in den Straßen Münchens hängt. Ihm können die interessierten Bürger entnehmen: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!"

8. November 1918 München-Kreuzviertel * Um 15:38 Uhr tritt der Provisorische Nationalrat des Volksstaatse Bayernzu seiner zweiten Sitzung zusammen, um eine Provisorische Bayerische Regierungzu wählen.

Eisner schlägt folgende Zusammensetzung der Regierungvor:

Das Ministerium des Äußerenund damit das Präsidiumübernimmt Kurt Eisner selbst. Vizepräsidentund Kultusministerwird der MehrheitssozialdemokratJohannes Hoffmann. Ebenfalls MSPDsind der Minister für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter, und der JustizministerJohannes Timm. Das Innenministeriumerhält der Vorsitzende der bayerischen Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer. Das Verkehrsministeriumüberträgt Eisner einem bürgerlichen Fachmann: Heinrich von Frauendorfer. Das Ministerium der Finanzenvertraut Eisner dem Professor für Staatswissenschaften,Edgar Jaffé an, der den Unabhängigennahe steht. Das neu geschaffene Ministerium für soziale Angelegenheitenleitet der Unabhängige SozialdemokratHans Unterleitner.

Die Benennung Erhard Auers zum Innenministerruft neben Beifall auch Unmutsäußerungen hervor. Bei der Abstimmung erhält Auer eine überwiegende Mehrheit.

Eisner will mit Auers Ernennung seinen schärfsten Gegner unter Kontrolle bringen.Daneben ist ihm bewusst, dass die MSPDdie Nichtbesetzung des Innenministeriumsmit ihrem Vorsitzenden als Affront empfunden und sich möglicherweise mit der Bourgeoisiegegen die Revolutionsregierungverbünden würde. Auer dagegen kann der MSPDdadurch den Einfluss auf die kommenden Ereignisse sichern.

Das Landwirtschaftsministeriumwollte Eisner ursprünglich mit einem revolutionären Bauernbündlerbesetzen. Doch das kann Erhard Auer verhindern. Es wird nicht gebildet, da der MSPD-lerdarin eine Beschneidung seines Ressortssieht und er dem Eisner-nahen Bayerischen Bauernbund - BBBkein zusätzliches Machtinstrument an die Hand geben will.

8. November 1918 München - Hamburg * Nachdem Kurt Eisner in München den Freistaat Bayern ausgerufen und das Frauenstimmrecht als Bestandteil eines demokratischen Beginns nannte, schreibt Anita Augsburg ihrer sich in Hamburg aufhaltenden Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann:

"Nun begann ein neues Leben! Zurückdenkend erscheinen die folgenden Monate wie ein schöner Traum, so wunderbar herrlich waren sie. [?] Endlich konnten Frauen aus dem vollen Schaffen. Frauenmitarbeit war auf allen politischen und sozialen Gebieten erwünscht."

Seite 236/362 8. November 1918 München - Freistaat Bayern *Nur die Münchener Neuesten Nachrichten - MNN können ihre normale Morgenausgabe der Tageszeitung drucken. Auf der ersten Seite ist die Proklamation des Freistaates Bayern abgedruckt:

An die Bevölkerung Münchens!

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an! Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt. Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augenblick durch die Selbstregierung des Volkes die Entwicklung der Zustände ohne allzu schwere Erschütterung zu ermöglichen, bevor die feindlichen Heere die Grenzen überfluten oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten Truppen das Chaos herbei führen. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt. Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und Disziplin aufrecht erhalten. Offiziere, die sich den Forderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen. Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen! Alle Beamte bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt. Die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden. Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalschweren Tagen sich vorbereitet! Helft alle mit, dass sich die unvermeidliche Umwandlung rasch, leicht und friedlich vollzieht. In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein. Bewahrt die Ruhe und wirkt mit an dem Aufbau der neuen Welt! Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Einheit zurückgeführt. Es lebe die bayerische Republik! Es lebe der Frieden! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!

München, Landtag, in der Nacht zum 8. November 1918. Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern: Der erste Vorsitzende: Kurt Eisner.

Seite 237/362 9. November 1918 Berlin * Während in den meisten großen deutschen Städten rote Fahnen über den Regierungsgebäuden und Residenzen wehen, beginnen in Berlin die Auseinandersetzungen erst. Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als die Revolutionären Obleute für diesen Tag große Demonstrationen angekündigt haben. Die Bewegung droht der Regierung und den Mehrheitssozialdemokraten endgültig zu entgleiten.

Reichskanzler Max von Baden befürchtet, dass die Demonstranten und ihrerseits die Absetzung des Kaisers ausrufen könnten. Deshalb veröffentlicht er mittags um 12 Uhr völlig eigenmächtig eine Erklärung, in der darstellt, dass sich der Kaiser des Deutsches Reichs und zugleich König von Preußen entschlossen hat, dem Thron zu entsagen.

Gleichzeitig überträgt der Prinz von Baden an den sozialdemokratischen Parteiführer Friedrich Ebert das Amt des Reichskanzlers, um die Staatsführung vor dem revolutionären Zugriff zu bewahren.

9. November 1918 München * In einer Bekanntmachung des Innenministers Erhard Auer wird erläutert, dass "bis auf weiteres die sämtlichen Stellen, die bisher mit der Versorgung der Bevölkerung sowie mit der Überwachung und Regelung des Verkehrs mit Gegenständen des notwendigen Lebensbedarfs betraut waren, weiter arbeiten".

Nur diese offiziellen Stellen dürfen entsprechende Anordnungen erlassen und durchführen. "Unberechtigte Einmischung Dritter wird nicht geduldet werden."Das richtet sich eindeutig gegen Einwirkungsversuche der Räte.

9. November 1918 München * Vertreter des Zentralverbandes der Gemeindebeamten verhandeln mit Innenminister Erhard Auer und fordern:

die Aufrechterhaltung der Beamtenrechte, den Schutz vor Übergriffen, ein neues Beamtenrecht, die Errichtung von Beamtenausschüssen, die Heranziehung der Organisation bei der Regelung der Belange der Beamten.

9. November 1918 München - Freistaat Bayern * Der Ausschuss der Vereinigten Verkehrsverbände ruft per Kreistelegramm und in Zeitungsannoncen seine Mitglieder zu einer Massenveranstaltung in den Münchner Bavariakeller an der Theresienwiese ein.

Die Einladung beginnt mit den Worten: "Die Stunde der Erlösung aus tiefster wirtschaftlicher Not ist auch für Euch angebrochen. Jetzt oder nie gilt es, Euch im Rahmen der jetzigen Regierungsgewalt die politische und soziale Machtstellung zu erkämpfen, auf die Ihr auf Grund Eurer Massen und Eurer für das deutsche Wirtschaftsleben ausschlaggebenden wichtigen Berufsarbeit Anspruch habt".

Seite 238/362 9. November 1918 München-Graggenau * Nur einen Tag nach der Konstituierung des Provisorischen Nationalratsunter MinisterpräsidentKurt Eisner lädt Freiherr Rudolf von Sebottendorff zu einem konspirativen Treffder Thule-Gesellschaftins Hotel Vier Jahreszeiten.

Das Interesse ist so groß, dass alle wichtigen Vertreter völkischer und antisemitischer Gruppierungen aus München und der näheren Umgebung der Einladung folgen. Nun war man unter sich - und Sebottendorff konnte Klartext reden:

"Uns hasst der Feind mit dem grenzenlosen Hasse der jüdischen Rasse, es geht jetzt Auge um Auge, Zahn um Zahn! Unser Orden ist ein Germanenorden, germanisch ist die Treue. [...]. Die gestrige Revolution, gemacht von Niederrassigen, um den Germanen zu verderben, ist der Beginn der Läuterung. Nun wollen wir reden vom Deutschen Reich, jetzt wollen wir sagen, daß der Jude unser Todfeind ist, von heute ab werden wir handeln." Ohne Umschweife fordert er den "kompromisslosen bewaffneten Kampf gegen die neue Regierung", da sie für ihn nur die "Herrschaft der Niederrassigen unter der Führung von Juda" ist.

Und da gibt es für ihn kein Zurückhalten: "Jetzt heißt es kämpfen [...] bis das Hakenkreuz siegreich aufsteigt."

9. November 1918 Burglengenfeld * In Burglengenfeld, am Standort der Maxhütte wird ein Arbeiter- und Soldatenrat gegründet. Vorsitzender wird Joseph Schmid von der USPD.

Burglengenfeld wird zu einem Musterbeispiel der "Räteherrschaft in der Provinz" im Eisner?schen Sinn. Kein Wunder, dass Kurt Eisner seinen Antrittsbesuch in der Oberpfalz nicht in Regensburg, sondern in Burglengenfeld abhält.

10. November 1918 München-Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber notiert in sein Tagebuch: "Schon am dritten Tag ist die Stimmung mehr Katzenjammer als Rausch. In den Trambahnen schimpfen sie bereits, wie mir von Ohrenzeugen versichert wird, ebenso über die neue Regierung wie vor acht Tagen über die alte. [?]

Man hört, in der ersten Nacht in Geheimsitzung habe Eisner gefordert, sofort mit aller Schärfe gegen die Pfaffen, Auer aber habe sehr energisch gesprochen, jetzt alles beim Alten zu lassen (und besonders von den Feldgeistlichen gesprochen. [?]

Ich sage es heute wiederholt [?]: Es sei ja gar nicht damit zu rechnen, dass eine Gegenrevolution komme, die nicht mehr das Königshaus zurück brächte, sondern nur eine größere Verwirrung stifte, und namentlich noch viel Blut koste. Jetzt muss alles zusammen helfen, um Ruhe und Ordnung zu halten."

11. November 1918 München - Bern * Nach der Bekanntgabe der harten Waffenstillstandsbedingungen startet Ministerpräsident Kurt

Seite 239/362 Eisner in der Nacht zum 11. November eine eigenständige, vom Reich völlig unabhängige bayerische Außenpolitik. Über den Schweizer Bundesrat in Bern schickt er einen Appell der neuen bayerischen Regierung an die Regierungen der Siegermächte. Er ist zugleich ein Aufruf an die Proletarier aller Länder:

"Das bayerische Volk hat zuerst in Deutschland unter Führung von Männern, die seit Beginn des Krieges den leidenschaftlichsten Kampf gegen die frevelhafte Politik der deutschen Regierungen und Fürsten geführt haben, in einer stürmischen und vom endgültigen Erfolg gekrönten Erhebung alles und alles beseitigt, was schuldig und mitschuldig an dem Weltkrieg war. [?]

In diesem Augenblicke stürzt auf die junge Republik Bayern die Veröffentlichung der Waffenstillstandsbedingungen der alliierten Mächte herein. Alle Hoffnungen, die wir durch den Erfolg der Revolution hegen durften, sind damit zerstört. Die neue Republik wird, wenn diese entsetzlichen Bedingungen unabänderlich sein sollten, in kurzer Zeit Wüste und Chaos sein. [?]

Jetzt ist die Stunde gekommen, wo durch einen Akt weitausblickender Großmut die Versöhnung der Völker herbeigeführt werden kann. Vergesst in der Schöpfung der neuen Welt den Hass, der in der alten erzeugt worden ist."

11. November 1918 Wien * Karl I., der schon eine Woche vorher von einzelnen Medien als "der ehemalige Kaiser" bezeichnet worden war, wird von den republikanisch gesinnten deutsch-österreichischen Spitzenpolitikernund seiner letzten k.u.k. Regierungdazu bewogen, auf "jeden Anteil an den Staatsgeschäften" zu verzichten.

Die förmliche Abdankunghatte er zuvor abgelehnt. Am selben Tag entlässt der Ex-Kaiser die funktionslos gewordene k.u.k. Regierung.

12. November 1918 Berlin - Deutsches Reich * Der aus Mitgliedern der SPD und der USPD bestehende Rat der Volksbeauftragten in Berlin verkündet in einem Aufruf an das Deutsche Volk mit Gesetzeskraft unter anderem die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland.

Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen. Der Belagerungszustand wird aufgehoben. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Beamte und Staatsarbeiter. Eine Zensur findet nicht statt, die Theaterzensur wird aufgehoben. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei. Die Freiheit der Religionsausübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt, ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeitsschutzbestimmungen werden wieder in Kraft gesetzt.

Seite 240/362 Um den 12. November 1918 Augsburg * Ernst August III. Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Prinz von Hannover hat es nach seiner Abdankung am 8. November 1918 mit seiner Familie nach Augsburg verschlagen. Er lebt in materieller Not in einem Hinterhof.

Da er als Ortsfremder keine Lebensmittelkarten erhält, bekommt er auf seine vorsichtige Anfrage vom Arbeiter- und Soldatenrat die Auskunft, dass er sich wie jeder andere Bürger bei der Behörde anmelden und seine Lebensmittelkarte persönlich abholen kann.

Herzog Ernst August III. spricht daraufhin persönlich beim Vorsitzenden des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrats, Ernst Niekisch, vor: "Er zitterte am ganzen Körper, im buchstäblichen Sinn des Wortes klapperte er mit den Zähnen. Ich beruhigte ihn, niemand wolle ihm oder seiner Familie etwas zuleide tun. Ich händigte ihm die Lebensmittelkarten aus."

12. November 1918 München * Innenminister Erhard Auer weist die Bezirksämter und Gemeindeverwaltungen an, selbst Vorkehrungen zum Schutze von Leben und Eigentum der Bürger zu treffen.

13. November 1918 München - Freistaat Bayern * Eine Anordnung, unterzeichnet von Ministerpräsident Kurt Eisner, dem Minister für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter, und dem Vorsitzenden des Vollzugsausschusses, Fritz Sauber, für die Soldatenräte in ganz Bayern bestimmt,

dass neben den Kasernenräten auch Lazaretträte als Vertretungen der Verwundeten zu wählen sind, dass Vertrauensmänner auf Divisionsebene gewählt werden sollen. (Sie werden später Garnisionsräte genannt.), dass die Gesamtheit der Soldatenräte ihre Zusammenfassung in einem Vollzugsausschuss findet, dass der Vollzugsausschuss seinerseits zwei Bevollmächtigte abordnen soll, die mit dem Minister für militärische Angelegenheiten "in innigster Fühlung zusammenarbeiten" werden.

14. November 1918 München - Freistaat Bayern * Der vom Ministerialrat im Staatsministerium des Innern, Dr. Franz Xaver Schweyer, verfasste Leitartikel der Bayerischen Staatszeitung beschäftigt sich mit der Frage "Beamtentum und Volksstaat".

Dr. Schweyer schreibt: "Während der einfache Straatsbürger seine Stellung zu der neuen Regierung sich einstweilen vorbehalten und die Entwicklung der Dinge abwarten kann, war der Beamte, vor allem der Staatsbeamte, in die bittere Notwendigkeit versetzt, binnen weniger Stunden sich zu entscheiden, ob er der neuen Regierung seine Arbeitskräfte zur Verfügung stellen und seine Amtsgeschäfte fortführen kann und darf oder ob er, ohne Rücksicht auf weitgehende wirtschaftliche Folgen für sich und seine Familie seine Tätigkeit einstellen soll.?

Seite 241/362 14. November 1918 München * Der am ersten Revolutionstag (7. November) in München entstandene Zentralarbeiterrat hat sich aus dem im Mathäserbräu gewählten Arbeiterrat entwickelt. Er ist gleichbedeutend mit dem Revolutionären Arbeiterrat, der umgehend die Organisation von Betriebsräten in München ergreift.

Die Münchner Betriebsräte gaben sich eine Geschäftsordnung und wählten ihren eigenen Münchner Arbeiterrat. Dieser wird von Gewerkschaftsführern geleitet. Er beansprucht für sich die legitime Vertretung des Münchner Proletariats zu sein.

An diesem 14. November zwingt der Münchner Arbeiterrat den Revolutionären Arbeiterrat zur Annahme der nachstehenden Forderungen:

Die Mitgliederzahl des Revolutionären Arbeiterrats ist auf fünfzig zu beschränken. Der Revolutionäre Arbeiterrat wird sich mit den 550 Vertretern des Münchner Arbeiterrats zusammenschließen. Diese vereinigte Körperschaft wird dann einen neuen Zentralarbeiterrat wählen; von dessen fünfzig Mitgliedern darf der Revolutionäre Arbeiterrat zehn bestimmen.

Innerhalb der Arbeiterräte in München bilden die Revolutionäre nunmehr eine Minderheit.

15. November 1918 München - Freistaat Bayern * Die provisorische Regierung schafft die Rechtsgrundlage für die formale Übernahme der bisherigen königliche Rechte. Sie erlässt eine Verordnung, nach der die "bisher durch Verfassung, Gesetze und Verordnungen dem König persönlich vorbehaltenen Entscheidungen und Verfügungen [?] von den Ministern innerhalb ihrer Geschäftsbereiche erlassen" werden.

15. November 1918 München * In seinem Programm der Bayerischen Republik bringt Ministerpräsident Kurt Eisner seine Position zur Sozialisierung zum Ausdruck: "Man kann nicht sozialisieren, wenn kaum etwas da ist, was zu sozialisieren ist". Seine Hauptsorge ist die Wiederherstellung der Ordnung und die Gewinnung des Vertrauens seiner Regierung.

15. November 1918 München-Kreuzviertel * Ministerpräsident Kurt Eisner sieht in den Räten die Grundlage für sein Konzept einer neuen Demokratie. In seiner Regierungserklärung erklärt er, dass die Demokratisierung des öffentlichen Geistes wie der öffentlichen Einrichtung noch vor der Einberufung einer konstituierenden Nationalversammlung erreicht werden soll.

Kurt Eisner will die Demokratisierung über eine Art Nebenparlament herbei führen, mit dem er auch bürgerliche Kreise zur Mitwirkung am Aufbau des neuen Staates gewinnen wollte. Dieses Nebenparlament sollte ihre Interessen sowohl gegenüber dem provisorischen Zentralparlament als auch gegenüber der Regierung einbringen können.

"Ich habe vom ersten Tag der Revolution an in dem System der Räte die große Schule der Demokratie und des Sozialismus gesehen und glaube nicht, dass wir in Deutschland weiterkommen können, wenn wir nicht dieses

Seite 242/362 System der Räte entwickeln [?] und dadurch das Volk mündig machen zur Entscheidung über sein Schicksal.

Nicht die Politik des Wahlzettels tut es allein. [?] Das hindert nicht, dass auch die Politik des Wahlzettels notwendig ist, aber das Rätesystem [?] soll den Wähler lesen, denken und entscheiden lehren, nicht in acht Tagen vor der Wahl, sondern tagaus, tagein."

15. November 1918 München - Freistaat Bayern * Innenminister Erhard Auer informiert die nachgeordneten Regierungsstellen und Behörden auch über die Zusammenarbeit mit den Räten. Er empfiehlt "dringend, die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, die sich allerorten gebildet haben, [?] tunlichst zu benutzen, einerseits, um dadurch das etwa mangelnde Personal so weit notwendig zu ersetzen, andererseits aber auch diese Räte zu beschäftigen und dadurch das Verantwortungsgefühl in der Bevölkerung wieder zu wecken".

Auer macht aber auch deutlich aufmerksam, dass die Räte den Behörden untergeordnet sein sollen. "Ein eigenständiger Handlungsraum soll ihnen nicht zugestanden werden".

15. November 1918 München * In seinem Regierungsprogramm der Regierung des Volksstaates Bayern spricht Ministerpräsident Kurt Eisner auch das Thema Demokratisierung an:

"In der inneren Politik Bayers streben wir die rascheste Durchführung einer nicht nur formellen, sondern lebendig tätigen Demokratie an. Bevor noch die konstituierende Nationalversammlung, die so schnell wie möglich nach Erledigung der notwendigen Vorarbeiten einberufen werden soll, zusammentritt, muss diese Demokratisierung des öffentlichen Geistes wie der der öffentlichen Einrichtungen erreicht werden können. Wir suchen auch hier auf neuen Wegen zusammen vorwärts zu kommen."

15. November 1918 Berlin * Das Kabinett beruft den liberalen Staatsrechtler Hugo Reuß zum Staatssekretär des Reichsamtes des Inneren. Reuß soll die neue Verfassung der Republik ausarbeiten. Ein Liberaler und kein Sozialdemokrat wird diese wichtige zentrale Aufgabe anvertraut.

15. November 1918 Berlin * Die Gewerkschaften sehen die Chance, endlich als Interessenvertretung der Arbeiterschaft in wirtschaftlichen Fragen anerkannt zu werden. In Zukunft sollen die Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge geregelt werden, die zwischen den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften abgeschlossen werden.

Die beiden Verhandlungsführer Hugo Stinnes, mächtiger Schwerindustrieller sowie Verhandlungsführer der Unternehmerseite, und Carl Legien, der Vorsitzende der Generalkommission der Freien Gewerkschaften, unterzeichnen ein weitreichendes, die genannten Punkte beinhaltendes Abkommen.

15. November 1918 München * In dem von Ministerpräsident Kurt Eisner ausgearbeiteten Regierungsprogramm findet sich die föderalistische Forderung, "dass die Selbstbestimmung Bayerns innerhalb des Ganzen erhalten und gesichert werden muss".Er will damit erreichen:

Seite 243/362 die Bildung einer Staatenvereinigung [die Vereinigten Staaten von Deutschland], der auch Deutsch-Österreich angehören soll. Unabdingbar ist dafür die Neugliederung des Deutschen Reichs, damit die Vorherrschaft eines einzelnen Staates ausgeschlossen wird. Die Freiheit und die Selbstständigkeit Bayerns dürfen dabei nicht angetastet werden.

18. November 1918 München * Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte werden erarbeitet. Dabei treten die gegensätzlichen Vorstellungen des Ministerpräsidenten Kurt Eisner und des Innenministers Erhard Auer deutlich zu Tage.

Im Entwurf des MSPD-Politikers Erhard Auer vom 18. November 1918 ist

die Bildung von Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte nur im Bedarfsfalle vorgesehen. Die Räte sollen dann für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen. Eine Vollzugsgewalt steht ihnen nicht zu. Der Vollzug der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften soll den seitherigen Stellen und Behörden vorbehalten bleiben.

Für Erhard Auer sind die Arbeiter- und Bauernräte hauptsächlich Hilfseinrichtungen und sind damit der Verwaltung eindeutig untergeordnet.

18. November 1918 München * Hedwig Kämpfer von der USPD fordert auf einer großen Frauen-Versammlung "die frauenrechtlerische Schulung der proletarischen Frauen, besonders der Frauen innerhalb der sozialistischen Parteien und Gewerkschaften".

Diese Forderung wird in Bayern bald verwirklicht. Frauen der radikalen Frauenbewegung und der politischlinksgerichteten schließen sich schon bald zum "Bund sozialistischer Frauen" zusammen.

18. November 1918 München * Rudolf Buttmann, Bibliothekar im Bayerischen Landtag, lässt sich vom Referenten für Sicherheitsfragen im Innenministerium, Major Paul von Jahreiß, die Gründung einer Bürgerwehr genehmigen. Zur Beschaffung der Waffen wird Buttmann an das Ministerium für militärische Angelegenheiten verwiesen.

18. November 1918 München-Kreuzviertel * Michael von Faulhaber schreibt an den bayerischen Episkopat, womit die Gesamtheit der bayerischen Bischöfe gemeint ist, die Anregung für einen gemeinsamen Hirtenbrief.

In dem Schreiben gibt er zu bedenken, "daß ein gemeinsames Hirtenschreiben in dieser Stunde unserem Volk die Dankesschuld gegen das Haus Wittelsbach und König Ludwig III. in offener Sprache ohne Entschuldigung bei der

Seite 244/362 neuen Regierung kundgeben [...] müßte. [...] Der gestrige Thronverzicht war ein unverantwortlicher Mißgriff der alten Regierung."

Ohne dies klar zu äußern, fordert der Münchner Bischofseinen Klerus zum Inneren Widerstandgegen die neue Staatsform auf.Und als ihm immer klarer wird, dass er mit seinen Überzeugungen nicht die allgemeine Meinung vertritt, verlegt er sich zum offenen Kampf mit der Regierung des Freistaats Bayern, ohne seine eigenen ultrakonservativen Anschauungen infrage zu stellen.

19. November 1918 München * Der Entwurf einer Bekanntmachung des Innenministers Erhard Auer, in der die Regierung den Landtag für aufgelöst erklärt, wird nie in Kraft gesetzt.

19. November 1918 München * Obwohl über die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte erst am 26. November 1918 abschließend beraten werden wird, macht Innenminister Erhard Auer in einem Schreiben deutlich:

"Den Arbeiterräten steht keinerlei Vollzugsgewalt zu. Die bisherigen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften bleiben in Kraft und werden von den gesetzlich berufenen Behörden, Stellen und Körperschaften vollzogen.

Die Arbeiterräte haben lediglich im Benehmen mit den zuständigen staatlichen und gemeindlichen Stellen und im Rahmen einer hierüber getroffenen Vereinbarung für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen und allenfalls die Durchführung weiterer Aufgaben dieser Stellen zu unterstützen."

19. November 1918 München * Der Revolutionäre Arbeiterrat hat ebenfalls einen Entwurf für die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte erarbeitet. Er befasst sich hauptsächlich mit der Arbeit und der Stellung der Spitzengremien der bayerischen Räte.

Der Zentralarbeiterrat soll gemeinsam mit den Bauern- und Soldatenräten die revolutionäre Macht darstellen, aber - und das ist abgestimmt mit Innenminister Erhard Auer - keine Vollziehungsgewalt haben.

Dafür fordert der Zentralarbeiterrat aber eine dauernde Kontrolle über die Tätigkeit der Minister und der Ministerien, indem er in jedes Ministerium einen Volkskommissar entsendet. Dieser soll mit umfassenden Beteiligungs- und Initiativrechten ausgestattet werden.

20. November 1918 München - Vatikan * Der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.,berichtet in seinem dritten analytisch-zusammenfassenden Bericht ausführlich an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri zurDeutung und Auswirkung der Revolution nach Rom. In diesem Brief begründet Nuntius Pacelli auch, warum er den Kontakt zur neuen bayerischen Regierung unter Kurt Eisner ablehnt:

Die Entscheidung zum Kulturkampf statt zum pragmatischen Kompromiss. Das Entgegenkommen der neuen Regierung ist nur taktisch bis zur nächsten Wahl, danach beginnt die offene Kirchenfeindschaft.

Seite 245/362 Ein diplomatischer Kontakt wird die Katholiken nur verwirren und demobilisieren, anstatt sie auf den Gegner einzuschwören. Die Regierung Eisner besteht aus Juden, Atheisten und Protestanten, alles Sozialisten. Mit solchen Leuten sind keine anständigen Beziehungen möglich. Eisner ist ein ostgalizischer Jude, der wegen politischer Verbrechen mehrfach bereits eingesperrt war.

20. November 1918 München * Zwei Tage nach Innenminister Erhard Auer legt auch Ministerpräsident Kurt Eisner seinen Entwurf für die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte vor. Im Entwurf des USPD-Politikers Eisner nehmen die Arbeiterräte - zumindest für eine Übergangszeit - eine zentrale Position im neugegründeten Staat ein. Gemeinsam mit den Soldaten- und Bauernräten sollen sie bis zur endgültige Regelung durch die zu wählende Nationalversammlung die "revolutionäre Grundlage des neuen Regierungssystems".

Eisner und die USPD wollen die Räte und das Parlament als gleichberechtigte Partner in einem demokratischen System. Sie dienen der politischen Willens- und Bewusstseinsbildung und schaffen die Voraussetzungen für die Tätigkeit des Parlaments:

"Die Räte sollen die Schulen der Demokratie werden; daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und wirtschaftlicher Arbeit. [?] Die Räte sind die Grundmauer der Demokratie, die Nationalversammlung, der Landtag ist die Krönung des Gebäudes. Aber diese Krone würde genauso zusammen stürzen wie die monarchistischen Kronen, wenn sie sich nicht stützen auf die Kraft und den Willen jener Arbeiterräte."

Die Arbeiterräte sollen "die Massen des Proletariats unmittelbar zur politischen Mitarbeit heranziehen" und so dazu beitragen, dass "der neue demokratische und sozialistische Geist in Staat und Gesellschaft so tief Wurzeln fasst, dass die kommenden Wahlen die provisorische Ordnung der Dinge bestätigen und befestigen werden".

Im Falle, die Zentralregierung würde den Revolutionszustand ausrufen, sollten die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte umgehend alle notwendigen Maßnahmen einleiten, die zur Erhaltung und Sicherung der revolutionären Regierung erforderlichwären.

Der Entwurf Kurt Eisners sieht für die Räte großzügige Kompetenzzuweisungen vor. Von Kontroll-, Vorschlags-, Beratungs- und Auskunftsrechten bis hin zur Fragen der Entlassung und Einstellung von Beamten.

21. November 1918 München * In einem seiner vielen Briefe und Telegramme an die Behörden und Bezirksämter schreibt Innenminister Erhard Auer unter dem Betreff: Befugnisse der Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte folgende Zeilen:

"Den Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräten steht keinerlei Vollzugsgewalt zu. Sie haben daher jeden Eingriff in die staatliche und gemeindliche Verwaltungstätigkeit zu vermeiden. Der Vollzug der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften wird grundsätzlich nach wie vor von den seitherigen Stellen und Behörden wahrgenommen."

23. November 1918 München * Die Zeitschrift Die neue Zeit * Volkstümliche, parteilose Wochenschrift für Freiheit und Recht! erscheint erstmals. Ihr Herausgeber ist Wilhelm Craemer.

Seite 246/362 Die erste Ausgabe trägt die Überschrift "Könige auf der Flucht!". Der Artikel beginnt so: "Den Krieg haben wir verloren, - und das ist traurig! Geld und Gut werden wir verlieren, - das ist tiefbetrübend! Und die Könige haben wir auch verloren! - Gott sei Dank! Dreimal Dank!

Hei! Wie sind sie gelaufen, als die rote Fahne sich entfaltete, gelaufen wie die Spitzbuben sind sie, jene Machthaber, die kalten Blutes Millionen von Menschen dem Hungertode nahe gebracht, die Millionen von Existenzen ruiniert haben!"

25. November 1918 Berlin * Unmittelbar vor der Ministerpräsidenten-Konferenz trifft sich Kurt Eisner mit dem Führer des Spartakusbundes, Karl Liebknecht, in Berlin, um ihn zur Unterstützung seiner Friedensinitiative gegenüber den Alliierten zu überzeugen.

Liebknecht lehnt das Ansinnen ab, da er weder im Inland noch im Ausland mit Kapitalisten verhandeln will. Für die Spartakisten kommt die Einführung des Sozialismus erst dann in Frage, wenn alle Strukturen des ehemaligen Obrigkeitsstaates restlos zerstört sind.

26. November 1918 München * Die bis Ende Januar andauernde Rückkehr der Truppen von der Front machen München zu einem großen Entlassungszentrum. Gleichzeitig wird es Anziehungspunkt für jene Ausgemusterten, die ohne Arbeit oder ohne Ziele sind.

Die städtischen Behörden beginnen - davon ausgehend, dass es sich um eine vorübergehende Erscheinung handle, - in Schulgebäuden, Hotels und Bräus Notunterkünfte einzurichten. Auch in großen Privatwohnungen werden Zwangseinquartierungen vorgenommen.

26. November 1918 München - Freistaat Bayern * Der Ministerrat beschließt - in Abwesenheit von Kurt Eisner - nach Abstimmung mit den Vollzugsausschüssen der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte.

Die Richtlinien stellen einen Kompromiss der gegensätzlichen Vorstellungen des bayerischen Ministerpräsidenten vom 20. November und seines Innenministers Erhard Auer vom 18. November dar. Das bedeutet jedoch, dass wesentliche Elemente aus beiden Entwürfen ebenso unberücksichtigt bleiben müssen, wie der Entwurf des Revolutionären Arbeiterrats vom 19. November 1918.

Die Räte erhalten zwar die von Eisner vorgeschlagene Stellung im Staat, doch werden sie nur mit den Kompetenzen ausgestattet, die ihnen Auer zugestehen will. Die Räte bilden demnach "bis zur endgültigen Regelung durch die Nationalversammlung die revolutionäre Grundlage des neuen Regierungssystems", dennoch bleibt ihnen im Verhältnis zu den Behörden nur das Recht auf Auskunft und Gehör. Ein Kontrollrecht wird ihnen ebenso wenig zugestanden wie die Vollzugsgewalt. Damit haben sich Innenminister Erhard Auer und die Mehrheitssozialdemokraten mit ihren Vorstellungen im Wesentlichen durchgesetzt.

Die Richtlinie für die Bauernräte bleibt die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Bauernräte, bis der Landtag am 21. Mai 1920 das Gesetz über die Aufhebung der Arbeiterräte beschließt.

Seite 247/362 29. November 1918 München * Unter der Überschrift Zur Kenntnisnahmeveröffentlicht der Ministerpräsident des Volksstaates Bayern: Kurt Eisnernachstehende Erklärung:

"Man bemüht sich von allen Seiten mich aufmerksam zu machen auf die albernen Artikel, die eine gewisse Presse gegen meine Person richtet. Ich erfahre daraus allerlei interessante Bereicherungen meiner Biographie. Man erweist mir darin auch die Ehre, mich mit einem Familien- und Erwerbssinn zu begaben, der mir nur in geringstem Maße bisher beschieden war. Schon habe ich meinen gesamten Familienanhang in gut bezahlten Stellungen untergebracht. Besorgte Leute verlangen von mir, daß ich gegen solche Äußerungen, die jedoch nur eine Fäulniserscheinung des zusammengebrochenen Systems sind, einzuschreiten.Ich wiederhole, daß die Presse in voller Freiheit soviel Dummes und Kluges, soviel Anständiges und Schmutziges produzieren soll, wie es ihrem geistigen und moralischen Vermögen entspricht. Ich habe in den 4 ½Kriegsjahren soviel Verachtung gegen diese Presse aufgehäuft, daß sie genügt, um mich für den Rest meines Lebens gegen jede Neigung zu festigen, auch nur polemisch mich mit ihr zu befassen."

30. November 1918 München * Ministerpräsident Kurt Eisner äußert sich vor den Soldatenräten für einen föderalistischen Staatsaufbau:

"Meine Haltung hinsichtlich des Verhältnisses von Bayern zum Reiche ist ganz klar, nie geändert: Ich bin gegen den Zentralismus in der auswärtigen Politik, in der inneren Politik, in der Parteipolitik, so lange ich lebe. Ich will die innere Kraft der Glieder, ob es sich nun um ein Parteiwesen handelt oder ob es sich um einen Staat handelt, das ist das selbe."

30. November 1918 München * Der Kreis um Erich Mühsam gründet die Vereinigung Revolutionärer Internationalisten - VRI. Sein Ziel ist, die Revolution siegreich zu Ende zu führen - auch gegen den Widerstand des zu wählenden Parlaments.

Erich Mühsam lehnt zudem die stark zentralistisch geprägten Positionen des am 11. November 1918 in Berlin ins Leben gerufenen Spartakusbundes strikt ab. Dennoch gehören viele VRI-Mitglieder zur später gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands - KPD. In einem Flugblatt fassen sie ihre Ziele zusammen:

"Revolutionäre, internationalistisch gesinnte, kommunistische Arbeiter und Soldaten! Männer und Frauen! Nicht alle Volksgenossen sind mit dem bisherigen Verlauf der Revolution einverstanden. [...] Wir verlangen die Verwirklichung des Sozialismus als Krönung der gegenwärtigen Volksbewegung. [?] Wir blicken nicht auf den Weg, sonders aufs Ziel. Das Mittel der Revolution heißt Revolution. Das ist nicht Mord und Totschlag, sondern Aufbau und Verwirklichung".

Geschäftsstelle ihrer neuen Vereinigung wird das Wirtshaus Braunauer Hof in der Frauenstraße. Erich Mühsam bezeichnet die Stunden hier als die "eigentlich beste Zeit der Revolution".

1. Dezember 1918

Seite 248/362 Berlin - München * Friedrich Stampfer, Chefredakteur beim Vorwärts, rechnet mit einem ehemaligen Kollegen ab und schreibt mit arroganter Überheblichkeit in der SPD-Zeitung Vorwärts einen Leitartikel über Kurt Eisner und die Revolution in Bayern:

"Als am 8. November 1918 die Kunde kam, dass Eisner bayerischer Ministerpräsident geworden sei, erfüllte Heiterkeit die Redaktionsstuben, sie pflanzte sich fort in die Setzer- und Maschinensäle. Es war keiner unter uns, der Eisner von der alten Zeit her nicht liebte, keiner, der ihm übel wollte oder ihn missachtete. Dennoch: Heiterkeit überall, wohlwollende Heiterkeit. [?]

Wozu wären wir ein befreites Volk, wenn es nicht erlaubt wäre, einem alten Freund offen und öffentlich zu sagen: Du hast in Deinem Leben schon viele Böcke geschossen, aber dass Du Dich von Deinen revolutionären Schwabinger Literaturfreunden zum Ministerpräsidenten machen ließest, das war Dein größter Bock. [?]

Du lebst in einer Welt des holden Wahnsinns, wenn Du glaubst, Du eingewandeter Berliner Literat, der im öffentlichen Leben noch nie eine Rolle gespielt hat und den man in Bayern bis vor drei Wochen kaum kannte, Du könntest Dich auf das Vertrauen des bayerischen Volkes stützen. [?]

Diese Ministerpräsidentschaft [?] steht zum Ernst unserer Zeit in erschütterndem Gegensatz. Kasperlekomödie des Lebens, frei nach Frank Wedekind, von Kurt Eisner, mit dem Dichter in der Titelrolle. München - Schwabinger Naturtheater. In fünf Minuten geht der Vorhang herunter und dann ist Schluss."

2. Dezember 1918 München * Es kommt erstmals zur offenen Regierungskrise, nachdem Innenminister Erhard Auer auf die Festsetzung eines Termins zur Wahl der Bayerischen Nationalversammlungbesteht. Die Minister Erhard Auer, Johannes Timm und Heinrich Ritter von Frauendorfer drohen mit ihrem Rücktritt.

Ministerpräsident Kurt Eisner stimmt daraufhin einem Kompromiss zu, den er auf der Sitzung der Soldatenräte darlegen wird.

2. Dezember 1918 München * Für viele Münchner und Bayern ist der Innenminister Erhard Auer von der SPD der "Hemmschuh der Revolution". Josef Hofmiller schreibt dazu in sein Tagebuch:

"Gegen Auer wird unglaublich gehetzt, in aller Öffentlichkeit. Die Gegensätze spitzen sich so zu, dass entweder Eisner zurücktreten oder Auer aus dem Kabinett austreten muss. Letzteres würde den Sieg des Bolschewismus bedeuten."

4. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * 500 Pioniere in Begleitung ihrer Offiziere demonstrieren vor dem Sitz des Ministerpräsidenten im Montgelas-Palaisfür die Einberufung der Bayerischen Nationalversammlung.

Ministerpräsident Kurt Eisner, Innenminister Erhard Auer und Militärminister Albert Roßhaupter sprechen mit den Versammelten und sichern ihnen die baldige Bekanntgabe des Einberufungstermins der Nationalversammlung zu.

Seite 249/362 4. Dezember 1918 München * Innenminister Erhard Auer schlägt auf der Ministerratssitzung vor, die Wahlen zum Landtag und zur verfassungsgebenden Nationalversammlung möglichst bald und deshalb ohne Frauen durchzuführen, da die Erstellung der Wählerlisten bei einer Einbeziehung der Frauen doppelt so lange dauern würde.

Zum Glück für die Frauen kann sich der bayerische SPD-Landesvorsitzende mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen.

5. Dezember 1918 München - Freistaat Bayern - Deutsches Reich * Der Wahlkampf beginnt. Er wird mit der Wahl der Abgeordneten zur deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 enden. Diese Wahl findet eine Woche nach den Wahlen zum Bayerischen Landtag statt.

Als die beiden stärksten Parteien werden in Bayern die Mehrheitssozialdemokraten - MSPD und die Bayerische Volkspartei - BVP eingeschätzt. Es ist nur die Frage, wie sich die Mehrheiten verteilen werden. Die USPD hat - trotz einer verbindlichen Absprache mit dem Bayerischen Bauernbund - BBB - keine Erfolgsaussichten. Sie hofft auf einen so großen Stimmenzuwachs, dass sie für eine Regierungskoalition unentbehrlich sein würde. Der Spartakusbund, der sich nach dem 31. Dezember 1918 Kommunistische Partei Deutschlands - KPD nennen wird, weigert sich, an der Wahl teilzunehmen.

5. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * Im Ministerrat kommt es zu heftigen Diskussionen über die Terminfestsetzung zur Nationalratswahl. Kurt Eisner sieht in einem frühen Termin keinen Vorteil. "Die Massen scheuen sich davor und fürchten die Preisgabe der Errungenschaften." Dagegen fordern die MSPD-Minister einen möglichst frühen Wahltermin. Jeder Tag früher stellt für sie einen "Gewinn gegenüber dem Zentrum" dar. Erhard Auer dringt deshalb auf den 12. Januar 1919.

Innenminister Erhard Auer und Justizminister Johannes Timm geben unumwunden ihre Abneigung gegen die Räte zu und treten für die Umwandlung der Arbeiter- und Bauernräte in Arbeiter- und Landwirtschaftskammern ein und sprechen den Räten jede politische Funktion ab. Verkehrsminister Heinrich Ritter von Frauendorfer sieht in den Räten eine "nur notwendige Begleiterscheinung der Revolution". Den Soldatenräten gibt man keine Zukunft.

6. Dezember 1918 Berlin * Die Spartakusgruppe hat für den 6. Dezember drei Versammlungen mit anschließenden Demonstrationen beim Polizeipräsidium angemeldet. Die Protestveranstaltungen werden mit der Auflage genehmigt, dass keine Waffen mitgeführt werden. Die drei Versammlungen finden am späten Nachmittag in den Germania-, Sophien- und Andreas-Sälen statt. Die Redner üben harsche Kritik an der Regierung und protestieren gegen die Einberufung einer Nationalversammlung.

Während der Versammlungen verbreitet sich die Nachricht von der mutmaßlichen Verhaftung des Vollzugsrats und von Friedrich Eberts Ausrufung zum Präsidenten. Entsprechend erregt beginnen gegen 16:30 Uhr die

Seite 250/362 Demonstrationen.

6. Dezember 1918 München * Erich Mühsam spricht sich im Kolosseumvor Soldaten und Zivilisten gegen Wahlen für eine Bayerische Nationalversammlungaus.

Er setzt sich andererseits für die baldige "Verwirklichung eines weitgehenden Sozialismus im kommunistischen Sinn" ein, warnt aber zugleich vor "Unordnung und Plünderung".

6. Dezember 1918 München * Im Schwabingerbräu, Mathäserbräuund im Odeonwerden Versammlungen für Soldaten abgehalten. Die Versammlungsteilnehmer demonstrieren im Anschluss gegen die Münchner Presse.

Die Räume der Münchner Neuesten Nachrichten, des Bayerischen Kuriers, der München-Augsburger Abendzeitungund der Münchner Zeitungwerden besetzt. Die Besetzer erlassen umfangreiche Zensurvorschriften, die beim Eintreffen der Republikanischen Schutztruppeund vor allen auf Kurt Eisners Zureden zurückgenommen werden. Die Demonstranten ziehen daraufhin zu InnenministerErhard Auer, um ihn wegen

seiner Haltung in den Januarstreiksund seines Eintretens für eine demokratische, nicht-sozialistische Republik

mit Gewalt zum Rücktritt von seinem Ministerposten zu zwingen.

7. Dezember 1918 München * Der MSPD-Innenminister Erhard Auer wird kurz nach Mitternacht von ungefähr 300 Demonstranten in seiner Wohnung "überfallen". Sie holen ihn aus dem Bett und erzwingen von ihm mit vorgehaltenem Gewehr seinen Rücktritt.Erhard Auer äußert sichdaraufhin: "Der Gewalt weichend erkläre ich [..], dass ich das Amt des Ministers des Inneren niederlege."

In der Zwischenzeit ist Ministerpräsident Kurt Eisner in Auers Wohnung geeilt. In seinem ehrlichen Bemühen, Gesetz und Ordnung des Freistaats aufrecht zu erhalten, weist er die Demonstranten auf das Falschsein ihrer Gewalthandlungen hin und wird dafür begeistert gefeiert. Er entgegnet den Angreifern: Ihr Handeln sei "sicherlich gut gemeint und [?] sicherlich aus Liebe zu mir geschehen, aber es war nicht gut".

Eisner und Auer sind sich einig, dass das Rücktrittsgesuch öffentlich widerrufen werden soll. Ministerpräsident Kurt Eisner nimmt Auers Rücktritt nicht an und erklärt die "erpresste Erklärung" für nichtig. Gegen vier Uhr früh ist die Angelegenheit erledigt und die Ruhe in der Stadt wieder eingekehrt.

9. Dezember 1918 München * Vor den bayerischen Arbeiterrätenerklärt MinisterpräsidentKurt Eisner:

Seite 251/362 "Wir wollten die Revolution nicht erst machen in der Zeit des militärischen Zusammenbruchs, sondern im Gegenteil schon entfesseln, als Deutschland auf der Höhe seiner militärischen Macht stand. [?] Das war der Sinn des Streiks."

9. Dezember 1918 Kassel - Berlin * Die Oberste Heeresleitung - OHL erteilt General Lequis die Anweisung, im Sinne Hindenburgs "selbstständig zu handeln, nötigenfalls alle entgegenstehenden Anweisungen von Regierungsorganen oder militärischen Stellen, auch des Kriegsministers, abzulehnen".

Reichskanzler Friedrich Ebert wird anschließend von der Anweisung in Kenntnis gesetzt. Sie will den Putsch durchziehen - möglichst mit Ebert, notfalls aber auch ohne ihn.

9. Dezember 1918 München * Gustav Landauer zieht eine positive Bilanz zur Tätigkeit der Räteorganisationen:

"Da handelt es sich vor allen Dingen um die Umstellung der Kriegswirtschaft in die Friedenswirtschaft. Zum Beispiel hat der Zentralarbeiterrat wesentlich dabei mitgewirkt, [?]

dass die Alliiertenwerkstätten sofort in Friedenswerkstätten, in Werkstätten zur Herstellung von Waggons und Lokomotivteilen umgewandelt werden. Es ist eine sofortige Einstellung der Rüstungsbetriebe durchgesetzt worden. Wir haben aber dafür gesorgt und daran mitgearbeitet, dass eine vierwöchige Kündigungsfrist mit voller Bezahlung der Arbeitslosenunterstützung inngehalten werden musste.

Wir haben [?] mitgearbeitet

an der Versorgung Bayerns mit Kohle, an der Verstaatlichung des Lastkraftwagenverkehrs, [?] dass Wagen, Pferde, Vieh, Gerät aller Art bei uns im Lande bleibt und vor allen Dingen von unseren Produzenten und von unseren Bauern verwertet wird, an der Durchführung der 44-Stunden-Woche mit freiem Samstagnachmittag."

10. Dezember 1918 München * Auf der Sitzung der bayerischen Arbeiterräte erklärt Innenminister Erhard Auer, dass er über 600 Telegramme herausgegeben hat, in denen Beschlüsse von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten aufgehoben worden sind.

Die Sitzung ist aufgrund von Protesten gegen die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte der Räte aus der Provinz einberufen worden. Man beschließt eine Kommission zur Überprüfung der Richtlinie.

Seite 252/362 12. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * In einer Wahlkampfrede im Mathäserbräu bringt Kurt Eisner seine inzwischen in allen Passagen durchdachte Einstellung zu den Räten zum Ausdruck:

"Die Räte sollen die Schulen der Demokratie werden, daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und wirtschaftlicher Arbeit. Das ist der tiefste Sinn des Sozialismus: Selbstständigkeit der Gesamtheit.

Die ?Vertreter? der ?Masse? - sie mögen noch so tüchtig sein, noch so nützliche Arbeit leisten, aber das sind schon die Leute, die emporgekommen sind. In den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten, in der Stadt und auf dem Lande, da kann jeder lernen, politisch und wirtschaftlich tätig zu sein. Darum, Parteigenossen, stehe und falle ich mit diesem Gedanken, dass die demokratische Organisation der Massen selbst künftig die Grundlage aller Entwicklung sein muss. Dort wirkt Idealismus, dort ist freie öffentliche Tätigkeit möglich. Dort gibt es keine Führer und keine Angeführten, sondern dort lebt die Masse selbst."

16. Dezember 1918 Berlin * Der Erste Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands beginnt im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin. Der Reichsrätekongress dauert bis zum 20. Dezember.

Pro 200.000 Einwohner wird ein Arbeiterrat, pro 100.000 Soldaten ein Soldatenrat entsandt. Die SPD-Delegierten haben eine Zweidrittelmehrheit.

Nur zwei von 490 Delegierten sind Frauen. 298 Delegierte sind Mitglieder der MSPD, 101 Delegierte gehören der USPD an. 25 bezeichnen sich als Demokraten, 26 Soldatenräte und 49 Arbeiterräte machen keine Angaben zu ihrer politischen Orientierung.

18. Dezember 1918 Berlin * Im Ersten Allgemeinen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands kommt es zu einer Debatte über die von den protestierenden Soldaten der Volksmarinedivision vom Vortag vorgetragenen Punkte.

Durch die sogenannten Hamburger Punkte steht das deutsche Militär vor einem demokratischen Neubeginn wie noch nie vor diesem 18. Dezember. Die sieben Punkte werden nahezu einstimmig vom Kongress beschlossen:

Die Kommandogewalt über Heer und Marine üben die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats aus. Als Symbol der Zertrümmerung des Militarismus und der Abschaffung des Kadavergehorsams wird die Entfernung aller Rangabzeichen und des außerdienstlichen Waffentragens angeordnet. Für die Zuverlässigkeit der Truppenteile und für die Aufrechterhaltung der Disziplin sind die Soldatenräte verantwortlich. Der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte ist der Überzeugung, dass die unterstellten Truppen den selbstgewählten Soldatenräten und Vorgesetzten im Dienste den zur Durchführung der Ziele der sozialistischen Revolution unbedingt erforderlichen Gehorsam erweisen.Vorgesetzte außer Dienst gibt es nicht mehr. Entfernung der bisherigen Achselstücke usw. ist ausschließlich Angelegenheit der Soldatenräte und nicht einzelner Personen. Ausschreitungen schädigen das Ansehen der Revolution und sind zur Zeit der Heimkehr unserer Truppen unangebracht. Die Soldaten wählen ihre Führer selbst. Frühere Offiziere, die das Vertrauen ihrer Truppenteile genießen, dürfen wiedergewählt werden.

Seite 253/362 Offiziere der militärischen Verwaltungsbehörden und Beamte im Offiziersrange sind im Interesse der Demobilisierung in ihren Stellungen zu belassen, wenn sie erklären, nichts gegen die Revolution zu unternehmen. Die Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der Volkswehr sind zu beschleunigen.

18. Dezember 1918 München * InnenministerErhard Auer erlaubt ausdrücklich die Zulassung von Milizenzur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

19. Dezember 1918 München * Das Bayerische Oberste Landesgericht bestätigt der provisorischen Regierung den Anspruch auf den Besitz der Staatsgewalt. In der Begründung zu einem Urteil über die Rechtsgültigkeit einer Verordnung heißt es:

"Die gesetzgebende Gewalt ist ein Ausfluss der Staatsgewalt. Sie steht dem zu, der die Staatsgewalt tatsächlich innehat, also zurzeit der Regierung des Volksstaates Bayern. Die Anordnungen der Regierung haben deshalb verbindliche Kraft."

21. Dezember 1918 München * Bei Kontrollen am Hauptbahnhof und in der Innenstadt wird ein umfangreicher Schleichhandelmit Butter, Fleisch und Gemüse aufgedeckt.

24. Dezember 1918 München-Maxvorstadt * InnenministerErhard Auer verbringt den Heiligabendauf Einladung von Anton Graf Arco-Valley, dem späteren Eisner-Mörder, in der Türkenkaserne.

"Auer war in fröhlichster Laune und hielt eine schmetternde Lobrede auf das Leibregiment [?]. Die gräflichen Offiziere waren so gerührt, dass bei einem von ihnen eine Träne am Monokel haften blieb. Es fehlte nur noch die Königshymne."

24. Dezember 1918 Berlin * Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division umstellt mit 900 Mann, sechs Geschützen und Maschinengewehren das Stadtschloss und den Marstall. Um 7:30 Uhr werden die Angehörigen der Volksmarinedivision aufgefordert, innerhalb von zehn Minuten

den Stadtkommandanten Otto Wels samt seinen Mitgefangenen auszuliefern, die Waffen niederzulegen und die Gebäude zu verlassen.

Um 7:40 Uhr werden das Stadtschloss und der Marstall von den Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division beschossen.

Weitere zehn Minuten später wird das Schloss gestürmt und gegen 8:10 Uhr haben die Angreifer das

Seite 254/362 Stadtschloss erobert. Beim Marstall dauert es etwas länger.

24. Dezember 1918 Berlin * Um 9:10 Uhr kapitulieren die Verteidiger des Stadtschlosses und des Marstalls. Sie zeigen die weißen Fahnen. Stadtkommandant Otto Wels wird sofort freigelassen.

Zur Entwaffnung kommt es nicht mehr, da die Matrosen der Volksmarinedivision während dieser Feuerpause Unterstützung durch die dem Polizeipräsidenten Emil Eichhorn von der USPD unterstellte Republikanische Sicherheitswehr erhalten.

Das Gerücht eines gegenrevolutionären Putsches macht die Runde. In kürzester Zeit ziehen tausende Arbeiter, Frauen und Kinder zum Stadtschloss. Die Lage dreht sich. Jetzt sind plötzlich die Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division die Bedrohten. Gefangene Matrosen werden befreit, die Garde-Soldaten von der Bevölkerung eingeschlossen und abgedrängt.

Reichskanzler Friedrich Ebert gibt den Befehl zur sofortigen Einstellung der Kämpfe. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division muss abziehen und in der Universität Schutz suchen. Begleitet werden sie von der ihnen wenig freundlich gesinnten Bevölkerung. Die Demonstration ist inzwischen auf 100.000 Menschen angewachsen.

Die Oberste Heeresleitung - OHL und Generalquartiermeister Wilhelm Groener haben eine fürchterliche Niederlage erlitten und sind grandios gescheitert.

27. Dezember 1918 Berlin * Reichskanzler Friedrich Ebert bittet den in Kiel - im Sinne der Reichsregierung - so erfolgreichen Gustav Noske zu einer Krisensitzung nach Berlin, um an den Beratungen über die künftige Entwicklung mitzuwirken.

Der MSPD-Mann Noske vertritt die Ansicht, dass geschossen werden muss, wenn "sich dies zur Wiederherstellung der Ordnung als notwendig erweisen sollte, und zwar auf jeden, der der Truppe vor die Flinte läuft".

Das Ziel ist, die radikale Linke auszuschalten, was jedoch mit den Volksbeauftragten der USPD nicht machbar sein wird, weshalb diese schnellstens ihre Funktionen niederlegen sollten. Möglichst von sich aus.

27. Dezember 1918 München * In einem Aufruf fordern Innenminister Erhard Auer [MSPD] und Justizminister Johannes Timm [MSPD] zusammen mit dem Landtags-Bibliothekar Rudolf Buttmann und dem Verleger Julius Lehmann sowie weiteren 21 namhaften, rechtsstehenden Bürgerlichen die Schaffung einer "freiwilligen Bürgerwehr" als Organ der "ordnungsliebenden Kreise".

27. Dezember 1918 Stuttgart * In Stuttgart beginnt eine gemeinsame Sitzung der süddeutschen Staaten. An dem Stuttgarter Ländertreffen nehmen teil:

Seite 255/362 Kurt Eisner, der Ministerpräsident von Bayern, Anton Geiß, der Ministerpräsident von Baden, Wilhelm Blos, der Ministerpräsident von Württemberg und Carl Ulrich, der Ministerpräsident von Hessen.

Die Initiative zu diesem Treffen ging vom badischen Ministerpräsidenten Anton Geiß aus, der als Ziel der Konferenz die Abstimmung über das weitere Vorgehen auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung sieht. Kurt Eisner lässt die aktuellen Verfassungsfragen und den künftigen Friedensschluss in die Tagesordnung aufnehmen, um auch hier eine gemeinsame Strategie und gemeinsame süddeutsche Interessen zu entwickeln.

Der bayerische Ministerpräsident legt dazu ein Papier zur Beschlussfassung vor: "Die [?] Vertreter der revolutionären Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen erklären es für ihre Überzeugung, dass die künftige Gestaltung der Einheit des Deutschen Reichs durch Vertrag der Einzelstaaten zustande kommen muss. Um diese Neubildung zu erleichtern und zu fördern, beschließen die Vertreter der genannten süddeutschen Staaten, zunächst sich zur Wahrung ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu verbinden."

Eisner schwebt ein Süddeutscher Bundunter Aufnahme von Deutsch-Österreich vor, der das Übergewicht Norddeutschlands aufheben würde, möglicherweise sogar die Führung bei der Neubildung des Deutschen Reiches beanspruchen könnte. Aus seiner Sicht ist das Deutsche Reich durch die Revolution untergegangen und muss daher völlig neu gegründet werden. Dazu muss ein neuer Staatsvertrag geschlossen werden.

Bayerns Ministerpräsident will den preußischen Zentralismus vom Süden her - gegen Preußen und Berlin - reformieren. Er will einen Separatfrieden schließen zwischen dem Süddeutschen Bund - unter Einschluss Deutsch-Österreichs - und den Entente-Mächten, dem dann alle deutschen Einzelstaaten beitreten könnten.

Der Vorschlag Eisner, insbesondere die Infragestellung des Reichs, wird allgemein abgelehnt. Zu unterschiedlich sind die Interessen und Standpunkte. Das bayerische Positionspapier kommt nicht einmal zur Abstimmung.

Kurt Eisner, der den kompromisslosen Neuanfang wollte, ist damit gescheitert. Nicht einmal seine Begleiter, Innenminister Erhard Auer und Ministerialrat Josef von Graßmann, haben ihn unterstützt.

28. Dezember 1918 Stuttgart * Die noch anwesenden Ministerpräsidenten Anton Geiß aus Baden, Wilhelm Blos aus Württemberg und Carl Ulrich aus Hessen verhandeln mit den bayerischen Innenminister Erhard Auer weiter. Die Konferenz beschließt,

dass das Deutsche Reich in seiner gegenwärtigen Form erhalten bleibt, dass separatistische Bestrebungen ausdrücklich abgelehnt werden, dass das Deutsche Reich auf föderalistischer Grundlage aufgebaut, dass eine aktionsfähige Regierung und Nationalversammlung gewählt und dass ein schneller Frieden angestrebt wird.

Seite 256/362 Zur Umsetzung der Ziele beschließt man

die Bildung einer Süddeutschen Kommission, eine Blockbildung bei zukünftigen Ministerpräsidenten-Konferenzen und den gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln im Ausland.

Über den weiteren Umgang mit und über die künftige Rolle der Hegemonialmacht Preußen werden keine Positionen entwickelt. Man ist nur einig, dass Preußen in seiner bisherigen Form nicht weiter bestehen kann. Forderungen nach Zerschlagung Preußens werden nicht gestellt.

Die beschlossene Süddeutsche Konferenz wird nie zusammen treten.

30. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * MinisterpräsidentKurt Eisner lehnt im Provisorischen Nationalratdie Bildung einer Bürgerwehrab. Er drückt sein Bedauern darüber aus, dass InnenministerErhard Auer [MSPD] und JustizministerJohannes Timm [MSPD] als Regierungsmitglieder "unter irrigen Voraussetzungen" einen Aufruf zur Gründung einer solchen Einrichtung unterzeichnet haben.

NachdemInnenministerErhard Auer von Ernst Toller mit Vorwürfen zur Gründung einerBürgerwehrkonfrontiert wird, erklärt dieser, dass er weder über die Ziele noch über die Truppenstärke informiert war und nur die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl sicherstellen wollte. Unter den gegebenen Umständen ziehen er und Minister Johannes Timm ihre Unterschriften unter dem Aufruf zurück.

Auer bietet seinen Rücktritt vom Ministeramt an. Das lehntMinisterpräsidentKurt Eisner ab. Einen Erhard Auer außerhalb der Regierung erscheint ihm noch gefährlicher als ein Minister Auer.

30. Dezember 1918 München-Isarvorstadt * In den Kolosseums-Bierhallen haben sich einige Hundert Internationale Kommunisten versammelt. Sie diskutieren das Für und Wider

einer Bewaffnung des revolutionären Proletariats, einer Sabotierung der Nationalversammlungswahlen, einer Lynchjustiz am Erzbischof von München und Freising, Michael von Faulhaber, einer Aburteilung von Erhard Auer und Johannes Timm durch einen Staatsgerichtshof und den Kampf mit den Waffen der Gewalt, nicht mit geistigen Waffen.

Es sind Diskussionen ohne geistige Schranken, keine Beschlüsse!

30. Dezember 1918 München * In der gut besuchten Versammlung der Frauengruppe der Deutschen Volkspartei (Deutsche Demokratische Partei)sprechen die Referentinnen über

Seite 257/362 die Bedeutung des Wahlrechts für die Frauen in freien Berufenund die Aufgabe der nun zur politischen Reife gelangten Lehrerin, die die "Jugend im staatsbürgerlichen Unterricht auf die Wichtigkeit des Wahlrechts vorbereiten soll".

30. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Alten Hackerkellertreffen sich Matrosenzu einer Versammlung. Der Präsident des Soldatenrats, Fritz Schröder, bezeichnet die derzeitige Lage als "einen Kampf auf Leben und Tod" zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Der ObermatroseConrad Lotter warnt vor "kopflosen Handlungen" und verteidigt InnenministerErhard Auer und JustizministerJohannes Timm für Ihr Eintreten bei der Bildung einer Bürgerwehr. Heftiger Widerspruch ist die Folge.

30. Dezember 1918 München-Maxvorstadt - Washington * Im Hotel Kaiserhofverfassen US-amerikanische Bürgerinnen und Bürger eine Petitionan den Präsidenten der USA, Woodrow Wilson, in der sie die baldige Einfuhr von Lebensmitteln nach Deutschland fordern.

Außerdem sprechen sie sich für den Abschluss eines Präliminarfriedens[= Vorfriedenoder vorläufiger Frieden] aus.

1919 Molsheim * Die Planungen und Entwürfe für den Bugatti Royale Typ 41beginnen. Ettore Bugatti will ein Luxusfahrzeug konstruieren, das, angetrieben von dem stärksten und laufruhigsten Motor seiner Zeit, der Konkurrenz von Rolls-Royce, Mercedes-Benz, Maybach und Cadillac überlegen ist.

Als Kundschaft hat Ettore Bugatti die europäischen Königshäuser und die Reichen der Zeit im Blick. Es werden allerdings nur sechs Fahrzeuge gebaut werden.

2. Januar 1919 München * In mehreren Münchner Zeitungen wird das "zügellose Treiben" und die "unsinnige Schießerei mit scharfer Munition" in der Silvesternacht kritisiert. Viele Waffen befänden sich in unverantwortlichen und unkontrollierten Händen.

3. Januar 1919 Berlin * Der Berliner Polizeipräsident Emil Eichhorn [USPD] erklärt dem preußischen Innenminister Paul Hirsch [MSPD], dass er ihn nicht als weisungsberechtigt anerkennt.

4. Januar 1919 München-Kreuzviertel - Freistaat Bayern * Das Vorläufige Staatsgrundgesetz der Republik Bayern wird

Seite 258/362 beschlossen. Es bildet die Grundlage der Landtagswahlen am 12. Januar 1919. In der Präambel zur Republik heißt es:

"In der Stunde höchster Not aber, raffte sich dieses ohnmächtige Volk auf, zertrat in gewaltiger revolutionärer Erhebung das schuldige System der Vergangenheit und riß die Macht an sich. Das politisch ohnmächtige Volk wurde durch die Revolution das freieste".

Der Freistaat Bayern wird von einem Einkammersystem und einem Kabinett gemeinsam regiert. Dem Kabinett steht die oberste vollziehende Gewaltzu. Ihm bleibt außerdem das Recht vorbehalten, innerhalb von vier Wochen eine Volksabstimmung über jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz zu verlangen. Im Artikel 7 des Staatsgrundgesetzes heißt es dazu: "Entscheidet die Volksabstimmung gegen den Landtag, so ist er aufzulösen. Entscheidet sie gegen das Gesamtministerium, so hat es zurückzutreten."

Im Staatsgrundgesetz wird auch festgelegt,

dass das Unterrichtswesen in Bayern ab sofort eine staatliche Angelegenheit ist. Der Religionsunterricht ist damit nicht mehr eine allein den Glaubensgemeinschaften obliegende Angelegenheit, die Abschaffung der Adelstitel, die Einführung des Frauenwahlrechts.

Dass die Räte im Vorläufigen Staatsgrundgesetz mit keinem Wort erwähnt werden, ist den Liberalen und dem rechten Flügel der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu verdanken.

Der Artikel 17 bestimmt: "Bis zur endgültigen Erledigung des Verfassungsentwurfs, der dem Landtag sofort nach seinem Zusammentritt vorgelegt werden muss, übt die revolutionäre Regierung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt aus."Dadurch kann die Eisner-Regierung auf legaler Grundlage die Herrschaft über Bayern auch noch nach der Wahl am 2. Februar 1919 in der Rheinpfalz ausüben.

5. Januar 1919 München-Hackenviertel * Eine Woche vor der bayerischen Landtagswahl wird im Fürstenfelder Hof, in der Fürstenfelder Straße 14, die Deutsche Arbeiterpartei - DAPdurch den Werkzeugschlosser Anton Drexler und den Sportjournalisten Karl Harrer sowie 22 weiteren Anwesenden gegründet.

Die Deutschen Arbeiterpartei - DAPgeht aus dem Münchner Freien Arbeiterausschuss für einen guten Friedenhervor, der am 7. März 1918 ebenfalls von Drexler gegründet worden war.Als Vorsitzender der neuen Partei wird Anton Drexler gewählt.

Zu den ersten Mitgliedern der DAP zählen fast ausschließlich Arbeitskollegen Drexlers aus den Münchner Eisenbahnwerken.Die ersten Parteiversammlungen finden in Hinterzimmern kleiner Bierlokale statt.Der wenig begeisternde Redner Drexler hält zumeist kaum motivierende Reden, die oft in der Geräuschkulisse des Lokals untergehen.

Während der Politische Arbeiterzirkeleindeutig eine Schöpfung der Thule-Gesellschaftist, soll die Deutsche Arbeiterpartei- aus taktischen Erwägungen - als Gründung Anton Drexlers erscheinen.

Seite 259/362 Vorbereitet wird die konstituierende Parteiversammlungvon einem Dreier-Ausschuss, der sich aus Harrer, Drexler und Michael Lotter zusammengesetzt.An der eigentlichen Versammlung nimmt Harrer allerdings nicht teil.

Umgekehrt werden Drexler und Lotter keine Mitglieder der Thule-Gesellschaft, verkehren aber als ständige Gästein den Logenräumen im Hotel Vier Jahreszeiten, wo sie bald auch Personen wie Dietrich Eckart und Gottfried Feder kennenlernen.

In den von der Gründungsversammlungangenommenen Richtlinien der Deutschen Arbeiterparteiheißt es, dass die DAPeine aus "allen geistig und körperlich schaffenden Volksgenossen zusammengesetzte sozialistische Organisation" ist.Die Deutsche Arbeiterparteiwill

"die Adelung des deutschen Arbeiters.Die gelernten und ansässigen Arbeiter haben ein Recht, zum Mittelstand gerechnet zu werden.Zwischen Arbeiter und Proletarier soll ein scharfer Trennungsstrich gezogen werden. [...] Das Großkapital ist als Brot- und Arbeitgeber zu schützen, sofern nicht rücksichtsloseste Ausbeutung des Arbeiters diesem ein menschenwürdiges Dasein unmöglich macht. Die DAP sieht in der Sozialisierung des deutschen Wirtschaftslebens einen Zusammenbruch der deutschen Volkswirtschaft. [...] Darum darf es nicht Sozialisierung, sondern Gewinnbeteiligung für den deutschen Arbeiter heißen. [...]."

Hier zeichnete sich deutlich eine eigentlich mittelständische Orientierung dieser pseudosozialistischen und antisemitischen Organisation ab.

Die anfallende Parteiarbeit der zunächst auf München beschränkten winzigen Vereinigung wird im Wesentlichen von dem mit dem Politischen Arbeiterzirkelnicht identischen Arbeitsausschuss der DAPbewältigt, der in den Anfängen auch die Führung der Gesamtparteiinne hat und dem im Sommer 1919 neben Anton Drexler und Karl Harrer weitere vier Personen angehören. Anton Drexler, der Vorsitzende der Deutschen Arbeiter Partei - DAP, bleibt es bis zum Juni 1921.

7. Januar 1919 München-Theresienwiese * In der ersten Januarwoche ist die Zahl der Arbeitslosen dramatisch - auf 40.000 - angestiegen. Auf der Theresienwiese beginnt um 15 Uhr eine Arbeitslosen-Demonstration mit rund 4.000 Teilnehmern.

7. Januar 1919 München * Am Abend kommt es in der Innenstadt immer wieder zu Menschenansammlungen. Um 22 Uhr will die Menge in die Residenz eindringen, wo sie Eisner versteckt glaubt. Doch der bayerische Ministerpräsident hält sich an diesem Tag in Weiden auf und bekommt die Vorgänge überhaupt nicht mit.

Die Republikanische Schutztruppe kann die Demonstration zerstreuen. Gegen 23:30 Uhr verlangt eine rund 200 Mann starke Gruppe vor dem Polizeipräsidium die Freilassung verhafteter Soldaten und Matrosen. Die Menschenansammlung kann zum Abzug bewegt werden.

7. Januar 1919

Seite 260/362 Berlin * Dem Aufruf des Revolutionsausschusses folgen etwa 500.000 Menschen. Die Menschenmenge zieht in die Innenstadt und versammelt sich auf einem der Berliner Plätze.

10. Januar 1919 München-Kreuzviertel * Gegen 15 Uhr beginnen die entsetzten Versammelten einen Demonstrationszug zumMontgelas-Palais, in demMinisterpräsidentKurt Eisner residiert, und fordert dieFreilassung der Verhafteten. Eisner erklärt sich zum Empfang einer Abordnung am nächsten Tag bereit, wenn sie ruhig und ohne Massendemonstration käme. Die Demonstranten werden immer erregter.

Oskar Maria Graf berichtet:"Hin und her drängte sich alles. Hinter dem verschlossenen Tor, hieß es, stünden schussbereite Maschinengewehrschützen. Man ratschlagte einige Minuten. Auf einmal kletterte ein Matrose auf dem Kandelaber zum Balkon empor, schwang sich drüber und verschwand unter lautem Jubel in der Tür. Kurz darauf erschien er mit Eisner, der fürchterregt auf uns herunter schrie: ?So holt sie euch, in Gottes Namen! Sie sind enthaftet!?" Daraufhin ziehen sich dieDemonstrantenzurück.

10. Januar 1919 Ruhrgebiet * Im Ruhrgebiet beginnt ein Generalstreik, an dem sich 80.000 Arbeiter, in der Mehrzahl Bergarbeiter, beteiligen.

12. Januar 1919 München * Josef Hofmiller notiert über den Wahlsonntag in sein Tagebuch:

"Heute Wahl zum Bayerischen Landtag. Gutes, etwas frisches Wetter, heiter und klar, geeignet zu Demonstrationen, von denen aber bis jetzt nicht viel zu bemerken. [?] Die Wahlbeteiligung war sehr stark, die Leute standen an wie um Butter, Zigaretten oder Pferdefleisch. Der Anblick der zahlreichen Frauen und Soldaten in und vor dem Wahllokal fiel auf. [?]

Der Anblick der Maximilianstraße hatte etwa die Stimmung des Faschingsonntags (nicht Dienstags!), nur ganz ohne Masken, soweit nicht die ?Soldaten? maskiert waren, die zahlreich herumlaufen und von denen ein großer Teil offenbar noch nie in einer Uniform gesteckt ist. Aber die vielen Plakate in allen möglichen Farben, sehr schreiend, erinnerten an diejenigen der karnevalistischen Unterhaltungen.

Die Parteien rückten vielfach mit einer Art Musik an, Trommel, auch dünnem Blechorchester, Knaben trugen Plakate an Stangen, dann kamen Soldaten mit roten Fahnen, dann Reiter auf roten Sätteln, hinterher eine Rotte ganz kleiner Jungen. Durchschnitt fünf bis sieben Jahre, genau wie an Fasnacht."

13. Januar 1919 Berlin * Die Regierung Ebert verordnet, dass

die Zivilbevölkerung innerhalb von 24 Stunden alle Schusswaffen abgeben muss. Zuwiderhandlungen werden mit Geld- und Gefängnisstrafen geahndet.

Seite 261/362 15. Januar 1919 Berlin * Die beiden Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden verhaftet und ins Hotel Eden gebracht, in dem die Garde-Kavallerie-Schützen-Division ihr Stabsquartier aufgeschlagen hat.

Karl Liebknecht wird - nach schweren Misshandlungen - am Abend in den Tiergarten gefahren und von hinten erschossen. Rosa Luxemburg wird niedergeschlagen, in ein Auto gezerrt und während der Fahrt durch einen aufgesetzten Schläfenschuss getötet. Ihren Leichnam werfen die Mörder in den Landwehrkanal.

Der Hauptverantwortliche für die Ermordungen, Waldemar Papst, beruft sich später auf einen angeblichen"Schießbefehl"des SPD-Innenministers Gustav Noske.

15. Januar 1919 Berlin * In Berlin marschieren Freikorps und Truppen der Obersten Heeresleitung ein, die sich bisher nicht an den Kämpfen beteiligt haben. Damit beginnt die "Säuberung" der Reichshauptstadt.

16. Januar 1919 München * Der bayerische SPD-Vorsitzende Erhard Auer führt auf einer politischen Versammlung seiner Partei aus: "Eine Klasse kann herrschen, aber nicht regieren; regieren kann nur eine Organisation."Er meinte dabei wohl seine Partei.

16. Januar 1919 Berlin * Philipp Scheidemann erklärte zum Tod von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht folgendes:

"Ich bedauere den Tod der beiden aufrichtig aus gutem Grunde. Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie haben Spazierfahrten durch Berlin mit Maschinengewehren veranstaltet, die sie uns wiederholt vor die Reichskanzlei fuhren, sie haben Tag für Tag ihre Anhänger bis zur Siedehitze aufgepeitscht. Sie haben, nachdem durch ihre Schuld Arbeiter- und Soldatenblut in Strömen geflossen, uns als Mörder und Bluthunde Tag für Tag in ihren Zeitungen und in ihren Versammlungen beschimpft. So sind sie selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden."

Und weiter meint er: "Bei Frau Luxemburg, einer hochbegabten Russin, ist mir der Fanatismus begreiflich, nicht aber bei Liebknecht, dem Sohn Wilhelm Liebknechts, den wir alle verehrten und noch verehren. Sein Sohn, der nunmehr tote Karl Liebknecht, hat sich leider vollkommen in die russisch-terroristische Taktik einspannen lassen."

Zur Rechtfertigung seiner Person und seiner Regierung äußert er sich: "Wenn mein wahnsinniger Bruder die Flinte auf mich anlegt, so kann ich, wenn es [um] mich allein geht, mich erschießen lassen, um sein Blut zu schonen, aber wenn ich im Begriffe bin, mich in ein brennendes Haus zu stürzen, um Weib und Kind zu retten, und der wahnsinnige Bruder legt dann auf mich an, dann hilft nichts mehr, dann muss ich mich gegen ihn zur Wehr setzen, denn dann geht es nicht mehr um mich, sondern um viele andere."

18. Januar 1919

Seite 262/362 Paris * Beginn der Friedenskonferenzunter Ausschluss von Deutschland und seinen Verbündeten.

18. Januar 1919 München * Als Erzbischof Michael von Faulhaber von Lorenzo Schioppa, der rechten Hand des Nuntius Eugenio Pacelli, nach der Wahl der Nationalversammlunggefragt wird, ob der Nuntius aus der Schweiz wieder nach München zurückkehren könne, antwortet Faulhaber:

"Nach Lage der Dinge wird Ministerpräsident Eisner sofort wieder versuchen, eine amtliche Verbindung mit Monsignore Pacelli zu gewinnen, und die bayerischen Bischöfe werden in dieser Verbindung eine Legitimierung der Revolutionsregierung und ein Ärgernis für das ganze Land erblicken.

Die bayerischen Bischöfe haben sich nämlich damals geweigert, die früheren königlichen Konkordatsrechte (z.B. bei Besetzung der Pfarreien) ohne weiteres auf die neue Regierung zu übertragen, und haben deshalb die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Für die kirchenpolitische Lage in Bayern wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn damals auch nur der Schein amtlicher Beziehungen zwischen dem auswärtigen Ministerium und der Nuntiatur entstanden wären."

19. Januar 1919 Deutsches Reich * Erstmals können Frauen in Deutschland reichsweit wählen und gewählt werden. 82,3 Prozent der Frauen beteiligen sich an der Wahl.

300 Frauen kandidieren zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung. Unter den 423 Abgeordneten befinden sich 37 Frauen. Die meisten weiblichen Abgeordneten gehören der Sozialdemokratischen Partei - SPDan. Rechnet man die Nachrückerinnen dazu, erreicht die Frauenquote 9,6 Prozent.Ein Wert, der erst 1983 wieder erreicht werden wird.

29. Januar 1919 Freising * Für den MünchnerErzbischofMichael von Faulhaber ist Kultusminister Johannes Hoffmann ein "ausgesprochener Kulturkämpfer und Kirchenhasser". In ihrer Freisinger Erklärungfassen die Bischöfe ihren "flammenden Protest" zusammen und prangern in einem Hirtenbriefdie Maßnahme als "Fehdehandschuh gegen den Herrn selbst" an.

Der Hirtenbriefbeginnt so:"Herodes der Kindermörder ließ die unschuldigen Kinder von Bethlehem hinschlachten.Unbekümmert um das Weinen und Wehklagen der Mütter, unbekümmert um das Todeswimmern der sterbenden Kinder, ließ er an wehrlosen Kindern seine Wut aus, um mit ihnen den neugebornen König der Juden, den vermeintlichen Anwärter seines Thrones aus dem Weg zu schaffen."

In einer extrem polemischen und ehrverletzenden Art geht es weiter:"Geliebte Erzdiözesanen! Am letzten Montag ist im Volksstaate Bayern eine Verordnung ergangen, die vor dem Richterstuhl Gottes schwerer wiegt als der Blutbefehl des Herodes.Durch eine Verordnung des Unterrichtsministers wurde der Religionsunterricht in allen bayerischen Schulen als Pflichtfach abgesetzt und als Wahlfach der Willkür der Eltern und Vormünder ausgeliefert."

Seite 263/362 3. Februar 1919 München * Die wöchentliche Fleischration wird bayernweit auf 300 Gramm erhöht. Eine Anweisung des Innenministeriumsermöglicht dem Stadtmagistratgegen "eigenmächtige Bierpreiserhöhungen mit aller Entschiedenheit" vorzugehen.

4. Februar 1919 Bremen * In Bremen, das sich am 10. Januar 1919 zur Selbstständigen Sozialistischen Republik erklärt hat, rücken Freikorps ein.

Damit beginnt der Einsatz der meist aus rechtsextremen Offizieren und Mannschaften bestehenden Freikorps zur Niederschlagung von Unruhen und Streiks.

6. Februar 1919 München * Die Mittelschülermachen mobil. In einem Anschlag heißt es:

"Mittelschüler, werdet wach! Auch unsere Stunde ist gekommen! Befreiung von dem anmaßenden Stumpfsinn der Schule! Macht Euch bereit zum Schulstreik!"

12. Februar 1919 Weimar * Reichspräsident Friedrich Ebert setzt das neue Reichsministerium ein. Die Reichsregierung wird auch als Weimarer Koalition bezeichnet. Sie besteht aus SPD, Zentrum und Deutsche Demokratische Partei - DDP. Das Kabinett Scheidemann setzt sich zusammen aus:

Philipp Scheidemann, Reichsministerpräsident, SPD; Otto Landsberg, Justizminister, SPD; Gustav Noske, Reichswehrminister, SPD; Rudolf Wissell, Wirtschaftsminister, SPD; Robert Schmidt, Reichsernährungsminister, SPD; Gustav Bauer, Reichsarbeitsminister, SPD; , Minister ohne Geschäftsbereich, SPD; Eugen Schiffer, stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister, DDP; Hugo Preuß, Innenminister, DDP; Georg Gothein, Reichsschatzminister und Minister ohne Geschäftsbereich, DDP; Johannes Bell, Verkehrsminister und Reichsminister für Kolonien, Zentrum; Johannes Giesberts, Reichspostminister, Zentrum; Matthias Erzberger, Minister ohne Geschäftsbereich, Zentrum; Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, Auswärtiges Amt, Parteilos.

Die Aufgabe des Rates der Volksbeauftragten ist damit erfüllt.?

Seite 264/362 13. Februar 1919 Weimar * Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann stellt das Arbeitsprogramm der neuen Reichsregierung vor. Es beinhaltet:

den sofortigen Friedensschluss, die Demokratisierung der Verwaltung, die Schaffung eines demokratischen Volksheeres, die öffentliche Kontrolle privatmonopolistischer Wirtschaftszweige, die Sozialisierung der Bergwerke und der Energiebetriebe, die verschärfte Erfassung der Kriegsgewinne und soziale Verbesserungen.

13. Februar 1919 Weimar - Essen * In Weimar beginnen die Verhandlungen zwischen der Regierung und den Vertretern der Essener Neunerkommission, dem Bezirksbetriebsrat Halle, der Gewerkschaften und der Arbeitgeber.

Die Regierung weigert sich, den Betriebsräten außer sozialpolitischenRechten weitere Funktionen im wirtschaftlichen und politischem Raum zuzugestehen. Der umfassende Kontrollanspruch der Arbeiterräte wird abgelehnt.

Um den 15. Februar 1919 Ohrdruf * Seit Mitte Februar stellt im thüringischen Ohrdruf im Auftrag des ReichswehrministersGustav Noske ein Freikorpszusammen. Offiziell soll es dem "Grenzschutz Ost" dienen.

In Bayern befürchtet man von Anfang an, dass die Truppe für den Einsatz im Inneren bestimmt ist, weshalb Ernst Schneppenhorst(ab 18. März 1919Minister für militärische Angelegenheiten) später die Zusammenarbeit mit dem Freikorps Eppablehnen wird.

16. Februar 1919 München-Theresienwiese * Die von Teilnehmern des Kongresses der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräteorganisierte und veranstaltete Kundgebung auf der Theresienwiesefordert die Sicherstellung der Existenz der Räteim künftigen parlamentarischen Bayern.

Ein Demonstrationszug - unter Beteiligung von MinisterpräsidentKurt Eisner und Felix Fechenbach - zieht ohne Zwischenfälle von der Theresienwieseüber die Innenstadt zur Ludwigstraße und wieder zurück.

Ab 17. Februar 1919 Münster * Noch vor Ablauf des Ultimatums gegenüber der Reichsregierung treten Bergarbeiter in den Streik. Es beteiligen sich 180.000 Arbeiterinnen und Arbeiter an den Arbeitskampfmaßnahmen.

17. Februar 1919

Seite 265/362 Mitteldeutschland * Im mitteldeutschen Industriegebiet beginnt ein Generalstreik, nachdem das Wolff?sche Telegraphenbüro meldete: "Kein Mitglied des Kabinetts denkt daran oder hat je daran gedacht, das Rätesystem in irgendeiner Form, sei es in der Verfassung, sei es in dem Verwaltungsapparat, einzugliedern."

19. Februar 1919 München * Gegen 16 Uhr beginnt in München der sogenannte Lotter-Putsch, an dem sich rund 600 bewaffnete, überwiegend bayerische Soldaten beteiligen, die am 15. Februar aus Wilhelmshaven kommend hier eingetroffen sind. Die Putschistenunter Führung des ObermatrosenConrad Lotter schlagen gleichzeitig an drei Stellen zu:

Sie besetzen das Telegraphenamtam Hauptbahnhof, verhaften zur gleichen Zeit den StadtkommandantenOskar Dürr und den PolizeipräsidentenJosef Staimer in ihren Dienststellen und wollen in das vom Rätekongressbesetzte Landtagsgebäude in der Prannerstraße eindringen. Außerdem wollen sie Kurt Eisner festnehmen und in die Tschechoslowakei abschieben.

Während die putschenden Matrosen die beiden ersten Aktionen erfolgreich durchführen können, werden sie im Landtag von der Landtagswachemit Maschinengewehrfeuer vertrieben.Die Festnahme von Kurt Eisner verhindert der LandessoldatenratRichard Scheid. Die Münchner Bevölkerung hält die Putschistenfälschlich für preußische Spartakisten. Es kommt am Bahnhofsplatz zu einer kurzen Schießerei, bei dem der Straßenbahnfahrer Franz Stangl durch einen Kopfschuss ums Leben kommt.

Gegen 17:30 Uhr ziehen sich die putschenden Matrosen zurück.Conrad Lotter wird verhaftet.

21. Februar 1919 München * In der Bevölkerung tritt ein jäher Stimmungsumschwung gegenüber der Person Kurt Eisners ein. Eisner, der noch wenige Tage vor seiner Ermordung bespöttelt und als politisch gescheitert betrachtet wurde, ist nun auf einmal der"Märtyrer der Revolution".

Die erstaunliche Sympathie und Popularität, die der toteMinisterpräsidenttrotz aller vorausgegangenen Auseinandersetzungen um seine Person und seine Politik genießt, gründet vor allem darauf, dass man seine Ermordung als reaktionäres Komplott aufgefasst. Dem Toten wird in diesen Tagen als"Integrationsfigur des Proletariats"eine fast kultische Verehrung entgegengebracht.

Tausende von Münchnern besuchen den Schauplatz des Mordes.Noch an seinem Todestag wird an der Stelle, an der Kurt Eisner tödlich zusammengebrochen ist, ein Totenmal errichtet, in dessen Zentrum ein überlebensgroßes, von einem Trauerkranz gerahmtes und auf einer Gewehrpyramide befestigtes Fotoporträt Kurt Eisners imaginäre Gegenwart symbolisiert. Dieser provisorischeEpitaphentwickelt sich zu einem von Soldaten bewachten sakralen Bezirk.Die darin niedergelegten Blumengebinde und Kränze verstärken den Eindruck eines grabähnlichen Erinnerungsmales.Es besteht in dieser Form bis zum April.

In seinem Roman"Wir sind Gefangene"beschreibt Oskar Maria Graf auch die Ereignisse in der Nähe des Attentatortes:"Alle Menschen liefen mit verstörten Gesichtern stadteinwärts. Je weiter ich kam, desto aufgeregter wurde die dumpfe Hast.Vor dem Landtag ballte sich ein schwarzer Menschenknäuel, Soldaten und bewaffnete Zivilisten waren darunter.Ich stürmte weiter [...] an den Mordplatz.Da hatten sich Hunderte schweigend um die mit Sägspänen bedeckten Blutspuren Eisners zu einem Kreis gestaut.

Seite 266/362 Fast niemand sagte ein lautes Wort, Frauen weinten leise und auch Männer.Etliche Soldaten traten in die Mitte und errichteten eine Gewehrpyramide.Viele legten Blumen auf den Platz, immer mehr und mehr."

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Als sich der Landtaggegen 11 Uhr wieder versammelt, ergreift Erhard Auer das Wort zu einer Gedenkrede:

"Damen und Herren! Der provisorische Ministerpräsident Kurt Eisner hat soeben durch Mörderhand den Tod gefunden. [...]Die Tat wurde von ruchloser Hand in feiger Weise verübt [...].Diese Handlung muss bei jedem anständigen Menschen tiefsten Abscheu hervorrufen. [...] Wir beklagen in dem Ermordeten den Führer der Revolution in Bayern und zugleich den vom reinsten Idealismus und von treuer Sorge für das Proletariat erfüllten Menschen.

Auf diesem Weg kann und darf nicht fortgefahren werden, wenn nicht vollkommene Anarchie eintreten soll.Angesichts dieser wahnsinnigen Mordtat, gegen deren Urheber mit rücksichtsloser Strenge vorgegangen wird, gilt es nunmehr, die Besonnenheit zu wahren und alle Kräfte zusammenzufassen, um die ungeheuere Aufgabe der nächsten Zeit so zu lösen, wie es das Interesse des gesamten bayerischen Volkes erfordert."

Auer hatte seine Rede gerade beendet, da stürzt ein schnauzbärtiger junger Mann, bekleidet mit einem grauen Mantel und Hut, durch einen Seiteneingang in den Sitzungssaal, läuft direkt auf Auer zu, tituliert ihn mit"Du Lump!", zieht eine Pistole aus seinem Mantel und drückt zweimal ab. Erhard Auer sinkt - in die Brust getroffen - zu Boden.

Der konservative Abgeordnete Major Paul Ritter von Jahreißstellt sich dem fliehenden Attentäter in den Weg und wird durch einen Schuss in den Hals tödlich getroffen.

Der Täter ist der im Jahr 1887 in Kelheim geborene Metzger Alois Lindner.Er ist Mitglied in derUSPDund imRevolutionären Arbeiterrat.Lindner ist von Auers Schuld an Eisners Ermordung überzeugt.

Inzwischen betreten weitere Mitglieder desRevolutionären Arbeiterratsden Saal.Auch sie glauben an Auers Schuld und fordern"Rache für Eisner!". Es kommt zu einer wilden Schießerei, bei der einer der Mitbegründer derBayerischen Volkspartei - BVP, Heinrich Osel, ums Leben kommt. In der allgemeinen Panik fliehen die übrigen Anwesenden.

Auch Lindner gelingt die Flucht.Unterstützt durch Freunde geht er nach Ungarn.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Pünktlich um 10 Uhr beginnt dieKonstituierende Sitzung des Bayerischen Landtags. Nachdem die Nachricht von der Ermordung Kurt Eisners eintrifft, unterbricht der soeben zusammengetreteneLandtagseine Sitzung umgehend.

21. Februar 1919 München * Die Nachricht von Eisners Ermordung verbreitet sich in Windeseile. Von überall her strömen die Massen an den Tatort. Aus dem stark angefeindetenUSPD-Politikerist ein"Märtyrer der Revolution"geworden, dem alle noch einmal huldigen wollen.

Seite 267/362 Die Schriftstellerin Richarda Huch erinnert sich an die Schüsse:"Jedermann verdammte und beklagte nun die verhängnisvolle Kugel des jungen Arco.Es war gerade, als ob sie nur gefallen, um der stockenden Revolution einen neuen Auftrieb zu geben."

Dabei wäre mit dem Rücktritt Kurt Eisners und derKonstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtagsvermutlich die Revolution in Bayern beendet gewesen. Eine gesetzmäßig gewählte Regierung - angeführt von denMehrheitssozialistenund Demokraten - hätte ihr Amt übernommen. Da sich die neue Regierung rechtlich und politisch in einer starken Position befand, wäre sie nur unter ganz außergewöhnlich schwierigen Umständen zu stürzen gewesen. Doch mit der verbrecherischen Tat und der politischen Dummheit des Grafen Anton von Arco auf Valley wird dieZweite Revolutioneingeleitet.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Die aufgrund von Kurt Eisners Ermordung nicht mehr gehaltene Rücktrittsrede beginnt mit den Worten: "Meine Herren und verehrte Frauen!".

In seinem Tätigkeitsbericht führt er zu seiner 105 Tage andauernden Regierungszeit folgendes aus: "[?] Am 8. November kam die revolutionäre Regierung zustande, die heute vor den von ihr versprochenen neuen Landtag tritt. In diesem Augenblick ist es uns ein Bedürfnis, Rechenschaft abzulegen, was wir gewollt, was wir getan.

In einer Zeit der schwersten Erschütterungen, des drohenden Zusammenbruchs übernahmen wir die Regierung und führten sie bis hierher durch Monate aufreibender Arbeit, ernster Gefahr und leidenschaftlicher Erregungen. Wir waren uns bewusst, dass wir die Aufgabe von ungeheuerer Verantwortlichkeit auf uns genommen hatten, trotz der verhängnisvollen Erbschaft eines unter den Flüchen des Volkes zusammengebrochenen Systems das im tiefsten Grunde kranke Leben der Gemeinschaft allmählich der Genesung näherzuführen. Genesung auf dem Wege, dass das Volk in dem es im Aufschwung revolutionärer Kraft zur Selbstbestimmung emporwuchs, mit dem neuen Bewusstsein der eigenen Macht, im Kampf um die Sicherung seiner Freiheit, im Glauben an den endgültigen Sieg der Demokratie und des Sozialismus, durch das Elend der Gegenwart sich in die Zuversicht künftiger Größe rettete.[?]."

Kurt Eisner geht in seiner Abschiedsredeals Ministerpräsident auf die Erfolge in den verschiedenen Ressorts ein. So hebt er seinen Kampf um die "föderative Grundlage unseres deutschen Staatenbundes" hervor, da "ein großes Staatswesen sich um so reicher und gesünder entfalte, je lebendiger und selbstständiger die einzelnen Glieder sich zu gestalten vermöchten".

Zu seiner Friedenspolitikführt er aus: "Nur eine Politik der unbedingten Wahrhaftigkeit, der kühnen Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens führt zu jenem Frieden, nach dem die zertretende Menschheit schmachtet".

Er hebt seine Anstrengungen zur Wiederherstellung der durch den Krieg zertrümmerten "Internationale der Arbeiter" hervor, denn nur wenn sie erstarkt, ist die Freiheit jeden Volkes verbürgt. In Eisners Redemanuskript liest sich das so: "So fasste ich - wenn mir eine mehr persönliche Zwischenbemerkung gestattet ist - meine Arbeit jüngst in Bern auf, wo ich erreichte, dass die Vertreter aller Völker, Hass und Erbitterung vergessend, für die Erlösung der deutschen und österreichischen Gefangenen sich vereinigten".

Seite 268/362 Der Passus zu den "Räten" ist vergleichsweise kurz gehalten, obwohl sie die Stütze der Eisner?schen Politik bilden. Er verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, "dass die Räte sich in jenen Grenzen, in denen sie sich bei uns entwickelt haben, als unentbehrlich für die Schaffung einer tätigen Demokratie erweisen werden".

Ein weiteres von Kurt Eisner angesprochenes Thema ist die "Ernährungslage". Dabei stellt er fest: "Im allgemeinen sind die Ernährungsverhältnisse nach der Revolution bei uns in Bayern zum mindesten nicht schlechter geworden. Sehr ungünstig ist nach wie vor unsere Versorgung mit Kohlen und sonstigen Rohstoffen". Dabei stellt er dar, welche Maßnahmen von der Regierung eingeleitet worden sind.

Breit behandelt Eisner das Thema "Demokratisierung", die auch in der "Gemeinde, Distrikt und Kreis beachtet werden, deren Selbstverwaltung [?] durchgeführt werden wird". Und weiter: "Das Kriegsministerium hat sich nach der Revolution in ein Ministerium für militärische Angelegenheiten, in ein Ministerium zur Liquidierung des Krieges gewandelt. [?] Die Demokratisierung der Armee [?] wurde durchgeführt. [?] Die Änderung der Militärgerichtsordnung war eine wichtige Errungenschaft des neuen Geistes".

Nun folgt eine Beschreibung über die politischen Umwälzungen und Demokratisierung in der Justizverwaltung und die Einrichtung von Volksgerichten. Auch auf Fragen der Amnestie und Begnadigungen geht Kurt Eisner in seinem Redeentwurf ein. Ein weiterer Punkt seines Tätigkeitsberichts ist die Tätigkeit des Kultusministeriums, das "die Erneuerung des gesamten Volksbildungs- und Erziehungswesen" vorbereitet hat. Im Verhältnis von "Schule und Kirche" erklärt er: "Für jede Demokratie kann nur der unantastbare Grundsatz gelten, dass die Dreiheit der Schule zugleich mit der Freiheit der Kirche gesichert werden müsse". Eisner erklärt die "Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht" und die "Aufhebung des Zwangs zur Teilnahme am Religionsunterricht" den Grundsatz, dass "ein Kind gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht oder Gottesdienst angehalten werden dürfe. Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern wurde durch die Errichtung von Schülerausschüssen und Schülerversammlungen freier gestaltet". Außerdem erklärt der Ministerpräsident, dass "die Entwürfe des Volksschullehrergesetzes und des Schulbedarfsgesetzes einer gründlichen Durcharbeitung unterzogen wurden".

Ein weiterer kultureller Bereich sind die staatlichen Theater. Dazu führt Kurt Eisner aus: "Infolge der Revolution kamen die ehemaligen Hoftheater in den Bereich des Kultusministeriums. In dem jetzigen Nationaltheater vollzog sich zugleich die Demokratisierung des gesamten Betriebes".

Nun folgen Kurt Eisners Ausführungen zur bayerischen Verkehrsverwaltung und der Finanzverwaltung.

Sehr ausführlich geht er auf die Tätigkeit des am 14. November 1918 neu geschaffenen Ministeriums für soziale Fürsorge ein. Er hebt dabei hervor, "die Schaffung neuer Referate, um die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen mit allen staatlichen Mitteln wahrzunehmen. Es wurde ein Referat für Arbeitsrecht geschaffen, für Angestelltenfragen, für Beamtenfragen usw..

Die Einrichtungen der Erwerbslosenfürsorge, Arbeitsvermittlung und im Wohnungswesen wurden ausgebaut und durchgeführt, soweit es unter den bestehenden Verhältnissen möglich war. Leider konnten in dieser kurzen, unruhigen Zeit nicht alle Pläne, die das Ministerium entworfen hatte, befriedigend ausgeführt werden.

Der Gewerbeaufsicht, dem Gesundheitswesen, den Kriegsbeschädigten wandte das Ministerium seine größte Aufmerksamkeit zu. Es sind auch hier Erfolge zu verzeichnen, doch nicht in so großem Maße, wie es im Interesse der leidenden Volksgenossen unbedingt notwendig gewesen wäre. Für die Parias [= jemand, der unterprivilegiert, von der Gesellschaft ausgestoßen ist] unter dem arbeitenden Volk, für die sogenannten Dienstboten, wurde ein neues Recht geschaffen. Ein Landarbeiterrecht ist in Ausarbeitung, wobei alle beteiligten Kreise der Landwirtschaft mitarbeiten.

Seite 269/362 Der Kleinwohnungsbau, das Siedlungswesen wurden in weitgehendem Maße gefördert. Notstandsarbeiten wurden angeregt und Zuschüsse wurden zur Verfügung gestellt, um Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, denn das Problem der Arbeitslosen kann nur durch Arbeitsbeschaffung gelöst werden.

Die sozialpolitische wichtigste Tat des Ministeriums war die Proklamierung des Achtstundentages, die von der Erkenntnis ausging, das die rationelle Verkürzung der Arbeitszeit der Ausgangspunkt aller sozialpolitischen Maßnahmen, die auf die physische, geistige und moralische Hebung der Arbeiterklasse abzielen, sein muss.

Für Erwerbslosenunterstützung wurden im Dezember rund zwei Millionen, im Januar rund zehn Millionen verausgabt. Zur Deckung der Kosten der Notstandsarbeiten wurde dem Haushalt des Ministeriums die Summe von zwölf Millionen Mark bewilligt und für überschreitbar erklärt. Nach den bisher eingelaufenen Meldungen wurden im ganzen rund zwei Millionen Mark Reichszuschüsse und eine Million Staatszuschüsse zugesichert". Soweit seine Ausführungen zum Sozialministerium.

Kurt Eisners Rede, die er aufgrund seiner Ermordung nicht mehr im bayerischen Landtag vortragen könnte, endet mit den Worten: "Die revolutionäre Regierung hat einstimmig beschlossen, ihre Ämter dem auf dem revolutionären Wahlrecht beruhenden Landtag zur Verfügung zu stellen. Sie ist zugleich bereit, die Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterzuführen.

Um die Neubildung zu beschleunigen, wird die Regierung unverzüglich dem Landtag den Entwurf eines vorläufigen Staatsgrundgesetzes zur Beratung und Beschlussfassung zugehen lassen, das bis zur Vollendung der Verfassung die Grundlage für die Arbeiten des Parlaments und der Regierung bieten soll.

Ein Entwurf der Verfassung selbst ist gleichfalls fertig gestellt; wir wollen ihn noch als Vermächtnis unserer demokratischen und sozialistischen Gesinnung der Öffentlichkeit übergeben, bevor die bisherige revolutionäre Regierung von dem Werk zurück tritt, über das das letzte Urteile die Geschichte fällen wird."

21. Februar 1919 München-Haidhausen * Josef Hofmiller, nationalkonservativ gesinnter Gymnasiallehrer und Verfasser von Essays und Literaturkritiken, dazu Herausgeber der reaktionären Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, betrachtet Kurt Eisner in seinem Revolutionstagebuch als Opfer der eigenen Politik:

"Eisner forderte durch sein ganzes Verhalten zu seiner gewaltsamen Entfernung heraus. Er erklärte bei jeder Gelegenheit, dass es ihm nicht einfalle, als Ministerpräsident zu gehen. Er hätte sicher noch die schwerste Opposition gemacht. Es war nicht möglich, mit ihm zu regieren; es wäre vermutlich nicht möglich gewesen, ohne ihn zu regieren, da er einen zwar kleinen, aber zu allem entschlossenen Anhang hinter sich hatte. Unzweckmäßig scheint mir, dass man ihn nicht früher beseitigte, und zwar auf vollkommen harmlose Weise. Der gegebene Augenblick wäre gewesen, als er von der Schweiz zurückkehrte. [?]

Man hätte ihn z. B. zwischen Füssen und Murnau in irgendeine Jagdhütte des Ammergebirges bringen können, von ihm Verzicht auf sein Amt verlangen, ihn sodann über die Grenze schaffen, ihm seine Papiere usw. abnehmen. Inzwischen wären acht bis vierzehn Tage vergangen, der Landtag wäre eröffnet worden, und der Unruhestifter wäre ohne Blutvergießen erledigt gewesen. So wird sein gewaltsamer Tod einen Bürgerkrieg zur Folge haben. Aber wäre dieser Bürgerkrieg nicht sowieso gekommen? Die Auseinandersetzung mit den Räten ist unvermeidlich. Es fragt sich jetzt nur, wer die Macht hat. Wer sie am Schluss haben wird, ist mir nicht zweifelhaft.

Aber einstweilen kann es immerhin ein heftiges Durcheinander geben.Ich bedaure, dass wir heute nicht im

Seite 270/362 ?Union? zusammenkommen können, nachdem ich schon vor acht Tagen nicht dort war. [?] Ich habe den Tod Eisners vorausgesehen und vorausgesagt."

Nach dem 22. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Die bisherigen Minister Dr. Edgar Jaffé, Hans Unterleitner und Heinrich Ritter von Frauendorfer richten an den Zentralrat des Volksstaates Bayerndas nachstehende Schreiben:

"Die Unterzeichneten haben im Interesse des Landes seit dem 21. Februar 1919 die laufenden Geschäfte ihres Ressorts weitergeführt und sind auch bereit, dies fürderhin zu tun, bis eine neue Regierung gebildet ist. Sie erklären ausdrücklich, dass sie lediglich verantwortlich sind für die von Ihnen innerhalb ihres Verwaltungsbereiches getroffenen Maßnahmen. Sie stellen fest, dass sie die allgemeine Führung der Regierungsgeschäfte und für die Maßnahmen des Zentralrats keinerlei Mitverantwortlichkeit tragen, insbesondere auch nicht die Festnahme und Einbehaltung von Geiseln, sowie für die gegenüber der Presse getroffenen Maßnahmen."

23. Februar 1919 München-Theresienwiese * Auf der Theresienwieseversammeln sich gegen 13 Uhr mehrere Tausend Personen. Hier können freigewerkschaftlich organisierte oder einer sozialistischen Partei zugehörige Arbeiter eine Waffe erhalten, wenn sie mindestens 20 Jahre alt und an der Waffe ausgebildet sind. Ob und in welcher Anzahl Waffen ausgegeben wurden, ist unklar.

Gegen 16 Uhr formiert sich ein Demonstrationszug zur Innenstadt, der sich am Schiller-Denkmalauflöst.

23. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber schreibt in sein Tagebuch: "Mich drückt eine böse Ahnung schwer nieder - Gott stehe uns bei. Man schreckt zusammen, wenn irgend ein Lärm an Schüsse erinnert, sogar das Teppichklopfen und das Zuwerfen der Türen."

24. Februar 1919 Halle * Im Bezirk Halle, in Sachsen, Thüringen und Anhalt beginnen Streikmaßnahmen.

26. Februar 1919 München-Giesing * Zeugten schon die Geschehnisse am Ort des Attentats von breiter Betroffenheit über Kurt Eisners Tod, so wird sein Begräbnis zu einer außergewöhnlichen Trauerbekundung der Bevölkerung.

Der Zentralrat ordnet für ganz Bayern Landestrauer an. Die öffentlichen Gebäude sind auf Halbmast schwarz und rot beflaggt. Die Arbeit ruht. Annähernd 100.000 Menschen nehmen an den Bestattungsfeierlichkeiten teil.

Ab 9 Uhr bewegt sich der Trauerzug - begleitet von 20 Musikkapellen - von der Theresienwiese zum Ostfriedhof. Matrosen tragen den mit schwarzen Tüchern verhüllten Sarg. Um 10 Uhr beginnt ein halbstündiges Glockengeläut. Die Trauerfeier mit der Einäscherung in der Halle des Krematoriums beginnt um 10:30 Uhr. Sie dauert bis 11:40 Uhr.

Seite 271/362 Gustav Landauer hält eine Gedächtnisrede, in der er ausführt: "Kurt Eisner, der Jude, war ein Prophet, der unbarmherzig mit den kleinmütigen, erbärmlichen Menschen gerungen hat, weil er die Menschheit liebte und an sie glaubte und sie wollte. Er war ein Prophet, weil er mit den Armen und getretenen fühlte und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen. Er war ein Prophet, weil er ein Erkennender war, dieser Dichter, der zugleich von der Schönheit, die kommen sollte, träumte und den harten, bösen Tatsachen unerschrocken ins Gesicht sah.

Er war ein Prophet, und er wurde so zum Satiriker und zum Geißler der Verlogenheit und Verkleisterung, wie er sie zumal bei seinen Kollegen von der Presse fand, er war ein unermüdlicher, trockener Erforscher der Wirklichkeit. So war er, der Schauend-Gestaltend-Erkennende, auch ein Prophet in dem Sinne, dass er die Zukunft voraus sah. Er wollte mit den Menschen gehen, er wollte auf die Menschen wirken, aber nichts lag ihm ferner als Herrschaft oder unterdrückende Überlegenheit."

Selbst die bürgerliche Presse ist beeindruckt und schreibt: "In ihrer reichen Geschichte hat die bayerische Hauptstadt wohl viele prunkvolle Leichenzüge zu verzeichnen, aber keinen, der, was Massenentfaltung anlangt, denjenigen übertrifft, der am Vorfrühlingstage des 26. Februar halb München in Bewegung setzte."

28. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Noch vor der Abstimmung werden die Delegierten Max Levien, Erich Mühsam, Gustav Landauer, Franz Michael Cronauer und Wilhelm Reichart von der SPD-nahen und vonInnenministerErhard Auer errichtetenRepublikanischen Schutztruppeaus dem Sitzungssaal heraus verhaftet.

Ernst Niekisch versucht verzweifelt Herr der Lage zu bleiben und erreicht, dass die Verhafteten wenige Minuten später wieder freigelassen werden.Die Verantwortung für die unübersichtliche Situation übernimmt schließlich derStadtkommandantOskar Dürr und derPolizeipräsidentJosef Staimer.

1. März 1919 München-Kreuzviertel * Nachdem am Tag zuvor beschlossen worden ist, dass dieEinberufung des Landtagsauf unbestimmte Zeit verschoben wird, bestimmt derRätekongressam Nachmittag des 1. März die neuenMinister.

Der gemäßigte [!]MehrheitssozialdemokratMartin Segitz wirdMinisterpräsidentund leitet zudem noch dasAußen- und Innenministerium, Ernst Niekisch [SPD] ist zuständig fürUnterricht und Kultus, Fritz Endres [SPD] fürJustiz, Richard Scheid [SPD] fürmilitärische Angelegenheiten, Joseph Simon [USPD] fürHandel, Gewerbe und Industrie, Edgar Jaffé [USPD] fürFinanzen, Hans Unterleitner [USPD] fürsoziale Angelegenheitenund Theodor Dirr [BBB] fürLand- und Forstwirtschaft. Der parteilose Heinrich von Frauendorfer übernimmt dasVerkehrsministerium.

Nun müssen nur noch die betroffenen politischen Parteien ihren Mitgliedern die Annahme desMinisteramtesgestatten.

Seite 272/362 3. März 1919 Berlin * Enttäuscht über die politische Entwicklung der Revolution von 1918/19, weiten Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands - KPD einen Generalstreik zu einem bewaffneten Aufstand aus. Ihre Ziele sind dieselben wie beim Spartakusaufstand im Januar 1919:

Sturz der Reichsregierung, Anerkennung der Arbeiter- und Soldatenräte und Errichtung einer Räterepublik nach sowjetrussischem Vorbild.

Zentrum der bürgerkriegsartigen Kämpfe ist die Innenstadt mit dem Berliner Polizeipräsidium am Alexanderplatz sowie Lichtenberg.

5. März 1919 Berlin * Am Nachmittag beginnt die Schlacht am Alexanderplatz. Sie dauert bis zum 6. März. Es geht bei diesem Feuergefecht um das Polizeipräsidium. Über die genauen Hintergründe der Auseinandersetzung gibt es verschiedene, vollkommen unterschiedliche Aussagen.

Tatsache ist, dass drei bewaffnete Truppen in der Nähe des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz aufeinander treffen:

die Regierungstruppen unter General Walther von Lüttwitz, die Republikanische Sicherheitswehr und die übrig gebliebenen Reste der Volksmarinedivision.

Die Schuld für den Ausbruch der Kämpfe wird in den Zeitungen - je nach politischer Couleur - der jeweils anderen Seite zugewiesen.

Die Schlacht endet, nachdem die regierungsnahen Truppen die Kontrolle über das Polizeipräsidium und dessen Umgebung übernehmen können. Dennoch müssen ein Toter und fünf Schwerverwundete hingenommen werden.

5. März 1919 Berlin - München * Eugen Leviné kommt im Auftrag der Berliner KPD-Zentrale nach München, um hier die Ortsgruppe zu reorganisieren und die Redaktion der Münchner Roten Fahnezu übernehmen. Ihm folgen in den nächsten Wochen weitere Parteimitglieder.

Zu Beginn seiner Münchner Zeit ist Leviné noch im Verborgenen tätig. Er wird zusammen mit Max Levien, dem bayerischen KPD-Vorsitzenden, zum führenden Kopf der Münchner Kommunisten während der Rätezeit. Eugen Leviné verweigert sich der Zusammenarbeit mit der SPD, die bislang als die schärfste Gegnerin der Kommunisten aufgetreten ist.

8. März 1919

Seite 273/362 Berlin * Für das liberale Berliner Tageblatt ist der März-Streik der "sinnloseste aller vergeblichen Streiks, die jemals in Berlin stattgefunden haben".

8. März 1919 Berlin * Das Zentrum der Gewalt verlagert sich in den Osten von Berlin. Ein regelrechter Kleinkrieg, mit "kleinen Putschen [?], Barrikadenkämpfen und Überfällen" beginnt. Die Kampfhandlungen dauern bis zum 12. März an.

9. März 1919 Weimar - Berlin * Reichswehrminister Gustav Noske reagiert umgehend auf den sogenannten "Lichtenberger Gefangenenmord" und erteilt einen Schießbefehl:

"Die zunehmende Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten zwingen mich zu befehlen: Jede Person, die im Kampf gegen die Regierungstruppen mit der Waffe in der Hand angetroffen wird, ist sofort zu erschießen".

Innerhalb von drei bis vier Tagen werden aufgrund des Befehls in Berlin mindestens 177, möglicherweise sogar über 200 Personen liquidiert.

Was zunächst nur für die Niederschlagung der Aufständischen der Berliner Märzkämpfe gilt, wird am 25. April schließlich auch im Freistaat Bayern umgesetzt. An diesem Tag wird das Standrecht eingeführt, das bis zum 1. August 1919 gilt.

13. März 1919 Berlin * Die Märzkämpfe enden mit der kampflosen Einnahme Lichtenbergs durch Regierungstruppen.

13. März 1919 Berlin * Harry Graf Kessel notiert in sein Tagebuch:

"Alle geistig und ethisch anständigen Menschen müssen einer so leichtsinnig und frech mit dem Leben ihrer Mitbürger spielenden Regierung den Rücken kehren. Die letzten acht Tage haben durch ihre Schuld, durch ihr leichtfertiges Lügen und Blutvergießen, einen in Jahrzehnten nicht wieder zu heilenden Riss in das deutsche Volk gebracht.Die Stimmung gegen sie heute Abend wechselt zwischen Abscheu und Verachtung".

16. März 1919 München-Maxvorstadt * Im Odeon findet eine Trauerfeier für Kurt Eisner statt. Der Schriftsteller Heinrich Mann und Minister Hans Unterleitner halten die Gedenkrede.

Heinrich Mann sagt: "Der verewigte Kurt Eisner wird beispielhaft in unserer Mitte weilen, seinen Tod überdauernd gewiss durch seine Taten, aber noch mehr durch das, was er war.

Wir danken ihm nicht einfach den Sturz eines verworfenen Regiments, sondern dass dieses Regiment, das selbst in seinen weniger schändlichen Zeiten nichts anderes gewesen war als geistlose Gewalt, unvermittelt und in sinnbildlicher Art abgelöst wurde von der Menschenart, die Geist will und Geist schafft".

Seite 274/362 Dann folgen die berühmten Worte des Schriftstellers: "Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernuft, mehr Bewegung der Geister gebracht, als die fünfzig Jahre vorher. Sein Glaube an die Kraft des Gedankens, sich in Wirklichkeit zu verwandeln, ergriff selbst Ungläubige.

In jeder Handlung sah er neben ihrer praktischen Wirkung ihr geistiges Gepräge. Achtstundentag, Demokratisierung des Heeres, eine befreite Schule, die wirtschaftliche Erfüllung der politischen Revolution: durch solche Taten dachte er, gleichwie in seinen Reden, die bis dahin verfemten Wahrheiten zu bezeugen. [?]

In Bern, auf der Sozialistentagung, hatte, solange er sprach, Deutschland keinen Feind mehr. [?]

Er ging aus einer Zeit des Wahnsinns und Verfalles mit ungebrochener Vernunft hervor. Er liebte die Menschen, traute ihnen die Kraft zur Wahrhaftigkeit zu und erwartete daher noch so viel von ihnen, dass er sich hütete, alles auf einmal zu verlangen. [?]

Der erste wahrhaft geistige Mensch an der Spitze eines deutschen Staates erschien jenen, die über die zusammengebrochene Macht nicht hinwegkamen, als Fremdling und als schlecht. Dass er am Quell der Macht doch lauter blieb, widerstrebte ihren Begriffen. Seine Güte, die um keinen Preis, nicht einmal um den seines eigenen Lebens, Blut vergießen wollte, ihnen war sie Schwäche. [?]

Bewahren wir sein unversehrtes Bild! Solange er da war, hatte die Revolution einen Sammelpunkt, in dem sie einig und ihrer frohen Zukunft gewiss war".

16. März 1919 München-Kreuzviertel * Der Rätekongressräumt auf Verlangen des Innenministers das Landtagsgebäude in der Prannerstraße, um Platz zu machen für den am nächsten Tag zusammentretenden Bayerischen Landtag.

Auch die rote Fahne am Dach wird entfernt.

18. März 1919 München-Kreuzviertel * Die neue bayerische Regierung wird bekannt gegeben:

Ministerpräsident Johannes Hoffmann [SPD] übernimmt das Ministerium des Äußerensowie das Ministerium für Unterricht und Kultus, Fritz Endres [SPD] wird Justizminister, [SPD] übernimmt das Ministerium des Inneren, Staatsrat von Merkel übernimmt in Vertretung das Finanzministerium, Heinrich Ritter von Frauendorfer [Parteilos] leitet das Verkehrsministerium, Hans Unterleitner [USPD] steht an der Spitze des Ministeriums für Soziale Fürsorge, Josef Simon [USPD] übernimmt das Ministerium für Handel und Gewerbe, Martin Steiner [Bayerischer Bauernbund] führt das Landwirtschaftsministeriumund Ernst Schneppenhorst [SPD]wird Minister für militärische Angelegenheiten.

Dem neuen Ministerrat werden besondere Vollmachten übertragen. Nach der Regierungserklärung des neu gewählten Ministerpräsidenten vertagt sich der Landtag wieder.

Seite 275/362 Ministerpräsident Johannes Hoffmann stellt in seiner Regierungserklärung fest, dass für ihn nur ein uneingeschränkter Parlamentarismus als Regierungsform in Frage kommt. Die Soldatenräte werden bald verschwinden, die Arbeiterräte zu Arbeiterkammern umgewandelt werden. Den Räten sollen allenfalls wirtschaftliche, keinesfalls aber politische Bedeutung zukommen. Hoffmann erteilt jeglichen bayerischen Partikularismus-Gedanken eine klare Absage: Denn:Bayern steht fest zum Reich.

Die Koalitionsregierung wird schon deshalb von Anfang an von der revolutionären Arbeiterschaft abgelehnt und kann auch im weiteren Verlauf kein Vertrauen gewinnen, weil sie sich gegen Zugeständnisse in der Rätefrage sperrt und von ihr auch keine ernsthafte Sozialsierungspolitik zu erwarten ist.

21. März 1919 München * Der Wiener Philosoph, Sozialdemokrat und Nationalökonom Otto Neurath stellt auf Betreiben des USPD-Ministers für Handel und Gewerbe, Josef Simon, dem bayerischen Ministerrat seine Sozialisierungspläne vor. Simon leitet damit den entscheidenden Schritt zur Umgestaltung der bayerischen Ökonomie ein, wie sie Ministerpräsident Johannes Hoffmann in seiner Regierungserklärung angekündigt hat.

Otto Neurath ist ein Verfechter der Planwirtschaft. Er will die gesamte gesellschaftliche Produktion in Bereiche einteilen, alles nach sozialistischen Grundsätzen erzeugen und verteilen, und so die Versorgung jedes einzelnen mit Wohnung, Nahrung, Kleidung, Bildung und Vergnügen gewährleisten. Die Bedarfsdeckung der Bevölkerung und nicht der Reingewinn der Unternehmen stehen im Vordergrund seiner Wirtschaftstheorie. "So wie man die Volkswirtschaft durch ein Hindenburg-Programm dem Kriege dienstbar machen konnte, müsste man sie auch dem Glück aller dienstbar machen können."

Otto Neurath erhält den Auftrag, seine Pläne im Sozialisierungsausschuss und im Landtag zu erklären.

22. März 1919 München * Der Schriftsteller Thomas Mann vertraut seinem Tagebuch an: "Fortschritte des Bolschewismus in Italien und Ungarn, deutlich als Folge der gottverlassenen Ententepolitik. Wiederholte deutsche Versicherungen, daß man einen unmöglichen Frieden nicht unterzeichnen werde. [?]

Meine Teilnahme wächst für das, was am Spartacismus, Kommunismus, Bolschewismus gesund, menschlich, national, anti-ententistisch, anti-politisch ist. Das Gerücht über meinen ?Anschluß an die U.S.P.? ist nicht sinnlos".

31. März 1919 München * Die Mehrheit des Ministerrats beschließt ein Statut, das den wesentlichen Forderungen des Philosophen und Nationalökonomen Otto Neuraths nachkommt. Diese zielen darauf ab, die gesamte Wirtschaft des Landes durch ein Zentralwirtschaftsamt zu lenken, das dem noch zu errichtenden Handelsministerium unterstehen soll.

Ziel ist es, mit Hilfe einer Universalstatistik einen Überblick über die vorhandenen Produktionsmittel, die Produktionsmöglichkeiten und den Produktionsbedarf zu gewinnen, der dann von einer Naturalrechnungszentrale für die Erstellung von Wirtschaftsplänen ausgewertet werden soll.

Seite 276/362 Eine Kompensationszentrale soll den unmittelbaren Warenaustausch mit dem Ausland regeln. Eine Rationalisierungszentrale die modernen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Frederick Taylor zur Anwendung bringen, für Normierung und Typisierung sorgen und insbesondere die Arbeits- und Berufsforschung fördern. Eine Kontrollzentrale solldie Auswirkungen der Sozialisierungsgesetzgebung auf die Wirtschaft dauernd überprüfen. Eine Aufklärungszentrale soll die Arbeit des Zentralwirtschaftsamtes dem Volk nahe bringen.

Ebenfalls noch am 31. März genehmigt der Ministerrat den Personaletat für das neue Amt. Zum Sitz des Amtes wird das Prinz-Carl-Palais bestimmt.

5. April 1919 München * Die Kommunistische Parteispricht sich gegen die vom Zentralratgeplante Ausrufung einer Räterepublikaus. Denn, so seine Begründung:

Die Proklamation ist entweder eine bewusste Provokation, um die Idee derRäterepublikzu diskreditieren, oder der Versuchbankrotter SPD-Führer, den Anschluss an die Massen zu gewinnen; die Massen sind nicht aufgeklärt, es gibt keinen eigenständigen bayerischen Weg der Revolution und die Kommunisten beanspruchen die Führung. Eswäre nur eineDiktatur des Zentralratesund eben nicht die von den Kommunisten angestrebteDiktatur des Proletariats.

5. April 1919 München * Ministerpräsident Johannes Hoffmann wird in der Sitzung des Ministerrats mit den Forderungen nach einer Räterepublik konfrontiert. Er verweigert sich dem Ansinnen entschieden.

Am Abend reist Hoffmann zur Landeskonferenz der SPD nach Nürnberg.

6. April 1919 München * "Der revolutionäre Zentralrat Baierns" veröffentlicht einen Aufruf "An das Volk in Baiern!" zur Gründung der Räterepublik. Darin heißt es:

"Die Entscheidung ist gefallen. Baiern ist Räterepublik. Das werktätige Volk ist Herr seines Geschickes. Die revolutionäre Arbeiterschaft und Bauernschaft Baierns, darunter auch alle unsere Brüder, die Soldaten sind, durch keine Parteigegensätze mehr getrennt, sind sich einig, dass von an jegliche Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende haben muss. Die Diktatur des Proletariats, die nun zur Tatsache geworden ist, bezweckt die Verwirklichung eines wahrhaft sozialistischen Gemeinwesens, in dem jeder arbeitende Mensch sich am öffentlichen Leben beteiligen soll, einer gerechten sozialistisch-kommunistischen Wirtschaft.

Der Landtag, das unfruchtbare Gebilde des überwundenen bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters, ist aufgelöst, das

Seite 277/362 von ihm eingesetzte Ministerium zurückgetreten. Von den Räten des arbeitenden Volkes bestellte, dem Volk verantwortliche Vertrauensmänner erhalten als Volksbeauftragte für bestimmte Arbeitsgebiete außerordentliche Vollmachten. Ihre Gehilfen werden bewährte Männer aus allen Richtungen des revolutionären Sozialismus und Kommunismus sein; die zahlreichen tüchtigen Kräfte des Beamtentums, zumal der unteren und mittleren Beamten, werden zur tatkräftigen Mitarbeit im neuen Baiern aufgefordert. Das System der Bürokratie aber wird unverzüglich ausgetilgt.

Die Presse wird sozialisiert.

Zum Schutz der baierische Räterepublik gegen reaktionäre Versuche von außen und von innen wird sofort eine rote Armee gebildet. Ein Revolutionsgericht wird jeden Anschlag gegen die Räterepublik sofort rücksichtslos ahnden. Die Baierische Räterepublik folgt dem Beispiel der russischen und ungarischen Völker. Sie nimmt sofort die brüderliche Verbindung mit diesen Völkern auf. Dagegen lehnt sie jedes Zusammenarbeiten mit der verächtlichen Regierung Ebert, Scheidemann, Noske, Erzberger ab, weil diese unter der Flagge einer sozialistischen Republik das imperialistisch-kapitalistisch-militaristische Geschäft des in Schmach zusammengebrochenen deutschen Kaiserreichs fortsetzt.

Sie ruft alle deutschen Brudervölker auf, den gleichen Weg zu gehen. Allen Proletariern, wo immer sie für Freiheit und Gerechtigkeit, wo immer sie für den revolutionären Sozialismus kämpfen, in Württemberg und im Ruhrgebiet, in der ganzen Welt, entbietet die Baierische Räterepublik ihre Grüße.

Zum Zeichen der freudigen Hoffnung auf eine glückliche Zukunft für die ganze Menschheit wird hiermit der 7. April zum Nationalfeiertag erklärt. Zum Zeichen des beginnenden Abschied vom fragwürdigen Zeitalter des Kapitalismus ruht am Montag, den 7. April1919, in ganz Baiern dieArbeit, soweit sie nicht für das Leben des werktätigen Volkes notwendig ist, worüber gleichzeitig nähere Bestimmungen ergehen.

Es lebe das freie Baiern! Es lebe die Räterepublik! Es lebe die Weltrevolution!"

7. April 1919 München * In der Räteregierung, also dem Rat der Volksbeauftragten,haben dieSchriftstellerErnst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam führende Funktionen. Ihre geringe politische Erfahrung betrachten sie nicht als Mangel, da sie den herrschenden Konventionen der Politik ja sowieso ablehnend gegenüberstehen. Deshalb wird die Erste Räterepublikhäufig auch abschätzend als Literatenrepublik bezeichnet.

Das oberste Gremium der Räterepublik ist der Revolutionäre Zentralrat. Er ist den Volksbeauftragten übergeordneten. Der Rat der Volksbeauftragten wird jedoch nie zusammentreten.

Oberster Repräsentant der Baierischen Räterepublik ist zunächst Ernst Niekisch, der aber bereits nach einem Tag den Vorsitz des Revolutionären Zentralrats niederlegt. Ernst Toller wird ab dem 9. April sein Nachfolger. Toller zählt zum linken Flügel der USPD und ist deren Vorsitzender in München. Das Amt des Volksbeauftragten für Finanzen übernimmt Silvio Gesell, Volksbeauftragter für Volksaufklärung wird der Anarchist Gustav Landauer. Volksbeauftragter für Äußeres wird Dr. Franz Lipp [USPD], Volksbeauftragter für Inneres wird Fritz Soldmann [USPD], Volksbeauftragter für Volkswohlfahrt, das ehemalige Ministerium für Soziale Fürsorge, wird August Hagemeister [USPD],

Seite 278/362 Volksbeauftragter für Justiz wird Konrad Kübler [BBB], Volksbeauftragter für Verkehr wird Gustav Paulukum [USPD], Volksbeauftragter für Land- und Forstwirtschaft wird der bisherige Minister Josef Steiner [BBB], Volksbeauftragter für Volkswirtschaft wird Edgar Jaffé [USPD], Volksbeauftragter für Militär wird Otto Killer [USPD]. Kommissar für das Ernährungswesen wird Johann Wutzlhofer [BBB] und Kommissar für das Wohnungswesen wird Dr. Arnold Wadler.

Max Levien wird von von Erich Mühsam für das Amt als Volksbeauftragter für Militär vorgeschlagen, doch dieser sagt ab, da die KPD die Mitarbeit in der Räterepublik ablehnt.

Damit wird weder die SPD noch die KPD bei der Ämterverteilung der Volksbeauftragten berücksichtigt.

Mitder Ausrufung der Räterepublik wird der alte Zentralrat für "erledigt" erklärt. Gustav Landauer teilt mit: "Der alte Zentralrat existiert nicht mehr". Auch der Aktionsausschuss existiert nicht mehr, was allerdings nirgends offiziell erwähnt wird.

Der Bayerische Landtag wird

als "unfruchtbares Gebilde des überwundenen bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters" für aufgelöst erklärt und die sofortige Gründung einer Roten Armee angekündigt.

7. April 1919 Nürnberg - München * Mit einer neu gegründeten Propagandaabteilung beginnt der publizistische Kampf gegen die Räteregierung in München. Ein Flugzeug wird angeschafft, das noch am Abend über München und dem Umland der Stadt Flugblätter mit folgendem Inhalt abwirft:

"Die Regierung des Freistaates Bayern ist nicht zurückgetreten. Sie hat ihren Sitz von München verlegt. Die Regierung ist und bleibt die einzige Inhaberin der Gewalt in Bayern und ist allein berechtigt, rechtswirksame Anordnungen zu erlassen und Befehle zu erteilen".

7. April 1919 München * Die Räterepublik Baiern wird nun mit "i" statt mit "y" geschrieben. Die neuen Machthaber wollen damit verhindern, dass auch in der äußeren Form des Freistaats nichts mehr an die wittelsbachische Monarchie erinnert.

Die Schreibweise "Bayern" ist durch König Ludwig I. am 20. Oktober 1825, nur zwei Tage nach seinem Regierungsantritt, in einer Rechtschreibreform eingeführt worden. Mit dem griechischen "y" im Landesnamen wollte er seine Verehrung für den griechischen Befreiungskampf ausdrücken.

Das USPD-Organ Neue Zeitung hält allerdings an der unveränderten Namensgebung des Landes fest.

Seite 279/362 7. April 1919 München * Der Freigeldtheoretiker Silvio Gesell trifft in München ein, wo er aufgrund des Vorschlags von Gustav Landauer zum Volksbeauftragten für Finanzen ernannt wird. Gesell hat sich in der Finanzwelt einen Namen gemacht, indem er die marode Wirtschaft Argentiniens saniert hatte.

Er will die Geldwirtschaft zugunsten des Warenaustausches zurückdrängen, er vertraut auf die Kraft des freien Marktes, er will die Attraktivität des Geldes als Anlagemittel senken, indem die Währung nicht länger eine feste Größe bildet, er will das Geld - wie die Ware - einem Wertverlust unterwerfen. Bankguthaben sollen keine Zinsen mehr abwerfen und dadurch ein Konsumanreiz geschaffen werden, der das Geld wieder dem Wirtschaftskreislauf zuführt. Er will, dass unproduktives Kapital keine Gewinne mehr erbringt.

7. April 1919 München * Der Volksbeauftragte für Äußeres, Dr. Franz Lipp, ein Stuttgarter Schriftsteller und Journalist, informiert die Regierungen von der Gründung der Räterepublik Baiern und übermittelt "brüderliche Grüße" nach Moskau.

Die lesenswerte Depesche lautet: "Proletariat Oberbayerns glücklich vereint. Sozialisten plus Unabhängige plus Kommunisten fest als Hammer zusammen geschlossen, mit Bauernbund einig. Klerikal uns wohlgesinnt. Liberales Bürgertum als Preußens Agent völlig entwaffnet.

Bamberg Sitz des Flüchtlings Hoffmann, der aus meinem Ministerium den Abtrittschlüssel mitgenommen hat.Die preußische Politik, deren Handlanger Hoffmann ist, geht dahin, uns von Norden, Berlin, Leipzig, Nürnberg abschneiden, auch von Frankfurt und vom Essener Kohlengebiet und uns gleichzeitig bei der Entente als Bluthunde und Plünderer zu verdächtigen, dabei triefen die haarigen Gorillahände Gustav Noskes von Blut.

Wir erhalten Kohle und wir erhalten Lebensmittel in reichlichen Mengen aus der Schweiz und aus Italien. Wir wollen den Frieden für immer. Immanuel Kant: Ewigen Frieden 1795 Thesen 2 bis 5. Preußen will den Waffenstillstand zur Vorbereitung des Rachekrieges".

7. April 1919 Würzburg * In Würzburg beginnt der Versuch der Räteherrschaft mit Belagerungszustand, Pressezensur und Generalstreik, die ein Abgesandter aus München am Nachmittag offiziell ausruft.

Die SPD reagiert sofort: Sie wendet sich dagegen und fordert ihre Mitglieder auf, "die volle Verantwortung denen [zu] überlassen, die der bisherigen Regierung eine geordnete Fortführung ihrer Geschäfte unmöglich machten".

Die Revolutionäre nehmen daraufhin Geiseln, eine rätefeindliche Einheitsfront, der auch die SPD angehört, ruft zum Bürgerstreik auf. Es kommt zu Kämpfen um Residenz und Hauptbahnhof mit mehr als 20 Toten.

8. April 1919

Seite 280/362 München * Um der seit Kriegsende immer schlimmer werdenden Wohnungsnot zu begegnen entschließt sich der Zentralrat unter Federführung von Dr. Arnold Wadler, dem Volkskommissar für das Wohnungswesen, zu drastischen Maßnahmen. Er ordnet die Beschlagnahme und Rationierung der Wohnräume in ganz Bayern an.

Alle freistehenden Wohnungen in ganz Bayern, darunter auch Schlösser von Adeligen, werden beschlagnahmt und an Wohnungssuchende vermietet. Der Wohnraum wird rationiert. Das bedeutet, dass Einzelpersonen nur ein Zimmer und eine Küche zusteht; Familien können einen Gemeinschaftsraum, eine Küche und für je zwei Kinder einen Schlafraum beanspruchen. Jedes freie Zimmer muss der Gemeinde oder den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten gemeldet werden. Werden Verwandte oder Freunde in überzählige Räume einquartiert, so muss das innerhalb von zwei Wochen geschehen. Nach dieser Frist werden die Räume durch die Gemeinde belegt. Kinderreiche werden gegenüber Kinderlosen bevorzugt, Verheiratete gegenüber Ledigen. Kann sich der Vermieter mit dem Mieter über den Mietpreis nicht einigen, so legt die Gemeinde die Miete fest. Eine private Wohnraumvermittlung ist ebenso streng verboten wie eine kommerzielle. Ein Verstoß gegen die Verordnung kann mit einer Geldstrafe von bis zu 100.000 Mark und einem Jahr Gefängnis geahndet werden.

8. April 1919 München * Die Arbeiter desMaffei-Werkeswerden bewaffnet. Damit beginnt die vomProvisorischen Revolutionären ZentralratangeordneteBewaffnung des Proletariats.

9. April 1919 München * Ernst Toller beginnt seine Tätigkeit als Vorsitzender des Revolutionären Zentralrats.

9. April 1919 München * In der Münchner Roten Fahne erscheint ein Artikel von Eugen Leviné, in dem er die Politik der Räteregierung scharf angreift:

"Alles wie sonst. In den Betrieben schuften und fronen die Proletarier nach wie vor zugunsten des Kapitals. In den Ämtern sitzen nach wie vor die [...] kgl. Wittelsbacher Beamten. An den Straßen die alten Hüter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit dem Schutzmannssäbel.

Kein bewaffneter Arbeiter zu erblicken. Keine roten Fahnen. Keine proletarische Besetzung in den Machtpositionen der Bourgeoisie. Noch liegen die Kapitale in den Safes der Banken. Noch klappern die Kuponscheren der Kriegsgewinnler und Dividendenjäger. Noch üben in den Gerichten die königlichen Landgerichtsräte Klassenjustiz. Alles wie sonst. Noch rattern die Rotationsmaschinen der kapitalistischen Presse und speien ihr Gift und ihre Galle, ihre Lügen und ihre Verdrehungen in die nach revolutionären Kampfworten begierige Menge. Alles wie sonst.

Nur an den Straßen von Wind und Regen zerfetzte Plakate: ?Nationalfeiertag!? steht darauf! Nationalfeiertag! Nicht proletarischer Feiertag. Nicht internationaler Feiertag. Von der Nation sprechen sie, der einigen Nation der Arbeiter und Kapitalisten. [...] Sie sitzen zusammen im Wittelsbacher Palais und dichten Dekrete. [...]

Räterepublik ohne Räte. Proletarische Diktatur ohne Proletariat. Volksbeauftragte ohne Auftrag des arbeitenden

Seite 281/362 Volkes. Ein Projekt der Roten Armee ohne Beihilfe des Proletariats, Sozialisierungsprojekte ohne wirkliches Eingreifen der Macht. Angebliche Siege ohne Kämpfe. Revolutionäre Phrasen ohne revolutionären Inhalt, revolutionäre Worte ohne revolutionäre Taten".

Um den 9. April 1919 München * Das Telegraphenamt leitet Dr. Franz Lipps Telegramme vom 7. und 8. April zwar weiter, doch die Kontrollbeamten informieren den RevolutionärenZentralrat vom Inhalt der Schreiben.

Die von Ernst Toller umgehend eingeleiteten Nachforschungen ergeben, dass sich Lipp schon mehrmals in psychiatrischer Behandlung befunden hatte. Toller schreibt: "Zweifellos, Lipp ist wahnsinnig geworden. Wir beschließen, ihn sofort in eine Heilanstalt zu überführen. Um Aufsehen in der Öffentlichkeit zu vermeiden, muss er freiwillig seinen Rücktritt erklären".

Dr. Lipp wird seinen Rücktritt mit den Worten: "Was tue ich nicht für die Revolution" unterschreiben. Damit ist die Fehlbesetzung mit dem psychisch kranken Außenminister, der den Anforderungen an sein Amt nicht gewachsen ist, schnell erledigt worden. Dennoch wird sich der Fehlgriff bei der Besetzung des Postens als schwerer Schlag für das Ansehen der Räterepublik erweisen.

10. April 1919 München * DerVerband sozialistischer Lehrer und Lehrerinnen Baiernsgibt folgende Erklärung ab:

"Die Räterepublik ist ausgerufen. Das Volk hat die Macht übernommen. Der Kapitalsmus wird vernichtet. Frei soll die Schule sein. Das Zerrbild des Armen, abhängigen Schulmeisters ist für immer vernichtet. Jetzt sind auch wir frei von Kirche und Juristerei. Helft mit am Siege der Räterepublik!"

10. April 1919 München * Der Revolutionäre Zentralrat gibt die Einsetzung von Revolutionstribunalen und deren Zusammensetzung bekannt.

Der Name erinnert an die blutige Zeit der Französischen Revolution, doch hier wird kein einziges Todesurteil gesprochen werden, im Gegenteil, die meisten Prozesse enden mit einem Freispruch.

Die höchste Strafe sind eineinhalb Jahre Gefängnis, die höchste Geldbuße beträgt 5.000 Mark. Die Revolutionstribunale bestehen aus vier Gerichten, die in Permanenz, also Tag und Nacht tagen. Jedes Gericht besteht aus sieben Richtern und einem Juristen als Beisitzer. Hinzu kommt ein Verteidiger, den der/die Angeklagte selbst wählen darf. Die Verhandlungen sind öffentlich, die Urteile werden sofort vollstreckt. Von den 28 Richtern gehören je fünf der SPD, der USPD, der KPD und dem Bauernbund an.Vier Richter sind Mitglieder des Revolutionären Arbeiterrats, vier weitere den parteilosen Anarchisten.

Seite 282/362 10. April 1919 München-Schwabing * Um 10 Uhr beginnt im Städtischen Wehramtan der Winzererstraße die Werbung für die Rote Armeeder Räterepublik Baiern.

Es melden sich zwar viele Freiwillige, dennoch ist fraglich, ob ein derart zusammen gewürfeltes und mangelhaft ausgerüstetes Heer, das nur wenige Offiziere aufweist, den gut organisierten Reichswehr- und Freikorpstruppen standhalten kann.

Jeder Angehörige der Roten Armeeerhält bei freier Verpflegung, Unterkunft und Kleidung eine Tageslöhnung von 7.- Mark. Verheiratete (Selbstverpfleger) erhalten zusätzlich 7,50 Mark. Eintretende Erwerbslose haben nach dem Austritt aus der Roten ArmeeAnspruch auf Arbeitslosenfürsorge.

10. April 1919 München * Die Schriftstellerin Magdalena Jerusalem, genannt Lena Christ, bittet den Zentralratsvorsitzenden Ernst Toller um finanzielle Unterstützung.

"Zurzeit habe ich fast 600 Mark Schulden und gar keine Einnahme. Ich muss alle Tage etwas von meinen sauer erworbenen Sachen verkaufen. Bitte unterstützen Sie mich durch eine einmalige größere Summe oder durch ein Monatsgeld, damit ich wieder aufschnaufen kann".

Sie endet ihr Schreiben mit dem Satz: "Ich bitte aber inständig, meine Bitte nicht in der Zeitung zu veröffentlichen!".

11. April 1919 München * Gustav Landauer, der Volksbeauftragte für Volksaufklärung, führt in der kurzen Zeit der (sozialistischen) Räterepublik Baiern einige Sozialreformen im Bildungsbereich ein.

Nachdem das Erziehungswesen durch die Regierung Eisner auf eine staatliche Grundlage gestellt worden war, führt Landauer folgende Neuerungen ein:

Die Einheitsschule für alle Schüler vom 7. bis zum 13. Lebensjahr, die Handwerksschulen für die praktische Ausbildung, die Mittelschulen für die weiterführende geistige Ausbildung. Die Abschaffung der Prügelstrafe, die Aufhebung des Zölibats für Lehrerinnen und die Wahl von Schulräten, in die Lehrer, Eltern und Schüler gewählt werden. Die Kirche spielt in diesem Erziehungskonzept keine Rolle mehr. Ein neues Hochschulprogramm für die zweitgrößte deutsche Universität in München wird entwickelt. Der Lehrkörper und die Studenten sollen auf rechtsextremistische Aktivitäten überprüft werden.

Seite 283/362 11. April 1919 München * Um 19 Uhr ordnet der Revolutionäre Zentralrat (Ernst Toller) die Entwaffnung der Bourgeoisie an. Die bürgerliche Bevölkerung muss innerhalb von 24 Stunden die in ihrem Besitz befindlichen Waffen abliefern.

Toller veranlasst auch die Entwaffnung der Polizei. Er befürchtet, dass die Beamten, die bereits im Königreich ihren Dienst verrichtet haben, sich bei einer Gegenrevolution auf die Seite der Putschisten stellen werden.

12. April 1919 Berlin - Bamberg * In einem drängenden Telegramm fordert Reichspräsident Friedrich Ebert vom bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann, dass "die Wiederherstellung des früheren Zustandes in Bayern baldigst erfolgt, zumal da nach neueren mir zugegangenen Nachrichten aus München man dort anfängt, sich an die Räteregierung zu gewöhnen.

Wenn die wirtschaftlichen Maßnahmen, welche Sie in Aussicht genommen haben, nicht in kürzester Zeit zum Ziel führen, erscheint mir als einzige Lösung militärisches Vorgehen. Dass je rascher und durchgreifender dieses erfolgt, um so weniger Widerstand und Blutvergießen zu erwarten ist, hat uns die Erfahrung an anderen Stellen gelehrt".

Damit ist das Schicksal der bayerischen Revolution besiegelt. Eine Niederschlagung nach dem Beispiel des Spartakus-Aufstandes in Berlin ist naheliegend.

Unter dem Druck aus Berlin gibt Bayerns Ministerpräsident Hoffmann nach. Nun wird auf Landesebene dasselbe Muster durchgespielt wie das auf Reichsebene bereits erprobte: Der Bund mit antirevolutionären, auch antidemokratischen rechten Kräften, um der Linken Herr zu werden.

Militärminister Ernst Schneppenhorst wird beauftragt, bayerische Freiwilligenverbände aufzustellen. Ministerpräsident Hoffmann bittet Berlin telefonisch um Verstärkungen. Die Reichstruppen dürfen in Bayern einmarschieren.

Auch das von dem bayerischen Oberst Franz Ritter von Epp im thüringischen Ohrdruf gebildete Freikorps wird gegen München in Marsch gesetzt. Während aus dem Westen württembergische Truppen anrücken, sammeln sich im Süden die Freikorps. Rund 30.000 Mann sind im Anmarsch, als sich der Ring um München schließt.

Für die Rote Armee wird der Kampf gegen die an Zahl, Ausrüstung und Professionalität überlegenen Weißen nicht mehr zu gewinnen sein.

12. April 1919 München * In der gleichen Nacht beginnt parallel daneben eineVerhaftungskommission des ZentralratsGeiseln aus der Münchner Bürgerschaft festzunehmen.

13. April 1919 München-Maxvorstadt - Ingolstadt * Die Republikanische Schutztruppe hat sich im Hauptbahnhof verschanzt. Ihr Anführer, Alfred Seyfferitz, wartet dort auf die versprochene Verstärkung aus Ingolstadt.

In Ingolstadt befindet sich zu diesem Zeitpunkt der Minister für militärische Angelegenheiten, Ernst

Seite 284/362 Schneppenhorst, der dort mit 600 Soldaten auf das Eintreffen der Nachricht aus München hofft, dass der erste Teil des Putsches erfolgreich abgelaufen ist, um dann die bayerische Landeshauptstadt einnehmen zu können.

Schneppenhorst wird die Nachricht jedoch nie erhalten, da sein Verbindungsmann am nördlichen Stadtrand von einer Patrouille der Roten Armee abgefangen werden wird.

14. April 1919 München * Nun beginnt der erste Versuch, auf deutschem Boden eine Diktatur des Proletariats zu errichten.

14. April 1919 München * Die Münchner Bürger müssen innerhalb von 12 Stunden jede Art von Waffen bei derStadtkommandanturabgeben.Im Weigerungsfall wird mit Erschießung gedroht.

Andererseits werden die Arbeiter von den neuen Machthabern bewaffnet.Die Bewaffnung erfolgt in den Betrieben.Die Arbeiter müssen die Waffen immer bei sich tragen.

14. April 1919 Berlin - Bamberg - München * Die Vergeltungsmaßnahmen gegen die bayerische Räterepublikkönnen beginnen.

ReichswehrministerGustav Noske übernimmt den Oberbefehl über die Aktion. GeneralleutnantErnst Friedrich Otto von Oven erhält den Oberbefehl über die Invasionstruppen. GeneralArnold Ritter von Möhl erhält den Titel Bayerischer Oberbefehlshaber, bleibt aber Statist ohne Befehlsgewalt.

15. April 1919 Dachau * 500 Weißgardisten - von Pfaffenhofen kommend - besetzen Dachau, um den Ring um München zu schließen. In der Stadt werden sie von Arbeiterinnen der Pulver- und Munitionsfabrik beschimpft und teilweise entwaffnet.

16. April 1919 München * Eugen Leviné spricht vor einer Vollversammlung der Räte zur Bewaffnung und der militärischen Organisation der Arbeiterschaft:

"Es nützt nichts, dass wir die Waffen haben und nicht auch gleichzeitig alle anderen Sicherungen treffen, um der Situation gewachsen zu sein. [?] Was wir jetzt durchleben ist nicht eine Periode des plötzlichen Umschwungs, sondern es beginnt jetzt ein schwerer Kampf, und deshalb müssen wir verlangen, dass alle Mann an Bord bleiben".

17. April 1919 München * An der Münchner Universität beginnen Ferienkurse für Proletarier.

Seite 285/362 Der national-konservative Josef Hofmiller schreibt dazu in sein Tagebuch: "Ein Plakat kündigt Ferienkurse für die Arbeiter in der Universität an mit den Worten: ?Arbeiter, bemächtigt euch der Kultur!?. Aber sie bemächtigen sich lieber der Schweinshaxen".

19. April 1919 München-Graggenau * Auf der Versammlung der Betriebsräte im Hofbräuhaus berichtet Ernst Toller von den Kämpfen in und um Dachau.

Er zeigt kein Verständnis für den Befehl des Münchner Generalstabs, die Truppen sofort zurückzuziehen. Nach Tollers Ansicht wäre es möglich gewesen, ohne Blutvergießen ganz Südbayern für die Räterepublik zu gewinnen.

19. April 1919 München* Karsamstag: Die Stadtverwaltung darf nach über fünftägiger zwangsweiser Stilllegung den Straßenbahnbetrieb wieder aufnehmen. Damit sollen Einnahmen sichergestellt werden.

20. April 1919 München - Budapest - Moskau - Wasserburg * Am Nachmittag fliegen Eugen Leviné, Wilhelm Reichart, derVolksbeauftragte für das Militärwesenund der Student Karl Petermeier, derAdjudantRudolf Egelhofers, mit Ziel Budapest und Moskau ab. Sie wollen dort Finanzmittel für dieRäterepublikbeschaffen.

Der Flug endet jedoch bereits in Wasserburg am Inn, wo der Pilot unter Vortäuschung eines Motordefekts notlandet.

22. April 1919 Augsburg * Augsburg kapituliert, nachdem sich die Arbeiter erbittert gewehrt haben. Dadurch können die Weißen Truppen den strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt einnehmen. Eine für die Eroberung Münchens wichtige Voraussetzung.

Alleine an diesem 22. April kommen zehn Regierungssoldaten und 34 Einwohner von Augsburg ums Leben, darunter vier Frauen und ein Kind. Die meisten sind unbeteiligte Zivilisten.

22. April 1919 München * Um 11 Uhr beginnt an diesem neunten und letzten Tag des Generalstreiks die "Demonstration des Proletariats" mit einer großen Truppenschau, die zugleich der Massenmobilisierung in München dient. Rund 12 bis 15.000 bewaffnete Angehörige der Roten Armee marschieren mit. Sie will so ihre Stärke darstellen.

Um 15 Uhr finden in den größten Münchner Sälen elf Massenversammlungen statt, auf denen Mitglieder des Vollzugsrats Reden halten.

Um 17 Uhr setzt sich ein großer Demonstrationszug in Bewegung, der von der Theresienwiese durch die Innenstadt bis zum Siegestor zieht und sich schließlich vor dem Wittelsbacher Palais auflöst.

23. April 1919

Seite 286/362 München * Der Revolutionäre Hochschulratordnet an, dass die Vorlesungen des Sommersemestersnicht vor dem 1. Juli beginnen.

27. April 1919 München-Graggenau * Anschließend bildetsicheine "Geschäftskommission der Betriebs- und Soldatenräte", der keine Kommunisten, sondern ausschließlich Mitglieder der USPD, darunter Ernst Toller und Gustav Klingenhöfer angehören. Gustav Landauer bietet diesem sofort seine Mitarbeit an.

Sie soll bis zur Wahl eines neuen Aktionsausschusses am nächsten Tag regieren. Damit beginnt die nur einen Tag andauernde "Diktatur der Betriebsräte".

28. April 1919 München-Graggenau * Noch vor der Wahl wird das Hofbräuhaus von Einheiten der Roten Armee umstellt. Diese fordern

die sofortige Beseitigung der Polizei und die Ausstattung des Oberkommandos der Roten Armee mit allen Vollmachten, "um den erfolgreichen Kampf gegen die Weiße Garde und besonders gegen die innere Reaktion führen zu können".

Aus der Diktatur der Betriebsräte ist eine Diktatur der Roten Armee geworden. Unter ihrem Oberkommandierenden Rudolf Egelhofer ist die Wahl des neuen Aktionsausschusses mehr oder weniger gegenstandslos geworden.

29. April 1919 Schleißheim * Im Jahr 1927 kommt das in insgesamt zehn Auflagen erschienene Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" auf den Markt. Darin beschreibt Manfred von Killinger seine stark antisemitisch geprägten Erinnerungen als Freikorpsführer der Marine-Brigade-Ehrhardt in der Zeit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Das Buch beginnt so:

"Von Saalfeld kommend, luden wir in Schleißheim aus. Das Vierte Regiment hatte bereits gesichert. Wir bekamen Befehle. München war umstellt. Diesmal würde es zu harten Kämpfen kommen. In München hatte die rote Brut das Heft fest in der Hand. Lewin [!] Leviné-Nissen, Mühsam usw., was waren das für Namen. Waren das Bayern? Jüdisches, internationales Gesindel, die Intellektuellen aus Schwabing.

Es musste ja so kommen. Dem Münchener Spießer geschah es schon recht. Jahrelang hatte er das Treiben in Schwabing mit angesehen, das Treiben, das im Simplicissimus seinen Niederschlag gefunden hatte. Jahrelang hatte er behäbig lachend mit angesehen, wie Kirche und Thron von diesen Kreisen in den Dreck gezogen wurden, und das als guten Witz aufgefasst. Jetzt zeigte ihm die Bestie das wahre Gesicht".

30. April 1919 München * Vom 7. November 1918 bis zum 30. April 1919 sind in München bei inneren Unruhen 46 Menschen zu Tode gekommen.

Seite 287/362 30. April 1919 München - Bamberg * Der neue Aktionsausschusswendet sich an Ministerpräsident Johannes Hoffmann und erklärt sich bereit, die Waffen niederzulegen.Voraussetzung ist, dass die Weißen Truppendie Stadt nicht betreten werden.

Ministerpräsident Hoffmann lehnt das Ansinnen mit den Worten ab:"Bedingung ist unannehmbar.Legt die Waffen nieder, jeder Widerstand ist nutzlos".

Nach dem Mai 1919 München-Obergiesing * Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges ist die Vereinsarbeit des TSV München-Ostauf dem Tiefpunkt angelangt. "Als die Kriegs- und Revolutionswirren vorüber waren, zählte man zweihundert Mitglieder und betrauerte 49 gefallene Sportkameraden", heißt es in einer Vereinschronik.

Außerdem kann der Turnsaal im Schleibinger-Bräunicht mehr benutzt werden, da dort seit dem Jahr 1917 ein Malzwerk für die Cenovis-Werkeeingerichtet worden ist. Damit beginnt erneut eine Wanderschaft durch die Schulturnsäle und die Nebenzimmer großer Münchner Wirtshäuser.

1. Mai 1919 München * Major a.D. Karl Deuringer: "Über den wahren Gewinn einer Großstadt entscheidet im Bürgerkrieg nicht der Besitz des Stadtkerns, sondern die vollkommene Säuberung und Sicherung der Vorstädte".

1. Mai 1919 München-Haidhausen * Um 12:45 Uhr marschiert eine Kompanie der "Abteilung Scharff" zum Maximilianeum und von dort durch die Maximilianstraße weiter in Richtung Innenstadt.

Die "Abteilung Scharff" wird sich am Abend wieder zurückziehen und in den Gasteig-Anlagen biwakieren.

1. Mai 1919 Rosenheim * In Rosenheim beginnt die Rückeroberung der oberbayerischen Stadt durch Freikorps.

1. Mai 1919 München * In Manfred von Killingers Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" rühmt er seinen verächtlichen Umgang mit den Roten und besonders mit linken Frauen:

"Ein Weibsbild wird mir vorgeführt. Das typische Schwabinger Malweibchen. Kurzes, strähniges Haar, verlotterter Anzug, freches, sinnliches Gesicht, wüste Augenringe. ?Was ist mit der los?? Da geifert sie los: ?Ich bin Bolschewikin! Ihr feige Bande, Fürstenknechte, Speichellecker! Anspucken sollte man euch! Hoch Moskau!? und dabei spuckt sie einen Unteroffizier ins Gesicht. ?Fahrerpeitsche! Dann laufen lassen?, sagte ich kurz. Zwei Mann packen sie. Sie will beißen. Eine Maulschelle bringt sie zur Räson. Im Hof wird sie über die Wagendeichsel gelegt und so lange mit Fahrerpeitschen bearbeitet, bis kein weißer Fleck mehr auf ihrer Rückseite war.

Seite 288/362 ?Die spuckt keinen Brigadier mehr an. Jetzt wird sie erst mal drei Wochen auf dem Bauche liegen?, sagt Feldwebel Herrmann".

1. Mai 1919 München * Nach Bekanntwerden der voreiligen und unabgestimmten Kampfmaßnahmen ergeht vom leitenden Offizierskorps ein sofortiger Rückzugsbefehl. Einige Befehlshaber ignorieren diesen Befehl jedoch. Dass es einigen relativ kleinen Einheiten gelingt, ohne größere Verluste bis in den Stadtkern vorzudringen, ist nur der Beweis für das Nichtvorhandensein einer schlagkräftigen Gegenwehr.

Bis zum Abend müssen sich die regierungstreuen Weißen Truppen dennoch wieder aus der Innenstadt zurückziehen oder sie verschanzen sich in der Residenz. Auch den Hauptbahnhof müssen sie wieder an die Rote Armee und die Arbeiterwehr übergeben.

Bei den Angehörigen der Roten Armee und der Arbeiterwehr entsteht andererseits der Eindruck, dass die Weißen durchaus besiegbar sind. Sie wissen freilich nicht, dass sie nur gegen einige befehlswidrig vorgerückte Einzelgruppen gekämpft haben und ihnen nicht die eigentliche Streitmacht gegenübersteht.

1. Mai 1919 München * Obwohl der Einmarsch der Weißen Truppen in München erst für den nächsten Tag, pünktlich zur Mittagsstunde vorgesehen ist, kommt es bereits am 1. Mai in der Innenstadt zu Schießereien, Kämpfen und Verwüstungen. Wie, wann und wo sich die kriegsähnlichen Auseinandersetzungen entzünden, lässt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Die Regierungstruppen werden auf ihrem Weg in den Stadtkern jedenfalls nicht von den Roten angegriffen oder aufgehalten.

Hinterher wird gerne behauptet, die Freikorpstruppen hätten sich aufgrund der durchsickernden Informationen über den Geiselmord nicht mehr zurückhalten lassen und wären auf eigene Faust losgestürmt. Doch das ist nur eine nachträgliche Entschuldigung für eine nicht zu entschuldigende Disziplinlosigkeit auf Seiten der Weißen Truppen.

2. Mai 1919 München-Kreuzviertel * Im Polizeipräsidium an der Ettstraße beginnen die Aufräumarbeiten. Es dauert Wochen, bis die 800.000 zum Teil verbrannten Akten von den Beamten auf verwendbare Schriftstücke hin sortiert sind.

3. Mai 1919 München-Graggenau * Der im Keller der Residenz inhaftierte Rudolf Egelhofer wird in aller Frühe zum Verhör geholt. Wenig später wird er mit einem Kopfschuss getötet. Da der Exekution keine Gerichtsverhandlung vorausgeht, handelt es sich bei der Erschießung Rudolf Egelhofers um vorsätzlichen Mord.

Ernst Toller schreibt später in seinen Erinnerungen: "Egelhofers Gegner nannten ihn einen Bluthund, in Wahrheit war er ein sensibler Mensch, den erst das Erlebnis der Kieler Matrosenaufstände hart und mitleidlos gemacht hat".

3. Mai 1919 München * Die SPD lässt folgende Erklärung in den Münchner Zeitungen veröffentlichen:

Seite 289/362 "Jene wahnwitzige Politik des Terrors und der Gewalt, die München in Gegensatz stellte zum ganzen Land, die den Bürgerkrieg in Bayern entbrennen ließ, hat das schlimme Ende gefunden, das vorauszusehen war. [...]

Die Truppen der sozialistischen Regierung Hoffmann kommen nicht als Feinde der Arbeiterschaft, nicht als ?Weiße Garde?, sondern als Schützer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, ohne die ein Neuaufbau im sozialistischen Sinne nicht möglich ist. Arbeiter, helft den Soldaten bei ihrer schweren Aufgabe!".

3. Mai 1919 München * Jetzt beginnt "die Reinigung von dem roten Gesindel", wie es eine Zeitung formuliert. Nicht Befreiung, sondern Terror einer grausamen Soldateska müssen die Münchner in den nächsten Tagen erleben. Willkürliche Erschießungen, furchtbare Folterungen und Morde werden begangen.

Oskar Maria Graf schreibt: "Überall zogen lange Reihen verhafteter, zerschundener, blutig geschlagener Arbeiter mit hochgehaltenen Armen. Seitlich, hinten und vorne marschierten Soldaten, brüllten, wenn ein erlahmter Arm niedersinken wollte, stießen mit Gewehrkolben in die Rippen, schlugen mit Fäusten auf die Zitternden ein. [...] Das sind alle meine Brüder, dachte ich zerknirscht. [...] Sie sind alle Hunde gewesen wie ich, haben ihr Leben lang kuschen und sich ducken müssen, und jetzt, weil sie beißen wollten, schlägt man sie tot. [...] Tage hindurch hörte man nichts mehr als Verhaftungen und Erschießungen. [...] Die Räterepublik war zu Ende. Die Revolution war besiegt. Das Standgericht arbeitete emsig".

6. Mai 1919 München-Maxvorstadt * Etwa dreißig Mit•glieder des Katholischen Gesellenvereins Sankt-Joseph treffen sich in ihrem Vereinslokal, dem Maxkasino, in der Augustenstraße 41. Dem preußischen Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment war zuvor von einem Denunzianten mitgeteilt worden, dass dort am Abend eine Versammlung von Rotarmisten stattfindet.

Noch während sich im Kasino die Vereinsmitglieder unterhalten, wird das "Spartakistennest" von Regierungssoldaten beobachtet und 25 Teilnehmer sowie der Wirt kurz vor 21 Uhr verhaftet.

Die Möglichkeit, gegenüber den Soldaten das Miss•verständnis aufzuklären und sich zu legitimieren, wird von diesen gewaltsam un­terbunden. Erste Gewehrkolbenhiebe gegen die Arretierten und Zurechtweisungen sind die Folge. Mit dem Abmarsch zum Quartier des Alexander-Regiments beginnt der weitere Leidensweg für die Gefangenen, denn bald geht die Begleit•mannschaft dazu über, die angeblichen Spartakisten nicht nur zu beschimpfen, sondern auch mit Pistolen und Gewehren auf sie einzuschlagen.

Nun werden die 26 katholischen Gefangenen in das Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5 gebracht. Im Hof beginnt das eigentliche Massaker. Sechs der Gesellen werden im hinteren Teil des Hofes gegen das Tor eines Schuppens gestoßen. Dann eröffnen die Soldaten mit Gewehren und Pistolen das Feuer, bis alle sechs tot sind. Die verbliebenen zwanzig Kolpinggesellen werden zum Eingang des Kellers geführt. Dort erwischt es einen siebten Gefangenen. Er wird auf den Boden geworfen und mit einem gezielten Pistolenschuss ermordet.

Die Übrigen werden jetzt zur Zielscheibe sadistischer Spiele ihrer Peiniger. Man stößt sie mit Flüchen und Beschimpfungen die Treppe zum Keller hinunter. Dort müssen sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Dann beginnen die Erschießungen. Auf grauenhafte Weise werden 14 Kolpinggesellen ermordet. Wer nicht durch die Schüsse stirbt, wird mit dem Bajonett erstochen. Manche Gefangene stellen sich tot oder sind

Seite 290/362 bewusstlos.

Nur durch das Eingreifen eines hohen Offiziers wird das Morden beendet. Nach dem Massaker werden 21 Tote in das Pathologische Institut gebracht. Unter den Erschossenen befinden sich zwei Brüderpaare, bei zwei weiteren wird jeweils einer getötet. Zwei Schwerverletzte werden in das Reservelazarett an der Zollstraße eingeliefert. Drei Opfer brauchen keine Krankenhausbehandlung.

Alle Ermordeten sind eingeschriebene Mitglieder der konservativen Bayerischen Volkspartei - BVP. Der Fall wird deshalb vor Gericht ausführlich untersucht. Man ist jedochvon Regierungsseite geneigt, nichts mehr über den Vorfall an die Presse zu geben. Die Folge davon ist, dass die von den Militärbehörden erstellten unwahren Berichte überall, auch im Ausland, Verbreitung finden.

Ansonsten achten die Zensurbehörden streng darauf, dass keine publikumswirksame Veröffentlichung über das blutige Geschehen unter die Leute kommen können. So wird beispielsweise die Sondernummer der Süddeutschen Illustrierten Kriminal-Zeitung vom November 1919, die darüber berichtet, sofort nach ihrem Erscheinen beschlagnahmt.

7. Mai 1919 Versailles * Im Trianon-Palast-Hotel in Versailles wird dem deutschen Bevollmächtigten der Entwurf der Friedensbedingungen überreicht. Deutschland kann innerhalb von 14 Tagen schriftliche Bemerkungen dazu abgeben. Eine mündliche Aussprache soll nicht stattfinden.

8. Mai 1919 München * Das Freikorps Werdenfelspräsentiert sich der Bevölkerung bei einem Marsch durch die Münchner Innenstadt.

8. Mai 1919 München * Erst jetzt enden die Kämpfe in München.

Die Zahl der Opfer wird offiziell mit 557 Menschen angegeben. 145 sind in militärischen Auseinandersetzungen gefallen, 186 hat man standrechtlicherschossen und 226 werden noch nach der Einnahme der Landeshauptstadt ermordet.

Neueste Schätzungen gehen allerdings von bis zu 1.200 Opfern aus.

10. Mai 1919 Bamberg - München * Ministerpräsident Johannes Hoffmann gibt eine öffentliche Erklärung ab. Darin bringt er zum Ausdruck: "Schrecklich ist der Krieg, am schrecklichsten der Bürgerkrieg. Entsetzliche Bluttaten sind in München geschehen, Verbrechen auf beiden Seiten. Das unschuldig vergossene Blut der grausam ermordeten Geiseln schreit zum Himmel. Die Kunde von der Erschießung der 21 friedlichen Bürger durch wahnsinnig erregte Soldaten erfüllte uns mit tiefstem Entsetzen."

Seite 291/362 Im gleichen Atemzug verteidigt Hoffmann die Rückendeckung seiner Regierung für die Regierungstruppen mit der Behauptung, man habe monatelang Geduld walten lassen und damit nichts erreicht, als den "blutigen Taten einer Diktatur der Gewalt" Tür und Tor zu öffnen. Auf den "Terror des Kommunismus und der Roten Armee" kann man nur mit Kampf und nicht mit Verständigung antworten.

12. Mai 1919 München * Einstellungsbeginn für die Münchner Einwohnerwehr.

2. Juni 1919 München-Au * Vor dem Standgericht in der Au beginnt der Prozess gegen den Kommunistenführer Eugen Leviné. In seiner Verteidigungsrede sagt er: "Wir Kommunisten sind Tote auf Urlaub, dessen bin ich mir bewusst. Ich weiß nicht, ob Sie mir meinen Urlaubsschein noch verlängern werden, oder ob ich einrücken muss zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ich sehe auf jeden Fall Ihrem Spruch mit Gefasstheit und mit einer inneren Heiterkeit entgegen. Die Ereignisse sind nicht aufzuhalten.

Die Staatsanwaltschaft glaubt, die Führer hätten die Massen aufgepeitscht. Wie die Führer die Fehler der Massen nicht hintertreiben konnten unter der Scheinräterepublik, so wird auch das Verschwinden des einen oder des anderen Führers unter keinen Umständen die Bewegung hindern. Und über kurz oder lang werden in diesem Raume andere Richter tagen, und dann wird der wegen Hochverrats bestraft werden, der sich gegen die Diktatur des Proletariats vergangen hat."

16. Juni 1919 Bamberg * Der Verfassungsausschuss beginnt im Spiegelsaal der Bamberger Harmonie mit seinen Beratungen. In 21 Sitzungen berät er den vorliegenden Verfassungsentwurf bis zum 11. August.

12. Juli 1919 München-Au * Der Prozess gegen Ernst Toller beginnt vor dem Standgericht in der Au.

16. Juli 1919 München * Erich Mühsam wird zu fünfzehn Jahre Festungshaft verurteilt.

Im Urteil heißt es: "Mühsam hat sich durch seine Tätigkeit bei Aufmachung der ersten Räterepublik als das treibende Element erwiesen. [?] Bei Mühsam ist nicht festgestellt worden, dass seine Handlungsweise aus ehrloser Gesinnung entsprungen ist; so werden ihm auch mildernde Umstände zugebilligt; denn er hat zeitlebens in ehrlicher Überzeugung, wenn auch mit einem an psychopathischen Zustand grenzenden Fanatismus, die Durchführung seiner Ideen verfochten hat.

Die Beweiserhebung aber hat ergeben, dass Mühsam während der ganzen Revolutionszeit einen höchst verderblichen Einfluss auf die an sich erregten Massen in skrupelloser Weise ausgeübt hat. Die Verhängung der Höchststrafe ist daher geboten".

Man unterstellt Toller jedoch eine ehrenhafte Gesinnung, was ihm - anders als Eugen Leviné - letztlich das Leben rettet. Er wird zunächst nach Eichstätt überführt.

Seite 292/362 11. August 1919 Weimar * Erst in der demokratischen Weimarer Republikdarf die Lehrerin vom Hochzeitsmahl wieder an die Schultafel zurückkehren.DasZölibat für Beamtinnenwird durch dieWeimarer Verfassungaufgehoben.

1. September 1919 München-Au * Der erste Geiselmordprozessvor dem Volksgericht Münchenbeginnt. Er wird bis zum 18. September andauern. Es geht um den Mord an zehn Geiseln am 30. April im Hof des Luitpold-Gymnasiums. Von den 16 Angeklagten werden sechs zum Tode verurteilt. Sieben Angeklagte werden zu 15 Jahre Zuchthausverurteilt.

30. September 1919 München * Aus dem Verlag Franz Eher Nachfolger wird die Franz Eher Nachfolger GmbH. Gesellschafterinnen sind nun Käthe Bierbaumer, die Freundin von Rudolf von Sebottendorff, und Sebottendorffs Schwester Dora Kunze.

1. Oktober 1919 München-Bogenhausen * Der erste Hortleiterinnenkursinnerhalb der Städtischen Frauenschulewird abgehalten.

13. Oktober 1919 München * Der zweite Geiselmordprozessvor dem Volksgericht Münchenbeginnt. Er dauert zwei Tage. Ein Angeklagter wird zum Tode verurteilt. Vier Angeklagte erhalten Zuchthausstrafenvon jeweils 15 Jahren.

25. November 1919 München * Der Reiseunternehmer Ludwig Siemer gründet den Volksbund für Kunst und Theater, aus dem später die Theatergemeinde Münchenhervorgehen wird.

Siemer steht der katholischen Bewegung nahe und betrachtet die politische Linke als Gegner. Deshalb will er den sozialistischen Kräften auf dem Feld der Kultur etwas entgegensetzen. Er gründet eine Organisation für Schauspielfreunde, die "die Kunst im Theater und auf allen Gebieten der Kunst im Sinne volkstümlich-deutscher Kultur und christlicher Lebensauffassung fördern" will.

15. Dezember 1919 München * Das Volksgericht Münchenverurteilt Alois Lindner zu einer Zuchthausstrafe von 14 Jahren. Er hatam 21. Februar 1919 bei einem Attentat im Bayerischen Landtag

den InnenministerErhard Auer [SPD] durch Pistolenschüsse schwer verletzt. In den Auseinandersetzungen wird derBVP-AbgeordneteHeinrich Osel und Major Paul Ritter von Jahreiß getötet.

Für die Dauer von fünf Jahren erkennt man ihm wegen niederer Gesinnungdie bürgerlichen Ehrenrechteab.

Seite 293/362 1920 München * Das Bayerische Volksschulgesetzführt die Unvereinbarkeit zwischen Ehe und Lehrberuf,also das Zölibat für Lehrerinnen, wieder ein.

1920 Wien * Eduard Pichl, studierter "Chemiker" und "Hofrat" in Wien, der "Vater der Bergwarte" und Schwärmer für ein "germanisches Christentum", gibt seinen Beruf auf, um sich fortan als hauptamtlicher Funktionär des "Deutschen und österreichischen Alpenvereins" der "völkischen Propaganda" zu widmen.

Innerhalb kürzester Zeit gewinnen seine Sympathisanten die Oberhand in 45 "Sektionen", die sich als "Deutsch-Völkischer Bund im DuOeAV" zusammenschließen und mit ihrer Mehrheit Abstimmungsprozesse an den Vollversammlungen vorbei in ihnen genehme Ausschüsse umleiten.

8. Januar 1920 München-Kreuzviertel * Im Konzertsaal des Hotels Bayerischer Hof findet die offizielle Gründungsfeier des Volksbundes für Kunst und Theater statt. Der antisemitisch gesinnte Komponist Hans Pfitzner spielt Klavier. Die Initiatoren des Verbandes rufen auf

zum Aufbau eines neuen Deutschlands und beschwört die Wiedererweckung geistiger Werte in einer Zeit materialistischer Kultur, die Volksseele muss veredelt werden "für eine neue größere Zukunft".

Alles Schlagworte aus dem Repertoire völkischer Ideologen, die sich gegen die künstlerische Moderne und die Weimarer Demokratie richten. Damit will der Volksbund "alle christlichen Volksteile Münchens" erreichen, um sie letztlich "von der Diktatur des Cliquenwesens und der Tagesmode" zu befreien.

15. Januar 1920 München * Aufgrund seiner Schussverletzungen beginnt der Prozess gegen Graf Anton von Arco auf Valley erst jetzt im Münchner Justizpalast. Der GerichtspsychiaterProfessor Rüdin beschreibt Arco als "eine intellektuell mäßige, gerade noch durchschnittliche Begabung, eine unreife, ungefestigte Persönlichkeit, die zu impulsivem Handeln neigt".

16. Januar 1920 München * Da sich die Richter und der Verteidiger über die Wertung der Tat im Grunde einig sind, ergeht das Urteil gegen Graf Anton von Arco auf Valley bereits um 16.08 Uhr. Es wird vom LandgerichtsdirektorGeorg Neithardt gesprochen und lautet:

"[...] wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode und in die Kosten verurteilt." Es lässt sich einfach nicht umgehen anzuführen: "Der Angeklagte führte die Tötung nach einem wohlbedachten Plan mit Überlegung aus."

Seite 294/362 Die Justiz öffnet sich aber gleich selbst die Tür für ihr weiteres Vorgehen.Am Ende des Urteils stehen die bemerkenswerten Zeilen:"Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise des jungen, politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühenden Liebe zu seinem Volke und seinem Vaterland entsprang und ein Ausfluss seines Draufgängertums und der in weiten Volkskreisen herrschenden Empörung gegen Eisner war, weil ferner der Angeklagte seine Tat in allen ihren Einzelheiten ohne jeden Versuch der Beschönigung oder Verschleierung mit offenem, edlem Mute in achtungsgebietender Weise als aufrechte Persönlichkeit eingestand."

Graf Arco nimmt sein Todesurteil mit vollkommener Ruhe zur Kenntnis und ruft in seinem Schlusswort die Zuhörer zum Aufbau einer nationalen Zukunft auf. Stürmischer Beifall erhebt sich im Sitzungssaal.

2. Februar 1920 München * Erst ab jetzt hat die Deutsche Arbeiterpartei - DAP nummerierte Mitgliederlisten. Hitler erhält die Nummer 555, wobei man aus propagandistischen Gründen mit 501 zu zählen anfängt. Der auf Militärkosten ausgebildete Propagandamann ist innerhalb kürzester Zeit zum Parteifunktionär und Politiker geworden.

16. März 1920 München * Nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch wird der evangelische Monarchist zum Nachfolger von Johannes Hoffmann zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt.

Kahr steht einer bürgerlichen Rechtsregierung vor und betreibt eine eigenständige Stellung Bayerns innerhalb des Deutschen Reiches. Gestützt auf seine Einwohnerwehr lässt er die Arbeiter- und Soldatenräte auflösen und begründet den Ruf Bayerns als "Ordnungszelle des Reiches".

12. Juni 1920 München * Der dritte Geiselmordprozessbeginnt. Das Volksgerichtverhängt ein Todesurteil, das zwei Tage später vollstreckt wird.

14. September 1920 München-Theresienwiese * Der RechtsratMax Heiglmayer stellt im Stadtrat den Antrag, "dass die auf der Wiesn zugelassenen Schnapsschenken wegen der zahlreichen Fälle sinnloser Betrunkenheit, wodurch die Anwohner der Wiesn belästigt wurden, geschlossen werden".

Dezember 1920 Berlin * Die Einstellungsvorschriften für Frauen im "Fernsprechdienst" bezogen auf die Körpergröße wird geändert:

Seither können Bewerberinnen noch als geeignet angesehen werden,

"wenn ihre Sitzhöhe, d.i. die Entfernung vom Scheitel der sitzenden Person bis zur Stuhlfläche, 81 Zentimeter und ihre Armspannweite, das ist das Maß zwischen den Spitzen der Mittelfinger bei ausgestreckten Armen, 152 Zentimeter betragen.

Seite 295/362 Ein Weniger an Sitzhöhe kann durch ein Mehr an Armspannweite oder umgekehrt ausgeglichen werden, beide zusammen müssen aber mindestens 233 Zentimeter ausmachen".

1921 Berlin - München * Das Reichsgerichterklärt den bayerischen Alleingang der Unvereinbarkeit zwischen Ehe und Lehrberuf, also das Zölibat für Lehrerinnen, für verfassungswidrig und beendet.

Trotzdem kommt es in Bayern immer wieder zu Entlassungen verheirateter Frauen.Selbst Dienstwohnungen I. Ordnungkönnen Lehrerinnen nicht erhalten, da sie den männlichen Lehramtsinhabern vorbehalten sind.

2. Oktober 1921 München-Theresienwiese * Der Beginn des ersten Nachkriegs-Oktoberfesteswird auf den ersten Sonntag im Oktober festgelegt.

1922 München * Der "Lustige Führer durch München" bezeichnet die "Herbergen" als "Ein- und Zweifamilienhäuser mit mehr lebendem als totem Inventar.

Der Haustürschlüssel wird in der Dachrinne aufbewahrt. Viel Kleintier- und Kleinkinderzucht".

1. Mai 1922 München-Obergiesing * Das Denkmal für die "Toten der Revolution - 1919" im Ostfriedhof wird feierlich enthüllt.

Auf der Vorderseite trägt es die Inschrift: "Den Toten der Revolution - 1919", auf der nach Osten gerichteten Fläche stehen die Worte: "Zum Gedenken an Kurt Eisner 1867-1919". In der nach Westen orientierten Seite ist ein Vers von Ernst Tollereingemeißelt: "Wer die Pfade bereitet, stirbt auf der Schwelle. Doch es neigt sich vor ihm in Ehrfurcht der Tod".

Eine Bronzeplakette am Sockel erinnerte an Kurt Eisner, dessen Urne man in dem würfelförmigen Denkmal beigesetzt hat.

30. August 1922 München * Der Präsident des Katholikentages, der damalige Kölner OberbürgermeisterKonrad Adenauer, widerspricht KardinalMichael von Faulhaber zwar erst drei Tage später, verwahrt sich aber immerhin öffentlich gegen diese Aussagen:"Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht. [...]Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände".

Denn, so Adenauer weiter: "Wenn im Herbste der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm bloß

Seite 296/362 der Anstoß, denn die Bäume und Äste waren alt, denn wären sie nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm überdauert."Und der Rheinländer setzte noch einen drauf, als er sagte: "Wie ich an das Walten einer Gerechtigkeit glaube, so glaube ich auch daran, daß etwas, was gut und stark ist, nicht untergehen kann".

Jetzt wird KardinalFaulhaber richtig zornig."Herr Oberbürgermeister", herrscht der Münchner Erzbischofden späteren Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlandwie einen Schuljungen an:"Sie haben unserem König nicht die schuldige Achtung erwiesen".

In einer Denkschrift hält Konrad Adenauer die Gefährlichkeit der Haltung und Auffassung des Kardinalsin aller Deutlichkeit fest:"Die Haltung des Kardinals Faulhaber ist unverträglich mit den Interessen des deutschen Katholizismus.Er muß entweder eine grundsätzliche Schwenkung einnehmen oder dazu angehalten werden, sich jeder politischen Betätigung auf das Strikteste zu enthalten".

1923 Berlin * Mit der "Personalabbauverordnung" wird das "Zölibat für Beamtinnen" wieder eingeführt.

Dort heißt es: "Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer [...] kann jederzeit gekündigt werden. [...] Dies gilt auch bei lebenslänglicher Anstellung".

Gleichzeitig wirdeine "Heiratsprämie", eine Abfindungssumme im Falle der Eheschließung, eingeführt. Die Beamtinnen verlieren nicht nur ihre Arbeit, sondern auch jeglichen Anspruch auf Pension.

1923 Untergiesing * Im "Inflationsjahr" 1923 kaufte die Berliner "Lederfirma Adler und Oppenheimer" die Aktienmehrheit an dem Giesinger Unternehmen auf.

In Folge der "Rezession auf dem internationalen Ledermarkt" entschloss sich die Firma, ihre Münchner Niederlassung aufzulösen.

Das riesige Firmengelände verkaufte sie - mit Gewinn - an die "Münchner Siedlungs-GmbH".

6. November 1923 Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber, der seit dem Kriegsende nicht müde wird zu betonen, dass die Ausschaltung der Kirchen aus dem öffentlichen Leben Anstand, Sitte, öffentliche Moral und Autoritätsglauben untergraben, verweigert sich aber gegenüber dem ReichskanzlerGustav Stresemann, als ihn dieser im Oktober 1923 bittet, "sich in den Dienst der Sache der sittlichen Wiedergeburt zu stellen".

Zwei Tage vor dem sogenannten Hitler-Putschteilt ihm der Kardinalmit, dass er für eine Mitarbeit "aus gesundheitlichen Gründen und aus kirchenrechtlichen Bedenken" nicht zur Verfügung steht. Ansonsten meint er aber, "daß die Kirche es als eine Gewissenspflicht empfindet, an der sittlichen Wiedergeburt des Volkes, im Besonderen an dem Abbau der Kritiksucht und an der Pflege des Autoritätssinnes, an dem Abbau- der Selbstsucht und an der Pflege des Opfersinnes nach Kräften mitzuarbeiten."

Weitere allgemein gehaltene und nicht zur Problemlösung beitragende Floskeln folgen.

Seite 297/362 8. November 1923 München-Haidhausen * Adolf Hitler stürmt mit einem bewaffneten Stoßtrupp den Bürgerbräukeller, in dem die Freie Vereinigung von Erwerbsständenzu einer Veranstaltung eingeladen hatte, und erklärte die "Nationale Revolution" für "ausgebrochen".

Am nächsten Tag machen sich die Putschistenauf den Weg in die Innenstadt. An der Feldherrnhallekommt es zu einer Schießerei mit der Landespolizei. Sechzehn Putschistenund vier Polizisten kommen dabei ums Leben.

29. März 1924 München * Durch die "Revolution" und der damit verbundenen veränderten Staatsform wird dem "Staatskirchentum" das Fundament entzogen.

Deshalb versucht die katholische Kirche seit dem Jahr 1920 vergeblich, einen "Staatsvertrag" - ein "Konkordat" - mit den Vertretern der "Weimarer Republik" zu schließen, mit dem ihre Stellung im Staat fest definiert wird.

Nachdem sich dieser Weg so nicht realisieren lässt, beginnt der "päpstliche Nuntius" in München, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., gemeinsam mit "Kardinal" Michael von Faulhaber, mit dem republikanischen "Freistaat Bayern" ein "Konkordat" abzuschließen.

Das bayerische "Konkordat"

sichert der Kirche nach Außen den "Schutz durch den Staat" zu und gibt ihr gleichzeitig die "völlige Unabhängigkeit nach Innen". Die "Ernennung und Abberufung von Professoren" an den "theologischen Fakultäten der Universitäten" und der "Religionslehrer an den höheren Schulen" obliegen nun allein den Bischöfen, die wiederum nur vom Papst ernannt werden. Der "Religionsunterricht" wird zum "Hauptfach" an den Schulen erklärt und die "Bekenntnisschule zur Regelschule" gemacht. "Schulgebet und Schulgottesdienste" werden staatsrechtlich abgesichert. Weiter wird festgelegt, dass der "Freistaat Bayern" feste Beträge an die Kirche abzutreten und bei finanziellen Notlagen die Kirche zu unterstützen hat. Der Steuerzahler finanziert die Gehälter und Wohnungen der Geistlichen, ihre Ruhestandsgelder, Gebäude usw. Die katholische Kirche in Bayern lässt sich ihre Ausgaben zu einem großen Teil vom Staat zahlen, ohne gleichzeitig dessen Kontrolle dulden zu müssen. Dazu wird die "Kirchensteuer" festgeschrieben.

Das "bayerische Konkordat" hat Vorbildfunktion für weitere Abkommen zwischen Staat und Kirche.

2. April 1924 Landsberg * Während der letzten sechs Wochen seiner Inhaftierung lernt Graf von Arco einen Neuzugang kennen, der die Haftruhe - wie auch Graf Arco selbst - zumNiederschreibenseiner Gedanken und Pläne nutzt: Adolf Hitler.

Dieser beginnt in Landsberg mit seinem Werk "Mein Kampf", in dem er unter anderem den deutschen "Föderalismus" als Schwächung Deutschlands geißelt.

Seite 298/362 30. Dezember 1924 München-Maxvorstadt * Lolo von Lenbach stiftet Franz von Lenbachs Hinterlassenschaft an Gemälden, Kunstwerken und Erinnerungsstücken der Landeshauptstadt München.

Ab dem Jahr 1925 Berlin * Allein zwischen den Jahren 1925 und 1930 erhöht sich die Zahl der vermittelten Gespräche pro Telefonistin um rund 25 Prozent.

Das geschieht einerseits durch verbesserte Geräte und andererseits durch eine effektivere Bedienung der Arbeitsmittel. Sprechausbildung und Vorschriften über militärisch knappe Redewendungen wie "Hier Amt, was beliebt?" oder noch kürzer "Bitte melden" tun ein Übriges.

Die Beamtinnen dürfen sich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichten von ihrem Arbeitsplatz entfernen. Jeder Fehler wird in das "Strafregister" der "Personalakte" aufgenommen.

Das Aufsichtspersonal steht hinter den Frauen. Zuerst sind es ausschließlich Männer, später auch ältere befähigte Gehilfinnen.

Vom Aufsichtstisch aus kann die Platzkraft ständig kontrolliert und mit einer Mithöreinrichtung überprüft werden, wie schnell die Teilnehmer bedient und ob die Formen der streng reglementierten Gespräche eingehalten werden. Ein Zählschrank registriertjede ausgeführte Verbindung und gestattet so die regelmäßige Überprüfung der Arbeitsintensität jeder einzelnen Kraft.

1925 München * "Erzbischof" Michael von Faulhaber veröffentlicht ein Buch mit dem Titel: "Deutsches Ehrgefühl und katholisches Gewissen".

Zunächst stellt der "Erzbischof" fest, dass "darüber zu urteilen, was katholisch ist oder was an das Wesen des Katholizismus greift, [...] Sache des kirchlichen Lehramtes" ist. Im nächsten Satz gibt er sich als "Träger" dieses "Lehramtes" aus. Und dann beginnt er zu politisieren.

Benito Mussolini, der im Oktober 1922 mit seinem "Marsch auf Rom" die Macht in Italien an sich gerissen hatte und die Verfassung nach seinen Vorstellungen abänderte, wurde vom "Kardinal" hoch gelobt, da "das Oberhaupt des italienischen Faschismus [...] die Geister des Kulturkampfes [...] bis heute mit fester Hand [...] im Zaun gehalten" habe.

Gleich darauf lässt Faulhaber seine Bewunderung für den "deutschen Faschistenführer" folgen, wenn er schreibt: "Adolf Hitler wußte besser als die Diadochen seiner Bewegung, daß die deutsche Geschichte nicht erst 1870 und nicht erst 1517 begann, daß für die Wiederaufrichtung des deutschen Volkes die Kraftquellen der christlichen Kultur unentbehrlich sind, daß mit Wotanskult und Romhaß das Werk der Wiederaufrichtung nicht geleistet werden kann.

Als Mann des Volkes kannte er auch die Seele des süddeutschen Volkes besser als andere und wußte, daß mit

Seite 299/362 seiner Bewegung, die in ihrer Kehrseite Kampf gegen Rom ist, die Seele des Volkes nicht erobert wird".

Das Buch erscheint wohlgemerkt in dem Jahr,

in dem die "NSDAP" neu gegründet worden ist, in dem Adolf Hitler für mehrere Jahre ein "Auftrittsverbot" erhalten hat, in dem der erste Band von Hitlers "Mein Kampf" erscheint und in dem die berüchtigte " - SS" gegründet wird.

Seit dem Jahr 1925 München * Karl Valentin beginnt - ohne Rücksicht auf finanzielle Belastungen - alte Fotgrafien von München zu sammeln.

Sigi Sommer überlieferte Valentins Ausspruch: "A oids Buidl vo München is mehra wert ois a Brilliant".

1926 München-Lehel - Praterinsel * Zur Vergrößerung der Ausstellungsflächen im "Alpinen Museum" auf der "Praterinsel" wird die Terrasse im ersten Obergeschoss überbaut.

Damit gewinnt der Bau an Monumentalität.

1926 München-Maxvorstadt * Die Abbrucharbeiten an der "Heß-Villa" in der Luisenstraße 35 beginnen.

28. November 1926 München-Obergiesing * Das Vereinsheim und die Turnhalle kann an die Vereinsleitung des TSV München-Ostübergeben werden. Für einige Jahre wird es mit dem Turn- und Sportverein München-Ostnoch aufwärtsgehen, doch mit den beginnenden 1930er-Jahren kommt die Wirtschaftskrise und damit verbunden eine hohe Arbeitslosigkeit, die auch die Mitglieder des Sportvereins trifft.

Die dadurch sinkenden Beitragszahlungen machen die Rückzahlung der Bauschulden und die Begleichung der laufenden Kosten immer schwieriger. Die größte Gefahr für den Arbeiterverein kam jedoch von den Nationalsozialisten.

1. Dezember 1926 München-Haidhausen * Die ab dem Jahr 1925 beschafften Trambahn-Wagen haben auf dem Gelände der Straßenbahn-Direktionin Haidhausen überhaupt keinen Platz mehr. Die Folge sind unwirtschaftliche Leerfahrten zu anderen Betriebshöfen.

Man lässt deshalb den Betriebshofauf und beginnt sofort mit dem Einbau von Büroräumenfür die Direktionund einer neuen Fahrerschulein der Motorwagenhalle.

Seite 300/362 21. Dezember 1926 München * Theaterdirektor Hermann Haller, der im Berliner Admiralspalastseine bekannte "Haller Revue" aufführt, erwirkt am Landgericht München Ieine einstweilige Verfügung gegen das Valentin-Karlstadt-Bühnenstück "Im Senderaum".

Es geht dabei um Plagiatsvorwürfe gegen Karl Valentin, wobei nicht der Münchner Komiker, sondern der Leiter desDeutschen Theatern, Hans Gruß, der das Valentin-Bühnenstück"Im Senderaum"aufgeführt hat, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht.

Hermann Haller behauptet in seiner Anklageschrift, dass Karl Valentin sein später entstandenes Bühnenstück"Im Rundfunksenderaum"aus dem Sketch"Hinter den Kulissen des Rundfunks"von Roland Jeans aus Hermann Hellers Revue"An und Aus"geklaut hätte. Der Kläger verlangt die

Unterlassung der weiteren Karl-Valentin-Aufführungen, Rechnungslegung über die aus den bisherigen Aufführungen erzielten Einnahmen und natürlichSchadensersatz.

1927 Berlin * In Berlin erscheint eine Broschüre mit dem euphorischen Titel: "Doch deutscher Seidenbau! Der lohnende neue Betriebszweig". In der Broschüre ist die Rede vom "mangelnden Rohstoff im Lande" und den durch Professor Pasteur besiegten Raupenkrankheiten.

Außerdem hätten deutsche Raupenzüchter neue "Blutlinien" hervorgebracht, die die "deutsche Raupe" einen bedeutend längeren Faden spinnen lässt, als ausländische Raupen. Sozusagen die "deutsche Turbo-Seidenraupe". Und weiter: Es sollte unbedingt die "deutsche Edelbrut" verwendet werden, da von "ausländischer Brut" eine erhebliche Infektionsgefahr ausgeht. Schließlich will man sich ja auch die Unabhängigkeit vom Ausland bewahren.

1. Januar 1927 München-Obergiesing * Die Martin-Luther-Kircheist fertig zur Einweihung. Natürlich erreichte diese Kirche nicht die Dimensionen der katholischenHeilig-Kreuz-Kirche, ist aber mit elf Metern Breite und 19 Metern Länge durchaus eine der größeren evangelischen Kirchen Münchens. Auf jeden Fall ist sie die höchstgelegene.

Bereits am Tag der Einweihung reichen ihre 800 Plätze nicht mehr aus für die hereindrängenden Giesinger Protestanten. Anders als bei früheren Kirchenbauten ist hier ein Zentrum mit Kirche und großem Pfarrhaus entstanden.Trotz der hohen Kosten von 971.225 Mark kann man die Kirche noch mit reichem Bauschmuck und einer Orgel ausstatten.

Außen, auf der Bronzetür des Hauptportals, sind die wichtigsten der 95 Thesen Luthers zu lesen; rechts und links davon stehen die Figuren der vier Evangelisten und der vier großen Propheten.Das Innere der Kirche ist mit Gemälden ausgestattet, die alle einem theologischen oder geschichtlichen Programm folgen.

Um September 1929

Seite 301/362 München-Geiselgasteig * Die Dreharbeiten zu Karl Valentins ersten langen Stummfilm "Der Sonderling" beginnen.

29. Oktober 1929 USA * Der "Schwarze Freitag" wird mit einem legendären Börsencrash in den USA in Verbindung gebracht, der durch eine Spekulationsblaseausgelöst wird.

In den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahrensteigen die Aktienkurse ununterbrochen.Viele Anleger träumen vom großen Geld und nehmen sogar Kredite auf, um Aktien zu kaufen.Als dann die Aktien stagnieren bricht am Donnerstag, dem 24. Oktober eine Panik an der Wall Street aus.Der Handel bricht mehrmals zusammen.Das ist der Beginn einer Wirtschaftskrise, die alle Industrienationen betrifft.Massenarbeitslosigkeitund Deflationsind die Folge.

Der Crash zieht sich über Tage hin.Am Dienstag, dem 29. Oktober versuchen viele Investoren gleichzeitig ihre Aktien zu verkaufen. Damit fällt der "Schwarze Freitag" auf einen Dienstag, weshalb die Amerikaner auch vom "Black Thursday" sprechen.

Spätestens seit 1930 München-Lehel * Der Komiker Karl Valentin beginnt "die mir noch in Erinnerung gebliebenen Erlebnisse aus meiner Jugend-, Jünglings- und Mannszeit" zu sammeln.

Das geplante Buch, das "eine Reihe hübscher Jugendbegebenheiten, illustriert von Ludwig Greiner" enthalten soll, wird so nie veröffentlicht.

Die "Süddeutsche Sonntagspost" bringt ab dem 28. August 1932 einige Auszüge.

Erst 1951 werden "Die Jugendstreiche des Knaben Karl" veröffentlicht. Gerhard Pallmann gibt eine Zusammenstellung aus Karl Valentins Nachlass heraus.

September 1930 München-Theresienwiese * Carl Gabriel zeigt die "Völkerschau der aussterbenden Lippen-Negerinnen vom Stamme der Sara-Kaba in Zentralafrika".

18. November 1930 München * Die Bischöfebeschäftigen sich in einer Diözesansynodeauch mit dem Nationalsozialismus.DomdekanPrälat Dr. Anton Scharnagl referiert über dieses Thema. Seine Ausführungen beginnen mit den Worten:"Der Nationalsozialismus ist politische Partei und Weltanschauung zugleich" und kommt zum Ergebnis, dass der Nationalsozialismusmit den Aussagen der katholischen Glaubenslehreunvereinbar sei.

Dr. Scharnagl begründet danach seine Thesen mit den

von den Nationalsozialisten propagierten germanischen Christentum, der Ablehnung des Alten Testaments, der Forderung nach einer deutschen Volkskirche, die Ablehnung der Bekenntnisschuleund

Seite 302/362 einer rassisch definierten Sittlichkeit, die die kinderlose Frauals minderwertiges Mitglied der Volksgemeinschaftbetrachtet.

In den angefügten Feststellungen wird der Sachverhalt in nie mehr wiederholter Deutlichkeit schließlich auf den Punkt gebracht: "Der Nationalsozialismus ist eine Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen."

Das im Februar 1931 veröffentlichte Amtsblatt Nr. 4schwächtallerdings entscheidende Passagen bereits wieder ab.

14. Dezember 1930 München-Neuhausen * Der Cowboy Club München Südbeginnt in der Reithalle an der Albrechtstraße des Oberleutnants a.D. Otto Hermann Fegelein mit dem Rodeo-Reiten. Fegelein wird über Eva Braun Hitlers Schwippschwagerwerden.Er gilt als rücksichtsloser Opportunist und Karrierist, der auch an mehreren Kriegsverbrechenbeteiligt sein wird.

Ab 1932 München-Untergiesing * Auf dem Areal der ehemaligen Untergiesinger Lederfabrik entsteht eine Wohnsiedlung, deren Hauptachse die Waldeckstraße ist.

Es werden Häuser mit expressionistischen Fassaden und mit Wohnungen gehobenen Stils errichtet.

Der "Beamtenblock" umschließt einer Burg gleich einen großen Innenhof. Die Fenster in der Vorderfront gleichen in ihrer länglichen schmalen Form eher Schießscharten.

16. Mai 1932 München-Geiselgasteig * Die Dreharbeiten für Karl Valentins und Liesl Karlstadts ersten abendfüllenden Tonfilm "Die verkaufte Braut" in den Emelka-Studiosin Geiselgasteig beginnen. Sie dauern bis zum 5. Juli 1932. Der Regisseur Max Ophüls versteht es ausgezeichnet, sich auf Karl Valentins Textschwäche einzustellen.

31. Juli 1932 München * Dr. Fritz Gerlich beschreibt in der Zeitschrift "Der gerade Weg" die Konsequenzen einer Naziherrschaft für das ganze Land:"Nationalismus bedeutet:Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Inneren, Bürgerkrieg, Völkerkrieg.Nationalsozialismus heißt auch:Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not."

28. August 1932 München * In der Süddeutschen Sonntagsposterscheinen unter dem Titel "Karl Valentin der Lausbub" die Jugenderinnerungen des großen Komikers.

28. September 1932 Berlin * Ein Erlass des preußischen Innenministeriumsregelt das öffentliche Baden. Er wird auch Zwickelerlassgenannt, weil das Wort Zwickel[Stoffeinsatz im Schritt] häufig vorkommt. Der Grund liegt in der

Seite 303/362 immer knapper werdenden Badebekleidung der Frauen in den 1920er Jahren.

Paragraph 1 regelt demzufolge auch, dass das Baden in anstößiger Badekleidungverboten ist. Das Öffentliche Nacktbadenwird generell untersagt. "Frauen dürfen öffentlich nur baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen." "Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie wenigstens eine Badehose tragen, die mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen."

Der Zwickelerlasssorgt für große Heiterkeit in der Presse.

7. Oktober 1932 München-Graggenau - München-Zamdorf * Der Münchner Stadtrat beschließt die Vorschläge der Namensbezeichnungen mit kolonialem Bezugfür die "Windhukstraße", "Dualastraße", "Günther-Plüschow-Straße" und "Karl-Peters-Straße".

Die Beschlüsse fasst der Stadtrat einstimmig.Begründet werden die Straßenbenennungen mit der Erinnerung an die "geraubten ehemaligen deutschen Kolonien".

Ab 1933 München-Bogenhausen * Die Aufgabe des "Reichsfinanzhofes" bestand während der Jahre von 1933 bis 1945 im Wesentlichen in der Weiterentwicklung der Steuergesetze und der Entwicklung des Steuerrechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung.

Den Boykott jüdischer Geschäfte, die Entziehung der Berufszulassungen von jüdischen ärzten und die Entfernung jüdischer Beamten aus dem öffentlichen Dienst bezeichneten die Finanzrichter lediglich als "in steuerlicher Hinsicht irrelevante Belästigungen".

Mit ihren Urteilen nahmen die "furchtbaren Juristen von der Ismaninger Straße" entscheidenden Einfluss an der "Arisierung" jüdischen Vermögens.

So mussten Juden, deren Wohnung von der "Gestapo" versiegelt wurden, nachdem sie ins Ausland geflohen waren, ein Viertel ihres Vermögens als "Reichsfluchtsteuer" zahlen.

1933 München-Graggenau * In der Münchner Residenz wird eine Ausstellung zur Erinnerung an Richard Wagner eröffnet.

"" Franz Xaver Ritter von Epp stellt dabei fest: "Die Nationalsozialisten empfinden Wagner als den deutschesten Mann, den nur einer gleichen Blutes voll zu verstehen vermag".

Seite 304/362 Nach dem 30. Januar 1933 Deutsches Reich* Mit dem Nationalsozialismus kommen die alten, stockkonservativen Töne wieder zurück. Die NS-Machthaber entlassen alle verheirateten Lehrerinnen und kürzen den verbliebenen das Gehalt um zehn Prozent.

Die Meinung, "die deutsche Mutter gehört zu den Kindern nach Hause", ändert sich programmatisch erst wieder, nachdem die Lehrer zum Kriegsdienst eingezogen worden sind. Nun darf die Frau wieder einmal ihren Mann stehen.

11. Februar 1933 München - Holland * Der Schriftsteller Thomas Mann verlässt München zu weiteren Wagnervorträgenin mehreren europäischen Großstädten. Diese Reise wird der Beginn seines mehrjährigen Exils.

21. Februar 1933 Berlin * Hermann Göring will in den Polizeiverwaltungen in Preußen SPD-Mitgliederdurch "national gesinnte" Beamte ersetzen.

9. März 1933 München-Graggenau * Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten in Bayern.

Max Amann hisst die "Hakenkreuzfahne" am Münchner Rathaus. Nun beginnt die systematische Ausschaltung ihrer politischen Gegner.

21. März 1933 München - Dachau * Im Völkischen Beobachterund in den Münchner Neuesten Nachrichtenerscheint eine von , dem Reichsführer SSund zugleich kommissarischen Polizeipräsidenten von München, veranlasste Pressemeldung mit der Überschrift "Ein Konzentrationslager für politische Gefangene".

In der Meldung ist zu lesen: "Am Mittwoch [nächster Tag] wird in der Nähe von Dachau das erste Konzentrationslager eröffnet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5.000 Menschen."Weiter heißt es, dass dort "die gesamten kommunistischen und - soweit notwendig - Reichsbanner- und marxistische Funktionäre, die die Sicherheit des Staates gefährden, zusammengezogen" werden.

Abschließend erklärt Himmler:"Wir haben diese Maßnahme ohne jede Rücksicht auf kleinliche Bedenken getroffen in der Überzeugung, damit zur Beruhigung der nationalen Bevölkerung und in ihrem Sinn zu handeln."

27. April 1933 München-Ludwigsvorstadt * Uraufführung des Valentin-Stücks "Ehescheidung vor Gericht" im "Kabarett Wien-München" im "Hotel Wagner", Sonnenstraße 23.

Innerhalb von 15 Minuten tritt Liesl Karlstadt als Ehemann, Ehefrau, Sohn, preußischer Untermieter und als "Ratschkathl" auf. Das Stück wird in 64 Vorstellungen aufgeführt.

Seite 305/362 10. Mai 1933 München-Maxvorstadt * Um 19:45 Uhr beginnt im Lichthof der Universität Müncheneine "Feier der nationalen Revolution" statt.Die Festredehält Kultusminster . Eingerahmt von der "Egmont-Ouvertüre" folgt die Übergabe des neuen Studentenrechts, ein Treuegelöbnis, ein "Appell an die studentische Verantwortung" und schließlich das Absingen des "Horst-Wessel-Liedes". Im Anschluss an die Feier beginnt ein Großer Fackelzug.Dazu werden ab 20:30 Uhr am rückwärtigen Ausgang der Universität gegen Gutschein Fackeln ausgegeben.

Um 22:00 Uhr bewegt sich der Fackelzug in Richtung Königsplatz.Die freiwilligen und begeisterten Teilnehmer in Uniform oder dunklem Anzugziehen an der mit einer roten Flammenkette geschmückten Feldherrnhallevorbei zum mit Flaggen und Pylonen festlich ausgestatteten Königsplatz, wo um 23:30 Uhr circa 50.000 überwiegend akademisch gebildete Nationalsozialsten und ihre Sympathisanten einen großen "Verbrennungsakt" beginnen.

Auf dem Rasen vor der heutigen Antikensammlungam Königsplatz ist ein riesiger Scheiterhaufen aus Holz und Stroh errichtet worden. Zunächst hält ein studentischer Funktionär eine Ansprache zur "Ausmerzung undeutscher Schriften". Danach werfen uniformierte Studenten unter Verlesung von "Feuersprüchen" die mitgeführten Bücher ins Feuer. In Anlehnung an das Wartburgfestverbrennen sie die "volkszersetzenden Schriften kommunistischer, marxistischer, pazifistischer Haltung (vielfach aus jüdischer Feder stammend) als Symbol der Abkehr vom undeutschen Geist".

Um den 15. Mai 1933 Berlin * Den Nationalsozialisten sind die Kaufhäuserals "Prototypen wurzellosen kapitalistischen Gewinnstrebens" ein Dorn im Auge. Adolf Hitler erlässt eine "Errichtungs- und Erweiterungssperre für Warenhäuser". Die Gewerbekapitalsteuerfür solche Unternehmen verdoppelt sich in dieser Zeit.

Vor den Kaufhäusernverteilen Nazis Flugblätter mit Boykottaufrufen.Sprechchöre verkünden: "Wer im Warenhaus kauft, ist ein Lump!"Selbst die Kaufhaus-Verkäuferinnensind von den brauen Machthabern nicht gerne gesehen, weil die materielle Abhängigkeit von männlichen Vorgesetzten und der stete Kontakt mit einem anonymen Publikum ihre Tugend überfordern könnte. Außerdem verlockt die Atmosphäre der Kaufhäuserzu "Vergnügungs- und Putzsucht".

Vor allem aber fürchtet die NSDAP, dass sich durch diesen neuen Frauenberuf die "selbstbewusste, unabhängige, arbeitende Frau" emanzipieren und "Mutterschaft und Haushalt" nicht mehr als das erstrebenswerte Ziel ansehen könnte.

Juni 1933 München * Vor den Kirchenwahlen beginnen die nordisch-völkischen "Deutschen Christen" auch in Bayern eine großangelegte Werbekampagne.

8. Juni 1933 München-Maxvorstadt * Toni Pfülf begeht in ihrer Wohnung im Gartenhaus der Kaulbachstraße 12 Selbstmord. Nach den Reichstagswahlenim März 1933 wurden viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Schutzhaftgenommen.Auch Toni Pfülf warvorübergehend wegen "Aufforderung der Arbeiterschaft zum Widerstand gegen das NS-Regimes" verhaftet worden.

Seite 306/362 14. Juli 1933 Berlin * Im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchsesbestimmten die Nationalsozialisten, dass Menschen in acht Krankheitsfällen - auch gegen ihren Willen - sterilisiert, also unfruchtbargemacht werden können. Die aufgeführten Krankheiten sind:

angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, manisch-depressives Irresein, Epilepsie, Veitstanz, erbliche Blindheit und Taubheitund schwere körperliche Mißbildungen.

Außerdem können Personen, die an schwerem Alkoholismusleiden, unfruchtbar gemacht werden.

In den Jahren von 1933 bis 1945 werden aufgrund dieses Gesetzes circa 400.000 Männer und Frauen mit erblichen Krankheiten sterilisiert. Nach den Grundsätzen nationalsozialistischer Erbgesundheitspflegegehörtdie Maßnahme der Sterilisationzur künstlichen Ausmerze, die bis zur Vernichtung lebensunwerten Lebensgeht.

20. Juli 1933 Rom-Vatikan - Berlin *Das Konkordatzwischen dem Heiligen Stuhlund dem Deutschen Reichwird vom - katholischen - VizekanzlerFranz von Papen und vom KardinalstaatssekretärEugenio Pacelli im Vatikanunterzeichnet.

Das Vertragswerk bestätigt die bestehenden Länderkonkordatemit Bayern, Preußen und Baden und den Fortbestand der katholischen theologischen Fakultäten an den Universitäten, sichert den katholischen Religionsunterricht an allen Schulartenund die Beibehaltung und Neueinrichtung von Bekenntnisschulen, die Freiheit des Bekenntnissesund der öffentlichen Ausübung der Religion, den staatlichen Schutz für Geistliche, den Schutz des Beichtgeheimnissesund den Schutz der katholischen Organisationen. Außerdem wird die Militärseelsorgeund das eigene kirchliche Steuerrechtgarantiert.

Die Kirche gesteht hingegen den neuen Machthabern nur wenig zu:

Entpolitisierung des Klerus, Treueeid der Bischöfe gegenüber dem Deutschen Reich und seinen verfassungsmäßig gebildeten Regierungen.

Seite 307/362 Die Reichsregierungmacht der Kirche sehr große Zugeständnisse mit dem Ziel, internationale Anerkennung zu erhalten und die deutschen Katholiken für die Bewegungzu gewinnen, solange deren Macht noch nicht gefestigt ist.

Keine der anderen neunzehn Weimarer Regierungen, auch nicht die Koalitionen mit Zentrumsbeteiligung, war der katholischen Kirche so weit entgegengekommen.

11. September 1933 München * Der NS-Stadtrat Hans Zölberlein beantragt

"ein Denkmal für die Befreiung Münchens vom Rätewahnsinn. [...] Zur dauernden Erinnerung an die geschichtlich bedeutsamen Maitage und als Dank für das Opfer des Lebens von über 200 Freikorpssoldaten".

Der Münchner Stadtrat schreibt daraufhin einen Wettbewerb für eine "Erinnerungsstätte zum Gedenken an die Befreiung Münchens 1919" aus.Diese soll am Ostrand der Ramersdorfer Muster-Siedlungaufgestellt werden und die über Ramersdorf ankommenden Autobahnbenutzer begrüßen. Doch der für Ramersdorf geplante "Autofahrerschreck" kommt nicht zur Aufstellung, dafür wird Giesing - aufgrund seiner "linken" Vergangenheit - vom Nazi-Stadtrat als Standort für ein Freikorps-Denkmalauserkoren.

8. November 1933 München-Angerviertel * Reichskanzler Adolf Hitler eröffnet im ehemaligen Sterneckerbräu das Parteimuseum der NSDAP. Es wird zur Wallfahrtsstätte der Nationalsozialistenund zum Magneten für Einheimische und Fremde. 20 Pfennig kostet der Eintritt zu den museal hergerichteten Räumen.

Im Rahmen der alljährlichen pompösen Veranstaltungen am 9. November zur Erinnerung an den Hitler-Putsch 1923 findet beim Marsch vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalleeine Gedenkminute vor dem Sterneckerbräu statt.

Anfang Januar 1934 München-Geiselgasteig *Die Arbeiten zum Film "Der Theaterbesuch" mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt in den Hauptrollen beginnen.

Der Film dauert 23 Minuten. Die Regie führt Joe Stöckel.

30. Januar 1934 München-Kreuzviertel * Der Freistaat Bayerngeht mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichesunter.

Die Länderparlamenteund die Hoheitsrechteder Länder werden aufgehoben. Die Länderregierungenwerden zu Mittelbehördendes Reichs.

Seite 308/362 Die deutschen Länder dürfen keine eigenen diplomatischen Vertretungen mehr unterhalten. ReichsstatthalterFranz Xaver Ritter von Epp untersteht der Dienstaufsicht des Reichsinnenministeriums. Seine Aufgabe besteht hauptsächlich in der schrittweisen Auflösung der politischen Selbstständigkeit Bayerns.

Als Epps Amtssitzwird das ehemalige Gebäude der Preußischen Gesandtschaftausgewählt, das inzwischen in den Besitz des Deutschen Reichsübergegangen war.

21. März 1934 Unterhaching * Der Tag soll nach dem Willen der Nationalsozialisten als "Großkampftag der Arbeitsschlacht" in die Annalen eingehen. Es wird das Bild einer zupackenden NS-Herrschaft vermittelt, die Menschen mit dem Bau der "Straßen des Führers" schnell in Arbeit bringt.

Der durchinszenierte Auftritt, bei dem Adolf Hitler auf der Reichsautobahn-Baustelle den Beginn der "Arbeitsschlacht" gegen die Arbeitslosigkeit verkündet, erzielt die gewollte Wirkung. Das Ereignis bei Unterhaching begründet den Mythos vom Wirtschaftswunder und von den Autobahnen, die dem NS-Regime zu verdanken seien.

Die Propaganda-Schau soll über den Ort hinauswirken. Man hat Tausende Arbeiter herangekarrt und lässt diese mit geschulterten Spaten antreten. Im gesamten Land ruht die Arbeit. In Behörden, Betrieben und Schulen sind auf Anordnung Radiogeräte anzuschalten. 180 Journalisten ausländischer Zeitungen sind anwesend.

10. Juli 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber traut den Kurt-Eisner-Mörder Anton Graf von Arco auf Valley mit Gabrielle Gräfin von Arco-Zinneberg in der Dreifaligkeitskirche.

Arco hatte den Gründer des Freistaats Bayernam 21. Februar 1919 hinterrücks ermordet, war zunächst zum Tode verurteilt, aber am nächsten Tag zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt worden. Nach fünf Jahren wurde er aus der Haft entlassen.

Anton Graf von Arco auf Valley war durch seine Tat in monarchistischen und konservativen Kreisen hoch angesehen. Deshalb ist es dem Münchner Erzbischof und Kardinal ein persönliches Anliegen, die Trauung durchzuführen.

September 1934 München-Theresienwiese * Die "Bräurosl" erhält mit ihrer neuen "Heustadl-Fassade" zwei beleuchtete Glastürme, die an die Pylonen des Berliner Olympiastadions erinnern.

14. Oktober 1934 München * Liesl Karlstadt übergibt ihrem Bühnenpartner Karl Valentin 4.000.- Mark - zinsfrei - für das "Panoptikum". Dafür erhält das "Frl. Karlstadt von den Einnahmen auf die Zeitdauer des Unternehmens ein Drittel Gewinnanteil".

4. Dezember 1934

Seite 309/362 München-Ludwigsvorstadt * In Karl Valentins "Panoptikum" ist auch die Nachbildung der im Gefängnis Stadelheimverwendeten Fallschwertmaschine [= Guillotine]ausgestellt.Der NachrichtergehilfeDonderer erklärt dem Publikum die Tötungsvorrichtung.

Nun fragt das Bayerische Justizministeriumbeim Innenministeriuman, ob die Genehmigung der Darstellung der Hinrichtung weiterhin aufrecht erhalten werden soll. Gleichzeitig wird ausgeführt, dass "der bisherige Nachrichtergehilfe Donderer [...] künftig zur Vollstreckung von Todesurteilen nicht mehr herangezogen werden" wird. Er wird wegen seiner Erklärertätigkeit im "Panoptikum" aus dem Staatsdienst entlassen.

1935 München-Au * Im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird die Hans-Schemm-Aufbauschuleuntergebracht.

16. Februar 1935 München * Das Bayerische Innenministeriumhat mit der Ausstellung der Nachbildung der im Gefängnis Stadelheimgenutzten "Fallschwertmaschine" in Karl Valentins Panoptikumkeinerlei Probleme. Denn:

"Der unbefangene Besucher kommt bei der Besichtigung dieser Hinrichtungsszene wohl nicht auf den Gedanken, dass die Darstellung genau der Wirklichkeit entspricht, vielmehr hält er sie, wie auch die sonstigen Gegenstände des Juxmuseums für ein Erzeugnis der verschrobenen Fantasie des Ausstellers Valentin.

Durch ein Verbot dieser Hinrichtungsszene würden zweifellos mehr abträgliche Wirkungen ausgelöst werden, als durch deren Weiterduldung."

September 1935 München * Die "Valentin-Zeitung", in der Originaltexte, Witze und Erinnerungen von Karl Valentin publiziert werden, erscheint einmalig.

Weil das Erscheinungsdatum mit "nur Hie und Da" angegeben ist, wird die "Valentin-Zeitung" von den Nationalsozialisten - mit der offiziellen Begründung des presserechtlich unzulässigen Impressums - verboten.

Ab 20. September 1935 München-Geiselgasteig ? Aufnahmen zu "Kirschen in Nachbars Garten" in Geiselgasteig. Drehbeginn für Liesl Karlstadt.

1936 München-Maxvorstadt * Die "Diakonissinnen", die seit 25 Jahren in der "Privatklinik Dr. Alfred Haas" als Krankenschwestern tätig waren, kündigen aus "rassischen Gründen" ihren Dienst auf.

Die katholischen Nonnen der "Kogregation der Franziskanerinnen vom Erlenbach" springen ein und übernehmen den Pflegedienst.

1936

Seite 310/362 Berlin * Heinrich Himmler bestimmt die Aufgaben des "Lebensborn e.V." im Detail.

Mindestens vier Kinder sollen in jeder SS-Familie aufwachsen, da die "Frage vieler Kinder [...] nicht Privatangelegenheit des einzelnen, sondern Pflicht gegenüber seinen Ahnen und unserem Volk" ist. "Falls unglückliche Schicksalsumstände der Ehe eigene Kinder versagen, soll jeder SS-Führer rassisch und erbgesundheitlich wertvolle Kinder annehmen und sie im Sinne des Nationalsozialismus erziehen [...]".

Punkt 2 bestimmt als Aufgabe des Vereins: "Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers [...] anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen".

Wenn schwangere Frauen nachweisen können, dass unter ihren Vorfahren keine "Juden" sind, und wenn ihnen zudem "SS-Ärzte" ihre so genannte "erbbiologische Gesundheit" bestätigen, wird ihnen - um eine Abtreibung zu verhindern - die Aufnahme in ein "Entbindungsheim" des "Lebensborn e.V." versprochen.

Die Verwirklichung der rassischen Komponente der NS-Weltanschauung zielt auf die Ablösung der alten Führungsschichten durch eine neue, biologisch geformte nationalsozialistische Elite.

21. Juli 1936 München * In den Münchner Neuesten Nachrichtenerscheint ein Artikel, der wegen der Wohnungsknappheit vor dem Zuzug nach München warnt. Im Reichsinnenministeriumdiskutiert man einen Gesetzesentwurf für "eine Beschränkung unerwünschten Zuzugs".

27. Juli 1936 Schloss Nymphenburg * Die erste "Nacht der Amazonen" findet statt. Am Nachmittag geht ein ungeheueres Gewitter - mit Wolkenbruch und Hagel - über der Stadt nieder.Doch es wurde noch eine schöne Sommernacht, in der mythologisch dekorierte Themenwägen, auf denen sich nackte und halbnackte junge Frauen präsentieren, durch die von Fackeln erleuchtete Nacht rollten.

Amazonenreiten auf nackten Pferderücken.Sie schwingen ihre Speere und setzen ihre nur aus einer dünnen Schicht Goldbronze bestehende Rüstung ins rechte Licht. Das nächtliche Fest im Nymphenburger Schlossparkist eine Abfolge szenischer Spiele und Aufmärsche. Im Licht von Scheinwerfern vollführten chinesische Tempelgöttinnen"Tänze, wie sie in chinesischen Tempelnkaum je zu sehen sein dürften.

4. Oktober 1936 Berlin * Der Übertritt von Juden zum Christentum hat laut Erlass des Reichsinnenministeriumskeine Bedeutung für die Rassenfrage.

1937 München-Au * Die Firma "Rohde & Schwarz" lässt sich mit seinen inzwischen 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Tassiloplatz, auf dem ehemaligen "Konsumgelände" nieder.

1937 München-Maxvorstadt *Die "Kaulbach-Villa" in der Kaulbachstraße 15 wird vom "" und "Innenminister"

Seite 311/362 bewohnt.

12. Juni 1937 Berlin * Durch einen Geheimerlass des Chefs der Sicherheitspolizeiund des SD, Reinhard Heydrich, werden "jüdische Rasseschänder" und Partnerinnen in "rassenschänderischen Beziehungen" nach Verbüßung der Haftstrafe in ein Konzentrationslagereingewiesen.

26. Dezember 1937 München * Pater Rupert Mayer beginnt - trotz seines Verbotes - wieder zu predigen. Er setzt seine Predigten am1. und 2. Januar 1938 fort.

Nach dem 22. Januar 1938 München-Ludwigsvorstadt * Vertrauliche Verhandlungen zwischen der Sonderbaubehörde Ausbau der Hauptstadt der Bewegungund der evangelischen Landeskücheüber den Abbruch der Matthäuskirche aus verkehrstechnischen Gründenbeginnen.

Mai 1938 München-Au - Berlin * Verhandlungen zwischen der "Cenovis-Werke" und der "Maggi Gesellschaft mbH" in Berlin über den Verkauf der in jüdischen Händen befindlichen Anteile der Firma beginnen.

9. Juni 1938 München - München-Ludwigsvorstadt * Gegen 18:00 Uhr wird auf einer Besprechung im Bayerischen Innenministeriumdem Pfarrer Friedrich Loy mitgeteilt, dass die evangelische Matthäuskircheumgehend abgerissen werden soll.

Um 22:00 berät die Kirchenverwaltung der Matthäuskirche, unter welchen Bedingungen sie sich zum Abbruch der Kirche bereit erklären kann.

10. Juni 1938 München - München-Ludwigsvorstadt * Am Vormittag beschäftigt sich der Landeskirchenratmit den Abrissplanungen der Matthäuskircheund bestätigt und ergänzt die Beschlüsse der Kirchenverwaltung der Matthäuskirche.In einer Besprechung im Innenministeriumum 13 Uhr werden die Beschlüsse dargelegt.

Am Abend wird die evangelische Gemeinde benachrichtigt, dass das Innenministeriumbereits eine Abrissfirma beauftragt hat. Die Abbrucharbeiten sollen am 13. Juni beginnen.

11. Juni 1938 München-Ludwigsvorstadt * Der evangelischeLandesbischofDr. Hans Meiser interveniert am Vormittag gegen den Abriss der evangelischen Matthäuskirche. Da Meiser unter den gegebenen Umständen sich weiteren Verhandlungen verweigert, zieht das Innenministeriumden Auftrag an die Baufirma vorläufig zurück.

Um 16 Uhr erklärt sich GauleiterAdolf Wagner bereit, auf die vom Landeskirchenraterarbeiteten Forderungen

Seite 312/362 einzugehen.Als vorläufiger Versammlungsraum wird der Matthäus-Kirchengemeindeder Weiße Saalin der ehemaligen Augustinerkirche, der inzwischen zum Polizeipräsidiumgehört, zugesichert.

14. Juni 1938 München-Ludwigsvorstadt * Die Kult- und Kunstgegenstände werden aus der evangelischen Matthäuskircheentfernt.Die Abrissarbeiten beginnen.

30. Juli 1938 Schloss Nymphenburg * Die dritte Nacht der Amazonenfindet statt. Wieder kommen 12.000 Zuschauer. Pünktlich um 21 Uhr beginnt der Remmidemmi im Nymphenburger Schlosspark, dessen Motto lautet: "Hochzeit des Kurprinzen Max". Sechzehn Amazonenzu Pferd treten auf. Ihre Brüste wippen beim Galoppierenderart, dass man Schlimmstes befürchtet und sich daher mit dem gemütlicheren Trabbegnügt.

18. August 1938 Halle * Das Amtsgericht Hallefällt ein Urteil zur Vertreibung der Juden aus "arischen" Wohnhäusern. Darin heißt es unter anderem:

"Auch in der Hausgemeinschaft können eigennützige Interessen der einzelnen keinen Bestand haben.Eine wahre Hausgemeinschaft im Sinne dieses Denkens kann aber nur von gleichgesinnten, deutsch denkenden Personen und Hausbewohnern arischer Abstammung gebildet und gepflegt werden; sie ist mit Personen jüdischer Herkunft wegen des bestehenden Rassenunterschiedes schlechterdings unmöglich. Da der nationalsozialistische Staat aber auf das Bestehen und die Pflege einer wahren Hausgemeinschaft einen besonderen Wert legt und von jedem Volksgenossen diese Einstellung im Sinne der Hausgemeinschaft fordert, so kann dem Vermieter und den Mietern arischer Abstammung im Interesse der Erhaltung dieser Hausgemeinschaft nicht zugemutet werden, diese mit Mietern jüdischer Abstammung zu bilden und zu pflegen und mit diesen in derselben Hausgemeinschaft zu leben. Dem Vermieter muß deshalb das Recht zugesprochen werden, Mieter jüdischer Abstammung aus dieser Hausgemeinschaft auszuschließen und von diesen Räumung ihrer Wohnung zu fordern. Leistet ein solcher Mieter jüdischer Abstammung dem Räumungsverlangen des Vermieters keine Folge oder lehnen die Mieter arischer Abstammung eine Hausgemeinschaft mit ihnen ab, so stört er damit die zwischen dem Vermieter und den anderen Mietern arischer Abstammung bestehende Hausgemeinschaft und macht sich durch sein weiteres Wohnenbleiben diesen gegenüber einer erheblichen Belästigung im Sinn des § 2 Mieterschutzgesetz schuldig".

18. November 1938 München * Innerhalb des isolierten jüdischen Lebensbereiches wird die Israelitische Kultusgemeindegezwungen, die staatlichen Terror-Maßnahmen durchzusetzen und zu organisieren. So kündigt der Völkische Beobachteran:

"Die Israelitische Kultusgemeinde richtet im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen ab sofort eigene Verkaufsstellen ein, in denen die in München ansässigen Juden ihren notwendigen Bedarf decken können.Zutritt zu diesen Verkaufsstellen haben nur Juden."

Seite 313/362 1939 England * Zu Kriegsbeginn wird Gerhard Haas, der Enkel Joseph Schüleins, als "Deutscher Kriegsfeind" in einem "Internierungslager" gefangen gehalten.

Das Lager wird nach Kanada verlegt, von wo aus Gerhard Haas nach Cuba fliehen kann. Dort wartet er bis 1941 mit vielen tausend Flüchtlingen aus Deutschland auf sein Visa für die Einreise in die USA.

29. Juli 1939 Schloss Nymphenburg * Gut ein Monat vor Beginn des Zweiten Weltkriegs findet die vierte und letzte "Nacht der Amazonen"statt.

September 1939 München-Theresienwiese * Willy Heide erinnert sich: 16 stramme Ochsen stehen schon für den Verzehr auf der "Wiesn" bereit.

Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. "Der Papaa hat alle schlachten lassen miassn und in Büchsen einmachen. Da hat?s lang a Stammessen geb?n im Heide-Volm".

September 1939 München-Bogenhausen * Nach dem Kriegsbeginn zieht in die ehemalige "Lauer-Villa" in der Neuberghausener Straße 11 eine "Luftschutzrettungsstelle" für Bogenhausen ein.

Weitere Militäteinrichtungen, darunter die "Luftschutzschule", folgen.

1. September 1939 Deutsches Reich - Polen * Deutschland überfällt Polen ohne Kriegserklärung. Damit beginnt der Zweite Weltkrieg.

5. September 1939 Berlin * Wenige Tage nach dem Kriegsbeginn wird eine Verordnung gegen Volksschädlingeerlassen. Sie bildet eine weitere rechtliche Grundlage für Todesurteile. Die Verordnung räumt ausdrücklich auch die Todesstrafe durch Erhängenein.

1. Oktober 1939 München-Lehel * Die Schack-Galeriewird in das Eigentum Bayerns überführt. Die Gemälde werden kurz nach Kriegsbeginn in Klöstern und Schlössern im bayerischen Oberland in Sicherheit gebracht.

Frühjahr ??? 1941 München * Die "Zwangsevakuierung" von Juden in sogenannte "Judenhäuser" und "Judenwohnungen" beginnt.

Seite 314/362 1941 München-Maxvorstadt * Dr. Ludwig Gilmer, ebenso "Facharzt für Chirurgie" wie Dr. Alfred Haas, übernimmt von der "Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, Landesstelle München" beziehungsweise vom "Deutschen Reich" die Häuser Richard-Wagner-Straße 17 und 19.

Er betreibt dort eine "Entbindungsanstalt".

Die "Franziskanerinnen" werden durch sogenannte "Braune Schwestern" ersetzt.

1941 München-Untergiesing *Die "Bäcker-Kunstmühle" wird in eine "Genossenschaft" umgewandelt, da die "Bäcker-Innung" nach den seinerzeit geltenden Gesetzen keine wirtschaftlichen Einrichtungen betreiben darf.

Die "Bäcker-Kunstmühle" wird von den in der "Genossenschaft" zusammengeschlossenen "Bäckermeistern" gemeinschaftlich betrieben und dient ausschließlich zur "Förderung der Wirtschaft" der Mitglieder.

24. Mai 1941 Duluth-Minnesota * Bob Dylan wird als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, geboren. Er wird sich zu einem der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts entwickeln.

16. Juni 1941 München-Bogenhausen * Der JesuitenpaterAlfred Delp beginnt seine Tätigkeit als Seelsorgerin der Bogenhausener Pfarrei Heilig Blutund als Kirchenrektoran der Sankt-Georgs-Kirche.

Februar 1942 München-Bogenhausen * Im Auftrag des "Jesuiten-Ordensprovinzials" August Rösch nimmt Alfred Delp - als Experte für Fragen der Katholischen Soziallehre, insbesondere der Arbeiterfrage - Verbindungen zum "Kreisauer-Kreis" auf, um die Erneuerung des Staates auf der Grundlage der christlichen Soziallehre nach dem absehbaren Zusammenbruch des Dritten Reiches zu bewirken.

Die Gruppierung um Graf James von Moltke gewinnt bis 1944 an Breite.

Neben Priestern beiderlei Konfession, Offizieren, Adeligen und meist konservativen Politikern arbeiten auch Sozialdemokraten mit.

Mai 1942 München-Isarvorstadt * Das "Ludwig-Monument" auf der "Corneliusbrücke" wird - als einziges Königsdenkmal Münchens - abgebaut und in Hamburg zur Gewinnung von "kriegswichtiger Munition" eingeschmolzen.

Nur der Königskopf bleibt aus "Pietät" erhalten.

1. Juli 1942

Seite 315/362 München * Jüdische Schülerinnen und Schüler dürfen nicht mehr in öffentlichen Schulen unterrichtet werden.

Ende August 1942 München * Die alliierten Angriffe aus der Luft beginnen erneut.

9. August 1942 Auschwitz *Edith Stein, die konvertierte Dominikanerinnen-Klosterschwester Teresa Benedicta a Crucewird imKonzentrationslager Auschwitzermordet.

1943 München * Das Einkommen des ScharfrichtersJohann Reichhart ist aufgrund der zahlreichen Todesurteile innerhalb weniger Jahre in die Höhe geschnellt. Im abgelaufenen Jahr erhält der Henker zu seinem jährlichen Grundgehalt von 3.720 RM noch Sondervergütungen in Höhe von 41.748 RM zu. Alleine die Sondervergütungen für die 764 Enthauptungen betragen 35.790 RM, der Rest sind Fahrkosten und Aufwandsenschädigungen.

1943 München-Au * Das ehemalige Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird durch Bomben zerstört.

1944 München-Maxvorstadt * übernimmt nach Adolf Wagners Tod dessen Dienstvilla in der Kaulbachstraße 15 und seine Funktionen als "Gauleiter" und Innenminister".

15. April 1944 München-Graggenau * Die "Residenzpost" wird - mit Ausnahme von Klenzes Bogenhalle - bei Luftangriffen schwer beschädigt und brennt aus.

Nur die Fassade am Max-Joseph-Platz und die barocke Hausfront an der Residenzstraße bleiben erhalten. Das Innere, samt dem "schönsten Münchner Treppenhaus des Spätrokoko" wird zerstört.

24. April 1944 München-Lehel * Starke Zerstörungen bringen der "Anna-Klosterkirche" im Lehel die Luftangriffe des von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkriegs.

Bei einem Bombardement der alliierten Streitkräfte in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 wird die "Anna-Klosterkirche" ein Raub der Flammen. Ein mehrere Tage andauernder Brand zerstört fast die gesamte Inneneinrichtung, einschließlich der Stuckaturen und der Fresken. Lediglich die Außenmauern und das Gewölbe bleiben erhalten.

Das bedeutet, dass das heutige eindrucksvolle Aussehen des Kircheninneren "lediglich" einen Neubau aus der Zeit zwischen 1967 und 1979 darstellt.

Seite 316/362 November 1944 München-Untergiesing * Bomben zerstören das Gebäude des "Marianums" bis auf die Grundmauern.

Ein Teil der Arbeiterinnen kommen nach Zell bei Ebenhausen. Die Zentrale bleibt im Keller des ausgebombten Gebäudes.

Deshalb muss der Transport der Waren und Nahrungsmittel ins 22 Kilometer entfernte Zell täglich zu Fuß mit dem Leiterwagen erfolgen.

Bis 1945 München-Englischer Garten - Lehel * Der Zusammenfluss aller äußeren Stadtbäche wird - bis zur Kreuzung mit dem "Eisbach" - als "Schwabinger Bach" bezeichnet. Dieser Bachabschnitt wird seither "Eisbach" genannt. Er beginnt unter der Prinzregentenstraße mit der Vereinigung des "Stadtmühlbachs" und des "Stadtsägmühlbachs".

Genau umgekehrt ist es beim jetzigen "Schwabinger Bach". Er heißt bis 1945 "Eisbach". So heißt der Bachabschnitt ab der Galeriestraße nach dem Zusammenfluss von "Kögelmühlbach" und "Kainzmühlbach".

Ab der Kreuzung zwischen "Eisbach" und "Schwabinger Bach" besteht wieder die alte Namensgebung.

1945 München-Isarvorstadt * Ella und Toni Reichenbach werden Wirtinnen der "Deutschen Eiche".

Ab 9. Januar 1945 Berlin * Die Hauptverhandlunggegen Alfred Delp vor dem Volksgerichtshofin Berlin beginnt."Hitlers Blutrichter", der Präsident des Volksgerichtshofs, Dr. Roland Freisler, führt die Verhandlung und beschimpft den Angeklagten mit den Worten:

"Sie Jämmerling, Sie pfäffisches Würstchen - und so etwas erdreistet sich, unserem geliebten Führer ans Leben zu wollen. [...]Eine Ratte - austreten, zertreten sollte man so was."

11. Januar 1945 Berlin * Die Hauptverhandlung vor dem Volksgerichtshofgegen Franz Sperr beginnt. Er kam durch Aussagen und Unterlagen von Mitgliedern des Kreisauer Kreisesnach dem misslungenen Attentat auf Hitler in die Fänge der Gestapo.

30. März 1945 Ripley * Eric Patrick Clapton wird in Ripley, Borough of Guildford, in Großbritannien geboren.

Der englische Blues- und Rock-Gitarrist und -Sänger ist 20-facher "Grammy"-Gewinner und als einziger Musiker

Seite 317/362 dreifaches Mitglied der "Rock and Roll Hall of Fame".

Clapton prägte mit seinen Bands Yardbird und Cream sowie als Solo-Musiker die Entwicklung des Bluesrocks seit den 1960er Jahren wesentlich mit. Er gilt als einer der bedeutendsten Gitarristen.

30. April 1945 München * Die "Befreiung Münchens".

Amerikanische Truppen marschieren in der bayerischen Landeshauptstadt ein. Die Situation der Münchner folgendermaßen dar:

Es gibt mehr als 6.000 Bombentote. 82.000 zerstörte Wohnungen. 5 Millionen Kubikmeter Schutt mit einem Gesamtgewicht von 7 Millionen Tonnen. In 9 Stadtbezirken sind mehr als die Hälfte der Häuser zerstört. Hunderttausende Münchnerinnen und Münchner sind obdachlos. Die Münchner Straßen sind von 3.500 Bombeneinschlägen verwüstet. Die Gas-, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen sind unterbrochen. 90 Prozent der Bahnanlagen sind zerstört. Die Münchner Straßenbahn ist die am schwersten beschädigte in allen drei Westzonen.

Nach Mai 1945 München-Untergiesing * Nach massiven Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wird die "Bäcker-Kunstmühle" wieder aufgebaut und in das Eigentum der "Bäcker-Innung" zurückgeführt.

Um Juli 1945 München-Lehel * Nach der ersten Sicherung der Bausubstanz beginnt man nach dem Ende des Krieges mit der Eindeckung des neuen Dachstuhls der "Anna-Klosterkirche".

Anschließend wird das Gewölbe, das sich durch die Hitzeeinwirkung um 25 Zentimeter gesenkt hat, stabilisiert und die zerstörten Kapitelle nachgegossen. Aus den verbliebenen Resten komponieren die Mitglieder der Pfarrgemeinde einen fragmentarischen Hochaltar. Auch die Seitenaltäre werden in vereinfachter Form neu gestaltet.

20. November 1945 Nürnberg * Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozessbeginnt. 24 Mitglieder der NS-Führung werden von den Alliierten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Es ist ein Medienspektakel ersten Ranges, aber kein Tribunal.

Ab dem 1946 München-Au - USA * Der von Ludwig Weinberger gestaltete "Bugatti Royale" wird vom "General-Motors-Ingenieur" Charles Chayne restauriert.

Seite 318/362 Dabei werden zahlreiche Änderungen und Eingriffe vorgenommen.

Technisch gehört dazu

der Ersatz des einzelnen "Schebler-Vergasers" durch eine Anlage mit vier "Strombergvergasern" und die Umrüstung von mechanischen auf hydraulische Bremsen. Der Umbau der Bremsen erfordert andere Felgen, denn Bugatti hat die Trommelbremsen des Originals in die aus Guss-Aluminium gefertigten Felgen integriert, um die ungefederten Massen zu reduzieren. Charles Chayne setzt auf die neuen Stahl-Felgen eigens angefertigte, verchromte Radkappen.

Zu den äußerlichen Veränderungen gehört eine Umlackierung auf perlmutt-weiß mit schwarzen Akzenten, schwarzem Verdeck und ebensolchem Koffer.

Auch den Innenraum überarbeitet Charles Chayne nach seinen Vorstellungen.

26. März 1946 München-Maxvorstadt * Knapp zehn Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Zusammenbruchs des Dritten Reichs.- gibt Oberbürgermeister Karl Scharnagel - anlässlich des "Tages der Opfer des Faschismus" - bekannt, dass das Rondell zwischen Brienner Straße und Maximiliansplatz künftig den Namen "Platz der Opfer des Nationalsozialismus" tragen wird.

Seine Lage inmitten der Stadt und "vor allem die Tatsache, dass das Denkmal des großen deutschen Dichters Friedrich von Schiller trägt, der Freiheit und Menschenwürde in seinen Werken feierte", lassen diesen Ort "als Erinnerungsstätte besonders geeignet erscheinen".

Der Standort wird allerdings bewusst gewählt, denn schräg gegenüber - im 1944 zerstörten ehemaligen Wittelsbacher Palaisan der Brienner Straße 50 - befand sich das gefürchtete Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei.Das war das Zentrum der politischen Verfolgung.

Die Länge des Platznamens macht sein Aussprechen zwar praktisch unmöglich.Doch das macht nichts, denn der Platz dient nicht als Adresse.Er ist einfach ein Verkehrsknoten mit Grünfläche. Der Form halber hat er aber trotzdem eine Postleitzahl erhalten: 80333.

2. Mai 1946 München-Maxvorstadt * Die Benennung des "Platzes der Opfer des Nationalsozialismus" sorgt bei Münchnerinnen und Münchner, denen die "Befreiung" offensichtlich als Niederlage erscheint, für Unmut.

In der Nacht zum 2. Mai wird eines der neuen Namensschilder abgeschraubt und an seiner Stelle eines mit dem Namen "Platz der Opfer demokratischer Menschenverdummung" angebracht.

Doch nicht nur die ehemaligen Täter - auch viele andere wollen keine Diskussion über die Verbrechen. Oberst James Kelly, "Vorsitzender der US-Verwaltung", wünscht keine Aufarbeitung der Vergangenheit. Obwohl seine Aufgabe die Erziehung der Münchnerinnen und Münchner hin zur Demokratie ist, meint er, es istangebracht, von der vergangenen Zeit überhaupt nicht mehr zu sprechen und sie und ihre Ereignisse nicht mehr dauernd zu erwähnen.

Seite 319/362 Die Vorbehalte bleiben bis in die heutige Zeit. Dennoch wird der Platz zunehmend dazu genutzt, eine Gedenkkultur in München zu etablieren.

28. September 1946 München-Kreuzviertel * Die Dreifaltigkeitskirche bleibt tatsächlich als einzige Kirche der Münchner Innenstadt von der Wucht der Bomben des Zweiten Weltkriegs weitestgehend verschont.

Der Bericht des Dompfarrers K. Abenthum vom 28. September 1946 führt folgende Beschädigungen auf: "Dach über dem Querschiff abgebrannt; Sakristeianbauten größtenteils zerstört. [?] Kleinere Splitterschäden und Beschädigungen an der Putzarchitektur. Im Inneren: [?] Altargemälde ernsthaft beschädigt."

16. Oktober 1946 Nürnberg * Der MastersergantHazel Woods legt neun Hauptkriegsverbrecherndie Schlinge um den Hals. Es sind dies

der AußenministerJoachim von Ribbentrop; der Chef des Oberkommandos der WehrmachtWilhelm Keitel; der Chef der SicherheitspolizeiErnst Kaltenbrunner; der Reichsminister für die besetzten OstgebieteAlfred Rosenberg; der Generalgouverneur von PolenHans Frank; der InnenministerWilhelm Frick; der Herausgeber der antisemitischen Zeitung Der StürmerJulius Streicher; der Gauleiter von ThüringenFritz Sauckel; GeneraloberstAlfred Jodl und der Reichskommissar für die NiederlandeArthur Seyss-Inquart.

ReichsmarschallHermann Göring hat sich mit einer Zyankali-Kapsel am 15. Oktober 1946 seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen.

17. Oktober 1946 München-Obergiesing * In aller Frühe fahren Lastwagen der US-Armeeam Krematorium des Ostfriedhofesvor. Ihre Fracht besteht aus zwölf Särgen, von denen zwei leer sind. Angeblich befinden sich darin die Leichen von zwölf in einem Krankenhaus verstorbenen US-Soldaten, die nun unter der Aufsicht von Offizieren eingeäschert werden sollen. Tatsächlich enthalten die Särge die Leichen von neun in Nürnberg am Tag zuvor hingerichteten Hauptkriegsverbrechern:Es sind dies:

der AußenministerJoachim von Ribbentrop; der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht,Wilhelm Keitel; der Chef der Sicherheitspolizei,; der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete,Alfred Rosenberg; der Generalgouverneur von Polen,Hans Frank; der InnenministerWilhelm Frick;

Seite 320/362 der Herausgeberder antisemitischen Zeitung Der Stürmer,; der Gauleiter von Thüringen,Fritz Sauckel; der GeneraloberstAlfred Jodl und der Reichskommissar für die Niederlande,Arthur Seyss-Inquart.

Der zehnte Tote ist der ReichsmarschallHermann Göring, der sich am 15. Oktober 1946 seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen hatte. In der Amtssprache hieß das:"Die Leiche Hermann Wilhelm Görings ist zusammen mit den Leichen der Kriegsverbrecher, die gemäß dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes am 16. Oktober in Nürnberg hingerichtet worden sind, verbrannt und die Asche im geheimen in alle Winde verstreut worden."

1947 München * In München existiert eine Vereinbarung, die den "freien Samstagnachmittag" für Verkäufer/innen festlegt.

Auf Bundesebene gilt noch immer die "Arbeitszeitverordnung" aus dem Jahr 1938, die zum Samstagnachmittag keine Aussagen macht.

1947 München-Maxvorstadt * Der 22-jährige, aus Marktl am Inn stammende TheologiestudentJoseph Ratzinger beginnt im Georgianumseine Laufbahn.

9. Januar 1948 München-Englischer Garten - Tivoli - Hirschau * Philipp Mathes, der Direktor der Kunstmühle Tivolibeginnt mit der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seenüber die Übernahme des Kraftwerks des ehemaligen Maffei-Kraftwerksam Eisbach zu verhandeln.

10. März 1948 Nürnberg * Der Prozess gegen den "Lebensborn e.V." endet mit der Verkündigung des Urteils.

In den Prozessen konnte die Anklage nicht den Beweis erhärten, dass im "Lebensborn e.V." die "gelenkte Fortpflanzung" betrieben worden sei.

Die Richter sprechen den Verein sogar von der Beteiligung an Verbrechen frei und bestätigten ihm seinen gemeinnützigen Zweck, wonach es Heinrich Himmler und der "Lebensborn-Führung" darum ging, die "ledige Mutter und ihr Kind" vor der Diffamierung durch die Gesellschaft zu schützen. "Angestrebt wurde vielmehr, die soziale Stellung der Mutter und ihres Kindes zu erleichtern".

1. September 1948 Bonn * Der Parlamentarische Ratbeginnt im Museum Alexander Koenig in Bonn mit der Formulierung des Grundgesetzes. Den elf westdeutschen Ministerpräsidenten war am 1. Juli 1948 von den drei Militärgouverneuren der westlichen Siegermächte der Auftrag für eine Verfassungsgebende Versammlungfür die künftige Bundesrepublik Deutschland erteilt worden.

Seite 321/362 13. Dezember 1948 München * Der Prozess gegen den ScharfrichterJohann Reichhart vor der Spruchkammer IVbeginnt. Er wird als Hauptschuldigerangeklagt und nach zweitägiger Verhandlung als "belastet" eingestuft und verurteilt.

12. Oktober 1949 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Mit einem Gründungskongressim Deutschen Museumwird der Deutsche Gewerkschaftsbund - DGBvon 16 Branchengewerkschaftenins Leben gerufen. Der Bayerische Gewerkschaftsbund - BGBlöst sich zuvor als Landesorganisation auf und geht in den DGB-Bezirk Bayernüber. Das "Parlament der Arbeit" wählt den 74-jährigen Hans Böckler zu seinen Vorsitzenden.

Mit der Gründung des DGBwird auch die politische Spaltung der Arbeiterbewegungaus der Weimarer Republiküberwunden. Nun gilt das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, also einer parteipolitisch neutralen Organisation, die sich ausschließlich um Fragen der Arbeitnehmer*innen widmet.

26. November 1950 Freistaat Bayern * Bei der Landtagswahlam 26. November 1950 muss die CSU eine verheerende Niederlage hinnehmen:

Nur 27,4 Prozent der Stimmen entfallen auf die CSU, während die Bayernpartei17,9 Prozent erhält. Die SPD wird mit 28 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei. Obwohl sie 60.000 Stimmen mehr als die CSU erhält, bleiben die Christsozialenaufgrund von Überhangmandatentrotzdem die stärkste Fraktion.

Hans Ehard bildet eine Koalitionsregierungaus CSU, SPD und dem rechts stehenden Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten - BHE.

1951 München-Maxvorstadt * Nachdem die Familie Dr. Alfred Haas nach dem Krieg ihr Eigentum wieder zurückbekommen hat, verkaufen sie die Klinik in der Richard-Wagner-Straße 17 und 19 an den "Franziskus-Verein" ausWil in der Schweiz.

Die "Franziskanerinnen" betreiben das Krankenhaus unter dem Namen "Privatklinik Dr. Haas".

Die Schwestern wohnen im obersten Stockwerk des Hauses Richard-Wagner-Straße 15.

1952 München-Bogenhausen * Das "Kindergärtnerinnen-Seminar" zieht in die Räume der ehemaligen "Lauer-Villa" in Bogenhausen.

25. April 1953 München-Ludwigsvorstadt * Mehrere tausend Verkäuferinnen und Verkäufer demonstrieren vor dem Münchner

Seite 322/362 Gewerkschaftshaus für einen "freien Samstagsnachmittag".

13. Juni 1953 München * Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBVund die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - DAGhaben zur Kundgebung für den Samstag-Nachmittag-Ladenschlussaufgerufen.

Der Protestmarsch bewegt sich vom Arbeitsamtin der Maistraße über den Sendlinger-Tor-Platz zum Stachus und von dort weiter in die Altstadt, wo er sich in der Kaufingerstraße vor C&A Brenninkmeyerstaut.Demonstranten blockieren im Inneren des Geschäfts die neumodernen Rolltreppen.

Ab 1954 Fall * Die Arbeiten am Sylvensteinspeicher beginnen. Die Arbeiten dauern bis 1957 an. Ein Hochwasser führt dazu, dass der Damm um zwei Meter höher ausgeführt wird, als ursprünglich geplant. Damit kann die reißende Isar gezähmt werden.

1954 München-Kreuzviertel * 2.000 Mitarbeiter kümmern sich im neugestalteten und renovierten "Kaufhaus Oberpollinger" um die Kundschaft.

Der Werbeslogan bringt es auf den Punkt: "Außen im vertrauten Kleid - Innen nach der neuen Zeit".

20. Februar 1954 München * Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBVund die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - DAGhaben wieder ihre Mitglieder mobilisiert. Ab 14 Uhr halten etwa 1.000 Demonstrant*innen die Zugänge der Filialen der Firmen C&A Brenninkmeyerund Salamanderbesetzt.

Gegen 16 Uhr wird die Kaufingerstraße von einer Hundertschaft der Polizei mit vorgehaltenem Karabiner, berittener Polizei und dem Wasserwerfer geräumt. Sechs Demonstranten werden verhaftet.

27. März 1954 München * Der DGB und die Einzelgewerkschaften haben zu einem neuen Protestmarsch mobilisiert, den das Verwaltungsgericht wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung auf Antrag des "Kaufhauses C&A Brenninkmeyer" verbietet.

Unabhängig davon setzt sich der Protestmarsch mit rund 2.000 Demonstranten von der Herzog-Wilhelm-Straße aus in Bewegung. Es kommt zur Eskalation mit der "martialisch auftretenden" Polizei, nachdem etwa fünfzig berittene Polizisten versuchen, die Demonstranten und Passanten in die Seitenstraßen abzudrängen.

Mehrere hundert Polizisten gehen mit ihren Karabinern gegen die Menschen vor, schlagen zum Teil auf diese ein und nehmen 53 Demonstranten fest. Schaufensterscheiben gehen durch Polizeipferde zu Bruch. Der berühmt-berüchtigte Wasserwerfer steht bereit.

Seite 323/362 Einige Demonstrantinnen und Demonstranten werden schwer verletzt, der Verkehr ist für Stunden unterbrochen, das normale Leben setzt erst in den Abendstunden wieder ein.

Um den Mai 1954 Edinburgh * Münchens erste Städtepartnerschaft wird mit der schottischen Hafenstadt Edinburgh geschlossen.

Es beginnt ganz klassisch mit einem Schüleraustausch.

18. September 1954 München-Theresienwiese * Das Bräurosl-Festzelterhält eine neue Fassade, die an ein oberbayerisches Bauernhaus im Bundwerkstil erinnert. Die Fassade prägt bis heute das Gesicht derBräurosl.

2. Februar 1955 München-Au * Der Cowboy Club München Südbittet um Baugenehmigung für ein Behelfsclubheim.Auf dem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Grundstück von Frau Ida Krone, "da dadurch das bisher durch Lausbubenstücke und von lichtscheuen Elementen heimgesuchte Gelände unter schärfere Kontrolle fällt und der Rasen und Baumbestand gepflegt wird.Korrektes und ruhiges Verhalten wird die Nachbarschaft nicht belästigen". In einer Ranchwill der Verein einen Clubraum, einen Museumsraumfür die wertvolle Sammlung und einen Bibliotheksraumverwirklichen.

Die Cirkus-Krone-Verwaltunggenehmigt dem Cowboy-Clubdie Grundstücksnutzung für seine sportlichen und ideellen Zwecke, bis zum beabsichtigten Verkauf des Areals.Seither beherrschen Winnetou und Old Shatterhand den ehemaligen Schmederer-Garten. Eine alte Wehrmachtsbarackewird mit Hilfe der Pschorrbrauereiund hoher Eigenleistung zur Ranchumgebaut."Jeden Samstag und Sonntag sind 15 bis 20 Mann ganztägig da.Rund 2.000 Arbeitsstunden werden freiwillig und gern von den Clubmitgliedern geleistet."

In der Ranchbefindet sich der kostbarste Besitz des C.C.M.S., das Indianermuseum. In ihm ist alles Zubehör und Kleidung zu finden, die einen Indianer ausmachen.Köcher aus Büffelleder, Federhauben, Friedens-Pfeifen, Brautmokassins, mit perlenbestickten, bunten Schuhsohlen, sowie Kriegsbeilen, wie sie wirklich waren: schlicht und einfach. In einem eigenen lateinamerikanischen Glaskasten befindet sich ein Schrumpfkopf.

Bis 1956 München-Graggenau * Nachdem die Ruine der "Residenzpost"weitgehend abgetragen ist, lässt die "Oberpostdirektion" bis zum Jahr 1956 einen modernen Neubau errichten, in den die restaurierte "Loggia" am Max-Joseph-Platz integriert wird.

Das Portal an der Residenzstraße wird abgetragen und ins Innere der "Schalterhalle" verlegt. In die neue, langweilige Fassade in der Residenzstraße presst man noch ein drittes Stockwerk hinein.

Die "Schokoladenseite" mit der "Kolonnade" kann hingegen nach Klenzes Plänen relativ preiswert restauriert werden.

Juni 1958 München * Zur "800-Jahr-Feier Münchens" trifft Dr. Hermann Schülein mit den "Rheingold-Girls"in München ein.

Seite 324/362 Die "Rheingold-Girls" bestehenauseiner Gruppe amerikanischer "Schönheitsköniginnen", die auf der jährlich von der "Rheingold-Brauerei" ausgerichteten Konkurrenz ausgewählt werden.

23. November 1958 FreistaatBayern * Bei der Wahl zum Bayerischen Landtagist die CSU die eindeutige Wahlgewinnerin.

Die CSU kann ihren Stimmenanteil von 38,4 auf 45,6 Prozent erhöhen. Die SPD verbessert ihr Ergebnis um 2,7 Prozent auf 30,8 Prozent. Die Bayernpartei - BP, der Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten - GB/BHEsowie die FDP fallen nach zum Teil massiven Verlusten unter die Zehnprozent-Marke.

Der Trend zum Zweiparteien-System schält sich schon bei dieser Wahl deutlich heraus.

Obwohl die CSU mit 101 Sitzen fast die absolute Mehrheiterreicht hat, bleibt es bei der Dreierkoalitionaus CSU, GB/BHE und FDP.

Zum Ministerpräsidentenwird gewählt.Sein Stellvertreter, Rudolf Eberhard, gehört aber aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nun auch der Christlich Sozialen Unionan.

Um Februar 1959 München-Graggenau - München-Angerviertel * Hannes König überzeugt Oberbürgermeister Thomas Wimmer vom Sinn und Zweck eines "Volkssänger- und Valentin-Museums".

Er erhält den südlichen Isartorturm, der damals noch eine Ruine war, zur mietfreien Nutzung.

1960 München-Haidhausen *Die "Nicolai-Kirche" am Gasteig wird im Inneren restauriert.

Dabei werden die drei vorhandenen Aläre entfernt und durch einen frühbarocken Altar aus dem Jahr 1691 ersetzt. Er stammt ursprünglich aus einer Kirche in Garmisch.

17. August 1960 Hamburg * Die Beatles beginnen ihre Hamburger Gastspiele im Indra,einem ursprünglichen Striptease-Lokalauf der Reeperbahn, in dem zur Eröffnung als Musikkneipe die Band aus Liverpool auftritt.Das Lokal, das gerade mal Platz für sechzig Leute hat, wird von Bruno Koschmider geführt.

48 Nächte werden die Beatles an sieben Tagen in der Woche für eine Tagesgage von 30 bis 40 DMark pro Mann spielen. Ihre Musik kommt nicht sonderlich gut an, denn die Besucher wollen eigentlich keine Rockmusik hören, sondern Striptease sehen.

22. Juni 1961

Seite 325/362 Hamburg * Gemeinsam mit Tony Sheridan nehmen die Beatles "The Saints (When The Saints Go Marching in)", produziert von Bert Kaempfert, auf Single auf. Die B-Seite der Single heißt "My Bonnie (Lies Over The Ocean)"und handelt von Bonnie Prince Charles, der anno 1745 in Schottland landet und von dort einen Aufstand gegen die britische Krone beginnt.

6. Juni 1962 London * Die Beatles beginnen ihre Plattenaufnahmen in den Abbey Road Studios der EMI. Am Schlagzeug sitzt noch Pete Best.

21. Juni 1962 München-Schwabing * An Fronleichnam, einem katholischen Feiertag in Bayern, beginnen die sogenannten "Schwabinger Krawalle". Das erste Aufeinandertreffen zwischen Polizei und etwa 50 Zuhörern von drei Gitarrenspielern erfolgt gegen 21:45 Uhr - weit weg von jedem Wohnblock - im Englischen Gartenam Monopteros. Doch es läuft glimpflich ab, denn die Jugendlichen folgen der Aufforderung der Polizei und gehen auseinander.

Eine knappe halbe Stunde später löst am Wedekindplatz eine andere Streifenwagenbesatzung - ebenfalls ohne größere Probleme - eine aus etwa 150 Personen bestehende Ansammlung auf, die sich um drei Gitarristen gruppiert hat.

Um 22:35 Uhr kommt es an der Leopold-/Ecke Martiusstraße zum dritten Polizeieinsatz und daraus resultierend zur tätlichen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer aus etwa 200 Personen bestehenden Gruppe, die sich um fünf Gitarristen gebildet hat.Die Band besteht aus den Gymnasiasten Michael Erber und Klaus Olbrich, den Lehrlingen Wolfram Kunkel und Hans (Sitka) Wunderlich und dem jungen Schreiner Rüdiger Herzfeldt. Sie singen und spielen russische Volkslieder.

Nachdem sich einige Anwohner über die Störung der Nachtruhebei der Polizei beschwert haben, treffen zwei Beamte am "Tatort" ein und fordern die jungen Gitarrespieler zum Einsteigen in den Funkstreifenwagen auf. Das Einschreiten der Polizei gegen die Musiker wird von den Zuhörern - "spontan und ohne vorherige Planung" - als Festnahme gedeutet.

Diese artikulieren daraufhin ihren Unmut ziemlich laut und unmissverständlich.Es kommt zu Rangeleien mit den Ordnungshütern, die nun ihrerseits Verstärkung anfordern, nachdem die Randalierer die Luft aus den Reifen des Polizeiautos lassen. Mit einem ersten Gummiknüppeleinsatz kann die Polizei die auf mehrere hundert Menschen angewachsenen Protestierer vom Schauplatz abdrängen. Kaum dass die Polizisten abgerückt sind, läuft eine noch größere Menschenmenge als zuvor (Schätzungen sprechen von 5.000 Personen) auf die Leopoldstraße und blockiert den Auto- und Straßenbahn-Verkehr mit Stühlen und indem sie sich selbst auf der Straße niederlassen.

Erst nach der zweimaligen Räumung der Straße und der Festnahme von 41 Personen erklärt die Polizei um 1:40 Uhr den Einsatz für beendet.Laut Polizeibericht kommen 90 Beamte zum Einsatz.Zwei Protestierer werden nachträglich zur Anzeige gebracht.

24. Juni 1962 München-Schwabing * Sonntag. Die Proteste der Schwabinger Krawallelassen zwar nach, doch Pressebeobachter zählen immer noch 3.000 Teilnehmer.Sogar Studentengruppen wenden sich nun gegen die

Seite 326/362 Fortsetzung des Protests. Wieder beginnen die Straßenblockaden.Es kommt zu den "härtesten Auseinandersetzungen", die sich auch an der besonders hohen Zahl von Festnahmen ablesen lässt.

Man schiebt die Gewalttätigkeit der Halbstarken-Szenezu. Doch spätere Untersuchungen können diese Mutmaßung nicht bestätigen. Der Anteil der Studenten an den Protestveranstaltungen hat sich gegenüber dem Vortag prozentual sogar erhöht. Laut Polizeibericht kommen über 450 Polizisten zum Einsatz, die 85 Protestierer festnehmen und 13 nachträglich zur Anzeige bringen.

Lange vor dem 22. September 1962 München-Theresienwiese?Bürgermeister Albert Bayerle will die Wirtsbudenstraße auflösen. Alle Festzelte sollen mit Notausgängen nach außen rings um den Festplatz verteilt und Karusells und Schaustellungen ins Innere des großen Runds gelegt werden. Das würde bei Notfällen eine reibungslose Räumung der Riesenhallen erlauben. Die Planungen scheitern an den Kosten und den Brauereien.

28. August 1963 Washington D.C. * Der Baptistenprediger Martin Luther King spricht vor 250.000 Menschen in Washington D.C., um für seine afroamerikanischen Mitbürger "Freiheit, Gleichheit und Arbeitsplätze" zu fordern.Die Rede beginnt mit den Worten "I have a dream".

Er träumt darin davon, "dass meine Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden".Er hebt hervor, dass "der Schwarze auf einer einsamen Insel der Armut inmitten eines weiten Ozeans des materiellen Wohlstands" lebt, ja, er lebt "in seinem eigenen Lande im Exil".

Unter den Zuhörern befindet sich auch Bob Dylan.Präsident John F. Kennedy wollte die Demonstration bis zuletzt verhindern.

29. August 1963 München-Maxvorstadt * Das erste Rock-Konzert im Cirkus Krone- mit Chubby Checker, Tony Sheridan, Manuela und anderen.Die Konzerte beginnen um 19:00 Uhr sowieum 21:30 Uhr und sind ausverkauft.

Ab 5. Oktober 1963 Schottland * Die Tournee der Beatles durch Schottland beginnt.Sie dauert bis zum 7. Oktober 1963.

2. März 1964 London * Die Dreharbeiten für den Beatles-Film "A Hard Day?s Night" beginnen in Paddington Stadionin London.

30. Mai 1964 München - München-Haidhausen - Bordeaux * München geht eine Städtepartnerschaft mit der südwestfranzösischen Stadt Bordeaux ein. Beide Städte widmen im Laufe ihrer Beziehungen der jeweiligen Partnerstadt eine Straße oder einen Platz.

Bordeaux benennt an der repräsentativen Esplanade des Quinconcesin zentraler Lage die Allée de Munich.

Seite 327/362 Bayerns Landeshauptstadt München wählt einen völlig anderen Weg und stellt im Jahr 1976 am Forumder Wörthstraße einfach neue Tafeln mit dem Namen Bordeauxplatzauf.

Mit dem Forumwird ganz bestimmt einer der ansprechendsten Plätze in Haidhausen gefunden, auch wenn die Wörthstraße an eine der blutigsten Schlachten erinnert. Ob es aber amtliche Befürchtungen sind, die den Münchnern die möglicherweise schwierige Schreibweise der Partnerstadt nicht zutrauen oder nur einfach die Angst vor allzu viel Veränderung, ist nicht überliefert.

Jedenfalls besitzt der Bordeauxplatzbis heute keine Hausnummer, weshalb auch an eine solche Anschrift kein Brief zugestellt werden kann. Die den Platz säumenden Häuser führen auch weiterhin die fortlaufenden Hausnummern der Wörthstraße.

24. Juli 1964 München-Ludwigsvorstadt * Die Abendzeitungkauft alle Eintrittskarten für die Aufführung des Beatles-Filmes Yeah, Yeah, Yeahim City-Palastan der Sonnenstraße auf und verschenkt sie an Beatles-Fans.Dabei ist das Interesse so gewaltig, dass sich die ersten Liebhaber bereits in aller Frühe einfinden, obwohl die Kartenverteilung erst um zwölf Uhr Mittag beginnt.

Polizisten in Zivil mischen sich unter die Jugendlichen, um nötigenfalls ordnend einzugreifen. Das Verhalten der adrett und brav gekleideten weiblichen und der - mit den damals modischen, eng geknoteten Krawatten ausstaffierten - männlichen Jugendlichen macht dies aber nicht notwendig. Sollte es zu einem gefährlichen Gedränge kommen, würde ein Lautsprecherwagen bereitstehen, über den man - vom Stadtjugendamt ausgeliehene - Beatles-Platten abspielt, um die Fans vom Kinoeingang wegzulocken.

Man will sie dann zur Theresienwiese lotsen, wo genügend Platz zur Umsetzung von Musik in Bewegung vorhanden wäre. So weit kommt es allerdings nicht.

Doch als die Beatles schließlich auf der Leinwand erschienen, kennt die Begeisterung keine Grenzen; Tränen fließen, Schreie ertönen, es wird gestampft, geklatscht und mitgesungen.

Die "Beatles" sind einfach die Größten.

Ab 9. Oktober 1964 Großbritannien * Die Tournee der Beatles durch Großbritannien beginnt. Sie dauert bis 10. November.

1. Februar 1965 München-Schwabing * Die Bauarbeiten für die Münchner U-Bahn beginnen in der Ungererstraße am Bahnhof Schenkendorfstraße, heute: Nordfriedhof.

22. Februar 1965 Großbritannien * Die Dreharbeiten zu dem Beatles-Film "Help!" beginnen. Sie dauern bis Mai 1965 an.

1. Juni 1965 München-Oberwiesenfeld * Die Bauarbeiten am 291 Meter hohen Fernsehturmbeginnen. Der Turm hat zu diesem

Seite 328/362 Zeitpunkt noch nichts mit der Sommer-Olympiade 1972zu tun. Er wird eigentlich nur zur Verbesserung der Sendeleistung erbaut.Ursprünglich hätte der Turm 330 Meter hoch werden sollen, doch aufgrund der Nähe zum Flughafen München-Riemmussman sich mit den 291 Metern begnügen.

Ab 15. August 1965 New York * Beginn der zweiten Beatles-Tournee durch die USA im Shea Stadiumin New York vor 55.600 Zuschauer. Das Gastspiel endet am 31. August.

14. September 1965 München * Brian Jones von den Rolling Stoneslernt in München auf einer After-Show-Partydie als Fotomodell und Schauspielerin tätige Anita Pallenberg kennen. Auch Mick Jagger und Keith Richards begehrten diese Frau, doch Brian Jones gewinnt - vorerst.

26. September 1965 Rio de Janeiro *Der Beatles-Film "Help!"gewinnt beim Filmfestival in Rio de Janeiro den Großen Preis.

23. Juni 1966 London - München * Um 11:20 Uhr heben die Beatles mit dem Flug BE502 mit der BEA-Linienmaschine Comet IVvom Londoner Flughafen ab, um um 12:56 Uhr in München-Riem zu landen. Endlich sind sie da. George Harrison, Paul McCartney, John Lennon und Ringo Starr treffen erstmals und höchstpersönlich in München ein.

Und als "die vier Sängerknaben mit der Mädchenfrisur" das Flugzeug verlassen, werden sie "von lustigen Teenagern zumeist" begeistert empfangen. Man hat sie bis zur Landung des Flugzeugs mit Beatmusik bei Laune gehalten.Die Mädchen tragen Pony, die Haare hochtoupiert, sowie bonbonfarbene, schenkelkurze Op-Art-Kleidchen und Pumps. Die Burschen bekleiden sich mit hautengen Jeans und schwarzen T-Shirts oder geblümten Hemden. Ihre Haare bedecken zwar die Ohren, reichen aber noch nicht bis zur Schulter.Dazwischen sind auch "einige wüstere Typen mit verfilztem, schulterlangem Haar, im obligatorischen Snow Coat mit aufgemalten Atomwaffengegner-Abzeichen", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Die Mädchen halten bemalte Schilder hoch und alles sieht friedlich aus.Doch es muss schon ein sehr trügerischer Friede sein, denn auf je fünf Fans kommt ein Polizist. 200 Staatliche Ordnungskräfte sorgen für einen reibungslosen Ablauf.Außerdem ist die Straße rechts vom Hauptgebäude auf einer Länge von fast einhundert Metern abgesperrt worden.

Noch auf der Rolltreppe werden die Fab Fourmit extrem saublöden Fragen interviewt.Ringo Starr antwortet auf dem Flughafen auf die Frage eines Reporters: "Warum stehen Sie immer so spät auf?" mit der Gegenfrage: "Wollen Sie schon in aller Frühe unseren Lärm hören?"Total unverständlich findet der Münchner Merkurdie Popularität der Beatles, da die Vier doch nur Nachteile vorzuweisen hätten: "Der kurzsichtige John Lennon, der Linkshänder Paul McCartney, George Harrison mit den abstehenden Ohren und Ringo Starr mit der übergroßen Nase."

Außerdem überreicht man ihnen Lederhosen mit Hirschknöpfen und weiße leinene Trachtenhemden.Schon während des Flugs hat man ihnen einen Tirolerhutübergeben, den der "großnasige" Ringo beim Verlassen des Flugzeugs zu seiner braunen Lederjacke trägt.

Seite 329/362 "Machen Sie Platz für die Beatles!".Die Ampeln sind für die vier Musiker auf Grün gestellt. So fahren sie über die Prinzregentenstraße, vorbei an den Vieltausenden, Fähnchen schwenkenden, "Yeah-yeah-yeah!" kreischenden Münchner Beatles-Fans. Es herrscht einfach eine freundliche Stimmung an diesem 23. Juni 1966.

In dem Auto mit dem Kennzeichen M-TX 107 sitzen die Beatles.Um den wartenden Fans zu entkommen, fährt der Mercedes die Tiefgarage von hinten an, sodass die Gruppe um 13:45 Uhr das Hotel durch den Lieferanteneingang betreten kann. Während die Musiker durch den Hintereingang verschwinden, warten auf dem Promenadeplatz etwa 3.000 Fans und Neugierige mit Transparenten. Neun Hausdiener und eine Handvoll Polizisten sollen den Bayerischen Hofgegen den Ansturm der Beatles-Fans verteidigen."Die Scheiben sind vorsorglich beim Glaser bestellt", diktiert Hotelchef Falk Volkhardt einem Reporter in den Block.

Nichts passiert. Nur junge Frauen und Männer warten auf dem Promenadeplatz sehnsüchtig auf den Augenblick, dass sich ihre Idole an einem der Fenster zeigen.Oben im fünften Stock tun diese den Fans ein einziges Mal den Gefallen und treten ans Fenster, um ein paar Autogramme auf die Straße zu werfen.

Für 16:00 Uhr ist im Nachtclubdes Hotels Bayerischer Hofeine Pressekonferenz anberaumt.Diese beginnt 20 Minuten später, weil der Fahrstuhl stecken bleibt. Statt der erlaubten 10 haben sich 15 Personen in den Aufzug gequetscht.Zuerst werden Fotos der Fab Fourgeschossen, danach dürfen die Journalisten die Beatles 13 Minuten befragen.Dazwischen bekommen sie noch den "Goldenen BRAVO Otto" in der Kategorie Beste Beatbandüberreicht.

Zur gleichen Zeit tagt im Polizeipräsidiuman der Ettstraße ein Krisenstab, denn den deutschen Behörden und der Polizei waren Popstars samt den kreischenden Fans ausgesprochen befremdlich.Aus Anlass des Beatles-Gastspiels richtet man in München einen Krisenstab ein, dem der Polizeipräsident, zwei Einsatzleiter und ein erst kurz zuvor installierter psychologischer Fachmann angehören.Deeskalationfordert der Psychologe, was natürlich umfangreiche polizeiliche Vorbereitungen notwendig macht, um Massenaufläufe möglichst zu verhindern oder zumindest unter Kontrolle zu halten.

So bekommen die Beatlesdie Kehrseite ihres Ruhmes zu spüren.Ihnen wird ein abendlicher Schwabing-Bummel aus Sicherheitsgründen verboten, weshalb sie die ganze Zeit ihres München-Aufenthaltes im Bayerischen Hofverbringen müssen. Die Abendzeitungschreibt beschwichtigend: "Die Herren tragen zwar unorthodoxe Haartracht und veranstalten einen für musikalische Ohren beschwerlichen Lärm, aber im Grunde sind sie harmlos und übermütig, und in ihren Liedern kommt nichts Unanständiges vor."Die Polizei hat eine Fälscherbande hochgenommen, die 125 gefälschte Eintrittskarten für die Beatles-Konzertezu Horror-Preisen verkauft hat.

Am frühen Abend machen die Beatles eine Generalprobeauf ihrem Zimmer, da sie bis zum 21. Juni 1966 jeden Tag mit den Aufnahmen zur LP "Revolver"beschäftigt waren. Gegen 21:30 Uhr betreten die vier Beatmusiker das 16 Meter lange Schwimmbadauf dem Dach des Hotels Bayerischer Hof, das extra für die Beatles reserviert und eigens für diesen Zweck mit neuem Wasser gefüllt worden war. Der einzige Schwimmer ist Paul, der sich mit einer geliehenen Badehose in die Fluten stürzt, während die drei anderen "kühles Nass aus Whiskeyflaschen" vorziehen.

Fortsetzung folgt !

24. Juni 1966 München * Für 17:15 Uhr ist das erste und für 21 Uhr das zweite Beatles-Konzertim Circus Kroneangesetzt. Die Süddeutsche Zeitunginformiert ihre Leser fürsorglich über die gesundheitliche Gefährlichkeit dieser Musik:"Wenn die Gitarren ihren harten Rhythmus beginnen, wird der Lärm so stark, dass es vom ärztlichen Standpunkt aus

Seite 330/362 ratsam erscheint, das Weite zu suchen.Das halbe Dutzend großer Verstärker verwandelt selbst das Laufgeräusch einer Ameise in das Donnern einer aufgescheuchten Elefantenherde: Sie haben zusammen 800 Watt."

Die 6.200 Eintrittskarten für die Beatles-Konzertesind schon lange vorher verkauft worden, 2.000 davon nach auswärts.Vier Sonderzüge treffen mit diesen Fans in München ein:

aus Stuttgart Der Rasende John, aus Innsbruck Der Fliegende Paul, aus Würzburg Der Schnelle Georgeund aus Ulm Der Rollende Ringo.

Am Einlass zum Cirkus-Krone-Baubrechen Teenager vor Enttäuschung in Tränen aus.Sie sind von einer Fälscherbande mit gezinkten Tickets betrogen worden.

Um 16:30 Uhr werden die Türen zum Circus-Krone-Baufür die Fans geöffnet und um 17:15 Uhr beginnt das erste Beatles-Konzert vor 3.500 Zuschauern mit dem Vorprogramm. Die Sicherheitsvorkehrungen sind beträchtlich: 250 Polizeibeamte sind im Einsatz.Im Hof der Deroy-Schuleparkt ein Wasserwerfer.Im Publikum verteilen sich ausgewählte junge Beamte.Bei einem Stimmungsüberschlag will man den Cirkus-Krone-Bauschlagartig in gleißend weißes Licht tauchen.Doch noch vor Konzertbeginn sorgtein Gewitterregen für Abkühlung.

Die Stimmung sinkt noch tiefer, als sich die erste Vorgruppe mit dem aufreizenden Namen Cliff Bennet and the Rebel Rousersauf der Münchner Bühne abmüht.Erst den Rattles, einer Band aus Hamburg, gelingt es, die Emotionen auf beatlesgemäßes Niveau zu steigern.Im Anschluss tritt noch das Duo Peter & Gordonauf. Danach schaltet die Regie eine künstliche Pause, nach der - in dem atemlos stillen Krone-Saal - die Beatlesangekündigt werden.

Als die vier Ausnahmemusiker urplötzlich auf die Bühne springen, entlädt sich ein Orkan.Unter ihren - für die damaligen Verhältnisse - skandalös langhaarigen Köpfen tragen sie dunkelgrüne Jägeranzüge mit hellen Kragenaufschlägen. Ihre ebenfalls uniformen gelben Hemden sind mit Krawatten zugebunden.

Die Beatlesspielen zwar nur elf Lieder.Doch mit jedem Song steigert sich die frenetische Begeisterung des Münchner Publikums. Die Songfolge ist folgendermaßen:

Rock and Roll Music She?s a woman If I needed someone Babys in black Day tripper I feel fine Yesterday I wanna be your man Nowhere man Paperback writer I?m down

Seite 331/362 Begeisterte, schluchzende und enthemmte Jugendliche branden gegen die Bühne an, ausgebremst von einer Hundertschaft Polizisten, die auf Empfehlung des Psychologen in Zivil gekommen sind.Papierkugeln und Damenschuhe fliegen durch die Luft - bevorzugt zu Paul McCartney, dem damals noch einzigen Junggesellen. Nach jeder Nummer verbeugen sich die "Pilzköpfe" artig und lächeln lieb.Das Jubelgeschrei wird noch lauter und noch stärker, sodass hinterher keiner der Anwesenden mit Bestimmtheit sagen kann, welche Songs die Beatles tatsächlich gespielt haben.

Bereits nach 25 Minuten verschwinden die - wie sie die Münchner Presse gerne nennt - "vier Liverpooler Sängerknaben" - genauso schnell wieder von der Bühne, wie sie gekommen sind, und hinterlassen ein erschüttertes Publikum und eine erleichterte Polizei. Immerhin ist es zu keinen Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gekommen."Es ging alles friedlich vonstatten", wurde gebetsmühlenartig wiederholt.

Ab 12. August 1966 Kanada - USA * Die Beatles beginnen eine Tournee durch Kanada und die USA.Sie dauert bis 29. August. Das ist das Ende der gemeinsamen Live-Karriere der Fab Four.

1967 München-Graggenau - München-Angerviertel * Das "Valentin-Musäum" vergibt den "Blödsinnstaler".

Prämiert wird der "größte Blödsinn des Jahres".

Ab dem Jahr 1967 München-Lehel * In einem zehn Jahre andauernden Prozess erhielt die "Anna-Klosterkirche" nun langsam ihren ursprünglichen Formen- und Farbenreichtum wieder.

Während der Wiederaufbauarbeiten gibt es aber nicht nur wohlmeinende Unterstützung, sondern auch herbe und ablehnende Kritik, da statt eines Neubeginns wieder mit den alten, überkommenen Formen gespielt wird.

Die Handwerker beginnen mit der Stuckierung der Kirche und der Ausmalung mit Fresken.

1967 München-Untergiesing * Die "Bäcker-Innung" steigt auf die Barrikaden, nachdem sie die Hangauffahrt des "Mittleren Ringes" zu überrollen droht.

Um Platz für die Hochstraße zu schaffen, musst damals ein Drittel des Bürotraktes der "Bäcker-Kunstmühle" geopfert werden. Ein Argument, mit dem sich die "Bäcker-Innung" damals gegen die städtischen Straßenplaner wehrt, ist, dass die Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Brot gefährdet sei.

Vor Gericht wird ihr eine Entschädigungssumme von 800.000 DMark zugesprochen, die anschließend zur Modernisierung in den Betrieb gesteckt wird. Doch diese Investition ist zum Fenster rausgeschmissen.

1. Januar 1967

Seite 332/362 München * Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs werden alle vier Innenstadtbezirke zum Stadtbezirk 1 - Altstadtzusammengefasst.

Ab Juli 1967 Großbritannien * 126 Zeichner beginnen mit den Arbeiten für den Zeichentrickfilm "Yellow Submarine", für den die Beatles die Musik schreiben werden.

September 1967 Großbritannien * Drehbeginn für den Beatles-TV-Film "Magical Mystery Tour".

September 1967 München-Haidhausen * Die "Dominikanerinnen aus Niederviehbach" starten mit achtzig Schülerinnen auf dem ehemaligen Areal der "Frauen vom guten Hirten" ins erste Schuljahr des "Edith-Stein-Gymnasium".

In dem "Katholischen Zentrum" befinden sich neben dem "Mädchengymnasium" ein "Internat", eine "Fachoberschule für Sozialberufe", die "Fachhochschule für Sozialpädagogik", ein "Schwesternhaus" und eine "Mensa".

1. Dezember 1967 München - Freistaat Bayern ? Erstmals findet der bayerische Verfassungstag statt. Er erinnert daran, dass sich das bayerische Volk am 1. Dezember 1946 selber eine Verfassung gegeben hat.

15. März 1968 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre 17. Single mit den Titeln "Lady Madonna" und George Harrisons "The inner light".

25. März 1969 Amsterdam * Im Amsterdamer "Hilton Hotel" beginnen John Lennon und Yoko Ono ihr erstes "Bed-in".

15. Dezember 1969 Welt * John Lennon und Yoko Ono verbreiten im Rahmen einer Friedenskampagne Plakate mit der Aufschrift "War Is Over!"Darunter steht in kleinerer Schrift: "If You Want It. Happy Christmas from John & Yoko."

Die Plakataktion beginnt am 15. Dezember in zwölf Städten: Athen, Berlin, Hongkong, London, Los Angeles, Montreal, New York, Paris, Port-of-Spain (Trinidad), Rom, Tokyo und Toronto. In Deutschland steht auf den Plakaten und Handzetteln "Der Krieg ist aus!".

23. April 1970 Los Angeles * John Lennon und Yoko Ono beginnen eine "Urschrei-Therapie" in Los Angeles.

Seite 333/362 1971 Mühldorf am Inn *In Mühldorf am Inn wird das vollständig erhaltene Skelett eines 10 Millionen Jahre alten Elefanten-Verwandten aus der Gruppe "Mastodon" gefunden.

Es wird in der "Paläontologischen Sammlung" in der Richard-Wagner-Straße 10 ausgestellt.

19. Februar 1971 London * Der Prozess zur Auflösung der Gesellschaft Beatles & Cobeginnt in London.

1973 München-Lehel * Die Restaurierung der beiden Seitenaltäre der "Anna-Klosterkirche" beginnt.

Der sich auf der linken Seite befindliche "Paula-Altar" und der ihm gegenüberliegende "Hieronymus-Altar". Die Altarblätter stammen von Cosmas Damian Asam und sind die einzigen Originalgemälde in der "Anna-Kirche".

Sie konnten nur durch rechtzeitige Evakuierung und Auslagerung vor den Flammen gerettet werden.

23. März 1973 USA * Während Yoko Ono ihre dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhält, wird John Lennon zum Verlassen der USA innerhalb von 60 Tagen aufgefordert.

6. Mai 1974 Bonn * Willy Brandt erklärt seinen Rücktritt als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund ist die Enttarnung des DDR-SpionsGünter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiteneiner der engsten Mitarbeiter von Willy Brandt gewesen ist.

Dies ist auf eine Fahrlässigkeit innerhalb der Bundesregierung zurückzuführen.Denn Guillaume stand bereits seit über einem Jahr im Verdacht, Spionage zu betreiben.

17. Juli 1974 USA * John Lennon wird erneut aufgefordert die USA innerhalb von 60 Tagen zu verlassen.

15. August 1974 München-Untergiesing * "Der Wettbewerb unter den Mühlenbetrieben wurde in den folgenden Jahren so hart, dass die von der Einkaufs- und Liefergenossenschaft als Pächterin betriebene Mühle immer stärker in die roten Zahlen geriet", erklärt der Obermeister der Bäckerinnung, der damalige StadtratHeinrich Traublinger. Jetzt flattert die schwarze Fahne auf dem Dach des traditionsreichen Mühlenbetriebs.

Die Bäcker-Kunstmühlewird in diesem Jahr aufgrund eines Gesetzes "Zum Abbau von Überkapazitäten im Mühlengewerbe" - für die Entschädigungssumme von 1,7 Millionen DMark - eingestellt. Das Grundstück wird an das Ingenieurbüro Obermayervergeben, dass das heute an dieser Stelle stehende Bürohochhaus erbaut.

Seite 334/362 1976 München-Graggenau * Der Stadtrat beschließt das "Anbringen einer Gedenktafel für Kurt Eisner" an der Kardinal-Faulhaber-Straße.

Der "Hausbesitzer" Falk Volkhardt weiß die Anbringung der "Erinnerungsplatte" an der Fassade des "Montgelas-Palais", das inzwischen zum "Hotel Bayerischer Hof" gehört, zu verhindern.

Er verweigert die Anbringung der "Gedenktafel" mit seinen Bedenken, dass sich diese "geschäftsschädigend" auswirken und die Tafel möglicherweise Sprengstoffanschläge und Beschädigungen provozieren könnte.

Dieses Risiko will natürlich keiner der Verantwortlichen tragen.

1976 München-Haidhausen * Der kleine dreieckige Block zwischen Wolfgang-, Leonhard- und Preysingstraße wird als "Muster-Sanierungsblock" ausgewählt.

Unter der Bezeichnung "Block 15" soll hier - erstmals in einer mit den Bewohnern abgestimmten Aktion - Einigung über das weitere Vorgehen erzielt werden. Gewerbe soll verpflanzt und Mieter vorübergehend in andere Wohnungen umgesetzt werden, um sie anschließend in verbesserte Wohnräume zurückkehren zu lassen.

Das Baureferat der Landeshauptstadt richtet dazu extra eine Bürgerberatungsstelle in der Milchstraße ein und führte für dieses Vorhaben genaue strukturelle und soziale Untersuchung durch. In dem Block wohnen über 150 Bewohner in siebzig Haushalten. Durch die Neubauten kann die Umsetzung der Mieter innerhalb desselben Blocks geschehen.

Ein Gewerbebetrieb - eine kleine Kohlenhandlung - muss umziehen, womit Schmutz und Lärm aus dem Viertel verlagert werden kann, doch nun ist es andererseits den Haidhausern nicht mehr möglich, einen geringen Brennstoff-Bedarf durch Selbstabholung zu decken.

Umweltfreundlichkeit wird groß geschrieben.

Eine Kastanie wird mit einem finanziellen Aufwand in Höhe von 15.000 DMark gerettet, eine kleine Tiefgarage gebaut, die Höfe begrünt und die Leonhardstraße in eine kleine Fußgängerzone umgewandelt.

4. Oktober 1976 München-Au * Bevor dieMuseum-Lichtspielein der Lilienstraße 2endgültig zumPornokinoverkommen,läuft die"Rocky-Horror-Picture-Show"an. Ein Kino wird eigens dafür umgebaut. Es ist damit das erste Kino der Welt, dessen Inneneinrichtung für einen einzigen Film gestaltet worden ist.

8. November 1976

Seite 335/362 München-Kreuzviertel * Die Gedenktafelfür Kurt Eisner wird am Promenadeplatz, einige Meter vom Tatort entfernt, auf einer vorwiegend von Hundehaltern beachteten Fläche zwischen den Trambahngleisen und dem Bürgersteig, in den Rasen einzulassen und an diesem Tag enthüllt. Die Stelle wird von vielen als skandalös empfunden, da die Gedenkplattean dieser Stelle ganz stark an ein "Marterl" für ein Unfallopfer der Straßenbahnlinie 19 erinnert.

Die Inschrift der Gedenkplattelautet: "Zur Erinnerung an den Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, der am 21. Februar 1919 vor dem Montgelas-Palais ermordet wurde."Sie liegt bis zum 25. April 2005 an dieser Stelle.

Um den 2. Dezember 1976 München * Die CSU-Führung beginnt einzulenken. In Bayern ruft der Trennungsbeschlussvon Kreuth vor allem an der fränkischen und schwäbischen CSU-Basis Unmut und Widerspruch hervor.

Drei CSU-Bezirksverbände fordern einen Sonderparteitag.Sie befürchten, dass die Gründung eines CDU-Landesverbandesder bayerischen Regierungspartei und damit der Gesamtunion gravierend schaden können.

12. Dezember 1976 Bonn * CDU und CSU vereinbaren, die Fraktionsgemeinschaft der CDU/CSUauf der Grundlage neuer Abmachungen fortzusetzen. In umfangreichen schriftlichen Vereinbarungen werden neue Verfahren der Konfliktregelung im Sinne einer politischen Paritätbeider Parteien festgelegt. Die CSU bahnt mit diesen Vereinbarungen zugleich die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1980 an.

1978 Bundesrepublik Deutschland * Frauen können in den ersten Bundesländern "Schutzpolizistinnen" werden.

??? 1978 Großbritannien * Zwei Tage vor Drehbeginn drehen die Produzenten den "Monty Python?s" plötzlich den Geldhahn für den Film "Das Leben des Brian" zu.

Der Ex-Beatle George Harrison investiert kurzerhand 4 Millionen Dollar in das Projekt, indem er kurzerhand die Produktionsfirma "HandMade Films" gründet und so den Film vor dem "Aus" bewahrt ? "offenbar nur deshalb, weil er den Film sehen wollte".

26. August 1978 Rom-Vatikan * Albino Luciani wird in einem eintägigen Konklaveim vierten Wahlgang zum Nachfolger von Papst Paul VI. gewählt. Sein Gegenkandidat ist der konservative Guiseppe Siri, der bereits im Jahr 1958 als "zum Papst geeignet" bezeichnet wurde.

Er nimmt als Papst den Namen Johannes Paul I. an.Beide Namen erinnern an seine Vorgänger, die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI.. Als erster Papst trägt er einen Doppelnamen.

Um 1980

Seite 336/362 München-Haidhausen * Nach einem Jahrzehnt Leerstand wird das "Üblackerhäusl" an der Preysingstraße von der Stadt mit einem Kostenaufwand von 580.000 DM schließlich trockengelegt und restauriert.

Im Inneren des "Üblackerhäusls" ist ein kleines "Herbergenmuseum" als Abteilung des Münchner Stadtmuseums untergebracht. Dort wird ein einfacher Wohn- und Schlafraum mit der originalgetreuen Einrichtung aus dem 19. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Umgebung gezeigt. Durch die museale Einrichtung kann ein wenig die Enge damaliger Wohnverhältnisse und die Lebensart der Tagelöhner nachvollzogen werden.

Gerade die ach so traditionsbewussten Münchner, die immer noch ihre scheinbar bäuerliche Abstammung durch eine Verkleidung mit Lederhosen und Dirndl nachzuspielen versuchen, hätten hier die einmalige Möglichkeit ihre eigenen proletarischen Wurzeln zu finden.

Im ehemaligen Ziegenstall der ausgebauten Herberge finden laufend Ausstellungen und Dichterlesungen statt.

1980 München-Au * Für die "Rocky-Horror-Picture-Show" wird ein weiterer Kinosaal in den "Museum-Lichtspielen" eingerichtet.

Es ist weltweit das erste Kino, dessen Inneneinrichtung für einen einzigen Film gemacht ist. An der Kasse gibt es dazu die spezielle "Rocky-Horror-Pictures-Show-Spieltüte" zu erwerben.

30. Januar 1980 Bonn * Bundesinnenminister Gerhard Baum verbietet die Wehrsportgruppe Hoffmannals terroristische Organisation.

4. August 1980 New York * John Lennon und Yoko Ono beginnen im Studio an einem neuen Album zu arbeiten.

26. September 1980 München-Theresienwiese * Freitag, 22:19 Uhr: Am Haupteingang der Wiesn explodiert ein Sprengsatz. Der Feuerball unterbricht die ausgelassene Volksfeststimmung auf dem Oktoberfestund tötet 13 Menschen. 211 Personen werden verletzt, davon 68 schwer."Menschen wirbeln durch die Luft, Blut spritzt, zerfetzte Gliedmaßen, unglaubliche Schmerzen und verzweifelte Schreie, die nur die hörten, denen nicht gleich das Trommelfell platzte". Einer der Toten ist der Geologiestudent Gundolf Köhler (21). Als die Rettungskräfte am Tatort eintreffen, finden sie in einem Umkreis von bis zu 23 Metern Verletzte und Tote verstreut auf der Straße liegen.Die die Detonation begleitende Druckwelle ist gewaltig gewesen.

Noch in der Nacht stehen für die Bayerische Staatsregierung die Schuldigen fest:Die RAF und linke Terroristen müssen für das Massaker verantwortlich sein. Ministerpräsident Franz Josef Strauß steht mitten im Wahlkampf. Er will Helmut Schmidt (SPD) als Bundeskanzler ablösen und hat sich selbst als starker Law-and-Order-Mann positioniert.

Nun sieht Franz Josef Strauß seine Stunde gekommen.Er greift Innenminister Gerhard Baum (FDP) an, der für

Seite 337/362 das NachrichtenmagazinSpiegeleine Diskussion mit dem RAF-Anwalt und Ex-Terroristen Horst Mahler geführt hat. Strauß machtBaum für das Attentat mitverantwortlich, weil er den Terrorismus quasi salonfähig gemacht hat. Strauß fordert, dass sofort Flugblätter produziert werden, die Baum im Gespräch mit Mahler zeigen. Doch die Attacke gegen Links wird sich bald als Bumerang erweisen.

Auf den Verdacht hin, dass es sich um einen Terrorakt handelte, leitetGeneralbundesanwaltKurt Rebmann zusätzlich ein Ermittlungsverfahren gegenUnbekanntein.Die Untersuchung liegt damit federführend beim Bund.

Nach intensiven Beratungen mit Politikern, dem Polizeipräsidenten und den Veranstaltern entscheidet Oberbürgermeister Erich Kiesl noch mitten in der Nacht, das Oktoberfest nicht abzubrechen, sondern nur einen Trauertag zu veranstalten.Man wolle und dürfe sich dem Terror, gleich von welcher Seite, nicht beugen. Bei dieser nicht unumstrittenen Entscheidung hat man auch das Beispiel derXX. Olympischen Spielein München vor Augen, die trotz eines Terroranschlages zu Ende geführt worden waren.

27. September 1980 München-Theresienwiese * Am Tag nach dem Wiesn-Attentatöffnet das Oktoberfest ganz normal seine Pforten, so, als sei nichts gewesen.Die Kapellen spielen auf, die Fahrgeschäfte drehen sich.Nur ein paar Blumen erinnern an das Grauen, das am Vorabend über die Wiesnbummler hereingebrochen war.

30. Oktober 1980 München * Das Verwaltungsgerichtentscheidet nach einem zwölfjährigen Widerstand gegen den "Todesflughafen im Erdinger Nebelloch" für den sofortigen Vollzug des Baubeginns von München IIim Erdinger Moos.

2. November 1980 München * Einen Tag vor Baubeginn des Flughafens München IIim Erdinger Moos demonstrieren rund 150 GegnerInnen in der Münchner Innenstadt. Der Flughafen wird als ein "Jahrhundert-Projekt bayerischen Größenwahns" bezeichnet.

3. November 1980 München-Flughafen MUC * Die Bauarbeiten am Flughafen München IIim Erdinger Moos beginnen.

6. November 1980 München-Maxvorstadt * Aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Bundeswehrlegen 2.000 Rekrutenauf dem Königsplatzihr Feierliches Gelöbnisab. GeneralmajorWolfgang Kessler und MinisterpräsidentFranz Josef Strauß sprechen dabei von der "Erhaltung des Friedens durch Abschreckung".

Die Vereidigungauf dem Königsplatzruft Erinnerungen an die Aufmärschewährend der NS-Zeit wach, weshalb parallel zur Gelöbnisfeiereine Protestveranstaltung der Münchner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstungstattfindet. Transparente mit der Aufschrift "Auf Hitlers Plattenmeer gelobt nunmehr die Bundeswehr" werden von den Demonstranten mitgetragen.

15. November 1980 München-Maxvorstadt * Am Königsplatzfindet eine Demonstration gegen den Baubeginn des Flughafens im

Seite 338/362 Erdinger Moosmit mehr als 2.000 TeilnehmerInnen statt.

1981 München-Bogenhausen * Die "Vereinigung der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung" stiftet einen Gedenkstein zur Erinnerung an Pater Alfred Delp.

Die Bronzeplastik "Drei Jünglinge im Feuerofen" befindet sich vor dem "Pfarrhof".

7. November 1983 München-Untermenzing * Bundesinnenminister nimmt die erste kommerzielle Bleifrei-ZapfsäuleEuropas in der Allguth-Tankstellein der Untermenzinger Von-Kahr-Straße in Betrieb. Der Liter Bleifreikostet 1,389 DMark.

1984 München-Obergiesing - München-Bogenhausen *Die "Fachakademie für Sozialpädagogik" zieht in das "Anton-Fingerle-Zentrum" in Giesing um.

In den aufgelassenen Räumen in Bogenhausen findet die "Berufsschule für Jungarbeiterinnen und Jungarbeiter" Unterkunft.

Um den 25. September 1984 München-Theresienwiese * Günter Jauch, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, findet heraus, dass in Richard Süßmeiers Armbrustschützenzeltaus einem Hirschen(200-Liter-Fass) 289 Mass Wiesnbier ausgeschenkt werden. Süßmeier nimmt das Ganze auf die leichte Schulter und macht sich darüber lustig. Peter Gauweiler, CSU-Stadtratund Kreisverwaltungsreferent, geht gegen Süßmeier wegen Betrügerischen Einschenkensvor.

Der Wiesnwirtberuft daraufhin eine Pressekonferenz ein, verkleidet sich als Gauweiler und hängt Gauweiler-Plakate mit dem Schriftzug "Gauweiler sieht Dich!", "Gauweiler paßt auf!" und "Gauweiler is watching you!" an die Zeltwände. Sein SchankkellnerBiwi Wallner zeigt schließlich noch, wie man aus einem ganzen Hendl drei halbe Hendl machen kann. Dass er zuvor eine Hälfte hatte einnähen lassen, finden nicht Alle lustig. Allen voran Peter Gauweiler.

Bei der darauf folgenden einer Razzia in Süßmeiers Armbrustschützenzeltwerden 23 "Verstöße gegen das Ausländerrecht" festgestellt. Einige Hilfskräfte haben illegal gearbeitet. Süßmeiers Beteuerungen, er habe davon nichts gewusst, glaubt die Gegenseite natürlich nicht - und handelt: Gauweiler entzieht Süßmeier die Festzeltkonzession.

Zwei Tage später wird mit Helmut Huber ein neuer Wirt eingesetzt.

21. September 1985 München-Theresienwiese?Das Container-Bierbeginnt sich auf der Wiesndurchzusetzen, auch wenn der Stadtrat nur einen "rückholbaren Versuch" genehmigen will, weil "eine auf der Welt einzigartige Tradition nicht einfach beendet werden kann". Selbst der bayerische MinisterpräsidentFranz Josef Strauß beklagt, dass hier "die Axt ans Eichenfass" gelegt und dadurch "ein Stück bayerischer Tradition zu Grabe getragen" werde.

Seite 339/362 8. November 1985 München-Maxvorstadt * Oberbürgermeister Georg Kronawitter enthüllt auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismusein "würdiges Denkmal", das den provisorischen Gedenkstein ersetzt. Der Bildhauer Andreas Sobeck hat einen sechs Meter hoher symbolischer Kerker aus südafrikanischen Impalagesteingeschaffen, in dem eine ewige Flammean die Verfolgten erinnern soll.

Das Denkmal trägt die Inschrift: "Den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

Nach dem 8. November 1985 München-Maxvorstadt - München-Neuhausen* Der alte Gedenkstein vom Platz der Opfer des Nationalsozialismuswird - mit neuer Inschrift versehen und zur "Erinnerung an die Opfer des Widerstands gegen den Nationalsozialismus" auf dem Platz der Freiheitin Neuhausen aufgestellt.

Um 1986 München-Isarvorstadt * Der - vorläufige - Abstieg der "Deutschen Eiche"in der Reichenbachstraße 13 beginnt.

Um den August 1986 Rom-Vatikan * Papst Johannes Paul II. bekräftigt die Existenz des Satans.

"Hexenangst" ist aber beileibe keine rein katholische Angelegenheit. "Hexenglauben" findet sich auch unter Protestanten. Vor allem pietistisch geprägte Richtungen innerhalb der protestantischen Konfession bejahen eine angstbesetzte Vorstellung vom "Teufel".

26. Februar 1987 München * Peter Gauweiler, CSU-Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, setzt sich für scharfe Anti-Aids-Regelungen in Bayern ein - mit Zwangstests für Prostituierte, Drogenabhängige und angehende Beamte. Er bezeichnet an Aids erkrankte Personen als Aussätzige.

19. Mai 1987 München * Auf Betreiben von Peter Gauweiler, CSU-Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, beschließt Bayerns Regierung unter der Führung von Franz Josef Strauß einen umstrittenen, bundesweit einmaligen Anti-Aids-Maßnahmenkatalog. Damit soll Bayern zum Vorbild eines"europäischen Hygienekreises" werden (Franz Josef Strauß).

19. September 1987 München-Theresienwiese * Stephanie Spendler, die Tochter von Christa und WiggerlHagn, beginnt auf der Wiesn zu arbeiten.

1988 München-Obergiesing * Eine umfassende Generalsanierung der Heilig-Kreuz-Kirchebeginnt. Sie wird erst 27

Seite 340/362 Jahre später [November 2015]abgeschlossen sein.

27. Oktober 1988 München-Berg am Laim - München-Bogenhausen * Die U 5 fährt jetzt bis zum Innsbrucker Ring. Die neue Linie U 4 bindet den Arabellapark an.

1989 München-Untergiesing * Alfons Scharf beginnt mit der Sanierung seines in "Blockbauweise" erbauten Hauses "Am Mühlbach 4a" aus dem Jahr 1860.

Juni 1989 München-Haidhausen * Die für 2,3 Millionen DMark renovierten Herbergshäuser an der Preysingstraße stammen aus dem Jahr 1840.

Im "Herbergenhof" leben derzeit vier Künstlerinnen.

18. September 1989 München -Cincinnati* Die amerikanische Stadt Cincinnati wird zur Münchner Partnerstadt erwählt. In Cincinnati findet jährlich rund um den Davidson-Brunnendas größte Oktoberfest der Vereinigten Staatenstatt.

1991 München-Berg am Laim * Die Abräumarbeiten für das Areal des heutigen "Technischen Rathauses" an der Friedenstraße 40 beginnen.

1. März 1992 München-Haidhausen * Die Planungen der Instandsetzung und Erweiterung der Villa Stuckbeginnen.

6. Dezember 1992 München * 400.000 Münchnerinnen und Münchner protestieren mit Kerzen und Fackeln gegen brutale Übergriffe auf Ausländer.

1993 München-Isarvorstadt * Das Haus in der Reichenbachstraße 13, in dem sich die "Deutsche Eiche" befindet, soll "entkernt" und gewerblich gewinnbringend gestaltet werden.

Nach weltweiten Protesten trennt sich die Grund- und Hausbesitzerin "Monachia" von der "problematischen Immobilie".

Dietmar Holzapfel, sein Vater Nicki Holzapfel und Dietmars Partner Josef Sattler kaufen gemeinsam die heruntergekommene und renovieungsbedürftige "Deutsche Eiche".

Seite 341/362 18. September 1993 München-Theresienwiese * Oberbürgermeister Christian Ude sticht erstmals zum Oktoberfest-Beginnim Schottenhamel-Festzeltdas erste Fass Wiesnbieran. Alles steht bereit.Die Reporter und die Fernsehkameras sind positioniert. Da ruft der BR-Radioreporter Michael Stiegler plötzlich: "Hoit, des is ja a Linker."

Damit meint er aber nicht die politische Heimat des Oberbürgermeisters.Christian Ude ist Linkshänder, und deshalb stehen die Medienvertreter alle auf der falschen Seite. Nachdem sich alle umorientiert haben, kann der oberste Stadtrepräsentant seiner Aufgabe nachgehen. Er braucht dazu sieben Schläge.

16. November 1993 München * Klaus Warnecke, Landtagsabgeordneter der SPDschreibt in der Süddeutschen Zeitungeinen Leserbrief und bringt darin folgende Meinung zum Ausdruck:

"[...] Die Hindenburgs, Ludendorffs und ihre monarchistischen Attrappen hatten das Volk im Reichsdurchschnitt im Herbst 1918 auf 500 bis 600 Kalorien pro Tag und Nase heruntergehungert. [...] 200.000 bayerische Soldaten waren gefallen. [...]

Während sich die Monarchie von dannen stahl und die Generäle an der Dolchstoß-Legende zu stricken begannen, gab es in München eine einzige Kraft, die halbwegs Ordnung in das Chaos zu bringen versuchte und den Umständen entsprechend auch brachte: die von den Konservativen und Reaktionären aller Richtungen bisher aus jeder politischen Verantwortung ferngehaltenen Sozialdemokraten und deren linkspazifistische Absplitterung die USPD mit Eisner an der Spitze. [...]

Der totale politisch/militärisch/soziale Scherbenhaufen des Winters 1918/19 war das Erbe des Großmachtwahns der Feldmarschälle und Monarchen.

Das Kabinett unter Ministerpräsident Kurt Eisner mit dem Innenminister Erhard Auer und Albert Roßhaupter, die sich auf den eigentlichen Ordnungsfaktor in München, die Arbeiterräte, stützen konnte, hat Bayern einen Winter lang vor dem totalen Chaos bewahrt.

Das wahre Chaos begann erst, als der rechtsradikale Offizier Graf Arco den Pazifisten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 auf offener Straße ermordete. [...]."

1994 München-Graggenau - München-Angerviertel * Im Valentin-Musäumwird wieder einmal der Blödsinnstalerfür den größten Blödsinn des Jahresvergeben. Es ist der "Gebissersatz Marke Seehofer" - ein Fleischwolf, der die Speisen so zerkleinert, dass sie auch ohne Zähne verspeist werden können.

Ab dem 12. August 1994 Saugerties * In Saugerties, im US-Bundesstaat New York findet zum 25. Jubiläum des Musikfastivals in Woodstock eine Erinnerungsveranstaltung mit etwa 350.000 Teilnehmern statt. Sie dauert bis zum 14. August.

September 1994 München-Theresienwiese * Nachdem er zuvor schon in der "Ochsenbraterei" tätig war, beginnt Siegfried Able

Seite 342/362 seine "Wiesn-Karriere" mit einem "Verzehr-Stand".

Gleich gibt es Ärger, weil er sich die dort verkaufte "Ochsensemmel" umgehend patentieren lässt. Sicher weis er, dass diese - wenn schon, dann - eine Erfindung des Wirtes der "Ochsenbraterei", Hermann Haberl, ist.

Ab 1995 Fall * In den 1970er Jahren beginnenden Diskussionen über den zu erwartenden Klimawandel führen ab dem Jahr 1995 zu Nachrüstungen des Sylvensteinspeichers. Zur zusätzlichen Hochwasserentlastung wird der Damm um weitere drei Meter erhöht.

September 1995 München-Theresienwiese * Sepp Krätz, der Wirt der "Waldwirtschaft" in Großhesselohe, übernimmt das "Hippodrom" auf dem Oktoberfest.

Krätz? "Wiesn-Festzelt" hatte keinen Ruf mehr zu verlieren -höchstens einen schlechten. Selbst der damalige "Kreisverwaltungsreferent" Hans-Peter Uhl stellte fest, dass dort "1000 Jahre Zuchthaus vereint und Zuhälter ein- und ausgegangen" sind.

Sepp Krätz muss - auch im Sinne der Stadtverwaltung - für "Ordnung" sorgen. Er macht das, indem er seine Wachleute mit Dobermännern und Feuerlöschern auf eine randalierende Meute losgehen lässt, die betrunken Einlassins Zelt begehrt. Das aber führt erstmals zu einer Auseinandersetzung mit Oberbürgermeister Christian Ude.

Der frisch gekürte "Wiesnwirt" führt in seinem "Wirtezelt" ein neues Reservierungs-System ein: Gäste, die mit einer Reservierung ins Zelt kommen, erhalten ein grünes Bändchen um den Arm, mit dem der Wiedereinlass garantiert ist, wenn sie mal das Zelt verlassen. Und dann gibt es noch die goldenen Armbändchen, die zu jeder Zeit den Gang ins "Hippodrom" sicherstellen. Es entzündet sich eine große Aufregung um diese "Drei-Klassen-Wiesn".

Sepp Krätz ist auch der erste "Wiesnwirt", der in seinem Zelt eine Band statt einer Blaskapelle auftreten lässt.

Und er ist einer der ersten, der dem ewigen Hendl-Schweinswürstl-Leberkäs eine hochwertige Küche entgegensetzt.

Winter 1996 München-Maxvorstadt * Ein umfassender Umbau des Verwaltungsbau-Komplexes der E.ON an der Brienner-/Ecke Richard-Wagner-Straße beginnt.

Nach Abbrucharbeiten entsteht ein neues viergeschossiges Bürogebäude, das diagonal auf eine erdgeschossige "Hofplatte" gestellt wird. Durch die Schrägstellung des Gebäudes entstehen zwei Freiräume.

Ein überdachter ganzjährig nutzbarer, 950 qm großer Innenhof, die sogenannte "Piazza". Auf der anderen Seite des Gebäudes entsteht ein Garten.

Unter der "Hofplatte" liegen die "Tiefgarage", das "Archiv" und die "Technikräume".

Seite 343/362 August 1996 München-Haidhausen * Bürgermeister Hep Monatzeder enthüllt gemeinsam mit dem "Hofbräukeller-Wirt" Günter Steinberg und den Enkeln der zwölf am 5. Mai 1919 im Garten des "Hofbräukellers" ermordeten Perlacher Arbeiter eine "Gedenktafel", die an die Vorgänge erinnern soll.

Damit will die Landeshauptstadt München verhindern, dass die Opfer der "Niederschlagung der Münchner Räterepublik" in Vergessenheit geraten.

Hep Monatzeder betont dies bei der Enthüllung der Gedenktafel und sagte weiter: "Sie soll aber auch zur Wachsamkeit und zum Widerstand mahnen gegen jedes neue Aufflammen von Rechtsextremismus, Fanatismus und Intoleranz".

1997 München-Isarvorstadt * Das "Badehaus" der "Deutschen Eiche" wird erweitert.

Auf vier Etagen und 1.400 Quadratmeter finden sich eine finnische Sauna, Salzsauna, Whirlpool, ein großes Dampfbad, Duschbereich, Massageräume, Solarium, Dachgarten, Wintergarten, TV-Räume, Einzel- und Exklusivkabinen und ein gemütlicher Bewirtungsbereich.

Im Keller geht es zur Sache. Es gibt "Darkrooms", in denen sich Paarungswillige vergnügen können.

In einer Ecke gibt es eine Wand mit Löchern, sogenannte "glory holes", für "Oralverkehr" - und vieles mehr.

24. Februar 1997 München-Graggenau * In der Rathaus-Galeriewird die "Wehrmachtsausstellung" eröffnet. 90.000 Münchnerinnen und Münchner werden die Ausstellung besuchen.

Peter Gauweiler, der Münchner CSU-Vorsitzende, verschickt an alle Münchner Haushalte einen Brief, in dem er schreibt: "Den Ausstellern wird vorgeworfen, dass sie deutsche Soldaten [...] generell herabwürdigen und faktisch auf eine Stufe mit Kriegsverbrechern stellen. [...] Eine pauschale Verurteilung ist ein Schlag von Millionen Familien, die im Krieg ihren Vater, Bruder, Sohn oder Ehemann verloren haben und eine späte absichtsvolle Demütigung zahlloser Männer, die ehrenhaft gekämpft hatten."

Statt an der Eröffnungsfeier der "Wehrmachtsausstellung" teilzunehmen, legt Peter Gauweiler mit Gleichgesinnten am Grabmal des Unbekannten Soldatenim Hofgarteneinen Kranz nieder.

Um April 1997 München-Haidhausen * Der Zustand des Brunnens am "Bordeauxplatz" ist ein so erbärmlicher, dass das Becken abgebrochen und völlig neu aufgebaut werden muss.

Da das Becken in seiner Entstehungszeit "in den Dreck gebaut? worden ist, versickern von den 15.000 Kubikmetern Wasser, die pro Saison hier verbraucht werden, gut die Hälfte im Erdreich. Ein Riss geht durch den Rehbock, dem zudem sein Geweih abhanden gekommen ist.

Seite 344/362 Damit der "Bordeauxplatz" seine auf alten Fotos verbürgte Ursprünglichkeit zurückgewinnt, beginnt man mit umfangreichen Umbauarbeiten.

Die Grundstruktur des Platzes konnte über die Jahrzehnte im Wesentlichen erhalten werden. Nur die Wege waren breiter geworden und betongepflastert. Sie sollen wieder zu schmalen Sandwegen umgestaltet werden.

Die Parkbänke waren nach innen gerückt, weg vom Straßenverkehr, dafür aber mit dem Rücken zu den Flaneuren. Auch sie sollten wieder an ihren ursprünglichen Platz rücken.

Daneben muss der nach über 120 Jahren lückenhaft gewordene Baumbestand erneuert werden, wobei die ersten Ulmen schon seit dem Jahr 1989 einer Abholzaktion zum Opfer fielen, da die weltweit auftretenden Fäulnisbakterien auch vor diesem historischen Ensemble keinen Respekt hatten.

Als Ersatz pflanzte man zunächst einreihig Linden nach, "damit der Platz nicht allzu stark unter dem Schattendruck leidet".

Spätestens seit der Entdeckung des "Ozonlochs" weiß man den Schatten wieder zu schätzen, weshalb die Linden aus den 1990er Jahren zusammen mit den neuen Bäumen eine doppelreihige Allee rings um den Platz ergeben haben.

Der neu geschaffene Spielplatz entspricht zwar nicht dem ursprünglichen Erscheinungsbild - aber dem Bedürfnis der Eltern.

21. April 1997 München-Au * Beginn der Fundamentierungsarbeiten am "Karl-Valentin-Geburtshaus" in der Zeppelinstraße 41.

1. Juli 1997 München-Au * Die Bauarbeiten am Karl-Valentin-Geburtshausin der Zeppelinstraße 41 beginnen.

9. Dezember 1997 München-Berg am Laim * Das Technische Rathausan der Friedensstraße 40 kann sein Richtfestfeiern. Dabei sagt BaureferentHorst Haffner: "Es entsteht kein protziger Verwaltungsbau, aber auch kein trauriger Behördensilo."Neben den 1.162 Büros, in denen rund 1.800 Beschäftigte arbeiten, befinden sich ein Kindergarten, eine Krippe, eine Kantine und eine Cafeteria.

Auf dem Dach des 63 Meter hohen Turms wird ein Rotor mit einem Durchmesser von zwölf Metern angebracht.Er hat ein Gewicht von sechs Tonnen und erzeugt eine elektrische Energie von vierzig Kilowatt. Das Windradkommuniziert mit einer sich drehenden Landschaft im Innenhof des Technischen Rathauses. In einer Stunde eine Runde.

Das Windradentsteht als Kunst am Bau und im öffentlichen Raum.Auch dazu wird ein internationaler Wettbewerb ausgelobt.Fünfzehn renommierte Künstler haben ihre Vorschläge eingereicht.Den Zuschlag hat der Entwurf des Studios Vito Acconciaus New York erhalten.

Seite 345/362 1998 München-Haidhausen * Beginn der Renovierungs- und Umbauarbeiten an der "Villa Stuck".

8. November 1998 München-Graggenau * Oberbürgermeister Christian Ude enthüllt anlässlich des 60. Jahrestages des Pogromsim Alten Rathauseine Gedenktafel zur Erinnerung an die "Reichskristallnacht".

1999 München-Obergiesing * Die "Totengräber vom Ostfriedhof"erlangen Kultstatus.

Als "Boandlkramer-Connection" singen sie täglich in der "Shitparade" von "Radio Gong" das Lied "Drei weiße Tauben und ein Gewehr, drei weiße Tauben, die scheißen nicht mehr. Guru, guru".

Als einem Hörer dieser Erfolg zu viel wird, verspricht er für jede Gegenstimme ein Weißbier. Gleich darauf meldet sich der Fußball-Spieler Markus Babbel und bietet - im Namen des "FC Bayern" - für jede Ja-Stimme zwei Träger Weißbier.

Als die "Totengräber" im September 1999 ein falsches Grab ausheben, kommt es zum Karriereknick, da der "Leiter der Friedhofsverwaltung" den "Boandlkramern" ein Singverbot erteilt.

Doch nun gehen die "Radio Gong"-Hörer auf die Barrikaden. Binnen vier Tagen fordern 12.000 Hörer auf Unterschriftslisten die Rückkehr der singenden "Totengräber". Und nach kaum einer Woche sind sie wieder "Live On The Air" zu hören.

Bald werden die Bestatter und Aufbahrer durch die ganze Bundesrepublik gereicht. Sie sangen auf der "Wies?n" im Bierzelt, bei Stefan Raab im Fernsehen und bei der "SpVVg Unterhaching" in der Halbzeitpause.

9. Oktober 2002 Bundesrepublik Deutschland - Berlin * Das amtliche Endergebnisder Bundestagswahl 2002 wird bekannt gegeben. SPD und Bündnis 90/ DIE GRÜNENkönnen zusammen 577.000 mehr Wähler als CDU/CSU und FDP für sich gewinnen.

Februar 2003 München-Untergiesing * Der Designer Uwe Binnberg und der bildende Künstler Christoph Nicolaus kaufen den "Hochbunker" an der Claude-Lorrain-Straße, um darin exklusive Wohnungen einzurichten.

Für den "Bunker" gilt lediglich ein "Bestandsschutz". Das bedeutet, dass er zwar verändert werden darf, hinterher aber noch das Aussehen des vorherigen Gebäudes erkennen lassen muss. Der "Betonkasten aus Kriegszeiten" an der Claude-Lorrain-Straße 26 ist damit der erste und einzige "Luftschutzbunker" in München, der für Wohnzwecke umgebaut werden darf.

Der ursprünglich mit Keller, Erdgeschoss und drei Obergeschossen erbaute achteckige Turm mit seinen 2,40 Metern dicken Mauern bietet eine Gesamtfläche von 280 Quadratmetern. Statt Fenster hat er nur schmale

Seite 346/362 Sichtschlitze, durch die 63 Jahre kaum Licht einfallen konnte und dadurch im Inneren des "Bunkers" eine dunkle und muffige Atmosphäre erzeugte. Immerhin wurde das "Bauwerk" im Jahr 1941 für einen Zweck geschaffen, bei dem nicht gerade die Verbreitung einer freundlichen Atmosphäre im Vordergrund stand.

April 2003 München-Ludwigsvorstadt * Die Untersuchungsergebnisse zum "Deutschen Theater" werden den Stadträten vorgelegt.

Das "Wirtschaftsreferat" berechnet die Kosten für die notwendige Sanierung mit 138 Millionen Euro und empfiehlt aufgrund der "unfinanzierbaren Kosten", das Theater zu schließen. Innerhalb kürzester Zeit werden 60.000 Unterschriften zum Erhalt des "Deutschen Theaters" gesammelt.

Auch Oberbürgermeister Christian Ude will das "Deutsche Theater" dicht machen, doch das Theater und seine Freunde kämpfen dagegen, schlagen günstigere Alternativen vor, auch einen Neubau. Doch der kommt aus rechtlichen Gründen nicht in Frage.

Ab 3. April 2003 München-Untergiesing * Bevor die Umbaumaßnahmen für das Projekt "Wohnen im Turm" beginnen, muss erst eine mehrmonatige Wartezeit überbrückt werden. Das geschieht mit einer "Kunstaktion" unter dem Titel "120 Tage Kunst im Bunker".

Die Eigentümer verfolgen mit dieser Aktion das Ziel, einerseits das Image des "Betonkastens aus Kriegszeiten" zu verbessern, andererseits wollen sie "durch die Kunst versuchen, das bedrückende des Bunkers aufzubrechen und ihn bis zur tatsächlichen Bautätigkeit mit Leben zu füllen".

Die "Kunstaktion" dauert bis zum 26. Juli. Dabei herrscht eine breite Übereinstimmung. Doch mit dem anschließenden Genehmigungsverfahren der Umbauplanung scheiden sich wieder die Geister.

Während sich Rathauspolitiker von der "Bunker-Kreativität" begeistert zeigen, melden Architektur- und Denkmalschutzexperten ihre Bedenken an.

Und obwohl das "Gebäude" gar nicht unter "Denkmalschutz" steht, meinen sie, dass "so ein Bunker fast das Einzige [sei], das uns heute noch an den Krieg erinnert". So ein "Wehrbau" habe deshalb eine ebenso hohe Aussagekraft wie eine Stadtmauer oder eine Burg.

September 2003 München-Theresienwiese *Innerhalb von zehn Monaten sterben Anita Schmid und Eva Stadtmüller, die Wirtinnen der "Fischer-Vroni". Hans Stadtmüller übernimmt diese Funktion.

Januar 2004 München-Haidhausen * Die Renovierungs- und Umbauarbeiten in den "historischen Räumen" und im "Alten Atelier" der "Villa Stuck" beginnen.

Seite 347/362 März 2004 München-Untergiesing * Mit dem Umbau des "Luftschutzbunkers" an der Claude-Lorrain-Straße wird begonnen.

Zunächst müssen die dicken "Bunkerwände" bis auf ein Betonskelett abgetragen, die Wandstärke mit einer Betonfräse von 2,40 auf 1,20 Meter halbiert, neue Decken eingezogen und die Haustechnik installiert werden. Dank raumhoher Fensterfronten ist es dort jetzt hell und freundlich, wo bis vor Kurzem nur durch schmale Schlitze schwaches Tageslicht eindrang. Alleine die Umbaukosten erfordern einen Finanzaufwand von 1,6 Millionen Euro.

Jede Wohneinheit des inzwischen sechsstöckigen Gebäudes besteht aus 120 bis 130 Quadratmetern. Die beiden oberen Stockwerke, die das Architekten-Team - auch um den Kostendruck zu mindern - auf den ursprünglich vierstöckigen "Bunker" gesetzt hat, bestehen sogar komplett aus einer Glas- und Stahlkonstruktion. Nichts behindert in diesen "Luxus-Lofts" den Panoramablick auf die Isarauen und die Silhouette der Innenstadt.

18. September 2004 München-Theresienwiese *Das Hacker-Festzelterhält eine neue Innenkulisse, ein neues, drehbares Musikpodiumund einen neuen Himmel - den "Himmel der Bayern".

2005 USA * Der Konzern "Anheuser-Bush Inbev" übernimmt die Münchner Traditionsmarken "Löwenbräu", "Spaten" und "Franziskaner".

Das belgisch-brasilianisch-amerikanische Unternehmen ist durch immer neue Milliardenübernahmen zum weltweiten Marktführer in Sachen Bier geworden; mit einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar und hohen Gewinnen.

19. April 2005 Rom-Vatikan * Nach dem Tod des Papstes Johannes Paul II. wird "Kardinal" Joseph Ratzinger zu seinem Nachfolger auf dem "Stuhl Petri" gewählt.

Der in Marktl am Inn als Sohn eines "Gendarmen" geborene gibt sich den Namen Benedikt XVI.. Das motiviert die "Bild-Zeitung" umgehend, ihre Titelseite mit "WIR SIND PAPST" zu überschreiben.

In der englischen Presse wird dagegen die Vergangenheit in der "Hitler-Jugend" des "Papa-Ratzi" hervorgehoben.

25. April 2005 München-Kreuzviertel * Mit den Worten: "Heute erfüllt sich ein lang gehegtes Anliegen: Der Freistaat Bayern ehrt den großen Staatsmann Minister Maximilian Joseph Graf von Montgelas mit der Aufstellung eines Denkmals am Promenadeplatz", übergibt "Finanzminister" Kurt Faltlhauser das Denkmal der Öffentlichkeit.

Die fast zehn Tonnen schwere und 6,20 Meter hohe Skulptur wurde - nach einem Wettbewerb - von der Berliner Künstlerin und Kunstprofessorin Karin Sander geschaffen. Sie ließ dazu Montgelas-Büsten und Gemälde fotografieren und einscannen. Mit den gesammelten Daten errechnete der Computer ein dreidimensionales Bild.

Seite 348/362 Auf dieser Datenbasis entwickelte die Künstlerin und der Engineering-Dienstleister "Bertrandt AG" das tragende Stahlgerüst der aus fünfzehn Segmenten bestehenden Aluminiumfigur. Die einzelnen Teile wurden aus viereckigen Rohlingen mit einem Gesamtgewicht von dreißig Tonnen auf "Fünf-Achs-Hochgeschwindigkeitsfräsen" ausgefräst.

Die acht Tonnen schwere Figur wird von einem eineinhalb Tonnen schweren Stahlgerüst getragen. Die Verbindungstechnik im Inneren der Skulptur wiegt weitere 500 Kilo.

Damit das "Montgelas-Denkmal" richtig wirkt, muss man es aus einiger Entfernung betrachten, erst dann kann man den Dargestellten eindeutig identifizieren. Je näher man der Statue kommt, desto mehr löst sie sich - bedingt durch die Oberflächenstruktur - auf und wird abstrakt. Dieses "Abstandhalten" zu dieser geschichtsträchtigen Persönlichkeit war ein Anliegen der Künstlerin.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Höhe der Skulptur. Dabei ist sie mit ihren 6,20 Metern exakt genauso hoch wie das daneben stehende "Orlando-di-Lasso-Denkmal". Allerdings mit dem Unterschied, dass der "Aluminium-Montgelas" nicht auf einem Sockel, sondern in der Wiese steht. Und das ist angemessen, da in einer demokratischen Gesellschaft niemand mehr idealisiert dargestellt und auf einem Sockel aufgestellt werden darf und damit für den "normalen Bürger" unerreichbar wird. Und ein "Reformer", der noch dazu mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität steht, kann, wenn schon unbedingt ein persönliches Denkmal Aufstellung finden muss, durchaus angemessen sein.

Gleichzeitig mit der Aufstellung des "Montgelas-Denkmals" wird sang- und klanglos die "Gedenktafel für Bayerns ersten demokratischen Ministerpräsidenten", Kurt Eisner, mit der Begründung entfernt, dass ja in angemessenem Abstand und an authentischer Stelle seit dem Jahr 1989 eine Bodenplatte angebracht worden ist. Die "Eisner-Gedenkplatte" wird im Depot des "Münchner Stadtmuseums" abgestellt.

Juli 2005 München-Haidhausen * Die "Mammut Electric GmbH zur Gewinnung regenerativer Energie" nimmt am Muffatwerkein Elektrizitätswerk in Betrieb.

Hier erzeugt der Auer Mühlbach Strom für bis zu 1.500 Haushalte.

18. September 2005 München-Theresienwiese * Das Hacker-Festzelterhält ein Cabrio-Dach. Ein circa 50 qm großer Teil der überdachung kann bei geeignetem Wetter um einige Meter abgesenkt werden. Damit ist ein Blick auf den Sternenhimmel oder dem weiß-blauen Himmel vom Zeltinneren aus möglich. Außerdem zirkuliert die Luft im Zelt besser.

2006 München-Untergiesing * Die Garagenbrauer im "Giesinger Bierlaboratorium" in der Birkenau 5 machen aus einem Hobby ihren Beruf.

Sie beginnen mit einer 100-Hektoliter-Anlage. Die Brauanlage besteht im Wesentlichen aus einer umgebauten Doppelgarage, einem Gärkeller und einem

Seite 349/362 darunterliegenden Lagerkeller.

2006 München-Untergiesing * In der "Giesinger Brauerei" wird erweitert und die Kapazität durch eine 1.000-Hektoliter-Anlage ersetzt.

Das ist der offizielle Beginn der kleinen Münchner Privatbrauerei, die damit zur "zweitgrößten Privatbrauerei Münchens" aufsteigt - gleich nach der "Augustiner Brauerei" mit cirka 1,1 Millionen Hektolitern.

2007 München-Berg am Laim * Der Stadtrat beschließt ein Strukturkonzept für das 40 Hektar umfassende Areal zwischen Frieden-. Mühldorf-, Aschheimer- und Rosenheimer Straße.

Das Viertel firmiert unter dem Namen "Rund um den Ostbahnhof - ROst" und gilt alleine schon wegen seiner guten öffentlichen Verkehrsanbindung und seiner unmittelbaren Nähe zur Innenstadt für die Stadtplaner als "Filetstück".

2008 München-Theresienwiese * Das "Mahnmal für die Opfer des Wiesn-Attentats" wird neu gestaltet.

Die 1981 durch Friedrich Koller entworfene, bronzene Stele ist von ihm um eine halbrunde, durchlöcherte Stahlwand erweitert worden, die an die Streukraft der Bombe erinnern soll.

24. Juli 2008 München-Graggenau * Mit einem Festakt im Innenhof des Isartors wird das völlig neu gestaltete Valentin-Karlstadt-Musäum eröffnet.

Um August 2008 München-Ludwigsvorstadt * Die Bühnentechnik und die Inneneinrichtung im "Deutschen Theater" werden abgebaut.

Die "Asbestsanierung" beginnt.

Dezember 2009 München-Ludwigsvorstadt * Die Rohbauarbeiten am "Deutschen Theater" beginnen.

Schon bald tauchen die ersten Probleme und Überraschungen auf, von denen trotz intensiver Begutachtung niemand wusste: ein unbekanntes Kellergewölbe, Pilzbefall oder statische Probleme. All das kostet Zeit und Geld.

März 2010 München-Maxvorstadt * Dem Stadtrat wird ein Konzept über die Neugestaltung des "Platzes der Opfer des

Seite 350/362 Nationalsozialismus" vorgestellt.

Eine zusammenhängende Platzfläche soll ein ungestörtes, zur Besinnung anregendes Verweilen ermöglichen. Den Schwerpunkt des Platzes bildet eine nahezu quadratische Fläche, in deren Zentrum das bestehende Denkmal neu platziert wird. Durch zusätzliche Inschriften werden das Gedenken an alle Opfergruppen sowie der Hinweis auf den örtlichen Bezug zur "Gestapo-Zentrale" und dem künftigen "NS-Dokumentationszentrum" stärker hervorgehoben.

18. September 2010 München-Theresienwiese * Der Probebetrieb für die neue Bier-Ringleitungim Winzerer-Fähndl-Festzeltbeginnt. Gleichzeitig mit den Fundamenten für das neue Zelt wurde auch die unterirdische Bierleitung gelegt. Die Anlage ist 300 Meter lang und verläuft in einem großen Quadrat gut einen Meter unter dem Zeltboden. Wenn die Leitung gefüllt ist, befinden sich insgesamt 2.400 Liter Bier darin. Die Fließgeschwindigkeit ist minimal, damit kein Schaum entsteht.

Es gibt nur eine einzige Einfüllstelle an der nordöstlichen Ecke des Rohrquadrats.Die neuen Behälter für die Zentralversorgung lassen sich in einer Stunde auffüllen. Der Weg des Bieres ist eine Wissenschaft für sich.Er beginnt in der Paulaner Brauerei, wo es bei minus ein Grad in Tankwagen gefüllt wird. Mit etwa null Grad kommt es am Winzerer-Fähndl-Festzeltan, wo es in die drei Riesentanks mit je 28.000 Liter gefüllt wird. Dort kann der Gerstensaft noch zwei oder drei Grad wärmer werden, bevor er in die unterirdische Leitung fließt.

Die Rohre haben einen Durchmesser von 10 Zentimeter für den Bier-Durchfluss, umschlossen von einer 20 Zentimeter dicken Dämmung.Die letzten vier bis sechs Meter zur Schenke kommt noch ein zusätzlicher Durchlaufkühler hinzu, damit der Gast seine Mass Bier mit einer anständigen Temperatur von sechs bis sieben Grad bekommt.

2011 Bundesrepublik Deutschland * Der Anteil der Christen an der Bevölkerung in Deutschland sinkt innerhalb von fünf Jahren um drei Prozent.

Die evangelischen Kirchenmitglieder sinken in diesem Zeitraum um gut zwei Millionen auf 23,6 Millionen. Die Zahl der Katholiken sinkt um gut 1,5 Millionen auf 24,5 Millionen. Von rund 80 Millionen Bewohnern Deutschlands sind nur mehr 48,1 Millionen christlichen Glaubens.Das sind sechzig Prozent.

2012 Freistaat Bayern * In Bayern erzeugen 4.220 "Wasserkraftanlagen" 12.500 Gigawattstunden Strom.

Damit werden 15 Prozent des bayerischen Stromverbrauchs gedeckt. In 93 Prozent der bayerischen Flüsse sind Anlagen zur Stromgewinnung eingebaut.

März 2012 München-Ludwigsvorstadt * Die Rohbauarbeiten im "Deutschen Theater" sind abgeschlossen, der Innenausbau

Seite 351/362 läuft.

Klar ist inzwischen, dass die Wiedereröffnung nicht vor Herbst 2013 stattfinden wird.

16. Juli 2012 München-Theresienwiese * Die Aufbauarbeiten für das 179. Oktoberfestbeginnen. Zunächst sind rund 150 Arbeiter mit dem Aufbau beschäftigt. Ihre Zahl steigert sich im Laufe der Zeit auf 800.

29. August 2012 München-Theresienwiese * Die Aufbauarbeiten der Hochfahrgeschäfteauf der Theresienwiesebeginnen.

22. September 2012 München-Theresienwiese?Mit dem traditionellen Anzapfendes ersten Fasses im Schottenhamel-Festzeltdurch den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München wird das 179. Oktoberfesteröffnet.

Gewohnt souverän treibtChristian Ude den Wechselmit zwei kräftigen Schlägen in das Holzfass.Erst mit dem Ausruf "O?zapft is?!" des Bürgermeisters darf auch in den anderen Zelten Bier ausgeschenkt werden. Dies erledigt Christian Ude beim 17. Einsatz als Anzapfer ohne Probleme.Wie gewohnt fügt er hinzu: "Auf eine friedliche Wiesn!". Die erste Mass geht direkt an in seiner Funktion als Bayerischer Ministerpräsident.

Gleichzeitig beginnt das 125. Bayerische Zentral-Landwirtschaftsfest.Es wird vom MinisterpräsidentenHorst Seehofer eröffnet und dauert bis zum 30. September.

6. Dezember 2012 München-Obergiesing * Mit dem ersten Spatenstich beginnt der Ausbau des neuen Braubetriebs für den Giesinger Bräuin der Martin-Luther-Straße 2, direkt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche. Obwohl der Giesinger Bräusein Bier nur regional vertreibt, ist die Nachfrage ist in den letzten drei Jahren kontinuierlich gestiegen.Damit ist das Produktionsvolumen in der Birkenau 5 vollständig ausgeschöpft.

Außerdem gibt es keine Anfahrtsmöglichkeiten für die Kunden, die das Bier meist direkt in der Brauerei kaufen.Auch die Lkw, die das Malz liefern, tun sich beim Rangieren in dem Wohngebiet schwer. Deshalb haben sich die Brauerum ihren Geschäftsführer Steffen Marx für den Umzug entschieden.

23. März 2013 München-Ludwigsvorstadt * Der Vorverkauf für die Aufführungen im neu renovierten "Deutschen Theater" für Januar 2014 beginnen.

Mai 2013 München-Untergiesing * Die Bahn verspricht einen besseren Lärmschutz entlang der "Braunauer Eisenbahnbrücke".

Die Bauarbeiten können allerdings erst 2015 beginnen, da die Streckensperrung erst auf internationaler Ebene

Seite 352/362 abgesprochen werden muss.

September 2013 München-Graggenau * Die Stadt München kauft nach 18 Jahren das von dem Künstler Bruno Wank geschaffene Werk "Argumente" zu einem "aus Datenschutzgründen" nicht genannten Preis.

Die Kunstinstallation aus Bronzesteinen erinnert in der Viscardigasse an jene Münchner, die zwischen 1933 und 1945 den "Hitlergruß" vor der "Feldherrnhalle" nicht leisten wollten und deshalb über die Viscardigasse ausgewichen sind.

25. Januar 2014 München-Ludwigsvorstadt * Im Deutschen Theaterbeginnt mit dem Eröffnungsball "Hoch hinaus!" die Faschingssaisonmit 16 Bällen.

27. Januar 2014 München-Maxvorstadt * Der neu gestaltete Platz der Opfer des Nationalsozialismuswird der Öffentlichkeit übergeben. Der Platz wurde seit 2012 für 3,9 Millionen Euro umgestaltet und ergänzt.

Bäume schirmen den Platz jetzt besser vom Verkehr ab, der Parkplatz wurde verkleinert und die Säule mit der Ewigen Flammeist in den Mittelpunkt gerückt worden. Eine 18,5 Meter lange und 1,3 Meter hohe Bronzetafel erinnert nun an die verschiedenen Opfergruppen. Ein Bronzeband im Boden weist auf den Standort der früheren Gestapo-Zentraleund zum NS-Dokumentationszentrumhin.

31. Januar 2014 München-Kreuzviertel * Im Hotel Bayerischer Hofbeginnt die 50. Münchner Sicherheitskonferenz.

10. März 2014 München * Prozessbeginn gegen den Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Bayern München, Uli Hoeneß.Die Anklage lautet auf Steuerhinterziehung"in Höhe von 3,5 Millionen Euro.

Zu Prozessbeginn gesteht Uli Hoeneß, dass nicht nur 3,5 Millionen, sondern 18,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen habe.Er begründet dieses Geständnis damit, dass er einen reinen Tisch machen möchte, "ohne Wenn und Aber".

13. März 2014 München * Sepp Krätz handelt mi dem Landgericht München Ieinen Deal aus. Vor Gericht gibt der Wiesnwirt Steuerverkürzungenzu. So hat er in seinem Wiesnzelt Hippodromrund 988.000 Euro und in seinem Innenstadtlokal Andechser am Dometwa 115.000 ? Steuern hinterzogen. Im Gegenzug sichert ihm das Gericht eine Freiheitsstrafe von eineinalb bis maximal zwei Jahren auf Bewährung zu.Der Prozess geht weiter.

Seite 353/362 Für den Erfolgsgastronomen Krätz kann das - durch die Entziehung der Schankkonzessiondurch das Kreisverwaltungsreferat - dennoch das Aus als Wiesnwirt, für die Genehmigung zum Frühlingsfestund für die Schankkonzession im Andechser am Dombedeuten.

31. März 2014 München-Au * Der Mietvertrag des Sanitärgroßhandels im "Kegelhof" läuft aus.

Nun kann die städtische Wohnungsbaugesellschaft "GWG" mit der "Weiterentwicklung des Komplexes Kegelhof" beginnen.

8. April 2014 München * Nachdem das Bayerische Innenministeriumim Herbst 2013 die Badeverordnunghat auslaufen lassen, endet in Bayern auch der darin enthaltene "Zwang zur Badekleidung". Das Münchner Kreisverwaltungsreferatwill das Nacktbadenin der Stadt auf insgesamt fünf Bereiche festschreiben. Das sind jene Orte, an denen der hüllenlose Bade- und Sonnengenuss auch bisher schon erlaubt war und deren Adressen sich seit Jahren in diversen Reiseführern wiederfinden.

Gerade die Nackerten im Englischen Gartensind - vor allem bei Besuchern aus Ländern, in denen solche textilfreien Zonen als "unsittlich" gelten - eine bekannte Touristenattraktion. Und das sind die künftigenNackerten-Paradiese:

Im Englischen Gartenauf der Schönfeldwiesehinterm Haus der Kunst, innerhalb des Ovals der Reitbahn. Die sogenannte "Poebene". In der Schwabinger Bucht, zwischen Sulzbrückeund Alte-Heide-Stegim nördlichen Teil des Englischen Gartens. Am Ostufer der Isarinsel Oberföhring. Bei Maria Einsiedelim westlichen Hochwasserbett der Isar. An der Brudermühlbrückeim östlichen Hochwasserbett der Isar bis hinauf zur Braunauer Eisenbahnbrücke. Am Südufer desFeldmochinger Seesdürfen die Münchner auch künftig auf ihre Badekleidung verzichten. ?Und selbst amFlaucher, demNacktbadestrand Nummer Eins, an dem bisher - sehr zur Verwunderung der Stadtpolitiker -Textilzwangbestand, dürfen jetzt offiziell die letzten Hüllen fallen.

9. April 2014 München-Maxvorstadt * Die bisher für den 9. November 2014 vorgesehene Eröffnung des NS-Dokumenationszentrumals Lern- und Erinnerungsortmuss auf den 30. April 2015 verschoben werden.

30. April 2014 München-Graggenau * OberbürgermeisterChristian Ude verabschiedet sich an seinem letzten Arbeitstag auf dem Marienplatz von den Münchnerinnen und Münchnern.

1. Mai 2014 München-Graggenau * Seinen ersten Arbeitstag beginnt der neue Münchner OberbürgermeisterDieter Reiter auf der Kundgebung des DGBauf dem Marienplatz. Weil er im Zusammenhang mit den städtischen Kliniken auch von

Seite 354/362 Personalabbauspricht, erntet er bei den anwesenden Gewerkschaftern Buh-Rufe und Pfiffe.

Ob er sich jetzt den Schlegel zur Hand herbei gewünscht hat, dem ihm zuvor seine Mitarbeiter - verbunden mit dem Wunsch für einen "guten Start und einer glücklichen Hand - auch beim Anzapfen" - geschenkt haben, ist nicht bekannt.

26. Mai 2014 München-Graggenau - München-Theresienwiese * Der Landesinnungsmeister der bayerischen MetzgerGeorg Schlagbauer von der CSU wird neuer Wiesn-Stadtrat. Der Besitzer einer Metzgereiam Viktualienmarkt übernimmt mit dieser Funktion eine langjährige Domäne der SPD. Sein Vorgänger ist Helmut Schmid.

24. Juni 2014 München-Englischer Garten * Franz Herzog von Bayern, der Chef des Hauses Wittelsbach, spricht sich für den Tunnel unter dem Englischen Gartenund die Wiedervereinigung des Parks aus:"Das ist ein Projekt von allergrößtem Interesse, nicht nur für München, sondern für ganz Bayern." 70 Millionen Euro soll laut den Initiatoren Petra Lejeune und Hermann Grub das Projekt kosten. Auch diezuständigenFinanzministerMarkus Söder und InnenministerJoachim Herrmann haben ihre Unterstützung bereits zugesagt.

14. Juli 2014 München-Theresienwiese * Der Aufbau der 181.Wiesn 2014beginnt. Alleine der Auf- und Abbau einer Wiesn-Festhallekostet rund eine Million Euro.

Nach langer Zeit gibt es mit dem Marstallein neues Festzelt. Es löst das Hippodromab.

20. Juli 2014 München * Mit einem "Big Jump" demonstrieren Münchnerinnen und Münchner für die Aufhebung des innerstädtischen Badeverbots.

29. Juli 2014 München-Theresienwiese * Josef Schmid, 2. [CSU-]Bürgermeister und Wirtschaftsreferent, stellt die neuen Wiesn-Attraktionenvor. Das Marstall-Festzeltvon Siegfried Able wird im Inneren 3.500 und draußen 900 Sitzplätze bieten. Statt dem leuchtenden Rot des Hippodromsüberwiegt Weiß mit etwas Blau. Das Thema Pferdsteht aber auch hier im Mittelpunkt.

3. September 2014 Planegg * Die Wiesnwirte der großen Festzelte treffen sich - wie jedes Jahr - in der Planegger Wallfahrtskirche Maria Eich, um dort eine mehrere Kilo schwere Kerze zu stiften. Diese Tradition hat der ehemalige Sprecher der Wiesnwirteund Festwirt der Bräu-Rosl, Willy Heide, nach dem Oktoberfest-Attentatim Jahr 1980 ins Leben gerufen. Sie soll für eine friedliche Wiesnstehen. Georg Heide, der Sohn des 2011 verstorbenen Willy, setzt die Tradition gemeinsam mit seiner Frau Renate und Tochter Daniela fort.

Bei den Münchnern hält sich aber eisern das Gerücht, dass das Mordstrumm von einer Kerze für eine sich pünktlich zum Wiesn-Beginn einstellende Schönwetterfront gestiftet wird.Denn schönes Wetter bedeutet für die

Seite 355/362 Wiesnwirte auch gute Umsätze und damit Gewinn.Denn wie singen die Festwirtein Maria Eich: "Maria hilf uns allen aus unsrer tiefen Not".

20. September 2014 München-Theresienwiese * Das 181.Oktoberfestbeginnt. Mit vierSchlägen zapft der neu gewählte Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter im Schottenhamel-Festzeltdas erste Fass an. Mit dem Ruf "Ozapft is" ist die Wiesn schließlich offiziell eröffnet.

5. November 2014 München * Die Münchner Gesellschaft Narrhallanominiert den Sänger Heino, 75, als 43. Ordensträger für den Karl-Valentin-Orden 2015. Verliehen wird der Orden - so die Narhalla- für "die humorvollste beziehungsweise hintergründigste Bemerkung im Sinne von Karl Valentin, für eine Rede oder Handlung, für ein Zitat, welches in der Öffentlichkeit publik wurde".

Der Orden wurde erstmals 1973 an den Kabarettisten Werner Fink verliehen.

16. November 2014 München-Maxvorstadt * Im Volkstheaterfindet die dritte SAUBANDE-Matinée,desKarl Valentin-Liesl Karlstadt-Fördervereins,statt.

Es wirken mit: Luise Kinseher, Maria Peschek, Frank-Markus Barwasser (alias Erwin Pelzig), die Couplet AG, Bele Turba, das Fünferlmit Johanna Bittenbinder, Heinz Josef Braun, Sebi Tramontana und Andreas Koll, Hans Well mit den Wellbappn, Stephan Zinner und Holger Paetz.

31. Dezember 2014 München * In der Zusammenstellung der städtischen Zuschüsse, die der Münchner StadtkämmererErnst Wolowicz jedes Jahr veröffentlicht, werden die Subventionen im Kultur-, Unterhaltungs- und Bildungsbereich deutlich.

Das Stadtmuseumwird pro Besucher mit 106,55 Euro unterstützt, die Münchner Philharmonikererhalten pro Zuhörer 97,13 Euro, das Volkstheaterkriegt für jeden Zuschauer 77,67 Euro, in der Stadtbibliothekwird jedes ausgeliehene Buch mit 2,99 Euro bezuschusst, nur der Tierpark Hellabrunnsorgt 2014 für ein positives Ergebnis.Die Eisbär-Babies führten zu einem enormen Besucheranstieg von 1,7 auf 2,12 Millionen.Damit überstiegen die Einnahmen die Ausgaben.Trotzdem wird jede Eintrittskarte mit 93 Cent subventioniert.

2015 München-Untergiesing * Die Arbeiten für den Lärmschutz entlang der "Braunauer Eisenbahnbrücke" sollen beginnen.

Die durch die Bauarbeiten verursachte Streckensperre muss zuvor erst auf internationaler Ebene abgesprochen

Seite 356/362 werden.

30. Januar 2015 München * Der Sänger Heino ("Schwarzbraun ist die Haselnuss") erhält für "die humorvollste beziehungsweise hintergründigste Bemerkung im Sinne von Karl Valentin, für eine Rede oder Handlung, für ein Zitat, welches in der Öffentlichkeit publik wurde", den "Karl-Valentin-Orden 2015" der "Münchner Gesellschaft Narrhalla" überreicht.

Peinlich!

30. April 2015 München-Maxvorstadt * Das "NS-Dokumentationszentrum" an der Brienner Straße wird als "Lern- und Erinnerungsort" eröffnet.

An diesem Tag jährt sich die "Befreiung Münchens" vom NS-Terror durch die US-Streitkräfte zum 70. Mal.

8. Mai 2015 München * Amelia Meyer wird als eineinhalbmillionste Einwohnerin Münchens geboren.

Der millionste Einwohner Thomas Seehaus wurde 1957 geboren. Innerhalb von 58 Jahren erhöhte sich die Einwohnerzahl um 500.000 Menschen. Das Wachstum ist ähnlich wie zwischen 1850 und 1910.

19. September 2015 München-Theresienwiese * Das 182.Oktoberfestbeginnt, indem der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter das erste FassimSchottenhamel-Festzeltmit zwei Schlägen anzapft. Mit dem Ruf"Ozapft is - Auf eine friedliche Wiesn 2015"ist das weltweit größte Bierfest offiziell eröffnet.

5. Oktober 2015 München-Theresienwiese * 26 Sexualdeliktewurden während des Oktoberfestes angezeigt, darunter zwei Vergewaltigungen, zwei versuchte Vergewaltigungen, sowie exhibitionistische Handlungen und Beleidigungen auf sexueller Basis, wie etwa Grapschen. Sicherlich gibt es eine Dunkelziffer, da viele Frauen aus Scham oder falschen Schuldgefühlen auf eine Anzeige verzichten. Gerade Touristinnen zeigen sexuelle Übergriffe nicht an, sondern wollen einfach vergessen und heimfahren.

Auf dem Oktoberfestkümmern sich verschiedene Hilfsorganisationen, die sich in dem Projekt Sichere Wiesnzusammen geschlossen haben, um sich der Opfer von sexueller Gewalt anzunehmen.

18. Oktober 2015 München-Isarvorstadt * Nach dem Ende der "Langen Nacht der Museen" beginnen die Modernisierungsarbeiten für das Deutsche Museum. Etwa die Hälfte des Hauses wird bis 2019 geschlossen. Danach wird die zweite Hälfte saniert, sodass bis 2025 alles fertig sein soll.

Seite 357/362 Januar 2016 München-Thalkirchen * Die "Surferwelle" bei der "Floßlände" in Thalkirchen wird durch Ingenieure durch einen Einbau eines einfachen Keils gerettet.

Die Welle kommt nun mit 75 Prozent der ursprünglichen Wassermenge aus.

Die "Surfwelle" war seit dem Jahr 2014 ganz verschwunden, nachdem die Stadtwerke die Wasserzuführungen beginnend im Jahr 2009 stark gedrosselt haben.

8. Februar 2017 München * Die "Münchner Metzgerinnung" veranstaltet ihre jährliche "Weißwurst-Prüfung".

Je zwei "Innungs-Obermeister", "Veterinäre", "Verbraucher" und "Wirte" nehmen an der "Verkostung" der Produkte von 29 "Metzgereien" teil. Danach regnet es wieder "Goldmedaillen".

12. Februar 2017 München-Obergiesing * Aus Anlass des 500. Jahrestages der Reformationbringt die Giesinger Brauereieinen dunklen Doppelbockauf den Markt - den "Innovator" - und veranstaltet an diesem Tag ein Starkbierfest. Das Etikett der Bierflasche ziert ein Bild der evangelischen Martin-Luther-Kirche."Schismator" wäre ganz sicher die treffendere Bezeichnung für das Starkbier gewesen.

14. Juli 2017 Tierpark Hellabrunn * Mit dem ersten Spatenstich beginnen die Arbeiten für das im künftigen Parkteil Europa des Tierparks Hellabrunn gelegene Mühlendorf.

10. August 2017 München - München-Berg am Laim * Der "Vergabesenat des Oberlandesgerichts" weist die Beschwerde des Berliner Architekten Stephan Braunfels gegen die "Auswahl der Teilnehmer am Architekten-Wettbewerb" zurück.

Jetzt soll alles ganz schnell gehen:

Ende Oktober, Anfang November soll eine Jury den "Siegerentwurf" für das neue Münchner "Konzerthaus" küren, im Frühsommer 2018 sollen die Bauarbeiten auf dem "Werksviertel" beginnen.

24. September 2017 Freistaat Bayern - München * Bei der Wahl zum 19. Bundestagerhält

die CSU in Bayern lediglich 38,8 Prozent der Stimmen [- 10,5].

Seite 358/362 Die SPD kommt gerade einmal auf 20,0 Prozent [- 4,7], die Grünenerhalten 9,8 Prozent [+ 1,2], die Linkeerreicht 6,1 Prozent [+ 2,3], die FDP kann 10,2 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen [+ 5,1]. Auch im Freistaatist die Alternative für Deutschland - AfDdie große Gewinnerin, mit 12,4 Prozent der Stimmen, was einem Plus von 8,1 Prozent entspricht.

27. September 2017 Saudi Arabien * Ein Dekret von König Salman von Saudi Arabien schafft die notwendigen praktischen Voraussetzungen, um ab Juni 2018 als letztes Land der Welt den Frauen das Autofahren zu erlauben.

Aktivistinnen kämpften seit 1990 für diese Errungenschaft und mussten oft einen hohen Preis dafür zahlen: Beispielsweise eine Gefängnisstrafe von 73 Tagen.

6. November 2017 München * Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Markus Rinderspacher, schreibt an Ministerpräsident Horst Seehofer: "Wir sollten das Jahr 2018 nutzen, um an die Heldinnen und Helden der Demokratie in Bayern zu erinnern", nachdem der Freistaat Bayern sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Und weiter: "Der 8. November 1918 hat deshalb für den Freistaat Bayern eine Bedeutung, die der des 14. Juli 1789 für Frankreich oder der des 4. Juli 1777 für die USA in nichts nachsteht."Er fordert den CSU-Regierungschef auf, sich für den Feiertag im kommenden Jahr einzusetzen.

19. November 2017 München-Maxvorstadt * Zum sechsten Mal veranstaltet die "SAUBANDE", der Valentin-Karlstadt-Förderverein, eine Benefiz-Matinéeim Münchner Volkstheater.

Es treten auf: Ilse Neubauer, Maria Peschek und Helmut Dauner, Mrs. Zwirbel, Hans Well und die Wellpappn, Bele Turba und Nadia Tamborrini, das "Fünferl" mit Johanna Bittenbinder, Heinz Josef Braun, Sebi Tramontana und Andreas Koll, Veronika Bittenbinder mit Band, Stefan Noelle, Stephan Zinner, Arthur Senkrecht mit Bastian Pusch am Piano und Holger Paetz sowie die eine oder andere Überraschung.

Die namhaften Künstlerinnen und Künstler geben ihr Bestes, garniert mit valentinschen Spitzen.

24. Juni 2018 Saudi Arabien * Saudi Arabien erlaubt als letztes Land der Welt den Frauen das Autofahren. Dazu mussten seit September 2017 die notwendigen praktischen Voraussetzungen geschaffen werden - etwa um Fahrlehrerinnen einzustellen und Verkehrspolizisten im Umgang mit Frauen im Straßenverkehr zu schulen.

Von einer Gleichberechtigung von Mann und Frau ist das Land jedoch noch weit entfernt.

16. Juli 2018 München-Theresienwiese * Die Aufbauarbeiten für das 185. Oktoberfest beginnen. Da das Betreten der Baustelle

Seite 359/362 in dieser Zeit aus Sicherheitsgründen verboten ist, müssen lange Umwege in Kauf genommen werden.

Nur das Schützenzelt ist von dieser Regel ausgenommen, da es an dem geplanten Fahrradweg steht, auf dem die Radler während des Aufbaus der anderen Festzelte und der Fahrgeschäfte die Wiesn queren können.

9. November 2018 München-Haidhausen * An der Fassade des Unionsbräu an der Einsteinstraße 42 und im Innenhof werden zwei Gedenktafeln an die jüdische Brauerfamilie Schülein enthüllt. Die Tafeln hat der Münchner Bildhauer Toni Preis gestaltet. Die Festreden halten u.a. der Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers und die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Dr. Charlotte Knobloch.

Der Text auf den Erinnerungstafeln lautet:"1885 erwirbt Josef Schülein das Anwesen Einsteinstraße (damals Äußere Wiener Straße) 38 - 44 und gründete die Unionsbrauerei Schülein & Co.. Am 5. Januar 1921 fusioniert die Brauerei mit der Löwenbräu AG. Dr. Hermann Schülein, der Sohn der Firmengründers, wird Vorstandsvorsitzender. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 werden die Schüleins auf Grund ihrer jüdischen Herkunft aus all ihren Funktionen gedrängt.

Dr. Hermann Schülein verlässt im Frühjahr 1936 Deutschland und emigriert mit seiner Familie in die USA. Joseph Schülein stirbt am 9. September 1938 auf Gut Kaltenberg. 1943/44 wird fast das gesamte Areal der Unionsbrauerei durch Bomben zerstört.

Auch in den USA als Brauereiunternehmer erfolgreich, unterstützt Dr. Hermann Schülein den Wiederaufbau Münchens. Er stirbt am 14. Dezember 1970.

Zu Beginn der 1990er Jahre werden die noch erhaltenen Kellerräume der Unionsbrauerei saniert. 1998 eröffnet dort ein Kulturzentrum mit Räumen für Theater, Film und Musik."

11. November 2018 München-Maxvorstadt * Zum siebten Mal veranstaltet die SAUBANDE, der Valentin-Karlstadt-Förderverein, eine Benefiz-Matinée im Münchner Volkstheater. Es treten auf:

Die namhaften Künstlerinnen und Künstler geben ihr Bestes, garniert mit valentinschen Spitzen.

6. Mai 2019 München-Maxvorstadt * Am Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5, dem Sitz des Sparkassenverbands Bayern, wird eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Ermordung von 21 Kolpinggesellen am 6. Mai 1919 enthüllt.

Das Andenken an die grausamen Vorgänge vor 100 Jahren kam aufgrund einer Initiative von Frau Dr. Hella Schlumberger zustande. Zur Realisierung des Denkmals trägt das Kolpingwerk, die Versicherungskammer Bayern, der Sparkassenverband Bayern und die Landeshauptstadt München bei.

23. Juni 2019 München * Mehrere Männer eines Sicherheitsdienstes haben barbusige Frauen am Isarufer zwischen

Seite 360/362 Wittelsbacherbrücke und Reichenbachbrücke angesprochen und sie an das Nacktbadeverbot erinnert, das mit einigen Ausnahmen überall in der Landeshauptstadt gilt, obwohl der Wachdienst angewiesen worden war, das textilfreie Baden an der Isar auch außerhalb der FKK-Zonen nicht von sich aus zu verfolgen.

Die Badeverordnung verlangt etwas unpräzise: "Wer öffentlich badet, muss im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München Badekleidung tragen". Der Stadtrat muss sich nun in seiner Sitzung am 26. Juni damit beschäftigen, wie viel Nacktheit München verträgt und was unter "nackt" überhaupt zu verstehen sei.

26. Juni 2019 München * Die CSU-Stadtratsfraktion stellt einen Dringlichkeitsantrag für die Vollversammlung des Stadtrats in dem es heißt: "Die Badekleidungssatzung der Landeshauptstadt München wird dahingehend geändert, dass Badebekleidung im Sinne dieser Satzung die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken muss."Damit ist geklärt, was "nackt" ist.

12. Oktober 2020 München ? Der Corona-Sieben-Tage-Inzidenzwert [= Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen] liegt in München erstmals über 50.

4. Februar 2021 München ? Die Corona-Sieben-Tage-Inzidenz [= Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen] liegt in München bei 48,0. Sie liegt damit wieder auf dem Stand vom 12. Oktober 2020. Das sind 10 Tage bis wann der landesweite Lockdown begrenzt ist. Lockerungen wird es laut Oberbürgermeister Dieter Reiter deshalb nicht geben.

Der bayernweite Corona-Sieben-Tage-Inzidenzwert liegt bei 83,1, in Deutschland bei 80,7.

7. März 2021 München ? Der Corona-Sieben-Tage-Inzidenzwert [= Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen] liegt in München erneut über 50, bei exakt 52,1.

31. März 2021 München ? Der Corona-Sieben-Tage-Inzidenzwert [= Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen 7 Tagen] liegt in München erneut über 100, bei exakt 100,2.

Der bayernweite Corona-Sieben-Tage-Inzidenzwert liegt bei 137, in Deutschland bei 132.

6. Mai 2021 München-Maxvorstadt * In Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hat der Künstler Arnold Dreyblatt auf dem Königsplatz ein Mahnmal errichtet. Es trägt den Titel "The Blacklist / Die Schwarze Liste".

Das am historischen Ort in den Boden eingelassene Mahnmal zeigt Werke von 310 Autor*innen, die im NS-Regime geächtet wurden. Dreyblatt wählte jeweils die letzte Veröffentlichung der Autor*innen bis

Seite 361/362 einschließlich 1933.

9. Juni 2021 München * Die durch Corona bedingte Maskenpflicht in der Innenstadt und am Viktualienmarkt wird aufgehoben.

12. Juni 2021 München ? Der Sieben-Tage-Inzidenzwert liegt in München bei 20,0. Die bayernweite 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt lbei 22,0. Der deutschlandweite Wert sinkt innerhalb einer Woche von 26,3 auf 18,3 ab.

26. September 2021 Freistaat Bayern * Bei der Wahl im Freistaat Bayern zum 20. Bundestag erhält

die CSU als bayerisches Anhängsel der Union erhält im Freistaat immerhin 31,7 Prozent [-7,1]. Das sind allerdings bundesweit lediglich 5,2 Prozent. Unabhängig von den Direktmandaten schrammt die bayerische Splitterpartei knapp am Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vorbei. Die SPD erringt 18,0 Prozent der Stimmen [+ 2,7]. Bündnis 90/Die Grünenkommen auf 14,1 Prozent der abgegebenen Stimmen [+ 4,3]. Die FDP bekommt 10,5 Prozent [+ 0,4]. DieAlternative für Deutschland - AfD erhält 9,0 Prozent [-3,4]. Die Linke erkämpft ebenfalls 2,8 Prozent der Stimmen [- 3,3].

Bis auf ein Direktmandat im Freistaat Bayern entfallen die anderen45 auf die CSU. Die Ausnahme ist die 28-jährige Jamila Schäfer, die das Direktmandat in München-Süd gewinnt.

26. September 2021 München * Bei der Wahl in München zum 20. Bundestag erhält

das Bündnis 90/Die Grünen26,1 Prozent der abgegebenen Stimmen [+ 8,9]. die CSU 23,8 Prozent [- 6,2]. Die SPD wird Drittklassig und erringt 19,0 Prozent der Stimmen [+ 2,8]. Die FDP bekommt 13,7 Prozent [- 0,5]. DieAlternative für Deutschland - AfD erhält 4,5 Prozent [- 3,8]. Die Linke erkämpft lediglich 4,1 Prozent der Stimmen [- 4,2].

Insgesamt 14 Münchnerinnen und Münchner ziehen in den neuen Bundestag ein. CSU: 3 Direktmandate, GRÜNE: 3, davon 1 Direktmandat, SPD: 2, FDP: 3, AfD: 2, Linke: 1

Seite 362/362