Ermitteln Verboten!
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Jürgen Roth Ermitteln verboten! Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat Eichborn 1234 06 05 04 © Eichborn AG, Frankfurt am Main, September 2004 Umschlaggestaltung: Christiane Hahn Lektorat: Beate Koglin, Carmen Kölz Layout: Susanne Reeh, Antitrack of Legend (PDF) Satz: Fuldaer Verlagsanstalt, Fulda Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 3-8218-5588-6 Verlagsverzeichnis schickt gern: Eichborn Verlag, Kaiserstrage 66, D-60529 Frankfurt/Main www.eichborn.de Inhalt Anleitung 7 Wie und warum Kriminalitätsbekämpfung ausgebremst wird 12 Die Bekämpfung von Organisierter Kriminalität ist out 12 Wie ohnmächtig sind die Ermittlungsbehörden? 18 Ein Exempel darüber, wie die Bevölkerung für dumm verkauft wird 29 Die freundlichen Herren aus dem italienischen Süden 34 Was hat sich eigentlich in den letzten Jahren wirklich verändert? 46 Erfolgreiche Polizeiarbeit oder wie Recht gebeugt wird 56 Paten, Politiker und seltsame Freundschaftsdienste 60 Die schwüle Romantik des politischen Faktors Rotlicht 60 Das Hamburger Gruselkabinett 69 Der clevere Klan, der in Hamburg weiter regieren darf 94 Die Jagdgesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern 103 Ein Justizskandal und kein Ende in Sicht 120 Über Kriminelle und ihre Helfershelfer in Polizei und Justiz 128 Wenn Polizeibeamte unternehmerisch tätig werden 128 Das kriminelle Proletariat - Hell's Angels und andere Geschäfte 133 Hannover - Kartoffelsuppe und gebratene Ente 135 Der Balkan in Deutschland 145 Der Zigeunerfürst aus Düren 145 Frankfurt und Umgebung - Killer und Drogenhändler als honorige Bürger 151 Der Kunstraub oder wenn Gangster neue Märkte erobern 169 Geld, Gier und das Geschäft mit Kriminellen aus dem Osten 176 Das fidele Leben in Baden-Baden oder Einblicke in die moralische Demenz 176 Über Politik, Investitionen und wie man Aufenthaltsgenehmigungen erhält 188 Seltsame Gäste aus dem ukrainischen Sumpf 195 Die Entführungsindustrie 202 Die Macht ethnischer Parallelgesellschaften in Deutschland 209 Über Gettos, Gegengesellschaften und Banditen 209 Das Berliner Getto oder Geschichten über Schein und Wirklichkeit 214 Das korrupte System und ein globales Szenario 225 Das Bündnis von Gesellschaft und Verbrechenskultur 225 Das goldene Dreieck - Wirtschaft, Politik und Terrorismus 229 Wirtschaftskriminalität, Mafia oder ganz legale Geschäfte - ein Fallbeispiel 242 Verwaltungsscientology oder von Aldi lernen 250 Kein Schlusswort 258 Anmerkungen 263 Literatur 267 Personenregister 268 Einleitung »Wer taub ist und blind und den Mund hält, der wird in Frieden einhundert Jahre alt.« Sizilianische Lebensweisheit Deutschland ist unter die Räuber gefallen. Da darf in Frankfurt am Main seit Jahren ein gefährlicher Auftragskiller frei herumlaufen. In Düsseldorf sieht man den türkischen Mafiapaten Ali B. flanieren, der unter anderem sechs Morde verübte. Im Kasino verzockt er in einer Nacht schon mal locker eine M illion Euro. Unterdessen schlendert, fröhlich pfeifend und mit seinem Pit- bull an der kurzen Leine, in einem kleinen deutschen Dorf einer der fünf größten Drogenhändler Europas umher. Die Anführer der kriminellen Pro- leten, der Hell's Angels, übernehmen in den Metropolen ein Luxusgroßbor- dell nach dem anderen. Schließlich prahlt ein krimineller albanischer Klan voller Stolz, er habe seit Jahren den Hamburger Senat in der Hand. Und die- se Behauptung ist nicht einmal übertrieben. Dass suspekte kapitalkräftige Investoren aus der ehemaligen Sowjetunion gehätschelt werden wie im verblassenden Kurort Baden-Baden, wagt man kaum noch zu erwähnen. »Peanuts sind das alles«, wendet ein führender Wirlschaftskriminalist aus Würzburg ein. »Schauen Sie sich mal die engen Verbindungen zwischen hochkarätigen deutschen Politikern und dubiosen Anlagefonds an, die Milliarden Euro vernichten.« Polizei und Justiz im einstigen Wirtschaftswunderland hätten eigentlich genügend zu tun, um den kriminellen Dschungel ein wenig zu lichten. Da waren die deutschen Tater und ihre kriminellen Verflechtungen, die Ab- sprachekartelle, Subventions- und Anlagebetrüger ebenso wie die deutschen Zuhällterbanden und die ohnehin vorhandenen örtlichen Kleinkriminellen. Doch Deutschland liegt im Zentrum Europas. Und so beherrschen etwa tür- kische und kurdische Familienklans nach wie vor den Heroinmarkt. Zwar Einleitung 7 versuchen andere Banden, zum Beispiel Albaner und Russen, in diesen luk- rativen Markt hineinzudrängen, aber die mächtigsten Dealer kommen weiterhin aus der Türkei. Kosovo-albanische Klans erkämpfen sich verstärkt Anteile im Rotlichtmilieu. Ihre Methoden und Mittel: Durchschlagskraft, Brutalität, Kriegserfahrung und strikte Abschottung. Blutige Verteilungs- kämpfe um kriminelle Märkte in einigen Städten sind ein aufflammendes Menetekel, ebenso die sich bereits bildenden Parallelgesellschaften mit »No- Go-Gebieten«. Noch rauben, morden, bestechen und betrügen die traditionellen Syndi- kate der Russenmafia überwiegend in den Heimatländern und legen »nur« ihre kriminellen Gewinne in sauberen Firmen in Deutschland an mit dem Ziel, Wirtschaft und Politik zu durchdringen. Doch auch in Deutschland bil- den sich bereits hochkriminelle und konspirativ arbeitende Gangs junger Russlanddeutscher, die ihren Vorbildern in der ehemaligen Sowjetunion in nichts mehr nachstehen. Und auch chinesische Triaden agieren weitgehend unbehelligt in den Bereichen Drogenhandel, Geldwäsche und Produktpira- terie. Italienische »Mafiagrößen« - ob Cosa Nostra, Ndrangheta oder Camorra - haben sich zwar teilweise von der schwersten Gewaltkriminalität abge- wandt. Trotzdem spielen sie weiterhin eine gewichtige Rolle im internatio- nalen Drogen- und Waffenhandel. Zudem investieren sie in Deutschland ih- re weitgehend unangetasteten kriminellen Vermögen und verlagern ihre Aktivitäten zunehmend auf den Bereich der Wirtschaftskriminalität. Und häufig sind diese höchst unterschiedlichen Gruppen und Personen zeitweise miteinander vernetzt bzw. gehen Zweckbündnisse ein. Das ver- meintlich »idyllische« Milieu von Zuhälterbanden, Mördern, Drogenhänd- lern, Waffenhändlern und Kraftfahrzeugdieben haben die meisten von ih- nen jedenfalls weit hinter sich gelassen. Das alles sind keine Märchengeschichten. Es ist auch keine billige Pa- nikmache oder gar journalistische Schaumschlägerei. Darüber könnte man sich ja dann fast schon freuen. Nein, das ist die Wirklichkeit, die von nie- mandem ernsthaft bestritten werden kann. Und sie wird es im Prinzip auch nicht. Aber der »Kampf gegen den Terrorismus«, wird der Leser einwenden, der werde doch wenigstens beherzt und mit allen Mitteln geführt. In der Tat. 8 Einleitung Wenn in derr Berliner Regierungszentrale überhaupt etwas Priorität hat, dann ist es das. Bekanntlich haben »Ende 2003 die westlichen Regierungen ihre Polizei- und Nachrichtendienste angewiesen, dem Kampf gegen den Terrorismus absoluten Vorrang einzuräumen«.1 Viel Vergnügen, ist man ge- neigt zu sagen, angesichts des bereits verlorenen Kampfes gegen andere, weitaus harmlosere kriminelle Denkte. Vor diesem Hintergrund ist deshalb seit geraumer Zeit ein Phänomen unüberseh- und unüberhörbar geworden: Hoch qualifizierte Kriminalisten wie einfache Polizeibeamte oder unzufriedene Staatsanwälte und Richter begehren auf. Sie wollen Kriminalität (ob Massen-, Wirtschafts- oder Orga- nisierte Kriminalität) bekämpfen, können beziehungsweise dürfen es aller- dings nicht mehr. Und das ist der politische Skandal. Den meisten derjenigen, die sich mit Kriminalitätsverfolgung und -bekämpfung befassen, ist bewusst, dass sie den Bürgern Schutz und Sicherheit garantieren sollen, deren selbstver- ständlichste Forderung und elementares Grundrecht. Die Realität hingegen sieht vielerorts anders aus. In aller Öffentlichkeit beklagte der Vorsitzende des Darmstädter Staats- .mwaltsrats, Oberstaatsanwalt Klaus Reinhardt, dass die von der Hessischen Bundesregierung beschlossene Stellenbesetzungssperre die Staatsanwälte vollkommen ins Abseits stelle. Es gebe Kollegen von ihm, die hätten ein hal- bes Tausend unerledigter Verfahren auf dem Schreibtisch liegen. Und auch im Bereich der Angestellten wurde und wird massiv gespart. Engagierte und ausgebildete Justizfachangestellte werden nicht mehr eingestellt, sodass die Verwaltung der Darmstädter Justiz vor dem Zusammenbruch steht. Wenn Polizeibeamte dann zum Beispiel gegen Wirtschaftskriminelle ermitteln wollen, wird ihnen entgegengehalten, dass es dafür keine Leute gebe. Diese Verhältnisse finden wir nicht nur in Darmstadt, sondern in ganz Hessen und auch im gesamten Bundesgebiet - von wenigen Ausnahmen ab- gesehen. So bemängelte auch Wolfgang Bauch, der stellvertretende Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), auf dem 18. Deutschen Richter- und Staatsanwalttag am 15. September 2003 in Dresden: »Bundes- weit hohe Fallzahlen, eine angespannte Personalsituation und Personalab- bau in den polizeilichen Ermittlungsdienststellen wegen der katastrophalen Einleitung 9 L.age der öffentlichen Haushalte hindern die Ermittler in weiten Teilen da- ran, Vorgänge in gebührendem Maße zu Ende zu ermitteln. Hinzu kommen erhebliche Defizite bei der Aus- und Fortbildung der Polizei.« Und es war kein Geringerer als der Vorsitzende des Deutschen Richter- bundes (DRB), Wolfgang Arenhövel, der zu Beginn des Richtertags drin- gend vor weiteren »Sparorgien« warnte: »Wir werden schlicht und einfach kaputt gespart.« Also nur eine Frage des Geldes? Nein: Hinter allem verbirgt sich, unaus- gesprochen und schriftlich nirgendwo festgehalten, zweifellos ein politi- scher Wille, der nicht mit den leeren Kassen zu begründen ist.