Freitag, 2. November 2018 MENSCHEN & MEINUNG Freie Presse B3 „Ich habe jetzt Blut geleckt“ Filmdarsteller Christian Berkel über sein erstes Buchprojekt, dichterische Freiheit in einem autobiografischen Stoff und das segensreiche Wirken einer Lektorin

Seine Frau, die Schauspielerin An- drea Sawatzki, hat es vorgemacht, Schauspieler Christian Berkel hat es ihr gleichgetan und ist unter die Buchautoren gegangen. Auf der Buchmesse in Frankfurt am Main stellte er jetzt sein erstes literari- sches Werk, „Der Apfelbaum“, vor. Darin erzählt der Berliner die au- ßergewöhnliche Liebesgeschichte seiner Eltern zur Zeit der National- sozialisten. Susi Groth hat sich mit Christian Berkel über das Schrei- ben von Büchern, die Inspiration durch den Lebenspartner und das Geheimnis dauerhaften Ehe- glücks unterhalten.

Freie Presse: Herr Berkel, Sie ha- ben gerade Ihren ersten Roman herausgebracht, eine Familien- geschichte über drei Generatio- nen, die enge Bezüge zu der Ge- schichte Ihrer Familie hat. Beim Lesen habe ich mich gefragt: Ist das tatsächlich Ihr Erstlings- werk? Ihre ausgefeilte Sprache und die Dramaturgie wirken nicht wie die eines blutigen An- fängers. Sogar Daniel Kehlmann lobt Sie über den grünen Klee ... Geben Sie es zu, Sie bringen schon länger unter einem Pseu- donym Bücher heraus. Christian Berkel: Nein, das habe ich wirklich nicht. (lacht) Aber dan- ke für Ihr Lob! Ich habe bislang nur gelegentlich für die „Welt“ Literatur- kritiken verfasst. Aber das ist ja et- was völlig anderes. Sie sollen ein echter „Bücher- wurm“ sein. Ja, das bin ich wohl. Ich hab schon von Kindesbeinen an sehr viel gele- sen und hab immer eine große Liebe zur Literatur empfunden. Und als der Wunsch in mir in den letzten Jahren reifte, diese Familienge- Christian Berkel steht seit rund 40 Jahren vor der Filmkamera. Nun ist er unter die Schriftsteller gegangen – für mehr als ein Buch, wie der 61-Jährige verspricht. FOTO: TOBIAS HASE/DPA schichte aufzuschreiben, habe ich mich noch einmal mehr und be- Ich bin lange vor meiner Familien- können Sie das beurteilen? Deshalb tue ich mich mit einer De- Ja, darüber denke ich tatsächlich Gibt es ein Geheimnis für lange s wusster mit Literatur auseinander geschichte davongelaufen. Weil es (lacht) Ich kenne aber viele Mütter menz-Diagnostik bis heute eher nach. Liebesglück? gesetzt. so viel Ungeklärtes darin gab, so vie- und Töchter. schwer. Werden Sie – trotz ihrer neuen Ich halte es für ein gutes Rezept, Können Sie kurz zusammenfas- les, über das niemand sprach. Aber Ihre Mutter hat viele Jahre in Ar- Wie sah eigentlich Ihr Arbeits- Leidenschaft – den Zuschauern wenn man eher ein ungleiches Paar sen, um was es in dem Buch geht? je mehr ich mit Leuten über die Ver- gentinien gelebt. Waren Sie je- prozess an dem Buch aus – arbei- dennoch als Schauspieler erhal- ist – zumindest von außen betrach- Kern des Buches ist die aufregende gangenheit meiner Familie sprach, mals dort? teten Sie eher für sich oder immer ten bleiben? tet. So wie meine Eltern. Gegensätze Liebesgeschichte meines Vaters und umso mehr erzählten sie mir, dass Das ist tatsächlich der einzige Ort in Zwiesprache mit Ihrer Frau Ja, auf jeden Fall. Derzeit drehe ich ziehen sich an. Daran glaube ich. meiner Mutter, die bereits in den ihre Historien auch solche Lücken aus dem Buch, an dem ich nicht war. oder jemand anderem? für das ZDF eine spannende Minise- Und nicht daran, dass Liebende im- 20er-Jahren beginnt. Meine Eltern enthielten. Und irgendwann ent- Aber die Briefe meiner Mutter an Ich hatte eine tolle Lektorin. Alle 60, rie, zusammen mit Claudia Michel- mer gleich denken, fühlen und han- haben sich verliebt, da war sie 13, er schied ich mich, die Löcher in mei- meinen Großvater haben mir darü- 70 Seiten habe ich ihr den Text ge- sen. „Die verlorene Tochter“. Und im deln müssen. Aber ich glaube auch, 17. Sie war Jüdin, er Deutscher. Un- ner Geschichte zu füllen. ber sehr viel erzählt. Durch die Brie- schickt und dann sind wir stunden- November startet bei Amazon Prime dass unter all den Unterschieden ei- ter normalen Umständen hätten sie Wenn es diese Geschichte nicht fe hat sich auch mein Bild, was ich lang, Seite für Seite durchgegangen. die Serie „Beat“, die im Berliner Tech- ne gemeinsame Basis liegt, die ein mit Anfang 20 geheiratet – was aber gegeben hätte, wären Sie dann von Argentinien hatte, deutlich ge- Das war wie ein Spiegel, den sie mir no-Milieu spielt und bei der ich Paar verbindet. Der muss man sich nicht ging. Stattdessen musste mei- auch zum Schriftsteller gewor- wandelt. Ich wollte immer gern mit immer wieder vorgehalten hat. Ich auch mit dabei bin. Ach ja, und dann nicht einmal bewusst sein. Das ist ne Mutter nach Frankreich fliehen. den? meiner Mutter dorthin reisen, aber wollte einfach kein fertiges Manu- läuft im November ja auch noch der eher ein tiefes Verbundenheitsge- Dort wurde sie gefangen genom- Das weiß ich nicht. Aber es war nun sie wollte das nicht. skript abgeben, ohne das irgendwer Kinofilm „Was uns nicht umbringt“ fühl. men, konnte aber durch Kontakte mal der Stoff, mit dem ich angefan- über den Text geschaut hat. Da war an, und das ZDF zeigt die neuen Fol- ihrer Großcousine vor der Deporta- gen habe, mich schriftlich auseinan- ich mir dann doch zu unsicher. Ich gen von „Der Kriminalist“. tion gerettet werden. Daraufhin floh derzusetzen. Was ich aber mit Si- wollte ja nicht gesagt bekommen: Und nicht zu vergessen, die Film-Debüt mit 19 Jahren sie nach Argentinien und kehrte erst cherheit sagen kann: es wird nicht Das war nix, da müssen Sie noch Scheidungskomödie, die im Janu- Christian Berkel kam am 28. Okto- zehn Jahre später nach Deutschland mein letztes Buch gewesen sein. Ich mal ran. Meine Frau hat es in der ar in der ARD laufen wird und ber 1957 in West- zur Welt. Als zurück. Mein Vater war während des habe jetzt, wie man so schön sagt, Entstehungsphase gar nicht gelesen. für die Sie mit Ihrer Frau mal Teenager verbrachte er einige Jahre Krieges in Russland in Kriegsgefan- Blut geleckt. Das Schreiben hat mir Erst als die Geschichte fertig war. wieder vor der Kamera standen. in und entdeckte dort die genschaft geraten und als er endlich sehr viel gegeben, mich sehr berei- Und wie fiel ihr Urteil aus? Das war ein ganz tolles Erlebnis, das Schauspielerei für sich. Mit 19 feierte zurückkam, heiratete er eine andere. chert. Das war eine ganz faszinieren- „Alles in allem habe Das verrate ich nicht. (lacht) Nur so- wir schnell wiederholen möchten. er im Film „Das Schlangenei“, bei Als meine Mutter wieder in de Reise. ich etwa acht Jahre viel, ich kam gut weg. War das nicht etwas seltsam, ein dem Ingmar Bergmann Regie führte, Deutschland war, hat sie meinen Va- Ihre Eltern konnten Ihr Buch lei- Früher gab es im Hause Berkel/ Paar zu spielen, das kurz vor der sein Schauspieldebüt. Seither ist er ter gesucht und ihn im Telefonbuch der nicht mehr lesen. an dem Buch Sawatzki zwei TV-Kommissare - Scheidung steht? von der Kinoleinwand und im Fernse- gefunden. Sie haben sich wiederge- Nein, mein Vater verstarb ja bereits Sie spielen seit vielen Jahren im Ja, aber ich glaube, es wäre für uns hen nicht mehr wegzudenken, wirkte sehen, und er hat sich für sie schei- 2001. Und meine Mutter dann 2011. gearbeitet. ZDF in „Der Kriminalist“, und schwieriger gewesen, das Gegenteil unter anderem in „Der Untergang“ den lassen. Hat Ihre Mutter Ihre Hochzeit Ihre Frau war früher Tatort- zu spielen. Ein glückliches Paar. Es und „“ mit. Auch Hol- Wie lange haben Sie an dem mit Andrea Sawatzki noch er- Und drei Jahre Kommissarin. Jetzt gibt es zwei ist immer leichter etwas zu spielen, lywood entdeckte den charismati- Buch geschrieben? lebt? Schriftsteller. Hat Andrea Sie was nicht der eigenen Realität ent- schen Glatzkopf für sich und besetzte Das waren schon einige Jahre. Und Nein, das hat sie leider nicht mehr davon waren nur mit dem Schreibvirus infiziert? spricht. Ist eine Geschichte zu nah ihn unter anderem in „Inglorious Bas- zu Beginn gab es auch zwei Fehlver- geschafft. Sie starb im Oktober, und Recherche. Das war Das würde ich nicht so direkt sagen, am eigenen Leben, erreicht man nur terds“ und „Operation Walküre“. Seit suche. Da musste ich abbrechen, wir haben ja erst im Dezember 2011 denn der Wunsch zu schreiben, be- schwer die nötige Distanz. Dennoch 2006 löst er freitags im ZDF in „Der weil ich einsah, dass die Geschichte geheiratet. wie ein Puzzle, das gleitet mich schon viele Jahre. Ich waren wir beide sehr aufgeregt, Kriminalist“ als Kommissar Bruno so nicht funktionierte. Ich musste Was hätten Ihre Eltern von dem wusste im Grunde schon immer, denn unser letzter gemeinsamer Schumann kniffelige Mordfälle. erst lernen, die eigene Arbeit aus ei- Buch gehalten? nach und nach ein dass ich irgendwann einmal schrei- Film lag schon neun Jahre zurück. ner gewissen Distanz zu betrachten. Also, ich stelle mir schon vor, dass es ben werde. Mir fehlte nur immer der Aber es hat am Ende sehr gut ge- Seit 1997 ist Berkel mit der Schau- Dafür habe ich einige Anläufe ge- ihnen gefallen hätte. Aber natürlich großes Bild ergibt.“ richtige Ansatz. Meine Frau hat klappt und uns großen Spaß ge- spielerin Andrea Sawatzki liiert, seit braucht. Aber die längste Zeit hat die hätten sie mir ständig gesagt, dass mich also nicht infiziert, sie war ein- macht. Ich kann also über diese Kol- 2011 sind sie verheiratet. Die beiden Recherche gebraucht. Ich kannte dies und jenes aber ganz anders ge- fach schneller als ich. (lacht) legin nur das Beste sagen. (lacht) lernten sich bei den Dreharbeiten zu zwar die Geschichte, aber eben nur wesen sei. (lacht) Wünschen Sie sich, das auch Ihr Sie haben 2011 geheiratet. Schon dem Thriller „Tod auf Amrum“ ken- den groben Ablauf und die einzel- Aus Ihrem Bruder Peter, den Sie Buch irgendwann verfilmt wird? mal vom verflixten siebenten nen. Das Paar lebt mit seinen beiden nen Stationen. Im Grunde das, was im echten Leben haben, wurde im Ähnlich wie die Familiensaga Jahr gehört? Söhnen und zwei Hunden in Berlin. jetzt im Klappentext steht. Den Rest Buch eine Schwester, Ada. Wa- von Udo Jürgens, „Der Mann Heute spricht man ja auch immer Andrea Sawatzki ist ebenfalls Autorin musste ich erst erlesen, erleben und rum? mit dem Fagott“, in der Sie ja weniger vom verflixten siebenten, und veröffentlichte 2013 ihr erstes mir anschauen. Beispielsweise habe Das ist der künstlerische Freiraum, auch mitgespielt haben. sondern eher vom verflixten vierten Buch, es folgten vier weitere. (sgro) ich den gesamten Nachlass meines den ich mir nehme. Es ist ja auch Die Mutter in Ihrem Buch litt in Ja, das würde mich sehr freuen. Beziehungsjahr. Da kommt es bei Großvaters in der Akademie der keine Autobiografie, sondern eine ihren letzten Lebensjahren an Würden Sie dann auch mitspie- ganz vielen Paaren zur ersten gro- Das Buch „Der Künste studiert. Alles in allem habe Autofiktion. Grund für diese Ent- Demenz, wenn ich Ihre Beschrei- len wollen? ßen Krise, wie ich immer wieder hö- Apfelbaum“ ist das ich etwa acht Jahre an dem Buch ge- scheidung war, dass ich eine Mut- bung im Buch richtig deute. Das käme darauf an, wer das macht re. Da wir aber erst nach 13 Bezie- erste Buch von arbeitet. Und drei Jahre davon waren ter-Tochter-Beziehung für die kom- Ich habe bewusst nicht den Begriff und wie die Geschichte umgesetzt hungsjahren geheiratet haben und Christian Berkel. nur Recherche. Das war wie ein Puz- plexeste Beziehung innerhalb einer Demenz gewählt, weil ich es nie si- wird. Ausschließen würde ich es uns dabei so sicher über diesen Es ist im Ullstein- zle, das nach und nach ein großes Familienstruktur halte. Aber auch cher wusste. Meine Mutter hat zwar nicht. Schritt waren, standen wir weder im Verlag erschienen, Bild ergibt. gleichzeitig eine der spannungs- auch mehr und mehr vergessen – in Sie haben erwähnt, dass Sie dem vierten, noch im siebten Ehejahr hat 416 Seiten und Und wieso haben Sie überhaupt reichsten. Deshalb hat mich das als erster Linie Dinge aus der nahen Schreiben treu bleiben möchten. kurz vor der Scheidung. Und um kostet 22 Euro. entschieden, Ihre Familienge- Autor mehr gereizt. Vergangenheit – aber viel mehr als Könnte das auch die Fortsetzung ehrlich zu sein, ist gerade dieses 7. schichte zu Papier zu bringen? Sie selbst haben zwei Söhne. Wie das, hat sie ihre Realität umgedeutet. dieser Familiengeschichte sein? Ehejahr ein besonders gutes. (lacht)