HOMMAGE ERINNERUNGEN AN EINEN CHAMPION

SECHSTAGEKÖNIG: SUPERSTAR DER WINTERBAHNEN 113 UND WUNDERBAREN MENSCHEN

LEBENSKRISE: VOM SCHAUSPIELER ZUM DROGENKURIER 124 Der Endspurt war einst die schärfs- genannt wurde, war ein Crack der Nachfolger oder Eddy AMNESTIE: ZURÜCK AUS DER HÖLLE 129 te Waffe des . Superlative. Ein Star, der mit Charis- Merckx nie erreichen sollten. Die Taktisch konnte dem schnellen Bel- ma die Massen in seinen Bann zog. Peripherie des Geschehens war ADIEU: SEIN LETZTES FINISH 132 gier kaum einer das Wasser reichen. Ein Volksheld, der sich seinen Platz ihm fremd, »Rik I.« war das Zen- Weder auf der Straße noch auf der in der Hall of Fame der UCI ebenso trum. Wo immer er auf- und in die EPILOG: ZUFRIEDEN MIT SICH UND DER WELT 136 Bahn. Seiner Cleverness in der End- redlich verdient hatte wie jenen im Pedale trat, da glühte das Feuer. phase der Rennen hatte die Kon- Herzen von Radsportfans in aller Selbst die gewisse Distanz, auf die PALMARES 138 kurrenz oft genug nichts entgegen- Welt. Trat er majestätisch wie ein er bewusst zu seinem Publikum zusetzen. Grandseigneur aus dem Fahrerlager ging, vermochte ihm nur zusätz- DER AUTOR 139 Rik Van Steenbergen galt in der auf die Rennbahn, richteten sich lichen Glorienschein zu verleihen. internationalen Radsportszene der die Blicke aller Zuschauer wie auf So überlebten die Erinnerungen QUELLENNACHWEIS 140 vierziger, fünfziger und sechziger Kommando in seine Richtung: »Da an Riks Großtaten auf dem Rennrad Jahre als einer der komplettesten ist er.« mühelos mehrere Generationen. NAMENSREGISTER 142 Rennfahrer. »Rik I.«, wie er wegen Rik Van Steenbergen – allein der Für die Jüngeren, die ihn nie in seiner imponierenden Vielseitig- Name klingt wie Granit, kündet von Aktion gesehen haben, wurde er keit und Erfolgsliste auch gerne einer Anziehungskraft, die seine allein vom Hörensagen zum unver-

Markenzeichen des Rik Van Steenbergen: Fulminante Endschnelligkeit und großes taktisches Geschick im Finale.

9 RIK VAN STEENBERGEN DAS ASS DER ASSE

gleichlichen Mythos. Die Älteren nur selten Zeit. Die spannungsgela- sicht. Um zu erfahren, wo sich das hingegen, seine Zeitgenossen, nen- dene Rennatmosphäre, den Rum- berühmte Familienoberhaupt gera- nen seinen Namen spontan in ei- mel des Radsportzirkus, liebte er de aufhielt, musste seine Gattin des nem Atemzug mit Jesse Owens, umso mehr. Er stand lieber Tag für Öfteren die Sportseiten der Zeitun- Emil Zatopek, Juan Manuel Fangio Tag irgendwo am Start. Woche für gen zu Rate ziehen. oder Alfredo Di Stefano. Der frühe- Woche. Praktisch von Januar bis Gegenüber dem bekannten belgi- re belgische Innenminister und spä- Dezember. Wehe, wenn er wegen schen Radsportjournalisten Achiel tere Oberbürgermeister der Univer- Krankheit oder Verletzungspech Van Den Broeck lamentierte Maria sitätsstadt Leuven, Louis Tobback, diesem oder jenem Rennen fern Van Steenbergen einmal: »Eines sinnierte einmal: »Hätte ich als bleiben musste… Nachmittags verschwindet Rik, um Jugendlicher gewusst, dass ich Rik war ein Globetrotter auf zwei in Gent ein Bahnrennen zu bestrei- eines Tages mit Rik Van Steenber- Rädern. Praktisch ohne Unterbre- ten. Aber er kommt einfach nicht gen an einem Tisch sitzen würde, chung sauste er von einem Rennen zurück, sondern meldet sich am ich hätte vor lauter Aufregung zwei zum nächsten, von Kontinent zu nächsten Tag telefonisch aus dem Nächte nicht schlafen können.« Kontinent. Ob in Westeuropa, Afri- fernen Kopenhagen, nur um mir ka, Nord- und Südamerika – überall mitzuteilen: ›Marieke, ich hatte es Rik Van Steenbergen war ein Renn- sah man ihn am Start. Und wenn es dir vergessen zu sagen, dass ich hier fahrer für alle Jahreszeiten. Er biologisch möglich gewesen wäre, noch einen Vertrag habe.‹ brachte die Klasse und die Willens- Van Steenbergen hätte sich als 73- Am nächsten Tag erscheint er kraft mit, um es sowohl mit Bahn- Jähriger wohl immer noch in den plötzlich wieder zu Hause, schnei- sprintern, Verfolgern, Sechstage- Rennsattel geschwungen. det sich ein paar Brote, nimmt ein und Steherfahrern, Klassikerjägern, Bad und verschwindet erneut ohne Ein gefragter Globetrotter: Rik Van Steenbergen beim Giro d’Italia 1951. Zeitfahr- und Rundfahrt-Spezia- In 23 Profijahren fährt viele Worte mit dem Flieger nach listen erfolgreich aufzunehmen. Rik in Rennen und Zürich. 24 Stunden später ruft er lischen Rhythmus aushält, ist mir sierte noch geschwind die verein- ten. Aber die Show ging trotzdem Lediglich während extremer Hoch- dann an mit der Bitte, ihn mit dem ein Rätsel.« barte Geldsumme, um dann pünkt- weiter. Irgendwann fand der natio- gebirgspassagen hatte er gegen aus- Training unglaubliche Wagen am Flughafen in Luxemburg Unter uns gesagt: Ab und zu lich zum Start des zweiten zu nale Radsportverband solche Episo- gewiesene Kletterer wie Fausto 65 Mal um die Welt. abzuholen. Von dort aus rast er mit benutzte Rik seine guten Kontakte erscheinen. den dann aber doch zu bizarr und Coppi oder und später mehr als hundert Sachen über die zu ausgewählten Radsportjournalis- Damit nicht genug: 1958 fand verbot künftig alle Doppelstarts. oder Charly Insider haben einmal ausgerech- Landstraßen zu seinem Rennmana- ten, um den ein oder anderen Sieg parallel zum Brüsseler Sechstage- Gaul kaum Chancen. Bei mehrtägi- net, dass die Zahl der Kilometer, die ger Jean Van Buggenhout nach in Deutschland oder Dänemark in rennen bei der Konkurrenz in Ant- Rik Van Steenbergen kannte stets gen Rundfahrten gelang es ihm der Belgier bei Rennen, im Training Brüssel. Eine Stunde später sitzt er der belgischen Presse zu lancieren. werpen ein heiß erwartetes Derny- nur ein Ziel: den Sieg, den ersten trotzdem dann und wann, dieses sowie während seiner zahlreichen erneut im Flieger, diesmal nach Mai- Diese Rennen fanden natürlich nie meeting statt. Die Rundenhatz in Platz. Während eines Interviews, Defizit mit seiner Cleverness auszu- Reisen zurücklegt hat, gereicht land. statt, denn dem schnellen Rik ging der belgischen Hauptstadt wurde das ich 1989 mit André Darrigade, gleichen. hätte, um die Erde unglaubliche 65 Während der nächsten vier Tage es vielmehr um ein glühendes Ren- kurzerhand für vier Stunden neu- dem französischen Tour-de-- Extreme Formschwankungen, wie Mal zu umrunden. Wer nur Riks höre ich dann nichts mehr von Rik, dezvous mit einer seiner zahlrei- tralisiert, um so einigen Akteuren Sprinter und Weltmeister von 1959, wir sie zum Beispiel von Sechstageeinsätze addiert, kommt bis ich schließlich in der Zeitung chen Verehrerinnen. die Gelegenheit zu geben, auch hin- in seiner Heimatstadt Biarritz führ- kennen, waren dem Seriensieger in bereits auf zwei volle Jahre, die er lese, dass er soeben ein Kriteriums- Rik Van Steenbergen war beim ter den knatternden Mopeds um te, meinte dieser in fester Überzeu- seiner 23 Jahre dauernden Profi- allein auf den rauchigen Winterbah- rennen in Algier gewonnen hat. Am Publikum wie auch bei den Renn- Preise und Prämien zu kämpfen. gung: »Rik besaß die mit Abstand rennkarriere so gut wie fremd. nen verbracht hat. Tag darauf wird er in Berlin gesich- veranstaltern aber zeitweise tat- Allen voran Rik Van Steenbergen. ausgeprägteste Siegermentalität, Nicht, weil er unbedingt ein Trai- Seine Familie, allen voran seine tet. Und einen weiteren Tag später sächlich dermaßen beliebt, dass er Leider kam es in der Hafenmetro- die ich je bei einem Rennsportler ningsweltmeister gewesen wäre. Im erste Ehefrau Maria und die fünf platzt er wieder zu Hause rein, um gleich zwei Kriteriumsrennen an pole zu einem fürchterlichen Mas- erlebt habe. Rik wollte sogar bei Gegenteil: Zum Trainieren im ei- Kinder Anne-Marie, Fanny, Jan, frische Unterwäsche abzuholen einem Nachmittag bestreiten muss- sensturz, so dass einige Teilnehmer Quiz-Sendungen im französischen gentlichen Sinne fand »Van Steen«, Doris und Jean-Pierre, bekam ihn und dann gleich weiter nach Bor- te. Beim ersten zog er rechtzeitig mit Blut, Blessuren und Bandagen Fernsehen partout gewinnen. Es wie ihn die Franzosen kurz riefen, notgedrungen nur selten zu Ge- deaux zu fahren. Wie er diesen höl- vor dem Finale die Bremsen, - wieder nach Brüssel zurückkehr- ging um gar nichts. Nur um die

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