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Reformation

EINFÜHRUNG

11-1 Die in Schwaben / Hermann Ehmer. - Leinfel- den-Echterdingen : DRW-Verlag, 2010. - 242 S. : Ill., Kt. ; 22 cm. - (Bibliothek schwäbischer Geschichte ; 2). - ISBN 978-3- 87181-770-0 : EUR 14.90, EUR 9.90 (Reihenpreis) [#1603]

Bereits Johannes Sleidanus setzte an den Anfang seiner 1555 erschienen Reformationsgeschichte den Anschlag der 95 Thesen Luthers an der Wit- tenberger Schloßkirche. Hermann Ehmer will in seiner Reformationsge- schichte jedoch nicht erst im Jahr 1517 einsetzen, sondern bereits im 15. Jahrhundert, um seinen Lesern einen Einblick in das geistige und kulturelle Klima zu geben, in dem die Reformation schließlich zum Durchbruch gelan- gen konnte. Zuvor jedoch gilt es für den Autor den Raum Schwaben, über dessen Reformationsgeschichte er berichtet, geographisch abzugrenzen. Mit Schwaben umschreibt Ehmer das Gebiet des nachmaligen Königreichs Württemberg in den Grenzen seit 1806 bzw. 1810. Freilich handelt es sich bei diesem Gebiet am Beginn der Frühen Neuzeit keineswegs um ein ge- schlossenes Territorium – im Gegenteil: Neben dem Herzogtum Württem- berg als größtem und kompaktesten Staat im deutschen Südwesten, be- stand der hier umschriebene schwäbische Raum aus einer Fülle kleinerer und kleinster Territorien, zu denen neben den vorderösterreichischen Lan- den (hier in erster Linie die Grafschaft Hohenberg), die Grafschaften Lim- burg und Hohenlohe, Teile der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach, so- wie eine Fülle kleinerer geistlicher Territorien und schließlich die zahlreichen oberdeutschen Reichstätte gehörten. Eine einheitliche Geschichte der Re- formation kann es folglich, wie Ehmer betont, nicht geben, sondern vielmehr eine Fülle von Reformationsgeschichten, über die der vorliegende Band ei- nen knappen Überblick gibt. Eine Geschichte der Reformation ist, wie der Autor eingangs aufzeigt, schließlich auch nicht nur die Geschichte einer geistigen / geistlichen und kulturellen Bewegung, sondern umschließt immer auch die politische Ge- schichte auf Grund der zentralen Bedeutung, die der jeweiligen Obrigkeit für die Durchsetzung der Reformation zukam. Zu den Voraussetzungen, die der Reformation letztendlich zum Durchbruch verhalfen, gehörten im 15. Jahrhundert die Durchsetzung des Humanismus1 und damit verbunden die Rückkehr zu einer intensiven Lektüre der Schriften des Altertums, ja schlußendlich zu profunden Kenntnissen der lateinischen, griechischen und hebräischen Sprache. Deren Kenntnis galt schließlich als „der Schlüssel zu den anderen Wissenschaften, denn auch Medizin, Astro- nomie, Geographie und andere wurden noch nicht als empirische, experi- mentelle oder deskriptive Wissenschaften verstanden, sondern fußten auf den aus der Antike übernommenen Lehrbüchern, die studiert und ausgelegt wurden“ (S. 11 - 12). Folglich schildert Ehmer das humanistische Bildungs- ideal und die Strukturen bzw. die Veränderung der Strukturen in der Bil- dungslandschaft im 15. Jahrhundert. Zu Veränderungen kam es im 15. Jahrhundert nicht nur im Bildungssystem, sondern auch im Frömmigkeitsverhalten. Zentral für die Reformation ist es aber insbesondere, daß in der Kirche die Predigt im 15. Jahrhundert in im- mer stärkerem Maße an Bedeutung gewann: „Das Interesse an der Predigt zeigt sich besonders in den zahlreichen Stiftungen von Prädikaturen, deren älteste in unserem Raum 1415 in Riedlingen, um dieselbe Zeit wohl auch in Saulgau, und 1420 in Giengen errichtet wurden“ (S. 19). Bei der Stiftung einer solchen Prädikatur wurden doch recht hohe Erwartungen an den Pre- diger gestellt. So mußte dieser einen akademischen Grad besitzen und re- gelmäßig, so an jedem Sonntag und an allen kirchlichen Feiertagen, eine Predigt halten. Am Ende des Jahrhunderts gab es derartige Prädikaturen in nahezu allen Reichstädten des deutschen Südwestens sowie in einer gan- zen Reihe württembergischer Landstädte. Eine ähnlich wichtige Voraussetzung für den Siegeszug der Reformation hatte schließlich die Ausbreitung des Buchdruckes – in Schwaben finden sich, beginnend mit Ulm, seit 1472 eine Fülle von Druckorten, in denen in der Regel theologische Schriften oder aber die Bibel erschienen. Zu den von Ehmer skizzierten geistigen Grundlagen der Reformation gehörten auch die Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts in Staat und Kirche, den al- len gemein war „dass sie nicht grundlegend und Neues schaffen wollten, sondern Zustände wiederherstellen wollten, die sich, wie man meinte, durch die Länge der Zeit und menschliche Einwirkung zum schlechteren gewendet hatten (…) Wiederherstellung des alten und göttlichen Rechts …, verweist aber auch auf Luthers Schriftprinzip, das zu den Quellen des Glaubens zu- rücklenken wollte. Von den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts war es daher nur noch ein Schritt zur Reformation“ (S. 24).

1 Vgl. Humanismus im deutschen Südwesten : biographische Profile / im Auftr. der Stiftung "Humanismus Heute" des Landes Baden-Württemberg hrsg. von Paul Gerhard Schmidt. - Sigmaringen : Thorbecke, 1993. - 300 S. : Ill. ; 29 cm. - ISBN 3-7995-4166-7 : DM 68.00 [2616]. - Rez.: IFB 99-B09-437 http://naxos.bsz- bw.de/rekla/show.php?mode=source&eid=IFB_99-B09_437 - Jetzt als 2., veränd. Aufl. - 2000. Gemäß den Ausführungen Ehmers nimmt diese ihren Ausgangspunkt von einer Disputation der deutschen Augustinerkongregation in Heidelberg am 26. April 1518, auf der Luther seine theologischen Thesen, insbesondere seine Gnadenlehre, erörtert hat. Traf die Argumentation Luthers bei den Professoren zum Teil auf erheblichen Widerspruch, so konnte sie die Stu- denten, die der Disputation beiwohnten, überzeugen: unter diesen befanden sich , Johannes Brenz, Ehrhart Schnepf und Theobald Gerla- cher (Billikan). Mit diesen Namen ist bereits ein Großteil der südwestdeut- schen Reformatoren genannt2 - die Zuhörer der Disputation sollten somit gleichsam zu Multiplikatoren der Lehre Luthers im schwäbischen Raume werden. Im folgenden beschäftigt sich Ehmer mit dem Fortgang der Refor- mation in den einzelnen Territorien, wobei er darlegt, daß sich in der vor- derösterreichischen Grafschaft Hohenberg wie auch innerhalb des Herzog- tums Württemberg eine überaus rührige reformatorische Bewegung ausge- breitet hat. Diese wurde freilich von der vorderösterreichischen Regierung unter Führung von Erzherzog bzw. König Ferdinand I. scharf und konse- quent unterdrückt – Württemberg gehörte ja bekanntlich von 1519, nach der Vertreibung Herzog Ulrichs, bis 1534 zum österreichischen Machtbereich. Zu den Zentren der Reformation in der Frühphase der 1520er Jahre gehör- ten in erster Linie die Reichsstädte, wobei Ehmer den Verlauf der Reforma- tion beispielhaft in , Schwäbisch Hall und Ulm vorstellt, um ab- schließend exemplarisch den Verlauf der Reformation zu resümieren: „Re- formation bedeutete zunächst die Abschaffung hergebrachter religiöser Bräuche, wie Fasten, Heiligenverehrung, Totenmessen und Ohrenbeichte. Die Sonderstellung der Geistlichen wurde weitgehend aufgehoben und die- se in die Bürgerschaft aufgenommen, wenn sie heirateten und das Bürger- recht annahmen. Damit war auch schon der erste Schritt zu einer Integrati- on des Kirchenwesens in die Stadtgemeinde getan“ (S. 45). Freilich kam es, wenn auch die Mehrheit der Reichsstädte des deutschen Südwesten der Reformation zuneigte, keineswegs überall zur Durchsetzung der Reformati- on. Gescheitert ist diese u.a. in Weil der Stadt, Schwäbisch Gmünd wie auch in Rottweil. Am Beispiel Rottweils zeigt Ehmer überaus eindringlich auf, unter welchen Faktoren ein Reformationsversuch in einer Reichsstadt scheitern konnte: Die Stadt war Sitz des kaiserlichen Hofgerichtes und hier- durch mit dem katholischen Erzhaus eng verbunden. Die Einführung der Reformation hätte den Verlust des Hofgerichtes mit entsprechenden negati- ven, auch ökonomischen Folgen, für die Stadt bedeutet. Auch war die Stadt Rottweil als zugewandter Ort mit der Eidgenossenschaft und hier mit den katholischen Orten eng verbunden, was einer Einführung der Reformation ebenfalls hindernd im Wege stand. Entscheidend ist, daß sich in den Reichsstädten keineswegs überall das Luthertum durchsetzen konnte, sondern mancherorts auch die reformierte Lehre Zwinglis Anklang fand. Besonders deutlich wurde dies auf dem Augs-

2 Zu den führenden Persönlichkeiten der Reformation in Schwaben vgl. den Sam- melband Reformationsgeschichte Württembergs in Porträts / Siegfried Herm- le. - Holzgerlingen : Hänssler, 1999. - 460 S. : Ill. ; 21 cm. - (Hänssler-Paperback). - ISBN 3-7751-3416-6. burger Reichstag des Jahres 1530: Hier formulierten die Anhänger Luthers unter Federführung Philipp Melanchthons das Augsburger Bekenntnis (Con- fessio Augustana), während gleichzeitig vier oberdeutsche Reichstädte (Konstanz, Memmingen, Straßburg und ) die Confessio Tetrapolitana vorlegten - hierbei handelt es sich um ein von Martin Bucer und Wolfgang Capito ausgearbeitetes Bekenntnis, das insbesondere in der Abendmahls- frage zwischen Luther und Zwingli zu vermitteln versuchte. Neben den Reichstädten waren es von den Territorien vor allen Dingen die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach, die sich unter dem Einfluß von Jo- hannes Brenz frühreformatorischem Gedankengut öffnete sowie die Zwerg- gebiete der Kraichgauer Reichsritterschaft, die sich ebenfalls reformatori- schem Gedankengut öffneten, dagegen blieb die Haltung der Kurpfalz lange zurückhaltend. Der große Durchbruch der Reformation in Südwestdeutsch- land erfolgte freilich mit dem Übergang Württembergs zur Reformation, der seit 1534 nach der Rückkehr Herzog Ulrichs unter der Führung von Ambro- sius Blarer für den Südteil des Landes und von Ehrhard Schnepf für den Norden des Landes betrieben wurde. Freilich gestaltete sich die Durchset- zung der Reformation in Württemberg lange Zeit überaus schwierig: Ulrich hatte zwar 1534 sein Land zurückgewonnen, doch blieb er, wie im Vertrag von Kaden festgelegt, formal unter österreichischer Lehenshoheit. Auch ge- riet die Reformation im Zuge des Schmalkaldischen Krieges noch einmal in eine schwere Krise: Württemberg hatte sich 1536 dem Schmalkaldischen Bund angeschlossen und stand dementsprechend nach dem Schmalkaldi- schen Krieg 1546/47 auf der Seite der Verlierer. Dies war insbesondere deshalb bitter, weil Ulrich unter österreichischer Lehensherrschaft stand und nunmehr gegen ihn ein Felonieprozeß anhängig war. Ohnehin mußte auf Grund der Verfügung Kaiser Karls auf dem Augsburger Reichstag des Jah- res 1548 das Interim eingeführt werden, was konkret die Verpflichtung zur Rückkehr zur alten Lehre bedeutete. Abgemildert wurde diese Verpflichtung nur durch zwei kaiserliche Zugeständnisse, die Billigung der Priesterehe und die Einführung des Laienkelches. Freilich hatte diese Regelung nach der Niederlage Kaiser Karls im Fürstenkrieg der Jahre 1552/1553 keinen Bestand so daß unter Herzog Christoph (1550 - 1568) endgültig der Über- gang Württembergs zum Luthertum vollzogen werden konnte. In zwei Kapi- teln beschreibt Ehmer die vom neuen Herzog durchgeführten Reformen, die grundlegend für die Struktur des gesamten frühneuzeitlichen Herzogtums werden sollten. Hierzu gehören die Verfügungen über die Kirchenleitung und die Kirchenverwaltung, über die Bildung des Kirchenguts, über die Um- wandlung der Klöster in Klosterschulen und den Ausbau des reformatori- schen Bildungswesens. Der Abschluß der Reformation wurde schließlich in der großen Kirchenordnung des Jahres 1559 und auf dem Landtag des Jah- res 1565 vollzogen. Die große Kirchenordnung ist mit Hermann Ehmer zu den großen von Christoph erarbeiteten Kodifikationen, die der Landesord- nung, des Landrechts und der Maßordnung zu zählen. Sie enthält u.a. die Confessio Virtembergica von 1552, den Kathechismus von Johannes Brenz, eine Ordnung über die Besetzung der Kirchendienste, die Eheordnung, die Schulordnung und schließlich nochmals die Gottesdienstordnung von 1553. War die Einführung der Reformation ursprünglich Sache des Fürsten, so treten ab 1565 nunmehr auch die Stände auf den Plan. Die Tatsache, daß Christoph der finanziellen Unterstützung der Stände in Höhe von 1,2 Millio- nen Gulden bedurfte, führte schließlich zum Landtagsabschied von 1565, in dem die Confessiono Augustana und die Confessio Virtembergica als gel- tende Bekenntnisse dauerhaft festgeschrieben wurden. Die abschließenden Kapitel beschäftigen sich schließlich mit den Bemü- hungen Herzog Christophs „auf die Fürsten der Nachbarterritorien einzuwir- ken, damit diese die kirchlichen Verhältnisse ihrer Lande im Sinne des Augsburger Bekenntnisses ordnen“ (S. 161), ging es dem Herzog doch um „die Erhaltung und Erweiterung des Evangeliums und um nichts weniger als die Bekämpfung des Papsttums“ (S. 161). Diese Bemühungen waren bei- spielsweise in der Grafschaft Hohenlohe von dauerhaftem, in der Grafschaft Helfenstein dagegen von nur sehr vorübergehendem Erfolg. Vor allem aber waren es jetzt die Reichsstädte, die beim Aufbau ihrer Kirche von Württem- berg unterstützt wurden. Hier hatten sich die Verhältnisse umgekehrt, hatte die Reformation ursprünglich von den Reichsstädten ihren Ausgangspunkt genommen, so waren diese in der Zeit des Interims von Kaiser Karl V. noch weit mehr als Württemberg zur Rückkehr zum alten Glauben gezwungen worden und bedurften nunmehr bei der erneuten Durchsetzung der Refor- mation der Hilfe Württembergs. Doch hat Herzog Christoph nicht nur versucht, in den Nachbarterritorien einzuwirken, sondern auch über die Reichsgrenzen hinaus für reformatori- sches Gedankengut zu werben und die Glaubensbrüder in Frankreich und in Slowenien – damals Teile der Erblande – zu unterstützen. Eine über alle Maßen lesenswerte, flüssig geschriebene Darstellung zur Geschichte der Reformation im Gebiet des späteren Königreichs Württem- berg. Der Autor darf für sich in Anspruch nehmen, populär zu schreiben und dabei wissenschaftlichen Ansprüchen vollauf gerecht zu werden. Anregend ist schließlich auch der Gedanke, ergänzend zur Darstellung noch einen Überblick über die Stätten der Reformation in Schwaben beizufügen. Eine schöne Anregung für den Leser, sich mit den Originalschauplätzen der Re- formation vertraut zu machen. Michael Kitzing

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