Das Biberacher Orchester Im Spiegel Der Wirkungsgeschichte Von Justin Heinrich Knecht
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Das Biberacher Orchester im Spiegel der Wirkungsgeschichte von Justin Heinrich Knecht Aufsatz von Kulturdezernent Dr. Jörg Riedlbauer Die künstlerische Musikpflege wie auch das Theater gehörten bis zur Französischen Revolution und außerhalb Frankreichs noch bis in das 19. Jahrhundert hinein zum Dekor der feudal- aristokratischen Machtrepräsentation. Institutionalisierte Orchester, die von der Bürgerschaft getragen wurden, waren zu Zeiten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation noch in der Minderzahl. Instrumentalmusik für bürgerliche Kreise blieb meist auf Gebrauchsmusik ohne son- derlichen künstlerischen Anspruch beschränkt. Eigens geprobt wurde in der Regel nicht; es han- delte sich um ein vom Blatt-Spiel vor Zuhörern. Insoweit kommt den durch Zeitzeugen belegten „rigorosen Proben“ des Biberacher Musikdirektors Justin Heinrich Knecht besondere Bedeutung zu1. Die Professionalisierung des bürgerlichen Musiklebens setzte nämlich erst allmählich ein und wurde von höheren Kreisen in größeren Städten getragen. Meist waren es Ratsherren, Ärzte, An- wälte oder wohlhabende Kaufleute, die sich in den – konfessionell meist reformierten - Reichs- städten als Liebhaber der Musik zur gemeinsamen Ausübung der Tonkunst regelmäßig zusam- men fanden und, angeleitet vom Kantor oder einem anderen Sachverständigen, öffentlich spiel- ten, zuweilen auch unter Hinzuziehung von professionellen Musikern. Sie hoben sich damit von den örtlichen Gelegenheits-Musikanten ab, die in wechselvollen Ad hoc-Besetzungen mal hier, mal dort zu diversen Anlässen aufspielten. Hervorgegangen sind die Musizierfreundeskreise, die in zeitgenössischen Quellen in der Regel als „Collegium Musicum“ bezeichnet werden, aus der Spielpraxis des „Convivium Musicum“, bei dem ein Gastmahl im Mittelpunkt stand. Während der Mahlzeiten wurde mitunter durchaus erregt diskutiert, zwischen den Gängen – zur Entspannung - musiziert. Infolge des 30-Jährigen Krieges verebbte diese Tradition aus naheliegenden Gründen und wurde erst im 19. Jahrhundert wiederbelebt, allerdings nicht von Musikern, sondern von Sängern als „Liedertafel“. Gleichwohl sind „Collegia Musica“ im hochschwäbischen Raum seit Mitte des 17. Jahrhunderts nachweisbar (Memmingen 1655, Ulm 1667, Augsburg 1684). Als erstes „Collegium Musicum“ gilt Jena (1565). Auch in der Schweiz und in den Niederlanden gründeten sich „Collegia Musica“ (Amsterdam 1597, Zürich vor 1613), sogar – durch deutsche Auswanderer – in den USA (1744 in Bethlehem/Pennsylvania). Ein besonderes „Collegium Musicum“ wurde 1647 in Leipzig gegründet: Aus ihm ging das bis heute bedeutsame Gewandhausorchester hervor. Die Professionalisierung der bürgerschaftlichen Orchesterkultur ist eng mit Georg Philipp Tele- mann verbunden. Er gründete bereits als Jurastudent 1702 in Leipzig das Telemannische Collegi- um Musicum und führte mit diesem Klangkörper überregional beachtete Werke in großen Beset- zungen auf, was er in seiner Zeit als Musikdirektor in Frankfurt (ab 1713) und Hamburg (ab 1722) fortsetzte. Dabei vollzog er zugleich den Übergang zum professionellen Orchesterwesen: Wirkten in Frankfurt noch Amateure im Ensemble mit, wenngleich in der Minderzahl, bestand sein Ham- burger Orchester aus bezahlten Stadtmusikern. 1 „Lebensbeschreibung Herrn Justin Heinrich Knecht, evangelischen Schullehrers und Musikdirektors der freien Reichsstadt Biberach“, in: Musikalische Real-Zeitung vom 24. Februar 1790, Spalte 61: „Ein anderer Punct, worin die Knechtischen Concerte Nachahmung verdienen, besteht in den rigorosen Proben, welche jedem Concerte vorangehen, und zwar im Saale selbst gehalten werden. Privatproben auf ein Concert nütz- ten nichts, wenn sie nicht gleichfalls in einem grossen Saale gehalten werden können“. Diese, in insgesamt drei Folgen im Februar 1790 publizierte Abhandlung über Knecht ist zugleich die erste Biographie des Kom- ponisten und war noch Grundlage für Ernst Ludwig Gerbers Knecht-Artikel im neuen historisch- biographischen Lexikon der Tonkünstler, dritter Theil, K-R (Leipzig, 1813), Spalte 72-76. - 2 - Das 1768 in Biberach von Johann Maximilian Kick initiierte „Collegium Musicum“, das in den heu- tigen Musikverein übergegangen ist, eines der frühesten Zeugnisse für institutionalisierte bürger- schaftliche Orchesterkultur in einer kleinen Stadt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Na- tion2. Die Leitung dieser Musikinitiative übernahm ein Musiker namens Wittich, der das Zink und an hohen Festtagen auch die Trompete spielte (beim Zink handelte es sich um ein zu den Turm- bläsern gehörendes Blechblasinstrument). 1771 übernahm Justin Heinrich Knecht die Leitung des Collegiums als Musikdirektor Der viel zitierte Terminus „Löbliche Musikgesellschaft“ ist in zeitge- nössischen Quellen nicht nachweisbar. Dort allerdings wird wiederholt ein „Collegium Musicum“ genannt und als „löbliches Institut“ bezeichnet3. Die Biberacher Historikerin Andrea Riotte vermu- tet plausibel, dass durch diese Wortwahl im Lauf der Zeit der Begriff „löbliche Musikgesellschaft“ kompiliert wurde4. Wenige Monate nach Knechts Tod übernahm Jakob Friedrich Kick, der Sohn des Initiators Johann Maximilian Kick, das Amt des städtischen Musikdirektors. Seine Amtszeit erstreckte sich bis 1876 und umfasst damit eine musikgeschichtlich bewegte Zeit zwischen der Uraufführung von Franz Schuberts 6. Symphonie und der ersten Gesamtaufführung von Richard Wagners „Ring des Nibe- lungen“ anlässlich der ersten Bayreuther Festspiele. Diese beiden Werke stehen zugleich für eine Entwicklung, die auch vor dem Biberacher Orchester nicht haltmachte: Die zunehmende Professi- onalisierung des Konzertbetriebs. Verfügten die Hof- und Nationaltheaterorchester in der Regel über studierte Musiker, verlief die Grenze zwischen Amateur und Profi im städtisch-bürgerlichen Umfeld unscharf. E. T. A. Hoffmann beispielsweise widmete sich nach seinem ersten juristischen Staatsexamen als Referendar am Obergericht in Königsberg der musikalischen Arbeit und organisierte das Musikleben Warschaus von seiner Position als Gerichtsassessor aus. Auch die Allgemeine Musikalische Zeitung Leipzig berichtet am 4. November 1801 vom Beispiel eines erschöpften Geschäftsmanns, der sich am Abend durch das Musizieren erholt5. Und Stücke wie Schuberts Sinfonien lassen sich von ambitio- nierten Amateuren auch respektabel aufführen, sofern sie gut vorbereitet und regelmäßig bei den Proben erscheinen – Wagners „Ring des Nibelungen“ indessen nicht. Kick baute das Biberacher Orchester zu einem 33-Mann starken Orchester aus, welches in der Lage war, die klassisch-frühromantischen Besetzungen zu realisieren. Zeitgenössische Werke von Weber oder Rossini standen schon kurz nach deren Uraufführung in Biberach auf dem Programm. Der Katalog der Kick’schen Notensammlung belegt, wie klug Knechts Nachfolger seine Reper- toirebildung insbesondere von zeitgenössischen Kompositionen an der Spielfähigkeit seiner Gruppe ausrichtete. Weber oder Cherubini sind beispielsweise vertreten, Beethoven oder Wagner nicht. 2 Die Aufzeichnungen von Johann Maximilian Kick wurden 1930 von August Bopp im Heft VII der Veröffent- lichungen des Musik-Instituts der Universität Tübingen publiziert („Das Musikleben in der freien Reichs- stadt Biberach unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit Justin Heinrich Knechts und Katalog der Kick’schen Notensammlung“, Kassel 1930, Seite 29-38. Das handschriftliche Konzept zu dieser Abhandlung mit der Überschrift „Musikalisches aus einer alten Reichsstadt“ befindet sich in D-TÜu Mk90. Bopp leitet sein Manuskript wie folgt ein: „Im Frühjahr 1910 entdeckte ich im Hause von Fräulein Amalia und Auguste Kick in Biberach a./Riß (Oberschwaben) in einer Dachkammer eine umfangreiche Notensammlung. … Ge- nauere Nachforschungen über Herkunft und Entstehung der Sammlung ergaben, dass dieselbe im wesent- lichen den musikalischen Nachlass zweier Biberacher Musiker darstellt, nämlich den des Musikalienhänd- lers, Chorsängers u. Musiker Johann Maximilian Kick (geb. 28. Juni 1746) u. desjenigen seines Sohnes, des Musikdirektor u. Organisten Jakob Friedrich Kick (geb. 10. Jun. 1795, gest. 7. Dez. 1882.)“. 3 Der früheste Beleg ist von 1772 (s. u. unter der entsprechenden Jahreszahl in der Chronik). 4 Ich danke Frau Dr. Riotte für hilfreiche kollegiale Hinweise auf relevante Rats- und Dekanatsprotokolle, desgleichen der Leiterin des Biberacher Stadtarchivs Ursula Maerker für freundliche Unterstützung. 5 AMZ IV/6, Spalte 81. - 3 - 1876 übernahm Christoph Braun die musikalische Leitung des Biberacher Orchesters, 1898 ge- folgt von Ferdinand Buttschardt. War also das Amt des städtischen Musikdirektors im 19. Jahr- hunderts angesichts von nur vier Dirigenten noch eine Aufgabe für eine ganze Generation, sind bis zur Ernennung des amtierenden Musikdirektors Andreas Winter im Jahr 2002 schon zehn Kol- legen zu verzeichnen. Justin Heinrich Knecht (1752-1817) Kleinmeister und Regionalliga? – von wegen! Im Jahr 1800 gründete Friedrich Rochlitz in Leipzig die Allgemeine Musikalische Zeitung. Sie war bis 1848 das wichtigste Musikorgan im gesamten deutschsprachigen Raum. Als Kernteam be- schäftigte Rochlitz neben zwei Leipziger Universitätsprofessoren und einer handverlesenen Aus- wahl von Komponisten den Biberacher Musikdirektor Justin Heinrich Knecht. Die großen Verlage druckten Knecht. Notendruck war im 18. Jahrhundert eine kostspielige Angelegenheit. Deswegen ist auch der überwiegende Teil des damaligen Musikschaffens nur handschriftlich überliefert. Verleger über- prüften kritisch und genau neben dem künstlerischen Wert auch das kommerzielle Potential,