Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen
Band 7, Heft 1-2: 1-128 Mai 1992 Impressum:
Herausgeber: Hessisches Ministerium für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde -
Schriftleitung: K. Fiedler, Kantstraße 7, D-6050 Offenbach am Main
Redaktion: Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Frankfurt am Main Dr. H.-J. Böhr, Wiesbaden Dr. W. Keil, Altenstadt W. Schindler, Solms Dr. W. Schütz, Eltville
Redaktions- Redaktion „Vogel und Umwelt" anschrift: c/o K. Fiedler, Kantstraße 7, D-6050 Offenbach am Main
Gesamt- herstellung: C. Adelmann, Frankfurt am Main
Wiesbaden 1992
Alle Rechte vorbehalten.
Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren verantwortlich; dieser gibt nicht in jedem Falle die Auffassung des Herausgebers wieder. Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen
Band 7, Mai 1992 Heft 1-2: 1-128 ISSN 0173-0266
Herausgeber: Hessisches Ministerium für Landesentwicklung,Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde - Zu dieser Ausgabe
Falls die avifaunistisch Interessierten unter unseren Lesern einen höheren Anteil an ornitholo- gischen Spezialarbeiten in dieser Ausgabe erwarten, sei darauf hingewiesen, daß wir es für notwendig und sinnvoll gehalten haben,einen möglichst großen Leserkreis ausführlich mit den Problemen des derzeit ablaufenden Strukturwandels in der Landbewirtschaftung vertraut zu machen. Die daraus resultierenden Tendenzen zur Brachflächen-Vergrößerung werden sich auf die Erhaltung und Pflege unserer seitherigen Grünland-Biotope auswirken. Für den Bestand der bedrohten Arten dieser Lebensräume wird dies weitere Konsequenzen mit sich bringen. Dokumentationen und Denkansätze, die sich mit dieser Problematik befassen und Lösungs- möglichkeiten zeigen, müssen daher frühzeitig einer weiten Verbreitung zugeführt werden.
Die Redaktion
2 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen
Band 7 ISSN (1992 -1993) 0173-0266
Herausgeber: Hessisches Ministerium für Landesentwicklung,Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis
Berichte Seite
H. ANHÄUSER: Falken als Gebäudebrüter 289 G. BINKER: Lösungsvorschläge zum Konflikt „Holzschädlingsbekämpfung/Fledermäuse" 313
W. BRAUNEIS: Schlußwort zur Wanderfalken-Fachtagung in Eschwege 255
0. DIEHL: Bemerkungen zur Ansiedlung von Schleiereulen in Gebäuden 321
A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (20) 81
A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (21) 153 A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (22) 351 C. v. ESCHWEGE: Entwicklung der natürlichen Wanderfalkenbestände in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz 247 H. FISCHER: Fotoserie 219
M. GÖDDE: Zum Erhalt bedrohter Mauerpflanzenbestände 275 A. HARBODT& K. RICHARZ: Hat das Rebhuhn (Perdix perdix) in Hessen eine Zukunft? - Informationen zum hessischen Rebhuhn-Untersuchungsprogramm - Teil I: Projektbeschreibung 143 J. JORDAN: Naturschutzoffensive in Hessen 131 G. JUNG: Artenschutzbelange aus der Sicht der Denkmalpflege 319
J. KÄMPFE: Umweltschutz beim Bauen in Hessen 264 E. KAISER: Schutzmöglichkeiten für Mauersegler 307 W. KIRMSE: Wiedereinbürgerung baumbrütender Wanderfalken durch erneute Traditionsbildung 231 G. KLEINSTÄUBER: Die Bedeutung des nordhessischen Wanderfalkenprojektes für östlich angrenzende Räume 191
M. KÖHLER: Grüne Wände-Artenschutz durch Fassadenbegrünung? 267 A. KÖSTER: Untersuchung zur Etho-Ökologie der Elster (Pica pica) und Rabenkrähe (Corvus c. corone) im Raum Korbach, Nordhessen 161 TH. MAERTENS & M. WAHLER: Der Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche - Beitrag zu einer ökologischen Leitplanung für Hessen 4 A. NORGALL: Dokumentation der Greifvögel-Populationsuntersuchungen in Hessen von 1984 bis 1992 331 K. RICHARZ: Wanderfalken-Tagung 11. Oktober 1992 in Eschwege - Begrüßungsworte 179
K. RICHARZ: Schwerpunktthema: Artenschutz an Gebäuden 263
K. RICHARZ: Fledermausschutz an Gebäuden 293 Berichte Seite
L. SERWATY: 15 Jahre Wanderfalken-Auswilderung in Hessen - Erfahrungen und Bewertung aus der Sicht der Fachbehörde 183 P. SÖMMER: Methoden bei der Baumauswilderung von Wanderfalken im Lande Brandenburg 241 G.TROMMER: Möglichkeiten und Methoden zum Wiederaufbau einer baum- brütenden Wanderfalkenpopulation durch gezielte Auswilderungsmaßnahmen 227 A. VON DER HEIDE: Gebäude als Wohnraum von Stechimmen 279 U. VON HALDENWANG &A. HARBODT: Schwalben - nicht gesellschaftsfähig? Zum rechtlichen Schutz von Mehlschwalben 325 P. WEGNER: Die Populationsdynamik des Wanderfalken in Baden-Württemberg von 1965-1991 209 U. WOLF: Kommentar zu den Artenschutzbelangen aus der Sicht von Wohnungsbaugesellschaften 329
Kleine Mitteilungen
K.-H. ANHUT: Erfolgreiche Brut des Bienenfressers (Merops apiaster) im Kreis Hersfeld-Rotenburg 123 P.& E. ERLEMANN: Bodenbrut vom Graureiher (Ardea cinerea) 171 K. FIEDLER: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1991 97 M. SCHROTH &J. ALTMANN: Fledermäuse als Beute des Wanderfalken (Falco perigrinus) 119
Mitteilungen
Die Redaktion: Willy-BAUER-Preis für Naturschutz in Hessen erstmals verliehen 358 Mitteilung der Hessischen Forsteinrichtungsanstalt 359 C. M. WIELAND: Die Natur 327 Mitteilung der Redaktion 172
Persönliches
H.-J. BÖHR, H.-P. GOERLICH &W. SCHÜTZ: Hans-Jürgen Reiter zum Gedenken 361 0. JOST: Erich Heider (1914-1993) 362
Neue Literatur: 96, 118, 122, 125-128, 160, 173-176, 182, 190, 218, 257-260, 274, 278, 288, 292, 306, 312, 318, 328, 349, 350, 356, 366 Manuskriptrichtlinien 367 Impressum:
Herausgeber: Hessisches Ministerium für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde -
Schriftleitung: K. Fiedler, Kantstraße 7, D-63067 Offenbach am Main
Redaktion: Oberste Naturschutzbehörde, Wiesbaden Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Frankfurt am Main Dr. H.-J. Bohr, Wiesbaden Dr. W. Keil, Altenstadt W. Schindler, Solms
Redaktions- Redaktion „Vogel und Umwelt" anschrift: c/o K. Fiedler, Kantstraße 7, D-63067 Offenbach am Main
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Wiesbaden 1993
Alle Rechte vorbehalten.
Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren verantwortlich; dieser gibt nicht in jedem Falle die Auffassung des Herausgebers wieder. Inhaltsverzeichnis Seite
TH. MAERTENS & M. WAHLER: Der Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche - Beitrag zu einer ökologischen Leitplanung für Hessen 4
A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (19) 81
Kleine Mitteilungen:
K. FIEDLER: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1991 97
M. SCHROTH &J. ALTMANN: Fledermäuse als Beute des Wanderfalken (Falco perigrinus) 119
K.-H. ANHUT: Erfolgreiche Brut des Bienenfressers (Merops apiaster) im Kreis Hersfeld-Rotenburg 123
Neue Literatur: 96, 118, 122, 125 -128
3 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen Vogel und Umwelt 7: 4 -80 (1992)
Der Rückzug der Landwirtschaft aus der Fläche - Beitrag zu einer ökologischen Leitplanung für Hessen *)
von THOMAS MAERTENS, Frankfurt/Main, und MATTHIAS WAHLER, Fulda
Inhaltsverzeichnis Seite
1. Einleitung 6
2. Die Bedeutung des Grünlandes für den Arten- und Biotopschutz 8 2.1 Artenvielfalt und Vorkommen gefährdeter Arten in extensiven Grünlandgesellschaften 8 2.2 Auswirkungen moderner Bewirtschaftung auf die Grünlandbestände 10 2.3 Vorkommen von Grünlandgesellschaften in Hessen, die ihre Existenz der extensiven Bewirtschaftung durch den Menschen verdanken 12
3. Zur Gefährdung des Grünlandes in Hessen 15 3.1 Der agrarstrukturelle Wandel 15 3.1.1 Wandel der Betriebsstruktur 15 3.1.2 Wandel der landwirtschaftlichen Bodennutzung 31 3.2 Entwicklung des hessischen Grünlandbestandes 31 3.2.1 Ursachen der Bracheentwicklung 40 3.2.2 Entwicklung der Brachflächen in Hessen 41
4. Wahrscheinliche Lage zukünftiger Grünlandbrache in Hessen 45 4.1 Beschreibung der Indikatoren 45 4.2 Gemarkungen mit einem hohen Anteil G2-, G3- und A3-Böden an der LN 47 4.3 Gemeinden mit hohen Grünlandanteilen 50 4.4 Ortsteile ohne oder mit 1-2 Vollerwerbsbetrieben 50 4.5 Ergebnisse 51
5. Vorschläge zur Sicherung der Mindestbewirtschaftung im Rahmen einer ökologischen Leitplanung für Hessen 64
6. Danksagung 71
7. Verzeichnis der Literatur und der Mitteilungen 71
*) Diese Veröffentlichung ist die überarbeitete Fassung einer früheren Studie der Autoren: MAERTENS, TH.& M.VVAHLER,1989: Zunahme der Grünlandbrache in Hessen? Möglichkeiten und Grenzen der Brachflächenpflege. 4. Projekt am Institut für Landschaftspflege und Natur- schutz der Universität Hannover; Hannover. 4 Verwendete Abkürzungen:
AVP - Agrarstrukturelle Vorplanung HB - Hessenbauer, Wochenblatt des Hessischen Bauernverbandes, Friedrichsdorf HE-Betrieb - Haupterwerbsbetriebe: Vollerwerbsbetriebe + Zuerwerbsbetriebe HELELL - Hessisches Landesamt für Ernährung, Landwirtschaft und Landentwicklung HMLFN - Hessisches Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz, Wies- baden HSL - Hessisches Statistisches Landesamt, Wiesbaden LF - Landwirtschaftlich genutzte Fläche: Summe der genutzten Flächen von Acker- land, Gartenland (ohne Ziergärten), Obstanlagen, Baumschulen, Dauergrün- land, Rebland, Korbweiden, Pappel- und Weihnachtsbaumkulturen außerhalb des Waldes LK - Landkreis LN - Landwirtschaftliche Nutzfläche NE-Betrieb - Nebenerwerbsbetriebe: Betriebe, in denen das betriebliche Einkommen (< 50%) kleiner ist als das außerbetriebliche NR - Naturraum VE-Betrieb - Vollerwerbsbetriebe: Betriebe ohne außerlandwirtschaftliches Einkommen (< 10%) des Betriebsinhabers und seines Ehegatten ZE-Betrieb - Zuerwerbsbetriebe: Betriebe, in denen das betriebliche Einkommen (50-90%) größer ist als das außerbetriebliche
Verzeichnis der Karten
Karte 1: Rückzug der Landwirtschaft aus den standortbenachteiligten Regionen Hessens - Stand 1987 (vgl. Pkt. 4.2, 4.4, 4.5). Karte 2: Rückzug der Landwirtschaft aus den grünlandstarken Regionen Hessens - Stand 1987 (vgl. Pkt. 4.3, 4.4, 4.5). Karte 3: Vorkommen schützenswerter extensiver Grünlandökosysteme in den hessischen Gemeinden - Summe in ha (vgl. Pkt. 2.2, 4.5). Karte 4: Beitrag für eine ökologische Leitplanung in Hessen: Zonierungsvorschlag für die zukünftige Ausrichtung von Extensivierungs- und Pflegemaßnahmen aus der Sicht des Arten- und Biotopschutzes (vgl. Pkt. 5). 5 1. Einleitung
Die aktuelle Situation der Landwirtschaft läßt sich wie folgt skizzieren:
- Die Absatzmärkte für Agrarprodukte werden nicht weiter wachsen, Verbrauchsrückgänge z. B. bei Wurstprodukten oder Milchprodukten sind sicher. - Einzelbetriebliches Wachstum ist durch viele Faktoren (z. B. Milchquote) enorm erschwert. - Es gibt keine Anzeichen, daß die Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren abgebaut werden könnte. Die Aufnahme einer außerlandwirtschaftlichen Tätigkeit bleibt schwierig. - Die Finanzierbarkeit der Agrarpolitik ist an ihre Grenzen gestoßen. Preiserhöhungen sind auf absehbare Zeit unmöglich. Rascher technischer Fortschritt in der europäischen Land- wirtschaft macht weitere Agrarpreissenkungen unausweichlich. Die Einkommen der meisten Landwirte drohen deshalb weiter abzusinken, die finanzielle Situation sehr vieler Höfe verschärft sich. - Sehr viele Betriebe haben wegen dieser trüben Aussichten keinen Hofnachfolger, und sehr viele Ortschaften werden bald fast keine Bauern mehr haben!
Mit dieser beunruhigenden Vermutung und dem Hinweis auf einige sehr stark verbrachte Gemarkungen in Hessen (z. B. Heisa oder Aßlar) bekamen wir von seiten der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) die Anregung zu dieser Studie. Die Sorge von Naturschutz und Landschaftspflege gilt den Auswirkungen des jetzt durch die Produktionsaufgaberente zusätzlich beschleunigten Strukturwandels auf die Landbewirt- schaftung. Viele unserer Gesprächspartner befürchten mittelfristig einen neuen Bracheschub ökologisch wertvoller, aber von landwirtschaftlicher Nutzung absolut abhängiger Ökosy- steme, also Grünland aller Formen mit den dazugehörigen Landschaftsstrukturen.
Aber auch die hessische Landwirtschaftsverwaltung und Verbände beschäftigen sich seit einiger Zeit wieder intensiver mit dem Thema „Mindestbewirtschaftung und Pflege", wie einige bereits fertige oder in Auftrag gegebene Studien (ISERMEYER, BUCHWALD &DEBLITZ 1988; DRESBACH 1986; Arbeitsgruppe „Kulturkataster" in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst) oder Veranstaltungen (H ELELL, DLG und Naturland- stiftung: Landwirte als Partner des Naturschutzes; Tagung und Maschinenvorführung in Lich im Oktober 1988) zeigen. Nun kam aber von verschiedenen Seiten der Einwand, das Bracheproblem sei doch haupt- sächlich in den 60er und Anfang der 70er Jahre akut gewesen und stelle doch eigentlich heute kein ernst zu nehmendes Problem dar. Doch nach unserer Ansicht geht es hier nicht um das „Aufwärmen" einer alten Thematik, sondern das aktuelle Bracheproblem wird in seiner Bedeutung verkannt und seine Gefährdung für das Arten- und Biotopschutzpotential wird nicht ernst genommen! Zum ersten hat sich die agrarpolitische Bedeutung der Brache in der heutigen Zeit der Über- schußproduktion grundlegend gewandelt. Brache ist heute immer auch eine Fläche, die nicht zum Überschuß und den Kosten seiner teuren Beseitigung beiträgt. Flächenstillegung wird sogar gefördert! Zum zweiten liegen zur aktuellen Brachesituation schon seit überzehn Jahren keine halbwegs aussagefähigen Daten mehr vor. Nach den Änderungen in der Agrarberichterstattung (1979) wird Brache in der Statistik nicht mehr berücksichtigt, und neuere Einzelerhebungen in Hessen fehlen, was ebenfalls Gründe für das fehlende Problembewußtsein sind. Zum dritten ist das Bracheproblem der 60erJahre mit dem der 90erJahre nicht zu vergleichen! Die Brache der 60er Jahre hat nicht zu einem statistisch signifikanten Rückgang des Dauer- grünlandes in Hessen geführt (Pkt. 3.1.2), sondern ganz im Gegenteil, 1970 gab es noch mehr 6 Dauergrünland in Hessen als 1950, bis Mitte der 60er Jahre wurde das Dauergrünland sogar noch ausgedehnt. Die Grünlandbrache dieser Jahre war insofern für den Arten- und Biotop- schutz weniger bedrohlich, als damals genügend Grünland vorhanden war. Aber auch qualitativ (im ökologischen Sinne) gab es in den 50er und 60er Jahren keine stati- stisch signifikanten negativen Veränderungen. Das intensiver genutzte Dauergrünland (Wiesen und Mähweiden) war bis in die Mitte der 70er Jahre hinein konstant und auch das extensiver genutzte Dauergrünland (Weiden, Almen, Hutungen, Streuwiesen) blieb bis 1970 (I) in vollem Umfang erhalten. Die gravierenden Verluste an wertvollem extensivem Dauergrün- land (durch Intensivierung, Brache, Umbruch, Überbauung) fielen erst nach 1970 richtig ins Gewicht. Doch da erfuhr das Bracheproblem eine vollkommen neue agrarpolitische Bewer- tung und verschwand aus der Diskussion! Die Intensivierung des Grünlandes einerseits und das Ausscheiden aus der Nutzung anderer- seits ging jedoch weiter, das extensive Dauergrünland wurde im Verlauf dieser Entwicklung nahezu halbiert! Doch dies ist nur die „Spitze des Eisberges", denn die wirklichen Verluste lassen sich mit den Methoden der Agrarberichterstattung nicht erfassen, dazu wären schon Vergleichskartierungen vor Ort notwendig. Heute sind unsere Grünlandbestände in ihren Feuchte- und Nährstoffunterschieden überwiegend nivelliert, der ökologisch weitgehend uninteressante Einheitsstandort herrscht vor. Dies zeigen ganz deutlich auch die statistischen Verschiebungen im Verhältnis von extensivem/intensivem Dauergrünland zugunsten von intensivem Dauergrünland. Kurzum: wir verfügen heute, wenn wir über Brache diskutieren, nicht mehr über „das Grünland" der 60er Jahre, sondern über sehr viel weniger und ökolo- gisch sehr viel wertlosere Bestände als damals! Diese Verknappung macht die Reste der extensiven Bestände enorm wertvoll und wichtig für die Sicherung des Arten- und Biotop- schutzpotentials und verleiht der „neuen Brache" eine aktuelle Brisanz! Die durch spezielle Standortverhältnisse und eine entsprechende Nutzungsform geprägten Grünlandtypen gelten aus Gründen des Artenschutzes als besonders wertvoll, denn es besteht eine enge Bindung der meisten gefährdeten Arten an extensive Grünlandbewirtschaf- tungsformen. Gerade diese Vegetationsformen, deren reichhaltige Artenzusammensetzungen von einer extensiven Bewirtschaftung abhängig sind, sind durch die Aufgabe der Nutzung gefährdet, da dann innerhalb der Pflanzenbestände strukturelle Umwandlungen stattfinden, die aus der Sicht des Naturschutzes unerwünscht sind. Bei der Diskussion des Brachepro- blems bedenke man immer, daß 428 Arten, das sind 2/3 aller 680 Grünlandarten und fast die Hälfte aller Rote-Liste-Tierarten (PLACHTER 1985), in den Resten des extensiven Grünlandes überleben müssen.Weitere Nutzungsaufgabe bislang noch weitgehend extensiv bewirtschaf- teten Grünlandes wird, dies ist unbestreitbar, zu einem weiteren Artenschwund bei Pflanzen und Tieren führen. Oder deutlicher: erneute Grünlandverluste sind für viele Arten das endgül- tige „Aus" und können deshalb nicht mehr hingenommen werden! Wir sind deshalb in dieser Studie der Frage nachgegangen, ob in Gebieten mit hoher Dichte extensiver Kulturökosysteme und/oder hohem Grünlandanteil die Landwirtschaft heute schon erkennbar den Rückzug aus der Fläche antritt. Ziel soll es sein, ökologisch wertvolle Räume (Gemeinden) abzugrenzen, deren gleichzeitig hohes Bracherisiko eine Belastung für das Arten- und Biotopschutzpotential erwarten läßt, wenn die Landbewirtschaftung ausläuft, und für die deshalb dringend Maßnahmen zur Sicherung einer extensiven Mindestbewirt- schaftung einzuleiten sind. Aber welche Biotope sind wichtig und wo? Die Naturschutzverwaltungen verfügen, jedenfalls z. Z., zur Klärung dieser Frage nicht über ausreichend exakte Aufzeichnungen und Kartie- rungen. Von der Klärung dieser Frage hängt jedoch ein langfristig zu planender und ökono- misch und ökologisch effizienter Mitteleinsatz ab. Wir sahen uns deshalb gezwungen, 7 nochmals auf die hessische Biotopkartierung (mit all ihren Nachteilen) zurückzugreifen. Überraschend war, daß die hessische Biotopkartierung zuvor noch nie landesweit auf der Ebene der Gemeinden ausgewertet wurde, obwohl sie die einzige flächendeckend zur Verfü- gung stehende Kartierung ist, die Auskunft über die räumliche Verteilung von Ökosystemen geben kann. Die Biotopkartierung wurde also im Rahmen dieser Studie durch die Verfasser und mit Unterstützung durch Herrn Kosmas El N BROD, Student der Mathematikan der Univer- sität Gießen, erstmals bezüglich der Vorkommen von extensiven Grünlandökosystemen auf Gemeindeebene ausgewertet und die Ergebnisse in Karten dargestellt. Durch die Verknüp- fung dieser Ergebnisse der Biotopkartierung mit den Daten der Agrarberichterstattung sollte es möglich sein, ökologisch wertvolle Räume (mit hohem Bracherisiko) zu identifizieren.
Die Ausweisung von besonders wertvollen Räumen mit Priorität für die Aufrechterhaltung bzw. Wiedereinführung der extensiven Landbewirtschaftung ist auch deshalb überfällig, weil der Naturschutz gegenüber den verfehlten Agrarreformversuchen ein Konzept braucht. Die Reform der Agrarpolitik dient nicht, wie immer wieder fälschlicherweise kolportiert wird, auch den Zielen des Naturschutzes. „Das agrarpolitische Interesse scheint allein darin zu bestehen, schnell Überschußverringerungen vorweisen zu können, wobei bezüglich der Methodenwahl nicht nur fundierte Einwände der wissenschaftlichen Agrarökonomen ignoriert werden (WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT 1988), sondern auch in Kauf genommen wird, auf drin- gende und im Prinzip erreichbare Zielbeiträge zum Naturschutz zu verzichten" (HAMPICKE 1988).So entscheiden die Landwirte individuell,ob sie an einem Flächenstillegungsprogramm teilnehmen möchten. Die aus der Bewirtschaftung entlassenen Flächen werden deshalb nach unserer Einschätzung vollkommen ohne jeden systematischen Bezug zu ökologischen Erfor- dernissen im Raum verteilt liegen. Es bleibt daher auch mehr oder weniger dem Zufall über- lassen, ob die Flächen stillgelegt oder extensiviert werden, unabhängig von ihrer eventuellen Bedeutung für die Sicherung und Entwicklung des Arten- und Biotopschutzpotentials. Es liegt eben nicht im Interesse des Naturschutzes, daß die unwirtschaftlichen Flächen aus der Nutzung herausfallen und eventuell sogar noch aufgeforstet werden, denn das sind gerade die wertvollen und entwicklungsfähigen Standorte, die einmal zur Sicherung des Artenbestandes beitragen könnten! Die an sich vorhandenen Spielräume und Chancen, die in dieser Agrar- reform für den Naturschutz liegen könnten, werden so versäumt!
Eine besondere Aktualität erhalten die hier vorliegenden Ergebnisse durch die Absicht des Hessischen Ministers für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Natur- schutz, JORDAN, ab 1993 ein „Kulturlandschaftsprogramm" einzurichten. Die vorgeschla- genen „Vorrangräume für die Sicherung der Mindestbewirtschaftung" sollten Bestandteil der Gebietskulisse dieses Kulturlandschaftsprogramms werden und in den Förderrichtlinien eine bevorzugte Position einnehmen.
2. Die Bedeutung des Grünlandes für den Arten- und Biotopschutz 2.1 Artenvielfalt und Vorkommen gefährdeter Arten in extensiven Grün- landgesellschaften „Wir leben in einer Zeit, in der unsere bisherigen Befunde über viele anthropogene, aber auch von empfindlichen natürlichen Pflanzengesellschaften, die wir in den letzten Jahrzehnten gewonnen haben, nicht mehr gelten, weil diese Gesellschaften verschwunden sind oder verschwinden, genauer gesagt: verbraucht werden durch unsere maßlosen Ansprüche an den Wohlstand, der als Ziel des Fortschritts gepriesen wird." R. TÜXEN 8 Neben der Bedeutung des Grünlandes für den Arten- und Biotopschutz und die Landwirt- schaft erfüllt das Grünland auch weitere vielfältige sozio-ökologische Funktionen für den Bodenschutz, Klimaschutz, Wasserschutz und insbesondere die Erholung. Mit der Neuschaffung von Lebensraumtypen bei der Entwicklung unserer Kulturlandschaft (z. B. den verschiedenen Wiesentypen Magerrasen, Hutewald, Acker, Siedlung) war eine wesentliche Steigerung der Vielfalt der Lebensmöglichkeiten für nicht direkt genutzte Arten verbunden. Es handelt sich bei dieserVegetationsbereicherung weitgehend um Zuwanderung aus anderen Regionen, z. B. dem Mittelmeerraum! Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin werden heute etwa 2.660 Gefäßpflanzenarten gezählt, wobei nur knapp 1/4 dieser Arten auf Waldstandorte angewiesen ist, aber fast die Hälfte derArten auf die vom Menschen waldfrei gehaltenen Standorte (anthro- pozoogene Heiden und Wiesen) (SUKOPP, TRAUTMANN & KORNECK 1978). Durch unterschiedliche Standorte, Klima und Bodenverhältnisse sowie unterschiedliche Beweidungsintensität, Schnitthäufigkeit oder Pflege entstand eine ungewöhnlich große Zahl von Grünlandtypen (ELLENBERG 1986; KLAPP 1965), die zu den artenreichsten Pflanzen- gesellschaften Mitteleuropas gehören. Durch den großen Einfluß der Düngung und der Bewirtschaftungsintensität auf die Ausgestal- tung der Grünlandvegetation werden die natürlichen Variablen wie pH-Wert des Bodens, Bodenwasserhaushalt, Dauer derVegetationsperiode und Sonnenexposition sehr stark über- lagert (ELLENBERG 1986). Bei einem Gesamtartenpotential von 680 Grünlandarten (= 100 %) befinden sich 428 Arten (= 63 0/0) in extensiv bewirtschaftetem, d. h. unregelmäßig genutztem und ungedüngtem Grün- land (z. B. Streumahd, Hutung) und nur 91 Arten (= 13 %) im Kulturgrünland, das mit unter- schiedlicher Intensität gedüngt und mehrmals jährlich zu Futterzwecken genutzt wird (MEISEL 1984)! Zum Gefährdungsgrad von Pflanzengesellschaften ergab eine Untersuchung von SUKOPP, TRAUTMANN & KORNECK (1978), daß Feuchtwiesen und Trockenrasen mit 34 bzw. 41 % gefährdeter Arten zu den am stärksten gefährdeten Pflanzenformationen gehören. KUNZMANN, HARRACH &VOLLRATH (1985) konnten bei ihren Vegetationsaufnahmen und standortkundlichen Untersuchungen von Grünlandbeständen in drei Regionen Mittelhessens diese Aussagen präzisieren. Das Vorkommen bedrohter Arten bleibt fast ausschließlich auf trockene und nasse Standorte beschränkt. In mäßig frischen bis frischen Beständen ist kaum eine Art der Roten Liste vertreten. Die bedrohten Arten sind fast nur auf Flächen zu finden, die aus landwirtschaftlicher Sicht als minderwertig eingeschätzt werden und für intensive Grün- landwirtschaft nicht geeignet sind (vgl. Pkt. 3.2, 3.2.1)! Zu ähnlichen Ergebnissen kommt ELLENBERG jun. (1983,1985),wobei er sich aber nicht nur auf den Ökogradienten „Wasserversorgung" beschränkte, sondern er untersuchte die Vertei- lung der Gesamtheit aller mit Zeigerwerten versehenen, gefährdeten und nicht gefährdeten Gefäßpflanzenarten der Bundesrepublik über sechs ausgewählte Ökogradiente (Stickstoff- Zeigerwerte, Licht-Gradient, Bodenreaktion, Wasserversorgung, Temperatur- und Kontinen- talitätsgefälle). In seiner Untersuchung verdeutlichte ELLENBERG jun., daß die bedrohten Arten der „anthropogenen Heiden und Wiesen" bezüglich aller ökologischen Ansprüche am häufigsten bei extremen Bedingungen zu finden sind, die also bei den Zeigerwertspektren nach ELLENBERG sen. (1979) entweder hohe oder niedere Werte aufweisen. So sind die gefährdeten Arten in den weitaus meisten Fällen nur auf nährstoffarmen Standorten konkur- renzfähig, sie sind besonders lichtbedürftig und im Temperaturgradienten steigt der Gefähr- 9 dungsgrad mit den Wärmeansprüchen. Daß die Arten extremer Standorte im Feuchte- gradienten stärker gefährdet sind als solche mit mittleren Zeigerwerten, wurde bereits erwähnt.
Entsprechendes gilt auch für die Tierwelt. Ein wesentlicher Teil der bedrohten Tierarten hat seinen derzeitigen Verbreitungsschwerpunkt in bestimmten, traditionellen, überwiegend extensiven bzw. kleingliedrigen Landnutzungsformen. So konstatiert PLACHTER (1985), daß fast die Hälfte (48 %) der bedrohten Rote-Liste-Arten in Bayern zumindest regional oder zeit- weise auf bestimmte Landnutzungsformen des Menschen angewiesen sind. Überwiegend handelt es sich um Arten, die auf klimaxferne Sukzessionsstadien der Vegetation oder auf spezifische, auf natürlichem Weg nicht mehr entstehende Strukturen angewiesen sind.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß es sich bei der Mehrzahl der heute in ihrem Bestand gefährdeten Pflanzenarten um „lichtbedürftige Hungerkünstler" (ELLEN BERG1983) handelt, die vor konkurrenzstarken Arten auf die mageren Standorte ausweichen, weil sie nur dort nicht von diesen rascher wachsenden und stärker beschattenden Arten verdrängt werden.Es besteht eine enge Bindung der meisten gefährdeten Arten an extensive Grünlandnutzungsformen (MEISEL1984). Es überrascht deshalb nicht, daß bei der Auswertung der Roten Liste der Pflanzengesell- schaften der Wiesen und Weiden Hessens (BERGMEIER & NOWAK 1988) im Nördlichen Oberrheintiefland (mit Wetterau und Rhein-Main-Tiefland) zwei von 26 Gesellschaften als ausgestorben, elf als vom Aussterben bedroht, elf als stark gefährdet und zwei als gefährdet eingestuft werden. Mit anderen Worten: in diesem Raum kann derzeit keine der Gesellschaften als nicht gefährdet eingestuft werden. Im hessischen Mittelgebirgsland erscheint die Situation weniger dramatisch, eine von 30 Grünlandgesellschaften ist ausgestorben, sieben sind vom Aussterben bedroht, 16 sind stark gefährdet, vier sind gefährdet und zwei derzeit nicht gefährdet. Diese regionalen Unterschiede resultieren aus der intensiveren Landnutzung im klimatisch und edaphisch begünstigten Oberrheintiefland (BERGMEIER & NOWAK 1988).
2.2 Auswirkungen moderner Bewirtschaftung auf die Grünlandbe- stände
Ermöglicht durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und veranlaßt durch die sozio- ökonomischen Rahmenbedingungen, wandelte sich nach 1950 das Bild der bäuerlichen Kulturlandschaft grundlegend. Die jahrhundertealten Strukturen der bäuerlich geprägten Landschaft wurden innerhalb kürzester Zeit in wesentlichen Teilen zerstört (PFADENHAUER 1976). Mittlerweile dürfte es unbestritten sein, daß die industrialisierte Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland als der wichtigste Verursacher der Artenverarmung anzusehen ist, so gilt die Landwirtschaft nach vorsichtigen Schätzungen in etwa 2/3 aller Fälle als Allein- oder Mitverursacher der Gefährdung bei den Gefäßpflanzen (HAMPICKE 1987). Da in Deutschland 54% der Fläche landwirtschaftlich genutzt werden und durch die Intensi- vierung und Mechanisierung der Landwirtschaft fast überall ein mittelfeuchter bis trockener „Grünland-Einheitsstandort" unter fortschreitender Nivellierung der Oberflächengestalt und der landschaftlichen Strukturen geschaffen wurde, erklärt dies eindrucksvoll den abträg- lichen Einfluß der Landwirtschaft auf die Ziele des Arten- und Biotopschutzes! An Stelle der Biotop- und Artenvielfalt des Grünlandes der vorindustriellen Landbewirtschaftung traten düngerintensive, artenarme, monotone Grünlandbestände (MEISEL 1983a).
Folgende Maßnahmen haben sich verändernd auf die Artenzusammensetzung des Grün- landes ausgewirkt: 10 (1) Flächenabnahme des Grünlandes
Mit der Reduzierung des Grünlandes (vgl. näher Pkt. 3.2) schrumpfte auch der potentielle Lebensraum für Grünlandpflanzen.
(2) Intensivierung der Grünlandbewirtschaftung
In der Literatur wird von allen Autoren übereinstimmend die Entwässerung ehemals feuchter und nasser Standorte in Verbindung mit Intensivierung der Nutzung für die Artenverarmung des Grünlandes verantwortlich gemacht (KUNZMANN, HARRACH & VOLLRATH 1985; SUKOPP 1981). Zur Verbesserung der Produktionsbedingungen erfolgten im Rahmen von Flurbereinigungen großflächige Entwässerungen, wobei z. B. in Norddeutschland die Feuchtwiesen von 70 bis 90 0/0 ihrer ehemaligen Standorte verdrängt wurden. Dies ist ein gravierender Lebensraumverlust für 60 bis 70 auf Nässe und Feuchtigkeit angewiesene Pflanzenarten (MEISEL & HÜBSCHMANN 1976). Die zunehmende Bewirtschaftungsintensität (vgl. Abb. 5) läßt sich durch Erhöhung des Düngeraufwandes (besonders Stickstoffgaben), stärkeren Viehbesatz (z. B. Einführung der Rotationsweide), Umstellung von Dauer- auf Mähweide (mit Nachmahd zur Verringerung von typischen Weideunkräutern, die vom Vieh nicht angenommen werden) sowie häufigere und wegen der Silageerzeugung oder Gärfutterbereitung vorverlegte Schnittnutzung charakteri- sieren (BRAUNEWELL, BUSSE & MARTEN 1985). Generell läßt sich im Vergleich zum Anfang der 50er Jahre aufgrund der Stickstoffdüngung ein starker Rückgang des Kräuteranteils, besonders auch der Leguminosen, am Aufwuchs und eine Massenzunahme nährstoffreicher Gräser beobachten. Während früher das Mengenverhältnis Gräser : Kräuter im Durchschnitt 70 :30 betrug, so liegt es heute bei 85 :15 (MEISEL 1984). Verdrängt werden vor allem Pflanzen mit geringen Ansprüchen an die Nährstoffversorgung (Magerkeitszeiger) sowie langsam wachsende, niedrig bleibende und/oder lichtliebende Kräuter. Von der Nutzungsintensivierung profitieren am stärksten gute Futtergräser (Poa pratensis, Poa trivialis, Lolium perenne, Alopecurus pratensis, Festuca prat., Phleum pratense) und einige Gräser mittleren bis geringen Futterwertes (z. B. Agropyron repens) (MEISEL 1983b). Neben der Höhe der Düngung zeigen auch Mehrschnittnutzung (Silagegewinnung), bei der die Schnittermine im Mai vor die Blütenbildung gelegt werden, der Umbruch artenreicher Wiesenbestände und der Ersatz durch artenarme Hochleistungsgrasansaaten, die gezielte Herbizidanwendung und die Abkehr von reinen Mähwiesen zugunsten von Mähweiden, die den Charakter der früheren durch alleinige Mahd bzw. Dauerbeweidung geprägten Bestände verwischen, die gleichen nivellierenden Wirkungen auf den Artenbestand.
Intensiv bewirtschaftete, gedüngte Pflanzengesellschaften (Queckenrasen und Fuchs- schwanz-Glatthaferwiesen) sind auf fast allen geologischen Ausgangsgesteinen anzutreffen, durch intensive Düngung und Nutzung lassen sich derartige Gesellschaften nahezu sub- stratunabhängig herstellen (HAAFKE 1987). Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Entwicklung der Grünlandbewirtschaftung (siehe auch Pkt. 3.2) führt zu einer Landschaftsnivellierung unter Reduzierung der Spezialistenge- sellschaften extremer Standorte und gleichzeitiger Förderung von „Opportunisten-Gesell- schaften" mit breiter ökologischer Amplitude (DIERSSEN 1984). 11 (3) Bewirtschaftungsaufgabe landwirtschaftlich unrentabler Standorte und Aufgabe exten- siver Nutzungsweisen Eng verbunden mit der Nutzungsintensivierung ist auch die Nutzungsaufgabe landwirtschaft- lich produktionsschwacher Standorte, einhergehend mit Aufforstung der Flächen, und der Wegfall der traditionellen, extensiven Bewirtschaftungsformen, die innerhalb der Pflanzen- bestände zu aus der Sicht des Arten- und Biotopschutzes unerwünschten strukturellen Umwandlungen führen (BOHNERT & HEMPEL 1987). Nach der Beseitigung von Sonderstandorten und der Entwässerung ist die Nutzungsaufgabe der wichtigste Faktor des Artenrückgangs bei Pflanzen (SUKOPP 1981).
2.3 Vorkommen von Grünlandgesellschaften in Hessen, die ihre Exi- stenz der extensiven Bewirtschaftung durch den Menschen ver- danken Für Hessen liegt landesweit eine Biotopkartierung (1978-1982) derfreien Landschaft (außer- halb des Waldes) vor. Die Daten der Freilandbiotopkartierung wurden damals aber fälschli- cherweise nur naturraumbezogen aufgearbeitet und auch kartographisch dargestellt. Auf die Mängel dieser Kartierung soll hier nicht eingegangen werden. Diese dringendst fortschrei- bungsbedürftige Kartierung ist jedoch die einzige landesweit verfügbare Informationsquelle für unsere Fragestellung. Trotz aller Vorbehalte bieten die „Rohdaten" der Biotopkartierung - sie wurden im Rahmen dieser Studie erstmals auf Gemeindeebene ausgewertet - doch die Möglichkeit, jene Gemeinden zu identifizieren, die sich durch einen hohen Anteil schützens- werter „Halbkulturformationen" auszeichnen, deren Existenz von extensiven Bewirtschaf- tungsbedingungen abhängig ist!
Anmerkungen zur Vorgehensweise Aus der Fülle der erhobenen Biotoptypen wählten wirjene Grünlandvegetationseinheiten aus, die im weitesten Sinne von einer extensiven Bewirtschaftung abhängig sind und deren Existenz durch Bewirtschaftungsaufgabe (Brachfallen) gefährdet sein könnte.
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Lahn- Lahn-
Rhein-
Mainz. Mainz.
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