Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 4865 16. Wahlperiode 15. 10. 2018
Große Anfrage der Abg. Klaus-Günther Voigtmann u. a. AfD und
Antwort der Landesregierung
Energiemix in Baden-Württemberg – weiterer Ausbau der regenerativen Energieerzeugung in Baden-Württemberg nach Innovationen bei der Kleinen Wasserkraft
Große Anfrage
Wir fragen die Landesregierung:
1. Hat sie Kenntnisse über die beispielsweise von Wissenschaft und Industrie vor wenigen Monaten in der Öffentlichkeit präsentierte neue und gegenüber Altan- lagen nach Ansicht von Umweltökonomen die Umwelt schonendere Genera - tion von Kleinwasserkraftwerken?
2. Wie schätzt sie das in Baden-Württemberg und im übrigen Bundesgebiet be - stehende Steigerungspotenzial dieser Innovation ein, nachdem ihr Fachleute ein solches prognostizieren, weil ein erheblicher Fortschritt gegenüber der älteren und aktuell eingesetzten Generation an Kleinwasserkraftwerken erkennbar sei?
3. Welche in Baden-Württemberg vorhandenen kleineren und mittleren Fließge- wässer kämen für den Einsatz dieser neuen und umweltschonenden Technolo- gie in Frage?
4. Wie viele Kleinwasserkraftwerke gibt es insgesamt an den kleineren und mittle- ren Fließgewässern in Baden-Württemberg (Bestand zum 30. September 2018) und wie teilt sich dieser Bestand in die einzelnen Regionen auf (regionale Schwerpunkte)?
5. Wie viele in Baden-Württemberg bereits vorhandene und steuerlich bzw. kal- kulatorisch bereits abgeschriebene Kleinwasserkraftwerke der älteren Genera- tion könnten auf Basis einer überschlägigen Ermittlung für den Einsatz dieser wirtschaftlicheren Technologie umgerüstet werden?
6. Wie viele Kleinwasserkraftwerke gibt es an den Flüssen Donau, Neckar, Enz, Rems, Murr, Fils, Glems, Nagold, Murg, Dreisam, Tauber, Wutach, Jagst und Kocher in Baden-Württemberg (bitte Aufstellung zum Stichtag 30. Sep- tember 2018 anfertigen mit Angabe des Standorts und Baujahrs)?
Eingegangen: 15. 10. 2018 / Ausgegeben: 05. 12. 2018 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeich- abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente net mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 16 / 4865
7. Wie beurteilt sie das Ausbaupotenzial der Kleinen Wasserkraft im Donautal des Landkreises Tuttlingen?
8. Stehen für die Umrüstung oder für den Ersatz älterer Kleinwasserkraftwerke und für den Neubau sowie für Instandhaltungen Förderprogramme des Lan- des, des Bundes und der EU zur Verfügung (bitte Aufstellung anfertigen unter Nennung des Förderprogramms und des Gesamtfördervolumens)?
9. Wenn Frage 8 bejaht wird: In welchem betragsmäßigen Umfang je einzelner Maßnahme stehen die genannten Förderprogramme zur Verfügung (zinslose oder zinsverbilligte Darlehen oder „verlorene“ Investitionszuschüsse)?
10. Wie hoch war der Anteil der in Baden-Württemberg über Wasserkraft (insge- samt sowie getrennt nach Kleiner und Großer Wasserkraft) im Zeitraum 2014 bis 2017 erzeugten und eingespeisten Energie (Angabe jeweils in absoluten Zahlen und in Prozent sowie Vergleich zur aus anderen Energieträgern er- zeugten Energie)?
11. Wie hoch waren die den Betreibern von Wasserkraftwerken in Baden-Würt- temberg gezahlten EEG-Einspeisevergütungen im Sechsjahreszeitraum 2012 bis 2017 und die in diesem Zeitraum aus Wasserkraft gewonnene Netzeinspei- sung von Strom, jeweils getrennt nach Großer und Kleiner Wasserkraft?
12. Wie beurteilt sie den jetzt erreichten Stand und das weitere Entwicklungspo- tenzial der Wasserkraft innerhalb des Energie-Mixes in Baden-Württemberg vor dem Hintergrund, dass nach Medienberichten insbesondere bei der Klei- nen Wasserkraft weitere Innovationen anstünden bzw. zur Serienreife ent- wickelt würden?
13. Wie viele Jahre beträgt die betriebsgewöhnliche bzw. kalkulatorische Nut- zungsdauer der kleinen bzw. der großen Wasserkraftwerke in Baden-Würt- temberg und über welche Zeiträume werden die Wasserkraftwerke gemäß den amtlichen Sätzen über die Absetzung für Abnutzungen der Finanzverwaltung (AfA-Tabellen) abgeschrieben?
14. Sind der Landesregierung hinsichtlich des baden-württembergischen Bestands an großen und kleinen Wasserkraftwerken Instandhaltungs- oder Modernisie- rungsrückstände bekannt, deren Beseitigung zu einer höheren Leistungsaus- bringung führen könnte (Effizienzsteigerung)?
15. Besteht, wie bei der Einspeisung von Windstrom ins Netz, ebenfalls eine Ein- speisepriorität des durch Wasserkraft erzeugten Stroms?
16. Werden den Wasserkraftwerksbetreibern wie bei den Betreibern von Wind- industrieanlagen in Fällen, in denen wegen Überproduktion regenerativ er- zeugten Stroms die Stromeinspeisung im Interesse der Netzstabilität „abgere- gelt“ werden muss, EEG-Vergütungen bezahlt?
17. Wie hoch waren die den baden-württembergischen Wasserkraftwerksbetrei- bern in den Jahren 2010 bis 2017 gemäß EEG oder anderen Gesetzen bezahl- ten Einspeisevergütungen für zwar erzeugten, aber zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität „abgeregelten“, d. h. nicht ins Stromnetz gelangenden und des- halb verfallenden Strom?
18. Mit welchen Vergütungssätzen (Cent je kwh) werden die Einspeiser des durch Wasserkraft erzeugten Stroms entlohnt und wie haben sich diese Vergütungs- sätze im Zeitablauf der letzten 17 Jahre bis heute entwickelt (d. h. ab Inkraft- treten des EEG)?
19. Wie wird sichergestellt, dass die von den Wasserkraftwerksbetreibern gemel- deten und für die Zahlung von Vergütungen zugrunde gelegten Stromeinspei- sungen tatsächlich im gemeldeten Umfang ins Netz eingespeist worden sind (Vermeidung falscher, weil überhöhter Abrechnungen)?
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20. Gibt es eine amtliche Statistik, die den Bestand aller in Baden-Württemberg vorhandenen kleinen und großen Wasserkraftwerke enthält (Angaben zu Be- zeichnung, Standort, Baujahr, Inbetriebnahmedatum, selbstständigem Betrieb bzw. Zugehörigkeit zu einem Energiekonzern und produzierter Leistung in den Jahren 2015 bis 2017; falls es keine Übersicht gibt, bitte Aufstellung an- fertigen)?
21. Gibt es eine Statistik, aus der hervorgeht, an welchen baden-württembergi- schen Fließgewässern von der Anzahl her die meisten kleinen Wasserkraft- werke stehen (Tabelle der Fließgewässer sortiert nach absteigender Anzahl der vorhandenen Kleinwasserkraftwerke)?
22. Wie teilt sich der zum 30. September 2018 in Baden-Württemberg jeweils vorhandene Gesamtbestand an großen und kleinen Wasserkraftwerken in pri- vate und kommunale Betreiber (Stadtwerke etc.) bzw. Energiekonzerne auf?
23. Ist aktuell im Interesse der sicheren und umweltfreundlichen Energieversor- gung der Bau weiterer kleiner oder großer Wasserkraftwerke in Baden-Würt- temberg geplant (bitte Aufstellung mit Angaben des Standorts und dem vo- raussichtlichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme)?
24. Kann der derzeit in Baden-Württemberg vorhandene Bestand an großen und kleinen Wasserkraftwerken kategorisiert werden in Anlagen mit und ohne Fischbestandsschutz (Fischaufstiegs- und Fischabstiegsanlagen sowie Fisch- schutzanlagen)?
25. Sieht die Landesregierung vor dem Hintergrund der vor kurzer Zeit von der Bundesregierung beschlossenen Verschärfung von Meldebestimmungen für sicherheitsrelevante und strategisch wichtige Unternehmen Anzeichen, dass auch im Stromsektor tätige Unternehmen im Visier ausländischer Investoren stehen?
15. 10. 2018
Voigtmann, Dr. Grimmer, Dr. Podeswa, Dr. Balzer, Baron, Dr. Baum, Berg, Dürr, Gögel, Herre, Dr. Merz, Palka, Pfeiffer, Rottmann, Sänze, Stauch, Stein, Wolle AfD
Begründung
Nach vor wenigen Monaten veröffentlichten Medienberichten soll eine neu ent- wickelte Generation von Kleinwasserkraftwerken in den Markt eingeführt wer- den, nachdem das Entwicklungsstadium beendet und die Serienreife erreicht wor- den sei. Danach sollen bereits bestehende Kleinwasserkraftwerke an kleineren und mittleren Fließgewässern ohne größeren Aufwand umgerüstet werden kön- nen, wobei als Vorteile eine höhere Effizienz und eine gegenüber einem Neubau zu realisierende Kostenersparnis von einem Drittel der Neubaukosten erzielt wer- de. Weiteren Medienangaben zufolge soll diese technische Innovation besonders umweltschonend sein, weil Fische bei ihren Wanderungen durch ein engmaschi- ges Gitterrostsystem davon abgehalten werden, in den todbringenden Turbinenbe- reich zu gelangen und weil durch eine neue Technik beim Turbinensystem mehr Sauerstoff in das durchfließende Wasser gelange. An der Weiterentwicklung die- ser Innovationen wird auch an Universitäten mit Fachbereich „Wasserwirtschaft“ (beispielsweise an der Technischen Universität München) gearbeitet. Laut Medienberichten bleiben weltweit ungefähr 85 Prozent aller existierenden Dämme und Wehre für Wasserkraft ungenutzt. Der SWR (Landesschau Aktuell) hat in einer bereits am 24. März 2017 ausgestrahlten Sendung berichtet, dass es allein in Deutschland rund 55.000 Schiffsschleusen und Wehre gebe, von denen
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lediglich 7 400 als Wasserkraftanlagen genutzt würden. Aus diesen Statistik-Zah- len zum Bereich Wasserkraft leitet sich nach Angaben von Umweltökonomen ein großes, bisher noch ungenutztes Ausbaupotenzial ab, wovon ein Teil auch auf Ba- den-Württemberg entfallen dürfte. Nachdem bei der neuen Generation von Kleinwasserkraftwerken ökologischen Gesichtspunkten beispielsweise durch die Verbesserung des Fischbestandschutzes und der Entwicklung umweltfreundlicherer Turbinentypen Rechnung getragen worden sei, prophezeien Fachleute Kleinwasserkraftwerken mittelfristig einen größeren Aufschwung, während das Ausbaupotenzial bei großen Wasserkraftwer- ken aufgrund nach wie vor ungelöster Umweltprobleme wohl als erschöpft ange- sehen werden muss. Ziel der Großen Anfrage ist es einerseits, insbesondere im Bereich der Kleinen Wasserkraft den bisher bis September 2018 erreichten Status in Baden-Württem- berg aufzuzeigen. Außerdem soll geklärt werden, ob die Landesregierung vor dem Hintergrund der geschilderten Innovationen ein weiteres Ausbaupotenzial der Kleinen Wasserkraft in Baden-Württemberg sieht.
Antwort
Schreiben des Staatsministeriums vom 27. November 2018 Nr. III-4580:
In der Anlage übersende ich unter Bezugnahme auf § 63 der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg die von der Landesregierung beschlossene Antwort auf die Große Anfrage.
Schopper Staatsministerin
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Anlage: Schreiben des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft
Mit Schreiben vom 20. November 2018 Nr. 6-4580.0-1595-1 beantwortet das Mi- nisterium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft im Einvernehmen mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau und dem Ministerium für Finanzen im Namen der Landesregierung die Große Anfrage wie folgt:
1. Hat sie Kenntnisse über die beispielsweise von Wissenschaft und Industrie vor wenigen Monaten in der Öffentlichkeit präsentierte neue und gegenüber Altan- lagen nach Ansicht von Umweltökonomen die Umwelt schonendere Generation von Kleinwasserkraftwerken?
Die Frage nennt die angesprochenen Sachverhalte zu unkonkret, um die betref- fenden Neuerungen zweifelsfrei eingrenzen zu können. Hier wird auf eine „schonendere Generation von Kleinwasserkraftwerken“ Bezug genommen. Aufgrund der in der Begründung erwähnten technischen Ausgestal- tung und den Hinweis auf die TU München lässt sich darauf schließen, dass ver- mutlich ein Schachtkraftwerk gemeint ist. Aus ökologischer Sicht benötigt ein Schachtkraftwerk genauso wie alle anderen Wasserkraftanlagen einen Aufstau vor der Anlage und stellt somit eine Unter - brechung des Wasserlaufs dar. Zur Herstellung der Durchgängigkeit für Fische und sonstige Kleinlebewesen wird aufwärts weiterhin eine gesonderte Fischauf- stiegsanlage, z. B. eine Fischtreppe, benötigt. Der Fischschutz beim Abstieg wird durch eine horizontal angeordnete Rechenfläche mit einem feinen Rechengitter erreicht. Ein Einströmen von Fischen zur Turbine wird damit minimiert. Der ei- gentliche Fischabstieg erfolgt über Öffnungen am Wehr. Da die Turbine unter Wasser arbeitet, lassen sich solche Anlagen gut in die ökologische Umgebung in- tegrieren. Ökologische Anforderungen bleiben aber unerlässlich.
2. Wie schätzt sie das in Baden-Württemberg und im übrigen Bundesgebiet be- stehende Steigerungspotenzial dieser Innovation ein, nachdem ihr Fachleute ein solches prognostizieren, weil ein erheblicher Fortschritt gegenüber der äl- teren und aktuell eingesetzten Generation an Kleinwasserkraftwerken erkenn- bar sei? 12. Wie beurteilt sie den jetzt erreichten Stand und das weitere Entwicklungspo- tenzial der Wasserkraft innerhalb des Energie-Mixes in Baden-Württemberg vor dem Hintergrund, dass nach Medienberichten insbesondere bei der Klei- nen Wasserkraft weitere Innovationen anstünden bzw. zur Serienreife ent- wickelt würden? 14. Sind der Landesregierung hinsichtlich des baden-württembergischen Be- stands an großen und kleinen Wasserkraftwerken Instandhaltungs- oder Mo- dernisierungsrückstände bekannt, deren Beseitigung zu einer höheren Leis - tungsausbringung führen könnte (Effizienzsteigerung)?
Die Fragen 2., 12. und 14. werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Es wird davon ausgegangen, dass mit Steigerungspotenzial das Aus- baupotenzial gemeint ist. Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg hat eine Studie beauftragt, die das Ausbaupotenzial der Wasserkraft bis 1.000 kW an Gewässern in Baden-Württemberg untersucht hat. Die Ergebnisse sind im Ener- gieatlas Baden-Württemberg (abrufbar unter https://www.energieatlas-bw.de/) wiedergegeben. Laut der Potenzialanalyse im Energieatlas ist insbesondere bei Berücksichtigung der entsprechenden ökologischen Rahmenerfordernisse das Ausbaupotenzial der Kleinen Wasserkraft äußerst gering. Der Energieatlas Baden-Württemberg gibt auch die Ausbaupotenziale der einzel- nen Standorte wieder. Hierzu wurden vier Kategorien (sehr gut, gut, mittelmäßig, grenzwertig) vorgesehen, die die Wirtschaftlichkeit eines Ausbaus bzw. Neubaus beurteilen. Die vier Kategorien sind über eine bestimmte Preisspanne für die Er-
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zeugung einer Kilowattstunde definiert (siehe Potenzialanalyse). Demnach gibt es 13 Standorte mit sehr guter, 6 mit guter, 40 mit mittelmäßiger und 1716 mit grenzwertiger Wirtschaftlichkeit hinsichtlich eines Ausbaus. Auch hieraus wird ersichtlich, dass ein Neubau bzw. eine Modernisierung von kleinen Wasserkraft- anlagen nur an einer begrenzten Zahl von Standorten sinnvoll sind, die damit kei- nen großen zusätzlichen Beitrag zur Stromerzeugung in Baden-Württemberg lie- fern können. Auch bei der Großen Wasserkraft ist das Ausbaupotenzial weitestgehend ausge- schöpft. Für die Große Wasserkraft gibt es nur am Neckar überschaubares Moder- nisierungspotenzial. Im Hinblick auf das Schachtkraftwerk ist anzumerken, dass ältere und aktuell be- stehende Generationen von Kleinwasserkraftwerken nicht auf die neue Technik umgerüstet werden können. Insofern besteht nur beim Neubau oder Ersatz be- stehender Anlagen die Möglichkeit, die neue Technik einzusetzen. Der Neubau einer Wasserkraftanlage an freifließenden Strecken wird vor dem Hintergrund der Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme der Wasserrahmenrichtlinie und im Hinblick auf den guten ökologischen Zustand/Potenzial nur in Ausnahme- fällen zugelassen werden können, vergleiche „Gemeinsame Verwaltungsvor- schrift des Umweltministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz zur gesamtökologischen Beurteilung der Wasserkraftnutzung; Kri- terien für die Zulassung von Wasserkraftanlagen bis 1.000 kW“ vom 15. Mai 2018. Insofern ist auch das Einsatzpotenzial des Schachtkraftwerks auf bestimmte Fälle begrenzt. Im Hinblick auf den Bestand leistet die Wasserkraft mit 7,6 % der Bruttostromer- zeugung in Baden-Württemberg einen wichtigen Beitrag zur erneuerbaren Strom- versorgung im Land.
3. Welche in Baden-Württemberg vorhandenen kleineren und mittleren Fließge- wässer kämen für den Einsatz dieser neuen und umweltschonenden Technolo- gie in Frage?
Grundsätzlich kommen alle kleineren und mittleren Fließgewässer mit ihren be- stehenden Querbauwerken in Frage, unter der Maßgabe der Äußerungen zu Fra- ge 2. Weitere Anforderungen an den Standort ergeben sich aus der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums und des Ministeriums für Länd - lichen Raum und Verbraucherschutz zur gesamtökologischen Beurteilung der Wasserkraftnutzung.
4. Wie viele Kleinwasserkraftwerke gibt es insgesamt an den kleineren und mittle- ren Fließgewässern in Baden-Württemberg (Bestand zum 30. September 2018) und wie teilt sich dieser Bestand in die einzelnen Regionen auf (regionale Schwerpunkte)?
Eine scharfe Einteilung in kleine und mittlere Fließgewässer liegt nicht vor. Da- her erfolgt eine Auswertung für ganz Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg gibt es 1848 Anlagen der Kleinen Wasserkraft (Daten- stand 2012 bis 2016). Hiervon sind allerdings 196 Anlagen außer Betrieb und stillgelegt. Aufgeteilt in die verschiedenen Regionen erhält man folgende Vertei- lung:
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Region Anzahl Wasserkraftanlagen Bodensee-Oberschwaben 183 Donau-Iller 155 Heilbronn-Franken 244 Hochrhein-Bodensee 199 Mittlerer Oberrhein 67 Neckar-Alb 95 Nordschwarzwald 189 Ostwürttemberg 61 Rhein-Neckar 70 Schwarzwald-Baar-Heuberg 112 Stuttgart 91 Südlicher Oberrhein 382
Die regionalen Schwerpunkte liegen daher in den Regionen Südlicher Oberrhein und Heilbronn-Franken.
5. Wie viele in Baden-Württemberg bereits vorhandene und steuerlich bzw. kalku- latorisch bereits abgeschriebene Kleinwasserkraftwerke der älteren Genera - tion könnten auf Basis einer überschlägigen Ermittlung für den Einsatz dieser wirtschaftlicheren Technologie umgerüstet werden?
Abgesehen davon, dass dem Umweltministerium keine Informationen zu abge- schriebenen Kleinwasserkraftwerken vorliegen, wird auf die Beantwortung der Fragen 2, 12 und 14 verwiesen.
6. Wie viele Kleinwasserkraftwerke gibt es an den Flüssen Donau, Neckar, Enz, Rems, Murr, Fils, Glems, Nagold, Murg, Dreisam, Tauber, Wutach, Jagst und Kocher in Baden-Württemberg (bitte Aufstellung zum Stichtag 30. September 2018 anfertigen mit Angabe des Standorts und Baujahrs)?
Hierzu ist nur ein Datenstand von 2012 bis 2016 vorhanden, sodass die Aufstel- lung zum gewünschten Stichtag nicht möglich ist. Eine Auswertung zu der Frage hat Folgendes ergeben:
Anzahl kleine Gewässername Wasserkraftanlangen Jagst 45 Kocher 45 Neckar 35 Murg 34 Nagold 32 Enz 29 Tauber 28 Wutach 22 Donau 19 Fils 15 Glems 13 Rems 11 Dreisam 10 Murr 5
Für die Liste der Anlagen siehe Anlage 1. Eine zuverlässige Angabe des Baujahrs ist nicht möglich.
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7. Wie beurteilt sie das Ausbaupotenzial der Kleinen Wasserkraft im Donautal des Landkreises Tuttlingen?
Laut Energieatlas weisen die Standorte im Donautal im Kreis Tuttlingen nur grenzwertige Wirtschaftlichkeit auf, sodass ein geringes Ausbaupotenzial vorliegt (Erläuterungen zu den Kategorien siehe Antwort zu Frage 2).
8. Stehen für die Umrüstung oder für den Ersatz älterer Kleinwasserkraftwerke und für den Neubau sowie für Instandhaltungen Förderprogramme des Landes, des Bundes und der EU zur Verfügung (bitte Aufstellung anfertigen unter Nen- nung des Förderprogramms und des Gesamtfördervolumens)?
Das Umweltministerium fördert die technische Modernisierung der Kleinen Was- serkraft, um die vorhandenen Potenziale unter Beachtung der ökologischen Rah- menbedingungen effizient zu nutzen. Zuwendungen werden nach Maßgabe der Richtlinie „Fördergrundsätze Kleine Wasserkraft“ sowie der §§ 23 und 44 der Landeshaushaltsordnung (LHO), der Verwaltungsvorschriften hierzu und der Re- gelungen des Landesverwaltungsverfahrensgesetztes (LVwVfG) im Rahmen der im Staatshaushaltsplan verfügbaren Mittel gewährt. Ein Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses besteht nicht. Das zur Verfügung stehende Gesamtvolumen be- zieht sich nicht allein auf die Wasserkraft. Die Verteilung auf diverse Bereiche er- folgt jeweils nach Bedarf und größtmöglichem Nutzen. Gefördert werden (Angaben jeweils für Anlagen der Leistungsklasse 100 kW ≤ Leistung < 1.000 kW): – Technische Modernisierung von im Betrieb befindlichen Anlagen einschließ- lich der Erfüllung der Anforderungen nach §§ 33 bis 35 WHG. – Revitalisierungen von bestehenden, momentan nicht im Betrieb befindlichen Anlagen oder Querbauwerken einschließlich der Erfüllung der Anforderungen nach §§ 33 bis 35 WHG. – Anlagen zur Erschließung ökologisch verträglicher Potenziale. Grundlage für die Potenzialermittlung sind die Landespotenzialstudien. Dabei sind die Anfor- derungen der §§ 33 bis 35 WHG einzuhalten. Für die Anlagen ist jeweils die optimale Jahresarbeit zu erreichen, indem die je- weilige Anlage technisch und hydraulisch optimiert wird. Förderprogramme des Bundes und der EU sind nicht bekannt. Auf das EEG wird hingewiesen.
9. Wenn Frage 8 bejaht wird: In welchem betragsmäßigen Umfang je einzelner Maßnahme stehen die genannten Förderprogramme zur Verfügung (zinslose oder zinsverbilligte Darlehen oder „verlorene“ Investitionszuschüsse)?
Die Zuwendungen werden im Wege einer Fehlbedarfsfinanzierung als Anteilsfi- nanzierung gewährt. Gewährt werden Förderungen ab 10.000 Euro, die Höchst- grenze der Förderung liegt bei 200.000 Euro pro Anlage.
10. Wie hoch war der Anteil der in Baden-Württemberg über Wasserkraft (insge- samt sowie getrennt nach Kleiner und Großer Wasserkraft) im Zeitraum 2014 bis 2017 erzeugten und eingespeisten Energie (Angabe jeweils in absoluten Zahlen und in Prozent sowie Vergleich zur aus anderen Energieträgern er- zeugten Energie)?
Bei der Beantwortung der Frage wird davon ausgegangen, dass sich die Ver- gleiche mit anderen Energieträgern und der prozentuale Anteil nur auf die Strom- erzeugung beziehen sollen. Genaue Zahlen zur Verteilung der Stromerzeugung auf die Anlagen der Großen und Kleinen Wasserkraft liegen nicht vor. In Fachkreisen wird davon ausgegan- gen, dass der weit überwiegende Teil der erzeugten Energie aus Wasserkraft den Wasserkraftanlagen mit einer installierter Leistung über 1 MW zuzurechnen ist.
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Für den aus Wasserkraft und anderen Energieträgern erzeugten Strom ergeben sich folgende Werte:
Wasserkraft Photovol- Windener- Biomasse Fossil/Kern- [GWh] taik [GWh] gie [GWh] [GWh] kraft/Sonstige [GWh] 2014 4.803 4.797 679 4.362 46.216 2015 4.300 5.090 831 4.674 48.432 2016 4.850 5.002 1.235 4.653 46.931 2017 4.540 5.210 2.010 4.700 43.351
Zum prozentualen Anteil an der Bruttostromerzeugung ergeben sich bei der Was- serkraft folgende Werte:
Prozent der Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung 2014 7,9 2015 6,8 2016 7,7 2017 7,6
11. Wie hoch waren die den Betreibern von Wasserkraftwerken in Baden-Würt- temberg gezahlten EEG-Einspeisevergütungen im Sechsjahreszeitraum 2012 bis 2017 und die in diesem Zeitraum aus Wasserkraft gewonnene Netzeinspei- sung von Strom, jeweils getrennt nach Großer und Kleiner Wasserkraft?
Die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf den in der Regelzone der Trans- netBW aufgenommenen EEG-Strom. Da die Grenzen der Regelzone nicht voll- ständig deckungsgleich mit denen des Landes Baden-Württemberg sind, ergeben sich Abweichungen zu den genauen Strommengen für Baden-Württemberg. Dar- über hinaus wird ein großer Teil des Stroms aus Wasserkraftanlagen nicht nach dem EEG vergütet, sondern außerhalb des EEG vermarktet.
Für die Jahre 2012 bis 2017 ergaben sich folgende Werte für den Strom aus Was- serkraft:
EEG- EEG- Markt- und Flexibi- Direktvermarktung Einspeisung Vergütungen litätsprämien GWh Mio. € GWh Mio. € 2012 503 51 724 7,5 2013 722 69 891 18 2014 513 54 1.033 27 2015 468 50 907 32 2016 538 58 995 39 2017 437 48 924 32
Ein direkter Vergleich von EEG-Vergütungszahlungen und Markt- bzw. Flexibi- litätsprämien ist nicht möglich, da die EEG-Vergütungszahlungen zunächst um die Vermarktungserlöse bereinigt werden müssen. Die Prämienzahlungen werden dagegen zusätzlich zum jeweiligen Vermarkungserlös an die Anlagenbetreiber ausgezahlt. Eine Aufteilung zwischen Großer und Kleiner Wasserkraft lässt sich mit vertret- barem Aufwand nicht bewerkstelligen.
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13. Wie viele Jahre beträgt die betriebsgewöhnliche bzw. kalkulatorische Nut- zungsdauer der kleinen bzw. der großen Wasserkraftwerke in Baden-Würt- temberg und über welche Zeiträume werden die Wasserkraftwerke gemäß den amtlichen Sätzen über die Absetzung für Abnutzungen der Finanzverwaltung (AfA-Tabellen) abgeschrieben?
Die Nutzungsdauer kann bei den verschiedenen Anlagentypen und Komponenten sehr unterschiedlich sein, sodass keine einheitlichen Angaben gemacht werden können. Laut AfA-Tabelle des Bundesfinanzministeriums liegt die Nutzungs - dauer der einzelnen Komponenten zwischen 10 und 60 Jahren. Die detaillierten Angaben können auf der Seite des Bundesfinanzministeriums unter dem Begriff „AfA-Tabellen“, dort: „Energie- und Wasserversorgung“ sowie „AfA-Tabelle für die allgemein verwendbaren Anlagegüter (Tz. 3.1)“, abgerufen werden.
15. Besteht, wie bei der Einspeisung von Windstrom ins Netz, ebenfalls eine Ein- speisepriorität des durch Wasserkraft erzeugten Stroms?
Gemäß § 11 Absatz 1 Satz 1 EEG 2017 ist sämtlicher Strom aus erneuerbaren Energien von Netzbetreibern vorrangig ins Netz einzuspeisen (Einspeisevorrang). Wasserkraft wird vom EEG 2017 zu den erneuerbaren Energien gezählt, sodass der Einspeisevorrang auch für durch Wasserkraft produzierten Strom gilt.
16. Werden den Wasserkraftwerksbetreibern wie bei den Betreibern von Windin- dustrieanlagen in Fällen, in denen wegen Überproduktion regenerativ erzeug- ten Stroms die Stromeinspeisung im Interesse der Netzstabilität „abgeregelt“ werden muss, EEG-Vergütungen bezahlt?
Wasserkraftwerksbetreiber können im selben Umfang wie auch andere EEG-An- lagenbetreiber eine finanzielle Entschädigung von dem für eine Einspeisemanage- ment-Maßnahme verantwortlichen Netzbetreiber verlangen. Wird die Einspeisung von Strom aus einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien wegen eines Netzengpasses reduziert („abgeregelt“), muss der Netzbetreiber, an dessen Netz die Anlage angeschlossen ist, laut EEG 2017 die von der Maßnahme betroffenen Betreiber für 95 Prozent der entgangenen Einnahmen entschädigen, zuzüglich zusätzlicher Aufwendungen bzw. abzüglich ersparter Aufwendungen. Die entgangenen Einnahmen entsprechen dabei regelmäßig der entgangenen Ein- speisevergütung.
17. Wie hoch waren die den baden-württembergischen Wasserkraftwerksbetrei- bern in den Jahren 2010 bis 2017 gemäß EEG oder anderen Gesetzen bezahl- ten Einspeisevergütungen für zwar erzeugten, aber zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität „abgeregelten“, d. h. nicht ins Stromnetz gelangenden und des- halb verfallenden Strom?
Die für alle erneuerbaren Energien (nicht nur Wasserkraft) gemeldete Ausfallar- beit ist nach Auswertung der Bundesnetzagentur in Baden-Württemberg ver- gleichsweise gering. Im Jahr 2017 beliefen sich die geschätzten Entschädigungs- ansprüche hierfür in Baden-Württemberg auf rund 384.000 €. Die geschätzten Entschädigungsansprüche für Laufwasser in ganz Deutschland belaufen sich auf rund 34.000 €. Zahlen zur Wasserkraft in Baden-Württemberg sind keine bekannt.
18. Mit welchen Vergütungssätzen (Cent je kwh) werden die Einspeiser des durch Wasserkraft erzeugten Stroms entlohnt und wie haben sich diese Vergütungs- sätze im Zeitablauf der letzten 17 Jahre bis heute entwickelt (d. h. ab Inkraft- treten des EEG)?
Der Vergütungssatz für durch Wasserkraft produzierten Strom berechnet sich nach EEG 2017 anhand des sog. anzulegenden Wertes, der gesetzlich im EEG be- stimmt wird. Gemäß § 40 Absatz 2 EEG 2017 gilt der Förderanspruch nicht nur für neu in Betrieb genommene Wasserkraftanlagen, sondern auch für Strom aus Bestandsanlagen, die vor dem 1. Januar 2009 in Betrieb genommen worden sind
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und deren Leistungsvermögen durch eine wasserrechtlich zugelassene Ertüchti- gungsmaßnahme nach dem 31. Dezember 2016 um mindestens 10 Prozent erhöht worden ist. Die Förderung von Strom aus Wasserkraft unterliegt einer besonderen Degres- sionsregelung. Danach verringern sich die anzulegenden Werte jährlich jeweils um 0,5 Prozent gegenüber den im jeweils vorangegangenen Kalenderjahr geltenden anzulegenden Werten und werden auf zwei Stellen nach dem Komma gerundet. Anzulegende Werte für Strom aus Wasserkraftanlagen haben sich seit Inkrafttre- ten des EEG 2014 (1. August 2014) wie in der folgenden Tabelle dargestellt ent- wickelt. Ebenso können auch künftige anzulegende Werte anhand der Degres - sionsregelung bereits jetzt berechnet werden:
Anzulegender Wert je nach Bemessungsleistung in ct pro kWh; Degression von 0,5 % p. a. Inbetriebnahme kW MW MW MW MW MW MW ab 01.08.2014 12,52 8,25 6,31 5,54 5,34 4,28 3,50
2015 12,52 8,25 6,31 5,54 5,34 4,28 3,50
2016 12,46 8,21 6,28 5,51 5,31 4,26 3,48
2017 12,40 8,17 6,25 5,48 5,29 4,24 3,47