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Burkhard Röwekamp Vom noir zur méthode noir Die Evolution filmischer Schwarzmalerei Für Raja Valerie Burkhard Röwekamp

Vom zur méthode noir Die Evolution filmischer Schwarzmalerei Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnd.ddb.de abrufbar.

Schüren Verlag Universitätsstraße 55 · D-35037 Marburg www.schueren-verlag.de © Schüren 2002 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Erik Schüßler Druck: WB-Druck Rieden Printed in Germany ISBN 3-89472-344-0 Inhalt

Vorwort

Einleitung 7

1 Film noir – Eine Erfindung 15 1.1 Erste Annäherungen 19 1.1.1 Frankreich 19 1.1.2 USA 20 1.1.3 Filmkritik und Filmwissenschaft 23 1.1.4 Exkurs: Subjektivität, Film und subjektivierendes Verfahren 26 1.1.5 Post Scriptum Ante 36 1.2 Kontexte 36 1.2.1 Moderne Krisen 36 1.2.2 Moderne Filmwirtschaft I: USA 38 1.2.3 Moderne Filmwirtschaft II: Europa und Frankreich 42 1.3 Beispiele 45 1.3.1 Reflexion: A BOUT DE SOUFFLE und TIREZ SUR LE PIANISTE 45 1.3.2 Hommage: CHINATOWN 51 1.3.3 Re-Vision: TAXI DRIVER 53 1.3.4 Stilisierung: 56 1.3.5 Selbstreflexivität: 60 1.4 Filmwissenschaft 64 1.5 Grenzüberschreitung 68 1.5.1 Funktion und Bedeutung 69

2 Film noir – Eine Umschrift 75 2.1 Stil 75 2.1.1 Film noir: Wille oder Vorstellung? 76 2.1.2 Stilistische Optionen 77 2.1.3 Film noir als oppositionelle Methode 79 2.1.4 Captain Future? 81 2.1.5 Vom Chiaroscuro zum Farbdesign 82 2.1.6 Die Kehrseite der Lichtgestaltung: Farbe 83 2.1.7 Von der expressiven zur irrealen Bewegung 88 2.2 Erzählstrukturen 97 2.2.1 Zeitliche Kausalität – Rückblenden 99 2.2.2 Voice Over 102 6 Inhalt

2.2.3 Alltagshandeln und Folgerichtigkeit 103 2.2.4 Up to Date 104 2.2.5 Die Wirkung der Ursache: Die übliche Methode 106 2.2.6 Im Vertrauen: Worum geht es eigentlich? 113 2.2.7 Schlusswort: „Let’s get into character!“ 121 2.3 Themen 122 2.3.1 Frankreich/Philosophie 123 2.3.2 USA/Pragmatismus 126 2.3.3 Formen von Weiblichkeit 129 2.3.4 Formen von Männlichkeit 131 2.3.5 Gegenwart 136 2.3.6 Männer-Bilder im zeitgenössischen Noir-Film 138 2.3.7 Frauenbilder: Femmes fatales und Heroinen im zeitgenössischen Noir-Film 148 2.3.8 Family Viewing im Noir-Film 154 2.3.9 Die Methodik des seriellen Tötens 162

3 Méthode noire 165 3.1 Bestandsaufnahme 165

3.2 Nicht-Genre 166

3.3 Beinahe-Stil 167

3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY: Abkürzungen des neoformalistischen Narrationsmodells 169 3.4.1 Neo-/Formalismus, Zeichen und Struktur 169 3.4.2 Neo-/Formalismus, Verfremdung und Kommunikation 172 3.5 Das Ziel als Weg 176

3.6 Auffahrt 178

3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 179 3.7.1 Audiovisualität 179 3.7.2 Ton 187 3.7.3 Erzähltechnik – Zuerst die Antwort: „Dick Laurant is dead!“ 188 3.7.4 Themen 195 3.8 Endstation 201

3.9 Am Ende der Anfang 202

4 Literatur und Filme 205 4.1 Literatur 205

4.2 Filme 210 Vorwort

Die eigene Faszination für den Gegenstand Die Arbeit wäre ohne die tatkräftige und bietet allemal eine gute Grundlage für die wis- freundliche Unterstützung von vielen Seiten senschaftliche Arbeit an ihm. Erst recht, wenn wohl kaum in dieser Form möglich geworden. das Objekt der Begierde zugleich das Bedürfnis Zu danken habe ich ganz besonders Prof. Dr. nach Unterhaltung und Erkenntnis zu stillen Heinz-Bernd Heller, der sich von Anfang an für vermag. PULP FICTION aus dem Jahr 1994 war das Thema begeistern konnte und meine Ar- jener Film, von dem der entscheidende Im- beit stets wohlwollend und kritisch begleitet puls zu dieser Arbeit ausging. Der Film ge- hat. Seine wertvollen Hinweise und sein unbe- währte augenzwinkernd Einblicke in die As- stechliches Urteil waren von unschätzbaren servatenkammer des Gangsterfilmgenres, in- Wert für das Resultat. Prof. Dr. Karl Prümms dem er Geschichte und Ikonographie des er- kritischer Auseinandersetzung mit Film noir zählten Verbrechens genüsslich sezierte, mit verdanke ich manche Einsicht in Schwachstel- den Erinnerungen der Zuschauer ein ironi- len der bisherigen Diskussion über das Thema. sches Spiel trieb und das Erzählkino nach Jah- Zu danken habe ich auch dem Institut für ren der Stagnation modernisierte. Zahlreiche Neuere deutsche Literatur und Medien der Klischees, die Drehbuchautor und Regisseur Philipps-Universität Marburg, das mir die dabei zum Opfer fielen, Möglichkeit bot, meine Forschungsarbeit für entstammten jenen Filmen, die bereits in der die harte Praxis der Lehre fruchtbar zu ma- Mitte des vergangenen Jahrhunderts beson- chen. Auf der anderen Seite wäre wissenschaft- ders dunkel und pessimistisch daherkamen: liche Arbeit ohne die tatkräftige Unterstüt- noirs. Über sie wurde viel geschrieben, zung hinter den Kulissen schlechthin nicht kaum einmal aber wurde versucht, ausgehend möglich. Deswegen möchte ich mich an dieser vom filmischen Material systematisch Her- Stelle ganz besonders bei meiner Frau Heidrun kunft und Wandel ihrer ästhetischen, erzähle- bedanken: für ihren unermüdlichen Zuspruch rischen und semantischen Funktionsweisen und ihre Bereitschaft, die unbequeme Aufgabe zu ermitteln. Darin mag zugleich der Grund des Korrekturlesens übernommen und den- dafür liegen, dass sich die Bezeichnung für ein noch einen kühlen Kopf bei der Beurteilung neuartiges filmisches Verfahren rasch in jene mancher Unzumutbarkeit behalten zu haben. plakative Formel „Film noir“ verwandeln Zu meinem Glück wusste sie selbst, was es be- konnte, die immer wieder zu Missverständnis- deutet, ein Dissertationsprojekt zuende zu sen geführt hat. Die Wirkmechanismen, für bringen. Oliver Grimm, der an unzähligen die sie einstand, wurden bis in die Gegenwart Abenden zur Verfügung stand, um gemeinsam hinein indes weder methodisch noch theore- mit mir ebenso ungezählte Filme zu sichten tisch befriedigend aufgeklärt. Die vorliegende und zu diskutieren, bin ich zu großem Dank Arbeit versucht dieser Misere Abhilfe zu ver- verpflichtet. Auch allen ungenannten Unter- schaffen und „Film noir“ nicht länger populä- stützerinnen und Unterstützern möchte ich rer Spekulation und filmkritischem Pathos zu hiermit in ein großes Kompliment ausspre- überlassen. Darüber in der Terminologie der chen für Ihre stets kritische Aufmerksamkeit Wissenschaft zu sprechen bedeutet anderer- und ihr uneingeschränktes Wohlwollen. Und seits, das zuweilen schwierige Kunststück fer- Raja Valerie, die all dies noch nicht verstehen tig zu bringen, das Ziel allgemeiner Verständ- kann, wünsche ich, dass sie eines Tages besser lichkeit nicht aufzugeben und dennoch me- begreift als ich, weshalb wir bereit sind, all die thodisch und theoretisch anspruchsvoll zu Mühen und Anstrengungen auf uns zu neh- bleiben – und dabei den Gegenstand nicht zu men. Möglicherweise ist es eben jene glückli- beschädigen. Vor allem aus Kostengründen che Erfahrung umfassender und vorbehaltlo- wurde auf eine durchgängige farbige Bebilde- ser Unterstützung, die die Einsicht fördern rung verzichtet. Deswegen finden sich farbige kann, dass der hiermit eingeschlagene Weg so Abbildung nur dort, wo es aus methodischen falsch nicht sein kann. Gründen erforderlich schien. Einleitung

Film noir hat sich verändert – so könnte davon ab. Für Karl Prümm hat sich über ein vorläufiges Fazit lauten, ginge man das „populäre Phänomen [...] ein Diskurs von einem sachlich und zeitlich eingrenz- eingeschliffen, der pseudopoetisch die baren Filmkorpus aus, in dessen Zentrum Räume, Motive, Figuren des Film noir be- Verbrechenserzählungen kombiniert mit schwört, eine ‚einfühlsame‘ Paraphrase, expressiven Ästhetiken stehen, und ver- die nichts als Versatzstücke produziert: folgte dessen Entwicklung bis in die Ge- die dunklen, naß-glänzenden Straßen, die genwart. Doch so einfach lassen sich miesen Hotelzimmer, die gebrochenen Funktionsweisen und Wirkprinzipien des Helden.“ (Prümm 1998: 134) Phänomens, das im Folgenden eingehend In filmwissenschaftlicher Perspektive gibt untersucht werden soll, begrifflich, me- die über die Jahre „ausgehärtete“ Seman- thodisch und theoretisch kaum operatio- tik, die das Faszinosum filmischen „Schwarz- nalisieren. Denn Film noir bezeichnet kei- Sehens“ umgibt, also Anlass zum Zweifel neswegs nur eine bestimmbare Zahl an- an der Gültigkeit ihrer Erklärungsmuster. dersartiger Filme, sondern von Anfang an Die durch widersprüchliche Erklärungs- ebenso einen diskursiven Gegenstand, modelle und Zuschreibungen ausgelösten hervorgebracht von Filmkritik und -wis- Irritationen sensibilisieren nicht nur für senschaft. Wie die mit dem Begriff in Ver- eine offenbar vorhandene Variabilität und bindung gebrachten Filme durchlebt auch Dehnbarkeit der Noir-Semantik; sie zeigen der Diskurs über Film noir Konjunkturen auch, dass Film noir keineswegs ein selbst- und Moden. In der Diskussion um Film genügsames ästhetisches Gebilde ist, son- noir ist immer wieder versucht worden, dern unablässiger Bewegung und perma- den kontingenten Charakter des Phäno- nentem Wandel unterliegt, und zwar im mens aufzulösen, indem etwa auf Genre- Hinblick auf seine ästhetische und außer- oder Stilkategorien verwiesen, Kanonbil- ästhetische Wirkung. dung betrieben oder zeitlich eng begrenz- Eine erste semantische Verschiebung te Periodisierungen vorgenommen wur- vollzog sich bereits mit der Umwertung den. In den mehr populistischen Regio- des Begriffs durch die französische Film- nen der Debatte wurde die aus der Vielge- kritik nach dem Ende des zweiten Welt- staltigkeit des Phänomens resultierende kriegs. Galt das Adjektiv noir zuvor als ab- Beschreibungsproblematik oftmals film- wertende Kritikerformel für eine Reihe historischer Mythenbildung überantwor- französischer Filme, die heute dem Poeti- tet und Film noir geradezu zum Kultobjekt schen Realismus zugerechnet werden, so modischer Diskurse. Als willkommener sorgte eine veränderte Begriffsverwen- Affekt der Filmkritik ist Film noir zur Be- dung nach dem Krieg für eine semantische zeichnungspraxis einer Wunschvorstel- Verschiebung in Richtung spezifischer äs- lung mutiert, beinahe ein Gemeinplatz thetischer und erzählerischer Qualitäten der Filmkritik und -wissenschaft gewor- einiger US-amerikanischer Kriminal- und den. Auch seine Popularität in der zeitge- Detektivfilme. Eine Besonderheit des für nössischen Filmproduktion, die in der diese Filme geprägten Begriffs – film noir – einschlägigen Publizistik zumeist als Neo lag darin, dass damit von Kritikerseite ein Film Noir firmiert, legt beredtes Zeugnis Etikett gefunden wurde, das auf Seiten der Einleitung 9

Filmproduktion nicht vorhanden war. An- Genregeschichten der realistischen Er- ders als bei Genrefilmen, die Ergebnis öko- zähltradition dominierten. Paradox, weil nomischen Kalküls zur Standardisierung die filmische Methodik des Film noir den und Produktdifferenzierung innerhalb der objektivistischen Gestus des realistischen Filmproduktion im Studiosystem Holly- Erzählens zwar subvertierte – etwa indem woods waren, existierte kein Produktions- Film noir dessen Abbildungs- und Erzähl- schema, das die Herstellung von Films konventionen wie z. B. das Unsichtbarma- noirs vorsah. Vielmehr wurde mit der Kri- chen des Erzählens aushebelte –, ohne al- tikervokabel film noir zum ersten Mal in lerdings das Formenspiel des realistischen der Geschichte des Mainstream-Films von Erzählens grundsätzlich in Frage zu stel- außerhalb der Filmproduktion ein mas- len. Sehr selbstbewusst bediente sich Film senwirksamer Diskurs installiert. In dessen noir der Mittel herkömmlichen Filmema- Zentrum stand eine ebenso evidente wie chens und führte Bestehendes methodisch wirkmächtige filmische Qualität, die quer neu zusammen: expressive Schwarzweiß- lag zum Gewohnten. Der Einfluss der von Ästhetik und schockartige Montage, voice ihr irritierten Filmkritik auf die filmtheo- over und Rückblenden, Detektive, Gangs- retische Diskussion ist immer noch deut- ter und femmes fatales. Lediglich die Ge- lich spürbar. Nicht zuletzt hat sich die Be- schichten ließen die positivistische Gesin- zeichnungspraxis im Laufe der Jahre ver- nung der herkömmlichen Erzählungen selbstständigt und zu einigen Aporien vermissen. Film noir löste existenzielle Be- auch in der wissenschaftlichen Betrach- drohungsszenarios nicht länger durch das tung geführt. Seither pendelt Film noir Versprechen der Wiederherstellung sozia- vielfach zwischen filmgeschichtlichem ler oder familiärer Ordnungsgefüge auf, Mythos und Kultobjekt für Filmenthusias- die dem Individuum Schutz und Sicher- ten. Eine der beständigsten Zuschreibun- heit boten. Vielmehr beschrieben seine gen liegt beispielsweise in der Zuordnung Geschichten die Beziehung von Individu- als Genre, obwohl entsprechende Filme um und Gesellschaft als äußerst prekär bestehende Genres lediglich variierten. und existenzgefährdend. In der Form ei- Und so scheint es, als hätten Filmkritik nes psychorealistischen subjektivistischen und -wissenschaft über die fantastischen Illusionismus formulierte Film noir seinen Bilder und Erzählungen dieser Filme Nino erkenntnistheoretischen Pessimismus bzw. Franks Einsicht vergessen, dass Film noir radikalen Skeptizismus gegenüber der Er- dem konventionellen Filmemachen eine kennbarkeit der Welt mit ebenso formaler „«troisième» dimension“ (Frank 1946: 14) Konsequenz und Stilisierung wie die zu- erschloss, die die Erzählung vollkommen versichtlicheren objektivistischen Phanta- in den Dienst der Psychologisierung und sien der klassischen Erzählungen. Subjektivierung des Geschehens und der Die Entstehung des Film noir wurde Figuren stellte. Ihr galten Gesichter, Ver- zugleich vielfach mit tiefgreifenden sozio- halten und Worte mehr als nachvollzieh- kulturellen und ökonomischen Verände- bare Logik und aktionsgeladene Handlun- rungen und historischen Zäsuren erklärt, gen, auf die der Standard-Hollywoodfilm auf die die Filmproduktion Hollywoods bislang so viel Wert gelegt hatte (vgl. ebd.). reagierte. Auch wenn diese Engführung Dennoch entstand die filmische Qua- film-, literatur- und kunsthistorische Ent- lität noir zuerst massenhaft – und schein- wicklungen, Überlagerungen und Syner- bar paradox – in den Studios von Holly- gieeffekte übersieht, scheint sie doch auf wood, deren Produktion bislang die klar einen wichtigen Aspekt des Noir-Filmema- strukturierten und leicht zugänglichen chens hinzudeuten: Film noir stieß in eine 10 Einleitung

soziokulturell präfigurierte ökonomische französische Poetische Realismus oder der und ästhetische Nische, die der klassische Neorealismus italienischer Prägung, der realistische Erzählfilm thematisch nicht Gangsterfilm, der Detektivfilm, der Horror- füllen konnte. Und dieses Schema passt of- film oder die Kriminalliteratur der so ge- fenbar nicht nur auf Hollywood-Produkti- nannten hard-boiled-school: Das Problem onen, sondern auch auf europäische Filme der Beschreibung des Film noir ließ sich auf etwa von Regisseuren wie Marcel Carné, keines der bekannten Ordnungsschemata Jacques Prévert, Julien Duvivier, Fritz reduzieren, war weder Genre noch Stil, we- Lang, , Friedrich Wilhelm der schlichte Adaption noch vorausset- Murnau u.a. oder asiatische Filme, wie ei- zungslose Neuerfindung. Das Neue des nige japanische Produktionen etwa von Film noir bestand vielmehr – und womög- Akira Kurosawa. lich ausschließlich – in der Verknüpfung Und so wie noir als internationales Phä- von Elementen dieser Traditionen mit dem nomen beobachtbar ist – als Resultat spezi- bestehenden Modell des klassischen realis- fischer ästhetischer und narrativer Verfah- tischen Erzählens unter der Maßgabe der ren, Erzählungen zu subjektivieren –, so Subjektivierung der Erzählperspektive. Und sehr lässt sich seine Entstehung und Ent- die Erfolgsgeschichte der dafür entwickel- wicklung nicht auf bestimmte Perioden der ten filmischen Methodik des Noir-Films Filmgeschichte begrenzen. Als Kino, das in- reicht bis in die Gegenwart. nersubjektiven Angst- und Bedrohungs- Dies ist zugleich der Anknüpfungs- phantasmagorien einen übersteigerten äs- punkt der folgenden Analyse, die danach thetischen Ausdruck verlieh bzw. als filmi- fragt, unter welchen Bedingungen von scher Ausdruck einer in die Krise geratenen Noir-Film gesprochen werden kann und Subjektivität, besetzten Noir-Filme einen welche Formen die abstrakte Formel noir Raum, den das klassische Erzählkino nicht mit konkretem Material füllen. Noir, das füllen konnte, weil seine Motivationen ist unstrittig eine nach wie vor sehr attrak- und Verfahren dafür nicht geeignet waren. tive filmische Kategorie bei Filmprodukti- Auf der anderen Seite hatten Noir-Filme zu on und -kritik. Variationen des erzählten keiner Zeit eine vergleichbare marktbeherr- Verbrechens sind unvermindert beliebt. schende Stellung wie etwa Western oder Films noirs thematisieren eine existentiel- Musicals. Dennoch schlossen sie erfolg- le Unsicherheit, die ihren dramaturgi- reich eine Produktionslücke. schen Kulminationspunkt zumeist in der Mit dem Film noir bricht sich ein Kino Drohung der Auflösung individueller und des übersteigerten Ausdrucks Bahn, dessen sozialer Ordnungsgefüge hat. Diese Art des formale Expressivität für ein Übermaß an Filmemachens trifft auch im zeitgenössi- Atmosphärischem sorgt. Obwohl sich in schen Film auf Resonanz beim Publikum, der visuellen Gestaltung Anklänge an den befriedigt hier offenbar Bedürfnisse. Noir expressionistischen Film ausmachen las- ist unverändert ein Erfolgskonzept, eine sen, folgt Film noir keinem formulierten erfolgreiche filmische Differenzqualität. Willen zur künstlerischen Abstraktion, Nicht nur Filmproduktionen, auch Fern- sondern fügt sich beinahe nahtlos in beste- seh-Krimis der jüngeren Generation, Mu- hende Produktionskontexte. Vor diesem sikvideos, Computerspiele oder Kurzbe- Hintergrund unterscheidet sich die expres- schreibungen in Fernsehzeitschriften, für sive Darstellungsform im Film noir nicht die die griffige Formel „Neo Noir“ nahezu nur von der des expressionistischen Films. eine Etikettierungs-Mode geworden ist, Gleiches gilt auch für weitere, immer wie- finden sich überall. Zugleich ist „noir“ ein der genannte ‚Ahnen‘ des Film noir, wie der Modus geworden, Filme wahrzunehmen Einleitung 11

und zu kategorisieren. Betrachtet man die Antworten auf die durch das ästhetische Entwicklung der filmischen Form namens Material evozierten Fragen letztlich ver- „noir“ als Kontinuum bzw. Prozess der gleichsweise beliebig bzw. auf einen oder Ausdifferenzierung von bestimmten For- nur wenige gemeinsame Aspekte be- menspielen, so ist seine Entwicklung schränkt. Und so hat die Film-noir-Publi- selbstredend noch unabgeschlossen und zistik zumeist das Naheliegende versucht in steter Veränderung begriffen. und nach gemeinsamen Elementen ge- Auch für die filmwissenschaftliche fahndet. Dabei hat sie wahlweise (und oft- Forschung bleibt angesichts zeitgenössi- mals exklusiv) audiovisuelle, narrative, scher Produktionen die Fragestellung rele- thematische oder semantische Qualitäten vant, unter welchen Vorzeichen dass als Movens des Film noir ausgemacht, sie Noir-Phänomen methodisch und theore- zumeist unter Genrekategorien subsu- tisch integriert werden kann. Eher fakto- miert und zeitgenössische Produktionen grafisch orientierte Zusammenstellungen schließlich mit dem Etikett Neo Film noir entsprechender Filme (z.B. Silver, Ward versehen – zumeist gefasst als ontologi- 1979, Ottosen 1981) sowie filmkritische sche Differenzqualität zum Film noir und und wissenschaftliche Untersuchungen nicht als Evolutionsstufe eines speziellen unterschiedlicher filmischer Aspekte (z.B. filmischen Verfahrens (vgl. z.B. Hirsch Place/Petterson 1974, Porfirio 1976, Malt- 1999). Infolgedessen haben die Defini- by 1984, Telotte 1989, Cowie 1993 u.a.) tionsversuche für den Film noir je nach können hier nur Ausgangspunkte markie- Offenheit der Fragestellung mehr oder ren für eine noch zu entwickelnde Theorie minder essenzialistische Züge angenom- des Noir-Films. Auch umfassender und tie- men bis hin zur Präsentation universeller fenschärfer ansetzende Untersuchungen, „noir-Formel(n)“ (vgl. Sellmann 2001: 47f). die Film noir als Phänomen soziokulturel- Das so ermittelte „Wesen“ des Film ler Kontexte verstehen und die Form der noir ist indes ein Fabeltier, solange es nur filmischen Vermittlung des Noir-Films darum geht, Elemente zu benennen, die es über die daran kristallisierenden kulturel- erwartbar – aber nicht notwendig – repro- len Diskurse rekonstruieren (z.B. Naremo- duziert, z.B. die berühmten nassen Stra- re 1998), tendieren dazu, die ästhetischen ßen bei Nacht oder die berüchtigten fem- Bedingungen aus den Augen zu verlieren, mes fatales. Auf diese Weise bleiben Unter- die diese erst ermöglichen. suchungen letztlich auf den Ereignischa- Aber was verbindet eigentlich Filme, rakter des Filmischen beschränkt, was die doch unterschiedlicher gar nicht sein schließlich zu (scheinbaren) Beschrei- können wie z.B. bungsinkompatibilitäten und in entspre- (1995) und LOST HIGHWAY (1996) oder BAD chende Erklärungsnöte führt, sobald neue LIEUTENANT (1992) und FIGHT CLUB Elemente auftauchen, die dem vorhande- (1999)? Und gehört BAD LIEUTENANT über- nen Dingschema nicht entsprechen, z.B. haupt in diese Reihe? Ist andererseits nicht Farbe statt Schwarzweiß. Der Grund dafür auch BARFLY (1987) ein Noir-Film, viel- liegt einerseits in der mangelnden Reflexi- leicht eine Noir-Komödie? Hat nicht LEA- on des Verknüpfungsmodus von Noir-Ele- VING LAS VEGAS (1995), obwohl oberfläch- menten in summarischen Bestandsauf- lich betrachtet wie BARFLY auf den ersten nahmen und andererseits in der Beschrän- Blick ein Trinkerfilm-Drama, Noir-Quali- kung auf Teilaspekte und partielle Struktu- täten? Die Reihe solcher Vergleiche ließe ren in systematischen Analysen. Und sich fortsetzen. Doch ohne Angabe von schließlich verstellt die Engführung auf Vergleichsgesichtspunkten erscheinen alle eine historisch lokalisierbare, selbstlimi- 12 Einleitung

tierende semantische Bezugsgröße Film nicht nur im Rahmen eines semiotisch re- noir oftmals den Blick auf die Tragweite ei- konfigurierten formalistischen Narrati- ner veränderten Produktionspraxis, in- onsmodells neu eingebunden: Neben der dem sie ästhetische Elemente und Eigen- strukturellen Analyse des Materials wird schaften mit der sie relationierenden zugleich das bisherige Auflösungsvermö- Struktur verwechselt. gen der Noir-Forschung durch die Ver- Obwohl eine übergreifende Perspekti- wicklung in den semiotisch-formalisti- ve sich nicht notwendig vom Begriff Film schen Diskurs sichtbar. Im Unterschied zu noir verabschieden muss, scheint es mir James Naremores aufschlussreicher Dis- dennoch ratsam, die Kontingenz der da- kursanalyse (Naremore 1998), die den ver- mit verbundenen Semantik aus heuristi- schiedenen Bedeutungsdimensionen des schen Gründen durch eine begriffliche Film noir zuvorderst über dessen kulturel- Verschiebung wahrnehmbar zu machen. le und historisch variable Verwendungs- Aus diesem Grund wird im Folgenden zwi- weisen nachspürt, versucht die nachfol- schen dem historischen Spezifikum des gende Untersuchung diskursive Zusam- klassischen Film noir und einer heuristi- menhänge an das materielle Substrat des schen Bezugsgröße Noir-Film differen- filmischen Zeichens selbst rückzubinden. ziert. Auf diese Weise werden diachrone Sie kehrt zurück zu denjenigen ästheti- und synchrone Veränderungen eines vom schen und narrativen Mechanismen, die Standard abweichenden ästhetischen Ver- die Anschlussstellen markieren für den fahrens vor dem Hintergrund dominieren- ebenso langlebigen wie unscharfen und der Filmpraxen besser erkennbar. Bezugs- zuweilen auch verbraucht wirkenden Dis- punkt ist dann allerdings nicht länger die kurs über den Noir-Film. Die Ermüdung (nur scheinbar) fixierbare, aber kontin- der Debatte ist nicht zuletzt Ergebnis der gente Größe Film noir, sondern eine am gebetsmühlenartigen Wiederholungen künstlerischen Verfahren orientierte, spe- deterministischer Zuschreibungen, insbe- zifische ästhetische Noir-Film-Praxis im sondere diejenige als Genre. Die zahlrei- Unterschied zu einer anderen. chen reduktionistischen Versuche, der Anders als die bisherige Forschung Komplexität des Phänomens durch eine über das Phänomen des Film noir geht die Festlegung auf Teilaspekte (Stil, Zyklus, folgende Analyse der Frage nach, wie sich Schule u.a.) Herr zu werden, ignorieren zu- das filmische Noir-Verfahren zur audiovi- meist die Verschiedenartigkeit der Funk- suellen, narrativen und thematischen Ver- tionsbereiche des Filmischen. Auch das dichtung subjektivierender Erzählungen formalistische Narrationsmodell, an das bis in die Gegenwart verändert hat. Ent- sich die folgende Untersuchung anlehnt, lang der untersuchungsleitenden analyti- kann naturgemäß nur einen Teil dessen er- schen Unterscheidung von Stil, Narration fassen, was Film noir ausmacht. Um se- und Themen des Noir-Films werden in je- miotische Erkenntnisse revidiert scheint dem Abschnitt die für den jeweils behan- das Modell allerdings geeignet, einen weit- delten Teilaspekt wichtigen Argumenta- aus umfassenderen Blick auf den Noir- tionslinien einschlägiger Texte rekapitu- Film zu ermöglichen, als dies bislang mög- liert und einer kritischen Revision unter- lich war. Und weil eine semiotische Um- zogen, weshalb die Auseinandersetzung schrift der Poetik des Film noir die Analyse mit der wissenschaftlichen Literatur über in die Lage versetzt, die produktiven Film noir sozusagen „an Ort und Stelle“ Aspekte bestehender Ansätze zu integrie- stattfindet. Die Ergebnisse der Forschungs- ren und zugleich die Debatte um Film noir literatur über Film noir werden dabei von Pathos und Emphase zu befreien, Einleitung 13

kehrt die anschließende Untersuchung Dies ist der Hintergrund der folgenden bisherigen Untersuchungen keineswegs Untersuchung, die sich in drei Teile glie- den Rücken; indem sie auf filmische Ver- dert. Im ersten Abschnitt („Film noir – fahren und Methoden setzt, auf inner- Eine Erfindung“) werden Begriffsgenese, und außerfilmische Prozesse und ihre his- Kontextbedingungen sowie bisherige film- torischen Bedingungen, kann sie sich kritische und methodisch-theoretische nicht nur auf bereits gemachte Beobach- Zugriffe diskutiert. Dabei werden kulturel- tungen berufen, auf Grund der diskursi- le, politische und soziale Produktionskon- ven Struktur des Gegenstandes ist sie dazu texte gestreift und die Konventionen vor- geradezu verpflichtet. Das Rad muss also herrschender Filmpraxen ermittelt, von nicht neu erfunden, nur seine Laufrich- denen der klassische Film noir abweicht. tung geändert werden. Noir wird nicht Der historische Überblick wird erweitert neu-, sondern umdefiniert. durch exemplarische Untersuchungen neue- Der näherungsweise Versuch, histori- rer Ausformulierungen des Noir-Films. Auf sche und poetische Determinanten in ei- diese Weise werden nicht nur Traditions- nem semiotischen Modell des Noir-Films fortschreibungen benennbar, zugleich för- zu integrieren, macht es notwendig, die dert die Analyse des Verhältnisses von systematische Erfassung und Beschrei- Fortschreibung und Abweichung Konven- bung des Phänomens von einer statischen tionen ästhetischer Verfahren des Noir- Poetik des Noir-Films auf ein diskursiv re- Films zu Tage. Als Nebeneffekt wird da- formuliertes Modell dynamisierender Ver- durch das hermetische historistische Kon- dichtung umzustellen und auf diese Weise zept in Frage gestellt, das Film noir aus- das künstlerische Noir-Formenspiel mit schließlich mit US-amerikanischen Pro- daran kondensierenden Bedeutungszu- duktionen vom Anfang der 1940er bis schreibungen zu verschränken. Das macht Ende der 1950er Jahre in Verbindung ge- eine Umschrift erforderlich, die das Ver- bracht hat. Im Anschluss an diese „[c]lari- fahren vom semantischen Ballast der his- fication of received critical concepts“ und torisch kontingenten Kategorie Film noir „analysis of norms“ (Bordwell 1983: 16) befreit. Dies geschieht unter Rekurs auf die werden Vorarbeiten zu einer Umschrift Methodik des Noir-Films und auf die Evo- des Film noir erforderlich. Aufbauend auf lution seiner Verfahren. Dabei wird so- dem neoformalistischen Modell einer Er- wohl der Status quo reflektiert, als auch an zähltheorie des Films (vgl. Bordwell 1985) zeitgenössischen Entwicklungen exempla- wird ein Beschreibungsschema vorgestellt, risch aufgezeigt, welche funktionalen dass elementare Einheiten des Noir-Films Äquivalente das Medium Film dem subjek- zunächst auf ihre Funktion hin befragbar tivierenden Verfahren des Noir-Films im macht. Doch Noir-Film wird nicht nur als zeitgenössischen Film zur Erhaltung sei- Ensemble narrativ funktionaler Einheiten ner Funktionalität – die Objektivierung (Stil, Plot und Thema) konzipiert, sondern psychischer Befindlichkeiten – zur Verfü- darüber hinaus als dynamische Zeichen- gung stellt. Die strukturelle Analyse des struktur beschreibbar gemacht, die Bedeu- dynamischen Zusammenspiels der ästhe- tungen produziert, also zugleich semanti- tischen und außerästhetischen Funktio- sche Funktion hat. nen des Noir-Films macht zugleich eine Der zweite Abschnitt („Film noir – Eine Umstellung der Beschreibung von der Poe- Umschrift“) trägt dieser methodisch-theo- tik zum semiotischen Verdichtungsmodell retischen Revision Rechnung und ermittelt erforderlich – und legt nahe, auch begriff- anhand von Abweichungen und Variatio- lich umzustellen: auf méthode noire. nen, welche filmischen Verfahren in zeitge- 14 Einleitung

nössischen Noir-Filmproduktionen in den Poetik als Verdichtungsmoment subjekti- narrativen Bereichen Stil, Erzähltechnik vierter stilistischer, erzähltechnischer, und Themenwahl dominieren. Ausgangs- thematischer und semantischer Komplexe punkt ist zunächst eine Inventur, die für je- beschreibbar. Eine entsprechend modifi- den der drei Bereiche historische Formie- zierte exemplarische Verfahrensanalyse rungen angibt, vor deren Hintergrund Ab- von LOST HIGHWAY zeigt schließlich die weichungen und ihre Bedeutungen ermit- formalen Wirkmechanismen der Bedeu- telt werden. Auf diese Weise wird nicht nur tungsproduktion konkret am Werk. Sie die historische Poetik des Noir-Films aktua- zeigt auch, dass mit Noir-Film nur ein fil- lisiert, sondern werden zugleich ihre se- misches Verdichtungsmoment bezeichnet mantischen Implikationen mitreflektiert. werden kann, das abhängig von Umfang Strukturelle Zusammenhänge zwi- und Verwendung des subjektivierenden schen filmischer und semantischer Form filmischen Verfahrens und semantischer werden üblicherweise mit Genremodellen Perspektivierung unterschiedlich dichte oder Stilzuschreibungen erklärt. Die struk- Produktionen hervorbringt. Es geht also turelle Kopplung von ästhetischem Ver- nicht um das Entweder-Oder einer Zuge- fahren und Semantik des Noir-Films lässt hörigkeit von ästhetischen Elementen sich aber weder in der einen noch in der und Strukturen zu einem virtuellen Ka- anderen Hinsicht befriedigend erklären. non, erstellt mit Hilfe von Inklusions- und Ausgehend von einer Kritik an diesen Er- Exklusionsregeln. Es geht vielmehr um die klärungsansätzen wird deswegen im drit- Benennung einer Methode, die bestimmte ten Abschnitt („Méthode noire“) das neo- ästhetische und außerästhetische Elemen- formalistische Narrationsmodell um zei- te und Strukturen auf allen Ebenen filmi- chentheoretische Aspekte erweitert. Da scher Prozesse zusammenführt, überlagert Bedeutungsdimensionen im neoformalis- und auf diese Weise verdichtet. Deren Er- tischen Narrationsmodell keine systemati- mittlung folgt ihrerseits einem um zei- sche Stelle zugewiesen wird, obwohl sich chentheoretische Überlegungen erweiter- das Modell zeichen- und bedeutungstheo- ten formalistischen Modell zur Ermittlung retischer Metaphern bedient (cues, mea- der dem Noir-Film zu Grunde liegenden ning etc.), scheint eine Revision des Mo- Zeichenstruktur. Es geht um Dichtegrade dells erfolgversprechend. Ein semiotisch und Abstufungen, nicht um Schwarz und reformulierter formalistischer Narrations- Weiß – und darum, dass erst die Methode ansatz eröffnet schließlich eine neue me- aus der Vielzahl der Stimmen und Instru- thodisch-theoretische Perspektive. Erst mente eine Melodie formt. jetzt wird der Modus seiner historischen 1 Film noir – Eine Erfindung

„Answers First, Questions later.“ wendet. Wie Charles O‘Brien gezeigt hat, Quentin Tarantino bezog sich die Bezeichnung zunächst aus- schließlich auf eine Reihe französischer „It has always been easier to recognize a Filme, insbesondere PÉPÉ LE MOKO (Jahr: Film noir than to define the term.“ 1937, Regie: Julien Duvivier), QUAI DES James Naremore (1998: 12) BRUMES (1938, Marcel Carné), LA BÊTE HU- Film noir ist zu einem Schlüsselbegriffe MAINE (1938, Jean Renoir), HÔTEL DU NORD der Filmgeschichte avanciert. Seine Ent- (1938, Marcel Carné), aber auch auf die wicklung durchlief alle Stadien von der weniger bekannten Filme LE PURITAIN mehr oder minder schroffen Ablehnung (1937, Jeff Musso), L’ÉTRANGE M. VICTOR cineastisch gebildeter, bürgerlich-intellek- (1937, Jean Grémillon) und LA TRADITION tueller und künstlerisch informierter Zir- DE MINUIT (1939, Roger Richebé) oder den kel in Frankreich vor dem Zweiten Welt- bereits kurz nach seiner Erstaufführung krieg bis hin zur mehr oder minder faszi- 1939 beschlagnahmten QUARTIER SANS SO- nierten Zustimmung der gleichen Perso- LEIL, bei dem Dimitri Kirsanoff Regie führ- nenkreise (zunächst) im Nachkriegsfrank- te (vgl. O‘Brien 1996: 7). Film noir bezeich- reich. Zugleich war diese Entwicklung mit nete anfänglich einen Affekt der Filmkri- einigen voluntaristischen Umwertungen tik, die in diesen Filmen die Grenzen der verbunden, wie zu zeigen sein wird. Die Moral der nationalen Kultur überschritten wechselvolle Entstehungsgeschichte des sah. Als „common critical label“ (ebd.: 9) Begriffs gibt zugleich ersten Aufschluss fungierte der Begriff in der polemischen über das widersprüchlich bewertete Phä- Rhetorik der zeitgenössischen Filmkritik nomen namens Film noir, nimmt sie doch zunächst als ideologische Formel gegen die überaus heterogene, zwiespältige und die vermeintlich subversive Kraft einer schwierige Bezeichnungspraxis vorweg, Reihe Filme, die heute dem französischen die entsprechende Forschungen bis heute Poetischen Realismus zugerechnet wer- kennzeichnet. den. Obwohl der pejorative Gebrauch des Entgegen der von der Literatur über adjektivischen Terminus noir überwiegend Film noir immer wieder vorgenommenen Datierung des Beginns der Karriere des Be- Abb. 1 Lichtkanten zerschneiden die Finsternis griffs auf Grund einer Filmkritik aus dem (HÔTEL DU NORD). Jahr 1946 in L’Écran cinéma (Frank 1946), wurde er bereits kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Be- setzung Frankreichs in zeitgenössischen Filmkritiken verwendet. In Anlehnung an die von Marc Duhamel bei Gallimard ver- legten französischen Übersetzungen ame- rikanischer Detektivgeschichten in der „Série noire“, wurde der Terminus film noir zunächst nur zur (negativen) Charakteri- sierung französischer Produktionen ver- 16 1 Film noir – Eine Erfindung

unterstellten gesellschaftlichen Werte- konsens der imaginierten grande nation unterminieren könnten, mutmaßte bei- spielsweise Sadoul, dass die dargestellte so- ziale Trostlosigkeit möglicherweise fa- schistoide Kräfte bestärken könnte (s. Sa- doul 1938: 461ff.). Solche Beurteilungen finden sich allerdings am Rande der Kul- turkritik, in Publikationen, die sich nicht auf Filmkritiken kapriziert hatten. Film noir war der offiziellen Kritik zwar ein poli- Abb. 2 Das unausweichliche Ende im Gegen- tisches Anliegen, blieb als ästhetisch zu licht (HÔTEL DU NORD). würdigendes aber ein randständiges Phä- nomen. Filmzeitschriften wie Pour vous, in den Filmkritiken politisch rechts orien- Ciné-miroir und Cinémonde „do not seem tierter Publikationen zu finden war, ver- to have been the primary venue for elabo- wendeten ihn auch eine Reihe von Auto- ration of the notion of film noir“ (O’Brien ren linker Publikationen, z.B. in der Wo- 1996: 11), obwohl zwischen den großen chenschrift Marianne. In zwar unter- Tageszeitungen sowie den politischen und schiedlicher Bewertung des auslösenden kulturellen Wochenzeitschriften einer- Moments aber in gemeinsamer Abwehr- seits und den Filmzeitschriften anderer- haltung gegenüber scheinbar dekadenten seits durchaus Verbindungen bestanden oder gar schädlichen Filmvisionen vom (s. ebd.). Die Bezeichnung film noir erfährt Verfall der (französischen) Gesellschaft – in dieser ersten Verwendung also offenbar den scheinbar subversiven, von Verbre- eine politische Konnotation, die der Ab- chen und Bestrafung imprägnierten Por- wehr vermeintlich subversiver Bestrebun- traits des Halb- und Unterweltmilieus – gen innerhalb des französischen Kinos der standen einmal mehr die in Fragen der Vorkriegszeit galt. grande nation untrennbaren innenpoliti- Andererseits dürfen die politischen, schen Opponenten Seite an Seite, besorgt ökonomischen und soziokulturellen Rah- um die Außenwirkung: „[I]l peut sembler menbedingungen nicht außer Acht gelas- fâcheux que l’école française du cinéma sen werden, vor deren Hintergrund diese soit représentée par des films qui n’ex- Einschätzungen erst ihre Brisanz erfahren: priment que l‘impuissance des hommes à Die Vorkriegszeit in Frankreich war ge- vivre une vie normale, par des films qui ne prägt von ökonomischer Depression, kor- sont que des longs poèmes du découragen- rupten politischen Machtverhältnissen, ment.“ (Aus einer Kritik des Films LE DER- der gescheiterten Hoffnung auf soziale NIÈRE TOURNANT, Regie: Pierre Chenal. In: Veränderungen, wie sie etwa die links- Marianne, 31. Mai 1939; zitiert nach orientierte Volksfrontbewegung Front O’Brien 1996: 12). populaire unter Léon Blum geweckt hatte, Im Gegensatz etwa zu konservativen und von der faschistischen Bedrohung Filmkritikern wie François Vinneuil ver- durch die Anrainerstaaten Deutschland, muteten politisch links orientierte Film- Italien und Spanien. Und so wenig ver- kritiker wie George Sadoul in dieser Sorte wunderlich es scheint, dass eine Reihe Filme freilich eine ganz andere Art der ci- französischer Filme die politische und so- neastisch formulierten Bedrohung. Im Ge- ziokulturelle Verunsicherung zum Stoff gensatz zur Annahme, dass films noirs den des eigenen Geschichtenerzählens mach- 1 Film noir – Eine Erfindung 17

ten, so wenig erstaunt es, dass eine durch überflüssig gewordenen whodunnit, dessen die Verhältnisse alarmierte Kulturkritik immergleiche Konstruktionsprinzipien ihm den beunruhigenden Filmen mit großer abgenutzt erschienen: Die Aufklärung des Skepsis begegnete. Für den zeitgenössi- Verbrechens nach algorithmisierten Ver- schen Film in Frankreich kann zumindest fahren durch den intellektuellen Detektiv, bereits für die Jahre 1938 und 1939 gesagt der dank seiner investigativen Fähigkeiten werden, dass die Bezeichnung film noir alle Rätsel löst; die Bestrafung des Täters; bzw. noir in Zusammenhang mit Filmbe- schließlich die Wiederherstellung der Ord- schreibungen zur Kritikervokabel avan- nung durch die schützende Staatsmacht. cierte. Noch bevor Nino Frank dem Begriff Die Formelhaftigkeit des Genres schien für zu einer zweiten Karriere verhelfen konn- Frank in den neuen films noirs überwun- te, gab es bereits ein Bewusstsein von der den. Scheinbar mühelos integrierte film filmischen Qualität noir. Hinsichtlich der noir Kriminal-, Detektiv- und Polizeifilm Umwertung nach dem Krieg formierten zu einer neuen Form. die Filme von Carné, Renoir und anderen Für Frank unterschieden sich die französischen Regisseuren also eine Art „films «noirs»“ (Frank 1946: 14) gegen- Film noir „avant la lettre“ (Hirsch 1999: 67; über herkömmlichen Kriminalfilmen ins- Herv. im Orig.). besondere im „dynamisme de la mort vio- Um so erstaunlicher ist allerdings, dass lente et de l’énigme à élucider“, während die Bezeichnung film noir nach der Befrei- sich die Qualität der Schauplätze in die ung Frankreichs nicht mehr zur Etikettie- trügerische Atmosphäre einer „«fantasti- rung der vordem damit diskreditierten que social»“ verwandelte (ebd.: 8). Für französischen Produktionen herangezo- Frank kam es der investigativen Erzählung gen wurde. Während diese fortan dem nicht länger in erster Linie darauf an, Ursa- Poetischen Realismus zugeordnet wurden, chen von Wirkungen zu ermitteln, z.B. verwendete Nino Frank in einem Aufsatz Verbrechen aufzuklären; vielmehr galt für den Begriff film noir nun zur Beschreibung ihn die Aufmerksamkeit der Erzählungen einer Reihe US-amerikanischer Produktio- jetzt Verhaltensstudien psychologisch nen, die erstmals nach dem Krieg wieder nicht eindeutig definierbarer Figuren und in Paris zu sehen waren. In seinem Aufsatz ihrer Verstrickungen in unübersichtliche „Un nouveau genre ‚policier‘: l’aventure crimi- kriminelle Abenteuer (vgl. ebd.). Am Ran- nelle“, erschienen 1946 in der französi- de der sich sozialen Verhältnissen wid- schen Filmzeitschrift L’Écran français,be- menden Filmkultur tauchte also ein Phä- schrieb Frank die veränderten Qualitäten nomen auf, dass die vorherrschende Per- des US-amerikanischen Kriminalfilms an- spektive umzukehren schien: Eine Art Ge- hand der Filme LAURA (1944, Otto Premin- genentwurf zu den realistischen Entwür- ger), DOUBLE INDEMNITY (1944, Billy Wil- fen und filmischen Errettungen einer idea- der), THE MALTESE FALCON (1941, John lisierten Wirklichkeit, der sich nicht län- Huston) und MURDER,MY SWEET (1944, ger mit einer Re-Affirmation einer wie Edward Dmytryk). Frank entdeckte nicht auch immer idealisierten Welt- und Ge- nur Veränderungen innerhalb des Krimi- sellschaftsordnung zufrieden gab. Die ver- nal- und Detektivfilm-Genres, das um das änderten noir-Bilderordnungen brachten Moment des kriminellen Abenteuers und das Unerhörte bzw. Ungesehene einer so- des psychologisierten Verbrechens erwei- zialen Realität zu Bewusstein und die pes- tert wurde, sondern interpretierte die neu- simistische filmische Erzählung von der en Filme als begrüßenswerte Nachfolger Gesellschaft entpuppte sich als düstere des seiner Meinung nach redundant und Phantasmagorie sozialer Zustände. Das 18 1 Film noir – Eine Erfindung

Kino, in dem Film bislang auch als Kom- Die Faszination für diese Fähigkeit ei- pensat für negative soziale Erfahrungen in niger Hollywood-Produktionen prägte der Rolle des Trösters und Verdrängers nicht nur Nino Franks Text. Im August fungierte, konnte die Bilder offenbar nicht 1946 entdeckte Jean-Pierre Chartier in ei- mehr zurückhalten, die wie eine Allegorie nem Aufsatz, dass offenbar die Amerikaner der realen Nachkriegsverhältnisse wirk- „aussi fonts des films ‚noirs‘“ (Chartier ten. Und vielleicht war es der affektive, in- 1946). In seinem Text registrierte Chartier tellektuelle Schrecken auf Grund der Fest- eine enge Anbindung des Film noir an Tra- stellung des globalen Ausmaßes der Desil- ditionen des europäischen Films, was spä- lusionierung in der westlichen Hemisphä- ter unter anderem dazu führte, die Einflüs- re infolge tiefgreifender soziokultureller se des deutschen Expressionismus, des Umbrüche, der – vermittelt durch die eige- französischen Poetischen Realismus und ne Faszination – zur Etablierung – des Be- des italienischen Neorealismus zu über- griffs Film noir führte. Dessen Semantik schätzen. ließ sich jedenfalls fortan nicht mehr aus Auch Raymond Bordes und Étienne den Berichten der Kritiker und schließlich Chaumetons Panorama du film américain auch der wissenschaftlichen Beschreibung (Borde, Chaumeton 1955) bewertete Film dieser filmischen Erzählungen entfernen. noir vor dem Hintergrund kultur- und In der von Nino Frank eingeläuteten kunstgeschichtlicher Traditionen, insbe- veränderten Begriffsverwendung kündigte sondere aber des französischen Surrealis- sich auch eine semantische Verschiebung mus, mit dem beide Autoren selbst in en- von der kulturellen Verurteilungsformel gem Kontakt standen. In ihrer einflussrei- hin zur Betrachtung einer spezifischen äs- chen Untersuchung des Film noir warfen thetischen und narrativen Differenzquali- Borde und Chaumeton erstmals Fragen tät an. Angstlust, die Faszination des Un- nach einer Klassifikation des Noir-Phäno- durchschaubaren, Schwarzen, Dunklen mens und seines filmhistorischen Status und Bedrohlichen, Pessimismus als ästhe- als Serie, Genre, Zyklus, Stil, Schule, Stim- tischer Genuss und möglich gewordene mung oder filmischen Ausdruck des Zeit- Erzählperspektive im Film jenseits des geistes auf (ebd.). Obwohl die einzelnen Horror- und Gespensterfilms, brachte Film Zuschreibungen nicht immer trennscharf noir auf den ästhetisch wirksamen Punkt verwendet wurden, scheinen Borde und und konnte sich auch deswegen als neue Chaumeton den Begriff série zu favorisie- Bilder- und Erzählordnung etablieren, de- ren, sprechen in ihrem Resumée sogar von ren Tradition – nicht nur aber auch – in einer „école de la série noire“ (ebd.: 193). Frankreich allerdings lange vor das Datum Borde und Chaumetons Entwurf hat die zurückreichte, das Nino Frank setzte. Neu- Forschung um den Film noir lange Zeit ge- artig war Film noir auch in der Hinsicht, prägt. Angesichts der Verbundenheit bei- dass hier erstmals von Kritiker-, d.h. auch: der Autoren mit dem französischen Sur- Zuschauerseite ein Diskurs etabliert wur- realismus scheint es bemerkenswert, dass de, der auf der Seite der Filmproduktion der visuelle Stil für Borde und Chaumeton bis dato nicht geläufig war. Vor diesem nur eine untergeordnete Rolle spielte. Das Hintergrund erst lässt sich von Film noir Interesse an der sozialen Funktion des als eigenständiger filmischer Qualität Film noir, dem Entwurf einer dekadenten sprechen, von einer sich verselbstständi- Gesellschaft in einer pessimistischen Er- genden Bezeichnungspraxis, die eine pro- zählung von ihr, dominierte die Ausfüh- blematische Verwendung des Begriffs in rungen. Borde und Chaumeton erlagen Filmkritik und -wissenschaft nach sich zog. schließlich der Versuchung, Film noir 1.1 Erste Annäherungen 19

auch zeitlich zu determinieren, zunächst wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem von 1941 bis 1953, in einer späteren Neu- Phänomen Film noir – und somit letztlich auflage schließlich bis 1955. Dennoch zugleich Auslöser für viele Verkürzungen, wurde der Entwurf zum gewichtigen Aus- die die Debatte um den Film noir seither gangs- und Bezugspunkt anschließender geprägt haben.

1.1 Erste Annäherungen

1.1.1 Frankreich US-amerikanischen Kino nobilitierte nach dem Krieg das, was zuvor bedenklich er- In der anfänglichen Begriffsbestimmung schien (vgl. Kuisel 1996). Die von der des Film noir – überwiegend anhand in- französischen Filmkritik in den 1940er haltlicher Merkmale auf einer vermuteten und 1950er Jahren installierte Semantik Aussageebene – kam in erster Linie die des Film noir gestattete den französischen Faszination linker französischer Intellek- Linksintellektuellen letztlich, unter Ver- tueller wie Frank und Borde/Chaumeton drängung der eigenen widerspruchsvollen für filmische Phantasmagorien des Zer- unmittelbaren Vergangenheit fetischisier- falls zum Ausdruck. Die Vorstellung, dass te Cinephilie mit kultureller Kritik zu ver- von einer sozialen Ordnung eine existen- binden. zielle Gefahr für das Individuum ausge- Indem sie französische Produktionen hen könnte – und sei es nur in der filmi- von der Betrachtung ausschlossen und an- schen Fiktion –, schien ebenso paranoid stelle filmanalytischer Exegese Vermutun- wie verführerisch angesichts der Ereignis- gen über sozialkritische Inhalte anstellten, se im Kontext des Zweiten Weltkriegs in begünstigten Borde und Chaumeton eine Frankreich und der hegemonialen Bestre- Lesart des Film noir als filmisches Abbild bungen der USA in der Nachkriegszeit. Die realer sozialer Verhältnisse in den USA. Imaginationen des Film noir schienen der Dass die englischsprachige Filmkritik und paradoxen Beziehung französischer Intel- -wissenschaft davon ausgehend die attrak- lektueller zur Kultur der USA als geeignete tive Begrifflichkeit ohne Kenntnisnahme filmische Übersetzung dieses Wunschden- ihrer kulturhistorischen Bedingungen zur kens. Vor dem Zweiten Weltkrieg kultur- Charakterisierung ausschließlich der eige- kritisch beargwöhnt, schien Film noir in nen Filmproduktion adaptierte, über- der US-amerikanischen Version als will- rascht deswegen kaum. Auch wenn es kommene filmische Formel. Gerieten in nach Borde/Chammeton noch etwa 15 Frankreich vor dem Krieg offenbar alle Jahre gedauert hat, bis ihre Vorgaben auf- Spuren des „sozialen Phantastischen“ in gegriffen wurden (Durgnat 1970, Schrader eigenen Filmproduktionen unter Subver- 1972), setzt die positivistische Übernahme sionsverdacht, schienen US-amerikani- des Begriffs unter Missachtung seiner kul- sche nach dem Krieg die Möglichkeit zur turellen Implikationen dennoch eine lan- kinematografischen Kritik an bestehen- ge Tradition des bilateralen Austauschs den sozialen Verhältnissen zu eröffnen. von Komplimenten zwischen Vertretern Der amour fou zwischen amerikaskepti- zweier Hegemonialmächte des letzten scher französischer Kulturkritik und ihrer Jahrhunderts fort. Thomas Elsaesser paradoxen Affinität insbesondere zum schreibt die Nachkriegswahrnehmung des 20 1 Film noir – Eine Erfindung

Phänomens, das fortan als Film noir be- THE MALTESE FALCON als „spectacular, co- zeichnet wurde, einer „Kulturpolitik des lourful crime drama“ (The Kinemato- Austauschs von Komplimenten“ (Elsaesser graph Weekly 1942: 24) mit einer verwir- 1997: 20) zwischen Frankreich und den renden Geschichte und einer obskuren USA zu, deren wirtschaftlicher Hinter- Moral. Ausgezeichnete Charakterzeich- grund die Blum-Byrnes-Verträge von 1946 nung, differenzierte Regie, einfallsreiche bildeten, die den französischen Markt Kameraarbeit und „a masterly exposition nach dem Krieg für US-Filme öffneten of the delayed action technique“ begrün- (vgl. Mazdon 2000: 8f). Paradoxerweise deten damals die Beurteilung als „very clear, befanden sich unter der importierten fil- even if eccentric, crime entertainment.“ mischen Massenware auch Produktionen, (Ebd.) Daneben bescheinigt der Text dem die sich nicht nahtlos der „unerbittlichen Film die Fähigkeit, die Spannung aufrecht Kolonisierung aller Bereiche durch den zu erhalten, obwohl er das Publikum „for populären Geschmack“ (Elsaesser 1997: the most part in the dark!“ belasse. Vor 21) fügten. Die USA selbst exportierten of- diesem Hintergrund konstatiert der Autor fensichtlich also Filme, die ihr eigenes Ge- schließlich: „It [THE MALTESE FALCON; sellschaftsmodell zu subvertieren schie- B.R.] gives an entirely new and thrilling nen. Der US-amerikanische Film noir lie- slant in popular crime fiction.“ (Ebd.) ferte Frankreichs filminteressierten Intel- In der Wahrnehmung der US-amerika- lektuellen anscheinend ausgerechnet die- nischen Filmkritik erschienen die von der jenigen negativen filmischen Zeit- und französischen Filmkritik als film noir be- Gesellschaftsdiagnosen, die sowohl ihrem zeichneten Produktionen zunächst also Antiamerikanismus als auch ihrer Vorlie- als – wenngleich bemerkenswerte – Varia- be für US-amerikanische Filme entgegen- tionen von Genrestoffen: „The notion of kam. Insofern nobilitierte der Begriff Film dark cinema was not an explicit element noir allerdings eine unbeabsichtigte kul- of either production or consumption du- turindustrielle Offerte. ring Hollywood’s classic period.“ (Palmer Von Anbeginn an verdankt sich Film 1994: 6) Das legt die Vermutung nahe, noir also einer widersprüchlichen Entste- dass die Abweichungen kaum derart irri- hungsgeschichte als Bezeichnung für eine tierend waren, wie es die französisch indu- moralisch verwerfliche filmische Konfigu- zierte Begriffsgeschichte ex post facto na- ration und für den filmischen Ausdruck ei- hegelegt hat. Dies scheint auf der anderen nes intellektuellen Desiderats. Schließlich Seite die Macht der erwartungsstabilisie- scheint es aber, als habe einzig die massen- renden Funktion von Genremustern zu hafte Herstellung und Distribution in und belegen, die wiederum die Wahrnehmung durch die US-amerikanische Filmindustrie des ästhetischen Verfahrens behinderten: das hervorgebracht, was heutzutage als „Reviewers had seen a vague connection Film noir bezeichnet wird: Filme, die between them, but no one tried to invent durch ihre ungewohnte Form alternative a new term. The New Yorker described DOU- Gesellschaftsbeschreibungen als sensatio- BLE INDEMNITY as a ‚murder melodrama‘ nelle Phantasmagorien entwerfen. (16 September 1944), and The Times called it an ‚intellectual exercise in crime‘ (10 October 1944) […] Newsweek 1.1.2 USA said that MURDER,MY SWEET was a ‚brass- In einer Filmkritik aus dem Jahr 1942 be- knuckled thriller‘ (26 February 1946), and schreibt der Autor den von der französi- noted that Para- schen Filmkritik als film noir bezeichneten mount was investing heavily in the 1.1 Erste Annäherungen 21

„hard-boiled, kick-em-in-the-teeth murder cycle‘ (28 January 1946).“ (Naremore 1998: 17). Die zuerst in Frankreich beobachtete Abweichung von filmischen Standards in US-amerikanischen Produktionen vollzog sich auch im Herstellungsland der Filme vor dem Hintergrund eines vielschichti- gen historischen Wandels (vgl. Heideking 1999). Mit Einsetzen der Industrialisie- rung in den USA veränderte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die zuvor agra- rische Gesellschaftsstruktur der USA zu ei- Abb. 3 „Crime Entertainment“ im Dunkeln: Stilisierung auch an Nebenschauplätzen. ner städtischen. Seit etwa 1920 lebten in den USA mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Die Veränderung von agra- mastermind“ (Vernet 1993: 17) der klassi- rischen zu industriellen Produktionswei- schen, insbesondere europäischen Detek- sen, von Land- und Viehbesitz zur Lohnar- tiverzählungen, erscheint in den neuen beit, löste Traditionsbestände auf, indem Geschichten die Figur des Privatdetektivs die alten politischen Ideologien der Hei- als Repräsentant veränderter sozialer Ver- mat, der Erschließung und Inbesitznahme hältnisse: als Kristallisationsfigur eines neuen Landes und des patriarchalen Fami- neuen, ebenso desillusionierten wie zyni- lienmodells zunehmend mit den neuen schen Individualismus‘. Das Beharren auf ökonomisch determinierten Ideologien individuellen Rechten, persönlicher Frei- des Konsums und Wohlstandes konfron- heit und Unabhängigkeit sowie ein Primat tiert wurden und in Konflikt gerieten. Der hedonistischer Lebensführung charakteri- ideologische Wandel konnte mit dem öko- siert diesen neuen Detektivtypus, der sich nomischen Wandel kaum Schritt halten. nicht länger außerhalb des Verbrechens Erst nach der Depressionszeit schienen bewegt, sondern oftmals selbst darin in- sich die Konfliktlinien allmählich aufzulö- volviert ist. Für Marc Vernet ist es insbe- sen, als Roosevelts New-Deal-Politik die sondere die Wirkmächtigkeit dieser „po- unter ökonomischen Druck stehende so- pulistic ideology“ (ebd.: 18) eines selbstbe- ziale Ordnung politisch abzusichern ver- wussten Individualismus, deren Träger der suchte: „Mit ihrer Bereitschaft, Verantwor- Privatdetektiv ist, aus der sich der Erfolg tung für die soziale Lage der Mittel- und entsprechender Erzählungen auch in Unterschicht zu übernehmen [...] ver- Frankreich nach dem Krieg erklärt. Neben scheuchten Roosevelt und die Demokrati- der Erfindung des Tonfilms, der die Gangs- sche Partei das Gespenst der Resignation“ terfigur endlich sprechen machte, ist es für (ebd. 312), wenngleich der ökonomische Jonathan Munby die Massenproduktion Erfolg der Maßnahmen vergleichsweise von Gangsterfilmen, die in Folge der De- gering ausfiel. pressionszeit der 1930er Jahre zugleich In diesem Zeitraum entstanden in der half, „the nation‘s collective identificati- Massenliteratur der so gennanten pulp fic- on with the desires of ‚new‘ Americans for tion diejenigen hard-boiled-novels, die spä- a fairer share of the American pie“ (Munby ter großen Einfluss auf die Erzählungen 1999: 4) zu festigen. Als fiktiver Wahrer des Kriminal-, Detektiv- und Gangster- humanistischer Werte in einer Zeit, in der films hatten. Anders als das „gentleman Staat und Öffentlichkeit dem Individuum 22 1 Film noir – Eine Erfindung

diese Werte offenbar nicht länger garan- tion zugleich also auch an einer ideologi- tieren konnten, figuriert der Privatdetek- schen Leerstelle: Die Krise nationaler Iden- tiv zugleich als Identifikationsfigur des in tität, erlebt als individuelle Verlusterfah- seinem Bestand sich gefährdet sehenden rung. Der erfolgreichen Verbreitung dieser wertkonservativen Kleinbürgertums. „[I]t Erzählungen in der populären Massenlite- is a matter of a conservative reaction on ratur folgte das Medium Film mit einer the part of the petty bourgeoisie“ (ebd.: Verzögerung von ungefähr zehn Jahren. 19), die Angst vor dem sozialen und öko- Etwa um 1940 herum wurden innerhalb nomischen Abstieg also, die für Vernet der Standards des realistischen Erzählki- den Erfolg der hard-boiled-Geschichten er- nos Hollywoods ästhetische und narrative klärt. Verfahren erprobt, die den Erfolg der hard- Nicht zuletzt wurzelte die populäre boiled-Erzählungen auf filmischer Ebene Massenliteratur der hard-boiled-school mit wiederholbar machen sollten. Formen in- ihren „hartgesottenen“ Helden und drasti- vestigativer Erzählungen wurden mit ex- schen Darstellungen in der Filmerfahrung pressiven Ästhetiken verbunden und zu ihrer Autoren (vgl. Prümm 1986). Im Ge- realistisch wirkenden, subjektivierenden gensatz zu den artifiziellen, distinguierten Narrationen verdichtet. Dieses filmische Settings der klassischen Detektiv- und Kri- Verfahren erwies sich als ebenso erfolgrei- minalliteratur lieferten insbesondere die ches Erzählmodell wie sein literarischer Romane von Raymond Chandler und Da- Vorgänger, als funktionales Äquivalent shiell Hammett „realistischere“, d.h. ge- hinsichtlich erzählerischer und ökonomi- genwarts- und alltagsbezogenere Erzäh- scher Effektivität. Erst später allerdings lungen des Verbrechens, für die die Dar- wurde diese filmische Praxis als Film noir stellungskonventionen des Gangsterfilm- bezeichnet. Wie die hard boiled novels genres Pate standen. Die auch ökono- partizipiert Film noir thematisch an den misch erfolgreichen Versuche der literari- ideologischen Unsicherheiten einer sozio- schen Übersetzung der Bilderordnungen kulturellen Übergangsphase in der US- und Klischees des US-amerikanischen amerikanischen Geschichte. Gangsterfilms wirkten schließlich zurück Der Zweite Weltkrieg bildete schließ- auf das Medium, dem sie sich verdankten, lich den historischen Rahmen sowohl für den Film: „Der ‚film noir‘, Hollywoods einen Popularitätszuwachs als auch für das ‚Schwarze Serie‘ der 1940er Jahre, nimmt Verschwinden des Film noir. Die Kriegs- nun diese vom Film inspirierte Erzählwei- produktion machte den verstärkten Ein- se wieder ins Kino zurück“ und kreiert da- satz weiblicher Arbeitskräfte notwendig raus ein moralisch ambivalentes, „emotio- und sorgte unfreiwillig für einen emanzi- nal betontes physisches Kino der Angst patorischen Schub, während sich die aus und Bedrohung“ (Prümm 1986: 373). dem Krieg heimkehrenden Soldaten vor Die durch den ökonomischen Wandel dem Hintergrund der eigenen Kriegserfah- ausgelösten soziokulturellen und ideologi- rungen mit einer veränderten Arbeits- und schen Veränderungen in den USA boten Lebenswelt auseinandersetzen mussten, in nicht nur Stoff für literarische Fiktionen, der sich die Rollenzuschreibungen verän- sie hinterließen nach der Weltwirtschafts- dert hatten. Vor diesem Hintergrund krise zugleich ein Vakuum an nationalen scheint es kaum überraschend, dass Erzäh- Mythen und Ideologien. In der Folge des lungen, in deren thematischen Zentrum sozialen Identitätswechsels von der agrari- desorientierte männliche Protagonisten schen zur Massenkonsumgesellschaft kon- mit starken Frauen oder femmes fatales densierten die Themen der hard-boiled-fic- konfrontiert wurden, Publikumserfolg 1.1 Erste Annäherungen 23

Abb. 4 Verbrechensplanung in zwielichtigen Abb. 5 Verzweiflung und Schrecken in der Hinterzimmern (THE ASPHALT JUNGLE). Bildsprache des Film noir (THE ASPHALT JUNGLE). hatten. Daraus lässt sich zwar nicht ablei- economy was directly mirrored in the sor- ten, dass Film noir diese gesellschaftlichen didness of the urban crime film.“ (Schra- Verhältnisse repräsentiert oder gar wider- der 1972: 9) Die Unsicherheiten des Pro- spiegelt; es lässt sich lediglich feststellen, zesses der politischen, ökonomischen und dass die tiefgreifenden Veränderungen auf soziokulturellen Neu- und Umdefinition allen gesellschaftlichen Ebenen in der US- der nationalen Identität der USA nach amerikanischen Kriegs- und Nachkriegs- dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten zu- geschichte die Erzählungen des Film noir mindest für kurze Zeit einer spezifischen offenbar als interessante Alternative zu Form des Filmemachens die Entwicklung Standard-Studioproduktionen erscheinen einer veränderten Ausdrucksweise des fil- ließen. mischen Realismus. Schrader beobachtete Nur wenige Filme adressierten unmit- für diese Zeit Veränderungen des Film noir telbar reale soziale Konflikte. Vielmehr von wortlastigen Studioproduktionen zu stieß Film noir in eine soziokulturell präfi- Filmen, die dominiert wurden von „psy- gurierte ökonomische und ästhetische Ni- chotic action and suicidal impulse“ (ebd.: sche, die der klassische realistische Erzähl- 11f). Im Zuge der sozialen Entwicklung der film thematisch nicht füllen konnte: fata- USA zu einer konsumorientierten Wohl- listische Männer- und Frauenbilder, Abwe- standsgesellschaft in einer scheinbar poli- senheit der Familie als Quelle des Sozialen, tisch und militärisch gesicherten Sphäre die urbane Umgebung als undurchsichti- nahm das Interesse an defätistischen Er- ger THE ASPHALT JUNGLE (1950, John Hus- zählungen schließlich gegen Ende der ton) und Ort unkontrollierbarer Gewalt 1950er Jahre ab. Die erste, massenhaft sowie das Versagen sozialer Ordnungssys- wirksame Blüte einer veränderten Form teme. Der Marktanteil des Film noir reich- des Filmemachens, die Mitte der 1940er te aber zu keiner Zeit an denjenigen des Jahre von Frankreich aus mit dem Begriff herkömmlichen Genrefilms, z.B. des Mu- Film noir belegt wurde, schien vorüber. sicals oder des Western heran. Auch des- wegen scheint die Vorstellung problema- 1.1.3 Filmkritik und Filmwissenschaft tisch, im Film noir spiegele sich eine ge- sellschaftliche Krise, wie Schrader behaup- Der Diskurs über Film noir stand dagegen tet: „The disillusionment many soldiers, erst am Anfang. Obwohl 1968 Charles small businessman and housewife/factory Higham und Joel Greenberg in ihrem Text employees felt in returning to a peacetime „Black Cinema“ (Higham, Greenberg 1968) 24 1 Film noir – Eine Erfindung

erstmals auf die von Raymond Borde und dern (Christopher 1997, Grob 1999). Da- Étienne Chaumeton als films noirs klassifi- neben hat sich eine Reihe von Publikatio- zierten Produktionen aufmerksam wur- nen mit Problemen filmhistorischer Kon- den, ohne sich allerdings begrifflich auf textualisierungen auseinandergesetzt, et- die Vorgabe aus Frankreich einzulassen wa in Untersuchungen zur Einbettung in oder festzulegen, machte erst 1970 Ray- ökonomische Kontexte (Kerr 1996), im mond Durgnats „The Family Tree of Film Hinblick auf Genrestandards (Palmer noir“ (Durgnat 1970) den Begriff im eng- 1994), in Kontexten des klassischen Er- lischsprachigen Raum populär. Es sollte zählkinos (Bordwell 1985) oder ästheti- allerdings bis Paul Schraders „Notes on scher Einflüsse (Vernet 1993, Cargnelli/ Film noir“ aus dem Jahr 1972 dauern, dass Omasta 1997, Grötsch 1997, Elsaesser Film noir die englischsprachige Filmwis- 1999) sowie in umfassenden, Film- als Kul- senschaft erreichte und hier eine anregen- turgeschichte interpretierenden Analysen de und zuweilen aufgeregte Diskussion (Naremore 1998). Insbesondere die von um ein faszinierendes Phänomen entfes- Alain Silver und James Ursini herausgege- selte. bene Film-Noir-Reader-Reihe (bislang 1996 Hatte zunächst Borde und Chaume- und 1999) gibt Auskunft über die Vielfalt tons Bewertung des Film noir als filmische der Perspektiven und illustriert zugleich Kritik realer sozialer Verhältnisse den Blick die unübersichtliche Forschungslage. verstellt für die Einbettung in Produk- Trotz der Heterogenität der analyti- tionskontexte und spezifische filmische schen Zugänge zum Phänomen Film noir Verfahren, so lassen sich Durgnats thema- fällt auf, dass alle Untersuchungen in zeit- tisch und Schraders zeitlich und sachlich licher und sachlicher Hinsicht eine ver- orientierte Klassifizierungsversuche als gleichsweise konsistente filmische Forma- erste Anstrengungen deuten, das Phäno- tion zu Grunde legen. Auf Grund wieder- men systematisch zu erfassen. Insbesonde- kehrender Themen und Ästhetiken wird re Schraders historisch argumentierender Film noir mehrheitlich als Genre aufge- Interpretationsversuch zur Integration fasst (z.B. Higham/Greenberg 1968, Ka- von „techniques, themes and causal ele- plan 1978, Hirsch 1981, Tuska 1984, Sil- ments into a stylistic schema“ (Schrader ver/Ward 1992). Dagegen spricht, dass 1972: 11) markiert den Ausgangspunkt an- Film noir weder auf Seiten der Produktion schließender Forschungen. Diese umfasste noch auf Seiten der Konsumption erwar- Bestandsdefinitionen (Silver, Ward 1979 tungsleitende Funktionen erfüllte und, und Ottosen 1981), Untersuchungen nar- wie die Reaktionen der US-amerikani- rativer (Telotte 1984 und 1989) und visuel- schen Filmkritik gezeigt haben, entspre- ler (Place, Petterson 1974, Silver, Ursini chende Filme als Variationen bestehender 1999) Besonderheiten und insbesondere Genres interpretiert wurden. Mit Ein- Diskursanalysen. Unter letztere fallen schränkungen gilt dies auch für die franzö- ideologische Untersuchungen (Maltby sischen Erfinder des Terminus, die im film 1984), an der Konstruktion von Männer- noir zunächst eine vielversprechende Er- und Frauenbildern kondensierende gen- neuerung bestehender Genres sahen. der-theoretische Analysen (Kaplan 1978/ Daneben existieren insbesondere Stil- 1998, Krutnik 1991, Cowie 1993), existen- Zuschreibungen. Für Paul Schrader etwa zialistische (Porfirio 1976) und psycho- entsteht mit Film noir innerhalb Holly- analytische Deutungen ( i ek 1993 und woods ein eigenständiger, US-amerikani- 2000) sowie motivgeschichtliche Arbeiten scher Stil als ästhetische Antwort auf sozia- etwa über die Konstruktion von Stadtbil- le Problemlagen im eigenen Land (Schra- 1.1 Erste Annäherungen 25

der 1972). Janey Place und Lowell Peter- matischen ins Ästhetische markierte für son lehnen derart politische und soziolo- Schrader zugleich das „noir principle“ gische Erklärungen ab. Für sie ist der Stil (Schrader 1972: 11; Herv. im Orig.). des Film noir zuvorderst gekennzeichnet So nahe liegend und attraktiv dieser durch eine im Vergleich mit den Konven- Zusammenhang auf den ersten Blick er- tionen Hollywoods antitraditionelle Foto- scheinen mag, so viele Fragen lässt er un- grafie und mise en scène (Place, Petterson beantwortet. Nicht nur, dass sich auch die 1974). In Verlängerung dieser Argumenta- übrige Filmproduktion mit denselben tionslinien haben Alain Silver und James Kontextbedingungen konfrontiert sah Ursini Film noir als „movement or cycle“ und durchaus zu anderen Ergebnissen ge- bezeichnet, „not being rooted in any kommen war, sondern auch, dass bereits filmmmaker or filmmakers but in the ge- der Standard-Erzählfilm in kaum geringe- neral scope of film history and in the spe- rem Maße mit dem continuity system eine cific noir-films themselves, the noir style eigenständige Poetik entwickelt hatte, stands on its own.“ (Silver, Ursini 1999: 2) entgeht dieser Betrachtung. Letztlich Dergestalt zum selbstgenügsamen Stil hy- scheint für Schrader die Wirkmächtigkeit postasiert und zum filmhistorischen My- des Film noir allerdings weniger im ästhe- thos verklärt, löst sich der Zugriff auf Film tischen Ausdruck zu liegen, als vielmehr in noir anhand von Stil-Fragen unversehens einer vermuteten künstlerisch absichts- in ästhetizistische Beliebigkeit auf und vollen ästhetischen Auseinandersetzung läuft Gefahr, zum naiven Staunen über die mit sozialen Problemen: „Film noir atta- Bilder zu geraten. cked and interpreted its sociological con- So groß der heuristische Wert der Ent- ditions“ und „because it [film noir; B.R.] deckung des Verhältnisses von Stil und In- was aware of its own identity, it was able to halt im Film noir auch sein mag, so proble- create artistic solutions to sociological matisch erscheint dessen Reflexion im problems.“ (Schrader 1972: 13) Die Be- Hinblick auf andere Parameter des Filme- hauptung ignoriert die Tatsache, dass in- machens. Für Schrader etwa entstand Film nerhalb des Produktionskontextes weder noir vor dem Hintergrund eines angenom- der Terminus Film noir noch eine damit in menen kollektiven „war and post-war dis- Verbindung stehende Programmatik oder illusionment“ und veränderten produk- eine ihrer selbst bewusste stilistische Be- tionsästhetischen Vorzeichen wie „post- wegung vorhanden war, ganz zu schwei- war realism“, dem Einfluss deutscher Film- gen von einem vermeintlichen sozialkriti- leute und der „hard-boiled tradition“ (Schra- schen Impuls. Der Rückzug auf eine außer- der 1972: 10). Anders als im Genrefilm, filmische Begründung des ästhetischen der gekennzeichnet sei von „conventions Verfahrens relativiert zugleich die Trag- of setting and conflict“ (ebd.: 8), werde Film weite von Schraders bemerkenswertem Be- noir durch die subtileren Qualitäten von fund: Die Entdeckung der Poetik des Film „tone and mood“ definiert (ebd.), erzeugt noir. Zumindest hat Film noir, so ist zu durch stilistische Verfahren, die geeignet vermuten, die Wahrnehmung der Filmkri- seien, realistische und expressive Elemen- tik für die Konstruktionsprinzipien filmi- te zu integrieren. Entsprechend schien für scher Poetik innerhalb des Produktions- Schrader Film noir „more interested in sty- kontextes Hollywoods nachhaltig sensibi- le than theme“ (ebd.: 13), für ihn war Film lisieren können. noir „first of all a style, because it worked Daneben scheint Schraders Beobach- out its conflicts visually rather than the- tung einer Radikalisierung der Noir-Erzäh- matically“. Die Transformation des The- lungen von einer anfänglichen romanti- 26 1 Film noir – Eine Erfindung

schen „wartime period“ (1941-46) über scheint die Suche nach dem Movens des eine sozialkritische „postwar realistic peri- Film noir in einem neuen Licht. Bestand od“ (1945-1949) bis zur exzentrischen das Problem – nicht nur – für Schrader vor „period of psychotic action and suicidal allen Dingen darin, eine Begründung für impulse“ (1949-1953; ebd.: 11f) keines- den Stil des Film noir in Veränderungen wegs so eindeutig, wie die Jahreszahlen außerhalb des Filmischen anzugeben, so suggerieren. Abgesehen davon, dass Schra- scheint die Hinwendung zu Abweichun- der diese Periodisierung nicht mit gesell- gen innerhalb etablierter filmischer Ver- schaftlichen Entwicklungen in Zusam- fahren des Erzählfilms selbst, deren Effekt menhang bringt, obwohl doch seiner Mei- Film noir letztlich ist, erfolgversprechen- nung nach Film noir unmittelbar auf so- der. Dennoch ist ein grundlegender Unter- ziale Problemlagen reagiert, räumt er sel- schied damit benennbar geworden: ein ber ein, dass „the dates overlap and so do poetisches Verfahren, dass signifikant von the films; these are all approximate phases den bekannten Mustern des klassischen for which there are many exceptions“ Erzählfilms abweicht. (ebd.: 12). Spätere Produktionen werden dann nur noch als ‚Nachzügler‘ (KISS ME 1.1.4 Exkurs: Subjektivität, Film und DEADLY [1955, Robert Aldrich], THE BIG subjektivierendes Verfahren COMBO [1955, Joseph H. Lewis], ‚Ableger‘ ( [1949, ] , A Den Ausgangspunkt für die Beschreibung BOUT DE SOUFFLE [1959, Jean-Luc Godard], des Noir-Films, so die hier vertretene Auf- LE DOULOS [1962, Jean-Pierre Melville]) fassung, markiert das spezifische poeti- oder Epitaphe (TOUCH OF EVIL [1957, Or- sche Verfahren des filmischen Zeichen- son Welles]) wahrgenommen, obwohl ge- prozesses. Seine dominierende Struktur rade diese Filme Film noir bis zur stilisti- verdankt sich im Noir-Film in erster Linie schen Abstraktion verdichtet haben. Sieht einer Strategie, die sich ebenso knapp wie man von Schraders starrem Zeitschema metaphorisch mit „Subjektivierung“ um- einmal ab, scheint Film noir vielmehr ei- schrieben lässt. Abstrakt gesprochen, ner Entwicklung hin zur Steigerung des schlägt die vorliegende Untersuchung ei- Ausdrucks zu folgen bzw. zu einer Ausdif- ne Konzeption der filmhistorischen Kate- ferenzierung der poetischen Form, also gorie noir als formal subjektivierendes, fortgesetzter ästhetischer Evolution zu un- poetisches Verfahren vor. Damit wird zu- terliegen und eben nicht in Sprüngen an gleich eine Perspektive eröffnet, die eine ein imaginiertes Ende zu gelangen. Nicht Beschreibung von Zeichenprozessen er- zuletzt war auch Film noir bereits aus öko- möglicht, in denen stilistische, narrative, nomischen Gründen auf Produktdifferen- thematische und semantische Elemente zierung angewiesen. dynamisch verdichtet werden. Ausschlag- Marc Vernets hilfreiche Einwände hin- gebend für das subjektivierende Verfahren sichtlich historischer, ästhetischer und ist die Abweichung von einer ästhetischen theoretischer Defizite haben zahlreiche Norm linearen Erzählens, wie sie insbe- filmhistorische Leerstellen in Schraders sondere während der Phase des Studiosys- Argumentation offen legen können (vgl. tems in Hollywood durchgesetzt werden Vernet 1993). Wie Schrader übersieht aber konnte. Und diese Abweichung hat die auch Vernet die für den unmittelbaren Form der Subjektivierung der Erzählper- Entstehungszusammenhang des Film noir spektive. entscheidende Bezugsgröße: das klassische Diese Verwendung unterscheidet sich Erzählkino. Vor diesem Hintergrund er- auf den ersten Blick von anderen Entwür- 1.1 Erste Annäherungen 27

fen des Subjektiven in der Filmtheorie: Sie punkte für Realisationsformen subjekti- bezieht sich nicht auf mögliche Effekte auf vierender Verfahren im Film. Dazu gehö- ein Zuschauersubjekt in dem Sinne, dass ren unter anderem Strategien, die Wahr- das Verfahren bestimmte subjektive Emp- nehmung der Raumkonstruktion durch findungen wie Angst (z.B. Horrorfilme) Licht- und Größenverhältnisse, durch oder Mitleid (z.B. Melodrama) auslöst, ob- simple „Sichtbehinderungen“ wie z.B. Ne- wohl dies als möglicher filmexterner Ef- bel und Regen oder durch das Auseinan- fekt des subjektivierenden Verfahrens kei- derklaffen von visuellen und akustischen neswegs ausgeschlossen wird (z.B. Grodal Hinweisen wie im voice over zu erschwe- 2000); sie lässt sich auch nicht auf die äs- ren. Daneben subjektiviert die Manipula- thetische Konstruktion charakterbezoge- tion der temporalen Ordnung etwa durch ner Subjektivität beschränken, wie sie Montage, Zeitraffer oder Zeitdehnung die durch subjektive Kamera oder point of view Wahrnehmung ebenso wie ein den Zugriff shots realisiert werden (z.B. Branigan auf kausale Motivationen behinderndes 1984), obwohl solche spezialisierten for- assoziatives oder metaphorisches Erzäh- malen Verfahren durchaus bedeutsam für len. Die Inhibition der Handlungsfähig- das subjektivierende Verfahren werden keit von handelnden Figuren durch äuße- können; und sie stützt sich nicht auf die re Umstände bzw. zwangsweise Passivität Annahme, dass das filmische Verfahren kann subjektivierende Effekte erzeugen; Textstrukturen generiert, die das Zuschau- ebenso Traum- oder Phantasieerzählun- ersubjekt psychologisch oder ideologisch gen. Auf Menschen oder ihre Geistesver- determinieren, obwohl auch dies als mög- fassung bezogene Abweichungen von ei- licher filmexterner Effekt des subjektivie- nem angenommenen „Normalzustand“ renden Verfahrens beschrieben werden wie die Darstellung verletzter, kranker, kann (z.B. Mulvey 1975, Baudry 1976). entstellter oder misshandelter menschli- Anders als entsprechende, an formalästhe- Körper oder psychopathischer Cha- tischen, psychologischen oder kulturan- raktere sind ebenfalls zur Emotionalisie- thropologischen Kategorien ansetzende rung geeignet. Grodal fasst unter Subjekti- Theorien des Filmischen, bezieht sich der vierung mithin alles, was eine normalisier- in dieser Arbeit verwendete Terminus te Identifikation des Zuschauers mit dem „subjektivierendes Verfahren“ auf den Dargestellten behindert oder erschwert, Modus des filmischen Zeichenprozesses indem es ihm die (visuelle) Kontrolle über selbst: Das adjektivische „noir“ wird vor das Geschehen entzieht: „The typical way dem Hintergrund und im Unterschied zu of producing film subjectivity is, however, den Traditionen und Konventionen des to block or impede the viewer‘s ability to Zeichengebrauchs der „objektivierenden simulate an enactional relation to the Verfahren“ klassischen realistischen Er- world depicted on the screen.“ (Grodal zählens lesbar gemacht. 2000: 92) Dieser Zugriff unterscheidet sich zu- Im Mittelpunkt der hier vorgeschlage- nächst also von einer Typologie filmischer nen Lesart des Noir-Films steht allerdings Emotionalisierungsstrategien, wie sie etwa eine semiotisch charakterisierbare Diffe- Torben Kragh Grodal herausgearbeitet hat renzqualität, die Narration als Kommuni- (vgl. Grodal 2000). Obwohl Grodals Ent- kationsprozess auffasst, mithin vom Zei- wurf vom subjektiv-emotionalen Zugriff chencharakter des Filmischen ausgeht. des Zuschauers auf das präsentierte Film- Eine zeichentheoretische Konzeption des material ausgeht, liefert seine Beschrei- subjektivierenden Verfahrens umschließt bung zugleich erste konkrete Anhalts- zugleich andere Bedeutungsdimensionen 28 1 Film noir – Eine Erfindung

des Subjektiven und geht über sie hinaus. problematisieren die Relationen der Reali- Bevor die Untersuchung diesen Beweis im tätskonstruktion ästhetischer Verfahren „case of film noir“ (Bordwell et al. 1985: mit historisch variablen Erfahrungswirk- 74) anzutreten versucht, bedarf es einer lichkeiten. Auch wenn das Spektrum der Abgrenzung zu anderen Verwendungen Erkenntnisinteressen von technischen De- des Subjektivitätsbegriffs in der Filmtheo- tailfragen bis zur Metaphysik des Sichtba- rie. Auf diese Weise werden Gemeinsam- ren reicht, konzentrieren sich die Fragen keiten und Unterschiede deutlich. darauf, welche Realität wie ins filmische Werk gesetzt wird, welche Bedeutungsdi- „Hollywood“ mensionen sich daraus ableiten lassen Die Mathematisierung des Bildraumes in und welche Rückschlüsse dies auf die Ent- der Kunst (z.B. durch die Zentralperspekti- wicklung der Gesellschaft, ihrer Individu- ve) hat spätestens seit der Renaissance en oder ihrer Kunstformen zulässt. eine Revision der Vorstellung des Verhält- Versuche, die Zeichenstruktur des Fil- nisses von blickendem Subjekt und ange- mischen von der Bedeutungsseite her zu blickten Objekt erforderlich gemacht. Ins- entschlüsseln, zielen zumeist auf spezifi- besondere die Vorstellung, dass das darge- sche Formen filmischer Repräsentation, stellte Objekt zugleich Garant für die un- wie sie in Hollywood entwickelt und stan- zweifelhafte Existenz einer vom Subjekt dardisiert wurden. Zugleich muss ange- unabhängigen Realität ist, musste revi- merkt werden, dass sich das Erzählsystem diert werden. Das vermutete ontologische Hollywoods selbst einer langen Tradition Verhältnis von Subjekt, Objekt und Reali- des Erzählens in anderen Künsten ver- tät wurde prekär. Zumindest dargestellte dankt und dass auch in anderen Teilen der Realität ließ sich nicht länger als zweifels- westlichen Hemisphäre identische Erzähl- frei unabhängig vom individuellen Ein- muster entwickelt worden sind. Insofern griff denken. In der Kunst wurde deswe- steht Hollywood nur pars pro toto für die gen eine Neubestimmung des Verhältnis- Entwicklung realistischen Erzählens. Die ses von Erfahrungsrealität und dargestell- wesentlichen Parameter dieser Form des ter Realität notwendig und die Antwortet Filmemachens haben sich bis heute kaum lautete Realismus. Was fortan als Realis- verändert: „[T]he overall values that Hol- mus bezeichnet wird, lässt sich danach lywood cinema still promotes are those of nur noch auf einen Kanon sozialer Regeln individualism, materialism, heterosexua- bzw. Codes beziehen, die darauf abzielen, lity [...], and the nuclear family. And it pro- die Beziehung der Repräsentation zur kol- motes these values through a specific set lektiven (Erfahrungs-)Realität zu regulie- of cinematic codes, prime among which is ren. Realität in diesem Sinne ist nicht illusory realism.“ (Kaplan 1998b: 281) Das mehr einfach – z.B. von Gott – gegeben, dominierende narrative Verfahren des „il- sondern Resultat soziokultureller Selbst- lusionistischen Realismus“ erzeugt durch verständigungsprozesse, ein mehr oder psychologisch motivierte Handlungen so- weniger akzeptierter, mehrheitsfähiger wie kausale, zeitliche und räumliche Li- Konsens über Regeln, „satisfactory to the nearität einen Realitätseindruck, der die society that creates those rules“ (Aumont Spuren seines Herstellungsprozesses weit- 1997: 75; Herv. im Orig.). gehend zu eliminieren trachtet. Zu diesem Sowohl soziologisch, kulturanthropo- Zweck, d.h. aus Gründen einer realistisch logisch oder psychoanalytisch argumen- motivierten, an der Wahrnehmungsbewe- tierende Theorien als auch formalistische gung des Menschen orientierten „Wahr- Ansätze setzen an diesem Punkt an. Sie nehmungsplausibilität“ (Hickethier 1993: 1.1 Erste Annäherungen 29

148) sind unterschiedliche stilistische und len, kulturellen und psychologischen Be- narrative Verfahren entwickelt und nor- dingungen erscheinen zu lassen, objekti- miert worden. Die Eliminierung von auf- viert andererseits zugleich die filmische fälligen Brüchen in der linearen Wahrneh- Aussage. Das objektivierende Verfahren mungsstruktur – etwa durch optische Ach- unterdrückt formalästhetisch den eigenen sensprünge (180°-Regel, 30°-Regel) oder auf Konventionen beruhenden Konstruk- jump cuts – soll die möglichst realistisch tionscharakter, d.h. auch: die Subjektivität wirkende Illusion eines ununterbroche- der Aussageform. nen Geschehens garantieren. Innerhalb dieser Parameter bemühen sich psycholo- Klassischer realistischer Text gisch eindeutig definierte Individuen dar- „Die Apparatur hinter dem Schein ver- um, ebenso eindeutig definierte Probleme schwinden zu lassen“ ist zugleich immer zu lösen bzw. Ziele zu erreichen. Im Effekt wieder als „Zielsetzung des Hollywoodki- erzeugt das so skizzierte System kohären- nos“ (Hickethier 1993: 150) interpretiert ter Narration fiktionale Geschlossenheit, und Anlass für ideologiekritische Einwän- indem es seine eigene Wahrhaftigkeit de gegen diese Form realistischen Erzäh- selbst erzählend konstruiert und auf diese lens geworden. So unterschiedliche theo- Weise ein eigenes Gedächtnis ausbildet. retische Entwürfe wie der des „klassischen Die Narration steuert sich also insofern realistischen Texts“ (MacCabe 1977), der selber, als die präsentierten Informationen Apparatus-Theorie (Baudry 1976) oder der alle weiteren Informationen limitieren. psychoanalytischen Filmtheorie (Mulvey Dabei erzeugt sie fortlaufende Unsicher- 1975) haben in den filmischen Strukturen heit über das Geschehen und macht so die insbesondere des klassischen narrativen ununterbrochene Bereitstellung weiterer Films Objektivierungen historisch lokali- Informationen notwendig, die wiederum sierbarer kultureller, sozialer und psycho- neue Ungewissheiten erzeugen – bis das logischer Wertvorstellungen ausgemacht zuvor definierte Ziel erreicht ist, d.h. aus- und ideologiekritisch gedeutet. Colin reichend Informationen zur Auflösung der MacCabe etwa hat das Problem des filmi- Unsicherheit mitgeteilt worden sind. Die schen Realismus‘ in Verbindung mit der virtuellen Unsicherheiten über das Voran- narrativen Organisation des „klassischen schreiten der Erzählung regen schließlich realistischen Texts“ gebracht. Ausgangs- den Zuschauer zur Hypothesenbildung an. punkt von MacCabes Analyse ist die Ver- Doch erst der Unterschied zwischen der wendung von geschriebener und gespro- als geschlossen erkennbaren fiktionalen chener Sprache – Metasprache und Ob- Realität und der Erfahrungsrealität des Zu- jektsprache – im realistischen Roman des schauers erlaubt es ihm, beides auseinan- 19. Jahrhunderts, dessen formale Struktur derzuhalten, fiktionale Realität als solche für MacCabe unverändert „einen Großteil wahrnehmen zu können – auch wenn da- der Filmproduktionen bis heute be- mit noch nichts über Motivationen des herrscht.“ (MacCabe 1977: 241) Für Mac- Austauschverhältnisses beider Realitäts- Cabe besteht zwischen den beiden diskur- ebenen gesagt werden kann. David Bord- siven Formationen der geschriebenen und well hat diesen Standard fiktionalen filmi- gesprochenen Sprache im realistischen schen Erzählens als „canonical story for- Roman ein hierarchisches Verhältnis, in mat“ bezeichnet (Bordwell 1985: 35; Herv. dem die Metasprache empirische Wahr- im Orig.). Die technische Anstrengung, heitskriterien für die Objektsprache vor- den filmischen Ausdruck als unabhängig gibt (vgl. ebd.). Mit anderen Worten: Die von außerfilmischen apparativen, sozia- Narration legt die Bedeutung aller ande- 30 1 Film noir – Eine Erfindung

ren Diskurse fest; oder, formal betrachtet: schauer vermittels des Verfahrens zu- die Form determiniert den Inhalt. Das gleich die Bewertungsgrundlage zur Beur- heißt: Zwar wird innerhalb technischer teilung des Geschehens liefert. Verfahrenskonventionen alles Mögliche thematisierbar, aber bedingt durch die Re- Realistische Motivation gularien des Verfahrens nur eine be- Obwohl MacCabes an formalen Katego- stimmte Lesart zugelassen. Problematisch rien des Filmischen ansetzende Exegese wird dieses Verhältnis für MacCabe aber des klassischen realistischen Textes der erst deswegen, weil der „narrative Dis- Verdienst zukommt, ausgehend von ei- kurs“ unablässig den „eigenen Status als nem strukturellen Verfahrensbegriff des ‚Geschriebenes‘ negiert“ (ebd.: 242), d.h. Narrativen den Blick auf das Verhältnis das eigene Gemachtsein verbirgt. Die von Film und Zuschauer gelenkt zu ha- Grenze zwischen Illusion und Realität ben, ist an seiner ideologiekritischen In- wird auf diese Weise tendenziell aufgeho- terpretation vielfach Kritik geäußert wor- ben, das Gemachte erscheint objektiv und den. David Bordwell hat eingewendet, deswegen zugleich auch wahr zu sein, die dass das Textmodell keineswegs nur dem Fiktion wird objektiviert. Dass allerdings realistischen Roman im 19. Jahrhundert die Narration sich selbst als „das Wirkli- zu Grunde liege, sondern sich auch auf che [...], das immer schon vorgängig Arti- andere Textsorten beziehen lasse, vom kulierte“ ausgibt, offenbart für MacCabe Zeitungsbericht bis zur Aktenaufzeich- die ideologische Funktion des klassischen nung; außerdem ignoriere MacCabes Pau- realistischen Texts: Weil der klassische schalisierung eine mögliche Differenzie- realistische Text die Narration selbst als rung in Subgenres (vgl. Bordwell 1985: 18) unhinterfragbar gegebene Wirklichkeits- und taxiere die Bedeutung realistischer struktur konstruiert, kann er „die Wirk- Prosa im 19. Jahrhundert historisch zu un- lichkeit nicht als widersprüchlich behan- differenziert (ebd.: 20). Problematisch sei deln“ (ebd.: 243). Deswegen konstruiert insbesondere aber MacCabes „conception die realistische Erzählweise den Zuschauer of metalanguages and discourse“ (ebd.: als jemanden, der in den Text (oder auf 19). MacCabe übersehe beispielsweise, die Leinwand) wie in einen Spiegel blickt, dass Objektsprache selbst metasprachli- nur „um die Dinge wahr-zu-nehmen“ (vgl. che Qualitäten annehmen könne, sofern ebd.: 243; Herv. im Orig.), also das Ge- sie etwa innerhalb eines weiteren Sprech- machte als verbindliche und gültige akts einer fiktiven Figur geäußert wird. Wahrheit zu erkennen. Wie in der meta- Und sofern ein realistischer Text aus- sprachlichen Struktur des realistischen schließlich aus gesprochener Sprache be- Romans fungiert für MacCabe auch im stehe, könne er sogar ganz auf Metaspra- Film die Erzählung der Ereignisse (Narrati- che verzichten. Außerdem ignoriere die on) als „wissende Instanz“, d.h. als Reali- Beschränkung der Objektsprache auf Ge- tätsgarant: „Mit Hilfe des Wissens, das wir sprochenes stilistische Möglichkeiten wie aus dieser Erzählung gewinnen, können etwa die Form der indirekten Rede. Letzt- wir die Diskurse der diversen Protagonis- lich übersehe MacCabes grobe Differen- ten von ihrer Lage trennen und das in die- zierung von Metasprache und Objektspra- sen Diskursen Gesagte mit dem verglei- che die Komplexität realistischer Narrati- chen, was uns durch die Erzählung ent- on und die Ambiguität möglicher Bedeu- hüllt worden ist.“ (Ebd.: 242) Die Narrati- tungsebenen (vgl. ebd.: 20). on objektiviert also das Geschehen, in- Auf der anderen Seite lehnt Bordwell dem sie zeigt, was geschieht und dem Zu- selbst eine an „realistischen“ Kategorien 1.1 Erste Annäherungen 31

entwickelte Konzeption von Narration sen Gesichtspunkten mehr als die aus- keineswegs ab. Anstatt allerdings auf un- schließliche Zuschreibung aufs Poetische präzise historische Zuschreibungen oder oder auf Bedeutungen. Doch dazu später linguistische Metaphern zurückzugreifen, mehr. An dieser Stelle soll zunächst der müsse die Realismus-Frage an das filmi- Hinweis genügen, dass dem klassischen sche Material selbst, an narrative Motivat- realistischen Text eine Motivationsstruk- ionen gebunden werden, verstanden als tur zu Grunde liegt, die sich spezifischen „process by which a narrative justifies its historisch variierenden Zuschreibungen, story material and the plot‘s presentation also Konventionen des Zeichengebrauchs of that story material.“ (Bordwell et al. verdankt. Vor diesem Hintergrund hat et- 1985: 19) Diese Operationalisierung be- wa Jacques Aumont realistische Erzählmo- freit das Realismus-Konzept MacCabes delle als „product(s) of social demand, and nicht nur von der problematischen Über- of ideology in particular“ (Aumont 1997: nahme linguistischer Begriffsbildungen 158) bezeichnet. Ausgehend von einer De- für den Film, sondern insbesondere auch finition, nach der ein realistisches Bild ein vom Entwurf eines abstrakten Zuschauers, Maximum relevanter Informationen ver- der zwischen Illusion und Realität nicht mitteln muss, um es der Wahrnehmung unterscheidet. Realistisch ist für Bordwell leicht zugänglich zu machen, betont Au- lediglich die Motivation, die das Verfah- mont den Aspekt der Relativität dessen, ren begründet und Realismus schließlich was als relevante Information gilt: „[I]t de- ein Effekt der narrativen Ordnung, die das pends on the amount of stereotyping in Verhältnis von Erzählstruktur und Erzähl- the conventions used in comparison with tem konstruiert. Vor diesem Hintergrund the predominant convention of represen- unterscheidet Bordwell verschiedene Kon- tation.“ (Aumont 1997: 157) Und insofern zeptionen realistischer Narration: klassi- „realism is only the measure of the ratio sche, Kunstkino-, historisch-materialisti- between the currently dominant represen- sche und parametrische Narration (s. tational standard and the system of repre- Bordwell 1985). sentation use in a given image“ (ebd.), be- Die Analyse realistischer Motivatio- darf die Motivationsanalyse des Noir- nen gründet in dieser Version also auf der Films einer Bestimmung des Grades der Ermittlung narrativer Verfahren durch die Abweichung von der dominierenden Form Untersuchung poetischer Strukturen. An- des realistischen Diskurses. Dessen Modell gesichts der expressiven poetischen Form ist letztlich der klassische Erzählfilm. des filmischen Ausdrucks im Noir-Film lässt sich dessen Form der Erzählung unter Realistische Bedeutungen – Apparatus dem Gesichtspunkt realistischer Motivat- Mit dieser Wendung rücken außerfilmi- ion mit Subjektivierung umschreiben. sche Diskursebenen ins Blickfeld, die be- Doch Motivationen sind untrennbar mit reits in MacCabes Zuspitzung einer ideo- Motiven verbunden, konventionalisierten logischen Funktion des realistischen Texts Erwartungsstrukturen, Absichten und In- angedeutet worden sind. Im Unterschied teressen – also Semantiken –, die durch das zum Zeichenmodell des („realistisch“ mo- Motiv repräsentiert, sprich: motiviert wer- tivierten) subjektivierenden Verfahrens, den. Zwar setzt die Ermittlung realistischer entwerfen Bedeutungstheorien Subjekti- Motivationen die Analyse narrativer Ver- vierung als ideologischen Effekt auf das fahren und poetischer Formen voraus, sie Zuschauersubjekt. Sie rechnen Subjekti- lässt sich jedoch nicht darauf reduzieren. vierung der dispositiven Struktur der tech- Auch Subjektivierung bedeutet unter die- nischen Apparatur der Bildererzeugung zu 32 1 Film noir – Eine Erfindung

oder gehen von psychologischen Prädis- sionistische Filmrealität. Die Kinoappara- positionen aus und übertragen psycho- tur, die den Zuschauer – analog zur Traum- analytische Modellvorstellungen auf den situation – zum bewegungslosen Betrach- filmischen Prozess. Während Colin Mac- ter macht, kaschiert zugleich den Kon- Cabes Versuch, ausgehend von der ästhe- struktionscharakter der Simulation: Der tischen Form des Materials auf Bedeu- Kinoapparat legt den Zuschauer durch sei- tungsfunktionen auszugreifen, erkenn- ne Anordnung zwischen Projektor und bar unter dem Mangel einer analytischen Leinwand auf eine Position fest, die ihn Beschreibungssprache für filmische Pro- dazu bewegt anzunehmen, dass das, was er zesse leidet, sehen Apparatus- und psy- zu sehen bekommt, objektiven Gegeben- choanalytische Filmtheorie filmische heiten entspricht. Die kinematografische Strukturen zuallererst als Ausdruck abbil- Konstruktion einer objektiven Erfah- dungstechnischer und psychologischer rungswirklichkeit verschleiert zugleich den Einschreibungen in die Blickkonstruktio- darunterliegenden subjektiven (manipu- nen des Filmischen. lativen, ideologischen) Charakter des ap- So hat etwa die Diskussion um die parativ erzeugten Realitätseindrucks. technischen Bedingungen des Filmischen Das Apparatus-Modell schreibt das in der Apparatus-Debatte den ideologi- Konzept der Subjektivierung also einer an- schen Wirkmechanismus des Filmischen deren Struktur zu als etwa die zuvor skiz- aus seiner dispositiven Struktur heraus er- zierten Ansätze von Colin MacCabe (Text) klärt, die den Zuschauer positioniert und oder David Bordwell (Narration). Die Hin- durch die „(figurative) Einschreibung der wendung zum Kinematografischen – kon- Produktionsbedingungen in das Produkt zipiert als technischer Transmissionsappa- (den Film)“ (Paech 1997: 402) ideologisch rat soziokulturell determinierter Macht- imprägniert. Realismus wird als Resultat und Produktionsverhältnisse – lässt das einer langen Tradition der Konditionie- konkret Filmische einerseits in der Appara- rung und Konventionalisierung des Blicks tur verschwinden und macht es anderer- gedeutet, deren Herstellungsregeln gleich- seits als Effekt auf Seiten des Zuschauer- sam der technischen Apparatur selbst ein- subjekts lesbar. Entsprechend werden Ob- geschrieben erscheinen (z.B. Zentralper- jektivierung und Subjektivierung in die- spektive und bewegte Bilder). Der Reali- sem Modell als kinematografische (und tätseffekt wurde unter Hinweis auf die Ana- nicht als filmische) Effekte konzipiert, die logie von Kino- und Traumsituation er- psychische Befindlichkeiten transformie- klärt: „It is evident that cinema is not dream: ren – und nicht die Funktionsweise inner- but it reproduces an impression of reality, filmischer Verfahren charakterisieren. Das it unlocks, releases a cinema effect which Modell unterscheidet sich deswegen auf is comparable to the impression of reality den ersten Blick radikal von narrativen caused by dream. The entire cinematogra- Ansätzen. Nicht die Form der Narration er- phic apparatus is activated in order to pro- zeugt den Realismuseffekt mit Hilfe objek- voke this simulation: it is indeed a simula- tivierender Verfahren, sondern die Tech- tion of the condition of the subject, a posi- nik der Präsentation selbst scheint dafür tion of the subject, a subject and not reali- Sorge zu tragen: Die Identifikation des Zu- ty.“ (Baudry 1986: 316) Vermittelt durch schauers mit dem Kamerablick auf Grund die Materialität des Filmischen transfor- der Positionierung des Zuschauers zwi- miert die kinematografische Anordnung schen Projektor und Leinwand zwingt den die subjektive filmische Perspektive in Zuschauer den Blick der Kamera als den ei- eine zwar objektiv erscheinende, aber illu- genen wahrzunehmen. 1.1 Erste Annäherungen 33

Realistische Bedeutungen – what I see is only a part, and I do not Psychoanalyse master what I see. I am in a passive posi- Trotz der Hypostasierung eines idealen tion, the show is run by the Absent Other Zuschauersubjekts in der Apparatus-Theo- (or, rather, Other) who manipulates ima- rie, deren Zuschauerbegriff von einem un- ges behind my back. What then follows is kritischen und passiven Subjekt ausgeht, a complementary shot which renders the hat diese theoretische Fassung des Realis- place from which the Absent One is look- mus-Problems den Blick auf psychologi- ing, allocating this place to its fictional sche bzw. psychoanalytische Fragestellun- owner, one of the protagonists. In short, gen gelenkt. Der Hinweis auf Analogien one passes thereby from imaginary to der Kinoerfahrung und des Filmerlebnis- symbolic, to a sign: the second shot does ses mit Traumstrukturen hat die Frage des not simply follow the first one, it is signi- Verknüpfungsmodus von fiktiver Realität fied by it. So in order to suture the decen- auf der Leinwand und Erfahrungsrealität tering gap, the shot which I perceived as des Zuschauers aufgeworfen. Da sich die objective is, in the next shot, reinscri- ontologische Differenz zwischen beiden bed/reappropriated as the point-of-view Realitätsbereichen nicht in der kinemato- shot of a person within the diegetic spa- graphischen „Form der Symbolisierung ei- ce.“ ( i ek 2001: 32; Herv. im Orig.) nes Mangels“ (Paech 1997: 406) bzw. un- ter Hinweis auf die Analogie mit Tag- Der psychologische Mechanismus der Su- traumstrukturen aufheben lässt – Apparat ture blendet die Perspektive des Films, wie und Zuschauer bleiben getrennte Entitä- sie die Narration hervorbringt, in die Zu- ten –, mangelte es der Apparatus-Theorie schauerperspektive über. Suture kaschiert letztlich an einem theoretischen Zugriff den Blick der Kamera, der Montage und auf denjenigen Mechanismus, der den un- der mise en scène als Zuschauerblick, in- terstellten ideologischen Effekt beim Zu- dem sie die technisch hergestellte Ord- schauer letztlich bewirken konnte. nung der Bilder und Geräusche als mögli- An dieser Stelle setzt schließlich die fe- che subjektive Wahrnehmungen einer Fi- ministische Kritik an, die Prozesse der Sub- gur der Diegese zuschreibt und so für jektivierung und Objektivierung in Ver- Identifikationsmöglichkeiten sorgt. bindung mit männlichen Blickstrategien Den Mechanismus, der die ästheti- gebracht hat. Ihr Modell geht davon aus, sche Identifikation des Zuschauers mit dass die erste, unaufhebbare materielle Lü- der Narration reguliert, hat Jean-Pierre cke (zwischen filmischer Repräsentation Oudart unter Rekurs auf einen Terminus und Zuschauerwahrnehmung) von einer Lacans mit suture bezeichnet (Oudart anderen, aus der diskursiven Struktur re- 1969). Lacan hat den Begriff suture ver- sultierenden Lücke überlagert wird, die wendet, um die Beziehung zwischen Be- durch den psychologischen Mechanismus wusstem und Unbewusstem, dem Imagi- der suture vom Zuschauersubjekt geschlos- nären und dem Symbolischen, die stets sen werden kann. i ek beschreibt den ba- gleichzeitig anwesend sind, zu bezeich- selan Prozess der suture folgendermaßen: nen. Das filmtheoretische Konzept der su- ture ist der Versuch einer Antwort darauf, „Firstly, the spectator is confronted with a wie es theoretisch erklärbar ist, dass sich shot, finds pleasure in it in an immediate, ein Zuschauer mit dem synthetischen Ge- imaginary way, and is absorbed by it. schehen auf der Leinwand identifizieren Then, this full immersion is undermined kann, obwohl er einerseits auf physischer by the awareness of the frame as such: Ebene radikal von ihm getrennt ist und 34 1 Film noir – Eine Erfindung

andererseits das filmische Artefakt selbst strategien im klassischen Erzählkino Hol- zahlreiche physikalische Brüche aufweist, lywoods. Obwohl Mulvey einräumt, dass die in der Erfahrungsrealität des Zuschau- „cinema offers a number of possible plea- ers nicht vorkommen (so etwa der Film- sures“ (ebd.: 8), scheint ihr scopophilia, schnitt, der Lücken z.B. in der Form von also Schaulust, die dominierende Trieb- Zeitsprüngen erzeugt, wie sie der Alltags- struktur bei der Filmwahrnehmung zu wahrnehmung fremd sind). In diesem Zu- sein. Das „bipolare System“ der klassi- sammenhang ist suture eine Denkfigur, in schen Narration funktionalisiert den Un- der Identifikation als Verfahren beschrie- terschied zwischen dem „aktiven männli- ben wird, dass die Zuschauerwahrneh- chen Blick, der die Narration vorantreibt, mung mit der Blickdramaturgie der Ka- und dem passiven weiblichen Blick als mera „vernäht“. Die filmwissenschaftli- Objekt des begehrlichen Blicks des Man- che suture-Theorie geht davon aus, dass nes und der Erzählung.“ (Lippert 1995: der Zuschauer diese Fehlstellen selbst ko- 99) Darin manifestiert sich zugleich das gnitiv schließt und gerade deswegen das zentrale ideologische Schema der klassi- Maß an Identifikation von der individuel- schen Erzählkunst: Während die Frau als len Disposition des Zuschauers abhängt, (sexuell determinierte) Bedeutungsträge- diese kognitive Leistung erbringen zu rin objektiviert wird, d.h. zum Gegen- können. stand der Erzählung gemacht werden Diesen Mechanismus vorausgesetzt, darf, wird ihr die Funktion als Bedeu- bleibt nur noch erklärungsbedürftig, was tungsproduzentin, d.h. als subjektive Er- einen Zuschauer veranlasst, sich auf diese zählinstanz, verweigert. Angesichts dieses Weise selbst über das Gemachtsein des äs- Befundes ließe sich der Frage nachzuge- thetischen Arrangements hinwegzutäu- hen, inwiefern das subjektivierende Ver- schen und die synthetische Realität der fahren eine Krise der objektivierenden Er- Repräsentation unkritisch als wahre, d.h. zählinstanz zum Ausdruck bringt bzw. objektive Realität wahrzunehmen. Da- Noir-Filme von einer Krise des männli- rauf hat die psychoanalytische Filmtheo- chen Blicks – den das poetische Verfahren rie mit dem Hinweis auf die „voyeuristi- expressiv markiert – und mithin auch ei- sche(n) Implikationen der Angst, von der ner spezifischen Form des Filmemachens Erzählung abgeschnitten zu werden, und erzählen. die Aufhebung der Angst durch die Wie- deraufnahme der Erzählung“ (Lippert Realismus – Am Ende 1995: 100) geantwortet. Zugleich hat die Der auf diese Weise an Fragen nach der feministische Kritik die voyeuristische Konstruktion von Geschlechterdifferen- Blickstrategie der klassischen Erzählung zen rückgebundene Begriffskomplex Sub- in Verbindung gebracht mit der Identifi- jektivierung/Objektivierung spezifiziert kation des filmischen mit dem männli- filmische Prozesse als geschlechterabhän- chen Blick. Besonders Laura Mulvey hat gige Blickdispositive. Dadurch werden Re- herausgearbeitet, inwiefern dieser Blick präsentationen auf außerhalb des Filmi- im klassischen Erzählfilm geschlechtsspe- schen liegende Realitäten zurückgerech- zifisch konstruiert ist. Ihr einflussreicher net, die selbst allerdings nur modellhaft Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Ci- bzw. als Diskurs existieren, der bestimmte nema“ (Mulvey 1975) etwa problemati- Zeichen mit bestimmten Bedeutungen siert im Anschluss an Lacans These vom versieht – und dafür ebenso bestimmbare Ausschluss der Frau aus dem Sprachsub- Konventionen entwickelt hat. Wie die Ap- jekt die Vorherrschaft männlicher Blick- paratus-Debatte oder die formalistische 1.1 Erste Annäherungen 35

Methode leidet auch die psychoanalyti- keiten. Das subjektivierende Verfahren sche Darstellung des Verhältnisses von formuliert auf diese Weise einen Dissenz Subjektivität/Objektivität/Realität darun- zu dem, was gemäß der klassischen realis- ter, dass sie die eigenen Voraussetzungen tischen Erzählweise als Realität in Erschei- objektiviert und sich nicht selbst als Er- nung getreten ist: Der Objektivität fester zählung neben anderen konzipiert, mit- sozialer Verhältnisse und Wertkomplexe hin den eigenen diskursiven Status nicht der klassischen Erzählung wird im Noir- genügend reflektiert. Film die Objektivität labiler subjektiver Repräsentationen stehen für etwas an- Befindlichkeiten entgegengesetzt. Das äs- deres und es ist wichtig mitzusehen, dass thetische Kalkül allerdings bleibt unver- das Verhältnis von Repräsentation und Re- ändert, denn es objektiviert in beiden Fäl- präsentiertem ein soziokulturell determi- len den Gegenstand seiner Erzählung. Nur niertes, also ein konstruiertes ist, womit die Erzählung selbst verfährt entspre- Rückschlüsse auf eine eindeutig „wahre“ chend der realistischen Motivation, sozia- Realität unmöglich werden. Möglich wer- le oder individuelle Krisenszenarios zu den allerdings Beobachtungen verschiede- thematisieren, entweder objektivierend ner Modi der sozialen, psychischen oder oder subjektivierend. Aus der kalkulierten ästhetischen Konstruktion von Realität Kohärenz des klassischen realistischen Er- und ihre wechselseitigen Überlagerungen zählens entsteht so der kalkulierte Bruch und Ablagerungen. Eine solche Betrach- des subjektivierenden realistischen Erzäh- tung kann allerdings nicht länger von on- lens. Doch damit nicht genug: Der funk- tologischen Einheiten ausgehen – von der tionalen Hinwendung der ästhetischen Möglichkeit zur zweifelsfreien Erkenntnis Verfahren zum Subjektiven im Noir-Film etwa der Frage, was ein Film noir sei –, son- entsprechend, radikalisiert sich auch die dern kann die verschiedenen Dimensio- semantische Ausrichtung auf existenzielle nen nur als Vermittlungs- und Transfor- Fragen des Individuellen. Zu diesem mationsprozesse erfassen. Auch im Fall Zweck werden Bilder und Töne expressiv des Noir-Films kann nurmehr von einer verwendet, wird die Wahrnehmung der dynamischen ästhetischen Struktur ausge- Geschichten durch inkonsistente Struktu- gangen werden, die verschiedenste Dis- ren des Plots erschwert, werden Themen kurse integriert, indem sie sie poetisch zumeist im Bereich des Verbrechens und und semantisch auf spezifische Art und seiner Investigation angesiedelt, klaffen Weise verdichtet. Zieldefinition und positive Auflösung weit auseinander, werden Konflikte keiner Das Subjekt am Ende eindeutigen Lösung zugeführt und so psy- Der Modus dieser Verdichtung ist oben chische und soziale Integrität nicht oder bereits als subjektivierendes Verfahren be- nicht vollständig wiederhergestellt. Nicht schrieben worden. Im Gegensatz zum ob- zuletzt wird damit die Semantik vom fra- jektivierenden Verfahren des klassischen gilen Status des modernen Individuums, Erzählfilms ist das subjektivierende Ver- die Brüchigkeit einer subjektzentrierten fahren so konzipiert, dass es kausale, zeit- Ideologie bzw. von der Labilität der mo- liche und räumliche Eindeutigkeiten „ver- dernen Konstruktion menschlicher Sub- fremdet“, indem es die zur Darstellung ei- jektivität adressiert. nes kohärenten Realitätseindrucks entwi- Die nachfolgende ästhetische Verfah- ckelten Standards manipuliert und auf rensanalyse des Noir-Films setzt vor die Er- diese Weise eine andere Realität objekti- mittlung einer Metaphysik des Sichtbaren, viert, eine Realität subjektiver Befindlich- die Realismus als Funktion des codierten 36 1 Film noir – Eine Erfindung

Textes, der codierenden Apparatur oder Entweder wird ihnen der Status als Film des codierenden „male gaze“ (Mulvey noir verweigert oder darin lediglich eine 1975: 11) sieht, die Beschreibung der Phy- mehr oder weniger erfolgreiche Wieder- sik ihrer Bedingungen. Erst mit der Erfas- holung der „klassischen“ Form gesehen, sung von Subjektivierung als künstleri- die sich an der unterstellten Wirkung der scher Verfahrensform werden die komple- Films noirs der 1940er und 1950er Jahre xen Zusammenhänge benennbar, die das messen lassen muss (vgl. Hirsch 1999). Zeichen noir lediglich in ein attraktives Die Emphase des Begriffs hat offenbar den Gewand kleidet. Und obwohl auch der zei- Blick auf Funktionsweisen filmischer Ver- chentheoretische Diskurs keinen exklusi- fahren verstellt. ven Zugriff auf das Material ermöglicht, ist Gleichwohl hat sich mit dem Film noir er doch in der Lage, die Erkenntnisgewin- innerhalb des realistischen Erzählkinos ne der anderen Diskurse zu integrieren eine Form des Filmemachens ausdifferen- und sie unter dem Aspekt narrativer Ver- ziert, die auch künftigen Produktionen zur mittlung miteinander zu verschränken. Verfügung steht. Es ist nicht einzusehen, Von größter Wichtigkeit ist also die Unter- weshalb die Filmindustrie in der Folgezeit scheidung von Verfahren und Interpreta- auf ein vergleichsweise erfolgreiches filmi- tion des Verfahrens. sches Verfahren verzichten sollte, das ge- eignet erscheint, diffusen Ängsten und Be- drohungsszenarien einen wirkmächtigen 1.1.5 Post Scriptum Ante ästhetischen und narrativen Ausdruck zu Die kulturell und geographisch historisie- verleihen. Schließlich lässt sich das nach- rende Zuschreibung des Film noir auf eine lassende Interesse an diesen Erzählungen bestimmte Zeitspanne Mitte des vergange- in den USA nicht ausschließlich mit wirt- nen Jahrhunderts erschwert letztlich die schaftlichen und politischen Entwicklun- Beschreibung der Entwicklung filmischer gen erklären, auch technische Verände- Formen und Verfahren des Film noir. Vor rungen wie die massenhafte Verbreitung dem Hintergrund des obskuren Status des des (noch schwarzweißen) Fernsehens so- Film noir zwischen Genre, Zyklus, Bewe- wie der Erfolg neuer Breitwandfilmforma- gung, Stil oder Serie sowie seiner themati- te und des Farbfilms haben das expressive schen, narrativen und ästhetischen Topo- Filmemachen zunächst an den Rand drän- grafie erscheinen auch die neuen Forma- gen können. Insbesondere das Konkur- tionsmodi des Noir-Films nach dem Ver- renzmedium Fernsehen setzte die Film- schwinden der „klassischen“ Form gegen wirtschaft seit den 1950er, besonders aber Ende der 1950er Jahre nicht so recht ins in den 1960er Jahren massiv unter Druck. verschwommene Bild passen zu wollen.

1.2 Kontexte

„To assert simply that our films were 1.2.1 Moderne Krisen dark because a dark and despairing sense had crept upon the land seems reductive Nimmt man die These vom soziokulturel- and simply stops discussion.“ len Umbruch als auslösendes Moment des J. P. Telotte (1989: 31) Film noir ernst, ist es nahe liegend, seine 1.2 Kontexte 37

Entwicklung über einen längeren Zeit- August 1964 unter der Regierung Lyndon raum zu verfolgen. Auf den ersten Blick B. Johnsons zu systematischen Bombar- scheint es deswegen lohnend, den Beob- dierungen wirtschaftlicher und militäri- achtungszeitraum der Analyse auf die Zeit scher Ziele in Nord-Vietnam führte. vor Zweitem Weltkrieg und Weltwirt- Die militärisch zwar ergebnislose Tet- schaftskrise auszudehnen und das Aus- Offensive der Nordvietnamesen im Januar tauschverhältnis kultureller, sozialer, öko- 1968 wirkte in den USA schließlich wie ein nomischer und ästhetischer Entwicklun- Schock, der endgültig auch die Massenme- gen ante factum Film noir zu ermitteln. dien mobilisierte. Weltweit nahm die Kri- Marc Vernet hat einen ersten Vorstoß in tik an der US-amerikanischen Vietnam-Po- diese Richtung unternommen (vgl. Vernet litik zu, vor allem an den militärischen 1993). Für das hier interessierende Phäno- Übergriffen auf die Zivilbevölkerung. Der men des zeitgenössischen Noir-Films vollständige Rückzug der militärisch sieg- scheint es dagegen ratsam, den Blick auf losen USA aus Vietnam endete mit dem entsprechende Entwicklungen bis heute Waffenstillstandsabkommen von 1973. zu richten. Nach Weltwirtschaftskrise und Erneut wurde die mystifizierte nationale Zweitem Weltkrieg ereigneten sich zahl- Identität fragwürdig und die Ideologie der reiche politische und soziokulturelle Kon- Heimat brüchig. Die kulturelle Semantik flikte von internationaler Bedeutung, die des Angekommenseins an einem sicheren den Schock der ersten beiden Weltkriege historischen Ort, in einem Zustand der Si- des Jahrhunderts und der wirtschaftlichen cherheit, zeigte tiefe Risse. Vivian Sobchak Depression zu einem andauernden Bedro- hat den Einfluss dieser Ideologie der Hei- hungsszenario globaler Modernisierung mat und der Ikonografie der Räume auf perpetuierten. So waren etwa bereits in den Film noir herausgearbeitet (vgl. Sob- den 1950er Jahren neben den USA eine chak 1998). Die erstarkenden Protestbewe- Reihe weiterer Länder über ein UNO-Man- gungen und die Wiedereingliederung dat in den Koreakrieg (1950–53) verwi- kriegstraumatisierter US-amerikanischer ckelt. Und noch bevor die USA in dem seit Soldaten hatten großen Einfluss auf die 1946 schwelenden Indochina-Krieg zwi- kulturelle Landschaft. Nicht zuletzt ist ei- schen Vietnam und Frankreich aktiv mili- ner der ersten neueren Noir-Filme, TAXI tärisch eingriffen, wurde John F. Kennedy DRIVER (1975, ), nachhal- am 22. November 1963 ermordet, ohne tig davon beeinflusst. dass die Hintergründe seines Todes befrie- Vor dem Hintergrund des permanent digend aufgeklärt werden konnten. Mit drohenden militärischen Konflikts mit der Kennedy starb zugleich ein Politiker, mit Sowjetunion im so genannten „Kalten dem sich nicht nur für die US-amerikani- Krieg“ zeichnete der 1972 vorgelegte Be- sche Gesellschaft der politische Durch- richt des „Club of Rome“ über die Grenzen bruch einer jungen Generation und eine wirtschaftlichen Wachstums eine pessi- optimistische Zukunftsperspektive allge- mistische globale Zukunftsperspektive. In meinen Wohlstands und Friedens ver- allen Bereichen des kulturellen und politi- band. Auf der anderen Seite rückte die Ku- schen Lebens schien steigender materiel- bakrise 1962 die Gefahr einer nuklearen ler Wohlstand immer zugleich die eigene Auseinandersetzung der USA und der existenzielle Bedrohung zu präfigurieren. Sowjetunion ins kollektive Bewusstsein. AIDS wurde in den 1980er Jahren zum Und nicht zuletzt eskalierte noch zur Menetekel der dekadenten westlichen Le- Amtszeit Kennedys der Vietnam-Konflikt, bensweise stilisiert. Obwohl der militäri- der nach dem Tongkin-Zwischenfall im sche Konflikt bedingt durch die wirt- 38 1 Film noir – Eine Erfindung

schaftlich induzierten politischen Umwäl- zählkino im Hinblick auf Erzählungen von zungen in der Sowjetunion ausblieb, haben individuell negativ empfundenen Begleit- soziale und kulturelle Konfliktlinien etwa umständen des Modernisierungsprozesses zwischen verschiedenen Kulturkreisen so- nicht füllen konnte. Film noir bedient Zu- wie ökonomische und ökologische Krisen- schauerbedürfnisse nach audiovisuell und szenarios weiterhin Bestand. Und wie der narrativ subjektivierenden filmischen Anschlag auf das World Trade Center im Sensationen mit bestimmten inhaltlichen September 2001 zeigt, lichten sich schlag- und motivischen Bindungen ebenso wie artig die Nebel, in die Francis Fukuyamas Bedürfnisse nach wirtschaftlicher Expan- Schlagwort vom „Ende der Geschichte“ sion der Filmindustrie durch die Bereitstel- auf Grund des vermeintlichen politischen lung eines zusätzlichen, attraktiven Ange- und ökonomischen Erfolges westlicher bots im Bereich des klassischen Erzähl- Demokratien manche kulturellen und po- films. Es besteht andererseits prospektiv litischen Diskurse getaucht hatte. kein Grund zu der Annahme, ausschließ- Die kulturellen, sozialen, politischen lich Weltwirtschaftskrise und Kriegs- und und ökonomischen Verwerfungen, her- Nachkriegssituation in den USA hätten vorgerufen durch den Prozess der Moder- Film noir den Boden bereiten können und nisierung, haben immer wieder das sub- auch für sein Ende gesorgt. Vielmehr han- jektzentrierte Weltbild der Aufklärung in delt es sich dabei um kontingente Durch- Frage gestellt und letztlich einen immer gangsstationen im Prozess der Modernisie- größeren Aufwand zur Verteidigung der rung, der im zwanzigsten Jahrhundert zu Idee erforderlich gemacht – etwa in den ökonomischen Krisen sowie politischen objektivierenden Erzählungen des narrati- und kriegerischen Auseinandersetzungen ven Films, wie ihn das Studiosystem Hol- bislang ungekannten Ausmaßes geführt lywoods populär gemacht hat. Innerhalb hat, die aber keineswegs exklusive Auslö- dieses medialen Kontextes scheint Film ser für die beobachtbaren Veränderungen noir zumindest einem verhaltenen Zweifel der filmischen Verfahren des realistischen an der Gültigkeit dieses Subjektmodells Erzählkinos sind. Die widersprüchliche Ausdruck zu verleihen. Entwicklung der Moderne kommt in der Wie unschwer zu erkennen, haben Krise des Subjektbegriffs zum Ausdruck; sich die externen Bedrohungs- und Krisen- für den Subjektbegriff des Erzählkinos be- diskurse weiter verdichtet und verstärkt. deutet das eine veränderte – ob kritisch, Im Zuge der durch wirtschaftliche Globali- konservativ oder progressiv: jedenfalls das sierung notwendig gewordenen Revision sensationelle und unterhaltende Potenzial politischer Entwürfe und kultureller des Mediums ausnutzende – Erzählform: Selbstbeschreibungen haben sich das Film noir. Selbstverständnis moderner Gesellschaf- ten destabilisierende Effekte nur verstärkt. 1.2.2 Moderne Filmwirtschaft I: USA Sofern Film noir als filmischer Ausdruck individueller Desorientierung angesichts Das dergestalt skizzierte politische und soziokulturellen Wandels figuriert, lässt kulturelle Umfeld bewahrt Film noir of- sich zumindest vor dem hier Geschilder- fenbar ein weites semantisches Feld. Das ten kein Grund ausmachen, weshalb Film Produktionsumfeld in den USA dagegen noir nicht auch weiterhin ein erfolgrei- veränderte sich zunächst durch die mas- ches filmisches Modell sein sollte. senhafte Verbreitung des Mediums Fern- Film noir, so ist zu vermuten, besetzt sehen. Die Filmindustrie reagierte darauf – schlicht die Lücke, die das Standard-Er- wie üblich – durch Produktdifferenzie- 1.2 Kontexte 39

rung, insbesondere durch die Verwen- walt. Hatte der Erfindungsreichtum vieler dung von Breitbildformaten wie Cinema- Filmemacher zur Umgehung des Producti- Scope und Farbfilm und die Produktion on Code einen nicht unerheblichen Anteil von so genannten blockbustern, Filmen, an der Entwicklung der expressiv vermit- die mit großem Aufwand hergestellt und telnden Ästhetik des Film noir, so machte so konzipiert wurden, dass ein möglichst die Liberalisierung der Selbstzensur nun breites Publikum erreicht werden konnte: die unmittelbare filmische Inszenierun- „The blockbuster is characterised by inno- gen von Sexualität und Gewalt möglich vations in technology [...], the presence of und alternative ästhetische Lösungen wie stars, expensive production values, and an die des Film noir zunehmend obsolet. emphasis on plot over character. Indeed Auch in dieser Hinsicht also schien Film the majority of blockbusters are action noir immer weniger den Bedarf nach Sen- films with minimal narrative complexi- sationellem decken zu können. Eine der ty.“ (Mazdon 2000: 22) bedeutenderen Produktionsgesellschaften Die Produktion von Noir-Filmen hatte für Films noirs, Radio Keith Orpheum in dieser Konstellation aus soziokulturel- (RKO), verkaufte bereits 1955 gar ihren ge- lem Umbruch und technischer sowie öko- samten Filmbestand an Fernsehgesell- nomischer Umorientierung der Filmindust- schaften zur Auswertung in Fernsehpro- rie offenbar keine Aussicht auf Erfolg. An- grammen, obgleich mangelnde Schärfe dererseits litt die gesamte Filmindustrie und geringer Kontrastumfang des Fern- unter veränderten kulturellen Gewohn- sehbildes das Chiaroscuro des Film noir heiten. Dessen ungeachtet gab es Produk- kaum reproduzieren konnten. Außerdem tionen wie BEN HUR (1959, ) versorgte die TV-Krimiserie DRAGNET oder DOCTOR ZHIVAGO (1965, ), (1952–1959) über zwei Jahrzehnte das die unerwartet große Gewinne einspiel- Fernsehpublikum mit Verbrechenserzäh- ten. Trotz technischer Aufrüstung und der lungen. Daneben begannen Produktions- Errichtung von Autokinos und Kinos in firmen kleine Filme für Fernsehgesell- Einkaufspassagen, sowie kleiner shoe-box schaften zu produzieren und partizipier- theaters anstelle großer Kinosäle, sanken ten auf diese Weise am Erfolg des neuen die Besucherzahlen von 1946 bis 1960 um Mediums. die Hälfte. Vor dem Hintergrund des nach- Die wirtschaftliche Prosperität der lassenden Interesses am Kinobesuch wur- 1960er Jahre bewahrte die Filmindustrie den 1966 auf Druck der Filmproduktions- letztlich allerdings nicht vor erheblichen firmen und angesichts liberalerer kulturel- finanziellen Verlusten. Zu Beginn der ler Umgangsformen die Selbstregulie- 1970er Jahre bedrohten zusätzlich zur rungsbestimmungen der Filmindustrie – wirtschaftlichen Rezession Ölembargos der Production Code bzw. Hays Code der der Erdöl fördernden Länder und ökono- MPPDA (Motion Pictures Producers and mische Konkurrenz aus Japan und Distributors of America) bzw. seit 1945 Deutschland die US-amerikanische Wirt- MPAA (Motion Pictures Association of schaft. Die Filmindustrie vermied zu dieser America) – gelockert und 1968 schließlich Zeit auch auf Grund kommerzieller Miss- in ein neues, altersorientiertes Bewer- erfolge wie CLEOPATRA (1962, Joseph L. tungssystem der Filmindustrie überführt, Mankiewicz) oder DOCTOR DOLITTLE das der Filmproduktion mehr Spielraum (1966, Richard Fleischer) hohe Investitio- für die Inszenierung neuer Attraktionen nen und suchte andere Wege, die Filmpro- bereitstellte, insbesondere bei der Darstel- duktion erneut profitabel zu machen: lung von Sexualität und manifester Ge- „The commercial desaster of several block- 40 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 6 und 7 Symbiosen aus Horrorästhetik und visuellen Strategien des Noir-Films: Der Bedarf an Bildern des Schreckens ist auch in den 1970er Jahren ungebrochen (links: THE EXORCIST,rechts:). busters during the sixties prompted a peri- Filme mit großem Werbeaufwand und od of widespread experimentation and in- Merchandising-Kampagnen auf den Markt novation, resulting in the assimilation of zu bringen. Der Einsatz von Computer- European art cinema filmmaking techni- technologie in der Prä- und Postprodukti- ques into the American mainstream cine- on erweiterte schließlich die Möglichkei- ma.“ (Martin 1997: 20) Daneben konnten ten filmischer Darstellung beträchtlich. neue, insbesondere jüngere Zuschauer- Zur gleichen Zeit wurden Filmproduk- gruppen erschlossen werden. Neben Ver- tionsfirmen zu interessanten Investitions- suchen, mit Hilfe von Genrefilmen und objekten multinationaler Konzerne: „Fo- blockbuster-Strategien erfolgreich zu sein, reign investment grew from 1985 when konnten am klassischen Hollywood-Film Rupert Murdoch‘s News Corporation ac- geschulte Regieneulinge mit einer Reihe quired 20th Century-Fox. Pathé Communi- spektakulärer Filme wie THE FRENCH CON- cations purchased MGM in 1990 and in NECTION (1971, William Friedkin), THE 1992 Crédit Lyonnais foreclosed on loans GODFATHER (1971, ), to MGM and took over the company. The THE EXORCIST (1973, William Friedkin), Majority of this incursion of overseas capi- JAWS (1974, ), tal came from Japan: Sony bought Colum- (1977, ) oder APOCALYPSE bia in 1989 and Matsushita took over Uni- NOW (1979, Francis Ford Coppola) auch versal in 1991.“ (Mazdon 2000: 21) international unerwartet große Erfolge Die Internationalisierung des Filmge- verbuchen. Viele dieser Filme verwende- schäfts änderte allerdings nur wenig da- ten stilistische Elemente des Noir-Films, ran, dass die Richtlinien der Produktion doch entwickelten sie ihre Krisen- und Be- unverändert von einem US-amerikanisch drohungsdiskurse weniger durch expressi- dominierten Management festgelegt wur- ve subjektivierende Strategien, als durch den. Zugleich übten die in Medienkonzer- die sensationelle Inszenierung objektiver, nen reorganisierten Filmproduktionsfir- ‚realistischer‘ Schockmomente. Die Bedro- men umfassende Kontrolle über alle Ge- hung wurde hier nicht als Repräsentation schäftsbereiche der Produktion aus vom psychisch deformierter Individualität, son- Entwurf über die Herstellung bis zum Ver- dern in der Regel als externe Größe kon- trieb. Entsprechend wies die Filmproduk- struiert. tion nach dem Ende des Studiosystems er- Der ökonomische Erfolg der Filmindust- neut ein hohes Maß vertikaler Integration rie seit Mitte der 1970er Jahre verdankte auf. Im Unterschied zum Studiosystem la- sich andererseits einer Strategie, nur weni- gen Finanzierung, Kalkulation und Direk- ge, aber mit großem Budget hergestellte tion allerdings nicht länger in den Händen 1.2 Kontexte 41

mächtiger Produzenten, vielmehr folgten sellschaften, die im Verbund mit ihren sie wirtschaftlichen Interessen eines Pro- Mutterkonzernen das fertige Produkt welt- duktionsmanagements, das in erster Linie weit vermarkteten. War die Unabhängig- auf Absicherung und Ausweitung des eige- keit der so genannten Independents immer nen Marktanteils in einer sich zunehmend nur eine relative so nahm sie angesichts globalisierenden Weltwirtschaft bedacht dieser Geschäftspraxis der großen Firmen war. noch weiter ab. Auch weil sie keine eigen- Aus ökonomischen Erwägungen wur- ständigen vertikalen Strukturen ausbilden de die Filmherstellung weitgehend ausge- und wirtschaftlich selbstständig werden lagert und kreative Ressourcen der Film- konnten, blieben die Independents letztlich produktion in verstärktem Maße zuge- auf Finanzierung und Marketing durch die kauft. Bereits gegen Ende der 1960er Jahre großen Gesellschaften angewiesen, ohne nahm als Folge der Lockerung des Producti- deren infrastrukturelle Leistungen sie on Code und wirtschaftlicher Schwierigkei- nicht überlebensfähig waren. Nicht nur, ten der großen Filmfirmen der Einfluss un- dass diese erhebliche finanzielle Mittel abhängiger Produktionsfirmen wie AIP auf und umfassende Organisationsleistungen das Filmgeschäft zunächst zu. Während zur Verfügung stellten, auch ihre Beteili- die großen Firmen auf Grund abnehmen- gung an Abspielstätten vergrößerte die Ab- der Nachfrage ihre Produktion drosselten, satzmöglichkeiten der Produkte. So sehr besetzten so genannte Independents die jedoch die Globalisierung der Kapitalver- entstandenen Lücken und spezialisierten hältnisse zur Reorganisation des Produk- sich auf zielgruppenorientierte Spartenfil- tionsmanagements zu Lasten der unab- me „which mixed sentiment, action, and hängigen Filmproduktion führte und Pro- populist themes“ (Bordwell, Thompson duktion und Distribution aus Kostengrün- 1994: 705). Der ästhetisch kreative und den zur Internationalisierung zwang, so ökonomisch erfolgreiche Umgang mit sehr blieb „its large mid-section [...] pro- Genremustern wurde bald allerdings von vincial“ (Miller 1998: 377). Das heißt: finanzstarken Gesellschaften kopiert, so Trotz Abdankung des ökonomisch erfolg- dass die von den Independents entwickel- reichen Studiosystems orientierten sich ten Formate rasch auch kapitalintensivere Entscheidungsprozesse der Filmprodukti- Produktionen dominierten. on weiterhin am Wertekomplex „Holly- Die unabhängigen Produktionsfirmen wood“, während Herstellung und Vertrieb erwiesen sich für die großen Konzerne zu- im Hinblick auf regionale Besonderheiten gleich als flexible Anbieter erfolgverspre- wirtschaftlich optimiert wurden. chender Stoffe. Insbesondere explizite Dar- Die vom Erfolg dieses Modells wieder- stellung von Sexualität und Gewalt hiel- um in Bedrängnis gebrachten unabhängi- ten so Einzug auch in Großproduktionen. gen Produktionsfirmen wichen auf das Anstelle eines massenproduktionstaugli- sich entwickelnde Kabelfernsehen und chen Studiosystems mit industriell ge- den Videosektor aus und sorgten seit Mitte planter Filmfabrikation übernahmen un- der 1980er Jahre für eine stärkere Annähe- abhängige Firmen für die Majors sukzessi- rung entsprechender Produktionen an be- ve weitere organisatorische Funktionen reits erprobte filmische Formeln. Der auf auf der Ebene der Filmherstellung. In die- Grund der massenmedialen Entwicklung ser veränderten Konstellation fungierte seit den 1980er Jahren wieder ansteigende der Produzent zumeist nur noch als Ver- Bedarf an Filmproduktionen wurde in gro- mittler zwischen selbstständigen, speziali- ßem Umfang durch die Rückwendung zu sierten Firmen, und den großen Filmge- bewährten Erzählungen gedeckt. Dies ist 42 1 Film noir – Eine Erfindung

einer der Gründe für die Renaissance des SE7EN,THE SILENCE OF THE LAMBS (1990, Jo- Remake (vgl. Mazdon 2000) und anderer nathan Demme) oder der beiden TERMINA- ästhetisch zitierender Formen, die sich TOR-Filme (1984 und 1990, James Came- häufig aus dem Fundus des Film noir be- ron) scheinen die ungebrochene Attrakti- dienten (vgl. Röwekamp 2000). Nicht zu- vität dieser Form des Filmemachens zu be- letzt hatte Film noir bereits in den 1940er legen, die stets die Abweichung von Stan- und 1950er Jahren einen großen Marktan- dards realistischen Erzählens als filmi- teil bei investitionssicheren B-Produktio- sches Verfahren gewählt und damit zu- nen (vgl. Kerr 1996). gleich ästhetische und narrative filmische Besonders die Verbreitung des Video- Möglichkeiten sensationeller Subjektivie- recorders multiplizierte den Bedarf an rung innerhalb des Erzählkinos in den Filmmaterial noch einmal. Erschloss der Mittelpunkt gestellt hat. Dies kommt zu- Verkauf von Filmrechten an Kabelfernseh- gleich dem ökonomischen Erfordernis der gesellschaften wie HBO, die seit Ende der Filmindustrie nach „innovation without 1970er Jahre Filme im Pay-TV zweitver- risk“ (Mazdon 2000: 23) entgegen. Trotz werteten, den Filmgesellschaften weitere aller wirkungsvollen technischen Ent- Einnahmequellen, so eröffnete die mas- wicklungen und ästhetizistischen Eupho- senhafte Verbreitung von Videorecordern rie bleibt allerdings die „underlying ideo- seit Anfang der 1980er Jahre völlig neue logy of narrative production“ (Gomery Vertriebsmöglichkeiten. Das Geschäft mit 1998: 250) unter Protektion der Motion Leih- und Kaufvideos machte bald bis zur Picture Association of America (MPAA) Hälfte des Umsatzes der großen Produk- eine Konstante der Filmproduktion bis in tionsfirmen aus und reduzierte zugleich die Gegenwart (vgl. ebd.: 252). das Investitionsrisiko. Daneben begannen Filmgesellschaften, Computerspiele nach filmischen Vorlagen zu entwickeln. Seit 1.2.3 Moderne Filmwirtschaft II: Ende der 1990er Jahre verspricht das neue Europa und Frankreich Speichermedium DVD zusätzliche Ein- nahmen auf Grund größeren Bedienungs- Europa komforts bei gleichzeitig gesteigerter Bild- Die wirtschaftliche Krise in Europa in den und Tonqualität. Zugleich bietet der not- 1970er Jahren führte zu einem starken wendige Medienwechsel von der Video- Rückgang der Zuschauerzahlen und zu kassette zur DVD der Filmindustrie eine Schließungen von Filmabspielstätten. Wie weitere Gelegenheit, auch ältere Filme er- in den USA wurde das Fernsehen zum neut gewinnbringend verkaufen und ver- Hauptkonkurrenten der Filmproduktion leihen zu können. Auch die Aufwertung und die Verbreitung des Videorecorders des Fernsehens zum Heimkino mit großen führte zu einem weiteren Rückgang der Projektionsflächen und kinoähnlicher Zuschauerzahlen. Da es den europäischen akustischer Auflösung verwischt zuneh- Staaten an einer vertikal integrierten Film- mend die Grenzen zwischen den audiovi- industrie mangelte, gab es kaum koordi- suellen Medien. Insbesondere die neue nierte Reaktionen auf die Krise. Gaumonts Qualität des Tons konnte zuletzt in SEVEN Versuch einer Expansion scheiterte, ande- (1995, David Fincher) oder LOST HIGHWAY re Produktionsfirmen beschränkten sich (1996, ) dem Noir-Film weite- auf künstlerisch ambitionierte Filme, die re expressive Qualitäten hinzugewinnen. kein Massenpublikum erreichten. Ob- Umfangreich ausgestattete DVD-Sonder- gleich einige europäische Regisseure mit editionen zeitgenössischer Noir-Filme wie Hilfe US-amerikanischer Gelder Filme pro- 1.2 Kontexte 43

Abb. 8 Die Welt aus den Fugen: LONG HELLO & Abb. 9 Licht, Raum, Einsamkeit in KOROSHI NA SHORT GOODBYE. RAKUIN: Die Yakuza-Tradition ist eine der leben- digsten Inspirationsquellen für den zeitgenössi- schen Noir-Film. duzieren konnten, blieb die Mehrzahl der STORMY MONDAY (1988, Mike Figgis) oder Filmproduktionen auf staatliche Finanzie- THE KRAYS (1990, Peter Medak), die diese rungshilfen und Koproduktion etwa mit Tradition fortschrieben. In Deutschland, Sendeanstalten angewiesen. Dem gerin- wo Filme wie M (1931, ) oder die gen Anteil eigener Filmproduktionen am DR.MABUSE-Filme (1921 und 1932, Fritz Filmmarkt stand ein großer Anteil US- Lang) Film noir präfigurierten, machten amerikanischer Produktionen gegenüber. Produktionen wie DER AMERIKANISCHE SOL- Zu Beginn der 1980er Jahre lag ihr Markt- DAT (1970, Rainer Werner Fassbinder), DER anteil zwischen etwa 50 Prozent in Frank- AMERIKANISCHE FREUND (1976, Wim Wen- reich und Westdeutschland und 90 Pro- ders), AM ENDE DER GEWALT (1997, Wim zent in Großbritannien. Entsprechend er- Wenders), DIE APOTHEKERIN (1997, Rainer reichte die seit Anfang der 1980er Jahre Kaufmann), SOLO FÜR KLARINETTE (1998, beobachtbare Zunahme von Noir-Produk- Nico Hofmann), LONG HELLO &SHORT tionen widerstandslos auch den europäi- GOODBYE (1999, Rainer Kaufmann) oder schen Markt. die international finanzierte Produktion Die Abhängigkeit von US-amerikani- THE MILLION DOLLAR HOTEL (1999, Wim schen Filmproduktionen führte letztlich Wenders) Anleihen bei den filmischen dazu, dass die europäische Variante des ex- Verfahren des Noir-Films. In Dänemark pressiven Filmemachens im zeitgenössi- entstanden mit FORBRYDELSENS ELEMENT schen Kino eher eine Marginalie blieb. In (1984, Lars von Trier) oder EUROPA (1990, Großbritannien, wo Filme wie ITALWAYS Lars von Trier) kunstvolle und erfolgreiche RAINS ON SUNDAY (1948, Robert Hamer), Noirs und die finnische Produktion I THEY MADE ME A FUGITIVE (1947, Alberto HIRED A CONTRACT KILLER (1990, Aki Kau- Cavalcanti), ON THE NIGHT OF THE FIRE rismäki) brach ironisch die existenzialisti- (1939, Brian Desmond Hurst), MINE OWN sche Perspektive des Film noir. Außerhalb EXECUTIONER (1948, Anthony Kimmins), Europas und der USA hat insbesondere der THE SMALL BLACK ROOM (1949, Michael Po- japanische Gangsterfilm filmische Noir- well), WANTED FOR MURDER (1946, Law- Verfahren adaptiert und selbstbewusst rence Huntington) und THE THIRD MAN weiterentwickelt. Die Yakuza-Variationen (1949, Carol Reed) eine britische Noir-Tra- NORA INU (1949, Akira Kurosawa) und dition formten, gab es immer wieder auch KOROSHI NA RAKUIN (1967, Seijun Suzuki) zeitgenössische Filme wie GET CARTER experimentierten virtuos mit expressiven (1970, Mike Hodges), PULP (1972, Mike Stilmitteln. Seit SONATINE (1993, Takeshi Hodges), THE LONG GOOD FRIDAY (1979, Kitano), SONO OTOKO,KYOBO NI TSUKI John Mackenzie), THE HIT (1984, Stephen (1989, Takeshi Kitano), HANA-BI (1997, Ta- Frears), MONA LISA (1986, ), keshi Kitano) und BROTHER (2000, Takeshi 44 1 Film noir – Eine Erfindung

Kitano) ist gegenwärtig erneut ein Trend tischen‘ Bestrebungen der USA hielt an beobachtbar, der existenzialistische Erzäh- und erhielt im Zuge der GATT-Verhand- lungen im japanischen Gangsterfilm zu ei- lungen (General Agreement on Tariffs and ner eigenständigen, expressiven Form des Trade) 1993 neue Brisanz. Die Erfordernis- Noir-Films verdichtet. se der Deregulation und des freien Han- dels, des Abbaus von Handelbeschränkun- Frankreich gen einer sich globalisierenden Wirt- Die französische Filmwirtschaft geriet schaft, führte zum Konflikt zwischen den nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Krise, USA und europäischen Nationen, allen wofür nicht zuletzt das bilaterale Abkom- voran Frankreich. Insbesondere die unter- men über den Zugang US-amerikanischer schiedlichen Auffassungen über den Sta- Kulturgüter zum französischen Markt, die tus audiovisueller Medien als Kultur- oder Blum-Byrnes-Verträge von 1946, verant- Konsumgut prägte den Streit. Schließlich wortlich gemacht wurden. In den vom einigte man sich darauf, diesen Bereich US-amerikanischen Staatssekretär James aus den Verhandlungen auszuklammern. Burnes und dem Sonderbeauftragten der In den 1980er Jahren erneuerten eine französischen Regierung Léon Blum aus- Reihe Filme junger Regisseure das franzö- gehandelten Abkommen legten die USA sische Kino. Léos Carax, und ungeachtet der alliierten Partnerschaft Jean-Jaqcues Beineix experimentierten mit Frankreich einseitig Importquoten für mit ästhetischen Ausdrucksformen und US-amerikanische Filmproduktionen für griffen dabei auf visuelle und erzähleri- den französischen Markt fest. Vor die Al- schen Muster des Film noir zurück. Mit ternative gestellt, entweder die US-ameri- SUBWAY (Luc Besson) gelang 1985 auch in- kanischen Import- und Aufführungsbe- ternational der Durchbruch postmoder- dingungen zu akzeptieren oder überhaupt nen Filmemachens (vgl. Felix 1991). Die keine Hilfe zum Wiederaufbau der natio- neue französische Version des Noir-Films nalen Filmproduktion zu erhalten, stimm- reflektierte zuvorderst die technische Exal- te die französische Regierung zu und über- tiertheit der Vorbilder. Hatten bereits eini- ließ damit zwangsweise Hollywood den ge Produktionen der Nouvelle Vague den französischen Filmmarkt. Infolge des Ab- Versuch unternommen, die formalästheti- kommens ging der Anteil französischer schen und narrativen Standards des klassi- Filmproduktionen am Gesamtvolumen al- schen Film noir zu dekonstruieren und da- ler Aufführungen von 55 auf 30 Prozent bei vor allem die Offenlegung ästhetischer zurück, was effektiv einer Halbierung ent- Syntheseleistungen fokussiert, zeigten sprach und eine entsprechende Steige- sich die neueren noir-Derivate aus Frank- rung der Aufführungen US-amerikani- reich vor allem an einer waren- und werbe- scher Filme bedeutete. Erst als einige Be- clipinduzierten ästhetizistischen Rekon- stimmungen des Vertrags zugunsten der struktion interessiert. Damit gerieten un- nationalen französischen Filmproduktio- versehens die von ökonomischen Interes- nen geändert wurden, stieg der Anteil sen imprägnierten medialen Bilderord- französischer Filme wieder auf 50 Prozent. nungen der Werbeindustrie in die Bilder- Die Verträge lösten zugleich Debatten ordnungen des zeitgenössischen Noir- über die Formierung eines nationalen Ki- Films. Spätestens hier wurde deutlich, was nos aus, die einer vermeintlich drohen- Film noir immer auch schon war: modi- den massenkulturellen Amerikanisierung scher cinéma du look. Die glamouröse Über- vorbeugen sollte. Diese Atmosphäre des höhung, die sich infolge dieser Entwick- Misstrauens gegenüber ‚kulturimperialis- lung Bahn brach, rückte den noir-Stil nä- 1.3. Beispiele 45

her an den lifestyle des Zeitgeistes heran. nik inzwischen zu einem unüberschauba- War Film noir bereits in der Mitte des ver- ren Fundus erinnerbarer Audiovisionen gangenen Jahrhunderts zugleich auch angewachsen ist, für den die Massenme- eine Marketingstrategie, so entstand nun dien zugleich Archiv- und Gedächtnis- erstmals zugleich eine solche unter Bedin- funktionen übernommen haben. Und wie gungen einer beinahe durchgehend öko- für postmoderne Bilderordnungen üblich, nomisierten Öffentlichkeit, deren Bilder- emanzipierte sich die Form vom Inhalt, vorrat dank massenhaftem Filmkonsum, doch diese Entwicklung ist bereits Signum Television und insbesondere Videotech- des Film noir.

1.3. Beispiele

1.3.1 Reflexion: A BOUT DE SOUFFLE Von den Kugeln der Polizei getroffen, und TIREZ SUR LE PIANISTE stirbt Poiccard zuletzt auf dem Kopfstein- pflaster am Ende einer engen Gasse inmit- Bereits vor der postmodernen Phase des ten teilnahmsloser Passanten. Noir-Films waren französische Produktio- A BOUT DE SOUFFLE basiert auf einen nen bestimmend bei der Weiterentwick- simplen Gangsterfilm-Plot. Anders als in lung seiner filmischen Methodik. In klassischen Gangsterfilmen erzählt der Frankreich entwickelte sich gegen Ende Film allerdings nicht von Aufstieg und Fall der 1950er Jahre eine neue Form des Fil- des Kriminellen als verhinderter Heldenfi- memachens. Die sich formierende Nou- gur, sondern vom unaufhaltsamen Fall velle Vague nahm die filmischen Stilisie- Michel Poiccards, letztlich auch von der rungen des Film noir bereitwillig auf. Jun- Bedeutungs- und Sinnlosigkeit seines ge Filmemacher, die zuvor zum Teil für die Handelns. Übersetzt wird dies mit Hilfe ei- Cahiers du Cinéma schrieben, entdeckten ner vagabundierenden Narration, die den Film noir neu. Das in den Films noirs ohne definierbare Zielorientierung immer wahrnehmbare ästhetische Selbstbewusst- wieder neue Orte und Handlungen ein- sein filmischer Möglichkeiten stilisierter führt, die sich keiner zwingenden logi- Darstellungsformen faszinierte unter an- schen Verknüpfung fügen. Selbst der dün- derem Jean-Luc Godard (A BOUT DE SOUF- FLE, 1959) und François Truffaut (TIREZ Abb. 10 Melancholischer Schlussakkord eines SUR LE PIANISTE, 1960). Noir-Films: Der verratene Kleinkriminelle Michel A BOUT DE SOUFFLE bezog sich explizit Poiccard taumelt tödlich getroffen in den en- auf die Tradition des Film noir. Der Film gen Gassen der Stadt (A BOUT DE SOUFFLE). erzählt die Geschichte des Kleinganoven Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo). Nachdem er während einer Verfolgungs- jagd einen Polizisten erschossenen hat, sucht Poiccard auf der Flucht vor der Poli- zei in Paris Unterschlupf bei der US-ameri- kanischen Studentin Patricia (Jean Se- berg), die er zufällig auf dem Boulevard kennengelernt hat. Trotz ihres intensiven amourösen Abenteuers verrät Patricia Mi- chel Poiccard schließlich an die Polizei. 46 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 11 und 12 Grafische Kompositionen, … Aufnahmen nächtlicher Interieurs und helle nahe Einstellungen, unübersichtliche Raum- Lichtquellen innerhalb des Bildkaders: Strate- strukturen, Gangsterikonografie ... gien der Stilisierung der filmischen Perspektive. ne rote Faden der Erzählung von Poiccards Doppelspiel nicht versteht, und das Leben Flucht vor der Polizei liefert vor diesem als unaufhörliche zwecklose Bewegung Hintergrund kaum mehr als ein faden- ohne Fixpunkte und Auswege. Und wie im scheiniges Alibi für die fehlende psycholo- Film noir der Phase der 1940er und 1950er gische Motivation des Geschehens. Inso- Jahre, wird nicht so sehr das, was erzählt fern radikalisiert der Film das Thema der wird – die Gangstergeschichte – bedeut- Dezentrierung des Subjekts inmitten einer sam, sondern vielmehr die Art und Weise unübersichtlichen Welt, in der schließlich der Erzählung selbst, das Wie der Subjekti- auch die Liebe zum bedeutungs- weil fol- vierung der Geschichte. genlosen Ereignis verkümmert, weil sie die Das filmische Konzept der Auflösung fatale Denunziation nicht verhindern kann. psychologischer und kausaler Gewisshei- Auch auf formalästhetischer Ebene ist ten durch das narrative und ästhetische Ar- der Film geprägt vom Gestus der Improvi- rangement gipfelt schließlich in der unmit- sation und des Experiments mit dem Film- telbaren Thematisierung der eigenen Be- material (vgl. Prümm 2001). Damit liefert dingungen und entlarvt Funktionsweisen A BOUT DE SOUFFLE nicht nur eine Homma- und Darstellungsmodi der Konventionen ge an die kostengünstig produzierten B- des Gangsterfilms – und reflektiert damit Produktionen, worauf unter anderem die zugleich Filmgeschichte. Zu einem wichti- Widmung im Vorspann an die B-Film- gen Aspekt der Reflexion wird die Identifi- Produktionsgesellschaft Monogram Pictu- kation der Hauptfigur mit einem der Stars res verweist, er reflektiert vermittelt durch des Hollywood-Films, der immer wieder in das formale Arrangement von Kameraar- Hauptrollen in Noir-Filmen agiert hat: beit, Schnitt und Montage zugleich Kon- Humphrey Bogart. Michel Poiccards Ver- ventionen und Klischees des Film noir. such, das Vorbild zu imitieren, produziert Das urbane Setting mit engen Straßen und letztlich aber nichts als gestische Phrasen. unübersichtlichen Räumen, grafische De- Darauf wird in einer Sequenz hingewiesen, kors, der unmittelbare Realismus natürli- die Poiccard vor einem Kinoplakat zu dem chen Lichts oder die fragilen Bilder einer Boxerdrama PLUS DURE SERA LA CHUTE Handkamera transcodieren semantische (1956, Mark Robson) zeigt. Komplexe wie Verbrechen ohne Grund, Die Inszenierung macht sie auf diese sinnloser Tod, die amour fou eines Gangs- Weise als Klischee wahrnehmbar. Dies ge- ters zu einer Frau, die ihr eigenes fatales schieht durch eine zweifache Verschie- 1.3. Beispiele 47

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5 6 Abb. 13.1–6 Vorbild Holly wood: Poiccards unentwegtes Streichen mit dem Daumen über die Lip- pen verfremdet imitierend Humphrey Bogarts notorischen Griff an das rechte Ohr.

bung: Weder ist Bogart als reale Figur im zu einem virtuellen Dialog, der im klassi- Film präsent (sondern nur als bildliche schen Schuss-Gegenschuss-Verfahren in- Wahrnehmungsstruktur – Starfoto und szeniert wird. Ist dieses SRS-Verfahren in Filmplakat – anwesend), noch kopiert der klassischen Erzählung zur Konvention Poiccard die Geste „authentisch“ (Bogart: für die Inszenierung fiktiver Dialoge zwi- Griff ans Ohr – Poiccard: Streichen über schen anwesenden Figuren geworden, so die Lippe). Die Anwesenheit dieser zweifa- konstruiert die Inszenierung in A BOUT DE chen Abwesenheit von Person und Aktion SOUFFLE daraus eine filmische Gedanken- manifestiert sich in der Montage der Bilder bewegung zwischen Anwesendem und Ab- 48 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 14.1–8 Der notorische Griff ans Ohr – eine Auswahl ... wesendem in der Form einer falschen Erin- es durch den beabsichtigten Bruch mit nerung, die das Nachdenkliche der Geste Sehgewohnheiten. Die filmische Selbstre- Bogarts in eine affektierte Phrase transfor- flexion in A BOUT DE SOUFFLE radikalisiert miert und sie auf diese Weise neu konno- das Noir-Verfahren letztlich also dadurch, tiert. Die Gegenüberstellung von Poiccard das es den Zuschauer selbst zum Bestand- mit dem Bild des Schauspielers markiert teil einer inkohärenten und fragilen Nar- zugleich en miniature das Prinzip des Films: ration macht und so seine vormals sicher die Aufdeckung filmischer Mechanismen geglaubte Beobachterposition in Frage durch die Konfrontation von Vorbild und stellt. In der Schlusseinstellung des Films Abbild. wird dieses Verfahren gleichsam filmische Die den Film prägende Reflexion der Metapher. Nachdem Patricia auf ihre Frage eigenen Medialität zieht durch die Thema- nach dem Sinn der letzten Worte von Mi- tisierung der eigenen Film- und Kinoerfah- chel Poiccards von einem Polizisten die rung bzw. die allgegenwärtige mediale Antwort erhält: „Er sagt, Sie sind wahrlich Überformung der eigenen Identität zu- zum Kotzen“, wird diese Frage mit dem gleich eine weitere subjektivierende Ebene staunend unverständigen Blick Patricias ein. Die Verfremdung narrativer, ästheti- in die Kamera und einer weiteren Frage an scher und thematischer Elemente des Film ein imaginäres Publikum weitergereicht: noir überlässt den semantischen Komplex „Was ist das: Kotzen?“ Patricias finale Ges- des Film noir nicht länger dem Raum der te wiederholt diese Frage noch einmal und Diegese allein. Sie adressiert ihn nun auch scheint zugleich eine Antwort zu formu- direkt an das Publikum und verunsichert lieren: Ihr Streichen mit dem Daumen 1.3. Beispiele 49

… acht Einstellungen aus THE BIG HEAT.

über die Lippe ist das, was es ist, ein aus- ve Verfahren des klassischen Erzählfilms drucksloser Ausdruck, leerer Signifikant, um, sondern verlieh der Narration von A dessen Bedeutung sich aufgelöst hat, ein BOUT DE SOUFFLE zugleich eine subjektivie- Ausdruck für den Verlust von Bedeutung. rende Perspektive, „an illuminating im- Die Aufwertung des Stils gegenüber pression of a certain type of conscience- Plot und Inhalt kehrte nicht nur – wie be- less, neo-nihilist French youth.“ (Monthly reits im klassischen Film noir – das narrati- Film Bulletin 1961: 90). In diesem reflexi- ven formalästhetischen Stakkato visuali- Abb. 15 Wörtlich genommen: Die filmische sieren beispielsweise die jump cuts für die Formulierung der Frage nach der Bedeutung Filmkritik „the hero‘s erratic thought pro- der Fiktion: „Was ist das: Kotzen?“ cess“ (ebd.). Sie kreieren eine Atmosphäre der Hektik, Abruptheit und Verstörung. Auch dadurch, dass A BOUT DE SOUFFLE die Geschichte in erster Linie als visuelles Ge- schehen auflöst, wiederholt und reflek- tiert der Film die expressiven filmischen Prinzipien des Film noir. Und mit Jean- Paul Belmondo in der Rolle des Kleingano- ven Michel Poiccard verfügte der Film nicht nur über einen Bogart-Fan, der des- sen Filme goutiert und seine Verhaltens- weisen nachahmt, sondern auch einen fil- 50 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 16 Melancholie und Einsamkeit des Kla- Abb. 17 Auf der Flucht: Charlie und Lena als vierspielers übersetzt in die Bildstruktur. Gefangene im Dunkel der Nacht. mischen Widergänger der von Bogart ge- lich vollends zerstört, während gleichzei- spielten Filmfiguren, die in den Straßen tig erwartbare Eindeutigkeiten aufgelöst der Stadt ebenso scheitern muss wie das werden, indem sie immer wieder ironisch Vorbild. gebrochen werden. Wie die beiden prominenten Beispiele Reflexives Filmemachen dieser Art findet zeigen, reflektierte ein Teil der Produktio- sich auch in François Truffauts TIREZ SUR nen der Nouvelle Vague die ästhetischen, LE PIANISTE. Die Geschichte beruht auf narrativen und thematischen Errungen- dem hard-boiled-Kriminalroman von Da- schaften des Film noir, legte auf diese Wei- vid Goodis DOWN THERE. Der Film erzählt se eine Reihe seiner Topoi offen und die Geschichte des ehemaligen Klaviervir- schrieb Film noir zugleich unter veränder- tuosen Edouard Saroyan, der nach dem ten Vorzeichen fort. Die Verwendung von Selbstmord seiner Frau untergetaucht ist jump cuts, extremen Nahaufnahmen, lan- und unter dem Namen Charlie Kohler gen Handkameraaufnahmen, ‚eingefrore- sein Geld als Pianist in einer herunterge- nen‘ Bewegungsbildern und extradiegeti- kommenen Tanzbar in einem Pariser Vor- schem Ton subjektivierte die Bilder und ort verdient. Doch in die Anonymität des bereicherte den subjektivierenden Gestus neuen Daseins bricht unvermittelt die des Film noir um neue reflexive Aus- Vergangenheit, als der schweigsam-me- drucksformen. lancholische Charlie von seinem zwie- Die nur peripher mit der Nouvelle Va- lichtigen Bruder Chico in kriminelle Ma- gue verbundenen, radikal stilisierten chenschaften verwickelt wird, in deren Gangsterballaden Jean-Pierre Melvilles Verlauf seine Geliebte, die Kellnerin Lena, wie beispielsweise LE SAMOURAI (1967) bei einem Schusswechsel mit Gangstern entwickelten jenseits solch selbstaufkläre- getötet wird. In TIREZ SUR LE PIANISTE wer- rischer Bemühungen um den Film noir den Elemente des Komischen, Pathos und wie diejenigen Godards, Truffauts oder Tragödie unauflösbar und temporeich Chabrols, dessen zentrale Merkmale bis an miteinander vermischt. So wird der Traum die Grenze zur Karikatur, ohne freilich je- des Pianisten vom Leben in Frieden letzt- mals zur Satire zu werden. In Melvilles Fil-

Abb. 18 Chiaroscuro: Expressive Schwarzweiß- Abb. 19 Ambivalente Familienbande: Bruder Malerei. und Gangster zugleich. 1.3. Beispiele 51

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3 4 Abb. 20.1–4 Von der horizontalen zur vertikalen Bewegung, extreme Beschleunigung und abrup- ter Stillstand: Expressive Bewegungsdynamik duch Wechsel von Untersicht und Nahaufnahme zur Obersicht und Totalen, Bewegungsunschärfe und extremem Hell-Dunkel-Kontrast (Beispiel aus TIREZ SUR LE PIANISTE).

men finden sich außergewöhnliche Ver- wohl massenhaft als auch ästhetisch ver- dichtungen des Gangstertopos, eingebet- dichtenden expressiven Verfahren stellten tet in nihilistisch-existentialistische Ge- ihre produktive Flexibilität durch die Fä- schichten, in denen das Verbrechen und higkeit zur problemlosen Grenzüber- das Töten zum Handwerk von eiskalten schreitung nicht nur zwischen Kontinen- Profis werden. Doch auch Godard und ten, sondern insbesondere auch zwischen Truffaut zeigten sich weiterhin fasziniert filmischer Hochmoderne und blood melo- vom Noir-Sujet, wie ALPHAVILLE (1965) drama, low-budget-Kriminalfilmen und und DÉTECTIVE (1985) sowie LA MARIÉE Kunstkino erfolgreich und nachhaltig un- ETAIT EN NOIR (1967) und LA SIRÈNE DU MIS- ter Beweis. SISSIPPI (1969) beweisen. Auch viele Filme Claude Chabrols, der 1955 in einem Auf- 1.3.2 Hommage: CHINATOWN satz Film noir als Autorenkino konzipierte (Chabrol 1955), waren geprägt von The- Einer der größeren Erfolge des Film noir men und stilistischen Elementen des Film nach dem Verschwinden des „klassi- noir, wie z.B. LE BEAU SERGE (1958) oder LE schen“ Film noir und seiner reflexiven BOUCHER (1970). Jenseits von reflexivem Brechung in den genannten französi- und postmodernem Kino füllten immer schen Filmproduktionen ist Roman Po- wieder auch eigenständige Produktionen lanskis CHINATOWN von 1974. CHINA- wie POLAR (1983, Jacques Bral) oder ONNE TOWN leitet die seit Ende der siebziger, An- MEURT QUE DEUX FOIS (1985, Jacques De- fang der achtziger Jahre beobachtbare ray) französische Leinwände, jedoch ohne Neubelebung des Film noir im US-Kino internationalen Erfolg. Die reflexive Wei- mit bemerkenswerter Präzision ein. Im terentwicklung filmischer Formen des Zentrum steht der heruntergekommene Film noir im französischen Kino der Privatdetektiv Jack Gittes, gespielt von 1960er Jahre nahm schließlich Einfluss , der in eine äußerst verwir- auf eine Reihe US-amerikanischer Filme rende und komplexe Geschichte um ille- wie z. B. BONNIE AND CLYDE (1967, Arthur gale Landnahme und Korruption in der Penn). Die im Film noir sich erstmals so- öffentlichen Verwaltung gerät. Zugleich 52 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 21 und 22 Raumkomposition und Bildkadrierung komprimieren den Handlungsraum (CHINATOWN). handelt CHINATOWN unmissverständlich times almost monomaniacal, always sub- von familiären Abgründen wie Inzest und jective.“ (Garrett 1974/75: 26) Pädophilie in der sexuellen Beziehung Auch die narrative Struktur, die ihren zwischen Vater und Tochter. Abgesehen suspense neben der Multiplikation von von der Verwendung einer beweglichen Hinweisen und bruchstückweiser Enthül- Kamera werden in erster Linie die Settings lungen einem „sense of atmospheric fore- des klassischen Film noir reaktiviert, etwa boding divorced from plot“ verdankt, in der Betonung räumlicher Enge oder in konstruiert CHINATOWN als „subjective lo- der stark zurückgenommenen Farbge- cale, a ghetto in the mind“ (ebd.: 28). Auf bung. der anderen Seite wird die Narration in CHINATOWN funktioniert in vielerlei CHINATOWN durch eine visuelle Strategie Hinsichten als Retrofilm, dessen „Erinne- der „suspension in symbolic details“ rungsarbeit“ einen der wichtigsten Beiträ- (ebd.) gesteuert. Auch deswegen ist CHI- ge zur Erneuerung des Film noir im zeitge- NATOWN mehrfach lesbar, etwa als filmi- nössischen Kino liefert. Garrett Stewart sche Übersetzung des Nixon-Watergate- etwa beobachtet zahlreiche stilistische Ei- Skandals (vgl. Naremore 1998: 208), als genschaften, die denjenigen des Film noir selbstreferenzielles Spiel, dass sich u.a. aus entsprechen, ohne allerdings explizit da- der Besetzung von Nebenrollen mit John rauf Bezug zu nehmen; so z.B. „the film’s Huston oder dem Regisseur des Films, Ro- burnished visual surface […] The almost man Polanski, ergibt oder als introspektive monochromatic wash of its muted beige und allegorische „study in the lost home- and grey tones, further drenched by the less modern soul, pitted against a corrupti- amber, shadowed lighting of scene after on it can barely fend off, let alone cure. scene“ und „a sinister preoccupation in The title CHINATOWN, like THE LONG the close-ups of CHINATOWN that seems at GOODBYE and THE BIG SLEEP before it, is

Abb. 23 und 24 Die Welt der Privatdetektive und der Korruption: Dekors und dress code der 1940er Jahre erzeugen den Retro-Look des Films. Streifenmuster aus Licht und Schatten sorgen für dynami- sche Linienmuster; nahe Einstellungen psychologisieren den Blick durch Betonung von Mimik und Gestik (CHINATOWN). 1.3. Beispiele 53

Abb. 25 und 26 Diesseits und jenseits des Tores zum Wasser: Die Welt der Bilder – lesbar als eine Welt der Anspielungen auf historische Ereignisse? (CHINATOWN) also a metaphor and a euphemism for death dem Martin Scorsese Regie führte, gab […]“ (ebd.:32). Edward Gallafent betont 1975 weitere wichtige Anstöße zur Neube- demgegenüber, dass „[t]he metaphorical lebung des Film noir. Der nicht nur von meanings of CHINATOWN must be unders- seiner Familie, sondern auch von der Ge- tood in relation to an American audience sellschaft isolierte und paralysierte ehe- that hat experienced the greater part of malige Vietnamkämpfer und jetzt als Ta- the Vietnam war“ (Gallafent 1992: 265) xifahrer arbeitende Travis Bickle (Robert und bezieht sich damit auf den im Filmti- de Niro), reagiert in TAXI DRIVER auf die tel bezeichneten Ort als Metapher für ei- von ihm wahrgenommenen monströsen nen Un-Ort der US-amerikanischen Ge- Auswüchse zentrifugaler gesellschaftli- schichte; zugleich antizipiere CHINATOWN cher Auflösungserscheinungen mit bruta- die Unfähigkeit zur filmischen Artikulati- ler Selbstjustiz. Hier werden Themen wie on einer fremd bleibenden vietnamesi- Verlust der Gemeinschaft und individuel- schen Kultur in späteren Vietnamkriegsfil- le Isolation, Paranoia und Werteverfall vi- men (vgl. ebd.). Diese Interpretationen be- rulent. Die in TAXI DRIVER thematisierte legen zugleich die Thematisierungsfunkti- Kinderprostitution in den Straßen von on filmischer Verfahren in kulturellen Dis- New York bedeutet für Bickle nicht nur kursen. Und möglicherweise begründete den Ausverkauf einer sozialen Kategorie dies zugleich den kommerziellen Erfolg wie ‚Familie‘, sein Rachefeldzug gegen Zu- des Films, der auf Seiten der Filmstudios hälter und Kriminelle wird zugleich zur wiederum den Ausschlag gegeben haben Ersatzhandlung für unerfülltes Begehren – mag, erneut über Film noir nachzudenken. und zugleich auch zur filmischen Klage über den schmerzhaft empfundenen Wer- teverlust. 1.3.3 Re-Vision: TAXI DRIVER TAXI DRIVER schreibt die Noir-Tradi- TAXI DRIVER, zu dem Vietnamveteran Paul tion sehr bewusst fort. Dominiert von „ba- Schrader das Drehbuch schrieb und bei roque visuals“ mischt der Film diverse fil-

Abb. 27 und 28 In CHINATOWN zeigen sich Regisseure selbstbewusst als zwielichtige Nachtgestal- ten: Roman Polanski und John Huston. 54 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 29.1/2 Schwarze Magie des Lichts: neonlichternde Reflexionen im nassen Dunkel der Nacht (TAXI DRIVER).

mische Stile wie „Fritz Lang expressio- tiken etwa von Hitchcock, Godard oder nism, Bresson‘s distant realism, and Cor- Snow Verwendung finden, resultiert ein man’s low-budget horrorfics“, während hybrider Film, der ein neues Selbstbe- das Drehbuch in der Tradition der „pulp wusstsein im Umgang mit filmischen Re- conventions: a guy turns killer because the ferenzen und Verfahren zeigt (vgl. ebd.: girl of his dreams rejects him“ steht (Pat- 30). terson, Farber 1976: 26f). Aus der Verwen- Neben dem in romantischen Vorstel- dung von „red- or browntoned darkness lungen verfangenen einsamen Helden and the feelings of closed space“ und einer Bickle, dem allgegenwärtigen, männlich ebenso „aggressively self-assertive“ wie konnotierten Verbrechen der neoner- unhierarchischen Bilderordnung, in der leuchteten, aber finsteren Stadt erschei- Stil, Geschwindigkeit und Arrangement nen weibliche Figuren als schützenswert permanent variieret, sowie Arthaus-Ästhe- und bedrohlich zugleich. Neben der Loli-

Abb. 30.1–4 Schwarze Filmpoesie: Auflösung und Verschwinden im Schattenreich von Licht, Farbe und Nacht in der Stadt (TAXI DRIVER).

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ta-Figur Iris (Jodie Foster) wird insbeson- dere die Politmanagerin Betsy (Cybill She- pherd) durch Kleidung, Zeitlupeneffekte und voice over in Kombination mit Über- blendungen auf den Tagebuch schreiben- den Bickle als männliche Imagination rei- ner Weiblichkeit konstruiert und später zur „femme fatale manquée“ der „radical de- centered personality“ der Hauptfigur stili- siert (Grist 1992: 272f. Herv. im Orig.). Abb. 31 Travis’ Illusion als Spiegel-Bild: die mo- ralisch untadelige Betsy (TAXI DRIVER). Radikale Gewaltdarstellung, die Fins- ternis moderner urbaner Settings, nihilis- möglichkeiten für eine aus den Fugen der tische Weltsichten und der desillusionie- alten Ordnung geratene Welt. Die visuelle rende Ausblick dieses Films, in dem Travis’ Thematisierung sozialer Dekadenz produ- brutaler Akt tödlicher Selbstjustiz von den ziert ihre beunruhigende Vision auch da- Medien nachträglich zwar als Heldentat durch, dass die Inszenierung die Glaub- legitimiert wird, im Effekt aber folgenlos würdigkeit der Darstellung „of the crucial bleibt, verleiht dem Noir-Phänomen weit- decal image that floats around the world“ aus radikalere Qualitäten, als dies vorher durch ihre unmoralische Haltung gegen- denkbar gewesen wäre. Insbesondere die über thematischen Komplexen wie drastische Bildersprache von TAXI DRIVER „blacks, male supremacy, guns, woman“ steht ganz in der Tradition des Film noir: permanent subvertiert (Patterson, Farber „Visually, the film suggests a continuity 1976: 30). between the cinematic past and present.“ Martin Scorsese, der Regisseur des (Palmer 1994: 179) Und mehr noch: Sie er- Films, griff in seinem Œuvre immer wieder findet neue subjektivierende Ausdrucks- selbstbewusst auf die Tradition des Film

Abb. 32.1–4 Stilisierung von Gewalt erzeugt Bilder unerträglicher Grausamkeiten: Der zerstörte und verstümmelte Körper als Produkt psychischer Deformation (TAXI DRIVER).

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3 4 56 1 Film noir – Eine Erfindung

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7 8 Abb. 33.1–8 Hell-Dunkel-Filmmalerei mit bewegtem Licht I: Stroboskop-Effekte (BLADE RUNNER).

noir zurück. Geradezu manisch findet da- die ästhetischen und narrativen Stilisie- rin auch immer wieder eine religiöse Kon- rungen in CHINATOWN und TAXI DRIVER notation der spezifischen Ästhetik des großen Einfluss auf die weitere Entwick- Film noir ihren Ausdruck, so z.B. im Rema- lung des Noir-Films aus. ke CAPE FEAR (1991) oder in BRINGING OUT THE DEAD (1999). Obwohl auch andere 1.3.4 Stilisierung: BLADE RUNNER Produktionen in den 1970er Jahren wie KLUTE (1970, Alan J. Pakula), UN HOMME In BLADE RUNNER (1982, ) EST MORT (1972, Jacques Deray), THE LONG amalgamieren die ästhetischen Qualitä- GOODBYE (1972, Robert Altman), MEAN ten des Noir-Films mit dem Science-Fic- STREETS (1973, Martin Scorsese), FAREWELL, tion-Genre. Die Ästhetik des Films stattet MY LOVELY (1975, ) oder THE die auf Philip K. Dicks Roman Do An- DRIVER (1978, ) die Tradition droids Dream of Electric Sheep? beruhende des Film noir fortführen, übt insbesondere Erzählung vom Undercover-Polizisten 1.3. Beispiele 57

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7 8 Abb. 34.1–8 Hell-Dunkel-Filmmalerei mit bewegtem Licht II: unruhiges Spotlicht (BLADE RUNNER)

Deckard (Harrison Ford), der sechs so ge- formalästhetischer und narrativer Ebene nannte Replikanten auf ihrer Suche nach zu stilisieren. einer authentischen Identität eliminiert, Die Kombination aus Noir-Stilmitteln mit expressiven audiovisuellen Oberflä- und Science-Fiction-Elementen konstitu- chen aus. Die Inszenierung verwendet iert BLADE RUNNER für Susan Doll und Greg Topoi des Noir-Films wie den dress code Faller als „multigeneric film“ (Doll, Faller des Privatdetektivs, die klaustrophobi- 1986: 89). Ihre Zuschreibung von Film sche Konstruktion der Vision einer Stadt, noir als Genre, also als „set of codes that in der niemals die Sonne scheint und es are recognized and understood by both unablässig regnet, Neonlichter, extreme the spectator and the filmmakers via ‚com- Hell-Dunkel-Kontraste, explizite Gewalt- mon cultural consensus‘ or a ‚collective inszenierungen oder einen elliptischen cultural expression‘“ (ebd.), unterschlägt Plot, um den Ausdruck der existenzialisti- allerdings, dass Film noir einerseits selbst schen Fragestellung der Geschichte auf eine hybride Form verschiedenster ästheti- 58 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 35.1 und 2 Identitätssuche als Schattenspiel im Gegen- und Seitenlicht: Wer ist Rachel? (BLADE RUNNER) scher Traditionen ist (etwa hard-boiled-no- gerät. Immer wieder findet man aber auch vel, expressives Filmemachen, Kriminal-/ Erzählungen, in denen die Vernichtungs- Detektiv-/Gangsterfilm etc.) und zum an- drohung mit dem Versagen menschlicher deren lediglich ein filmisches Verfahren Kontrolle über die eigenen Ideen und Er- bezeichnet, das unterschiedlichen Genres zeugnisse in Verbindung gebracht wird gegenüber objektivierenden Strategien des (z.B. 2001 –ASPACE ODYSSEE 1968, Stanley narrativen Films die Möglichkeit zur Sub- Kubrick). An dieser Stelle scheinen die äs- jektivierung der filmischen Perspektive thetischen und narrativen Strategien des bietet. Insofern verdichtet BLADE RUNNER Noir-Films den Genrevorgaben funktional auf expressive Weise Elemente filmischer zu sein. Zukunftserzählungen, die die Dys- Kriminal-, Polizei- und Detektiverzählun- funktionalität des Subjekts in einer selbst- gen sowie der filmischen Romanze zu dem geschaffenen lebensfeindlichen Umwelt utopischen Entwurf eines Diskurses über thematisieren (z.B. GATTACA 1997, An- Konstruktion und Künstlichkeit von Iden- drew Niccol), scheinen geeignet für Aus- tität. drucksformen, wie sie das Noir-Verfahren BLADE RUNNER appliziert die Aus- zur Verfügung stellt. Sofern „science ficti- drucksmöglichkeiten des Noir-Films auf on reflects a fear of life in the future“ (Doll, Genrestandards der . Dreh- Faller 1986: 92) und „depends on [...] mo- und Angelpunkt für die filmischen Zu- rality and ethics“ (ebd.: 95), scheint es kunftsentwürfe der Science Fiction ist im- auch aus Gründen der Produktdifferenzie- mer wieder die Gegenüberstellung „bet- rung durchaus nahe liegend, die Standards ween the ‚human‘ and the products of der Science Fiction mit den in anderen science, technology and rationality“ Genres zum Zweck der visuellen und nar- (King, Krzywinska 2000: 11). Die Fiktion rativen Interpretation subjektiver Bedro- einer Welt, in der technische oder biologi- hungsdiskurse entwickelten und erfolg- sche Produkte menschlichen Denkens reich erprobten Mitteln des Noir-Films zu und Handelns zur Bedrohung für die aktualisieren. Auf der anderen Seite sind Menschheit werden, dominiert einen jene semantischen Felder wie Angst, Moral Großteil der Geschichten des Genres. Da- oder Ethik Allgemeinplätze zahlreicher fil- neben existieren insbesondere Entwürfe mischer Erzählmuster geworden, so dass äußerer Bedrohung durch Kreaturen von sie kaum noch als exklusives Genrespezifi- radikaler Andersartigkeit und Fremdheit kum gedeutet werden können. wie z.B. in THE ANDROMEDA STRAIN (1970, So wie Film noir bereits den Erzählun- ) oder (1979, Ridley gen des Kriminal-, Detektiv- oder Gangs- Scott). Und in der Regel handelt es sich um terfilms zu neuen Ausdrucksmöglichkei- Kollektive, deren physische Existenz ten verhalf, scheint es, als seien die filmi- durch eine äußere Gefahr in Bedrängnis schen Verfahren des Film noir auch den 1.3. Beispiele 59

Abb. 36.1 und 2 Stilisierung von Vorbildern: filmische Erinnerungen an Harry Lime (THE THIRD MAN) und Siegfried (DIE NIBELUNGEN).

Inszenierungsmodi des Science-Fiction- auch unmittelbarer an der außerfilmi- Films funktional. So besehen ist BLADE schen Realität partizipierend, originell RUNNER ein kunstfertiger Versuch, Textu- und unverfälscht. Weder das eine noch ren des Film noir auf Topoi dieses Genres das andere trifft zu. Wie die Untersuchung zu projizieren. Bereits der klassische Film des Noir-Phänomens zeigt, lässt sich Film- noir hatte indes bestehenden Genres neue geschichte nur als Kontinuum kontingen- Aufmerksamkeit verschaffen können, in- ter aber keineswegs beliebiger Verdich- dem er ihre ‚realistischen‘ Konventionen tungsaspekte konzipieren, deren Evoluti- mit Hilfe formaler Verfahren subjektivier- on sich permanenter Rekombination be- te. Auch der vielfach geäußerte Vorwurf, stehender Formen innerhalb sich gleich- „the self-conscious use of noir conven- zeitig wandelnder sozioökonomischer tions, while extensive and consistent, is und technischer Rahmenbedingungen superficial rather than analytical, pastiche verdankt. In dieser Hinsicht bezeichnet not parody“ (Grist 1992: 274) ignoriert postmodernes Filmemachen lediglich ein letztlich diese Zusammenhänge. Er ent- neues Verknüpfungsschema oder -para- steht allerdings wie viele der Betrachtun- digma neben anderen: eine Aufwertung gen von BLADE RUNNER vor dem Hinter- formalästhetischer Aspekte gegenüber an- grund der problematischen Ermittlung ei- deren filmischen Parametern – wie bereits nes vermuteten „postmodernen“ Status im Film noir. des Films als ästhetizistischem Spiel mit Auch wenn bereits in ALIEN (1979, Rid- Versatzstücken der Filmgeschichte. Pro- ley Scott) die Affinität des Science-Fic- blematisch insofern, als diese Beobach- tion-Genres zum Film noir sichtbar wird tung offenbar davon ausgeht, dass Filme- und Endzeit-Szenarios wie ESCAPE FROM machen zuvor gewissermaßen „unschul- NEW YORK (1981, ) die Äs- diger“ stattgefunden haben könnte, also thetik des Film noir vereinnahmenden, nicht nur stets auf der kreativen Suche scheint erst eine bis zur Abstraktion ver- nach neuen Ausdrucksformen, sondern dichtete Stilisierung filmischer Muster des

Abb. 37 Stadt-Bilder und Bilder in der Stadt: Abb. 38 Urbane Vision: die Metropole im Auge die Lebenswelt als Werbefläche. des Betrachters. 60 1 Film noir – Eine Erfindung

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Abb. 39.1–3 Filmzitat in PULP FICTION: Wie in THE KILLERS wird das karge Appartment zum Ar- beitspaltz der Auftragsmörder, die im orange- farbenen Lichtgewitter wehrlose Delinquenten 3 erschießen.

Film noir wie etwa die allegorische Monu- scheinbar paradoxen Geflecht, dessen An- mentalisierung städtischer Räume oder fangs- und Endpunkt nicht mit der Er- die Übersteigerung filmhistorischer Iko- zählzeit zusammenfällt. Sichtbar wird nografie in BLADE RUNNER größeren Ein- dies, wenn etwa einer der Gangster unmit- fluss auf das Genre zu nehmen. telbar nach seiner Tötung wieder lebendig Selbstreflexiv-ironisch etwa verweist auf der Leinwand erscheint. Auf diese in THE TERMINATOR (1984, James Came- Weise persifliert die Erzählung zugleich ron) ein Neonreklameschild in einer Dis- die stereotype Unsterblichkeit filmischer kothek mit dem Schriftzug „Tech-Noir“ of- Heldenfiguren. Alle Geschichten sind fen auf die Bedeutung des Film noir für die Gangstergeschichten, die um Loyalität Gestaltung des Films. Auch Fantasy-Filme und Verrat, um Ehre und Vertrauen, wie BRAZIL (1984, ) oder BAT- Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit krei- MAN (1988, Tim Burton) nutzen ästheti- sen. Doch keine der Geschichten wird ge- sche Mittel des Film noir zur ironisieren- mäß Genrekonventionen aufgelöst: Einer den Stilisierung ihrer kafkaesken und gro- der beiden Auftragsmörder, die einen tesken Zukunftserzählungen. BLADE RUN- wertvollen Koffer wiederbeschaffen sol- NER hat dafür Modell gestanden. len, steigt aus scheinbar religiös motivier- ten Gründen aus, während der andere bei der Lektüre eines Pulp-Romans auf einer 1.3.5 Selbstreflexivität: PULP FICTION Toilette kaltblütig erschossen wird; ein Die Filmzitate in PULP FICTION (1993, Boxer, der nach einem fingierten Box- Quentin Tarantino) reflektieren Genre- kampf die Wetteinsätze stiehlt, entkommt muster, für die der Film noir neue Bilder seiner Bestrafung; ein Gangster, der die erfand; seine narrative Struktur des Films Frau seines Auftraggebers unterhalten verweist direkt auf die Konstruktionsprin- soll, kann diese nur mit äußerster Not vor zipien zeitlicher Delinearität des Film dem drohenden Drogentod retten; und noir. Der Plot verwebt drei Haupt- und ein kleines Ganovenpärchen wird von ei- eine Nebengeschichte zu einem zeitlich nem der Auftragsmörder eines Besseren 1.3. Beispiele 61

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Abb. 40.1–3 Das Zitierte: In THE KILLERS illumi- nieren Lichtblitze während der tödlichen Schüs- se die Durchführung des Mordauftrags – das Lichtspiel stilisiert den Mord. 3

belehrt und verlässt reuig die Stätte seiner dem ein Paar angeheuerter Berufsmörder Untat. einen Boxer umbringt. Bis in die visuelle Daneben zitiert der Film narrative To- Auflösung der Erschießung reicht hier das poi anderer Filme, die großenteils ästheti- Zitat, denn so wie in THE KILLERS die Schüs- sche Verfahren des Film noir verwenden: se auf der Tonspur von aufblitzendem Eine Sequenz, in der eine der Hauptfigu- Licht begleitet werden, das die Gesichter ren auf der Toilette erschossen wird, ver- der Auftragsmörder erleuchtet, wird in dichtet zugleich THE THREE DAYSOFTHE PULP FICTION jeder Schuss mit einer oran- CONDOR (1974, ), PSYCHO gefarbenen Überblendung auf den je an- (1960, ) und anschlie- deren Gangster optisch hervorgehoben, ßend DELIVERANCE (1971, John Boorman) während der Blick auf die Opfer verweigert zu einem komplexen narrativen Zitat. Die wird, denn Tote oder Verletzte gibt es nach filmische Selbstreflexion setzt sich fort in diesen lediglich auf Licht- und Tonebene der Dekonstruktion von Figuren. So zitie- wahrnehmbaren Aktionen nicht zu sehen. ren die beiden Auftragsmörder Jules So wird der Tod zur visuellen Metapher. Winnfield und Vincent Vega Figuren aus Gegenstand der Strafaktion der beiden THE KILLERS (1947, Robert Siodmak), in Gangster im Appartement der Kleingano-

Abb. 41 und 42 Das Geheimnis des Koffers: das Filmmaterial hat sich verändert, filmische Struktu- ren bleiben erhalten (links PULP FICTION, rechts KISS ME DEADLY). 62 1 Film noir – Eine Erfindung

Abb. 43 Toni Manero-Travestie: John Travoltas Abb. 44 Banalisierung des Gangster-Bildes: Be- SATURDAY NIGHT FEVER-Zitat als Selbstparodie in rufsmörder bei der heimlichen Pulp-Lektüre PULP FICTION. (PULP FICTION). ven ist schließlich ein geheimnisvoll Tücken des Alltags. Dieser De-Mythologi- leuchtender Koffer, der an einen Behälter sierung folgt unvermeidlich die Re-My- aus KISS ME DEADLY (1955) erinnert, aus thologisierung durch die ironische Umin- dem es wie aus demjenigen in PULP FICTI- terpretation. In den Gangsterfiguren Jules ON hell leuchtet. Während dem Zuschauer Winnfield und Vincent Vega formuliert in KISS ME DEADLY allerdings ein offen- sich kein extrafilmischer Realismusan- sichtlicher Verweisungszusammenhang er- spruch mehr, sie sind lediglich comichafte öffnet wird, der eine Interpretation des Reproduktionen, ihre Gewalttätigkeit ist Kofferinhalts als „atomares Feuer“ nahe ebenso filmische Banalität wie ihre fürsor- legt, lässt PULP FICTION den Zuschauer da- gende (Vic Vega und Mia Wallace) oder rüber im Unklaren. Auf diese Weise wird philosophische Attitüde (Jules Winnfields der Kofferinhalt zur filmischen Metapher „Bekehrung“). eines Simulakrums vergleichbar dem in Doch PULP FICTION zeigt sich auch THE MALTESE FALCON. Schließlich wird die selbstbewusst hinsichtlich ästhetischer Frau eines Gangsterbosses unversehens Verfahren. So lässt der Filmschnitt die ver- zur femme fatale für den Gangster Vincent sehentliche Erschießung des Spitzels Mar- Vega, nachdem sie infolge versehentli- vin ebenso zum visuellen Schockerlebnis chen Drogenkonsums in ein Koma fällt, werden, wie der Kameraschwenk während aus dem Vincent sie nur mit knapper Not einer Folterszene in (1991). retten kann und damit sich selbst vor der Auch dieses Zitat bezeugt ein reflexives drohenden tödlichen Rache seines Auf- Wissen um formalästhetische Bedeutungs- traggebers. Ein oberflächlicher Witz von dimensionen filmischer Verfahren. Zitat- Mia beendet schließlich die dramatische hafte Verweise finden sich schließlich im Episode und bricht auf diese Weise das zu- gesamten Film, der in seiner selbstreflexi- vor mit drastischen Bildern inszenierte ven Konstruktion filmischer Versatzstücke existenzielle Bedrohungszenario ironisch. alte Bedeutungsdimensionen dechiffriert PULP FICTION säkularisiert die Muster und neue encodiert. Das Zitieren von Gen- des Noir-Gangsterfilms durch ihre Einbet- retopoi erfährt in PULP FICTION seine bis tung in eine popkulturell dominierte All- dato ästhetisch differenzierteste und öko- tagskultur und funktionalisiert damit die nomisch erfolgreichste Ausformulierung. ästhetizistische Attitüde der Pop-Art für Das dekonstruktive Verfahren des den Film. So raubt etwa die Einbettung in Films ermöglicht zugleich mehrere Lesar- Alltagszusammenhänge den Gangstern ih- ten und die an PULP FICTION anschließen- ren mythologischen Nimbus. Das Verfah- de Debatte über die Inszenierungsmodi ren der Dekonstruktion von Konventio- von Gewalt gibt Auskunft darüber, welche nen bildet den Hintergrund für das perma- Anschlussmöglichkeiten der Film bereit- nente Scheitern der Filmhelden an den stellt bzw. welche Folgen Wahrnehmung 1.3. Beispiele 63

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Abb. 45.1.–3 Dekonstruktion des Gangstermy- thos: Duschen im Freien, College-T-Shirts und Bermuda-Shorts als Aufbewahrungsort für Mordinstrumente (PULP FICTION). 3

und Nicht-Wahrnehmung haben können konsequent weiter. Allerdings ist PULP FIC- (vgl. Kuhlbrodt 1998 und Horst 1998). Die TION und seinen Epigonen im Gegensatz Selbstbezüglichkeit des programmatischen zu den Filmen der Nouvelle Vague das po- Eklektizismus macht die Unterstellung litisch-pädagogische Statement fremd. mangelnder moralischer Beobachtungsfä- Hier findet sich nurmehr eine spielerische higkeit problematisch, weshalb für PULP Form der Aufarbeitung, eine Art joy ride FICTION die Gewaltdebatte in dieser Hin- durch die Filmgeschichte, insbesondere sicht ins Leere läuft: Gewaltbeobachtun- die des Noir-Films. Dazu bedarf es aller- gen finden in PULP FICTION ihren beobach- dings filmgeschichtlichen Vorwissens um teten Gegenstand nicht in den ‚realen‘ Ge- Stereotypen. So trifft etwa in gleichem waltverhältnissen der Gesellschaft, son- Maß auf John Travoltas Bedeutung für dern in den Gewaltbeobachtungen ande- PULP FICTION zu, was bereits für Eddie rer Filme. Gewaltdarstellung fungiert hier Constantine in ALPHAVILLE galt: Erst das als Stilmittel und die bewusst ästhetisie- Wissen um die Figur des von Constantine rende Verwendung formaler Mittel reflek- gespielten unverwüstlichen Helden Lem- tiert zugleich das filmische Verfahren des mie Caution in einer Reihe stereotyper Ac- Film noir. PULP FICTION ist ein Produkt aus tion-Filme ermöglichte die Wahrneh- selbstbewusst-ironischem, unabhängigem mung der Dekonstruktion des Klischees Kunstkino und zeitgemäßer Pop-Attitüde, im Selbstzitat. In gleicher Weise ist etwa die die camp-Rezeption erneut beflügelte das Zuschauerwissen um John Travoltas und so erfolgreich auf zeitgenössische Seh- filmkulturelle Bedeutung notwendige Be- erfahrungen rekurrieren konnte. dingung für die Möglichkeit der Rezeption Es scheint andererseits, als sei das eines zweiten Textes bzw. einer weiteren selbstreflexive Kino der Nouvelle Vague in Bedeutungsebene von PULP FICTION, die einer auf die Bedürfnisse der populären sich im umfangreichen Zitateapparat ma- Kultur zugeschnittenen, US-amerikani- nifestiert. Sie offenbart sich erst im Wissen schen Variante endlich massentauglich um Travoltas Rolle als Tony Manero in geworden. Der Hinweis auf die Filme ins- SATURDAY NIGHT FEVER (1977) und seine besondere Jean-Luc Godards scheint hier Funktion als Star und Ikone der durch den durchaus angebracht, denn das Spiel mit Film maßgeblich ausgelösten Disco-Welle Ästhetik und Narration konventionalisier- der 1970er Jahre. Dies setzt film- und kul- ter Zeichenprozesse führt PULP FICTION turhistorisches Bewusstsein ebenso voraus 64 1 Film noir – Eine Erfindung

wie ein Bewusstsein von den Konstruk- nenten lustvollen re-reading förmlich ein- tionsmustern jener Schemata, die Filme lädt. Nicht zuletzt hat die selbstreflexive wie ALPHAVILLE oder PULP FICTION reflek- Bearbeitung der Filmgeschichte in PULP tieren. Doch bereits die filmischen Verfah- FICTION die Filmproduktion seit den ren des frühen Film noir verdichteten 1990er Jahren dazu angeregt, der Metho- letztlich nichts anderes als bereits vorhan- dik des Noir-Films noch mehr Aufmerk- dene ästhetische Ausdrucksformen zu ei- samkeit zuteil werden zu lassen – mögli- ner veränderten Form visueller und narra- cherweise auch, weil ihre bewährte Fähig- tiver Reflexion von Genrevorgaben. Neu keit zur Sensationalisierung von Filmbil- scheint hingegen, dass das zitathafte dern den massenmedialen Bedürfnissen so Puzzlespiel von PULP FICTION zum perma- gut Rechnung trägt.

1.4 Filmwissenschaft

„If there is a most significant difference lage von Jim Thompson, und Remakes wie between then and now, it is in what moti- AGAINST ALL ODDS (1984), Remake des vates the creation of the films […] From Film noir OUT OF THE PAST (1947), oder NO the late 1970s to present, in a ‚Neo-Noir‘ WAY OUT (1987), Remake von THE BIG period, many of the productions that re- CLOCK (1948); drittens Filme, in denen create the noir mood, whether in remakes Hauptfiguren Opfer ihrer Zuneigung zu or new narratives, have been undertaken einer verhängnisvollen fremden Person by filmmakers cognizant of a heritage werden wie in FATAL ATTRACTION (1987); and intent on placing their own interpre- viertens Filme mit desillusionierten Poli- tation on it.“ zisten wie in BEST SELLER (1987) oder MAN- Alain Silver, Elizabeth Ward (1992: 398) HUNTER (1986); fünftens Filme wie 52 PICK-UP (1986) oder THE SILENCE OF THE Alain Silvers Versuch einer Klassifizierung LAMBS (1991), in denen Psychopathen des neueren Noir-Films (Silver/Ward und Serienmörder psychische Extreme re- 1992: 398ff.) lehnt sich an Raymond präsentieren; sechstens Filme, in denen Durgnats mehr prosaisch mäandernder Unschuldige unvermittelt in albtraumhaf- denn analytisch durchdringender Kon- te Situationen geraten und sich die Reali- zeption eines family tree des Noir-Films an, tät des Alltags plötzlich als unsicher und dem Entwurf eines „Stammbaums“ des instabil erweist wie in THE HITCHER Noir-Films mit diversen Verzweigungen, (1985); siebtens Gangsterfilme wie THIEF denen je völlig unterschiedliche Vorstel- (1980), HOUSE OF GAMES (1987), KING OF lungen anhängen: Erstens selbstbewusster NEW YORK (1990) oder RESERVOIR DOGS -Noir von Regisseuren wie Walter (1991); achtens „New Age P. I. and De- Hill (, 1978; JOHNNY HANDSOME, Tech Noir“ (ebd.: 414) in Filmen mit De- 1988; LAST MAN STANDING, 1995), Filme tektiven, die sich ungewöhnlicher Ermitt- wie BODY HEAT (1981), SHATTERED (1991) lungsmethoden bedienen wie in KLUTE oder D.O.A. (1988) sowie Phil Joanous (1970) oder DEAD AGAIN (1990); neuntens FINAL ANALYSIS (1991); zweitens Noirs, die „Kid Noir“ (ebd.), in dem Unsicherheit auf hard-boiled-Geschichten basieren wie und Angst Heranwachsender thematisiert THE GRIFTERS (1990) nach der Romanvor- werden wie in GLEAMING THE CUBE (1988) 1.4 Filmwissenschaft 65

oder OUT OF THE RAIN (1990); zehntens Ra- sual or narrative aspects of the noir of the chefilme wie MS. 45 (1980), THE HAND forties and fifties but that are set in the THAT ROCKS THE CRADLE (1991); elftens present.“ (Wager 1999: 124) Davon grenzt Noirs, in denen weibliche Hauptfiguren Wager retro-noir ab, „to describe films set traditionell männliche Rollen besetzten in the forties or fifties, the time when film wie in BLUE STEEL (1989), IMPULSE (1989) noirs are actually being made.“ (Ebd.) oder LOVE CRIMES (1991); zwölftens Filme Richard Martin kontextualisiert den mit Paaren auf der Flucht wie BLOOD SIM- zeitgenössischen Noir-Film entlang einer PLE (1984) oder GUN CRAZY (1992); als Einteilung in Dekaden gemäß übergreifen- letztes Kriterium dienen Silver ökonomi- der kultureller Tendenzen wie „Seventies sche Produktionsfaktoren wie geringe Revisionism“, „Eighties Pastiche“ und Budgets, begrenzte Aufführungen und „Nineties Irony“. Vor dem Hintergrund Produktion eigens für Video- und Fern- unterschiedlichen Umgangs mit kulturel- sehverwertung zur Klassifikation des len Artefakten geht Martin von Film noir „Neo-B“ (ebd.). als Genreformation aus, die sich im Laufe Spätestens hier werden die Probleme der Zeit verändert habe, „evolving directly einer Differenzierung entlang mehr oder in relation to an industrial, political, and minder beliebig festgelegter Auswahlkrite- sociocultural context that is forever in a rien deutlich. Zum einen lassen sich, wie state of flux“ (Martin 1997: 63). Obgleich Silvers Ausführungen zeigen, dieselben diese Perspektive einen vielversprechen- Filme jeweils auch anderen Kategorien zu- den Versuch bedeuten könnte, rhetorische ordnen, was immerhin Vermutungen über Modi des Noir-Films zu historisieren, blen- Möglichkeiten weiterer, ungenannt blei- det sie die Entwicklung filmischer Verfah- bender Ordnungsschematas des Noir- ren und Funktionsweisen des Noir-Films Films nahe legt. Andererseits scheint es, systematisch aus. Der Versuch einer Peri- als sei eine solche Auflistung beliebig fort- odisierung war zugleich bereits einer der setzbar, weil sich die Zusammenschau of- problematischeren Aspekte in Paul Schra- fenbar einzig einer quantitativen Begrün- ders „Notes on Film noir“ (Schrader 1972). dung verdankt. Daneben kommt ihr das Auch Martins Konzeption, sich aus- Verdienst aller empiristischen Verfahren schließlich auf bekannte und erfolgreiche zu, die Diskussion um den zeitgenössi- Filme bzw. Filme ‚bedeutender‘ Regisseure schen Noir-Film mit – hinreichend, aber zu kaprizieren, kann den Zusammenhang nicht notwendig begründbar – ausrei- von Ästhetik und Kultur, von filmischen chendem Material zu versorgen. Eine mo- Verfahren des Noir-Phänomens zur Kon- dellhafte Erklärung lässt sich daraus indes struktion kultureller Bedeutungen nicht nicht ableiten. Dennoch scheint Silvers erfassen. These, dass „although film noir was not a Auch für Foster Hirsch bedeutet die genre, its creators were quick to recognize zeitgenössische Entwicklung des Noir- the viewer expectations that became asso- Films, dass „neo-noir does exist and that ciated with it and to exploit them“ (Sil- noir is entitled to full generic status.“ ver/Ward 1992: 443) auch die weitere Ent- (Hirsch 1999: 4; Herv. im Orig.) Auch wicklung dessen, was (auch von Silver) als wenn dies zugleich wie eine Beschwö- Neo Noir bezeichnet wird, zutreffend cha- rungsformel in einem Zuschreibungsritual rakterisiert. Dem fügt Jans B. Wager eine klingt, das Hirsch selbst 1981 mitinitiiert pragmatische Lesart hinzu, indem er vor- hat, verspricht sein aktueller Versuch eine schlägt, neo-noir zur Bezeichnung von Fil- historische Revision des Phänomens: „1941 men zu verwenden, „that refer back to vi- and 1958 are convenient bookends for a 66 1 Film noir – Eine Erfindung

coherent collection of crime movies with chen des Genreansatzes bei der Aufklä- echoing titles, visual signifiers, narrative rung filmischer Phänomene offen: Einmal patterns, and character types that can now als klassische Phase des Film noir etabliert, be labeled ‚classic noir‘. But this group of bleibt diese Zeitspanne einziges Bezugs- films, among which, of course, there are moment zur Bewertung anschließender marked differences in quality and design, Noir-Produktionen und filmischer Ent- should be considered a phase of a larger wicklungen. In dieser Perspektivierung er- cycle that began well before 1941 and sur- scheint Film noir als Genre in einer au- vives to the present.“ (Ebd.: 12) Zugleich teur-Semantik. Die historistische Perspek- benennt Hirsch augenzwinkernd das Prob- tive stellt den Blick auf Veränderungen fil- lem der Beobachtung des zeitgenössischen mischer Verfahren unter die Ägide eines Noir-Films: „How much noir does a picture unterstellten, ontologischen Status der need to merit the neo-noir tag?“ (Ebd.: 13) Vorbilder. Da Film noir andererseits selbst Seine an diese Frage anschließende lediglich Verdichtungsmoment in einer Analyse thematischer und visueller Konti- umfassenderen filmhistorischen Entwick- nuitäten beschreibt die Entwicklung des lung ist – ein weiterer Text in einer Hete- Noir-Films anhand von Remakes, französi- rarchie von Texten – lässt sich zwar ein als schem Einfluss, hard-boiled-Traditionen, „klassisch“ zu bezeichnendes Zentrum in Prinzipien des Investigativen, Konstruk- dieser Zeit vermuten, allerdings hängt sein tionsprinzipien von Weiblichkeit, Formen Fortbestehen keineswegs von einer mut- melodramatischer Bearbeitung individu- maßlichen Ermüdung oder Zermürbung ellen Unglücks, Entwürfen der Welt des des Materials ab, sondern vielmehr von Bösen sowie blaxploitation Noir-Filmen. seiner Fähigkeit, bestimmte Funktionen Die Dekonstruktion der Mythologie des zur Erzeugung bestimmter Effekte bei Be- Noir-Films, etwa die Aufdeckung seiner darf zur Verfügung zu stellen. Auch wenn Tradition im Horrorfilm in den hybriden die Trauer über die Unwiederholbarkeit Filmen (1986), DEAD AGAIN der so genannten „klassischen“ Phase ei- (1991) oder LOST HIGHWAY (1996) oder die nem Affekt gegenüber neueren Produktio- Übertragung auf andere Genres wie in den nen einen kritischen Ausdruck verleiht, Science Fiction Filmen ALPHAVILLE (1965) garantiert nur die Fähigkeit zur Bereitstel- oder BLADE RUNNER (1982), bezeichnet lung funktional äquivalenter filmischer Hirsch allerdings als „perhaps symptoma- Verfahren den Fortbestand des Noir-Films. tic failure“ (Hirsch 1999: 314). Verständ- James Naremore hat auf die multiplen lich wird diese Beurteilung vor Hirschs Herausforderungen der Debatte um den Konstruktion des Noir-Films als Genre: Film noir mit einer Analyse des kulturellen „Too many parodies, with their facile de- Gebrauchs der Bezeichnung reagiert und construction, can spell the death of any Film noir als Verdichtungsmoment unter- genre.“ (Ebd. 320) Dies erinnert zugleich schiedlicher Diskurse konzipiert. Dies hat fatalerweise an die populäre „Ende“-Meta- den Vorteil, Film noir als intertextuelles phorik. Doch bei genauerer Betrachtung Geflecht mit sehr verschiedenen funktio- bleibt Hirsch die Antwort auf seine Frage nalen Bezügen beschreibbar zu machen. schuldig. Obgleich Hirsch aufschlussreich Das Modell vermeidet Hierarchisierungen, Informationen über zeitgenössische Noir- indem es Film noir gleichberechtigt in be- Figurationen liefert, bleibt auch sein Ant- griffs- und ideengeschichtlichen, filmhis- wortversuch mit Hilfe einer schematisier- torischen sowie kulturgeschichtlichen ten Aufzählung von Fakten methodisch und politischen Zusammenhängen rekon- unbefriedigend und legt zugleich die Schwä- struiert und hier insbesondere seinen dis- 1.4 Filmwissenschaft 67

kursiven Status innerhalb von Prozessen more greift auf filmische Artefakte zurück, soziokultureller, politischer und ästheti- ohne ihre Konstruktion zu durchleuchten, scherer Modernisierung betont. Damit um so Aufschlüsse über mögliche Ursa- antwortet Naremore nicht nur auf das im- chen ästhetischer Effekte zu erhalten. mer wieder formulierte Problem, was (!) Denn erfüllte und erfüllt „noir“ in be- Film noir (und Neo Film Noir) als Genre stimmten kulturellen Diskursen eine spe- auszeichnet, sondern zugleich auf die „ti- zifische semantische Funktion, so setzt sei- resome“ (Naremore 1998) Debatte darüber ne Beobachtbarkeit dennoch Fabrikation selbst. Naremores Diskurs über den Dis- und Implementation in diskursive Prozes- kurs über Film noir analysiert die kulturel- se voraus: Filme bzw. Noir-Filme. Es kommt le Produktion des Noir-Phänomens durch also ebenso sehr auf Funktionen und eine komplexe Betrachtung seines Ge- Funktionserfüllung innerhalb eines kom- brauchs in Kontexten seiner intellektuel- munikativen Geschehens an. Überquert len, sozialen und kulturellen Geschichte. man die Grenze der Beobachtung des zeit- Vor diesem Hintergrund bedeutet der zeit- genössischen Noir-Films von der Kultur- genössische Noir-Film nichts anderes als analyse zur Filmanalyse, so lässt sich ei- die Fortsetzung eines diskursiven Bezie- nerseits der Beitrag des ästhetischen Ver- hungsgeflechts, das sich Strömungen und fahrens zur Konstruktion von „noirness“ Moden anpasst, und damit unvermindert (Naremore 1998: 2; Herv. im Orig.) ermit- erfolgreich ist: „At the very last, we need to teln und andererseits zugleich aufzeigen, recognize that noir is a much more flexi- wie die von historisch kontingenten Ent- ble, pervasive, and durable mood, style, or wicklungen abhängige Suche nach funk- narrative tendency than is commonly sup- tionalen Äquivalenten die Funktionalität posed and that it embraces different media des Noir-Prinzips zur Generierung be- and different national cultures through- stimmter kulturell deutbarer narrativer out the twentieth century.“ (Naremore Formen stabilisiert. Immerhin bekommt 1998: 261) Obwohl Naremore auf eine auch die kulturelle Beobachtung der umfassendere kulturgeschichtliche Rah- Noir-Diskurse die zentrale operative Ein- mung des Begriffs „noir“ abzielt, sollte heit – blackbox – Film noir nur von außen nicht übersehen werden, dass der Termi- zu sehen. Der anschließende Entwurf ei- nus zunächst erfolgreich zur Umschrei- nes Verdichtungsmodells soll diese Beob- bung spezifischer medialer Effekte des Me- achtung um eine Beschreibung ihrer Funk- diums Films diente und diese Begriffsver- tionsweise bereichern. Es geht also um das wendung unverändert Bestand hat. Doch Innenleben der blackbox, um die Themati- auch Naremores Versuch kann letztlich sierungsfunktion einer kommunikativen nur wenig zur Klärung der Frage beitragen, Mechanik, die bis in die Gegenwart be- welche aufmerksamkeitserzeugenden, äs- stimmbare Diskurse mit Erzählungen ver- thetischen Verfahren am Werk sind, deren sorgt und zugleich Element dieser Diskur- Ergebnis erst die kulturell eingeschliffenen se selbst geworden ist. Diskurse über Film noir sind. Auch Nare- 68 1 Film noir – Eine Erfindung

1.5 Grenzüberschreitung

„Draw a Distinction.“ feld multinationaler Filmgesellschaften. G. Spencer Brown (1977: 3) In diesem Zusammenhang scheint es un- umgänglich, zunächst diesen Kontext als „Mit dem Auffinden der Dominante kann Referenzmodell der Ermittlung abwei- die Analyse beginnen.“ chender filmischer Verfahren zu verwen- Kristin Thompson (1995: 60) den. Auch wenn im Zentrum von Noir-Fil- men immer wieder höchst individualisti- Film ist zunächst ein ästhetischer Prozess, sche und subjektivierende Erzählungen der Bedeutungen generiert. Sofern es eine neben zumeist expressiven, manchmal „modernist emphasis upon the implicati- aber auch semidokumentarischen Ästheti- on of form in the creation of meaning“ ken auffindbar sind, scheinen Verbindun- (Grist 1992: 267) gibt, scheinen die stili- gen zur filmischen Avantgarde oder zum sierten Formenspiele des Film noir ein filmischen Dokumentarismus vage. Ob- Versuch der Modernisierung bestehender wohl Noir-Filme mit vorhandenen Bild- audiovisueller und narrativer Standards und Tonästhetiken und Erzählmustern zu des Genrefilms und der realistischen Er- experimentieren scheinen, sind es zu- zählung zu sein. Doch Film noir ist nicht gleich die realistischen Erzählprinzipien nur Agent (unter anderen), sondern auch des narrativen Films, die dem Noir-Film zu Angriffsfläche kultureller, d.h. auch: me- einer gewissen Popularität verhelfen. Inso- dialer Modernisierungsprozesse. Die Inter- fern partizipieren Noir-Filme zugleich am pretationen, die Film noir angeregt hat, Erfolg der Produktionsweise à la Holly- verzichten jedoch zumeist auf eine me- wood. Daran hat sich seit Anfang der thodische Durchdringung des ästheti- 1940er Jahre nichts geändert. Geändert schen Materials. Film noir, darauf deuten haben sich indes die filmischen Möglich- vor allem Marc Vernets Einlassungen hin keiten, mit Hilfe expressiver Verfahren be- (Vernet 1993), fungiert oftmals lediglich unruhigende Erzählungen zu realisieren. als readymade für Kritiker und Enthusias- Wenn eine Funktion von Kunst darin ten, so als ob Film noir mehr sei als ein besteht, alternative Optionen oder unrea- kontingentes Verdichtungsmoment in- lisierte Möglichkeiten im Medium der nerhalb längerfristiger filmhistorischer Kunst wahrnehmbar zu machen und als Entwicklungen. Fiktion technisch-poetisch zu realisieren Auf der anderen Seite resultiert die At- (vgl. Luhmann 1995: 215ff.), schließen traktion des Noir-Phänomens aus seiner sich Fragen nach den Gestaltungsprinzi- Verschiedenheit vom Gewohnten. Film pien der Realisation unmittelbar an. Zwar noir markiert also eine Differenzqualität. hat die Forschung über den Noir-Film Und der Unterschied, der den Unterschied zahlreiche Hinweise auf seine Poetik gelie- Film noir ausmacht, liegt in der Verände- fert, eine systematische Erfassung ihrer rung ästhetischer Verfahren gegenüber Entwicklung steht aber aus. Unverändert den Standards des Filmemachens begrün- stehen partikulare Analysen des Visuellen det. So wie Film noir als alternative Form (Place, Petterson 1974) neben narrativen zum illusionistischen Realismus der Gen- Untersuchungen (Telotte 1989) und Gen- reerzählungen entsteht, reüssiert der zeit- rebeschreibungen (Hirsch 1981), die wie- genössische Noir-Film innerhalb standar- derum zu Prämissen anschließender disierter Produktionsformen im ökono- ideengeschichtlicher, psychoanalytischer misch ebenso effektiv strukturierten Um- und ähnlicher Interpretationen geworden 1.5 Grenzüberschreitung 69

sind. James Naremore hat gezeigt, wie die- änderung auf der Ebene technischer se Bearbeitung des Phänomens Film noir Durchführung steuern, erbringt auch das zur Konstruktion eines populären Mythos Verfahren des Noir-Films Anpassungsleis- geführt hat. Das zu Grunde liegende filmi- tungen durch die fortgesetzte und andau- sche Prinzip geht in dieser Fassung des ernde Entwicklung alternativer Darstel- Film noir in erster Linie in Genrezuschrei- lungsformen und Inszenierungsmodi, um bungen, in Aufzählungen scheinbar un- in den von Naremore aufgezeigten multi- veränderlicher Parameter und quantitati- plen Diskursen anschlussfähig bleiben zu ven Bestätigungen in entsprechenden Zu- können. Es geht also um Variationen fil- sammenstellungen auf. Der Forschung mischer Formenspiele zur Erhaltung der schien bislang jedenfalls das Was immer Funktionalität und damit um den Modus wichtiger als das Wie des Noir-Films. Das operandi des Noir-Films auf der Ebene fil- setzt sich bei der Beschreibung neuerer mischer Funktionsweisen. Die Frage lautet Formen – dem so genannten „Neo Noir“ – dann: Wie funktioniert noir als filmisches fort und führt zu den beobachtbaren Apo- Verfahren? rien. Die Debatte um „Neo Noir“ scheint die Fehler dieser Diskussion um Film noir 1.5.1 Funktion und Bedeutung nur zu wiederholen, weil sie keinen me- thodischen Ort für die Beobachtung von „Funktion ist die Art und Weise des Sich- Veränderungen medialer Praxen, d.h. Ver- geltend-Machens des Subjekts gegenüber fahren angeben kann. Die Ausdifferenzie- der Außenwelt.“ rung der Debatte um Film noir wird mit Jan Mukarovský (1970b: 125) der Ausdifferenzierung der filmischen Ver- fahren, die diese Bezeichnung erst ermög- Um die funktionale Analyse filmischer lichen, verwechselt. Nur so lässt sich der Verfahren haben sich die Arbeiten des Erfolg dieses Mythos erklären, dessen Kern neoformalistischen Ansatzes verdient ge- unangetastet bleibt und Film noir als macht. Für den hier skizzierten Kontext selbsterfüllende Prophezeiung inkarniert. des Film noir eröffnen insbesondere die Dabei scheint Film noir zunächst Untersuchungen zum klassischen Holly- nichts anderes als ein spezifisches Verfah- wood-Film (Bordwell, Staiger, Thompson ren zu bezeichnen, Filme anders zu ma- 1985) und David Bordwells formalistische chen und von Standards abzuweichen. Fo- Untersuchung zu Erzähltechniken im fik- lie dafür sind objektivierende, ‚realisti- tionalen Film (Bordwell 1985) einen Ana- sche‘ Filmerzählungen, deren filmische lysehorizont für die diachrone und syn- Verfahren unvermindert den internatio- chrone Betrachtung des Noir-Phänomens. nalen Filmmarkt dominieren. Vor diesem Für Bordwell sind die wichtigsten Funk- Hintergrund argumentieren Bordwell et tionskomplexe filmischer Prozesse Stil al. schließlich, dass „[t]he crucial point, und Plot, also die Ebenen der audiovisuel- however, is that formally and technically len und der erzähltechnischen Verfahren. these noir films remained codified: a mi- Ihr Zusammenspiel bringt die Narration nority practise, but a unified one. These hervor. Der Zuschauer konstruiert aus den films blend causal unity with a new realis- narrativ vermittelten Informationen un- tic and generic motivation […].“ (Bordwell ter Zuhilfenahme gelernter Schemata die et al. 1985: 77) Und so, wie auch „klassi- Fabula (s. Bordwell 1985: 48ff.). Zumin- sche“ narrative Filme ihren anhaltenden dest lässt sich damit ein erster Bezugsrah- Publikumserfolg durch Wiederholung auf men für die Filmanalyse ermitteln, denn der Ebene des narrativen Prinzips und Ver- die Anwendung der neoformalistischen 70 1 Film noir – Eine Erfindung

Methodik zur Klärung der Frage nach den tische Funktion beschrieben, die in Kunst- Modi operandi des Film noir führt die werken „das Prinzip der Äquivalenz von Analyse des filmischen Phänomens na- der Achse der Selektion auf die Achse der mens noir zunächst zurück auf den Gegen- Kombination“ (Jakobson 1971: 153) über- stand selbst, auf seine filmischen Verfah- trägt und auf diese Weise das Sujet in das ren. Der Rekurs auf eine Betrachtung von formale Arrangement transformiert. Oder Kunst als Verfahren, wie sie vom russi- anders formuliert: Die paradigmatische schen Formalismus entwickelt worden ist Wahl wird in die syntaktische Ordnung (Šklovskij 1994), hat den Vorteil, dass sich übersetzt, die Semantik in der formalen unter dem Gesichtspunkt der Abwei- Struktur des Kunstwerks abgebildet bzw. chung von künstlerischen Standards film- das Gemeinte erscheint im Gemachten. immanente Vergleichsgesichtspunkte be- Damit erscheint jedes formale Element zu- nennen lassen, mit deren Hilfe eine Viel- gleich als Bedeutungsträger. Die Analyse zahl unterschiedlicher Noir-Produktionen des poetischen Verfahrens wird so zur not- erfasst werden können. wendigen Voraussetzung der Ermittlung Das Modell beruht auf der Konzeption von Bedeutungen. Aus diesem Grund von Kunst als poetischem Verfahren. Da- müssen alle Elemente einer poetischen rin wird jedem Element des filmischen Struktur unterschiedslos der Verfahrens- Prozesses ohne Ausnahme eine Funktion analyse zugänglich gemacht werden. Und zugeschrieben, die im Zusammenspiel al- erst vor diesem Hintergrund werden ler im Kunstwerk enthaltenen Komponen- schließlich diachrone und synchrone Be- ten einen formalen Zweck erfüllt. Die Poe- schreibungen der Funktionalität der poeti- tik des Filmischen umfasst aber nicht nur schen Formen des Noir-Films möglich. die Auswahl der technischen Mittel, son- Diesen Grundzügen einer Poetik des dern auch „subject matter, traditional mo- Films entsprechend folgt die Struktur der tifs, and new or old ideas“ (Bordwell 1983: Untersuchung filmischer Verfahren des 9). Der funktional klassifizierende Kunst- Noir-Films in den folgenden Kapiteln II begriff des Formalismus vermeidet also und III. Sie übersetzt die Differenzierung nicht nur einen qualitativ wertenden Zu- in Stil, Plot und Inhalt pragmatisch in eine griff auf Kunstwerke, der das Formenspiel diachrone und synchrone Untersuchung des Kunstwerks im Hinblick auf die ange- der technischen Aspekte des Audiovisuel- messene oder unangemessene Umsetzung len (Abschnitt 2.1), narrativer Aspekte des des Inhalts qualifizieren würde; er gibt Arrangements von Informationseinheiten vielmehr die Unterscheidung von Form (Abschnitt 2.2) und thematischer Verdich- und Inhalt zur Beschreibung von Kunst- tungen (Abschnitt 2.3) des Noir-Films. Da- werken auf und stellt auf die Betrachtung bei soll geklärt werden, inwiefern jedes künstlerischer Verfahren um, in denen Element des narrativen Prozesses nicht sich alle Elemente wechselseitig bedingen. nur eine charakteristische historische Poe- Entsprechend werden sowohl audiovisuel- tik des Film noir hervorbringt, sondern in- le, erzähltechnische als auch inhalt- wieweit die auf diese Weise spezifizierbare lich-thematische Eigenschaften als funk- Struktur des narrativen Prozesses zugleich tionale Einheiten in einem unhierarchi- konkret bedeutungsrelevant wird, also als schen, aber strukturierten dynamischen Zeichen fungiert. Damit geht die anschlie- System aufgefasst, die aufeinander einwir- ßende Untersuchung über das formalisti- ken und sich gegenseitig bestimmen. Ro- sche Modell insofern hinaus, als sie das man Jakobson hat diesen Zusammenhang Terrain der Untersuchung der rein poeti- im Kontext seines Zeichenmodells als poe- schen Funktion (im Sinne Jakobsons) des 1.5 Grenzüberschreitung 71

filmischen Ausdrucks verlässt. Obwohl die Verhältnis von Frau und Mann im Melo- dominierende Stellung der poetischen drama (vgl. zu dieser Darstellung: Bord- Funktion auch für den Noir-Film nicht be- well, Thompson 2001: 46ff.). Während re- stritten werden soll, lässt sich allein mit ferenzielle und explizite Bedeutungen un- Hilfe einer funktionalen Analyse seiner mittelbar auf der Oberfläche des filmi- historischen Poetik kaum der Zusammen- schen Ausdrucks erscheinen, sind implizi- hang zwischen filmischem Verfahren und te und symptomatische Bedeutungen Pro- der Thematisierung bestimmter semanti- dukte der Interpretation durch den Zu- scher Komplexe wie Pessimismus, existen- schauer, also nur mittelbar vorhanden. zielle Bedrohung, Defätismus, Paranoia Insbesondere die Ebene der symptomati- u.ä. ermitteln. Die Verbindung von Poetik schen Bedeutung erinnere aber daran, dass und kulturellem Kontext bliebe somit un- Bedeutungen soziale Phänomene und klar. Film noir, so lautet deswegen die Hy- ohne sozialen Bezug nicht wahrnehmbar pothese, ist in gleichem Maße ein Bedeu- seien (vgl. ebd.: 48). Zugleich kann ande- tungen zuschreibendes, d.h. Semantiken rerseits je nach kognitiver Disposition des produzierendes Verfahren. Zuschauers ein und dieselbe filmische Äu- Die Form der Bedeutung hat bereits im ßerung auch mehrere Bedeutungsebenen neoformalistischen Ansatz durchaus ei- aufweisen. So hat beispielsweise der Aus- nen theoretischen Ort: „Bedeutung ist spruch „Dick Laurant is dead“ in LOST nicht das Endresultat eines Kunstwerks, HIGHWAY nicht nur die explizite Bedeu- sondern eine seine formalen Komponen- tung, dass eine Person namens Dick Lau- ten.“ (Thompson 1995: 32) Im neoforma- rant gestorben ist, sondern zugleich die listischen Modell werden Bedeutungen in implizite Bedeutung, dass hier ein Un- Denotationen und Konnotationen unter- recht geschehen ist und möglicherweise teilt. Im Bereich der Denotationen wird die symptomatische Bedeutung, dass die außerdem zwischen referenzieller und ex- Aussage zur Aufnahme der Ermittlung der pliziter Bedeutung unterschieden. Wäh- Todesumstände führen muss, weil etwa rend referenzielle Bedeutung entsteht, das Rechtsempfinden dies verlangt. Die wenn der Zuschauer bestimmte Aspekte Tatsache, dass der Spruch gegen Ende des des Films mit der ihm bekannten außerfil- Films noch einmal wiederholt wird, offen- mischen Realität identifiziert (z.B. Orte, bart seine referenzielle Bedeutung und Namen, Datum), stellt die explizite Bedeu- verschiebt das Wertgefüge seiner ur- tung eine vom Film direkt formulierte Be- sprünglichen Bedeutungsdimensionen deutung her (z.B. durch Verbalisierung). schließlich grundlegend. Im Bereich der Konnotationen lassen sich Zumindest für die Analyse der filmi- implizite und symptomatische Bedeutun- schen Form geben Bordwell und Thomp- gen unterscheiden. Implizit ist eine Be- son in diesem Zusammenhang zu beden- deutung, sofern sie aus der Abstraktion ei- ken, dass die Abstraktionslage interpretie- ner filmischen Äußerung abgeleitet wird render Zugriffe auf die impliziten oder (z.B. eine Fahrstuhlfahrt als Allegorie für symptomatischen Bedeutungen des filmi- den Abstieg der Hauptfigur in die Hölle in schen Materials dazu führen könne, dass ANGEL HEART). Sofern die abstrakte Bedeu- die Analyse das konkret Filmische aus dem tung ideologisch motiviert erscheint, also Blick verliere (vgl. Bordwell, Thompson auf ein bestimmbares Wertesystem bezo- 2001: 47). Im Grunde handelt es sich dabei gen wird, erlangt die filmische Äußerung allerdings wohl eher um eine befremdlich symptomatische Bedeutung, wie etwa die wirkende Kritik am Zeichengebrauch des bürgerliche Ideologie der Familie oder das Zuschauers. Denn der Einwand übersieht, 72 1 Film noir – Eine Erfindung

dass unterschiedliche Bedeutungsebenen Ansatz andererseits so vehement bestreitet nicht einfach gegeben sind bzw. aus- (vgl. Bordwell, Carroll 1997). schließlich vom Zuschauer etabliert wer- Auch wenn dieser Diskurs hier Para- den, sondern sich der Arbitrarität jeder phrase bleiben muss: Wie filmische Ver- Zeichen verwendenden Äußerung verdan- fahren und Bedeutungskonstruktion for- ken, die verschiedene Bedeutungsebenen mal zusammenhängen, bleibt im neofor- gleichzeitig verfügbar macht. Er verschlei- malistischen Modell unklar. Die pauschale ert außerdem die soziale Funktion kultu- Behauptung, dass „films ‚have‘ meaning reller Kontexte, die das, was der Zuschauer because we attribute meanings to them“ als Bedeutung überhaupt ermitteln bzw. (Bordwell, Thompson 2001: 49) erscheint zuschreiben kann, strukturieren; und er ebenso unbefriedigend wie die Feststel- ignoriert die limitierende Funktion des se- lung, dass „[a] film enacts ideological mea- mantischen Vorrats der Kultur für die Be- nings through its particular and unique deutungsdimensionen der verwendeten formal system“ (ebd.; Herv. im Orig.), Zeichens. Besonders deutlich wird dies im- wenn der formale Zusammenhang zwi- mer wieder in filmischen Strukturen mit schen dem Hervorbringen und dem Ver- Wiederholungscharakter wie Remakes stehen einer Nachricht einzig aus dem oder Filmzitate, die multiple Bedeutungs- poetischen Verfahren hergeleitet wird. ebenen bereitstellen und so ein mehrfa- Um die Lücke zu schließen, bietet es sich ches Verstehen ermöglichen, aber nicht geradezu an, die Beziehung von Kunst- zwingend erforderlich machen; A BOUT DE werk und Gesellschaft aus dem Zeichen- SOUFFLE,CAPE FEAR oder PULP FICTION sind charakter filmischer Kommunikation zu exponierte Beispiele dafür. Im neoforma- rekonstruieren. Bereits das Analysemodell listischen Modell erscheint die interpre- des russischen Formalismus, auf den sich tierte Bedeutung somit als Ergebnis der Fa- der neoformalistische Ansatz beruft, er- bulakonstruktion des Zuschauersubjekts, wies sich hinsichtlich der Klärung des Zu- nicht aber als Resultat seiner Einbindung sammenhangs zwischen poetischem in übergreifende, Semantiken strukturie- Kunstwerk und Gesellschaft als revisions- rende Zeichenprozesse. In der Folge bleibt bedürftig. Und offensichtlich hat der neo- der Bezugsrahmen kognitiver Schemata formalistische Ansatz dieses Defizit in Un- des Zuschauers, die verwendet werden, kenntnis der Tatsache übernommen, dass um die Fabula zu konstruieren und sie als bereits im Prager Strukturalismus eine zei- Geschichte zu interpretieren bzw. die Be- chentheoretische Begründung des forma- deutung der Fabula zu ermitteln, seman- listischen Modells gefunden worden ist. tisch leer. Das bedeutungstheoretische De- Auf der anderen Seite scheinen die im neo- fizit beruht letztlich auf der mangelnden formalistischen Modell so bezeichneten Reflexion des Verhältnisses von individu- cues, also die vom filmischen Verfahren eller und kollektiver Bedeutung. Entspre- gegebenen Hinweise, eine Art Zeigefunkti- chend greift die theoretische Zurichtung on zu übernehmen – „[a] film cues the denotativer und konnotativer Bedeu- spectator to execute a definable variety of tungsdimensionen des filmischen Aus- operations.“ (Bordwell 1985: 29; Herv. im drucks auf den Zuschauer allein zu kurz. Orig.) –, ohne dass dies jedoch in Verbin- Die kulturell formierte, kollektiv konstru- dung mit strukturellen Eigenschaften des ierte Bezugsgröße Semantik wiederum ist Zeichengebrauchs gebracht würde. Untersuchungsgegenstand von Bedeu- Wie dem auch sei: Die Reduktion aufs tungstheorien, deren Gültigkeit für die Poetische im neoformalistischen Modell Filmwissenschaft der neoformalistische unterschlägt geradezu den Zeichencharak- 1.5 Grenzüberschreitung 73

ter des filmischen Ausdrucks. Denn wie zur Erläuterung notwendig erscheint, auf Roman Jakobson gezeigt hat, lassen sich die Beschreibung jeweils anderer Aspekte neben der poetischen Zeichenfunktion zu verzichten. Auf der horizontalen Achse auch eine expressive, emotive, referenziel- erfolgt die Untersuchung von der kosten- le, phatische und metasprachliche Funkti- günstigen zur kapitalintensiven Produkti- on unterscheiden. Dass der filmische Pro- on und reflektiert auf diese Weise, dass der zess überhaupt als Zeichen konzipiert wer- Film der Gegenwart in allen Bereichen den kann, lässt sich im Anschluss an Ja- selbstbewusst ästhetische, narrative und kobson mit Hilfe von Jan Mukarovskýs dy- thematische Verfahren des Noir-Films ver- namischem Strukturmodell erklären. Für wendet. Mukarovský geht ein Kunstwerk nicht in Anders als die bisherige Forschung der poetischen Funktion seiner Elemente über das Phänomen des Film noir, geht die auf, zugleich sind „alle Elemente des folgende Analyse der Frage nach, wie sich Kunstwerks unterschiedslos auch Träger das filmische Noir-Verfahren zur audiovi- einer Bedeutung und außerästhetischer suellen, narrativen und thematischen Ver- Werte“ (Mukarovský 1970a: 103). Kurz- dichtung subjektivierender Erzählungen um: Die Form lässt sich von Bedeutung bis in die Gegenwart verändert hat. Damit nicht abtrennen. soll einerseits Bordwells Annahme geprüft Vor diesem Hintergrund lässt sich das werden, inwiefern „the case of film noir neoformalistische Narrationsmodell für can be solved by investigating realistic and die strukturelle Analyse des Noir-Films er- generic motivation.“ (Bordwell et al. 1985: weitern. Da dem Noir-Film immer wieder 77) Andererseits soll die Validität des zu abweichende Bedeutungen vom Stan- Grunde gelegten neoformalistischen An- dard-Erzählfilm zugeschrieben worden satzes anhand des konkreten Beispiels sind, scheint es ratsam, das Prinzip der Film noir vor dem Hintergrund zeichen- Multifunktionalität des zeichenhaften fil- und kommunikationstheoretischer An- mischen Ausdrucks in die formale Analyse nahmen geprüft werden. Und schließlich einzubeziehen. Der filmische Prozess wird soll der Frage nachgegangen werden, wie damit als Zeichenprozess konzipiert und sich Film noir methodisch remodellieren Noir-Film als Kunstwerk mit Zeichencha- lässt, wenn man den analytischen Fokus rakter und Strukturwert beschreibbar, der von einer unbeweglichen Poetik zu einem Zusammenhang von filmischer Form und Modell dynamisierender Verdichtung ver- Bedeutung sichtbar. schiebt. Das immer wieder beobachtbare Entsprechend folgt die Gliederung des Oszillieren der Beschreibungen des Noir- anschließenden Abschnitts der analyti- Films zwischen Genre, Stil, Schule, Bewe- schen Unterteilung des kommunikativen gung, Zyklus, realistischer Erzählung und/ filmischen Prozesses in Stil, Erzählstruktu- oder Kritikerkategorie – so der im An- ren und Themen. In jedem Kapitel wird schluss an die folgende Untersuchung zunächst das filmhistorische Inventar ge- struktureller Veränderungen des Noir- sichtet, um daran anschließend anhand Films unterbreitete Vorschlag – lässt sich von Beispielen des zeitgenössischen schließlich durch die strukturelle Analyse Noir-Films neuere Entwicklungen und des dynamischen Zusammenspiels seiner Tendenzen aufzuzeigen. Die dichten Be- ästhetischen und außerästhetischen Funk- schreibungen fokussieren den Analysea- tionen in ein Verdichtungsmodell des spekten des Abschnitts entsprechende Ei- Noir-Films überführen. genschaften der Filme, ohne dort, wo es

2 Film noir – Eine Umschrift

This is not to say that we should not in- how each film’s thematic meanings are terpret films. But we should strive to suggested by the film’s total system. make our interpretations precise by seeing David Bordwell, Kristin Thompson (2001: 48)

2.1 Stil

„The theme is hidden in the style.“ terfilm oder Video – gelingt scheinbar mü- Paul Schrader (1972: 13) helos. Mehrkanalton sorgt dafür, dass der Zuschauer auch akustisch mitten im Ge- „The audience gains access to story or schehen positioniert werden kann – eine theme only through that tissue of sensory Eigenschaft, die dem Bild nach wie vor materials.“ fehlt, da es auf die zweidimensionale Pro- David Bordwell (1997: 7) jektionsfläche beschränkt bleibt, auch wenn die Entwicklung großformatiger Farbe im Filmbild ist heutzutage eine Projektionstechniken – etwa das 70mm- Selbstverständlichkeit, ob in Form realisti- Filmmaterial des IMAX-Films – dieses scher Farbgestaltung oder stilisiert etwa Manko durch die Ausdehnung der Raum- durch die Verwendung von Filtern oder dimension nicht nur wettzumachen ver- farbigem Licht oder die nachträgliche fo- sucht, sondern mit Hilfe von Polarisa- tochemische Bearbeitung von Negativ- tionsfiltern in speziellen Brillen sogar oder Positivfilmmaterial, ganz zu schwei- dreidimensionale Effekte erzielt. Auf der gen von den Möglichkeiten der computer- Tonebene sind neben konventioneller or- unterstützten Bilderzeugung. Ebenso sind chestrierter Musik zunehmend eigens für rasche Kamerabewegungen, erstaunliche die einzelne Produktion angefertigte oder und überraschende Kamerablickwinkel, eingekaufte Soundtracks mit aktuellen schnelle Schnittfrequenzen, narrativ ver- Musiktiteln zu hören. Die Entwicklung wendete Schärfenverlagerungen vom Vor- hat an ihren Grenzen schließlich die Ton- der- zum Hintergrund und umgekehrt, spur vom Bild separiert, so dass in man- computergenerierte Morphingeffekte so- chen Produktionen auf der akustischen wie kunstvolle analoge Tricktechniken, Ebene zuweilen eine zweite, komplemen- aber auch das breitwandige Cinemasco- täre Geschichte vernehmbar wird. pe-Format und auf die einzelne Filmab- Die formalästhetischen bzw. techni- spielstätte zugeschnittene Raumakustiken schen Möglichkeiten des Filmemachens (THX) nicht wegzudenken aus einer Film- haben sich weiter differenziert. In den produktion, die den Zuschauer bei Bedarf avancierteren Produktionen des Mainstre- auf allen audiovisuellen Ebenen an die am-Kinos bilden selbstreflexive Erzählstra- Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit tegien und technizistische Opulenz kei- führen. Auch die Integration verwandter nen notwendigen Gegensatz mehr. Das Bildästhetiken – z.B. 16- oder 8-Millime- sensationelle Potenzial des Mediums Film 76 2 Film noir – Eine Umschrift

ist auf seiner ganzen Bandbreite auch für dort verzeichneten Filmproduktion mit ein Massenpublikum verfügbar gemacht Film noir in Verbindung, ebenso die mo- worden. Es scheint, als markiere besonders nographische Filmklassiker-Reihe des Bri- der Film noir durch die Emanzipation und tischen Filminstituts (BFI; vgl. Naremore Differenzierung einer Formensprache jen- 1998: 10). Die „klassische“ US-amerikani- seits der Hollywood-Massenprodukte ein sche Phase des Film noir verdankt sich erstes Verdichtungsmoment in dieser Ent- entsprechend nicht nur der Ausdifferen- wicklung. Im Film noir werden erstmals zierung expressiver filmästhetischer Ei- eine Reihe radikalisierter künstlerischer genschaften, sondern auch seiner ver- Traditionen neu zusammengeführt – vom gleichsweise massenhaften Verbreitung, expressiven Film über die hard-boiled-Lite- auch als Folge des sich entwickelnden B- ratur bis zum Poetischen Realismus –, und Film-Produktionssystems. Laut Paul Kerr Dank der ökonomischen Einbettung in setzte sich bis 1947 das Modell der aufein- den Produktionskontext Hollywoods zu- ander folgenden Vorführung zweier Filme gleich massenhaft verfügbar gemacht. eines Verleihs zum Preis einer Eintrittskar- Hier wie anderswo folgen Produktdifferen- te (double bill) in zwei Dritteln aller Ab- zierung und die Entwicklung neuer Tech- spielstätten durch (vgl. Kerr 1996). Konn- niken stufenweisen Problemlösungsme- te der deswegen erforderliche Mehrbedarf chanismen. Durch dieses Verfahren kann an Filmen zunächst noch aus Produk- Bewährtes stabilisiert und Neues integriert tionsüberschüssen der Studios bestritten werden. Der Mainstream-Film passt sich werden, so entstanden seit etwa 1940 unverändert flexibel den jeweiligen Erfor- neue, von den großen Filmstudios unab- dernissen des Marktes in Abhängigkeit hängige Firmen, die die entstandene Pro- von Zuschauerinteressen an, die anderer- duktionslücke mit kostengünstig herge- seits ständigen Manipulationsversuchen stellten Filmen schlossen. Mit Kerr lässt der Werbe- und Marketingabteilungen sich vermuten, dass die auf Grund festge- ausgesetzt sind. Die Weiterentwicklung legter Budgets erforderliche ökonomische von technischen Mitteln und formalisier- Beschränkung bei der Filmproduktion zu- ten ästhetischen Verfahren, mit denen ein gleich einer der Gründe für die Entwick- hoher Verbreitungsgrad sichergestellt wer- lung einer experimentelleren Ästhetik ist. den kann, hat neben den von Bordwell an- So ist für Kerr der Film STRANGER ON THE geführten veränderten technischen Rah- THIRD FLOOR aus dem Jahr 1940 der erste, menbedingungen der Aufmerksamkeits- von RKO hergestellte Film noir. lenkung im Film (vgl. Bordwell 1997) sei- Andererseits hat das Problem der zeitli- ne Wurzeln freilich auch in ökonomi- chen und inhaltlichen Eingrenzung des schen Zielsetzungen. Film noir immer wieder eine Reihe proble- matischer Betrachtungsweisen und Kano- nisierungsversuche hervorgebracht, die ei- 2.1.1 Film noir: ner genaueren Prüfung kaum standhalten. Wille oder Vorstellung? Von Borde/Chaumeton 1955 über Ray- In der Hochphase von 1946-51 hatten die mond Durgnat 1970, Silver/Ward 1979 bis im Nachhinein als Film noir bezeichneten zu Robert Ottoson 1981 erscheint die an Produktionen einen Marktanteil von etwa zeitliche Markierungen gebundene Film- dreizehn Prozent (Neve 1992: 145). Die auswahl eher willkürlich. Die Imagination National Film Preservation List der Kon- eines filmgeschichtlich verbürgbaren Kor- gressbibliothek des US-amerikanischen pus des Film noir verhinderte zuweilen die Senats bringt etwa zwanzig Prozent aller Betrachtung von prozesshaften und dyna- 2.1 Stil 77

mischen Strukturen innerhalb längerfristi- sen Ästhetik sich der methodischen An- ger künstlerischer, technischer und kultu- wendung bestimmbarer stilistischer, er- reller Entwicklungen. Um die Problematik zählerischer und thematischer Verdich- von Festlegungen entlang von beliebig ge- tungsmomente zur Erzeugung eines über- wählten Datumsgrenzen sowie statischen steigerten filmischen Ausdrucks verdankt. Aufzählungen von Noir-Elementen in Fil- men dieser Phase zu umgehen und den- 2.1.2 Stilistische Optionen noch filmgeschichtlich argumentieren zu können, spricht James Naremore von „his- Immer wieder hat die Forschung über torical film noir“ (Naremore 1998: 3), al- Film noir auf visuelle Verdichtungsmo- lerdings keineswegs in der Absicht, auf mente hingewiesen, die den Stil des Noir- diese Weise pathetisch oder nostalgisie- Films prägen. Janey Place und Lowell Pet- rend einer Form von „Nachträglichkeit“ terson haben in ihrer aufschlussreichen, (Naremore 1998: 4) das Wort zu reden. Im allerdings auf wenige Beispiele beschränk- Gegenteil: Naremore betont den kontext- ten Untersuchung über „Some Visual Mo- abhängigen und kontingenten Charakter tifs of Film noir“ (1974), auf die Bedeu- des zu beschreibenden Phänomens und tung des Film noir als „visual style“ (ebd.) öffnet mit der Umkehrung der Fragestel- verwiesen, den sie im Hinblick auf übliche lung nach dem zählbaren Was des Film Studioproduktionen als antitraditionell noir auf das operative Wie seiner ästheti- bezeichnet haben. Obwohl filmhistori- schen, soziokulturellen und ökonomi- sche Traditionen jenseits des Studiosys- schen Positionierung in spezifischen Kon- tems damit ausgeschlossen werden, mar- texten die Debatte in Richtung auf eine kiert diese Aufstellung einen ersten hilf- dynamischere Betrachtungsweise. Der von reichen Versuch der Konstruktion eines Naremore vorgeschlagenen Bedeutung des den Film noir dominierenden ästheti- Begriffs als „historischer“ Film noir folgt schen Verdichtungsmoments, das auch die Verwendung des Terminus in dieser im zeitgenössischen Noir-Film zu beob- Untersuchung. achten ist. Low-key-Beleuchtung in Oppo- Auf diese Weise erneuert Naremore sition zu den high-key-Beleuchtungskon- Film noir zugleich als heuristisches Mo- ventionen des herkömmlichen Studio- dell, das es ihm schließlich gestattet, mü- stils, das extreme Helldunkel des daraus helos die Entwicklung der Noir-Kategorie resultierenden filmischen Chiaroscuro, bis in die Gegenwart zu verfolgen. Mit der dessen harte Kontraste durch undiffun- evolutionären Vorstellung eines in der diertes Licht bzw. die weitgehende Ver- Zeit erweiterbaren und Phasen unter- meidung von Streulicht entstehen. Ver- schiedlicher zeitlicher, sachlicher und so- stärkt werden konnte dieser Effekt noch zialer Konkretionen durchlaufenden Kern- durch in ihrer Beweglichkeit verbesserte bestandes lässt sich das Attribut „noir“ als Lampen und durch Antireflexbeschich- historisch veränderliche Eigenschaft einer tungen der Objektive, die unerwünschtes spezifischen Methodik des Filmemachens Streulicht eliminierten (vgl. Kerr 1996: bestimmen. Der Terminus Film noir be- 124). Die expressive Lichtgestaltung im zeichnet in dieser Betrachtungsweise ein Film noir resultiert im Wesentlichen aus vor dem Hintergrund ökonomischer, so- unterhalb der Augenhöhe platzierten, ziokultureller und ästhetischer Kontin- monodirektionalen Scheinwerfern, die genzen erstmals in den USA massenhaft Bildteile partiell beleuchten, wobei der auftauchendes und auch international obere Teil des Bildes zumeist dunkel verbreitetes filmisches Formenspiel, des- bleibt. Die Scheinwerfer befinden sich 78 2 Film noir – Eine Umschrift

entweder in Richtung der Kameraachse, key lighting was already a staple of certain sodass der Schattenwurf zur Verdoppe- genres (horror films, policiers), especially lung von Formen auf Hintergründen in scenes treating crime and morbid psy- führt; wenn direktionales Licht direkt chology. It is possible that crime literature hinter der Figur bzw. Szenerie positioniert also contributed to noir lighting effects.“ wird, werden Figuren oder Gegenstände (Bordwell et al. 1985: 77) zu phantomhafte Shilouetten verdunkelt; Ist der fotografische Stil des Film noir sofern Lichter seitlich platziert werden einerseits dominiert vom Hell-Dunkel der entstehen helle, isolierend wirkende Um- Bilder, sind andererseits die geometri- risskanten. Zugleich übernimmt das Licht schen Bildordnungen des Film noir ge- diegetische Funktion: Es verfolgt Hand- prägt von bewegten Diagonalen und be- lungen und Figuren, tritt zuweilen selbst grenzenden Vertikalen, die die ruhigen in den Bildraum (alle Arten von Lampen und Überblick garantierenden Horizonta- im Bild), erzeugt schockhafte Effekte oder len verdrängen, wie sie vor allem im Wes- provoziert durch abrupte Helligkeitswech- tern zu finden sind. So zerschneiden etwa sel. Während mit natürlichem Licht bzw. Geländer, Gitter- oder Gebäudestrukturen naturähnlicher Ausleuchtung gestaltete den Bildraum in separate Bereiche und Szenen im Film noir zumeist als Rahmung sperren darin befindliche Figuren optisch erzählerischer Einheiten fungieren, spie- ein. Bildkompositionen nach geometri- len Haupthandlungen in abgedunkelten schen Prinzipien gehören zur Ikonogra- Räumen, in verschatteten Büros oder un- phie des Film noir, ebenso wie Aufnahmen übersichtlichen Appartments, auf regen- aus gekippten Kamerapositionen und per- nassen Strassen eingerahmt von dunklen spektivische Verzerrungen, die aus der Po- Gebäuden – als monumentalisierter Aus- sitionierung der Kamera meist weit unter- druck der Ausweglosigkeit oder als Zu- halb oder oberhalb der Augenhöhe in ex- fluchtsort der Verfolger und Verfolgten, tremen Auf- und Untersichten resultieren. die dort an den Rändern im Dunkel unter- Auch die häufige Verwendung halbnaher tauchen können. und naher Einstellungsgrößen, die dem Dennoch entsteht dieses Verfahren Blick stets nur einen begrenzten räumli- nicht voraussetzungslos. Bordwell macht chen Bereich zugänglich machen, dyna- etwa zu den Beleuchtungskonventionen misieren und psychologisieren den Bild- des Film noir folgende Angaben: Das Stan- eindruck. Die Inszenierung eines begrenz- dard-Lichtverhältnis von Führungs- und ten Blicks und die damit erzielte Limita- Fülllicht zum Fülllicht alleine beträgt Vier tion der Wahrnehmungsmöglichkeiten zu Eins, während es im Film noir etwa innerhalb der einzelnen Einstellung, die Fünf zu Eins beträgt und manchmal sogar zuweilen durch Binnenrahmungen ver- ganz auf Fülllichter verzichtet wurde. Da- stärkt wird, verfolgt eine Strategie, die da- mit stehen die filmischen Verfahren des rauf abzielt, den Zuschauer zu desorientie- Film noir ganz in der Tradition des Filme- ren und in den Bildraum einzuschließen. machens in Hollywood: „The stylistic fea- Opake und hell scheinende sowie abwech- tures of film noir are […] strongly motivat- selnd dynamisierte und statische Bildbe- ed: Subjective effects (flashbacks, voice- reiche erzeugen klaustrophobische Effekte over commentary) were part of a general und räumliche Desorientierung und las- trend toward the representation of extre- sen die Orientierungslosigkeit zur bildli- me psychological states. […] Location chen Metapher werden. Wasser bzw. nasse shooting […] and ‚realism‘ of combat do- Oberflächen bilden ein weiteres zentrales cumentaries became common […]. Low- Element der Ikonographie des Film noir. 2.1 Stil 79

Was Paul Schrader in seinem Aufsatz über scheint im Noir Film auf visueller Ebene Film noir „an almost Freudian attachment stets zugunsten einer der drei Dimension to water“ (Schrader 1972: 11) bezeichnet, verzerrt und obendrein nur ausschnitthaft hat auf der Gestaltungsebene allerdings sichtbar. Seine Gültigkeit wird obskur. eine andere Dimension: Nasse Oberflä- chen erweitern auf Grund der reflektieren- 2.1.3 Film noir als oppositionelle den Eigenschaften von Wasser die Mög- Methode lichkeiten der Arbeit mit Licht. Die Licht- kunst des Film noir erhält damit die Mög- Die skizzierte expressive Bildarbeit des lichkeit, dunkle Oberflächen hell schei- Film noir erhält ihren besonderen Stellen- nend aussehen zu lassen und damit ge- wert vor dem Hintergrund der dem realis- wohnte Umgebungen mit ungewohnten tischen Illusionismus verhafteten Stan- Lichtwerten auszustatten, sie so zu ver- dards der Filmproduktion insbesondere fremden und beispielsweise als expressives Hollywoods. Realistisch wirkende, also an visuelles Gestaltungselement zu benutzen kontinuierlicher räumlicher und zeitli- – abgesehen von dem auf der Tonebene er- cher Kausalität orientierte und deswegen lebbaren, andere Geräusche verschleiern- mit den Alltagserfahrungen der Zuschauer den Hintergrundrauschen etwa des Regens möglichst übereinstimmende Bildarran- und seiner Konnotation von Unbehag- gements und Erzählungen haben sich seit lichkeit. Und so wie Film noir die Möglich- Beginn der Filmgeschichte gegen experi- keiten der Arbeit mit Licht erkundet und mentellere Formen massenhaft interna- ausweitet, fungieren auch Gegenstände tional durchsetzen können. Sie sind unge- der Einrichtung und des Dekors als gestal- achtet ideologischer oder kultureller Im- terische Mittel der Lichtarbeit: Jalousien plikationen zu einer Art kinematografi- und Fensterläden sorgen für streifige scher common language geworden, wohl Lichtmuster, Lampen im Bildraum kon- auch, weil die Produkte der Studiosystem- zentrieren die Aufmerksamkeit auf ganz Ära in den etwa vierzig Jahren seines Be- eng begrenzte Bildausschnitte, während stehens von etwa 1920-1960 die interna- andere im Obskuren verbleiben. In den so tionalen Märkte nachhaltig durchdringen beschaffenen, nahezu irregulären räumli- und die Sehgewohnheiten der Zuschauer chen Anordnungen, in denen Figuren und beeinflusst haben. Obwohl es prima vista Gegenstände keinen eindeutig spezifizier- nicht so aussieht, schließt Film noir trotz baren Platz mehr finden können, erschei- aller oberflächlichen Unterschiede an die- nen sie zugleich als Gefangene und Ver- se Traditionen nahtlos an. Obwohl Film fangene der Umgebung. Betrachtet man noir vielfach als oppositionelle Methode stilistische Eigenschaften als Bestandteil zum etablierten Studiostil gesehen wurde der Narration, wie David Bordwell vor- (Bordwell et al. 1985: 74ff.), entsteht er schlägt (Bordwell 1985: 50ff.), so wird doch aus ihm selbst, aus der Verwertungs- schnell deutlich, dass auf diese Weise logik einer auch an Profitmaximierung in- räumliche Kausalitäten wenn nicht außer teressierten Produktionslandschaft. Und Kraft so doch in Frage gestellt werden. Das wie David Bordwell gezeigt hat (Bordwell cartesische, an vertikalen, horizontalen 1985), besteht die Besonderheit des Film und diagonalen Achsen vermessbare Welt- noir im Grunde darin, dass die bis dahin bild, dass Vorder-/Mittel-/Hintergrund-An- im Studiosystem entwickelten Techniken ordnungen, Größenverhältnisse, Raumar- lediglich anders verwendet wurden. Kom- rangements sowie laterale Verhältnismä- plementär zur „realistischen“ Option des ßigkeiten mit Eindeutigkeit ausstattet, er- Filmemachens entwickelt sich eine ex- 80 2 Film noir – Eine Umschrift

pressive, die ihren Ausdruck im Film noir Zugleich rückversichert sich Film noir findet. Die Herstellung expressiver Filme auf diese Weise der Filmgeschichte vor prosperiert, weil die Suche nach passen- dem Aufkommen des Studiosystems und den Ausdrucksformen unter den Vorzei- dem Wirksamwerden eines strengen Pro- chen veränderter Kontextbedingungen duction Codes. Film noir stilisiert auf for- wie Weltwirtschaftskrise, Zweiter Welt- malästhetischer Ebene die Brüche und das krieg, die kulturelle Problematik nationa- Irreguläre, sein ästhetisches Verfahren ist ler Identitätsfindung, neue Filmtechni- das der Dekomposition kausal korrekter ken, neue Pulp-Fiction-Erzählmuster und und linearer räumlicher und zeitlicher hard-boiled-Thematiken Film noir gerade- Ordnungen, wie sie innerhalb der Darstel- zu zwangsläufig zu einer attraktiven Alter- lungskonventionen der klassischen Holly- native für die bestehende Studio-Filmpro- wood-Studioproduktionen perfektioniert duktion machen. Und weil der warenpro- wurden. Das Individuelle des Moments er- duzierenden Produktionsweise inhaltli- setzt im Film noir die Überblick suggerie- che Erwägungen zunächst äußerliches Kri- rende ganzheitliche Betrachtung, das Be- terium sind – oder, marxistisch: Ge- wegungsbild erhält Risse, wird spröde und brauchswerte nicht in Tauschwerten auf- zerspringt schließlich in multiple Realitä- gehen – verwundert es kaum, dass in Kri- ten. Das Negativ der Konventionen des senzeiten auch inhaltlich scheinbar defä- Hollywood-Mainstream-Films invertiert tistische Perspektiven zugelassen wurden. auch die Geschichten, negiert den unter Um langfristig ökonomisch expandieren Ideologieverdacht stehenden Ganzheits- zu können, wurden kurze Phasen ideolo- gedanken des Geschichtenerzählens. Film gischer Fluktuation in Kauf genommen. noir schickt seine Figuren ohne Ariadnefa- Obgleich in ihm entstanden, finden den in eine labyrinthische Realität. Dieser sich im Film noir zahlreiche „Verletzun- sind sie ebenso hilflos ausgeliefert wie sie gen“ realistischer Konventionen, wie sie an ihrer Herstellung heillos beteiligt sind. das Studiosystem favorisiert hat. Neben Der publikumsgerechten Sensationalisie- den oben genannten, veränderten inner- rung der (ontologisch gedachten und bildlichen Kompositionsmerkmalen wer- ideologisch fixierten) realistischen Dar- den auch andere visuelle Standards um- stellung stellt Film noir in der Form einer funktioniert und umdefiniert: Der Einheit „psychotischen“ Überhöhung fragmen- stiftende und Überblick gewährende estab- tierter Perspektivierungen eine filmrealis- lishing long shot wird zur menetekelartigen tische Darstellung des subjektivistischen Überführung in die Unterwelt (z.B. THE Sensationellen entgegen. Die Sensation er- ASPHALT JUNGLE), der identifikatorische scheint nicht mehr auf der Ebene eines ob- und personalisierende close up wird zum jektivierten Realen, sondern als individu- Ausdruck der Isolation und psychischen alisierter, psychopathischer Realismus. Ambivalenz der Figur (z.B. TOUCH OF EVIL) Dass bei diesem Verfahren zuweilen die und die Montage wird ihrer allwissenheits- Grenze zum Surrealismus erreicht wird, stiftenden und den Betrachter in Sicherheit haben Borde und Chaumeton 1955 he- wiegenden Funktion beraubt und versinn- rausgearbeitet (Borde/ Chaumeton 1955). bildlicht auf beinahe dialektische Weise die Film noir nähert sich den Möglichkeiten Unübersichtlichkeit der Verhältnisse, in- realistischer filmischer Darstellungen also dem sie beispielsweise die Vorstellung li- von der Kehrseite einer illusionistischen, nearer zeitlicher Ordnung in Frage stellt objektivierenden Darstellung und expo- (z.B. THE KILLERS). Film noir betont die im niert seine subjektivierende Strategien visuellen Exzess stilisierte Situation. durch technisch-apparative sowie narrati- 2.1 Stil 81

ve Stilisierungen. Die Übertreibung wird zösische Filmkritik nach wie ein Faszino- sichtbar, d.h. vor allem visuell erfahrbar. sum ist, wird die Zeichenhaftigkeit des fil- Die Normalität (und Normativität) des il- mischen Materials und seiner konventio- lusionistischen Realen will sich nicht nellen Ordnungsprinzipien sichtbarer, als mehr einstellen. Film noir verändert die in den scheinbaren „Tabubrüchen“ des realistische Tradition des US-amerikani- Film noir und zum anderen exponiert die schen Films, indem es die filmische Appa- scheinbare Verletzung der realistischen ratur als Erzählinstanz wahrnehmbar wer- Konvention des Studiosystems dessen Re- den lässt. Dieses veränderte ästhetische gularien und demaskiert seine Politik. Verfahren irritiert nicht nur die Sehge- wohnheiten, es gerät auch in den Ver- 2.1.4 Captain Future? dacht der Subversion, wie entsprechende Verwicklungen in das HUAC-Verfahren An diesem Kernbestand der formalästheti- (House Un-American Activities Commit- schen Regularien des Film noir, am Feti- tee) und Zensurbemühungen belegen (vgl. schismus des Visuellen, am expressiven Naremore 1998: 96–136). Vor dem Hinter- Bilderkult hat sich bis ins Gegenwartskino grund der zunehmenden Verwendung im Prinzip nichts geändert: „[F]ilm noir von Farbfilm und der Einführung neuer [...] tends to evolve by repeating old ideas Bildformate als Antwort der Filmstudios in new combinations“ (Naremore 1998: auf das sich massenhaft verbreitende Kon- 219). Auch weiterhin sind die stilistischen kurrenzmedium Fernsehen, lässt sich die Eigenschaften des Film noir marktkon- beobachtbare ästhetische Radikalisierung form. Die Wiederholung bekannter filmi- US-amerikanischer Noir-Filmproduktio- scher Muster des Film noir und deren fil- nen auch als Folge der Selbstbehauptung mische Selbstreflexion gehen spätestens und des Überlebenskampfes des Schwarz- seit PULP FICTION (1994) massenwirksam weiß-Films, andererseits aber auch als Er- Hand in Hand. Die Entwicklung des Film gebnis der Befreiung des schwarzweißen noir durchläuft demzufolge verschiedene Bildes und den zugehörigen Filmtechni- Phasen: In den 1940er und 1950er Jahren ken von den Beschränkungen lesen, die lässt sich eine erste Welle der Verdichtung das 1947 zerschlagene und bis 1959 zerfal- zur „historischen“ (Naremore) Form beob- lende Studiosystem zuvor auferlegte. achten, anschließend wird der entwickel- Die Umkehrung der Konventionen te Kernbestand stilistischer, erzählerischer rückt gleichzeitig die Zeichenhaftigkeit und thematischer Aspekte des Film noir in des filmischen Prozesses an die Oberflä- selbstaufklärerischer Absicht zum Gegen- che. Daran zeigt sich zunächst die Nouvel- stand der filmischen Reflexion der eige- le Vague sehr interessiert. In seinem Text nen Konstruktionsmerkmale und schließ- über Veränderungen im US-amerikani- lich gehen beide Entwicklungen eine schen Kriminalfilm entdeckt Claude Cha- Symbiose ein, sei es in der – wie etwa in Ja- brol einige Noir-Regisseure als mesons Überlegung zum Einfluss kapita- (Chabrol 1955) und zeichnet in der eige- listischer Ökonomie auf kulturelle Aus- nen Filmproduktion zugleich verantwort- drucksformen (Jameson 1991) – oft miss- lich für eine Reihe abgründiger Gesell- verständlich als „postmodern“ charakteri- schaftsdramen im Gestus des Film noir. sierten Form von Retrofilmen, Remakes, Für einige Filmemacher der Nouvelle Va- Pastiches oder Hommages oder den ernst- gue wird Film noir noch aus einem ande- haften Bemühung um eine Weiterent- ren Grund interessant: Nirgends sonst im wicklung des filmischen Verfahrens. Und US-amerikanischen Film, der für die fran- vielleicht ist es eben dieses Moment der 82 2 Film noir – Eine Umschrift

Zusammenführung, der Überlagerung lungskonventionen orientierten Bildbe- und Symbiose von weitergehender ästhe- griff in Frage (vgl. Meyer 2002). Und insbe- tischer Stilisierung und filmischer Selbst- sondere die durch Fernseh-, Video- und reflexion, der Neo Film noir am treffends- DVD-Auswertung veränderte ästhetische ten charakterisiert. Wie die filmgeschicht- und ökonomische Vervielfachungsoption liche Entwicklung zeigt, hält Film noir multipliziert auf Grund des jederzeit mög- verschiedenste Anschlussstellen bereit. lichen re-viewings die Kombinationsmög- Ob im selbstreflexiven und/oder elabo- lichkeiten sowohl quantitativ als auch rierten Spiel mit Formen: Auch weiterhin qualitativ auf allen ästhetischen Ebenen. werden Filme hergestellt, die negativen Die Beschreibung funktional äquivalenter Gesellschaftsbeschreibungen oder indivi- filmischer und erzählerischer Verfahren duelle Krisenszenarien an den audiovisu- sowie Aktualisierungen thematischer ellen Oberflächen eine repräsentative Komplexe und ihrer Bedeutung für diese Form verleihen. In beiden Fällen geht es Form des Filmemachens steht dement- um filmische Verfahren um die Subjekti- sprechend im Mittelpunkt der folgenden vierbarkeit von Bildern, die Repräsentati- Überlegungen. on eines individuierten psychotischen Gestus‘ an der filmischen Oberfläche. 2.1.5 Vom Chiaroscuro zum Obwohl in ästhetischer Hinsicht sowie Farbdesign vor dem Hintergrund zuschauerorientier- ter Produktdifferenzierung eher alternati- Film noir, das scheint zugleich Ausdruck ves Verfahren denn Abkehr vom her- einer Befreiungsbewegung vom Zwang zur kömmlichen Filmemachen, bleiben realistischen Abbildung, ein psycho-logis- grundlegende Topoi des Film noir unbe- tischer Umbruch der vom Studiosystem rührt. Die beschriebenen Bilderordnun- vorgeschriebenen illusionistischen Bilder- gen und semantischen Zentren sind dem ordnungen und zugleich ein letzter, bei- expressiven filmischen Verfahren inner- nahe übermütiger Beweis der Leistungsfä- halb des narrativen Films nach wie vor higkeit schwarzweißen Filmemachens, be- funktional. Und auch wenn Bordwell da- vor Farbe, Cinemascope und das Fernse- rauf hinweist, dass „[e]specially in a mass hen andere und neue ‚sensationelle‘ Mög- medium, we ought to expect replication lichkeiten bereitstellten. „[T]he absorpti- and minor modifications, not tho- on of a colour aesthetic within realism“ roughgoing repudiation“ (Bordwell 1997: (Kerr 1996: 125) eröffnete zugleich einen 268), lassen sich im zeitgenössischen Film Freiraum, der vom Film noir zunehmend mehr oder minder radikale Modifikatio- selbstbewusst besetzt worden ist. nen einer filmischen Methodik beobach- Auch infolge wirtschaftlicher Prosperi- ten. Dies betrifft alle Darstellungs- und In- tät nach dem zweiten Weltkrieg und ei- szenierungsebenen des Filmischen. Mög- nem nachlassenden Bedürfnis nach be- lich geworden ist die Funktionalisierung ängstigenden Geschichten stellten die von Farbe und Formaten, die zusätzliche neuen technischen Attraktionen ein reiz- grafische Bildinformationen verfügbar volleres ästhetisches Angebot bereit. Das machen, oder der Einsatz von Verlangsa- vorübergehende Verschwinden des Film mungs- und Beschleunigungseffekten, mit noir wurde offenbar kaum bemerkt. Die denen die Zeitwahrnehmung manipuliert Filmkritik in den USA wendet sich dem werden kann. Seite neuestem stellen ins- Phänomen erst etwa zehn Jahre später zu. besondere computergestützte Bildbearbei- Auf der anderen Seite war der Farbfilm tungseffekte den an realistischen Darstel- technisch noch nicht in der Lage, unter 2.1 Stil 83

Bedingungen von low-key-Beleuchtung zu- Die Probleme der vergleichsweise friedenstellende Resultate hervorzubrin- schlechten low-key-Belichtungseigenschaf- gen; und der geringe Kontrastumfang, den ten des Farbfilms konnten im Zuge techni- die Fernsehtechnik zur Verfügung stellte, scher Entwicklungen allerdings erfolg- behinderte außerdem die Verbreitung von reich gelöst werden, so dass die ästheti- Noir-Produktionen über das inzwischen schen Qualitäten von Farbe trotz ihrer massenhaft verfügbare neue Medium (vgl. „realistischen“ Konnotation für die visuel- Kerr 1996: 121f.). Der Markterfolg der far- le Gestaltung im zeitgenössischen Noir- bigen Breitwandproduktionen und des Film adaptiert werden konnten. Unter den Fernsehens begünstigte zunächst schließ- zeitgenössischen Produktionen ist THE lich ganz andere ästhetische Entwicklun- UNDERNEATH (1995, ) in gen. Film noir und Farbfilm schienen für dieser Hinsicht einer der kunstfertigsten längere Zeit unvereinbar. Viele erst durch und stilisiertesten farbigen Noir-Filme. Zu- den Film noir bekannt gewordenen Film- gleich ist der Film ein Remake des Film leute versuchten, sich nach der Zerschla- noir CRISS CROSS aus dem Jahr 1948 (Regie: gung des Studiosystems mit unterschiedli- Robert Siodmak), der auf dem gleichnami- chem Erfolg den neuen ästhetischen Pro- gen, 1935 entstandenen Kriminalroman duktionsbedingungen anzupassen. von Don Tracy basiert. Der Regisseur von Etwa seit Mitte der 1970er Jahre lassen THE UNDERNEATH, Steven Soderbergh, hat sich zunehmend Versuche der Wiederbele- das expressive Spiel mit Farben im Gegen- bung expressiver Lichtgestaltung und ihre wartskino nachhaltig beeinflusst. Darüber Übersetzung in Farbqualitäten beobach- hinaus hat Soderbergh seine Vorliebe für ten. Dennoch dauerte die massenhafte Noir-Themen und -Ästhetiken mehrfach Herstellung von Filmen, die die stilisti- unter Beweis gestellt, so etwa in der schen Optionen des klassischen Film noir Gangstergeschichte THE LIMEY (1998) oder weiterführten, bis etwa 1980. dem Drogenthriller TRAFFIC (2000). Mit dem an der Kinokasse weniger erfolgrei- chen KAFKA hat Soderbergh 1992 zugleich 2.1.6 Die Kehrseite der eine Art filmische Hommage an denjeni- Lichtgestaltung: Farbe gen Autor angefertigt, dessen befremdli- Die expressive Verwendung von Farbe che literarische Motive und verrätselten hat eine lange filmhistorische Tradition, Geschichten immer wieder mit Film noir wie farbige Ausarbeitungen einzelner Bil- in Verbindung gebracht wurden. In LOST der mit Lasurfarben oder Viragierungen HIGHWAY etwa fungiert das Motiv der Me- ganzer Sequenzen im frühen Film bele- tamorphose aus Kafkas Kurzgeschichte Die gen. Neben der Realismus-Option wurde Verwandlung an zentraler Stelle als narrati- Farbe immer schon auch zur Verstärkung ves Scharnier zwischen den beiden Episo- eines subjektivierenden Gestus verwen- den des Films (vgl. dazu Kapitel 3.7). det, etwa in der Form von Farbdramatur- THE UNDERNEATH steht in mehrfacher gien. Diese Möglichkeit der Bildgestal- Hinsicht in der Tradition des Film noir. tung hat der klassische Film noir nicht Auf der Ebene der Erzählung operiert der wahrgenommen, was nicht zuletzt auf Plot entlang einer wenig kommunikati- seine Positionierung innerhalb des Holly- ven, fragmentierten Struktur, die auf wood-Produktionskontextes zurückzu- Grund unmarkierter Zeitsprünge Zusam- führen ist, in dem die Verwendung von menhänge offen hält. Die Story konzen- Farbfilm noch nicht massenhaft einge- triert sich thematisch auf die Unausweich- setzt hatte. lichkeit des Scheiterns des hedonistischen 84 2 Film noir – Eine Umschrift

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3 4 Abb. 46.1–4

und egoistischen Individuums innerhalb sich der Chef eines Sicherheitsdienstes einer Dreiecksgeschichte. Die Gier nach selbst als Drahtzieher der kriminellen Ak- Geld und das Scheitern an undurchsichti- tivitäten im Hintergrund. gen sozialen Verhältnissen und Abhängig- Insbesondere in formalästhetischer keiten, zerstörte familiäre Bindungen in Hinsicht werden in THE UNDERNEATH zahl- der Mittelschicht bilden die semantischen reiche visuelle Muster des Film noir Zentren des Films. Die Hauptfigur, Micha- verwendet: Mit Weitwinkelobjektiven auf- el Chambers, kommt anlässlich der erneu- genommene und so in der Bildgeometrie ten Heirat seiner Mutter nach langer Zeit verzerrte Bilder, Rauminszenierungen in der Abwesenheit zurück in seine Heimat- die Tiefe und innerbildliche Segmentierun- stadt, zu seiner Familie und seiner ehema- gen und Rahmungen des sichtbaren Be- ligen Freundin Rachel, die er vor einiger reichs (Abb. 46.1); Taumeleffekte durch Zeit auf den von ihm angehäuften Spiel- langsame Überblendungen in schwanken- schulden hat sitzen lassen. Schweigsam de Kamerabewegungen hinein und dyna- betritt Michael eine Welt, an deren desola- misierte Linienführungen (Abb. 46.2); ten Zustand sein früheres Verhalten in Nahaufnahmen und von der Kadrierung nicht unerheblichem Maße Mitschuld angeschnittene, unvollständige Körper trägt. Die filmische Oberfläche reflektiert und Gesichter (Abb. 46.3); häufige Unter- die Perspektive der gebrochenen Figur Mi- und Obersichten und hartes Seitenlicht chael Chambers. Das Filmbild wird zum und low-key-Beleuchtung (Abb. 46.4); da- Ausdruck seiner inneren Leere, von Me- neben langsame Kamerabewegungen, ge- lancholie und Lethargie. Obwohl THE kippte Kameraperspektiven, abrupte Mon- UNDERNEATH zugleich CRISS CROSS zitiert, tage und Achsensprünge. handelt es sich um weit mehr als die bloße Die daraus resultierende visuelle Sub- Imitation der Oberflächeneigenschaften jektivierung der Erzählperspektive mit ih- des Vorbildes. Der Versuch der Moderni- rer Zentrierung der Erzählung auf die lo- sierung der klassischen Form gelingt nicht ner/loser-Figur Michael Chambers, stellt nur an der bildlichen Oberfläche. Indem das Remake in die Tradition des klassi- die Hauptfigur überlebt, bricht die Ge- schen Film noir. THE UNDERNEATH spielte schichte zugleich mit der des Vorbildes. In 1995 die vergleichsweise geringe Summe einem letzten Irritationsmoment erweist von 536.023 Dollar ein. 2.1 Stil 85

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Abb. 47–49 49

Anhand der Farbstrategien in THE Kopf, hebt leicht die Augenbrauen und fi- UNDERNEATH lässt sich exemplarisch die xiert Michael: Eine zweideutige Geste der Funktionalität von Farbe im aktuellen Prüfung und eines möglichen Verdachts, Noir-Film beschreiben, denn der Film ent- aber es wird nicht gesprochen (Abb. 49). wickelt die formalästhetischen Noir-Stan- Etwas liegt in der Luft und es ist in den dards anhand einer opulenten Farbdrama- Bildern als hervorgehobene, stilisierte An- turgie und grafischen Bildflächenarrange- wesenheit einer abwesenden Realität ments weiter. Michael Chambers ist am wahrnehmbar. Nach einem Umschnitt Anfang bereits an ein Ende gekommen: sieht man Bilder, die sich dem subjektivie- Die erste Einstellung zeigt ihn in frontaler renden Effekt einer Handkamera verdan- Nahaufnahme mit angespanntem Gesicht ken. Der auf diese Weise individuierte in einem Geldtransporter sitzend auf dem Blick intensiviert den Eindruck der Un- Weg zum verhängnisvollen Raubüberfall, wirklichkeit der Situation für die Hauptfi- bei dem sein Stiefvater stirbt und er selbst gur Michael. Alle audiovisuellen Informa- schwer verletzt wird. Die Bilder sind grün tion lassen deren psychologische Situati- eingefärbt (Abb. 47). Die Einblendung ei- on als äußerst instabil erscheinen. Das ner genauen Zeitangabe, 2.11p.m., signali- Grün der Bilder macht aus dieser ersten siert ein virtuelles Zeitlimit, dem der Einstellung ein gespenstisches Szenario, Transporter unaufhaltsam entgegenzufah- einen unwirklichen, beinahe surrealen ren scheint. Umschnitte zeigen Michaels Moment, dem das Scheitern eingeschrie- Blick auf die Straße, wo er einen mysteriö- ben zu sein scheint. sen weißen Lieferwagen überholt, dessen Der unvorbereitete Zwischenschnitt Bedeutung sich ihm und dem Zuschauer auf die mit natürlichem Licht beleuchtete, nicht erschließen mag. Auch der Blick in mit einem Weitwinkelobjektiv aus Ober- den Rückspiegel gewährt keine Aufklärung sicht gefilmte Nahaufnahme des hinter ei- über seine Bestimmung, er macht aus dem ner Autofensterscheibe nachdenklich leh- Bild lediglich ein verrätseltes Tryptichon nenden Michael (Abb. 50), der Schnitt zu- (Abb. 48). Kurzzeitig blickt die Kamera rück auf Michaels Gesicht im Transporter, hinüber zum Stiefvater auf dem Beifahrer- der erneute Umschnitt auf den nachdenk- sitz, der Michael den Job bei der Sicher- lichen Michael am Autofenster, und heitsfirma besorgt hat. Dieser reckt den schließlich die auf der Tonebene wahr- 86 2 Film noir – Eine Umschrift

50 51

52 Abb. 50–52

nehmbare, nicht zu dem Gezeigten gehö- schließenden Sequenz des ankommenden rende, „unpassende“ Frage einer weibli- Busses: Der Film eröffnet ein Zeitbild und chen Stimme aus dem Off „Steigen Sie in strukturiert die Erwartungshaltung gleich Austin aus?“ sowie der Ortswechsel der zu Beginn dadurch, dass er nur wenig ver- Szenerie in einen Überlandbus (Abb. 51), lässliche Informationen über den Verlauf reißen den Betrachter schließlich aus dem der Geschichte zur Verfügung zu stellen Traumszenario der ersten Einstellungen. bereit ist. Geschieht dies einerseits durch Realitätssplitter zerreisen das onirische die unvorhersehbare, abrupte Montage Gewebe, der Film erwacht: Michael ist zu- und die multiplen Kamerastrategien, so hause angekommen (Abb. 52). sorgt auf der anderen Seite die monochro- Der Zuschauer wird verwirrt, verschie- me Einfärbung der Eingangssequenz in dene Handlungsebenen sind begrün- Kontrast zu den anschließenden, gemäß dungslos ineinander geschachtelt. Das vi- mehr realistischen Konventionen gefilm- suelle Verfahren verändert sprunghaft das ten Einstellungen, für visuelle Mehrdeu- Aussehen der Bilder, mal erscheinen sie tigkeit. Nicht zu vergessen, dass sich all stilisiert, mal realistisch, mal sind sie eine das innerhalb kürzester Zeitspannen ab- Mischung aus beidem. Nur der starre und spielt, so dass dem Zuschauer kaum Zeit nachdenkliche Blick Michaels und sein zö- eingeräumt wird, das Gesehene zu beurtei- gerliches und knappes „Ja“ als Antwort auf len. Der Riss in der Wahrnehmungsstruk- die Frage verbindet die Einstellungen. Der tur des Films weitet sich im Folgenden zu- unergründliche Blick aus dem Autofenster sehends. Insbesondere überdeterminiertes öffnet als erstes das hermetische Kontinu- farbiges Licht wird im Film dazu verwen- um der grün gefärbten Bilder, unterbricht det, die mentalen Zustände der Hauptfigur die Handlungskette dergestalt, dass sich in der Form eines „visual stream of con- aus der Bewegung keinerlei visuell vermit- sciousness“ (Naremore 1998: 269) zu sub- telte Bedeutung ergeben mag. Vielmehr jektivieren. lässt der Film dem Zuschauer hier viele Der psychologische Effekt solcher dra- Möglichkeiten offen, überlässt ihm die matisierender Farbverwendung ist ein wie- Wahl der möglichen Anschlüsse, führt we- derkehrendes Motiv im zeitgenössischen der die Bewegung des Geschehens im Film noir. In FORBRYDELSENS ELEMENT (THE Transporter weiter, noch führt das einge- ELEMENT OF CRIME, 1984) beispielsweise schnittene Bild kausal hinüber zur an- findet diese Verfahren einen besonders 2.1 Stil 87

Abb. 53 Abb. 54 dichten Ausdruck: Die Symbiose aus sur- bung die Farben Grün und Rot zur Charak- realen und an deutsche expressionistische terisierung der Hauptfiguren verwendet. Filme erinnernden Bildern visualisiert ein Um den dramaturgischen Effekt noch zu postapokalyptischen Inferno mit oligo- verstärken, sind sie zumeist illuminiert, chromen Bildern in abgestuften dunklen, etwa als leuchtend grüne Lampenschirme erdigen, schweren Ocker- und Brauntö- in einer Bibliothek (Abb. 53) oder als rotes nen. Diese Form der Bildgestaltung er- Neonröhrenkreuz in der Wohnung des schwert die Wahrnehmung, eine Dechif- Sereinmörders (Abb. 54). frierung der unübersichtlich gestalteten, THE UNDERNEATH differenziert die kaum lokalisierbaren, klaustrophobisch- Möglichkeiten der Farbgestaltung noch beengenden Orte und Räume ist kaum auf andere Weise. Das Spiel mit Hell-Dun- noch möglich. Die Verwendung von Farbe kel-Werten wird ergänzt um die extrover- zeigt die phantastische Vorstellungswelt tierte Funktionalisierung von Farbwerten, eines Polizisten, der unter Hypnose nach die der Subjektivierung der Narration wei- einem Serienmörder fahndet und schließ- teren Vorschub leistet. Als Michael zuhau- lich selbst in das Verbrechen involviert se ankommt, zeigt die Kamera ein Bildfeld, wird, als finster-schmutzigen Abgrund. dessen geometrische Aufteilung in recht- Die Subjektivierung der Perspektive durch eckige und quadratische, monochroma- die Verwendung von Farbe und die damit tisch gefärbte Segmente den Komposi- erreichte Psychologisierung des Blicks tionsprinzipien der Bilder des niederländi- macht aus FORBRYDELSENS ELEMENT einen schen Malers Piet Mondrian nahe kommt visuellen Anschlag auf die Sinne: Bilder (Abb. 55). Ihre Spannung beziehen die Bil- wie in einem Drogenrausch, undeutlich, der aus den Formbeziehungen zwischen irritierend und phantasmagorisch. Der den abgegrenzten und in reinen Farben zeitgenössische Noir-Film passt sich den gehaltenen Flächen, die überlagert werden Darstellungskonventionen des schwarz- von horizontalen und vertikalen Linien. weißen Film noir an, ohne die Funktiona- Die dem Kulissenmaler Hans Warm zuge- lität der Farbe einzubüßen. Dazu werden schriebene expressionistische Forderung, Dekorationen und Ausstattungen in un- das Filmbild müsse Grafik werden, scheint auffälligen, ungesättigten Farbtönen ver- hier erfüllt. Die konstruktivistische Zerle- wendet oder Farbinformationen mit Fil- Abb. 55 tern und Licht derart verfälscht, dass die Bilder nur eine stark begrenzte Farbigkeit aufweisen. Dies bietet zugleich die Mög- lichkeit punktuell und um so wirkmächti- ger Farbdramaturgien zu entwickeln. In SE7EN beispielsweise werden innerhalb der tristen und eintönigen dunklen Umge- 88 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 56 Abb. 57 gung des Bildraumes durch die gitterför- denen mehrere Farbbereiche miteinander mige Linienstrukturen, die ein den Raum konfrontiert werden, so etwa, wenn sich durchtrennendes offenes Regal mit Glas- die Wagentür eines Geldtransporters öff- einsätzen erzeugt, zerschneidet zugleich net und das Grün des Innenraums durch die Körper der hinter der Struktur agieren- das Blau des Außenraumes durchbrochen den Mutter und Michael. Kopf und Rumpf wird (Abb. 56). In der Tradition der Male- finden sich in separaten Farbsegmenten. rei des Expressionismus dienen klare Farb- Innerhalb dieser Binnenrahmen finden intensitäten im Bereich der Grundfarben wie in einem kubistischen Bild gleichzeitig Grün, Rot und Blau dazu, Situationen ex- verschiedene Handlungen statt: Die Mut- pressiv zu subjektivieren und das Gesche- ter unterhält sich mit dem Sohn, während hen – unterstützt durch Rahmungen und in einem anderen Rahmen zu sehen ist, Textsignaturen – im Hinblick auf mentale wie sie in der Hand ein Buch hält, in dem und psychologische Zustände der Hauptfi- sie liest, während Michael wiederum in ei- gur Michael interpretierbar zu machen nem anderen Rahmen etwas trinkt und (Abb. 57). mit ihr spricht; der Inhalt weiterer Rah- Zwar konventionell verwendet, aber men bleibt teilweise unerkennbar, sie len- Dank der Sättigung der Farben stark stili- ken den Blick auf die zentralen Aktionen. siert, sorgen neonlichtartiges gespensti- Das intime familiäre Gefüge konstitu- sches Grün, emotionales Rot oder unter- iert in dieser bildlichen Auflösung keinen kühltes Blau für einen ausdrucksstarken einheitlichen Raum mehr, die Familie ist look, so wie ihn das Chiaroscuro der eine Zweckgemeinschaft, in der seelische schwarzweißen Bilder im Hinblick auf Hel- Verletzungen, wie Michael sie seiner Mut- ligkeitswerte hervorgebracht hat. Die Wei- ter zugefügt hat, nur mehr zur Achsel zu- terentwicklung der expressiven Malerei ckenden Abwehrreaktion führen. Die aus- mit Licht zum zeitgemäßen, von der Pop- getauschten Informationen erschöpfen Art geprägten Farb-Design führt in der sich in Belanglosigkeiten, die Familien- Konsequenz zu vergleichbaren Ergebnis- mitglieder sind füreinander Fremde. Die sen: Beide Lichtstrategien derealisieren die bildliche Isolierung und die kontrastive Bilder und irritieren ihre Wahrnehmbar- Gegenüberstellung verschiedener Farbbe- keit und steigern durch die Manipulation reiche visualisiert die unterschiedlichen von Licht- und Farbwerten den filmischen emotionalen Intensitäten und ihre span- Ausdruck dramatisch. nungsreiche Beziehungslosigkeit. Einen ähnlichen Effekt erzielen die mit Achsen- 2.1.7 Von der expressiven Montage sprüngen operierenden Inszenierungsstra- zur irrealen Bewegung tegien von Tischgesprächen. Erinnert die monochrome Einfärbung Der Film THE MATRIX (Regie: Larry und zuweilen an viragierte Bilder, so finden Andy Wachowski) aus dem Jahr 1999 ist sich in THE UNDERNEATH auch Bilder, in eines jener Produkte der letzten Dekade, 2.1 Stil 89

Abb. 58 Abb. 59 die einem Trend zur Integration multipler tenöffentlichkeit angepasste Adaption der Bilder- und Erzähltraditionen folgen – ob Gangsterikonografie erinnern an die in als Genremischung oder intermediales Zi- optischen Dekors sich erschöpfende, äu- tatekino, ob als Action-/Science-Fiction-/ ßerst erfolgreiche visuelle Strategie etwa Fantasy-/Gangsterfilm-Derivat, als filmi- von (1997). Folgen beide sche Übersetzung japanischer Mangas Filme zugleich ganz offensiv dem Erfolg und Animes oder als Zitatekino von BLADE des Revivals der Gangsterfigur in PULP FIC- RUNNER (1982) bis AKIRA (1987). Nicht nur TION, so belässt es zumindest MEN IN die visuellen Gestaltungsprinzipien popu- BLACK schließlich bei diesen oberflächli- lärer Comicreihen, auch Elemente aus chen Verbindungen. dem vom Hongkong-Kino geprägten Gen- In THE MATRIX dagegen wird selbstbe- re der Martial Arts Filme, die in THE MA- wusst der Versuch unternommen, am Ran- TRIX mit den körperbetonten Inszenie- de zur Kitschigkeit sich bewegende, kli- rungsmustern des Actionfilms verbunden scheebeladene und konventionelle erzäh- werden, Anleihen beim Fantasy-Film so- lerische Momente einerseits und künstle- wie stilisierte Ikongrafien des Gangster- rische Ambition andererseits zu einer neu- films dienen dem Film als filmgeschichtli- en bewegenden bzw. bewegten Ausdrucks- che Referenzen. Eine Mischung von Gen- form zu verbinden. Eingebunden in eine reversatzstücken wie etwa in TITANIC Science-Fiction-Story um die Erkenntnis- (1997) oder in der JURASSIC PARK-Reihe problematik eines Ichs, das die eigene (1993, 1997 und 2001), die darauf ange- Identität nichts anderes als eine compu- legt ist, die Bedürfnisse möglichst vieler, tersimulierte Realität ist und das Leben ein in ihren filmischen Vorlieben ansonsten von Maschinen inszeniertes Simulakrum, divergierender Zuschauerschichten, zu be- ist THE MATRIX durchgängig mit den stilis- friedigen, liegt auch THE MATRIX zu Grun- tischen Verfahren des Noir-Films insze- de. Den gegenwärtigen Marketing-Gepflo- niert. Die um die Identitätsfindung der genheiten für Großproduktionen entspre- Hauptfigur Neo gruppierten Handlungs- chend, betont auch die Werbung die De- stränge spielen inmitten unbelebt schei- sign-Qualitäten des Films. Mit stilisierter, nender urbaner Settings in unübersichtli- auf Figuren setzender Ikonographie und chen Räumen, die in der Regel im low-key- aggressiven Slogans besetzte die Werbe- Verfahren beleuchtet sind. In einer zur kampagne massenwirksam den Bilder- Apokalypse hypostasierten Scheinwelt il- raum der filminteressierten Popkultur. luminieren blendende und sich bewegen- Das Kalkül, Filme als Markenprodukte zu de Gegenlichter den Bildraum nur bruchs- konzipieren, ging – wie die Einspielergeb- tückhaft (Abb. 58), fällt Dauerregen auf nisse zeigen – im Falle von THE MATRIX dunkle Straßen und sorgen extreme Ober- auf. Visuelle Oberflächenqualitäten und sichten abwechselnd mit Einstellungen in eine futuristische, dem modischen Ge- der Nähe des Bodens sowie optische Per- brauchswert einer juvenilen Konsumen- spektiven von oberhalb im rechten Win- 90 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 60 Abb. 61 kel zur Handlungsachse positionierten Ka- wirkende Träume über einen Zugang am meras für bedrohliche Effekte (Abb. 59). Hinterkopf – im technischen Sinne des Der investigative Plot verfügt über Wortes – „einspeisen“. Die Gegenüberstel- eine doppelte Suchbewegung: Zum einen lung der beiden Handlungsbereiche – Rea- diejenige der Hauptfigur Neo nach ihrer lität (Abb. 60) und Virtualität (Abb. 61) – verloren gegangenen Identität und zum wird vom Film zwar konventionell zu- anderen die der Verfolgung durch die gunsten einer realistischen Lesart der Agenten und Such-Roboter im Dienste der zweiten Wirklichkeitsebene als Referenz- herrschenden Maschinen. Diese Bewe- Ebene des Realen aufgehoben, dennoch gung wird verkompliziert durch den Um- thematisiert die Realitätsverdoppelung in stand, dass es zwei unterschiedliche Refe- THE MATRIX die tendenzielle Aufhebung renz-Ebenen des Realen gibt, einerseits die der Konnotation des Realen als ontolo- scheinbar gemäß realistischen Darstel- gisch gedachtes Moment der Bedeutungs- lungskonventionen gestaltete computer- konstruktion der Bilder. generierte Matrix sowie der an ein kanali- Auf der anderen Seite kaschiert die Ma- sationsartiges Labyrinth erinnernde Raum, trix den Verlust von Geschichte. Die rhe- in dem sich das raumschiffartige Tauch- torische Matrix von THE MATRIX verweist boot der Untergrundgruppierung um den auf das Reale als etwas Nichtexistentes, das Anführer Morpheus befindet. Die zu An- nurmehr durch die Rechenleistung von fang angebotene Zuschreibungsebene bleibt Maschinen rekonstruiert werden kann. In trotz der unglaubhaften Ereignisse lange den „weißen Räumen“ (Abb. 62) des Films Zeit die einzige Referenzierungsmöglich- wird dieses Nichts visualisiert, hier muss keit. Das suggerierte Wahrnehmungssche- der Protagonist Neo schmerzlich erfahren, ma lässt lange Zeit nur vage Möglichkeiten dass aller Realitätseindruck bloße Simula- zur Hypothesenbildung zu. In dieser fikti- tion ist. Zwar lässt diese verwirrende Er- ven Realität scheint es zunächst weder Er- zählstrategie den Ausgang der Geschichte wartungssicherheiten noch ausreichend lange Zeit offen, offenbar gemäß der Mar- zuverlässige Orientierungsmöglichkeiten ketingstrategie der Genremixtur entschie- zu geben. Auch Science-Fiction-Genre- den sich die Filmemacher am Ende aller- schemata scheinen nur begrenzt verwert- dings für eine klischeebeladene konven- bar, bis sich herausstellt, dass es neben der tionelle Auflösung. Neben der religiösen anfangs gezeigten virtuellen Realitätsebe- Konnotation der Hauptfigur als Erlöser der ne eine zweite, „wirklich“ reale gibt, die Menschheit ist es vor allem die Liebe einer die erste als Konstruktion entlarvt. In ei- Frau, die Neo schließlich ins Leben zurück nem postapokalyptischen Szenario haben holt und aus ihm den verheißenen Messi- hier die künstlich-intelligenten Maschi- as macht. nen die Herrschaft an sich gerissen und die Bereits in zahlreichen Produktionen Menschen zu Energiespendern degradiert, des klassischen Film noir entsprachen po- denen sie zur Ruhigstellung realistisch sitive Auflösungen der Geschichten viel- 2.1 Stil 91

Abb. 62 fach kaum dem Pessimismus der Erzählun- Code in die ‚humanoide Hardware‘ und ihre gen. Obwohl dies als Indiz für die Verbun- physio-psychologische Transformation. denheit mit den Vorgaben des Production Diese Leerstellen der Story behindern Code und die Einbettung in die Konventio- die Wahrnehmung der Konstruktionsprin- nen klassischen realistischen Erzählens in- zipien dieser ebenso mythischen wie rät- terpretiert werden kann, markieren derart selhaften Welt und verschleiern Beweg- offensichtliche Rückgriffe auf Klischees gründe und Motivationen auf beiden Sei- der klassischen Erzählung zugleich eine ten der handelnden Akteure. Obwohl das Abweichung von dominierenden narrati- mit Blick auf Fortsetzungen geschehen ven Strategien innerhalb der einzelnen mag – zwei weitere Folgen sind in Produk- Noir-Erzählung selbst. Der daraus resultie- tion bzw. geplant –, bedeutet die Zurück- rende innerfilmische Verfremdungseffekt haltung von Informationen doch für den irritiert letztlich durch die im Vergleich einzelnen Film eine nicht unbeträchtliche mit anderen Lösungsangeboten unmoti- Desorientierung des Zuschauers. Der Zu- viert wirkende Bereitstellung von Eindeu- schauer wird keineswegs in die Rolle eines tigkeit. Für die narrative Wirkung des allwissenden Beobachters versetzt und Filmganzen erscheint dies dennoch kaum bleibt mit einer Reihe von Ungereimthei- mehr als eine Marginalie. Auch die mär- ten und Rätseln zurück. Das Bild, das THE chenhafte „Erlösung“ von Neo durch ei- MATRIX konstruiert, bleibt unvollständig nen Kuß subvertiert im Grunde die zuvor und fragmentarisch. Dennoch erweist sich etablierte Struktur der Erzählung. Denn das formalästhetische Noir-Arrangement der Plot von THE MATRIX hält trotz der am von THE MATRIX vor dem Hintergrund des Ende nahegelegten Eindeutigkeit wie in zeitgemäßen, ebenso integrativen wie aus- Noir-Filmen üblich wichtige Informatio- beuterischen Filmemachens und unter Be- nen zurück, wie etwa über das spirituelle dingungen zeitgenössischer Großproduk- Zentrum der Untergrundbewegung mit tion offenbar als wirkmächtiges funktio- Namen „Zion“, Einsichten in die Realität nales Äquivalent. Für diesen Abschnitt der jenseits des unterirdischen Labyrinths in Untersuchung lautet die Frage entspre- die Welt der Maschinen, aber auch Infor- chend, inwiefern THE MATRIX als Noir- mationen über die konkrete Funktions- Film funktioniert. Der erste Teil der Ant- und Arbeitsweise der Matrix, d.h. die wort wurde zuvor knapp skizziert und be- Übersetzung von computergeneriertem trifft Standards der narrativen Verfahrens- 92 2 Film noir – Eine Umschrift

Bilderordnungen des Noir-Films in THE MATRIX zielen darauf ab, Bewegungen ex- pressiv zu machen, ihnen eine subjekti- vierte Perspektive einzuschreiben, die jen- seits einer zweckgerichteten linearen Be- wegung von A nach B operiert. Werden im Noir-Film üblicherweise expressive Ef- fekte durch die Montage ungewöhnlicher Einstellungswinkel und -größen erreicht, nutzt THE MATRIX dafür Möglichkeiten neuerer technischer Entwicklungen der Aufnahmeapparatur und des computerbe- rechneten Bildes. Die Dekonstruktion von Darstellungskonventionen realistischer Bewegungsabläufe durch die bildliche Aufhebung physikalischer Gesetzmäßig- keiten der Schwerkraft und der Zeit abstra- hiert Bewegungen durch choreographier- te Anordnungen und erreicht die expressi- ve Überdetermination von Bewegungs- momenten mit Hilfe kinetischer Effekte, die mit speziellen Aufnahmetechniken er- Abb. 63.1–3 möglicht werden (Abb. 63.1–3). Auch wenn diese Tricktechniken vor- weisen des Noir-Films. Wichtiger noch nehmlich im und für den Action-Film ent- scheint es, den Blick auf die Besonderhei- wickelt wurden, haben sie in THE MATRIX ten von THE MATRIX zu richten, auf die eine andere Funktion. Der Bewegungsein- Möglichkeiten expressiver Inszenierung druck dient hier nicht in erster Linie der von Bewegungen. Ausdehnung realistischer Darstellungs- konventionen bis an die Grenze glaubwür- Jump & Run diger körperlicher Möglichkeiten oder der Auch wenn das unmotiviert wirkende Erzeugung somatischer Effekte (vgl. happy ending dem Verlauf des Films kaum Morsch 1999), sondern wird zum Aus- gerecht wird, sorgt das stilistische Verfah- druck bzw. Signum der Scheinwelt der Ma- ren in THE MATRIX durch die Inszenierung trix, in der alle kinetischen Möglichkeiten einer expressiven Bewegungsästhetik für von den Rechnerkapazitäten der Maschi- Desorientierungseffekte des Zuschauers. nen und ihrer Programmierungen abhän- Werden auf der Ebene der Geschichte zwei gen, während auf der anderen Seite Bewe- erzählte Räume miteinander verbunden, gungsabläufe außerhalb der Matrix noch deren Zusammenhang lange Zeit nicht immer Naturgesetzen folgen. eindeutig zu bestimmen ist, so scheint In THE MATRIX werden expressive Aus- sich die Entkopplung von scheinbar kau- drucksmöglichkeiten von der Montage zur salen, gemäß alltagswahrnehmungslogi- Bewegung verlagert. Im Mittelpunkt ste- schen Prinzipien notwendigen Zusam- hen dabei Manipulation der Zeitachse menhängen auf der Ebene der fotografi- durch dynamisierte Beschleunigungsef- schen Erfassung von Bewegungsabläufen fekte. Die visuellen Derealisierungsstrate- zu wiederholen. Die Verschiebungen der gien irritieren die Sehgewohnheiten. Die 2.1 Stil 93

Abb. 64 vierdimensionale Welt gerät dabei nicht schieht in den an phasenphotografische mehr nur räumlich, wie noch im klassi- Aufnahmen erinnernden und Bewegungs- schen Film noir, sondern insbesondere abläufe zergliedernden optischen Auflö- auch zeitlich aus den Fugen. Das kartesi- sungen von Bewegungsabläufen (Abb. 64). sche Koordinatensystem verflüssigt sich Die Manipulation zeitlicher Ordnungs- und die Realität verliert ihre scheinbar prinzipien durch Kontraktions- und Ex- letzte fixe Größe, die Zeit. In dieser in Bits pansionseffekte findet das Moment größ- und Datenströme aufgelösten Welt der ter Stilisierung allerdings in virtuellen Ka- Matrix lässt sich für das radikal deontolo- merafahrten, die Zeitpunkte gewisserma- gisierte und entsubjektivierte Individuum ßen kondensieren. Dabei werden mo- Neo kein identitätsstiftender Anhalts- menthafte Bewegungsschnitte eines sich punkt mehr auffinden. bewegenden Objekts hergestellt, indem Zeigte sich auf narrativer Ebene die diverse, in gleichen Abständen halbkreis- Denkfigur des desorientierten Individu- artig angeordnete, auf ein zentrales Objekt ums im klassischen Film noir vornehm- ausgerichtete Kameras gleichzeitig ausge- lich in der Form der Montage, so erscheint löst werden. Die einzelnen Bilder jeder Ka- sie in THE MATRIX direkt an der filmischen mera werden anschließend zu einem ein- Oberfläche: Die psychologische Befind- zigen belichteten Filmstreifen zusammen- lichkeiten repräsentierende Montage wird gesetzt. Der resultierende, gleichsam holo- übersetzt in subjektivierende Bewegungs- grafische 3D-Effekt erzeugt das paradoxe kompositionen innerhalb einer Einstel- Bild einer bewegungslosen Bewegung lung. Von der Verlangsamung von Bewe- (Abb. 65.1–6). Die Bewegung erfolgt nicht gungen durch Zeitlupeneffekte bis hin zu mehr nur um ein Objekt herum, sondern filmischen Formen der Hochgeschwindig- auch um einen Zeitpunkt. Die Zeit selbst keitsfotografie, in denen beispielsweise wird auf diese Weise zum Objekt der Be- Flugbahnen von Projektilen sichtbar wer- trachtung. Übrig bleibt eine reine Bewe- den, wird Zeit gedehnt, gestaucht und ver- gung des Bildes selbst, eine Abstraktion zerrt. Der dramaturgische Effekt besteht kausaler zeitlicher und räumlicher Anord- schließlich in der Verlängerung des sensa- nungen. tionellen Moments bzw. des emotionalen Obwohl dieses Verfahren bereits viel- Affekts, in dem zugleich Unsichtbares fach in Werbespots und Musikvideos ein- sichtbar gemacht werden kann. Dies ge- gesetzt wurde, hat es in THE MATRIX erst- 94 2 Film noir – Eine Umschrift

mals seinen Weg ins Mainstream-Kino ge- funden. Der Effekt basiert auf der der Pha- senfotografie abgeschauten seriellen Be- lichtungstechnik mit Hilfe zahlreicher Fo- to-Kameras. Die dramaturgische Aufbereitung die- ser Sequenzen folgt andererseits der japa- nischen Comic-Tradition der Mangas und deren zeichentrickfilmischer Ausarbei- tung in Animes. An die Stelle komplexer Bewegungsabläufe wie in den klassischen Animationsfilmen treten in den Animes verkantete Bildkompositionen, schnelle Schnitte, durchsichtige Oberflächen und weiche Schattenwürfe. Wie z.B. in AKIRA (1987) oder KOUKAKU KIDOUTAI (GHOST IN THE SHELL, 1995) werden auf diese Weise unbewegte Einzelbilder zu extrem dyna- misierten Bewegungssequenzen zusam- mengesetzt. Die resultierende groteske Überzeichnung des Momenthaften ist zu- gleich konstitutives Prinzip sowohl der Manga-Comic- als auch der Anime-Ästhe- tik. Eines der wichtigsten Comic- und Zei- chentrickfilm-Verfahren der Mangas bzw. Animes beruht auf der analytischen Zerle- gung von Bewegungsabläufen in komposi- tionelle Bestandteile bzw. Einzelbilder, wobei diejenigen, die den dramatischsten, d.h. dynamischsten Bewegungseffekt er- zeugen, kontrolliert bildlich ausgearbeitet werden. Zur Lenkung der Aufmerksamkeit und Dramatisierung von Handlungen werden insbesondere möglichst große Ab- weichungen von der Normalperspektive ermittelt und bildlich kondensiert, in der Raumdimension etwa durch Blickwinkel, Licht- oder Farbgestaltung, in der Zeitdi- mension beispielsweise durch quantitati- ve Expansion oder Kontraktion von Bewe- gungssegmenten. Daraus entsteht eine auf die Form des Ausdrucks konzentrierte Be- wegungsästhetik. Erreicht wird dadurch letztlich die Übersetzung dramatischer Ereignisse und Handlungen in grafische Effekte (Abb. 66). Abb. 65.1–6 Einer der Gründe für die Entwicklung die- 2.1 Stil 95

Abb. 66 Abb. 67.1–3 ser spezifischen japanischen Comic-Äs- thetik liegt in der Massenproduktion, die zu kostengünstiger Arbeitsweise zwingt (vgl. Bordwell 1994: 758) – und hier lassen sich durchaus Analogien zu den ökonomi- schen Voraussetzungen des klassischen Film noir erkennen, wie Paul Kerr sie be- schrieben hat (vgl. Kerr 1996). Die Nähe zu den ästhetischen Verfahren des Film noir ist evident. Und so wie bereits die Co- mic-Kultur als auch die Zeichentrickfilm- tradition der Mangas visuelle Muster des Film noir aufweisen (Abb. 67.1–3), wurde in THE MATRIX der Versuch unternom- men, die in diesen Medien weiterentwi- ckelten Formenspiele wiederum für den Spielfilm zu adaptieren. THE MATRIX invertiert Darstellungs- konvention der Mangas, denn in entspre- chenden Sequenzen werden nicht unbe- wegte Objekte in Bewegung versetzt, son- dern bewegte Objekte näherungsweise in den Stillstand. Neben dem daraus resultie- renden rhythmisierenden Effekt, besteht die Funktion dieses ästhetischen Prinzips in THE MATRIX insbesondere darin, der ver- wirrenden Erfahrungswirklichkeit der Ma- trix auch in der Zeitdimension einen Aus- 96 2 Film noir – Eine Umschrift

druck zu verleihen bzw. Zeit und Konven- GETTING SICK (1966) – hat nicht nur tionen der Zeitwahrnehmung zu dekon- Lynch, sondern auch eine Reihe weiterer struieren. Filmemacher expressive Tongestaltungen THE MATRIX, so eine Konsequenz die- entwickelt, die aus dem Mainstream-Kino ser Beobachtungen, bereichert das Noir- kaum mehr wegzudenken sind. Und wie- Modell um den Aspekt des plakativ-sensa- derum ist es das expressive filmische Ver- tionell Comichaften – eine Eigenschaft, fahren des Noir-Films, dass hier zunächst die dem Film noir von Anbeginn keines- Möglichkeiten der Tongestaltung erprobt. wegs fremd war. Vor dem literarischen Bis hin zu den Spektakeln David Finchers, Hintergrund der Massenliteratur der hard- hat die Tonebene eine erstaunliche Auf- boiled-Geschichten, die oftmals Vorlagen wertung erfahren. Flankiert von der tech- für Films noirs abgaben, lässt sich außer- nischen Entwicklung zur Steuerung von dem die Hinwendung zu einer neuen mas- Raumakustiken mit Hilfe verschiedenster senliterarischen Basis beobachten: Co- technischer Verfahren – von Dolby bis mics, deren Geschichten immer schon auf THX – und der dadurch ermöglichten Ma- die Expressivität der Bilder setzten. Ob da- nipulation des gesamten Frequenzberei- mit ein Trend zur „Veroberflächlichung“ ches sowie der Möglichkeit zur Aufteilung im zeitgenössischen Noir-Film belegt wer- des Tons auf mehrere Kanäle mit unter- den kann (vgl. Elsaesser 1999: 310), bedarf schiedlichen räumlichen und lautlichen einer Aufschlüsselung der Entwicklung Intensitäten, ist die Tonebene zu einem spezifischer Formenspiele der Comic-Lite- wichtigen ästhetischen Faktor aufgewer- ratur und des Animationsfilms innerhalb tet worden. kultureller Kontexte und im intermedi- Auch THE MATRIX macht von den Mög- alen Austausch mit dem Film. lichkeiten der akustischen Gestaltung re- gen Gebrauch. Der Kritiker der Filmzeit- Ein Tag im Walzwerk schrift epd Film urteilt über den Sound- Ebenso wie THE MATRIX auf der Bildebene track des Films: „Davis veranstaltet mit durch den methodischen Gebrauch visu- wuchtig orchestrierten symphonischen eller Marker des Film noir irritiert und des- Passagen plus schrillen Synthi-Effekten sen ikonografisches Spektrum um bislang ein nervenzerrendes Krachspektakel, das im Spielfilm ungesehene Arrangements allerdings mit Musik wenig zu tun hat. Da- von Bewegungsabläufen erweitert, wird gegen ist ein Tag im Walzwerk vermutlich auch die Tonebene in expressive Schwin- ein Ohrenschmaus“ (Bell 1999: 55). Ob- gung versetzt. THE MATRIX folgt auch in wohl der Soundtrack von THE MATRIX dieser Hinsicht dem beobachtbaren Trend kaum die expressiven Qualitäten desjeni- der letzten Jahre, die ästhetische Dimensi- gen von LOST HIGHWAY erreicht, sorgt die on der Tonebene ernst zu nehmen. Die Kontrastierung von orchestrierten Arran- Möglichkeit, gezielt akustische Effekte zu gements und digital verzerrten Tönen für setzten, um die Wirkung der Bilder zu ver- irritierende, bedrohlich wirkende Disso- stärken, ist seit Erfindung des Tonfilms be- nanzen. Ebenso bewegt sich die Lautstärke kannt. Dennoch wurde in der Filmge- der Toneffekte auf sehr unterschiedlichen schichte der Ton zumeist den Bildern Niveaus. Die Gegenüberstellung leiser und funktional nachgeordnet. Erst das jüngere lauter Abschnitte sorgt für beängstigende Kino hat die Tonebene von der Bildebene Effekte. Das kontrastive Verfahren setzt emanzipieren können und hier hat insbe- sich demzufolge auch auf der Tonebene sondere David Lynch Akzente setzten fort. Die technische Möglichkeit, Geräu- können. Von Anfang an – seit SIX FIGURES sche räumlich lokalisierbar zu machen, be- 2.2 Erzählstrukturen 97

einflusst zugleich den Zuschauerblick. Ge- kurze Zeit später wieder gewaltsam ent- räusche aus dem Jenseits des Bildraumes fernt wird. In beiden Sequenzen ist Neo wirken bedrohlich und greifen aktiv in die zunächst in leisen Gesprächssituationen Diegese ein. Die Möglichkeit, den Zu- zu sehen, die sich dann unvermittelt zu schauer auf allen sensorischen Ebenen mit beinahe chirurgischen Implantations- einer Fülle von Informationen zu versor- und Extraktionsaktionen entwickeln, in gen, überfordert tendenziell dessen Wahr- denen lauter werdende stakkatoartige nehmungsfähigkeit, womit Schocks kal- Streichereinsätze mit dem vor Unbehagen kuliert werden können, so etwa, wenn stöhnenden Neo kombiniert werden. Ist Neo in direkter Anspielung auf den ersten diese Verwendung noch vergleichsweise Teil der ALIEN-Reihe zunächst ein kleiner konventionell, so operieren etwa Filme tierähnlicher mechanischer Organismus wie SE7EN,FIGHT CLUB oder LOST HIGHWAY durch den Bauchnabel eingepflanzt und mit eine ungewöhnlich differenzierten ex- pressiven Tonebene.

2.2 Erzählstrukturen

„And for viewers accustomed to the pat- Ebene desorientiert Film noir konsequent terns of classical narrative, noir’s structu- den Zuschauer, indem er die Standards ral manipulations might have just as an der konventionellen Erzählungen Holly- subversive an effect as its dark, expressio- woods neu ordnet und verändert und da- nistic look.“ mit die Strategie seiner durchsichtig orga- J.P. Telotte (1989: 32) nisierten, linearen Geschichten, seines verdeckten Stils und das Unsichtbarma- Eines der wichtigsten Stilprinzipien des chen des Erzählers verwirft. Film noir ver- Film noir liegt in der Bevorzugung der Fra- zichtet auf einfache psychologische Kau- ge nach dem Wie gegenüber Fragen nach salitäten und eindimensionale Figuren. dem Was. Der Prozess ist immer wichtiger Auf diese Weise formuliert Film noir ei- als das einzelne Ereignis oder: „[T]he how nen methodischen Zweifel an der Glaub- is always more important than the what.“ würdigkeit des Weltbildes der klassischen (Schrader 1972: 11) Doch das Wie der nar- Erzählung. Und insofern ist Film noir rativen Ordnung thematischer Kerne be- durchaus auch das, was David Bordwell „a zieht sich keineswegs nur auf die audiovi- criticism of classical technique“ nennt, suellen Arrangements des Noir-Films, son- eine filmische Kritik am klassischen Hol- dern ebenso auf seine erzählerischen Ver- lywood-Stil (Bordwell et al. 1985: 76). Vor fahren. Für Bordwell ist filmische Narrati- allem vor diesem Hintergrund müsse die on der Prozess, in dem die beiden erzähl- Beschreibung des Film noir zunächst des- technischen Subsysteme Stil (audiovisu- sen „realistic and generic motivation“ ell-technische Prozesse, medial gebunden) (ebd.: 76) klären. und Syuzhet (dramaturgische Prozesse, Die Narration im Noir-Film lässt sich nicht an ein Medium gebunden) inter- gemäß der Differenzierungen, die David agieren, um dem Zuschauer Informatio- Bordwell et al. von Meir Sternberg über- nen zur Konstruktion (s)einer Story zur nommen haben (s. Bordwell et al. 1985: Verfügung zu stellen, also der filmische 25), etwa wie folgt charakterisieren: Zu- Vermittlungsprozess. Auf der narrativen nächst erscheint sie auf der Ebene der Of- 98 2 Film noir – Eine Umschrift

fenlegung der eigenen Herstellungsprinzi- well et al. 1985: 13) Konventionelle Narra- pien gegenüber dem Publikum eher selbst- tionen im Standard-Hollywoodfilm ver- bewusst; selbstreflexive Momente betref- wenden diese der Alltagswahrnehmung fen so unterschiedliche Mittel wie die Ver- analogen Ordnungsprinzipien, um die Ge- wendung von voice over, Rückblenden- schichten intelligibel und die vermittelten techniken oder die Stilisierung von Bild- Informationen interpretierbar zu machen. und Tonebene. Im Hinblick auf das zur Zeitliche, räumliche und logische Lineari- Verfügung gestellte Wissen gibt die Narra- tät erzeugen einen Realitätseffekt, der zur tion sich wenig kenntnisreich, eine limi- erzählerischen Konvention des Holly- tierende, subjektivierte Perspektive cha- wood-Films geworden ist. rakterisiert zumeist den point of view der Auch wenn Bordwell Film noir inner- Erzählung. Dennoch ist die Narration im halb dieser narrativen Konventionen ver- Noir-Film vergleichsweise kommunikativ; ortet und feststellt, dass „[i]n sum, film auch wenn sie dem Zuschauer für die Kon- noir is not outside the pale […] It is a clear- struktion der Geschichte zumeist wenig ly codified option within classicism, a uni- Wissen zur Verfügung stellt, vermittelt sie fied set of syuzhet tactics and stylistic fea- dennoch alles aus der subjektiven Perspek- tures […]“ (Bordwell 1985: 198), so er- tive heraus Wissbare über die Umwelt, ins- scheint dies vor dem Hintergrund beob- besondere über psychische Befindlichkei- achtbarer Abweichungen zu wenig diffe- ten. Andererseits hat es geradezu den An- renziert. Zweifellos operiert der histori- schein, als versuche die expressive Ästhe- sche Film noir innerhalb herkömmlicher tik des Noir-Films diesen „narrativen Man- Erzählmuster und auch innerhalb der gel“ an Kontextwissen zu kompensieren. technischen Möglichkeiten des Mediums. Die subjektivierende Perspektive ist Der Hintergrund, vor dem Film noir als demzufolge nicht nur der audiovisuellen solcher wahrnehmbar wird, hat allerdings Gestaltung eingeschrieben, sondern eine doppelte Struktur: Zum einen be- gleichzeitig konstitutiver Bestandteil des zeichnet Film noir eine Differenz zu den Plots, d.h. der Form der Präsentation aus- Konventionen konfektionierter Studio- gewählter Informationen. Der Plot trans- produktionen, etwa zu Genrefilmen, auf formiert durch die Auswahl bestimmter der anderen Seite wurden atmosphärische Ausschnitte eines Gesamtzusammenhan- Verschiebungen im ästhetischen und nar- ges erzählte Zeit in Erzählzeit – in Form rativen Bereich erst vor dem Hintergrund etwa von Handlungen oder Ereignissen, in der années noires der französischen Kolla- Einstellungen, Szenen oder Sequenzen. boration mit Nazi-Deutschland wahr- Das Zusammenspiel von audiovisuellen nehmbar, die Frankreich und Europa vor- Verfahren und Auswahlverfahren der In- übergehend von der US-amerikanischen formationseinheiten konstituiert die Nar- Filmproduktion abschnitt und durch die ration. Für die Form der Beziehung von langjährige Absenz US-amerikanischer Fil- Plot und Storykonstruktion beschreibt me französische Filmkritiker besonders Bordwell drei regulative Mechanismen: sensibilisierte bzw. ein geeignetes Wahr- Auf der Basis des psychologischen Kausali- nehmungsdispositiv hervorbrachte. Auch tätsprinzips konditionieren in herkömm- wenn dieser Rahmen der Erfindung der Be- lichen Narrationen zeitliche, räumliche zeichnung „Film noir“ notwendig kontin- und Ursache-Wirkung-Parameter die Wahr- gent erscheint und die Unterscheidung nehmung der Story: „Character-centered – und Bezeichnung früher oder später auch i.e. personal or psychological – causality is anderswo unter anderen Bedingungen the armature of the classical story.“ (Bord- hätte erfolgen können, so lässt sich auf der 2.2 Erzählstrukturen 99

anderen Seite auch das Bordwellsche Stan- rative Formen dem eigenen Verwertungs- dard-Modell des Filmemachens, das im prozess zugeführt hat. Die hier vorgeschla- Hollywood-Studiosystem zur klassischen gene Betrachtungsweise favorisiert aller- Form entwickelt werden konnte, kaum als dings die Auffassung, wonach Film noir auf ubiquitäres Modell entwickeln. Denn wie Grund seiner ästhetischen und narrativen alle Wellen und Phasen der Filmgeschich- Eigenschaften Bestandteil der Mainstre- te, ist auch das Standard-Kino Hollywoods am-Filmproduktion ist. Nicht zuletzt hat nur ein weiterer, kontingenter Moment, der jüngere Noir-Film – etwa mit THE SILEN- der aus der Verdichtung spezifischer öko- CE OF THE LAMBS,SE7EN oder THE MATRIX – nomischer, technischer und kultureller vehement darauf aufmerksam machen Umstände resultiert, wenngleich im ver- können, dass einer der Hauptgründe seiner gangenen Jahrhundert weltweit und ver- Wirksamkeit in der radikalen Ausbeutung gleichsweise lang anhaltend – nicht nur des sensationellen Potenzials auf allen me- ökonomisch – erfolgreich. dialen Ebenen des Filmischen zu finden ist. Abstrahiert man allerdings von diesem Als Quelle der Inspiration dienen dem normativen Gehalt des Bordwellschen Noir-Film nach wie vor unglaubliche Ge- Standard-Erzählmodells und nimmt die schichten wie z.B. diejenige der Figur des dafür ermittelten Charakteristika als Folie Verbal Kint in THE USUAL SUSPECTS.Umdas der Analyse des Film noir – wofür auf Unglaubliche glaubhaft zu machen, arran- Grund der dominierenden Stellung dieses giert Film noir die Kompositionsmerkmale Produktionskontextes zumindest hin- der konventionellen Hollywood-Erzähl- sichtlich ästhetisch-narrativer Eigenschaf- weise neu, indem er Strukturen von Kausa- ten und Verfahren vieles spricht –, so las- lität und Linearität in eine gegenüber den sen sich an den Differenzierungen und Standards veränderte Anordnung über- Aberrationen, die Film noir gegenüber führt bzw. indem er die klassische, objekti- konventionellen Produktionen aufweist, vierende Perspektive aufgibt. nicht nur spezifische ästhetische Muster ermitteln, sondern auch erzähltechnische 2.2.1 Zeitliche Kausalität – Abweichungen beschreiben. Rückblenden Auf der anderen Seite des Spektrums des Filmemachens wären durchaus andere Wenngleich lange bekannt, aber lediglich Kontextualisierungen denkbar, etwa vor vereinzelt in Hollywood-Produktionen dem Hintergrund vergleichsweise unkon- verwendet, kommen narrative Techniken ventioneller Ästhetiken etwa des Essay- wie voice over oder Rückblenden erst im oder Experimentalfilms. Hier bestehen ins- „historischen“ Film noir regelmäßig und besondere im Hinblick auf Subjektivie- systematisiert zum Einsatz. Hinsichtlich rungs-, Verrätselungs- sowie selbstreflexive ihrer Verwendung gilt allerdings, dass ge- filmische Strategien Querverbindungen, genüber den erzählerischen Standards des die sich allerdings nur indirekt mit der Po- illusionistischen Films weniger Abwei- sitionierung des Film noir innerhalb des chung als vielmehr Wiederholung und Produktionskontextes Hollywoods in ei- Variation erwartet werden kann. Die Zu- nen Zusammenhang bringen lassen. In die- sammenstellung informativer Einheiten ser Hinsicht ließe sich etwa prüfen, in wel- im Noir-Film erfolgt zumeist entlang in- chem Umfang und mit welchem Erfolg die vestigativer Erzählstrukturen, wie sie in Produktionsweise der Filmstudios in Holly- den Genres des Kriminal-, Detektiv- oder wood tatsächlich außerhalb des eigenen Polizeifilms entwickelt wurden, kombi- Betriebes entwickelte ästhetische oder nar- niert mit der emotionalen Effektivität der 100 2 Film noir – Eine Umschrift

Erzählmuster des Thrillers. Auch insofern Handlungsstränge aus der Chronologie weicht Film noir nicht von Erzählkonven- genommen werden und entgegen den tionen ab. Der bedeutsamste Unterschied Konventionen der Alltagswahrnehmung des Noir-Films zur Standarderzählweise achronologisch neu angeordnet werden. im narrativen Film liegt indes in der zeitli- Die mit den Zeitsprüngen verbundenen chen Organisation der ausgewählten Ab- räumlichen und kausalen Delinearisierun- schnitte. Die Abfolge von Handlungen gen erschweren zugleich die Hypothesen- und Ereignissen folgt im Noir-Film nicht bildung und die Konstruktion der Fabula. mehr notwendig einer sequenziellen li- Wenngleich dies zunächst im US-ameri- nearen Anordnung, die von einem An- kanischen Film noir der 1940er/50er Jahre fangspunkt über Zwischenstationen zu ei- ausnahmslos mit Hilfe von Rückblenden nem Endpunkt führt. Wurde im klassi- geschieht, die obendrein in der Regel schen Hollywood-Film mit Hilfe unsicht- durch Überblendungen oder aufgespro- barer Schnitte bzw. des continuity systems chenen Text auf audiovisueller Ebene versucht, die medial bedingten, unver- noch konventionell markiert werden, so meidbar derealisierenden Effekte zu ver- lässt sich in der häufigen Verwendung die- schleiern (vgl. Bordwell et al. 1985: ser Erzähltechnik durchaus ein Verdich- 194ff.), so nutzt Film noir diese mediale tungsmoment bzw. ein erzähltechnischer Eigenschaft für seine desorientierende Topos des Film noir benennen. Trotz der Programmatik. Bedeutet jeder Plot bereits noch vergleichsweise konventionellen, die willkürliche Unterbrechung einer kon- aber durchaus signifikanten Verwendung tinuierlichen Zeitspanne, also eine stark von Rückblendenerzählungen, nimmt limitierende Auswahl der Möglichkeiten Film noir eine Sonderstellung innerhalb im Hinblick auf die zu erzählende Ge- der Konventionen des Erzählens in Holly- schichte, so manipuliert Film noir den wood ein. Dieser Produktionskontext Zeit-Effekt der Narration oftmals zusätz- scheint zugleich limitierender Faktor für lich durch die nichtlineare Anordnung die Weiterentwicklung des Rückblenden- der Auswahl etwa mit Hilfe von Rück- stils gewesen zu sein: „Because they emer- oder Vorausblenden. Ein häufig beobacht- ge from an industry dominated by the bares Verfahren besteht dementsprechend classical pattern, we should expect that a darin, Endpunkte einer Geschichte an den majority of noir films largely follow [the Anfang zu stellen, um daran anschließend classical; B.R.] approach, with its linear die Chronologie der Geschichte mit Hilfe unfolding of events from a third-person or von Rückblenden zu rekonstruieren, wo- ‚objective‘ vantage“. (Telotte 1989: 12f) – mit entsprechende Erzählungen immer allerdings auch, um auf diese Weise die auch investigativen Charakter erhalten. verstörenden Geschichten und den un- Insbesondere (1941) hat der konventionellen visuellen Stil ‚rezipierba- Rückblenden-Erzähltechnik Impulse gege- rer‘ zu machen (vgl. ebd.). ben und den Noir-Film nachhaltig beein- Der psychologische Wahrnehmungs- flussen können. Mit MEMENTO (2000) be- muster irritierende Effekt der Fragmentie- steht erstmals in der Geschichte der rung der Chronologie durch Rückblenden Noir-Erzählung ein Film ausschließlich lässt sich steigern, indem beispielsweise aus Rückblenden und kopiert so den Ver- jede Rückblende aus einer individuellen lust des Kurzzeitgedächtnisses der Haupt- Perspektiven erzählt wird, wie etwa in THE figur in die Form des Films. KILLERS, der beinahe prototypisch für das Ganz selbstbewusst bricht Film noir fragmentierende und die Erzählperspekti- zeitlich lineare Anordnungen, indem ve subjektivierende Verfahren der Dekon- 2.2 Erzählstrukturen 101

struktion zeitlicher Linearität steht. Gleich blende kaum Gebrauch. Offenbar hat sich zu Beginn scheint die Hauptfigur des Films in dieser Hinsicht – zumindest was die an einem Ende angelangt zu sein, als zwei durch multiple Rückblenden erhöhte An- Auftragsmörder in der Nacht den Boxer zahl der Erzählinstanzen anbelangt – eine Ole Anderson kaltblütig erschießen. Da- konventionellere Rückblendenerzählwei- raufhin entwickelt der Film die Geschichte se durchsetzen können. Gleichwohl fin- in umgekehrter Reihenfolge mit Hilfe von den sich im Noir-Film der Gegenwart im- Rückblenden und richtet so den Blick in mer noch Erzählungen, die zur jeweiligen die Vergangenheit der Boxerfigur. In der Gegenwart eine ausgedehnte Vergangen- damit thematisierten Unausweichlichkeit heitsschicht, ein anhaltendes Erinne- des Todes der Hauptfigur kommt eine Er- rungsbild konfigurieren. zählhaltung zum Ausdruck, deren morbi- Im Unterschied zur Rückblendentech- der Fatalismus dem Film seine beklem- nik, die mit Hilfe von Überblendungen mende atmosphärische Dichte verleiht. oder voice over konventionell auf die zeitli- Obwohl die einzelnen Episoden zeitlich li- chen Übergänge aufmerksam macht, ver- near erzählt werden und sich der Plot suk- wendet die Narration im zeitgenössischen zessive an der Auflösung des anfänglichen Noir-Film häufig unmarkierte, abrupte Rätsels abarbeitet, erscheint die Erzählper- Übergänge und zuweilen eine Rückblende spektive invertiert und fragmentiert. in der Rückblende, wie etwa in der Schilde- Nicht nur werden die Informationen darü- rung der Ausbildung des Undercover-Poli- ber, was zum gewaltsamen Tod des Boxers zisten in RESERVOIR DOGS. In Noir-Filmen geführt haben könnte, aus verschiedenen unter der Regie von Steven Soderbergh fin- subjektiven Perspektiven gewonnen, zu- den sich andererseits an Samplingtechni- gleich sind sie spärlich und manchmal ir- ken erinnernde narrative Zeitkompositio- reführend. Zwar hat die Erzählung im Ver- nen, in denen die Zeitebenen des Vergan- sicherungsagenten Riordan einen Erzäh- genen und Gegenwärtigen scheinbar be- ler, der immer wieder den Stand der Dinge liebig aneinanderreihbar erscheinen, de- zusammenfasst und so Erwartungen kana- ren Dauer und Frequenz obendrein zu- lisiert, dennoch ergibt sich daraus kein ko- gleich Bedeutungen verrätseln. Der daraus härentes Bild. Erst als die Erzählung am resultierende verwirrende Effekt scheint Ende des Films auf die Gegenwartsebene kaum geringer als etwa derjenige in THE wechselt und Riordan selbst in das krimi- KILLERS. Völlig aufgelöst werden Katego- nelle Geschehen involviert wird, löst sich rien des Zeitlichen schließlich in LOST die Geschichte nach einem Showdown HIGHWAY, wo Zeitebenen nicht mehr ein- zwar auf konventionelle Weise, aber mit deutig differenzierbar sind. einer unvorhersehbaren Pointe auf. Statt Der subjektivierende Effekt des Film wissenschaftlich erbrachter Indizien oder noir resultiert in narrativer Hinsicht insbe- kriminalistischer Kleinarbeit enthüllen sondere aus der Elaboration einer Zeitäs- subjektive Erinnerungen, Zufälle und die thetik des Erzählens. Die Dekonstruktion Beteiligung des aufklärenden Privatdetek- zeitlich linearer Wahrnehmungsprinzi- tivs am verbrecherischen Geschehen, die pien wird zum funktionalen Äquivalent Umstände des Todes des Boxers. der technisch-ästhetizistischen Stilisie- Allerdings werden bereits im Noir- rung von Geschichten. Auf der anderen Film der historischen Phase flashbacks nur Seite darf nicht unterschlagen werden, selten auf diese Weise aufgelöst. Auch der dass dieses Verfahren zwar eine hinrei- zeitgenössische Noir-Film macht von die- chende, aber keine notwendige Bedin- ser radikalisierten Verwendung der Rück- gung der filmischen Verfahren des Noir- 102 2 Film noir – Eine Umschrift

Films darstellt, den filmischen Ausdruck die Subversion der Authentisierungsfunk- expressiv zu machen. tion des aufgesprochenen Textes das Ver- hältnis der Erzählperspektive zum Erzähl- ten deformieren, z.B. indem im voice over 2.2.2 Voice over die Stimme einer innerhalb der Diegese Voice over ist zunächst eine für die klassi- bereits toten Figur zu hören ist wie in SUN- sche Filmerzählung entwickelte Technik, SET BOULEVARD (1950). die auf der akustischen Ebene einen Er- Die gebräuchlichste Form des voice over zähler einführt, der auf der Bildebene ge- im „historischen“ Film noir dient in der zeigtes Geschehen beschreibt oder kom- Regel zwar noch ganz konventionell dazu, mentiert oder zusätzliche, nicht gezeigte Rückblenden ein- und auszuleiten oder Informationen zur Verfügung stellt, also Übergänge zwischen unverbunden er- deutlich vom on screen Gesehenen und scheinenden Handlungen zu stiften, doch Gehörten unterschieden werden kann resultiert aus der verbalen Markierung (vgl. Kozloff 1988). Im klassischen Erzähl- zeitlicher, räumlicher oder kausaler Frag- film dient voice over der Bestätigung des mentierungen und der Möglichkeit zur Gesehenen, also der kausalen, räumlichen Psychologisierung etwa durch die Modula- und zeitlichen Logik der Geschichte, und tion der Stimme ein für erzählerische Will- trägt auf diese Weise zu deren ‚realisti- kür sensibilisierender, ein filmisches schen‘ Effekt bei. Film noir hat sich voice Selbst-Bewusstsein suggerierender Effekt. over zu Nutze gemacht, um damit das Ge- Da das Spiel mit einer zusätzlichen Erzäh- schehen als subjektive Erzählung zu de- linstanz nicht länger durch Distanzie- maskieren. Die Erzählung einer Stimme, rungsgesten für die verbale Versicherung die weder einer Figur innerhalb des Bild- eines realistischen Geschehens Sorge raumes noch dem Off zurechenbar ist, ist trägt, sondern aktiv am Geschehen partizi- im Film noir dazu verwendet worden, mit piert, es narrativ lenkt, sich einmischt der realistischen Konvention zu brechen, oder als Beteiligte zu erkennen gibt, ver- nach der die Erzählinstanz die objektive stärkt voice over den subjektivierenden Ef- ‚realistische‘ Ordnung der Geschichte fekt in Noir-Filmen und belegt zugleich nicht in Frage stellen darf bzw. sofern sie deren Lust am narrativen Experiment. als voice over wahrnehmbar wird, nur affir- DOUBLE INDEMNITY ist wohl eines der mative Funktionen für ihre realistisch wir- populärsten Beispiel für die Kombination kende Konstruktion übernimmt. aus voice over und Rückblende. Realzeit Film noir hat die Strategie der Diskon- und erinnerte Zeit werden hier in zwei tinuität nicht nur favorisiert, weil auf die- narrativen Bewegungen zusammenge- se Weise die Tonebene als zusätzliche er- führt. Der Film beginnt mit dem Geständ- zählerische Instanz genutzt werden kann, nis des Versicherungsagenten Walter Neff sondern auch, weil sich mit Hilfe der der (Fred MacMurray), der mitten in der Nacht Reportage verwandten Strategie des voice offensichtlich schwer verletzt in seinem over und seiner Konnotation zeugenhafter Büro eintrifft und einem Diktiergerät an- Authentizität der subjektivierende Effekt vertraut, dass er einen Mann getötet habe. verstärken lässt. Entsprechend fungiert Da der Ausgang der Geschichte bereits zu voice over im Noir-Film weniger als Hilfs- Beginn feststeht, wird die Geschichte sei- mittel zur Konstruktion von Wahrhaftig- nes Zustandekommen Ziel der Narration. keit etwa durch verbale Bestätigung, Kom- Die Stimme Neffs und eine Überblendung mentierung oder Präsentation zusätzlicher überführen die Geschichte umgehend in Informationen; vielmehr lässt sich durch eine Rückblendenerzählung, in die Neffs 2.2 Erzählstrukturen 103

voice-over-Stimme gelegentlich strukturie- passiven Zuschauers mit den Gefühlslagen rend eingreift. Gebrochen und lakonisch der Hauptfigur emotionalisiert nicht nur die erzählt Neffs voice over in den Rückblen- Erzählung, sie überträgt die psychische den von seiner Geldgier und seiner sexuel- Deformation unvermittelt auf den Zuschau- len Obsession für Phyllis Dietrichson, die er. In einer für den Noir-Film typischen Ge- für ihn zur femme fatale wird. Weil die schichte eines passiven Mannes, der vom Rückblenden die verbale Erzählung Neffs Schicksal einer Frau kontrolliert wird, lediglich fortführen, verlässt der Film die scheint dieser psychologisierende erzähle- subjektive Perspektive nur zu Beginn beim rische Effekt durch die Abwesenheit be- Eintreffen Neffs im Büro und am Ende. In- kannter Schauspieler noch verstärkt zu wer- nerhalb dieses Rahmens verbindet die den. Immer jedoch ist die Voice over-Stim- Narration die reale Zeit der Erzählung des me im Film noir verbunden mit dem männ- Geständnisses im Versicherungsbüro mit lichen Helden und eröffnet dem Zuschau- der aus Neffs Gedächtnis rekonstruierten er dessen Subjektivität (Cowie 1993: 138). zurückliegenden Zeit. Irritierend wirkt zunächst die narrati- 2.2.3 Alltagshandeln und ve Inversion der kausalen Verhältnisse, Folgerichtigkeit denn die Zeitebene der Gegenwart infi- ziert die Zeitebene der Vergangenheit, weil Neben der Maßgabe zeitlicher und räumli- das Zuschauerwissen um Walter Neffs de- cher Kohärenz ist die Organisation von solaten Zustand die Erwartungen der Handlungen und Ereignissen entlang von Rückblendenerzählung strukturiert – die logischen Ursache/Wirkung-Mustern eine wiederum die Ausgangssituation begrün- weitere Konventionen realistischen Er- den. Die für Noir-Filme typische zirkuläre zählens. Nicht zuletzt lassen sich kausale Erzählstruktur bezeugt die fatale Unaus- Effekte auch mittels Ähnlichkeit-Differenz- weichlichkeit der schuldhaften Verstric- Beziehungen herstellen (vgl. Bordwell 1985: kung in die eigene physische und psychi- 51). Wird wie im Noir-Film üblich eine sche Destruktion. Der Unabhängigkeit vom Geschichte mit Hilfe expressiver audiovi- Geschehen beraubt und keineswegs allwis- sueller und narrativer Arrangements von send dokumentiert das voice over in DOU- einem subjektivierenden point of view der BLE INDEMNITY die tödliche Konsequenz Erzählung her konstruiert, erscheinen Ur- des selbstzerstörerischen Impulses der sachen oftmals als außerhalb der erzähl- männlichen Hauptfigur. Voice over wird so ten Welt liegend, während Wirkungen als zum reflexiven akustischen Moment des Deformation der zuvor verlässlichen Ord- mentalen Zustandes der Erzählinstanz. nungssysteme wahrgenommen werden. Anders verfährt die voice-over-Stimme Die Noir-Narration konstruiert Auflö- des männlichen Protagonisten etwa in DE- sungsprozesse von Ursache-Wirkung-Ket- TOUR (1946). Hier adressiert die Stimme ten auf verschiedene Weise. So können Ur- der Hauptfigur die Erzählung in der Form sachen vorgetäuscht werden, indem sie einer unpersönlichen Ansprache an den außerhalb der diegetischen Welt platziert Zuschauer. Auf diese Weise markiert sie ei- werden. So wird beispielsweise die myste- nerseits selbstreflexiv die Komplizenschaft riöse Statuette eines Falken in THE MALTESE des Zuschauers, auf der anderen Seite un- FALCON als Ursache aller Handlungen und terstellt der Inhalt der Rede dem fiktiven Verwicklungen benannt. Sie ist allerdings Adressaten zugleich Selbstgefälligkeit, cha- kaum mehr als ein „McGuffin“, lediglich rakterisiert ihn als unsympathisch und un- ein virtualisiertes auslösendes Moment, belehrbar. Die direkte Konfrontation des ein leerer Signifikant. Diese erzählerische 104 2 Film noir – Eine Umschrift

Entscheidung lenkt schließlich den Blick Erzählfilms Hollywoods, das die Illusion auf das Movens der Geschichte, das kaum linearer Kausalität auf allen narrativen bezähmbare, triebhafte und rücksichtslose Ebenen mit Hilfe des continuity systems Streben nach Reichtum und Besitz aller herzustellen versucht, wird vom Noir-Film Akteure. Erst eine unvermittelt auftau- in Frage gestellt. Jenes Modell des Realis- chende Kopie der Statuette offenbart die mus konfrontiert der Noir-Film mit der falsche Fährte, auf die die Narration die modernen Denkfigur der Auflösung von Ursachenforschung bei Akteuren und Zu- Gewissheiten. Der Zuschauer, der vom schauern zunächst geführt hat. narrativen Prozess zur Konstruktion einer Doch selbst, wenn Gründe für Ent- fiktiven Realität angehalten wird, wird in wicklungen innerhalb der Diegese be- der für den Noir-Film typischen Erzählwei- nannt werden, lassen sie sich kaum objek- se systematisch im Unklaren darüber ge- tivieren. In TAXI DRIVER beispielsweise, der lassen, welche Handlung zu welchem Zeit- aufs engste der historischen, realistisch- punkt an welchem Ort welche Relevanz expressiven Tradition des Film noir ver- für die Story haben wird. Er wird nicht län- pflichtet ist, konstruiert sich das deprivier- ger als allwissender und moralisch erhabe- te Individuum Travis Bickle mangels sub- ner Zuschauer positioniert, sondern zum jektiv glaubhafter externer Referenzen unwissenden und unfreiwilligen Beobach- eine beinahe solipsistische Begründung ter eines zumindest zweideutigen Gesche- für den Verfall seiner Umwelt. Die Intro- hens. Entsprechend kündigt sich im Film version und soziale Paralyse Bickles mün- noir die filmische Moderne bereits an, ob- det in einen radikal moralisierenden Beob- wohl der „historische“ Film noir das achterstandpunkt der Hauptfigur, aller- Schwinden der Möglichkeit einer ganz- dings ohne Rückversicherung in sozialen heitlich-objektivierenden Betrachtung wie Kontexten: Als Ursache für Bickles blutiges im klassischen Hollywood-Film eher als Strafgericht gegen Ende des Films er- Verlust beklagt denn als Chance begrüßt. scheint der nur von ihm selbst wahrge- Der zeitgenössische Noir-Film hat sich von nommene Werteverfall der Gesellschaft, der Idee der filmischen Restitution eines während die Gesellschaft um ihn herum kohärenten, humanistischen Weltbildes von solchen Skrupeln unberührt bleibt. allerdings verabschiedet. Die soziale Ursache ist nur anscheinend, sie ist Konstruktion des unverständigen 2.2.4 Up to Date Subjekts, das den Anschein mit um so blu- tigerer Gewalt zur Realität erheben will. Von diesem erzähltechnischen Kernbe- Der Plot präpariert die zunehmende Isola- stand im Noir-Film ausgehend sind immer tion des Subjekts Travis Bickle von gesell- wieder Variationen zeitlicher Delinearisie- schaftlichen Kontexten durch zunehmen- rung erprobt worden. In A BOUT DE SOUF- de Verknappung räumlicher und zeitlicher FLE etwa wird zeitliche Linearität – neben Informationen bei gleichzeitiger radikaler der vagabundierenden, zusammenhang- Annäherung an die Körperlichkeit der lose Handlungen kombinierenden Ge- Hauptfigur. Die narrative Verengung führt schichte – mit Hilfe von jump cuts aufge- schließlich zu Bickles ebenso gewaltsamen brochen, während z.B. in THE LIMEY über- wie emotionalen Wiedereintritt in der Ge- gangslos zeitlich an Ende und Anfang lie- sellschaft. gende Ereignisse direkt aufeinander fol- Nicht die Wirksamkeit des ‚realisti- gen und die Story erst aus der Zusammen- schen‘, weil kausal operierenden Prinzips, schau aller Ereignisse am Ende des Films sondern dasjenige realistische Prinzip der intelligibel wird. Das im „historischen“ 2.2 Erzählstrukturen 105

Film noir bereits angelegte answers-first- narrativen Kohärenz und damit unabhän- questions-later-Erzählmuster hat im zeitge- gig von einer Haupthandlung und sind nössischen Film insbesondere Quentin nicht mehr zeitlich linear aneinander an- Tarantino in seinen ersten beiden Bearbei- schließbar, sondern zeitlich asymmetrisch tungen filmischer Versatzstücke des Film angeordnet. Daraus resultiert die nonli- noir, RESERVOIR DOGS und PULP FICTION, neare, zirkuläre Zeitstruktur. Die „Entwer- zu neuer Blüte gebracht. In RESERVOIR tung“ der Rückblende durch die Gliede- DOGS kann sich der Zuschauer der kon- rung der Erzählung in Episoden verab- ventionellen Funktion der Rückblende schiedet schließlich die Filmkonvention noch gewiss sein. Dennoch irritieren un- zeitlicher und räumlicher Linearität. Die vermittelt auftretende Zeitsprünge die dezentralisierte Erzählperspektive arbeitet Wahrnehmung. Für kurze Augenblicke in PULP FICTION mit Vor- und Rückgriffen scheint das Prinzip der Linearität außer auf andere Handlungen, die die Bedeu- Kraft gesetzt, bis zum Moment der Wie- tung vorangehender und zukünftiger derholung des Arrangements, angekün- Handlungen verändern und in der Konse- digt von Texttafeln, in dem die Funktion quenz keine Haupthandlung mehr erken- der Rückblende deutlich wird, nämlich nen lassen, auf die der zeitliche Vor- oder die Präsentation der Vorgeschichte der Re- Rückgriff vor- oder zurückfallen könnte. krutierung der Hauptfiguren. Sobald der Diese Verwirrstrategie geht beispielsweise Zuschauer dieses Schema „gelernt“ hat, auf, wenn eine Hauptfigur inmitten des lassen sich alle übrigen abrupten Zeit- Films erschossen wird, danach aber wieder sprünge unmittelbar erschließen. Bald zum Mittelpunkt des Geschehens wird, wird deutlich, dass der Film das zeitliche eben weil die nachfolgende Episode inner- und räumliche Kontinuum der Geschich- halb der erzählten Zeit vor dem Ereignis te nicht verletzen wird. So vorbereitet der Erschießung stattfindet. Dieses Erzähl- widmet sich die Erzählung schließlich ins- prinzip hat zur Folge, „daß sich erst retro- besondere filmischen Darstellungsprinzi- spektiv, also im Gedächtnis des Betrach- pien der Eskalation von Gewalt, die über ters, das eigentliche Geschehen rekonstru- eine THE BIG COMBO (1955) zitierende Fol- ieren läßt.“ (Kothenschulte 1994) Das fil- tersequenz zum grotesken Showdown im mische Verfahren kompliziert demzufolge Stil Sergio Leones elegischer Western die Hypothesenbildung. führt. Die Rückblendentechnik in RESER- Vor dem Hintergrund stabiler linearer VOIR DOGS steht damit in der Tradition Zeitabläufe konnte der Zuschauer inner- des „historischen“ Film noir und der klas- halb der klassischen Erzählweise Hypothe- sischen, handlungsorientierten Erzähl- sen über das bisher Geschehene und das weise, die „einer sensomotorischen Be- künftig Erwartbare noch vorwiegend an- stimmung noch analog ist und trotz ihrer hand linearer und kausal miteinander ver- Kreisläufe noch den Fortgang einer linea- knüpfter sachlicher und sozialer Aspekte ren Erzählhandlung garantiert.“ (Deleuze von Handlungen und Ereignissen ermit- 1991: 69) teln. Zumindest seit der Nouvelle Vague Anders in PULP FICTION: Hier münden scheint es unumgänglich, auch die Zeit- die verschiedenen Handlungsstränge nicht konstante als nur noch relative Größe in mehr in eine Geschichte, sondern bilden das Kalkül der Storykonstruktion bzw. der selbstständige, nur an den Rändern durch Ermittlung von Bedeutungen mit einzube- Figuren, Handlungsräume oder -zeiten zu- ziehen. PULP FICTION verleiht dieser Ten- fällig miteinander verbundene Episoden. denz im zeitgenössischen Film zum ersten Sie bleiben autonom hinsichtlich ihrer Mal massenwirksamen Ausdruck. Es 106 2 Film noir – Eine Umschrift

scheint, als seien die Modernisierungsbe- nik und Geschichten-Multiplikation, eine mühungen der Nouvelle Vague hier erst- episodische Erzählweise, in der konventio- mals erfolgreich der Popkultur anverwan- nelle Chronologien als psycho-logische li- delt worden. Auch wenn PULP FICTION Ver- neare Sukzessionen brüchig werden, der dichtungsmomente des Film noir eher äu- Zeitlichkeit nur noch als ästhetisch zu de- ßerlich bleiben, weil die filmische Metho- konstruierendes Material dient, wie in de darin besteht, mit Hilfe zahlreicher PULP FICTION. Formzitate Filmgeschichte ironisch zu re- Die narrativen Verfahren des „histori- kapitulieren und ihren Fundus im selbstre- schen“ Film noir sind im zeitgenössischen flexiven Verfahren – wenngleich gebro- Noir-Film überarbeitet und erweitert wor- chen – filmisch erneut verfügbar zu ma- den. Lediglich der eine Zeit lang im Film chen, gibt es zahlreiche Anspielungen auf noir ebenfalls weit verbreitete Semi-Doku- stilistische und erzähltechnische Eigen- mentarismus ist im zeitgenössischen Noir- schaften des Film noir. Zugleich weist Film nahezu in Vergessenheit geraten. PULP FICTION – nicht nur im anspielungs- Noir-Film scheint in dieser Hinsicht wie- reichen Titel – auf eine der grundlegenden der näher an den Hollywood-Mainstream Eigenschaften der literarischen Vorlagen herangerückt. Nur in der widerständigen vieler „historischer“ Films noirs hin: auf Ästhetik der Filme Abel Ferraras – wie etwa den in den hard-boiled-Erzählungen stets in BAD LIEUTENANT – finden sich Bilder, de- auch vorhanden humor noire. Diese Form ren unerträgliche Unmittelbarkeit aus der des Humors ist in den „historischen“ ästhetischen Konstruktion eines doku- Films noirs allerdings kaum vorhanden, zu mentarischen Gestus resultiert. ernst scheint seinen Geschichten das the- matische Anliegen. Lediglich in der Form 2.2.5 Die Wirkung der Ursache: von Zynismus oder Sarkasmus lassen sich Die übliche Methode dort noch Spuren von Humor und Ironie auffinden, die allerdings ebenso Momente Die beiden dominierenden Erzählstrate- der Verzweiflung und Ausweglosigkeit ver- gien im Noir-Film bestehen in der narrati- stärken. ven Auflösung kausaler Gewissheiten und Die bereits im „historischen“ Film noir in der Vervielfachung von Geschichten erreichte Dynamisierung von Zeit – nicht durch multiple parallele Handlungssträn- von Aktion – modernisiert nicht nur das ge. Der resultierende filmische Ausdruck klassische Erzählprinzip, sie macht Film von Ungewissheit und Unübersichtlich- noir zugleich zu einem Modell modernen, keit subjektiviert nicht nur die Erzählper- die subjektive Wahrnehmungsfähigkeit in spektive, er irritiert zugleich die Psycholo- Frage stellenden Erzählens im Mainstream- gie der Alltagswahrnehmung und verunsi- Kino. Der Zweifel an der Erfahrbarkeit der chert die Kognition durch das Erfordernis Wirklichkeit bzw. der Einheitlichkeit und permanenten Erinnerns und Rekombinie- Sichtbarkeit einer unterstellten ganzheitli- rens. THE USUAL SUSPECTS (1995, Bryan chen Realität findet in diesem narrativen Singer) macht sich insbesondere erstere Verfahren Noir-Films einen adäquaten Strategie zu Nutze, um in fragmentari- Ausdruck. Der Riss in der audiovisuell ver- schen Rückblenden die Geschichte einer mittelten räumlichen Wahrnehmungs- Gangsterbande vom ersten Zusammen- struktur setzt sich fort in der erzähltech- treffen bis zum tödlichen Ende nachzuer- nisch vermittelten Zeitstruktur. An der zählen. Grenze des noch Erzählbaren entsteht da- Beginnend mit der Texteinblendung raus eine Mischung aus Rückblendentech- „San Pedro, – last night“ eröff- 2.2 Erzählstrukturen 107

net der Film mit einem für Noir-Filme ty- pischen Setting, in dem bereits zu Beginn das Ende einer Hauptfigur gezeigt wird: Am Boden liegend zündet sich der Edel- gangster Dean Keaton mitten in der Nacht seine letzte Zigarette an, als vor ihm eine Gestalt auftaucht, sein Mörder, dessen Na- men – „Keyser“ – Keatons letzte Worte ver- raten. Der Plot versorgt den Zuschauer zu- nächst also mit Hinweisen über eine mög- liche ‚realistische‘ Konstellation: Ort und Zeit der Handlung werden mit Hilfe von Texteinblendungen und anhand einer Zeitauskunft des mysteriösen Fremden ge- nau definiert und das Opfer kennt den Na- men seines – auf der Bildebene allerdings nur schemenhaft erscheinenden – Mör- ders. Eine Spur, die allerdings sogleich mit einer filmischen Metapher in Zweifel ge- zogen wird, als der Unbekannte die von Keaton zum Zweck der Sprengung des Schiffes entzündete brennende Benzin- spur urinierend löscht, nur um sie nach Abb. 68.1–3 der Exekution Keatons erneut zu entzün- den. Und schließlich legt auch noch die obskuren Taustapel direkt auf das Gesicht Kamera eine Spur, als sie sich nach Kea- des Kleinganoven Verbal Kint überblen- tons Erschießung im Widerschein der Ex- det, der auf Grund dieser visuellen Ver- plosionen langsam einem Stapel mit Tau- knüpfung als glaubhafter Zeuge der voran- en nähert, um auf diese Weise die Anwe- gegangen Handlungen erscheint (Abb. senheit eines Augenzeugen zu suggerie- 68.2). Wie zur Bestätigung, dass die Ge- ren. Doch so nah die Kamera auch heran schichte ihren erwartungsgemäßen Ver- fährt, in dem Gewirr aus Seilen lässt sich lauf nehmen wird, zeigt der Plot Verbal kein Augenpaar, kein Gesicht erkennen Kint anschließend beim Polizeiverhör (Abb. (Abb. 68.1). Obwohl in diesem Beginn, 68.3). Die Einstellung zeigt im Mittelgrund wie sich später herausstellt, die metapho- Kints Kopf mit hellem, weißem Licht op- rische Darstellungsweise die verlässliche- tisch aus dem Dunkel der Umgebung her- ren Hinweise zur Konstruktion der Fabula vorgehoben und zugleich dämonisiert. liefert, legt der erzählerische Topos des Die auch hier wahrnehmbare Mehrdeutig- Filmanfangs als realistisches Lektüreange- keit des visuellen Arrangements wird um- bot Spuren zu einer Reihe von Annahmen gehend wiederum zugunsten einer realisti- über den weiteren Verlauf, der sich gemäß schen Lesart aufgehoben, denn Kints so- den Konventionen des Gangster- und Kri- nore Stimme gibt offenbar bereitwillig minalfilms eigentlich mit der Aufklärung Auskunft über seine Rolle innerhalb der des noch unerklärbaren Geschehens befas- Gangsterbande. Doch weit gefehlt. Eine sen sollte. weitere Überblendung wiederholt die Und wie zur Bestätigung der realisti- Struktur der Eingangseinstellung, indem schen Lesart wird die Einstellung mit dem sie wieder mit einer eingeblendeten Orts- 108 2 Film noir – Eine Umschrift

dung. Und so macht der Plot beinahe ver- gessen, dass es Kints Erzählung ist, in der Keaton lediglich als character figuriert und keineswegs als ‚reale‘ Person. Was zunächst aussieht, als verleihe eine unabhängige Erzählinstanz der Ge- schichte ein räumliches, zeitliches und Abb. 69 personales Koordinatensystem, also eine Art ‚Realitätsgarantie‘, erweist sich letzt- und Zeitangabe markiert wird („New York lich allerdings als Desinformation. Das City – 6 weeks ago“) und so den Zeitpunkt funktioniert auch deswegen, weil die Er- angibt, an dem Kints virtuelle Erzählung zählung des verhörten Verbal Kint mut- beginnt: mit der Festnahme der Gangster maßlich kontrollierbar scheint durch die auf Grund eines falschen Verdachts. Erst zusätzliche Erzählung seines Verhörs die willkürliche Verhaftung führt zur For- durch Inspektor Kujan. Nicht zuletzt ver- mierung der Gangsterbande – das Prinzip weist dieser Erzählrahmen auf ein Macht- Zufall formt also von Anbeginn die Reali- gefälle zwischen Verhörer und Verhörtem, tät und zur realitätsmächtigsten Figur wird das konventionell auf eindeutige Verhält- diejenige, die selbst den Zufall noch be- nisse und das heißt auch: auf die Ein-Deu- herrscht: Roger „Verbal“ Kint. tigkeit der Realitätsangebote verweist Auf diese Weise in ein noch undurch- (Abb. 70). Doch unüberhörbar ist Kint der sichtiges Gangsterdrama eingeführt, lenkt Erzähler aller Rückblenden, in denen er der Plot umgehend die Aufmerksamkeit episodisch eine Realität konstruiert, so wie auf Dean Keaton, eine Figur, die zum Bin- es die Verhörsituation von ihm verlangt. deglied und virtuellen Fokus der Erzäh- Doch statt einer „wahren“ Geschichte, wie lung von Kint und derjenigen des Zoll- Kujan und mit ihm der Zuschauer anneh- fahnders David Kujan wird. Im Gegensatz men, konstruiert Kint lediglich eine zur Darstellung der übrigen Gangster kon- „glaubwürdige“ Geschichte, in der perma- zentriert sich die Erzählung im weiteren nent Realitätsfragmente zu fiktiven Ge- Verlauf zunehmend auf Keatons Privat- schichten von der Geschichte der Gangs- sphäre und erweckt so den Anschein, dass terbande versponnen werden. Aus Beiläu- Keaton eben jener gefürchtete Keyser Soze figkeiten der Wahrnehmung Kints – etwa sein könnte, der, wie eine Rückblende in von Notizen auf Zetteln und Plakaten an der Rückblende erzählt, dereinst vor den der Rückwand des klaustrophobisch wir- Augen rivalisierender Gangster seine eige- kenden Büros – konstruiert Kint diejenige ne Familie erschoss und sich mit diesem Fiktion, die Kujan und der Zuschauer Fanal an die Spitze der Welt des Bösen setz- mangels Kontrollmöglichkeiten für wahr te. Dazu trägt in nicht unerheblichem halten müssen. Es ist eine Geschichte für Maße auch die Besetzung der Rolle Dean Kujan und den Zuschauer (Abb. 71). Naiv Keatons mit Gabriel Byrne bei (Abb. 69). und unwissend rekonstruiert Kujan – und Auch hier setzt der Film seine konsequente mit ihm der Zuschauer – eine Geschichte, Strategie der Inversion ‚realistischer‘ Kon- mit der er sich selbst über seine Umwelt ventionen fort, wonach der bekannteste täuscht. Und gerne ist er bereit, sich im- Schauspieler des Ensembles bzw. der ‚Star‘ mer weiter in die Fiktion zu verstricken. zugleich der Agent des Realen ist. An sei- Das unterstreicht auch die nachdrückliche ner Präsenz, seinen Handlungen und Äu- Aufforderung Kujans an Kint, mehr und ßerungen kondensiert die Hypothesenbil- noch mehr zu erzählen. Entsprechend fal- 2.2 Erzählstrukturen 109

Abb. 70 Abb. 71 len die Realität der filmisch gezeigten Er- human agency within the process of narra- eignisse und die Realität der rekonstruier- tive.“ (Cook, Berning 1999: 40; Herv. B.R.) ten Geschichte auf Grund der Konvention Wie Kujan wird auch der Zuschauer realistischen Filmemachens ununter- angehalten, auf Grund der zahlreichen In- scheidbar zusammen – obwohl sie Unter- dizien, die im Verlauf des Verhörs zusam- schiedliches bezeichnen. mengetragen werden, eine kohärente Ge- Der Trugschluss des Verhörers – demje- schichte zu entwickeln – doch weder Ku- nigen, dem wie den Zuschauern eine Rea- jan noch der Zuschauer ‚machen sich ein lität lediglich vorgegaukelt wird – besteht Bild‘, sondern Kint erfindet das Bild in allerdings darin, anzunehmen, dass die Echtzeit, ohne das einer seiner Zuhörer realistische Rahmenhandlung eine Garan- und Zuseher davon Notiz nähme. Die tie für entsprechende Inhalte übernimmt. Rückblende ist keine Rückblende, sondern Die Motivation des Erzählers Kint ist es aber, in der Gegenwart erzählte fiktive Vergan- Kujan mit einer realistisch wirkenden Fik- genheit, die Rückblende ist ein fake – und tion, die – oberflächlich betrachtet – dem mit dieser Konvention spielt der Plot des Ursache/Wirkung-Prinzip folgt, zu falschen Films und sein Erzähler Verbal Kint (Dies Schlussfolgerungen zu bewegen. Der Plot unterscheidet die scheinbare Rückblende zögert diese Erkenntnis bis an das Ende des in THE USUAL SUSPECTS auch von derjeni- Films hinaus. Die mise-en-abîme-Struktur gen in Hitchcocks STAGE FRIGHT [1950], in des Verhörs und der Situation des Filmbe- der lediglich eine Unwahrheit erzählt trachters ist unübersehbar: Während des wird, die ein tatsächliches Ereignis in der Films garantiert gerade der „Film im Kopf“ Vergangenheit lediglich falsch wieder- Inspektor Kujans ein scheinbar überlegenes gibt.) Der Präsens der Erzählung bezieht Wissen um die Gesetzmäßigkeiten ‚realis- sich nicht mehr auf eine ‚wahre‘ Vergan- tischer‘ Geschichten, verbürgt durch die genheit, sondern auf eine ‚wahre fiktive‘ scheinbare Wahrhaftigkeit von Kints Er- Vergangenheit. Die Rückblenden fungie- zählung, so wie die Konvention des realis- ren also nicht länger als Beweis für eine tischen Illusionismus den Zuschauer dazu unterstellbare Realität, sondern sie sind im veranlassen, alles Gesehene zu affirmieren Gegenteil reine Gegenwart der Erzählung, und für wahr zu halten. Damit folgt THE eine Zeitsimulation. Die ‚realistische‘ Er- USUAL SUSPECTS oberflächlich betrachtet wartung an die Konventionen des Ver- der klassischen, konventionellen Lesart: hörs, an dessen Ende eine wahre oder gar „The ‚realist‘ aspects of the classic narrati- keine Aussage erwartbar ist, wird durch ve are overlaid on this basic enigma-reso- Kints bloß verbal suggerierte Bereitschaft lution structure, and typically operate on zur Aufklärung des Falls offenbar dennoch two levels: first, through the verisimilitude bestätigt und gefestigt. of the fictional world set up by the narrati- Und nicht zuletzt legt der Plot dem Zu- ve and second through the inscription of schauer mit Hilfe vielgestaltiger filmhisto- 110 2 Film noir – Eine Umschrift

rischer Anspielungen ein konventionelles rameter retrospektiv hinfällig erscheinen. Schema nahe, dass die Erwartungen in Die finale Entdeckung der Erzählstrategie eine falsche Richtung lenkt: Der mysteriö- Kints desavouiert die realistische Lesart se Keyser Soze etwa kann als Reflexionsfi- der Geschichte und zwingt der Geschichte gur der Filmgestalt des enigmatischen eine zweite Bedeutungsebene auf, die sich Drahtziehers im Hintergrund, des omni- nicht mehr dekodieren lässt. Das einzige, potenten und apokalyptischen Bösewichts was über Verbal Kint noch wissbar ist, ist wie in den DR.MABUSE-Filmen gelesen der Umstand, dass er zugleich ein Erzähler werden und fungiert wie das Wort „Rose- und ein von ihm selbst Erzählter ist, ein bud“ in CITIZEN KANE zugleich als Chiffre selbstinkludierender verbaler Trickbetrü- für die Möglichkeit multipler Bedeutungs- ger, der zur Demonstration seiner Macht zuweisungen. Der Plot rekapituliert eben- einzig die Sprache benötigt: „In effect, his so die Filmgeschichte des Film noir selbst. power lies in his ability to reflect the prob- So erinnert etwa die Exekution am Anfang lematic nature of language: ambiguous, des Films an diejenige in THE KILLERS oder multiple allusive, a construct, that, as Der- die Gangsterbande an diejenige in RESER- rida might suggest, both displays and era- VOIR DOGS. Die erwartungsstrukturierende ses meaning.“ (Telotte 1998: 13) Die Reali- Funktion der zitathaften Verweise macht tät der Realität erscheint vor diesem Hin- sich der Plot zur Stabilisierung der fal- tergrund als fragwürdige Fiktion – zurück schen Fährte zu Nutze. Gleiches gilt für die bleibt ein beunruhigter Inspektor Kujan Positionierung Verbal Kints als offenbar und ein verwirrtes Publikum. allwissender und aus diesem Grund auch Und nicht nur scheint es außerdem wahrhaftiger Erzähler im voice over. so, als sei zunächst eine Hauptfigur am Gegenstand von Kints fiktionaler Er- Anfang an ein Ende gekommen, auf der zählung wird schließlich die Erzählung anderen Seite ist auch eine der Hauptfigu- Kujans und nicht ein außerhalb dieser Er- ren am Ende wieder am Anfang ange- zählung liegendes Ereignis, wie Kujan an- langt: David Kujan ist trotz seiner schein- nimmt, der verblendet von den eigenen bar zwingenden investigativen Anstren- investigativen Fähigkeiten das ungleiche gungen der Eloquenz des Gegenübers un- Duell von Anbeginn verloren hat. Für i- terlegen. Verbal Kints Macht basiert allein ek ist dies zugleich ein zentrales Moment auf der Schwäche des repräsentationalen des erzählerischen Verfahrens des Noir- zeichenhaften Systems der Sprache, mit Films, denn „the noir narrative reduces the deren Hilfe zeitliche, räumliche und logi- hero to a passive observer transfixed by the sche Kausalitäten beliebig manipulierbar succession of fantasy scenes, to a gaze po- werden. Auch das letzte, Realität garantie- werlessly gaping at them: even when the rende Bezugssystem scheint seine Ver- hero seems ‚active‘, one cannot avoid the bindlichkeit eingebüßt zu haben. Ob- impression that he simultaneously occu- wohl der Plot zunächst eine Reihe von pies the position of a disengaged observer, Wahrscheinlichkeiten so zusammenführt, witnessing with incredulity the strange, dass daraus eine nachvollziehbare, plausi- almost submarine, succession of events in ble und gemäß linearer kausaler Konven- which he remains trapped.“ ( i ek 1993: tionen glaubhafte Realität aufscheint, 223) Doch diese Wahrnehmung lässt der lässt er sie am Ende des Films implosions- Plot erst am Ende des Films zu. Die Enttar- artig verschwinden und sowohl Kujan als nung Verbal Kints als Geschichtenerzähler auch den Zuschauer mit seiner mühsam lässt die vom Plot induzierte Hypothesen- erarbeiteten Realitätskonstruktion – eine bildung entlang realistischer, kausaler Pa- ‚wahre‘ Fiktion – allein. 2.2 Erzählstrukturen 111

Der Plot benennt diese Zurichtung der sprachlichen und filmischen Zeichen ex- plizit erst am Ende des Films, wenngleich erste Hinweise gegeben werden, etwa, wenn Verbal gleich bei Betreten des Büros seinen Blick über die Interieurs wandern lässt. Doch erst rückblickend wird alles in Frage gestellt. Zeitliche, räumliche und personale Kontinuität gibt es offenbar nur noch in der klaustrophobischen Enge des Büros und den zu Stichwortgebern degra- dierten vereinzelten Ermittlungshandlun- gen im Hafen oder im Krankenhaus. An- sonsten haben kausale Beziehungen nur noch einen rhetorischen Wert. Deswegen ist der Anfang nicht länger Ursache und das Ende nicht länger Wirkung dieser Ursa- che: Die oben beschriebene Überblendung zu Beginn des Films erhält gegen Ende eine völlig konträre Sinnzuschreibung, in- dem an die Stelle der konventionellen, zeitliche Linearität garantierenden ellipti- schen Lesart nahegelegt wird, dass es sich Abb. 72.1–3 bei der Schilderung von Keatons Exekuti- on durch Keyser Soze lediglich um eine be- deutungsträger ohne Bedeutung – und liebige Visualisierung einer weiteren Epi- eben darin liegt ihre Funktion für die Er- sode aus Kints phantastischen Erzählun- zählung, denn nur Kint weiß um den gen handeln könnte. Mangel an Referenz. Gleiches gilt für die Die narrative Dekonstruktion kausa- Logik der Verknüpfung von Aktionen ler Parameter affiziert auch die räumli- und Ereignissen: Nur das Verhör, die poli- chen Ordnungen: Waren Innenräume zeilichen Ermittlungsarbeiten und Kints oder Stadtbilder im „historischen“ Film Verschwinden können als folgerichtige noir wie etwa in THE ASPHALT JUNGLE Aktionen gelesen werden, alle anderen (1950) oder THE NAKED CITY (1947) kon- Handlungen haben kausalen Zusammen- stitutive Bedeutungsträger nicht nur zur hang ausschließlich vor dem Hintergrund Thematisierung urbanen Unheils, son- von Kints Subversion der Konventionen dern dienten zugleich der eindeutigen der Sprache, die den Zusammenhang von räumlichen Orientierung, so sind die be- Zeichen und Bezeichnetem hier nicht liebigen Räume in THE USUAL SUSPECTS für länger garantieren können. Der ursächli- die Konstruktion cartesischer und inhalt- che Zusammenhang der Ereignisse grün- licher Bedeutung wertlos. So erscheinen det auf nichts anderem als auf Kints Fä- etwa der undefinierbare gefängnisartige higkeit, beliebige, im Kontext des Polizei- Raum, in den die Gangster vorüberge- büros wahrgenommene Namen und Er- hend eingesperrt sind, oder das Schiff, eignisse in eine erzählerisch sinnvoll er- dessen enigmatische visuelle Auflösung scheinende Form zu bringen – und das Ar- in fragmentarischen Ansichten Bedeu- rangement aus beliebigen Texten und Ab- tung nur noch suggeriert (Abb. 72), als Be- bildungen an der Rückwand des Büros 112 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 73.1–8

übernimmt dafür die Funktion eines sto- Noir-Film selbstbewusst diese vormalige ryboards (Abb. 73.1–8). Gewissheit des Film noir umzukehren. THE USUAL SUSPECTS dekonstruiert das Dass THE USUAL SUSPECTS trotz dieser In- erzählerische Verfahren des Film noir, in- version als Noir-Film funktioniert, belegt dem er den wesentlich auf der Ambiguität auf der anderen Seite die relative Unab- sowohl des sprachlichen als auch des fil- hängigkeit seines filmischen Verfahrens mischen Zeichens beruhenden Mechanis- von konventionellen Festlegungen. Wur- mus allen Erzählens aufdeckt. Reflektier- den bereits im klassischen Film noir die ten fragmentierte und Kausalitäten in Fra- Regularien des linearen Hollywood-Erzähl- ge stellende Erzählstrukturen bislang die kinos in Frage gestellt, so stellen selbstre- subjektivierende Perspektive des „histori- flexive Strategien im zeitgenössischen schen“ Film noir dergestalt, dass sie als au- Noir-Film nicht mehr nur diese, sondern thentischer bzw. realistischer Ausdruck auch die eigenen Erzählstrategie in Frage. psycho-realer Verhältnisse gelesen werden Die selbstreflexive narrative Strategie in konnten, so scheint der zeitgenössische THE USUAL SUSPECTS entlarvt einmal mehr, 2.2 Erzählstrukturen 113

das Realität eine sprachliche oder in die- te allerdings auch dieser keinen Rat. Im- sem Fall: filmische Konstruktion ist. Wenn merhin beinhaltete eine frühe Fassung des es zutrifft, das die ungebrochene Wirk- Drehbuchs eine Erklärung für den myste- mächtigkeit des Noir-Films in seiner Fä- riösen Tod. Diese wurde im Verlauf des higkeit besteht, „to reflect and reinforce Entstehungsprozesses allerdings wieder modernist disillusionment“ (Orr 1999: entfernt. Hawks selbst hat dafür verschie- 71), so wendet der zeitgenössische Noir- dene Erklärungsmodelle angeboten: Willi- Film dieses Prinzip, wie THE USUAL SUS- am Faulkner und Leigh Brackett, die das PECTS zeigt, auch auf sich selbst an und Drehbuch innerhalb von acht Tagen in deckt damit die eigene modernistische Zusammenarbeit mit Chandler geschrie- Konstitution auf. ben hatten, lehnten eine plausible Auflö- Daraus resultiert allerdings weder „an- sung ab, weil sie von der Qualität des Stof- ti-noir“, noch zeigt sich darin eine Er- fes überzeugt waren und es einfach keinen schöpfung des ästhetischen Prinzips na- Sinn machen würde, ihn nachträglich lo- mens „noir“ (s. ebd.). Es beweist einzig, gisch ‚zu machen‘. In einer weiteren Stel- dass das Infragestellen objektivierbarer, lungnahme wies Hawks darauf hin, dass realistischer Ordnungsprinzipien – eines er zwar von den Autoren darauf aufmerk- der zentralen Anliegen des Film noir – sam gemacht wurde, das es eine Reihe un- nach wie vor ein wesentliches funktiona- logischer Stellen gäbe, selbst allerdings les Moment des filmischen Verfahrens des entschied, diese dem Publikum dennoch Noir-Films darstellt. Der selbstbewusste zuzumuten, zumal ihn diese Fassung des Noir-Film wendet dieses Verfahren mühe- Drehbuchs vom Zwang zur logischen Ver- los gegen sich selbst und enthebt damit knüpfung von Ereignissen und Handlun- die eigene Erzähltradition einer ontologi- gen befreite und einen größeren Spiel- schen Fixierung: Der flashback wird selbst- raum für die Entwicklung von Atmosphä- reflexiv, eröffnet nicht länger die Wahr- re und Charakteren eröffnete. Eine letzte heit, sondern dass es keine Wahrheit mehr Fassung gibt schließlich zu bedenken, gibt. Die Subjektivierung der Erzählper- dass die offensichtliche Verwirrung und spektive erscheint weiter radikalisiert, so der Mangel an Logik – eine Eigenschaft, wie dies bereits für die im vorangegange- die bereits die komplexe Geschichte der nen Kapitel beschriebenen formalästheti- Romanvorlage auszeichnete – ebenso auf schen Verfahrensweisen festgestellt wer- frühe Zensureingriffe des Production Code den konnte. Office zurückzuführen sei (vgl. Thomsen 2000). Neben dieser Vorgeschichte gibt auch das fertige Produkt mehr Rätsel auf, 2.2.6 Im Vertrauen: als es zu lösen bereit ist. Nicht nur die Worum geht es eigentlich? Hauptfiguren des Films erscheinen auf ih- Es gibt ein Gerücht. Während der Drehar- rer Suche nach plausiblen Verbindungen beiten zu THE BIG SLEEP (1945, Howard und nachvollziehbaren logischen Hand- Hawks) kam es zwischen Howard Hawks lungen verwirrt, auch das Publikum hatte und Humphrey Bogart zu einer Meinungs- große Mühe, die Story zu rekonstruieren, verschiedenheit darüber, ob einer der als es den Film zum ersten Mal zu sehen Charaktere, ein Chauffeur namens Owen bekam. Obwohl der Plot die Geschichte in Taylor, ermordet wurde oder Selbstmord zeitlich chronologischer Abfolge präsen- beging. Als man zur Klärung des Falls dem tiert, sorgen Multiplikationen und die da- Urheber der Geschichte, Raymond raus resultierende Vermehrung von Aus- Chandler, das Problem telegrafierte, wuss- lassungen für narrative Desorientierung. 114 2 Film noir – Eine Umschrift

Verwirrung stiften beispielsweise insge- ten beängstigenden Ereignisse, zum ande- samt sieben Morde, von denen einer vor ren demaskiert eben diese ‚narrative Dis- der erzählten Zeit des Films stattfindet, tanznahme‘ zu den expressiven formaläs- die Abwesenheit wichtiger Charaktere auf thetischen Eigenschaften das Problem der der Leinwand und die Anwesenheit vieler Verschleierung kultureller Verwerfungen. anderer, für die Geschichte unbedeuten- Die Verwendung von linearen Erzähl- der Figuren, die manchmal ebenso schnell strukturen im Noir-Film verstärkt den wieder verschwinden wie sie aufgetaucht Kontrast zwischen der Alltagswahrneh- sind, oder das Vorenthalten wichtiger Sto- mung, wie sie dem zeitlich linearen Er- ry-Informationen. zählmodell zu Grunde liegt, und den ver- Kein Gerücht ist, dass es neben Films störenden Visualisierungen beunruhigen- noirs, in denen Rückblendenerzählungen der Themen (vgl. ebd.). Eingebettet in ex- in Kombination mit voice over die erzähle- pressive filmische Kontexte verweist die rische Perspektive subjektivierten, immer konventionelle lineare Erzählform im schon eine Mehrzahl von Noir-Produktio- Noir-Film also auf eine Dysjunktion: Der nen gab, die mit klassischen linearen Er- innerfilmische ästhetische und semanti- zählprinzipien operierten. Neben dem ge- sche Kontext befragt den logischen Text, nannten Beispiel ließen sich auch die zu die Abweichung die Norm. Auf diese Wei- Klassikern des „historischen“ Film noir sti- se invertiert der Noir-Film die affirmative lisierten THE MALTESE FALCON,THE AS- Funktion linearer narrativer Muster und PHALT JUNGLE oder TOUCH OF EVIL nennen, entkleidet die Konventionen linearen Er- aber auch A BOUT DE SOUFFLE,TAXI DRIVER zählens ihrer Funktion als normativ regu- oder SE7EN im zeitgenössischen Noir-Film lierende Instanz. lösen ihre Geschichten entlang zeitlich li- Wie bereits THE BIG SLEEP gezeigt hat, nearer Progression, angefangen bei Zeit- lässt sich die Effizienz dieses Verfahren punkt A über Zwischenstationen bis Zeit- steigern, indem die Narration trotz tempo- punkt C auf. Dies scheint auf den ersten raler Linearität Informationen nicht preis- Blick auf eine Rücknahme oder zumindest gibt oder potenziert und Handlungsträger Relativierung der These hinzudeuten, dass oder Ereignisse multipliziert oder verleug- die ästhetischen und narrativen Verfahren net. Betrachtet man Noir-Film als Diskurs des Noir-Films dem Mainstream des im- innerhalb eines umfassenderen Diskurses, pressiven, illusionistischen Realismus als Teil der erzählten Gesellschaft und der Hollywoods einen expressiven, realisti- Erzählung namens Gesellschaft, die kon- schen Subjektivismus entgegensetzen und ventionell entlang kausallogischer Ver- auf diese Weise dessen lineare kausale Ord- knüpfungen strukturiert ist (vorher – nach- nungsprinzipien wenn nicht subvertieren her, hier – dort, ego – alter), so scheinen so doch kritisieren. Noir-Narrationen durch die permanente J. P. Telotte hat darauf hingewiesen, Konstruktion von Widersprüchen inner- dass in der zeitlich linearen Erzählweise halb ihrer narrativen Struktur eine tief ge- durchaus eine Art „common cultural dis- hende Besorgnis über diese diskursiven Re- course, a conventional manner of seeing gularien der erzählten Gesellschaft zum and understanding“ (Telotte 1989: 26) Ausdruck zu bringen. Die sich an der er- zum Ausdruck kommt. Im linear erzählten zählerischen Oberfläche chronologisch vor- Film noir allerdings, so Telotte, dient die wärts bewegende Erzählung findet aber Übernahme der Konvention zum einen als nicht nur keine Entsprechung mehr in ih- erzähltechnische Kompensation der irri- ren audiovisuellen und thematischen Aus- tierenden visuellen Verfahren und erzähl- formungen, sie wird zugleich durch Infor- 2.2 Erzählstrukturen 115

mationsverknappung und -vervielfachung L. A. CONFIDENTIAL führt in vielerlei mit irritierenden Sinngehalten aufgeladen. Hinsicht die Tradition der filmischen Vor- Doch zurück zu den Gerüchten: Als bilder weiter. Als semantischer bzw. the- solches muss wohl der Verdacht gelten, matischer Kern dient hier das Klischee der dass der Name einer der vielen Figuren in korrupten Polizei von Los Angeles. Die Po- L. A. CONFIDENTIAL (1997, ), lizei fungiert hier zugleich als Erzeuger „Lynn Bracken“, direkten Bezug auf denje- und Bekämpfer des Verbrechenssumpfes. nigen der Co-Autorin des Drehbuchs zu Sie verschafft sich ihre Arbeit selbst, ist ihr THE BIG SLEEP nimmt, Leigh Brackett. Ob eigener Arbeitgeber. Das System „Polizei“ Zufall oder nicht, die Erzählstruktur des hat sich gegenüber dem übrigen verbre- Films ähnelt der von THE BIG SLEEP in auf- cherischen Systemen selbstständig ge- fälliger Weise, obwohl L. A. CONFIDENTIAL macht. Thematisch kreist die Geschichte letztlich kaum logische Leerstellen hinter- um Loyalität und Verrat, Wahrheitsfäl- lässt, auch wenn es zunächst den An- schung, Vater-Sohn-Beziehungen, Dro- schein hat. Nicht zuletzt macht L. A. CON- genhandel, Pornographie, Prostitution FIDENTIAL von der Möglichkeit des linea- und Homosexualität in Los Angeles. Die ren Erzählens Gebrauch. So scheint hier Stadt selbst wird zur Integrationsfigur des nicht die Vergangenheit unwiederbring- Verbrechens: In ihr scheinen politische lich verloren oder gar mit fataler Zwangs- und kriminelle Institutionen unauflöslich läufigkeit ins Fiasko zu führen, sondern vernetzt. Die Presse, die Polizei, die Krimi- die Gegenwart selbst ist affiziert von Zer- nellen und auch die Verwaltung bilden fallsprozessen, unübersichtlich und brü- eine unheilige Allianz der Täuschung und chig. Erreicht wird dies mit Hilfe einer des Betrugs, der Vorteilsnahme und der multiplen Erzählstruktur, in der eine Viel- Bereicherung. In dem Sumpf aus Korrupti- zahl von Handlungssträngen und Figuren on und Eigenmächtigkeit versucht der di- die Orientierung erschweren. Zieldefini- abolische Captain Dudley Smith gemein- tionen und Zeitpunkte ihrer Erreichung sam mit dem Millionär, Zuhälter und werden verunklart, da die Aufmerksamkeit Kunstliebhaber Pierce Patchett das organi- des Plots etwa gleichgewichtig den zahlrei- sierte Verbrechen in Los Angeles an sich zu chen, auf verschiedene Arten miteinander reißen, nachdem ein anderer Unterwelt- verbundenen Akteuren und Ereignissen boss inhaftiert worden ist. Doch dieser Teil gilt. Analog zum oben genannten kom- der Geschichte wird dem Zuschauer nur pensatorischen Prinzip des Rückgriffs auf andeutungs- und stückchenweise serviert, ein lineares Erzählmuster angesichts all zu weshalb zunächst alle Handlungen, ihre komplexer Geschichten hat sich in L. A. Ursachen und Querverbindungen im CONFIDENTIAL auch die visuelle Ausarbei- dunklen bleiben. Weitere Verdichtungs- tung von der Ebene expressiver Bildgestal- momente beziehen sich auf die nostalgi- tung hin zum Retro-Design verschoben. sierende Stilisierung einer verlorenen Zeit. So kann die Wahrnehmung der undurch- Der Film rekapituliert Design, Settings, sichtigen Geschichte erleichtert werden, Geschichten, Figuren, ästhetische und indem filmhistorische Kontexte direkt an narrative Topoi des Film noir, besonders in der filmischen Oberfläche adressiert wer- der finalen Schießerei in dem verlassenen den und auf Zuschauerseite entsprechen- Motel am Rande der Stadt. Hier werden auf de Schemata abgerufen werden können; visueller und akustischer Ebene besonders neben der komplizierten Erzählstruktur dichte Momente inszeniert, hier wird die erinnert insbesondere diese Eigenschaft Dunkelheit der unübersichtlichen Innen- wiederum an CHINATOWN. räume zugleich zur Metapher für die Düs- 116 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 74.1–6 ternis der verbrecherischen Machenschaf- ve preisgibt. Der Film beginnt mit der Si- ten weiter Teile der Polizei von Los Ange- mulation eines zeitgenössischen Werbe- les (Abb. 74.1–6). films über das Los Angeles der 1940er Jah- Die Dominanz des gesprochenen Wor- re. Ein Sample aus Postkartenansichten, tes ist nicht zuletzt auch der gleichnami- Dokumentarfilmmaterial, Splitscreen- gen literarischen Vorlage von James Ellroy und Fernsehbildern, Schreibmaschinenge- geschuldet, die ganz in der Tradition der räuschen und Zeitungsausschnitten be- hard-boiled-novel steht. Wie Chandler oder gleitet vom authentisierenden voice over Hammett bedient sich Ellroy lakonischer einer männlichen Stimme belegt, dass und zynischer Dialoge, komplizierter Wirtschaft und Kultur hier ebenso prospe- Plot-Strukturen und entwirft eine abgrün- rieren wie das Verbrechen. Dennoch er- dige Welt des Verbrechens. Auch in dieser schwert das Stakkato der Bilder und Infor- Hinsicht gibt sich L. A. CONFIDENTIAL also mationen die Wahrnehmung des für die als Noir-Film zu erkennen. Geschichte eines zentralen Moments die- Anders als in den zumeist um einen ser einleitenden Erzählung: die Festnahme zentralen Charakter konstruierten klassi- des Unterweltbosses Micky Cohen und das schen Erzählungen, die sich auch in „his- Problem des daraus entstandenen Macht- torischen“ Films noirs wiederfinden (etwa vakuums in der Unterwelt von Los Ange- in LAURA,DOUBLE INDEMNITY oder KISS ME les. Erst nach der multimedialen tour de DEADLY), präsentiert L. A. CONFIDENTIAL force der Einleitung, an deren Ende der eine Vielzahl differenzierter Charaktere, Filmtitel eingeblendet wird, beginnt die deren Beziehungen und Bedeutungen für Geschichte mit einer Nahaufnahme eines die Geschichte die Narration nur sukzessi- abwartend blickenden, nachdenklichen 2.2 Erzählstrukturen 117

Mannes, den eine Texteinblendung als „Officer Bud White“ präsentiert (Abb. 75.1). Dieser Umschnitt und die folgende, etwa zwanzig Minuten dauernde Expositi- on lässt die anfängliche Information erst einmal wieder in Vergessenheit geraten. Zunächst werden die Charaktere vorge- stellt, ihr Verhältnis zueinander definiert und so eine Ausgangskonstellation eta- bliert – deren Hintergrund der Verhaftung des Unterweltbosses Micky Cohen aller- dings keine Rolle mehr spielt, obwohl sie für das Verständnis der Geschichte aus- schlaggebend ist. Die drei Hauptfiguren sind in chronologischer Reihenfolge ihres Auftretens Bud White (Russell Crowe), der als brutaler Schläger eingeführt wird, Jack Vincennes (Kevin Spacey), smarter Infor- mant der Klatschpresse und Ed Exley (Guy Pearce), der intellektuelle Karrierist (Abb. 75.1–3). Die drei Polizisten des Police Depart- ments von Los Angeles werden in kurzen Abb. 75.1–3 Episoden nacheinander und zunächst un- verbunden vorgestellt. Im Zuge ihrer de- – und auf diese Weise mindestens drei po- taillierten Charakterisierung werden na- tenzielle Handlungsstränge bzw. Konflikt- hezu alle weiteren Akteure gezeigt, ohne linien angedeutet, in die sukzessive auch dass zunächst jedoch deutlich würde, wel- die anderen Nebenfiguren eingebunden che Funktion sie in der Geschichte ein- werden. nehmen werden: Der Leiter des Polizeide- Die Beziehungen der drei Polizisten partments Captain Dudley Smith, die ge- und der anderen Figuren, insbesondere heimnisvolle Schöne Lynn Bracken, der Captain Dudley Smith und Dick Stans- Redakteur des Klatschmagazins „Hush land, bilden ein undurchschaubares Ge- Hush“ Sid Hutchins, Bud Whites Kollege flecht aus Loyalitäten, Abhängigkeiten, Dick Stansland, der smarte Halbweltboss Vertrauen, Selbstgerechtigkeit, Recht- Pierce Patchett, der homosexuelle Staats- schaffenheit, Rücksichtslosigkeit, Karrie- anwalt Ellis Loew, die Frau mit dem Nasen- re- und Gewinnstreben. Am Ende dieser verband Susan Leffert, der Bodyguard Le- Einführung wechselt die Erzählung wie- land ‚Buzz‘ Meeks und der Nachwuchs- derum zum voice over der Stimme von Sid schauspieler Matt Reynolds (Abb. 76.1–9, Hutchins, der wie zu Beginn mit Hilfe von von links nach rechts und oben nach un- fiktivem dokumentarischem Material eine ten). Etwa bis zur elften Minute werden Mordserie schildert, in der es um die Nach- entsprechende Zuordnungen vorgenom- folge der Position des immer noch inhaf- men – Bud White und Dick Stansland / tierten Unterweltbosses Micky Cohen Lynn Bracken / Susan Leffert / Pierce Pat- geht. Das Setting positioniert alle Akteure chett, Jack Vincennes und Sid Hutchins innerhalb einer korrupten Polizeibehörde sowie Ed Exley und Captain Dudley Smith inmitten einer von Kriminellen bevölker- 118 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 76.1–9 ten Stadt, in der Drogenhandel, Prostituti- Dieses Ende der Exposition markiert on und Medien eine unheilige Allianz ein- den Einstieg in den Hauptstrang der Ge- gegangen sind. Doch wo die Grenzen zwi- schichte. Bis hierher hat der Plot nicht nur schen Recht und Unrecht zerfließen kon- die Hauptfiguren und ihre multiplen fragi- terkartiert fröhliche Swing-Musik und all- len Beziehungen zueinander herausge- gemeine Heiterkeit immer wieder die Sze- stellt, sondern in den episodischen Por- nerie, oszillieren sämtliche Beziehungen traits der Polizisten zugleich diverse Ange- unaufhörlich zwischen Zynismus und bote für inhaltliche Anschlussmöglichkei- Wohlwollen, Gewalt und Liebe. ten nahegelegt. Beinahe eine Hand voll 2.2 Erzählstrukturen 119

Einstiegspunkte werden markiert, von de- lent. Das Prinzip des „doubling of the in- nen einige – oder alle? – mit einiger Wahr- vestigative structure, with stories within scheinlichkeit zusammenhängen. Vor stories“ (Cowie 1993: 126) lässt sich offen- dem Hintergrund der zahlreichen Störun- bar beliebig ausweiten, um auf diese Weise gen der zuvor wohlgeordneten – korrup- narrative Desorientierungseffekte noch zu ten – Verhältnisse scheint einzig der junge steigern. Die resultierende „erschwerte Karrierist Ed Exley mit einem bestimmba- Form“, die sich auf „alle Arten von Verfah- ren Ziel als positive Identifikationsfigur ren und Beziehungen zwischen den Ver- übrig zu bleiben. Doch sein intellektueller fahren“ bezieht, „die dazu neigen, Wahr- Snobismus, sein illoyales Verhalten und nehmung und Verstehen zu erschweren“ seine Prinzipientreue stellen auch diese (Thompson 1995: 53) funktioniert auch Hoffnung sogleich in Frage – und tatsäch- bei zeitlicher Linearität der Narration als lich erweisen sich die Charaktere im Ver- konstitutives Prinzip des Noir-Films. lauf des Films allesamt als höchst ambiva- In L. A. CONFIDENTIAL wird die Chro- lent. nologie der Ereignisse dazu genutzt, Infor- Die daraus resultierende relative Of- mationen zu kumulieren, ohne sie zu- fenheit der Erzählung für mögliche An- gleich zu qualifizieren, um auf diese Weise schlüsse erschwert zunächst die Orientie- trotz unterschwellig vorhandener Zwangs- rung, oberflächliche Widersprüche und läufigkeit, die nicht zuletzt eine lineare die in der voice-over-Erzählung eilig einge- Perspektive nahe legt, den Plot mit einem schobenen Informationen lassen zunächst Höchstmaß an Ambivalenz auszustatten. kein gemeinsames Ziel der Geschichte er- Und der Plot folgt mit großer Konsequenz kennen. Die Hypothesenbildung bleibt diesem Weg, nicht zuletzt, indem er die auf eine Vielzahl nicht hierarchisierter In- Geschichte an der differenzierten Darstel- formationen angewiesen, deren Qualität lung seiner Charaktere kondensieren lässt. nicht abschätzbar ist und deren Quantität Trotz zahlreicher investigativer Aktionen, sie beliebig erscheinen lässt. Die Funktio- die der Ermittlung der Hintergründe eines nalisierung von Gedächtnis und Erinne- ein Massakers in einem Nachtcafé dienen rungsvermögen des Zuschauers für narra- und eine Vielzahl von Ereignissen und tive Zwecke, ohne dass zugleich kognitive Handlungen nach sich ziehen, in denen Schema zur Bewertung der Wahrnehmung sich die personalen Beziehungen der Aus- zur Verfügung gestellt würden, wirkt letzt- gangskonstellationen permanent verän- lich rezeptionserschwerend. Die zeitliche dern, zusammengeführt und auseinander- Dekomposition von Erzählungen und die dividiert, um neue Informationen, Figu- narrative Desorientierung des Zuschauers ren und falsche Verdächtigungen berei- werden hier durch die Multiplikation der chert und sogleich wieder in Sackgassen Erzählstränge erreicht, deren Zusammen- geführt werden, tritt die Fortentwicklung hänge auf mehreren Ebenen zunächst der Geschichte – der Ermittlung der Täter – oder dauerhaft unklar bleiben. Wenn eines auf der Stelle. Sichtbar werden indes die der desorientierenden narrativen Verfah- komplexen und ambivalenten Charaktere ren des Noir-Films darin besteht, durch der ermittelnden Polizisten sowie eine un- Rück- oder Vorausblenden Chronologien durchsichtige Silhouette des die gesamte zu zerschneiden, so haben zeitlich linear Stadt umspannenden Netzes des organi- ablaufende Noir-Narrationen in der syn- sierten Verbrechens. chronen Verdichtung narrativen Materials Zu diesem Zeitpunkt ist etwa die Hälfte durch die Multiplikation von Anschluss- der Erzählzeit verstrichen, ohne dass be- möglichkeiten ein funktionales Äquiva- reits ersichtlich wäre, worauf die einzel- 120 2 Film noir – Eine Umschrift

kalen Unterweltbosses neben der polizei- lichen Macht auch die kriminelle Macht an sich zu reißen, nur noch durch einen Lapsus des ‚Schöpfers‘ selbst zu Fall ge- bracht werden kann. Unmittelbar nach dieser Enthüllung wird in einem nächtlichen Showdown in Abb. 77 einem verlassenen Motel am Rande der Stadt das tödlich Duell zwischen Smith nen Handlungen und Ereignisse hinaus- und den beiden ‚Thronfolgern‘ Exley und laufen könnten. Das Wissen des Plots und White unter größten personellen Opfern damit das Zuschauerwissen ist nach wie zugunsten der jungen Ermittler entschie- vor auf der Höhe der Akteure und teilt ihre den. Und um das öffentliche Image der begrenzte Perspektive. Einzig die Feststel- Polizei nicht zu gefährden, schlägt Exley lung, dass die drei Hauptcharaktere entge- dem Präsidenten und der Staatsanwalt- gen ihrer anfänglichen Darstellung höchst schaft einen weiteren Deal vor – business ambivalente Figuren sind, lässt sich schon as usual, alles bleibt unverändert. Der jetzt resümieren. Schläger Bud White entschwindet mit der Im weiteren Verlauf versuchen die geliebten Lynn und der Karrierist Ed Ex- drei Hauptfiguren in wechselnder Kon- ley scheint sein Ziel erreicht zu haben, al- stellation dem Fall auf die Spur zu kom- lerdings nur auf Kosten der eigenen Inte- men. Völlig unvermittelt wird dabei eine grität. der Hauptfiguren erschossen, doch die Ir- Die Vervielfachung von – nahezu – ritation, die dies bedeutet, wird durch die gleichgewichteten Handlungssträngen noch größere Überraschung übertroffen, und die große Zahl – mehr oder weniger – dass gerade der Tod von Jack Vincennes aktiv handelnder Figuren potenzieren die die Wende in Bud Whites und Ed Exleys Anschlussmöglichkeiten für eine Vielzahl Ermittlungen bedeutet. Und so kommt weiterer Erzählungen, deren Bedeutungen es, dass sich der Drahtzieher aller Hand- sich aber zunächst kaum erschließen las- lungen letztlich aus Unwissenheit selbst sen. Die Ausweitung der Möglichkeiten entlarvt. Nicht die mit hohem physi- führt dementsprechend zugleich zur Ver- schen und psychischen Aufwand durch- vielfachung von Auslassungen. Das multi- geführten investigativen Bemühungen plikative Verfahren sorgt auf diese Weise der Polizisten, sondern ein Zufall, nicht trotz zeitlich linearer Auflösung wirksam die Aktivität der jungen Männer, sondern für narrative Desorientierungseffekte. eine kurze intellektuelle Nachlässigkeit L. A. CONFIDENTIAL favorisiert das Prinzip ihres Vorgesetzten Captain Dudley Smith der multiplen Erzählung, um aus einer führt zur Aufklärung. Die Vaterfigur (Abb. Vielzahl von logischen Alternativen eine 77) selbst ist Ursache allen Übels, sein überraschende Pointe zu konstruieren – Streben nach Allmacht steuerte alle und bekräftigt, dass Noir-Filme offene und Handlungen. Vor diesem Hintergrund diversifizierte Erzählformen der geschlos- scheinen die in zahlreiche Nebenhand- senen Erzählweise des klassischen Holly- lungen aufgelösten vielfachen Anstren- wood-Kinos vorziehen. gungen des kriminologischen Nachwuch- ses rückwirkend sinnlos. Und es nimmt kaum Wunder, dass der ‚göttliche Plan‘ Dudley Smiths, nach dem Abtritt des lo- 2.2 Erzählstrukturen 121

2.2.7 Schlusswort: also nicht mehr zum Ausgang zu führen, „Let‘s get into character!“ sondern nur noch um die nächste Ecke. (Jules Winnfield in PULP FICTION) Film noir nimmt diesen Verlust gewisser- maßen aus der Perspektive eines ge- Im Gegensatz zum klassischen Erzählki- täuschten Theseus wahr, dem die Umwelt no zeichnet sich die narrative Ordnung nur noch als Labyrinth zugänglich ist: des Film noir durch eine auf den effekti- „Caught in a labyrinth of discourse, they ven Moment konzentrierte, subjektive wander its mazelike paths of contradic- Befindlichkeiten analysierende Drama- tions and falsehoods, of mysteries and turgie aus. Der Konflikt, der Noir-Drama- lies, until exhausted and destroyed by the turgien in Gang setzt, stellt sich nicht powers they hoped to control or turn to länger – wie noch im klassischen Holly- profit.“ (Telotte 1989: 29) Noir-Filme, so- wood-Erzählkino – auf der Ebene der viel sei bereits gesagt, machen sich eben Wiederherstellung äußerer Ordnungssys- diese existenzielle Problematik des Über- teme (Moral, Ideologie, etc.) ein. Das Pro- gangs vom vormodernen Subjekt zum blem hat sich gewissermaßen nach innen modernen Beobachter anderer Beobach- verlagert. Der existenzielle Zwiespalt zwi- ter zum Gegenstand ihrer Erzählungen. schen sozialer Anpassung und triebhafter Besonders J.P. Telotte betont die diskursi- Natur angesichts des Unglaubwürdigwer- ven Eigenschaften des Noir-Films inner- dens einer ordnenden Instanz und dem halb des umfassenderen Diskurses der Fehlen von Kanalisierungsmöglichkeiten westlichen Zivilisation. Für ihn über- des subjektiven Impulses, führt nahezu nimmt Film noir die Funktion, die Ambi- zwanghaft zur Krise des Individuellen. In guität kulturell verbürgter Konventiona- der scheiternden Vermittlung von psy- lität aufzuzeigen, Realität als subjektive chischen und sozialen Befindlichkeiten Erfahrungswirklichkeiten zu interpretie- bzw. von Bewusstsein und Gesellschaft ren, Oberflächenqualitäten der Weltkon- im Subjekt selbst kommt zugleich die struktion zu entlarven, hinter die Ober- existenzielle Erkenntnis zum Ausdruck, flächen der einfachen realistischen An- dass Subjekt und Objekt ununterscheid- schauung zu blicken und auf diese Weise bar geworden sind, dass Objekte nur Ob- den kulturellen Imperativ eines still- jekte für ein Subjekt selbst sind. Noir-Fil- schweigend akzeptierten Realismusver- me wie THE USUAL SUSPECTS und L. A. dikts zu dekonstruieren. Das zentrale dis- CONFIDENTIAL verleihen der konstrukti- kursive Anliegen des Film noir liegt für vistischen Erkenntnis, dass das Individu- Telotte darin „to lay bare the rules of si- um selbst Konstrukteur (s)einer Welt ist, lence and concealment. In fact, what zu der es nur noch über die eigene Beob- make noir films noir or truly disconcer- achtung Zugang finden kann, einen fil- ting, even today, is how they strike to this mischen Ausdruck; im ersteren Fall durch fundamental level, revealing the distur- die Entlarvung des Erzählers als Lügenba- bing contradictions that mark the mo- ron und im letzteren durch die labyrin- dern human experience.“ (Telotte 1989: thische Erzählung der Enttarnung des 34f) Dergestalt der Rückversicherung im rücksichtslosen Egoismus eines kriminel- Realen und damit seiner vormals gewis- len „Weltenlenkers“ – und in beiden Fäl- sen Identität beraubt, erscheint das ent- len auf unterschiedlich selbstreflexive substanzialisierte Subjekt des Film noir Weise. auf die eigene Triebhaftigkeit zurückge- Der Ariadnefaden zwischen kollekti- worfen. Das Paradox der eigenen Identi- ver und individueller Identität scheint tät, der blinde Fleck der eigenen Existenz, 122 2 Film noir – Eine Umschrift

den der Modernisierungsprozess zu Tage narrativ verdichten. Dergestalt subjekti- förderte, erzeugt eben jene Leerstelle in viert folgt der Spannungsaufbau der Ex- der Realität des „noir universe“, die i ek pression innerer Zerwürfnisse auch auf der mit Lacan als „subject qua void“ bezeich- Ebene dramaturgischer Prozesse mit ent- net ( i ek 1993: 220; Herv. im Orig.). sprechenden „syuzhet tactics“ (Bordwell Die Probleme der Restitution als mo- 1985: 198) zur narrativen Derealiserung dernes Individuum führen regelmäßig zu und Multiplikation. den beobachtbaren psychischen Deforma- Noir-Filme bezeichnen also den Ver- tionen der Identifikationsfiguren im Film lust der Ich-Gewissheit. Sie übersetzen noir. Telotte sieht Film noir zugleich als ki- das Fehlen einer in der Realität veranker- nematographische Stimme, die persönli- ten Identitätsgarantie in spezifische visu- che und kulturelle Ängste artikuliert und elle und narrative Verfahren. Dies ge- insofern zugleich wie ein Immunsystem schieht in erster Linie durch Abweichun- wirkt: „What the film noir developed was a gen von den normalisierten Prozeduren variety of such voices, each speaking in a des Standard-Erzählfilms. So sehr die fil- dark, experimental, and even approximate mische Noir-Realität affiziert zu sein language about the discontinuities of our scheint vom Verlust des klassisch-realisti- modern experience.“ (Telotte 1989: 222f) schen filmischen Beobachterstandpunk- Auch wenn der visuelle Stil des Film noir tes, so sehr verwandelt die Entlassung der lange Zeit die Wahrnehmung bei Filmkri- filmischen Verfahren aus ihrer objektivis- tik und -wissenschaft dirigiert hat, verfü- tischen Repräsentationspflicht eines all- gen die „maladjusted texts“ (Maltby 1984: gemeingültigen Realen im Noir-Film zu- 68) der Noir-Filme in kaum geringerem gleich Bilder, Töne und Erzählstrukturen Maße über ein umfangreiches Repertoire in filmische Muster einer hochgradig sub- erzähltechnischer Besonderheiten, die die jektivistischen Realität – und objektiviert schmerzlichen Suchbewegungen des mo- damit paradoxerweise erneut eine be- dernisierten Subjekts im Labyrinth der de- stimmte Realität. rangierten inneren und äußeren Umwelt

2.3 Themen

„[...] it helps to encourage the notion that ted social mores, conflicts and ideolo- film noir is essentially apolitical, charac- gies.“ terized by pessimism and existential an- Douglas Kellner (1998: 355) guish.“ James Naremore (1998: 37) Bereits früh hat die Filmkritik in erster Li- nie thematische Veränderungen für die „But the crucial determinants of the ideo- beobachtbaren Abweichungen des Film logical functions of Hollywood film had noir von Genre-Erzählmustern verant- to do with control of film production by wortlich gemacht. Zwar wurde vereinzelt major studios and the production of films immer wieder auch auf verschachtelte Er- primarily for profit: Since films had to at- zählstrukturen und ungewöhnliche visu- tract large audiences, they needed to reso- elle Arrangements hingewiesen, doch nate to audiences‘ dreams, fears, and so- grosso modo hatte insbesondere die Wen- cial concerns, and thus inevitably reflec- dung zu existenziellen Thematiken die 2.3 Themen 123

Filmbeobachter beeindruckt. Daran lässt Frank einen Mangel „de vie, de vérité, der anderen Seite sich daran ablesen, in d’épaisseur, de charme, d’air, de dynamis- welchem Ausmaß visuelles und narratives me authentique“ (ebd.) der gleichsam Arrangement des Film noir der themati- über Nacht gealterten Genreerzählungen schen Perspektive funktional waren, d.h. und ihrer überholten Geschichten. wie exakt semantische Implikationen den Für den französischen Filmkritiker ästhetischen Formen filmischer Repräsen- Jean-Pierre Chartier besetzten Pessimis- tation offenbar eingeschrieben waren. mus und Menschenverachtung das se- mantische Zentrum jener neuen films noirs, in denen Schauspielerinnen wie Bar- 2.3.1 Frankreich/Philosophie bara Stanwyck als Phyllis Dietrichson in Die Radikalität der Gesellschaftsphanta- DOUBLE INDEMNITY einen neuen unmorali- sien des neuartigen Kriminalfilms ver- schen Frauentypus verkörperten, der skru- band sich bereits für Nino Frank mit ei- pellos verführt und tötet. Wie Chartier be- nem grundlegenden Wandel der Semantik tonte, bedingen sich sexuelle Attraktion des Kriminalfilms. Die Banalisierung etwa und fatale Unausweichlichkeit des Verbre- der intellektuell überlegenen Detektivfi- chens gegenseitig. Auf der anderen Seite gur zum heruntergekommenen Privatde- äußerte bereits Chartier den Verdacht, tektiv, die Abwendung vom Schema der dass das Dunkel und Chaos des Film noir kriminalistischen Ermittlung und die Hin- ein beabsichtigter Effekt sei, der in Verbin- wendung zum psychologisch motivierten dung mit unlogischen Geschichten eine Verhalten, die Verschiebung von der bere- Atmosphäre des Schreckens erzeuge. An- chenbaren Entwicklung zum unvorher- dererseits erinnerten die experimentellen sehbaren Abenteuer eröffneten der Se- Formen an Inszenierungsmuster des „ci- mantik der bekannten Genreformel neue néma pur“ (Chartier 1997: 16) sowie an Dimensionen. Die erzählerische Konzen- frühe Avantgardefilme. Auch Chartier sah tration auf die rätselhafte Psychologie der im Film noir einen psychologischen Me- Figuren, die Drastik und Misogynie der chanismus am Werk, der den Zuschauer Geschichten bedeuteten eine Abkehr vom unheilvoll in das Scheitern der Hauptfigur Bekannten, obwohl das investigative Prin- verwickelte. Ohne jede Utopie, die zumin- zip und die Nähe zum Verbrechen nach dest die französischen films noirs des poeti- wie vor zentrale Momente des „nouveau schen Realismus noch geprägt hatte, sind genre ‚policier‘“ markierten (Frank 1946: die US-amerikanischen films noirs aus- 8). Die bemerkenswerte „psychologie cri- nahmslos bevölkert von „Ungeheuern, minelle“ (ebd.), die Fokussierung auf das Kriminellen oder Kranken, die nichts ent- Verhalten der Figuren, das Erlebbarma- schuldigt und die einzig aus dem Bösen, chen ihrer Ängste und Verzweiflungen das in ihnen steckt, handeln, wie sie han- durch die narrative Einengung der Erzähl- deln.“ (Chartier 1997: 17) perspektive erschien Frank als grundle- Für Borde und Chaumeton konstituie- gendes Differenzkriterium zu gewohnten ren gerade diese von Chartier mit einer ge- – „admirables et profondément ennuy- wissen Skepsis betrachteten thematischen eux“ (ebd.: 14) – Produktionen wie HOW Aspekte lediglich den Ausgangspunkt für GREEN WAS MY VALLEY (1941) und THE eine weitergehende Zuspitzung der se- LITTLE FOXES (1941). Auch wenn in seiner mantischen Zurichtung des Film noir: „A Darstellung visuelle Qualitäten noch kei- tous les sens du mot, le film noir est un ne Rolle spielten, offenbarten die Bedeu- film de mort.“ (Borde/Chaumeton 1955: tungsverschiebungen des Film noir für 6) Dementsprechend arrangiert Film noir 124 2 Film noir – Eine Umschrift

seine albtraumhaften Geschichten aus der noir américain –, „Borde and Chaumeton Perspektive des Verbrechens, der unbe- have surprinsingly little to say about visu- herrschten Gewalt und der tödlichen Mis- al style.“ (Naremore 1998: 19) Stattdessen sion und vermeidet dabei die Eindeutig- sind sie fasziniert von der Psychologisie- keiten der Genrestandards. Die Polizei ist rung von Figuren und Milieus, den vielfäl- korrupt und selber in das Verbrechen in- tigen Verwirrstrategien hinsichtlich unbe- volviert, der Privatdetektiv gehört zu glei- rechenbarer Motivationen und der son- chen Teilen den Sphären der rechtschaffe- derbaren Verbindung zur Logik des nen Gesellschaft und der Unterwelt an, Traums. Und eben jene Verbindung aus während die Gesetzesbrecher bisweilen realistischer Darstellungsweise und der gar zu Sympathieträgern werden. Die Un- Wahl mysteriöser Themen, so Borde und durchsichtigkeit des kriminellen Milieus Chaumeton, erzeuge die albtraumhafte manifestiert sich gleichzeitig in den ambi- Atmosphäre, die Film noir auszeichne. Im valenten Charakteren des Film noir, „un Ergebnis diene dies der Desorientierung peuple de tueurs angéliques, de gangsters des Zuschauers, der im Film noir jene ver- névrosés, de chefs de bande mégalomanes trauten Markierung nicht mehr finden et des comparses inquiétants ou tarés.“ könne, die zuvor den Genrefilm so vor- (Ebd.: 9) Alle Figuren sind widersprüchlich hersagbar gemacht habe. Gut und Böse und mehrdeutig: Opfer sind nicht länger seien endgültig als zwei Seiten ein und der- nur wehrlos und deswegen schützenswert, selben Medaille entlarvt, vormalige mora- sie stehen oftmals selbst unter Verdacht; lische Gewissheiten entpuppten sich als der Protagonist ist nicht länger ein jugend- „fictions morales“. Vergeblich suche der lich wirkender Held, sondern ist meist – Zuschauer in den oneirischen Ordnungen wie etwa Humphrey Bogart – eine ältere des Film noir „la bonne vieille logique und reifere Figur, die zwischenzeitlich d’autrefois“ (ebd.: 15). Übrig bleibe ein selbst zum missbrauchten Opfer wird. Gefühl der Entfremdung. Nicht zuletzt wird auch die femme fatale – Moralische Ambivalenz, scheinbar un- „mi-dévoreuse, mi-dévorée“ (ebd.: 11) – bezähmbare Kriminalität und komplexe Opfer der eigenen Machenschaften. Ihre erzählerische Ensemble aus widersprüchli- dubiose Erotik steht nicht nur für die Ten- chen Motiven und Ereignissen formieren denz des Film noir, Gewalt zu erotisieren, für Borde und Chaumeton die emotionale sie steht geradezu symbolisch für die ver- Ordnung des Film noir. Sie zielt auf die ef- änderte Thematisierung von Gewalt im fektive Verunsicherung des Zuschauers, Film noir. An die Stelle des gerechten indem konventionelle und psychologisch Kampfes tritt der brutale Übergriff auf valide Referenzen entfernt würden, um wehrlose Opfer (RIDE THE PINK HORSE, spannungsreiche Widersprüche zu erzeu- 1947), die geschäftsmäßige Professionali- gen. Für Borde und Chaumeton bezeich- sierung des Tötens (THE KILLERS, 1947) und net Film noir das Verdichtungsmoment ei- die Zeremonie der Exekution. Auf der an- nes zeitgebundenen, thematischen Stils, deren Seite resultiert die Allgegenwart der dessen Gegenstand mehr mit der surrealis- Bedrohung und der Angst für Borde und tischen Kunst Dalis und der literarischen Chaumeton weniger aus der Thematisie- Kafkas zu tun habe, als mit spezifischen rung von Gewalt als aus der verwirrenden audiovisuellen und erzähltechnischen Erzählstruktur. Obwohl beide der Traditi- Verfahren des klassischen Erzählkinos. on des französischen Surrealismus nahe Entsprechend sehen Borde und Chaume- standen – immerhin verfasste Marcel Du- ton das Ende des Film noir im Dilemma hamel das Vorwort zum Panorama du film der Unvereinbarkeit seiner thematischen 2.3 Themen 125

Kerne – „insolite affadi ou réalisme poli- Aspekte des Film noir benannt. Und auch, cier“ (ebd.: 182) – begründet, für die wenn sich die von Borde und Chaumeton schließlich der psychologisierende Thril- ermittelten semantischen Schwerpunkte ler und der sozial orientierte Neorealismus nicht zu Repräsentationen einer (unter- geeigneter erscheinen. Die den psycho-so- stellten) Gesellschaftskritik umdefinieren zialen Impetus des Film noir überstrapa- lassen, „as if it were pushing the American zierende Darstellung Bordes/Chaumetons system towards revolutionary destructi- greift letztlich aber zu kurz. Neben der Un- on“ (Naremore 1998: 22), sind sie den- terschlagung ästhetischer Besonderheiten, noch Funktionsträger innerhalb eines die dem Gegenstand erst einen effektiven, komplexen und angesichts der illusionisti- psychologisierenden Ausdruck verleihen, schen Hollywood-Tradition prima vista verweist u.a. James Naremore auf ökono- widerständigen ästhetischen und narrati- mische und politische Determinanten für ven Verfahrens, das die expressiven Eigen- das nachlassende Interesse am Film noir: schaften des Mediums ausbeutet, um be- Die aufkeimende Konkurrenz durch das stimmte Geschichten effektiv zu sensatio- Fernsehen und epische Erzählungen im nalisieren. Und nicht zuletzt sei darauf farbigen Cinemascope-Format; die prospe- hingewiesen, dass nur das expressive Zu- rierende Freizeitindustrie und die geringe- sammenspiel aller drei – audiovisueller, re Nachfrage auf Grund steigenden Wohl- narrativer und thematischer – Verdich- stands und soziokultureller Restauration; tungsmomente das hervorbringt, was an- sowie die Verunsicherung der Filmproduk- schließend als Noir-Film bezeichnet wer- tion durch die Vorgänge des HUAC-Ver- den kann und auf diese Weise eine spezifi- fahrens. Letztlich, so Naremore, führe Bor- sche Differenzqualität zum illusionisti- des und Chaumetons perspektivische Ver- schen Realismus Hollywoods einerseits und engung auf die semantischen Komplexe zum Essay-, Avantgarde-, Dokumentar- Tod und erotisierte Gewalt weniger zu ei- und Autorenfilm andererseits behauptet. ner brauchbaren Erörterung der Funk- Die Methode des Noir-Films positio- tionsweisen des Film noir als zu einer Be- niert Filme in einer intermediären Stel- stätigung der eigenen, vom Surrealismus lung zwischen expressivem Ausdruck im inspirierten Philosophie. Die problemati- narrativen Rahmen eines perfektionierten sche Verkürzung degradiere Film noir zum Illusionismus (etwa als psychologistischer Vehikel einer normativ gefärbten Kritik, Realismus) und experimentell-individua- die Film noir als eine kritische Tendenz im listischer Bearbeitung etwa gemäß eines US-amerikanischen Film begreift, die sich avantgardistischen Autorenprogramms in der Form einer „anarcho-leftist critique (z.B. die Filme von David Lynch). Entspre- of bourgeois ideology“ auf inhaltlicher chend bezeichnet das Adjektiv „noir“ zu- Ebene mit der Kehrseite des barbarischen gleich ein Grenzgängertum zwischen Kapitalismus auseinandersetze (Naremore Mainstream und Kunst und ist im zeitge- 1998: 21f). nössischen Kino auch ein Indikator für die Obgleich Bordes und Chaumetons vo- Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den luntaristische Dekontextualisierung des verschiedenen filmästhetischen Bereichen. Film noir vielfach Kritik auf sich gezogen hat, weil damit ein spiegelbildliches Ver- 2.3.2 USA/Pragmatismus hältnis sozialer Zustände und filmischer Repräsentation nahegelegt wird, dass an- Im Mutterland des Mainstream-Kinos, schließend ideologisch ausgebeutet wird, den USA, begann die Karriere des Termi- werden dennoch zentrale thematische nus „Film noir“ mit Paul Schraders 1972 126 2 Film noir – Eine Umschrift

erschienenen einflussreichen „Notes on schen und narrativen Verfahren des Film Film Noir“. Im Hinblick auf favorisierte noir Verlust, Nostalgie, das Fehlen hand- Themen bezieht sich Schrader zunächst lungsleitender Maxime und Unsicherheit. auf Raymond Durgnats 1970 in der briti- Und mehr noch: Im manierierten Stil des schen Filmzeitschrift Cinema publizierten, Film noir selbst werde der ideelle Sub- eigenwilligen Schematisierungsversuch stanzverlust erfahrbar, Film noir „worked des Film noir, „Paint it Black: The Family out its conflicts visually rather than the- Tree of Film Noir“. Durgnats Hinweis, matically [...] it was able to create artistic dass Film noir quer zu Genrekategorien solutions to sociological problems.“ verortet werden und die Analyse sich des- (Schrader 1972: 13) wegen auf eine „classification by motif Anders als Durgnat, der noir bzw. black- and tone“ (Durgnat 1996: 38) kaprizieren ness als transhistorisches kulturelles Phä- müsse, nimmt Schrader zum Anlass, an- nomen entwirft, kanalisiert Schraders his- stelle empirischer Definitionsversuche torisch argumentierender Begründungs- kulturelle und stilistische Bedingungen zu versuch des Film noir die Analyse themati- benennen, die eine Reihe von Produktio- scher Schwerpunkte entlang einer zeitlich nen hervorgebracht haben, die gemein- periodisierenden Betrachtung. Doch hin als Film noir bezeichnet werden. Schrader selbst scheint seiner zeitlichen Durgnat benennt in loser Folge eine Reihe Einteilung des Film noir in drei Phasen thematischer Implikationen des Film nicht recht zu vertrauen (vgl. Schrader noir. Vage, eher feuilletonistische Etiket- 1972: 12) und insbesondere Marc Vernet tierungen wie Verbrechen als Sozialkritik, hat auf die Problematik dieser zeitlichen Gangster, Fluchtbewegungen, Privatde- Eingrenzung hingewiesen (Vernet 1993). tektive und Abenteuer, Mittelklasse-Mor- Obwohl diese Beschränkung gegen- de, Doppelgänger, sexuelle Pathologie, über Durgnats offener Konzeption eine Psychopathen, Geiselnahme, Faschisten Rücknahme bedeutet, scheint die Unter- und Kommunisten oder Angstfilm umrei- teilung für die Analyse semantischer Zen- ßen eine Reihe semantischer Zentren, die tren andererseits dennoch brauchbar, allerdings wiederum nur als Abweichung sieht man von der zeitlichen Demarkation von Genrestandards interpretierbar sind: einmal ab. Waren für Schrader US-ameri- „[F]rontierism [im Western; B.R.] has tur- kanische Films noirs anfänglich geprägt ned to paranoia and claustrophobia. The von der Figur des Privatdetektivs und ein- small-time gangster has now made it big samen Helden, wie ihn die Autoren der and sits in the mayor‘s chair, the private hard-boiled-Schule – etwa Chandler, Ham- eye has quit the police force in disgust, mett oder Greene – popularisiert haben, so and the young heroine, sick of going wenden sie sich anschließend, einem along for the ride, is taking others for a Trend zu mehr sozialem Realismus fol- ride.“ (Schrader 1972: 11) Für Schrader ist gend, den Problemen des Verbrechens in Durgnat eine wichtige thematische Di- den Straßen, politischer Korruption und mension des Film noir allerdings entgan- polizeilicher Routine zu und nehmen gen: die Leidenschaft der Hauptfiguren gleichzeitig die Figur des romantisierten für Vergangenheit und Gegenwart und Helden zurück. Und zuletzt dominieren ihre Angst vor der Zukunft. Wo der Sturz laut Schrader psychotische Aktionen und in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit selbstmörderische Impulse die Hochphase droht, wenden sich die Helden des Film des Film noir, in der die B-Produk- noir der unwiederbringlichen Vergangen- tionsweise und der Einfluss vulgär-psy- heit zu. Entsprechend betonen die ästheti- choanalytischer Annahmen Filme und 2.3 Themen 127

Geschichten prägen. Erst jetzt ist Film noir noir – das betrifft Detektive ebenso wie für Schrader in seine klassische, „the most femmes fatales – an den Vorgängen emo- aesthetically and sociologically piercing“ tional kaum beteiligt sind, was ihnen an- (Schrader 1972: 12) Phase eingetreten. dererseits eine gewisse Mächtigkeit ver- Auch für Robert G. Porfirio zeichnet leiht und oftmals in Misanthropie mün- sich Film noir durch einen spezifischen vi- det. Die Figuren des Film noir seien wahr- suellen Stil und atmosphärische Eigen- haftig in eine sinnlose Welt geworfen, in schaften aus. Darin kommt eine pessimis- der nur noch das Ego Orientierung zu bie- tische Grundstimmung zum Ausdruck, die ten scheine. In den fiktiven Welten des nicht nur das für den Standard-Holly- Film noir könne der drohende Absturz in woodfilm typische happy ending subver- den Nihilismus nur noch durch die Wahl, tiert, sondern mehr noch als die visuellen authentisch zu leben, vermieden werden, Eigenschaften „makes the black film black während die permanente Drohung durch for us.“ (Porfirio 1976: 213) Die existen- die Nähe des Todes die Bedingungen die- zielle Attitüde verbinde laut Porfirio so un- ser Wahl verschärfe. Dem auf seine Trieb- terschiedliche Filme wie THE MALTESE FAL- haftigkeit zurückgeworfenen Individuum CON (1941, John Huston), DETOUR (1946, blieben diskursive Zugänge zur Lösung sei- Edgar G. Ulmer) oder BRUTE FORCE (1947, nes Dilemmas allerdings verschlossen. Jules Dassin). In diesen Filmen befinde Entsprechend manifestiere sich Bedeu- sich das entfremdete Individuum in einer tungslosigkeit nicht im individuellen Dis- Welt ohne transzendentale Werte oder kurs über die Welt, sondern als zuweilen moralische Imperative. Das bedeutungslos absurder Effekt von mise en scène und Er- gewordene Leben gebe dem Individuum zählstruktur. Die formale Ausarbeitung zwar mehr Freiheit, Authentizität und Ver- des ebenso zufälligen wie instabilen Flus- antwortung, es erzeuge andererseits zu- ses der Ereignisse reflektiere das Ausgelie- gleich aber Einsamkeit, Angst und Ab- fertsein der Protagonisten an die uner- scheu. Der unheroische Anti-Held verfüge kennbare Welt. Für Porfirio übersetzen über keine positiven moralischen Werte insbesondere Tiefenschärfe und Raumstaf- mehr und ist verwundbar. Daraus resul- felung die neue Ordnung der Dinge in eine tierten thematische Verdichtungen wie in- künstliche „cinematic world“ (Porfirio dividuelle Entfremdung und Vereinsa- 1976: 217), in der Dekadenz, Obsessivität mung, Fatalismus, Chaos, Gewalt, Para- und phlegmatische Widerstandslosigkeit noia und die Semantiken von Bedeutungs- reüssieren. losigkeit, Zwecklosigkeit und Absurdität. In Kombination mit einer Reihe ex- Diese Perspektive verdanke Film noir Au- pressiver Stimuli weist Film noir Chaos, toren wie Hammett, Chandler, Cain, Gewalt und Paranoia als neue weltstruktu- Woolrich, McCoy und anderen so genann- rierende Eigenschaften auf. In dieser re- ten hard-boiled-Autoren, deren schonungs- pressiven und chaotischen Umgebung lose Kriminalliteratur jene existenzialisti- sind die Hauptfiguren auf ihrer permanen- sche Perspektive des Film noir präfigurie- ten Suche nach sinnstiftenden Ordnungs- re. Zu den Motivkomplexen des Film noir prinzipien nur selten erfolgreich. Die an- gehört für Porfirio die Problematik des An- ti-rationalistische Haltung findet in der ti-Helden, der nicht mehr Held sein kann, mit verwirrenden Zeitlinien und hand- weil dafür die moralischen Rahmenbedin- lungsbetonenden Erzählstrukturen ope- gungen nicht vorhanden seien. Entfrem- rierenden Suchbewegung ihren formaläs- dung und Einsamkeit entstehen für Porfi- thetischen Ausdruck. Obwohl etwa Porfi- rio daraus, dass die Hauptfiguren im Film rios Lektüre des Film noir ein ums andere 128 2 Film noir – Eine Umschrift

Mal betont, dass die existenzialistische subjektive Pathos des Film noir auf narra- Lesart ein Effekt der ästhetischen Kon- tiver Ebene legt diese semantische Ver- struktion ist, die ihre Wurzeln unter ande- dichtung nahe (vgl. ebd.). Um die Dro- rem im Zynismus der hard-boiled-Ge- hung des Modernisierungsschubs abzu- schichten habe, bleibt bei ihm das zu wehren, wird das bedrohte Ego angesichts Grunde liegende Verfahren, dass die Berei- der sich in Auflösung befindlichen Ge- che des Narrativen und der thematischen wissheiten auf seine triebhafte Leiden- Orientierung verbindet, weitgehend un- schaft zurückgeworfen und mit ihm der klar und letztlich beliebig. Zuschauer durch entsprechende narrative Auch wenn einige wichtige Beobach- Verfahren auf diese Position festgelegt. Für tungen wiederkehrender Themen des Film Telotte weicht Film noir damit vom klassi- noir von den bisherigen, hier nur kurso- schen Erzählkino Hollywoods ab, dass sei- risch erfassten, aber durchaus symptoma- nen Zuschauer auf einer bequemen und tischen Texten benannt werden, scheint zumeist allwissenden Position platziert, ihre Modellierung des Gegenstandes un- von der aus alles Gezeigte mit Hilfe impli- vermindert problematisch. Zeitliche ziter Bewertungsmaßstäbe sicher beurteilt Grenzziehungen ebenso wie die Anbin- werden kann. Film noir bietet diese beque- dung an kunstgeschichtliche oder philo- me Möglichkeit nicht mehr, er irritiert die- sophische Programmatiken bergen die Ge- se Wahrnehmungskonvention. Die The- fahr der perspektivischen Verzerrung der men des Film noir wie die Unvorherseh- Betrachtung des Zusammenwirkens einer barkeit des Todes, verbotene Begierden Reihe von Faktoren, die den filmischen und die Korruption öffentlicher Mandats- Prozess in toto betreffen, nach außen im träger unterwandert eben jene bequeme Hinblick auf sozial- und kulturhistorische Anschauung, die die klassische Holly- und ideengeschichtliche Kontexte und wood-Formel ermöglichte – „questioning nach innen in Bezug auf formalästheti- whether such a privileged and truthful po- sche Wirkmechanismen, die der themati- sition is possible, whether there are any schen Orientierung entsprechen. such reliable norms.“ (Ebd.: 221) J. P. Telotte versucht das Problem zu In dieser Emphase des Film noir artiku- umgehen, indem er den Diskurs der Mo- liert sich zugleich ein Bedürfnis nach alter- derne als Rahmenerzählung der Erzählung nativen Verfahren zu einem besseren Ver- namens Film noir benennt. Auf dem so ständnis der Welt. Mit seinem expressiven verbreiterten argumentativen Fundament Gestus, in dem sich individuelle und kol- geht der zentrale thematische Impuls des lektive Ängste artikulieren, besetzt Film Film noir für Telotte von seiner narrativen noir zugleich die semantische Lücke, die Form aus, in der sich eine große Besorgnis der klassische Hollywood-Film nicht fül- über die Situation des Menschen in der len konnte oder wollte: Film noir themati- Moderne artikuliert: „The film noir [...] di- siert die negativen Folgererscheinungen rectly adresses the self and lays bare the va- des Modernisierungsprozesses und okku- rious ‚assaults‘ it must withstand in the piert thematisch die Diskontinuitäten und modern world.“ (Telotte 1989: 219) Die Unsicherheiten der individuellen Erfah- Ideologie der Moderne macht das Indivi- rung der Moderne. Im Index von James duum zum Gegenstand verschiedener kul- Naremores aufschlussreicher Untersu- tureller und historischer Interessen. Die- chung über die Kontexte des Film noir, fin- sen Zerfallsprozess des Individuellen re- den sich etwa unter dem Stichwort „Narra- flektiert Film noir zunächst mit Hilfe sei- tive Themes“ zusammengefasst folgende ner formalen Qualitäten. Besonders das semantischen Komplexe, die andererseits 2.3 Themen 129

das komplexe Phänomen Film noir nicht eben transparenter machen: „absurdity“, „alcoholism“, „antisocial behaviour“, „cru- elty“, „existentialist“, „freudian“, „hitch- hiking“, „nostalgia and gloom“, „sadism“, „surrealist“, „urban crime“ oder „waste- lands“ (Naremore 1998: 332). Auf der an- deren Seite rücken diese semantischen Verdichtungsmomente des Film noir den narrativen Film in die Nähe solcher filmi- scher Ausdrucksformen, für die die Moder- ne-Problematik von Anbeginn program- Abb. 78 matisch war, besonders den Essay- und Avantgarde-Filmen, aber auch den Auto- pation der Frau von einer männlich konno- ren- und Dokumentarfilm. tierten Ordnung und damit zur existenziel- len Gefahr für männliche Protagonisten und das erzählte patriarchale System. Fem- 2.3.3 Formen von Weiblichkeit mes fatales wechseln ihre Partner, sind ero- Vor dem Hintergrund des klassischen Er- tisch, attraktiv, intelligent und narzisstisch zählens Hollywoods haben die Beiträge der (Abb. 78). Die Darstellungskonventionen von E. Ann Kaplan herausgegebenen An- der femmes fatales im Film noir haben eine thologie Women in Film Noir den Riss in der bestimmbare Ikonographie und einen spe- Identität des Subjekts mit veränderten For- zifischen visuellen Stil hervorgebracht: Sie men der Repräsentation von Weiblichkeit dominieren optisch den Bildraum, ihre im Film noir identifiziert. Dienten in den Kleidung (dress code) signalisiert ihre mora- Erzählungen des klassischen Hollywood- lische Transformation, sie rauchen und tra- Films festgelegte weibliche Rollenbilder le- gen und benutzen Waffen. Obwohl femmes diglich der Bestätigung eines zu Grunde fatales am Ende der Erzählungen des Film liegenden patriarchalen Modells kollekti- noir zumeist eliminiert oder domestiziert ver Ordnung bzw. dem „ideological work werden, bewahrt die Inszenierung ein Erin- [...] which is carried out through men“ (Ka- nerungsbild ihrer ebenso vitalen wie tödli- plan 1998a: 16), so erodieren die finanziell chen erotischen Anziehungskraft über das unabhängigen und sexuell attraktiven Filmende hinaus. Frauen des Film noir die Fundamente des Ihre narrative Funktion besteht in ihrer patriarchalen Systems. Weder Ehefrau, sexuellen Mehrdeutigkeit für die männli- Mutter, Tochter noch Hure gefährdet eine chen Figuren. Ihre Inkarnation von sexuel- neue Form der Repräsentation des Weibli- lem Glücksversprechen und tödlicher Un- chen die patriarchale Weltordnung der heilsdrohung motiviert die Handlungen. klassischen Diegese. Im Zentrum vieler Das erotische Spektakel der femme fatale ka- Films noirs steht die begehrenswerte, aber schiert zugleich ihre Ziele und Motivatio- auf Grund ihrer Unabhängigkeit für den nen. Als Projektionsfigur konfligierender männlichen Protagonisten tendenziell ge- Begierden und Interessen des Mittelklasse- fährliche Frau, eine femme fatale. Mannes, der sich der Verführung schließ- Femmes fatales repräsentieren weiblich lich wissentlich und freiwillig aussetzt oder konnotierte sexuelle Macht und Ambitio- sie sogar provoziert und mitverschuldet, nen und ökonomische Unabhängigkeit. Sie werden femmes fatales zu Urheberinnen der werden zu Repräsentantinnen der Emanzi- Erosion männlichen Selbstbewusstseins. 130 2 Film noir – Eine Umschrift

Vor diesem Hintergrund sind femmes fata- Vor dem Hintergrund der Macht der fa- les zugleich filmischer Ausdruck männli- talen Frauen des Film noir erscheinen Fa- cher sexueller Ängste. milienmodelle zugleich nur noch als sterile Die visuelle Inszenierung des Film noir und asexuelle patriarchale Zwangsgemein- erhebt sie optisch über die männlichen schaften, in denen alltägliche Routinen Akteure und reflektiert auf diese Weise und Zweckgebundenheit der Rollenvertei- ihre doppelte Natur als Objekt der männli- lungen das bestehende System nur noch chen Begierde und Gefährdung der Vor- mühsam aufrecht erhalten können. Insbe- herrschaft der männlichen Ordnung. Wie sondere traditionelle Rollenzuschreibun- in DOUBLE INDEMNITY wird der den Verlo- gen der Frau als Hausfrau und Mutter im ckungen dieser femme fatale nicht wider- Film noir reflektieren vor dem Hintergrund stehende männliche Akteur zuweilen der aktiven und selbstbestimmten Lebens- selbst zerstört. Und nicht zuletzt wird die weise der femme fatale „immobility and sexuell manipulierende Verführerin am enslavement of the femme attrapée in the Ende zur Rechenschaft gezogen und die domestic economy.“ (Wager 1999: 120) So- patriarchale Ordnung damit zumindest fern Familien im Film noir von Bedeutung formell wiedereingesetzt. sind, degradiert die Inszenierung sie oft- Der filmische Ausdruck männlicher mals zu Karikaturen familiärer Gemein- Entfremdung im Film noir, so Kaplan, hat schaften. Familienkonstruktionen im Film seinen Grund im Übermaß weiblicher Se- noir fungieren nicht länger als glaubwürdi- xualität, die noch bestärkt wird dadurch, ge und verlässlich funktionierende Reprä- dass das integrative patriarchale Modell sentationen sozialer Integration. Allerdings der Familie seinen Stellenwert im Film bedrohen nicht nur femmes fatales von au- noir verloren hat (vgl. Kaplan 1998a: 17). ßen die familiäre Ordnung, auch die auf Die neuen Attribute des Weiblichen im Rollenklischees festgelegten Beziehungen Film noir subvertieren zugleich die Stan- der familiären Akteure – Väter, Mütter und dards der klassischen Texte Hollywoods. Kinder – scheinen im Film noir dysfunktio- Die radikale Verdrängung der Familie als nal. Aber auch der Ausbruch aus dem fami- sozialer Ort des Weiblichen aus den Ge- liären System, oftmals induziert durch das schichten des Film noir formuliert in die- Auftauchen einer femme fatale, endet für ser Hinsicht eine weitere thematische Kri- die Aussteiger oft mit Zerstörung und Tod. tik an den konventionellen semantischen So gesehen sind Familienentwürfe im Film Verdichtungen des Hollywood-Standards. noir keine Antithese zur femme fatale, son- Die Frage, „whether film noir is progressi- dern vielmehr Grund und Nährboden ihrer ve or not“ (ebd.), kann im Hinblick auf die Existenz: Die Konstruktion der Abwesen- Veränderung des Frauenbildes durch den heit eines funktionierenden familiären Ge- Film noir zwar nur im Einzelfall entschie- genmodells zur femme fatale ist zugleich ei- den werden, als Projektionsfigur männ- ner der Gründe dafür, dass die männlichen lich konnotierter Existenzängste und Protagonisten von der Möglichkeit des Triebhaftigkeit offenbart das veränderte Ausstiegs besessen und fasziniert sind, den Bild der Frau aber in beiden Fällen ideolo- insbesondere femmes fatales ihnen sugge- gische Widersprüche innerhalb der zur rieren. Doch auch diese Lösung des Prob- Disposition stehenden symbolischen Ord- lems einer fragwürdig gewordenen sozialen nung des Patriarchats. Auf diese Weise Integration muss – zumindest im Film noir wird die Problematisierung von gender- – scheitern. Diskursen zu einem wichtigen semanti- Elizabeth Cowie hat einschränkend schen Differenzkriterium des Film noir. darauf verwiesen, dass die gegenüber der 2.3 Themen 131

klassischen Erzählung Hollywoods verän- derten Formen der Repräsentation von Weiblichkeit im Film noir nicht aus- schließlich einem entfremdeten und ver- unsicherten männlichen Subjekt im Zent- rum der Erzählung zugerechnet werden können (Cowie 1993). Die von der femi- nistischen Filmwissenschaft favorisierte Annahme eines maskulinen point of view im Film noir, von dem aus die sexuell at- traktive Frau gemäß „patriarchal mecha- nisms of ‚visual pleasure‘“ (Naremore, un- Abb. 79 ter Rekurs auf Mulvey 1998: 221) konstru- iert würde, reduziert die gegenüber dem klassischen Text Hollywoods ungewohn- and schismatic representation of masculi- ten weiblichen Attribute auf den Topos nity“ (Krutnik 1991: 91) kaum tragfähige der femme fatale und übersieht dabei, dass Rückschlüsse auf reale soziale Verhältnis- es weniger der paradox feindselige und be- se ableiten lassen, komme in den filmi- gehrende „male gaze“ (Mulvey 1975: 11) schen Konstruktionen von Männlichkeit auf die erotische und selbstbewusste Frau durchaus „a certain anxiety over the exis- ist, der hier filmisch zum Ausdruck tence and definition of masculinity and kommt, als vielmehr das Fantasieverbot normality“ (Dyer 1998: 115) zum Aus- lustvoller und gefährlicher Sexualität druck. Vor dem Hintergrund einer ange- selbst, das die unheilvolle Wechselwir- nommenen Normalität männlicher Ver- kung von Leidenschaft und Tod in Gang haltensweisen und Denkmuster entspre- setzt und beide Seiten gleichermaßen chen die entwurzelten und zumeist unver- scheitern lässt: „The fantasy of the wo- heirateten Antihelden des Film noir zu- man’s dangerous sexuality is a feminine as mindest nicht denjenigen maskulinen well as masculine fantasy, and its pleasu- Standards, wie sie in der Filmgeschichte res lie precisely in its forbiddenness. To ar- insbesondere in populären Erzählungen gue that it is only patriarchy, or the Pro- wie dem Western oder dem Gangster- duction Code, that requires its punish- film-Genre standardisiert worden sind. ment is to misunderstand that it is the fan- Die im Film noir beobachtbaren Abwei- tasy itself that demands the punishment, chungen von filmischen Konstruktionen for in the punishment the reality of the männlicher Normalität scheinen aller- forbidden wish is acknowledged.“ (Cowie dings typisch für den Thriller der 1940er 1993: 136) Jahre. Erzählungen aus dieser Zeit „tended to center on both male and female charac- ters who were morally flawed, neurotic, or 2.3.4 Formen von Männlichkeit psychological ‚damaged‘“ (Naremore Frank Krutnik hat argumentiert, dass die 1998: 222) und Film noir bestätigt diese Noir-Filme der 1940er Jahre als Repräsen- Entwicklung. Für Naremore funktionali- tationen krisenhafter Verwerfungen einer sieren diese Erzählungen zugleich einen männlich dominierten Kultur infolge des modischen Trend zur filmischen Aufberei- Zweiten Weltkriegs betrachtet werden tung der popularisierten Themenkomplexe können. Obwohl sich aus der vermehrten „modernist ambiguity and psychological filmischen Konstruktion einer „dissonant determinism.“ (Ebd.: 223) 132 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 80 Abb. 80

Insofern generiert die Konstruktion Charakterzügen, insofern er selbst Opfer von Männlichkeit im Film noir einen neu- der herrschenden patriarchalen Verhält- en Männlichkeits-Mythos, der neben den nisse wird. Die filmischen Adaptionen des klassischen heroischen Erzählungen bis in desillusionierten hard-boiled-Helden re- die Gegenwart erfolgreich ist. Ihr Prototyp flektieren zugleich seine thematischen Im- sind die Helden der hard-boiled-novels, die plikationen als Reaktion auf den Verlust machohaften Privatdetektive als soziale Au- tradierter nationaler Mythen und Identi- ßenseiter, wie etwa die oftmals von Hum- täten. Diese Figur ist im Film noir auf die phrey Bogart verkörperten Privatdetektive männlichen Hauptfiguren anderer Genre- (Abb. 79). Diese leiden zuweilen an Amne- figurationen übertragen worden, insbe- sie, womit zugleich der existenzielle Ver- sondere auf Gangster und Polizisten. Als lust einer unwiederbringbar verlorenen narratives Bindeglied zwischen den Haupt- Vergangenheit thematisiert wird. Als un- genres des Film noir fungiert die investiga- abhängige Einzelgänger befinden sie sich tive Erzählung, die zwar unverändert auf häufig in einem Zustand sozialer Entfrem- ein äußeres Ziel gerichtet zu sein scheint, dung und psychischer Desillusionierung. im Ergebnis allerdings der Ermittlung des Die isolierten hard-boiled-Helden lei- eigenen Status in einer unübersichtlich den zugleich unter existenziellen Ängsten, und fremd gewordenen Umwelt dient. arbeiten und wohnen in menschenleeren, dunklen und bedrohlichen städtischen Das verwirrte Subjekt: Subjekt vs. Objekt Umgebungen. Geprägt von der Erfahrung Nicht in allen Films noirs entstand der radikaler Anonymität, verfügen sie trotz zentrale Konflikt der männlichen Hauptfi- oft nur mittelmäßig ausgeprägter Intelli- gur in der Konfrontation mit unabhängi- genz über enormen Sprachwitz. Die fiktive gen Frauen. Unter den immer wieder ge- Realität, in der sie sich bewegen, ist ge- nannten Films noirs der „historischen“ prägt von Verbrechen, Korruption und Phase gab es zahlreiche Produktionen, in Grausamkeiten, woran sie oftmals selbst denen weder eine fatale Frau noch Abwei- beteiligt sind, wie der Versicherungsagent chungen von sexuellen Konventionen Walter Neff (Fred MacMurray) in DOUBLE überhaupt eine Rolle spielen. In Filmen INDEMNITY (Abb. 80) oder der Polizeichef wie THE ASPHALT JUNGLE,KISS ME DEADLY Hank Quinlan () in TOUCH OF oder TOUCH OF EVIL etwa scheitern die pa- EVIL (Abb. 81). Zugleich attributieren die ranoiden, psychotischen, schwachen und Inszenierungsmodi des Film noir den verwirrten männlichen Anti-Helden viel- Noir-Helden immer wieder mit weiblichen mehr an eigenen Wahrnehmungsproble- 2.3 Themen 133

Abb. 82 Abb. 83 men. Neben der Neubewertung weiblicher fangenen seiner Wahnvorstellungen ge- Rollenzuschreibungen unterwandert Film worden ist, ist zugleich unfähig, den noir die Standards des klassischen Holly- selbstgewählten unrechtmäßigen Weg zu wood-Kinos also zugleich dadurch, dass verlassen. Im Film erscheint Quinlan aus die verzweifelten Bemühungen der des- diesem Grund als Figur, die sich auch bild- orientierten Helden, sich gegen die uner- lich nur im Zwielicht bewegt. Ihre Insze- wartet unüberschaubare soziale Umwelt nierung folgt der filmischen Ikonografie zu behaupten, regelmäßig zum Scheitern der Gangsterfigur und nicht derjenigen verurteilt sind. Favorisierte die klassische des rechtschaffenen Gesetzeshüters (Abb. Erzählung eine Semantik ordnungsstiften- 82). Weil er die eigenen Fehler nicht er- der männlicher Allmacht, so destruieren kennen mag, gibt es für ihn kein zurück. die Noir-Erzählungen diese Form männli- Zur Rettung seiner triebhaften Vorstellung cher Identität tiefgreifend. Auslöser dafür lokaler Allmacht scheinen ihm Lüge und ist vor allem die Triebhaftigkeit der Noir- Verbrechen allemal geeignet. In den Charaktere, die über sexuelles Begehren Dienst seiner irrationalen Vorstellungen hinausgreift. gestellt, führen allerdings alle rationalen So versagt beispielsweise in TOUCH OF Bemühungen Quinlans um den Machter- EVIL das vom gewieften Polizeichef Hank halt nur weiter tiefer in die Sackgasse, bis Quinlan selbst jahrelang zum Zweck der Quinlan schließlich vollends die Kontrolle eigenen Machterhaltung eng geflochtene über die Situation verliert. Am Ende, so die Netz aus Abhängigkeiten letztlich seine filmische Symbolik, kann auch Quinlans Dienste, als Untersuchungen in Folge ei- machtvolle triebhafte Natur den Lauf der nes Bombenattentats den Sumpf der Kor- Dinge nicht mehr aufhalten, die Banderil- ruption trocken zu legen drohen. Wie das las stecken bereits im Nacken des bulligen triebhafte Subjekt der Psychoanalyse zir- Quinlan, der Todesstoß ist nur noch eine kuliert auch Quinlan „endlessly around Frage der Zeit (Abb. 83). Die selbstgerechte some fixed point of attraction, immobili- und blindwütige Verteidigung seines ma- zed by its power of fascination“ ( i ek roden korrupten Systems macht den eben- 1993: 222). Seine ganze Kraft und Auf- so intelligenten wie erfinderischen Quin- merksamkeit verwendet er darauf, seinen lan zum Opfer seiner egozentrischen Be- eigenen Weltentwurf gegen den Wider- sessenheit. stand seiner Umwelt durchzusetzen. TOUCH OF EVIL ist symptomatisch für Quinlan, der im Laufe der Zeit das rechte eine semantische Verschiebung der inves- Maß verloren hat und schließlich zum Ge- tigativen Erzählung im Noir-Film. Wäh- 134 2 Film noir – Eine Umschrift

rend das Subjekt in der klassischen Erzäh- das Verhältnis des Subjekts zur Umwelt lung progressiv von Punkt zu Punkt an ein aus der Perspektive des Subjekts – und Ziel gelangt, an dem zugleich die Bedeu- nicht wie in der klassischen Erzählung aus tungen der einzelnen Stationen des Weges der Perspektive einer vorgegebenen Ord- enthüllt werden, kreist das Subjekt der nung. Film noir konstruiert den Unter- Noir-Erzählung um seine eigenen Vorstel- schied von Innen- und Außenperspektive, lungen, auf die es unablässig gedanklich Subjekt und Objekt aus der Sicht einer sub- fixiert bleibt. Der tiefe Riss in der psychi- jektiven Ordnung. Dass diese Perspektivie- schen Struktur der Noir-Akteure ent- rung des Noir-Films im Gegensatz zum springt dem gegenüber herkömmlichen klassischen Erzählfilm stets den pessimis- Erzählungen ins Ungleichgewicht gerate- tischen Nachweis der Dysfunktionalität nen Verhältnis von Objektivität und Sub- des Subjekts erbringt, dem die Umwelt als jektivität. Kaum einmal sind sie auf der Angst erzeugendes Bedrohungsszenario Höhe des Geschehens. Der zunehmende erscheint, markiert eine wichtige themati- Kontrollverlust korrumpiert schließlich sche Vorentscheidung der Noir-Erzählun- ihre Absichten. Im Noir-Film wechseln gen: Die Besetzung der semantischen Leer- Privatdetektive, Gangster, Agenten und stelle des modernen, entfremdeten Sub- Polizisten von der Außenseite auf die In- jekts, wie sie die klassische realistische Er- nenseite der Investigationen, werden zählung hinterlassen hatte. Und so ist es selbst Teil des Verbrechens, des Komplotts wenig verwunderlich, dass etwa psychi- bzw. des Ermittlungsgegenstandes. Die In- sche Verfallsprozesse zu einem der zentra- volvierung der Noir-Akteure in das krimi- len thematischen Motive im Film noir nelle Geschehen folgt nicht länger zuvor- avancieren konnten. Die Austastlücke der derst dem aufklärerischen Intellekt, son- Wahrnehmung, der blinde Fleck der eige- dern wird bestimmt von aktionistischen nen Existenz wird in der schmerzlich-lust- Trieben und irreführenden Instinkten. vollen Selbstdestruktion der Noir-Subjekte Aus diesem Grund stehen und fallen alle nicht nur spürbar, sondern in seinen au- Aktionen des Noir-Subjekts zugleich mit diovisuellen und narrativen Übersetzun- seinem Unvermögen zur Distanzierung gen zugleich sensorisch wahrnehmbar. vom Geschehen, zur angemessenen Beur- teilung der Situationen, mithin von sei- Homosexualität nen rationalen Fähigkeiten. Blieben die Thematische Verschiebungen im Film Protagonisten der klassischen investigati- noir betreffen aber keineswegs ausschließ- ven Erzählung dem Ausgangspunkt des lich das gegenüber dem klassischen Holly- Verbrechens äußerlich – wie z.B. in den wood-Film verschobene Verhältnis von Sherlock-Holmes-Erzählungen –, so wen- Männern und Frauen, sondern auch – det sich also das Blatt im Noir-Film: Die gleichwohl auf Grund von Zensurbestim- Auflösung des festen Beobachterstand- mungen subtiler – die Konstruktion von punktes der klassischen Narration im Homosexualität. Die männlichen Haupt- Noir-Film desavouiert das erzählte Subjekt figuren des Film noir unterscheiden sich als Repräsentanten eines exklusiven Inter- grundlegend von den gewöhnlich ent- preten der Realität. haltsamen Helden des Hollywood-Films. Die filmischen Verfahren des Noir- Sie sind zynisch, schwach, verwirrt, obses- Films verleihen zugleich der Imagination siv, paranoid, sadistisch oder oberfläch- einer als undurchschaubar empfundenen lich, aber niemals homosexuell. Richard Umwelt einen Ausdruck aus der Perspekti- Dyer hat darauf hingewiesen, dass es an- ve des Subjekts. Sie ermitteln gleichsam dererseits eine Reihe männlicher und 2.3 Themen 135

weiblicher homosexueller Figuren im Film noir gibt, die den von der femme fatale do- minierten Bedrohungsdiskurs des patriar- chalen männlichen Selbstverständnisses flankieren. So werden männliche Figuren wie etwa Joel Cairo () in THE MALTESE FALCON beispielsweise durch Hinweise auf eine Parfümierung, die den gesamten Raum durchdringt, durch dis- tinguierte Rede oder Accessoires wie Handschuhe – also durch kulturelle Codes – weiblich attributiert (Abb. 84). Ander- Abb. 84 erseits gewährt ihnen ihre intermediäre sexuelle Position – weder Mann noch Frau kulinität und Normalität. Der zumeist un- – eine Nähe zu Frauen, die dem Noir-Hel- verheiratete, allein lebende und ge- den nicht möglich ist und für ihn deswe- schichtslose Einzelgänger im Film noir gen zur zusätzlichen Bedrohung wird. verfügt entsprechend über vergleichswei- Dyer betont die oberflächlichen Qualitä- se begrenzte Standards männlicher Ver- ten dieser „exaggeration or parody of fe- haltenskonventionen, hat einen schwa- minity“ (Dyer 1998: 125), deren Affront chen Charakter, eine starke Bindung an gegen das konventionelle Männlichkeits- andere Männer (wie etwa Walter Neff zu bild gerade auch darin besteht, dass der Barton Keyes in DOUBLE INDEMNITY, Abb. gesamte wahrnehmbare Raum der Noir- 38) und verwickelt sich in masochistische Helden von den Insignien des Weiblichen Liebesaffären. Alles in allem ist es der infiziert erscheint. Aspekt sexualisierter, übertriebener Analog dazu figurieren „butch lesbi- Weiblichkeit, der das traditionelle patri- ans“ (Dyer 1998: 127), die sich ge- archale Männlichkeitsprinzip nachhaltig schlechtsspezifischer, traditionell männ- stört. Filme wie (1997, lich codierter Symbole bedienen, als weib- Quentin Tarantino), THE LAST SEDUCTION liches Komplement in der Konstruktion (1993, John Dahl) oder ROMEO IS BLEE- von Homosexualität im Film noir und ver- DING (1993, Peter Medak) überführen die- stärken damit die Bedrohung, die von ei- sen Diskurs des klassischen Film noir in ner die bisherigen Normen negierenden die Gegenwart. Weiblichkeit für die männliche Hauptfi- gur im Film noir ausgeht. Wo der subversi- ve Konnex von homosexuellem Mann Abb. 85 und fataler Frau ein bedrohlich neues Bild der Weiblichkeit entwirft, destruiert die männlich attributierte lesbische Frauenfi- gur das traditionelle weibliche Prinzip an sich: „In short, queers of both sexes, but in different ways, emphasize excessive, un- domesticated feminity as a problem and source of anxiety for the hero.“ (Ebd.) Die Thematisierung der Krise des Männlichen im Film noir ist Folge des weitgehend ungeklärten Status von Mas- 136 2 Film noir – Eine Umschrift

2.3.5 Gegenwart adoleszenter junger Mann aus der spießi- gen Nachbarschaft wie in BLUE VELVET Beobachtet man die Themen des zeitge- (1995, David Lynch), als enthüllender Ra- nössischen Noir-Films, so lassen sich ins- dioreporter wie in BLOW OUT (1981, Brian besondere Repräsentationen von Fremd- de Palma), als düpierter Arzt wie in FRAN- heit, von omnipräsenter Bedrohung und TIC (1987, Roman Polanski) oder als Spiel- Gefährdung, des Verlustes von Virilität figur in einem existenziellen adventure- zugleich mit dem Anheben feministischer game wie in THE GAME (1997, David Fin- Fragestellungen und der Korruption und cher). Erosion sozialer und politischer Verhält- Im Gegenwartsfilm finden sich Topoi nisse nachweisen. Wie der historische des Noir-Films auch vermehrt in Roadmo- Film noir scheint auch der zeitgenössische vie-Erzählungen wie KALIFORNIA (1992, Noir-Film durchaus geeignet, sich thema- Dominic Sena), BREAKDOWN (1997, Jonat- tisch mit den Infragestellungen gesell- han Mostow), DELUSION (1990, Carl Col- schaftlicher und individueller Ordnungs- paert) oder THELMA &LOUISE (1991, Ridley systeme jeglicher Art zu befassen. Unver- Scott), in denen zumeist Paare in tödliche ändert dominieren deswegen auch im Gefahr geraten. Doch nicht nur Paarbezie- zeitgenössischen Noir-Film Zerfalls-, Be- hungen, auch familiäre Beziehungen und drohungs- bzw. Verbrechenserzählungen. das konventionelle Bild der Familie gerät Zumeist sind es investigative Erzählun- im zeitgenössischen Noir-Film in den the- gen, in denen Stilisierungen des Noir- matischen Fokus. Wich im frühen Film Films auf audiovisueller und erzähleri- noir die Familie der „destructive passion“ scher Ebene Verwendung finden. So fin- (Harvey 1998: 45) unterkühlter Mann- den sich Noir-Ästhetiken häufig in Poli- Frau- oder latent homoerotischer Mann- zeifilmen – etwa BLUE STEEL (1989, Kath- Mann-Beziehungen, so wird sie im zeitge- ryn Bigelow), JENNIFER EIGHT (1991, Bruce nössischen Noir-Film vermehrt zum Sujet Robinson), YEAR OF THE DRAGON (1985, der Destruktion der Institution selbst: In Michael Cimino), BLACK RAIN (1989, Rid- CAPE FEAR (1991, Martin Scorsese) gewinnt ley Scott), ROMEO IS BLEEDING (1993, Peter die schuldvolle Vergangenheit des Vaters Medak), (1996, Lee Ta- in Form des zurückgekehrten Racheengels mahori) oder FORBRYDELSENS ELEMENT Max Cady Macht über die Familie, für die (1984, Lars von Trier) – und Gangsterfil- die Vaterfigur letztlich keine Schutzfunkti- men – z.B. RESERVOIR DOGS (1991, Quen- on mehr übernehmen kann; in FATAL AT- tin Tarantino), THE KRAYS (1990, Peter Me- TRACTION (1987, Adrian Lyne) versucht dak), THE GRIFTERS (1990, ), eine aggressive femme fatale ihren An- KING OF NEW YORK (1990, Abel Ferrara), spruch auf den Mann, der sich von ihr ver- KISS OF DEATH (1994, Barbet Schroeder) führen ließ, mit Gewalt durchzusetzen oder HOUSE OF GAMES (1987, David Ma- und wird am Ende von der Ehefrau er- met) –, während Filme mit der zentralen schossen; FALLING DOWN (1992, Joel Schu- Figur des berufsmäßigen Detektivs wie macher) schildert den gewalttätigen Aus- ANGEL HEART (1986, ), THE bruch eines Familienvaters, der sich gegen TWO JAKES (1989, Jack Nicholson) oder die Zumutungen seiner Umwelt mit radi- SHATTERED (1991, Wolfgang Petersen) im kaler Gewalt zur Wehr setzt und dabei zeitgenössischen Noir-Film vergleichswei- schließlich seine Familie und sein Leben se selten sind. Die Figur des Detektivs tritt verliert; oder SE7EN (1995, David Fincher), im jüngeren Noir-Film vermehrt in abge- in dem familiäre Strukturen auf verschie- wandelter Form in Erscheinung, etwa als denen Ebenen zum Bestandteil des perfi- 2.3 Themen 137

den Plans eines bösen Genius werden. rung von Motivation und Effekt im zeitge- Und zumeist sind es männliche Charakte- nössischen Noir-Film. Der Tendenz zur re, die dem Druck der Umwelt nicht mehr Thematisierung des Tötens als existen- standhalten, einem malin génie nicht nur ziellste Bedrohung, die von einem Indivi- psychologisch, sondern auch intellektuell duum für die Umwelt ausgehen kann, kor- unterlegen sind. reliert die Inversion dieses Motivs: Zu den Damit eng verbunden stellt sich Para- Erweiterungen des thematischen Spek- noia überall dort ein, wo zunächst vertrau- trums des Noir-Films zählen fiktive filmi- te Beziehungen und Regelbeherrschung sche Portraits und Milieustudien wie THE anfangs zwar Sicherheit zu garantieren DRIVER (1978, Walter Hill), BARFLY (1987), scheinen, die sich dann aber sukzessive in LEAVING LAS VEGAS (1995, Mike Figgis), ihr Gegenteil verwandelt. Individuelle LITTLE ODESSA (1994, James Gray) oder und kollektive Paranoia erscheinen dann BAD LIEUTENANT (1992, Abel Ferrara), in zumeist als pathologischer Ausdruck des denen die gewaltsame Selbstdestruktion Kontrollverlustes der männlichen Prota- an der eigenen Existenz scheiternder, ma- gonisten wie etwa in nischer Individuen thematisiert wird. In (1999, ), wo der scheinbar Noir-Science-Fiction-Filmen dagegen ge- unbescholtene Nachbar zum Terroristen raten andere Bedrohungsmechanismen in mutiert, in BRINGING OUT THE DEAD (1999, den thematischen Fokus. Bereits in ALPHA- Martin Scorsese), in dem ein Rettungssani- VILLE wurden Verfahren des Noir-Films für täter unter dem Eindruck des Elends in der einen filmischen Zukunftsentwurf ver- Stadt Wahnvorstellungen entwickelt, in wendet, spätestens seit BLADE RUNNER aber BODY SNATCHERS (1992, Abel Ferrara), in thematisieren futuristische Noir-Filme wie dem ohne Wissen der Hauptfigur plötzlich THE TERMINATOR I und II (1984 und 1990, ein anderes Regime die Kontrolle über die ), STRANGE DAYS (1994, Ka- Gesellschaft übernommen hat, oder FIGHT thryn Bigelow), NIRVANA (1996, Gabriele CLUB (1999, David Fincher), in dem die Salvatores), GATTACA (1997, Andrew Nic- materielle Sicherheit zum Identitätsprob- col), DARK CITY (1997, Alex Proyas) oder lem des postmaterialistischen Individu- THE MATRIX (1999, Larry und Andy Wa- ums wird, das über sich selbst erneut die chowski) regelmäßig bedrohliche Zu- Kontrolle erlangen muss. Als Ausdruck to- kunftsszenarios der Bio- oder Computer- taler Kontrolle über Leben und Tod er- technologie. Und erst die ästhetische und scheint auf der anderen Seite das berufs- narrative Noir-Methodik verleiht diesen mäßige Töten von Auftragsmördern wie in Filmen eine expressive Qualität, einen NIKITA (1989, Luc Besson), PULP FICTION subjektivierenden point of view. (1993, Quentin Tarantino) oder LAST MAN STANDING (1995, Walter Hill). Als groteske Überzeichnung der professionellen Praxis 2.3.6 Männer-Bilder im des Tötens thematisiert das rationalisierte zeitgenössischen Noir-Film Morden von Serienmördern – wie in THE HITCHER (1985, Robert Harmon), MAN- Keine Gnade für böse Polizisten – HUNTER (1986, Michael Mann), THE SILEN- BAD LIEUTENANT CE OF THE LAMBS (1990, Jonathan Demme), Nur noch als „Lt.“ wie Lieutenant wird der HENRY –PORTRAIT OF A SERIAL KILLER (1986, von Harvey Keitel gespielte namenlose John McNaughton) oder COPYCAT (1995, New Yorker Drogenfahnder in BAD LIEUTE- Jon Amiel) – die Entwertung des Opfers NANT (1992, Abel Ferrara) bezeichnet. Die und zugleich eine Tendenz zur Distanzie- Kamera begleitet seine Aktionen mal sta- 138 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 86 Abb. 87 tisch distanziert, dann wieder ganz kon- zum einzigen visuellen Bezugspunkt stili- ventionell gemäß der realistischen Tradi- sierten Hauptfigur. Das kontrastive Ver- tion und schließlich, wenn die Handlung fahren äußerster Distanznahme und radi- in Häuser und Innenräume verlagert wird, kaler Subjektivierung anverwandelt die fil- subjektiviert eine hektische Handkamera mische Wahrnehmung dem Delirium des das Geschehen. In der Emotionalisierung Anti-Helden und konstruiert zugleich ei- der Bilder durch das visuell stilisierte nen Ausdruck äußerster Zerrissenheit der Wechselspiel von lethargischer Teil- drogenabhängigen Hauptfigur, die dem nahmslosigkeit, kurzzeitigem Interesse an selbst geschaffenen kriminellen Kreislauf realen Verhältnissen und schließlich ner- aus Drogenkonsum und Geldbeschaffung vöser Desorientierung werden die menta- nicht mehr entrinnen kann. len Zustände der Hauptfigur bildlich über- Zugleich wird die Stadt zum Ort des setzt. Die Inszenierungsstrategie erzeugt Unheils, dessen Verursacher der Lieute- durch die emotionale Bewegung zwischen nant ebenso ist wie sein Opfer. Das allge- sperriger Sachlichkeit (Abb. 86) und hys- genwärtige Chaos aus Mord und Tot- terischer Expressivität (Abb. 87) einen be- schlag, Betrug, Verrat, Drogenhandel, unruhigenden Effekt und. Zu keinem Zeit- Spielsucht und Erpressung macht es un- punkt macht der Film Angebote zur neut- möglich, Ursachen und Wirkungen aus- ralen Beobachtung. Pathetisch aufgelade- einander zu halten. Und ebenso ver- ne Bilder und Wahnvorstellungen wech- schlungen sind die Wege zum Verbrechen: seln sich ab mit nüchternen Aufnahmen, Dreckige graue Gassen münden in dunkle die an Bildertraditionen der Neuen Sach- Treppenhäuser, die in klaustrophobisch lichkeit oder des Neorealismus erinnern. enge Räume führen, in denen Gewalt und Unvermittelt stehen etwa neben einer im Verbrechen zu Hause sind. Neben der er- Stil von Musikvideoclips gestalteten Ver- schwerten räumlichen Orientierung in gewaltigungssequenz ruhige Bilder der fa- den unübersichtlichen Orten der Stadt miliären Umgebung der Hauptfigur. scheinen auch zeitliche Zuordnungen Im Gestus der Improvisation konstru- fraglich. Extreme Dunkelheit und blen- ieren Montage und mise en scène eine be- dende Helligkeit wechseln in unregelmä- drohlich-fragile Umgebung, in der es kein ßigen Intervallen, nur manchmal unter- räumliches Zentrum zu geben scheint. Die brochen von Passagen realistischer Be- labile Handkamera auf Höhe des Lieute- leuchtung. Tages- und Nachtgrenzen zer- nant visualisiert nicht nur den Verlust sei- fließen, die Handlungen haben sich vom nes inneren und äußeren Gleichgewichts, konventionellen Rhythmus des Alltags ge- sie dokumentiert zugleich die Instabilität löst: Drogenmissbrauch, Rausch, Spiel- der Situation und die Desorientierung der sucht, Kinder zur Schule bringen, Ermitt- 2.3 Themen 139

nur noch an der Peripherie der Wahrneh- mung erkennbar werden, ständig unter- brochen von den kriminellen Machen- schaften des Lieutenant oder Besuchen bei einer drogenabhängigen Freundin. Während der Drogenséancen wird die Selbstdestruktion des Individuums zu- gleich als Exzess des Körpers stilisiert. Nackt, mit ausgebreiteten Armen und un- artikulierte Laute äußernd zelebriert der Lieutenant seinen eigenen Kreuzweg (Abb. 89). Die christliche Ikonographie des ge- schundenen Körpers verweist zugleich auf die radikale Abwesenheit einer übergeord- neten moralischen Instanz. Die groteske Pose des Lieutenant wird Ausdruck der In- version des messianischen Heilsverspre- chens: schuldhafte Verstrickung anstatt befreiender Erlösung, irdische Erniedri- gung statt göttlicher Erhöhung. Der zur Schau gestellte Körper und die theatra- lisch-lasziven, spasmischen Bewegungen machen seine Selbsterniedrigung und -zer- störung wahrnehmbar. Der nackte Körper des Lieutenant wird Ausdruck seiner men- talen Verfassung, ein Exponat existenziel- ler Verwüstung. Die wahrnehmbare psy- Abb. 88.1–3 chische und physische Agonie des männli- chen Subjekts wird zugleich zur visuellen lungen oder Verbrechen finden in beliebi- Metapher des männlichen Körpers als ger temporaler Abfolge statt. Keine struk- „Schlachtfeld der Zivilisation“ (Lueken turierend wirkende soziale Ordnung gibt 1993: 31). Doch wie üblich im Noir-Film, den Takt der Aktionen und Ereignisse vor, scheitert der männliche Protagonist nur sondern die unbeständige Handlungs- an sich selbst, an seiner eigenen desolaten orientierung der Hauptfigur (Abb. 88.1–3). Verfassung. Er selbst bereitet den Nährbo- Das audiovisuelle Arrangement und die den seiner eigenen soziokulturellen Dys- fragmentarische Struktur der Erzählung funktionalität und er selbst ist es auch, der reflektiert ihre zeitliche, räumliche und Abb. 89 logische Desorientierung. Wie im „histori- schen“ Film noir wird die auf die Hauptfi- gur gerichtete subjektivierte Perspektive Zentrum der filmischen Wahrnehmung. Vor diesem Hintergrund erscheinen zu- gleich alle sozialen Beziehungen nur noch relativ zur selektiven Aufmerksamkeit des narrativen Zentrums. Und so verwundert es nicht, dass auch familiäre Beziehungen 140 2 Film noir – Eine Umschrift

Existenz, das Fehlen jeder Utopie äußert sich in seinen bloß situativ motivierten Handlungen, die verzweifelt darum be- müht sind, die Phantasmagorie eines selbstbestimmten Lebens aufrecht zu er- halten. Die Bilder erfassen das alltägliche Verbrechen, deren Aufklärung eigentlich Beruf des Lieutenant ist, nur noch flüch- tig. Doch Gewalt und Verbrechen interes- Abb. 90 sieren den Lieutenant kaum mehr, zu sehr sich betrügt, sich selbst im Wege steht und ist er selbst darin verstrickt und auf die ei- ein Rätsel bleibt, das zu lösen er nicht in gene Vorteilsnahme bedacht. Spielen reli- der Lage ist. Seine gleichermaßen Verletz- giöse Konnotation des Sündenfalls des barkeit suggerierende wie provozierende Helden und dessen schmerzvolles Sünden- Nacktheit wirkt ebenso befremdlich, wie bekenntnis – wie etwa in DOUBLE INDEMNI- seine Sexualität erratisch bleibt. Seine Be- TY – im Noir-Film von Anbeginn eine ziehung zu Frauen scheint nachhaltig ge- wichtige Rolle, so wird die christlich-ka- stört. Gleich zu Beginn erfasst sein voyeu- tholische Heilslehre in BAD LIEUTENANT ristischer Blick die (bekleideten) Brüste ganz direkt zur semantischen Folie der fa- zweier Mordopfer; der Familie bleibt er in talen investigativen Reise in die eigene der Rolle der Vaterfigur eher äußerlich; psychische Befindlichkeit der Hauptfigur. und die Beziehung zu seiner Freundin ba- Das schmerzhafte Fegefeuer der Selbster- siert einzig auf gemeinsamem Drogen- kenntnis erreicht den Lieutenant, als er missbrauch. Nicht zuletzt gerät sexueller den Fall einer vergewaltigten Nonne über- Lustgewinn zur zynischen Farce: Eines nimmt. Konfrontiert mit den christlichen nachts hält der Lieutenant zwei junge Motiven Nächstenliebe und Vergebung of- Frauen an und zwingt sie mitanzuschau- fenbart sich dem Lieutenant der existen- en, wie er vor ihrem Wagen masturbiert zielle Widerspruch seiner Identität. Seine (Abb. 90). Die ebenso misogyne wie inzes- verzweifelte Anstrengung, es der Ordens- tuöse Perversion des male gaze der miss- frau gleichzutun und den Tätern zu verge- brauchenden Vaterfigur verschafft ihr ben, um dadurch vom Leiden an sich dennoch keine Macht mehr über das miss- selbst erlöst zu werden, ist nur das Vorspiel brauchte Objekt. Die obszöne Handlung für seine unvermittelte und wie beiläufig läuft ins Leere, die Umwelt schaut nur inszenierte Exekution vor den Eingängen noch verständnislos und angewidert den eines Einkaufszentrums (Abb. 91). Aus ebenso verzweifelten wie lächerlichen An- großer Distanz zeigt die Kamera von der strengungen des sich selbst ruinierenden gegenüberliegenden Straßenseite das Auto Subjekts und seinem entfremdeten Um- des Lieutenant, als ein weiteres Auto ne- gang mit den eigenen Gefühlen und Trie- ben ihm anhält, ein paar Worte gespro- ben zu. chen werden und die Ermordung nur Der Polizist als Verbrecher unter Ver- durch den Schuss auf der Tonspur wahr- brechern subvertiert zugleich die ord- nehmbar wird. Der Exzess des männlichen nungsstiftende Funktion der Genrefigur. Ego findet hier sein würdeloses und zu- Der Lieutenant verfügt weder über ethi- gleich erlösendes Ende. sche Maßstäbe noch über Ambitionen, Erinnern weite Teile des Films an die eine kollektive Ordnung zu garantieren. Hoffnungslosigkeit in den MEAN STREETS Das vegetative Moment definiert seine New Yorks, so führt BAD LIEUTENANT ande- 2.3 Themen 141

rerseits die gleichsam „alttestamentari- sche Mission“ Travis Bickles (Robert de Niro) in TAXI DRIVER mit den Mitteln des neuen Testaments fort – Vergebung und Nächstenliebe anstelle „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Dieses Erlösungsmodell findet sein Ende im gewaltsamen Tod. Der Grund dafür liegt im existenziellen Miss- verständnis des Individuums begründet, Abb. 91 das nicht erkennt, dass die scheinbare Fehlfunktion der Umwelt nur auf einen sen Bilder verdichten die psychische Be- grundlegenden Defekt der eigenen Sub- findlichkeit des Lieutenant zu einem Bild jektkonstitution zurückzuführen ist. We- ausweglosen psychischen Ungleichge- der Travis Bickle, der sich in TAXI DRIVER wichts. Wie die Zusammenfassung einer die korrupte und dekadente Gesellschaft psychologischen Analyse klingt vor die- imaginiert, noch der Lieutenant, der zu- sem Hintergrund schließlich der Filmtitel gleich Profiteur und (Re-)Produzent seiner BAD LIEUTENANT – ein zutiefst pessimis- Umwelt ist, erreichen jemals das reflexive tisch stimmender Befund, der die existen- Niveau, das notwendig wäre, um zumin- zielle Wertlosigkeit des desperaten Polizis- dest wahrzunehmen, dass sie nicht erken- ten, Familienvaters, Drogenabhängigen nen können, was sie nicht erkennen kön- und Einzelgängers nicht verleugnet. nen. Das Scheitern der Hauptfiguren am Problem der Selbstbeobachtung ist unver- Die Ungnade der späten Geburt – mindert zentrales semantisches Moment FIGHT CLUB des Noir-Films. Vor diesem Hintergrund Zu einer anderen Beurteilung des existen- erscheint der Schlusssatz auf dem Werbe- ziellen Dilemmas moderner männlicher banner – „It all happens here“ – wie ein Identität kommt FIGHT CLUB (1999, David letzter zynischer Hinweis auf die Unhin- Fincher), obwohl das Resultat gleicherma- tergehbarkeit der Realität der eigenen Le- ßen beunruhigend wirkt. Gleich zu Be- benswelt und die Unvermeidbarkeit des ginn macht der auf dem gleichnamigen Scheiterns metaphysischer Begründungs- Roman von Chuck Palahniuk basierende versuche. Zugleich erinnert BAD LIEUTE- Film mit einer langen, sich rückwärts be- NANT damit an den ebenso zynischen wegenden Kamerafahrt durch die Gan- Kommentar auf einer Leuchtreklame in glien der Hauptfigur direkt in die Mün- SCARFACE (1932, Howard Hawks), nach- dung des im Mund der Hauptfigur befind- dem Tony „Scarface“ Camonte (Paul lichen Laufs eines Revolvers deutlich, dass Muni) von den Maschinengewehrsalven hier etwas Inneres nach Außen geholt der Polizei brutal zur Strecke gebracht wird und auf diese Weise eine abstrakte wird: „The World is Yours“. Die visuelle Idee zur Realität des Films verdichtet wird: Entwertung der ermordeten Hauptfigur FIGHT CLUB ist eine filmische Kopfgeburt wird durch die nachträgliche Verhöhnung (Abb. 92). Audiovisuelle Repräsentationen durch die symbolische Ordnung (der Spra- der psychischen Verfasstheit der Hauptfi- che) noch verstärkt. gur Jack strukturieren fortan die Bilder, Kurzum: In BAD LIEUTENANT struktu- während die Erzählstruktur seiner Be- riert der neurotische Charakter der Haupt- wusstseinsspaltung und Amnesie formal figur die Erzählung. Sowohl die fragmen- Ausdruck verleiht. Am anderen Ende des tarische Erzählstruktur als auch die nervö- Revolvers befindet sich Jacks Alter ego Ty- 142 2 Film noir – Eine Umschrift

wieder auf die Künstlichkeit des Arrange- ments hin. So etwa, wenn Jack von Tyler Durdens Nebenbeschäftigung als Filmvor- führer berichtet und dabei direkt in die Ka- mera blickt, so auch wenn er erzählt, wie sein Alter ego Tyler Durden Hardcore-Sze- nen in Kinderfilme montiert oder auf so Abb. 92 genannte „Brandlöcher“ (Abb. 93) im Bildmaterial zeigt, die bevorstehende Um- ler Durden. Gelesen als Produkt des digita- schnitte am Bildrand ankündigen – eine len Bilderflusses des Vorspanns (der die logische Unmöglichkeit, da er realistischer- Leserichtung vorgibt), erscheint Tyler weise selbst Bestandteil desselben Filmbil- Durden gleich zu Beginn als kalkulierter des ist. Darüber hinaus erzeugen einmon- filmischer deus ex capite bzw. als filmi- tierte Einzelbilder von Tyler Durden subli- sche Expression von Jacks Phantasmago- minale Effekte, die ebenfalls die Konven- rie. Die angesichts der tödlichen Bedro- tionen realistischen Erzählens subvertie- hung seltsam unerregte voice-over-Stimme ren. Die tendenziell antirealistische narra- der Hauptfigur leitet umgehend über zu tive Auflösung des ersten Teils geht einer rahmenden Rückblendenerzählung, schließlich über in eine sich zunehmend in der retrospektiv die Geschichte erzählt expressiv verdichtende Erzählung der Ein- wird, die zu der abstrusen und bedrohli- richtung und Institutionalisierung des chen Eingangsszenerie geführt hat: ans- „Fight Clubs“. Die Standortverschiebung wers first, questions later. Und auch der aus- des Erzählers von der ungeordneten Such- lösende Moment wird benannt, eine Frau, bewegung des Anfangs zur selbstdiszipli- Marla, so die Stimme, sei verantwortlich nierenden Identitätsfindung reflektiert für die Revolution, die sich in vollem zugleich die Veränderungen der psychi- Gange befinde, inmitten von Hochhäu- schen Verfassung der schizophrenen Haupt- sern in einer anonymen Stadt, in der per- figur. manente Dunkelheit herrscht. Die narrativ motivierte Verdopplung Zahlreiche selbstreflexive Strategien der Figur Jack verstößt zugleich gegen eine im ersten Drittel des Films weisen immer essenzielle Bedingung des narrativen Ki-

Abb. 93 2.3 Themen 143

Abb. 94 nos: die Konvention psychologischer Ein- sierten Zivilisation als existenzielles Prob- deutigkeit als Index für die physikalische lem des männlichen Individuums. Der Korrektheit der repräsentierten Welt. Die modernistische Lebensstil der konsum- Aufspaltung erinnert an die von Borde orientierten neuen Einfachheit, der Indi- und Chaumeton nahegelegte Verbindung vidualität nur noch an den modischen des Film noir mit der surrealistischen Tra- Oberflächenqualitäten eines urbanisierten dition und insbesondere an Luis Buñuels Lebens bemisst, repräsentiert für Jack zu- Experiment mit der doppelten Besetzung gleich die Ideologie einer sozialen Ord- der Rolle der Conchita in CET OBSCUR OB- nung, in der die Überversorgung das JET DU DÉSIR (1977, Luis Buñuel) durch Ca- männliche Individuum verweiblicht und role Bouquet und Angela Molina. Doch so sein männliches Selbstverständnis des- was Buñuel dazu diente, die Widersprüch- avouiert. Jacks sarkastischer voice-over- lichkeit und Rätselhaftigkeit der von der Kommentar denunziert sein eigenes, wohl männlichen Hauptfigur begehrten weibli- versorgtes aber ödes und stromlinienför- chen Figur auch sinnlich erfahrbar zu ma- miges Angestelltendasein und erzählt von chen, wird in FIGHT CLUB narrativer Aus- einem Leben gemäß den Vorgaben der druck des psychischen Defekts der Erzäh- bunten Werbeprospekte (Abb. 94), in de- linstanz selbst. Der voice-over-Erzähler er- nen sogar Möbel Namen tragen und damit zählt sich selbst und bringt sich damit un- über eine ausgeprägtere Identität zu verfü- aufhörlich selbst hervor. Der narrative Zir- gen scheinen als ihre Käufer. In dieser Um- kelschluss lässt keine andere Perspektive gebung ist selbst der Tod nur noch als Ver- zu als diejenige Jacks, die Diegese wird sicherungsfall denkbar. zum Ausdruck eines solipsistischen Ein- FIGHT CLUB thematisiert in Jacks Rekla- schlusses. mation einer temps perdu männlicher Sub- Die durch Jacks Wahrnehmung gefil- jektivität eine vergangene, aber imaginäre terte, subjektivierte Erzählung themati- Ära ungebrochener Maskulinität. Den exis- siert materielle Sättigungseffekte der Kon- tenziell bedrohlichen Mangel an männli- sumentenkultur und stilisiert den uner- cher Selbstbestimmung führt Jack aka Ty- bittliche Zwang zum lifestyle und die un- ler Durden zugleich auf das Fehlen eines endliche Wiederholung der Rituale einer teleologischen Geschichtsbildes zurück: vollkommen marktkonformen industriali- „We are the middle children of history 144 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 95 Abb. 96 with no purpose or place. We have no great Selbsthilfegruppensitzungen, die Jack re- war, no great depression.“ Bar jeder utopi- gelmäßig besucht, schließlich Oberhand. schen Vision – die im Rausch des Konsums Marla wird zum narrativen Scharnier zwi- gewissermaßen bereits dekadente Gegen- schen Jacks Konsum-, d.h. Lebensmüdig- wart geworden ist – wird die auch politi- keit und seinem „Neuanfang“ – als gespal- sche Entgrenzung der Marktwirtschaft tene Persönlichkeit. Wie Jack konsumiert von Jack nicht länger als Sieg wahrgenom- Marla die modischen Massentherapien der men, sondern Auslöser seiner nostalgisie- Selbsthilfegruppen und wie er flaniert sie renden Rückbesinnung auf eine Vergan- apathisch durch diese bizarre Welt des genheit, die für ihn die Zukunft bedeutet. kontrolliert zelebrierten Schmerzes. Doch Der Film problematisiert die Entfrem- ihre kühle Erotik und distanzierende Hal- dung männlicher Identität in der Waren- tung macht sie für Jack unerreichbar und kultur zunächst durch die Gegenüberstel- damit zugleich zum neuen Objekt der Be- lung zweier radikalisierter Lösungsmodel- gierde. Die Inszenierung übersetzt dies in le zur Kanalisation der gewissermaßen wa- die Ikonografie des Vamp (Abb. 95) und in renförmig unterdrückten männlichen Li- Bilderstrategien der Mode- und Werbefo- bido: der Wunsch, zu sterben (Flugzeugab- tografie (Abb. 96). Marla wird Jacks trau- sturz, Selbsthilfegruppen, Autofahrt) und matische Frau, seine femme fatale, deren der Wunsch, von vorne zu beginnen (im symbolische Unterwerfung zum Movens „Fight Club“). Letzterer gewinnt nach der Handlung wird. dem Auftauchen der geheimnisvollen Jacks Leiden an der eigenen männli- Marla während einer der therapeutischen chen Identität und maskulinen Wertigkeit

Abb. 97 2.3 Themen 145

werden in FIGHT CLUB durch das Auftau- chen der virilen Doppelgängerfigur Tyler Durden (Abb. 97) an der narrativen Ober- fläche objektiviert. Tyler Durden verfügt über all die Eigenschaften, die Jacks realer Existenz fehlen: ein attraktives Äußeres, Sprachwitz, rasche Auffassungsgabe, ener- gischer Tatendrang, überproportionale se- xuelle Potenz sowie finanzielle und soziale Unabhängigkeit. Soziale Verantwortung bedeutet dem auf radikale Verwirklichung des eigenen Egos festgelegten Tyler Dur- den nichts. Unterstrichen wird die spiegel- bildliche Anordnung der beiden Figuren durch die Besetzung der beiden Rollen mit dem feminisierten Edward Norton als Jack und der die maskuline Physiognomie be- tonenden Präsenz Brad Pitts als Tyler Dur- den. In Tyler Durdens Figur kündigt sich das Rehabilitationsprogramm des Männ- lichkeitsmythos an, welches später im „Fight Club“ in die handfeste Tat umge- setzt wird. Abb. 98.1–3 Jacks psychischer Regress manifestiert sich im Rückzug auf das archaische Identi- 3). Der „Fight Club“ füllt Jacks existenziel- tätsfindungsprogramm des Faustkampfes le Lücke mit der Errichtung einer neuen ‚Mann gegen Mann‘ als psychotischer männlichen Ordnung, in der die Affirma- Ausbruchsversuch aus der massenkulturel- tion des Schmerzes Jacks männliches Ego len Umklammerung. Andererseits bedeu- zugleich von seiner seelischen Qual be- tet die Institutionalisierung der martiali- freit, in der Warengesellschaft nicht es schen Veranstaltung neben der konsumie- selbst sein zu dürfen und von ihr „bemut- renden Sozietät zugleich die unheilvolle tert“ zu werden. Verheißung einer zur Utopie umgedeute- Der hohe Grad an Organisation der ten vollkommenen Hinwendung zum Ba- konspirativen Männerversammlung, die nalen: Jack entdeckt seinen eigenen Kör- sich regelmäßig zum Zweck gegenseitigen per als Gegenstand, auf den die warenför- Zufügens körperlich erfahrbaren Schmer- mige Verwertungslogik nicht völlig hat zes an dunklen Orten trifft, unterstreicht durchgreifen können. Jacks konsumindu- zugleich die Entschlossenheit zur kulturel- ziertes Körper-Seele-Zerfallsproblem wird len Alternative. Und weil die andere (weib- im „Fight Club“ durch die systematische liche) Ordnung im „Fight Club“ keine Misshandlung des eigenen Körper gelöst. Gültigkeit hat, geben Jack und Tyler Dur- Dem durch Reaktivierung archaischer den dem „Fight Club“ ein eigenes Regel- Männlichkeits(wahn)vorstellungen wie- werk, das an die zehn Gebote erinnert dererstarkten maskulinen Ego gelten die („The first rule of fight club is: you don’t Narben auf dem Leib und die sichtbaren talk about fight club. The second rule of Verletzungen als Ausweis des zurückge- fight club is: you don’t talk about fight wonnenen Selbstbewusstseins (Abb. 98.1– club. The third rule of fight club is: when 146 2 Film noir – Eine Umschrift

someone says ‚stop‘ or goes limp, the fight als „what Molly Haskell has called the is over. Fourth rule is: only two guys to a ‚buddy movie‘, in which the active homo- fight. Fifth rule: one fight at a time. Sixth sexual eroticism of the central male figures rule: no shirts, no shoes. Seventh rule: can carry the story without distraction“ fights go on as long as they have to. And (Mulvey 1975: 11). Da die Figurenkonstel- the eighth and final rule: if this is your first lation in FIGHT CLUB allerdings auf der nar- night at fight club, you have to fight.“). rativen Konstruktion der Persönlichkeits- Ironischerweise bereitet die Waren produ- spaltung der Hauptfigur beruht, ist es rich- zierende Monokultur, in der „everything’s tigerweise Jacks Narzissmus, der in diesem a copy of a copy of a copy“ ist, wie Jack ein- Fall homoerotisch aufgeladen erscheint. mal sagt, sich selbst – in dunklen unterir- Die Narration entfaltet Jacks Persön- dischen Räumen, Parkhäusern und Kauf- lichkeitsspaltung als Versteckspiel mit ei- hauskellern – den Nährboden für Rituale ner dividuellen Identität. Anders als in und Mythen, die letztlich den eigenen Be- LOST HIGHWAY, in dem die Form des Films stand gefährden. In diesem Zusammen- die Schizophrenie seiner Hauptfigur reprä- hang werden schließlich Gewalt und Ter- sentiert, folgt FIGHT CLUB einer zwar weit- rorismus als legitime Antworten auf die gehend linearen, aber höchst subjektive Bedrohung genannt, die vom Konsumen- Erzählhaltungen reflektierenden Erzähl- tenkapitalismus ausgeht. weise, die erst gegen Ende Verdachtsmo- Da Jacks Erzählung die verhasste Kon- mente der Persönlichkeitsspaltung Jacks sumwelt weiblich konnotiert, schließt der bestätigt, die dem Film ex post facto eine rasch expandierende Kult der neuen neue Lesart eröffnen. Erzeugen audiovisu- männlichen Körperlichkeit des „Fight elle Arrangements, narrative Ambivalenz, Club“ zugleich Frauen von der Teilnahme forciertes Erzähltempo sowie auf inhaltli- aus. Die für den „historischen“ Film noir cher Ebene etwa die Abwesenheit jeglicher vielfach in Anschlag gebrachte Misogynie kontrollierender Zugriffsmöglichkeiten äußert sich in FIGHT CLUB noch drastischer auf die subversiven Aktivitäten ein faszi- als in den Vorbildern: Während der niertes Unbehagen an der scheinbar zwin- „Fight-Club“-Erzählung des Films fällt der genden Logik der Geschichte, so stellt die von Jack begehrten Marla Singer nurmehr narrative Schließung der Erzählperspekti- die Rolle zu, für Jacks Alter ego Tyler Dur- ve gegen Ende des Films den Wahrheitsge- den sexuelle Höchstleistungen zu erbrin- halt des Gezeigten zur Disposition. Der gen. Zugleich thematisiert dieser Filmab- Zuschauer ist Opfer von Jacks psychischer schnitt einen weiteren semantischen Be- Klaustrophobie geworden oder in der Ter- reich des „historischen“ Film noir: die la- minologie Freuds: seiner existenziellen tente Homosexualität der hypermaskuli- Angst, deren Agent und virtuelles alter Ego nen Figuren des „Fight Club“, die ihre ei- Tyler Durden ist (Abb. 99). Spätestens als gene Identität nur durch körperlichen sich Jack selbst in den Kopf schießt (Abb. Kontakt mit anderen Männern definieren. 100) und überlebt – neben sich die begehr- Insbesondere die Inszenierung der Bezie- te Marla und ringsum explodierende hung von Jack und Tyler Durden verweist Hochhäuser des verhassten Konsumbe- auf den homosexuellen Charakter ihrer triebs – wird die surreal-märchenhafte Verbindung (Oralität, Kumpelhaftigkeit, Strategie von FIGHT CLUB sichtbar. Nur in intellektuelle und physische Gleichwertig- der irrealen Logik des Traums kann Jack keit, gemeinsame Wohnung und Interes- überleben, nur im solipsistischen Regress sen usw.). Auch deswegen erscheint FIGHT lässt sich seine männliche Identität noch CLUB nach Jacks Persönlichkeitsspaltung formieren. 2.3 Themen 147

Abb. 99 Abb. 100

Dienen im Noir-Film alle filmischen ses Prozesses, die Subjektivierung der Er- Strategien der Psychologisierung des point zählung durch das psychotische Verfah- of view durch die audiovisuelle und erzähl- ren, verleiht dem Was, d.h. der Themati- technische Expression defizitärer Aus- sierung männlicher Desintegration an den tauschverhältnisse in der Subjekt-Objekt- semantischen Oberflächen Körper und Relation aus einer subjektivierenden Per- Gewalt, Konsumterror vs. politischer Ter- spektive, so radikalisiert die ästhetische ror sowie männliche Archaik und faschis- Übersetzung des Problems im zeitgenössi- toide Symbolik einen Ausdruck. Der the- schen Noir-Film den psycho-pathologi- matische Fixpunkt bleibt das gestörte Ver- schen Befund. Im Gegensatz zur neuroti- hältnis des männlichen Subjekts zu sich schen Geschichte in BAD LIEUTENANT the- selbst, das es selbst allerdings als Umwelt- matisiert FIGHT CLUB den psychotischen beziehung missversteht. Umschlag manischer Depression in Para- Dementsprechend erstreckt sich das noia und Schizophrenie. FIGHT CLUB dele- semantische Feld von FIGHT CLUB von der giert die semantischen Implikationen an urbanen Peripherie der als unerträglich einen psychotischen Erzähler: Zunächst wahrgenommenen (weiblich konnotier- berichtet der Ich-Erzähler Jack von der Stö- ten) Konsumentenkultur bis zur Apotheo- rung seiner libidinösen Beziehung zur Rea- se des individualistischen Zentrums einer lität und die darauf folgende Wahnkon- neuen (männlich konnotierten) hierarchi- struktion zielt – vermittelt durch die per- schen Ordnung. Das finale „Projekt May- sonale Externalisierung der unterdrückten hem“, das die von Jack organisierte Unter- Libido – auf Restaurationsversuche der grundorganisation am Ende in Angriff Objektbeziehung. Nach Laplanche und nimmt, steht metaphorisch für Jacks eige- Pontalis kommt es in der Freudschen Kon- nes ‚Projekt Selbstverstümmelung‘, die zeption der Psychose „zuerst zu einer Rup- Destruktion seines männlichen Ego durch tur zwischen dem Ich und der Realität, die die simple Reinkarnation vormoderner das Ich der Herrschaft des Es überlässt Männlichkeitsvorstellungen. Das Ende [und] in einem zweiten Abschnitt, dem dieses ‚Projekts Jack‘ kann der Film realisti- des Wahns, baut das Ich eine neue Realität scherweise nur noch in surreal-märchen- auf, die mit den Wünschen des Es überein- haften Traumbilder zugänglich machen stimmt.“ (Laplanche, Pontalis 1991: 416) (Abb. 101). Lacan bezeichnet Psychose als einen Pro- Am Ende ist Jack ganz bei sich, außer- zess, in dem auf der Seite der Realität das halb jeder Realität. Der Irrealis des mär- erscheint, was von der symbolischen Ord- chenhaften Endes mit der paradoxen Sui- nung ausgeschlossen ist. Analog dieser zidsequenz ohne tödliche Folgen beant- Modellvorstellung verdichtet die Erzäh- wortet zugleich die Frage nach dem Status lung von FIGHT CLUB Jacks Psychose zum des männlichen Subjekts in der (post-)mo- thematischen Kern des Films. Das Wie die- dernen Warenwelt mit einem – zynischen? 148 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 101

– Augenzwinkern: die sichtbare Metamor- schen Noir-Film die femme fatale aus der phose Jacks verwandelt zugleich die Psy- Gefangenschaft einer „männlich“ konno- chose in Normalität – die Psychose wird tierten Ordnung herausführt. Das in der zur neuen Ordnung der Dinge und Ambi- klassischen Figuration der femme fatale be- valenz endlich Normalität des psychisch reits angelegte emanzipatorische Potenzi- desorientierten, lustvoll sich selbst zerstö- al zur Revision des Frauenbildes der klassi- renden Verlierers. schen Erzählung hat der zeitgenössische Noir-Film sexuell entfesselt und damit weiter verschleiert, so die Argumentation 2.3.7 Frauenbilder – Femmes fatales von Kate Stables: „ [T]he more she shows, und Heroinen im zeitgenössischen the less we know.“ (Stables 1998: 179) Da- Noir-Film mit wird zugleich eine Tradition des Film Die filmische Konstruktion der Krisen- noir fortgeschrieben, in der Weiblichkeit, symptomatik moderner Subjektivität be- d.h. „sexualised, excessive feminity“ wegt sich auch im zeitgenössischen Noir- (Dyer 1998: 127), das männliche Selbstbe- Film beinahe ausnahmslos um eine wusstsein nachhaltig verstört. Zwar kon- männliche Figur. Nur selten konstruieren struiert ihre lustvolle Inszenierung – oft- die expressiven Szenarien des Noir-Films mals unter Verwendung einer „visual die desolate psychische Verfassung weibli- language of pornography tempered with cher Hauptfiguren (z.B. in MULHOLLAND the moderating codes of mainstream cine- DRIVE, 2001). Und bislang jedenfalls ma“ (Stable 1998: 173) – im zeitgenössi- scheitern sie niemals an der eigenen Exis- schen Noir-Film die femme fatale nicht tenz. Dies mag zugleich als Indiz dafür ge- mehr als außerhalb einer männlich domi- lesen werden, dass – zumindest im Film – nierten Ordnung stehend, doch ihre Inte- die existenzielle Bedrohung durch den gration in die Ordnung und die Aneig- Prozess der Modernisierung einerseits nur nung einer maskulinen Ideologie scheint eine männliche Phantasmagorie ist, auf die bestehende Ordnung gleichsam von der anderen Seite die tendenzielle Auflö- innen her zu bedrohen und die (noch) lei- sung sozial determinierter Geschlechter- tende Funktion männlicher Individualität differenzen ein modernisiertes weibliches radikal zu zersetzen. Für i ek rekonstru- Prinzip hervorbringt, das im zeitgenössi- ieren die veränderten Darstellungskon- 2.3 Themen 149

ventionen im zeitgenössischen Noir-Film die (männlichen) Phantasiestrukturen der femme fatale des „historischen“ Film noir an der filmischen Oberfläche (vgl. i ek 2000: 10). Und wie Stables bemerkt i ek, dass „[the] enigma of this new femme fata- le is that although, in contrast to the clas- sic femme fatale, she is totally transparent […] her enigma persists.“ (Ebd.: 11; Herv. im Orig.) Anders als Kate Stables, die diese Abb. 102 Entwicklung vor dem Hintergrund einer körperorientierten „proliferation of sexual tuationen, in denen die männlichen Pro- discourse“ (Stables 1998: 167) des post- tagonisten nur scheinbar die Überhand modernen Filmemachens beschreibt, haben. Mit kühler Präzision nutzt sie die bringt i ek dies mit Veränderungen des sich bietende Gelegenheit zur Unterwer- Production Code in Zusammenhang: „[T]he fung der Sphäre des Männlichen. neo-noir femme fatale is to be located in In JACKIE BROWN (1997, Quentin Ta- the context of the dissolution of the Hays rantino) spielt Pam Grier (Abb. 102), die Production Code: what was merely hinted Ikone des black exploitation cinema, die at in the late 40s is now explicitly rende- Kleinganovin Jackie, eine selbstbewusste red thematic.“ ( i ek 2000: 12) Obwohl femme fatale, die dazu aber erst durch die auf der Ebene der Darstellung die Funkti- Zuneigung des gealterten Kautionsmaklers on fataler Figuren im zeitgenössischen Max Cherry wird. Die Eingangssequenz Film explizit gemacht worden ist, scheint des Films, der auf der hard-boiled-Roman- damit das zentrale Geheimnis der Fatalität vorlage Rum Punch von Elmore Leonhard keineswegs bereits aufgeklärt, sondern im basiert, inszeniert Jackie als ebenso begeh- lediglich weiter verdichtet worden zu renswerte wie unerreichbare Frau und re- sein. Was zuvor aus Selbstzensurgründen flektiert in seinem visuellen Arrangement nur angedeutet wurde, scheint jetzt stilis- von Beginn an ihre „fantasmatic spectral tisch überdeterminiert: „[T]he neo-noir of entity“ ( i ek 2000: 11). Dies bedeutet zu- the 80s and 90s [...] openly [...] allows the nächst eine radikale Umdefinition des femme fatale to triumph, to reduce her konventionellen Frauen-Bildes des narra- partner to a sucker condemned to death – tiven Films: Bereits in der ersten Einstel- she survives rich and alone over his dead lung wird Jackie Brown zur machtvollen body.“ ( i ek 2000: 9) – und zugleich se- Heroine stilisiert, als ihr Konterfei in ame- mantisch obskurantiert. rikanischer Einstellung und in einer end- los langen Kamerafahrt zur Musik von Femme fatale inverse – Bobby Womack vor einem Hintergrund JACKIE BROWN mit einem bunten Fliesenmosaik bewegt- Die Erzählungen des zeitgenössischen unbewegt vorüberzieht (Abb. 103.1–3). Noir-Films haben femmes fatales zur Psychedelische Farben und Formen ver- selbstbewussten manipulativen Anpas- binden sich mit Pop-Art-Texturen und sung an die männliche Ordnung befähigt. Soul-Musik zu einem imaginären Rahmen, Die oberflächliche Affirmation und Un- in dem der feste Blick, das leicht vorge- terwerfung unter die männlich dominier- streckte Kinn und die vollen Lippen zu- te Ordnung ermöglicht der neuen femme gleich von kühler Sinnlichkeit, Entschlos- fatale die vollkommene Kontrolle über Si- senheit und Selbstbewusstsein zeugen. 150 2 Film noir – Eine Umschrift

ihres Alters findet sie nur noch Beschäfti- gung bei einer heruntergekommenen Fluggesellschaft und muss sich angesichts des mageren Verdienstes mit illegalen Geldkurierdiensten zusätzliches Geld ver- dienen. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich zunächst ein semantisches Spiel mit dem Alter. Die Konnotation des Alterns als Prozess physischen Zerfalls wird innerhalb der Diegese auf mehreren Ebenen reflek- tiert: zum einen durch die körperliche Prä- senz der jungen Melanie, die im Verlauf des Films unvermittelt und en passant aus einem nichtigen Grund erschossen wird; zum anderen durch die Figur des gealter- ten Kautionsmaklers Max Cherry, in den sich Jackie Brown verliebt und der ihr letztlich Anhaltspunkt und Signal für die Möglichkeit des Ausbruchs aus den krimi- nellen Verhältnissen wird (Abb. 104.1/2). Insofern ist diese femme fatale keine Projektion männlicher Phantasien und Begierden, hier wird vielmehr der männli- che Protagonist zur Projektionsfläche des eigenen Wunsches, endlich ein selbstbe- stimmtes, ökonomisch unabhängiges und befreites Leben zu führen. Die Erzählung invertiert die Muster der femme fatale des Abb. 103.1–3 „historischen“ Film noir, indem die Ge- schichte aus der Perspektive einer schein- Doch eigentlich ist Jackie Brown be- bar ausweglos in die männliche Ordnung reits am Anfang an einem Ende angekom- verstrickten Frau erzählt wird, die sich zur men. Nach ihrer Ankunft wird sie noch im selbstbewussten femme fatale erhebt, ohne Flughafen verhaftet. Es stellt sich heraus, dass die depravierten männlichen Zeitge- dass ihre Reife offenkundig zugleich ihr nossen dies je bemerken würden (Abb. 105). größter Mangel zu sein scheint: Auf Grund Auf diese Weise wird Jackie sich selbst zur

Abb. 104.1 Abb. 104.2 2.3 Themen 151

Abb. 105 Abb. 106.1–3 eigenen Projektion der femme fatale.Im Gegenzug wird der verständnisvolle Mann, Max Cherry, zur Reflexionsfigur der femme fatale: Seine Fähigkeit zur Kontrolle der ei- genen sexuellen und ökonomischen Be- gierden macht ihn letztlich für die femme fatale Jackie Brown unerreichbar. Der Ein- zelgänger Max Cherry entscheidet sich schließlich zum Verbleib in der gewohn- ten Ordnung, kann also der attraktiven Al- ternative selbstbewusst widerstehen. Auf der anderen Seite konstruiert die Narration Jackie Brown als wahre spider- woman, die angesichts der eigenen unbe- friedigenden Situation und der existen- ziellen Drohung des Gefängnisses ein Netz aus Intrigen und Geschichten spinnt, in dessen Zentrum sie selbst sich aller (männ- lichen) Konkurrenten entledigt und die Beute für sich behalten kann. Und so wie die Kamera die körperliche Präsenz Pam Griers zum visuellen Mittelpunkt erhebt (Abb. 106), sind alle Handlungen des Films motiviert von Jackies Anstrengun- gen, sich aus den kriminellen Strukturen ihres Geldkurierdienstes zu befreien. Eine fingierte Geldübergabe, die zugleich Akt der Befreiung Jackies wird, verdichtet die- 152 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 107 se Zentralstellung der Hauptfigur zur fil- Ausweis der dezentrierenden narrativen mischen Metapher: Erzählt wird die Über- Methode des Noir-Films. gabe einer Tasche mit gewaschenem Geld Aber mehr noch: Jackie Browns Fähig- aus drei verschiedenen Perspektiven in keit der Inszenierung eines komplexen drei sich zeitlich überschneidenden Se- und verwirrenden Plots zur Übervortei- quenzen, die je einen Teil der Transaktion lung der männlichen Verfolger wird dem zeigen. Letztlich kann Jackie alle täu- Gangster Ordell Robbie (Samuel L. Jack- schen, die Ganoven ebenso wie die Polizei, son) und seinem Komplizen Louis Gara und mit ihrem Helfer und der Beute flüch- (Robert de Niro) ebenso zum Verhängnis ten. Nicht nur die zeitversetzte Anord- (Abb. 107), wie der düpierten Polizei (Mi- nung des Plots während der Geldüberga- chael Keaton, Abb. 108). Es ist also nicht be, auch das mühelose Erzählen mehrerer, nur die Beherrschung der Sprache, die scheinbar zusammenhangloser Geschich- etwa die neue femme fatale Wendy Kroy in ten nebeneinander dekonstruiert die auf THE LAST SEDUCTION zur unumschränkten lineare Erzählweisen festgelegten Main- Beherrscherin der männlichen Umwelt stream-Konventionen und ist zugleich macht (s. Wager 1999: 130ff.), sondern Ja- ckie Browns Fähigkeit zum überzeugenden Abb. 108 Geschichtenerzählen, die sie zusammen mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung dazu befähigt, die Kontrolle nicht nur über die prekäre Situation zu erlangen, sondern schließlich über ihr eigenes Leben zurück- zugewinnen. Die Reflexion narrativer Ver- fahren durch die Thematisierung weiblich konnotierter Erzählkompetenz legt selbst- ironisch Strukturen des perfiden Spiels der klassischen femme fatale als intelligenter 2.3 Themen 153

weiblicher Umgang mit männlicher In- bloße Mimikry des männlichen Prinzips. kompetenz offen. Zum Nachweis einer neuen Qualität des Neben der Umkehrung konventionel- Weiblichen dient dem Film das Setting ler Geschlechterordnungen des Gangster- des Polizeifilms, dessen durchgängig films invertiert der Film zugleich das Kli- männlich attributierte Schematisierungen schee des Noir-Films, demgemäß die Hel- hier dekonstruiert werden, indem seine denfigur aus der weißen Mittelschicht re- filmische Mythologie zur Bebilderung ei- krutiert wird. In JACKIE BROWN wird aus nes weiblich konnotierten Emanzipa- dem männlichen weißen Helden eine tionsprozesses herangezogen wird. Die weibliche farbige Heroine. Die femme fata- Noir-Perspektive unterstreicht die bedroh- le des zeitgenössischen Noir-Films hat da- liche Situation, in der sich – bildlich und mit in JACKIE BROWN ein Versprechen ein- erzählerisch – die Frau befindet und psy- gelöst, dass in den Anfängen des Noir- chologisiert den existenziellen Konflikt Films oftmals mit einer tödlichen Strafe zwischen männlichem und weiblichem belegt wurde: Sie erweist sich als Frau, die Prinzip (Abb. 109.1 und 2). Im Vorspann in der Lage ist, sich selbst von männlicher deuten Detailaufnahmen des Beladens ei- Idiotie zu emanzipieren. Der zeitgenössi- nes Revolvers in blau illuminierten Detail- sche Noir-Film hat die femme fatale zur aufnahmen auf den Fetisch-Charakter die- neuen Heroine erhoben und die männli- ses Topoi des erzählten Verbrechens hin, che Ordnung der Lächerlichkeit preisgege- um ihn am Ende entgegen der männli- ben. chen Konnotation der Waffe einer weibli- chen Figur zuzuordnen. Die anschließen- New Heroine – BLUE STEEL de Zeremonie des Zuknöpfens des Polizei- Doch nicht nur femmes fatales erarbeiten hemdes verweigert den Blick auf das Ob- sich in den Erzählungen des zeitgenössi- jekt des medial codierten voyeuristischen schen Noir-Films ein neues Selbstbewusst- Begehrens. Frauenkörper in Männerklei- sein innerhalb der Parameter bestehender dung bzw. eine Frau, die sich mit männli- Ordnungen. Zugleich reüssieren Frauen in chen Fetischen schmückt, irritieren die zuvor männlich dominierten Rollen und Konventionen des erzählten Verbrechen bewähren sich in aussichtslosen Situatio- und signalisieren zugleich, dass das Ver- nen. Die Anverwandlung männlicher Ver- fahren des Noir-Films gleichermaßen ef- haltensweisen durch die Polizistin Megan fektiv die subjektivierende Perspektive ei- Turner (Jamie Lee Curtis) in BLUE STEEL ner zentralen weiblichen Hauptfigur kon- (1989, Kathryn Bigelow) etwa ist mehr als struieren kann. Auf diese Weise werden

Abb. 109.1 und 2 154 2 Film noir – Eine Umschrift

Konfliktlinien neu fokussierbar, die eng Frage stellen. BLUE STEEL kehrt die für den mit der für den Noir-Film typischen De- Noir-Film typische männliche Perspektive formation des männlichen Prinzips in um und gelangt auch von hier aus zu der Verbindung stehen. Die Umdefinition in Erkenntnis, dass das modernisierte Sub- BLUE STEEL besteht in der Besetzung einer jekt sich seines Platzes in der modernen gemäß Genrekonvention männlichen Po- Gesellschaft nicht sicher sein kann. Doch sition mit einer Frau. Megan nimmt an während im Noir-Film die männlichen männlichen Ritualen teil (Vereidigung, Protagonisten regelmäßig daran scheitern, Uniformisierung, Bewaffnung, Gewaltan- bedeutet dies für weibliche Hauptfiguren wendung), hat keine eigene Familie, eine im zeitgenössischen Noir-Film immer androgyne Physiognomie (kantiges Ge- auch die Möglichkeit zur Befreiung von sicht, Kurzhaarfrisur) und die korrekte männlicher Hegemonie. Entsprechend Pflichtausübung wird ihr beinahe zum scheint die Selbstbefreiung der Frau ange- Verhängnis. Schließlich verliebt sich Me- sichts maskuliner Psychopathie Kennzei- gan in ihren homme fatale Eugene Hunt chen zeitgenössischer Noir-Filme zu sein, (Abb. 109.2), den potenziellen Mörder ih- in denen weibliche Hauptfiguren das nar- rer emanzipatorischen Ambitionen. Am rative Zentrum besetzen. Damit scheint Ende muss Megan – wie die Männer – un- zugleich ein Versprechen eingelöst zu wer- recht handeln, um ihre Ordnung wieder- den, dass bereits der „historische“ Film herzustellen und um sich endgültig von noir gegeben hat. Dies gilt für Megan Tur- den Fesseln der männerdominierten Ver- ner in ihrem Kampf mit einem homme fa- gangenheit zu befreien. Der shootout am tale ebenso wie für die femme fatale Jackie Ende des Films gestaltet sich auch deshalb Brown bei ihren erfolgreichen Fluchtver- als Urkampf der gewaltsamen Neuver- such aus den Niederungen männlicher handlung des Verhältnisses von Frau und Ignoranz und Impotenz. Im Noir-Film der Mann in der modernen Zivilisation. Die Gegenwart hat die Feminisierung der Ästhetisierung von Gewalt in BLUE STEEL männlichen Ordnung – bis hin zur dient in diesem Zusammenhang letztlich ‚Machtübernahme‘ durch ‚das andere Ge- dem Nachweis, das Gewalt nicht nur schlecht‘ – das semantische Zentrum der männlich, sondern auch weiblich konno- Erzählungen erreicht. tiert ist; auch hier verschwinden also Ge- schlechterdifferenzen und auch hier wird 2.3.8 Family Viewing im Noir-Film deutlich, dass Noir-Filme Ambivalenzen nicht auflösen, sondern manifestieren, in- „The two most common types of women dem sie von ihnen erzählen. in film noir are the exciting, childless In BLUE STEEL geschieht die Befreiung whores, or the boring, potentially child- der Frau von der Unterwerfung unter die bearing sweethearts.“ maskuline Ordnung durch die Anwen- Sylvia Harvey (1998: 38) dung von Gewalt durch die Frau selbst. Spiegelverkehrt zu den Konventionen des Das klassische Erzählkino hat eine Reihe Noir Films ist es in BLUE STEEL der homme Konventionen für die Erzählung der Fami- fatale Eugene Hunt, der zum Movens der lie hervorgebracht. Seine wichtigsten se- Emanzipation der Frau Megan Turner mantischen Implikationen sind für Sylvia wird. Er ist zugleich Ausdruck des schi- Harvey „the concepts of reproduction and zophrenen Zustandes des Mannes in einer socialisation [...] the acceptable location Welt, in der emanzipatorische Entwick- of a sexuality defined in extremely limited lungen die eigene Vormachtstellung in terms“ und „romantic love […] which 2.3 Themen 155

seeks always the passionate and enduring tiken. Außerdem kommen im zeitgenössi- love of a lifetime“ (Harvey 1998: 37). Die schen Noir-Film immer wieder Familien- filmische Konstruktion der Familie als In- konfigurationen wichtige Funktionen im stitution der Erfüllung aller Wünsche und Hinblick auf die Präsentation von Verbre- allen Begehrens oder als sozialer Ort der chen zu. In Filmen wie FRANTIC,FATAL AT- Wiederherstellung psychosozialen Gleich- TRACTION oder CAPE FEAR stehen familiäre gewichts, dient nicht nur der Vermitt- Strukturen zur Disposition und werden, lung, sondern auch der Legimitation und wenn nicht zerstört, so doch irreparabel Normalisierung definierbarer Wertvorstel- beschädigt. Entgegen den Konventionen lungen einer bestimmten Form des Zu- des klassischen Kinos, zeichnet sich der sammenlebens. Der Topos der Familie Noir-Film durch die Abwesenheit schlich- dient der klassischen Erzählung zur filmi- ten Familienglücks aus und präsentiert schen Inkarnation wettbewerbsmäßiger, stattdessen seine in Trümmern liegenden autoritärer und hierarchischer Beziehun- Strukturen. Die Dekonstruktion des Fami- gen zwischen Frauen, Männern, Söhnen lienmodells betrifft gleichermaßen die ab- und Töchtern. Die filmische Konstruktion geleiteten sozialen Strukturen des Verbre- der Familie verläuft entsprechend über die chersyndikats oder der Polizei. Das Spek- narrative Etablierung der Beziehungen der trum reicht dabei von der Dekonstruktion Charaktere zueinander. Der historische der Gangsterbande in RESERVOIR DOGS Film noir weicht in seiner Modellierung über die Implosion familiärer Beziehun- der Familie erheblich von diesen Vorga- gen in dem Mafia-Melodrama THE FUNE- ben des klassischen Erzählkinos ab, indem RAL bis hin zur korrumpierten Polizeiorga- er seine semantische Implikationen durch nisation in L. A. CONFIDENTIAL. „destruction or abscence of romantic love Nicht zuletzt hat der zeitgenössische or family“ (ebd.) in Frage stellt. Auch der Noir-Film mit THE SILENCE OF THE LAMBS zeitgenössische Noir-Film demodelliert (1990, Jonathan Demme) ein Familiendra- das klassische Erzählmodell der Familie ma hervorgebracht, dessen Echo in späte- durch die Abwesenheit normalisierter fa- ren Filmen wie SE7EN (1995, David Fin- miliärer Relationen. Die Lücke, die aus cher) deutlich vernehmbar ist. THE SILEN- dieser Abwesenheit entsteht, strukturiert CE OF THE LAMBS verwendet semantische zugleich den semantischen Raum für die Topoi der Familie in der Dreiecksbezie- Produktion defätistischer Gegenentwürfe. hung zwischen Clarice Starling, ihrem Der zeitgenössische Noir-Film hat Vorgesetzten Jack Crawford, und natürlich nicht nur die Bilderordnungen des klassi- dem unheiligen Geist dieses Films, Hanni- schen Familiendramas infizieren können, bal Lecter. Eine solche familiäre Konstella- sondern auch seine semantischen Regula- tion findet sich unter leicht veränderten rien. Bereits CHINATOWN handelt von fa- Vorzeichen auch in SE7EN.InTHE SILENCE miliären Abgründen wie Inzest und Pädo- OF THE LAMBS ist die Einheit der Familie – philie in der sexuellen Beziehung von Va- die Anerkennung von Starlings Leistung ter und Tochter. Filme wie BLUE VELVET durch die Vaterfigur Jack Crawford dafür, oder LOST HIGHWAY thematisieren beinahe dass sie die Aufgabe erfüllt und den Serien- hypnotisch Probleme des Familiären wie killer zur Strecke gebracht hat – nur um Sexualität, Identität, Adoleszenz, patriar- den Preis zu haben, eine noch bedrohli- chale Gewalt oder Beziehungslosigkeit. chere Figur in die Welt zu entlassen. Der Die Filme Abel Ferraras etwa konzentrie- Erhalt der Familie ist hier untrennbar mit ren sich oftmals auf die Dekonstruktion der Rückkehr des Unheils, des unheiligen, von religiös konnotierten Familienseman- ebenso brillanten wie bösen Geistes Han- 156 2 Film noir – Eine Umschrift

SE7EN auf diese Weise die dieser Untersu- chung zu Grunde liegende Argumentati- on, dass entgegen der Genrekonnotation noir eine am filmischen Verfahren orien- tierte ästhetische, narrative und themati- sche Verdichtungsmethode bezeichnet. Auf der thematischen Ebene scheinen bei- Abb. 110 de Motive, die der Familie und die des Se- rienmörders zugleich aktuelle Ausformu- nibal Lecters in die Welt verbunden. Für lierungen des Noir-Films zu markieren. das Familienmodell – das Verhältnis von Clarice Starling und Jack Crawford als Kontexte des Familiären Tochter-Vater-Beziehung innerhalb der fa- In SE7EN erzeugt der ausgeprägte low-key- milienähnlichen Struktur des FBI – bleibt Stil neben Bildern, die durch natürliches dieser Erfolg also ein Pyrrhussieg. Das kon- Umgebungslicht, durch matte Lampen sequent zu Ende gedachte Pendant dieser und Leuchten oder kalte Neonröhren in Version der familiären Un-Heilsgeschichte den Wohnungen und Büros nur schwach zeigt SE7EN. ausgeleuchtet sind, immer wieder Bilder, Die aus der Absage an familiäre Nor- in denen direktionales Licht Figuren iso- malität entstandene semantische Lücke liert und so psychologisiert (Abb. 110), in- füllt SE7EN einerseits durch den Entwurf al- dem es deren Konturen oder nur Fragmen- ternativer familiärer Relationen und zum te ihrer Gesichter hervorhebt. Lichtkegel anderen durch die Inthronisation eines Se- von Taschenlampen zerschneiden häufig rienmörders als moralische und intellek- die Dunkelheit, wandern unruhig durch tuelle Autorität, die den Zerfallsprozess das Bild, suchen Orientierung im Dunkel der Familie konsequent zu Ende denkt. des höllischen Chaos, mit dem Somerset Durch die Verwendung expressiver Ver- und Mills immer wieder konfrontiert wer- fahren verdichtet SE7EN beide themati- den. schen Komplexe zu einer nihilistischen Die Fotografie des Films wählt ihre Per- Diagnose familiärer Beziehungen in der spektiven oft aus leichter Ober- oder Un- gegenwärtigen Gesellschaft. Zugleich stützt tersicht, woraus dramatisch bewegte Li-

Abb. 111 2.3 Themen 157

nienführungen re- sultieren (Abb. 111). Die Kamerabewegung ist dagegen eher opulent: die Dyna- misierung der Aktio- nen durch die ex- trem bewegliche Ka- mera, oft auch als Handkamera ist der Dramatisierung funktional. Mit ei- ner Handkamera werden insbesonde- re Aktionssequen- zen fotografiert und stellenweise sorgt subjektive Kamera- führung für die Psy- chologisierung dra- matischer Situatio- nen (z. B. Polizeiein- Abb. 112.1 und 2 satz bei Victor, Ver- folgungsjagd Mills-Doe). Dieser dynami- sierten Kamera korrespondiert der alerte Abb. 113.1–3 Schnitt durch häufige Wechsel von Nah- und Großaufnahmen zumeist von Gesich- tern, aber auch von Details. Die Tiefen- schärfe wird oft narrativ verwendet. In SE7EN charakterisiert sie das Phantomhafte des (noch) unbekannten Serienmörders John Doe mit Hilfe distanzierender Tie- fenstaffelung (Abb. 112.1) oder durch die Nutzung des Unschärfebereichs der Optik zur Verschleierung der Identität des Se- rienmörders (Abb. 112.2). Als Handlungs- orte dienen in der Regel beengte und un- übersichtliche Innenräume und Flure, in denen die klaustrophobische Enge der Stadt zum Ausdruck kommt. Eine Inversi- on der Stadtbilder findet sich am Ende des Films in der Wüste, in der der finale Schlagabtausch stattfindet (Abb. 113.1–3). Sie wird zugleich als Stätte des Todes kon- notiert: Ein toter Hund, Autowracks und verlassene Wohnwagen, später ein Karton mit Tracys abgetrenntem Kopf und der 158 2 Film noir – Eine Umschrift

Drohkulisse einer urbanen Hölle auf Er- den, sondern akustische Topoi des Noir Films. Auch an dieser Stelle bezieht sich der Film selbstbewusst wiederum auf die eigene Tradition: In THE ASPHALT JUNGLE etwa demonstriert das polyphone Stim- mengewirr, das aus den Lautsprechern in der Polizeiwache dringt, die hoffnungslo- se Situation der Ordnungshüter angesichts der Hilfeschreie der Stadtbewohner. SE7EN perpetuiert diese akustische Drohkulisse Abb. 114 auf Filmlänge, sie besetzt permanent die Tonspur, während die Stimmen der Poli- tote John Doe inmitten eines abstrakten zisten gegen das Lärmen ansprechen müs- Waldes aus metallenen Strommasten ma- sen. chen aus dem Spielort einen hellerleuchte- Die Story von SE7EN weist eine elegan- ten Todesacker, eine metaphorische Hölle te Ökonomie auf: Sieben Morde an sieben im dramatischen Gegensatz zum urbanen Tagen in einem Film namens SE7EN. Die Fegefeuer. Zugleich erinnert die blenden- formale Strenge der Narration setzt sich de Helle dieser Schlussszenerie an die gegen die dargestellte Welt des Films, das Schlusssequenz von THE ASPHALT JUNGLE, ewige Rauschen des Verbrechens, den un- in der der letzte der Gangster, Dix Handley aufhörlichen Schrecken der Stadt aller- (Sterling Hayden), den Tod auf einer Pfer- dings deutlich ab. Die narrativen Strate- dekoppel findet (Abb. 114). Folgt man der gien sind eher konventionell: Es gibt Mor- narrativen Logik in SE7EN, so repräsentiert de, einen Mörder und Ermittler, die ihn auch hier die Wüste, in der alle Träume ihr ausfindig und dingfest machen sollen. Die jähes Ende finden, ein paradoxes Paradies Morde sind ritueller Natur, der Mörder ist des Todes. Wie üblich im zeitgenössischen gemäß dem Wiederholungscharakter des Noir-Film bedient sich SE7EN einer die Rituals ein Serienkiller und die beiden de- Farbsättigung reduzierenden Darstel- tectives, die ihn fassen sollen, sind ein Far- lungsweise. Wie in THE UNDERNEATH wer- biger und ein Weißer, ein Alter und ein den Farben andererseits um so gezielter Junger, oder, um hier schon einmal vorzu- zur visuellen Subjektivierung von Figuren greifen: ein weiser Vater und ein wider- und Situationen verwendet. Die Farbdra- spenstiger Sohn auf der Suche nach ihrer maturgie in SE7EN verwendet etwa die am- Nemesis. Die Absicht, den Mörder zu fin- bivalente Konnotation der Farbe Rot zur den und seine Motive zu entschlüsseln, Charakterisierung John Does, dem ein treibt die Geschichte voran. Nicht nur der ebenso symbolisch überfrachtetes Grün Plan des Serienkillers, auch die Konstrukti- im Kontext von William Somerset kontra- on des Films entspricht dabei in groben punktisch entgegengesetzt wird. Zügen den Erzählungen in Dantes Inferno Auch auf der Tonspur von SE7EN wird und Miltons Paradiese Lost und schildert deutlich, wie bewusst hier mit Versatzstü- die Aufklärung des Falles als im übertrage- cken der Noir-Topografie umgegangen nen Sinne Wanderung aus der Hölle ins wird. Permanente Geräusche wie Regen, Paradies entlang der sieben Todsünden. undefinierbares Hintergrundrauschen, Aus der Hölle der Ritualmorde in den Straßenlärm, Polizeisirenen, lautes Rufen schrecklichen Räumen des städtischen Fe- und Schreie sind nicht nur Insignien der gefeuers wandern Mills und Somerset, ge- 2.3 Themen 159

führt von ihrem „unheiligen Geist“ John Doe, in das grelle Licht der Wüste bzw. des Pa- radieses – das hier al- lerdings genau um- gekehrt als Hölle der Erkenntnis figuriert. Um den thema- tischen Kern des un- bekannten aber om- nipräsenten Systems des Verbrechens, zu dessen Aufklärung sich Mills und So- merset verpflichten, entwickeln sich zu- vorderst Diskurse des Religiösen, der Sünde, der Schuld und der Buße, sowie Abb. 115.1 und 2 Diskurse des urba- nen Lebens, der Stadt als Moloch und Fe- Groß- und Nahaufnahmen schockartig gefeuer, die angesichts des Zustandes der ausgestellt und der Zuschauer, für den die Welt durch all ihre Poren nur noch Pessi- Darstellung des Körpers Identifikations- mismus atmet. Sie wirkt wie eine in die Ge- moment par excellence ist, auch soma- genwart transponierte Vision Hieronymus tisch mit in die Katastrophe, die Zerstö- Boschs, in der das Serielle nicht nur im un- rung des Leibes hineingezogen. Hier wird endlichen Rauschen des Regens und des eine Nähe zum Horrorfilm deutlich, in nicht enden wollenden Rufens und Weh- dem permanent die Integrität des Leibes klagens seinen Platz hat, sondern auch das und damit das Leben zur Disposition Töten bzw. Morden erfasst hat. steht. Bereits die expressive Erzählhaltung Neben dem Leitmotiv der sieben Tod- des „historischen“ Film noir beruht auf sünden ist auch radikale Körperlichkeit der Adaption visueller Gestaltungsmittel zentrales Thema des Films, markiert die und thematischer Versatzstücke des Hor- wiederholte Exposition zerstörter Körper ror-Genres. Die Differenzierung des ex- doch wichtige Stationen auf der Suche der pressiven Potenzials des Noir-Films durch beiden Hauptfiguren nach dem Mörder die Weiterentwicklung der Film- und und bebildert zugleich einen Diskurs über Tricktechnik sowie die Wiederentdeckung die sündige Schuldhaftigkeit des Individu- der Tonspur hat andererseits offengelegt, ums, das mit seinem Körper dafür bezah- was noir von Anfang an bedeutete: somati- len muss (Abb. 115.1 und 2). In SE7EN wird sches Kino der kalkulierten Schocks, dass der Tod der Opfer durch extreme körperli- sich seiner Zeichenhaftigkeit bewusst ist. che Torturen herbeigeführt. Die Radikali- Und vor diesem Hintergrund führt SE7EN tät der Darstellung zeigt sich im bildlichen zugleich einen elaborierten Diskurs des Fa- Ergebnis dieser Folterungen: Sie wird in miliären. 160 2 Film noir – Eine Umschrift

Abb. 116

Vater, Sohn, unheiliger Geist oder: milienfragen nach dem Verhältnis von Familienstrukturen in SE7EN Öffentlichkeit und Privatheit (Habermas), Gleich zu Beginn erzählt der Film von ei- Politik und Moral (Koselleck) sowie ner Familientragödie: Eine Frau hat ihren Fremd- und Selbstzwang (Elias), in deren Mann erschossen. Gründe für die Tragö- Spannungsverhältnis sich familiäre Struk- die werden nicht genannt, es ist eben turen behaupten müssen. „passiert“, eine Episode, nahezu eine Ba- In SE7EN gibt es drei familiäre Bezie- nalität in dieser Stadt und im Arbeitsalltag hungsmuster. Neben den beiden familiä- des farbigen Polizisten William Somerset, ren Kreisen um Somerset, Mills und Doe der bereits hier als väterlicher Fürsorger und um Mills, Tracy und Somerset, gibt es vorgestellt wird. In der direkt anschlie- eine dritte, die beiden anderen transzen- ßenden Sequenz wird ihm Detective Da- dierende familiäre Beziehung zwischen vid Mills zur Seite gestellt, eine Sohn-Fi- John Doe und Tracy Mills. Diese konstru- gur, fahrig in seinen Bewegungen, Vorlaut iert die Beziehung zwischen einem patriar- in seinen Äußerungen, ungepflegt und chalen, autoritären, strafenden männli- ohne Erfahrung. Nach dem Vorspann chen Prinzip und einem romantischen, zeigt der Film ein kurzes Standbild von fürsorglichen, zurückhaltenden weibli- kalten, grauen Wohnblöcken und an- chen Prinzip. Doch es gibt eine geradezu schließend zwei Personen, Detective Mills ontologische Differenz, denn während und seine Frau Tracy, im Bett liegen: ein John Doe außerhalb der Konventionen der zeitgenössisches urbanisiertes Familien- herrschenden sozialen Ordnung steht, ist idyll (Abb. 116). Bereits die Exposition des Tracy zugleich ihr familiäres Zentrum, Films konnotiert also die Figurenkonstel- Ehefrau von David Mills und werdende lation des Films mit familiären Strukturie- Mutter. Der existenzielle Konflikt entsteht rungen und Verweisen. SE7EN orientiert schließlich aus Does ebenso gewaltsamem sich hier wie auch im Übrigen an fami- wie intellektuellem Angriff auf die beste- lienspezifischen Leitdifferenzen, wie sie hende patriarchale Ordnung. Does reak- immer wieder hinsichtlich Konfliktlinien tionäre Vision besteht darin, der Gesell- und Status der Familie innerhalb der Ge- schaft den Spiegel ihrer eigenen morali- sellschaft formuliert worden sind: Auch schen Fehlbarkeit vorzuhalten, indem er SE7EN thematisiert an zentraler Stelle Fa- gemäß eines Auswahlverfahrens, dass sich 2.3 Themen 161

an den sieben Todsünden der katholi- Teufelsaustreiber mit katholischem Moral- schen Lehre orientiert, sieben Menschen kodex. Wie die Figur des Psychiaters Han- ermordet. Zugleich wird das schwächste nibal Lecter in THE SILENCE OF THE LAMBS Glied in dieser familiären Konstellation ist John Doe ein unabhängiger, freier Geist zum Zentrum der Attacke des stärksten, und ein Genius des Todes – einzig von der dass sich von dem Zwang der gesellschaft- Wahnvorstellung einer übergeordneten lichen Normen befreit hat, aber nur, um Idee, eines göttlichen Auftrags besessen. die Lücke, die ihre Widersprüchlichkeit er- Medium der Erfüllung des Auftrags wird zeugt mit einer tödlichen Ideologie auszu- Tracy, Mills Ehefrau. Mit ihr verbindet füllen. Der tödliche Konflikt ist zugleich sich die Idee der Familie, die von der patri- ein zutiefst moralischer. archalen Ordnung beschützt werden John Doe ist der Geist, der alles durch- muss, was letztlich nicht gelingen kann. dringt, seine Pläne strukturieren alle Bezie- Denn der tödliche Zweikampf der Ideen hungen. Die gesamte Konstruktion des und Ideologien ist längst entschieden, als Films dient der Inszenierung der Ideen Somerset und Mills mit John Doe in die Does. Auch aus diesem Grund bleibt das Wüste fahren. An diesem unwirklichen Auftauchen Tracys nur eine Episode, ein Ort bringt die Erzählung schließlich die Trugbild des Familiären, ein Irrweg. Der Verbindung von John Doe und Tracy Mills Film zeichnet das Phantomhafte dieser Fi- im Wortsinn ans Licht. In Abwandlung gur bis ins kleinste Detail: Doe lebt in der von Sylvia Harveys eingangs zitierter Diag- Anonymität der Großstadt in einem nose erscheint auf makabre Weise John durchschnittlichen Appartmenthaus, sein Does Idee mit der der „exciting, childless Name – John Doe – steht wörtlich für diese whore“ verbunden, während Tracy als Anonymität, er ist Symbol für den Durch- eben jenes „boring, potentially childbea- schnittsamerikaner. Doe bleibt zunächst ring sweetheart“ figuriert, dem die Absage ein Mann ohne Gesicht, ein jedermann – des Noir-Films an die Frau als semanti- allerdings mit einem umfassenden Erlö- schem Zentrum des klassischen Familien- sungsplan. John Doe stellt sich selbst, modells gilt. Die extreme Stilisierung be- nachdem Somerset und Mills ihm zwar auf legt eine Tendenz zur Radikalisierung der der Spur sind, aber seiner nicht habhaft Destruktion des bürgerlichen Familienbil- werden konnten. Im Film ist diese verblüf- des im jüngeren Noir-Film. Ohne Aussicht fende, zunächst narrativ unmotiviert er- auf Regeneration wird hier das Prinzip Fa- scheinende Selbstentlarvung zugleich Aus- milie nur noch als defektes Auslaufmodell druck der Allmacht John Does. Auf diese konstruiert. In ihm sind familiäre Perspek- Weise bricht der Film mit der Konvention tiven den zentrifugalen Kräften einer mo- des Kriminalfilms, die vorschreibt, dass ralisch dissoziierten sozialen Umwelt Täter nur auf Grund investigativer Maß- schutzlos ausgeliefert. Das moralische In- nahmen gefasst werden. Auf der anderen tegrationsmodell „Familie“ ist in den Ge- Seite verstärkt der offenkundige Wider- sellschaftsbeschreibungen des zeitgenössi- spruch zwischen seiner femininen Erschei- schen Noir-Films nicht überlebensfähig. nung und seiner intellektuellen Mächtig- keit sein Bedrohungspotenzial. Der verstö- 2.3.9 Die Methodik des seriellen rende Effekt dieser Wendung der Ge- Tötens schichte besteht in der narrativen Offen- barung des alttestamentarischen Racheen- Obwohl serielle Morde statistisch gesehen gels, des selbsternannten moralischen eher die Ausnahme sind, scheint die Figur Über-Ichs als asketisch-calvinistischer des Serienmörders in populären Erzählun- 162 2 Film noir – Eine Umschrift

gen eine „sure-fire formula for gripping storytelling“ (Dyer 1999: 37). Entspre- chende Fiktionen haben in der Figur des Serienmörders immer wieder Fehlfunktio- nen moderner Gesellschaften themati- siert. Die narrative Klimax aus Wiederho- lung und Erwartung und Erwartung der Wiederholung des Mordens aus überindi- viduellen Gründen tritt in Widerspruch zu einem Gesellschaftsmodell, das sich dem Schutz des Individuellen verpflichtet hat, weil es das Individuum als Keimzelle des Sozialen betrachtet. Die radikalste al- ler möglichen Absagen an das Subjekt for- muliert sich im planvollen seriellen Mor- den. Der in der Regel weiße, männliche und sozial isolierte Serienmörder markiert zugleich kollektive Ängste und Vorurteile, Vorahnungen des Unheils oder der Feh- lerhaftigkeit der sozialen Konstruktion. Seine Opfer sind immer wieder Frauen und andere, gemäß den herrschenden Normen minderwertige Männer. Entspre- chend sind Misogynie und ein gestörtes Verständnis männlicher Vorherrschaft übliche Motivationen seiner Handlungen. SE7EN adressiert die Serialität des Mor- dens an die herrschende Ideologie in toto. Gedeckt von der Anonymität der moder- nen, städtischen Gesellschaft nimmt Doe tödliche Rache an ihr für ihre Missachtung des christlich geprägten Wertekodex. Auf seinem Feldzug gegen die moderne Sünde benennt er menetekelartig auch die Verge- hen, derer sich die Opfer in seinen Augen stellvertretend für die Gesellschaft schul- dig gemacht haben, die sieben Todsünden (Abb. 117.1–6). In John Does Morden for- muliert sich zugleich ein existenzieller Zweifel an den kulturellen Bedingungen der Zivilisation. Die ambivalente Position des Serienmörders als jemand, der laut of- fizieller Lesart außerhalb der sozialen Ord- nung steht und sie von dort aus existen- ziell gefährdet, steht mit John Doe ein Pro- totyp gegenüber, der sich im Gegenteil aus Abb. 117.1–6 der anonymen Mitte der Gesellschaft he- 2.3 Themen 163

raus mit ihren Wertsetzungen und Bestra- sungsphantasie letztlich im Staub der fungsmechanismen geradezu überidentifi- Wüste – solange bis ein neuer John Doe ziert. aus der Mitte der Gesellschaft erwächst Serienmörder, so die makabre Bilanz und einen anderen Plan unterbreitet. von SE7EN, stellen die Existenz der Gesell- Wie SE7EN zeigt, lassen sich fatalerwei- schaft durch die konsequente Anwendung se die gesellschaftlichen Institutionen, die gesellschaftlicher Normen auf sie selbst zur ihren Schutz und Bestand gewährleisten Disposition. Durch ihre rationalisierten, sollen, nicht mehr reaktivieren. Sowohl seriellen Tötungshandlungen denunzie- die Familie als auch die Staatsmacht sind ren Serienmörder wie John Doe die kollek- wehrlos den moralischen Vorwürfen und tive Apathie gegenüber den eigenen mora- drakonischen Strafexpeditionen John lischen Ansprüchen als Grundwiderspruch Does schutzlos ausgeliefert. Der semanti- der moralischen Integration der Gesell- sche Code des Serienkillers ist mit den tra- schaft. Aus der gesellschaftlichen Anony- ditionellen Methoden der Investigation mität der Masse heraus destabilisiert John nicht mehr zu ermitteln, sein Ziel ist nicht Doe moralische Standards der Gesell- mehr die Bereicherung oder die Ausschal- schaft, die sie selbst nicht einzuhalten in tung von Konkurrenten, sondern – in letz- der Lage ist. Insofern die Figur des Serien- ter Konsequenz – die Eliminierung der Ge- mörders existenzielle Unsicherheit thema- sellschaft als Ganzes. Und mehr noch: tisiert, übernimmt sie für die Noir-Formel „Cops are supposed to administer what is eine entscheidende narrative Funktion in deserved, but Doe has taken upon himself Form der durch sie repräsentierten „ambi- to do the work that they fail to do.“ (Dyer valence toward stability and destability.“ 1999: 48) Aus diesem Grund wird der Se- (Simpson 2000: 203) rienmörder zum existenziellen Irritations- Obwohl die Erzählung von SE7EN pri- moment nicht nur der Normen der Gesell- ma vista konventionell geschlossen er- schaft, sondern auch der psychischen In- scheint und „rather old-fashioned [...]: fi- tegrität des mit der Aufrechterhaltung der nished, self-contained, separate from any- Ordnung betrauten Individuums. Und in- thing else“ (Dyer 1997: 16), entlarvt ihre sofern beerbt der Serienmörder die Funkti- zirkuläre Struktur den unendlichen Kreis- on der femme fatale: „This usually white lauf der Sünde: David Mills, der zunächst male figure [...] now replaces the femme fa- aus beruflichen Gründen vom Land in die tale as the figure most threatening to the Stadt gewechselt ist und dort auf Grund hero.“ (Kaplan 1998a: 12) Die Serialität mangelnder Fürsorge Frau und Kind ver- des Mordens wird so zum funktionalen liert, wird von John Doe am Ende wieder Äquivalent nicht nur für die Figur der fata- in seine geistige Heimat zurückzitiert, um len Frau, sondern auch für die Thematisie- dort seine Nemesis zu erleben. Auch die rung instabiler psycho-sozialer Verhältnis- von Does Intervention unbeeindruckt ge- se im Noir-Film und zugleich eine ihrer bliebene Gesellschaft vegetiert unverän- wichtigsten thematischen Erweiterungen dert weiter und so verliert sich Does Erlö- im Gegenwartskino.

3 Méthode noire

„We got two ways here, my way or the „[…] hence the term film noir names a set highway.“ of possibilities for making existing genres Joe Cabot in RESERVOIR DOGS ‚different‘.“ Elizabeth Cowie (1993: 128)

3.1 Bestandsaufnahme

Film noir hat sich verändert, und zwar in in näherungsweise monochromen Dar- zweifacher Hinsicht. Auf der einen Seite stellungsweisen immer noch mit. Die Ent- sind zahlreiche Elemente des „histori- wicklung der digitalen Bildaufbereitung schen“ Film noir weiterentwickelt wor- hat schließlich dazu geführt, dass nicht den, wobei – wie nicht anders zu erwarten nur Bildtableaus, sondern auch innerbild- – eher Redundanz als Variation feststellbar liche Bewegungen beliebig gedehnt oder ist. Auch Film noir fällt schließlich nicht gestaucht werden und damit nicht nur hinter die technischen Begrenzungen und räumliche, sondern auch zeitliche Wahr- soziokulturellen Kontexte des Mediums nehmungskonventionen zur Disposition zurück. Expressive Bilderordnungen ent- gestellt werden können. Wie THE MATRIX stehen unverändert aus zu grafischen Ar- gezeigt hat, entstand die Möglichkeit zur rangements stilisierten Aufnahmen, die Subjektivierung von Bewegungsabläufen mit Hilfe – gemessen an den Standards des einerseits aus dem ästhetischen Reper- illusionistischen Filmemachens in Holly- toire des Action-Films, verdankt sich an- wood – ungewöhnlicher Kameraoperatio- dererseits aber einem Synergieeffekt mit nen und überwiegend im low-key-Verfah- den medialen Möglichkeiten des Anima- ren hergestellt werden. Die Entwicklung tionsfilms, der wiederum mit der Bilder- hochempfindlichen Farbfilmmaterials sprache japanischer Mangas in enger Ver- und die Möglichkeit der chemischen bindung steht. Neben den visuellen Qua- Nachbearbeitung etwa in aufwändigen litäten ist insbesondere der Gestaltung Silberrückgewinnungsverfahren wie bei der Tonebene große Aufmerksamkeit zu- einigen Kopien von SE7EN (vgl. Taubin teil geworden. Spätestens seit BLUE VEL- 1996: 24) oder die Arbeit mit Farbfiltern VET, in dem ausgerechnet das Ohr zum und farbigen Transparenzen wie in THE Ausgangspunkt der investigativen Reise UNDERNEATH haben die ehedem schwarz- der Hauptfigur wird, erlangt die akusti- weiß dominierte Bildästhetik beerbt und sche Erzählung einen besonderen Status dem Noir-Film die Möglichkeiten der sub- innerhalb des expressiven ästhetischen jektivierenden Bildgestaltung durch Farbe Noir-Gefüges. Das voice over des „histori- erschlossen. Unterdessen führen die Bil- schen“ Film noir hat sich zur akustischen der des neueren Noir-Films den Nachweis Irritation des noise over im zeitgenössi- ihrer Herkunft in der häufig beobachtba- schen Noir-Film entwickelt, wie SE7EN ren Rücknahme von Farbsättigungen oder oder LOST HIGHWAY zeigen. 166 3 Méthode noire

Die Konstruktion der Erzählungen verloren. In diesem Kontext erscheinen folgt weiterhin delinearisierenden Strate- FIGHT CLUB und LOST HIGHWAY derzeit als gien, entweder durch die radikale Infrage- die beiden jüngsten und zugleich exzes- stellung des realistischen Gehalts der Er- sivsten Vertreter einer radikal subjektivie- zählung selbst, durch das Unübersicht- renden filmischen Perspektivierung. In lichkeit erzeugende Verfahren der Aufbre- ihnen wird der Ort der Entstehung der chung von Haupthandlungen in multiple Bilder selbst narratives Zentrum der Ex- Nebenhandlungen mit zahlreichen pression: Die psychische Verfasstheit der Haupt- und Nebenfiguren oder durch nar- Erzählinstanz verleiht den Erzählungen rative Rupturen wie beispielsweise in den dieser Filme ihre Form. Für Ralfdieter Fül- Filmen Steven Soderberghs. Nach wie vor ler formiert sich darin zugleich ein neues strukturiert zudem das Thema des dezen- „Genre des Kopf-Films“ (Füller 2001: trierten Subjekts das semantische Feld des 239), was vor dem hier verhandelten Hin- Noir-Films. Obgleich die Senkung von tergrund freilich als Ergebnis des Prozes- „Thematisierungsschwellen“ (Luhmann ses der Ausdifferenzierung des filmischen 1991: 214) dazu geführt hat, dass die be- Verfahrens des Noir-Films erscheint. Die reits im „historischen“ Film noir beob- von Füller genannten Filme – von BLUE achteten Tendenzen zur verdichteten VELVET über BARTON FINK bis zu LOST Darstellung tabuisierter Sexualität und HIGHWAY – verdanken ihren ‚Kopf-Film- manifester Gewalt stellenweise bis zur fil- Effekt‘ narrativen und semantischen Ar- mischen Oberfläche vordringen konnten rangements, die psychischen Befindlich- (vgl. Elsaesser 1999: 310), hat die subjekt- keiten Ausdruck verleihen. zentrierte Perspektive ihren Reiz nicht

3.2 Nicht-Genre

Auf der anderen Seite scheint eine Revisi- noir unter der willkürlichen Verengung on der filmhistorischen Konstruktion des Blickfeldes und zugleich der Emphase „Film noir“ angebracht. Seit Erfindung des Begriffs leiden. James Naremore hat in des Begriffs und bereits vor Nino Frank be- seiner Überblicksdarstellung More Than zeichnet der Terminus „Film noir“ einen Night. Film Noir in Its Contexts (vgl. Nare- Modus operandi des Filmemachens, der je more 1998) das Konzept „noir“ rekon- nach soziokulturellem Umfeld entweder textualisiert als „a kind of mythology, pejorativ oder emphatisch in Verbindung problematizing it by placing the films, the gebracht wird mit verschiedenen künstle- memories, and the critical literature in a rischen Traditionen (Surrealismus, hard- series of historical frames or contexts.“ boiled-Literatur, filmischer Expressionis- (Ebd.: 2) Naremores kulturgeschichtlich mus, poetischer Realismus, Neorealismus, angelegte Untersuchung rekonstruiert Semi-Dokumentarismus), soziokulturel- Film noir als populäre Terminologie für len Umbruchsphasen (Weltwirtschaftskri- „the way we view certain mass-produced se, Zweiter Weltkrieg) und ökonomisch items“ (ebd.: 5) und konzipiert unter Re- determinierten Bedingungen (double bill kurs auf George Lakoff Film noir als „net- und B-Produktion, Farbfilm und Fernse- work(s) of relationship“ (ebd.). hen). Marc Vernet hat gezeigt, wie viele Zugleich lässt sich auf diese Weise die dieser Zugriffe auf das Phänomen Film essenzialistische Konnotation einer Zu- 3.3 Beinahe-Stil 167

ordnung als Genre aufheben. Erscheinen kompositionen einer bevorzugten The- Genredefinitionen bereits deswegen prob- menwahl Ausdruck verleiht. lematisch, weil „every movie is transgene- Eine Poetik andererseits – und so lautet ric or polyvalent“ (ebd.: 6), so lässt sich das ein Ergebnis der Untersuchung – deren Be- Noir-Phänomen mit Hilfe von Genrekon- standteile historisch variieren, neu kombi- zeptionen im Sinne aristotelischer Katego- niert oder wiederholt werden können (wo- rienbildungen nicht erfassen. Auch ange- bei die Wiederholung keineswegs „dassel- sichts der spätestens seit der Nouvelle Va- be“, sondern eine Form der Abweichung gue beobachtbaren und mit dem so ge- und Traditionsbildung bedeutet). Metho- nannten postmodernen Film auch mas- disch bedeutet das eine Verschiebung der senwirksam werdenden (selbst-)reflexiven beobachtungsleitenden Differenz von der und dekonstruktiven Verflüssigung filmi- Poetik zur Ver-Dichtung, von der Statik scher Konventionalität werden zuneh- der synchronen Betrachtung zur Dynamik mend auch die Einheitsvorstellungen der eines nicht-teleologischen, evolutionären Genremodelle fragwürdig (vgl. Altman Prozesses, mit der Funktion, Filmen for- 1999). Nicht die Subsumtion unter einen mal eine subjektivierende Perspektive ein- ontologisch gedachten Oberbegriff, son- zuschreiben. Nicht dass auf mehr oder we- dern die Modalitäten der Verkettungstech- niger reduktionistische Zuschreibungen nik verschiedener, historisch und sozial wie Schwarzweiß, Dunkelheit und Regen, variierender Elemente, die einen spezifi- delineare Erzählform oder ubiquitärer Pes- schen semantischen Komplex mit der Be- simismus verzichtet werden könnte, doch zeichnung Film noir reproduzieren gera- erst ihr Zusammenspiel kunstituiert Filme, ten auf diese Weise in das Zentrum des In- die dann als Noir-Film bezeichnet werden teresses. Diese Betrachtungsweise kehrt können. Die notwendige Bedingung des die monadische Perspektive um und ent- Noir-Films liegt im Erfordernis des expres- tarnt die polyzentrische Operationalität siven Verfahrens begründet, das aus kon- des Film noir, die Genreformierungen spe- tingenten Topoi ein „passendes“ Verdich- zifische Verkettungs- bzw. Verdichtungs- tungsmoment konstruiert. Das Medium modi zur Verfügung stellt. Entsprechend Film stellt dafür eine Reihe spezifischer bezeichnet Film noir eine ästhetische Ver- Möglichkeiten zur Verfügung, wie sie in knüpfungsregel, deren Kombinatorik eine den vorangegangenen Kapiteln spezifi- filmische Poetik hervorbringt, die mit Hil- ziert worden sind. fe expressiver Bilder-, Ton- und Erzähl-

3.3 Beinahe-Stil

Alternativ zur Genrezuordnung wurde Die perspektivische Verengung erliegt oft- Film noir in Anbetracht seiner auffälligen mals der Faszination der bildlichen Ober- visuellen Qualitäten vielfach als Stil be- fläche, noch bevor ihr Verhältnis zur Er- zeichnet. Ob als „visual style“ bei Janey zählung und zum Thema geklärt ist. Auf Place und Lowell Petterson (vgl. Place, der anderen Seite verführt die Semantik Petterson 1974: 30) oder unter besonderer des Stils dazu, eine Reihe Kunstprodukte Berücksichtigung des fotografischen Stils wahlweise unter personalisierenden Vor- in Alain Silvers und James Ursinis großfor- zeichen lesbar zu machen, sie einer epo- matigen Bildband The Noir Style (1999): chalen oder regionalen Konfiguration zu- 168 3 Méthode noire

zuweisen, obgleich solche Erklärungsver- beantwortet bleiben dabei allerdings Fra- suche für Motivationen nur selten einer gen nach der Möglichkeit, wiederkehren- genaueren Betrachtung standhalten. Ein de Erzählstrukturen oder thematische so gefasster Stilbegriff limitiert Zuschrei- Schwerpunktbildungen mit dem Stilbe- bungen. Auf der anderen Seite ist Inten- griff zu erfassen. tionalität eine Beobachtungsoption, die Für eine Konzeptualisierung des Noir- dazu tendiert, die Beweislast der Interpre- Phänomens scheint eine an apparativ- tation einer Kunstkommunikation unter technischen devices festgemachte stilisti- Ausblendung möglicher anderer Verwei- sche Option offenbar zu kurz zu greifen. sungshorizonte und der Prozessualität Dennoch bietet Bordwells dreigliedriges von Kommunikation auf eine mehr oder Narrationsmodell Anknüpfungspunkte weniger imaginäre Urheberschaft zurück- für eine zugleich formalästhetische und zuverlagern. Denn nicht zuletzt ist auch prozesshafte, also eine historische Poeto- Intention eine Form von Interpretation logie des fiktionalen Films: „In the fiction und nur in einem rekursiven Zusammen- film, narration is the process whereby the hang denkbar. Einen Ausweg aus diesem film’s syuzhet and style interact in the course Dilemma versprechen neuere Untersu- of cueing and channeling the spectator’s con- chungen, die „nicht primär Urheberschaf- struction of the fabula“ (Bordwell 1985: 53; ten ableite(n), sondern die Effekte, die Herv. im Orig.). Während als syuzhet – ana- Wirkungen der Kameraarbeit im filmi- log dem Plot – all das bezeichnet wird, was schen Text ausmach(en)“ (Prümm 2001: von der Geschichte tatsächlich auf der 17). Stil ist dann Teil eines „kalkulierten Leinwand sichtbar und aus den Lautspre- Zusammenhang(s) des Ausdrucks und der chern hörbar wird, bezeichnet style dessen Form“ und bezeichnet als „dynamischer audiovisuelle Formierung. Aus beiden Sub- Begriff [...] einen Vorgang, einen Prozeß, systemen des narrativen Prozesses kon- ein Verfahren.“ (Ebd.: 18f) struiert der Zuschauer auf der Basis sche- Vor dem Hintergrund dieser Proble- matisierten Vorwissens schließlich die fa- matik hat David Bordwell vorgeschlagen, bula und interpretiert sie als Geschichte. Stil als „systematic use of cinematic devi- Wie die Untersuchung gezeigt hat, ver- ces“ innerhalb filmischer Narration zu wendet der Noir-Film nicht nur formaläs- fassen (Bordwell 1985: 50). Auf diese Wei- thetische und erzähltechnische Muster zur se verschiebt sich der Fokus der Stilbeob- expressiven Ausgestaltung seiner Ge- achtung von Beschreibungen von Indivi- schichten, er verleiht damit auch immer dual-, Gruppen- oder Epochenstilen auf wieder denselben semantischen Komple- die Beobachtung ihres gemeinsamen Be- xen Ausdruck, d.h. er verdichtet bestimm- zugspunktes, der systematischen Verwen- bare Geschichten auf spezifische Art und dung wiederkehrender Muster etwa der Weise, so dass wiederkehrende Themen in Inszenierung, der Fotografie, des Schnitts der Form von Geschichten nicht nur sicht- oder des Tons. Dergestalt formalisiert und hörbar gemacht, sondern auch be- werden „texture(s) of the film’s images nennbar bzw. lesbar werden. Für die her- and sounds“ (Bordwell 1997: 4) zum Ge- kömmliche neoformalistische Betrach- genstand stilistischer Untersuchungen, tung ist die methodische Erfassung von die Bordwell konsequenterweise schließ- Themen aber mit einigen Problemen ver- lich in eine an technischen Inszenie- bunden, die zuvorderst in der unterkom- rungsproblemen orientierte Stilgeschich- plexen Reflexion ihres kommunikations- te münden lässt (vgl. Bordwell 1997). Un- theoretischen Status begründet liegen. 3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY 169

3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY: Abkürzungen des neoformalistischen Narrationsmodells

„Der Formalismus der russischen ästheti- methodisch-theoretischen Zugriffs auf das schen und literaturwissenschaftlichen Verhältnis von Film und Gesellschaft ge- Schule hatte recht, wenn er behauptete, nommen (vgl. E. Ann Kaplan 1978). Be- dass alle Elemente des Kunstwerks ohne reits aus Gründen der semantischen Zu- Unterschied Bestandteile der Form sind. richtung jedes filmischen Artefakts – und Man muß jedoch hinzufügen, dass alle abgesehen von der mangelnden Reflexion Elemente des Kunstwerks unterschiedslos des Zeichencharakters filmischer Äuße- auch Träger einer Bedeutung und außer- rungen im formalistischen Modell – kann ästhetischer Werte, somit auch Bestand- die Fragestellung, wie Noir-Filme funktio- teile des Inhalts, sind.“ nieren, nicht oder nur willkürlich auf das Jan Mukarovský (1970a: 103) poetische Verfahren beschränkt bleiben. Auf der anderen Seite fallen Ansätze, die vor allem die außerästhetischen Funktio- 3.4.1 Neo-/Formalismus, Zeichen nen des Noir-Films zum Maßstab ihrer Be- und Struktur schreibungen gemacht haben, hinter die Die hier vorgeschlagene Lesart zur Ermitt- Einsicht zurück, dass in Kunstwerken die lung der historischen Poetik des Noir- ästhetische die dominierende – wiewohl Films basiert auf dem neoformalistischen nicht die einzige – Zeichenfunktion ist. Modell des narrativen Films. Die Vorteile Aus diesem Grund scheint es ratsam, den liegen auf der Hand: analytische Klassifi- scheinbaren Widerspruch zwischen Poe- zierbarkeit von funktionalen Einheiten tik und Semantik in einer formalen Be- und damit diachrone und synchrone Ver- trachtung zeichenhafter Strukturen filmi- gleichbarkeit ästhetischer Verfahren unter scher Kommunikationen aufzuheben. Vor Gesichtspunkten narrativer Zweckmäßig- diesem Hintergrund wird Bedeutung keit. Seine Nachteile sind bereits genannt selbst zur formalen Kategorie des Noir- worden: der Verzicht der methodischen Filmischen. Zusammen mit der histori- Anbindung an ein Zeichenmodell und schen Poetik sind auch Bedeutungen per- eine daraus resultierende semantische manenten Veränderungen unterworfen, Leerstelle. Aber gerade die Debatte um und zwar abhängig nicht nur von filmi- den historischen Film noir hat deutlich schen Verfahren, sondern auch von kultu- gemacht, dass die veränderte Form zu- rellen Entwicklungen, die wiederum auf gleich als Zeichen einer Bedeutungsver- filmische Verfahren selbst einwirken. Eine schiebung interpretiert worden ist. Das dergestalt semantisch aufgeladene histori- Auftauchen einer neuen Form ist also zu- sche Poetik macht noir als Zeichen ver- gleich mit einer Veränderung im semanti- dichtende Struktur innerhalb eines kom- schen Bereichs innerhalb des klassischen munikativen Systems beschreibbar, des- Hollywood-Erzählkinos verbunden wor- sen Verweisungshorizont den kulturellen den und nicht nur mit Innovationen in Themenvorrat, d.h. Semantiken adres- Bezug auf formalästhetische Parameter. siert. Erst die zeichentheoretische Fassung Wie gezeigt, hat beispielsweise die femi- des poetologischen Modells macht filmi- nistische Filmtheorie die Konstruktion sche Verfahren als semantische Prozesse von Weiblichkeit besonders im histori- beschreibbar, die Zeichen verwenden und schen Film noir vielfach zum Anlass ihres als Kommunikationsprozesse lesbar wer- 170 3 Méthode noire

den. Besonders Roman Jakobson und Jan tischen Bedeutung erweitert. In Anleh- Mukarovský haben auf das kommunika- nung an Jakobsons Zeichenmodell hat tions- und insbesondere zeichentheoreti- Mukarovský darauf hingewiesen, dass das sche Defizit einer ausschließlich formalis- einzelne Kunstwerk „den Charakter eines tischen poetischen Betrachtung von Spra- Zeichens [hat]. Es kann weder mit dem in- che und Kunst mit entsprechenden struk- dividuellen Stand des Bewußtseins seines turalistischen Modellbildungen geantwor- Urhebers noch mit dem eines das Werk tet (vgl. Günther 1973). wahrnehmenden Subjekts identifiziert Vor diesem Hintergrund muss sich der werden, noch mit dem, was wir das mate- neoformalistische Ansatz an den eigenen rielle Werk nannten.“ (Mukarovský Voraussetzungen messen lassen, dem rus- 1970c: 146) Mukarovský Darstellung des sischen Formalismus und seiner Interpre- Kunstwerk-Zeichens als kollektivem ästhe- tation durch den strukturalistischen An- tischen Objekt erschöpft sich allerdings satz. Unverändert besteht der Verdienst nicht, wie der formalistische Ansatz, in der des russischen Formalismus darin, dass er immanenten Kunstbetrachtung einer poe- „Kunst [...] auf das Machen, auf ihre Ver- tischen Funktionsanalyse: „Die ästheti- fahren, auf Technik zurückgeführt und da- sche Funktion an sich vermag nicht allein mit der wissenschaftlichen Analyse er- das Zeichen, das sie schafft, auch mit ei- schlossen“ (ebd.: 25) und so „die Form in nem vollen Sinn auszustatten – daran hin- ihrer spezifischen Bedeutung als ästheti- dert sie ihre fehlende Ausrichtung auf ein sches Ordnungsprinzip stabilisiert“ (ebd.: äußeres Ziel, denn gerade diese Ausrich- 40) hat. Dies impliziert auch die Aufhe- tung setzt die anderen, die außerästheti- bung der Unterscheidung von Form und schen Funktionen in bezug zu bestimmten Inhalt, wie sie die traditionelle Kunstwis- Bereichen oder Aspekten der Wirklichkeit, senschaft bevorzugte: „Dabei pflegt die die dann in die Funktion selbst als deren Form mit der Gestalt und der Inhalt mit ‚Inhalt‘ hineinprojiziert werden.“ (Muka- dem Thema gleichgesetzt zu werden. Das rovský 1989a: 77) Die hierin angesproche- ist jedoch falsch: alle Komponenten des ne Kategorie des Sinns verbindet schließ- Kunstwerks sind zugleich schon deshalb lich Funktion und Bedeutung, also die Inhalt und auch Form, weil sie in ihrem technisch-kommunikativen mit den se- Wesen alle Träger von Bedeutung sind; sie mantischen Aspekten des Filmischen. sind auch gemeinsam und unteilbar Trä- Ganz allgemein gesprochen orientiert ger aller Funktionen.“ (Mukarovský Sinn Funktion und Bedeutung an sozio- 1989a: 83; Herv. im Orig.) Jan Mukarov- kulturell Bestimmbarem, repräsentiert im ský, Mitglied des Kreises der Prager Struk- Begriffs- und Themenvorrat der Kultur, turalisten, von dem dieses Zitat stammt, der Semantik. Und Zeichen geben schließ- benennt damit zugleich einen der Haupt- lich die Richtung der Verbindung – Ver- kritikpunkte am Modell des russischen knüpfungskonventionen – von Funktion Formalismus: den ungeklärten Zusam- und Bedeutung vor, regulieren individuell menhang von Funktion und Bedeutung. und kollektiv Erfahrungsverarbeitung und Mukarovský selbst hat sich der Fragestel- Erwartungssteuerung durch mediatisie- lung in zahlreichen Aufsätzen gewidmet rende, d.h. technisch-formale Reduktion und den erkenntnistheoretischen Fokus auf bestimmbare Bedeutungen, die nur auf auf die Analyse des ästhetischen Inhalts diese Weise Strukturwert erlangen – z.B. in von Bedeutungen im russischen Formalis- der semantischen Formel Film noir, die zu- mus um die formale Analyse der ästheti- gleich ein technisches Verfahren bezeich- schen Ausformulierung einer außerästhe- net. 3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY 171

Die Verknüpfung von Funktion und auf jedwede (nicht nur künstlerische) Äu- Bedeutung ist allerdings weder eindeutig ßerung übertragbar, also auch auf das fil- noch beliebig. Die Debatte etwa darum, mische Verfahren, das wie Sprache durch was Film noir ist, liefert ein eindrucksvol- spezifizierbare Formen Informationen les Beispiel dafür. Folgte man allein dem Ausdruck verleiht. Wichtig scheint in die- neoformalistischen Modell, so wäre mit sem Zusammenhang insbesondere Jakob- der Ermittlung der ästhetischen Funktion sons Hinweis darauf, dass Zeichen verwen- des filmischen Noir-Zeichens das Phäno- dende Äußerungen wie Sprache nicht auf men bereits erschlossen. Problematisch eine Funktion reduziert werden können, wird diese Betrachtung allerdings vor dem auch nicht die poetische, da die Verschie- Hintergrund der nicht-ästhetischen Zei- denheit der Ausdrucksmöglichkeiten chenfunktionen. Den Zusammenhang nicht auf der „beherrschenden Stellung ei- von ästhetischer und außerästhetischen ner Funktion über die andere [beruht], Funktionen hat Roman Jakobson aufge- sondern auf einer unterschiedlichen hie- zeigt. Sein linguistisch inspirierter Vor- rarchischen Ordnung der Funktionen“ (Ja- schlag, für die Untersuchung literarischer kobson 1971: 147). Aus diesem Grund Texte ein Kommunikationsmodell der lässt sich schließlich die Funktionalität ei- Sprache heranzuziehen, trägt der im for- ner künstlerischen Äußerung nicht allein malistischen Modell unterschlagenen auf die „prädominante“ (ebd.) poetische Multifunktionalität des sprachlichen Aus- Funktion von Kunstwerken festlegen. drucks Rechnung (vgl. Jakobson 1971). Ja- Dennoch rückt die ästhetische Funktion, kobson unterscheidet gemäß Bühlers die Gegenstand der Poetik des Films ist, Sprachmodell (Bühler 1933) zwischen den die „Komposition des Sprachzeichens“ Bezugsgrößen Sender, Nachricht und (Mukarovský 1967: 48) in den Vorder- Empfänger und differenziert im Bereich grund. Sie entreißt das Zeichen dem un- der Nachricht zwischen Kontext, Kode mittelbaren praktischen Zusammenhang, und Kanal. Jedem dieser „konstitutiven der von den anderen Funktionsbereiche Faktoren“ (Jakobson 1971: 146) der Spra- des Zeichens abgedeckt wird. Immer aber che ordnet Jakobson eine Funktion des erfüllt das Zeichen alle Funktionen poten- sprachlichen Ausdrucks zu: In Bezug auf ziell gleichzeitig. Deswegen verkennt eine den Sender schreibt Jakobson dem sprach- funktional spezifizierte, poetische Analyse lichen Zeichen eine emotive (expressive) des filmischen (Noir-)Zeichens – selbst Funktion, hinsichtlich des Empfängers wenn sie sich auf die die Äußerung domi- eine konative (appellierende) Funktion, nierende Funktion bezieht – die dynami- im Hinblick auf Kontexte eine referenziel- sche, Bedeutungen produzierende Struk- le (Bezug nehmende) Funktion, bezüglich tur des Aufeinandereinwirkens im Zusam- des Kontaktmediums eine phatische (Kon- menspiel sämtlicher ästhetischer und takt herstellende) Funktion, für den Kode nicht-ästhetischer Funktionen innerhalb entsprechend eine metasprachliche (ver- des Kunstwerks: „Gegen ein solches Ver- ständigungsorientierende) Funktion und fahren muß man einwenden, dass die for- (einzig) in Bezug auf die Nachricht eine malen Elemente vollkommen erst aus der poetische (ästhetische) Funktion zu. Ob- Sicht des Ganzen verstanden werden kön- wohl Jakobson diese Vorstellung anhand nen und dass sie innerhalb dieses Ganzen der Funktionsbereiche des sprachlichen einen sehr variablen Sinn erhalten.“ Ausdrucks expliziert, macht die Abstrak- (Mukarovský 1970a: 99) Die Zeichenana- tionslage des an der Sprache beispielhaft lyse von Kunstwerken kann deswegen entwickelten Kommunikationsmodells nicht in der Untersuchung ihrer poeti- 172 3 Méthode noire

schen Funktionen aufgehen, wie es der den Kontext gerichtete Funktion des Film neoformalistische Ansatz nahe legt. Eine noir erheblichen Strukturwert für das Phä- solche Betrachtung würde nicht nur von nomen erlangt hat. Andere Autor/inn/en den Wirkweisen der außerästhetischen wiederum haben insbesondere die expres- Funktionen des Kunstwerk-Zeichens, son- sive Funktion, oftmals deklariert als Stil- dern auch von ihrem Verhältnis zur ästhe- willen oder Stilbewusstsein, des Noir-Film tischen Funktion absehen. Aus diesen betont. Gründen folgt das in dieser Untersuchung favorisierte Modell Mukarovskýs Relati- 3.4.2 Neo-/Formalismus, vierung der poetischen Analyse. Für Verfremdung und Kommunikation Mukarovský besteht „[d]er Wert der poeti- schen Benennung [...] allein in der Aufga- In den (mono-)funktional spezifizieren- be, die sie im semantischen Gesamtaufbau den Analysen wird eine Tendenz sichtbar, des Werks erfüllt.“ (Mukarovský 1967c: die Komplexität des zeichenverwenden- 47) Entsprechend resultiert aus der Multi- den Verfahrens und seinen Wirkmecha- funktionalität des Zeichens eine Multiper- nismus aus den Augen zu verlieren. So spektivität der Kontexte, auf die es sich be- kann man sich zuweilen des Eindrucks ziehen lässt und auf diese Weise mit Be- nicht erwehren, Film noir sei quasi vor- deutungen ausstattet. Vor diesem Hinter- aussetzungslos entstanden und ebenso grund bezeichnet noir nicht länger eine spurlos wieder verschwunden. In dieser einzige Funktion oder eine Kombination Sichtweise erhält Film noir nahezu mythi- bestimmter Funktionen, sondern ein äs- sche Bedeutung. Agenten dieser Perspekti- thetisch dominiertes zeichenhaftes Ver- ve sind bereits benannt, Marc Vernet als dichtungsmoment, dessen Analyse stets einer ihrer Widersacher bereits ins argu- seine Struktur „als Gesamtheit der Zei- mentative Feld geführt worden. Ausge- chen“ (Mukarovský 1967a: 26), die ver- hend von der Zurechnung des Noir-Films wendet werden, mitberücksichtigen muss. zum narrativen Film lässt sich die Soll- Die Untersuchung der Entwicklung des bruchstelle des filmischen Zeichens, sein Noir-Films, wie sie in den Kapitel 2 skiz- Irritationsmoment, allerdings recht präzi- ziert worden ist, hat diesem Umstand se benennen und damit auch die Traditi- Rechnung getragen. on, vor deren Hintergrund Noir-Film sei- Zumindest hinsichtlich der wissen- ne Konturen erhält. Die Funktionsstelle, schaftlichen Erforschung des Noir-Films an der Bedeutungen kondensieren bzw. muss deswegen gefordert werden, dass sei- die ästhetische Funktion wahrnehmbar ne strukturelle Analyse nicht bei der Be- wird, wird in Anlehnung an die Begriffs- schreibung formaler Veränderungen im bildung des russischen Formalismus auch Hinblick auf realistische Darstellungskon- im neoformalistischen Verfahrensmodell ventionen und genrespezifische Erzähl- mit dem Konzept der Verfremdung (rus- motivationen stehen bleiben darf. Darü- sisch: ostranenie) beschrieben. Damit ist ber hinaus muss sie diese Veränderungen zunächst eine formale Abweichung von auch im Kontext außerästhetischer Verän- ästhetischen Konventionen beschrieben, derungen lesbar machen, d.h. das künstle- die die gewohnheitsmäßige Wahrneh- rische bzw. filmische Zeichen zugleich im mung ‚entautomatisiert‘: „Kurz gefasst Hinblick auf seine außerästhetische Funk- geht es dabei um folgendes: Jeder Gegen- tion befragen. So hat etwa James Naremo- stand, der Teil unserer gewohnten, alltäg- res historische Diskursanalyse zeigen kön- lichen Umgebung ist, wird nicht mehr im nen, inwiefern etwa die referenzielle, auf eigentlichen Sinne gesehen, sondern ein- 3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY 173

fach nur noch ‚wahrgenommen‘, wie es Unterschiede voraus. Das formalistische bei Šklovskij heißt [...] Mit anderen Wor- Modell hat dafür den Begriff der Domi- ten: Unsere Wahrnehmung dieses Gegen- nante vorgeschlagen: „Die Dominante be- standes ist eine ‚automatisierte‘. Aufgabe stimmt, welche Verfahren und Funktio- der Kunst hingegen ist es, uns die Dinge nen sich als wichtige verfremdende Merk- wieder wirklich sehen zu lassen, und dazu male ausweisen und welche weniger wich- muß man sie ‚fremd machen‘ [...] Diese tig sein dürften. Die Dominante durch- Differenzqualität wird somit zur Grundla- zieht, lokale und umfassende Verfahren ge jeden ästhetischen Erlebens.“ (Kessler beherrschend und verbindend, das ganze 1996: 53) Eco hat den Verfremdungseffekt Werk; durch die Dominante treten die stilisti- so beschrieben: „Der Verfremdungseffekt schen, narrativen und thematischen Ebenen realisiert sich durch die Entautomatisie- in Beziehung zueinander.“ (Ebd.: 60; Herv. rung der Sprache [...] Plötzlich aber ge- B.R.) Die Dominante des Mainstream- braucht ein Autor, um etwas zu beschrei- Films besteht für David Bordwell in der ben, was wir vielleicht schon immer gese- „coherent representation of narrative hen und gekannt haben, die Wörter (oder time, space, and causality“ (Bordwell andere Arten von Zeichen) auf eine ande- 1983: 10). Die dafür erforderliche techni- re Art, und unsere erste Reaktion zeigt sich sche Durchführung dominiert schließlich in einem Gefühl der Fremdheit, in einer das ästhetische Verfahren, z.B. die Wahl Unfähigkeit fast, das Objekt wiederzuer- der Kameraposition, den Einsatz von Licht kennen [...] Von diesem Gefühl der ‚Merk- und Musik und dergleichen (s. ebd.). Das würdigkeit‘ geht man zu einer erneuten klassische Erzählkino hatte hierfür das Betrachtung der Botschaft über, die uns continuity system entwickelt mit zeitlich das Dargestellte auf verschiedene Weise und räumlich linearen, psychologisch mo- betrachten lässt, aber gleichzeitig natür- tivierten und an wenigen Charakteren lich auch die Darstellungsmittel und den orientierten Erzählmustern, gleichmäßi- Code, auf den diese sich bezogen.“ (Eco ger Ausleuchtung sowie einer Kameraar- 1993: 423) Verfremdung ist schließlich beit, die der angenommenen menschli- auch für den Neoformalismus „grundle- chen Normalperspektive und Wahrneh- gende(r) Zweck der Kunst“ (Thompson mung entspricht: Eine Übersetzung ver- 1995: 31). muteter anthropologischer Konstanten in Übertragen auf das Verfremdungspo- das ästhetische Verfahren also, das die tenzial des Noir-Films bedeutet dies nichts möglichst bruchlose Illusion einer kohä- anderes, als dass sein ästhetisches Verfah- rent repräsentierten Realität gewährleis- ren von der gewohnten Art und Weise des ten soll. Aber nicht nur technische Aspek- Filmemachens signifikant abweicht. „Ge- te formieren die Dominante des narrati- wohnte Art und Weise“ ist in dieser Unter- ven Films. Als „‚canonical‘ story format“ suchung mit narrativer Film übersetzt (Bordwell 1985: 35) bezeichnet Bordwell worden, wie er besonders, aber nicht aus- zugleich die Konventionen der Abfolge schließlich, während der Zeit des Studio- der Präsentation von Inhalten durch den systems in Hollywood entwickelt worden Plot: „setting plus characters – goal – at- ist. Seine ästhetischen Parameter bilden tempts – outcome – resolution“ (ebd.). Un- den Bezugsrahmen des verfremdenden ter formaler Einbeziehung des Zeichen- Verfahrens des Noir-Films, zumal sie un- charakters filmischer Äußerungen – und verändert ästhetische Norm innerhalb des das ist entscheidend – umfasst die Domi- narrativen Films sind. Signifikanz setzt an- nante allerdings zusätzlich historisch ver- dererseits die Beobachtung qualitativer dichtete Bedeutungsebenen, denn „sobald 174 3 Méthode noire

die ästhetische Botschaft einer semioti- schichtlich betrachtet setzt diese Form schen Untersuchung unterworfen wird, klassischen Filmemachens die realistische muß man die so genannten ‚expressiven‘ Darstellungstradition fort. Das ästhetische Mittel in Kommunikationsmittel auf der Verfahren lässt sich entsprechend in Be- Grundlage von (eingehaltenen oder ver- zug auf seine Objektivierungsleistung so- letzten) Codes übersetzen.“ (Eco 1993: zialer Befindlichkeiten durch die Form des 415) Die Konstruktion der fiktiven erzähl- illusionistischen Realismus als objektivie- ten Gesellschaft im klassischen Erzählfilm rendes Verfahren bezeichnen. hat sich immer wieder an vorherrschen- Der Noir-Film markiert eine Verschie- den sozialen Wertekomplexen orientiert. bung dieser Dominante. Sein poetisches Dazu gehören formal bestimmbare soziale Verfahren irritiert die Wahrnehmung Rollenverteilungsmodelle, stereotype Kon- durch audiovisuelle, narrative, themati- fliktlösungsstrategien oder konventionali- sche und semantische Abweichungen von sierte Handlungsmuster etwa zur Wieder- den Konventionen des Erzählfilms Holly- herstellung einer bedrohten sozialen Ord- woods. Kapitel 2 hat die Differenzqualitä- nung mit einem Hauptcharakter als Reprä- ten beschrieben, die dies bewirken. Die sentant der Wertvorstellungen. Obgleich thematische Orientierung des Noir-Films – der narrative Film Gesellschaft nicht Tod, Liebe, Investigation, Detektive, Poli- schlicht abbildet, sondern vielmehr eine zisten, Männer und Frauen etc. – hingegen eigene Version davon erzählend konstru- unterscheidet sich kaum von den Stan- iert, orientieren sich nicht nur die zu die- dards. Dies mag einer der Gründe sein, sem Zweck ausgewählten ästhetischen weshalb Film noir von der Filmkritik im- Verfahren, sondern auch die erzählten so- mer wieder unter Genrekategorien subsu- zialen Zusammenhänge an vermuteten miert worden ist. Nicht selten hat die Alltagserfahrungen. Formal betrachtet lie- Identifikation des Filmischen mit seinem fert die reale Gesellschaft der Filmpraxis thematischen Komplex durch die Kunst- dafür „the raw material of social history kritik zur Nicht-Berücksichtigung anderer and of social discourses“ (Kellner 1998: formaler Aspekte des Filmischen geführt. 355; Herv. B.R.). Und nicht zuletzt partizi- Die Fixierung aufs Thematische übersieht pieren die fiktiven Erzählungen selbst an indes, dass das Thema lediglich den Cha- sozialen Diskursen, werden Elemente der- rakter einer Mitteilung hat, die auf reale selben, wirken auf sie durch das verfrem- Lebenswelten außerhalb des Filmischen dende Verfahren ein und beteiligen sich verweist. Nur deswegen treten „die außer- auf diese Weise wiederum an der Formie- ästhetischen Funktionen am Thema am rung ihrer Geschichte (s. ebd.). Inwiefern deutlichsten zutage“ (Mukarovský 1989a: sie bereits deswegen auch ideologische 84). Das Thema wird also irrtümlicherwei- Vorstellungen repräsentieren, muss am se als außerästhetischer Realitätsaspekt Einzelfall geprüft werden. Dennoch kom- des Filmischen interpretiert und nicht als plettiert erst dieser semantische Zusatz das Element des poetischen Verfahrens. Doch Bild der Dominante im klassischen Ver- „[d]ie außerästhetische Funktion [...] ist ei- fahren des narrativen Films. Dessen poeti- gentlich kein Problem der Poetik, sondern sches Verfahren bringt die mitgeteilten so- eines der Soziologie der Dichtung.“ (Mu - zialen Normen zum Ausdruck und objekti- karovský 1967b: 40) Das künstlerische viert sie. Auf der Ebene der syntagmati- Verfahren zur Herstellung von Bedeutung schen Ordnung des Films, d.h. auch: in ist mit dem Rekurs auf das Thema also der Form seiner Zeichenstruktur, erscheint noch nicht benannt, denn wie gezeigt, das semantische Paradigma. Kunstge- geht Bedeutung nicht im Thema auf, son- 3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY 175

dern ist allen formalen Komponenten zu stelligen Prozess zu konzipieren, in dem eigen. Und dies ist die Grundlage für den das innerfilmische Wechselspiel von Syuz- hier unterbreiteten Vorschlag, noir im Un- het (bzw. Plot) und Stil die Konstruktion terschied zum objektivierenden Verfahren der Fabula und ihre Interpretation als Ge- des klassischen narrativen Films als sub- schichte durch den Zuschauer anregt, lässt jektivierendes Verfahren beschreibbar zu sich aber auch in kommunikationstheore- machen. Sein Zweck besteht letztlich in tischer Perspektive um den Aspekt der Be- der Objektivierung psychischer Befindlichkei- deutung erweitern. ten; seine Bedeutung erhält es durch die Dafür ist es zunächst notwendig, das Verschiebung in der Dominante des klassi- Kommunikationsmodell um den Aspekt schen Erzählfilms: der narrativen Objekti- des Verstehens von Mitteilungen zu ver- vierung eines illusionistischen Subjekti- vollständigen. Auf diese Weise wird zu- vismus. Kurz gesagt: Noir-Filme erzählen gleich die Funktion der Mitteilung selbst – im Rahmen des narrativen Films von der in diesem Fall bestimmte Filme – sichtbar. Modernisierungskrise des Subjekts. Ganz allgemein lässt sich Kommunikation Die so beschriebene Struktur des Noir- als dreistelliger Prozess beschreiben, der Zeichens, dies soll abschließend noch er- die Unterscheidung von ausgewählter In- wähnt werden, hat nicht nur die Funkti- formation und Mitteilungsverhalten dazu on, sich selbst zu präsentieren, sondern ist verwendet, Verstehen zu ermöglichen als Zeichen zugleich formal bestimmbares (vgl. Luhmann 1991: 191ff.). Die Analogie Element sozialer Austauschprozesse, d.h. zum neoformalistischen Modell ist evi- Kommunikation. Unter kommunikations- dent: Im neoformalistischen Ansatz be- theoretischen Gesichtspunkten haben zeichnet Syuzhet bzw. Plot die Auswahl Kunstwerk-Zeichen, also auch Filme, die der Information aus einem Repertoire an Funktion „eines kommunikativen oder mit- (durch die zu erzählende Geschichte fest- teilenden Zeichens.“ (Mukarovský 1970c: gelegten) Möglichkeiten und Stil die Aus- 142; Herv. im Orig.) Vor diesem Hinter- wahl der zur Vermittlung notwendigen grund wird schließlich das Prinzip der Ver- technischen Verfahren, während der Zu- fremdung bedeutsam. In ihm konstituiert schauer diesen Unterschied auf Grund des sich der Informationswert der filmischen verfremdenden künstlerischen Verfahrens Mitteilung: Das verfremdende Verfahren wiederum als Information zur Konstrukti- macht das filmische Mitteilungsangebot on (s)einer Geschichte versteht. Kunstwer- für den Zuschauer nicht nur wahrnehm- ke bzw. Filme erfüllen also zugleich einen bar, „[d]er Film kann sozusagen auf solch kommunikativen Zweck, haben eine so- ein genaues Hinsehen dringen, wenn ziale Funktion. In der eher essenzialisti- nämlich zwischen unseren Sehgewohn- schen Lesart Mukarovskýs heißt das: „Das heiten und der wahrgenommenen Film- Kunstwerk [ist] dazu bestimmt, zwischen struktur irgendeine Diskrepanz entsteht seinem Urheber und dem Kollektiv zu ver- und wir auf etwas Unerwartetes stoßen.“ mitteln.“ (Mukarovský 1970c: 139) Auch (Thompson 1995: 25) Bis hierher folgt also in konstruktivistischer Lesart erfüllt das auch das neoformalistische Modell kom- Kunstwerk zuvorderst eine soziale Funkti- munikationstheoretischen Prämissen. on: „[D]ie Einheit des Kunstwerks liegt Dass Kommunikation ohne Semantik letztlich in seiner Funktion als Kommuni- nicht denkbar ist, darauf haben Kommu- kationsprogramm.“ (Luhmann 1996: 53) nikationstheorien immer wieder hinge- Und wie gezeigt, verwenden auch filmi- wiesen. Der konstruktivistische Vorschlag sche Prozesse dafür Zeichen und adressie- des Neoformalismus, Narration als zwei- ren auf diese Weise Semantiken. Auf 176 3 Méthode noire

Grund seiner Beschränkung auf prozessin- richtung auf Semantiken undenkbar sind, terne Verfahren hat der Neoformalismus ist Bedeutung in narrativen Künsten zu- allerdings die sachliche, zeitliche und so- gleich an konkrete Stoffe gebunden: „Das ziale Strukturierung filmischer Kommuni- Kunstwerk hat daher eine zweifache se- kation durch semantische Komplexe bis- miologische Bedeutung, eine autonome lang nicht nur ignoriert, sondern vielmehr [als Zeichen; B.R.] und eine kommunikati- ihre Relevanz für die Filmanalyse bestrit- ve, deren zweite vor allem den Künsten ten. Der neoformalistische Ansatz blendet vorbehalten ist, die einen Stoff haben.“ jenen Bereich systematisch aus, aus dem (Mukarovský 1970c: 143). Kommunikati- Filme ihre Themen auswählen: die Kultur, ve Künste sind für Mukarovský diejenigen jenem „Gedächtnis der Gesellschaft“ bzw. „Künste, in denen es ein ‚Sujet‘ (Thema, sozial konfigurierten „Filter von Gedächt- Inhalt) gibt“, und in denen „jede Kompo- nis/Erinnern“ (Luhmann 1997: 588), der, nente eines Kunstwerks – unter Einschluß sofern er Themen „eigens für Kommunika- der ‚formalsten‘ – einen eigenen mitteilen- tionszwecke“ bereit hält, als Semantik be- den Wert, der vom Stoff (Sujet) abhängig zeichnet wird (vgl. ders. 1984: 224). Und ist [enthält].“ (Mukarovský 1970c: 143) so wie kommunikative Prozesse ohne Aus-

3.5 Das Ziel als Weg

Was aber, wenn der filmische Prozess das Ergebnis einer Beschreibung seitens eines semantische Zentrum des Film noir in der Beobachters ausgewiesen wird, in diesem formalen Ordnung der Narration reflek- Fall des Neoformalismus? Und worin kon- tiert, wie etwa in FIGHT CLUB? Beziehungs- stituiert sich dieses Selbst der Narration? weise: Wenn das filmische Verfahren so Seymour Chatman hat dafür in Anleh- verdichtet wird bzw. darauf abzielt, in sei- nung an Wayne Booth (Booth 1983) das ner Erzählstruktur jene für das narrative Konzept eines implied author in Anschlag Kino – zu dem auch Film noir zählt – typi- gebracht (vgl. Chatman 1990). Doch auch sche character centered causality zu verdop- dieser Vorschlag verkürzt den kommuni- peln und somit die zentrale Figur in die kativen Zusammenhang des filmischen formale narrative Ordnung zu kopieren Prozesses auf eine personale Instanz, in- wie in LOST HIGHWAY? Oder die Struktur dem er die expressive Funktion des filmi- des Gedächtnisverlusts der Hauptfigur in schen Zeichens in den Vordergrund stellt. Form eines rückwärts erzählenden Plots Betrachtet man das filmische Verfahren erfahrbar zu machen wie in MEMENTO? als kommunikativen Prozess, erscheinen Mit anderen Worten: Welche Funktion solche Modellvorstellungen ebenso frag- übernimmt die Narration, wenn sie wie in würdig wie die methodische Exklusion LOST HIGHWAY über einen hohen Grad an des kommunikativen Problems, dass fil- „self-consciousness“ (Bordwell 1985: 58f) mische Verfahren Bedeutungen produzie- verfügt, wenn nicht eine auf den Zuschau- ren, weil sie Zeichen zur Kommunikation er gerichtete, steuernde, beobachtungslei- verwenden und damit zwangsläufig Beob- tende und so zugleich selbstthematisie- achtung nicht nur anregen, sondern eben- rende? Wie lässt es sich denken, dass eine so zur Bedingung haben. Narration ihrer selbst bewusst, kommuni- Wenn es zutrifft, dass sich das derzeiti- kativ oder wissend ist, wenn dies nicht als ge Verständnis des Film noir der (kontin- 3.5 Das Ziel als Weg 177

genten) Beobachtung der französischen schenden Konventionen klassischer, rea- Filmkritik in der Mitte des vergangenen listischer Narration in Frage stellen. Die Jahrhunderts verdankt, die eine spezifi- „patterns of nonconformity“ des Film noir sche filmische Form der Unterscheidung betreffen „psychological causality […] the von Information und Mitteilung verstan- prominence of heterosexual romance [...] den und sie anschließend mit dem Termi- an attack on the motivated happy ending“ nus film noir bezeichnet hat, so bedarf es sowie „a criticism of classical technique“ letztlich der Beobachtung von Anschluss- (ebd.: 75f). Damit werden eine Reihe von kommunikationen, um die Funktionswei- Eigenschaften beschrieben, die eine Diffe- se des Codes „noir“ zu beschreiben. Wie renz zum konventionellen Erzählkino die bisherige Untersuchung gezeigt hat, markieren. Alle Kriterien verweisen offen- hat die semantische Formel „Film noir“ bar auf semantische Implikationen des eine Reihe Anschlusskommunikationen Film noir, indem sie Motivationen adres- bei Filmkritik, Filmwissenschaft aber vor sieren, die sich nicht filmimmanent klä- allen Dingen im Bereich des narrativen ren lassen. Die Verfremdung der klassi- Films selbst ermöglicht. Daraus resultiert schen Technik bringt nicht nur eine baro- zugleich die eigenartige „amorphous natu- cke Poetik hervor, die vor dem Hinter- re“ (Telotte 1989: 9) des Film noir, oder – grund ästhetischer und soziokultureller jenseits einer organischen Konnotation Entwicklungen selbst auf andere künstleri- der Metapher – seine ‚amöboide‘ diskursi- sche Zeichensysteme (hard-boiled-novel, ve Formation, die sich immer wieder um expressives Filmemachen etc.) verweist, die Achsen Stil, Erzählform und Thematik sie verdichtet diese Traditionen zugleich rekonturiert. Der rekursive Prozess der so zu einem neuen Ensemble, das selbst wie- spezifizierten und auch: erfolgreichen An- derum einem permanentem Wandel un- schlusskommunikationen hat das ästheti- terliegt. Aus diesem Grund scheint es zu sche Verdichtungsmoment semantisch kurz zu greifen, sich auf eine historische aufgeladen, d.h. auch und gerade: seine Poetik des Film noir zu beschränken, viel- kulturellen Bedeutungen verdichtet. mehr müsste ein solches Programm die Geht man von einem Modell der Ver- historisch variablen Interdependenzen dichtung filmischer Kommunikation aus, verfahrenstechnischer Rahmenbedingun- so lassen sich auch für den Noir-Film so- gen mitreflektieren, womit zugleich die wohl synchron als auch diachron Variatio- Poetik des Film noir selbst dynamisiert nen auf den Ebenen der Informationsaus- und von voluntaristischen Festschreibun- wahl (Themen/Inhalte), der Wahl der Mit- gen befreit werden kann. Wenn also Film teilungsform (Stil und Plot) und der daraus noir die Bezeichnung für ein planmäßiges resultierenden spezifischen Verstehensleis- filmisches Verfahren zur Erreichung des tung (Bedeutung) beschreiben. Wie Bord- Zieles ist, Narrationen eine subjektivieren- well, Staiger und Thompson gezeigt haben de Perspektive einzuschreiben, dann (s. Bordwell et al. 1985: 74–77), wählt Film müsste die Emphase der historischen Poe- noir aus einer Reihe ästhetischer und er- tik in eine Betrachtung als zeichenverwen- zähltechnischer Möglichkeiten des narra- dende kommunikative Methode überführt tiven Films diejenigen aus, die die vorherr- werden. 178 3 Méthode noire

3.6 Auffahrt

Die in Kapitel 2 angefertigten Beschrei- chung, eine Annäherung an die vielfach bungen haben in Umrissen Entwick- gebrochene Textur des modernen Ro- lungslinien der filmischen Verfahren des mans.“ (Prümm 1998: 156) Wie moderne Noir-Films entlang jeder der drei operati- Kunstwerke, lenkte auch Film noir ven Achsen (Stil, Plot, Themen) bis zum schließlich den Blick des „Beobachter(s) zeitgenössischen Noir-Film verfolgt. Da- auf das Beobachten der Form“ (Luhmann rin wurden vor allen Dingen Abweichun- 1991: 238). gen gegenüber den Konventionen des illu- Spätestens seit der Nouvelle Vague hat sionistischen Films benannt, dessen rea- das Filmemachen in zunehmendem Maße listische Programmatik entlang psycholo- die eigenen Voraussetzungen mitreflek- gisch motivierter linearer Kausalität vor tiert und spätestens seit den 1960er Jahren allem im Studiosystem Hollywoods zur ist programmatische Reflexivität der eige- klassischen Form entwickelt worden ist. nen medialen Bedingungen zugleich Sig- Offenbar verlagerte die enge Bindung an num modernen Filmemachens. Die mo- „Kompatibilitätsgarantien der Realität“ derne Auseinandersetzung mit der Poetik (Luhmann 1991: 237) das künstlerische des filmischen Realismus’ kulminiert Problem zunächst auf Erfordernisse ihrer schließlich im Versuch einer Integration Imitation. In Fortsetzung künstlerischer moderner Reflexivität und medial gepräg- Erzähltraditionen, vor allem der Kurzge- ter Massenkultur. Postmoderne Verfahren schichte als literarischem „average bet- reagieren auf das Dilemma, dass die „se- ween the fixed character types of the me- mantische Innovation“ (Luhmann 1997: lodrama and the dense complexity of the 1145) moderner Differenzierung schließ- realist novel“ (Bordwell et al. 1985: 14), lich die eigenen Grundlagen erreicht und wurden in Hollywood formal ‚realisti- zur Entdeckung der eigenen widersprüch- sche‘ und zunächst objektivierende filmi- lichen Fundierung geführt hat. Die Befra- sche Verfahren bevorzugt. Doch die gung und Auflösung tradierter Gewisshei- durch verschiedenste (filmhistorische, li- ten macht konsequenterweise auch vor terarische, ökonomische und soziokultu- der eigenen modernen Gewissheit nicht relle) Entwicklungen ausgelösten Ver- halt: Modernes Filmemachen wendet sich schiebungen ermöglichten zunehmend schließlich der eigenen Beschaffenheit zu auch einen psychologisierten Realismus und deckt nicht nur die historisch beding- der Erzählungen als Alternative zum Stan- ten, selbstauferlegten Beschränkungen dard-Erzählmodell. Konsequenterweise, (Konventionen) des Filmemachens auf, obwohl nicht im Sinne einer Kritik, de- sondern entdeckt zugleich, dass es selbst konstruierten die subjektivierten ästheti- Element dieses kommunikativen (Ord- schen und erzähltechnischen Verfahren nungs-)Prozesses ist. Die beobachtungslei- das für das illusionistische Verfahren not- tende Perspektive verschiebt sich von der wendige Moment der „character consis- Reflexion von Formen ‚realistischer‘ Re- tency“ (ebd.: 14) formal und inhaltlich. präsentation – z.B. die „Brechung“ linearer Vor diesem Hintergrund bedeutete Film Zeit im jump cut – zur selbstreflexiven Kon- noir einen ersten, auch massenwirksa- struktion filmischer Formenspiele mit der men Modernisierungsschub der klassi- Option mehrfacher Codierung (vgl. Mersch- schen Erzählkultur des Films: „Film noir mann 1998). Aus der Vervielfachung der ist somit ein Äquivalent zur selbstreflexi- Bedeutungsebenen resultiert zugleich eine ven literarischen Moderne, eine Anglei- tendenzielle Auflösung semantischer Ein- 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 179

deutigkeit, wie sie das realistische Modell Films selbst kopiert. LOST HIGHWAY ver- noch unterstellt hat. dankt seine radikal subjektivierende Per- Film noir hat diesen Prozess antizipiert spektive der konsequenten Verdichtung und Antinomien der Subjektkonstruktion der Topoi des Noir-Films – und dezentriert im klassischen Erzählfilm wahrnehmbar im Effekt auch den Zuschauer. Konnte der gemacht. Seine Methodik konstruiert das Zuschauer sich zuvor stets gewiss sein, am semantische Feld des dezentrierten Sub- Ende ein wie auch immer deformiertes jekts im zeitgenössischen Noir-Film schließ- oder zerstörtes Subjekt, aber dennoch: ein lich als narratives Paradox. Lange vor FIGHT Subjekt zu identifizieren, d.h. benennen zu CLUB haben Noir-Filme wie FORBRYDEL- können, so verweigert LOST HIGHWAY den SENS ELEMENT,BLUE VELVET,BLADE RUNNER (klassischen oder modernen? – jedenfalls oder ANGEL HEART die paradoxe Beschaf- erklärenden) Zugriff auf das narrative Ma- fenheit der character consistency themati- terial. Der Noir-Film erfährt durch diese siert. Doch erst in LOST HIGHWAY hat das Zuspitzung des Verfahrens in LOST derealisierende Noir-Verfahren die wider- HIGHWAY sein bis dato größtes Verdich- sprüchliche Konstitution des psychisch tungsmoment – in der hyperrealen filmi- dissoziierten Subjekts in die Form des schen Dissoziation der Subjektivität.

3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY

„Üblicherweise wird freilich der Eindruck LOST HIGHWAY (1996, David Lynch) zu- der Einheit, den das Werk vermittelt, zum gleich in der Tradition des Noir-Films, hauptsächlichen Maßstab des ästheti- denn „[o]f course, the film noir’s subjects schen Werts gemacht. Die Einheit darf je- are disturbing enough, but the fact that doch nicht statisch, als vollkommene their focus on crime, corruption, psycho- Harmonie, aufgefasst werden, sondern sis and desire channels into an unprece- dynamisch, als Aufgabe, die das Werk dented concern with how we see, under- dem Betrachtenden stellt.“ stand, and describe our world doubly im- Jan Mukarovský (1970a: 107) prints the anxiety, leaving viewers to wonder if there is any reliable posture „Who the hell owns that dog?“ from which to gauge truth.“ (Telotte Fred Madison 1989: 35; Herv. im Orig.) LOST HIGHWAY liefert den filmischen Beweis für diese Be- Von hier aus lässt sich beschreiben, wie hauptung und reflektiert durch das for- die radikale Subjektivierung der filmi- male Arrangement zugleich die struktu- schen Perspektive letztlich das realisti- relle Methodik des Noir-Films. sche Moment der immer noch den For- men der klassischen Erzählung verpflich- 3.7.1 Audiovisualität teten zeitgenössischen Noir-Filme ver- flüchtigt, in der Konsequenz Subjektivi- Licht und Schatten tät fluide werden und durch die mehrfa- Auf der Ebene der Bildästhetik nutzt der che Codierung des Kommunikationsan- Film konsequent Möglichkeiten der Ar- gebots Bedeutung zugunsten von Bedeu- beit mit kontrastreichen Licht- und Schat- tungen verschwinden lässt. Damit steht teneffekten. Räume, Oberflächen und Fi- 180 3 Méthode noire

Abb. 118.1–3 (von oben nach unten) Abb. 121.1–3 (von oben nach unten) guren werden in der Regel mit direktiona- deren abgedunkelten Räume werden so zu lem Licht von der Seite, ober- oder unter- hypothetischen Räumen. Manchmal wer- halb partiell beleuchtet, während andere den unbeleuchtete Bereiche dafür verwen- Bildbereiche nur schwach oder nicht be- det, die Figur Fred in ihnen verschwinden leuchtet werden (Abb. 118. 1–3). Figuren zu lassen (Abb. 119 und 120), ihn für Au- und Gegenstände sind deswegen nur teil- genblicke der Beobachtung zu entziehen. weise sichtbar und Räume erscheinen als Der Übertritt Freds in den Schwarzbereich unübersichtliche und unerkennbare laby- des Bildes hebt die Differenz von Figur rinthische Anordnungen. Die low-key- und Grund bzw. Subjekt und Objekt auf. Lichtsetzung isoliert Figuren oder ent- Dieses Verfahren wird auch in einigen zieht Räumen wie dem Bereich der nächt- Einstellungen angewendet, in denen un- lichen Straße durch völlige Abdunkelung deutlich flüchtige Schatten auf Wänden des Hintergrundes seine räumlichen Qua- wahrnehmbar werden, deren Verursacher litäten. Nicht nur die Straße, auch alle an- unbekannt bleiben.

Abb. 119 Abb. 120 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 181

Abb. 122 Abb. 123

Doch LOST HIGHWAY nutzt auch die ment ebenso wie sie die schleichende „Er- Möglichkeit, mit hellem Licht Irritationen blindung“ der Wahrnehmung suggerie- auszulösen. So übersetzt etwa das Strobos- ren. koplicht in der „Luna Lounge“ das nervöse Timbre von Freds Saxophon-Spiel in ein Farbwerte flackerndes Helldunkel (Abb. 121.1–3). Wie bei der Lichtarbeit werden auch Far- Die häufige Platzierung von Lichtquellen ben durch kontrastive Verfahren zur ge- im Bildraum führt zu Blendeffekten, wie zielten Subjektivierung eingesetzt. In Inte- etwa bei den Autoscheinwerfern in der rieurs wie etwa den Wohnungen von Re- Wüstenszene mit Alice und Pete (Abb. née und Fred oder der Eltern von Pete er- 122), oder zu Beleuchtungen durch Lam- scheinen sie sepiafarben, gedämpft und pen innerhalb des Bildraumes. Weißes blass und liefern damit Zustandsbeschrei- Licht wird verwendet, als zunächst Pete bungen nicht nur von Umgebungen, son- und kurz darauf Fred auf dem Weg zu Alice dern insbesondere der Beziehungen der bzw. Renée durch einen weiß gestrichenen Korridor laufen, während im Hintergrund Abb. 124.1–3 Lichtblitze ähnlich dem Stroboskop-Effekt für Blendungen sorgen. Gleiches gilt für Überbelichtungen, wie etwa in der ge- nannten Wüstenszene (Abb. 123), mit de- ren Hilfe Figuren oder Gegenstände nahe- zu illuminiert werden, um atmosphäri- sche Qualitäten zu steigern. Obgleich eher selten nutzt der Film helles, natürliches Licht zur Ausleuchtung tagsüber stattfin- dender Handlungen und schafft damit ei- nen rahmenden Kontrast, der die Unüber- sichtlichkeit und Undurchsichtigkeit der opaken Innenräume noch deutlicher her- vortreten lässt. Auf der Ebene der Montage erzeugt schließlich die gelegentliche Ver- wendung von Weißblenden einen Blend- effekt, der im Kontrast zu den häufigen Abblendungen ins Schwarze steht. Die Langsamkeit der Abblendungen und die manchmal anhaltenden Schwarzbilder zwischen verschiedenen Einstellungen wiederum betonen das kontemplative Mo- 182 3 Méthode noire

Abb. 125 darin sich aufhaltenden Figuren. Gleiches heit des rauschhaften Verblendungszusam- gilt für die Emotionalisierung der Bilder menhanges von Freds bzw. Petes Wahr- durch die konventionelle, gleichwohl sti- nehmung durch die optische Verdichtung lisierte dramaturgische Verwendung der eines Farbwertes sichtbar wird. Demge- Farben Rot und Blau (Abb. 124.1–3). Rotes genüber erzeugen blaugefärbte Bilder eine Licht wird für Einstellungen verwendet, übersinnlich-magische Atmosphäre, zu- in denen Freds Eifersucht oder ein aus meist während der Verwandlungssequen- Freds Perspektive ‚sündiges‘ Geschehen vi- zen. Der Komplementärkontrast des Blau sualisiert wird wie etwa bei Freds scheitern- zu den mit gesättigten Rottönen emotio- dem Anruf bei Renée nach seinem Kon- naliserten Bilder bewirkt andererseits äu- zert in der „Luna Lounge“ oder als Pete in ßerst dramatisierende Farbeffekte. einem Zimmer Renée in flagranti mit Dick Laurant ertappt. Rote Farbeffekte sorgen Bildkomposition in diesen Einstellungen für beinahe mono- Das expressive Verfahren setzt sich fort in chrome Bilder, in denen die Vollkommen- der Geometrie der Bildkompositionen.

Abb. 126 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 183

Abb. 127.1 und 2

Dominierende Diagonalen (Abb. 125) dy- Normalperspektive und rhythmisiert die namisieren die Kompositionslinien, wäh- Bilder durch dramatisierende Perspekti- rend Rahmungen (Abb. 126) Figuren her- venwechsel (Abb. 127.1 und 2). Der häufi- vorheben und wie in den Filmen Fassbin- ge Wechsel der Kameraposition während ders zugleich ihre Isolation zum Ausdruck der Gefängnis- bzw. Verwandlungsse- bringen. Die Kameraposition befindet quenz etwa bereitet die bevorstehende sich zumeist oberhalb oder unterhalb der Verwandlung von Fred zu Pete auf bild-

Abb. 128.1–8 (von oben links nach unten rechts)

1 2

3 4

5 6

7 8 184 3 Méthode noire

bildhaft realen, aber „unlogischen“ Struk- tur der kollabieren- den Bilder formal die ebenso unlogi- sche Verwandlung der einen in die an- dere Figur. Zugleich wird die Formation und Deformation von Körperlichkeit zur Expression von Begehren und Ekel (Abb. 129.1–3) ge- nutzt. Mehrfach wird der nackte Körper von Patricia Arquet- te als Fluchtpunkt des männlichen Blicks fixiert und durch Zeitlupeneffekte so- wie ebenmäßige Aus- leuchtung zugleich stilisiert. Die Schau- lust beschränkt sich allerdings nicht auf den weiblichen Kör- per, sondern denun- ziert auch den neu- gierigen Blick auf den toten Andy als pornografische Visu- Abb. 129.1–3 alisierungsstrategie. Die Verwendung geometrischer Ebene vor. Die durch die audiovisueller Formen und Eigenschaften perspektivischen Verschiebungen erreich- anderer Medien multipliziert die Möglich- te Dynamisierung kollabiert schließlich keiten der Subjektivierung, indem Video- visuell und in der hektischen Übereinan- bilder (Abb. 130) verbotene Blicke realisie- derblendung verschiedener Bildebenen ren, Telefone verbale Kommunikation ma- mit diffusen Bildinhalten und unter- nipulierbar machen, Fotografie (Abb. 131) schiedlichen Bildqualitäten (Abb. 128. nicht länger eine Realität abbildet oder 1–8), die letztlich überhaupt keine sichere projizierte Filmbilder (Abb. 132) Tabubrü- Beobachtung mehr zulassen. che stilisieren. Auf der anderen Seite wird Nach diesem (audio)visuellen Kollaps das Filmbild selbst formbar: Trapezoide filmischer Wahrnehmung zeigt eine stati- Verformungen der Bildgeometrie (Abb. sche Einstellung an der Stelle von Fred die 133) konstruieren die verzerrte Wahrneh- Figur Pete und markiert im Paradox der mung der Hauptfigur. In den selbstreflexi- 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 185

Abb. 130–133 (von oben links nach unten rechts)

ven medialen Arrangements kommt zu- Verlangsamung nicht nur auf der Ebene gleich die prinzipielle Unerkennbarkeit ei- der Montage von der langsamen Über- ner durch und für das Subjekt nicht mehr blendung über den hastigen Schnitt bis vermittelbaren inneren und äußeren Rea- zum Übereinanderlegen verschiedener lität zum Ausdruck. Bildebenen (vgl. Abb. 128.1–8). Das filmi- LOST HIGHWAY verwendet subjektivie- sche Verfahren in LOST HIGHWAY dehnt rende Verfahren der Beschleunigung und oder komprimiert wahlweise die filmische

Abb. 134.1–6 (von oben links nach unten rechts)

1 2

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5 6 186 3 Méthode noire

mische Ausdruck die psychische Störung der Hauptfigur in audiovisuelle Wahr- nehmungsstörungen übersetzt und auf die- se Weise ein eigent- lich unbeobachtba- res inneres Gesche- hen filmisch wahr- Abb. 135 nehmbar werden lässt, d.h. realisiert. Wahrnehmung zugleich durch innerbild- liche Strategien zur Dynamisierung, d.h. Kamerabewegung der zeitlichen Verdichtung. Extreme Zeit- Formale Subjektivierungsstrategien erfol- lupeneffekte visualisieren große Aufmerk- gen gleichzeitig über funktional äquiva- samkeit der filmischen Wahrnehmung, lente filmische Operationen. Gleichmäßig während der Zeitraffereffekt dazu genutzt langsame Kamerafahrten oder jump cuts wird, emotionale Befindlichkeiten durch bewirken wahlweise Sog- oder Absto- comicartig-groteske Bilder zu überzeich- ßungsbewegungen, während schwanken- nen. Neben dem subjektivierenden Effekt de Kamerabewegungen beispielsweise im der Dehnung oder Stauchung linear vor- Korridor von Andys Haus die psychische anschreitender Zeit irritiert das paradoxe Labilität Petes visualisieren. Die Verwen- Bild einer rückwärts explodierenden Holz- dung von Weitwinkelobjektiven (Abb. 135) hütte (Abb. 134.1–6) die zeitliche und erzeugt Verzerrungen hin zum Bildzent- sachliche Kontinuität der Alltagswahrneh- rum und destabilisiert so die Geometrie mung. Die Progression der Erzählzeit ver- des Raumes, und das die Totale verwei- hält sich in diesem Moment spiegelver- gernde Arrangement der Bildausschnitte kehrt zur erzählten Zeit und erzeugt so ein verengt die Räume durch die Beschrän- Zeitparadox, das die Konventionen psy- kung auf Halbtotalen, Nah- und Großauf- chologischer Kausalität außer Kraft setzt. nahmen. Klaustrophobische Effekte resul- Nicht ohne Ironie wird der filmische Blick tieren auf der anderen Seite auch durch auf das rückwärts brennende Haus in der die häufige Begrenzung des Blicks durch Verwandlungssequenz außerdem mit Hil- Mauern und Wände, die den filmischen fe einer an einen Theatervorhang erin- Raum gleichsam zwanghaft zugestellt wir- nernden Trickblende freigegeben: Die in- ken lassen. Die bewusste visuelle Begren- nere Bühne wird zum paradoxen Schau- zung der Wahrnehmung erstreckt sich au- platz eines mit Begriffen der Alltagslogik ßerdem auf die effektive Nutzung des Un- nicht mehr erklärbaren psychischen Ge- schärfebereichs des Objektivs oder die schehens. Der Zuschauer wird zugleich Verwendung einer groben und unschar- Augenzeuge der Premiere des surrealen fen Auflösung von Videomaterial. Prinzips als realem äußeren (filmischen) Ausdruck einer ebenso realen inneren 3.7.2 Ton (psychischen) Ordnung der Hauptfigur, einer äußerst realen und deswegen radika- Auf der akustischen Ebene führt LOST len Subjektivierung der Perspektive. Im HIGHWAY das Projekt fort, dass alle Filme Paradox wird wahrnehmbar, dass der fil- seines Regisseurs, David Lynch, auszeich- 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 187

net: Die auf expres- sive Stilisierung des akustischen Effekts abhebende Gestal- tung nicht nur eines effektiven „Klang- Designs“ (Seeßlen 2000: 156), sondern die Formierung ei- ner die expressive Visualität akkordie- Abb. 135 renden, autonomen (aber nicht: autarken) auditiven Erzähl- auf akustischer Ebene. Die Kompositionen ebene. Der zeitgenössische Noir-Film hat der mit elektronischem Equipment experi- von den Möglichkeiten der Subjektivie- mentierenden, so genannten Industrial- rung der Tonebene immer wieder Ge- Rockmusik der US-amerikanischen Band brauch gemacht, etwa in BLUE VELVET, „Nine Inch Nails“ konstruieren die innere THE SILENCE OF THE LAMBS,RESERVOIR Zerrissenheit der Hauptfigur als akusti- DOGS,BRINGING OUT THE DEAD oder insbe- schen Ausdruck, indem elektronisch ver- sondere in SE7EN. Außer vielleicht in BLUE zerrte und verschliffene Gitarrenstakkati VELVET oder SE7EN hat die Tonspur aller- und schnelle Beats die nervöse Anspan- dings keine derart differenzierte und zu- nung der finalen Flucht von Fred in eine gleich auf die akustische Sensation hin akustische Erzählung übersetzen. Derge- entworfene Bearbeitung erfahren wie in stalt auf den musikalischen Effekt konzen- LOST HIGHWAY. trierte Kompositionen emotionalisieren Wenngleich die Verwendung von zeit- die Erzählung durch die Hervorhebung genössischer Popmusik im Gegenwarts- der tonalen Qualitäten von Musik und Ge- film inzwischen zum filmischen Alltag ge- sang. Analog zur visuellen Ebene dynami- hört, so könnte der Kontrast der zum Ein- sieren Beschleunigungen und Verlangsa- satz kommenden dissonanten Musikstile mungen des Rhythmus, Wechsel der Ton- kaum größer sein. Neben die leichte und lagen und der Lautstärke das akustische sphärische Musik und den mit Halleffek- Terrain. ten aufbereiteten Gesang einer hohen Immer wieder wird gesungener Text Frauenstimme der Band „This Mortal verwendet, um Grundstimmungen zu ver- Coil“ („Song to the Siren“) treten unver- balisieren und so die visuelle und erzähle- mittelt die von Schlagzeug und elektri- rische Perspektive weiter zu verdichten. scher Gitarre erzeugten, streng monoto- Neben David Bowie, dessen Titelsong „I’m nen Rhythmen der Musik der deutschen Deranged“ das Grundthema des Films ver- Rockband „Rammstein“ („Rammstein“, balisiert, singt etwa Lou Reed zu den Ak- „Heirate mich“), deren Sprechgesang von korden seines spröden minimalistischen einer absichtsvoll tief gesungenen, unmo- Gitarrenspiels den Song „This Magic Mo- dulierten männlichen Stimme getragen ment“ als die visuell zur Lichtgestalt stili- wird. Der betont konsonantische Stil der sierte Alice in Mr. Eddy Cadillac sitzend in deutschsprachigen Texte markiert zu- Petes Blickfeld gerät (Abb. 136). Zugleich gleich einen Kontrapunkt zu den übrigen mehr als eine bloße verbale und akusti- englischsprachigen Texten und variiert sche Bestätigung des Sichtbaren legt diese das Thema der existenziellen Bedrohung Sequenz zugleich die filmische Strategie 188 3 Méthode noire

offen, alle impliziten Bedeutungen an je- der der möglichen filmischen Oberflächen wahrnehmbar werden zu lassen, ihr dort einen subjektivierenden Ausdruck zu ver- leihen. Während die expressive Verwendung von Musik eine eher konventionelle Mög- lichkeit der Gestaltung der Tonebene dar- Abb. 137 stellt, die bei zeitgenössischen Filmpro- duktionen – so auch bei LOST HIGHWAY – man (Robert Blake) auf Andys Party: Wäh- zumeist zur ökonomischen Zweitverwer- rend ihres Gesprächs werden die Hinter- tung als Soundtrack Verwendung findet, grundgeräusche der Party akustisch ausge- bilden die übrigen Elemente der Tonebene blendet und auf diese Weise der Unterre- des Films gleichsam eine expressive akusti- dung eine eigene, subjektivierende Erzähl- sche Textur. Auch hier werden verschiede- ebene zugeordnet. In LOST HIGHWAY hat ne kontrastive Verfahren verwendet, um das expressive filmische Verfahren nicht akustischen Qualitäten eine subjektivie- nur die akustische Dimension erschlossen rende Dimension einzuschreiben, sie – auch die (reale) Konstruktion der subjek- gleichsam zu sensibilisieren und intensi- tivierten Erzählung scheint hier vorläufig vieren. Die beinahe geflüsterten, wortkar- ein neues Niveau erreicht zu haben. gen Dialoge zwischen Fred und Renée zu Beginn etwa verlangen vom Zuschauer 3.7.3 Erzähltechnik – Zuerst die völlige Konzentration, um mögliche In- Antwort: „Dick Laurant is dead“ halte des Gesagten von Umgebungsgeräu- schen unterscheiden zu können. Erst das LOST HIGHWAY, das sind bei oberflächli- laute Geräusch der Türklingel, dessen Auf- cher Betrachtung zwei Geschichten über dringlichkeit durch eine Großaufnahme eine: „a man obsessed with possessing the auch visualisiert wird, zerreißt unvermit- wrong woman.“ (Rhodes 1998: 59) Die telt die vorherrschende (Todes-)Stille. Das erste ist diejenige von Fred Madison (Abb. Verfahren der abrupten Kombination von 137), der seine geheimnisvoll-erotische lauten und leisen Passagen prägt die Ton- Frau Renée verdächtigt, ihn zu betrügen spur des gesamten Films, neben den Off- und deswegen paranoide Wahnvorstel- Musikpassagen auch bei Freds Saxophon- lungen entwickelt. Diese erste Geschichte spiel in der „Luna Lounge“ oder Petes joyri- entfaltet sich ebenso linear wie die an- de mit Mr. Eddy. Der akustische Schock schließende zweite Geschichte von Pete fungiert jedes Mal als Ausdruck einer emo- Dayton, der sich in die attraktive Renée tionalen Bewegung der Figuren. Es verliebt, die zugleich Geliebte des Gangs- scheint, als verdichte er sich jeweils mo- terbosses Mr. Eddy ist. Während die erste menthaft aus dem unablässigen, tieftoni- Geschichte die beklemmende Studie einer gen, pulsierenden Dröhnen und Grollen Ehekrise bzw. das Psychogramm einer an eines unbestimmten noise over, in dem un- der Eifersucht des Mannes scheiternden definierbare synthetische, metallische, Beziehung erzählt, erzählt die zweite Ge- schleifende, reibende oder quietschende schichte eine ebenso grelle wie tödliche Geräuschsamples eine permanente akusti- Verführungsgeschichte. In ihr erweist sich sche Drohkulisse konstruieren. Offenkun- Alice als femme fatale, die Pete dazu anstif- dig wird die subjektivierende Strategie des tet, den wohlhabenden Pornofilmprodu- Tons im Gespräch Freds mit dem mystery zenten Andy zu überfallen, um mit sei- 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 189

Abb. 138 Abb. 139 nem Geld ein neues Leben anzufangen. In liches narratives Ordnungsprinzip fun- LOST HIGHWAY werden zwei konventio- giert. Die filmische Logik der erzählten nelle Erzählmuster aneinandergereiht, ei- Unlogik irritiert die Wahrnehmung der nes an der Oberfläche eine Noir-Erzäh- Geschichte durch den Bruch mit konven- lung im Gewand eines existenziellen Ehe- tionellen linearen Ursache-Wirkung-Wahr- dramas, das andere eine Gangsterge- nehmungsschemata. schichte mit einem für Noir-Filme typi- Der Hinweis auf den Tod von Dick Lau- schen Gangster/femme fatale-Plot. rant markiert einen virtuellen Genre- Doch die lineare, d.h. realistische Fluchtpunkt der Geschichte: Wer ist Dick Struktur wird nachhaltig gestört durch Laurant und wer hat ihn umgebracht? Der zwei unerklärbare Transformationen, in Plot weicht der Klärung dieser Frage zu- denen die Hauptfigur der ersten Geschich- nächst aus, indem er die Geschichte mit te in die Hauptfigur der zweiten Geschich- Hilfe streng formalistisch komponierter te und an deren Ende wieder zurück in die Bilder und Töne in Richtung eines Eifer- Hauptfigur der ersten verwandelt wird. Der Plot konstruiert die Ausweglosigkeit Abb. 140.1–3 der psychischen Situation Freds auf diese Weise zugleich als räumliches und zeitli- ches Paradox, indem Anfang und Ende des Films durch Freds Aussage „Dick Laurant is dead“ miteinander verknüpft werden. Fred, der zugleich Empfänger und Sender der Todesbotschaft ist, befindet sich zum Zeitpunkt der Aussage jeweils in verschie- denen Räumen in verschiedenen Situatio- nen, so dass nicht nur das Hier als das Dort, sondern auch das Danach als das Da- vor erscheint: Die Gleichzeitigkeit des Un- gleichzeitigen erzählt die Differenz der Identität Freds – „You are different“ sagt Petes Freundin Sheila einmal zu Pete. Hier offenbart die Erzählung, dass zeitliche, räumliche und logische Linearität ande- rerseits die Gesamtgeschichte nicht länger mit konventionellen „realistischen“ Be- gründungen für das Geschehen versorgen und Kausalität in LOST HIGHWAY nicht – wie zunächst suggeriert – länger als verläss- 190 3 Méthode noire

Abb. 141 Abb. 142

Abb. 143.1–4

Abb. 144.1 und 2

Abb. 145 Abb. 146 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 191

Abb. 147

Abb. 148

Abb. 149 192 3 Méthode noire

Abb. 150

Abb. 151

Abb. 152.1

Abb. 152.2

Abb. 152.3 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 193

suchtsdramas (Abb. 138 und 139) weiter- neubewertende Re-Konstruktion der ers- entwickelt. Die Bilder, die Fred kniend ne- ten Geschichte (angeregt durch visuelle ben der blutüberströmten Leiche der zers- und erzählerische strukturelle Analogien tückelten Renée zeigen (Abb. 147), schei- in der zweiten), die dadurch angeregte re- nen schließlich die Erwartungen zu bestä- kursive Re-Konstruktion der aktuellen Ge- tigen, die der Plot bereits zuvor durch die schichte und schließlich die Konstruktion Hinwendung zu Erzählmustern des Hor- einer übergreifenden Logik, die beide Epi- rorfilms geweckt hat – insbesondere durch soden zu einer einzigen Geschichte for- das Gespräch mit dem mysteriösen, miert. schwarzgekleideten Fremden (Abb. 140.1– Die filmisch zwar erzählbare, aber ge- 3), der sich offenbar an zwei Orten gleich- mäß kausallogischer Kriterien der Bedeu- zeitig aufhält. Das zum Horror- bzw. Splat- tungskonstruktion unmögliche Verwand- terfilm mutierte Ehedrama verwandelt lung von Fred zu Pete und die Wiederho- sich schließlich in einen fantastischen lungsstrukturen der zweiten Geschichte Film, als in der Todeszelle aus Fred Madi- transformieren die Eindeutigkeit der ers- son Pete Dayton, die Hauptfigur der an- ten Erzählung in die Vieldeutigkeit der schließenden Erzählung wird. Wie in weiteren Erzählung. Das erhöht zugleich Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung die Anforderungen an die Gedächtnisleis- liefert der Plot nur die Beschreibung des tungen des Zuschauers, denn durch den Vorganges, nicht aber (realistische) Be- dekontextualisierenden Effekt der Multi- gründungen. Wie in der ersten Geschichte plikation von Storyinformationen verflüs- lenkt der Plot also die Aufmerksamkeit sigen sich die Kriterien der Hypothesenbil- weg von seiner Ausgangsbedingung. Der dung. Kognitive Realitätsberechnung und logische Bruch, der die Verwandlung be- filmische Progression werden in ein Un- deutet, wird umgehend invisibilisiert gleichgewicht gebracht. Das multiplikati- durch den einsetzenden klassischen Noir- ve Verfahren des Plots verweigert dessen Plot der gefährlichen Verführungsge- konventionelle Funktion, jeder Informati- schichte Petes durch die femme fatale Ali- on letztlich eine (zeitliche, räumliche, ce. Außerdem führt die neuerliche erzähl- sachliche) Bedeutung zuzuordnen. Bedeu- technische Wendung zunächst noch wei- tungen werden mehrfach codiert und am- ter weg von der Aufklärung der anfängli- bivalent. Entsprechend erfordert die Kon- chen Unbestimmtheit der Identität und struktion der Fabula ein verstärktes kogni- Bedeutung von Dick Laurant. Doch dies tives Engagement des Zuschauers, dem die scheint nur so, denn der Plot benutzt den räumliche, zeitliche und kausale Orientie- zweiten Erzählstrang als Folie zur Ermitt- rung durch das zwischen verschiedenen, lung der Bedeutung der Todesbotschaft. heterarchisch organisierten Informations- Dies geschieht durch permanente Quer- angeboten oszillierende narrative Verfah- verweise auf Orte, Figuren und Ereignisse ren erschwert wird. der ersten Geschichte, durch die erzähleri- Der daraus resultierende, derealisie- sche Refraktion bereits erzählten Materi- rende Effekt entsteht schließlich dadurch, als. Damit multipliziert das erzählerische dass die gemäß klassischer realistischer Er- Verfahren mögliche Ebenen der Ge- zählkonvention vertikale Integration von schichtskonstruktion und erfordert vom Realem und Fantastischem in LOST HIGH- Zuschauer die Handhabung mehrer kogni- WAY in eine horizontale Ordnung über- tiver Schemata gleichzeitig. Das betrifft führt wird, indem die „aseptic, quotidian die Konstruktion der fiktiven Realität des social reality“ der ersten Erzählung „along- aktuell Gezeigten selbst, die mitlaufende side its fantasmatic supplement, the dark 194 3 Méthode noire

universe of forbidden masochistic pleasu- radox darzustellen und auf diese Weise die res“ der zweiten Erzählung positioniert Konventionen zeitlicher Wahrnehmung wird ( i ek 2000: 35; Herv. im Orig.). i ek außer Kraft zu setzen. Der verwirrende Ef- sieht darin den Schlüssel zum Verständnis fekt zirkulärer Erzählstrategien wird weiter der Geschichte des Films, der das Reale verdichtet durch die Dauerhaftigkeit der und das Fantastische, Freds Erfahrungs- die Erzählzeit überschreitenden tempora- wirklichkeit und seine unterdrückte Libi- len, spatialen und kausallogischen Un- do an der selben erzählerischen Oberflä- möglichkeiten. Und damit ist „Dick Lau- che erscheinen lässt (vgl. ebd.). Die narra- rant“, die eingangs adressierte realitätsstif- tiv erzeugte Vieldeutigkeit und Ungewiss- tende Instanz der klassischen Narration in heit verdichtet und reflektiert das zentrale LOST HIGHWAY wahrhaftig tot und inso- Moment der subjektivierenden Methodik fern radikal abwesend. Übrig bleibt die un- des Noir-Films. In der zirkulären Schlie- endliche (und deswegen: ausweglose) Re- ßung der Erzählung in LOST HIGHWAY im- kursivität der Realitätskonstruktion, über- plodiert die – konventionelle – Trennung setzt in das zirkuläre narrative Verfahren. von Wirklichkeit und Phantasmagorie, Im zeitgenössischen Noir-Film ist der kau- von fiktiver Realität und realer Fiktion. sallogische Ariadnefaden der Alltagswahr- LOST HIGHWAY entbindet den Noir-Film nehmung, der filmische Wahrnehmung von klassischen realistischen Erzählprinzi- narrativ in den Darstellungskonventionen pien. Das multiperspektivische narrative des Realen absicherte und damit auch die Verfahren in LOST HIGHWAY lässt alle Ver- kognitive Aktivität und konstruktive Ar- suche, einen realistischen Kern erfahrbar beit des Zuschauers erleichterte, endgültig bzw. wahrnehmbar zu machen, in einem gerissen. Paradox münden, in einer logischen Un- Die interpretative Anwendung der möglichkeit – die dennoch einer zwingen- Spiegelmetaphorik auf das Verhältnis der den und ausweglosen Kreisbewegung folgt. unterschiedlichen Erzählabschnitte (vgl. Zirkularität ist kein Novum in Noir- zu Verdoppelungen und Spiegelungen: Narrationen. Üblicherweise wird sie durch Höltgen 2001) beruht formal auf kontinu- Rückblendentechniken realisiert. Doch ierlicher narrativer Refraktion, d.h. der re- auch, wenn dabei die Chronologie der er- kursiven Aberration von Erzählmustern, zählten Zeit auf der Achse der Erzählzeit Figuren und Ereignissen der ersten Erzäh- aufgebrochen wird, indem Erzählab- lung im hinzutretenden narrativen Medi- schnitte – versehen mit Gegenwarts- oder um der zweiten Erzählung. Die Rekursion Vergangenheitsattributen – neu angeord- synchronisiert Vergangenheit und Gegen- net werden, bleiben lineare temporale wart durch Wiederholungen und Verdop- Strukturen der Geschichten erhalten. Die pelungen und konstruiert auf diese Weise Subjektivierung resultiert in der klassi- filmisch einen Modus der Gleichzeitigkeit, schen Noir-Erzählung aus der Irritation in dem sich Freds Psychose nach der Er- der Wahrnehmung durch die vorüberge- mordung von Renée entfaltet. Freds psy- hende Dekonstruktion zeitlicher Linearität chische Rekonstituierung wird dement- einer Erzählung vor dem Hintergrund ihrer sprechend als Pete-Fantasie filmische Rea- konventionellen narrativen Rekompositi- lität, in der sich Fred zunächst in sein Alter on zu einer linear rekonstruierbaren Ge- ego Pete ‚verwandelt‘, dessen Liaison mit schichte. Die Verdoppelung der Geschich- Alice einen ‚neuen Fred‘ hervorbringt, der ten in LOST HIGHWAY eröffnet der zirkulä- den „excessive/obscene superego father“ ren Struktur des Plots allerdings die Mög- ( i ek 2000: 18) Dick Laurant schließlich lichkeit, die temporale Disjunktion als Pa- tötet. Doch am Ende steht nicht, wie in 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 195

konventionellen Erzählungen üblich, die logisch referenzierbare Realität determi- Restauration einer ursprünglichen Reali- niert die Narration, sondern die Narration tät, wie etwa durch die Rückkehr der Er- selbst erweist sich als determinierende Ins- zählung in einen anfangs gegebenen zeit- tanz der fiktiven Realität. Daraus resultiert lichen Rahmen nach einer Rückblenden- nicht nur die offene Architektur der Erzäh- erzählung. Vielmehr emergiert aus den lung, sondern auch die genuine Unbe- beiden vorangehenden Erzählungen eine stimmbarkeit der Ereignisse, wie der offe- neue, gleichzeitig realistisch und fantas- ne Anfang und das offene Ende zeigen. tisch lesbare Geschichte, die die Ergebnis- LOST HIGHWAY abstrahiert das Noir- se der beiden vorangehenden inkorporiert Prinzip der Subjektivierung, indem die und überwindet. Mit seinem finalen Narration den output der ersten (Fred/Re- Spruch in die Sprechanlage verbalisiert née-)Geschichte als input für die zweite Fred die veränderte Ausgangslage und in- (Fred/Alice-)Geschichte verwendet – ohne itiiert damit eine neue Erzählung auf der ihn allerdings zu verbrauchen, d.h. ohne Basis der alten Erzählungen, bevor er auf das vorgängig Geschehene in eine lineare der nächtlichen Straße vor der heranna- Zeit- und Raumlogik hineinzuvergessen henden Ordnungsmacht flieht und sich und damit zum Verschwinden zu bringen. erneut verwandelt. Doch die nächste re- Anders als im linearen Erzählmodell ent- kursive Schleife wird von der Narration wirft die Narration von LOST HIGHWAY ein nur noch bis zur nächsten Verwandlung Modell prinzipiell unendlicher Ableitun- Freds verfolgt – und nicht weiter, denn gen, in denen sich die erzählte Subjektivi- Freds lost highway ist unendlich, Filmma- tät in einem Prozess unendlicher Reiterati- terial und Aufmerksamkeit dagegen on immer wieder neu hervorbringt. Die nicht. Narration beschreibt den Prozess der Ent- Aus der erzählerischen Rekursion re- wicklung des Subjekts Fred Madison aus sultieren interpretatorische Muster wie dessen Binnenperspektive, daher rührt der Unentrinnbarkeit, Fatalismus, Solipsis- hermetische Charakter der Geschichte. mus und letztendlich: radikale Subjekti- Der „cineastische() Versuch über Selbstbe- vierung. Zugleich verfehlen Interpretatio- züglichkeit“ (Seeßlen 2000: 156) verwei- nen, die darin nurmehr (postmoderne?) gert einer Interpretation mit Hilfe ‚realisti- chaotische Irrationalität am Werke sehen, scher‘ Kausalitätsschemata schließlich ihr Ziel, denn das narrative Verfahren des den Zugriff. Nur scheinbar paradox hat Films ist Ergebnis eines formalen Kalküls, LOST HIGHWAY damit den zeitgenössischen dass die Konventionen fiktiver Realitäts- Noir-Film an die Grenze realistischer Ex- konstruktion auf sich selbst anwendet und pression subjektivierter filmischer Wahr- insofern in der Form der „Antifiktion“ die nehmung geführt. Wahrnehmung entautomatisiert (vgl. Fül- ler 2001). Das poetische Verfahren von 3.7.4 Themen LOST HIGHWAY macht damit „in aller Deut- lichkeit auf die Konstruiertheit dessen, Männlichkeit was als Wirklichkeit bezeichnet wird, auf- Das narrative Zentrum des Film ist zu- merksam“ (ebd.: 63) und verfremdet auf gleich das thematische Gravitationszen- diese Weise die dem linearen Kausalitäts- trum des Films: Fred Madison, der zur fil- prinzip verpflichtete Simulation objekti- mischen Inkarnation eines schizophrenen ver Wahrheit und Wahrhaftigkeit des klas- Phantasmas des Identitätsverlusts und zur sischen realistischen Erzählens. Nicht eine Projektionsfläche radikaler Dezentrierung unterstellte (konventionelle), etwa alltags- des sexuell psychotisierten männlichen 196 3 Méthode noire

Subjekts wird. Freds Psychose gründet ei- lichkeitsverlusts und Paranoia. Auf dieser nerseits in einem bis zur Unfähigkeit zum „Dostojewski-Ebene“ schildert LOST Dialog führenden eifersüchtigen Miss- HIGHWAY die innere „Auflösung von Per- trauen gegenüber seiner Frau Renée. Ihr son, Perspektive und Wahrnehmung“ enigmatisches und distanzierendes Ver- (Seeßlen 2000: 171). Der Film übersetzt haltens reflektiert Freds Kontrollverlust, Freds schizophrene Schübe in die formale der in einer Steigerung des „laconicism to Ordnung der Narration, in ein stilisiertes aphasic extremes“ (Warner 1997: 8) zum synthetisches Arrangement aus audiovisu- Ausdruck kommt. Der Verlust der Sprache ellem Stil und erzählerischer Sukzession findet ein Substitut in Freds Saxophon- der Ereignisse. In diesem Sinne überführt spiel. Das Saxophon wird für Fred zum LOST HIGHWAY die Erzählung in eine schi- Sprachrohr seiner ebenso ängstlichen wie zoide Form und verabschiedet die Kon- leidenschaftlichen Erregung. ventionen kausaler Folgerichtigkeit. Freds LOST HIGHWAY zerstört das Ideal des subjektive Befindlichkeit wird in die Form auf Einheit abzielenden Subjektbegriffs des Films kopiert und auf diese Weise des Humanismus oder des Freudschen Mo- sichtbar, hörbar und wahrnehmbar ge- dells und ersetzt es durch ein ekstatisch macht mit den selben realen Konsequen- mobilisiertes polysemes Modell, das um zen, die eine Schizophrenie für das Indivi- die Instabilität der Persönlichkeitskonsti- duum bedeutet: Realitätsverlust. Das para- tution zirkuliert. Die Sicherheit der Umge- doxe re-entry (Spencer Brown) der Form in bung des Hauses innerhalb einer wohlha- die Form erzeugt den psychopathischen benden Mittelklasse-Wohngegend diffun- Ästhetizismus des Films. LOST HIGHWAY ist diert in den horror vacui einer entsubstan- deswegen ein Film, der nicht nur über den zialisierten Beziehung. Freds Selbstisolati- Inhalt seiner Erzählung zu uns „spricht“ on führt schließlich in eine existenzielle (wenn diese Metapher erlaubt ist), son- Selbstblockade, aus der nur noch die Tö- dern diese „Ansprache“ in seiner formalen tung der weiblichen Figur herauszuführen Konstruktion wiederholt. scheint. Doch anstelle einer realen Lösung Das subjektivierende Verfahren des wird die Ermordung Renées lediglich Aus- zeitgenössischen Noir-Films inszeniert im gangspunkt des Umschlags in die autisti- Stil Becketts die moderne, d.h. auch: reali- sche Realität der Halluzination Freds, ein tätsmächtige Umwelt als Gefängnis indi- anderer als er selbst zu sein. Doch daraus vidueller Wahnvorstellungen. Der ver- gibt es für Fred kein reales Entrinnen ständnislose Blick, die Agonie der Libido mehr, nurmehr die Fortsetzung seiner Rea- und die notorische Wiederholung lassen litätsflucht mit anderen Mitteln. Die einzi- alle Versuche subjektiver Selbst- und Welt- ge Konstante in Freds sich zusehends ver- erkenntnis scheitern. Die Kopfmetapher flüchtigender Realitätswahrnehmung ist in LOST HIGHWAY – wie z.B. auch in FIGHT der mystery man, eine mephistophelische CLUB – visualisiert zugleich den Ort der Reflexionsfigur Freds mit der Fähigkeit, Gefangenschaft: Das eigene Denken, das auf allen Wahrnehmungsebenen Freds an- sich angesichts des substanziellen Subjek- wesend sein zu können und dort jeweils tivitätsverlusts in zwanghafte Halluzina- Freds Handeln zu dirigieren (vgl. Höltgen tionen flüchtet. In dieser Hinsicht ver- 2001: 100). Angesichts des Verlusts der dichtet FIGHT CLUB die Perspektive des Vormachtstellung in der Beziehung zur zeitgenössischen Noir-Films ironisch, in- Frau verfällt Fred in existenzielle Unsi- dem er diese Paradoxie auf eine realisti- cherheit, Ungewissheit, Verzweiflung und sche Ebene zurückbiegt – und als Märchen Angst mit der Folge vollkommenen Wirk- endet. Die Irrealität traumatisierter Sub- 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 197

jektivität ist durch die in LOST HIGHWAY das Gesicht von Renée wird zur Projektion beobachtbare Evolution des ästhetischen von Freds sexuellem Versagen auf die Frau und narrativen Verfahrens des Noir-Films als Urheber der existenziellen Krise. Auch zumindest filmisch höchst real geworden im zweiten Abschnitt des Films ist Alice – wenngleich möglicherweise zugleich for- aka Renée diejenige, die Pete aka Fred zu melhaft erstarrt. Das desorientierte Sub- Mephisto (im Holzhaus in der Wüste) jekt Fred erscheint more than real und ent- führt. Die mephistophelische Frau (Re- zieht sich real und fiktional einer realisti- née/Alice) ist Produkt der Phantasie Freds, schen Wahrnehmung. in seinen Halluzinationen verfügt sie über eine zweite, Fred unbekannte Identität. Weiblichkeit und femmes fatales Die Verwendung von Versatzstücken des Frauen erscheinen in LOST HIGHWAY als Horrorfilms kündigt den Kollaps der Abstraktionen männlicher Projektions- Wahrnehmung des Realen in den halluzi- phantasien. Die Verdopplung von Renée natorischen Prozess an. (Abb. 141) als Alice (Abb. 142) in Freds Auch als in der zweiten Erzählung der Halluzination verdichtet das Frauenbild innere Konflikt Freds zum äußeren Kon- zu einer reflexiven Metapher ihrer Funkti- flikt der Projektionsfigur Pete wird, ändert on im Noir-Film. Die Frau, die der männli- sich nichts an der konventionellen The- che Protagonist begehrt, ist nicht iden- matisierung des männlichen Verhältnisses tisch mit der Frau, mit der er in einer fes- zur Frau. In der Pete-Erzählung erscheint ten Beziehung lebt. Dies äußert sich for- Renée als femme fatale Alice. Dass dieser mal etwa im erotisierenden Kamerablick Mann-Frau-Beziehung dieselbe Struktur auf den sich dem Blick entziehenden zu Grunde liegt äußert sich in den Verdop- nackten weiblichen Körper bis zur unaus- pelungsstrategien des Films. Aus Fred ist gesprochenen bzw. unaussprechbaren Un- Pete geworden und aus Renée Alice. Doch terstellung, Renée habe ein Verhältnis zu während die männliche Rolle von einem einem anderen Mann. Die Frau der ersten anderen Schauspieler gespielt wird (Bal- Erzählung, Renée, gibt zu derartigen Spe- thazar Ghetty), spielt Patricia Arquette kulationen allerdings keinen Anlass, die beide Frauenrollen. Konstruierte die Er- audiovisuelle Strategie konstruiert dieses zählung die Frau in der ersten Erzählung Frauenbild als Projektion der gestörten Li- noch als zurückhaltend und irritiert ange- bido der männlichen Hauptfigur. Das sichts Freds Verhaltens, so entwirft sie die klassische Beziehungsmodell zwischen zweite Erzählung konventionell als selbst- Frauen und Männern erscheint nach wie bewusste und sexuell attraktive femme fa- vor gestört und zwar auf der Seite des tale des männlichen Protagonisten. Wäh- männlichen Protagonisten. Hier weicht rend Pete ihrer sexuellen Anziehungskraft LOST HIGHWAY nicht von den Standards erliegt, schmiedet sie einen kriminellen des Noir-Films ab. Die in den audiovisuel- Plan, um mit Petes Hilfe aus den Verhält- len und narrativen Arrangements wahr- nissen auszubrechen. Für Pete, der der ei- nehmbare Erstarrung der Beziehung genen Verblendung erlegen ist, bleibt die bringt zugleich formal gewaltsam Freds ei- von ihm imaginierte Alice allerdings uner- fersüchtigen Zweifel zum Ausdruck. Die reichbar: „You’ll never have me“ (Alice). unmögliche gewordene Sexualität äußert Die klischeehafte Thematisierung der sich im Geschlechtsakt, der als Horrortrip Frauenfigur Renée/Alice wird verstärkt inszeniert wird (Abb. 143.1–4). Die Ein- durch die ebenso stereotype Kontrastie- blendung eines zweiten, an Mephisto- rung mit den traditionellen Frauenfiguren Darstellungen erinnernden Gesichts auf der Mutter und der Freundin, die Pete zwar 198 3 Méthode noire

‚wirklich liebt‘, ihn aber genau deswegen damit ihre hilflosen Bemühungen zu- nicht mehr erreichen kann. gleich der Lächerlichkeit preis. Gerade weil das traditionelle Familien- Familie modell in Anbetracht der Erzählstruktur Familienmodelle erfahren analog zur Kon- als Halluzination, also als imaginärer Ge- struktion von Männer- und Frauenbildern genentwurf Freds zur eigenen zerstörten in LOST HIGHWAY eine mehrfache Inter- Beziehung zu Renée in Erscheinung tritt, pretation. In allen Fällen aber werden Fa- erweist es sich in LOST HIGHWAY als voll- milien zum Versagenskontext des Indivi- kommen dysfunktionales Modell. Der duums. Vor dem Hintergrund konventio- Film konstruiert damit das, was den Dar- neller Familienmodelle scheint Fred und stellungskonventionen des klassischen Renées aseptische und kinderlose Bezie- Noir-Film noch nicht möglich war: Er hung als befremdliches familiäres Gefüge zeigt die traditionelle Familie als Nicht- ohne Zukunft (Abb. 144.1 und 2). Das Ver- Ort der Realität, als radikal anwesende Ab- hältnis wird dominiert von Freds sexueller wesenheit. LOST HIGHWAY invertiert auf Paranoia, der Renée schutzlos ausgeliefert diese Weise thematische Konventionen ist. Das Haus, das sie bewohnen, isoliert der klassischen Familienerzählung. Die sie von der Außenwelt, die Architektur Umschrift des Familiären vom objektivier- lässt es wie eine Festung erscheinen mit ten Sozialen auf das subjektivierte Indivi- schmalen Fenstern, ein kerkerartiger Bau, duelle bezeugt nicht nur die Abwesenheit der weniger dem Schutz von äußerer Ge- der Familie als realitätsgarantierende In- fahr als der Verhinderung des Ausbruchs stanz, sondern auch ihren lediglich hypo- aus ihm dient. Demgegenüber erweist sich thetischen und artifiziellen Status als so- der Entwurf der Familie von Pete zunächst ziales Phantasma im zeitgenössischen als schützende Gemeinschaft. Allerdings Noir-Film. dient der Schutz hier nicht mehr der Ab- wehr einer äußeren Gefährdung, sondern Gewalt/Verbrechen/Serialität der (unmöglichen) Wahrung der Identität Bereits Nino Frank hatte 1946 eine Hin- des eigenen Kindes. Letztlich kann auch wendung zur Darstellung manifester Ge- dieses Familienmodell das schutzloseste walt in den films noirs konstatiert. Die Lo- Mitglied nicht mehr schützen, weil Pete ckerungen der Zensurbestimmungen ha- selbst die elterliche Fürsorge unterminiert. ben schließlich dazu geführt, dass die Dar- Und auch Petes Beziehung zu Sheila kapi- stellung von Gewalt inzwischen als ästhe- tuliert vor der erotischen Anziehungs- tisches Mittel zur „Tarantino vignette of kraft, die für Pete von Alice ausgeht. Ange- unfettered random violence“ (Warner sichts der sexuell enttabuisierten und kri- 1997: 8) geworden ist. Die Darstellung minellen Gegenmacht der allen konven- von Gewalt hat auch in LOST HIGHWAY ih- tionellen Bestimmungen des Familiären re thematisierende Funktion als regulati- entgegensetzten subversiven familiären ves Prinzip der Ordnung verloren. Die Beziehung von Mr. Eddy, Andy und Alice klassische realistische Erzählung hatte die (Abb. 145), erscheint die Friedfertigkeit Darstellung manifester Gewalt als ästheti- der traditionellen Familie als geradewegs sches Mittel legitimiert, sofern sie der er- gefährlich-naiver Entwurf. Die klischee- zählerischen Absicht – der Wiederherstel- hafte Charakterisierung als wortlos trau- lung der gefährdeten (bürgerlichen) Ord- ernde Hippieepigonen in Jeans und Leder- nung – ideologisch funktional war. Im jacke (Abb. 146) führt Petes Eltern gerade- Noir-Film fungiert Gewaltdarstellung da- zu als Karikaturen ihrer selbst vor und gibt gegen als Ausdruck des Versagens dieser 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 199

Macht und damit verbundener Wertgefü- Funktion von Gewalt. Sie äußert sich in ge. Gewaltdarstellung im Noir-Film ver- der seriellen Struktur des Tötens. Zuerst weist gerade auf die Abwesenheit kollektiv Renée, dann Andy und schließlich Dick kontrollierter Macht. Gewalt wird im Laurant werden Opfer grotesker Tötungs- Noir-Film zum Mittel unberechenbarer, handlungen. Die Inszenierung ‚zelebriert‘ individueller Machtäußerung, zumeist in geradezu jeden Tötungsakt, ob als die der Form schockartiger Gewalteruptio- Wahrnehmung verstörendes Sample aus nen. Die Subjektivierung der Erzählper- Videofragmenten und Filmbildern nach spektive durch die Ästhetisierung des Ver- der Tötung Renées, im pornografischen brechens nimmt in LOST HIGHWAY gra- Kamerablick nach der Tötung Andys oder fisch-expressive Formen an und verdich- in der ‚realistischen‘ Auflösung der Ermor- tet die Gewaltdarstellung zu einem grotes- dung von Dick Laurant: Jedes Mal ist es die ken Ausdruck. Von der zerstückelten Re- ästhetisch den Gewaltakt betonende Wie- née (Abb. 147) zu Mr. Eddys Gewaltaus- derholung der Struktur der Tötungshand- bruch gegenüber einem Verkehrsteilneh- lung, die das Thema des seriellen Tötens mer, der unfallartigen Tötung von Andy, variiert. bei der dem Opfer eine Glastischplatte in die Stirn dringt (Abb. 148), bis zur Ermor- Selbstreflexion dung von Dick Laurant in der Wüste (Abb. LOST HIGHWAY macht durch zahlreiche zi- 149): Das Verhältnis von Ursache und tathafte Verweise und Anspielungen auf Wirkung ist drastisch verschoben. Die ex- seine eigene Konstruiertheit aufmerksam pressive Darstellung von Gewalt und ih- und thematisiert damit die Ebene des Be- ren Folge thematisiert nindividuelle Ob- obachterstandpunktes der Erzählung sessivität, die ebenso grausam wie lächer- selbst. Die zweite Bedeutungsebene des lich und unregulierbar erscheint. Films beispielsweise wird in diversen Zi- Ihre Verbindung zur erotischen Fanta- tatstrukturen wahrnehmbar. So etwa, als sie der Pornografie konstruiert zugleich sich Pete nach der Verwandlungssequenz eine sexuelle Konnotation. Das lustvolle im Gefängnis im elterlichen Garten er- Ausstellen von Gewalt und Sexualität zeigt holt: Der weiße Gartenzaun, der Hund, sich konkret etwa in der erotischen Dar- der Gartenschlauch, die weiße Liege und stellung der lasziven Alice im Kontrast der auf ihr liegende Pete oder das Garten- zum akribisch dokumentierenden Blick idyll mit Hund und Wasserschlauch (Abb. der Kamera auf den grotesk in der Glas- 150 und 151) zitieren Settings aus BLUE platte steckenden Kopf von Andy. Der im VELVET (Abb. 152.1–3). Mr. Eddy wird zum Hintergrund projizierte Pornofilm(-im- Wiedergänger des Psychopathen Frank Gewaltfilm) zeigt zur gleichen Zeit die irri- Booth aus BLUE VELVET, während die über- tierende symbiotische Beziehung von se- mütige Autofahrt von Mr. Eddy und Pete xualisierter Gewalt und gewalttätiger Se- an den erschreckenden joyride aus dem xualität. Vor dem Hintergrund traditionel- selben Film erinnert. Neben den zahlrei- ler Gewaltdarstellung erscheint die Form chen Selbstzitaten finden sich Verweise der Gewalt im Noir-Film als verstörende auf Figuren und Motivkomplexe der Film- Abweichung und thematisiert auf diese und Literaturgeschichte. Der Name „Alice Weise die paradoxe Konstitution von Ge- Wakefield“ ruft beispielsweise zugleich Er- walt, ihre bedingungslose Grausamkeit innerungen an die gleichnamige Figur der ebenso wie ihre sensationelle Attraktivi- ALICE IN WONDERLAND-Filme wach und tät. Zugleich thematisiert die Form der macht auf diese Weise Alice‘ Geschichte Darstellung in LOST HIGHWAY die rituelle in LOST HIGHWAY als Fantasie lesbar; Ralf- 200 3 Méthode noire

Abb. 153 dieter Füller hat außerdem darauf hinge- schichte unmöglich, auch die Verweis- wiesen, dass der Name „Wakefield“ zu- struktur auf außerfilmische Referenzen gleich auf die Hauptfigur einer gleichna- und damit auf andere, alternative Reali- migen Erzählung von Nathaniel Hawthor- tätsentwürfe desorientieren die Wahrneh- ne verweist, in der der Protagonist Wake- mung einer einheitlichen fiktiven Realität field seine soziale Umgebung verlässt, um und subjektivieren damit die Beobachter- sie aus der Nachbarschaft zu beobachten, perspektive. Die aktive Einbeziehung des sich auf diese Weise aber zusehends selbst Zuschauerwissens in den Prozess der Be- isoliert (s. Füller 2001: 222, FN 36). Die ex- deutungskonstruktion aktualisiert zu- plodierende Holzhütte, die an die Schluss- gleich außerfilmisches kulturelles Wissen sequenz von KISS ME DEADLY erinnert und erzeugt Formenkontraste, die filmisch (Abb. 153), das Mephisto-Motiv des myste- nicht darstellbar sind: Der Film erfindet ry man, Film-im-Film-Strategien oder die eine zweite bzw. multiple Realität außer- an Kafkas Erzählung erinnernde ‚Ver- halb seiner selbst. Zwei Einschränkungen wandlung‘ und die ‚kafkaeske‘, enigmati- sind dabei zu berücksichtigen: Zum einen sche Erzählstruktur legen weitere Vermu- legt der Singular des Begriffs „Bedeutungs- tungen über die Beschaffenheit der Reali- konstruktion“ unverändert eine einheitli- tät in LOST HIGHWAY nahe, die allerdings che Perspektive nahe. Die filmische Kon- nicht mehr auf der innerfilmischen Ebene struktion vielschichtiger Bedeutungen wahrnehmbar werden, sondern direkt Ge- verflüssigt allerdings den an Kausalitäts- dächtnis und Erinnerung des Zuschauers kriterien kondensierenden Realitätsbegriff adressieren. der klassischen Erzählung zu einem poly- Entsprechend machen nicht nur Mehr- zentrischen Bedeutungsgeflecht. Zum an- fachcodierungen innerhalb des Films in deren verdichtet die Operationalisierung der Form von Verdoppelungsstrategien die des Zuschauerwissens jenseits der Konven- Konstruktion einer einheitlichen (bzw. tionen von Genreschemata durch das allu- monokausalen) Beobachtung der Ge- sive Verfahren einen die filmische Erfah- 3.8 Endstation 201

rung selbst dekontextualisierenden Effekt. über keinen mystery man verfügt, der ihm Das Bedrohungsszenario wird auf den Zu- den Weg aus dem Labyrinth zeigen könn- schauer selbst ausgeweitet, der systema- te. Der subjektivierende Effekt beruht auf tisch daran gehindert wird, aus der Viel- der (realen) filmischen Dekonstruktion zahl der Möglichkeiten eine einheitliche konventioneller Realitätsvereinbarungen Realität zu generieren. Das Medium und zwischen klassischer Erzählung und Zu- sein kommunikatives Prinzip selbst wird schaueraktivität. zur Bedrohung – nur dass der Zuchauer

3.8 Endstation

Wie die Untersuchung der Formenspiele Qualität und Quantität entsprechender und der mit ihnen verbundenen Bedeu- narrativ-semantischer Prozesse. Der Ertrag tungsebenen im Noir-Film gezeigt hat, dieser am Noir-Film exemplarisch durch- verdichtet der filmische Prozess des Noir- geführten filmhistorisch und filmanaly- Films bestimmte audiovisuelle und narra- tisch argumentierenden Untersuchung tive Ordnungsprinzipien sowie Themen liegt deswegen insbesondere auch in sei- zu wiederkehrenden semantischen Kon- ner Anwendbarkeit auf weitere filmische stellationen. Noir ist zur Bezeichnung ei- Phänomene, die zuvor unter Genre-, Stil-, nes filmischen „Eigenwerts“ (von Foers- Schulen-, Autoren-, zyklischen oder peri- ter) geworden, der sich für eine spezifische odischen Aspekten gefasst worden sind. Form des realistischen Erzählens heraus- Ein formalistischer Ansatz scheint für gebildet hat. Die Beobachtbarkeit und Be- diese Aufgabe deswegen vielversprechend, schreibbarkeit als noir setzt voraus, dass weil er die verschiedenen Funktionsberei- sowohl auf stilistischer (audiovisueller), che des filmischen Zeichens in ihren erzähltechnischer (narrativer), themati- Wechselwirkungen beschreibbar macht. scher (inhaltlicher) und semantischer Das Angebot zur Entwicklung einer histo- (kultureller) Ebene hinreichend Verdich- rischen Poetik, wie es vom Neoformalis- tungsmomente vorhanden sind, die es er- mus unterbreitet worden ist, ignoriert al- möglichen, eine subjektivistische Atmo- lerdings die Anbindung filmischer Prozes- sphäre existenzieller Angst und Bedro- se an kulturelle Kontexte – und dies ohne hung filmisch zu objektivieren. Dafür ist Not. So wie im neoformalistischen Modell es unerlässlich, dass entsprechende Ver- Narration und Zuschaueraktivität un- dichtungen auf allen Ebenen des filmi- trennbar miteinander verbunden sind, schen Zeichens in evidenter Form auffind- umfasst der Erzählprozess als Ort der Be- bar sind. Darin ist zugleich der Grund da- deutungsproduktion zugleich Film und für zu vermuten, dass Kategorisierungen Zuschauer. Bedeutungen lassen sich indes des Noir-Films mit Hilfe von Entweder- nur vor dem Hintergrund kulturell ge- Oder-Regeln, wie sie die oftmals bemüh- formter Semantiken ermitteln, in die bei- ten Genre- und Stilzuschreibungen nahe de Seiten eingebettet sind und die von bei- legen, die komplexe Konfiguration des den Seiten kommunikativ gehandhabt Gegenstands übersehen. Die Analyse des werden können. Die voluntaristische Be- filmischen Zeichens noir macht dagegen schränkung auf den Entwurf einer histori- die Darstellung seines relationalen Mehr- schen Filmpoetik wie im neoformalisti- oder-Weniger erforderlich, begründet in schen Modell – ermittelt ausschließlich 202 3 Méthode noire

anhand ästhetischer und narrativer Tech- technischer Lösungen die Beschreibung niken – greift deswegen zu kurz. Sie über- ihres Zusammenspiels mit Themen und sieht, dass das Filmische nicht nur Resultat Semantiken zu stellen. historisch variabler technischer Problem- Andererseits ist weder das neoforma- lösungsstrategien (vgl. Bordwell 1997), listische Modell bedeutungslos, noch kön- sondern in gleichem Maße Produkt ver- nen die vom Neoformalismus abgelehn- änderlicher kultureller Kontexte und Be- ten semantischen Modelle auf die Analyse deutungen ist. Wie sonst ließen sich die des ästhetischen und narrativen Materials Motivationen verschiedener Erzählstrate- verzichten. Die (formale) Integration bei- gien etwa des klassischen Hollywoodfilms, der Aspekte leistet schließlich ein struktu- des sowjetischen Montagefilms, des künst- ralistisches Zeichenmodell des Films. Da- lerisch ambitionierten Films oder „post- mit werden innerfilmische Prozesse als modernen“ Filmemachens (vgl. Bordwell Verfahren zur Konstruktion außerfilmi- 1985) erklären? Eine historisch argumen- scher Bedeutungen beschreibbar. Unter tierende Filmpoetik, die Antworten darauf Einbeziehung der Erkenntnisse der struk- einzig unter Hinweis auf apparativ-techni- turalistischen Linguistik macht die Revisi- sche Machbarkeiten zu finden glaubt, be- on der historischen Poetik des Noir-Films schneidet jedenfalls die Möglichkeiten der um seine Eigenschaft als bedeutungspro- Erforschung kultureller Bedeutungspro- duzierender Prozess deswegen zugleich die duktion durch filmische Verfahren. Be- Umschrift des neoformalistischen Modells deutungen lassen sich schlechterdings zu einem Modell der Verdichtung narrati- nicht von kulturellen und sozialen, d.h. ver und semantischer Verfahren erforder- kommunikativen Kontexten trennen. lich. Wie die Analyse des Noir-Phänomens Und insofern „films refract social discour- gezeigt hat, lässt sich der Modus operandi ses and content into specifically cinematic noir ausgehend vom filmischen Zeichen forms which engage audiences in an active schließlich erst durch die Beschreibung process of constructing meaning“ (Kellner des Wechselspiels inner- und außerfilmi- 1998: 355), scheint es unerlässlich, neben scher Funktionen aufklären. die Beschreibung medienspezifischer

3.9 Am Ende ein Anfang

Die filmischen Verfahren des Noir-Films vollkommen dissoziierter und beinahe leisten die filmische Übersetzung des Ir- unerkennbarer subjektivistischer Realitä- realen in filmische Realitätsprinzipien. ten geführt. Sie produzieren innerhalb der Grenzen Die Verwendung gegenüber der klassi- des Erzählfilms ein Kino der themati- schen realistischen Erzählung abwei- schen Sensationen, der audiovisuellen chender Verfahren verleiht einer tenden- Schocks und der psychologischen Effi- ziell zwar sehr selbstbewussten und kom- zienz: Ebenso wie das klassische Erzählki- munikativen, aber letztlich unwissenden no die formale Herstellung der Illusion Erzählung eine subjektivierende Perspek- einer homogenen und vollkommen er- tive. Die Unterscheidung der beiden rea- kennbaren äußeren Realität perfektio- listischen Erzählsysteme lässt sich ent- nierte, hat das expressiv-subjektivierende sprechend anhand der Konstruktions- Prinzip zur Herstellung von Illusionen merkmale der Realitätsvermittlung tref- 3.9 Am Ende ein Anfang 203

fen: Die kausal-kontinuierende Methode ken. Der psychische De-Realismus etwa der klassischen linearen Narration in Ver- von LOST HIGHWAY – zeitgenössischer bindung mit sozialen oder familiären Prototyp eines ebenso formalisierten wie Ordnungssemantiken erzeugt objektivie- stilisierten filmischen Ausdrucks des rende Effekte, während die bewusst her- Noir-Films – ist letztlich ein Effekt psy- beigeführte bzw. methodische Störung cho-realistischer narrativer Prozeduren, dieser Konvention in Verbindung mit Se- Erzählungen radikal zu subjektivieren. mantiken existenzieller Verzweiflung, Da sich realistisches Filmemachen so- Angst und Bedrohung subjektivierende wohl objektivierender als auch subjekti- Effekte hervorbringt – und gleichzeitig vierender Verfahren bedient, lassen sich Konvention geworden ist. Dazu gehören Reinformen nur abstrahieren bzw. ideali- expressive Bildlichkeit und Tonalität, er- sieren. Auch darin ist ein Grund zu sehen, zähltechnische Rupturen des linearen dass der filmhistorische Begriff „Film Kausalitätsprinzips unter Anwendung de- noir“ eine so heterogene, ja widersprüch- linearisierender und mulitplikativer Ver- liche Deutungsgeschichte aufweist. An- fahren sowie gleichzeitige semantischer stelle der ontologischen Fixierung auf Fixierung auf die Dekonstruktion mona- ideale Bedingungen, möchte ich deswe- disch gedachter Subjektivität. Die seman- gen vorschlagen, die Betrachtung auf his- tische Indifferenz des Neoformalismus torische Operationalität und zweckge- behinderte letztlich den analytischen Zu- richtete Funktionalität des subjektivie- griff auf diese Zusammenhänge. Die zei- renden Verfahrens audiovisueller, erzähl- chen- und kommunikationstheoretische technischer und thematischer Verdich- Umdefinition in der vorstehenden Unter- tung umzustellen, die Poetik des noir auf suchung stellte zugleich einen Versuch diese Weise in Bewegung zu versetzen dar, diesen Mangel zu beheben. und in eine Verlaufsform zu bringen, die Das Adjektiv noir bezeichnet also ein das hervorbringt, was in dieser Untersu- Moment der (subjektivierenden) Verdich- chung – unbefriedigenderweise – als Film tung vor dem Hintergrund desjenigen noir, „historischer“ Film noir, Neo Film (objektivierenden) des klassischen Er- Noir, noir oder Noir-Film bezeichnet wor- zählfilms. Noir weicht damit von der den ist. Grund genug, historische Poetik Form klassischen Erzählens im Film ab. und semantische Prozesse zusammenzu- Mit Hilfe strukturalistischer Annahmen denken und auch begrifflich von Ding- lassen sich die Strategien der Abweichung metaphern auf Verfahrensformen, von und Verfremdung und damit die Diffe- hermetischen auf funktionale Einheiten renzqualität noir recht genau erfassen. und die „Art und Weise [ihres] Sich-gel- Obwohl zunächst konstatiert werden tend-Machens“ (Mukarovský 1970b: 25) muss, dass die stilistischen, narrativen umzustellen. Kurzum: Grund genug, die und thematischen Abweichungen gerin- historistische und ästhetizistische Per- ger zu veranschlagen sind, als es die Rede spektive zugunsten der Erforschung der vom Film noir oft glauben machen woll- Evolution filmischer Formensprache und te, produzierte die spezifische Noir-Me- ihrer Bedeutungsdimensionen aufzuge- thodik dem klassischen Erzählfilm beina- ben und film noir als méthode noire zu re- he diametral entgegengesetzte Semanti- konstruieren.

4 Literatur und Filme

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4.2 Filme

0–9 Clarke), Kamera: Geoffrey Unsworth, John Alcott, Musik: Aram Khatschaturian, Ri- 2001:ASPACE ODYSSEY chard Strauss, Johann Strauß, György Li- (dt. 2001:ODYSSEE IM WELTRAUM) geti, Schnitt: Ray Lovejoy, Darsteller: Keir 1965–68, 149 Min., Produktion: Dullea (David Bowman), Gary Lockwood Stanley Kubrick, Regie: Stanley Kubrick, (Frank Poole), William Sylvester (Dr. Hey- Buch: Stanley Kubrick, Arthur C. Clarke wood Floyd), Leonard Rossiter (Smyslov) (nach einer Kurzgeschichte von Arthur C. 4.2 Filme 211

52 PICK-UP Shoji Yamashiro; Schnitt: Takeshi Seyama (52 PICK-UP) – Animationsfilm USA 1986, 110 Min., Regie: John Franken- heimer; Buch: Elmore Leonard, John ALICE IN WONDERLAND Steppling (nach einem Roman von Elmo- (ALICE IM WUNDERLAND) re Leonard); Kamera: Jost Vacano, Musik: USA 1951, 75 Min., Regie: Clyde Geroni- Gary Chang; Schnitt: Robert F. Shugrue; mi, Hamilton Luske, Wilfred Jackson; Darsteller: Roy Scheider (Harry Mitchell), Buch: Winston Hibler, Bill Peet, Joe Rinal- Ann-Margret (Barbara Mitchell), Vanity di, William Cottrell u.a. nach den Vorla- (Doreen), John Clover (Alan Raimy), Ro- gen von Lewis Carroll; Musik: Oliver Wal- bert Trebor (Leo Franks), Kelly Preston lace – Animationsfilm (Cini), Lonny Chapman (Jim O’Boyle) ALIEN (ALIEN –DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EI- A NER FREMDEN WELT) England 1979, 116 Min., Regie: Ridley A BOUT DE SOUFFLE Scott; Buch: Dan O’Bannon, Ronald Shu- (AUSSER ATEM) sett; Kamera: Derek Vanlint; Musik: Jerry Frankreich 1959, 88 Min., Regie: Jean-Luc Goldsmith; Schnitt: Terry Rawlings, Peter Godard, Buch: François Truffaut; Kamera: Weatherley; Darsteller: Tom Skerritt (Dal- ; Musik: Martial Solal; las), Sigourney Weaver (Ripley), Veronica Schnitt: Cécile de Cougis; Darsteller: Jean- Cartwright (Lambert), John Hurt (Kane), Paul Belmondo (Michel Poiccard), Jean Se- Harry Dean Stanton (Brett), Ian Holm berg (Patricia Franchini), Van Doude (Ash), Yaphet Kotto (Parker) (Journalist), Liliane David (Liliane), Clau- de Mansart (Gebrauchtwagenhändler), ALPHAVILLE Henri-Jacques Huet (Antonio Berruti) (LEMMY CAUTION GEGEN ALPHA 60) Frankreich/Italien 1965, 93 Min., Regie: AGAINST ALL ODDS Jean-Luc Godard; Buch: Jean-Luc Godard; (GEGEN JEDE CHANCE) Kamera: Raoul Coutard; Musik: Paul Misra- USA 1983/84, 121 Min., Regie: Taylor ki; Schnitt: Agnès Guillemot; Darsteller:Ed- Hackford; Buch: Eric Hughes (nach einem die Constantine (Iwan Johnson / Lemmy Roman von Daniel Mainwaring und dem Caution), Anna Karina (Natascha von Film „Goldenes Gift“); Kamera: Donald E. Braun), Akim Tamiroff (Henry Dickson), Thorin; Musik: Michel Colombier, Larry Howard Vernon (Prof. von Braun / Prof. Carlton; Song „Against All Odds“ von Phil Leonard ), Jean-Louis Comolli Collins Schnitt: , Willi- (Prof. Jeckell), László Szabó (Chefingeni- am Steinkamp; Darsteller: Jeff Bridges (Ter- eur), Michel Delahaye (von Brauns Assi- ry Brogan), Rachel Ward (Jessie Wyler), stent), Jean-André Fieschi (Prof. Heckel) James Woods (Jake Wise), Alex Karras (Hank Sully), Jane Greer (Mrs. Wyler) DER AMERIKANISCHE FREUND (L’AMI AMÉRICAIN) AKIRA BR Deutschland / Frankreich 1976, 126 (AKIRA) Min., Regie: Wim Wenders; Buch:Wim Japan 1987, 124 Min., Regie: Katsuhiro Wenders (nach dem Roman „Ripley‘s Otomo; Buch: Izo Hashimoto, Katsuhiro Game“ von Patricia Highsmith); Kamera: Otomo; Kamera: Katsuji Misawa; Musik: Robby Müller; Musik: Jürgen Knieper; 212 4 Literatur und Filme

Schnitt: Peter Przygodda, Barbara von Wei- ret Krusemark), Eliott Keener (Sterne), Eli- tershausen; Darsteller: Bruno Ganz (Jonat- zabeth Whitcraft (Connie) han Zimmermann), Dennis Hopper (Tom Ripley), Lisa Kreuzer (Marianne Zimmer- mann), Gérard Blain (Raoul Minot), Ni- (APOCALYPSE NOW) cholas Ray (Derwatt), Lou Castel (Rodolp- USA 1976–79, 153 Min., Regie: Francis he), Samuel Fuller (der Amerikaner), Da- Ford Coppola, Buch: Francis Ford Coppo- niel Schmid (Igraham), Jean Eustache la, (nach Motiven eines Ro- (Freundlicher Mann), Peter Lilienthal mans von Joseph Conrad); Kamera: Vitto- (Marcangelo) rio Storaro; Musik: Carmine Coppola, Francis Ford Coppola; Schnitt: Richard DER AMERIKANISCHE SOLDAT Marks; Darsteller: Martin Sheen (Willard), BR Deutschland 1970, 80 Min., Regie: Rai- Marlon Brando (Colonel Kurz), Robert ner Werner Fassbinder; Buch: Rainer Wer- Duvall (Kilgore), Dennis Hopper (Foto- ner Fassbinder; Kamera: Dietrich Loh- graf), Frederic Forrest (Chef), Samuel Bot- mann; Musik: Peer Raben; Schnitt: Thea toms (Lance), Laurence Fishburne (Clean) Eymèsz; Darsteller: Karl Scheydt (Ricky), Elga Sorbas (Rosa), Margarethe von Trotta DIE APOTHEKERIN (Zimmermädchen), Jan George (Jan), Hark Deutschland 1997, 108 Min., Regie: Rainer Bohm (Doc), Ingrid Caven (Sängerin), Ulli Kaufmann; Buch: Ralf Hertwig, Kathrin Lommel (der Zigeuner), Kurt Raab (Rickys Richter (nach dem gleichnamigen Roman Bruder), Rainer Werner Fassbinder (Franz), von Ingrid Noll); Kamera: Klaus Eichham- Marquard Bohm (Privatdetektiv) mer; Musik: Ludwig Eckmann, Maximilian Geller; Schnitt: Ueli Christen; Darsteller: THE ANDROMEDA STRAIN Katja Riemann (Hella Moormann), Jürgen (ANDROMEDA –TÖDLICHER STAUB AUS DEM Vogel (Levin Graber), Richy Müller (Dieter ALL) Krosmansky), Isabella Parkinson (Margot USA 1970, 127 Min., Regie: Robert Wise, Krosmansky), August Zirner (Pawel Sie- Buch: Nelson Gidding nach dem Roman bert), Dagmar Manzel (Dorit Meissen), von Michael Crichton, Kamera: Richard H. Andrea Sawatzki (Alma Siebert) Kline, Musik: Gil Melle, Schnitt: Stuart Gil- more, John W. Holmes, Darsteller: Arthur ARLINGTON ROAD Hill (Dr. Stone), David Wayne (Dr. Dut- (ARLINGTON ROAD) ton), James Olson (Dr. Hall), Kate Reid (Dr. USA 1999, 117 Min., Regie: Mark Pelling- Leavitt), Paula Kelly (Krankenschwester) ton; Buch: Ehren Kruger; Kamera: Bobby Bukowski; Musik: ; ANGEL HEART Schnitt: Conrad Buff; Darsteller: Jeff Brid- (ANGEL HEART) ges (Michael Faraday), (Oli- USA 1986, 112 (gek. 107) Min., Regie: Alan ver Lang), Joan Cusack (Cheryl Lang), Parker; Buch: Alan Parker (nach dem Ro- Hope Davis (Brooke Wolfe), Robert Gosset man „Falling Angel“ von William Hjorts- (Whit Carver), Mason Gamble (Brady berg); Kamera: Michael Seresin; Musik:Tre- Lang), Spencer Treat Clark (Grant Faraday) vor Jones; Schnitt: ; Dar- steller: (Harry Angel), Ro- THE ASPHALT JUNGLE bert De Niro (Louis Cyphre), Lisa Bonet (ASPHALT DSCHUNGEL) (Epiphany Proudfoot), Michael Higgins USA 1950, 111 Min., Regie: John Huston; (Dr. Fowler), Charlotte Rampling (Marga- Buch: , John Huston (nach 4.2 Filme 213

einem Roman von W. R. Burnett); Kame- BATMAN ra: Harold Rosson; Musik: Miklos Rozsa; (BATMAN) Darsteller: Sterling Hayden (Dix Hand- USA 1988, 126 min., Regie: Tim Burton; ley), Jean Hagen (Doll Conovan), James Buch: Sam Hamm, Warren Skaaren (nach Whitmore (Gus Minissi), (Doc einer Comic-Figur von Bob Kane); Kame- Erwin Riedenschneider), Louis Calhern ra: Roger Pratt; Musik: , (Alonzo Emmerich), John McIntire (Kom- Prince; Schnitt: Ray Lovejoy; Darsteller: missar Hardy), Barry Kelly (Leutnant Di- Michael Keaton (Batman / Bruce Wayne), trich) Jack Nicholson (Joker / Jack Napier), Kim Basinger (Vicky Vale), Pat Hingle (Com- missioner Gordon), (Gris- B som), Robert Wuhl (Alexander Knox), Bil- ly Dee Williams (Harvey Dent), Michael BAD LIEUTENANT Gough (Alfred), Jerry Hall (Alicia), Lee (BAD LIEUTENANT) Wallace (Bürgermeister) USA 1992, 96 Min., Regie: Abel Ferrara, Buch: Zoe Lund, Abel Ferrara; Kamera: LE BEAU SERGE Ken Kelsch; Musik: Joe Delia; Schnitt: Ant- (DIE ENTTÄUSCHTEN) hony Redman; Darsteller: Harvey Keitel Frankreich 1958, 99 Min., Regie: Claude (Lieutenant), Victor Argo (Buchmacher- Chabrol; Buch: Claude Chabrol; Kamera: Cop), Frankie Thorn (Nonne), Paul Hipp Jean Rabier; Musik: Emile Delpierre; (Jesus), Zoe Lund (Junkie), Peggy Gorm- Schnitt: Jacques Gaillard; Darsteller: Gérard ley (Lieutenants Frau), Anthony Ruggiero Blain (Serge), Jean-Claude Brialy (Fran- (Lite) çois), Bernadette Lafont (Marie), Michèle Meritz (Yvonne), Jeanne Perez (Madame BARFLY Chaunier) (BARFLY) USA 1987, 97 Min., Regie: Barbet Schroe- LE BOUCHER der; Buch: Charles Bukowski; Kamera: Rob- (DER SCHLACHTER) by Müller; Musik: Wolfgang Amadeus Mo- Frankreich/Italien 1970, 94 Min., Regie: zart, Skrjabin, Georg Friedrich Händel, Claude Chabrol; Buch: Claude Chabrol; Ludwig van Beethoven; Schnitt: Eva Gar- Kamera: Jean Rabier; Musik: Pierre Jansen; dos; Darsteller: Mickey Rourke (Henry Chi- Schnitt: Jacques Gaillard; Darsteller: Sté- naski), Faye Dunaway (Wanda Wilcox), phane Audran (Hélène), Jean Yanne (Po- Alice Krige (Tully Sorenson), Jack Nance paul), Roger Rudel (Inspektor Grumbach), (Polizist), Frank Stallone (Eddie) Antonio Passalia (Angelo), Mario Beccaria (Leon Hamel) BARTON FINK (BARTON FINK) BEN HUR USA 1991, 116 Min., Regie: Joel Coen, Et- (BEN HUR) han Coen; Buch: Joel Coen, Ethan Coen; USA 1959, 213 Min., Regie: William Wy- Kamera: Roger Deakins; Musik: Carter Bur- ler; Buch: Karl Tunberg (nach dem gleich- well; Schnitt: Roderick Jaynes; Darsteller: namigen Roman von Lewis Wallace); Ka- John Turturro (Barton Fink), John Good- mera: Robert Surtees; Musik: Miklos man (Charlie Meadows), Judy Davis (Au- Rozsa; Schnitt: Ralph E. Winters, John drey Taylor), Michael Lerner (Jack Lip- Dunning; Darsteller: Charlton Heston nick), John Mahoney (W. P. Mayhew) (Ben Hur), Stephen Boyd (Messala), Jack 214 4 Literatur und Filme

Hawkins (Quintus Arrius), Haya Harareet THE BIG SLEEP (Esther), Hugh Griffith (Scheich Ilderim) (TOTE SCHLAFEN FEST,DER TIEFE SCHLAF) USA 1945, 114 Min., Regie: Howard BEST SELLER Hawks; Buch: William Faulkner Jules (BESTSELLER) Furthman Leigh Brackett (nach einem Ro- USA 1987, 95 Min., Regie: John Flynn; man von Raymond Chandler); Kamera: Buch: Larry Cohen; Kamera: Fred Murphy: Sid Hickox; Musik: Max Steiner; Schnitt: Musik: Jay Ferguson; Schnitt: David Rosen- Christian Nyby; Darsteller: Humphrey Bo- bloom; Darsteller: James Woods (Cleve), gart (Philip Marlowe), Lauren Bacall (Vivi- Brian Dennehy (Dennis Meechum), Victo- an Rutledge) John Ridgely (Eddie Mars), ria Tennant (Roberta Gilian), Allison Bal- Martha Vickers (Carmen), Charles Wald- son (Holly Meechum), Paul Shenar (David ron (General Sternwood), Louis Jean Madlock) Heydt (Joe Brody), Elisha Cook jr. (Johns),

LA BÊTE HUMAINE BLACK RAIN (BESTIE MENSCH) (BLACK RAIN) Frankreich 1938, 100 Min., Regie: Jean Re- USA 1989, 125 Min., Regie: Ridley Scott; noir; Buch: Jean Renoir (nach dem Ro- Buch: Craig Bolotin, Warren Lewis; Kame- man „Der Totschläger“ von Emile Zola); ra: Jan de Bont; Musik: ; Kamera: Curt Courant; Musik: Joseph Kos- Schnitt: ; Darsteller: Michael Dou- ma; Schnitt: Marguerite Renoir, Suzanne glas (Nick Conklin), Andy Garcia (Charlie de Troeye; Darsteller: (Jacques Vincent), Ken Takakura (Mashiro Matsu- Lantier), Simone Simon (Sévérine), Julien moto), Kate Capshaw (Joyce Kingsley), Carette (Pecqueux), Fernand Ledoux Yusaku Matsuda (Sato) (Roubaud), Jean Renoir (Cabuche) BLADE RUNNER THE BIG CLOCK (DER BLADE RUNNER) (SPIEL MIT DEM TODE) USA 1982, 117 Min. Regie: Ridley Scott, USA 1948, 94 min., Regie: ; Buch: Hampton Fancher, David Peoples Buch: Jonathan Latimer (nach einem Ro- (nach Motiven der Erzählung „Do An- man von Kenneth Fearing); Kamera: John droids Dream of Electric Sheep?“ von Phi- Seitz; Musik: Victor Young; Schnitt: Gene lip K. Dick); Kamera: ; Ruggiero; Darsteller: Charles Laughton Musik: Vangelis; Schnitt: Terry Rawlings; (Earl Janoth), Ray Milland (George Darsteller: Harrison Ford (Deckard), Rutger Stroud), Maureen O‘Sullivan (Georgette Hauer (Batty), Sean Young (Rachael), Daryl Stroud), Rita Johnson (Pauline York), Elsa Hannah (Pris), Edward James Olmos (Gaff), Lanchester (Louise Patterson) M. Emmet Walsh (Bryant), Joe Turkel (Ty- rell), Brion James (Leon), William Sander- THE BIG COMBO son (J.F. Sebastian), Joanna Cassidy (Zhora) (GEHEIMRING 99) USA 1955, 87 Min., Regie: Joseph H. Lewis; BLOOD SIMPLE Buch: Philip Yordan; Kamera: John Alton; (BLOOD SIMPLE –EINE MÖRDERISCHE Musik: ; Schnitt: Robert S. Ei- NACHT) sen; Darsteller: Cornel Wilde (Diamond), USA 1984, 99 Min., Regie: Joel Coen; Buch: Richard Conte (Brown), Brian Donlevy Joel Coen, Ethan Coen; Kamera: Barry Son- (McClure), Jean Wallace (Susan), Lee Van nenfeld; Musik: Carter Burwell; Schnitt:Ro- Cleef (Fante) derick Jaynes, Don Wiegmann, Peggy Con- 4.2 Filme 215

nolly; Darsteller: John Getz (Ray), Frances ker), Ted Danson (Peter Lowenstein), J.A. McDormand (Abby), Dan Hedaya (Julian Preston (Oscar Grace) Marty), M. Emmet Walsh (Visser), Samm- Art Williams (Meurice), Debora Neumann BODY SNATCHERS (Debra), Raquel Gavia (Gutsherrin) (BODY SNATCHERS –ANGRIFF DER KÖRPER- FRESSER) BLOW OUT USA 1992, 87 Min., Regie: Abel Ferrara; (BLOW OUT –DER TOD LÖSCHT ALLE SPUREN) Buch: Stuart Gordon, Dennis Paoli, Nicho- USA 1981, 108 Min., Regie: Brian de Pal- las St. John (nach einem Roman von Jack ma; Buch: ; Kamera: Vilmos Finney); Kamera: Bojan Bazelli; Musik: Joe Zsigmond; Musik: Pino Donaggio; Schnitt: Delia; Schnitt: Anthony Redman; Darstel- Paul Hirsch; Darsteller: John Travolta (Jack ler: Terry Kinney (Steve Malone), Meg Tilly Terri), Nancy Allen (Sally Bedina), John (Carol Malone), Gabrielle Anwar (Marti Lithgow (Burke), Dennis Franz (Manny Malone), Reilly Murphy (Andy Malone), Karp), Peter Boyden (Sam) (Major Collins), Billy Wirth (Tim), Christine Elise (Jenn Platt), BLUE STEEL R. Lee Ermey (Gen. Platt), Kathleen Doyle (BLUE STEEL) (Mrs. Platt), G. Elvis Phillips (Pete) USA 1989, 102 min., Regie: Kathryn Bige- low; Buch: Eric Reed, Kathryn Bigelow; Ka- BONNIE AND CLYDE mera: Amir Mokri; Musik: Brad Fiedel; Schnitt: (BONNIE UND CLYDE) Lee Percy; Darsteller: Jamie Lee Curtis (Me- USA 1967, 111 Min., Regie: ; gan Turner), Ron Silver (Eugene Hunt), Buch: David Newman, ; Ka- Clancy Brown (Nick Mann), Elizabeth Pena mera: Burnett Guffey; Musik: Charles (Tracy), Louise Fletcher (Mrs. Turner) Strouse; Schnitt: ; Darsteller: (Clyde Barrow), Faye Duna- BLUE VELVET way (Bonnie Parker), Gene Hackman (BLUE VELVET) (Buck Barrow), Estelle Parsons (Blanche), USA 1985, 120 Min., Regie: David Lynch; Michael J. Pollard (C.W. Moss), Denver Buch: David Lynch; Kamera: Frederick El- Pyle (Frank Hamer), Gene Wilder (Eugene mes, Joe Dunton; Musik: Angelo Badala- Grizzard) menti; Schnitt: ; Dar- steller: Kyle MacLachlan (Jeffrey Beau- BRAZIL mont), Isabella Rossellini (Dorothy Val- (BRAZIL) lens), Dennis Hopper (Frank Booth), Lau- England 1984, 142 Min., Regie: Terry Gilli- ra Dern (Sandy Williams), Dean Stockwell am; Buch: Terry Gilliam, , (Ben), Hope Lange (Williams), George Di- Charles McKeown; Kamera: Roger Pratt; ckerson (Detective Williams) Musik: Michael Kamen; Schnitt: Julian Doyle; Darsteller: Jonathan Pryce (Sam BODY HEAT Lowry), Robert De Niro (Harry Tuttle), Ka- (HEISSBLÜTIG –KALTBLÜTIG) therine Helmond (Ida Lowry), Ian Holm USA 1981, 113 Min.; Regie: Lawrence Kas- (Kurtzmann), Michael Palin (Jack Lint), dan; Buch: ; Kamera:Ri- Kim Greist (Jill Layton), Ian Richardson chard H. Kline; Musik: ; Schnitt: (Warrenn), Peter Vaughan (Mr. Help- Carol Littleton; Darsteller: William Hurt mann), (Spoor), Jim Broad- (Ned Racine), Kathleen Turner (Matty bent (Dr. Jaffe) Walker), Richard Crenna (Edmund Wal- 216 4 Literatur und Filme

BREAKDOWN C (BREAKDOWN) USA 1997, 93 Min., Regie: Jonathan Mos- CAPE FEAR tow; Buch: Jonathan Mostow, Sam Mont- (EIN KÖDER FÜR DIE BESTIE) gomery; Kamera: Doug Milsome; Musik: USA 1962, 106 Min., Regie: J. Lee Thomp- Basil Poledouris; Schnitt: Derek Brechin, son; Buch: James R. Webb (nach einem Ro- Kevin Stitt; Darsteller: Kurt Russell (Jeff Ty- man von John D. MacDonald); Kamera: lor), J.T. Walsh (Red Barr), Kathleen Quin- Sam Leavitt; Musik: ; lan (Amy Taylor), M.C. Gainey (Earl), Jack Schnitt: ; Darsteller: Gre- Noseworthy (Billy), Rex Linn (Sheriff Boyd) gory Peck (Sam Bowden), (Max Cady), Polly Bergen (Peggy Bowden), BRINGING OUT THE DEAD Lori Martin (Nancy Bowden), Martin Bal- (BRINGING OUT THE DEAD –NÄCHTE DER sam (Mark Dutton), Jack Kruschen (Dave ERINNERUNG) Grafton), Telly Savalas (Charles Sievers) USA 1999, 120 Min., Regie: Martin Scorse- se; Buch: Paul Schrader (nach einem Ro- CAPE FEAR man von Joe Connelly); Kamera: Robert (KAP DER ANGST) Richardson; Musik: Elmer Bernstein; USA 1991, 128 Min., Regie: Martin Scorse- Schnitt: Powell; Dar- se; Buch: Wesley Strick (nach dem Roman steller: Nicolas Cage (Frank Pierce), Patri- „The Executioners“ von John D. MacDo- cia Arquette (Mary Burke), John Goodman nald und einem Drehbuch von James R. (Larry), Ving Rhames (Marcus), Tom Size- Webb); Kamera: Freddie Francis; Musik: more (Tom Walls), Mary Beth Hurt Bernard Herrmann, Elmer Bernstein (Adap- (Schwester Constance), Marc Anthony tion und Arrangement); Schnitt: Thelma (Noel) Schoonmaker; Darsteller: Robert De Niro (Max Cady), Nick Nolte (Sam Bowden), BROTHER Jessica Lange (Leigh Bowden), Juliette Le- (BROTHER) wis (Danielle), Joe Don Baker (Claude Ker- USA/England/Japan 2000, 114 Min., Regie: sek), Robert Mitchum (Lt. Elgart), Gregory Takeshi Kitano; Buch: Takeshi Kitano; Ka- Peck (Lee Heller), Martin Balsam (Richter) mera: Katsumi Yanagishima; Schnitt:Ta- keshi Kitano; Musik: Jô Hisaishi; Darsteller: CET OBSCUR OBJET DU DÉSIR Takeshi Kitano (Yamamoto), Omar Epps (DIESES OBSKURE OBJEKT DER BEGIERDE) (Denny), Kuroudo Maki (Ken), Masaya Frankreich/Spanien 1977, 103 Min., Regie: Kato (Shirase), Susumu Terajima (Kato), Luis Buñuel; Buch: Luis Buñuel, Jean- Royale Watkins (Jay) Claude Carrière (nach dem Roman „La Femme et le Pantin“ von Pierre Louys); Ka- BRUTE FORCE mera: Edmond Richard; Musik: Richard (ZELLE R 17) Wagner u.a.; Schnitt: Hélène Plemiannikov; USA 1946/47, 98 Min., Regie: Jules Dassin; Darsteller: Fernando Rey (Mathieu), Carole Buch: Richard Brooks (nach einer Story Bouquet (Conchita), Angela Molina (Con- von Robert Patterson); Kamera: William H. chita), André Weber Julien Bertheau Daniels; Musik: Miklos Rozsa; Schnitt:Ed- ward Curtiss; Darsteller: CHINATOWN (Joe Collins), Hume Cronyn (Captain (CHINATOWN) Munsey), Charles Bickford (Gallagher), USA 1974, 131 Min., Regie: Roman Polans- Ella Raines (Cora), Yvonne de Carlo (Gina) ki; Buch: ; Kamera: John A. 4.2 Filme 217

Alonzo; Musik: ; Schnitt: Holly Hunter (MJ Monahan), Dermot Sam O’Steen; Darsteller: Jack Nicholson (J.J. Mulroney (Ruben Goetz), William McNa- Gittes), Faye Dunaway (Evelyn Mulwray), mara (Peter Foley), Harry Connick jr. (Da- John Huston (Noah Cross), Darrell Zwer- ryll Lee Cullum), Will Patton (Nicoletti) ling (Hollis Mulwray), John Hillerman (Yelburton), Roman Polanski (Mann mit CRISS CROSS Messer), Perry Lopez (Escobar), Diane Ladd (GEWAGTES ALIBI) (Ida Sessions), Roy Jenson (Mulvihill) USA 1948, 83 Min., Regie: Robert Siod- mak; Buch: Daniel Fuchs (nach einem Ro- CITIZEN KANE man von Don Tracy); Kamera: Franz Pla- (CITIZEN KANE) ner; Musik: Miklos Rozsa; Schnitt: Ted J. USA 1941, 117 Min., Regie: Orson Welles; Kent; Darsteller: Burt Lancaster (Steve Buch: Herman J. Mankiewicz, Orson Wel- Thompson), Yvonne de Carlo (Anna), les; Kamera: Gregg Toland; Musik: Bernard Dan Duryea (Slim), Stephen McNally (Ra- Herrmann; Schnitt: Robert Wise, Mark mirez), Richard Long (Slade Thompson), Robson (ungenannt); Darsteller: Orson Esai Morales (Orchesterchef), Tom Pedi Welles (Charles Foster Kane), Harry Shan- (Vincent) non (Kanes Vater), Agnes Moorehead (Ka- nes Mutter), (Jed Leland), George Coulouris (Thatcher), Dorothy D Comingore (Susan Alexander), Everett Sloane (Mr. Bernstein), Ray Collins („Big D.O.A. – DEAD ON ARRIVAL Jim“ Gettys), Paul Stewart (Raymond), (D.O.A. – BEI ANKUNFT MORD) Alan Ladd (Reporter) USA 1988, 97 Min., Regie: Rocky Morton Annabel Jankel; Buch: Charles Edward Po- CLEOPATRA gue, Russell Rouse, (nach (CLEOPATRA) einem Drehbuch von Russell Rouse und USA 1962, 243 Min., Regie: Joseph L. Man- Clarence Greene); Kamera: Yuri Neyman; kiewicz; Buch: Joseph L. Mankiewicz, Ra- Musik: Chaz Jankel; Schnitt: Michael R. nald MacDougall, Sidney Buchman (nach Miller, Raja Gosnell; Darsteller: Dennis einem Roman von Carlo Maria Franzero); Quaid ( Cornell), Meg Ryan (Syd- Kamera: Leon Shamroy; Musik: Alex ney Fuller), Charlotte Rampling (Mrs. Fitz- North; Schnitt: ; Darstel- warning), Daniel Stern (Hal Petersham), ler: Elizabeth Taylor (Cleopatra), Richard Jane Kaczmarek (Gail Cornell) Burton (Mark Anton), Rex Harrison (Julius Cäsar), Pamela Brown (Hohepriesterin), DARK CITY George Cole (Flavius), Hume Cronyn (So- (DARK CITY) sigenes), Cesare Danova (Apollodorus), USA 1997, 100 Min., Regie: Alex Proyas; Martin Landau (Rufio) Buch: Alex Proyas, Lem Dobbs, David S. Goyer; Kamera: Dariusz Wolski; Musik: COPYCAT Trevor Jones; Schnitt: Dov Hoenig; Darstel- (COPYKILL) ler: Rufus Sewell (John Murdoch), William USA 1995, 124 Min., Regie: Jon Amiel; Hurt (Inspektor Frank Bumstead), Kiefer Buch: Ann Biderman, David Madsen; Ka- Sutherland (Dr. Daniel Schreber), Jennifer mera: Laszlo Kovacs; Musik: Christopher Connelly (Emma Murdoch), Richard Young; Schnitt: , ; Dar- O’Brien (Mr. Hand), Ian Richardson (Mr. steller: Sigourney Weaver (Helen Hudson), Book) 218 4 Literatur und Filme

DEAD AGAIN DÉTECTIVE (SCHATTEN DER VERGANGENHEIT) (DIE TOTALE ÜBERWACHUNG) USA 1990, 108 Min., Regie: Kenneth Bra- Frankreich 1985, 98 Min., Regie: Jean-Luc nagh; Buch: Scott Frank; Kamera: Matthew Godard; Buch: Jean-Luc Godard; Kamera: F. Leonetti; Musik: Patrick Doyle; Schnitt: ; Musik: Franz Schubert, Ri- Peter E. Berger; Darsteller: Kenneth Bra- chard Wagner, Frédéric Chopin, Arthur nagh (Mike Church / Roman Strauss), Honegger; Schnitt: Marilyne Dubreuil; Andy Garcia (Gray Baker), Emma Thomp- Darsteller: Nathalie Baye (Francoise Che- son (Grace / Margaret Strauss), Derek Jaco- nal), Claude Brasseur (Emile Chenal), bi (Madson), Hanna Schygulla (Inga), Ro- Johnny Hallyday (Jim Fox Warner), Sté- bin Williams (Cozy Carlisle) phane Ferrara (Tiger Jones), Eugène Bert- hier (Eugène Vieux), Jean-Pierre Léaud DELIVERANCE (Prosperos Neffe), Laurent Terzieff (Willi- (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE / am Prospero) FLUSSFAHRT) USA 1971, 109 Min., Regie: John Boorman; DETOUR Buch: James Dickey (nach seiner gleichna- (UMLEITUNG) migen Novelle); Kamera: Vilmos Zsig- USA 1946, 65 Min., Regie: Edgar G. Ulmer; mond, Bill Butler; Musik: Eric Weissberg, Buch: Martin M. Goldsmith; Kamera: Ben- Steve Mandel; Schnitt: Tom Priestley; Dar- jamin H. Kline; Musik: Leo Erdody; Schnitt: steller: Jon Voight (Ed), Burt Reynolds (Le- George McGuire; Darsteller: Tom Neal (Al wis), Ned Beatty (Bobby), Ronny Cox Roberts), Ann Savage (Vera), Claudia Dra- (Drew), James Dickey, (Sheriff Bullard) ke (Sue), Edmund MacDonald (Charles Haskell jr.), Tim Ryan (Restaurantbesit- DELUSION zer), Esther Howard (Hedy), Roger Clark (DELUSION) (Dillon), Pat Gleason (Mann), Donald Bro- USA 1990, 93 Min., Regie: Carl Colpaert; die (Gebrauchtwagenhändler) Buch: Carl Colpaert, Kurt Voss; Kamera: Geza Sinkovics; Musik: Barry Adamson; DOCTOR DOLITTLE Schnitt: Mark Allan Kaplan; Darsteller: Jim (DR.DOLITTLE) Metzler (George O’Brien), Jennifer Rubin USA 1966, 151 Min., Regie: Richard Flei- (Patti), Kyle Secor (Chevy), Jerry Orbach scher; Buch: Leslie Bricusse (nach Erzäh- (Larry), Robert Costanzo (Myron Sales) lungen von Hugh Lofting); Kamera:Ro- bert Surtees; Musik: Leslie Bricusse; Schnitt: LE DERNIER TOURNANT Samuel E. Beetley, Marjorie Fowler; Dar- (THE LAST TURN) steller: Rex Harrison (Dr. John Dolittle), Sa- Frankreich 1939, 90 Min., Regie: Pierre mantha Eggar (Emma Fairfax), Anthony Chenal; Buch: Charles Spaak, Henri Torrès Newley (Matthew Mugg), Richard Atten- (nach der Novelle The Postman Always borough (Albert Blossom), William Dix Rings Twice von James M. Cain); Kamera: (Tommy Stubbins), Peter Bull (General Christian Matras, Claude Renoir; Schnitt: Bellowes), Portia Nelson (Sarah Dolittle) Borys Lewin; Musik: Jean Wiener; Darstel- ler: Fernand Gravey (Frank), Michel Simon DOCTOR ZHIVAGO (Nick Marino), Corinne Luchaire (Cora), (DOKTOR SCHIWAGO) Robert Le Vigan (Le cousin maître-chan- USA 1965, 200 Min., Regie: David Lean; teur), Florence Marly (Madge, la dompteu- Buch: Robert Bolt (nach einem Roman von se) Boris Pasternak); Kamera: Freddie Young; 4.2 Filme 219

Musik: Maurice Jarre; Schnitt: Norman Sa- Darsteller: Jean-Paul Belmondo (Silien), vage; Darsteller: Omar Sharif (Jurij Schiwa- Serge Reggiani (Maurice Faugel), Fabienne go), Geraldine Chaplin (Tonja), Julie Dali (Fabienne), Michel Piccoli (Nuthec- Christie (Lara), Rod Steiger (Komarovskij), cio), Jean Desailly (Kommissar Clain) Alec (Jewgraf), (Pascha) DRAGNET TV-Serie 1952–1959, 300 Episoden à 30 DR.MABUSE, DER SPIELER Min., Regie: Jack Webb; Darsteller: Ben (DR. MABUSE –INFERNO DES VERBRECHENS, Alexander (Officer Frank Smith 1952– INFERNO –EIN SPIEL UM MENSCHEN UNSERER 1959), Herbert Ellis (Officer Frank Smith ZEIT,DER GROSSE SPIELER – EIN BILD DER ZEIT) 1952), Barney Phillips (Sergeant Ed Jacobs Deutschland 1921/22, 219 (127 + 92; inte- 1952), Jack Webb (Sergeant Joe Friday/Er- grale Fassung: 171 + 126) Min., Regie: Fritz zähler 1951–1959), Barton Yarborough Lang; Buch: Fritz Lang, Thea von Harbou (Sergeant Ben Romero 1951) (nach dem gleichnamigen Roman von Norbert Jacques); Kamera: Carl Hoffmann; THE DRIVER Musik: Konrad Elfers (Nachbearbeitung); (DRIVER) Darsteller: Rudolf Klein-Rogge (Dr. Mabu- USA 1978, 91 Min., Regie: Walter Hill; se), Alfred Abel (Graf Told), Bernhard Goetz- Buch: Walter Hill; Kamera: Philip Lathrop; ke (Staatsanwalt von Wenk), Aud Egede Musik: Michael Small; Schnitt: Tina Hirsch, Nissen (Cara Carozza, die Tänzerin), Ger- Robert K. Lambert; Darsteller: Ryan O’Neal trude Welcker (Gräfin Dusy Told), Paul (Der Driver), Bruce Dern (Der Detektiv), Richter (Hull), Robert Forster-Larrinaga Isabelle Adjani (Die Spielerin), Ronee Bla- (Spoerri), Hans Adalbert Schlettow kley (Die Agentin) (Georg), Georg John (Pesch), Julius Fal- kenstein (Karsten) E DOUBLE INDEMNITY (FRAU OHNE GEWISSEN) THE END OF VIOLENCE USA 1944, 108 Min., Regie: ; (AM ENDE DER GEWALT) Buch: Billy Wilder, Raymond Chandler Frankreich/Deutschland/USA 1997, 121 (nach einem Roman von James M. Cain); Min., Regie: Wim Wenders; Buch:Wim Kamera: John Seitz; Musik: Miklos Rozsa; Wenders, Nicholas Klein; Kamera: Pascal Schnitt: Doane Harrison; Darsteller: Barba- Rabaud; Musik: ; Schnitt: Peter ra Stanwyck (Phyllis Dietrichson), Fred Przygodda; Darsteller: Bill Pullman (Mike MacMurray (Walter Neff), Edward G. Ro- Max), Andie MacDowell (Paige Sto- binson (Barton Keyes), Tom Powers (Mr. ckard), Gabriel Byrne (Ray Bering), Lo- Dietrichson), Porter Hall (Mr. Jackson), ren Dean („Doc“ Dean Block), Traci Lind Jean Heather (Lola Dietrichson) (Cat), Daniel Benzali (Brice Phelps), Udo Kier (Zoltan Kovacs), Samuel Fuller LE DOULOS (Louis Bering) (DER TEUFEL MIT DER WEISSEN WESTE) Frankreich/Italien 1962, 96 Min., Regie: Jean- ESCAPE FROM NEW YORK Pierre Melville; Buch: Jean-Pierre Melville (DIE KLAPPERSCHLANGE) (nach einem Roman von Pierre Lesou); Ka- USA 1981, 99 Min., Regie: John Carpenter; mera: Nicolas Hayer; Musik: Paul Misraki; Buch: John Carpenter, Nick Castle; Kame- Schnitt: Monique Bonnot, Michèle Boehm; ra: Dean Cundey; Musik: John Carpenter, 220 4 Literatur und Filme

Alan Howarth; Schnitt: Todd Ramsay; Dar- F steller: Kurt Russell (Snake Plissken), Lee Van Cleef (Bob Hauk), Ernest Borgnine FALLING DOWN (Cabby), Donald Pleasence (Präsident), (FALLING DOWN –EIN GANZ NORMALER TAG) Isaac Hayes (Duke), Season Hubley (Mäd- USA 1992, 112 Min., Regie: Joel Schuma- chen im Restaurant), Harry Dean Stanton cher; Buch: Ebbe Roe Smith; Kamera: (Harold Hellman), Adrienne Barbeau Andrzej Bartkowiak; Musik: James Newton (Maggie), Tom Atins (Rehme), Charles Cy- Howard; Schnitt: Paul Hirsch; Darsteller: phers (Staatssekretär) Michael Douglas (Autofahrer), Robert Du- vall (Martin Prendergast), Barbara Her- L’ÉTRANGE M. VICTOR shey (Beth), Tuesday Weld (Mrs. Prender- (DER MERKWÜRDIGE MONSIEUR VICTOR) gast), Frederic Forrest (Army-Shop-Besit- Frankreich 1937, 95 Min., Regie: Jean Gré- zer), Rachel Ticotin (Sandra) millon; Buch: Charles Spaak, Albert Valen- tin; Kamera: Werner Krien; Musik: Roland FAREWELL,MY LOVELEY Manuel; Darsteller: , Made- (FAHR ZUR HÖLLE,LIEBLING) leine Renaud, Viviane Romance, Marcelle USA/England 1975, 95 Min., Regie: Dick Géniat Raimu Richards; Buch: David Zelag Goodman (nach dem Roman von Raymond Chand- EUROPA ler); Kamera: John A. Alonzo; Musik: David (EUROPA) Shire; Schnitt: Walter Thompson, ; Dänemark / Schweden / BR Deutschland / Darsteller: Robert Mitchum (Philip Marlo- Frankreich 1990, 112 Min., Regie: Lars von we), Charlotte Rampling (Mrs. Velma Trier; Buch: Niels Vorsel, Lars von Trier; Grayle), John Ireland (Lt. Nulty), Sylvia Kamera: Henning Bendtsen, Jean-Paul Miles (Mrs. Jessie Florian), Anthony Zerbe Meurisse, Edward Klosinski; Musik: Joakim (Laird Burnette), Jack O‘Halloran (Moose Holbek; Schnitt: Hervé Schneid; Darsteller: Malloy), Harry Dean Stanton (Billy Rolfe), Jean-Marc Barr (Leopold Kessler), Barbara Jim Thompson (Richter Grayle), Sylvester Sukowa (Katharina Hartmann), Udo Kier Stallone (Kelly/Jonnie) (Lawrence Hartmann), Ernst-Hugo Järe- gard (Onkel Kessler), Eddie Constantine FATAL ATTRACTION (Oberst Harris) (EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE) USA 1987, 119 Min., Regie: Adrian Lyne; THE EXORCIST Buch: James Dearden; Kamera: Howard At- (DER EXORZIST) herton; Musik: Maurice Jarre; Schnitt:Mi- USA 1973, 132 Min., Regie: William Fried- chael Kahn, Peter E. Berger; Darsteller:Mi- kin; Buch: William Peter Blatty (nach sei- chael Douglas (Dan Gallagher), Glenn nem Roman); Kamera: Owen Roizman, Close (Alex Forrest), Anne Archer (Beth Billy Williams; Musik: Krzysztof Pendere- Gallagher), Ellen Hamilton Latzen (Ellen cki, Hans Werner Henze, Anton Webern, Gallagher), Stuart Pankin (Jimmy) Jack Nitzsche; Schnitt: Norman Gay, Jor- dan Leondopoulos, Evan Lottman, Bud FIGHT CLUB Smith; Darsteller: Ellen Burstyn (Chris (FIGHT CLUB) MacNeill), Max von Sydow (Pater Merrin), USA 1999, 139 Min., Regie: David Fincher; Lee J. Cobb (Lieutenant Kinderman), Lin- Buch: Jim Uhls (nach dem gleichnamigen da Blair (Regan MacNeill), Kitty Winn Roman von Chuck Palahniuk); Kamera: (Sharon) Jeff Cronenweth; Musik: The Dust Bro- 4.2 Filme 221

thers; Schnitt: James Haygood; Darsteller: Bericht von ); Kamera: Owen Edward Norton (Erzähler), (Tyler Roizman; Musik: Don Ellis; Schnitt: Jerry Durden), Meat Loaf Aday (Robert Paul- Greenberg; Darsteller: Gene Hackman (Jim- sen), Helena Bonham Carter (Marla Sin- my „Popeye“ Doyle), Roy Scheider (Buddy ger), Jared Leto (Angel Face), Zach Grenier Russo), Fernando Rey (Alain Charnier), (Manager), Eion Bailey (Ricky) Tony Lo Bianco (Sal Boca), Marcel Bozzuf- fi (Pierre Nicoli), Frédéric de Pasquale (De- FINAL ANALYSIS veraux), Bill Hickman (Mulderig) (EISKALTE LEIDENSCHAFT) USA 1991, 124 Min., Regie: Phil Joanou; THE FUNERAL Buch: Wesley Strick; Kamera: Jordan Cro- (DAS BEGRÄBNIS) nenweth; Musik: George Fenton; Schnitt: USA 1996, 99 Min., Regie: Abel Ferrara; ; Darsteller: Richard Gere Buch: Nicholas St. John; Kamera: Ken (Isaac Barr), Kim Basinger (Heather Kelsch; Musik: Joe Delia; Schnitt: Mayn Lo, Evans), Uma Thurman (Diana Baylor), Bill Pankow; Darsteller: Christopher Wal- Eric Roberts (Jimmy Evans), Paul Guilfoy- ken (Ray Tempio), Christopher Penn le (Mike O’Brian) (Chez Tempio), (Johnny Tempio), Annabella Sciorra (Jean Tempio), FORBRYDELSENS ELEMENT Isabella Rossellini (Clara Tempio), Benicio (ELEMENT OF CRIME,SPUREN DES Del Toro (Gaspare Spoglia) VERBRECHENS) Dänemark 1984, 103 Min., Regie: Lars von Trier; Buch: Lars von Trier, Niels Vorsel; G Kamera: Tom Elling; Musik: Bo Holten; Schnitt: Thomas Gíslason; Darsteller: Mi- THE GAME chael Elphick (Fisher), Me Me Lei (Kim), (THE GAME) Esmond Knight (Osborne), Jerold Wells USA 1997, 128 Min., Regie: David Fincher; (Polizeichef Kramer), Preben Lerdorff Rye Buch: John Brancato, Michael Ferris; Ka- (Großvater), Astrid Henning-Jensen (Haus- mera: Harris Savides; Musik: Howard Sho- hälterin), Ghota Andersen (Richter) re; Schnitt: James Haygood; Darsteller:Mi- chael Douglas (Nicholas Van Orton), Sean FRANTIC Penn (Conrad Van Orton), Deborah Un- (FRANTIC) ger (Christine), James Rebhorn (Jim Fein- USA/Frankreich 1987, 119 Min., Regie:Ro- gold), Peter Donat (Samuel Sutherland), man Polanski; Buch: Roman Polanski, Gér- Carroll Baker (Ilsa), Armin Mueller-Stahl ard Brach; Kamera: Witold Sobocinski; (Anson Bear) Musik: Ennio Morricone; Schnitt: Sam O’Steen; Darsteller: Harrison Ford (Richard GATTACA Walker), Betty Buckley (Sondra Walker), (GATTACA) Emmanuelle Seigner (Michelle), John Ma- USA 1997, 106 Min., Regie: Andrew Nic- honey (Williams), James Ray Weeks col; Buch: Andrew Niccol; Kamera: Slawo- (Shaap) mir Idziak; Musik: Michael Nyman; Schnitt: Lisa Zeno Churgin; Darsteller: Ethan Hawke THE FRENCH CONNECTION (Vincent/Jerome), Uma Thurman (Irene), (BRENNPUNKT BROOKLYN) Gore Vidal (Direktor Josef), Alan Arkin USA 1971, 104 Min., Regie: William Fried- (Inspektor Hugo), Loren Dean (Anton), kin; Buch: Ernest Tidyman (nach einem Xander Berkeley (Lamar) 222 4 Literatur und Filme

GET CARTER Stapleton; Musik: Elmer Bernstein; Schnitt: (JACK RECHNET AB) Mick Audsley; Darsteller: Anjelica Huston England 1970, 103 Min., Regie: Mike Hod- (Lilly Dillion), John Cusack (Roy Dillion), ges; Buch: Mike Hodges (nach einem Ro- Annette Bening (Myra Langtree), Pat Hin- man von Ted Lewis); Kamera: Wolfgang gle (Bobo Justus), Henry Jones (Simms) Suschitzky; Musik: Roy Budd; Schnitt: John Trumper; Darsteller: Michael Caine (Jack GUN CRAZY Carter), Britt Ekland (Anna Fletcher), John (GUNCRAZY) Osborne (Cyril Kinnear), Ian Hendry (Eric USA 1992, 92 Min., Regie: Tamra Davis; Paice), Tony Beckley (Peter) Buch: Matthew Bright; Kamera: Lisa Rinz- ler; Musik: Ed Tomney; Schnitt: Kevin GLEAMING THE CUBE Tent; Darsteller: Drew Barrymore (Anita), (REBELLEN AUF SKATEBOARDS,TÖDLICHES James Le Gros (Howard), Rodney Harvey RISIKO) (Tom), Joe Dallesandro (Ronney), Billy USA 1988, 103 Min., Regie: Graeme Clif- Drago (Hank) ford; Buch: Michael Tolkin; Kamera: Reed Smoot; Musik: Jay Ferguson; Schnitt: John Wright; Darsteller: Christian Slater (Brian H Kelly), Steven Bauer (Al Lucero), Richard Herd (Ed Lawndale), Le Tuan (Colonel HANA-BI Trac), Min Luong (Tina Trac) (HANA BI –FEUERBLUME) Japan 1997, 103 Min., Regie: Takeshi Kita- THE GODFATHER no; Buch: Takeshi Kitano; Kamera: Hideo (DER PATE) Yamamoto; Musik: Joe Hisaishi; Schnitt:Ta- USA 1971, 176 Min., Regie: Francis Ford keshi Kitano, Yoshinori Ota; Darsteller:Be- Coppola; Buch: Mario Puzo, Francis Ford at Takeshi (Yoshitaka Nishi), Kayoko Kishi- Coppola (nach dem Roman von Mario moto (Miyuki, Nishis Frau), Ren Osugi (Ho- Puzo); Kamera: Gordon Willis; Musik: ribe), Susumu Terajima (Nakamura), Tetsu Nino Rota; Schnitt: William Reynolds, Pe- Watanabe (Tesuka, Schrottplatzbesitzer) ter Zinner, Marc Laub, Murray Solomon; Darsteller: Marlon Brando (Don Corleo- THE HAND THAT ROCKS THE CRADLE ne), (Michael), James Caan (DIE HAND AN DER WIEGE) (Sonny), Robert Duvall (Tom Hagen), Ri- USA 1991, 110 Min., Regie: Curtis Hanson; chard Castellano (Clemenza), Sterling Buch: Amanda Silver; Kamera: Robert Els- Hayden (Capt. MacCluskey), wit; Musik: Graeme Revell; Schnitt: John F. (Jack Woltz), (Kay Adams), Link; Darsteller: Annabella Sciorra (Claire), Talia Shire (Connie), John Cazale (Fredo), Rebecca De Mornay (Peyton), Matt Richard Conte (Barzini), Al Lettieri (Sol- McCoy (Michael), Ernie Hudson (Solo- lozzo), Abe Vigoda (Tessio), Gianni Russo mon), Julianne Moore (Marlene), Madeli- (Carlo Rizzi), Al Martino (Johnny Fonta- ne Zima (Emma) ne) THE HARDER THEY FALL THE GRIFTERS (SCHMUTZIGER LORBEER) (GRIFTERS) USA 1956, 109 Min., Regie: Mark Robson; USA 1990, 110 Min., Regie: Stephen Frears; Buch: Philip Yordan (nach einem Roman Buch: Donald E. Westlake (nach einem Ro- von ); Kamera: Burnett Guf- man von Jim Thompson); Kamera: Oliver fey; Musik: Hugo Friedhofer; Schnitt: Jero- 4.2 Filme 223

me Thomas; Darsteller: Humphrey Bogart steller: Jean-Louis Trintignant (Lucian), (Eddie Willis), Rod Steiger (Nick Benko), Ann-Margret (Nancy), Angie Dickinson Jan Sterling (Beth Willis), Mike Lane (Toro (Jackie), Roy Scheider (Lenny), Michel Moreno), Max Baer (Buddy Brannen) Constantin (Antoine)

HENRY.PORTRAIT OF A SERIAL KILLER HÔTEL DU NORD (HENRY:PORTRAIT OF A SERIAL KILLER) (HÔTEL DU NORD) USA 1986, 80 Min., Regie: John McNaugh- Frankreich 1938, 92 Min., Regie: Marcel ton; Buch: Richard Fire; John McNaugh- Carné; Buch: Henri Jeanson, Jean Auren- ton; Kamera: Charlie Lieberman; Musik: che (nach dem gleichnamigen Roman Robert McNaughton, Ken Hale, Steven A. von Eugène Dabit); Kamera: Armand Thi- Jones; Schnitt: Elena Maganini, Darsteller: rard; Musik: Maurice Jaubert; Darsteller: Michael Rooker (Henry), Tracy Arnold Annabella (Renée), Jean-Pierre Aumont (Becky), Tom Towles (Otis), Ray Atherton (Pierre), Louis Jouvet (Monsieur Edmond), (Hehler), David Katz (Henrys Chef), Eric Arletty (Raymonde), Paulette Dubost (Gi- Young (Bewährungshelfer), Rick Paul nette), Andrex (Kenel), Henri Bosc (Naza- (hilfreicher Autofahrer) rède), Bernard Blier (Prosper)

THE HIT HOUSE OF GAMES (DIE PROFI-KILLER) (HAUS DER SPIELE) England 1984, 98 Min., Regie: Stephen Fre- USA 1987, 101 Min., Regie: David Mamet; ars; Buch: Peter Prince; Kamera: Mike Mol- Buch: David Mamet; Kamera: Juan Ruiz loy; Musik: Paco de Lucia, Eric Clapton; Anchia; Musik: Alaric Jans; Schnitt: Trudy Schnitt: Mick Audsley; Darsteller: Terence Ship; Darsteller: Lindsay Crouse (Margaret Stamp (Willie Parker), John Hurt (Brad- Ford), (Mike), Mike Nuss- dock), Tim Roth (Myron), Laura Del Sol baum (Joey), Lilia Skala (Dr. Littauer), Ste- (Maggie), Bill Hunter (Harry), Lenie Peters ve Goldstein (Billy Hahn) (Corrigen) HOW GREEN WAS MY VALLEY THE HITCHER (SCHLAGENDE WETTER,SCHWARZE DIAMAN- (HITCHER, DER HIGHWAY KILLER) TEN,SO GRÜN WAR MEIN TAL) USA 1985, 97 Min., Regie: Robert Harmon; USA 1941, 117 Min., Regie: ; Buch: Buch: Eric Red; Kamera: John Seale; Musik: Philip Dunne (nach einem Roman von Ri- Mark Isham; Schnitt: Frank J. Urioste; Dar- chard Llewellyn); Kamera: Arthur Miller; steller: Rutger Hauer (John Ryder), C. Tho- Musik: Alfred Newman; Darsteller: Walter mas Howell (Jim Halsey), Jennifer Jason Pidgeon (Mr. Gruffydd), Maureen O’Hara Leigh (Nash), Jeffrey DeMunn (Captain (Angharad Morgan), Roddy McDowall Esteridge), Henry Darrow (Hancock) (Huw Morgan), Donald Crisp (Gwilym Morgan), Sara Allgood (Mr. Beth Morgan) UN HOMME EST MORT (BRUTALE SCHATTEN) Frankreich/Italien 1972, 104 Min., Regie: I Jacques Deray; Buch: Jacques Deray, Jean-Claude Carrière, Ian McLellan Hun- IHIRED ACONTRACT KILLER ter; Kamera: Silvano Ippoliti, Terry K. (VERTRAG MIT MEINEM KILLER) Meade; Musik: Michel Legrand; Schnitt: Finnland/Schweden 1990, 80 Min., Regie: Henri Lanoë, William K. Chulack; Dar- Aki Kaurismäki; Buch: Aki Kaurismäki; Ka- 224 4 Literatur und Filme

mera: Timo Salminen; Musik: Billie Holi- De Niro (Louis Gara), Michael Keaton (Ray day, Joe Strummer, Roy Brown, Little Wil- Nicolette), Michael Bowen (Mark Dargus) lie John; Schnitt: Aki Kaurismäki; Darstel- ler: Jean-Pierre Léaud (Henri), Margi Clar- JAWS ke (Margaret), Kenneth Colley (Killer), (DER WEISSE HAI) Serge Reggiani (Vic), Imogen Clare (Sekre- USA 1974, 124 Min., Regie: Steven Spiel- tärin) berg; Buch: (nach dem Ro- man „Jaws“ von Peter Benchley); Kamera: IMPULSE Bill Butler; Musik: ; Schnitt: (IMPULSE –VON GEFÄHRLICHEN GEFÜHLEN ; Darsteller: Roy Scheider (Po- GETRIEBEN) lizeichef Martin Brody), Robert Shaw USA 1989, 110 Min., Regie: ; (Quint), Richard Dreyfuss (Matt Hooper), Buch: John de Marco, Leigh Chapman; Ka- Murray Hamilton (Bürgermeister Larry mera: Dean Semler; Musik: Michel Colom- Vaughan), Lorraine Gary (Ellen Brody), bier; Schnitt: John W. Wheeler; Darsteller: (Meadows) Theresa Russell (Lottie), Jeff Fahey (Stan), (Lt. Joe Morgan), Alan JENNIFER EIGHT Rosenberg (Charley Katz), Nicholas Mele (JENNIFER 8) (Rossi), Eli Danker (Dimarjian) USA 1991, 125 Min., Regie: Bruce Robin- son; Buch: Bruce Robinson; Kamera: Con- IT ALWAYS RAINS ON SUNDAY rad L. Hall; Musik: ; (DIE FLUCHT VOR SCOTLAND YARD) Schnitt: Conrad Buff; Darsteller: Andy Gar- England 1948, 92 Min., Regie: Robert Ha- cia (John Berlin), Uma Thurman (Helena mer; Buch: Angus MacPhail, Robert Ha- Robinson), John Malkovich (Sgt. Anne), mer, Henry Cornelius (nach dem Roman Lance Henriksen (Freddy Ross), Kathy Ba- von Arthur La Bern); Kamera: Douglas Slo- ker (Margie Ross), Graham Beckel (John combe; Musik: Georges Auric E.O. Pogson; Taylor), Kevin Conway (Citrine), Perry Schnitt: Michael Truman; Darsteller: Goo- Lang (Travis) gie Withers (Rose Sandigate), John McCal- lum (Tommy Swann), Jack Warner (Detec- JOHNNY HANDSOME tive Sgt. Fothergill), Edward Chapman (JOHNNY HANDSOME –DER SCHÖNE (George Sandigate), Susan Shaw (Vi Sandi- JOHNNY) gate) USA 1988, 94 Min., Regie: Walter Hill; Buch: Ken Friedman (nach einem Roman von John Godey); Kamera: Matthew F. J Leonetti; Musik: Ry Cooder; Schnitt: Free- man Davies; Darsteller: Mickey Rourke JACKIE BROWN (John Sedley), Ellen Barkin (Sunny Boyd), (JACKIE BROWN –RUM PUNCH) Elizabeth McGovern (Donna McCarty), USA 1997, 154 Min., Regie: Quentin Taran- (Drones), Forest Whita- tino; Buch: Quentin Tarantino (nach dem ker (Dr. Resher), Lance Henriksen (Rafe Roman „Rum Punch“ von Elmore Leo- Garrett), Scott Wilson (Mikey Chalmette) nard); Kamera: Guillermo Navarro; Musik: div. Songs; Schnitt: Sally Menke; Darsteller: JURASSIC PARK Pam Grier (Jackie Brown), Samuel L. Jack- (JURASSIC PARK) son (Ordell Robbie), Robert Forster (Max USA 1993, 126 Min., Regie: Steven Spiel- Cherry), Bridget Fonda (Melanie), Robert berg; Buch: Michael Crichton, David Koepp 4.2 Filme 225

(nach einem Roman von Michael Crich- Stahl (Inspektor Grubach), ton); Kamera: Dean Cundey; Musik: John (Bürochef) Williams; Schnitt: Michael Kahn; Darstel- ler: Sam Neill (Dr. Alan Grant), Laura Dern KALIFORNIA (Ellie Sattler), Jeff Goldblum (Ian Mal- (KALIFORNIA) colm), Richard Attenborough (John Ham- USA 1992, 118 Min., Regie: Dominic Sena; mond), Bob Peck (Robert Muldoon), Aria- Buch: Tim Metcalfe; Kamera: Bojan Bazelli; na Richards (Alexis), Joseph Mazello (Tim) Schnitt: Martin Hunter; Darsteller: Brad Pitt (Early Grayce), Juliette Lewis (Adele JURASSIC PARK –THE LOST WORLD Corners), David Duchovny (Brian Kess- (VERGESSENE WELT:JURASSIC PARK) ler), Michelle Forbes (Carrie Laughlin), USA 1997, 129 Min., Regie: Steven Spiel- Sierra Pecheur (Mrs. Musgrave) berg; Buch: David Koepp; (nach einem Ro- man von Michael Crichton); Kamera:Ja- THE KILLERS nusz Kaminski; Musik: John Williams; (RÄCHER DER UNTERWELT) Schnitt: Michael Kahn; Darsteller: Jeff USA 1947, 103 Min., Regie: Robert Siod- Goldblum (Ian Malcolm), Julianne Moore mak; Buch: Anthony Veiller, John Huston (Sarah Harding), Pete Postlethwaite (Ro- (nach einer Erzählung von Ernest He- land Tembo), Arliss Howard (Peter Lud- mingway); Kamera: Elwood Bredell; Musik: low), Richard Attenborough (John Ham- Miklos Rozsa; Schnitt: Arthur Hilton; Dar- mond), Vince Vaughn (Nick van Owen) steller: Burt Lancaster (Ole, „der Schwe- de“), Edmond O‘Brien (Jim Reardon), Ava JURASSIC PARK III Gardner (Kitty Collins), Sam Levene (Lt. (JURASSIC PARK III) Sam Lubinsky), Albert Dekker (Big Jim USA 2001, 92 Min., Regie: Joe Johnston; Colfax), Virginia Christine (Lilly Lubins- Buch: Michael Crichton, Peter Buchman, ky), Vince Barnett (Charleston) Alexander Payne, Jim Taylor; Kamera: Shelly Johnson; Schnitt: Robert Dalva; Mu- KING OF NEW YORK sik: Don Davis, John Williams; Darsteller: (KÖNIG ZWISCHEN TAG UND NACHT) Sam Neill (Dr. Alan Grant), William H. Italien/USA 1990, 99 Min., Regie: Abel Fer- Macy (Paul Kirby), Téa Leoni (Amanda rara; Buch: Nicholas St. John; Kamera:Bo- Kirby), Alessandro Nivola (Billy Brennan), jan Bazelli; Musik: Joe Delia; Schnitt: Ant- Trevor Morgan (Eric Kirby), Michael Jeter hony Redman; Darsteller: Christopher (Mr. Udesky) Walken (Frank White), David Caruso (Dennis Gilley), Laurence Fishburne (Jim- my Jump), Victor Argo (Bishop), Wesley K Snipes (Thomas Flanigan)

KAFKA KISS ME DEADLY (KAFKA) (RATTENNEST) USA/England/Frankreich 1992, 98 Min., USA 1955, 105 Min., Regie: Robert Aldrich; Regie: Steven Soderbergh; Buch: Lem Buch: A.I. Bezzerides (nach einem Roman Dobbs; Kamera: Walt Lloyd; Musik: Cliff von Mickey Spillane); Kamera: Ernest Martinez; Schnitt: Steven Soderbergh; Dar- Laszlo; Musik: Frank De Vol; Schnitt:Mi- steller: Jeremy Irons (Franz Kafka), Theresa chael Luciano; Darsteller: Ralph Meeker Russell (Gabriela), Joel Grey (Burgel), Jero- (Mike Hammer), Albert Dekker (Dr. Sober- en Krabbé (Bizzlebek), Armin Mueller- lin), Paul Stewart (Carl Evello), Juano Her- 226 4 Literatur und Filme

nandez (Eddie), Wesley Addy (Pat), Mari- Shirai; Musik: Kenji Kawai; Schnitt: Shuichi an Carr (Friday), Cloris Leachman (Chris- Kalesu; Animationsfilm tina), Maxine Cooper (Velda), Jack Elam (Charlie Max) THE KRAYS (DIE KRAYS) KISS OF DEATH England 1990, 119 Min., Regie: Peter Me- (KISS OF DEATH) dak; Buch: Philip Ridley; Kamera: Alex USA 1994, 100 Min., Regie: Barbet Schroe- Thomson; Musik: Michael Kamen; Schnitt: der; Buch: Richard Price (nach einem Martin Walsh; Darsteller: Gary Kemp (Ro- Drehbuch von Ben Hecht und Charles Le- nald Kray), Martin Kemp (Reginald Kray), derer und einem Roman von Eleazar Lips- Billie Whitelaw (Violet Kray), Kate Hardie ky); Kamera: Luciano Tovoli; Musik: Trevor (Frances), Susan Fleetwood (Rose), Char- Jones; Schnitt: Lee Percy; Darsteller: David lotte Cornwell (May), Jimmy Jewel (Can- Caruso (Jimmy Kilmartin), Nicolas Cage nonball Lee) (Little Junior), Samuel L. Jackson (Calvin), Helen Hunt (Bev), Michael Rapaport (Ronnie) L

KLUTE L. A. CONFIDENTIAL (KLUTE) (L. A. CONFIDENTIAL) USA 1970, 114 Min., Regie: Alan J. Pakula; USA 1997, 136 Min., Regie: Curtis Hanson; Buch: Andy Lewis, Dave Lewis; Kamera: Buch: , Curtis Hanson Gordon Willis; Musik: Michael Small; (nach einem Roman von James Ellroy); Ka- Schnitt: Carl Lerner; Darsteller: Jane Fonda mera: Dante Spinotti; Musik: Jerry Golds- (Bree Daniels), Donald Sutherland (John mith; Schnitt: ; Darsteller:Ke- Klute), Charles Cioffi (Peter Cable), Roy vin Spacey (Jack Vincennes), Russell Crowe Scheider (Frank Ligourin), Dorothy Tris- (Bud White), Guy Pearce (Ed Exley), James tan (Arlyn Page), Rita Gam (Trina), Vivian Cromwell (Dudley Smith), David Stra- Nathan (Psychiaterin) thairn (Pierce Patchett), Kim Basinger (Lynn Bracken), Danny DeVito (Sid Hudgeons) KOROSHI NA RAKUIN (BERUF MÖRDER) LAST MAN STANDING Japan 1967, 91 Min., Regie: Seijun Suzuki; (LAST MAN STANDING) Buch: Gurju Hachiro; Kamera: Nagatsuka USA 1995, 101 Min., Regie: Walter Hill; Kazue; Musik: Naozumi Yamamoto; Buch: Walter Hill (nach einem Script von Schnitt: Akira Suzuki; Darsteller: Jo Shishi- Ryuzo Kikushima und Akira Kurosawa); do (Hanada Goro), Mariko Ogawa (Mami Kamera: Lloyd Ahern; Musik: Ry Cooder; Hanada), Mari Annu (Misako), Koji Nam- Schnitt: Freeman Davies; Darsteller: Bruce bara (No.1), Isao Tamagawa (Michihiko Willis (Smith), Bruce Dern (Sheriff Ed Yabuhara), Hiroshi Minami (Gihei Kasu- Galt), Christopher Walken (Hickey), Willi- ga) am Sanderson (Joe Monday), David Pat- rick Kelly (Doyle), Ned Eisenberg (Strozzi) KOUKAKU KIDOUTAI (GHOST IN THE SHELL) THE LAST SEDUCTION Japan 1995, 82 Min., Regie: Mamoru Os- (DIE LETZTE VERFÜHRUNG) hii; Buch: Kazunori Ito (nach dem Manga USA 1993, 106 Min., Regie: John Dahl; von Masamune Shirow); Kamera: Hisao Buch: Steve Barancik; Kamera: Jeff Jur; Mu- 4.2 Filme 227

sik: Joseph Vitarelli; Schnitt: Eric Beason; Dorothy Parker, Alan Campbell (nach Darsteller: Linda Fiorentino (Bridget Gre- dem gleichnamigen Theaterstück von Lil- gory), Peter Berg (Mike Swale), J.T. Walsh lian Hellman); Kamera: Gregg Toland; (Frank Griffith), Bill Nunn (Harlan), Bill Musik: Meredith Wilson; Schnitt: Daniel Pullman (Clay Gregory), Herb Mitchell Mandell; Darsteller: (Regina (Bob Trotter) Hubbard Giddens), Herbert Marshall (Ho- race Giddens), Teresa Wright (Alexandra LAURA Giddens), Richard Carlson (David He- (LAURA) witt), Charles Dingle (Benn Hubbard), USA 1944, 93 Min., Regie: Otto Preminger; Patricia Collinge (Birdie Hubbard) Buch: Jay Dratler, Samuel Hoffenstein, Bet- ty Reinhardt (nach einem Roman von LITTLE ODESSA Vera Caspary); Kamera: Joseph LaShelle; (LITTLE ODESSA) Musik: David Raksin; Darsteller: Gene USA 1994, 98 Min., Regie: James Gray; Tierney (Laura Hunt), Dana Andrews Buch: James Gray; Kamera: Tom Rich- (Mark McPherson), Clifton Webb (Waldo mond; Musik: Dana Sano; Schnitt: Dorian Lydecker), Judith Anderson (Ann Tread- Harris; Darsteller: Tim Roth (Joshua Shapi- well), Vincent Price (Shelby Carpenter) ra), Edward Furlong (Reuben Shapira), Maximilian Schell (Arkady Shapira), Va- LEAVING LAS VEGAS nessa Redgrave (Irina Shapira), Moira Kel- (LEAVING LAS VEGAS) ly (Alla Shustervich), Natasha Andrei- USA 1995, 111 Min., Regie: Mike Figgis; chenko-Schell (Natasha) Buch: Mike Figgis (nach einem Roman von John O’Brien); Kamera: Declan Quinn; THE LONG GOOD FRIDAY Musik: Mike Figgis; Schnitt: John Smith; (RIFIFI AM KARFREITAG) Darsteller: Nicolas Cage (Ben), Elisabeth Shue England 1979, 114 Min., Regie: John Ma- (Sera), Julian Sands (Yuri), Richard Lewis ckenzie; Buch: Barrie Keeffe; Kamera: Phil (Peter), Steven Weber (Marc Nussbaum), Meheux; Musik: Francis Monkman; Ed Lauter (Mafioso), Laurie Metcalf (Ver- Schnitt: Mike Taylor; Darsteller: Bob Hos- mieterin), Julian Lennon (Barkeeper) kins (Harold Shand), (Victo- ria), Eddie Constantine (Charlie), Dave THE LIMEY King (Parky), Bryan Marshall (Harris) (THE LIMEY) USA 1998, 89 Min., Regie: Steven Soder- THE LONG GOODBYE bergh; Buch: Lem Dobbs; Kamera: Edward (DER TOD KENNT KEINE WIEDERKEHR) Lachman; Musik: Cliff Martinez; Schnitt: USA 1972, 112 Min., Regie: Robert Altman; ; Darsteller: Terence Stamp Buch: Leigh Brackett (nach dem Roman (Wilson), Lesley Ann Warren (Elaine), Luis „The Long Goodbye“ von Raymond Guzman (Ed), Barry Newman (Avery), Joe Chandler); Kamera: Vilmos Zsigmond; Dallesandro (Onkel John), Peter Fonda Musik: John Williams; Schnitt: Lou Lom- (Valentine), Nicky Katt (Stacy), Amelia bardo; Darsteller: Elliott Gould (Philip Heinle (Adhara), Melissa George (Jennifer) Marlowe), Nina von Pallandt (Eileen Wade), Sterling Hayden (Roger Wad), THE LITTLE FOXES Mark Rydell (Marty Augustine), Henry (DIE KLEINEN FÜCHSE) Gibson (Dr. Verringer), David Arkin (Har- USA 1941, 116 Min., Regie: William Wy- ry), Jim Bouton (Terry Lennox) ler; Buch: Lillian Hellman, Arthur Kober, 228 4 Literatur und Filme

LONG HELLO &SHORT GOODBYE Mörder), Gustaf Gründgens (der Schrän- Deutschland 1999, 95 Min., Regie: Rainer ker), Otto Wernicke (Inspektor Karl Loh- Kaufmann; Buch: Martin Rauhaus, Jeff mann), Paul Kemp (Taschendieb), Theo Vintar; Kamera: Klaus Eichhammer; Mu- Lingen (Bauernfänger), Theodor Loos (Po- sik: Dietrich Bergmann; Schnitt: Ueli lizeichef Gröber), Inge Landgut (Elsie) Christen; Darsteller: Nicolette Krebitz (Me- lody), Marc Hosemann (Ben), Dietrich THE MALTESE FALCON Hollinderbäumer (Kahnitz), Sunnyi Mel- (DIE SPUR DES FALKEN,DER MALTESER FALKE) les (Aurelia), Axel Milberg (Percy), Katja USA 1941, 96 Min., Regie: John Huston; Riemann (Ida), Martin Glade (Dennis), Buch: John Huston (nach einem Roman Hannelore Hoger (Therapeutin) von Dashiell Hammett); Kamera: Arthur Edeson; Musik: Adolph Deutsch; Schnitt: LOST HIGHWAY Thomas Richards; Darsteller: Humphrey (LOST HIGHWAY) Bogart (Sam Spade), Mary Astor (Brigid USA 1996, 134 Min., Regie: David Lynch; O’Shaughnessy), Gladys George (Iva Ar- Buch: David Lynch, Barry Gifford; Kamera: cher), Peter Lorre (Joel Cairo), Sydney Peter Deming; Musik: Angelo Badalamen- Greenstreet (Kasper Gutman), Barton Ma- ti; Schnitt: ; Darsteller: Bill cLane (Det. Lt. Dundy), Lee Patrick (Effie Pullman (Fred Madison), Patricia Arquette Perine), Ward Bond (Det. Tom Polhaus), (Renee Madison/Alice Wakefield), Baltha- Jerome Cowan (Miles Archer), Elisha zar Getty (Pete Dayton), Robert Blake Cook jr. (Wilmer Cook), James Burke (Mystery Man), Robert Loggia (Mr. Ed- (Luke), Murray Alper (Frank Richman), die/Dick Laurent), Michael Massee (Andy) John Hamilton (Bryan), Walter Huston (Schiffsoffzier) LOVE CRIMES (LOVE CRIMES –DAS GNADENLOSE AUGE) MANHUNTER USA 1991, 89 Min., Regie: Lizzie Borden; (BLUTMOND,ROTER DRACHE) Buch: Allan Moyle, Laurie Frank; Kamera: USA 1986, 119 Min., Regie: Michael Mann; Jack N. Green; Musik: Roger Mason; Buch: Michael Mann (nach einem Roman Schnitt: Nicholas C. Smith; Darsteller: Sean von Thomas Harris); Kamera: Dante Spi- Young (Dana Greenway), Patrick Bergin notti; Musik: The Reds, Michel Rubini; (David Hanover), Arnetia Walker (Maria), Schnitt: Dov Hoenig; Darsteller: William Ron Orbach (Tully), James Read (Stanton Petersen (Will Graham), Kim Greist (Mol- Grey) ly Graham), Joan Allen (Reba), Brian Cox (Dr. Lektor), Dennis Farina (Jack Craw- ford), Tom Noonan (Francis Dollarhyde) M THE MATRIX M (MATRIX) (M–DEIN MÖRDER SIEHT DICH AN,M–EINE USA 1999, 136 Min., Regie: Larry Wa- STADT SUCHT EINEN MÖRDER) chowski, Andy Wachowski; Buch: Larry Deutschland 1931, 117 Min., Regie: Fritz Wachowski, Andy Wachowski; Kamera: Lang; Buch: Thea von Harbou, Fritz Lang Bill Pope; Musik: Don Davis; Schnitt: Zach (nach einem Zeitungsbericht von Egon Ja- Staenberg; Darsteller: Keanu Reeves (Tho- cobson); Kamera: Fritz Arno Wagner; Mu- mas Anderson / Neo), Laurence Fishburne sik: Edvard Grieg; Schnitt: Paul Falkenberg; (Morpheus), Carrie-Ann Moss (Trinity), Darsteller: Peter Lorre (Hans Beckert, der Hugo Weaving (Agent Smith), Gloria Fos- 4.2 Filme 229

ter (Oracle), Joe Pantoliano (Cypher), Mar- bu“-Comic von Lowell Cunningham); Ka- cus Chong (Tank), Paul Goddard (Brown) mera: Don Peterman; Musik: Danny Elf- man; Schnitt: Jim Miller; Darsteller: Tom- MEAN STREETS my Lee Jones (), (Agent (HEXENKESSEL) J), Linda Fiorentino (Laurel), Vincent USA 1973, 112 Min., Regie: Martin Scorsese; D’Onofrio (Edgar), Rip Torn (Zed), Tony Buch: Martin Scorsese, Mardik Martin; Ka- Shalhoub (Jeebs), Siobhan Fallon (Beatri- mera: Kent Wakeford; Musik: div. Songs; ce), Mike Nussbaum (Gentle Rosenberg) Schnitt: Sidney Levin, Martin Scorsese (unge- nannt); Darsteller: Harvey Keitel (Charlie), THE MILLION DOLLAR HOTEL Robert De Niro (Johnny Boy), David Proval (THE MILLION DOLLAR HOTEL) (Tony), Amy Robinson (Teresa), Richard Ro- Deutschland/USA 1999, 122 Min., Regie: manus (Michael), Cesare Danova (Giovanni), Wim Wenders; Buch: Nicholas Klein (nach Victor Argo (Mario), Robert Carradine (Schüt- einer Story von Bono und Nicholas Klein); ze in Bar), David Carradine (Opfer in Bar) Kamera: Phedon Papamichael; Musik:Bo- no, Hal Willner; Schnitt: Tatiana S. Riegel; LA MARIÉE ETAIT EN NOIR Darsteller: Jeremy Davies (Tom Tom), Milla (DIE BRAUT TRUG SCHWARZ) Jovovich (Eloise), Mel Gibson (Skinner), Pe- Frankreich/Italien/England 1967, 107 Min., ter Stormare (Dixie), Jimmy Smits (Geroni- Regie: François Truffaut; Buch: François mo), Gloria Stuart (Jessica), Bud Cort (Shor- Truffaut, Jean-Louis Richard (nach dem ty), Amanda Plummer (Vivien), Julian Sands Roman „The Bride wore Black“ von Willi- (Terence Scopcy), Tim Roth (Izzy Goldkiss) am Irish = Cornell Woolrich); Kamera: Ra- oul Coutard; Musik: Bernard Herrmann, MINE OWN EXECUTIONER Felix Mendelssohn Bartholdy, Antonio Vi- (TÖDLICHES GEHEIMNIS) valdi; Schnitt: Claudine Bouché; Darsteller: England 1948, 105 Min., Regie: Anthony Jeanne Moreau (Julie Kohler), Jean-Claude Kimmins; Buch: Nigel Balchin; Kamera: Brialy (Corey), Michel Bouquet (Coral), Wilkie Cooper; Musik: Benjamin Frankel; Charles Denner (Fergus), Claude Rich (Bliss) Darsteller: Burgess Meredith (Felix Milne), Dulcie Gray (Patricia Milne), Michael She- MEMENTO pley (Peter Edge), Christine Norden (Bar- (MEMENTO) bara Edge), Kieron Moore (Adam Lucian) USA 2000, 113 min., Regie: Christopher Nolan; Buch: Christopher Nolan, Jonathan MONA LISA Nolan; Kamera: Wally Pfister; Schnitt: Dody (MONA LISA) Dorn; Musik: David Bowie, David Julyan; England 1986, 103 Min., Regie: Neil Jor- Darsteller: Guy Pearce (Leonard ‚Lenny‘ dan; Buch: Neil Jordan, David Leland; Ka- Shelby), Carrie-Anne Moss (Natalie), Joe mera: Roger Pratt; Musik: Michael Kamen; Pantoliano (Officer John Edward ‚Teddy‘ Schnitt: Lesley Walker; Darsteller: Bob Hos- Gammell aka John G), Mark Boone Junior kins (George), Cathy Tyson (Simone), (Burt Hadley, clerk at Discount Inn), Russ Robbie Coltrane (Thomas), Michael Caine Fega (Waiter), Jorja Fox (Catherine Shelby) (Mortwell), Clarke Peters (Anderson)

MEN IN BLACK MS. 45 (MEN IN BLACK) (DIE FRAU MIT DER 45ER MAGNUM) USA 1997, 98 Min., Regie: Barry Sonnen- USA 1980, 82 Min., Regie: Abel Ferrara; feld; Buch: Ed Solomon (nach dem „Mali- Buch: Nicholas St. John; Kamera: James 230 4 Literatur und Filme

Momel; Musik: Joe Delia; Schnitt: Christo- N pher Andrews; Darsteller: Zoe Tamerlis (Thana), Steve Singer (Modefotograf), Jack THE NAKED CITY Thibeau (Single in der Bar), Peter Yellen (STADT OHNE MASKE) (Einbrecher), Darlene Stuto (Laurie), Edit- USA 1947, 95 Min., Regie: Jules Dassin; ta Sherman (Vermieterin), Albert Sinkys Buch: Malvin Wald, Albert Maltz (nach ei- (Boss), Jimmy Laine (Vergewaltiger) ner Story von Malvin Wald); Kamera:Wil- liam H. Daniels; Musik: Frank Skinner, MULHOLLAND DR. Miklos Rozsa; Schnitt: Paul Weatherwax; MULHOLLAND DRIVE Darsteller: Barry Fitzgerald (Leutnant Mul- USA/Frankreich 2001, 145 Min., Regie:Da- doon), Don Taylor (Jimmy Halloran), Ho- vid Lynch; Buch: David Lynch; Kamera: ward Duff (Frank Niles), Dorothy Hart Peter Deming; Musik: Angelo Badalamen- (Ruth Morrison), Ted de Corsia (Garzah), ti; Schnitt: Mary Sweeney; Darsteller: Nao- Frank Conroy (Capt. Donahue), House Ja- mi Watts (Betty Elms / Diane Selwyn), meson (Dr. Stoneman), Anne Sargent (Mrs. Laura Elena Harring (Rita / Camilla Rho- Halloran), Adelaide Klein (Mrs. Batory) des), Justin Theroux (Adam Kesher), Ann Miller (Catherine ‚Coco‘ Lenoix), Mark NIKITA Pellegrino (Joe Messing) (NIKITA) Frankreich/Italien 1989, 117 Min., Regie: MULHOLLAND FALLS Luc Besson; Buch: Luc Besson (in Anleh- (NACH EIGENEN REGELN) nung an einen Roman von Gérard de Vil- USA 1996, 107 Min., Regie: Lee Tamahori; liers); Kamera: Thierry Arbogast; Musik: Buch: Pete Dexter; Kamera: ; Eric Serra; Schnitt: Olivier Mauffroy; Dar- Musik: Dave Grusin; Schnitt: Sally Menke; steller: Anne Parillaud (Nikita), Jean- Darsteller: Nick Nolte (Hoover), Melanie Hugues Anglade (Marco), Tchéky Karyo Griffith (Katherine), Chazz Palminteri (Bob), Jeanne Moreau (Amande), Jean (Coolidge), Michael Madsen (Eddie Hall), Reno (Victor), Jean Bouise (Botschafter) Christopher Penn (Relyea), Treat Williams (Fitzgerald), John Malkovich (Timms), Bru- NIRVANA ce Dern (Chief), Ed Lauter (Earl) (NIRVANA –JAGD IM CYBERSPACE) Italien 1996, 114 Min., Regie: Gabriele Sal- MURDER,MY SWEET vatores; Buch: Gabriele Salvatores, Gloria (MORD, MEIN LIEBLING) Corica, Pino Cacucci; Kamera: Italo Petric- USA 1944, 95 Min., Regie: Edward Dmy- cione; Musik: Mauro Pagani, Federico De tryk; Buch: John Paxton (nach dem Ro- Robertis; Schnitt: Massimo Fiocchi; Dar- man „Farewell My lovely“ von Raymond steller: Christopher Lambert (Jimi), Diego Chandler); Kamera: Harry J. Wild; Musik: Abatantuono (Solo), Sergio Rubini (Joy- Roy Webb; Schnitt: Joseph Noriega; Dar- stick), Stefania Rocca (Naima), Amanda steller: (Philip Marlowe), Clai- Sandrelli (Maria) re Trevor (Velma / Mrs. Grayle), Anne Shirley (Ann), Miles Mander (Mr. Grayle), NO WAY OUT Otto Kruger (Amthor), Mike Mazurski (NO WAY OUT –ES GIBT KEIN ZURÜCK;Re- (Moose Malloy), Douglas Walton (Marri- make von THE BIG CLOCK, 1948) ott), Don Douglas (Lt. Randall) USA 1987, 114 Min., Regie: Roger Donald- son; Buch: Robert Garland (nach einem Roman von Kenneth Fearing); Kamera: 4.2 Filme 231

John Alcott; Musik: Maurice Jarre; Schnitt: OUT OF THE PAST ; Darsteller: Kevin Costner (Tom (GOLDENES GIFT) Farrell), Gene Hackman (David Brice), USA 1947, 97 Min., Regie: Jacques Tour- Sean Young (Susan Atwell), Will Patton neur; Buch: Geoffrey Homes (nach dem (Scott Pritchard), George Dzundza (Sam Roman „Build my Gallows High“ von Ge- Hesselman) offrey Homes); Kamera: Nicholas Musura- ca; Musik: Roy Webb; Schnitt: Samuel E. NORA INU Beetley; Darsteller: Robert Mitchum (Jeff (STREUNENDER HUND) Bailey), Steve Brodie (Fisher), Kirk Douglas Japan 1949, 122 Min., Regie: Akira Kurosa- (Whit Sterling), Jane Greer (Kathie Mof- wa; Buch: Ryuzo Kikushima, Akira Kurosa- fett), Virginia Huston (Ann), Rhonda Fle- wa; Kamera: Asakazu Nakai; Schnitt:Tos- ming (Meta Carson), Richard Webb (Jim), hio Goto, Yoshi Sugihara; Musik: Fumio Paul Valentine (Joe), Dickie Moore (taubs- Hayasaka; Darsteller: Toshirô Mifune (Mu- tummer Junge) rakami), Takashi Shimura (Sato), Keiko Awaji (Harumi), Noriko Sengoku (Girl), OUT OF THE RAIN Isao Kimura (Yuro) (ZUM SCHWEIGEN VERDAMMT) USA 1990, 91 Min., Regie: Gary Winick; Buch: Shem Bitterman; Kamera: Makoto O Watanabe; Musik: Cengiz Yaltkaya; Schnitt: Carole Kravetz; Darsteller: Bridget Fonda ON NE MEURT QUE DEUX FOIS (Jo), Michael O‘Keefe (Frank Reade), John (MÖRDERISCHER ENGEL) O‘Keefe (Neff), John Seitz (Nat Reade), Ge- Frankreich 1985, 102 Min., Regie: Jacques orgine Hall (Tilly), Al Shannon (Drew) Deray; Buch: Jacques Deray, Michel Audi- ard (nach einem Roman von Robin Cook); Kamera: ; Musik: Claude Bol- P ling; Schnitt: Henri Lanoë; Darsteller:Mi- chel Serrault (Inspektor Staniland), Char- PÉPÉ LE MOKO lotte Rampling (Barbara Spark), Xavier De- (PÉPÉ LE MOKO –IM DUNKEL VON ALGIER) luc (Marc Spark), Elisabeth Depardieu Frankreich 1937, 90 Min., Regie: Julien Du- (Margaux Berliner), Gérard Darmon vivier; Buch: Henri Jeanson, Roger d’Ashel- (Jean-Loup Soeren) be, Jacques Constant (nach einem Roman von Roger d‘Ashelbe); Kamera: Jules Kru- ON THE NIGHT OF FIRE ger, Marc Fossard; Musik: Vincent Scotto, (VERSTRICKUNG) Mohamed Yguerbouchen; Schnitt: Margue- England 1939, 94 Min., Regie: Brian Des- rite Beaugé; Darsteller: Jean Gabin (Pépé le mond Hurst; Buch: Brian Desmond Hurst, Moko), Mireille Balin (Baby Gould), Line Terence Young, Patrick Kirwan (nach dem Noro (Ines), Gabriel Gabrio (Carlos), Lucas Roman „On the Night of the Fire“ von Gridoux (Inspektor Slimane), Fernand Frederick Laurence); Kamera: Günther Charpin (Regis), Saturnin Fabre (Großva- Krampf, Erwin Hillier; Musik: Miklos ter), Gilbert Gil (Pierrot), Roger Legris (Max) Rozsa; Darsteller: Ralph Richardson (Will Kobling), Diana Wynyard (Kit Kobling), POLAR Romney Brent (Jimsey Jones), Mary Clare (POLAR –EIN DETEKTIV SIEHT SCHWARZ) (Lizzie Crane), Henry Oscar (Pilleger), Frankreich 1983, 97 Min., Regie: Jacques Dave Crowley (Jim Smith) Bral; Buch: Jacques Bral, Julien Levi, Jean- 232 4 Literatur und Filme

Paul Leca (nach einem Roman von Jean- Ving Rhames (Marsellus Wallace), Tim Patrick Manchette); Kamera: Jacques Re- Roth (Pumpkin), Amanda Plummer (Ho- noir, Jean-Paul Rosa da Costa; Musik: Karl- ney Bunny), Rosanna Arquette (Jody), Heinz Schäfer; Schnitt: Jacques Bral, Anne Christopher Walken (Captain Koons), Eric Boissel, Noun Serra; Darsteller: Jean-Fran- Stoltz (Lance) çois Balmer (Eugène Tarpon), Sandra Mon- taigu (Charlotte Le Dantec), Pierre Santini LE PURITAIN (Inspekteur Coccioli), Roland Dubillard (DER PURITANER) (Jean-Baptiste Haymann), Claude Chabrol Frankreich 1937, 90 Min., Regie: Jeff Mus- (Théodore Lyssenko), Gérard Hérold (Fo- so; Buch: Jeff Musso (nach einem Roman ran), Max Vialle (Gerichtsmediziner) von Liam O’Flaherty); Kamera: Curt Cou- rant; Darsteller: Jean-Louis Barrault, Pierre PSYCHO Fresnay, Viviane Romance, Ludmilla Pito- (PSYCHO) eff, Jean Tissier USA 1960, 110 Min., Regie: Alfred Hitch- cock; Buch: Joseph Stefano (nach einem Roman von Robert Bloch); Kamera: John Q L. Russell; Musik: Bernard Herrmann; Schnitt: George Tomasini; Darsteller: An- QUAI DES BRUMES thony Perkins (Norman Bates), Janet (HAFEN IM NEBEL) Leigh (Marion Crane), Vera Miles (Lila Frankreich 1938, 89 Min., Regie: Marcel Crane), John Gavin (Sam Loomis), John Carné; Buch: Jacques Prévert, Marcel Car- McIntire (Al Chambers), Martin Balsam né (nach einem Roman von Pierre MacOr- (Milton Arbogast), Lurene Tuttle (Mrs. lan); Kamera: Eugen Schüfftan, Louis Page; Chambers) Musik: Maurice Jaubert; Darsteller: Jean Gabin (Jean), Michel Simon (Zabel), Pierre PULP Brasseur (Lucien), Michèle Morgan (Nel- (MALTA SEHEN UND STERBEN) ly), René Génin (Docteur), Marcel Pérès England 1972, 91 Min., Regie: Mike Hod- (Chauffeur) ges; Buch: Mike Hodges; Kamera: Ousama Rawi; Musik: George Martin; Schnitt: John QUARTIER SANS SOLEIL Glen; Darsteller: Michael Caine (Mickey Frankreich 1939, Regie: Dimitri Kirsanoff; King), Mickey Rooney (Preston Gilbert), Buch: Dimitri Kirsanoff ; Darsteller: Anto- Lionel Stander (Ben Dinuccio), Lizabeth nin Berval, Jean Brochard, Colette Dar- Scott (Prinzessin Betty Cippola), Nadia feuil, Charlotte Lysès, Jean Servais Cassini (Liz Adams)

PULP FICTION R (PULP FICTION) USA 1993, 154 Min., Regie: Quentin Taran- RESERVOIR DOGS tino; Buch: Quentin Tarantino, Roger Ava- (RESERVOIR DOGS –WILDE HUNDE) ry; Kamera: Andrzej Sekula; Musik: div. USA 1991, 95 Min., Regie: Quentin Taran- Rock- und Popsongs; Schnitt: Sally Menke; tino; Buch: Quentin Tarantino; Kamera: Darsteller: John Travolta (Vincent Vega), Andrzej Sekula; Musik: Karyn Rachtman; (Butch Coolidge), Uma Thur- Schnitt: Sally Menke; Darsteller: Harvey man (Mia Wallace), Samuel L. Jackson (Ju- Keitel (Mr. White), Tim Roth (Mr. Oran- les Winnfield), Harvey Keitel (The Wolf), ge), Christopher Penn (Nice Guy Eddie), 4.2 Filme 233

Steve Buscemi (Mr. Pink), Lawrence Tier- man Wexler nach einer Story von Nik ney (Joe Cabot), Michael Madsen (Mr. Cohn; Kamera: Ralf D. Bode; Musik: Barry Blonde) Gibb, Robin Gibb, Maurice Gibb, David Shire; Schnitt: David Rawlins; Darsteller: RIDE THE PINK HORSE John Travolta (Tony Manero), Karen Lynn (REITE AUF DEM ROSA PFERD) Gorney (Stephanie), Barry Miller (Bobby USA 1947, 95 Min., Regie: Robert Montgo- C.), Donna Pescow (Annette), Joseph Cali mery; Buch: Ben Hecht, Charles Lederer (Joey) (nach einem Roman von Dorothy B. Hug- hes); Kamera: Russell Metty; Musik: Frank SCARFACE Skinner; Darsteller: Robert Montgomery (SCARFACE) (Lucky Gagin), Wanda Hendrix (Pila), An- USA 1932, 93 Min., Regie: Howard Hawks; drea King (Marjorie Lundeen), Thomas Buch: Ben Hecht, Seton I. Miller, John Lee Gomez (Pancho), Fred Clark (Frank Hu- Mahin, W. R. Burnett Fred, Palsey (nach go), Art Smith (Bill Retz) einem Roman von Armitage Trail); Kame- ra: Lee Garmes, L. William O‘Connell; Mu- ROMEO IS BLEEDING sik: Adolph Tandler, Gus Arnheim; Schnitt: (ROMEO IS BLEEDING) Edward Curtiss; Darsteller: USA/England 1993, 105 Min., Regie: Peter (Tony „Scarface“ Camonte), Ann Dvorak Medak; Buch: Hilary Henkin; Kamera: Da- (Cesca Camonte), George Raft (Guido Ri- riusz Wolski; Musik: Mark Isham; Schnitt: naldo), Karen Morley (Poppy), Boris Kar- ; Darsteller: Gary Oldman loff (Gaffney) (Jack Grimaldi), Lena Olin (Mona DeMar- kov), Annabella Sciorra (Natalie Grimal- SE7EN di), Roy Scheider (Don Falcone), Michael (SIEBEN) Wincott (Sal), Juliette Lewis (Sheri) USA 1995, 126 Min., Regie: David Fincher; Buch: Andrew Kevin Walker; Kamera: Dari- us Khondji; Musik: ; Schnitt: S Richard Francis-Bruce; Darsteller: Morgan Freeman (William Somerset), Brad Pitt LE SAMOURAI (David Mills), Kevin Spacey (John Doe), (DER EISKALTE ENGEL) Gwyneth Paltrow (Tracy Mills), John C. Frankreich/Italien 1967, 98 Min., Regie: McGinley (California), Richard Roundtree Jean-Pierre Melville; Buch: Jean-Pierre (Talbot) Melville (nach dem Roman „The Ronin“ von Goan McLeod); Kamera: Henri Decaë; SHATTERED Musik: François de Roubaix; Schnitt: Moni- (TOD IM SPIEGEL) que Bonnot, Yolande Maurette; Darsteller: USA 1991, 98 Min., Regie: Wolfgang Peter- Alain Delon (Joseph „Jeff“ Costello), Nat- sen; Buch: Wolfgang Petersen (nach einem halie Delon (Jeanne Lagrange), François Roman von Richard Neely); Kamera: Lasz- Périer (Kommissar), Cathy Rosier (Valérie), lo Kovacs; Musik: ; Schnitt: Catherine Jourdan (Garderobemädchen) Hannes Nickel, ; Darsteller:Tom Berenger (Dan Merrick), Bob Hoskins (Gus SATURDAY NIGHT FEVER Klein), Greta Scacchi (Judith Merrick), Jo- (NUR SAMSTAG NACHT) anne Whalley-Kilmer (Jenny Scott), Cor- USA 1977, 119 min., Produktion: Robert bin Bernsen (Jeb Scott) Stigwood; Regie: ; Buch: Nor- 234 4 Literatur und Filme

THE SILENCE OF THE LAMBS SOLO FÜR KLARINETTE (DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER) Deutschland 1998, 95 Min., Regie: Nico USA 1990, 118 min., Regie: Jonathan Dem- Hofmann; Buch: Susanne Schneider (nach me; Buch: Ted Tally (nach einem Roman einem Roman von Elsa Lewin); Kamera: von Thomas Harris); Kamera: Tak Fujimo- Hans-Günther Bücking; Musik: Nikolaus to; Musik: Howard Shore; Schnitt: Craig Glowna; Schnitt: Inge Behrens; Darsteller: McKay; Darsteller: Jodie Foster (Clarice Götz George (Bernhard Kominka), Corin- Starling), Anthony Hopkins (Dr. Hannibal na Harfouch (Anna Weller), Tim Berg- Lecter), Scott Glenn (Jack Crawford), Ted mann (Freddie Bahlo), Barbara Auer (Ly- Levine (Jame Gumb), Anthony Heald (Dr. dia Kominka), Tobias Schenke (Theo), Frederick Chilton), Brooke Smith (Cathe- Christian Redl (Thomas Hecht) rine Martin), Charles Napier (Sergeant Boyle), Diane Baker (Sen. Ruth Martin), SONACHINE Kasi Lemmons (Ardelia Mapp), Roger Cor- (SONATINE) man (Hayden Burke), Paul Lazar (Pilcher) Japan 1993, 94 Min., Regie: Takeshi Kita- no; Buch: Takeshi Kitano; Kamera: Katsumi LA SIRÈNE DU MISSISSIPPI Yanagishima; Musik: Jo Hisaishi; Schnitt: (DAS GEHEIMNIS DER FALSCHEN BRAUT) Takeshi Kitano; Darsteller: Takeshi Kitano Frankreich/Italien 1968/69, 124 Min., Re- (Murakawa), Aya Kokumai (Miyuki), Tetsu gie: François Truffaut; Buch: François Truf- Watanabe (Uechi), Masanobi Katsumuru faut (nach dem Roman „Waltz Into Dark- (Ryoji), Susmu Terashima (Ken) ness“ von William Irish = Cornell Wool- rich); Kamera: Denys Clerval; Musik: An- SONO OTOKO,KYOBO NI TSUKI toine Duhamel; Schnitt: Agnès Guillemot; (VIOLENT COP) Darsteller: Jean-Paul Belmondo (Louis Japan 1989, 103 Min., Regie: Takeshi Kita- Mahé), Catherine Deneuve („Julie Rous- no; Buch: Hisashi Nozawa; Kamera: Yasus- sel“/Marion B.), Michel Bouquet (Comol- hi Sasakibara; Musik: Daisaku Kume, Erik li, Detektiv), Nelly Borgeaud (Berthe, Ju- Satie; Schnitt: Nobutake Kamiya; Darstel- lies Schwerster), Marcel Berbert (Jardine) ler: Takeshi Kitano (Azuma), Haku Ryu (Kiyohiro), Maiko Kawakami (Akari, SIX MEN GETTING SICK Schwester von Azuma), Shiro Sano (Yoshi- USA 1966, 1 Min. (Animierter Kurzfilm), nari), Makoto Ashikawa (Kikuchi) Regie, Buch, Kamera, Produktion: David Lynch STAGE FRIGHT (DIE ROTE LOLA) THE SMALL BACK ROOM USA 1950, 110 Min., Regie: Alfred Hitch- (EXPERTEN AUS DEM HINTERZIMMER) cock; Buch: Whitfield Cook, James Bridie England 1949, 103 Min., Regie: Michael (nach dem Roman „Man Running“ von Powell, ; Buch: Michael Selwyn Jepson); Kamera: Wilkie Cooper; Powell, Emeric Pressburger (nach dem Ro- Musik: Leighton Lucas; Schnitt: E.B. Jarvis; man von Nigel Balchin); Kamera: Christo- Darsteller: Jane Wyman (Eve Gill), Marle- pher Challis; Musik: ; Schnitt: ne Dietrich (Charlotte Inwood), Michael Clifford Turner; Darsteller: Wilding (Inspektor Smith), Richard Todd (Sammy Rice), (Susan), (Jonathan Cooper), Alastair Sim (Kommo- (R. B. Waring), Leslie Banks dore Gill) (Colonel Holland), Michael Gough (Stu- art) 4.2 Filme 235

STAR WARS Webb; Darsteller: Peter Lorre (The Stran- (KRIEG DER STERNE) ger), John McGuire (Michael ‚Mike‘ USA 1977, 121 Min., Regie: George Lucas; Ward), Margaret Tallichet (Jane), Charles Buch: George Lucas; Kamera: Gilbert Tay- Waldron (District Attorney), Elisha Cook lor; Musik: John Williams; Schnitt: Paul Jr. (Joe Briggs) Hirsch, , ; Dar- steller: Mark Hamill (Luke Skywalker), Har- SUBWAY rison Ford (Han Solo), Carrie Fisher (Prin- (SUBWAY) zessin Leia Organa), Peter Cushing (Moff Frankreich 1985, 102 Min., Regie: Luc Bes- Tarkin), Alec Guinness (Ben Kenobi), An- son; Buch: Luc Besson, Pierre Jolivet, Alain thony Daniels (CRP0), Peter Mayhew Le Henry, Marc Perrier, Sophie Schmit; Ka- (Chewbacca), Kenny Baker (R2D2), David mera: Carlo Varini; Musik: Eric Serra, Ri- Prowse (Lord Darth Vader), Shelagh Fraser ckie Lee Jones; Schnitt: Sophie Schmit; (Tante Beru Lars), Don Henderson (Gen. Darsteller: Christopher Lambert (Fred), Taggi) Isabelle Adjani (Helena), Michel Galabru (Inspektor Gesberg), Richard Bohringer STORMY MONDAY (Blumenverkäufer), Jean-Hugues Anglade (STORMY MONDAY) (Roller-Skater) USA/England 1987/88, 93 Min., Regie: Mike Figgis; Buch: Mike Figgis; Kamera: SUNSET BOULEVARD David Martin, Roger Deakins; Musik: Mike (BOULEVARD DER DÄMMERUNG) Figgis; Schnitt: David Martin; Darsteller: USA 1950, 110 Min., Regie: Billy Wilder; Sean Bean (Brendan), Melanie Griffith Buch: , Billy Wilder, D. M. (Kate), Sting (Finney), Marshman jr. (nach der Story „A Can of (Cosmo), James Cosmo (Tony), Mark Long Beans“ von Billy Wilder und Charles Bra- Brian Lewis ckett); Kamera: John Seitz; Musik: Franz Waxman; Schnitt: Doane Harrison, Arthur STRANGE DAYS Schmidt; Darsteller: Gloria Swanson (Nor- (STRANGE DAYS) ma Desmond), Erich von Stroheim (Max USA 1994, 139 Min., Regie: Kathryn Bige- von Mayerling), (Joe Gil- low; Buch: James Cameron, Jay Cocks; Ka- lis), Nancy Olson (Betty Schaefer), Fred mera: Matthew F. Leonetti; Musik: Graeme Clark (Sheldrake), Cecil B. DeMille (Cecil Revell; Schnitt: Howard E. Smith; Darstel- B. DeMille), Buster Keaton (Buster Keaton) ler: Ralph Fiennes (Lenny Nero), Angela Bassett (Lornette „Mace“ Mason), Juliette Lewis (Faith Justin), Tom Sizemore (Max T Peltier), Michael Wincott (Philo Gant), Vincent D’Onofrio (Burton Steckler), TAXI DRIVER Glenn Plummer (Jeriko One), Brigitte (TAXI DRIVER) Bako (Iris), Richard Edson (Tick), William USA 1975, 114 Min., Regie: Martin Scorse- Fichtner (Dwayne Engelman), Josef Sum- se; Buch: Paul Schrader; Kamera: Michael mer (Palmer Strickland) Chapman; Musik: Bernard Herrmann; Schnitt: Marcia Lucas; Darsteller: Robert De STRANGER ON THE THIRD FLOOR Niro (Travis Bickle), Peter Boyle (Wizard), USA 1940, 64 Min., Regie: Boris Ingster; Cybill Shepherd (Betsy), Jodie Foster (Iris), Buch: Frank Partos; Kamera: Nicholas Mu- Harvey Keitel (Matthew („Sport“), Martin suraca; Schnitt: Harry Marker; Musik: Roy Scorsese (Fahrgast) 236 4 Literatur und Filme

THE TERMINATOR Biddle, David B. Nowell; Musik: Hans Zim- (TERMINATOR) mer, div. Songs; Schnitt: Thom Noble; Dar- USA 1984, 107 Min., Regie: James Came- steller: Susan Sarandon (Louise), Geena ron; Buch: Gale Anne Hurd, James Came- Davis (Thelma), Harvey Keitel (Hal), Mi- ron, William Wisher; Kamera: Adam chael Madsen (Jimmy), Christopher Mc- Greenberg; Musik: Brad Fiedel; Schnitt: Donald (Darryl), Stephen Tobolowsky ; Darsteller: Arnold Schwar- (Max), Brad Pitt (J.D.) zenegger (Terminator), Michael Biehn (Kyle Reese), Linda Hamilton (Sarah Con- THEY MADE ME A FUGITIVE ner), Paul Winfield (Traxler), Lance Hen- (STRÄFLING 3312) riksen (Vukovich), Shawn Schepps (Nan- England 1947, 97 Min., Regie: Alberto Ca- cy), Rick Rossovich (Matt), Bess Motta valcanti; Buch: Noel Langley (nach dem (Ginger), Earl Boen (Silberman), Dick Mil- Roman „A Convict has escaped“ von Jack- ler (Verkäufer) son Budd); Kamera: Otto Heller; Musik:Ma- rius-François Gaillard; Schnitt: Margery Saun- TERMINATOR 2–JUDGEMENT DAY ders; Darsteller: Trevor Howard (Clem Mor- (TERMINATOR 2–TAG DER ABRECHNUNG) gan), Sally Gray (Sally), Griffith Jones (Nar- USA 1990, 137 Min., Regie: James Came- cey), René Ray (Cora), Mary Merrall (Ag- ron; Buch: James Cameron, William Wis- gie), Ballard Berkeley (Inspektor Rockliffe) her; Kamera: Adam Greenberg; Musik: Brad Fiedel; Schnitt: Conrad Buff, Mark THIEF Goldblatt, Richard A. Harris; Darsteller: Ar- (DER EINZELGÄNGER) nold Schwarzenegger (Terminator), Linda USA 1980, 122 Min., Regie: Michael Mann; Hamilton (Sarah Connor), Edward Fur- Buch: Michael Mann (nach einem Roman long (John Connor), Robert Patrick (T- von Frank Hohimer); Kamera: Donald E. 1000), Earl Boen (Dr. Silberman), Joe Mor- Thorin; Musik: Tangerine Dream; Schnitt: ton (Miles Dyson), S. Epatha Merkerson Dov Hoenig; Darsteller: James Caan (Tarissa Dyson), Gastullo Guerra (Enrique (Frank), Tuesday Weld (Jessie), Willie Nel- Salceda), Danny Cooksey (Tim) son (Okla), James Belushi (Barry), Robert Prosky (Leo), Tom Signorelli (Attaglia), DAS TESTAMENT DES DR.MABUSE Dennis Farina (Carl) Deutschland 1932, 122 Min., Regie: Fritz Lang; Buch: Thea von Harbou (nach ei- THE THIRD MAN nem Roman von Norbert Jacques); Kame- (DER DRITTE MANN) ra: Fritz Arno Wagner, Karl Vash; Musik: England 1949, 108 Min., Regie: Carol Reed; Hans Erdmann; Schnitt: Conrad von Molo, Buch: Graham Greene; Kamera: Robert Lothar Wolff; Darsteller: Rudolf Klein-Rog- Krasker; Musik: Anton Karas; Schnitt:Os- ge (Dr. Mabuse), Oscar Beregi (Professor wald Hafenrichter; Darsteller: Joseph Cot- Braun), Theodor Loos (Dr. Kramm), Otto ten (Holly Martins), Alida Valli (Anna), Or- Wernicke (Kriminalkommissar Lohmann), son Welles (Harry Lime), Trevor Howard Wera Liessem (Lilli), Karl Meixner (Hof- (Calloway), Ernst Deutsch (Kurtz), Paul Hör- meister), Camilla Spira (Juwelen-Anna) biger (Porter), Erich Ponto (Dr. Winkel),

THELMA &LOUISE THE THREE DAYSOFTHECONDOR (THELMA &LOUISE) (DIE DREI TAGE DES CONDORS) USA 1991, 129 min., Regie: Ridley Scott; USA 1974, 117 Min., Regie: Sydney Pol- Buch: Callie Khourie; Kamera: Adrian lack; Buch: Lorenzo Semple jr., David Ray- 4.2 Filme 237

fiel (nach einem Roman von James Gra- ne Dietrich (Tanya), Joseph Calleia (Pete dy); Kamera: Owen Roizman; Musik: Dave Menzies), Akim Tamiroff („Onkel Joe“ Grusin; Schnitt: Fredric Steinkamp, Don Grandi), Valentin De Vargas (Pancho), Guidice; Darsteller: (Joe Ray Collins (Adair) Turner), Faye Dunaway (Kathy Hale), (Higgins), Max von Sydow LA TRADITION DE MINUIT (Joubert), John Houseman (Mr. Wabash), (engl. MIDNIGHT TRADITION) Addison Powell (Atwood), Walter McGinn Frankreich 1939, Regie: Roger Richebé; (Sam Barber) Buch: Jean Aurenche, René Jolivet, Roger Richebé (nach einer Novelle von Pierre Du- TIREZ SUR LE PIANISTE marchais); Kamera: Armand Thirard; Mu- (SCHIESSEN SIE AUF DEN PIANISTEN) sik: Jean Lenoir; Darsteller: Viviane Roman- Frankreich 1959/60, 82 Min., Regie: Fran- ce (Clara Very), Léonce Corne (M. Poivre), çois Truffaut; Buch: François Truffaut, Yves Deniaud (Bonimenteur), Pierre Lar- Marcel Moussy (nach dem Roman „Down quey (Béatrix), Alexandre Rignault (Horti- There“ von David Goodis); Kamera: Raoul lopitz), Georges Flamant, Marcel Dalio, Coutard; Musik: Georges Delerue; Schnitt: Cécile Decugis; Darsteller: Charles Azna- TRAFFIC vour (Charlie Kohler/Edouard Saroyan), (TRAFFIC –DIE MACHT DES KARTELLS) Marie Dubois (Léna), Nicole Berger (Thé- Deutschland/USA 2000, 143 Min., Regie: résa), Michèle Mercier (Clarisse), Albert Steven Soderbergh; Buch: Stephen Gaghan Remy (Chico Saroyan) (nach der TV-Serie „Traffik“ von Simon Moore); Kamera: Jordan Alan (unge- TITANIC nannt), Steven Soderbergh (als Peter An- (TITANIC) drews); Musik: Cliff Martinez; Schnitt: Ste- USA 1997, 192 Min., Regie: James Came- phen Mirrione; Darsteller: Michael Dou- ron; Buch: James Cameron; Kamera: Rus- glas (Robert Hudson Wakefield), Don Che- sell Carpenter; Musik: ; adle (Montel Gordon), Benicio Del Toro Schnitt: Conrad Buff, James Cameron, Ri- (Javier Rodriguez Rodriguez), Luis chard A. Harris; Darsteller: Kate Winslet Guzmán (Ray Castro), Dennis Quaid (Ar- (Rose DeWitt Bukater), Leonardo DiCa- nie Metzger), Catherine Zeta-Jones (Hele- prio (Jack Dawson), Billy Zane (Cal Hock- na Ayala), Erika Christensen (Caroline ley), Kathy Bates (Molly Brown), Bill Pax- Wakefield), Steven Bauer (Carlos Ayala) ton (Brock Lovett), Bernard Hill (Captain Smith), Jonathan Hyde (Bruce Ismay), THE TWO JAKES Victor Garber (Thomas Andrews) (DIE SPUR FÜHRT ZURÜCK –THE TWO JAKES) USA 1989, 137 Min., Regie: Jack Nichol- TOUCH OF EVIL son; Buch: Robert Towne; Kamera: Vilmos (IM ZEICHEN DES BÖSEN) Zsigmond; Musik: Van Dyke Parks; Schnitt: USA 1957, 95 Min., Regie: Orson Welles; Anne Goursaud; Darsteller: Jack Nicholson Buch: Orson Welles (nach dem Roman (Jake Gittes), Harvey Keitel (Jake Berman), „Badge of Evil“ von Whit Masterson); Ka- Meg Tilly (Kitty Berman), Madeleine Sto- mera: Russell Metty; Musik: Henry Manci- we (Lillian Bodine), Eli Wallach (Cotton ni; Schnitt: Virgil Vogel, Aaron Stell; Dar- Weinberger), Rubén Blades (Mickey Nice), steller: Orson Welles (Hank Quinlan), Frederic Forrest (Chuck Newty), David Charlton Heston (Ramon Miguel „Mike“ Keith (Loach jr.), Richard Farnsworth (Earl Vargas), (Susan Vargas), Marle- Rawley) 238 4 Literatur und Filme

U W

THE UNDERNEATH WANTED FOR MURDER (DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE) (DAS DÄMONISCHE ICH) USA 1995, 95 Min., Regie: Steven Soder- England 1946, 104 Min., Regie: Lawrence bergh; Buch: Sam Lowry, Daniel Fuchs; Ka- Huntington; Buch: Emeric Pressburger, mera: Elliot Davis; Musik: Cliff Martinez; Rodney Ackland, Maurice Cowan (nach Schnitt: Stan Salfas; Darsteller: Peter Gal- dem Stück von Percy Robinson und Teren- lagher (Michael Chambers), Alison Elliott ce de Marney); Kamera: Max Greene, R. (Rachel), William Fichtner (Tommy Dun- Frankie; Musik: Mischa Spoliansky; dee), Adam Trese (David Chambers), Joe Schnitt: E. B. Jarvis; Darsteller: Eric Port- Don Baker (Clay Hinkle) man (Victor Colebrooke), Dulcie Gray (Anne Fielding), Derek Farr (Jack Willi- THE USUAL SUSPECTS ams), Roland Culver (Inspektor Conway), (DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN) Stanley Holloway (Sgt. Sullivan) USA 1995, 105 Min., Regie: ; Buch: Christopher McQuarrie; Kamera: ; Musik: John Ott- Y man; Schnitt: ; Darsteller: Ste- phen Baldwin (Michael McManus), Ga- YEAR OF THE DRAGON briel Byrne (Dean Keaton), Chazz Palmin- (IM JAHR DES DRACHEN) teri (Dave Kujan), Kevin Spacey (Roger USA 1985, 134 Min., Regie: Michael Cimi- „Verbal“ Kint), Pete Postlethwaite (Kobay- no; Buch: , Michael Cimino ashi), Kevin Pollak (Todd Hockney) (nach einem Roman von Robert Daley); Kamera: Alex Thomson; Musik: David Mansfield; Schnitt: Françoise Bonnot; Dar- steller: Mickey Rourke (Stanley White), John Lone (Joey Tai), Ariane (Tracy Tzu), Leonard Termo (Angelo Rizzo), Raymond J. Barry (Louis Bukowski), Caroline Kava (Connie White), Eddie Jones (William McKenna), Victor Wong (Harry Yung)