Burkhard Röwekamp Vom film noir zur méthode noir Die Evolution filmischer Schwarzmalerei Für Raja Valerie Burkhard Röwekamp Vom film noir zur méthode noir Die Evolution filmischer Schwarzmalerei Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnd.ddb.de abrufbar. Schüren Verlag Universitätsstraße 55 · D-35037 Marburg www.schueren-verlag.de © Schüren 2002 Alle Rechte vorbehalten Gestaltung: Erik Schüßler Druck: WB-Druck Rieden Printed in Germany ISBN 3-89472-344-0 Inhalt Vorwort Einleitung 7 1 Film noir – Eine Erfindung 15 1.1 Erste Annäherungen 19 1.1.1 Frankreich 19 1.1.2 USA 20 1.1.3 Filmkritik und Filmwissenschaft 23 1.1.4 Exkurs: Subjektivität, Film und subjektivierendes Verfahren 26 1.1.5 Post Scriptum Ante 36 1.2 Kontexte 36 1.2.1 Moderne Krisen 36 1.2.2 Moderne Filmwirtschaft I: USA 38 1.2.3 Moderne Filmwirtschaft II: Europa und Frankreich 42 1.3 Beispiele 45 1.3.1 Reflexion: A BOUT DE SOUFFLE und TIREZ SUR LE PIANISTE 45 1.3.2 Hommage: CHINATOWN 51 1.3.3 Re-Vision: TAXI DRIVER 53 1.3.4 Stilisierung: BLADE RUNNER 56 1.3.5 Selbstreflexivität: PULP FICTION 60 1.4 Filmwissenschaft 64 1.5 Grenzüberschreitung 68 1.5.1 Funktion und Bedeutung 69 2 Film noir – Eine Umschrift 75 2.1 Stil 75 2.1.1 Film noir: Wille oder Vorstellung? 76 2.1.2 Stilistische Optionen 77 2.1.3 Film noir als oppositionelle Methode 79 2.1.4 Captain Future? 81 2.1.5 Vom Chiaroscuro zum Farbdesign 82 2.1.6 Die Kehrseite der Lichtgestaltung: Farbe 83 2.1.7 Von der expressiven Montage zur irrealen Bewegung 88 2.2 Erzählstrukturen 97 2.2.1 Zeitliche Kausalität – Rückblenden 99 2.2.2 Voice Over 102 6 Inhalt 2.2.3 Alltagshandeln und Folgerichtigkeit 103 2.2.4 Up to Date 104 2.2.5 Die Wirkung der Ursache: Die übliche Methode 106 2.2.6 Im Vertrauen: Worum geht es eigentlich? 113 2.2.7 Schlusswort: „Let’s get into character!“ 121 2.3 Themen 122 2.3.1 Frankreich/Philosophie 123 2.3.2 USA/Pragmatismus 126 2.3.3 Formen von Weiblichkeit 129 2.3.4 Formen von Männlichkeit 131 2.3.5 Gegenwart 136 2.3.6 Männer-Bilder im zeitgenössischen Noir-Film 138 2.3.7 Frauenbilder: Femmes fatales und Heroinen im zeitgenössischen Noir-Film 148 2.3.8 Family Viewing im Noir-Film 154 2.3.9 Die Methodik des seriellen Tötens 162 3 Méthode noire 165 3.1 Bestandsaufnahme 165 3.2 Nicht-Genre 166 3.3 Beinahe-Stil 167 3.4 Auf dem Weg zum LOST HIGHWAY: Abkürzungen des neoformalistischen Narrationsmodells 169 3.4.1 Neo-/Formalismus, Zeichen und Struktur 169 3.4.2 Neo-/Formalismus, Verfremdung und Kommunikation 172 3.5 Das Ziel als Weg 176 3.6 Auffahrt 178 3.7 Am Ziel: Der Methode bei der Arbeit zusehen in LOST HIGHWAY 179 3.7.1 Audiovisualität 179 3.7.2 Ton 187 3.7.3 Erzähltechnik – Zuerst die Antwort: „Dick Laurant is dead!“ 188 3.7.4 Themen 195 3.8 Endstation 201 3.9 Am Ende der Anfang 202 4 Literatur und Filme 205 4.1 Literatur 205 4.2 Filme 210 Vorwort Die eigene Faszination für den Gegenstand Die Arbeit wäre ohne die tatkräftige und bietet allemal eine gute Grundlage für die wis- freundliche Unterstützung von vielen Seiten senschaftliche Arbeit an ihm. Erst recht, wenn wohl kaum in dieser Form möglich geworden. das Objekt der Begierde zugleich das Bedürfnis Zu danken habe ich ganz besonders Prof. Dr. nach Unterhaltung und Erkenntnis zu stillen Heinz-Bernd Heller, der sich von Anfang an für vermag. PULP FICTION aus dem Jahr 1994 war das Thema begeistern konnte und meine Ar- jener Film, von dem der entscheidende Im- beit stets wohlwollend und kritisch begleitet puls zu dieser Arbeit ausging. Der Film ge- hat. Seine wertvollen Hinweise und sein unbe- währte augenzwinkernd Einblicke in die As- stechliches Urteil waren von unschätzbaren servatenkammer des Gangsterfilmgenres, in- Wert für das Resultat. Prof. Dr. Karl Prümms dem er Geschichte und Ikonographie des er- kritischer Auseinandersetzung mit Film noir zählten Verbrechens genüsslich sezierte, mit verdanke ich manche Einsicht in Schwachstel- den Erinnerungen der Zuschauer ein ironi- len der bisherigen Diskussion über das Thema. sches Spiel trieb und das Erzählkino nach Jah- Zu danken habe ich auch dem Institut für ren der Stagnation modernisierte. Zahlreiche Neuere deutsche Literatur und Medien der Klischees, die Drehbuchautor und Regisseur Philipps-Universität Marburg, das mir die Quentin Tarantino dabei zum Opfer fielen, Möglichkeit bot, meine Forschungsarbeit für entstammten jenen Filmen, die bereits in der die harte Praxis der Lehre fruchtbar zu ma- Mitte des vergangenen Jahrhunderts beson- chen. Auf der anderen Seite wäre wissenschaft- ders dunkel und pessimistisch daherkamen: liche Arbeit ohne die tatkräftige Unterstüt- films noirs. Über sie wurde viel geschrieben, zung hinter den Kulissen schlechthin nicht kaum einmal aber wurde versucht, ausgehend möglich. Deswegen möchte ich mich an dieser vom filmischen Material systematisch Her- Stelle ganz besonders bei meiner Frau Heidrun kunft und Wandel ihrer ästhetischen, erzähle- bedanken: für ihren unermüdlichen Zuspruch rischen und semantischen Funktionsweisen und ihre Bereitschaft, die unbequeme Aufgabe zu ermitteln. Darin mag zugleich der Grund des Korrekturlesens übernommen und den- dafür liegen, dass sich die Bezeichnung für ein noch einen kühlen Kopf bei der Beurteilung neuartiges filmisches Verfahren rasch in jene mancher Unzumutbarkeit behalten zu haben. plakative Formel „Film noir“ verwandeln Zu meinem Glück wusste sie selbst, was es be- konnte, die immer wieder zu Missverständnis- deutet, ein Dissertationsprojekt zuende zu sen geführt hat. Die Wirkmechanismen, für bringen. Oliver Grimm, der an unzähligen die sie einstand, wurden bis in die Gegenwart Abenden zur Verfügung stand, um gemeinsam hinein indes weder methodisch noch theore- mit mir ebenso ungezählte Filme zu sichten tisch befriedigend aufgeklärt. Die vorliegende und zu diskutieren, bin ich zu großem Dank Arbeit versucht dieser Misere Abhilfe zu ver- verpflichtet. Auch allen ungenannten Unter- schaffen und „Film noir“ nicht länger populä- stützerinnen und Unterstützern möchte ich rer Spekulation und filmkritischem Pathos zu hiermit in ein großes Kompliment ausspre- überlassen. Darüber in der Terminologie der chen für Ihre stets kritische Aufmerksamkeit Wissenschaft zu sprechen bedeutet anderer- und ihr uneingeschränktes Wohlwollen. Und seits, das zuweilen schwierige Kunststück fer- Raja Valerie, die all dies noch nicht verstehen tig zu bringen, das Ziel allgemeiner Verständ- kann, wünsche ich, dass sie eines Tages besser lichkeit nicht aufzugeben und dennoch me- begreift als ich, weshalb wir bereit sind, all die thodisch und theoretisch anspruchsvoll zu Mühen und Anstrengungen auf uns zu neh- bleiben – und dabei den Gegenstand nicht zu men. Möglicherweise ist es eben jene glückli- beschädigen. Vor allem aus Kostengründen che Erfahrung umfassender und vorbehaltlo- wurde auf eine durchgängige farbige Bebilde- ser Unterstützung, die die Einsicht fördern rung verzichtet. Deswegen finden sich farbige kann, dass der hiermit eingeschlagene Weg so Abbildung nur dort, wo es aus methodischen falsch nicht sein kann. Gründen erforderlich schien. Einleitung Film noir hat sich verändert – so könnte davon ab. Für Karl Prümm hat sich über ein vorläufiges Fazit lauten, ginge man das „populäre Phänomen [...] ein Diskurs von einem sachlich und zeitlich eingrenz- eingeschliffen, der pseudopoetisch die baren Filmkorpus aus, in dessen Zentrum Räume, Motive, Figuren des Film noir be- Verbrechenserzählungen kombiniert mit schwört, eine ‚einfühlsame‘ Paraphrase, expressiven Ästhetiken stehen, und ver- die nichts als Versatzstücke produziert: folgte dessen Entwicklung bis in die Ge- die dunklen, naß-glänzenden Straßen, die genwart. Doch so einfach lassen sich miesen Hotelzimmer, die gebrochenen Funktionsweisen und Wirkprinzipien des Helden.“ (Prümm 1998: 134) Phänomens, das im Folgenden eingehend In filmwissenschaftlicher Perspektive gibt untersucht werden soll, begrifflich, me- die über die Jahre „ausgehärtete“ Seman- thodisch und theoretisch kaum operatio- tik, die das Faszinosum filmischen „Schwarz- nalisieren. Denn Film noir bezeichnet kei- Sehens“ umgibt, also Anlass zum Zweifel neswegs nur eine bestimmbare Zahl an- an der Gültigkeit ihrer Erklärungsmuster. dersartiger Filme, sondern von Anfang an Die durch widersprüchliche Erklärungs- ebenso einen diskursiven Gegenstand, modelle und Zuschreibungen ausgelösten hervorgebracht von Filmkritik und -wis- Irritationen sensibilisieren nicht nur für senschaft. Wie die mit dem Begriff in Ver- eine offenbar vorhandene Variabilität und bindung gebrachten Filme durchlebt auch Dehnbarkeit der Noir-Semantik; sie zeigen der Diskurs über Film noir Konjunkturen auch, dass Film noir keineswegs ein selbst- und Moden. In der Diskussion um Film genügsames ästhetisches Gebilde ist, son- noir ist immer wieder versucht worden, dern unablässiger Bewegung und perma- den kontingenten Charakter des Phäno- nentem Wandel unterliegt, und zwar im mens aufzulösen, indem etwa auf Genre- Hinblick auf seine ästhetische und außer- oder Stilkategorien verwiesen, Kanonbil- ästhetische Wirkung. dung betrieben oder zeitlich eng begrenz- Eine erste semantische Verschiebung te Periodisierungen vorgenommen wur- vollzog sich bereits mit der Umwertung den. In den mehr populistischen Regio- des Begriffs durch die französische Film- nen der Debatte wurde die aus der Vielge- kritik nach dem Ende des zweiten Welt- staltigkeit des Phänomens resultierende kriegs. Galt das Adjektiv
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