Medizingeschichte

Samariter an der Via dem Weg nach liegen noch Regia in Sachsen – Wurzen und , wobei hier Wurzen mit seinem Jakobsspital Teil 2 ebenso von Interesse ist wie das Pest- und Siechenhaus vor den Toren der Die im Osten Sachsens begonnenen Stadt. Auch städtische und private Betrachtungen über Gesundheitsein- Badestuben gab es in Wurzen seit richtungen und Ärzte entlang der dem 15. Jahrhundert. Die Bader, Bar- werden zunächst in der biere und Wundärzte ließen zur Ader, Großenhainer Pflege fortgesetzt. schröpften, verabfolgten Klystiere, Zum Schutz der Hohen Straße ent- nähten Wunden, richteten Knochen- stand im 13. Jahrhundert in Schön- brüche ein, behandelten Geschwüre feld eine Wasser- und Wehrburg, und Geschwülste usw. heute als „Traumschloss“ der Neore- naissance bekannt. An alte Traditio- Südwestlich führt die Via Regia über nen anknüpfend, wurde hier 2003 Riesa nach Oschatz und Mutzschen. Abb. 5: Das Siech- und Krankenhaus in Oschatz (um 1830) eine Pilgerherberge am sächsischen Meißen und Torgau lagen nicht an © Repro aus „Die Geschichte des Oschatzer Krankenhauses” Jakobsweg eingerichtet. Die nächste dieser damals bedeutenden Transit- von M. Schollmeyer / E. Strauch (2005), Bildausschnitt größere Stadt an der Via Regia ist straße! Der Hospitalweg in der Rie- Großenhain, das seit dem frühen saer Innenstadt weist darauf hin, Kreuz“ (1240), das Siechenhaus Mittelalter mit dem Johannes- und dass sich hier Einrichtungen zur Auf- (1312), St. Georgen und das Johan- dem Jakobsspital eigene Pilger-, nahme und Pflege armer und hilfe- niter-Spital. 1691 machte hier auch Pflege- und Versorgungsstätten bedürftiger Menschen befunden der berühmt-berüchtigte Wunder- besaß (Urkunde von 1252). Außer- haben. Ein Kloster bestand seit 1111. doktor Johann Andreas Eisenbarth dem gab es vor dem einstigen Meiß- Die 1828 entdeckten „Mumien von (1663 – 1727) Station, wie über- ner Stadttor ein „Hospital zu den Riesa“ sind eine Attraktion bei Klos- haupt zu Zeiten der alten Via Regia fernen Siechen“ mit fünf Kranken- terführungen. Reich an mittelalterli- fahrende Heiler und Heilmittelhänd- stuben. Von Großenhain aus teilt chen Pilgerstätten und Hospitälern ler den Weg säumten und auf sich die Via Regia in einen nördlichen ist Oschatz: St. Georg (1300), St. Eli- Marktplätzen und Straßen ihre „Heil- Strang, der über Strehla und Wurzen sabeth (1354), Hospital „Zum fernen nach Leipzig führt, und in eine südli- Siechen“ (1394) und „Zum heiligen che Abzweigung, die über Oschatz Geist“ sowie ein Kloster- und zwei und die Messemetropole Frauenhospitäler. Aktenkundig ist, erreicht. Nehmen wir zuerst die dass in diesen Häusern Pilger, Ob­­ nördliche Strecke. Da ist Strehla zu dachlose, Alte und Gebrechliche erwähnen, dann Belgern und Dahlen, Platz gefunden haben. Im St. Geor- Abzweigungen führen nach Eilen- genhospital wurden sogar Kranke burg und Kötitz/Calbitz – alle in zeit- aufgenommen und behandelt, was typischer bescheidener medikaler seinerzeit etwas Besonderes war Verfassung. Inwieweit Pilger mit dem (Abb. 5). Die medizinische Verwen- möglichen Fernziel Santiago de dung des nahegelegenen Schlosses Compostela in diesen Orten Samari- Hubertusburg dagegen fällt in die ter fanden, ist nicht bekannt. Eilen- Neuzeit [s. „Ärzteblatt Sachsen“, Heft burg, das mittelalterliche Ilenburg, 1/2013]. Aus dem fast 1.000-jährigen macht da eine Ausnahme. Seit 1255 Ackerbürgerstädtchen Mutzschen bestand das (inzwischen längst ver- (heute an der A 14 gelegen) sind gangene) Georgenhospital. Die Handreichungen für Reisige vom Ser- berühmtesten Ärzte Eilenburgs vitenkloster bekannt. Bedeutender waren Heinrich Leopold Francke ist Grimma, wo oft die meißnischen (1785 – 1853), Lehrer für Anatomie, Markgrafen und sächsischen Kur- Physiologie und Heilkunde an den fürsten residierten. Die Zisterziense- beiden alten Dresdner Chirurgen- rinnen aus dem benachbarten Klos- schulen, Friedrich Ludwig Kreysig ter Nimbschen, zu denen auch (1770 – 1839), Medizinprofessor in Katharina von Bora (1499 – 1552), Wittenberg und , den man die spätere Frau Martin Luthers, den „Hufeland Dresdens“ nannte, zählte, wurden zur Pflege im Grim- sowie Hermann Hartmann (1863 – maer Stadthospital herangezogen. Abb. 6: Wundarzt im 17. Jahrhundert 1923), der Begründer des Leipziger Vier weitere Hospitäler sind in © Repro aus „Das heilkundige Dresden“ Ärztevereins („Hartmannbund“). Auf Grimma zu nennen: „Zum Heiligen von H.-E. Kleine-Natrop (1964)

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nicht nur den von Prag ausgehenden politischen Gegebenheiten geschul- det, sondern nicht zuletzt der Lage der Stadt an der Via Regia und Via Imperii. Den Dutzenden von Badern, Barbieren und Wundärzten der Stadt gesellten sich mit der Gründung der Medizinischen Fakultät 1415 nun akademisch ausgebildete und pro- movierte Doctores der Medizin hinzu, deren Praxisnähe jedoch oft zu wün- schen übrig ließ. An stationären Ein- richtungen zum Zwecke der sich all- mählich entwickelnden Krankenbe- handlung folgten den mittelalterli- chen Hospitälern, Pest-, Lepra- und Syphilishäusern feststehende Laza- rette und Ausgang des 18. Jahrhun- derts das Jakobsspital, Keimzelle aller Leipziger Universitätskliniken, sowie ein großer Botanischer Garten. Einer der einflussreichsten „Samariter“ war der Professor, Leibarzt, Ratsherr und Dekan der Medizinischen Fakultät Heinrich Stromer (1482 – 1542), der Abb. 7: Das Georgenhospital in Leipzig (1749). Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, aus Auerbach in Franken stammte Inv.-Nr. Mü.II/78 a. © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig und „Auerbachs Hof“ (in der heuti- gen Mädlerpassage) begründete. Ein kunst“ praktizierten, viele Scharla- kurioses Zeugnis aus Auerbachs Zeit tane darunter und Quacksalber, aber stellte ein Aderlasskalender von auch manche, die besser waren als 1495 dar, der für einen breiten Leser- ihr Ruf (Abb. 6). kreis gedacht war und sich an der für Über Leipzig am Schnittpunkt vieler die Phlebotomie günstigste Planeten- Haupt- und Handelsstraßen Mittel- konstellation orientierte. Verfasser europas muss eigentlich nicht viel war der Arzt, Astrologe und Huma- gesagt werden. Als die Via Regia nist Johannes Wirdung von Haßfurt noch Via Regia war und nicht touris- (1463 – 1540). In Leipzig gab es tisches Marketingobjekt, kam Leipzig einen sammelwütigen Apotheker eine wichtige sanitätspolizeiliche, so namens Johann Heinrich Linck (1674 die damalige Bezeichnung, Rolle zu, – 1734), der zoologische und anato- allein schon aufgrund des Ballungs- mische Absonderlichkeiten zusam- raumes, den die Stadt bereits dar- mentrug, die seit 1847 im Naturali- stellte. Viel gab es zu tun. Weitge- enkabinett von Schloss Waldenburg reiste aus Nishni Nowgorod oder ihre Heimstatt haben (Abb. 8). Schlesien machten hier Halt, um dann eventuell nach Erfurt und Wenn sie sich denn erholt hatten Frankfurt am Main weiterzufahren, und einigermaßen wiederhergestellt per pedes, mit zwei oder vier Pferde- waren, konnten sich malade Rei- stärken, immer auf der Hohen sende dann wieder auf den Weg Straße. Die Einschleppung von Seu- machen, vielleicht gen Westen, wo chen galt es einmal mehr zu verhin- heute hinter Makranstädt die alte dern, unzählige Durchreisende Via Regia den Freistaat verlässt und waren zu versorgen, darunter auch nach Sachsen-Anhalt führt. Eine Pil- Schwache, Kranke und Sterbende. gerreise auf ihr ist heute nicht mehr Frühe heilkundliche Dienste boten in mit jener vor Jahrhunderten zu ver- der Messestadt (ab 1165) seit 1213 gleichen. Damals fast immer religiös das Georgen-Hospital und seit 1278 motiviert, ist sie heute ein moderner Abb. 8: Anatomie einer schwangeren Frau (Holz ,17. Jh.). Naturalienkabinett Waldenburg, Lincksammlung, Inv.-Nr. NAT das Johannis-Hospital (Abb. 7). Die „Hype“ für gestresste Menschen, die 0140 L © Museum – Naturalienkabinett Waldenburg Entstehung der Universität war 1409 auf diesem Weg auch nicht immer

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zu Fuß gehen. Um die medizinische als preiswerte Unterkünfte. Ausru- detailgetreue Nachbildungen histori- Versorgung braucht man sich in der hen kann man da und vielleicht „sich scher Bauwerke an der Via Regia Regel keine Sorgen zu machen. Es selbst finden“. sowie eine Schauwerkstatt. gibt auch wieder Pilgerherbergen, die aber, und das sei dem luxusver- In Königsbrück „Am Schlosspark“ wöhnten Zeitgenossen mitgegeben, zeigt die Ausstellung „Architektur- Literatur beim Verfasser nicht mehr und nicht weniger sind modelle“ noch bis 22. Januar 2017 Dr. med. habil. Volker Klimpel, Dresden

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