Bezugspunkt Gesellschaft

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Bezugspunkt Gesellschaft Bezugspunkt Gesellschaft 1 Bezugspunkt Gesellschaft Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß der Mensch ein animal sociale ist, und ich, der ich nicht begreife, daß die Dinge anders sein könnten als auf die Weise, wie sie sind; ich, der ich nicht glaube, daß etwas anderes passieren könnte als das, was passiert, versuche folglich nicht, es zu leugnen. Gesetzt der Fall, daß der Mensch in Gesellschaft lebt, so ist er zweifellos sozial. Mariano José de Larra 2 Helmut Hofbauer Bezugspunkt Gesellschaft Über die Geselligkeit und Ungeselligkeit der Menschen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien Oficyna Wydawnicza ATUT Wroc³awskie Wydawnictwo Owiatowe Wroc³aw 2005 3 Bezugspunkt Gesellschaft Dissertationes Inaugurales Selectae Herausgegeben von Edward Bia³ek und Eugeniusz Tomiczek Vol. 11 Helmut Hofbauer Bezugspunkt Gesellschaft. Über die Geselligkeit und Ungeselligkeit der Menschen Wroc³aw 2005 Begutachter: Prof. Dr. habil. Alfred Pfabigan Prof. Dr. habil. Helmuth Vetter DTP: Agnieszka Lachowicz Layout: Pawe³ Wójcik, Przemys³aw W³odarczyk ISBN 83-7432-045-1 Diese Arbeit wurde gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Germanistischen Instituts der Universität Wroc³aw sowie des Vereins Österreich-Kooperation in Wissenschaft, Bildung und Kultur, Wien. Verlag: Oficyna Wydawnicza ATUT Wroc³awskie Wydawnictwo Owiatowe 50-010 Wroc³aw, Podwale 62, Tel./Fax (71) 341 32 04, Tel. (71) 342 20 56, E-mail: [email protected], http://www.atut.ig.pl 4 Inhalt Vorwort zur Buchausgabe ................................................................ 7 Obsession .......................................................................................... 8 Der momentane Stand meiner Vorurteile – ein Vorwort ................ 18 I. Phänomenologischer Teil Vorwort zum phänomenologischen Teil ......................................... 49 Wie ich in die Gesellschaft kam ..................................................... 51 Kleiner Exkurs über die Wahrnehmung des anderen Menschen über den Umweg der Gesellschaft: ................................................. 70 Angewiderte Blicke ...................................................................... 100 Das ist objektiv ............................................................................. 158 II. Theoretischer Teil Vorwort zum theoretischen Teil .................................................... 237 Bezugspunkt Gesellschaft ................................................... 253 Gehören Individuum und Gesellschaft zusammen? ..................... 254 Ist das Individuum ein Teil der Gesellschaft? .............................. 266 Welche Realität erklärt uns die Soziologie als Gesellschaft?....... 282 Was erklärt Luhmann eigentlich, wenn er die Gesellschaft erklärt? – Exkurs über Niklas Luhmann .................................................... 295 Die Frage nach der Freiheit des Einzelmenschen – Exkurs über Pierre Bourdieu ............................................................................. 328 Wir verstehen uns heute auch selber als Gesellschaft .................. 356 Wie erfahren wir heute Gesellschaft? .......................................... 373 Menschen miteinander ........................................................ 401 Der persönliche Vertrauensbereich............................................... 402 Unsere kleinen Zoos ..................................................................... 423 5 Bezugspunkt Gesellschaft Freundschaft durch den Staat ....................................................... 444 Über Recht und Rechtssystem – kleiner Exkurs........................... 463 Soziale Position ............................................................................ 494 Individuum und Gesellschaft – Teil und Ganzes .......................... 502 Unsere Ansprüche an die Mitmenschen ....................................... 520 Die Balzac-Maschine ................................................................... 530 Statt einem Schluß ........................................................................ 535 Verwendete Literatur .................................................................... 541 6 Vorwort zur Buchausgabe Was sich der Leser oder die Leserin von dieser Arbeit erhoffen kann? Dies ist ein philosophisches Werk. Darunter verstehe ich, dass die Wissenschaft konfrontiert wird mit der subjektiven Wahrheit. Denn es ist schon eine alte philosophische Erkenntnis, dass die Wahrheit an sich gleichgültig ist; nur was die Dinge für uns sind, macht uns glück- lich oder unglücklich. Wissenschaftlich ist an dieser Arbeit, dass genau zitiert und logisch argumentiert wird. In diesem Sinne wird in dieser Arbeit die Soziologie befragt, was sie uns denn über die Gesellschaft zu sagen habe. Und ich meine, insbesondere im ersten großen Text des zweiten Teils der Arbeit mit dem Titel „Bezugspunkt Gesellschaft“ eine komplette Einführung in die Soziologie gegeben zu haben entlang der des Diktums von Emile Durkheim, wonach die sozialen Tatsachen wie Dinge behandelt wer- den müssten. Dass die Gesellschaft etwas an sich ist, ist klar. Aber die Gesell- schaft ist keine gleichgültige Sache. Was sollte sie für uns sein? – um diese schwere Frage dreht sich alles in dieser Arbeit. Helmut Hofbauer Wroc³aw, im März 2005 7 Bezugspunkt Gesellschaft Obsession Ein Diskurs ist wahr, wenn ich ihn für wahr halten will, wenn er Wahrheit ist für mich. Hier wird man sofort die Objektivi- tät vermissen, den anderen Namen für diese Einzige Wahr- heit, vor der die verschiedenen Partikularitäten sich beugen müssen. Es ist eigenartig: es fehlt niemals jemand, um die verlorene Objektivität und das heruntergemachte Kriterium der intersubjektiv bestimmten Wahrheit zu beweinen – auf ins Chaos! – aber, im Gegensatz dazu, pflegt sich niemand auf das persönliche Interesse zu berufen, das in der Welt der Objektivität verschwindet. Denn es ist genau im Bereich des Objektiven, wo uns alles egal ist, das Wahre ebenso wie das Falsche oder das Irrtümliche.1 Fernando Savater Ich glaube, daß man jedem Menschen das Recht auf eine Obsession zubilligen sollte. Das ist dann seine Obsession, seine Besonderheit, das Zentrum, um das sich der Rest des Ichs angruppiert. Für Elias Canetti beispielsweise war der Tod diese Obsession. Wenn man seine Schilderung vom Begräbnis seiner Mutter liest, wie er da mit ge- schwellter Brust und entschlossenem Blick hinter dem Sarg einher- marschiert ist, im Kopf nur einen Gedanken, nämlich: „Du Tod, Du Scheusal, hast wieder einmal gewonnen, hast Dir wieder ein Opfer geholt – aber Du wirst uns nicht besiegen! Ich werde Dir zeigen, daß man so leben kann, als ob das Leben unendlich lang dauerte. Ich wer- de Dir zeigen, daß man sich von Dir nicht entmutigen lassen muß! Du wirst mein Leben nicht von innen her auffressen, ich werde Dir zei- gen, daß ich Dich einfach ignorieren kann!“ – bekommt man einen guten Eindruck davon, was ich mit einer Obsession meine. Es ist das ein Motiv, das sich durch das ganze Leben von Elias Canetti zieht. Es findet sich zum Beispiel auch in Masse und Macht wieder, wenn er 1 Fernando Savater, La tarea del héroe, Editiones Destino, Barcelona 1992. S. 320. 8 Obsession vom „Überlebenden“ spricht: die Schwäche des menschlichen Kör- pers, der Haut, des Fleisches; fast ein jedes Material kann ihn durch- bohren; und es fliegt viel Material herum in einer Schlacht! Wenn nun ein Mensch durch Zufall trotzdem überlebt, dann muß er doch das Gefühl haben, den Tod besiegt zu haben! Und daß er sich gleichsam gestärkt hat durch die Lebenskraft all der anderen Krieger oder Sol- daten, die nun tot um ihn herum im Kreis liegen. Ich habe auch eine Obsession. Sie besteht in dem Gefühl, das mich immer und überallhin verfolgt, in dieser Welt unwillkommen zu sein. Wenn man nun vernünftig wäre, würde man sich mit diesem Gefühl arrangieren. Denn das ist einfach so und nicht zu ändern! Man würde einfach auf die realen Tatsachen sehen und zugeben müssen, daß die Welt eine große ist und sich nicht um jeden einzelnen kümmern kann. Man würde sagen, daß es hier viele Menschen gibt, sechs Milliarden, man aber nur ganz wenige von ihnen kennenlernen kann, so daß es klar ist, daß man auf der Straße an vielen von ihnen vorbeirennt, ohne daß sie sich die Zeit nehmen, einen extra willkommen zu heißen. Und zuletzt oder zuerst würde man die Hände über dem Kopf zusammen- schlagen und darüber froh sein, daß alles überhaupt so gut geht, wie es heute ist, denn immer noch ist der Großteil der Welt damit beschäf- tigt, die Verschnaufpause, die seit den letzten zwei Weltkriegen an- dauert, nach Möglichkeit zu verlängern. Wie Menschen miteinander umgehen in Ländern, wo es nicht einmal gelingt, den Frieden auf- recht zu erhalten, können wir uns regelmäßig in den Medien anschau- en. Irgendwo auf der Welt ist immer was los. Und da kommst Du, könnte man sagen, und fühlst Dich unwill- kommen! Es ist wahr, ich habe wirklich eine blöde Obsession. Ich könnte auch sagen, sie ist mindestens so blöd wie die von Canetti. Ich meine, was hat es für einen Sinn, sich über den Tod zu erregen? Wenn wir realistisch bleiben, wir müssen alle mal sterben. Das reizt mich jetzt zu einer Bemerkung über die Vernünftigkeit. Vernünftigkeit ist nicht gleich Vernunft. Vernünftigkeit ist der gewöhnlich irrige Glau- be, den Standpunkt der Vernunft innezuhaben oder jedenfalls nicht allzu weit von ihm entfernt zu sein. Gewöhnlich halten alle Menschen sich selbst für vernünftig. Und in diesem Sinne läßt sich sagen, daß vernünftige Menschen
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