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«Der Architekt ist kein Dienstleister»

Ansicht nach in der Schweiz äusserst eine geistige Aktion vollzogen. Und eine schlecht geregelt sind. Das Urheberrecht be- geis­tige Aktion ist objektbezogen. Hier spre- schreibt ‹das Recht auf die Idee›. In der che ich nicht – wie oft missverstanden wird – Schweiz befinden wir uns in der Situation, von einem isolierten Solitär, sondern von dass der Architekt als Dienstleister gesehen einem Objekt, dessen Aspekte auf einer Idee wird und folglich nur die Dienstleistung ge- gründen. Das kann genauso gut ein Haus, schätzt wird. Seine Idee aber wird weder ein Fragment oder eine ganze Stadt sein. ­materiell noch ideell wahrgenommen, ge- schweige denn entschädigt. So beschreibt Geht Ihr Streben nach einer ‹reinen Architek- das Architektenhonorar nur die Dienst­leis­ tur› in eine ähnliche Richtung? tung. Gerade bei Wettbewerben, bei denen Ja. Eine reine Architektur kann auch eine der Auslober sehr auf die Idee des Preisträ- Bas­telei von Widersprüchen sein, wenn sie gers angewiesen ist, erfahre ich in meinem nur ‹rein› im Sinn von ‹konsequent› ist. Alltag eine krass fehlende Wertschätzung. Ein Beispiel: Bei einem Wettbewerb für eine Die Konsequenz aus der Idee Überbauung der SBB entlang des Gleis­ Gemäss Ihren eigenen Aussagen entwerfen areals in haben wir den im Wettbewerbs- Sie Ihre Bauten nicht. Wie ist diese Aussage verfahren anvisierten Marktwert mit unserer gemeint? Idee – nicht mit der Dienstleistung – um etwa Mit ‹entwerfen› meine ich, etwas eine Form 120 % gesteigert. In diesem Fall geht es um geben, die so oder so aussieht, danach ein Millionen, und als Architekten können wir bisschen ändern und dann wieder etwas an- 01 Valerio Olgiati (Foto: Archiv Olgiati) nicht partizipieren. Ich spreche hier nicht deres entscheiden, und so weiter und so Seit 2007 ist der Architekt Valerio vom Honorar, welches die Dienstleistung be- fort ... Ich erachte es als besser, wenn eine Olgiati Mitglied der Direktion des schreibt, sondern von der Idee eines Archi- Form sich aus einer Idee ableitet. Ich muss SIA. Weshalb der Befürworter einer tekten, von welcher heute einzig und alleine dann nicht entscheiden, ob die Form schön Autorenarchitektur sich im SIA en- der Auftraggeber materiell profitiert. Über oder hässlich ist. Sie ist die Konsequenz aus gagiert, wieso Architektur in der diesen ökonomischen, messbaren Mehrwert der Idee. Nähe von Kunst anzusiedeln ist und hinaus gibt es natürlich auch einen kultu- weshalb Architekten in der Schweiz rellen, gesellschaftlichen Mehrwert, den eine Wie merken Sie, ob die Idee richtig ist? um ihr Urheberrecht betrogen wer- Idee generieren kann. Diese ist nicht mess- Das ist eine der grossen Diskussionen, die den, erläutert er im Gespräch. bar, also noch schwieriger kommunizierbar, ich auch mit meinen Studenten habe. Denn und scheint daher im heutigen Architekten­ eine Antwort darauf gibt es nicht. (sl) Herr Olgiati, seit fast 24 Jahren sind Sie alltag absolut keine Bedeutung mehr zu Mitglied des SIA und seit drei Jahren Mitglied haben. Wie kann man sich bei dieser Arbeitsweise der SIA-Direktion. Als Architekt sind Sie da- Ihren Unterricht vorstellen? gegen eher als ‹Einzelkämpfer› bekannt. Was macht ein Gebäude kulturell wertvoll? Genauso wie im Büro. Nur arbeite ich die Was hat Sie zu Ihrem Engagement für den Ein Gebäude ist nur dann kulturell wertvoll, Idee dann nicht selber aus, sondern die Stu- SIA bewogen? wenn über die Ökologie, Ökonomie und dierenden: Mit sehr wenigen Mitteln – das Ein Einzelkämpfer bin ich natürlich nicht. Was Funktionalität hinaus auch ein geistiger In- heisst ohne Handskizzen, Modellen etc., da- ich beruflich mache, geschieht immer in halt, also eine Absicht eines Schöpfers er- mit wir nicht etwa darüber zu diskutieren be- einem Team. Ich bestehe allerdings darauf, kennbar ist, die in die Wirklichkeit übertragen ginnen, ob eine Linie sinnlich ist – präsentie- dass die Architektur, die ich mache, eine worden ist. ren sie mir wöchentlich ihre Ideen. In diesen ­Autorenarchitektur ist, die von einer Idee ab- ersten Wochen will ich noch kein Projekt se- hängig ist, die in einem Kopf entsteht und Im Buch ‹Die Bedeutung der Idee› sagen hen, sondern etwas hören, das einen Sinn erst nachher im Team ausgearbeitet wird. Sie: ‹Die Objektarchitektur ist die einzige ergibt. Wenn ein Student eine solche Idee Dass ich der Direktion des SIA beigetreten Architektur, die etwas wert ist.› Könnten Sie formuliert hat, kann er mit dem Projekt los­ bin, hat vor allem damit zu tun, dass ich eini- diese Aussage näher erläutern? legen. Wir müssen dann nicht mehr darüber ge Interessen, mit denen sich der SIA be- In der zeitgenössischen Architektur gibt es reden, ob etwas schön ist oder nicht, oder schäftigt, teile. Zum einen ist das ganz gene- zwei Lager: Das eine sagt, den Autorenarchi- am Ende noch, ob es mir persönlich gefällt, rell das Bauen und hier insbesondere die tekten gebe es nicht mehr, es gebe nur noch sondern ob etwas der Idee Ausdruck ver- baukulturellen Aspekte. Dann die Bildung – das Team, welches den Schaffensprozess leiht. Ein Beispiel für eine Entwurfsidee: ein mich interessiert, wie die Bildung in der steuert. Das führt sicherlich zu einer brauch- Haus im Wald, in dem das Wohnen auf die Schweiz bewertet und koordiniert wird. Aber baren Architektur, aber eine wirklich kulturelle grundsätzlichen Aspekte heruntergebrochen auch Fragen des Urheberrechtes, die meiner Leistung wird meiner Ansicht nach durch ist. Das Wohnen befindet sich über der TEC21 51-52 / 2010 | 35

Baumkrone, mit unendlicher Weitsicht, wie Dazu fällt mir eine Aussage des niederlän- Davon kann ich mich doch nicht abhängig über einem Meer. Das Schlafen liegt ge- dischen Architekten N. John Habraken in sei- machen! Mir geht es darum, mit meiner Ar- schützt unter der Erd­oberfläche, wie bei den nem Artikel ‹You can’t design the ordinary› chitektur etwas auszudrücken, das echt ist, Ameisen, die während des Schlafens Schutz ein (‹Architectural Design› 4/1971). Darin so generell wie möglich und so nahe an der suchen. Dazwischen liegen in der Baum­ verglich er die Architekten mit König Midas. Wahrheit – im Sinne von konsequent und krone die Küche und auf dem Waldboden Alles, was sie berühren würden, werde zu rein – wie möglich. Und die Wahrheit ist der Garten. Schlafen, essen, wohnen und Gold. Es gebe kein Brot mehr. Mit anderen ­weder schön noch hässlich, weder chaotisch Garten – das sind die elementaren Bestand- Worten: Was würde geschehen, wenn alle noch ordentlich, weder ökologisch noch un­ teile des Hauses. Ein solches Haus kann Bauten Kunst wären, die uns zum Denken öko­logisch, sondern sinnhaft. Ich bin der rund oder eckig, in Beton, Holz oder Stahl, rot anregt? Überzeugung, dass Architektur eine Disziplin oder grün, schräg oder gerade sein. Es spielt Was spricht dagegen? Meine Bauten erfüllen ist, an deren erster Stelle die Frage nach der keine Rolle. die ökologischen und technischen Anforde- Form steht und nach der Äusserung des Ein- rungen, sie funktionieren ausgezeichnet. zelnen und der Gesellschaft in dieser Form. Zum Denken anregen Wenn Sie in ihnen sind, können Sie die Archi- Das beschriebene Projekt klingt sehr arche- tektur total vergessen, sich befreien, Sie sel- Serie: Gespräche mit typisch. Welche Bedeutung nehmen Arche- ber sein. Wenn alle Bauten so wären – inhalt- SIA-Direktionsmitgliedern typen bei Ihrer Architektur ein? lich, nicht formal –, würde die Welt einfach Was sind die Ideen und Visionen innerhalb des Ich will diese Frage anders angehen: Im herrlicher aussehen, aber genauso funktio- SIA, und welche Persönlichkeiten stecken da- hinter? Eine Interview-Serie mit Mitgliedern der Grunde unterscheide ich zwischen Archi- nieren. Meine Häuser sind doch nicht Gold. SIA-Direktion geht dem auf den Grund. Nach tekten, die zusammensetzen, und Archi- Sie sind Gold und Brot zugleich! (lacht) den Gesprächen mit SIA-Präsident Daniel Kün- tekten, die unterteilen. Diejenigen, welche dig (TEC21 16-17/2010), SIA-Generalsekretär Hans-Georg Bächtold (TEC21 29-30/2010), zusammensetzen, arbeiten drauf los und In einem Gespräch mit Studierenden er- Präsident der Bildungskommission Andrea De- müssen daher entwerfen. Diejenigen, welche wähnten Sie, als Architekt sei man nur sich plazes (TEC21 33-34/2010) und Präsident der unterteilen, beginnen mit einem Konzept, selbst gegenüber verantwortlich. Wie ist das Zentralkommission für Normen und Ordnungen (ZNO) Adrian Altenburger (TEC21 38/2010) welches sie dann unterteilen und zum Funk­ zu verstehen? folgt in dieser Ausgabe das Interview mit Valerio tionieren bringen. Ich glaube daran, dass es Als Architekt muss man die Entscheide am Olgiati, seit Ende 2007 Mitglied der SIA-Direk­ in jeder Gesellschaft ein Verständnis dafür Ende selbst fällen. Tut man dies nicht, kommt tion und seit 2010 für den SIA Mitglied des Stif- tungsrates des Schweizerischen Architek- gibt, eine Ordnung zu begreifen. Wenn Sie ein nichts Rechtes heraus. turmuseums (S AM) in . Gebäude betreten, und vor Ihnen steht eine Treppe, haben Sie auf jeden Fall das Gefühl, Die Form an erster Stelle Zur Person dass es da oben noch etwas gibt. Wenn aber Wie definieren Sie die Verantwortung des Valerio Olgiati (*1958 in ) schloss sein Architekturstudium 1986 an der ETH Zürich ab. in einem Raum zwei Treppen stehen, beginnt Architekten gegenüber der Gesellschaft? Seither ist er als selbstständiger Architekt tätig. jeder darüber nachzudenken, was da los ist. Mir geht es darum, die Leute mit einer Idee Nach einer Zusammenarbeit mit Frank Escher in Vielleicht kommen nicht alle zum gleichen zu konfrontieren, die Material geworden ist: Los Angeles leitet er seit 1996 wieder ein Büro in der Schweiz, bis 2005 in Zürich, bis 2007 in Schluss, aber sie werden zum Denken ange- um die Form als kultureller Mehrwert, welcher Chur und seit 2008 gemeinsam mit seiner Part- regt, die Ordnung des Gebäudes zu begrei- die Gesellschaft in Bewegung bringt. Alles nerin Tamara Olgiati und 8 Mitarbeitern in Flims. fen. Das versuche ich mit meiner Architektur. andere, die Ökologie, die Ökonomie, die Bereits sein erstes Projekt, das Haus Kucher in Rottenburg (1991), stiess in der internationalen In meiner Monografie hat Mario Carpo das Funktionalität, sind eine Selbstverständlich- Fachpresse auf grossen Anklang. Es folgten als sehr schön formuliert: Bei einer Maschine, die keit. Das ist Handwerk. Das, worauf Sie viel- weitere aufsehenerregende Projekte das Schul- funktioniert, denkt niemand darüber nach, wie leicht anspielen, die ganze Nachhaltigkeits- haus in Paspels (1998), das «Gelbe Haus» in Flims (1999), das Atelierhaus für den Musiker sie funktioniert. Sobald sie aber nicht mehr frage, ist ein technisches Problem, vielleicht Linard Bardill in Scharans (2007) und das Be- funktioniert, beginnt jeder daran herumzuden- auch ein politisches, ist aber sicherlich keine sucherzentrum in Zernez (2008). Aktuell arbei- ken, wie sie funktionieren könnte. Sinnfrage – und interessiert mich also als be- tet das Büro an einer breiten Palette an Projekten im In- und Ausland, wie einer Wohn­ stimmende Idee für ein Projekt nicht. Um hier über­bauung in Zug, einem Musiksaal in Deutsch- Ist dieser Regelbruch nicht viel eher die Auf- Missverständnissen vorzubeugen, möchte land, einem Weingut in Italien, einem Haus in gabe der Kunst? ich festhalten, dass zum Besipiel das Haus und einem Hochhaus in Lima, Peru. Ne- ben seiner Tätigkeit als Architekt und seinem En- Das, was ich mache, verstehe ich als Kunst. Bardill ein Nullenergie-Haus ist. Das Problem gagement innerhalb der Direktion des SIA ist Vielleicht ist Kunst nicht genau das richtige ist, dass diejenigen, die sich mit dieser Frage Valerio Olgiati stark in der Lehre engagiert. Wort, doch die exakte Bezeichnung dafür beschäftigen, die Nachhaltigkeit oft zur Moral Diverse Gastprofessuren führten ihn an die ETH Zürich, die Architectural Association in , habe ich bisher noch nicht gefunden. Ich erklären, die wiederum ins Politische und in die in Ithaca, New York, sowie meine, dass wir uns als Architekten in dersel- die Gesellschaft hineinfliesst. Das Dumme an den Kenzo Tange Chair an der Harvard Uni- ben Disziplin bewegen dürfen wie Künstler, dabei ist, dass die Moral nicht allgemein gül- versity in Cambridge, Massachusetts. Seit 2001 ist er ordentlicher Professor an der Accademia mit dem Unterschied, dass unsere Kunst im- tig ist. Jede Gesellschaft hat eine andere Mo- di Architettura in Mendrisio. mer auch ein Gebrauchsgegenstand ist. ral, die zeit-, ort- und geschichtsabhängig ist.