Das letzte Spiel

Der Flipper ist Sex, Meditation und Rock’n’Roll. Doch dann kam der Gameboy – und der letzte große Hersteller stoppte die Produktion. Ein Blick zurück in Liebe. Modell „Black Knight 2000“ (1980) Modell „“ (1995)

Die Tilt-Funktion als Metapher für das Leben: Wer mit Gewalt den Sieg erzwingen will, verliert.

Modell „Star Wars Episode 1“ (1999)

Modell „Xenon“ (1995) Modell „Pinball Magic“ (1995)

Modell „Star Wars Episode 1“ (1999) Modell „Star Wars Episode 1“ (1999)

Modell „Dirty Harry“ (1995) Eine Zauberwelt, der Schwerkraft enthoben: Flipper-Geräte der verschiedenen Generationen

TEXT: JÖRG BÖCKEM/CHRISTOPH Damals machte Williams, mit mehr Kraft im Flipperuniversum, das „Mi- DALLACH als 70 Prozent der Marktführer, mit crosoft des Flippers“ („Wired“), die FOTOS: WERNER BARTSCH ihren Flippern jeden Monat eine Produktion ein. Die Wall Street rea- Million Dollar Verlust. Noch Anfang gierte: Nach dem Flipper-Aus stiegen er Krieg der Sterne brachte die der neunziger Jahre wurden weltweit die Aktien des Elektronikunterneh- finale Niederlage: 13 Millionen jährlich 100 000 Flipper abgesetzt. mens um sechs Prozent. DDollar hatte die Firma Williams Am Ende der Dekade waren es noch Game over. Electronics Games am Ende des Jahr- rund 10 000. Flipper war ein Verliererspiel gewor- tausends in die Entwicklung einer neu- „Star Wars“ konnte da auch nicht den. Das Ende einer Ära. Ein Gene- en Flippergeneration investiert. In der mehr helfen. Immer weniger Men- rationswechsel in der Unterhaltungs- Hoffnung, mit einem Star-Wars-Epi- schen waren bereit, für das Spiel mit industrie. Die endgültige Kapitula- sode-1-Modell, voll gestopft mit Drei- chromblitzenden Kugeln und bunten tion der Mechanik vor den Compu- D-Animationen und anderem Schnick- Lichtern ihr Silbergeld auszugeben. terchips. schnack, den Niedergang einer gro- Im Oktober 1999 stellte Williams, Flippern – das war immer mehr als ßen Tradition aufhalten zu können. seit mehr als 50 Jahren treibende nur ein Weg, die Zeit totzuschlagen.

2/2001 kultur SPIEGEL 13 In dem Moment, in dem der Spieler Trotzdem gibt es immer noch ein den Chromball in ein Universum aus paar altmodische Bewunderer. „Flip- blitzenden Lichtern, rotierenden pern ist Rock’n’Roll“, sagt zum Bei- Scheiben und verschlungenen Ram- spiel Slash, Gitarrist von Guns N’ Ro- pen schoss, öffnete sich eine Zauber- ses. Er entwarf für die Firma Sega die welt, ein magischer Ort, in dem für Spielfläche und Sound-Effekte eines Augenblicke die Gesetze von Schwer- Guns-N’-Roses-Flippers und sammelt kraft und Dynamik überwunden wur- daheim seltene Modelle. den. Ein Comic-Universum der Kol- „Flippern beruhigt meine Seele“, lisionen und Detonationen, in dem sagt Joe Perry, Gitarrist der amerika- man zwar ein Spiel gewinnen kann, nischen Rockband Aerosmith, und die Maschine aber nie beherrscht. vergleicht das Spiel mit Zen-Medita- Es war der Kampf des Menschen ge- tion – vor einem Konzert in Toronto Modell „Xenon“ (1995) gen die Maschine. Und war die Tilt- versank der Gitarrist so sehr in sein Funktion nicht vielleicht auch eine Flipperspiel, dass ihn seine Kollegen der Kugel Stöße versetzt, sondern in- schöne Metapher für das Leben? Wer panisch suchen mussten. dem man Vibrationen auf das Gehäu- den Sieg mit Gewalt erzwingen will, The Who widmeten dem Kasten eine se überträgt, aber sanft, so dass es verliert. ganze Oper, „Tommy“ genannt, nach der Flipper nicht merkt und nicht ins Tatsächlich reflektierte der Flipper der blinden und taubstummen Kippen gerät. Das schafft man nur jahrzehntelang die Errungenschaften Hauptfigur, einem Flipper-Genie; mit dem Schambein, beziehungswei- der Pop-Kultur. James Bond war ein Bruce Springsteen schrieb einen se mit einem genau kalkulierten Ein- Flippermotiv, die Playboy-Bunnies Song über die Bedeutung des Flip- satz der Hüften, so dass das Scham- waren es, die Rockgruppe Kiss, Co- perspiels; und der Schriftsteller und bein mehr gleitet als stößt und man mic-Held Batman, Actionstar Termi- Kulturphilosoph Umberto Eco analy- immer diesseits des Orgasmus nator und sogar die Saurier aus „Ju- sierte in seinem Roman „Das Fou- bleibt“. Können Männer so spielen? rassic Park“. Und als der Flipper sei- caultsche Pendel“ die erotische Di- Nein. Nur Frauen, fand Eco. Denn nem Ende entgegenging, baute ein mension des Flipperns. Man spiele dazu bedürfe es „einer weiblichen Hersteller einen „South Park“-Flip- „nicht nur mit den Händen, sondern Scham, die keine Schwellkörper zwi- per, der Furzgeräusche von sich gibt. auch mit dem Schambein“. Und man schen Hüftbein und Gehäuse hinein- Game over. erreicht das Ziel nicht, „indem man schiebt, und es darf keine erigierbare schossen, wo er durch einen Parcours Niedergang der Flipper ein. Am En- von Nägeln, im Amerikanischen de waren die Flipper im Vergleich „Flippern be- „pin“, tanzte und in verschiedene zum Gameboy Dinosaurier. Zu groß, Löcher plumpsen konnte. Für das ei- zu anfällig; einfach fehl am Platz. ruhigt meine ne Loch gab es mehr, für das nächste Die häufig notwendigen Reparaturen Loch weniger Punkte – nicht sehr kosteten oft mehr, als die Geräte ein- raffiniert, das Ganze. spielten; Ersatzteile waren kaum zu Seele“, sagt Der Flipper, wie wir ihn heute ken- bekommen; und die teuren Monteu- nen, wurde Ende der vierziger Jahre re oft ausgebucht. Für die Gameboy- Joe Perry von entwickelt; mit Flipperarmen, die Generation sind Flipper heute un- den Ball im Spiel halten konnten. Sie gefähr so zeitgemäß wie Schellack- Aerosmith fungierten als Verlängerung der Platten. menschlichen Hand; es schien, als Nur Gary Stern glaubt noch an den könne der Spieler das Geschehen un- Mythos. Seine kleine Firma ist die Materie dazwischenkommen, son- ter der Glasplatte kontrollieren. letzte in den USA, die noch Geräte dern nur Haut und Nerven und Kno- Die größte Popularität erreichten die produziert. „Flippern gilt heutzutage chen“. Auch der französische Philo- Flipper aber erst in den siebziger Jah- als retro“, sagt er, „und retro ist soph Roland Barthes erkannte im ren als ideales Accessoire der Pop- cool.“ Die Erinnerung an das erste Flipperspiel den „symbolischen Akt Generation. Sogar in New York, wo Flipperspiel ist wie die Erinnerung des Eindringens“. Eine „Emma“-Au- Bürgermeister La Guardia die Flip- an den ersten Kuss. Ein nostalgi- torin forderte gar „nichtsexistische per Anfang der Vierziger öffentlich sches, unschuldiges Vergnügen. Flipper für Flipperinnen“. zerschlagen und in den East River Nun wandern die Flipper aus Kneipen Also ein bedeutendes Gerät. werfen ließ, wurden sie 1976 endlich und Spielhallen in Partykeller und Es begann alles im Jahr 1871, als erlaubt. Das Gerücht, die Mafia hätte Wohnzimmer. Alte Geräte wie „Xe- Montague Redgrave eine Tischver- in der Flipperindustrie ihre Hände non“ werden derweil gesammelt wie sion des alten französischen Gesell- im Spiel, verlieh dem Vergnügen Antiquitäten und liebevoll restauriert schaftsspiels „Bagatelle“ patentieren noch zusätzlichen Reiz. wie alte Autos. Auch der „Star Wars ließ. Damals basierte das Spiel auf Die Entwicklung der ersten Compu- Episode 1“ wird dort seine letzte Schwerkraft und Glück – ein Ball terspielautomaten wie Pac-Man An- Ruhestätte finden. wurde auf ein schräges Spielfeld ge- fang der achtziger Jahre läuteten den Game over.