W+W Special Paper B-20-4

DIE PARADIESVÖGEL, IHRE HYBRIDEN UND DIE ROLLE DER SEXUELLEN SELEKTION

Nigel Crompton

Juli 2020

https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/uploads/b-20-4_paradiesvoegel.pdf

Bild: Großer Paradiesvogel (Tim Laman / National Geographic Creative, © naturepl.com) Inhalt

Einleitung...... 3 Die Familie und ihre Mitglieder ...... 4 Paradiesvogel-Mischlinge...... 7 Die Phyänotypen der Hybriden...... 9 Mutationen oder präexistente Programme? ...... 12 Die genetische Familie der Paradisaeidae...... 12 Kontinuierliche und diskontinuierliche Phylogenese...... 13 Die Rolle der sexuellen Selektion...... 14 Zufälliger oder geplanter Ursprung?...... 15 Mehrfache vorteilhafte Mutationen oder präexistente genetische Programme? ...... 16 Weibchenwahl und die Entstehung der Arten ...... 17 Sexualdichromatismus: Unterschiede in der Färbung der Geschlechter ...... 18 Der größere Zusammenhang...... 19 Wie die präexistente Vielfalt zum Vorschein kommen kann...... 19 Komplexe Synergie und die Neuralleiste...... 20 Ursprung der Vielfalt...... 20 Quellen...... 21

Das Wichtigste in Kurzform 1. Umfangreiche Hybridisierungen unter Paradiesvögeln deuten darauf hin, dass viele Arten zu einem einzigen Grundtyp gehören. Weitere Daten zu DNA-Sequenzen und zu Morphologie bestätigen, dass alle Arten zu einer einzigen genetischen Familie gehören. 2. Gemeinsame Ähnlichkeiten bei intergenerischen Hybriden im Vergleich zu den Unähnlichkeiten, die sich bei intragenerischen Hybriden zeigen, deuten darauf hin, dass sich die Familie von einem gemeinsamen Vorfahren über Mendel‘sche Prozesse (Meiose und Fortpflanzungsisolation) und nicht durch eine Häufung von Mutations- ereignissen entwickelt hat. 3. Der Ursprung einzigartiger Merkmale, die die verschiedenen Arten aufweisen (z.B. die exotischen Kopffedern des King of Saxony-Paradiesvogels), lässt sich am besten durch die Aktivierung präexistenter genetischer Programme erklären und nicht durch die Anhäufung multipler vorteilhafter Mutationen. Hinweise auf Kooptionen sind Belege für bereits existierende genetische Programme. 4. Sexuelle Selektion innerhalb der Familie führt nicht zu neuen Merkmalsausprä- gungen, Merkmalen oder Arten. Die sexuelle Selektion begünstigt (oder auch nicht) und erhält neuartige Merkmalsausprägungen, Merkmale und Arten, „erschafft“ sie aber nicht. Präexistente genetische Information, die als Programme im Genom co- diert ist, führt zu neuartigen Merkmalsausprägungen, Merkmalen und Arten. Die Paradiesvögel, ihre Hybriden und die Rolle der sexuellen Selektion

Nigel Crompton

Einleitung so überzeugend porträtierten Grundmotivs, das Mit einem Stern* Charme verströmt und für Begeisterung sorgt. versehene Begriffe Paradiesvögel – was für ein großartiger Name Biologen sind natürlich auch sehr davon werden im Glossar für eine Vogelfamilie! Er löst freudige Gefühle angetan, dass sie sich in der Gesellschaft legen- (Seite 7) erklärt. geheimnisvoller Romantik aus. Diese Vögel därer Kollegen befinden, wenn sie diese Vögel stammen aus dem einst sagenumwobenen Neu- erforschen, wie John Gould, Charles Darwin, guinea und kamen den Europäern erst 1522 zu Alfred Russel Wallace, Lord Walter Rothschild, Gesicht, und auch dann zunächst nur als Bälge Ernst Mayr und Sir David Attenborough. Viele mit außergewöhnlichem Gefieder. Da diese ja fabelhafte Bücher befassen sich mit den Para- kein Fleisch und keine Beine hatten, verbreitete diesvögeln und ihren Hybriden, zum Beispiel sich das Gerücht, dass die Vögel weder Nahrung die Werke von Fuller (1995), Frith & Beehler zu sich nehmen mussten noch einen Platz zum (1998) und Laman und Scholes (2012). In Band Landen brauchten, sondern immer im Himmel 14 der umfassenden Vogelenzyklopädie von del umherflogen und himmlischen Tau tranken: Hoyo (Handbuch der Vögel dieser Welt) ist ein Sie waren Vögel des Paradieses – ein passender ganzes Kapitel den Paradisaeidae gewidmet (Frith Name für eine Vogelfamilie, die in ihrem Wesen und Frith, 2009). den Kerngedanken des Liebeswerbens zu ver- Der Mensch hat immer die Farbenpracht körpern scheint. und überwältigende Vielfalt der Gefieder dieser Diese Vorstellung ist schon sehr alt. Seit Vogelfamilie bewundert. (vgl. Abb. 1) Viele der Mensch mit diesen Vögeln zu tun hat, war andere Vogeltaxa haben auch ein großartiges Ge- er sich durchaus bewusst, welches Bild diese fieder, Fadenfedern am Kopf oder spektakuläre Vögel malten, welches Drama sie aufführten. Schwänze, aber die Paradiesvögel scheinen alles Jede treffende Beschreibung der Vögel dieser zusammen in einem Paket bekommen zu ha- Familie, sei sie volkstümlich oder akademisch, ben. Die Exemplare vieler Arten sind knallbunt, fasziniert den Leser angesichts ihrer Schönheit schillernd und oft irisierend, ihre Konturfedern und Choreografie und angesichts des von ihnen glänzen gelb und rot, grün und blau, purpurrot

Abb. 1 Großer Paradiesvogel ( apoda) (Tim Laman / National Geo- graphic Creative, © naturepl. com)

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 3 Flügeln hervorbrechen. Viele der nur etwas we- Kompakt niger bezaubernden Arten haben verblüffende Die Paradiesvögel (Paradisaeidae) sind eine faszinierende Familie schöner Kämme aus Federn oder Fadenfedern an ihrem Vögel, die in Neuguinea und Nord-Ostaustralien vorkommen und außerge- Hinterkopf, die strahlenförmig hinter ihrem wöhnliche Balzrituale zur Schau stellen. Zu ihrer Familie gehören 41 Arten Auge hervortreten. Diese verwenden sie bei in 16 Gattungen, die in 5 Gruppen eingeteilt werden. Die Vögel sind sexu- ihren atemberaubenden Darbietungen, bei de- aldimorph*, wobei die Männchen eine außergewöhnliche phänotypische* nen sich die Vögel in Ballerinas zu verwandeln Vielfalt aufweisen. Die Ähnlichkeit im Aussehen der Weibchen und ähnli- scheinen, die in verblüffenden Formen und che molekulare Sequenzen sind klare Indikatoren ihrer Verwandtschaft. Es sind zahlreiche Gattungshybriden bekannt; diese sind allerdings insofern Drehschwüngen herumwirbeln. All das, um das ungewöhnlich, als es für sie zwar formale Beschreibungen und lateinische Herz der Dame zu gewinnen – und das ist erst Namen gibt, ihre Abstammungsverhältnisse jedoch häufig auf bloßen der Anfang, es gibt noch so viel mehr. Es gibt Vermutungen basieren. Die phänotypischen Ähnlichkeiten der Hybriden, wirklich keine Vogelfamilie, die man so richtig die zurück zu einem gemeinsamen Urtyp tendieren, unterstreichen, dass mit den Paradiesvögeln und ihren einzigartigen die Paradiesvögel zu einer einzigen genetischen Familie gehören. Schon Balzdarbietungen vergleichen könnte. lange wurde sexuelle Auslese als Motor der bemerkenswerten Vielfalt dieser Familie angesehen, doch ist sie ein Mechanismus, der zwar die Vielfalt der Arten erhalten kann, aber nicht in der Lage ist, ihre Vielfalt zu erzeugen. Meiotische Mechanismen, die präexistente* genetische Programme um- Die Familie und ihre Mitglieder kombinieren und auswählen können, können erklären, wie diese Vielfalt entstanden ist. Präexistente genetische Programme erklären den Ursprung Trotz des äußerst unterschiedlichen Feder­ der phänotypischen Merkmalsvielfalt der Paradiesvögel besser als mehrfa- che vorteilhafte Mutationen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem schmucks der männlichen Paradiesvögel bewei- ausgesprochen attraktiven Schmuckgefieder der Arten einerseits und ihrem sen die zahlreichen Versuche von Systematikern, ausgeprägten Paarungsverhalten andererseits, deren Ausprägung auf die wie schwierig es ist, eine einigermaßen überzeu- Rolle der Neuralleiste in ihrer Entwicklung hinweist. Die enorme Vielfalt der gende taxonomische Ordnung in diese Familie Gefieder erweckt den Eindruck, dass die Paradiesvögel der ornithologische zu bringen oder auch nur ihre Grenzen ungefähr Inbegriff des Liebeswerbens sind. zu bestimmen. In jüngster Zeit haben moleku- und braun. Viele haben auffällige Steuerfedern, larbiologische Studien auf der Grundlage von die übermäßig extravagant sind, wie prächtige Sequenzdaten Klarheit gebracht. Zwei exotische weiße Bänder oder Federn, die zu engen Schäf- Vogelarten, der Glanzflöter (Melampitta lugubris) ten gleich paarigen Drähten reduziert und – nur und der Lamprolia (Lamprolia victoriae), die beide fürs Auge – an den Spitzen geschmückt sind. als eventuelle Familienmitglieder vorgeschlagen Abb. 2 Der���� K�rähenparadies��������������- worden waren, konnten endgültig ausgeschlossen vogel (Lycocorax pyrrhopte- Die ikonenhafteren und spektakuläreren Arten werden (Irestedt et al., 2009). In neuerer Zeit rus). (Tim Laman / National haben wunderbare Flankenfedern, die bei der Geographic Creative, © Balz wie vibrierende Farbfontänen unter ihren empfahl der Ornithological Council auf Grund- naturepl.com) lage von Studien von Cracraft & Feinstein (2000), dass vier Arten, die zuvor 50 Jahre lang zu den Paradisaeidae gerechnet worden waren (Frith & Beehler, 1998), ausgeschlossen und einer ande- ren Gruppe zugeordnet werden – nämlich die drei Furchenvogel-Arten (Loria-Paradiesvogel, Furchenvogel und Blaulappenparadiesvogel), die ihren Schnabel sehr weit aufsperren können, und der MacGregor-Honigfresser (Macgregoria pulchra) (CITES, 2015), der nun in die Familie der Ho- nigfresser (Meliphagidae) gestellt wird. Zurzeit gehören zur Familie der Paradiesvögel 41 Arten (oder 39 je nach der Bestimmung von Unter- arten) in 16 Gattungen (Gill & Donsker, 2012). Bezüglich der internen Beziehungen der Arten und Gattungen der Familie wurden im Laufe der Jahre viele Vorschläge vorgebracht (Übersicht in Nunn & Cracraft, 1996). Eine vorläufige Analyse auf der Basis von Sequenzvergleichen von drei Genen, einem mitochondrialen Gen und zwei Genen des Zellkerns, machte es möglich, eine objektive und detaillierte Stammesgeschichte zu rekonstruieren (Irestedt et al., 2011). Dadurch ergab sich für die Familie eine Unterteilung in fünf handliche Kladen („Zweige“, Gruppen A – E), auf der Stufe von Tribus oder Unterfamilie

4 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 (Tab. 1). Wenn einmal komplette Genomsequen- Abb. 3 Der Wimpelträger (Pteridophora alberti). Die zen zur Verfügung stehen werden, werden sich Fadenfeder-„Wimpel“ sind die Verwandtschaftsverhältnisse zweifellos wieder dreimal länger als der Vogel ändern, aber sehr wahrscheinlich werden diese selbst und entlang nur einer Seite angeordnet; es han- Änderungen nur geringfügig sein. delt sich um rautenförmige Die fünf Kladen, die mit A-E bezeichnet Federäste, die wie silber- farbene Plastik aussehen. werden, bieten einen guten Ausgangspunkt für Die Männchen schwenken einen Überblick��������������������������������������� über die Familie�������������. Klade A un- diese Wimpelfedern vor und terscheidet sich deutlich von den anderen vier zurück, während sie beim Balztanz auf und ab hüpfen. Kladen, welche man als die Kerngruppe der (Illustration: Richard Bowdler Paradiesvögel bezeichnet. Zur Klade A gehören Sharpe) der Krähenparadiesvogel (Lycocorax pyrrhopterus) und die fünf Manukoden (in den zwei Gattun- gen Phonygammus und Manucodia); sie sehen alle ziemlich krähenähnlich aus. Lycocorax ist schwarz und hat braune Flügel (Abb. 2). Die Manukoden sind schwarz mit einem grünen Schimmer, dun- kelpurpurroten Flügeln und Schwänzen sowie stark verlängerter Luftröhre für die Bildung der Balzlaute.������������������������������������������� Alle Vögel der Klade A haben hellk- arminrote Augen und alle werden als monogam verfügt. Der Gelbschwanz-Paradieshopf und angesehen. der Braunschwanz-Paradieshopf (Gattung Dre- Die Vögel der Kladen B-E haben viel leucht- panornis) sind überwiegend braune Vögel mit endere Farben und exotisches Gefieder. Sie sind zusätzlichen Farbtupfern, die in ihrem Federkleid sexualdimorph* und polygyn (d. h. Männchen aufleuchten. Sie haben großartige sichelförmige Abb. 4 Sexualdimorphismus haben viele Weibchen). Klade B enthält die Schnäbel, mit denen sie an die Nektarquellen beim Fadenparadieshopf Gattung (Strahlenparadiesvögel) mit fünf (Seleucidis melanoleucus), an der Basis langer trompetenförmiger Bl��ü- das Männchen ist oben. Arten. Die Männchen haben leuchtend farbige ten gelangen. Dieses phänotypische Merkmal (Tim Laman / National Geo- Brustschilde, bunt schillernde Nackenkronen graphic Creative, © naturepl. wurde bei anderen Vogelfamilien oft erforscht. und, als unverkennbares Kennzeichen, sechs Fe- com) derstrahlen hinter den Augen am Kopf, drei auf jeder Seite, die sie bei der Balz um ihre Köpfe herumschwirren lassen. Klade B enthält auch den außergewöhnlichen Wimpelträger (Pteridophora alberti) (Abb. 3). Diese Art hat spektakuläre Fa- denfedern am Hinterkopf, sogenannte Wimpel, die ganz einzigartig sind. Sie sind dreimal länger als der Vogel selbst und entlang nur einer Seite angeordnet; es handelt sich um rautenförmige Federäste, die wie silberfarbene Plastik aussehen. Die Männchen schwenken diese Wimpelfedern vor und zurück, während sie beim Balztanz auf und ab hüpfen. Klade C ist ein Mix aus fünf Gattungen. Die Vögel sehen gedrungener aus und haben einige außergewöhnliche morphologische Kennzei- chen. Der Fadenparadieshopf (Seleucidis melano- leucus) (Abb. 4) ist ein typisches Beispiel dafür. Seine Flankenfedern sind leuchtend gelb und bil- den mit seinen anderen, zumeist dunkelpurpur- roten Konturfedern einen starken Kontrast. Diese Federn drängen entlang der Flanken hinaus, sind aber auf mittlere Länge gestutzt, mit Ausnahme ihrer Kiele, die wie lange nackte Drähte herausra- gen. Feldstudien zeigen, dass diese Drähte an den Schnäbeln der Weibchen gerieben werden – ein weiteres, unerwartetes Element der Berührung, zusätzlich zu dem schon unglaublichen Füllhorn an Balzideen, über die diese Familie ohnehin

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 5 Klade A ihrer aufgesperrten Schnäbel bekannt sind. Mit Krähenpardiesvogel Lycocorax pyrrhopterus Lpy Ausnahme ihrer grünen Scheitel, Brustschilde Schall-Manucodia Phonygammus keraudrenii Pke und Schwänze sind die Männchen schwarz. Kräuselparadieskrähe Manucodia comrii Mco Unter ihnen finden wir den Kragenparadiesvo- Grünparadieskrähe Manucodia chalybatus Mch gel ( superba). Wenn der Balzstepptanz Jobiparadieskrähe Manucodia jobiensis Mjo Glanzparadieskrähe Manucodia ater Mat dieses Vogels auch nicht der farbigste ist, so ist er doch ganz erstaunlich: ein schwarz-blaues Klade B Smiley-Gesicht, das man wirklich gesehen haben Wimpelträger Pteridophora alberti PtA Carolaparadiesvogel Parotia carolae Pca muss. Das Männchen plustert seinen schwarzen, Wahnesparadiesvogel Parotia wahnesi Pwa langfedrigen Umhang auf und bildet so einen Strahlenparadiesvogel Parotia sefilata Pse Kegel, der einer veterinären Halskrause ähnelt. Blaunacken-Paradiesvogel Parotia lawesii Pla Davor breitet er seinen leuchtend blauen Brust- (Helena-Paradiesvogel) Parotia helenae Phe Berlepschparadiesvogel Parotia berlepschi Pbe schild aus (der das Lächeln darstellt) und lässt ein Paar hellblauer Scheitelflecken aufblitzen (welche Klade C die Augen darstellen). Offensichtlich sind die Fadenparadieshopf Seleucidis melanoleucus Sme Braunschwanz-Paradieshopf bruijnii Dbr Weibchen dieser Art von Smileys zu begeistern. Gelbschwanz-Paradieshopf Drepanornis albertisi Dal Klade D enthält die langschwänzige Ast- Bänderparadiesvogel Semioptera wallacii Swa rapia-Gattung, zu der auch die großartige Victoriaparadiesvogel victoriae Pvi Schmalschwanz-Paradieselster ( mayeri) Schildparadiesvogel Ptiloris paradiseus Ppa gehört, mit ihrem Paar strahlend weißer Steu- (Papuaparadiesvogel) Ptiloris intercedens Pin Prachtparadiesvogel Ptiloris magnificus Pma erfedern. Die fünf Arten, zumeist schwarze Kragenparadiesvogel Lophorina superba Lsu Vögel mit leuchtend grünem Scheitel, grünen

Klade D Brustschilden oder Bäuchen und aufblitzenden Schmalschwanz-Paradieshopf meyeri Eme Flecken mit roten Rändern, haben Weibchen, Breitschwanz-Paradieshopf Epimachus fastuosus Efa die teilweise auch solche langen Schwanzfedern Langschwanzparadigalla carunculata PaC haben. Auch die langschwänzigen Sichelschnäbel Kurzschwanzparadigalla Paradigalla brevicauda PaB (Gattung Epimachus) gehören in diese Klade. Die Prachtparadieselster Astrapia splendidissima Asp Fächerparadieselster Astrapia nigra Ani Männchen verändern bei ihren Darbietungen Blaubrust-Paradieselster Astrapia rothschildi Aro ihr Epaulettengefieder in einer außergewöhn- Steohanieparadieselster Astrapia stephaniae Ast lichen Weise, wodurch ihr Körper eine äußerst Schmalschwanz-Paradieselster Astrapia mayeri Ama bizarre eiförmige Kometenform annimmt. Klade E Vielleicht überrascht es etwas, dass die zwei Königsparadiesvogel Cincinnurus regius Cre Paradigalla-Arten ebenfalls zur Klade D gehören, Nacktkopf-Paradiesvogel Diphyllodes republica Dre auch wenn der Langschwanz-Paradigalla nicht Sichelschwanz-Paradiesvogel Diphyllodes magnificus Dma besonders lange Schwanzfedern hat. Diese klei- Blauparadiesvogel Paradisaea rudolphi PaR Kaiserparadiesvogel Paradisaea guilielmi Pgu neren schwarzen Vögel haben markante gelbe Rotparadiesvogel Paradisaea rubra Pru Kehllappen, von denen Reste auch bei ihren Lavendelparadiesvogel Paradisaea decora Pde Gattungshybriden beobachtet werden. Kleiner Paradiesvogel Paradisaea minor Pmi Und zu guter Letzt noch Klade E. Sie enthält Raggiparadiesvogel Paradisaea raggiana Pra Großer Paradiesvogel Paradisaea apoda Pap die sieben Arten der Gattung Paradisaea, die klas- sischen Paradiesvögel. Die Art Paradisaea ragianna Tab. 1 Verwandtschaftsbe������������������- Die imposanten Honigfresser von Hawaii ist auf der Staatsflagge von Papua Neuguinea. Sie ziehungen der Paradiesvögel (Carduelinae) sind dafür ein ausgezeichnetes haben meist eine gelbe Krone, grüne Kehle, brau- Die 41 Arten sind auf der Grundlage von Sequenzähn- Beispiel, ebenso auch verschiedene Kolibri- ne Brust und Flügel und einen braunen Schwanz. lichkeiten in 5 Kladen ein- arten (Trochilidae). Zur Klade C gehört auch Bei ihren Balzdarbietungen in den Baumwipfeln geteilt (Irestedt et al., 2011). verwandeln sich ihre herrlichen Flankenfedern in Die beiden Arten in Klam- der Bänderparadiesvogel (Semioptera wallacii), mern werden von einigen der nach Darwins Landsmann und Mitstreiter Farbfontänen. Die zwei zentralen Steuerfedern Bearbeitern als Unterarten Alfred Russel Wallace benannt ist. Aufgrund verlängern sich in lange drahtartige Schäfte, die angesehen. ihrer phänotypischen Merkmale wird die Art manchmal sogar geschmückt sind. Der Blaupa- mitten in Klade C eingeordnet, sie besitzt aber radiesvogel ist sogar unter diesen Schönheiten einzigartige Paare schmaler weißer Standarten eine Ausnahme. Er hat schöne silberweiße (kleine Armdecken), die deutlich über jeden Augenränder und verschönert seine Kopfüber- braunen Flügel hinausstehen. Der Bänderpara- Balzdarbietung mit vibrierendem Gefieder und diesvogel hat einen schlichteren Schnabel, einen einem außerweltlichen Summen. Man darf etwas abgeflachten Schädel, und die Männchen seinen vielen Bewunderern nicht nachtragen, tragen einen leuchtend grünen Brustschild zur dass sie ihn als ihren Lieblingsparadiesvogel Schau. Der Rest von Klade C besteht aus vier betrachten. Es ist wegen der Schönheit vieler Reifelvögeln (Gattung Ptiloris), die für ihre dieser Paradiesvögel wirklich sehr schwer, einen pistolenschussartigen Laute und das Hellgelb von ihnen besonders auszuwählen. So erging

6 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 es ja auch dem trojanischen Prinzen Paris in der griechischen Mythologie, als er entschei- Glossar den sollte, welche von den drei Göttinnen die Allel: Zustandsform bzw. Variante mesodermal: vom mittleren Keim- Schönste sei. Klade E enthält überraschenderwei- ein und desselben Gens. blatt des Embryoblasten stammend. se auch die drei kleineren -Arten (die distale → Hybriden: Gattungs- oder Neuralleiste: Zwei kleine Stränge inzwischen in zwei Gattungen aufgeteilt sind: kladeübergreifende Hybriden. von Stammzellen, die sich entlang Cicinnurus, den Königsparadiesvogel, und Di- dominantes → Allel: Allel eines des embryonalen Neuralrohrs bil- phyllodes, den Nacktkopf-Paradiesvogel und den Gens, das die Wirkung eines anderen den und von dort in verschiede- Sichelschwanz-Paradiesvogel). Trotz ihrer Größe (rezessiven) Allels überlagert. ne Teile des Körpers wandern. In haben diese Vögel sicher die kesseste Farbgebung Enhancer: kurze Gensequenz mit Wechselwirkung mit den jeweiligen einer Regulationsfunktion Geweben ihres Zielgebietes ver- von allen. Die Haut ihrer Beine und Füße hat ein epidermal: die Oberhaut bzw. äu- ursachen und beeinflussen diese kräftiges Violett. Der Nacktkopf-Paradiesvogel ßerste Schicht der Haut betreffend. Stammzellen die Entstehung vieler hat sogar eine leuchtend blaue Krone, die statt Epistasis: Gen-Wechselwirking: Das Gewebetypen und Organe. aus Federn aus Haut besteht. Die drahtartigen epistatische Gen unterdrückt die Phänotyp, phänotypisch: das Er- Schäfte der zentralen Schwanzfedern dieser drei Wirkung des hypostatischen Gens. scheinungsbild (äußeres Aussehen) Arten sind betont auffällig. Bei dem leuchtend Die Epistasis kann auf dominante betreffend orangefarbenen Königsparadiesvogel sind sie am oder rezessive Weise erfolgen; die polygyn: ein Männchen hat mehrere Epistasis ist dominant, wenn nur Weibchen Ende mit zierlichen und ausgesprochen schönen ein Allel des epistatischen Gens präexistent: hier: in der Ursprungs- grünen Spateln versehen. notwendig für die Unterdrückung population einer Art bereits vor- ist, sie ist rezessiv, wenn dafür beide handen. Gene des epistatischen Gens not- Sexualdimorphismus: Unterschied- wendig sind. liches Aussehen von Männchen und Paradiesvogel-Mischlinge Hybride: Mischling aus zwei ver- Weibchen derselben Art. schiedenen Arten. Paradiesvogel-Mischlinge haben einen unge- wöhnlichen taxonomischen Status. Fullers entzü- könne auch eine Hybride sein. Niemand wagte ckendes Buch (1995) gibt einen Überblick über es, Lord Rothschild in Frage zu stellen. Strese- viele Einzelheiten. Dabei gab es ein zweifaches mann bestätigte die Idee sogar (1923). Einige Problem: ein naturkundliches und ein akademi- Jahre später äußerte Meise (1929) die Vermutung, sches. Erstens weisen die männlichen Paradiesvö- der Duivenbode-Reifelvogel, Paryphephorous gel eine solche Heterogenität der Gefieder und duivenbodei, sei auch eine Hybride. Die Zeit war der Formen auf, dass Hybriden (Mischlinge), reif für ein Umdenken. So schrieb Stresemann selbst wenn sie Zwischenformen sind, leicht den (1930) einen bemerkenswerten Fachartikel, in Rang einer Art zugeteilt bekamen. Zweitens ge- dem er behauptete, dass mindestens 14 Para- winnen Akademiker an Ansehen, wenn sie Arten diesvogelarten in Wirklichkeit Hybriden seien, entdecken, kaum aber, wenn sie Hybriden entde- und in einer Textergänzung gab Lord Rothschild cken. Und einige bewahren ihr Ansehen, indem (1930) seine volle Zustimmung zu diesem Vor- sie allen Vorschlägen zur Neubewertung des schlag. Somit haben zwar die meisten Hybriden Status mit Geringschätzung begegnen, wenn sie der Paradiesvögel wissenschaftliche Namen und nicht von „höherer Warte“ kommen. Ursprüng- wissenschaftliche Beschreibungen, aber ihre lich wurde allen Paradiesvogelhybriden der Art- Abstammung basiert nur auf Vermutungen. Sie Status zuerkannt und ihnen wurden lateinische sind mehr als reif für eine Genomsequenzierung. Namen zugeordnet. Wahrscheinlich war es In einer Familie mit 41 Arten dokumentiert Suchetet (1897), der als erster seine Bedenken die große Anzahl von 24 Hybriden (Tab. 2) den veröffentlichte, dass vielleicht einige Arten in Hang der Paradiesvögelweibchen, sich auch Wirklichkeit Hybriden sein könnten; entweder außerhalb ihrer Art beeindrucken zu lassen. innerhalb einer Gattung (Großer Paradiesvogel, Es überrascht eigentlich nicht, dass angesichts Paradisaea apoda luptoni) oder gattungsübergrei- der außerordentlichen Balzdarbietungen der fend (Mantou-Reifelparadiesvogel, Craspedophora Männchen auch Weibchen anderer Arten ge- mantoui). Sharpe (1898) aber machte sich wegen legentlich einen schwachen Moment haben. des Vorschlags über Suchetet lustig. Bald darauf Nach den Berichten von Feldbiologen zeigen beschrieb und benannte Reichenow (1901), der polygyne Männchen im Grunde keine Neigung Direktor des Berliner Museums, den Wunderpa- zu bestimmten Weibchen.�������������������� Und da Weibchen un- radiesvogel (Paradisaea mirabilis). Er meinte, er sei terschiedlicher Arten oft recht ähnlich aussehen, eine Hybride, doch dieser Idee wurde von eini- gibt es für die Männchen keine Paarungsgrenzen. gen seiner Zeitgenossen heftig widersprochen. In ihrem Anhang über Hybriden der Paradies- Zuvor hatte Reichenow den Frau-Reichenow- vögel behaupten Frith und Beehler (1998), dass (Maria)-Paradiesvogel (Paradisaea maria) nach unerfahrene junge Weibchen, die an den Rand seiner Frau benannt (Reichenow, 1894). Lord ihrer Reviere gedrängt werden, vielleicht am Rothschild (1910) war der Meinung, dieser ehesten zu Irrtümern bei der Partnerwahl neigen.

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 7 Hybridenliste der Paradies- vögel. Der Bearbeiter und 1 Lupton‘s of paradise (Paradisaea raggiana salvadorii x P. apoda novaeguineae). Beschrieben als Hybride das Datum der Anerkennung durch Suchetet 1897, jedoch als Subspezies Paradisaea apoda luptoni durch Lowe 1923. dieser Vögel als Hybride 2 Mantou‘s riflebird (mutmaßlichPtiloris magnificus x Seleucidis melanoleucus). Beschrieben als Hybride und Art sind angegeben. durch Suchetet 1897, jedoch als Art Craspedophora mantoui durch Oustalet 1891. Weitere Einzelheiten siehe 3 Wonderful bird of paradise (Seleucidis melanoleucus x Paradisaea minor). Beschrieben als Hybride durch Stresemann (1930), Fuller (1995) und Frith und Beehler Reichenow 1901, jedoch auch als Art Paradisaea mirabilis durch Reichenow 1901. (1998). 4 Maria‘s bird of paradise (mutaßlich Paradisaea guilielmi x P. raggiana augustaevictoriae). Beschrieben als Hybride durch Rothschild 1910, jedoch als Art Paradisaea maria durch Reichenow 1894. 5 Duivenbode‘s riflebird(Ptiloris magnificus intercedens x Lophorina superba minor). Beschrieben als Hybride durch Meise 1929, jedoch als Art Paryphephorus duivenbodei durch Meyer 1890. 6 King of Holland‘s bird of paradise (Diphyllodes magnificus x Cicinnurus regius). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Diphyllodes gulielmi III durch Meyer 1875. 7 Lyre-tailed king bird of paradise (Diphyllodes magnificus x Cicinnurus regius). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Cicinnurus lyogyrus durch Currie 1900. 8 Ruys‘ bird of paradise (Diphyllodes m. magnificus x Paradisaea m. minor). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Paradisaea ruysi durch van Oort 1906. 9 Duivenbode‘s bird of paradise (Paradisaea guilielmi x P. minor finschi). Beschrieben als Hybride durch Stre- semann 1930, jedoch als Art Paradisaea duivenbodei durch Ménégaux 1913. 10 Bensbach‘s bird of paradise (mutmaßlich Ptiloris m. magnificus x Paradisaea m. minor). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Janthothorax bensbachi durch Büttikofer 1894. 11 Wilhelmina‘s bird of paradise (mutmaßlich Lophorina superba x Diphyllodes magnificus). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Lamprothorax wilhelminae durch Meyer 1894. 12 Duivenbode‘s six-wired bird of paradise (mutmaßlich Parotia sefilata x Lophorina superba). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Parotia duivenbodei durch Rothschild 1900. 13 Sharpe‘s lobe-billed parotia (mutmaßlich Parotia sefilata x Paradigalla carunculata). Beschrieben als Hyb- ride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Loborhamphus ptilorhis durch Sharpe 1908. 14 Rothschild‘s lobe-billed bird of paradise (mutmaßlich Paradigalla carunculata x Lophorina s. superba). Be- schrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Loborhamphus nobilis durch Rothschild 1901. 15 False-lobed astrapia (Paradigalla carunculata x Epimachus f. fastuosus). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Pseudastrapia lobata durch Rothschild 1907. 16 Astrapian sicklebill (Astrapia nigra x Epimachus f. fastuosus). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Epimachus astrapioides durch Rothschild 1897. 17 Elliot‘s bird of paradise (mutmaßlich Astrapia nigra x Epimachus f. fastuosus). Beschrieben als Hybride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Epimachus ellioti durch Ward 1873. 18 Rothschild‘s bird of paradise (Paradisaea apoda augustaevictoriae x P. minor finschi). Beschrieben als Hyb- ride durch Stresemann 1930, jedoch als Art Paradisaea mixta durch Rothschild 1921. 19 Captain Blood‘s bird of paradise (Paradisaea raggiana salvadorii x P. rudolphi margaritae). Beschrieben als Hybride seit 1948, jedoch auch als Art Paradisaea bloodi durch Iredale 1948. 20 Mysterious bird of Bobairo (mutmaßlich Epimachus fastuosus atratus x Lophorina superba feminina). Beschrieben als Hybride durch Junge 1953. 21 Barnes‘ astrapia (Astrapia mayeri x A. stephaniae). Beschrieben als Hybride durch Sims 1956, jedoch als Art Astrarchia barnesi durch Iredale 1948. 22 Gilliard‘s bird of paradise (Paradisaea raggiana salvadorii x P. minor finschi). Beschrieben als Hybride durch Gilliard 1961. 23 Schodde‘s bird of paradise (Paradisaea rudolphi margaritae x Parotia l. lawesii). Beschrieben als Hybride durch Schodde 1993, jedoch als Subspezies Parotia l. lawesii durch Bulmer 1956. 24 Stresemann‘s bird of paradise (Lophorina superba x Parotia carolae). Beschrieben als Hybride durch Frith & Frith 1996, jedoch als Subspezies Lophorina superba pseudoparotia durch Stresemann 1934.

Diese Autoren beschreiben auch einen Hybriden vogel und die Kräuselparadieskrä���������������������������he möglicher- zwischen einem männlichen Braunen Sichel- weise nur mit einer einzigen anderen Art paaren. schnabel und einem weiblichen Seidenband- Allerdings überlappt der Lebensraum der Schall- Paradiesvogel im Taronga-Zoo in Sydney, einen Manukodia im Hinblick auf Geographie und ungewöhnlichen Fall, weil sowohl der Vater als Höhenlage mit dem Siedlungsgebiet von mehr auch die Mutter bekannt waren. Paradiesvogelarten, als dies bei irgendeiner ande- Tatsächlich ist das Verhältnis Hybriden/ ren Vogelart der Fall ist, ohne dass bei ihr jemals Arten sogar noch markanter als 24/41, weil die Hybriden dokumentiert wurden. Das Verhältnis Krähenparadiesvögel und die Manukoden, Arten Hybriden/Arten ändert sich somit zu 24/35. Der aus Klade A, nicht für die Bildung von Hybriden Schildparadiesvogel, der Viktoriaparadiesvogel bekannt sind. Ein primärer Grund für die Treue und der Standardwing-Paradiesvogel können der Arten in Klade A ist die von diesen Vögeln auch ausgeschlossen werden, weil die ersten praktizierte monogame Paarungsstrategie. In der beiden weit südostlich auf dem Festland von Klade A sind einige Arten, aber keineswegs alle, Australien und letztere Art weit nordwestlich auf Insel-Arten. Aufgrund geringer geographischer der Molukken-Inselgruppe isoliert sind und da- Überlappung ���������������������������������könnten sich der ����������������Krähenparadies- durch eine natürliche Hybridisierung unmöglich

8 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 ist; das Verhältnis Hybriden/Arten beträgt damit sogar 24/32. Aufgrund der geographischen Ver- Wie wurden die Hybriden entdeckt? teilung und des besiedelten Höhenstufenbereichs Sowohl Stresemann (1930) als auch in Neuguinea. In diesem Zeitraum könnten sich aber alle anderen Paradiesvögel mit Mayr (1945) bemerkten, dass viele untersuchten und fotografierten sie mindestens einer anderen Art paaren und viele der Hybriden (14 von 24) während alle Arten und legten dabei einen tun es auch. Stresemann (1930) veröffentlichte als der Blütezeit des Gefiederhandels besonderen Schwerpunkt auf die erster ein Hybridisierungsschema. Sein Schüler (1890-1915) von Spezialhändlern als wissenschaftliche Dokumentation Mayr (1945) gab ein zweites heraus (Abb. 5). seltene Arten bezeichnet wurden. ihres Balzverhaltens. Sie berichten Fuller veröffentlichte im Jahr 1995 das Buch Viele Zehntausende von Paradies- nicht ein einziges Mal, dass sie eine „Die verlorenen Paradiesvögel“, in welchem vogelbälgen gingen zu dieser Zeit Hybride gesehen hätten. Aber wir er aufgrund neu gewonnener Kenntnisse über buchstäblich durch die Hände von wissen, dass Hybriden existieren, diese Vögel viele Gattungshybriden anerkann- Federhändlern wie dem Holländer ihre Bälge kann man sehen, sie te, die er 16 Jahre zuvor noch bezweifelt hatte Duivenbode und dem französischen befinden sich in verschiedenen (Fuller, 1979). Händler �����������������������Mantou, nach denen ver- Museen. Mayr (1945) stellte sich schiedene Hybriden benannt wur- in der Tat die Frage, ob Hybriden den. Der Einfluss des Handels spie- häufig vorkommen. Aufgrund des gelt sich in der nicht zufälligen Ver- Umsatzes im Gefiederhandel kam Die Phänotypen der Hybriden teilung der anerkannten Hybriden er zu einer Schätzung von 1 Hybride innerhalb der Familie wider. Viele auf 20.000 Exemplare. Laman und Es ist lehrreich, die männlichen hybriden Vögel Hybriden hängen wegen ihres herr- Scholes (2012) berichteten, dass wegen ihres faszinierenden Erscheinungsbildes lichen Gefieders mit den Gattungen sie 40.000 Fotos von Paradiesvögeln (Phänotyp) zu untersuchen. Drei Kategorien von Paradisaea und Cicinnurus oder mit geschossen hatten (fast 75 Fotos pro Hybriden mit zunehmender Vielfalt sind aner- dem Kragenparadiesvogel zusam- Expeditionstag: 39.568/544). Wenn kannt: Hybriden innerhalb von Gattungen (intra- men. Hybriden waren selten, und sie durchschnittlich zwei Fotos von generisch), Hybriden verschiedener Gattungen, da man sie damals als neue Arten jedem Vogel machten, den sie zu aber derselben Kladen, und Hybriden zwischen ansah, schickte Lord Rothschild Ernst Gesicht bekamen (höchstwahr- Gattungen verschiedener Kladen. Fünf der sechs Mayr nach Neuguinea, um diese scheinlich ist das eine zu niedrige intragenerischen Hybriden, die alle zu den Kla- seltenen Paradiesvögel ausfindig zu Schätzung), dokumentierten sie den D und E gehören und von Frith & Beehler machen. Überraschenderweise fand etwa 20.000 Paradiesvögel. Auf der (1998) beschrieben wurden, gehören zu der Mayr kein einziges Exemplar. Laman Basis der Einschätzung von Mayr Gattung Paradisaea, nämlich der Captain-Blood- und Scholes (2012) berichteten über würde das gerade einmal einen Vogel (Raggi × Blau), der Duivenbode-Vogel ihre achtjährige Forschungsarbeit hybriden Vogel beinhalten. (Kaiser × Kleiner), der Gilliard-Vogel (Raggi × Kleiner), der Lupton-Vogel (Raggi × Großer) und der Maria-Vogel (Kaiser × Raggi). Die Hybriden sehen alle wie Mitglieder der Gattung Paradisaea aus, ihr Aussehen lässt sich zwischen dem ihrer Eltern einordnen. Der dramatischste ist – wegen des Inputs des Blauparadiesvogels – der Captain-Blood-Paradiesvogel (Abb. 6). Die einzige sonst bekannte intragenerische Hybride ist Barnes-Atrapia, eine Hybride der Schmalschwanz-Paradieselster und der Stepha- nieparadieselster. Diese Hybride weist ebenfalls eine Zwischenausprägung zwischen ihren beiden elterlichen Arten auf, einschließlich ihres präch- tigen Seidenschwanzes, der kürzer und breiter ist und deutlich weniger weiße Färbung hat als sein Namensvetter. Die gattungsübergreifenden Hybriden in- nerhalb eines Klades sind noch faszinierender. Acht Hybriden sind anerkannt. Es sind Vögel aus den Kladen C, D und E. Vier von den acht sind typische Hybriden. Die anderen vier stellen Hybridenpaare aus denselben Kreuzungen dar. Kreuzungen zwischen dem Breitschwanz-Para- dieshopf und der Fächerparadieselster brachten sowohl den Astrapia-Sichelschnabel als auch den Abb. 5 Mayrs (1945) Hybridisierungs-Schema der Paradiesvögel-Gattungen. In dem Schema Elliot-Vogel hervor. In ähnlicher Weise ergaben wurde die Anzahl der Kreuzungen mit anderen Gattungen farblich gekennzeichnet (schwarz: 1, blau: 2, rot: 3, gelb: 4). Die Gattung Craspedophora wird heute Ptiloris genannt. Nachdruck Kreuzungen zwischen dem Königsparadiesvogel mit freundlicher Genehmigung des Journals of Natural History.

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 9 Abb. 6 Captain-Blood- Paradiesvogel (Mitte), eine intragenerische Hybride zwi- schen dem Raggi-Paradies- vogel (Paradiseae raggiana, links)und dem Blauparadies- vogel (Paradiseae rudolphi). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in der Höhenlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

und dem Sichelschwanz-Paradiesvogel sowohl dieselster und der Astrapia-Sichelschnabel ein den König-von-Holland-Paradiesvogel als auch bisschen ähnlicher dem Fächerparadieselster. den Leierschwanz-Königsparadiesvogel (Abb. 7). Ebenso sieht der König-von-Holland-Vogel trotz Wie können solche Kreuzungen zwischen vieler Gemeinsamkeiten dem Sichelschwanz- denselben Arten zu unterschiedlichen Hybri- Paradiesvogel ein bisschen ähnlicher, und der den führen? Das kommt bei hybriden Tieren Leierschwanz-Königsparadiesvogel sieht dem gar nicht so selten vor. So erzeugen Pferde und Königsparadiesvogel etwas ähnlicher (Abb. 7). Esel Hybriden. Wenn ein männlicher Esel mit Einige intergenerische Hybriden innerhalb der- einer Stute gekreuzt wird, ist das Ergebnis ein selben Klade weisen gemeinsame Kennzeichen Maultier. Aber wenn die Geschlechter um- auf: einen gedrungeneren Körper und einen Abb. 7 Der���� K�önig-von-Hol�������������- gekehrt sind und ein Hengst mit einer Eselin einfarbigen dunkelpurpurroten Phänotypen. land-Paradiesvogel und der gekreuzt wird, ist das Ergebnis ein Maulesel. Das ist sowohl bei den Mantou- (Abb. 8) als Leierschwanz-Königspara- Ebenso wenn ein männlicher Löwe sich mit auch bei den Duivenbode-Reifel-Paradiesvogel- diesvogel (Mitte). Diese zwei intergenerischen Hybriden einem Tigerweibchen kreuzt, ist das Ergebnis ein Hybriden deutlich zu erkennen. haben beide intermediäre Liger, aber wenn ein männlicher Tiger sich mit Schließlich werden sieben kladenübergrei- Ausprägungen zwischen dem Königs-Paradiesvogel einer Tigerin kreuzt, entsteht daraus ein Tigon. fende Hybriden anerkannt. Es handelt sich um (Cicinnurus regius, links) In beiden Fällen sehen die Hybriden eher dem Kreuzungen zwischen Arten aus den Kladen B, und dem Sichelschwanz- männlichen Elternteil etwas ������������������ähnlicher.�������� Strese- C, D und E. Man kann bei diesen Kreuzungen Paradiesvogel (Diphyllodes maginificus). Die Verbrei- mann (1930) vermutete genau diese Situation deutlich einen Trend zu Hybriden mit gemein- tungsgebiete dieser Arten bezüglich der „Paare“ der hybriden Paradies- samen Kennzeichen erkennen. Wo man vielleicht überschneiden sich sowohl geografisch als auch in Be- vögel. Frith und Beehler (1998) bestätigten, bedeutende Unterschiede zwischen den ver- zug auf die Höhenlage. (Aus dass der Elliot-Vogel trotz vieler gemeinsamer schiedenen Hybriden erwartet hat, findet man Frith & Beehler 1998, mit Kennzeichen dem Breitschwanz-Paradieshopf erstaunliche ���������������������������������Ähnlichkeiten. Die m�������������eisten Hybri- freundlicher Genehmigung der Oxford University Press) ein wenig ähnlicher sieht als dem Fächerpara- den neigen zu einem gedrungenen Körperbau.

10 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 Abb. 8 Mantou-Reifelpa����������������- radiesvogel (Mitte). Die Gattungshybride zwischen dem Prachtparadiesvogel (Ptiloris magnificus, links)und dem Fadenhopf (Seleucidis melanoleucus). Die Verbrei- tungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in der Höhenlage. (Aus Frith & Be- ehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

Ebenso neigen sie zu einem dunkelpurpurroten verloren. Die sechs Nacken-Fadenfedern und Phänotypen, eine Beobachtung, die auch Stre- der Brustschild, der gelbe Kehllappen und die semann (1930) vermerkt hat. Die extremen, verlängerten Schwanzfedern – all das ist weg. bombastischen Züge scheinen bei den Hybriden Es bleibt nur noch ein sehr bescheidener, ein- abzunehmen. Der Wilhelmina-Vogel-Hybride farbig dunkelpurpurroter Vogel (Abb. 9). Der verliert die langen Nackenkronenfedern des mysteriöse Babairo-Vogel-Hybride verkörpert Kragenparadiesvogels und die farbliche Band- diesen Rückgang. Leider fehlt bei dem einzigen breite des Prachtparadiesvogels. Der Wunder- bekannten Exemplar der Schwanz. Vogel-Hybride verliert die kräftigen Farben Nur zwei weibliche Hybriden werden aner- und Drähte sowohl des Kleinen Paradiesvogels kannt. Beide sind kladenübergreifende Hybriden. als auch des Fadenhopfes. Der Bensbach-Vogel- Eine von ihnen, der Schodde-Paradiesvogel- Hybride verliert alle die leuchtend gelben und Hybride, zeigt Gefiedereigenschaften und Maße, weißen Flankenfedern und die Drähte des die genau zwischen denen seiner Eltern liegen. Kleinen Paradiesvogels sowie den markanten Die blauen Schwungfedern und Steuerfedern grünen Brustschild des Prachtparadiesvogels. des weiblichen Blauparadiesvogels scheinen Der Rothschild-Lappenschnabel-Paradiesvogel- das Braun der Hybride einfach verdunkelt zu Hybride hat nur noch eine bescheidene Brust- haben. Der zweiten weiblichen Hybride, dem rüsche und Nackenkrone, aber gewinnt viel Stresemann-Paradiesvogel-Hybride, fehlt haupt- an einfarbigem Dunkelpurpurrot dazu. Die sächlich ein Überaugenstreif (supercilium) und Männchen des Sechsdrahtigen Duivenbode- ein Wangenstreif. Die Hybride stellt vielleicht Vogel-Hybriden weisen eine ähnliche Zunah- eine Kreuzung mit einer Unterart des Kragenpa- me an Einfarbigkeit auf. Alles, was er noch von radiesvogels dar, bei dem diese auch fehlten. Auch seinen Eltern übrig hat, sind seine Fadenfedern hier sind Gefiedereigenschaften und Maße genau und ein ziemlich bescheidener Brustschild. Der zwischen den entsprechenden Kennzeichen ihrer Sharpe-Lappenschnabel-Strahlenparadiesvogel- Eltern angeordnet. Da weibliche Paradiesvögel Hybride hat in ähnlicher Weise an Ausdruck sehr viele Ähnlichkeiten zwischen den Arten

Abb. 9 Sharpe-Lappen��������������- schnabel-Strahlenparadies- vogel (Mitte). Die Gattungs- Hybride zwischen dem Arfak-Strahlenparadiesvogel (Parotia sefilata, links) und dem Langschwanz-Paradies- vogel (Paradigalla caruncula- ta). Die Verbreitungsgebiete dieser Arten überschneiden sich sowohl geografisch als auch in Bezug auf die Hö- henlage. (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press)

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 11 aufweisen, ist es verständlich, warum, verglichen Paradiesvögeln verwirklicht? Es ist ganz klar zu mit 23 männlichen Hybriden, nur zwei weibliche sehen, was zu erwarten wäre, wenn neue Arten anerkannt wurden. Die zwei weiblichen Hyb- durch präexistente genetische Programme und riden stellen kladenübergreifende Kreuzungen durch Verlust von Heterozygotie entstanden sind. dar, welche phänotypisch äußerst vielfältig sein Die Hybriden erzählen eine überzeugende, sollten. Sehr wahrscheinlich gibt es viel mehr schlüssige Geschichte: Die verschiedenen Arten weibliche Hybriden, aber sie sind im Feld nicht der Paradiesvögel haben trotz ihrer außeror- auszumachen. Genaue Sequenzierungsuntersu- dentlich vielfältigen Ausgestaltungen einen chungen stellen vielleicht die einzige Möglich- gemeinsamen Ursprung (Darwin, 1859, Frith keit dar, um diese faszinierenden Kreuzungen & Beehler, 1998). Die Vögel haben eine drama- zu identifizieren. tische Artbildung durchlaufen, eine Radiation, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch sexuelle Selektion gefördert und aufrechterhalten wurde Mutationen oder präexistente Programme? (Frith & Beehler, 1998; Safran et al., 2016), und die zu ihrer jetzigen Heterogenität führte. Der Die Paradiesvögel ermöglichen außergewöhnli- männliche Vorfahr dieser Vögel scheint ein In- che Einsichten in die phänotypische Vielfalt von dividuum gewesen zu sein, das im Aussehen den Hybriden. Aufgrund kommerzieller Interessen Manukoden nicht unähnlich war, besonders in für exotische Federn wurden Millionen von Bezug auf die gedrungene Form und die ein- Vogelbälgen gründlich untersucht. Auf der Su- heitlich dunkelpurpurrote Farbe. Die weiblichen che nach neuen Arten mit neuartigem Gefieder Hybriden zeigen keine Reversion zu einem wurden zahlreiche Hybriden entdeckt. Es ist monochromen dunkelpurpurroten Gefieder. unwahrscheinlich, dass jemals eine ähnliche Stattdessen behalten sie ein braunes und gestreif- Fundgrube natürlicher Hybriden verfügbar sein tes Bauchgefieder bei. Das lässt darauf schließen, wird. Was lehren sie über ihren Ursprung? Dazu dass die ursprünglichen Paradiesvögel vielleicht gibt es zwei konkurrierende Artbildungsmodelle: sexualdimorph waren. Mit fortschreitender Art- mehrfache vorteilhafte Mutationen (MVM) und bildung haben die monogameren Arten vielleicht präexistente* genetische Programme (PGP). Die diese Unterschiede verloren und bei den poly- beiden Modelle beinhalten unterschiedliche gyneren Arten haben sich diese Unterschiede Erwartungen an die phänotypische* Vielfalt, die eventuell erheblich verstärkt, insbesondere bei die Hybriden zeigen. Um diese Unterschiede den Männchen. vollständig zu erfassen, soll zwischen proximalen Hybriden (innerhalb von Gattungen) und dista- len Hybriden (gattungs- oder kladeübergreifend) unterschieden werden. Die genetische Familie der Wenn neue Arten durch Ansammlung vie- Paradisaeidae ler vorteilhafter Mutationen entstehen, ist zu erwarten, dass proximale Hybriden einige phä- Wodurch ist die Familie der Paradiesvögel defi- notypische Unterschiede aufweisen, während niert? Viele heutige Biologen sehen das eukary- distale Hybriden (die auf eine größere Anzahl otische Leben als einen einzelnen Lebensbaum von Mutationen zurückgehen) mehr phänoty- an – sie haben eine monoarboreale Perspektive; pische Vielfalt zeigen sollten. Wenn neue Arten das heißt: Alle Lebewesen stammen von einem jedoch durch präexistente genetische Programme einzigen Vorfahren ab. Diese Ansicht ist vor allem und durch Verlust von Heterozygotie entstehen, durch die �����������������������������������Überzeugung motiviert,�������������� dass es not- sollten proximale Hybriden einige phänotypische wendigerweise Vorfahrenarten bis zurück zu ei- Vielfalt zeigen, während distale Hybriden (die nem frühesten gemeinsamen Urahn geben muss. durch die Vermischung des Erbguts wiederum Eine Alternative zu dieser Auffassung geht davon ein größeres Ausmaß an Heterozygotie auf- aus, dass es die Vielfalt eukaryotischen Leben weisen) weniger phänotypische Vielfalt zeigen nicht in einem einzigen Baum dargestellt werden sollten. Wenn Heterozygotie wiederhergestellt kann, sondern in zahlreichen Bäume aufgeteilt wird, wird die Anzahl der Merkmalsausprägun- werden muss, d. h. – im Bild gesprochen – es gen zurückgehen; das Aussehen wird sozusagen gibt einen Wald. Bei dieser sylvanen Perspektive durchschnittlicher. Somit wird bei allen distalen hat jeder Baum einen separaten Ursprung. Das Hybriden eine verringerte phänotypische Vielfalt sylvane Konzept unterliegt nicht dem ver- erwartet. Außerdem ist allgemein zu erwarten, meintlichen Zwang, fragwürdige gemeinsame dass distale Hybriden eine Rückkehr zu einem Vorfahren zwischen den eukaryotischen Familien allgemeinen, anzestralen, pan-heterozygoten (trans-Evolution) darstellen zu müssen, umfasst Phänotyp aufweisen. Welche dieser zwei un- aber immer noch die evolutionären Prozesse terschiedlichen Möglichkeiten sind bei den innerhalb jedes Baumes oder jeder Familie (cis-

12 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 Evolution). Der im Rahmen des sylvanen Kon- min“ (geschaffene Arten) und Scherer (1993) zepts arbeitende Biologe konzentriert sich zum definierte „Grundtypen“ ebenfalls mithilfe von Beispiel auf die Beantwortung folgender Fragen: Kreuzungen; dabei weisen beide Begriffe auf die Wie sind Familien definiert, wie entwickeln sich genetische Familie hin. Die Fähigkeit, erfolgreich die Arten innerhalb der Familien, was bewirkt zu kreuzen, ist ein elegantes und nicht willkür- die Grenzen zwischen den Familien? Mendel liches Kennzeichen, um die Zugehörigkeit zu lieferte Antworten auf die Fragen, wie Arten einer genetischen Familie aufzuzeigen. Sie hat evolvieren und was deren Grenzen bewirkt, sich für Biologen oft als unersetzlich erwiesen, indem er die meiotischen Mechanismen der wenn sie Artengruppen nach Familienstatus Vererbung enthüllte. Die Reifeteilung (Meiose) sortieren wollen. ist der Grund dafür, dass das eukaryotische Leben Wenn die Kreuzbarkeit auch ein ausreichen- sylvan ist, also polyphyletisch (zahlreiche „Bäume des Mittel ist, um die Zugehörigkeit zu einer des Lebens“). Denn obwohl vielfach heterozy- Familie zu definieren, kann die Hybridisierung gote Gründerindividuen Ausgangspunkte für die innerhalb einer genetischen Familie doch durch Entstehung einer Vielzahl von Arten sein können eine Vielfalt von teilweise unüberwindlichen (durch Verlust der Heterozygotie), sind diese Züchtungsbarrieren sekundär eingeschränkt sein, reproduktiv von anderen genetischen Familien und sie lässt sich natürlich auch bei ausgestorbe- auf biologischer Inkompatibilitäten isoliert. Jede nen, nur fossil bekannten Arten nicht anwenden. Familie ist ein abgeschlossener Baum und das Ihre diagnostischen Möglichkeiten müssen daher Leben ist ein dicht besiedelter Wald. durch die Kladistik ergänzt werden (Bestimmung Mayr (1969, Kapitel 5) beklagte zwar einmal: des Verwandtschaftsgrades auf der Basis gemein- „Wie im Falle der Gattung und anderer höherer samer abgeleiteter Merkmale). Dabei werden die Kategorien ist es nicht möglich, eine verlässliche, Vergleiche verschiedener Arten mittlerweile vor nichtwillkürliche Definition der KategorieFami - allem anhand genomischer Sequenzierungen lie zu formulieren. Doch steht im Gegensatz dazu vorgenommen. Kladistik und die ihr zugrunde die Meiose, die eine nicht-willkürliche Grenze liegenden Sequenzvergleiche erfüllen Mayrs der Kategorie Familie verursacht. Dies führt Bedingung einer „nicht-willkürlichen“ Klassifi- zu natürlichen, praktischen und theoretischen zierung allerdings nicht. Sie sind willkürlich, weil Grenzen der Familien, die sich aus gemeinsamen sie keine grundsätzliche Abgrenzung zwischen Kompatibilitäten (Verträglichkeiten) ergeben. Taxon-Ebenen liefern, sondern nur retros- Bei der Meiose zeigt sich genomische Kompati- pektive und veränderliche subjektive Grenzen. bilität durch die Homologen-Chromosomenpaa- Sequenzvergleiche ergeben automatisch Phy- rung (Synapsis). Eine erfolgreiche Befruchtung logenien, selbst wenn die zugrundeliegenden zeigt an, dass die Genome von Samenzelle und Sequenzen nicht näher verwandt sind. Da die Ei miteinander kompatibel sind (Mengerink Taxonomie, insbesondere die phylogenetische & Vacquier, 2001), und wenn nachfolgend die Taxonomie immer mehr von Kladistik und Embryogenese durchlaufen wird, wird dadurch Sequenzuntersuchungen abhängt, unterliegt die Entwicklungskompatibilität bestätigt. Eine sie automatisch einer gewissen Willkür. Durch Familie, die durch eine unter natürlichen Bedin- umsichtigen Gebrauch der Kreuzungsfähigkeit gungen kompatible Meiose und Fruchtbarkeit als verlässliche Grundlage zur Bestimmung der gekennzeichnet ist, wird als genetische Familie „Familien“-Klade kann dieser Mangel einiger- bezeichnet, um sie von Familienkategorien zu maßen ausgeglichen werden. unterscheiden, die auf andere Weisen charakte- risiert werden. Die Anerkennung dieser leicht nachvollzieh- Kontinuierliche und diskontinuierliche baren taxonomischen Gruppierung hat unter Phylogenese Naturforschern eine lange Tradition. Mayrs (1969) oben erwähnte Klage wurde durch seine Die Paradiesvögel sind ein wunderbares Beispiel zusätzliche Beobachtung abgeschwächt: „Was ein dafür, wie die drei Methoden – Hybridisie- Laie als ‚Tierart‘ bezeichnen würde, ist oft eine rung, Kladistik, Sequenzvergleiche – einander Familie.“ Darwin (1859) war mit dem taxono- ergänzen, wenn es darum geht, den Umfang mischen Rang der Familie vertraut und erkannte ihrer genetischen Familie gut begründet zu ihn durchaus an. Wenn Familien auf der Basis diagnostizieren und zu definieren. Kladistische gemeinsamer genetischer Kennzeichen diagnos- Untersuchungen erlauben es schon seit langem, tiziert werden, dann können Hybridisierungen, eine Gruppe von Vögeln zu umschreiben, die die kompatible Genome voraussetzen, verwen- gut unter das Dach der Paradiesvögel passt. Es det werden, um diese höhere taxonomische gibt einige�������������������������������������� Vögel,�������������������������������� die vielleicht zu dieser Grup- Gruppe zu definieren. Marsh (1941) benutzte pe gehören, aber normalerweise ausgeschlossen die Hybridisierung zur Definition von „Bara- wurden. Und es gibt einige, die aufgenommen

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 13 „Sequenz-Ähnlichkeit“ mit Vögeln aus anderen Kladen in die genetische Familie der Paradiesvö- gel aufnehmen, aber solange keine Hybride mit Arten anderer Kladen beobachtet wird, bleibt die Einbeziehung in die Familie subjektiv.

Die Rolle der sexuellen Selektion (Auslese)

Die Familie der Paradiesvögel ist durch einen ausgeprägten Sexualdimorphismus gekennzeich- net, d. h. Männchen und Weibchen sind deutlich verschieden (Abb. 11). Die Weibchen tendieren zu einem deutlich weniger auffälligen Aussehen als die Männchen. Wenn man die Weibchen vergleicht, merkt man viel leichter, dass die Para- diesvögel monophyletisch sind, also eine einzige genetische Familie bilden. Der Phänotyp* der Männchen dagegen weist, besonders bei den Abb. 10 Ein�������������������� aktuelles Hybri- wurden, aber nicht wirklich dazugehörten. Mo- polygynen* Arten, eine erstaunliche Vielfalt auf. disierungsschema mit allen 41 Arten von Paradiesvö- derne Sequenzierungsstudien haben bestätigt, Im Allgemeinen wird das Herz der „Dame“ von geln. Die fünf blauen Kreise dass die drei Cnemophilinae-Arten und der dem Männchen mit der eindrucksvollsten Balz- stellen die fünf Kladen dar, Brillenparadiesvogel (Cracraft & Feinstein, 2000) die von Irestedt et al. (2011) darbietung erobert. Oft erobert das Männchen anerkannt wurden. Klade A sowie der Glanzflöter und der Lamprolia aus der letztendlich sogar das Herz der meisten anwe- ist mit dem Rest der Kladen Familie ausgeschlossen werden müssen (Barker senden Damen, besonders wenn das Balzgebiet nicht durch schwarze Linien verbunden. Die Kladen B-E et al., 2004; Irestedt et al., 2009). oder das Lek (ein Ort, wo mehrere Männchen werden als Kerngruppe der Wie können wir aber Sicherheit erlangen, gemeinsam ihre Darbietungen präsentieren) Paradiesvögel bezeichnet. wenn wir subjektive Methodologien anwenden? Jede Klade enthält eine optimal ist. Bei dieser Art der Fortpflanzungs- Anzahl von Arten. Arten Theoretisch wird die Sicherheit umso größer, strategie findet sicher eine sexuelle Selektion innerhalb derselben Gattung je größer die Anzahl der untersuchten Merk- durch die Auswahl statt, die die Weibchen treffen. berühren sich. Arten, die zu separaten Gattungen gehö- male bzw. der entsprechenden Gene ist. Die Man betrachtet die sexuelle Auslese als Quelle ren, sind separat dargestellt. Sequenzierung ganzer Genome wäre das beste des extremen Sexualdimorphismus und der Hybridisierungen zwischen Konzept, aber bezüglich der daraus abgeleiteten Arten oder Gattungen mit ihm verbundenen überreichen Artbildung innerhalb einer bestimmten Zugehörigkeit zu einer Familie handelt es sich (Speziation). Klade sind durch schwarze nur um eine statistische Herangehensweise, die Was aber ist sexuelle Auslese? Die natürliche Linien gekennzeichnet, die sich komplett inner- keine objektiven Grenzen aufzeigen kann. Ein Auslese ist seit Darwin allseits bekannt. In ihrem halb eines blauen Kreises umfassendes Mittel, die Verträglichkeit von Ge- Falle erfolgt die Auslese aufgrund der Umwelt- befinden. Interkladisch- nomen praktisch und sicher nachzuweisen basiert intergenerische Hybridisie- bedingungen, und ausgewählt werden die am rungen sind durch schwarze auf sämtlichen Merkmalen Abb. 10 zeigt eine besten an die jeweilige Umwelt angepassten Linien gekennzeichnet, die aktuelle Kreuzungsmatrix für die Paradiesvögel. Individuen. Die künstliche Auslese erfolgt seit zwischen blauen Kreisen verlaufen. Alle 24 Hybridisie- Es gibt viele intergenerische Gattungshybriden. den frühesten Anfängen der Land- und Vieh- rungen sind dargestellt. Die Die neun Hybriden von Arten verschiedener wirtschaft durch den Menschen. Hier hängt Abkürzungen der Artenna- Kladen verbinden die Kerngruppe der Para- men werden in Tab. 1 (S. 6) die Auswahl von wechselnden Vorlieben des erklärt. diesvögel deutlich zu einer genetischen Familie. Züchters ab, und so hat der Mensch mit Erfolg Sehr wenige Arten fallen heraus (d. h. sie sind z. B. den Wildkohl in alle möglichen Arten seiner nicht in einer gemeinsamen Gattung oder durch Lieblingsgemüse oder die Grauen Wölfe in eine Hybridisierung verbunden): der Wimpelträger, Fülle von Hunderassen verwandelt. Die sexuelle der Bänderparadiesvogel und die zwei Drepa- Auslese jedoch erfolgt durch das Wahlverhalten norniden. Die Einbeziehung dieser Arten in die des Partners, das heißt die angeborene Präferenz genetische Familie ist jedoch gesichert wegen des Partners, üblicherweise des Weibchens. Das des Ausmaßes ihrer passenden „Sequenz-Ähn- Weibchen wählt aus, was es sieht (oder auf an- lichkeit“ im Vergleich mit Schwesterarten, die dere Art wahrnimmt) und am meisten mag. Der zur selben Klade gehören und aufgrund ihrer Phänotyp ihres Nachwuchses und insgesamt Kreuzbarkeit klar zur Familie gehören. Die ein- der ganzen Art ist das Ergebnis ihres angebore- zigen verbleibenden Ausnahmen sind Arten in nen weiblichen Auswahlverhaltens. Vögel (und der Klade A. Man könnte sie auf der Grundlage andere Tiere) zeigen deutlich einen Sinn für von zwar reduzierter, aber noch genügend großer Schönheit und Formen. Wenn es auch schwie-

14 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 rig ist, dies experimentell nachzuweisen, kann man doch die hohe Wertschätzung der Ästhetik zum Beispiel bei der Nestwahl der Laubenvö- gel und ebenso bei der Auswahl des Gefieders und der Darbietungen bei den Paradiesvögeln beobachten. Unabhängig davon, ob diese Vögel bewusst wahrnehmen, was sie attraktiv finden, oder nicht – wenn die Weibchen vor die Wahl gestellt werden, treffen sie jedenfalls konsequente Entscheidungen. Vermutlich würden neue Phänotypen be- vorzugt werden, wenn sich die Launen der Weibchen ändern sollten. Man hat schon seit langem argumentiert, dass sexuelle Selektion zu positiver Rückkopplung führt, die wiederum rasche Artbildung fördert. Die Paradiesvögel gelten als hervorragende Beispiele dafür. Fisher (1971) beschrieb in seinem Buch „The Genetical Theory of Natural Selection“ (Die genetische Theorie der natürlichen Auslese) diesen Prozess als Modell einer rasanten sexuellen Selektion. Fisher stellte die Theorie auf, dass die Auslese eines Weibchens zu einem selbstverstärkenden oder „rasanten“ Prozess würde, sobald es eine Vorliebe für ein bestimmtes männliches Merkmal entwickelt hat (Fisher, 1971). Es wurden auch andere Formen der sexuellen Auslese vorgeschla- gen, zum Beispiel Indikatorsysteme, bei denen das gewünschte männliche Merkmal größere Tauglichkeit anzeigt („indiziert“) (Futuyma, 2013). Martin (2015) behauptete sogar, dass die Hybridisierung die Rolle der sexuellen Auslese Zufälliger oder geplanter Ursprung? Abb. 1 Sexualdimorphismus beim Schmuck-Paradiesvogel verstärke. Irestedt et al. (2009) stellten jedoch (Paradisaea decora). Das fest, dass die Artbildungsraten bei Paradiesvögeln All diese atemberaubende Schönheit und all Männchen ist oben. (J. G. mit denen jeder anderen Familien innerhalb der die großartigen, erstaunlichen Verhaltensweisen Keulemans, gemeinfrei) Kerngruppe der Rabenähnlichen vergleichbar werfen die Frage auf, woher das alles kommt. sind. Sie fanden keinen Hinweis, der vermuten Diese Frage zielt über den oberflächlichen ließ, dass die sexuelle Auslese rasche Änderungen Begriff der sexuellen Auslese hinaus. Sie geht im sexuell wirksamen Schmuck verursacht hätte. viel mehr in die Tiefe. Wenn irgendeine Auslese Die attraktive Idee der sexuellen Auslese, die im Spiel ist, muss zunächst einmal etwas da sein, auf eine Theorie Darwins zurückgeht (1871), ist was ausgelesen werden kann. Die wirkliche Frage in Bezug auf die Entstehung neuer Merkmale zu- lautet: Woher kam ursprünglich die genetische nehmend umstritten. In Wiens‘ (2001) Feldüber- (oder sonstige) Information, die diese ganze sicht wird klar über umgekehrte Trends berichtet: Schönheit und diese vielfältigsten Verhaltens- Kunstvolle männliche Merkmale gehen verlo- weisen zum Ausdruck bringt? Die beständige ren, manchmal häufiger, als sie dazugewonnen Wirkung der Auslese, sei sie sexuell oder nicht, werden. Und die weibliche Vorliebe wird����������� gerin- ist ein nachgelagertes Thema. Als Erstes müssen ger, geht ganz verloren oder stellt sich um. Wiens, wir den Ursprung der genetischen Grundlagen der nach alternativen Erklärungen sucht, kommt erforschen, die die erlesenen Darbietungen der zu dem Schluss: „Externe ökologische Faktoren Männchen und die dazu passenden Vorlieben der wie das reichlich vorhandene Nahrungsangebot Weibchen hervorbringen. in Neuguinea können vielleicht erklären, warum Üblicherweise werden hierbei zwei Modelle männliche Paradiesvögel in der Lage waren, ihre in Betracht gezogen, die auf zwei ganz unter- promiskuitiven Paarungssysteme, ihre großarti- schiedlichen Ansichten beruhen: Verursachung gen Gefieder und ihre kunstvollen Balzdarbie- durch viele glückliche Zufälle und Verursachung tungen zu entwickeln und aufrechtzuerhalten.“ durch planvolles Vorgehen (Design). Wenn glück- In Wirklichkeit erklären diese Beobachtungen liche Zufälle die Ursache sind, dann wäre nicht jedoch nur, wie dieses Schmuckgefieder bei- nur ein Ereignis, sondern es wären viele Ereig- behalten wird, nicht aber, wie es entstanden ist. nisse (bzw. aufeinanderfolgende Schritte) not-

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 15 Hilfe man die beiden Modelle bewerten kann. Diese Federn stellen wohl das Außergewöhn- lichste dar, was man je bei einem Vogel gesehen hat (Abb. 3). Federn an sich entstehen während der Embryogenese aus Hautpapillen (Erhebun- gen) mesodermalen* Ursprungs, die in der Haut von einer epidermalen* Scheide umgeben sind. Während des Wachstums der Hautpapille wird ihr zentraler Bereich abgebaut, so dass eine zy- lindrische Fadenfeder entsteht. Entlang dieser Röhre bilden sich Proteingradienten (z. B. des Proteins Shh). Diese Gradienten führen dazu, dass sich auf einer Seite ein Schaft bildet; seine Fahnen bilden ein Muster aus schmalen Streifen, welche durch programmierten Zelltod entstehen und eine sich wiederholende Reihe von Fe- derästen bilden. Proteingradientenmuster (z. B. von BMP2, BMP4 und Noggin) entlang jedes Abb. 12 Der Nacktkopf- wendig. Diese Zufallsschritte spiegeln vererbbare Paradiesvogel (Cicinnurus Federastes bewirken ihre Differenzierung in eine respublica). (Serhanoksay, Änderungen der DNS wider; z.B. Mutationen in Reihe von Nebenästen, auf der einen Seite mit CC BY-SA 3.0) proteincodierenden Regionen von Genen oder Häkchen (Hakenstrahlen) und auf der anderen in genregulierenden Regionen von Genen. Diese Seite ohne Häkchen (Bogenstrahlen) (Yu et al., Ereignisse dürfen nicht (oder nur sehr wenig) 2002; 2004). Dieses grundlegende Muster der Fe- schädlich sein, sonst würden sie durch die Auslese derbildung dient als Basis für alle verschiedenen aussortiert worden. Außerdem sind viele solcher Federarten: Konturfedern, Daunenfedern und Änderungen erforderlich. Wie Darwin (1859) Fadenfedern. Zur Herstellung der einzigartigen schrieb: „Natürliche Auslese wirkt nur, indem Wimpelfedern des Wimpelträgers ist nach dem SIE geringe aufeinanderfolgende Variationen zu PGP-Modell die Aktivierung dreier vorhandener ihrem Vorteil nutzt. SIE (Darwin personifiziert genetischer Programme erforderlich, die (1) die die Auslese in diesem Text – „she“ statt „it“ –, zwei spezifischen Federn stark verlängern, (2) deshalb diese Schreibweise) kann niemals einen die Bildung einer Federfahne entlang der einen großen, abrupten Schritt machen, sondern muss Seite des Schaftes dieser beiden Federn unter- sich in kurzen und sicheren, aber langsamen drücken und (3) deren Differenzierung entlang Schritten vorwärtsbewegen.“ Das ist das Modell der anderen Seite umstellen. der mehrfachen vorteilhaften Mutation (MVM), Mindestens drei weitere, bereits vorhandene welches mit Genduplikationen (Verdopplung genetische Programme sind ebenfalls erforder- von Genen) und weiteren derartigen Prozessen lich, die hier nur erwähnt werden; Programme, einer Veränderung verbunden wäre. die die Entwicklung von Vertiefungen in den Wenn aber Design die Ursache ist, geht Schädelknochen des Schädels der Spezies sicher- man davon aus, dass genetische Programme stellene, ebenso die Muskeln, die in diesen Vertie- schon in der DNS codiert sind. Sie steuern fungen sitzen, und die neuronalen Programme, die Entwicklung (bzw. spielen eine besondere die zur Betätigung dieser Muskeln erforderlich Rolle bei ihrer Regulation) und führen zu den sind, damit der Vogel während der Balz die bei- beobachteten komplexen morphogenetischen den massiven Federn vor und zurück schwingen und Verhaltenseigenschaften. Das ist das Modell kann (Frith and Frith, 1997; Frith und Beehler, der präexistenten genetischen Programme (PGP). 1998, Kapitel 2). Welches dieser zwei Modelle bietet die vernünf- Nach dem MVM-Modell sind diese Pro- tigste Erklärung für die in den verschiedenen gramme auch erforderlich. Doch deren Vor- Arten der Paradiesvögel ausgeprägten Vielfalt? handensein muss durch zahlreiche Mutations- ereignisse erklärt werden, die alle durch Zufall die Gene vieler Proteine passend verändern Mehrfache vorteilhafte mussten, so dass ihre kombinierten Funktionen Mutationen oder präexistente zusammenwirken konnten, um ein erforder- liches Programm zu erzeugen. Selbst ein ein- genetische Programme? ziges vorteilhaftes Mutationsereignis ist schon unwahrscheinlich, doch diese ganze Fülle an Die Wimpel des Wimpelträgers (seine modifi- vorteilhaften, aufeinander abgestimmten Mu- zierten Fadenfedern am Hinterkopf) bieten ein tationen ist extrem unwahrscheinlich. Es muss ausgezeichnetes praktisches Beispiel, mit dessen aber das Vorhandensein von nicht nur einem,

16 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 Abb. 13 Der Hybride (unten Mitte) aus dem Prachtpara- diesvogel (Ptiloris magnifi- cus, links) und dem Kleinen Paradiesvogel (Paradisaea minor, rechts) hat ein relativ „durchschnittliches“ Ausse- hen, was durch Dominanz und Epistasis erklärt werden kann, da dies zur Unterdrü- ckung der auffälligen Merk- male führen kann. (Näheres im Text) (Aus Frith & Beehler 1998, mit freundlicher Genehmi- gung der Oxford University Press)

sondern allen drei (bzw. sechs) genetischen Pro- zurück. Mit anderen Worten: Wiederum wird grammen (s. o.) erklärt werden. Es gibt nur eine die Verwendung von präexistenten genetischen vernünftige Möglichkeit, wie das MVM-Modell Programmen vorausgesetzt. funktionieren könnte: Die Information müsste im Wesentlichen schon an Ort und Stelle gewe- sen und auf irgendeine Weise kooptiert worden Weibchenwahl und die Entstehung der sein. Kooption (Neu-Nutzbarmachung) ist ein Arten evolutionäres Modell, nach dem genetische Ressourcen, die zur Ausprägung eines phäno- Der Wimpelträger zeigt nicht nur ein einzig- typischen Merkmals benutzt werden, später artiges Balzverhalten der Männchen, sondern zusätzlich verwendet, d. h. kooptiert werden, um auch ein sonderbar anspruchsvolles „Vorliebe“- zur Ausbildung eines anderen Merkmals beizutra- Verhalten der umworbenen Weibchen. Auch gen. Eine solche Lösung nutzt und bestätigt aber diese Merkmale erfordern eine Erklärung. Viele im Grunde die Stärke des PGP-Modells bzw. Paradiesvogelmännchen haben außergewöhn- läuft auf dieses Modell hinaus und verschleiert liche Balzrituale, zu denen einzigartige Balz- gleichzeitig die große Unwahrscheinlichkeit schauplätze, eine überwältigende Choreografie, des MVM-Modells. Denn es geht ja gerade von außerordentliche Laute (Vokalisationen) und präexistenten Programmelementen aus. sogar taktile Stimulation gehören. Die Weibchen Doch der Wimpelträger braucht noch mehr. zeigen ein erstaunlich wählerisches Auswahl- Auch der Rest des einzigartigen, reichen Gefie- verhalten und eine deutliche Übereinstimmung ders will erklärt sein. Die ausgewogene, attraktive in ihrer Vorliebe, welches Männchen genau die Anordnung des Gefieders, die koordinierte Re- beste Show abzieht. gelung von Tausenden von häufig individuellen Die Erforschung der molekularen Neuro- Federpigmentierungsmustern ist ein erstaunlich biologie dieser angeborenen Verhaltensformen komplexes Kennzeichen der�������������������� Vögel. Die Aktivie-Aktivie- steckt noch in den Kinderschuhen, man weiß rung präexistenter genetischer Programme kann ein bisschen über die Vokalisierung (Lautbildung) die definierte Verteilung der Melanozyten in der Vögel (Whitnex et al., 2014). PGP-Modelle bestimmten Federn und auf bestimmten Feder- liefern eine logische und vernünftige Erklärung strängen gut erklären (Lin et al, 2013). für das Vorhandensein all dieser unterschiedli- Das MVM-Modell ist überhaupt nicht geeig- chen Merkmale. Das MVM-Modell dagegen ist net, den Ursprung komplexer Gefiedermuster zu eine höchst unwahrscheinliche Erklärung. Die erklären, wie man sie bei den verschiedenen Pa- Anforderungen, die ein solch komplexes, gut radiesvogelarten beobachtet, es sei denn, es greift integriertes Verhalten beider Geschlechter an das auf eine Lösung auf der Grundlage der Kooption MVM-Modell stellt, sind im Grunde unerfüllbar.

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 17 angeboren ist: Nur der Beste ist gerade gut ge- Weibchenwahl: Beispiele für das PGP-Modell nug. Biologische Experimente bei verschiedenen Arten bestätigen diese Beobachtung. Weibliche Weibliche Fische der Gattung Xi- unabhängig davon, was in der Natur langschwänzige Widahvögel (Euplectes progne) ge- phophorus (Schwertträger, Abb. 14) vorkommt (Ryan, 1985). Für Ryan & zeigen eine ähnlich exotische Rand lag die Schlussfolgerung nahe, ben den Männchen mit den längsten Schwänzen Präferenz. �K�urzschwänzige���������������������� Schwert- dass die weibliche Vorliebe schon den Vorzug, selbst wenn diese unnatürlich lang träger ziehen männliche Artge- in dem gemeinsamen Vorfahren sind (Andersson, 1982). Diese Studien zeigen, nossen mit künstlich verlängerten der Froscharten vorhanden war dass Weibchen nicht durch die Selektion darauf Schwertschwänzen vor, welche (persönliche Korrespondenz, die „abgestimmt“ werden, die Schwanzlängen von in Wirklichkeit nur die Männchen bei Kirkpatrick & Ryan, 1991, zitiert realen Männchen zu bevorzugen, die zuvor in anderer Schwertschwanzarten be- wird). Andersson (1982) kam auch ihrem Erfahrungsbereich aufgetaucht sein könn- sitzen (Basolo, 1990). zu dem Schluss, dass die einfachste Weibliche Frösche der Gattung Erklärung für seine Beobachtungen ten, sondern schon so vorprogrammiert sind, dass Physalaemus zeigen auch ausge- bei den Widahvögeln der gemeinsa- sie die Männchen mit den längsten Schwänzen fallene Vorlieben. Bei der Art P. me Vorfahre sei. vorziehen, selbst wenn sie unnatürlich groß sind. coloradorum haben die Weibchen Alle diese Ergebnisse sprechen Wie oben bereits erwähnt wissen Fachleute eine Vorliebe für Paarungsrufe, für ein PGP-Modell, bei dem die die Stärke des PGP-Modells zu schätzen und er- die „Glucken“-Laute enthalten, Weibchen bei ihrer Wahl auf vor- kennen, dass das MVM sehr unwahrscheinlich ist. welche die Männchen ihrer Art handene genetische Information Studien über hybride Paradiesvögel sind gar nicht von sich geben. Doch die zurückgreifen. Ein MVM-Modell, bei Männchen von P. pustulus und von dem durch die Wahl der Weibchen diesbezüglich auch ziemlich aufschlussreich. P. petersi produzieren diese Laute. zahlreiche zufällige Mutationen Nur eine einzige Generation ist nötig, um Die weibliche Auswahl scheint ausgewählt werden, ist sehr un- durch Hybridisierung einzigartige, komplexe schon vorprogrammiert zu sein, wahrscheinlich. Merkmale zu verbergen. Was können wir von den Gattungshybriden lernen? Wären Gattungs- hybriden eine Kreuzung zwischen Elternarten, die nach dem MVM-Modell entstanden sind, wäre beim hybriden Phänotyp eine Mischung dieser MVM-Merkmale zu erwarten. Wenn jedoch die Gattungshybriden eine Kreuzung zwischen Elternarten wären, die nach dem PGP- Modell und durch meiotische Rekombination entstanden sind (bei denen neue rezessive und hypostatische Kombinationen von Merkmalen zum Vorschein kommen), würden die Hybri- den diese Merkmale wieder verbergen (weil sie durch Rezessivität oder Epistasis* verborgen wären). Gemeinsame dominante* und epistati- Abb. 14 Zwei Männchen (Zuchtformen) des Schwertträgers Xiphophorus helleri. (E. Schütte, sche Merkmale würden wieder zum Vorschein CC BY-SA 3.0) kommen. „MVM-Gattungshybriden“ zeigen bedeutsame phänotypische Vielfalt, aber „mei- Die Wahlentscheidungen des Weibchens sind so otische Gattungshybriden“ weisen bedeutende spezifisch und komplex, dass jede Abweichung phänotypische Ähnlichkeit auf, sie neigen auch beim Männchen sich fast immer als nachteilig bei verschiedenen Elternarten-Paaren zu einem erweisen würde. Solche Szenarien wie ausge- ähnlichen Phänotyp, der auf einen gemeinsamen prägte Selektivität, gefolgt von unerklärlichen Vorfahren hinweist. Die distalen Gattungshybri- Änderungen bei der Auswahl und zufällige Ver- den verbergen konsequent Merkmale und zeigen netzung mit attraktiven männlichen Neuheiten, einen gemeinsamen Phänotyp. Sie scheinen zu wiederum gefolgt von intensiver Selektivität, einer gemeinsamen Urform zurückzukehren. Das folgen einem extrem ausgeprägten Wunschden- wurde wiederholt bei den Hybriden beobachtet ken. Wieder einmal kann das MVM-Modell nur und es ist ein starker Beleg für meiotische Gat- gerettet werden, wenn man auf Kooption prä- tungshybriden und das PGP-Modell. existenter genetischer Programme zurückgreift. Paradiesvögel sind ein schlagkräftiges Argument für PGP und planvolles Vorgehen (Design). Sexualdichromatismus: Unterschiede in der Die Rolle des weiblichen Wahlverhaltens ist Färbung der Geschlechter auch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Wenn bei der Balz eine Anzahl von Weibchen anwesend Eine kürzlich von Gazda et al. (2020) durchge- ist, neigen sie nach Aussage vieler Feldforscher führte Studie über Sexualdichromatismus bei Ka- dazu, dasselbe Männchen auszuwählen. Das lässt narienvögeln zeigt überzeugend, dass Merkmale, vermuten, dass das weibliche Auswahlverhalten die mit sexueller Selektion verknüpft sind, auf

18 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 präexistente genetische Programme zurückzu- das sie auf Kanarienvögel übertragen konnten. führen sind und nicht auf mehrere vorteilhafte Die Alternative, der Versuch, den sexuellen Mutationen. Kanarienvögel (Serius canaria) sind Dichromatismus mit Hilfe von Mutagenen in sexuell monochromatisch, d. h. Männchen und die Existenz zu mutieren, hätte Millionen von Weibchen haben gleiche Körperfarben bzw. toten oder beeinträchtigen Kanarienvögeln zur -zeichnungen. Eine Schwesterart, der Rote Folge gehabt. Die logische Quelle für komple- Zeisig (Spinus cucullatus), ist jedoch sexuell di- xe phänotypische Merkmalsausprägungen wie chromatisch. Beide Arten gehören zum gleichen der Sexualdichromatismus zeigen, liegt nicht in Grundtyp, und Gazda et al. haben erfolgreich mehreren vorteilhaften Mutationen, sondern in eine dichromatische Hybride erzeugt, die sie mit präexistenten genetischen Programmen. Kanarienvögeln rückgekreuzt haben, die sorgfäl- tig auf Dichromatismus selektiert wurden. Mit jeder aufeinanderfolgenden Rückkreuzung wur- Der größere Zusammenhang de immer mehr vom Erbgut auf die Kanarien- vögel übertragen, bis sie einen dichromatischen Wie kann eine Familie wie die Paradiesvögel „Mosaik“-Kanarienvogel erzeugt hatten. Sie solch eine Überfülle an phänotypischer Vielfalt verglichen die DNA der Mosaik-Kanarienvögel aufweisen und doch aus einer Gruppe von Arten mit der von gewöhnlichen Kanarienvögeln, um mit präzise definierten Phänotypen bestehen? zu sehen, welches Segment für das dichromati- Das ist ein Problem, das Mendel elegant gelöst sche Merkmalsausprägung codierte. Sie fanden hat. Durch das Vorhandensein von alternativen ein einziges verursachendes Gen, BCO2, das Allelen* für jedes Gen sorgt Rekombination nach Mendel‘scher Art und Weise segregiert. Sein dafür, dass �����������������������������������mit der Zunahme der Anzahl der vor- Proteinprodukt, β-Carotin-Oxygenase 2, spaltet handenen Gene ein exponentieller Anstieg von Pigmentmoleküle (Carotinoide). Wenn es in sofort funktionellen und beständigen möglichen Federfollikeln weiblicher Vögel überexprimiert Phänotypen durch verschiedenste Kombinati- wird, führt es zu Pigmentmangel und zu ihrem onsmöglichkeiten einhergeht. Das wurde vor eintönigen Gefieder. Gazda et al. spekulierten, kurzem bei Schmetterlingen bestätigt (Wallbank dass diese durch das Vorhandensein von auf Ös- et al., 2016). Die Rezessivität vieler Allele erklärt trogen reagierenden regulatorischen Elementen wie die Informationen verborgener Merkmale in im BCO2-Gen verursacht sein könnte. den Nachfahren der heterozygoten Kreuzungen Die Kanarienvogelstudie zum Sexualdi- zur Ausprägung kommen. Je größer die Anzahl morphismus ist ein exzellentes Beispiel. Die der beteiligten Gene, desto vielfältiger sind die sexuelle Selektion verschafft der Art keine neuen Phänotypen – sowohl in Bezug auf die Anzahl Merkmalsausprägungen oder Merkmale, die den als auch auf die Komplexität. Theoretisch können sexuellen Dichromatismus erklären können. Der nur zwanzig variable Gene eine Million ver- hier aufgetretene Sexualdimorphismus resultiert schiedene Phänotypen hervorbringen, die sich aus dem Verbergen oder Verdecken phänotypi- jeweils in zwanzig Merkmalen unterscheiden. scher Merkmale beim Weibchen. Dieses Beispiel Eine sehr reichliche Artbildung lässt sich durch bestätigt, dass zunächst komplexe phänotypische diesen Mechanismus leicht erklären. Information vorhanden sein muss. Die Vögel besitzen präexistente genetische Programme, die vollständig für die auffällige Färbung der Wie die präexistente Vielfalt zum Vorschein Männchen verantwortlich sind und die eine kommen kann absolut notwendige Voraussetzung für den Sexu- aldimorphismus sind. Diese bereits vorhandene Rekombination beinhaltet drei Mechanismen, Information wird bei den modifiziert, so dass durch die neue Merkmale erscheinen können. sie latent wird, was ihrem eintönigen Gefieder Der erste Mechanismus, dessen Komplexität am und zum Sexualdichromatismus führt. Gazda geringsten ist, hat mit Dominanzverhältnissen zu et al. vermuten, dass der Dichromatismus eine tun. Oft ermöglicht ein dominantes Allel eine selektive Überexpression von östrogensensitiven Funktion, während das bei seinem rezessiven Enhancern* im BOC2-Gen in den Federfolli- Gegenstück nicht der Fall ist. So kann eine Feder keln erfordert. Diese sehr spezifische Veränderung eine charakteristische Farbvariante aufweisen ist keine Erklärung dafür, wie Gefiederfarben oder nicht. und -muster entstanden sind, sondern nur da- Der zweite Mechanismus betrifft die Epis- für, wie sie im Weiblichen selektiv unterdrückt tasis*, die auch Gen-Wechselwirkung genannt werden könnten. Schon in der Vorgehensweise wird. Das epistatische Gen unterdrückt das hypo- ihrer Studie nehmen Gazda et al. logischerweise statische Gen. Wenn beide Allele des epistatischen ein bereits existierendes genetisches Programm Gens rezessiv sind, wird die Unterdrückung beim Roten Zeisig an, und zwar ein solches, aufgehoben und die Merkmale des hypostati-

B-18-2 STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER | 19 schen Gens kommen zum Vorschein. Wenn das system, das periphere Nervensystem (PNS) und hypostatische Gen ein Hauptregulator eines prä- der vordere Kopf (Hall, 2009; Trainor, 2014). existenten genetischen Programms ist, wird ein Die Neuralleiste ist ideal angeordnet, um die bestimmtes phänotypisches Merkmal verborgen Kombination von Merkmalen zu vereinen, die bleiben, solange dieses Gen epistatisch unter- mit den Balzdarbietungen zusammenhängen. Das drückt ist, und zur Ausprägung kommen, wenn außergewöhnliche Balzverhalten der Paradiesvö- es freigegeben ist. Zum Beispiel können einfache gel ergibt sich aus der neuronalen Kontrolle des krautartige Pflanzenarten „schlafende“ verholzte PNS, die ein Produkt der Neuralleiste ist. Das Phänotypen ausbilden, wenn Suppressoren (un- schöne Gefieder der Paradiesvögel wird durch terdrückende Regulationsgene) inaktiviert sind das Pigmentsystem hervorgerufen, das eben- (Mitsuda et al., 2007; Zhang et al., 2014). falls aus der Neuralleiste hervorgeht. Und der Beim dritten Mechanismus geht es um mo- artspezifische Kopfschmuck der Paradiesvögel bile genetische Elemente. Diese können Allele entsteht bei der Schädelbildung, die ebenfalls inaktivieren oder sie können durch das Springen ein Produkt der Neuralleiste ist. Der letztere Be- an eine andere Stelle des Genoms (Transposition) reich umfasst auch artspezifische Schädelformen verborgene Merkmale zur Expression (Ausprä- zur Aufnahme der Muskeln für die Betätigung gung) bringen. Darum kann Wein rot oder weiß des Schmuckgefieders, einzigartige Schnäbel, und der Birkenspanner dunkel oder hell sein Kehllappen und Nasenbüschel sowie Stirn-, (Kobayashi et al., 2004; van’t Hof et al., 2016). Kopf- und Nackenkammfedern (Yu et al., 2004; Die Genialität dieses dritten Mechanis- Eames & Schneider, 2005). Diese Beziehungen mus liegt in seiner evolutionären Vielseitig- zwischen den verschiedenen phänotypischen keit. Änderungen sind reversibel, alternative Merkmalen, die primär für die Wechselwirkung Merkmale gehen also nicht für immer in der mit der Umgebung verwendet werden und die Abstammungslinie verloren, sondern können so markant bei den Balzdarbietungen der Para- wiederhergestellt werden. Außerdem unterliegen diesvögel benutzt werden, bieten einen logischen solche Änderungen nicht einfachen, zufälligen Grund, warum die Neuralleiste eine ansonsten Rekombinationsprozessen, sondern können auch unzusammenhängend erscheinende Serie von für Umgebungsbedingungen sensibel sein, also Kennzeichen hervorbringt. Die Neuralleiste durch Umweltreize hervorgerufen werden. Die macht das Wesen der Familie und die Unter- Transposition könnte im Zusammenhang mit scheidung der Arten sichtbar. Populationsengpässen stehen. Bei der Besiedlung von Inseln sind nur wenige Gründerindividuen notwendig. Deren genetische Homogenität Ursprung der Vielfalt könnte die Transposition����������������������������������� auslösen. Artaufspal- tungen (Radiationen) auf Inseln könnten auch Wo hat die phänotypische Vielfalt ihren Ur- von Triggersignalen wie z. B. Umweltstressoren sprung? Es gibt wie oben erläutert zwei Mög- abhängen. Eine Kombination dieser drei Me- lichkeiten, die üblicherweise diskutiert werden: chanismen, die die Expression der PGP regeln, mehrfache vorteilhafte Mutationen (MVM) oder bietet eine plausible Erklärung für die phänoty- präexistente genetische Programme (PGP). Die pische Vielfalt, die man bei den Paradiesvögeln erstere weist auf den Zufall in der Natur hin, beobachtet. die zweite auf Plan (Design) und Kunstfertig- keit. Die Paradisvogelforscher Laman & Scholes (2012) erinnern uns daran, dass Darwin über die Komplexe Synergie und die Neuralleiste Schwanzfeder des Pfaus schrieb: „Wenn ich sie betrachte, wird mir schlecht!“ (Darwin, 1911). Bei den Paradiesvögeln stellt die Verbindung Sie meinten, dass ihm wohl die verschwenderi- zwischen dem Gefieder, der Balzausstattung und sche Schönheit der Federn zu schaffen machte. dem Verhalten der Männchen und den Vorlieben Warum sollte so etwas Schönes wie eine Pfau- der Weibchen eine komplexe Synergie dar. Diese enfeder Darwin Bauchgrimmen verursachen? Synergie könnte zwar rein theoretisch auf eine Ist es nicht wahrscheinlicher, dass ihm der komplexe Art und Weise zufällig entstanden sein. Versuch, ein schwieriges Evolutionsproblem Das PGP-Modell ermöglicht jedoch eine ele- zu lösen, Kopfschmerzen bereitete? Könnte es gantere, harmonischere Erklärung, insbesondere sein, dass Darwin angesichts der Schönheit der wenn diese Synergie unter der Kontrolle einer Feder Gewissensbisse hatte? Hier hatte er einen einzigen Struktur steht. Eine solche Struktur eindeutigen Beweis für Design, für eine kunst- könnte die Neuralleiste* sein. Diese embryonale fertige Ausführung. Sein Argument der sexuellen Struktur bringt eine ganze Reihe von phänoty- Auslese ist als Erklärung für den Ursprung der pisch markanten Körpermerkmalen hervor. Aus phänotypischen Vielfalt bei den Paradiesvögeln ihr entwickeln sich drei Komplexe: das Pigment- unzureichend. Das Konzept der sexuellen Auslese

20 | STUDIUM INTEGRALE SPECIAL PAPER B-18-2 bestätigt wie oben dargestellt die Stärke des PGP- African endemics span the tree of songbirds (Passeri): Modells, verschleiert aber gleichzeitig die große molecular systematics of several evolutionary ‘enigmas’. Proc. R. Soc. B 272, 849-858. Unwahrscheinlichkeit des MVM-Modells. Nur CITES (2015) Revised nomenclature for four of wenn die Schönheit tatsächlich schon vorhanden -of-paradise (Paradisaeidae). AC28 Doc. XX. ist, kann die sexuelle Auslese auf sie einwirken. Cracraft, J. and Feinstein, J. (2000) What is not a bird pf paradise? Molecular and morphological evidence places Warum gibt es so viele einzigartige, aufwän- Macgregoria in the Meliphagidae and the Cnemophili- dige und schöne Arten in einer einzigen geneti- nae near the base of the corvoid tree. Proc. R. Soc. Lond. schen Familie? Warum zeigt diese Familie einen B 267, 233-241. Darwin, C. (1859) On the origin of species by means of so großen und zusammenhängenden Bereich natural selection, or the preservation of favoured races vogelphänotypischen Potenzials: Balzschauplätze, in the struggle for life. John Murray, London. verblüffende Choreografie, einzigartige Laute, Darwin, C. (1871) The descent of man and selection in relation to sex. John Murray, London. leuchtendes Schmuckgefieder, zarte Fadenfedern, Darwin, F. (1911) Letter to Asa Gray dated April 3rd, 1860. eindrucksvolle Schwänze und sogar Stimulation The Life and Letters of Charles Darwin, Vol. II. D. Ap- durch Berührung? Auch die Weibchen tragen pelton and Co., New York and London. Eames, F.B. and Schneider, R.A. (2005) Quail-duck chi- ihren Teil dazu bei. Sie haben einen erlesenen meras reveal spatiotemporal plasticity in molecular and Geschmack bei der Partnerwahl, sind aber den- histogenic programs of cranial feather development. noch durchaus in der Lage, Hybriden zu erzeu- Development 132, 1499-1509. Fisher, R.A. (1971) [1935]. The Design of Experiments (9th gen. Die Familie der Paradiesvögel zeigt auch, ed.). Macmillan, New York, New York. dass die sexuelle Auslese eine bedeutende Rolle Frith, C.B. and Beehler, B.M. (1998) The Birds of Paradise. bei der Erhaltung dieser Merkmale spielt. Es ist Oxford: Oxford University Press. Frith, C.B. and Frith, D.W. (1997) Courtship and Mating of als ob die Familie einen ornithologischen Aus- the King of Saxony Bird of Paradise Pteridophora alberti druck des Konzepts des Liebeswerbens darstellt. in with Comment on their Taxonomic Die Kerngruppe der Paradiesvögel zeigt das sehr Significance. EMU97 , 185-193. Frith, C.B., and Frith, D. (2009) The Paradisaeidae. In, Hand- deutlich. Das Posieren der Manukoden bei der book of the Birds of the World, Volume 14, Bush-shrikes Balz und ihre äußerst extravangante Luftröhre, to Old World Sparrows; eds. 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Paradiesvögel verkörpern die Idee mating preferences and the paradox of the lek. Nature 350, 33-38. des Liebeswerbens auf wunderbare Weise – sei Kobayashi, S., Goto-Yamamoto, N. and Hirochika, H. (2004) es durch die zufälligen Launen der Natur oder Retrotransposon-induced mutations in grape skin color. sei es durch zweckgerichtetes Design, wobei das Science 304, 982. Letztere wesentlich wahrscheinlicher ist. Laman, T. and Scholes, E. (2012) Birds of paradise. National Geographic, Washington, DC and Cornell Lab of Or- nithology, Ithaca, New York, USA. Le Douarin, N.M. and Dupin, E. (2014) The neural crest, a fourth germ layer of the vertebrate embryo: significance Quellen in evolution. In: Trainor, P.A., ed. Neural crest cells. Evolution, development and disease; Academic Andersson, M. (1982) Female choice selects for extreme tail Press, London; pp 3-26. length in a widowbird. Nature 299, 818-820. 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