Heft 2, Juni 2013 / 93. Jahrgang E 1459

Badische Heimat Mein Heimatland ISSN 0930-7001 Zeitschrift für Landes- und Volkskunde, Natur-, Umwelt- und Denkmalschutz

IMPRESSUM Gesamtherstellung: Rombach Verlag Herausgeber Unterwerkstraße 5 Landesverein Badische Heimat e. V. 79115 Freiburg i. Br. Hansjakobstr. 12 E-Mail: [email protected] 79117 Freiburg Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig Landesvorsitzender: Dr. Sven von Ungern-Sternberg Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Verkaufs- Chefredakteur: preis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Heinrich Hauß, Weißdornweg 39, 76149 Tel.: (07 21) 75 43 45 Jahrespreis für Einzelmitglieder 32,– €. Preis des Heftes Fax: (07 21) 92 13 48 53 im Einzelverkauf für Nichtmitglieder 11,50 €. Nachbe- stellung eines Heftes für Mitglieder 8,– €. Geschäftsstelle: Haus Badische Heimat Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind ausschließlich Hansjakobstr. 12, 79117 Freiburg deren Verfasser verantwortlich. Für unverlangte Manu- Tel. (07 61) 7 37 24, Fax (07 61) 7 07 55 06 skripte, Bildmaterial und Besprechungsstücke wird keine Geschäftszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00–12.00 Uhr Haftung übernommen. Rücksendung bei unangeforder- Internet: www.badische-heimat.de ten Manuskripten erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. E-Mail: [email protected] Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung behält sich der Landesverein vor. Veröffentlichte Manuskripte Zahlstellen des Landesvereins: gehen in das Eigentum des Landesvereins über. • Postbank Karlsruhe Kto.-Nr. 16468-751 Redaktionsschluss für Heft 3 / 2013: 15. Juli 2013 BLZ 660 100 75 • Sparkasse Freiburg – Nördl. Breisgau Die Herausgabe dieser Zeitschrift Kto.-Nr. 2003201 wird vom Land Baden-Württemberg, BLZ 680 501 01 vertreten durch das Regierungsprä- sidium Freiburg, unterstützt.

Titelbild: Heinrich Hübsch, Torbogen im Botanischen Garten, Karlsruhe Aus einem 1754 begonnenen Blumen- und Küchengarten schuf Hübsch Mitte des 19. Jahrhunderts den neuen Gar- ten mit Kunsthalle und Gewächshäusern. Das Gesamtkunstwerk von Architektur und Garten bildet ein noch heute zu bewunderndes Meisterwerk von europäischem Rang (KulturRegion Karlsruhe) Foto: Landesmedienzentrum

265_Impressum.indd 265 04.06.2013 22:20:00 Inhalt

EDITORIAL Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht Editorial Klaus P. Oesterle ...... 348 Sven von Ungern-Sternberg ...... 268 »Feinler, der unstete Landsmann« Hinweise Leben und Leiden eines badischen zur vorliegenden Publikation Priesters in Amerika Heinrich Hauß ...... 270 Johannes Werner ...... 354 AUFSÄTZE Das Haus, das Ruhe ist René Bossert ...... 359 Die Protokolle des Badischen Land- tags in digitaler Form Der Beitrag der Badischen Landes- GEDENKTAGE bibliothek zum Landesjubiläum BADISCHER GESCHICHTE Ludger Syré ...... 272 13. Januar 1813 Gründung der »Ver- Der Verein »Rhin Vivant« einigten Handelsstube« in Karlsruhe Clemens Glunk ...... 285 Zunächst ein »geselliger Zirkel« Heinrich Hauß ...... 364 Die bilinguale Grundschule in Kappel-Grafenhausen 450 Jahre Heidelberger Katechismus: Modell einer deutsch-französischen Am 19. Januar 1563 unterschrieb Zusammenarbeit Friedrich III. (1515–1576) das Pierre Klein ...... 290 Vorwort zum Katechismus Heinrich Hauß ...... 366 Maria Ursula Gött, geb. Schneller, die Mutter des Dichters Emil Gött Heinrich Hübsch – Der große badi- Biographie einer unehelichen Mutter sche Baumeister der Romantik (1843–1927) 9. Februar 1795 – 3. April 1863 Renate Liessem-Breinlinger ...... 294 Heinrich Hauß ...... 368

Carl Peter Pflästerer (1888–1961) AKTUELLE INFORMATIONEN Ein badischer Baumeister für Karlsruhe Redaktion: Heinrich Hauß – zum 125. Geburtstag Rolf Fuhlrott ...... 301 Kulturdenkmal »Falkensteiner Kapelle« in Schramberg – Altar- Wie Natur und Kultur sich begeg- plastik »Beweinung Christi« nun nen: Der Leimbach unter Kulturgutschutz ...... 371 Uwe Heidenreich, Dr. Sybille Heidenreich ...... 316 Ettenheim: Zwei Gräber aus der Glockenbecherzeit entdeckt ...... 371 War die Württembergische Bauord- nung von 1568 ursächlich für den Gräberfund auf dem Gelände Gutacher Haustyp? des ehemaligen Kartäuser- Heinz Nienhaus ...... 328 klosters in Freiburg ...... 371

266 Inhalt Badische Heimat 2 / 2013

266_Inhaltsverzeichnis.indd 266 04.06.2013 22:22:55 Insolvenz des Flugplatzes in Lahr .. 371 Drei-Länder-Netzwerk Geschichtsvereine am Oberrhein .. 377 Interreg IV-Programm »Archivum rhenanum«. Fünf Archive am Tourismus-Report: Oberrhein stellen ihre Dokumente Klares Markenbild herausstellen: ins Internet...... 371 Mannheim und Freiburg ...... 379 Mannheim: Bewerbung für die Aus- Friederike-Brion-Jahr 2013: richtung der Bundesgarten- Gemeindepartnerschaft zwischen schau 2023 ...... 372 dem elsässischen Sessenheim und dem badische Meißenheim ...... 379 Erweiterungsbau des Unter- lindenmuseums in Colmar ...... 372 Gegner von Wind- und Sonnenkraft gründen Dachverband ...... 380 Heidelberg: Kreativwirtschaftzent- rum in der alten Feuerwache ...... 372 Staatsekretär J. Walter zur Erweite- rung der Kunsthalle Karlsruhe .... 380 und Kehl rücken städte- baulich zusammen ...... 372 Thema des Tages des offenen Denk- mals 2013: »Jenseits des Guten und Keine Mehrheit für geplante Schönen. Unbequeme Denkmale« . 380 Gebietsreform im Elsass ...... 372 250 Jahre Wunderkindreise: »Der Nationalpark wird kommen. Die Vom 12. bis 14. Juli weilte die spannende Frage lautet nun: Wo?« 373 Familie Mozart in Bruchsal ...... 381 Vorstellung des Gutachtens in Willi Stächele Wildbad: Störmanöver statt Präsident des Oberrheinrates...... 381 sachlicher Diskussion ...... 374 Fünf Castoren für das PERSONALIA Zwischenlager Philippsburg ...... 374 Zum 90. Geburtstag von Präsentation des Gutachtens zum Dr. Leonhard Müller...... 381 Nationalpark in Ottenhöfen ...... 375 Manfred Bosch zum 65. Geburtstag 383 Gewann »Wolfswinkel« als Platz Dr. Wolfram Metzger für ein neues Fußballstadion ...... 375 (11.3.1943 – 22.1.2013) ...... 383 Regionalkonferenz der Paul Wehrle im Alter von Technologieregion für Erhalt des 89 Jahren gestorben ...... 384 SWR-Standorts Baden-Baden ...... 375 Prof. Dr. Rainer Wirtz 1943–2013 .. 385 Rivalität zwischen Baden und Würt- temberg schwindet immer mehr ... 375 Ex-Umweltminister Harald B. Schäfer verstorben ...... 385 Ein neuer Standort: CampusOne der Musikhochschule Karlsruhe ... 376 Verleger Rudolf Röser gestorben .... 386 Das Speyerer Evangelistar. Benediktinerpater Marquard Herrgott Meisterwerk der Buchmalerei als starb vor 251 Jahren ...... 387 Meisterwerk der Faksimilierkunst . 377 AUS DEM VERLAG 75 Jahre Eisenbahn in Baden: Klammer für das in napoleonischer Dr. Torang Sinaga ...... 390 Zeit künstlich gebildete Groß- herzogtum ...... 377 GESCHÄFTSSTELLE Heinrich Hauß: Klimaschutzpreis »Climate First« der 30 Jahre Redaktionsleitung Stadt Freiburg für die päd agogische ...... 391 Arbeit des fesa e. V...... 377 für die Badische Heimat In eigener Sache ...... 393 Über die Grenze mit dem Geschichts- und Kulturkreis Neuenburg ...... 377 Buchbesprechungen ...... 396

Badische Heimat 2 / 2013 Inhalt 267

266_Inhaltsverzeichnis.indd 267 04.06.2013 22:22:56 Editorial und Hinweise

Editorial

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

hinter uns liegt das Jubiläumsjahr »900 Jahre Baden«. Wir haben daher 2012 ein Schwerpunktheft herausgegeben, das auch in Verbindung mit der Landesaustellung in Karlsruhe großen Anklang und rege Verbreitung ge- funden hat. Zusätzlich haben wir ergänzend zur Landesaustellung in Karlsruhe in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der von Professor Robert Mürb geführten »Landesvereinigung Baden in Europa« eine Vortragsreihe un- ter dem Motto »Baden hält sich« durchgeführt. Dem geistigen Kopf und konzeptionellen Koordinator, unserem Beirat Professor Paul-Ludwig Weinacht, ist es gelungen, hervorragende Referenten zu entscheidenden Fragen der badischen Geschichte zu gewinnen. Ihm möchte ich herzlich danken und zugleich gratulieren zu dem wichtigen Band 4 unserer Schrif- tenreihe »Politische Kultur am Oberrhein«. Es sind hochinteressante Stu- dien zur Geschichte Badens, die wir kurz vor Weihnachten in Freiburg der Öff entlichkeit präsentieren konnten. Dank auch an Heinrich Hauß, der mit großem Engagement die sehr gelungene Vortragsreihe in Karls- ruhe weitgehend moderierte. Ich freue mich sehr, dass wir diese Vorträge als Schwerpunktheft 1 des Jahres 2013 allen Mitgliedern des Landesver- eins zugänglich machen konnten. Zudem erscheint in limitierter Aufl age die Vortragsreihe in gebundener Form als Band 5 unserer Schrift enreihe. Beide Bände sind bei der Geschäft sstelle erhältlich. Das Jahresende 2012 wird in die Geschichte der Badischen Heimat als eine folgenreiche Zäsur eingehen. Beim G. Braun Buchverlag in Karlsruhe, mit dem uns eine fast hundertjährige Zusammenarbeit verbindet, gab es wichtige personelle und konzeptionelle Veränderungen. Vor allem sah sich die Lektorin Dorothee Kühnel veranlasst, im Dezember 2012 zu kündi- gen. Die vertrauensvolle jahrelange Zusammenarbeit zwischen Heinrich Hauß und Dorothee Kühnel war in der zurückliegenden Zeit ein Garant für die Qualität unserer Vierteljahresheft e. Heinrich Hauß ist nunmehr über 30 Jahre lang Chefredakteur unserer Zeitschrift – ein Glücksfall für die Badische Heimat. Nahezu »aus dem Stand« haben wir in wenigen Ta- gen in konstruktiven Verhandlungen mit dem Freiburger Rombach Verlag

268 Sven von Ungern-Sternberg Badische Heimat 2 / 2013

268_Editorial Ungern-Sternberg.indd 268 04.06.2013 22:24:37 einen neuen Partner gefunden, der die bisherige Zusammenarbeit unseres bewährten Redaktionsteams auch künft ig ermöglicht. Bei verbesserten Konditionen erscheinen zudem unsere Heft e durchgehend farbig. Und Sie erkennen zugleich, dass mit dem Heft 1/2013 bereits eine (behutsame) mo- derne Änderung des Erscheinungsbildes vorgenommen wurde. Dieses Jahr ist am 9. April in Donaueschingen wiederum zusammen mit dem Schwäbischen Heimatbund und der Stift ung Wüstenrot der baden- württembergische Denkmalschutzpreis verliehen worden. Festredner war Staatssekretär Ingo Rust. Zudem Dank gebührt unserem Beiratsmitglied Gerhard Kabierske, der erneut souverän die Jury geleitet hat. Die Veran- staltung war ein voller Erfolg und eine gute Werbung für die Denkmal- pfl ege. Bemerkenswert war, dass von den fünf Preisträgern vier aus dem (süd-)badischen Raum kamen.

mit herzlichem Gruß

Dr. Sven von Ungern-Sternberg Landesvorsitzender

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268_Editorial Ungern-Sternberg.indd 269 04.06.2013 22:24:37 Hinweise zur vorliegenden Publikation

Der Badische Landtag bildet eine Tradition, auf die man sich heute mit Stolz beruft . Als Beitrag zum zweifachen Jubiläumsjahr 2012 hat die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe die erste Tranche der Protokolle des Badischen Landtages digitalisiert und ins Internet gestellt. Bis Ende 2013 soll das gesamte Werk, das die Zeit von 1919 bis 1933 umschließt, im Internet zur Verfügung stehen. Ludger Syré berichtet von der für die Badische Heimat wichtigen Arbeit. Zwei Aufsätze beschäft igen sich mit der Zusammenarbeit am Ober- rhein: Clemens Glunk mit dem Verein »Rhin Vivant« und Pierre Klein stellt ein Modell deutsch-französischer Zusammenarbeit vor. Die Badi- sche Heimat teilt das Motto der Aufsätze: »Der Oberrhein wächst mit je- dem Projekt zusammen.« Nachdem Heft 1/2012 ausschließlich den Vorträgen zu »Wegmarken in der badischen Geschichte« gewidmet und das Heft so gestaltet wer- den musste, dass es deckungsgleich mit der Buchpublikation war, ist Heft 2/2013 wieder verschiedenen Th emen gewidmet. Was den Th emenkreis Personen in diesem Heft betrifft , so weisen wir auf folgende Aufsätze hin: Renate Liessem-Breinlinger erinnert an eine außergewöhnliche Frau mit einem ungewöhnlichen Lebenslauf – Maria Ursula Gött. Anlässlich des 125. Geburtstages versucht Rolf Fuhlrott eine Würdigung des Leiters des Stadtplanungsamtes Karlsruhe, Carl Peter Pfl ästerer. Er kommt zu dem Schluss, dass Pfl ästerer, trotz seiner Brüche, zur rechten Zeit an der rich- tigen Stelle beim Wiederaufb au und Ausbau der Fächerstadt gewesen sei. Johannes Werner rekonstruiert die Lebensgeschichte des deutsch-ame- rikanischen Priesters Franz Feinler. René Bossert würdigt den Schwarz- waldmaler Albi Maier. Heinz Nienhaus beschäft igt sich in seinem Aufsatz mit Haustypen. Schließlich geht das Autorenteam Heidenreich dem Th ema von Natur und Kultur nach. In der Sparte »Personalia« wird anlässlich des 90. Geburtstages das Engagement für die badische Geschichte von Dr. Leonhard Müller ge- würdigt. Der Lebensarbeit des Karlsruher Verlegers Rudolf Röser und des Volkskundlers Wolfram Metzger gedenken wir in diesem Heft mit Dankbarkeit.

270 Heinrich Hauß Badische Heimat 2 / 2013

270_Editorial 2Hauss.indd 270 04.06.2013 22:26:03 Im Sinne einer »Kulturpolitik«, die Ereignisse und Personen der badi- schen Geschichte zum Anlass der Erinnerung nimmt, sei auf die Grün- dung der Handelsstube in Karlsruhe, den Heidelberger Katechismus und den 150. Todestag des badischen Architekten der Romantik Hein- rich Hübsch hingewiesen. Klaus Oesterle erinnert an die so genannte Zabernaff äre im November/Dezember 1913. In den »Aktuellen Informationen« versuchen wir im Sinne eines ba- dischen Gesamtzusammenhanges, Ereignisse, Vorhaben und Tendenzen im badischen Landesteil den Leserinnen und Lesern ins Bewusstsein zu bringen.

Die Redaktion

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270_Editorial 2Hauss.indd 271 04.06.2013 22:26:03 Aufsätze Die Protokolle des Badischen Landtags in digitaler Form Der Beitrag der Badischen Landesbibliothek zum Landesjubiläum

Ludger Syré

In den Protokollen der Großherzoglichen Ständeversammlung bzw. des Badischen Landtags spiegelt sich die erfolgreiche parlamentarische Tradition des Landes seit Verkündung der Ver- fassung 1818 und dem Zusammentritt der ersten Volksvertretung 1819. Die Badische Landes- bibliothek hat deshalb diese zentrale historische Quelle digitalisiert und 2012 als ihren Bei- trag zum Landesjubiläum ins Internet gestellt. Das über 600 Bände umfassende Werk, das in vollständiger Form nur in wenigen großen wissenschaft lichen Bibliotheken einsehbar ist, steht nun unabhängig von Ort und Zeit allen Fachleuten und geschichtsinteressierten Laien zur Verfügung. Die Sitzungsprotokolle dokumentieren zum einen die Geschichte des Badischen Landtags, die 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu Ende ging; zum ande- ren sind sie für zahlreiche Einzelfragen der Geschichte Badens eine ergiebige historische Quelle.

Landtag und Landesbibliothek die Zweite Kammer der Ständeversammlung 1822 in das neu errichtete Ständehaus einzog, Zu den vielen Errungenschaft en der neun- besaß Baden das erste eigene Parlaments- hundertjährigen Geschichte Badens gehört gebäude in Deutschland. Infolge der Wahl- ganz gewiss die parlamentarische Tradition, rechtsreform von 1904 wies Baden das mo- die im frühen 19. Jahrhundert mit der Etablie- dernste Wahlrecht unter den deutschen Staa- rung der Ständeversammlung des Großher- ten auf; am Vorabend des Ersten Weltkriegs zogtums Baden begründet worden ist. Diese galt das sogenannte »vierschwänzige« Wahl- Volksvertretung, die 1918 in Badischer Land- recht (allgemein, gleich, direkt und geheim) tag umbenannt wurde, zeichnete sich wie- nur in Baden, in Württemberg und bei der derholt durch Merkmale aus, die Baden aus Reichstagswahl, freilich hier wie dort vorerst dem Kreis der übrigen deutschen Länder her- nur für die männlichen Einwohner. Mit der vortreten ließen: Mit der am 22. August 1818 nach dem Sturz der Monarchie in Windes- erlassenen Verfassung war Baden fast allen eile neu entworfenen Verfassung eilte Baden anderen deutschen Ländern zeitlich voraus- erneut den übrigen deutschen Ländern vo- geeilt. Diese Verfassung galt zu ihrer Zeit als raus und ließ über die Verfassung sogar vom modernste und fortschrittlichste unter den Volk abstimmen. Neben der Herabsetzung Konstitutionen der deutschen Länder. Als des Wahlalters auf 20 Jahre sah die neue Ver-

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 272 04.06.2013 22:28:35 denen die Protokolle der Ständeversammlung bzw. des Landtags einen hervorragenden Platz einnehmen.1 Für alle, professionelle Histori- ker wie geschichtsinte- ressierte Laien, die sich mit der Geschichte des Landes, einzelner Lan- desteile oder bestimm- ter Persönlichkeiten be- fassen, stellen sie eine zentrale, stark frequen- tierte Quelle dar. Die- ses Werk mit seinen Die Badischen Landtagsprotokolle im Bestand der Badischen Landesbibliothek über 600 Bänden, das in vollzähliger Form nur in wenigen großen fassung die Ausdehnung des Wahlrechts auf wissenschaft lichen Bibliotheken einsehbar ist, die Frauen vor; die Heidelbergerin Marianne unabhängig von Ort und Zeit im Netz verfüg- Weber kam daraufh in im Januar 1919 zu der bar zu machen, war neben konservatorischen Ehre, als erste Frau in einem deutschen Parla- Überlegungen Anstoß zur Digitalisierung. Die ment zu sprechen. erste Tranche der Landtagsprotokolle für den Die Entwicklung des Badischen Landtags Zeitraum 1890 bis 1933 ist am 14. Juni 2012 bildet mithin eine Tradition, auf die man sich in Karlsruhe durch den Präsidenten des Land- heute mit Stolz beruft . Die Badische Landes- tags von Baden-Württemberg, Guido Wolf bibliothek (BLB) hat daher als ihren Beitrag MdL, freigeschaltet worden. In kurzen Zeitab- zum zweifachen Jubiläumsjahr 2012, in dem ständen werden die weiteren Jahrgänge folgen, 900 Jahre Baden und 60 Jahre Baden-Würt- damit Ende 2013 das gesamte Werk, das die temberg gefeiert werden, die Protokolle des Zeit von 1819 bis 1933 umschließt, im Internet Badischen Landtags digitalisiert und ins In- zur Verfügung steht. ternet gestellt. In ihrer Funktion als Landes- Was blieb von der Badischen Ständever- bibliothek sieht die BLB eine ihrer zentralen sammlung bzw. vom Badischen Landtag bis Aufgaben darin, Quellen und Literatur zur heute erhalten? Das Ständehaus, im Zweiten Erforschung der badischen Geschichte in ge- Weltkrieg schwer beschädigt und über lange druckter und elektronischer Form bereitzu- Zeit nur noch ein Ruine, wurde 1961 endgültig stellen; in ihrer Digitalisierungsstrategie besit- abgerissen. An seiner Stelle entstand, mit der zen grundlegende Werke und zentrale Schrif- Bezeichnung Neues Ständehaus, ein Neubau ten zur Landesgeschichte daher einen hohen für die Stadtbibliothek; neben dem Eingang Stellenwert. Das gilt namentlich für die großen erinnert eine kleine Gedenktafel an das frü- Dokumente der modernen Staatlichkeit, unter here Parlamentsgebäude, und eine ständige

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 273 04.06.2013 22:28:36 zerstört; zahlreiche Bände blieben jedoch er- halten und sind heute noch dank ihrer alten Besitzstempel identifi zierbar. Auch einzelne Jahrgänge der Landtagsprotokolle verweisen auf das Ständehaus als Vorbesitzer; sie tra- gen beispielsweise Stempel mit der Umschrift »Erste Kammer der bad. Landstände«. Vor diesem Hintergrund mag die Digitalisierung der Landtagsprotokolle durch die BLB auch als Zeichen des Dankes dem Ererbten gegen- Das 1822 bezogene Ständehaus in Karlsruhe mit der charakteristischen Rotunde zur Ritterstraße über angesehen werden.

Ausstellung im Untergeschoss ist zugleich Er- Die Wahl zum Badischen Landtag innerungsstätte für die demokratische Tradi- tion im ehemaligen Land Baden. Als einzig Nachdem Baden durch die Unterzeichnung sichtbares authentisches Relikt bleibt somit der Rheinbundakte 1806 Großherzogtum ge- nur das gedruckte Erbe: 10 Regalmeter Land- worden war, setzte schon bald die Diskussion tagsprotokolle, repräsentativ in braunes Leder um eine Verfassung ein, die Napoleon von gebundenen, geschützt in Glasvitrinen aufb e- den Rheinbundstaaten erwartete.3 Doch erst wahrt, im Hauptlesesaal der Badischen Lan- auf außenpolitischen Druck ließ Großher- desbibliothek zu entdecken. zog Karl Friedrich von seinem Minister Karl Während des Zweiten Weltkriegs vermeng- Friedrich Nebenius eine Verfassung ausar- ten sich die Schicksale von Badischer Landes- beiten, die er schließlich am 22. August 1818 bibliothek und Badischem Landtag.2 Nachdem unterzeichnete. Sie berücksichtigte die aus- die Bibliothek in der Nacht vom 2. auf 3. Sep- drücklichen Wünsche des Monarchen: Vor- tember 1942 vollständig ausgebrannt war, fand gesehen war ein Zweikammersystem, in dem sie zeitweilig Unterschlupf im Erdgeschoss des die Stände zwar an der Gesetzgebung mitwir- schräg gegenüber liegenden Ständehauses, im ken durft en, aber nicht das Recht zur Geset- dem sich zum damaligen Zeitpunkt die Staats- zesinitiative bekamen. Die Regierung wurde kanzlei befand. Als zwei Jahre später, am 27. nicht gegenüber dem Parlament verantwort- September 1944 das frühere Landtagsgebäude lich, sondern allein gegenüber dem Monar- ebenfalls Opfer eines Bombenangriff s wurde, chen, und die Staatsverwaltung behielt ihre der auch den Bibliotheksfl ügel zerstörte, zo- Unabhängigkeit. Der Großherzog, jetzt ein gen die Bibliothekare mit dem Rest ihrer Bü- Verfassungsorgan, behauptete seine starke cher in den Keller des Sammlungsgebäudes. Stellung. Gleichwohl schlummerte in den Da das badische Parlament seit 1933 nicht Verfassungsbestimmungen ein großes Ent- mehr existierte und folglich auch keine ei- wicklungspotential, das von den Feinden jeg- gene Bibliothek mehr benötigte, überwiesen licher Zugeständnisse wie beispielsweise dem die Verantwortlichen der NSDAP den Buch- österreichischen Staatskanzler Fürst von Met- besitz an die Landesbibliothek. Ein Teil dieser ternich ebenso scharf erkannt wurde wie von Bibliothek wurde durch Kriegseinwirkungen den badischen Abgeordneten, die ihren parla-

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 274 04.06.2013 22:28:36 mentarischen Handlungsspielraum im Laufe der Zeit erweitern und verschiedene politi- sche Forderungen durchsetzen konnten. Von den 83 Paragraphen der Verfassung be- ziehen sich die ersten 25 auf das Großherzog- tum im Allgemeinen und auf die staatbürger- lichen und politischen Rechte der Badener, alle übrigen auf die Ständeversammlung und die Rechte und Pfl ichten ihrer Mitglieder. Gemäß § 26 bestand die Ständeversammlung, auch Landstände genannt, aus der Ersten und der Der Plenarsaal des Badischen Landtags um 1920 Zweiten Kammer. Während die maximal acht Mitglieder des Oberhauses durch die Verfas- sung bestimmt wurden (§ 27 ff ), gingen die sungspolitischen Stagnation begann in den Mitglieder der eigentlichen Volksvertretung 1890er Jahren ein langwieriger, auf den Wi- aus indirekten Wahlen hervor. Die 63 Abge- derstand des Großherzogs und seiner Minister ordneten der Städte und Ämter wurden von stoßender Prozess in Richtung Verfassungsre- Wahlmännern gewählt, die ihrerseits von allen form, der schließlich auch in eine Reform des (männlichen) Staatsbürgern, »die das 25. Le- Wahlrechts mündete. Die 1904 beschlossenen bensjahr zurückgelegt haben, im Wahldistrict Regelungen führten einerseits zu einer neuen als Bürger angesessen sind oder ein öff entli- und erweiterten Zusammensetzung der Ersten ches Amt bekleiden«, gewählt werden konnten Kammer, in die Vertreter der Handelskam- (§ 36). Die genannten konnten sich als Wahl- mern, Landwirtschaft skammern und Hand- mann aufstellen lassen; zum Abgeordneten werkskammern einzogen, und andererseits aber konnte nur ernannt werden, wer »1. ei- zu deutlichen Veränderungen bei der Zweiten ner der drey christlichen Confessionen ange- Kammer. Die Zahl der Abgeordneten wurde hört, 2. das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat, auf 73 aufgestockt, die nun (ohne die bishe- und 3. in dem Grund-, Häuser- und Gewerbs- rige Teilerneuerung alle zwei Jahre) für eine steuer-Kataster wenigstens mit einem Capital vierjährige Landtagsperiode (§ 37) und in all- von 10 000 Gulden eingetragen ist […]« (§ 37). gemeiner, unmittelbarer und geheimer Wahl Hans Fenske hat vorgerechnet, dass unter die- gewählt wurden (§ 33), d. h. ohne die Zwi- sen Bedingungen anfänglich 17% der Bevöl- scheninstanz der Wahlmänner. Das aktive kerung das aktive Wahlrecht ausüben konnte Wahlrecht genossen jetzt alle männlichen Per- und dass wegen der Zensushöhe überhaupt sonen über fünfundzwanzig Jahre, »welche im nur 6500 Badener als Abgeordnete in Betracht Zeitpunkt der Wahl im Großherzogtum einen kamen, darunter 500 höhere Beamte; und Wohnsitz haben und seit mindestens zwei Jah- diese Gruppe der »Obrigkeitspersonen« war ren die badische Staatsangehörigkeit besitzen.« es dann auch, die im ersten Landtag mit 68% (§ 34) Es galt nun die absolute Mehrheitswahl. zahlenmäßig dominierte und ihn zu einem Die alte Wahlkreiseinteilung wurde durch Honoratiorenparlament machte.4 eine neue ersetzt, die 1818 beabsichtigte Be- Die Verfassung blieb bis 1918 in Kraft . Auf vorzugung der Städte (und damit der Protes- eine Jahrzehnte andauernde Phase der verfas- tanten) beseitigt. Als Ergebnis dieser Reform

Badische Heimat 2 / 2013 Die Protokolle des Badischen Landtags in digitaler Form 275

272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 275 04.06.2013 22:28:36 Der Sitzungssaal der Ersten Kammer des Badischen Landtags im Karlsruher Ständehaus

besaß Baden seit 1905 »das modernste Wahl- 5 recht in ganz Deutschland.« Der Sitzungssaal der Zweiten Kammer des Eine weitere Demokratisierung des Wahl- Badischen Landtags im Karlsruher Ständehaus rechts fand nach dem Sturz der Monarchie statt, als sich Baden eine neue, von einem Verfassungsausschuss unter dem Vorsitz am Gottesdienst teil, versammelten sich dann von Eduard Dietz ausgearbeitete Verfassung in dem ihnen zugewiesenen Saal, wobei die gab. Der Entwurf wurde von der am 15. Ja- Mitglieder der Zweiten Kammer »zur linken nuar 1919 zusammengetretenen Badischen Seite des Th rones« zu sitzen hatten, hörten der Nationalversammlung beraten, am 13. April Ansprache von Großherzog Ludwig zu und in einer Volksabstimmung zur Wahl gestellt leisteten den von der Verfassung (§ 70) vor- und am 25. April in Kraft gesetzt. Das ak- geschriebenen Eid, bevor der Großherzog die tive Stimmrecht stand nun auch den Frauen Ständeversammlung für eröff net erklärte und zu: »Stimmberechtigt sind diejenigen badi- den Saal verließ. Die ausführlichen Instrukti- schen Staatsbürger ohne Unterschied des Ge- onen des Oberzeremonienmeisters wurden in schlechts, welche das 20. Lebensjahr vollendet den ersten Band der Abhandlungen der Stän- und im Lande seit mindestens sechs Monaten deversammlung ebenso aufgenommen wie ihren Wohnsitz haben.« (§ 3) die Eröff nungsreden des Großherzogs und des Großherzoglich-Badischen Staatsminis- ters Freiherr Wilhelm Ludwig von Berstett. Anfang und Ende des Das der Zweiten Kammer im Schloss ein- Badischen Landtags geräumte Gastrecht zog Ludwig aber bereits in der zweiten Sitzungsperiode wieder zurück, Am 22. April 1819 trat die Ständeversamm- wohl weil er sich geärgert hatte, dass die von lung des Großherzogtums Baden im Karlsru- liberalem Gedankengut infi zierte Versamm- her Schloss zum ersten Mal zusammen. Ge- lung sich nicht an die von Berstett vorgege- mäß dem zwei Tage zuvor abgesprochenen bene Linie hielt und stattdessen von Anfang Programm nahmen die Deputierten morgens an weitergehende politische Forderungen ver-

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 276 04.06.2013 22:28:36 Die Mitglieder der Vorläufigen Badischen Volksregierung im Novemberg 1918, sitzend v.l.n.r.: Ludwig Haas, Gustav Trunk, Anton Geiß, Joseph Wirth, Philipp Martzloff. Stehend v.l.n.r.: Friedrich Stockinger, Leopold Rückert, Ludwig Marum, Hermann Dietrich, Adolf Schwarz, Johannes Brümmer.

lauten ließ. Die in der Eröff nungssitzung zur deversammlung ein eigenes, auch außerhalb Schau gestellte Harmonie und Dankbarkeit Badens viel beachtetes Parlamentsgebäude. waren also bald schon verfl ogen. Die Zweite Die Zweite Kammer erhielt im Westfl ügel ih- Kammer mietete sich in das Palais des Staats- ren großen, halbrund in den Garten hineinra- rats Wohnlich am Rondellplatz ein, das aber genden Sitzungssaal, den sog. Rondellsaal. Die wegen seiner Enge ebenso wie der Saal im Resi- Erste Kammer fand ihren Sitzungsraum im denzschloss nur ein Provisorium sein konnte. Eckrondell, das dem Gebäude zur Ritterstraße Am 16. Oktober 1820 wurde der Grundstein hin sein markantes Erscheinungsbild gab.6 für ein eigenes Parlamentsgebäude gelegt. Das Ende der Monarchie bedeutete zugleich Da sich der mit dem Entwurf Friedrich das Ende des Zweikammersystems. Die Erste Weinbrenners verbundene Kostenrahmen als Kammer kam am 23. August 1918 zu ihrer viel zu hoch darstellte, erging der Bauauft rag letzten Sitzung zusammen. Die Zweite Kam- an Weinbrenners Schüler Friedrich Arnold, mer, deren Mitgliederzahl sich aufgrund der dem eine Baukommission aus Abgeordneten Wahlbestimmungen der Verfassung von 1919 beider Kammern an die Seite gegeben wurde. vermehrte, tagte bis 1933 im Rondellsaal. In Das auf den Entwürfen Weinbrenners basie- dieser Zeit fanden turnusmäßig drei Landtags- rende Gebäude konnte bereits an 4. November wahlen statt: 1921, 1925 und 1929. Nach der Er- 1822 bezogen werden; damit besaß die Stän- nennung Hitlers zum Reichskanzler fand am

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 277 04.06.2013 22:28:36 Titelblatt des Jahrgangs 1897 der Protokolle Titelblatt des Bandes 1919/20 der Protokolle des Badischen Landtags des Badischen Landtags

5. März 1933 eine Reichstagswahl statt, deren Zweiten) Kammer der Ständeversammlung prozentuales Ergebnis die Nationalsozialisten des Großherzogtums Baden«, wie die Veröf- auf die Mandatsverteilung in den Länderpar- fentlichung anfangs hieß, zu einem vielbändi- lamenten übertrugen. Statt wie seit 1929 nur gen Werk von über 600 Bänden angewachsen. sechs Sitze nahm die NSDAP-Fraktion nun 30 Bei der Benutzung des Werkes sind zu- Sitze ein und stellte zudem den Landtagsprä- nächst die Verhandlungsprotokolle der Ers- sidenten, der die Versammlung noch dreimal ten Kammer von denen der Zweiten Kammer tagen ließ (am 16. Mai und am 9. Juni vor- und zu trennen. Die Verhandlungen beider Kam- nachmittags), bevor der Landtag am 14. Okto- mern folgen dann der Chronologie, also den ber 1933 offi ziell aufgelöst wurde. Sein Perso- Wahlperioden und den Sitzungsperioden. Die nal wurde anderen Dienststellen zugewiesen. Bände mit den eigentlichen Sitzungsprotokol- Damit fand die 114-jährige Geschichte des Ba- len können durchaus aus mehreren Teilbän- dischen Parlaments ihr Ende. den bestehen. Ebenfalls in der Regel mehr- bändig sind die zugehörigen Beilagenbände, in denen sich die den Abgeordneten vorgeleg- Die Landtagsprotokolle ten Entwürfe und Papiere fi nden, doch sind diese Texte keineswegs immer chronologisch Im Laufe dieses weiten Berichtszeitraums geordnet, sondern so, wie es das Kammer- sind die »Verhandlungen der Ersten (bzw. der sekretariat bestimmte. Und schließlich gibt

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 278 04.06.2013 22:28:36 es noch separate Registerbände für die Zeit- räume, in denen die Register nicht Bestand- teil der Protokollbände waren; zu erwähnen sind hier das Sprecherregister und das Sachre- gister, außerdem der Personalteil. Die im In- ternet präsentierten Landtagsprotokolle spie- geln exakt diese Anlage der gedruckten Vor- Früherer Besitzstempel auf dem Titelblatt eines lage wider. Protokollbandes aus den heutigen Bestand der Die Sitzungen beider Kammern der Stän- Badischen Landesbibliothek deversammlung waren von Anfang an öf- fentlich;7 das Landtagsgebäude war mit einer Tribüne für das Publikum ausgestattet. Des- und daher in der Folge schrift lich aufsetzt. halb gab es auch über die Veröff entlichung der In diesem Falle muß der entworfene Aufsatz Debatten und Beschlüsse keine Zweifel. Wie dem Sekretariate übergeben werden, und ist diese Bekanntmachung zu erfolgen hatte, be- von demselben zu vidiren, wenn nämlich die- stimmten die Geschäft sordnungen, die sich ser Aufsatz nur enthält, was wirklich auf der beide Kammern gaben. Danach stand es der Tribüne gesprochen worden.«8 Kammer frei, »zu Führung der Protokolle Der letzte Punkt (e) klingt unverständlich; eine oder zwei Personen, die nicht Mitglieder er erklärt sich dadurch, dass es laut Verfassung der Kammer sind, anzustellen.« (§ 70) In ei- (§ 77) nur den Landesherrlichen Kommis- nem solchen Fall mussten die Sekretäre die saren, also den Regierungsmitgliedern, und Aufsicht über die Abfassung der Protokolle den Mitgliedern ständischer Kommissionen übernehmen. Die Sekretäre wurden aus dem erlaubt war, »geschriebene Reden abzulesen; Kreis der Abgeordneten gewählt und besaßen allen übrigen Mitgliedern sind blos mündli- zusammen mit dem Präsidenten die Aufsicht che Vorträge gestattet.« Die gehaltenen Reden über die Kanzlei der Kammer (§ 14). mussten also im Nachhinein schrift lich fi xiert In § 74 der Geschäft sordnung der Zweiten werden und konnten erst nach dem Imprima- Kammer heißt es: »Über die öff entlichen Sit- tur des Sekretariats in das Protokoll aufge- zungen erscheint ein Landtagsblatt, das unter nommen werden. Die Protokolle durchliefen der Aufsicht der Secretäre der Kammer redi- von den Mitschrift en der Stenographen über girt wird. In dasselbe gehören: a) alle Proto- die Redigierung der Reinschrift en durch die kolle der öff entlichen Sitzungen; b) alle Pro- Sekretäre und das Korrekturlesen der Redner tokolle der geheimen Sitzungen, welche die ein dreifaches Redaktionsverfahren, bevor Kammer zur Bekanntmachung geeignet fi n- die Texte in der Kammer vorgelesen und ge- det; c) alle Commissionsberichte, bei welchen nehmigt wurden; erst danach konnten sie in nicht die Kammer insbesondere beschließt, Druck gehen. Das zeitintensive und umständ- daß sie nicht gedruckt werden sollen, – über- liche Verfahren wurde 1835 zu vereinfachen haupt d) alle Beilagen, ohne welche das Pro- versucht, allerdings ohne durchschlagenden tokoll nicht verständlich ist, oder von wel- Erfolg. Um die Protokolledition zu erleich- chen die Kammer insbesondere den Druck tern beschloss der Landtag daher 1850, die bestimmt. e) endlich diejenigen Reden, wel- Verhandlungsmitschrift en in Zukunft nicht che der Sprecher dem Druck bestimmen will, mehr wörtlich, sondern nur noch sehr stark

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 279 04.06.2013 22:28:37 laren, von denen die Kammer selbst 150 ab- nahm; jeder Abgeordnete erhielt ein Frei- exemplar. Als 1835 die Firma Groos den Druck übernahm, wollte sie nur noch höchstens 500 Exemplare drucken. Später lag die Aufl agen- Früherer Besitzstempel auf dem Titelblatt eines höhe noch viel tiefer. Dass nur wenige Ge- Protokollbandes aus dem heutigen Bestand der Badischen Landesbibliothek meinden und Privatleute Interesse am Bezug des Werkes zeigten, hat vermutlich mehrere Gründe. Zum einen hatte das Werk einen er- verkürzt wiederzugeben. Bei dieser, aus heu- heblichen Umfang und erforderte einen ent- tiger Sicht sehr bedauerlichen Praxis blieb es sprechenden Platz. Zum anderen verzichtete bis zum Jahre 1919; seitdem sind die gehal- man auf die Subventionierung der Druckkos- tenen Reden und Diskussionsbeiträge wieder ten, so dass der Kaufpreis entsprechend hoch im Wortlaut abgedruckt worden. lag. Und schließlich kamen viele potentielle Auch wenn es immer wieder Versuche sei- Abonnenten zu der Erkenntnis, »daß die Pro- tens der Regierung gab, auf die Protokolle tokolle bei ihrem Erscheinen im Grunde nur Einfl uss zu nehmen oder ihre Verbreitung zu noch historischen Wert besaßen«,10 ganz ab- erschweren, so sind sie doch weitgehend un- gesehen davon, dass die Lektüre nicht eben zu zensiert erschienen, was ihrem Wert als histo- der spannendsten zählte, was sogar die Abge- rische Quelle zweifellos zugute kommt. Dass ordneten selbst so empfanden. die publizierten Verhandlungen nicht der Nach der Revolution 1848/49 fasste die Zensur unterlagen, erklärt Hans-Peter Becht Kammer den Beschluss, die Protokolle so wie folgt: »Alle Beteiligten stimmten off enbar zu verkürzen, »daß nur die Präsenz, die die stillschweigend und selbstverständlich darin Einläufe, die zur Beratung kommenden Ge- überein, daß das von der Kammer selbst ver- genstände mit den darauf gestellten Anträ- öff entlichte Protokoll als gleichsam obrigkeit- gen sowie die gefaßt werdenden Beschlüsse liches Druckwerk zu gelten habe und ebenso aufgeführt werden.« Dadurch büßten sie na- wenig vor- und nachzensiert werden könnte türlich an Wert ein. Zugleich begann die po- wie etwa das Regierungsblatt.«9 litische Berichterstattung durch die lokale Bereits im Eröff nungsjahr des Landtags 1819 und regionale Presse immer bedeutsamer zu begannen beide Kammern, die Ergebnisse ih- werden. Darüber hinaus erfuhren die Bürger rer Sitzungen unter dem Titel »Verhandlungen vom Landtagsgeschehen durch Extrablätter der Ständeversammlung des Großherzogtums und durch Separatdrucke; diese erschienen Baden« zu veröff entlichen. Die Protokolle beispielsweise zu politisch brisanten Moti- der Ersten Kammer erschienen anfangs bei onen (Eingaben an die Regierung). Mit der der C. F. Müllerschen Hofb uchhandlung; die Neukonstituierung des Parlaments infolge Zweite Kammer ließ ihre Verhandlungen bei der Revolution 1918/19 kehrte die Protokoll- der Verlagsbuchhandlung G. Braun drucken. führung zu der ursprünglichen Praxis zurück, Ebenso wie die Titelfassungen wechselten im alle Reden von den Stenografen mitschreiben Laufe der Zeit die mit dem Druck beauft rag- zu lassen und anschließend wortgetreu und ten Verleger. Vertragsgemäß druckte Braun einschließlich mitprotokollierter Zwischen- anfangs in einer Aufl age von 1800 Exemp- rufe und sonstiger Äußerungen abzudrucken.

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 280 04.06.2013 22:28:37 Recherchemöglichkeiten Suchergebnis einschränken, indem z. B. nach dem Geschlecht oder dem Wohnort oder dem Aus dem genannten Grunde und weil die Zeit Beruf gefi ltert wird. Auf diese Weise sind auch der Weimarer Republik auf großes Interesse leicht alle erfassten Parlamentarier zu sortie- der Forschung stößt, nicht zuletzt vor dem ren, beispielsweise nach der Mitgliedschaft in Hintergrund des bevorstehenden hundertsten einer bestimmten Partei. Hier fi ndet der Nut- Jahrestags des Kriegsausbruchs 1914, hat sich zer auch viele zusätzliche, aus Sekundärquel- die Badische Landesbibliothek entschlossen, len geschöpft e Informationen zur Person. den Zeitraum zwischen 1890 und 1933 vor- Einer der bekanntesten badischen Parla- rangig zu scannen und zu erfassen. Historisch mentarier war der Rechtsanwalt Dr. Ludwig aufgearbeitet ist er durch die Untersuchung Marum (1882–1934). Seit 1911 Stadtverord- von Michael Braun, die die Geschichte des neter im Gemeinderat der Stadt Karlsruhe, Landtags von Hans-Peter Becht fortschreibt.11 rückte er 1914 in die Zweite Kammer nach, Wie eine Recherche in der elektronischen Ver- der er bis zur Wahl in den Deutschen Reichs- sion der Landtagsprotokolle aussehen kann, tag 1928 angehörte. Zwischen 1919 und 1928 soll abschließend an einigen Beispielen illus- leitete er die Fraktion der Sozialdemokrati- triert werden. schen Partei. 1919 wurde er zunächst Justiz- Bei der Suche in den Landtagsprotokollen minister, wenig später Staatsminister und be- kann man entweder getrennt nach Erster und kleidete dieses Amt bis 1929. Ruft man ihn in Zweiter Kammer einzelne Jahre und Sitzun- der Datenbank der Landtagsprotokolle auf, gen aufrufen, was man immer dann tun wird, bekommt man Hinweise auf Parteizugehö- wenn man ein bestimmtes, datiertes Ereignis rigkeit, Wahlkreis, Wohnort und Beruf12 und vor Augen hat, wenn also die Fundstelle be- kann sich sodann aufb lättern lassen, an wel- kannt ist. Oder aber man benutzt einen Such- chen Tagen Marum im Landtag als Redner einstieg, der auf einer eigens für dieses Projekt aufgetreten ist und zu welchen Th emen er sich entworfenen Datenbank basiert und den be- dabei äußerste. Weiterführende Links führen sonderen Mehrwert der Internetversion aus- zu Biographien und anderen Dokumenten macht. über diese Person. Dabei steht die biographische Suche im Man kann entdecken, dass Marum beispiels- Mittelpunkt. Auf Grundlage der in den Pro- weise in der 25. Sitzung am 16. Mai 1919 bei tokollbänden aufgelisteten Sprecherregister der sehr erregt verlaufenden Debatte über den wurden alle im Badischen Landtag gehalte- Versailler Vertrag Stellung zu den feindlichen nen Reden erfasst. In den 43 Jahren zwischen Friedensbedingungen bezog: »Zorn erfasst 1890 bis 1933 haben rund 450 Abgeordnete uns wegen der Art und Weise, in welcher das etwa 27 000 Reden gehalten. Volk, die deutsche Arbeiterschaft besonders, zu In der Datenbank kann man entweder aus Sklaven gemacht werden und frohnden soll im der Alphabetleiste einen Anfangsbuchstaben Dienste amerikanischen, englischen und fran- auswählen und sich die Abgeordneten die- zösischen Kapitals. Empörung erfüllt uns we- ses Anfangsbuchstabens anzeigen lassen oder gen der Herzlosigkeit und Rachsucht, die aus den Namenindex sämtlicher erfassten Parla- jeder einzelnen dieser Bestimmungen nicht ge- mentarier aufrufen oder gezielt nach einer be- gen die alte deutsche Regierung, sondern gegen stimmten Person suchen. Dabei lässt sich das das deutsche Volk spricht.«13

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 281 04.06.2013 22:28:37 Erster Staatspräsident des Landes Baden ihre Treue bewiesen. Besonderer Dank ge- war 1919/20 Anton Geiß (1858–1944), ehema- bührt auch der Gendarmerie, der Polizei, der liger Schreinermeister und Gastwirt, der meh- Sicherheitspolizei, der Reichswehr und Ein- rere Jahre Stadtverordneter in Mannheim war wohnerwehr.«15 und zwischen 1895 und 1903 und erneut zwi- Das Beispiel belegt, dass auch politische Er- schen 1909 und 1921 dem Badischen Land- eignisse auf Reichsebene ihren Niederschlag tag angehörte. In dieser Zeit war er erster bzw. im Badischen Landtag fanden, der somit nicht zweiter Vizepräsident der Zweiten Kammer. ausschließlich eine historische Quelle für rein Während der Novemberrevolution wurde er regionale Angelegenheiten ist. Gleiches zeigte zum Vorsitzenden der Provisorischen Re- sich wenige Jahre später bei Hitlers Marsch gierung. Auch er hat viele Male im Landtag auf die Feldherrenhalle. Noch am Tag selbst, das Wort ergriff en, so z. B. am 15. März 1920: am Nachmittag des 9. November 1923, verur- »Nach dem furchtbaren Zusammenbruch, teilten die Mitglieder des Badischen Landtags den wir im Oktober und November 1918 er- diesen erneuten Putschversuch von rechts. lebt haben, nach den schweren Wochen und Neben Ludwig Marum, Max Weber und vier Monaten der Revolution, die in weiten Teilen weiteren Abgeordneten sprach Staatspräsident Deutschlands in anarchische Zustände aus- Heinrich Köhler: »In München ist durch Na- geartet war, ist es uns gelungen, wieder ver- tionalsozialisten unter Führung Hitlers der fassungsmäßige Zustände herzustellen […] Versuch unternommen worden, eine soge- Diese Entwicklung ist durch eine verbreche- nannte nationale Diktatur zu errichten. Das rische Tat einer konservativen und durchaus bedeutet die off ene Aufl ehnung gegen die reaktionären Gruppe freventlich gestört wor- Reichsregierung, den Bruch der Reichsver- den. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich fassung, Hochverrat gegen das Reich. Damit sage, daß nie am deutschen Volke ein größe- ist die Gewalt an die Stelle des Rechts getre- res Verbrechen begangen worden ist. Die Re- ten. Die badische Regierung wendet sich an gierung, die sich hochverräterisch mit Hilfe das badische Volk. Sie weiß sich einig mit ihm pfl ichtvergessener Truppen in Berlin gebildet in der schärfsten Verurteilung des hochverrä- hat, wird zwar in kurzer Zeit zusammenbre- terischen Unternehmens.«16 chen, aber die schweren Folgen der verbreche- Möchte man Fundstellen wie die zitier- rischen Tat wird die deutsche Volkswirtschaft ten Textpassagen fi nden, dann bietet die Da- noch lange zu spüren haben.«14 tenbank diese Möglichkeit unter der Rubrik In der Tat brach der von Wolfgang Kapp, »Redensuche«. Hier stehen folgende Suchfel- Walther von Lüttwitz und Erich Ludendorff der zur Auswahl: Stichwort, Person, Kammer, angeführte Putschversuch gegen die Weima- Partei und Jahr. Gibt man etwa in das Feld rer Republik, über den sich Geiß hier empörte, Stichwort »Kapp-Putsch« oder »Hitlerputsch« nach wenigen Tagen zusammen, nicht zuletzt ein, werden diejenigen Landtagssitzungen an- wegen des ausgerufenen Generalstreiks. Im gezeigt, in denen die gesuchten Th emen zur Namen der badischen Regierung bedankte Sprache kamen und ihren Niederschlag im sich Geiß am 25. März bei allen, die zur Nie- Protokoll fanden. Die zu jedem Redebeitrag derlage des Aufstands beigetragen hatten: erfassten Stichwörter speisen sich aus den im »Arbeiter und Bauern, Handwerker und Be- Sprechregister aufgelisteten Angaben; sie wur- amte, festbesoldete und freie Berufe haben den also nicht nachträglich von Seiten der BLB

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 282 04.06.2013 22:28:37 redaktionell bearbeitet oder gar nach einem die meisten von ihnen glauben. Millionen Regelwerk normiert. Da es Th emen gibt, mit von uns haben seit vielen Jahrzehnten drau- denen sich der Landtag über viele Jahrzehnte ßen außerhalb des Hauses ihren Unterhalt immer wieder befasst hat, z. B. mit dem Eisen- selbst erwerben und auf eigenen Füßen stehen bahnbau in Baden, ist die Möglichkeit zur Ein- müssen, und sie haben sich die harte Luft des schränkung der Suche, hier vorzugsweise nach Draußenlebens um ihren Kopf wehen lassen. Jahren, eine hilfreiche Funktion. Tausende von uns haben während des Krieges Ähnliche Suchkategorien stehen auch bei Männerarbeit geleistet, mit geringeren leibli- der Personensuche zur Verfügung. Hier gibt chen Kräft en als der Mann. Tausende von uns es zusätzlich die Unterscheidung des Ge- Frauen haben ein Heimatheer gebildet, ohne schlechts, so dass z. B. gezielt nur nach den welches das Frontheer keine Munition und Landtagsreden der weiblichen Abgeordne- keine Kleidung gehabt hätte.«17 ten recherchiert werden kann. Wie oben er- Nach dieser selbstbewussten Rede fühlten wähnt, gab erst die Verfassung von 1919 den sich auch die Frauen der anderen Fraktionen Frauen das aktive und passive Wahlrecht. In- zu einem entsprechenden Bekenntnis ermun- folgedessen waren auch erst seit diesem Zeit- tert. Insgesamt verzeichnet die Datenbank punkt Frauen im Landtag vertreten. Von 104 für den Zeitraum 1919 bis 1933 17 weibliche Abgeordneten der Verfassunggebenden Na- Abgeordnete. Dem kurzen nationalsozialis- tionalversammlung waren neun Frauen. Als tischen Landtag gehörte keine Frau mehr an. diese Versammlung am 15. Januar 1919 zu Wie schmachvoll und zugleich unspektakulär ihrer ersten Sitzung zusammenkam, sprach der Landtag zu Ende ging – auch das lässt sich die Heidelberger Abgeordnete Marianne We- in der digitalen Version nachlesen. Ausge- ber von der Deutschen Demokratischen Par- rechnet Herbert Kraft , der 1929 mit fünf wei- tei. Mit ihr ergriff wohl zum ersten Mal in ei- teren Parteigenossen für die NSDAP in den nem deutschen Parlament eine Frau das Wort. Landtag eingezogen war und dort nicht nur Ihr Th ema: Die Frau in der Politik. »Es sei mir für einen neuen Umgangston gesorgt hatte, gestattet, nicht als Parteiangehörige, sondern sondern sogar wiederholte Male handgreif- als Frau einige Worte zu Ihnen zu sprechen, lich geworden war, saß als Präsident dem fast denn ich bin mir bewußt, daß heute tausende komplett neu zusammengesetzten Landtag von badischen Frauen mit Freude und Dank- vor. Nachdem die 53 anwesenden Abgeordne- barkeit und mit klopfendem Herzen auf uns ten mit 48 Ja-Stimmen gegen 5 Nein-Stimmen schauen und die Tatsache, daß heute zum der verbliebenen Sozialdemokraten für das ersten Mal Frauen in dieses Haus eingezo- badische Ermächtigungsgesetz votiert hatten, gen sind, die berufen sind, an der Gestaltung beendete Kraft die Sitzung: »Ich setze Ihr Ein- des Staates, an dem Wiederaufb au des badi- verständnis voraus, wenn ich den Landtag bis schen Staates teilzunehmen, als einen Augen- auf weiteres vertage, und bitte Sie, mir die Er- blick von geschichtlicher Bedeutung empfi n- mächtigung zu geben, den Landtag einzube- den. Wir Frauen können nur unserer hohen rufen, wenn das nötige Material zu einer De- Freude und Befriedigung darüber Ausdruck batte vorhanden ist oder wenn ich es sonstwie geben, daß wir zu dieser Aufgabe mitberufen für notwendig erachte. Ist jemand gegen mei- sind, und ich glaube sagen zu dürfen, daß wir nen Vorschlag, so möge er sich erheben. Ich besser für sie vorbereitet sind, als vielleicht stelle fest, daß mein Vorschlag angenommen

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 283 04.06.2013 22:28:37 ist. Der Landtag ist bis auf weiteres vertagt 6 Vgl. Das neue Ständehaus. Stadtbibliothek und und die Sitzung ist geschlossen.«18 Das waren Erinnerungsstätte. Hrsg. anlässlich der Einwei- hung des neuen Ständehauses in Karlsruhe am die letzten Worte, die im Badischen Landtag 21. August 1993. Karlsruhe 1993. – Das badi- gesprochen worden sind. sche Ständehaus in Karlsruhe. Eine Dokumenta- Zusammenfassend sei festgehalten: Mit der tion über das erste deutsche Parlamentsgebäude. Internetpräsentation der Badischen Landtags- Karlsruhe 1988. 7 Sie konnten aufgrund von § 78 der Verfassung protokolle möchte die Badische Landesbiblio- aber auch zu geheimen Beratungen erklärt wer- thek ihren Beitrag zum Landesjubiläum leis- den. ten. Das Werk zählt zu den wichtigen Doku- 8 Geschäft s-Ordnung für die zweite Kammer der menten der badischen Geschichte. Adressat Stände-Versammlung für das Großherzogthum Baden. Karlsruhe: Chr. F. Müllersche Hofdrucke- der digitalisierten Protokolle sind aber kei- rei. Zit. nach der Ausgabe 1831, S. 14. neswegs allein Historiker und Geschichtspro- 9 Hans-Peter Becht: Badischer Parlamentarismus fi s. Das Projekt dient auch der Bildungsarbeit 1819 bis 1870. Ein deutsches Parlament zwischen und der Förderung politischen Bewusstseins – Reform und Revolution. Düsseldorf: Droste 2009 mit den Worten von Landtagspräsident Guido (Handbuch der Geschichte des deutschen Parla- mentarismus), S. 171. Wolf: »Je leichter man sich mit der badischen 10 Becht (wie Anm. 9), S. 179. Verfassungs- und Parlamentsgeschichte di- 11 Michael Braun: Der Badische Landtag 1918–1933. rekt und aus erster Hand, also ohne Abstriche Düsseldorf: Droste 2009 (Handbuch der Ge- vom akademischen ›Reinheitsgebot‹ beschäf- schichte des deutschen Parlamentarismus). 12 Stets mit Jahresangaben; diese beziehen sich al- tigen kann und je mehr Menschen – Wissen- lerdings nur auf die jeweiligen Protokolljahr- schaft ler, Studenten, Schüler, auch Politiker gänge. und Publizisten – das tun, desto besser ist es 13 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ für unsere repräsentative Demokratie, oder pageview/368927. 14 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ genauer: desto größer ist die Chance, dass pageview/356284. unsere repräsentative Demokratie bewusst 15 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ als epochale Errungenschaft gesehen und ge- pageview/356336. schätzt wird.«19 16 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ pageview/358202. 17 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ pageview/368851. Anmerkungen 18 http://digital.blb-karlsruhe.de/blbihdl/periodical/ pageview/725539. 1 Ein weiteres grundlegendes, die Landtagsproto- 19 http://www.blb-karlsruhe.de/blb/blbhtml/2012/ kolle sinnvoll ergänzendes Quellenwerk ist das rede-landtagsprotokolle.php. Badische Gesetz- und Verordnungsblatt, das die BLB im Jahre 2012 ebenfalls digitalisiert und ins Netz stellt. Es umfasst den Zeitraum 1803 bis 1952. 2 Hierzu Ludger Syré: Die Badische Landesbiblio- thek im Zweiten Weltkrieg – Untergang und Neu- anfang. – In: Zeitschrift für die Geschichte des Anschrift des Autors: Oberrheins 154 (2006), S. 493–515. Dr. Ludger Syré 3 Überblick bei Hans Fenske: 175 Jahre badische Badische Landesbibliothek Verfassung. Karlsruhe 1993. Erbprinzenstraße 15 4 Fenske (wie Anm. 3), S. 28. 76133 Karlsruhe 5 Fenske (wie Anm. 3), S. 74.

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272_Syré - Die Protokolle des Badischen Landtags.indd 284 04.06.2013 22:28:37 Der Verein »Rhin Vivant« Europa am Oberrhein

Clemens Glunk

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit in der Oberrheinregion wird auf den verschiedensten Arbeitsebenen seit Jahren durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) über das Interreg-Programm (aktuell Interreg IVa Oberrhein) unterstützt. So zum Beispiel auch im Bereich des Naturschutzes. Das Motto lautet: Der Oberrhein wächst zusammen mit jedem Projekt. Der in Strasbourg ansässige Verein »Rhin Vivant – Lebendiger Rhein« (www. rhinvivant-lebendigerrhein.eu) engagiert sich seit 2005 für den Naturschutz und entwickelt Konzepte und Projekte für einen nachhaltigen Tourismus in den Rheinauen und im Ramsar- gebiet unter Erhalt der Naturgüter des Ökosystems. Das Land Baden-Württemberg, vertreten durch die Naturschutzverwaltung des Regierungspräsidiums Freiburg, begleitet, unterstützt und fördert diese Entwicklung. Karlheinz Harter

Der Verein »Rhin Vivant« wurde 2005 ge- – Sanft es Erleben einer Ramsar-Zone« durch gründet. Der Verein hatte zuletzt 52 deutsche Rhin Vivant als Projektträger an. Das Budget und französische Mitglieder. In den Jahren betrug 861 500 €, wobei 50% aus EU-Mitteln 2006 bis 2008 hat der Verein als Träger be- (EFRE1) kofi nanziert wurden. Zielsetzung reits ein Interreg III A-Projekt »Destination des Projektes war die Nutzung der Auswei- lebendiger Rhein« für einen nachhaltigen sung des Ramsar-Gebietes für den nachhal- Tourismus am Oberrhein durchgeführt. Ziel tigen Tourismus unter Anwendung des Prin- dieses Projektes war die Entwicklung, Struk- zips »wise use« der Feuchtgebiete. turierung, Aufwertung und Bekanntma- chung eines nachhaltigen Tourismus in den Naturgebieten auf beiden Seiten des Rheins Was bedeutet »Wise use«? im Rahmen der Europäischen Charta für nachhaltigen Tourismus. Hierzu wurde der Unter »wohlausgewogener Nutzung« von Verein auch Mitglied im EUROPARC, einem Feuchtgebieten ist ihre nachhaltige Nutzung Dachverband europäischer Schutzgebiete. zum Wohle der Menschheit in einer mit Der Verein war durch die Charta verpfl ichtet, dem Erhalt der Naturgüter des Ökosystems eine 5-Jahres-Strategie für den nachhaltigen im Einklang stehenden Weise zu verstehen. Tourismus von 2006 bis 2010 am Oberrhein »Wise use« bedeutet daher auch Zusammen- zu entwickeln. arbeit zwischen Feuchtgebietsmanagement Von Juli 2008 bis September 2011 schloss und Landwirtschaft , Forstwirtschaft , Was- sich das Interreg IV A-Projekt »RheNaTour serwirtschaft , Jagd, Fischerei, Tourismus

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285_Glunk_Rhin Vivant.indd 285 04.06.2013 22:29:59 286 Clemens Glunk Badische Heimat 2 / 2013

285_Glunk_Rhin Vivant.indd 286 04.06.2013 22:30:00 und Ressourcennutzung, soweit sie mit dem leisten. Karten mit diesen vielfältigen Inhal- Grundsatz der Nachhaltigkeit zu vereinbaren ten waren nach Kenntnis des Autors bislang sind. nicht auf dem Markt erhältlich. Hier hat das Im Rahmen des Projektes wurden fünf Projekt echte Pionierarbeit geleistet. Schwerpunkte gebildet: Dass dieses Produkt kostenlos zur Verfü- – Kommunikation gung gestellt werden kann, war ein großes – Sensibilisierung Ziel der Projektpartner. – ökotouristische Angebote Sehenswert sind zudem die Kurzfi lme zum – lokale Veranstaltungen nachhaltigen Tourismus und zu den ökotou- – Netzwerk. ristischen Aktivitäten, die im Rahmen des Projektes produziert wurden. Die Öff entlich- Das Land Baden-Württemberg, vertreten keit kann diese auf der Website www.rhinvi- durch das Regierungspräsidium Freiburg, hat vant-lebendigerrhein.eu entdecken. das Projekt mit ca. 80 000 € aus Tourismus- Besonders innovativ ist die mobile Website. mitteln unterstützt und im Verwaltungsrat Wer ein Smartphone besitzt, kann einen QR- sowie im Kollegium der Schutzgebietsbe- Code mit dem Handy einscannen und somit treuer mitgearbeitet. draußen im Gebiet sämtliche Informationen Der Verein hat im Rahmen des Projektes direkt auf das Handy abrufen. »RheNaTour« mehrere Kommunikationsmit- Einige Leser werden sich fragen, wie es tel für eine breite Öff entlichkeit geschaff en, dazu kommt, dass das Naturschutzreferat die systematisch das Th ema »Ramsar« auf- des Regierungspräsidiums Freiburg das Land nehmen. Baden-Württemberg in einem touristisch ge- Eine gute Idee war ein Spiel mit sechs Fra- prägten Interreg-Projekt vertritt. gen-Antworten auf Bierdeckeln, die je 36 000 Die Ramsar-Konvention dient dem inter- mal auf deutsch und französisch erstellt wur- nationalen Schutz von Feuchtgebieten und den. Es wurde ein deutsch-französischer Füh- den Arten, die diese Gebiete nutzen. rer »Découvrir le Rhin autrement – Den Ober- Da es beim Projekt um die ökotouristische, rhein anders erleben« mit der ersten Freizeit- nachhaltige Nutzung des Gebietes ging und karte, auf der das Ramsar-Gebiet abgebildet sich in diesem Gebiet sehr viele (nämlich 28) ist, für eine breite Öff entlichkeit geschaff en. Naturschutzgebiete befi nden, war es der Na- In den Tourismusbüros der Gemeinden ist turschutzverwaltung wichtig, den Schutzsta- diese Broschüre zu erhalten. Mit den Karten, tus dieser Naturschutzgebiete zu wahren bzw. worin das Ramsar-Gebiet in fünf Sektoren Beeinträchtigungen der Schutzgüter zu ver- aufgeteilt ist, kann sich der Besucher sehr gut hindern. Dies ist bei diesem Projekt in einem orientieren. In den Karten erhält der Tourist grenzübergreifenden, konstruktiven Dialog außerdem Hinweise auf Museen, Lehrpfade, mit allen Nutzergruppen sehr gut gelungen. Schutzgebiete und weitere touristische An- Die Angler, Bootsführer, Jäger, Förster haben gebote, wie z. B. Restaurants, Bahnhöfe oder die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürft ig- Radwege. Die Besucher erhalten allgemeine keit der Gebiete erkannt. Es war interessant Informationen zu Beschilderungen und Ver- zu erfahren, wie stark auch eine nachhaltige haltensregeln. Hierdurch kann jeder Gast ei- Nutzung der Ressourcen in diesen Gruppen nen Beitrag zum nachhaltigen Tourismus bereits verankert war. Ziel war es, dieses Be-

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285_Glunk_Rhin Vivant.indd 287 04.06.2013 22:30:01 wusstsein auch zu allen Gästen/Besuchern zu ler Produkte durch Einheimische und Gäste transportieren. trägt ebenfalls zur nachhaltigen Nutzung des Eine wichtige Rolle hierbei spielt auch der Gebietes bei. Ein Winzer aus Sasbach am Kai- »Ramsar-Ranger« vor Ort. Dieser ist im Ge- serstuhl hat einen »Ramsarwein« kreiert und biet in der Zollhausinformation Tauber- bietet diesen an. Das Label »Ramsar« kann gießen ansässig und war zunächst über den und sollte viel stärker für die Vermarktung Landschaft serhaltungsverband (LEV) Land- örtlich produzierter Produkte verwendet wer- kreis Emmendingen angestellt. Während der den, damit sich die Bevölkerung auch über Laufzeit des Projektes »RheNaTour« war es diesen Weg verstärkt mit dem Ramsargebiet so möglich, diese Stelle mitzufi nanzieren, so identifi ziert und die Auszeichnung »auf der dass 50% EU-Mittel zur Stellenfi nanzierung Fläche ankommt«. Öff entlichkeitsarbeit ist in beigetragen haben. Nur durch dieses Projekt der Zukunft sehr wichtig, um der Region be- war es durch die EU-Kofi nanzierung zum da- wusster zu machen, in welchem hochwertigen maligen Zeitpunkt möglich, eine Weiterbe- Gebiet wir am Oberrhein leben dürfen. Dies setzung der Stelle zu erreichen, was zuletzt könnte durchaus über eine stärkere Vernet- der Natur zu Gute gekommen ist. Es ist allge- zung mit der Metropolregion Oberrhein, dem mein bekannt, dass Regelungen zum Schutz Eurodistrikt und Pamina Rheinpark erfolgen. der Natur nur so gut und eff ektiv sind, wie sie Der Oberrheinrat hat die Aktionen zum Ram- auch kontrolliert werden können. Dies kennt sargebiet immer unterstützt und am jährlich man gleichermaßen aus dem Straßenverkehr. stattfi ndenden Welttag der Feuchtgebiete, am Im Projekt hat der Ranger konkret an einem 2. Februar, stets auf die Wichtigkeit dieser Re- Pilotstandort im Taubergießen Besucher ge- gion und deren Wertschöpfung hingewiesen. zählt und an Methoden zur Sensibilisierung Aus Sicht des Autors hat der Verein »Rhin mitgearbeitet. Es sollten auch die Auswirkun- Vivant« durch das Projekt RheNaTour die gen von Freizeitaktivitäten auf vorhandene grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Tierarten identifi ziert werden. Diese Erkennt- Tourismus und Naturschutz ein großes Stück nisse werden in zukünft ige Regelungen ein- vorangebracht. Durch die Mitgliedschaft vie- fl ießen, um eine noch eff ektivere Besucher- ler Kommunen auf beiden Seiten des Rheins lenkung installieren zu können. hat sich auch dieses Miteinander sehr ver- Gemeinsam mit dem Verein hat der Ram- bessert. Durch den »Club der Tourismusbe- sar-Ranger sog. »Ramsar-Abende« angeboten, triebe«, die sich ebenfalls für den Ökotouris- an denen Menschen, die am oder vom Rhein mus entschieden haben, in dem sie regionale leben, Geschichten erzählt haben oder über Produkte anbieten und Energiesparmaßnah- ihren Beruf, z. B. des Rheinfi schers, berich- men durchgeführt haben, ist eine direkte Ver- teten. Die Ramsar-Abende fanden wechselnd bindung in die Tourismuswirtschaft entstan- auf deutscher oder französischer Seite statt den. Das Etablieren einer solchen Verknüp- und erfreuten sich großer Beliebtheit. fung war sehr innovativ und bis dahin aus Auch die Rheinmärkte, auf denen lokale Sicht des Autors einmalig. Anbieter ihre Produkte angeboten haben, Bedauerlicherweise war der Verein Rhin wurden regelmäßig organisiert und waren Vivant strukturell unterfi nanziert und eine stark frequentiert. Diese fanden z. B. in Müll- dauerhaft e Mitfi nanzierung durch das Land heim und Rhinau statt. Der Einkauf regiona- Baden-Württemberg war aus haushaltsrecht-

288 Clemens Glunk Badische Heimat 2 / 2013

285_Glunk_Rhin Vivant.indd 288 04.06.2013 22:30:01 lichen und grundsätzlichen Gründen leider Anmerkungen nicht möglich, so dass nach Ende des Projekts das Vereinspersonal entlassen werden musste. 1 Europäischer Fonds für regionale Entwicklung Der Verein ist bislang jedoch nicht aufgelöst und existiert weiterhin. Vielleicht gelingt es, ihn im Zuge der Ramsar-Gebietsverwaltung Anschrift des Autors: und Gebietsbetreuung wieder mit Leben zu Clemens Glunk erfüllen. Regierungspräsidium Freiburg Weitere Informationen zum Ramsar-Ge- – Referat Naturschutz biet »Oberrhein / Rhin supérieur« können Sie Bissierstraße 7 79107 Freiburg dem Artikel in der Badischen Heimat, Heft [email protected] 1/2011, Seite 20–22, entnehmen.

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Badische Heimat 2 / 2013 Der Verein »Rhin Vivant« 289

285_Glunk_Rhin Vivant.indd 289 04.06.2013 22:30:01 Die bilinguale Grundschule in Kappel-Grafenhausen Modell einer deutsch-französischen Zusammenarbeit

Pierre Klein

In Kappel-Grafenhausen (Ortenaukreis) entstand eine bilinguale Grundschule, eine Einrich- tung französischen Rechts, in der nach französischen Lehrplänen auf deutschem Boden unter- richtet wird – und zwar paritätisch-bilingual, d. h. in der einen Hälft e der Schulstunden wird der Unterricht in französischer Sprache abgehalten und in der anderen Hälft e auf deutsch. Als »Schulbus« für die französischen Schüler steht die Rheinfähre Kappel zur Verfügung.

Der private Verein »ABCM Zweisprachigkeit« und die Lehrer, zuständig, die Elternvereine verwaltete in Bindernheim / Alsace / Depar- »Les Misela« (für die französischen Kinder) tement Bas Rhin seit mehr als zehn Jahren und der »Förderverein für Zweisprachigkeit« eine zweisprachige Schule, in der deutsche (für die deutschen Kinder), waren für die Be- und französische Kinder im Alter von 3 bis treuung und den Schulbedarf verantwortlich. 10 Jahren einen zweisprachigen Unterricht in Ein Pilotprojekt also. Deutsch und Französisch erhielten. 55 Kin- Das Aus kam, als die auf Privatgrund ste- der wurden dort unterrichtet, 35% davon ka- hende Schule nicht mehr den französischen men aus badischen Dörfern. Es ist die ein- Sicherheitsvorschrift en entsprach; die Räume zige Grundschule entlang der Rheinschiene in Bindernheim waren klein, der Bau überal- gewesen, die den deutschen Kindern einen tert, zudem sollte das Grundstück anderwei- paritätischen Unterricht mit 12 Stunden auf tig genutzt werden. Was tun? Auf elsässischer Deutsch und 12 Stunden auf Französisch pro Seite gab es keine Lösung. Es blieb also nur der Woche anbot. ABCM war für die Pädagogik Blick über den Rhein und eine Standortsuche auf der deutschen Seite. Dort wurde man fündig. In Kappel-Gra- fenhausen im Ortenaukreis, direkt auf der anderen Rheinseite, stand eine Schule halb leer. Dank der Unterstützung des deutschen Bürgermeisters kann nun die französische Schule mit allen Schülern und Lehrern nach Kappel umziehen. Eine ideale Lösung. Die in Baden-Württemberg niedergelassene Schule bleibt eine Einrichtung französischen Rechts Die Rheinfähre Kappel ersetzt den Schulbus und wird künft ig nach französischen Bil-

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290_Klein_Europa am Oberrhein.indd 290 04.06.2013 22:31:08 dungsprogrammen auf deutschem Boden Kappel-Grafenhausen liegt die Betonung unterrichten. In Kappel sind die Räume we- auf einem paritätischen, bilingualen Unter- sentlich größer und geeigneter. Und wie richtsangebot. Das heißt: der Stundenplan schon bisher, ersetzt die Rheinfähre Kappel wird zur Hälft e sprachlich aufgeteilt. Unter- den Schulbus. richtet werden 12 Stunden auf Deutsch und Das zweisprachige paritätische Unter- 12 Stunden auf Französisch pro Woche und richtsangebot wird für die Kinder beider Sei- zwar in allen Fächern, zum Beispiel auch in ten des Rheins erhalten, mit dem Vorteil für Mathematik. Dieses Unterrichtsmodell wird die französischen Kinder, ihr Sprachbad in ei- von 315 Elementar- und Primarschulen in nem deutschsprachigen Umfeld vertiefen zu den beiden Départements Haut Rhin und Bas können. Zudem bietet sich eine enge Zusam- Rhin der Region Alsace seit Jahren mit Erfolg menarbeit mit der deutschen Taubergießen- praktiziert und im Schuljahr 2012/2013 wei- Grundschule in Kappel an. ter geführt. Insgesamt werden ca. 12% der el-

Der grenzübergreifende Charakter des sässischen Grundschulkinder in bilingualen Projektes ist unbestritten. Es handelt sich Zügen mit 12 Stunden auf Deutsch und 12 keineswegs nur um eine reine Verlagerung, Stunden auf Französisch unterrichtet und ca. sondern um eine doppelte, deutsch-franzö- 88% der Kinder erhalten Deutschunterricht sische Angelegenheit und Innovation: bilin- mit 2–3 Stunden pro Woche. gualer deutsch-französischer Unterricht für Das baden-württembergische Unterrichts- deutsche und französische Kinder. Sie kom- programm »Französisch in der Grundschule men weiterhin aus der Gegend von Kappel- entlang der Rheinschiene« hingegen sieht lei- Grafenhausen und aus dem elsässischen Ried. der nur 3 Wochenstunden Sprachunterricht Die gute Zusammenarbeit zwischen der Ge- in Französisch vor. Ein wesentlicher Unter- meinde Kappel-Grafenhausen und dem Päda- schied also. Pädagogen aus Baden halten das gogischen Träger den Projektes (ABCM, Les französische Unterrichtsmodell der »Classes Misela) ist dabei Voraussetzung. bilingues« dem baden-württembergischen Die Eröff nung einer französischen, bilin- Fremdsprachenangebot in der Grundschule gualen Grundschule in Baden-Württemberg für haushoch überlegen. ABCM aber auch ist neu. Zwar gibt es schon bilinguale Unter- die elsässische Schulverwaltung in Strasbourg richtsangebote in einigen deutschen Grenzge- sind überzeugt, dass der paritätische, zwei- meinden an der Rheinschiene, aber im Falle sprachige Unterricht einen wichtigen Faktor

Badische Heimat 2 / 2013 Die bilinguale Grundschule in Kappel-Grafenhausen 291

290_Klein_Europa am Oberrhein.indd 291 04.06.2013 22:31:09 zur Förderung der Interkulturalität und der Interview der Badischen Heimat Mehrsprachigkeit darstellt, nicht zuletzt auch mit Pierre Klein im Hinblick auf die spätere berufl iche Qua- lifi kation der Jugend in der Metropolregion Badische Heimat (BH): Was ist ABCM und Oberrhein, in den Euro-Distrikten und erst welche Ziele/Aufgaben hat ABCM? recht in Europa. Pierre Klein: ABCM (Association pour le bi- Mit der Einrichtung der Modellschule in linguisme en classe dès la maternelle) bedeutet Kappel-Grafenhausen wurde auch für die »Verein für die Zweisprachigkeit in der Schule Schulverwaltung Neuland betreten. Zahlrei- ab der Vorschule« (école maternelle). ABCM che Gespräche des Vorsitzenden des Schul- will allen Eltern, die den Wunsch haben, ihren trägers ABCM waren nötig. Alle zogen mit. Kindern eine regionale, zweisprachige Schuler- Das Regierungspräsidium Freiburg und das ziehung vom jüngsten Alter an zukommen zu Staatliche Schulamt Off enburg unterstützten lassen, dies auch ermöglichen. Das angestrebte die Initiative von Anfang an und haben die Ziel ist die sowohl mündliche als auch schrift - Auslagerung befürwortet. Der Präsident der liche Beherrschung der beiden Sprachen am Région Alsace sicherte dem privaten Träger- Ende der Schulzeit, d. h. einfach ausgedrückt verein ABCM weiterhin die fi nanzielle Förde- zweisprachig zu sein. Mit Regionalsprache ist rung der Region zu, obwohl sich die Schule das Deutsche sowohl in der Standardform als auf deutschem Boden befi ndet. Die Gemeinde auch in den fränkischen und alemannischen Kappel-Grafenhausen schloss mit dem Trä- Mundarten der Region gemeint. gerverein einen mittelfristigen Mietvertrag. BH: Ist ABCM vom Rectorat der Academie Der Mietzins deckt gerade die laufenden Kos- Strasbourg (französische Schulverwaltung) ten für das Schulgebäude. Der Bürgermeister als Schulträger zugelassen? Wie viele Schulen ist zuversichtlich, dass mit der neuen bilingu- unterhält ABCM im Elsass? alen Schule die Gemeinde Kappel-Grafenhau- Pierre Klein: Ja, ABCM ist von der »Educa- sen als Wohnort attraktiver wird. tion Nationale« anerkannt. Der Verein ver- Bereits heute ist absehbar, dass die bilin- waltet zur Zeit zehn Schulen, die ca. 1000 guale Grundschule ihr Einzugsgebiet in der Schüler beherbergen. Ortenau durch zunehmendes Elterninteresse BH: Wird ABCM von den elsässischen Ge- wird erweitern können. Ein schönes Beispiel bietskörperschaft en unterstützt? für die Praxis gut nachbarschaft licher Zu- Pierre Klein: ABCM kann nur funktionieren, sammenarbeit am Oberrhein über die natio- weil die elsässischen Gebietskörperschaft en nalen Ländergrenzen hinweg. dem Verein fi nanzielle Mittel zur Verfügung stellen, mit denen die Lehrer bezahlt werden. BH: Wodurch unterscheidet sich ABCM von den anderen öff entlichen Elementar- und Pri-

Anschrift des Autors: marschulen im Elsass? Pierre Klein Pierre Klein: Zuerst durch die Pädagogik. Un- 3 rue du Hohwald ter zweisprachigem Unterricht verstehen wir F-67230 Huttenheim einen Unterricht von zwei Sprachen in zwei E-Mail: Sprachen, ohne jemals auf das Werkzeug der [email protected] Übersetzung zurückgreifen zu müssen, nach

292 Pierre Klein Badische Heimat 2 / 2013

290_Klein_Europa am Oberrhein.indd 292 04.06.2013 22:31:09 einer Pädagogik, die sich ein frühes Sprach- darddeutschen, mit dem es seit früher Zeit bad zu Nutze macht. Deshalb ist die Schule in einem engen Bezug steht und dem es eine konstitutiv verbunden mit einem zweisprachi- immerwährende sprachliche und kulturelle gen Kindergarten, der »École Maternelle«, de- Bereicherung verdankt. Elsässerdeutsch be- ren Besuch Voraussetzung für den Besuch der gründet die französisch-deutsche Zweispra- Grundschule ist. Kinder, die die Schule erst chigkeit des Elsass und rechtfertigt sie. nach Erreichen des sechsten Lebensjahres in- BH: Welche Perspektiven / weitere Ziele hat tegrieren möchten, müssen einschlägige Vor- ABCM? kenntnisse in der zweiten Sprache vorweisen Pierre Klein: ABCM will und kann nicht die können. Diese Methodologie des Eintauchens, Education Nationale ersetzen. ABCM öff net auch »Immersion« genannt, basiert auf dem nur einen bilingualen Zug und zwar dort, wo natürlichen Erwerb der Sprache. Das Kind die eine Nachfrage besteht, die nicht von der lernt die zweite Sprache wie auch die erste Education Nationale befriedigt werden kann. Sprache durch Nachahmung und Reproduk- ABCM wird in der Zukunft weiter an der Ent- tion. Diese Pädagogik nutzt als Prinzipien: die wicklung der Zweisprachigkeit arbeiten. Es der Frühzeitigkeit, ab dem dritten Lebensjahr geht aber nicht nur um Sprachkompetenzen. die der Dichotomie, also für jede Sprache ei- Außer der Aneignung von zwei Sprachen er- nen native speaker als Lehrkraft , ferner die der möglicht die eingesetzte Methodik, den Kin- Kontinuität und die des ausreichenden Eintau- dern die Öff nung für zwei Kulturen, die sie zu chens in die »schwächere« Sprache. verstehen und zu integrieren lernen, und sie BH: Mit welchem pädagogischen Programm lernen, daraus eine Synthese zu machen. Sie ist arbeitet ABCM? Hat ABCM eigene Lehrer? eine Lehre des Andersseins und des Zusam- Entsprechen die Unterrichtsinhalte dem fran- menlebens. Nicht zuletzt soll die aufgebaute zösischen Lehrplan für die Grundschule? Zweisprachigkeit die Teilnahme an die Wirt- Pierre Klein: ABCM passt sich an das Cur- schaft sumwelt u. a. des Oberrheins erleichtern. riculum der Education Nationale an, hat aber seine eigene Lehrer und eine eigene Pädago- gische Hochschule. Die französischen Pro- Pierre Klein, Wirtschafts-Pädagoge, gramme stehen den deutschen sehr nah: man Schrift steller und Autor mehrerer Werke lernt vor allem Lesen, Schreiben und Rechnen und zahlreicher Artikel zur elsässischen BH: Müssen die Eltern für ihre Kinder Schul- Kultur und Zeitgeschichte; Förderer des geld an ABCM bezahlen? zweisprachigen Unterrichts und der elsäs- Pierre Klein: Ja, die Eltern bezahlen nach sischen Identität; 1983–1988 Präsident der Einrichtung und Angebot der Schule zwi- René-Schickele-Gesellschaft Strasbourg; schen 400 € und 800 € pro Jahr Gründungsmitglied der elsässischen Ver- BH: Ist für ABCM der elsässische Dialekt einigung »Lehrer« und Mitglied der Ver- wichtig? einigung ABCM Zweisprachigkeit; Präsi- Pierre Klein: Die elsässische Regionalsprache dent der Vereinigung »Freunde der zwei- ist die deutsche Sprache, die Standardsprache, sprachigen Kultur im Elsass«; Präsident sowie das »Elsasserditsch«. Elsässerdeutsch der Bürgerinitiative für Einheit in der ist eng verwandt mit einer der höchstentwi- Vielfalt; lebt in Huttenheim/Bas-Rhin. ckelten Kultursprachen Europas, dem Stan-

Badische Heimat 2 / 2013 Die bilinguale Grundschule in Kappel-Grafenhausen 293

290_Klein_Europa am Oberrhein.indd 293 04.06.2013 22:31:09 Maria Ursula Gött, geb. Schneller, die Mutter des Dichters Emil Gött Biographie einer unehelichen Mutter (1843–1927)

Renate Liessem-Breinlinger

Im Zusammenhang mit ihrem Sohn, dem Dichter und Lebensreformer Emil Gött, wurde Ma- ria Ursula Gött, geb. Schneller, in der regionalen Literaturgeschichte immer wieder erwähnt, am Rande zwar, aber mit dem Hinweis, dass sie im Leben ihres Sohnes eine bedeutende Rolle gespielt habe, und mit der Andeutung, dass ihre Biographie ein Geheimnis berge. Gemeint war die Frage nach dem leiblichen Vater ihrer Kinder Emil und Ida, die Josef Gött bei der Eheschließung 1866 adoptiert hat. In diesem Beitrag »Maria Ursula Gött, geb. Schneller, die Mutter des Dichters Emil Gött, Biographie einer unehelichen Mutter 1843 – 1927« wird der Versuch unternommen, mittels intensiver Quellensuche eine Antwort zu fi nden. Die Personal- akten des in Freiburg fast vergessenen Bürgermeisters von Th eobald lieferte ein Indiz, seine Nachlass-Akte den Weg zu einem seiner legitimen Nachfahren, der die Neuigkeit gelassen auf- nahm und ein Bild des Genannten beisteuerte.

Maria Ursula Gött, geborene Schneller, hatte Welt, im Januar 1866 die Tochter Ida. Wenige fünf Kinder, aber an ihrem Erstgeborenen, Monate nach der zweiten Geburt heiratete sie dem Dichter, Erfi nder und Lebensreformer den Feldwebel Josef Gött, der beide Kinder Emil (1864–1908) hing sie mit außergewöhn- als ehelich anerkannte. In ihren autobiogra- licher Zuneigung, man ist versucht zu sagen phischen Aufzeichnungen, die im Freiburger mit abgöttischer Liebe. 13 Jahre nach seinem Stadtarchiv erhalten sind und sich wie eine Tod veröff entlichte sie das Büchlein Emil Gött. Mischung aus Brief an den Sohn und Tage- Sein Anfang und sein Ende. Aufzeichnungen buch lesen, beschreibt sie den Eintritt von Va- seiner Mutter Maria Ursula Gött. Ob man ter Gött in ihr Leben ganz knapp und über- ihr deswegen Bedeutung als Schrift stellerin spielt die Widersprüche in der Chronologie. zumessen soll, mag off en bleiben. Sie war je- Diese Aufzeichnungen liegen auch ihrem doch eine außergewöhnliche Frau mit einem Büchlein zugrunde. Auch dort übergeht sie ungewöhnlichen Lebenslauf, da sie als zwei- die Ungereimtheiten. Sie konnte allerdings fach uneheliche Mutter mit den Moralvor- nicht verhindern, dass Gerüchte umgingen stellungen und gesellschaft lichen Regeln ih- und über sie getuschelt wurde. Da sie konse- rer Zeit in Konfl ikt geriet und ihnen auf ganz quent dazu schwieg, verselbständigte und ver- individuelle Weise und sehr selbstbewusst die fälschte sich die Geschichte. Ihre Person blieb Stirn bot. Im Mai 1864 brachte sie als 21-jäh- auch nach ihrer Zeit geheimnisumwittert, so riges Dienstmädchen ihren Sohn Emil zur dass Kenner der Biographie des Dichters Emil

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 294 04.06.2013 22:34:12 Gött off en lassen mussten, ob dieser Josef Gött für seinen leiblichen Vater hielt, hieran zwei- felte oder gar seinen Vater kannte. Die einzige, die schrift lich festhielt, was sie gerüchteweise über Mutter Gött gehört hat, ist Helene Falley-Killian, Schrift stellerin, Tochter des Mediziners Gustav Killian (1860–1921), der Gött 1907/08 Fürsorge und Pfl ege ange- deihen ließ. In einem Brief an ihren Bruder Hans Killian schrieb sie 1960 das Folgende: »Während ich nun so über Gött sinniere, sind mir plötzlich – nach 50 Jahren! – bestimmte Erinnerungen gekommen, Mitteilungen, die ich von unseren Eltern direkt habe. Emil Gött, so wurde damals gefl üstert, soll der natürliche Sohn des Freiburger Bürgermeisters Schuster gewesen sein. Frau Gött war damals Dienst- mädchen im Hause. Und als sie das Kind er- wartete, verschafft e Schuster ihr den Soldaten Gött als Mann und besorgte ihm die Stellung Dieses Emil-Gött-Portrait von 1899 erschien 1964 beim Grundbuchamt. Sollte das stimmen, zum 100. Geburtstag des Dichters in der Badischen was ich eigentlich nicht bezweifl e, wäre Götts Heimat und wurde als Postkarte verbreitet. Problematik sehr aufgehellt. Nämlich: die besondere Bindung an die Mutter (Mutter- schicksal), das glatte Unverständnis von Sei- durch den verstorbenen Oberbürgermeister ten des Vaters …«. Fauler veranlasst, nicht in den Staatsdienst, Helene Falley schreibt genau das, was hinter sondern in den der Stadtgemeinde zu treten, vorgehaltener Hand beharrlich weitererzählt da er dafür sorgen wolle, dass ich mich mit der wurde, aber eigentlich nicht stimmen kann: Zeit besser als im Staatsdienste stellen würde. Maria Ursula Schneller war nicht Dienstmäd- Auf diese Aufmunterung hin, trat ich dann am chen bei Bürgermeister Carl Schuster (1823– 10. Juni 1866 (:anfänglich mit Tagesgebühr:) in 1891), sondern bei seinem Vorgänger Ludwig den städtischen Dienst.« Seine Einstellung er- von Th eobald (1828–1890), der nur sehr kurz folgte unorthodox und unter Zeitdruck; die in Freiburg das für ihn neugeschaff ene Amt Stelle wurde erst Monate später ausgeschrie- des Zweiten Bürgermeisters bekleidete. Wer ben, woraufh in Gött eine Bewerbung verfasste. Josef Gött die Stellung auf dem Grundbuch- Faulers außergewöhnliches Interesse an den amt verschafft e, ist dagegen klar und nach- Diensten des aus Nordbaden stammenden, in zulesen in dessen Personalakte: Es war Ober- der Garnison Freiburg verwendeten Feldwe- bürgermeister Eduard Fauler (1819–1882), der bels, der damals wegen Invalidität den Mili- tatkräft ige Eisenwerksbesitzer und liberale tärdienst quittieren musste, spricht für die Politiker. Josef Gött beschreibt den Vorgang Richtigkeit der Annahme, dass die Ehe gestif- rückblickend so: »Am 6. Juni 1866 wurde ich tet wurde. Dass Schuster gleich doppelt ver-

Badische Heimat 2 / 2013 Maria Ursula Gött, geb. Schneller, die Mutter des Dichters Emil Gött 295

294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 295 04.06.2013 22:34:12 lerin mit einer hübschen Singstimme auffi el, reichten die Mittel der kinderreichen Familie nicht. 1858 kam sie als 15jährige nach Frei- burg »in Stellung«, wurde also Dienstmäd- chen – in der Anlernzeit noch ohne Lohn – bei einer Schuhmacherfamilie, in einem Geschäft shaus am Münsterplatz, in der Wä- scherei/Büglerei einer Verwandten, im Kli- nikum, in einem ländlichen Anwesen am Stadtrand, mit einer durchreisenden Familie auf dem Schwarzwald und einige Monate in Basel als Betreuerin einer pfl egebedürft igen Bürgersfrau. In den 1860er Jahren diente sie in Freiburg im Haushalt des Juristen Lud- wig von Th eobald in der Ludwigstraße. Das Maria Ursula Gött, fotografiert vor 1900 im Haus gehörte seinem Schwiegervater Cajetan Freiburger Foto-Studio Prinz Jäger und dessen Ehefrau Elise Wilhelmine Charlotte, geb. von Langsdorff . Jäger war in Freiburg sehr angesehen und bekleidete da- wechselt wurde, mit Fauler und von Th eobald, mals das Amt des Stadtarchivars. Ludwig bleibt ein Rätsel, ist aber vermutlich ein Ergeb- von Th eobald ließ sich nach jahrelangen ver- nis der mündlichen Weitergabe. geblichen Versuchen, eine besoldete Stelle »Mein Lebensfaden war arg verknotet«, im Staatsdienst zu erhalten, 1861 zum Zwei- schreibt Ursula Gött, und er wurde heft ig ten Bürgermeister der Stadt Freiburg wählen, strapaziert, könnte man hinzufügen. Sie ver- gab das Amt aber vor Ablauf der Amtszeit zu lor aber nie den Optimismus und das Grund- Gunsten einer Tätigkeit beim Oberschulrat in gefühl, etwas Besonderes zu sein. Bei Oeft e- Karlsruhe auf. Schon 1864 hatte er um seine ring (Literatur in Baden) wird sie als »warm- Rückversetzung in den Staatsdienst gebeten. herzige, sprudelnde, helläugige Frau, die 1865 wiederholte er seine Bitte fast panikar- einige Kalendergeschichten geschrieben hat«, tig; die Karlsruher Ministerien reagieren aber geführt. In ihrem Büchlein von 1921 ist ein negativ mit Verweis auf seine mäßigen Exa- Altersbild überliefert, das sie als streng bli- mensnoten. Erst ein sehr emotionales Schrei- ckende etwas füllige Greisin zeigt. Als junge ben an den Großherzog persönlich bewirkte Frau war sie allen Indizien zufolge attraktiv, 1866 seine rasche Versetzung nach Karlsruhe. gesund, agil, nicht ganz schlank, was dem da- Den dringenden Wunsch, Freiburg zu verlas- maligen Schönheitsideal entsprach. sen, begründete er mit »Rücksichten für das Versuchen wir, ihren Lebensfaden zu ent- Wohl und die Zukunft meiner Familie«. wirren: Maria Ursula wurde 1843 in Jechtin- Maria Schneller gab vier Monate nach der gen a. K. als Tochter des Bierbrauers Conrad Geburt der Tochter Ida Josef Gött das Jawort. Schneller und seiner Frau Veronika geboren. Die Trauung fand am 7. Juni 1866 in der Pfar- Für eine Berufsausbildung der Tochter, die in rei St. Martin statt. 1868 kam die Tochter der Volksschule als gute, etwas vorlaute Schü- Amalie zur Welt. 1873 zog die Familie ins ei-

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 296 04.06.2013 22:34:12 gene Haus in der Hebelstraße, das Josef Gött gemeinsam mit seiner verwitweten Schwie- germutter Veronika Schneller erworben hatte. Ursula Marias Schwester Cäcilia betrieb hier eine Wäscherei mit Büglerei. Die Großfamilie lebte nun in einem freundlichen hellen Neu- bauviertel. Mit acht bzw. elf Jahren Abstand zu Amalie brachte G. Anna und Th eophil auf die Welt. Der Vater verdiente gut, denn neben seiner Büroarbeit bei der Stadt ging er der von OB Fauler genehmigten Nebenbeschäft igung nach: Als Vertreter einer Basler Bank ver- mittelte er Hypotheken, woran zu jener Zeit angesichts der regen Bautätigkeit nach dem Krieg 1870/71 Bedarf bestand. Von den materiellen Bedingungen her konnte G. in jenen Jahren unbeschwert leben. Glücklich war sie nicht, nach ihren Aufzeich- nungen zu urteilen. Sie hätte sich gern auf ei- ner höheren gesellschaft lichen Ebene bewegt Mutter Gött als etwa 60-Jährige um 1900. und litt unter bösartiger Nachrede, ohne de- Die Aufnahme ist Volker Schupps Buch ren Inhalt zu nennen. Unschwer errät man je- »Emil Gött« von 1992 entnommen. doch den Zusammenhang, wenn sie bald da- rauf berichtet, OB Schuster habe 1875 vor dem das im Schatten des Münsters spielen sollte. Amtsgericht wegen Verleumdung geklagt. In Er intensivierte seine Besuche im Stadtarchiv, diesem Verfahren habe Josef Gött ausge- wo er sich schon als Schüler und Student zu sagt, dass seine Frau nicht bei Schuster, son- Zeiten Cajetan Jägers regelmäßig mit Literatur dern bei Bürgermeister von Th eobald gedient versorgt hatte. Das schreibt sie auf Seite 20 in habe. Leider ist nur Mutter Götts Bericht, aber ihrem Büchlein von 1921. Er legte den ersten keine Gerichtsakte erhalten. Schuster scheint Teil seines Werkes auf dem Rathaus vor, wo es der Familie Gött wohl gesonnen gewesen zu Lob und Anerkennung fand. Die Erwartung, sein. Vater Gött kümmerte sich um Schusters von der Stadt Hilfe bei der Finanzierung ei- Fischzucht in Merzhausen, wofür er mit Th e- nes Archivaufenthalts in Straßburg zu erhal- aterkarten entlohnt wurde, von denen seine ten, erfüllte sich ebenso wenig wie Mutter kulturell interessierte Ehefrau gern Gebrauch Götts Hoff nung, ihr Sohn könne Stadtarchi- machte, auch wenn sie dort von den Damen var in Freiburg werden. »Jener alte Archivar der Gesellschaft als Außenseiterin behandelt (C. Jäger, der Schwiegervater von Bürgermeis- wurde. ter von Th eobald) wollte, dass mein Sohn die Als zu Beginn der Ära Winterer (1888– Stelle haben sollte«. 1913) die Gründung des Münsterbauvereins 1889 war ein Wendejahr in Maria Ursulas vorbereitet wurde, ermutigte Mutter Gött ih- Biographie. Vater Gött bekam auf dem Rat- ren Sohn Emil, ein Th eaterstück zu verfassen, haus den neuen Wind unter dem jungen OB

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 297 04.06.2013 22:34:13 lastenfrei. Am schwersten wog, dass sie kein regelmäßiges Einkommen mehr hatte, da ihr weder von der Stadt noch vom Militär eine Witwenrente zustand. Die Hausgemeinschaft in der Hebelstraße veränderte sich: Carl Zeise zog ein und betrieb die Basler Hypotheken- vertretung. Vater Gött hatte ihn als zukünft i- gen Schwiegersohn (Bräutigam von Ida Clara) in die Materie eingeführt. Um die geschäft li- che Kontinuität kenntlich zu machen, nahm dieser auf Wunsch der Basler Bankiers den Namen Zeise-Gött an. Nach wie vor begleitete Mutter Gött die geistige und künstlerische Entwicklung ihres Sohnes, seine Projekte und Experimente mit Bewunderung und Engagement. Sie glaubte unverbrüchlich an seine große Zukunft . Sie half ihm auch fi nanziell, ohne sich über die Das Ölbild zeigt Mütter Gött als etwa 79-Jährige um 1912. Schupp nennt Willy Berthold als Maler. Gleichstellung seiner Geschwister Sorgen zu machen. 1894 kauft e Emil eine große Liegen- schaft in Zähringen und ließ sich bei der Fi- Otto Winterer (1864–1915) zu spüren: Eine nanzierung durch Schwager Zeise-Gött be- sechsköpfi ge Kommission wurde einberufen, raten. Maria Ursula erschrak zwar, half aber die Josef Gött seine Nebentätigkeit ab sofort weiter, indem sie ihr Vermögen angriff und untersagte. Schon 1884 hatte sich in Kolle- selbst mittellos wurde. 1895 übernahm Carl genkreisen Unmut geregt wegen der »Basler Zeise das Haus Hebelstraße 24. Ab 1907 Geschäft e« und seinem »bedeutenden Neben- wurde ihr Dasein ruhelos. Sie wohnte nicht einkommen«. Damals folgte aber nur eine mehr in der Hebelstraße, sondern zog in kur- halbherzige Reaktion: Er sollte die Kapital- zen Abständen von einer Dachkammer in die vermittlungen außerhalb der Bürostunden andere. Den Lebensunterhalt verdiente sie abwickeln. Vater Gött empfand die Entschei- als Waschfrau in fremden Häusern, was sie dung von 1889 als starken Eingriff in seine mit trotzigem Stolz bekennt. Ab und zu habe Rechte und das Interesse seiner Familie und sie Kalendergeschichten geschrieben für den kündigte das Dienstverhältnis mit der Stadt. Lahrer Hinkenden Boten. Es gab damals viel Wenige Monate später verstarb er nach einer Streit in der Großfamilie, auch zwischen Emil »Operation eines langjährigen Leibschadens«. und ihr; Schwiegersohn Zeise habe ihn gegen Vermutlich verkannte Maria Ursula, die sie aufgehetzt. damals noch zwei unmündige Kinder zu ver- Im April 1908 starb ihr Sohn Emil an sei- sorgen hatte, die Tragweite der Veränderun- nem Herzleiden. Seine Mutter hatte damit den gen durch den Eintritt in den Witwenstand. Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens verloren. Sie erbte zwar den halben Hausanteil zu al- Sie trauerte jedoch aktiv und begann alsbald leinigem Eigentum; dieses war jedoch nicht Kontakte zu knüpfen, um an seinem Nach-

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 298 04.06.2013 22:34:13 ruhm zu arbeiten. 1909/10 war sie nach einem komplizierten Armbruch ein Jahr lang im evangelischen Altenheim an der Hermann- straße. Von 1910 bis 1913 lebte sie – wieder in der Lage körperliche Arbeit zu leisten – bei einer Apotheker-Familie in der Schwarzwald- straße. Damals gelang es ihr, mit Hans Th oma (1839–1924) bekannt zu werden. Vermittler war der Dichter Albert Geiger, der Hans Th o- mas 70. Geburtstag gestaltet hatte. Die Korres- pondenz mit Hans Th oma über zwölf Jahre hin bis zu dessen Tod, dann weiter mit seiner Schwester Agathe (1848–1929), die jährlichen Besuche in Karlsruhe und Marxzell im Alb- tal gaben ihr Halt und ein bisschen Glanz. Ihr größter Tag war Anfang Juli 1917, als in Karls- ruhe Emil Götts Drama »Der Schwarzkünst- ler« aufgeführt wurde und sie an der Seite von Hans Th oma in einer Loge Platz nehmen durft e, vom Intendanten Bassermann begrüßt und zu ihrem Sohn beglückwünscht wurde. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Ludwig von Theobald (1828–1890), Altersbild, sie in Lazaretten, wofür sie mit einer Kriegs- Fotografie aus dem Privatbesitz von verdienstmedaille ausgezeichnet wurde. Im Prof. Dr. Klaus Schredelseker, Innsbruck. Spätjahr 1917 erlitt sie einen Schlaganfall, Ludwig von Theobald war 1884–1890 von dem sie sich jedoch so weit erholte, dass Oberamtmann in Emmendingen. sie 1921 ihr Büchlein veröff entlichen konnte. Körperlicher Lohnarbeit konnte sie nicht »damit sie eine Erleichterung ihres irdischen mehr nachgehen. Die Aufenthaltsorte wech- Spätabends erfährt«. seln nach wie vor in rascher Folge: das Hei- Das Leben der Mutter Gött gibt nach wie liggeistspital, eine Fremdenpension in der Rö- vor Rätsel auf. Sie machte sich z. B. beharrlich derstraße, ein Heim in Günterstal, die Kreis- ein Jahr älter, womit sie beim Beginn der ers- Pfl egeanstalt, die Kartaus-Anstalt, zuletzt das ten Schwangerschaft volljährig gewesen wäre. Wirtshaus Zur Kartaus. Agathe Th oma be- Das falsche Geburtsjahr ging in die Literatur dauert 1925 ihre Freundin, die »kein ruhiges ein: Droop berichtet, dass sie 1917 ihren 75. Plätzchen« habe. Geburtstag feierte und er das Glück hatte, in Der aus Karlsruhe gebürtige Berliner Jour- diesen Tagen »die lebensfrohe Greisin mit den nalist und Freund Emil Götts Gustav Manz schönen blauen Augen« zu treff en. Ihre letzte (1868–1931) kannte die bedrängten Verhält- Ruhestätte fand sie auf dem Freiburger Haupt- nisse der Dichtermutter. In seiner Rezen- friedhof neben ihrem Sohn auf dem Ehrenfeld, sion ihres Büchleins sprach er ihr Seelenadel das die Stadt diesem 1918 zuerkannt hatte. In zu und hofft e, ihr Leser zuführen zu können, jüngerer Zeit wurde an diesem stimmungsvol-

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 299 04.06.2013 22:34:13 len Platz eine Stele mit einem Gött-Vers errich- Dem Andenken des Dichters Emil Gött, 1928: Wil- tet. Der Schluss passt zum Leben der Dichter- helm E. Oeft ering, Geschichte der Literatur in Ba- den, in: Heimatblätter vom Bodensee zum Main Nr. Mutter: »Hebe dich, Mensch, verzage nicht!«. 47, hg. v. d. BH 1939; Hans Killian, Professor Gustav Killian und Emil Gött, in: BH 37/1957, S. 40; Ders., Quellen: Emil Götts Wirken und Wesen. Ansprache zu sei- ner Gedächtnisfeier in Jechtingen am 1. Juni 1958, StadtAF, K1/12 (Nachlass Emil Gött, enthält die 8 in BH 38/1858, S. 172–182; Eberhard Meckel, Die Heft e mit den Aufzeichnungen der Mutter); B1/287 Wahrheit über Emil Gött, in: Zwischen Murg und (Gött-Briefe, enthält die Briefe Hans Th oma an Mut- Kinzig. Heimatblätter des Badischen Tagblatts für ter Gött); Grundbuch 81 (1890–1892) und 93 (1895– Geschichte, Brauchtum, Wirtschaft und Kultur, Nr. 1896); H/17591 (Nachlass Veronika Schneller); D 263 und 264, 1964; Volker Schupp, Emil Gött, Doku- (Friedhofskommission) 2/1; K1/15 (Nachlass Ca- mente und Darstellungen zu Leben, Dichtung und jetan Jäger); Einwohnerbücher; Meldekartei; GLAK, früher Lebensreform, mit Beiträgen von Meinhold 76/7835–7836 (PA Ludwig von Th eobald); 76/354– Lurz und Barbara Noth, 1992; Helene Falley-Killian, 355 (PA Franz Bauer, Direktor der Höheren Töchter- Gestaltetes Leben. Aus ihrem Nachlass. hg. v. ihrer schule Freiburg); StAF, B 15/1/1, Emmendingen, Abt. Tochter Bettina Schulz-Klingauf, 1992; Die Amts- IV, Nr. 1720 (Nachlass Ludwig von Th eobald); EAF, vorstände der Oberämter, Bezirksämter und Land- Kirchenbücher der Pfarrei Jechtingen, für die Re- ratsämter in Baden-Württemberg 1810–1972, 1996; cherche danke ich Frau Marie-Christine Didierjean. Edelgard Spaude, Eigenwillige Frauen in Baden, 1999, Archiv der Emil-Gött-Gesellschaft , Abschrift eines S. 255–282. Briefes von Helene-Falley-Killian an ihren Bruder Hans vom 28.01.1960; familiengeschichtliche Doku- mente im Besitz von Prof. Dr. Klaus Schredelseker, Großenkel von Paula von Th eobald.

Literatur:

Fritz Droop, Götts Vermächtnis, 1917; Gustav Manz, Anschrift der Autorin: Mutter Gött, in: Unterhaltungsbeilage der Täglichen Renate Liessem-Breinlinger Rundschau, Berlin, 10. Juni 1921; Hero Max (Eva Jacobistraße 31 Hermine Peter), Legenden um Mutter und Sohn. 79104 Freiburg

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294_Liessem - Maria Ursula Gött.indd 300 04.06.2013 22:34:13 Carl Peter Pflästerer (1888–1961) Ein badischer Baumeister für Karlsruhe – zum 125. Geburtstag

Rolf Fuhlrott

Der Beitrag will zeigen, dass ein strebsamer Mensch aus sog. kleinen Verhältnissen auch ohne Hochschulausbildung Großes leisten kann. Der gebürtige Carl Peter Pfl ästerer stieg so allmäh- lich in seiner Wahlheimat Karlsruhe bis an die Spitze der Stadtplanung auf und diente sie- ben Oberbürgermeistern und unter drei verschiednen Regierungssystemen. Im Dritten Reich beauft ragten ihn die ‚Machthaber’, Karlsruhe als Gauhauptstadt mit repräsentativen Auf- marschstrassen und Monumentalbauten nach dem Vorbild eines Albert Speer in Berlin auszu- bauen. Dies brachte ihm das Aushängeschild eines Nazi-Architekten ein, obwohl seine Pläne nur auf dem Papier ihren Niederschlag fanden. Der Beitrag will daher auch die andere Seite seines Wirkens zeigen, auch Privates und dass er als Baumeister trotz seiner Brüche in einer Umbruchzeit das Bild der Stadt Karlsruhe maßgeblich mitgeprägt hat.

1. Prolog gehende Kunsthistorikerin als Masterarbeit verfasst und zum 75-jährigem Bestehen des Carl Peter Pfl ästerer war, was man heute ei- Stadtplanungsamtes im Zusammenhang mit nen »Selfmademan« nennen würde, der im einer Ausstellung und einer Vortragsreihe wesentlichen aus eigener Kraft auf dem Gebiet präsentiert hat2. In dieser Biografi e, wie auch des Bauwesens, insbesondere der Architektur in Ausstellung und Vortrag wurde vielleicht und des Städtebaus, aber ohne eigentliche ein zu starkes Gewicht auf die gigantischen Ausbildung oder gar einen Studienabschluss Planungsentwürfe Pfl ästerers im Geiste des bis in eines der höchsten Ämter der Karlsru- Dritten Reiches gelegt, so dass er – bei seiner her Bauverwaltung, dem Stadtplanungsamt, Entnazifi zierung nach Ende des 2. Weltkrie- aufstieg und während seiner Zeit von fast 35 ges nur als Mitläufer eingestuft – gewisser- Jahren nicht nur sieben Oberbürgermeistern maßen in eine Nazi-Schublade geriet. Darum seiner Wahlheimat Karlsruhe, sondern auch soll hier aus Anlass seines 125. Geburtstages drei Regierungssystemen, der Weimarer Re- versucht werden, das Augenmerk stärker auf publik, dem Dritten Reich sowie der jungen seine anderen Leistungen zu lenken. Bundesrepublik diente. Wussten bislang nur Eingeweihte von den Leistungen Pfl ästerers für Karlsruhe1, so ge- 2. Herkunft und Familie riet er mit einem Schlag 2011 in das Licht der Öff entlichkeit durch eine Dokumenta- Carl Peter Pfl ästerer wurde am 22. März 1888 tion über sein Leben und Werk, die eine an- in Weinheim an der Bergstraße geboren. Er

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 301 04.06.2013 22:35:02 Abb. 1: Titelblatt und Stammbaum der Familiengeschichte. Foto: privat

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 302 04.06.2013 22:35:03 entstammte einer lange und weit verbreiteten oder weitere Gründe gewesen sein, bis sie um Familie, die über Jahrhunderte hinweg na- 1500 an der Bergstraße wieder auft auchten. mentlich in den Archivalien nachgewiesen ist, Von der dortigen Heidelberger Linie zog An- was er und seine Cousins in einer eindrucks- fang des 16. Jahrhunderts ein gewisser Pfl es- vollen 150-seitigen Dokumentation als Ergeb- terer / Pfl asterer der Heirat wegen von Hei- nis ihrer Namens- und Familienforschung delberg nach Weinheim und begründete da- niedergelegt haben3. Diese hat er mit eigenem mit die älteste, die Weinheimer Linie, die mit Einbandentwurf, Zeichnungen und einem über 4000 Vorfahren bis heute den dichten wörtlich zu nehmenden, kolorierten Stamm- Stammbaum darstellen. So kam schließlich baum (Abb. 1), der über dem Landschaft sbild der hier porträtierte Karl Peter Pfl ästerer 1888 seiner Heimatstadt Weinheim erwächst (des- in Weinheim als Sohn des Schlossers und Na- sen Original sich inzwischen im Stadtarchiv mensgebers Karl Peter Pfl aesterer und seiner Karlsruhe befi ndet), mitgestaltet. Demzufolge Frau Barbara Hördt zur Welt – durch Namen ist ihr Name griechischen Ursprungs und lei- und vielleicht auch mit den Genen seiner Ah- tet sich ab von plasso = ich forme und bilde nen baulich behaft et. und kam mit dem lateinischen plastiarius = der mit Gips oder Lehm formt, über die rö- mische Baukunst in den süddeutschen Raum, 3. Biografie wo er als Gewerbebezeichnung für die Bau- leute schließlich in die heutige Form Pfl aste- Karl Peter Pfl ästerer wuchs im evangelischen rer oder Pfl ästerer (z. B. für Straßenpfl asterer) Elternhaus in Weinheim auf. Über seine eingeführt wurde. So zeigt sich schon früh, Kindheit ist wenig bekannt, nur dass er dort dass selbst der Name vorbestimmend für die Volksschule besuchte und 1896 mit acht Pfl ästerers berufl ichen Werdegang war. Jahren den Vater verlor. Nach zwei weiteren Erste Spuren dieses Namens und Gewer- Volksschuljahren besuchte er bis 1902 das Re- bes führten die Ahnenforscher zu den Bau- algymnasium, das ihm einen Abschluss bot, bruderschaft en des Mittelalters nach Freiburg, der der späteren Mittleren Reife entspricht. wo gerade Anfang des 13. Jahrhunderts mit Schon während der Schulzeit zeigte sich sein dem Bau des Münsters begonnen wurde. Die angeborenes Talent zum Zeichnen und Ma- frühen Ahnen Pfl ästerers waren auch am Bau len, auch verfasste er schon als Jugendlicher des Klosters Adelhausen bei Freiburg betei- Gedichtverse. Nach der Schulzeit ging er einer ligt und wurden nachweislich ebenfalls zum praktischen Tätigkeit nach, auch um im vater- Bau des Maria-Verkündigungskloster in Ro- losen Haushalt ein wenig Geld zu verdienen, morantin bei Orleans berufen. Da trotz der außerdem heißt es, dass es eine Art Lehre im vielen Baustellen Arbeitsgelegenheiten selbst Maurerhandwerk gewesen sei mit Abschluss für Mitglieder der Baubruderschaft in Frei- einer Gesellenprüfung. Darüber allerdings burg nicht ausreichten, fanden die ersten Ab- gibt es keine Belege als nur die eigene Nieder- wanderung in andere Gegenden statt. Ob al- schrift seines Lebenslaufes. Nach Abschluss lerdings die Arbeitssuche der einzige Grund dieser Tätigkeit ging er nach Karlsruhe, um zum Abwandern war, liegt für die nächsten von 1906 bis 1908 an der 1878 gegründeten 300 Jahre im Dunkeln. Es können auch Hun- Großherzoglichen Badischen Baugewerke- gersnöte, Kriege, Seuchen und auch Heirat schule, dem späteren Staatstechnikum und

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 303 04.06.2013 22:35:03 Abb. 2: Das erste eigene Haus auf Knielinger Gemarkung. Foto: privat

heutiger Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft zu studieren, allerdings nur vier Semester, auch ohne Abschluss, aber mit anerkannten Leistungen. Daneben besuchte er zeitweilig die 1854 gegründete Großher- Abb. 3: Karl Pflästerer mit seinem zogliche Badische Kunstschule, die heutige zweiten Sohn Peter im Garten seines Hauses. Staatliche Akademie der Bildenden Künste. Foto: privat Danach, nach Weinheim zurückgekehrt, un- termauerte er seine theoretisch gewonnenen Studienkenntnisse mit praktischen Erfahrun- ges erhielt er eine Anstellung als Architekt in gen als Bauleiter in seiner Ausbildungsfi rma. dem bekannten Büro der Brüder G. u. F. Bet- 1910 verstarb nun auch allzu früh seine Mut- zel, später Betzel & Langstein, die zeittypische ter, so dass er in Weinheim ohne familiäre große Stadthäuser in Karlsruhe bauten (z. B. Bindung war. in der Kaiserallee das Café des Westens). So kehrte er wieder nach Karlsruhe zurück, Mit den auf dem Gebiet der Architektur wo er mit Empfehlung der Karlsruher An- gesammelten Erfahrungen erhielt er am 17. stalt in dem renommierten Architekturbüro Mai 1919 eine Anstellung als Hilfskraft beim von Emil Schweickhardt, der Professor an der Hochbauamt der Stadt Karlsruhe. Bald darauf Technischen Hochschule war, vier Jahre lang im November wurde sein erster Sohn Karl- seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Baupla- Herbert geboren, und im gleichen Jahr begann nung und Bauleitung erweitern konnte bis er für die Familie ein Haus am Ortsrand der zum Kriegsausbruch 1914. Gleich zu Anfang Nachbargemeinde Knielingen am Karlsruher wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und Weg zu bauen (Abb. 2). 1924 wechselte er als musste diesen zuerst in der Türkei, dann in Architekt ins Tiefb auamt und hatte nun Ge- Frankreich ableisten, bis er schließlich zum legenheit, am Generalbebauungsplan für die Heimatdienst eingeteilt wurde. In dieser Zeit Erweiterung der Stadt nach Süden unter dem lernte er seine Frau Klara Schühle kennen, die bekannten Baubürgermeister Schneider mit- er 1917 heiratete. Nach Beendigung des Krie- zuwirken, wie auch an der Planung des neuen

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 304 04.06.2013 22:35:03 Abb. 4: Der umstrittene Anbau an seinem Haus Foto: privat

Stadtteils Dammerstock. 1928 trat er in die Abb. 5: Gigantische Halle, gez. von Pflästerer SPD ein und wurde im November 1931 zum für die Familiengeschichte. Foto: privat Stadtbaurat ernannt, zeitgleich mit der Ge- burt seines zweiten Sohnes Klaus Peter (Abb. 3). Es war die Zeit, da er mit den Erfahrun- ser, sowie sein Nachfolger ab 1938, Dr. Oskar gen des »Neuen Bauens« am Dammerstock in Hüssy, verfuhr streng im Sinne der Parteidis- diesem Stil sein eigenes Wohnhaus erweitern ziplin, so auch in der Stadtplanung, wie man wollte, dazu ein vierstöckiges Turmgebäude sie aus der Gigantomanie eines Albert Speer entwarf und nach der Baugenehmigung zu von Berlin kannte. Pfl ästerer, der durch seine bauen anfi ng (Abb. 4). Mitarbeit am Projekt Dammerstock dem Mitte der 20er Jahre zeichnete sich das Neuen Bauen zugewandt war und dies auch Emporkommen der Nationalsozialistischen an der Erweiterung seines Wohnhauses zeigte, Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ab. 1928 bekam Schwierigkeiten innerhalb des Amtes, hatte bereits Adolf Hitler eine fl ammende da der neue Baustil4 nicht konform ging mit Rede in Karlsruhe gehalten. Und auch bei den dem Geist des Dritten Reiches. Er musste sich Wahlen für das Land sowie die Stadt wurde sogar einem Dienststrafverfahren unterzie- diese Partei immer stärker. Der letzte frei ge- hen, wurde zu einer Geldstrafe verurteilt und wählte Oberbürgermeister, Dr. Julius Finter, wurde auch zurückgesetzt. wurde zwangsabgesetzt und durch den Na- War es auf der einen Seite der Stil des Neuen tionalsozialisten Friedrich Jäger ersetzt. Die- Bauens, der ihm berufl iche Schwierigkeiten

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 305 04.06.2013 22:35:03 Abb. 6: Symbolische Studie: »Immer vor Augen das Ziel. Des Schicksals Wende bedeutet viel. Am Ziel allein der Tod. Was ist das Sein?« Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 7/Nl Pflästerer P147

brachte, so war es andererseits sein Naturell mit dem Hang zum Monumentalen, das sich schon bei der Illustration seiner Familien- chronik zeigte (Abb. 5) wie auch bei der turm- Abb. 7: Pflästerer am Schreibtisch seines Hauses. artigen Erweiterung seines Einfamilienhau- Foto: privat ses, das noch heute mit seinen vier Stockwer- ken die zweigeschossige Wohnbebauung der Umgebung überragt. Dieses Naturell bestätigt Titel »Am Ziel allein der Tod« – und verfasste auch seine Schwiegertochter Inge Pfl ästerer.*) ebensolche Gedichte. Da fährt Inge Pfl ästerer Als Pfl ästerer dann schließlich 1934 als Be- dann fort: amter auf den Führer vereidigt wurde und »Mein Schwiegervater war trotz seiner impo- 1937 in die NSDAP eingetreten war, kam er santen, man kann sagen, alles beherrschenden berufl ich einigermaßen durch diese schwie- Erscheinung, ein tiefsinniger, mystisch veran- rige Zeit. Man hatte bei aller Monumenta- lagter Mensch. Das zeigt sich besonders in sei- lität sein Talent zum Entwerfen und Zeich- nen zahlreichen Gemälden und Zeichnungen, nen erkannt und genutzt. Seine Entwürfe wie auch in seinen Gedichten Er war neben sei- zum Dritten Reich waren zwar vom Gigan- ner technischen Berufung ein exzellenter Maler tismus eines Albert Speer beeinfl usst, wiesen und Zeichner«. aber doch eine gewisse Zurückhaltung auf, Aber bereits vor dem Ende des Krieges ja wollten sogar eine Rückbesinnung auf die stellte er auch schon 1944 Überlegungen für Formensprache Weinbrenners zeigen. Doch einen Wiederaufb au der zerstörten Stadt der inzwischen ausgebrochene Krieg und Karlsruhe an, die er an seinem heimischen die Zerstörung vieler Städte machten Pfl äste- Schreibtisch zu Papier brachte (Abb. 7); an- rers Träume schnell ein Ende. Er sah bald das dere folgten erst später5. Danach erging es Kriegsende voraus, zog sich innerlich zurück, ihm wie vielen zum Kriegsende, zunächst die malte und zeichnete düstere, symbolische Bil- Verhaft ung durch die das Land besetzenden der (Abb. 6) – wie das abgebildete mit dem Franzosen, Entlassung aus dem Dienst, Ent-

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 306 04.06.2013 22:35:04 nazifi zierung, dabei nur als Mitläufer ein- gestuft , so dass er im August 1947 wieder in den Städtischen Dienst aufgenommen werden konnte, wo er dann als Leiter des Stadtpla- nungsamtes sich tatkräft ig für den Wieder- aufb au der Stadt einsetzte, über den er sich schon frühzeitig auf Anraten von Stadtrat Günter Klotz Gedanken gemacht hatte. Jedoch mit dem Ende des Krieges ereilten ihn etliche Schicksalsschläge. Zuvor wurde er auf dem Weg in seine Dienststelle von herab- fallenden Trümmerteilen schwer verletzt. Wieder genesen, wurde sein erster Sohn vor seinem Haus erschossen. Seine Ehe scheiterte, Abb. 8: Das neue Haus in Durlach. aber ebenso sein Versuch, sich von seiner Frau Foto: Rolf Fuhlrott Klara 1950 scheiden zu lassen. Er zog aus dem mit Mühsal und Hindernissen gemeinsam er- bauten Haus aus und nahm sich eine Woh- 4. Beruf, Werk und Leistung nung in der Innenstadt. 1954 trat er in den Ruhestand. Weiter fährt Inge Pfl ästerer fort: Der aufmerksame Leser, der dem Autor bis »So habe ich ihn nach meiner Verheiratung hierher gefolgt ist, wird diesem sicher zu- 1958 mit seinem zweiten Sohn, Peter Pfl ästerer, stimmen, wenn er eingangs Karl Peter Pfl äs- kennen- und verehren gelernt und einiges über terer einen Selfmademan nannte, der keine die Person und den Menschen Karl Pfl ästerer Hochschulreife besaß, keine für Architek- erfahren«. ten übliche Ausbildung durchgemacht hat Zuvor jedoch hatte er ein neues Haus für oder ein Studium aufweisen konnte, son- sich und seine Lebensgefährtin in Durlach dern eher einen großen Teil seiner theore- gebaut (Abb. 8), wo er sich 1955 noch über tischen und praktischen Erfahrungen auto- die Geburt seines dritten Sohnes Karl-Fried- didaktisch gesammelt hat, die ihn, gepaart rich König freuen konnte. Dieser erbte zwar, mit Talent und Ehrgeiz zu einem Architekten wie sich bald zeigte, das künstlerische Talent für Karlsruhe werden ließen, der Spuren in des Vaters, studierte sogar einige Semester der Baugeschichte dieser Stadt hinterlassen an der Kunstakademie in Mannheim, geriet hat, die aber in der Öff entlichkeit weitgehend dann aber auf die schiefe Bahn und ging un- unbekannt geblieben sind. Das hat sich in ter. Karl Peter Pfl ästerer verstarb am 23. Ja- den letzten Jahren geändert, da einige Fach- nuar 1962 im Alter von 73 Jahren. Er wurde leute es unternommen hatten, den Pfl äste- auf dem Durlacher Bergfriedhof begraben. rer-Nachlass zu durchforsten, den Pfl ästerer Sein zweiter Sohn Peter wurde Rechtsanwalt verfügt hat, dem Stadtarchiv zu überlassen und verstarb ebenfalls sehr früh 1972 im Alter und der nach dem Ableben seiner Lebensge- von nur 41 Jahren. Pfl ästerers Lebensgefähr- fährtin 1991 diesem übergeben wurde. Die- tin litt später an der Alzheimerkrankheit und ser enthält eine reiche Sammlung an Plänen, verstarb 1991 in einem Durlacher Pfl egeheim. Zeichnungen, Malereien wie auch Tagebü-

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 307 04.06.2013 22:35:04 Abb. 9: Blick von Osten auf die Dammerstocksiedlung. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXIIIa – 378-47

cher, Notizen und andere Aufzeichnungen, 4.1 In der Weimarer Republik die inzwischen durch ein Findbuch sowie Nachdem also Karl Peter Pfl ästerer 1919 als digital erschlossen sind6, so dass es nun mög- Hilfskraft beim Hochbauamt Karlsruhe an- lich ist, sich ein Bild von Werk und Leistung gestellt war, wurde er 1924 als Architekt vom Pfl ästerers zu machen. Tiefb auamt übernommen, wo er die Gelegen- So entstanden unterschiedliche Bilder die- heit bekam, am Generalbebauungsplan unter ses Architekten. Am stärksten fand die Mo- dem Baubürgermeister Schneider maßgeb- nografi e von Isabelle Dupont Beachtung, die lich mitzuwirken. Ein Ziel war es, die Stadt 2011 zum 75-jährigen Jubiläum des Stadtpla- vor allem nach Süden auszudehnen, was aber nungsamtes veröff entlicht wurde. Ihr Schwer- nicht gelang, da die Reichsbahn 1913 durch gewicht liegt dabei auf der Darstellung der gi- Verlegung des Bahnhofs von der Kriegsstraße gantomanischen Planungen Pfl ästerers vor an die südliche Stadtgrenze, wo nunmehr allem im Geiste des Dritten Reiches für Karls- die Bahngleise von Ost nach West und Nord ruhe als Hauptstadt des Gaues Baden7. Das ist nach Süd eine kaum zu überwindende Barri- sicherlich auch der ins Auge springende Teil ere darstellten, wie auch der ganze Plan später des Nachlasses. Dabei darf aber nicht überse- nicht genehmigt und nicht realisiert wurde. hen werden, unter welchen Umständen Pfl äs- Es war trotzdem eine fruchtbare Zusammen- terer diese Planungen erarbeitet hat (oder hat arbeit zwischen Pfl ästerer und dem Baubür- müssen), wobei er die Geschichte dieser Stadt germeister Schneider wie auch dem Ober- nie aus den Augen verlor8. bürgermeister Dr. Julius Finter. So konnten

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 308 04.06.2013 22:35:04 Abb. 10: Nord-Süd-Achse = Ettlinger Straße. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 7/NI Pflästerer 178-30

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 309 04.06.2013 22:35:05 Abb. 11: Das geplante Gauehrentor in der N-S-Achse. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 7/NI Pflästerer 170-31

doch einige Projekte aus dem Generalbebau- und plante im Stil des »Neuen Bauens«. Ob- ungsplan verwirklicht werden wie der Rhein- wohl den meisten Karlsruhern dies missfi el, park Rappenwört, mit dem 1929 fertig gestell- diese Häuser ohne Dach, mit Fenstern wie ten Rheinstrandbad, oder der zwischen 1927 hohlen Augen, so dass sie das gesamte Pro- und 1930 gebaute Wald- (heute Adenauer-) jekt »Jammerstock« nannten, blieb Pfl ästerer Ring zusammen mit dem Sportpark Hardt- zunächst dabei und plante, wie gesagt, die Er- wald. Schließlich gehört zu dieser, inzwi- weiterung seines Wohnhauses in diesem Stil! schen auch »Schneider-Plan« genannten Pla- Immer wieder war es Schneider, der als Initi- nung, die neue Siedlung Dammerstock. Hier ator neuer Projekte wirkte, aber auch Pfl äs- war Pfl ästerer mit der Vorbereitung der Aus- terer den nötigen Freiraum beließ. All diese schreibung für den Wettbewerb zuständig. Aktivitäten und Projekte führten 1929 zur Diesen gewann Walter Gropius, der auch mit Gründung eines »Stadterweiterungsbüros« der Koordinierung der anderen Architekten im Tiefb auamt. Mit der Leitung wurde Karl beim 1. Bauabschnitt betraut wurde. Da auch Peter Pfl ästerer betraut bei bald folgender Er- städtische Bedienstete an dem Wettbewerb nennung zum Stadtbaurat 1931. teilnehmen durft en, entschloss sich Pfl äste- rer sogleich, dies zu tun, und er wurde mit einem ehrenvollen Ankauf belohnt. Bei die- 4.2 Im Dritten Reich sem Wettbewerb wich man erstmals von der Hier wartete nun als nächste große Aufgabe in der Innenstadt historisch gewachsenen die Neuordnung des Ettlinger-Tor-Platzes Blockrandbebauung ab, ermöglichte eine der mit der Ettlinger Straße auf ihn, nachdem Sonne zugewendete Zeilenbauweise (Abb. 9) 1872 das historische Ettlinger Tor abgerissen

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 310 04.06.2013 22:35:05 Abb. 12: Die geplante Gauhalle. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 7/NI Pflästerer 170-32

und der Bahnhof von der Kriegsstraße 1913 mitglied und Mitglied der SPD durch ein nach Süden verlegt worden war. Erste, we- linientreues Parteimitglied als Leiter des nige Skizzen im Nachlass bezeugen den Be- Stadterweiterungsbüros alsbald abgelöst, ginn der Entwurfsarbeiten, die schon seinen durft e aber, da man seinen Ideenreichtum Hang zum Großformatigen und Monumen- und seine Entwurfsfähigkeiten schätzen ge- talen zeigten. Aber schon bald mit Beginn lernt hatte, weiter mitarbeiten. Um diese Auf- der nationalsozialistischen Ära 1933 änder- gabe nicht auch zu verlieren, trat er auf Anra- ten sich Geist und Ziel der Stadtplanung, was ten von Oberbürgermeister Jäger am 1. Mai mit dem immer stärkeren Werden der Natio- 1937 in die NSDAP ein. In dieser Zeit entstan- nalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei den viele seiner akribisch gezeichneten und (NSDAP) seit den 20er Jahren sichtbar wurde. qualitätvollen Entwürfe zur Umgestaltung Diese strebte aus Bayern heraus und teilte für des Ettlinger-Tor-Platzes und der Ettlinger ihre Parteiorganisation das Deutsche Reich Straße nach Süden (Abb. 10). Um das Ziel der nach dem Vorbild der Sportorganisation im Umgestaltung der Gauhauptstadt konsequen- 19. Jahrhundert in Gaue ein. Mit der Macht- ter zu verfolgen, kam es 1939 zur Gründung übernahme 1933 wurde dieses Gausystem der Abteilung »Städtebauliche Sonderaufga- auch auf die staatliche Struktur übertragen. ben«, die dem neuen nationalsozialistischen Die Leitung der Gaue lag in den Händen der Oberbürgermeister Dr. Oskar Hüssy direkt Gauleiter, für den Gau Baden mit der Haupt- unterstellt war und mit deren Leitung Pfl äste- stadt Karlsruhe wurde der Organisator der rer, nun quasi als Wiedergutmachung, betraut Partei in Baden, Robert Wagner, bestimmt. wurde. Es ist wohl leicht verständlich, dass so- Karl Peter Pfl ästerer wurde als Nicht-Partei- wohl OB Jäger, wie ab 1938 sein Nachfolger

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 311 04.06.2013 22:35:06 Abb. 13: Planung für den Knoten Durlacher Tor der Ost-West-Achse. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 7/NI Pflästerer 72-186u

Dr. Oskar Hüssy, alles daran setzten, um die gen Abschluss dieser Achse, dem Ostknoten Weinbrennersche »via triumphalis« nun auch Durlacher Tor (Abb. 13). in eine Prachtchaussee mit Forum im Geiste des Dritten Reiches zu verwandeln mit Mo- numentalbauten wie Gauehrentor (Abb. 11), 4.3 In der Nachkriegszeit Gauhalle (Abb. 12), Parteigebäuden u. a. wie Aber die Erfolge der deutschen Truppen lie- es Albert Speer in Berlin vorgezeichnet hatte. ßen nach, und die Fliegerangriff e der Alliier- Diese Planungen wurden von der Stadt des- ten nahmen zu und zerstörten die deutschen halb intensiviert, um ein Verlegen der Gau- Städte nachhaltig, so dass ab 1944 ein Ende hauptstadt des um das Elsass vergrößerten des Krieges absehbar wurde. Es war die Zeit, Gaues Baden-Elsass nach Straßburg zu ver- da dies auch Karl-Peter Pfl ästerer erkannte, hindern. In diesen Zwang war natürlich auch und er war wohl einer der Wenigen, wenn Karl Peter Pfl ästerer eingebunden, da er nun nicht gar der Einzige, der sich Gedanken und auch Mitglied der NSDAP war. Allerdings war Pläne machte über den Wiederaufb au der es ein Zufall, dass diese Aufgabe auch mit sei- zerstörten Stadt. Die Kapitulation, den Ein- ner Veranlagung und seinem Naturell, dem marsch der Franzosen und seine Verhaft ung Hang zum Großartigen, ja Gigantischen zu- durch sie überstand er glimpfl ich, musste sich sammenfand, wie es seine Schwiegertoch- aber bald, als die Amerikaner die Franzosen ter oben geschildert hat. Galt sein Hauptau- abgelöst hatten, dem Entnazifi zierungspro- genmerk wie das der Stadt vornehmlich der zess unterwerfen und war infolge dessen ab Nord-Süd-Achse, so machte er sich auch Ge- März 1946 von Dienst suspendiert. Erst im danken über die Ost-West-Achse der Langen April 1947 wurde das Verfahren abgeschlos- Straße, heute Kaiserstraße, wie dem schwieri- sen und Pfl ästerer als Mitläufer eingestuft

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 312 04.06.2013 22:35:06 und zu einer Sühnezahlung von 700 RM ver- urteilt. Es dauerte dann noch vier Monate bis er vom dritten Nachkriegs-Oberbürgermeis- ter Töpper wieder in den städtischen Dienst aufgenommen wurde. In der dienstlosen Zeit stellte er sich trotzdem uneigennützig in den Dienst der Stadt. Er beteiligte sich an Auf- räum arbeiten und fertigte einen Plan der Zer- störungen der Stadt, hauptsächlich der Kai- serstraße, der nun, abweichend von seinem Abb. 14: Stadtplanung Mühlburger Feld früheren Schwerpunkt der Nord-Süd-Achse, Foto: Stadtarchiv Karlsruhe F.8_BA_VV_1643 sein Hauptaugenmerk galt, wozu ihn immer wieder Stadtrat Günther Klotz ermunterte, der spätere Oberbürgermeister. Mehrere Ent- August 1947 wieder eingestellt und am 1. Ok- würfe, Vorlagen für Wettbewerbe, die dis- tober 1949 als Leiter des Stadtplanungsamtes kutiert, begutachtet und verworfen wurden, zum Baudirektor ernannt worden war. stammen aus seiner Feder, bis es ihm schließ- Erster Bürgermeister Fridolin Heurich hielt lich gelang, seine Planungsergebnisse in einer Pfl ästerers Wirken für die Stadt für so bedeut- Ausstellung im Oktober 1947 im Kunstverein sam, dass er ihn 1950 in einer öff entlichen öff entlich zu machen, die die Grundlage für Stadtratssitzung Lob und Anerkennung für einen Wettbewerb bildete, an dem fast 100 seine Arbeit aussprach. Die Genehmigungs- Teilnehmer sich beteiligten, ohne dass ein be- verfahren wurden bald danach abschlossen friedigendes Ergebnis herauskam. Aber auf und ab 1951 konnte das Kaiserstraßenpro- dieser Grundlage erhielt das Stadtplanungs- jekt verwirklicht werden und im Anschluss amt unter Federführung von Pfl ästerer den auch die Umgestaltung des weiter westlich Auft rag, daraus eine Denkschrift zu verfassen, gelegenen Kaiserplatzes und Mühlburger To- auf der Grundlage der historischen Struktur res, dem wichtigen Verbindungsknoten zwi- der Fächerstadt und Einbeziehung erhal- schen der Kaiserstraße als Ladenstraße und tenswerter Gebäude, was dann auch 1948 der baumbestandenen Kaiserallee als Sam- gelang unter Beibehaltung der Fünfgeschos- melstraße für die westlichen Stadtteile. Nach sigkeit an der Kaiserstraße, wobei zur opti- seinen Entwürfen wurde die heutige Insellö- schen Verbreiterung die oberen Geschosse sung des Kaiserplatzes mit dem Denkmal und um sechs Meter zurückgesetzt werden sollten den umfahrenden Straßenbahnlinien ein- unter Beibehaltung der Blockrandbebauung, schließlich der Platzwände wieder aufgebaut, so dass der Lieferverkehr von der Rückseite so wie sie sich heute darstellt. Im gleichen Jahr über die entstehenden Innenhöfe erfolgen wurde Pfl ästerer zum Beamten auf Lebenszeit konnte. Zum Schutz der fl anierenden Men- ernannt. Das letzte Projekt, mit dem Pfl ästerer schen sollten über den Schaufenstern durch- in Karlsruhe noch eine deutliche Spur hinter- gehende Vordächer vorgesehen werden. Die- ließ, galt dem westlichen Stadtteil Mühlburg. ser Plan wurde schließlich im Oktober 1948 Hier gestaltete er die Rheinstraße und leitete genehmigt und später ausgeführt, nachdem die Bebauung des Mühlburger Feldes (Abb. 14) Pfl ästerer nach seiner Entnazifi zierung im in die Wege. Es war der erste moderne Wohn-

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 313 04.06.2013 22:35:06 stadtteil, der nach den Dammerstock-Erfah- kennung und um Besoldungserhöhungen rungen in off ener Zeilenbauweise errichtet kämpfen, was ihm mit zäher Ausdauer auch wurde und auch die ersten Wohnhochhäu- gelang. ser erhielt und so der Wohnungsnot Einhalt Unter den häufi ger werdenden Luft angrif- gebot und den, während des Krieges in das fen leidend, wurde ihm das nahe Ende des Umland gefl ohenen und nun zurückkehren- Krieges immer bewusster, so dass er schon den Menschen, moderne Wohnmöglichkei- frühzeitig für den Wiederaufb au der Stadt ten bot. In seiner Amtszeit begann schließlich plante. In der unmittelbaren Nachkriegszeit noch die Sanierung der Südstadt mit der Pla- gelang es ihm dann unter zähem Ringen mit nung eines Grünzuges durch sie. Im Jahr 1953 den Entscheidungsträgern einen Wiederauf- erreichte er das Pensionsalter und wurde im bauplan für Karlsruhe, insbesondere der Ost- darauf folgenden Jahr, nachdem er noch die West-Achse, zu entwickeln, der schließlich bei Amtsübergabe an seinen Nachfolger vorberei- den Entscheidungsträgern Zustimmung fand, tet hatte, unter großer Würdigung seiner Ver- so dass Karlsruhe, wie es sich heute darstellt, dienste in den Ruhestand versetzt. Aber auch auf der Grundlage des historischen Stadt- nach seiner Pensionierung ließ ihn das städte- kerns seine Struktur und z. T. sein Gesicht er- planerische Geschehen in Karlsruhe nicht los. halten konnte, was zweifellos wesentlich auf Als Mitglied des Stadtplanungsbeirats beein- die Arbeit Karl Peter Pfl ästerers zurückgeht. fl usste er noch das Entstehen der Waldstadt Deshalb hatte die öff entliche Anerkennung und die Bebauung des Flugplatzes. 1950 durch den Ersten Bürgermeister Heurich seine Berechtigung und relativiert das Bild eines Nazi-Architekten doch erheblich. Inso- 5. Fazit fern war Karl Peter Pfl ästerer trotz seiner Brü- che in einer Umbruchzeit zur rechten Zeit an Karl Peter Pfl ästerer war, nach Aussage sei- der richtigen Stelle beim Wiederaufb au und ner Schwiegertochter, ein Mann von aufra- Ausbau dieser Fächerstadt Karlsruhe. gender Gestalt und Erscheinung, der jeden Raum beherrschte, in den er trat. Aufgrund seiner einfachen Herkunft , strebte er immer Literatur nach Höherem und erreichte, von Ehrgeiz befl ügelt, höchste Ämter in der Bauverwal- 1 Ringler, Harald: Der Stadtplaner Carl Peter Pfl äs- tung von Karlsruhe. So kam es seinem Na- terer. Über drei Jahrzehnte Karlsruher Stadtpla- nungsgeschichte. – In: Blick in die Geschichte. turell entgegen, für die wichtige Nord-Süd- Hrsg. v. Manfred Koch S. 37–40. Karlsruhe: Info Achse repräsentative Gebäude, um nicht zu Verlag, 2009, 331 S. (Karlsruher stadthistorische sagen in gigantomanischer Form, zu entwer- Beitrage 2003–2008, Bd. 4). fen. Bestärkt wurde er nach der Machtergrei- 2 Dupont, Isabelle: Carl Peter Pfl ästerer und die Stadtplanung Karlsruhes in der ersten Hälft e des fung der Nationalsozialisten, für diese re- 20. Jahrhunderts. Hrsg. v. Stadtarchiv Karlsruhe präsentative Bauten zu entwerfen. Da er sich und dem Stadtplanungsamt der Stadt Karlsruhe. – aber bereits mit der Dammerstock-Siedlung Karlsruhe: Info Verlag 2012, 112 S. zahlr. Ill. (For- dem »Neuen Bauen« verschrieben hatte, be- schungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schrif- kam er Schwierigkeiten im Amt, wurde zeit- tenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe, Bd. 12). 3 Pfl ästerer, Artur: Die Geschichte der Weinheimer weise zurückgesetzt, und musste um Aner- Bürgerfamilie Pfl ästerer. – Herausgegeben und

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 314 04.06.2013 22:35:06 ergänzt von Philipp Pfl ästerer mit Zeichnungen in seinem neuen Haus in der Geigersbergstraße von Karl Pfl ästerer. – Weinheim: Selbstverlag, 150 brachte dieser ihr die Technik des Zeichnens und S. Zu beziehen über die Buchhandlung Keller in Aquarellierens bei, so dass sie in jener Zeit dem Weinheim. Unterricht der Zeichen- und Malklasse der Pro- Bräunche, Ernst Otto: Residenzstadt, Landes- fessoren Hubbuch und Spuler an der Technischen hauptstadt, Gauhauptstadt. Zwischen Demokra- Hochschule Karlsruhe folgen konnte, und so sagte tie und Diktatur 1914–1945. – In: Asche, Susanne sie »Wenn ich an ihn denke, so stellt sich mir das u. a.: Karlsruhe – die Stadtgeschichte S. 357–502 Bild eines begnadeten Künstlers und Technikers (Lit. 8). dar«. 4 Lampugnani, Vittorio Magnano: Architektur und Leider kann die Schwiegertochter Karl Peter Pfl äste- Städtebau des 20. Jahrhunderts. – Stuttgart: Hatje rers diese Würdigung ihres Schwiegervaters nicht Verlag 1980, 232 S. mehr wahrnehmen. Inge Pfl ästerer verstarb ur- 5 Fischer, Adolf: Karlsruhe – Der Neubau einer Ba- plötzlich und unerwartet am 8. Mai 2013. Der Au- rockstadt. Ein Beitrag zur Frage und Wandlung im tor dankt ihr deshalb in besonderer Weise für die Städtebau. – München: Freitag Verlag 1947, 82 S., Einblicke in das Privatleben der Familie und für 26 Abb. die Überlassung des Fotomaterials. 6 Herkert, Angelika: Der Nachlass Carl Peter Pfl äs- Der Autor widmet daher diesen Beitrag ganz beson- terer. – In: Stadtarchiv Karlsruhe. Gedächtnis ei- ders Inge Pfl ästerer. ner Stadt. – Karlsruhe: Info-Verlag 2010, 88 S. 7 Bräunche, Ernst Otto: Residenzstadt, Landes- hauptstadt, Gauhauptstadt. Zwischen Demokratie und Diktatur 1914–1945. – In Asche, Susanne u. a.: Karlsruhe – die Stadtgeschichte, S. 357–502 (Lit. 8). 8 Asche, Susanne; Bräunche, Ernst-Otto; Koch, Manfred; Schmitt, Heinz; Wagner, Christina: Karlsruhe – die Stadtgeschichte. – Karlsruhe: Ba- denia Verlag 1998, 792 S.

Anmerkung:

*»Die Erinnerung an meinen Schwiegervater vermit- Anschrift des Autors: telt mir heute noch die Erscheinung eines Giganten.« Dr.-Ing. Rolf Fuhlrott Inge Pfl ästerer ist die Ehefrau des zweiten Sohnes von Berliner Str. 9a Karl Peter Pfl ästerer, Peter Pfl ästerer (1931–1972), 76185 Karlsruhe der 1958 Inge Pfl ästerer geheiratet hat. Bei ihren [email protected] samstäglichen Besuchen ihres Schwiegervaters

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301_Fuhlrott_Carl Peter Pflästerer.indd 315 04.06.2013 22:35:07 Wie Natur und Kultur sich begegnen: Der Leimbach

Uwe Heidenreich, Dr. Sybille Heidenreich

Der Leimbach im Rhein-Neckar-Raum ist vor allem durch seine Bedeutung für den Schwet- zinger Schlossgarten bekannt. Die Autoren zeigen weitere Aspekte: Der Leimbach steht in die- sem Beitrag exemplarisch für die Verbindung von ökologischen, historischen und kulturellen Elementen. Der frühe Bergbau in der Region, Beeinträchtigungen des Biotops durch menschliche Ein- griff e sowie die Frage, was klassische und zeitgenössische Kunst uns hier zeigen können, sind die Stationen dieser Entdeckungsreise ins Vertraute.

1 Zur Geschichte des Leimbachs lungsraum und weisen mit ihrem Umfeld aus Auen, Wiesen, Wald und Feldern eine beson- 1.1 Der Wasserlauf als Assoziationsraum dere ästhetische Qualität auf. So wie dem »Lauf des Wassers«1 eine beson- Der Mensch ist ein symbolbildendes Wesen. dere spirituelle Kraft zugeschrieben wird, be- Und gerade das Wasser bietet eine Fülle von zeichnet das »panta rhei«2 eine Weltsicht, in Anregungen: Wir denken an den Fluss der der die Dinge sich fortwährend wandeln und Zeit, wissen, dass wir nicht zweimal in den- im kontinuierlichen Werden und Vergehen selben Fluss steigen können, fürchten, et- das eigentlich belebende Prinzip der Natur was könne »den Bach runter gehen«. Das zu sehen ist. Das Verschwimmen des Wasser- klare oder das trübe Wasser vermitteln uns laufs mit dem Horizont in der Ferne bot der eine Stimmung, ebenso wie der munter mur- Landschaft smalerei reizvolle Sujets und ver- melnde Bach oder das helle Geplätscher der lockte den romantischen Wanderer. Wellen. Und so sollen auch die folgenden Passagen Zugleich ist das Wasser, sind die Flüsse und mitnehmen auf eine Reise durch Natur und Bäche schon seit Urzeiten mit der menschli- Kultur, lokal – geht es um den Leimbach – chen Kultur und Zivilisation verbunden. und global, wenn die große weite Welt oder Flüsse und Bäche wurden und werden gestaut, die Ereignisse der Kulturgeschichte zur Spra- umgeleitet, zur Bewässerung genutzt, waren che kommen. und sind Fischgründe, Trinkwasserlieferan- Dabei steht der Leimbach exemplarisch für ten, Transportwege und (leider) auch Abwas- unseren Umgang mit der Natur und mit den sertransporteure. Bäche und Flüsse bieten Le- Gefährdungen der Natur durch menschliche bensraum für Mensch und Tier, sie sind Erho- Eingriff e. Wir betreten damit auch ein Span-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 316 04.06.2013 22:37:25 tangiert er die Gemarkungen Dielheim und Wiesloch, wo er nach Norden abknickt und Walldorf, Nußloch, St. Ilgen und Sandhausen berührt. Dann macht er einen Schwenk nach Westen und durchfl ießt Oft ersheim, Schwet- zingen und Brühl, bevor er in den Rhein ein- mündet. Seine wichtigsten Zufl üsse sind der Gauangelbach und der Waldangelbach. Ent- lastungskanäle für den Leimbach sind der Landgraben, den man jetzt in ein Renaturie- rungsprojekt einzubinden bemüht ist, und der Leimbach am Schwetzinger Schlossgarten, Hardtbach, der nördlich von Hockenheim- Aquädukt. Foto: U. Heidenreich Talhaus in den Kraichbach mündet.3 Die erste bekannte Nennung als Leimbach nungsfeld, in dem die Liebe zur Natur und an- stammt aus dem Jahr 1769, davor wurde er dere Interessen der Menschen leicht in Wider- manchmal Angelbach oder, wegen der dort spruch geraten können. befi ndlichen Mühlen, auch Mühlbach ge- nannt. Bei seiner ersten Nennung in der Schenkungsurkunde des Klosters Lorsch 1.2 Vom Kraichgau zum Oberrhein 767 heißt er noch »Swarzaha« (Schwarzach).4 Der heutige Name Leimbach steht für Lehm- Der Leimbach scheint ein auf lange Strecken Bach. Dies bezieht sich auf den Transport unauff älliges, man möchte fast sagen durch- von Schwemmlöß, und zwar z. T. aus einem schnittliches Gewässer zu sein, bevor er bei heute nicht mehr vorhandenen See, der sich Schwetzingen zum quasi Hofwasserlieferan- von vorgeschichtlicher Zeit bis zum Mittelal- ten des Schlossgartens wird. Auf den ersten ter mit einer Fläche von ca. einem Quadrat- Blick bietet er ein durchaus idyllisches Bild. kilometer zwischen Wiesloch, Walldorf und Für das unbefangene Auge ziemlich natür- Sandhausen erstreckte. Off enbar wurde dieser lich wirkend, oft von Rasenböschungen oder See mittels Eindämmung und Umleitung des üppig bewachsenen Uferrändern umgeben, Leimbachs trockengelegt – Hildebrand und fl ießt er recht ordentlich geradeaus. Und ge- Gross halten dies für »eine der größten Tro- rade diese Durchschnittlichkeit ist es, die ihn ckenlegungsaktionen des Mittelalters in Süd- zum geeigneten Objekt unserer ökologischen deutschland.«5 Erkundungen macht, denn er zeigt vieles, das Der heutige Bachlauf ist oft begradigt, stark auch andere deutsche Gewässer aufweisen. So verbaut und umgeben von intensiv genutzten werden wir sehen, dass sich hinter der schein- landwirtschaft lichen Flächen sowie zahlrei- baren Idylle auch massive ökologische Stö- chen Siedlungen. Allerdings birgt der Leim- rungen verbergen. bach große Potenziale für den Biotopverbund Entsprungen im Kraichgau bei Balzfeld, einer Flußauenlandschaft , was Pläne zu sei- mündet der Leimbach mit einer Gesamtlänge ner Renaturierung nach sich gezogen hat.6 von ca. 35 km und einem Einzugsgebiet von Sein Quellgebiet, der Kraichgau, zeichnet sich ca. 140 km2 bei Brühl in den Oberrhein. Dabei durch Ackerbau, Obst- und Weinbau aus, was

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 317 04.06.2013 22:37:25 Ein Beispiel zur Begradigung des Leimbachs – 1917(links) und 2006 – bei Schwetzingen/Brühl, aus: Landschaft im Wandel Blatt 6617 Schwetzingen TK 25 1917 und TK 25 2006 massstabsunabhängig ©GeoBasis-DE/LVermGeoRP2012-01-10

jedoch eine starke Bodenerosion zur Folge hat, ten und ist verdolt, also praktisch in Röhren die in den Leimbach abfl ießt. unter die Erde verlegt. Im Landschaft sraum, den er durchfl ießt, Aber es gibt auch Lichtblicke: Vom West- dominieren Kiesabbau, intensive landwirt- rand Brühls bis zum Rhein erstreckt sich das schaft liche und gartenbauliche Nutzungen Naturschutzgebiet »Schwetzinger Wiesen – (Kleingärten), Waldfl ächen sind fast völlig Riedwiesen«. Es handelt sich um ehemalige verschwunden (vor allem die Auewälder, die Wässerwiesen mit aufgelassenen Tongruben uns ebenfalls noch beschäft igen werden). Ein und ehemaligen Baggerseen. Hier gibt es sie, verbliebenes Grabennetz im Gebiet Bäumels- die Artenvielfalt: Libellen, zahlreiche Vogel- gewann in der St. Ilgener Niederung deutet arten, seltene Orchideen, Amphibien und ge- noch auf eine ehemalige Wässerwiesennut- schützte Reptilien wie die Zauneidechse9 fi n- zung durch das lößreiche Leimbachwasser den ihren Lebensraum. Über die Tongruben hin.7 Erwähnenswert ist, dass – neben Spar- und Seen bilden sich Schritt für Schritt wieder gel – in der Gegend auch Tabak angebaut wird, Elemente einer Auenlandschaft .10 so dass noch manche alte hölzerne Tabak- Vielleicht zweimal trat der Leimbach in der scheune mit ihrer typischen dunklen, hohen Vergangenheit in das Licht geschichtlicher Be- Kastenform die Blicke auf sich zieht. deutung. Die eine Phase, die wir hier nur kurz Aufgrund dichter Bebauung, hoher Boden- streifen, ist eine Frühgeschichte der Industri- versiegelung und früherer Übernutzung des alisierung: Es handelt sich um den Bergbau, Grundwassers sind viele ehemalige Feucht- der in der Gegend betrieben wurde. Seit mehr gebiete am Leimbach ausgetrocknet8 – ein als 2000 Jahren bis in die 50er Jahre des 20. Schicksal, dass er mit vielen anderen deut- Jahrhunderts wurden im Raum Wiesloch schen Flussläufen teilt. In Schwetzingen ver- Blei, Zink und Silber abgebaut.11 Hier war es läuft der Leimbach zum Teil unter Betonplat- vor allem die Silbergewinnung, die die Was-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 318 04.06.2013 22:37:25 serkraft des Leimbachs zum Waschen der sil- berhaltigen Blei-Erze beanspruchte. Wir dür- fen hier eine frühe Phase ganz beträchtlicher und gefährlicher Umweltverschmutzung ver- muten. Dabei spielte nicht zuletzt bei der Ver- hüttung frei werdendes Arsen eine Rolle, des- sen Gefährlichkeit schon um 1700 bekannt war. Sichtbar ist diese Gefährdung der Um- welt auch auf frühneuzeitlichen Darstellun- gen, die off enbar geschädigte Bäume zeigen (wenn die kargen Bäumchen nicht der künst- lerischen Unfähigkeit des Holzschnitzers ge- schuldet sind).12 Insgesamt erreichte die Ausdehnung des gesamten Bergbaus in der Gegend eine Flä- che von ca. 20 Quadratkilometern, es lässt sich eine Gesamtfördermenge von 1,5 Mio. Tonnen Roherz erschließen. Die Anfänge des Ausschnitt aus einem Holzschnitt in G. Agricolas De re Metallica aus dem Jahre 1556. Bergbaus in diesem Gebiet vermutet man be- Die von den Bäumen herabhängenden Zweige reits in der Latènezeit, auch die Römer waren verweisen auf deren Schädigung.13 hier aktiv. Es folgten Perioden mittelalterli- chen Bergbaus und Schwerpunkte im 17. und 18. sowie im 19. und 20. Jahrhundert. Nach und Gewässer im Schlossgarten sorgen und dem Zweiten Weltkrieg wurden etwa im Jahr die Mühlräder der Pumpen von zwei Wasser- 1948 mit etwa 300 Arbeitern noch ca. 20 000 werken antreiben. Wegen des geringen Gefäl- Tonnen Roherz gefördert. Erst ein Nachlassen les wurde daher das Bachbett verlegt und die der Erträge, ungünstige Förderbedingungen Bachsohle wurde künstlich angehoben, der und ein Preissturz bei Blei und Zink führten Bachlauf durch seitliche Dämme eingegrenzt. schließlich 1954 zur endgültigen Einstellung Es handelt sich hier um eine der frühen Pio- des Abbaus.14 Zurück blieben weiträumige nierleistungen der Wasserbauingenieurs- Schwermetallbelastungen im Boden, deren kunst, die erst eine Nutzung und Besiedlung Schädigungspotenzial für den Menschen der sumpfi gen Auenlandschaft ermöglichte, langfristig nicht auszuschließen ist, zumal die wie das Regierungspräsidium Karlsruhe nicht Schwermetalle sich in bestimmten Nutzpfl an- ohne Stolz bemerkt.16 zen anreichern können.15 Wir dürfen den wissenschaft lich-techni- Eine zweite Phase historischer Bedeutung schen Optimismus der Aufk lärungszeit und erfuhr der Leimbach bei Schwetzingen im des positivistischen 19. Jahrhunderts, der sich 18. Jh., als Kurfürst Karl Th eodor eine um- in derartigen Technikprojekten ausdrückte, fassende Regulierung umsetzte. Grund war nicht unterschätzen. Aus dem Geist dieser der Umbau des Schwetzinger Schlosses mit Zeit der Natureroberungen speist sich auch der Anlage des Schlossgartens ab 1748. Der noch die Rheinbegradigung durch Johann Leimbach sollte für die Bewässerung der Seen Gottfried Tulla (1817–1880) oder vergleich-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 319 04.06.2013 22:37:26 bare historische Großprojekte wie die Tro- 9.1 (karbonatischer Mittelgebirgsfl uss, ab dem ckenlegung des Oderbruchs unter Friedrich Zufl uss des Waldangelbachs) zugeordnet.19 dem Großen.17 Im Vordergrund stand hier wie Die Fließgewässertypologie hat die Funktion, dort auch das Bestreben, der zerstörerischen den ökologischen Zustand eines Gewässers Kräft e der Natur Herr zu werden und der als anhand eines Idealtypus zu bewerten. Der feindliches Gegenüber empfundenen Natur Leimbach gehört hier zu einer Gruppe, für Raum für die Besiedlung durch Menschen, die eine große Artenvielfalt eigentlich typisch die dort eine Lebenschance fi nden konnten, ist, da der Kalk günstige Lebensbedingungen abzuringen. Die Natur schien damals unend- schafft . Dieser Bachtypus fl ießt normaler- lich, unerschöpfl ich, aber auch bedrohlich. weise gewunden bis mäandrierend, überwie- Wir sehen Natur heute anders, und die Frage, gend unverzweigt, die Gewässersohle wird in welches Verhältnis der Mensch sich zu ihr von Schotter, Steinen, Kies oder Sand domi- setzt, ist noch lange nicht entschieden. niert. Der Subtyp 9.1_K, den der Leimbach re- Denn mittlerweile hat sich die Kehrseite präsentiert, fl ießt träge und ist meist durch ei- der technologischen Umgestaltungen gezeigt. nen erhöhten Anteil von Tonmaterialien (Löß, Bei starkem Regen und hohem Wasserstand Auenlehm) getrübt. Durch geringes Gefälle kommt es zu Dammbrüchen, der höhergelegte und geringe Fließgeschwindigkeit kommt es Bach kann nicht mehr so viel Wasser abführen, zu Ablagerungen von Schwebstoff en. Auf- die Bodenversiegelung in der Umgebung lässt grund der europäischen Wasserrahmenricht- das Wasser nicht mehr ausreichend versickern. linie aus dem Jahr 2000 wurde eine 5-stufi ge Ein Hochwasserschutzkonzept18 soll hier Bewertungsskala der Gewässergüte entwi- Abhilfe schaff en und dabei zum Teil auch na- ckelt, auf der der Leimbach unterschiedliche turnahe Bedingungen wiederherstellen. Die gute bis mäßige, zur Mündung hin sich aber ehemals als wertloses Sumpfl and abgetane verschlechternde Werte aufweist. Bei Brühl Aue wird neuerdings in Ihrem Wert als öko- wurden z. B. Überschreitungen einschlägiger logische Hochwasserschutzmaßnahme er- Umweltqualitätsnormen für PSM (Pfl anzen- kannt. Dabei ist eine Auenlandschaft ist nicht schutzmittel-Wirkstoff e) vorgefunden durch: nur nützlich, sie ist auch schön. • 2004: Diuron • 2006: ohne Überschreitung • 2007: MCPA 2 Die ökologische und • 2010: ohne Überschreitung biologische Situation • 2011 wurde der Leimbach bei Wiesloch un- tersucht. Untersuchungsdaten liegen aber 2.1 Typologie und Gewässergüte Stand 01/2012 noch nicht komplett vor.20

Aufgrund seines Ursprungs im Kraichgau ist Der reale Bach weicht vom Idealtypus auf- der Leimbach ein sogenannter Mittelgebirgs- grund menschlicher Eingriff e deutlich ab. Er bach bzw. -fl uss, für den als Gewässer 1. Ord- ist an vielen Stallen begradigt, betoniert, über- nung das Land unterhaltspfl ichtig ist. In der baut. Der Bachboden ist stellenweise durch Fließgewässertypologie der biozönotisch be- aus dem Kraichgau abgespülten Löß verklebt deutsamen Gewässertypen wird er Typ 6 (kar- – ein Resultat der Bodenerosion, die ein Th ema bonatischer Mittelgebirgsbach, Oberlauf) und für sich ist –, so dass Kleinstlebewesen hier

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 320 04.06.2013 22:37:26 kaum Schutz fi nden. In den dicht besiedelten bietet der Wasserlauf ein Bild freundlicher Gebieten der Ebene bis zur Mündung führt Anmut. Ein rosa und lila Blütenmeer mit wei- der Leimbach fast kein Quellwasser aus einem ßen Tupfern all überall von exotischer Pracht Einzugsgebiet im Kraichgau mehr, sondern lässt an ferne Länder denken. Und tatsächlich, überwiegend gereinigte Abfl üsse aus Kläran- es ist das indische Springkraut, das hier alles lagen, auch wenn sich die Situation in den letz- überwuchert hat. ten 15 Jahren verbessert hat. Hinzu kommt, Die Pfl anze stammt aus dem Himalaya und dass die Schwebstoff e aus den Abwässern die wurde im 19. Jahrhundert als Zierpfl anze nach Verklebung des Bachbettes verstärken. Diese England gebracht, von wo sie bald auch nach sogenannte »Kolmatierung« des Hohlraum- Deutschland gelangte. Ähnlich überwältigend systems im Gewässerboden ist heute ein gro- verhalten sich u. a. Goldrute, Riesenbärenklau, ßes Problem, das viele zunächst erfolgreiche Wasserpest und der japanische Knöterich. Da ökologische Maßnahmen konterkariert.21 es diesen Pfl anzen in der neuen Umgebung an Fressfeinden mangelt, können sie leicht die einheimische Pfl anzenwelt – und damit 2.2 Flora und Fauna mit Einwanderern einen Teil der Artenvielfalt – verdrängen. Ein- gewanderte oder ausgesetzte Tiere sind u. a. Das Spektrum der Pfl anzen und Tiere ist der kanadische Flusskrebs, Goldfi sch, Son- schmaler, als bei einem »natürlichen« Bach nenbarsch (aus Nordamerika), Blaubandbär- möglich wäre. Unter den einheimischen Was- bling, die Dreikantmuschel aus dem Bereich serpfl anzen gibt es vor allem verschiedene des Schwarzen Meers. Und nicht zuletzt fi n- Laichkrautarten, wie Kammlaichkraut und den wir den Halsbandsittich (eine Papagei- durchwachsenes Laichkraut, im Sommer fi n- enart aus Afrika und Asien) im Schwetzinger den wir den fl utenden Hahnenfuß, häufi g sind, Schlossgarten und am Rhein. Die Vermutung je nach Verschmutzungsgrad, auch Algen so- liegt nahe, dass wir es vielfach auch bereits wie Bachrörichte. Die wichtigsten heimi- mit Folgen des Klimawandels zu tun haben. schen Fischarten, die als natürlicher Bestand Einige dieser neuen Arten sind mittlerweile im Leimbach zu erwarten sind: Rotauge, Dö- so verbreitet, dass von Ausrottung keine Rede bel, Dreistachliger Stichling und Gründling. mehr sein kann. Daher hilft hier vielleicht die Hinzu kommen Aal, Bachforelle, Rotfeder, Faustformel als Leitlinie: Je eigenständiger Flussbarsch, Nase, Schleie sowie der Karpfen. ein Naturraum sich entwickeln kann – häufi g Und auch der Leimbach zeigt das Vordrin- heißt das schon, ohne Überdüngung – umso gen von Pfl anzen und Tieren aus anderen Le- mehr einheimische Pfl anzen und Tiere haben bensräumen, sog. Neophyten und Neozoen, eine Chance, sich auszubreiten und aggressive das mittlerweile an vielen Stellen zu beobach- Arten einzugrenzen. ten ist. Vor allem im Hochsommer begegnet uns am Oberlauf ein prächtiges Bild: Eingebettet 2.3 Perspektiven: Renaturierung und in dichte grüne Pfl anzenteppiche mit fast tro- Biotopverbund pisch anmutender Blütenpracht, von Libellen überschwirrt, mit sachte pendelnden Wasser- Mit diesen Überlegungen verbindet sich die pfl anzen hier und da eine Wendung nehmend, Frage: Wie sollte ein möglichst naturnaher

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 321 04.06.2013 22:37:26 Fluss oder Bach beschaff en sein? Die wich- ten Zonen ab.22 Bereits 1999 hatte man im tigsten Voraussetzungen: Er sollte zunächst Leimbach am südlichen Ortsausgang Brühl einmal sauberes Wasser führen und er sollte eine Fischtreppe angelegt.23 Auch für den barrierefrei fl ießen. Eine Vielzahl von Fi- Leimbach gibt es ein weiter gehendes Rena- schen, Muscheln und Krebsen bevölkern un- turierungsprojekt, das im Zuge von Hoch- seren Bach, darunter Flusskrebs, Lachs, Aal wasserschutzmaßnahmen umgesetzt werden und die heute fast verschwundene Flussperl- soll. Und nicht nur natürliche Überschwem- muschel. Ein lockeres, gut durchlässiges Kies- mungsbereiche sollen so entstehen, sondern bett und breite Uferrandstreifen sorgen dafür, natürlich bewachsene Uferränder und so viel dass Austausch mit dem Grundwasser mög- Aue wie möglich, um den Biotopverbund mit lich ist, dass Hochwasser ausweichen kann dem Rhein zu stärken. Denn der Leimbach und bei Trockenheit Kleinstlebewesen und hat das Potenzial, einen Biotopverbundkor- Larven Schutz im Flussbett fi nden. ridor im Gebiet St. Ilgener Niederung/Hardt/ Aber damit nicht genug: Das schönste und Neckar-Rheinebene zu bilden.24 »gemütvollste« Element unserer idealen Bach- landschaft ist sicherlich die Aue. Eine Auenlandschaft entsteht quasi von 2.3 Ökologiebewegung und Heimatschutz allein durch den natürlichen Wechsel von Überfl utung und Trockenheit. Entsprechend Auch der Leimbach ist ganz off ensichtlich diesem Rhythmus und der natürlichen Ände- beeinträchtigt durch den Störfaktor Mensch. rung des Wasserlaufs weist sie unterschiedli- Wir nehmen dies zum Anlass, einen Blick auf che Zonen mit unterschiedlichen Pfl anzen eine Debatte zu werfen, die sich in den letzten und Tieren auf. Die sogenannte Weichholz- Jahren zuspitzt: Ist Natur vor allem Wildnis? aue mit Silberweiden und Schwarzpappeln Ist Wildnis echt nur ohne Menschen? bildet sich in den häufi ger durchfl uteten Zo- In der Geschichte der Ökologiebewegung nen, in größerer Entfernung zum Wasser ent- gibt es durchaus die Tendenz, Natur in ihrer steht die Hartholzaue mit Eichen, Ulmen und reinen Form zunächst einmal als Wildnis zu Weißdorn. betrachten und von Menschen frei halten zu Flussauen können, gerade im Gebiet der wollen. Rheinebene, den üppigen, reichen und wilden Aber dieser Blick auf die Natur ist vielleicht Charakter von Urwäldern annehmen. Sie bie- nicht ganz frei von Romantik, denn haben ten einen ökologisch sinnvollen Hochwasser- wir nicht unseren Blick an den Landschaft s- schutz, weisen eine einzigartige Artenvielfalt gemälden der Vergangenheit geschult? An auf und ermöglichen den Menschen, wenn einem Caspar David Friedrich etwa, dessen sie damit umzugehen wissen, ein eindrucks- Kreuz im Gebirge die Wahrnehmung vieler volles Naturerlebnis. Auenwälder sind viel- Generationen beeinfl ussen konnte? Sicher ist leicht, so meinen wir, in übertragenem Sinne der Wunsch, die Schönheit der Natur wie in die Regenwälder Europas und verdienen eine einem Gemälde (oder einem Poster) festzu- vergleichbare Beachtung. halten, auch das Motiv vieler Landschaft sfo- So zielen denn auch viele Renaturierungs- tografen, die sich ja ebenfalls bemühen, ihre bemühungen, u. a. auch am Rhein, auf eine Bilder von störendem menschlichen Beiwerk Wiederbelebung der Auenwälder in bestimm- freizuhalten, als da sind: Strommasten, Lei-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 322 04.06.2013 22:37:26 tungen, Windräder, Autobahnen oder Bio- über die Heimatkunde als »Propädeutik des gasanlagen … Nur wenigen Individualisten Naturschutzes« an, die zu Unrecht in den ist es gegeben, die ästhetischen Qualitäten ei- Ruf einer NS-Belastung geraten sei. In diesen nes Heizkraft werks oder einer Umspannan- Kontext einer Frühgeschichte des Naturschut- lage zu würdigen. zes und der Ökologie stellt Radkau auch die Aber auch die »üblichen Verdächtigen« im 19. Jahrhundert so zahlreich entstehenden in deutschen Landen – Bürokratie, Verwal- natur- und lokalgeschichtlichen Vereine.26 tungseifer und buchstäbliche Regeltreue, spie- Die Bestrebungen der Ökologie und des len ihre Rollen mehr oder weniger zuverläs- Heimatschutzes zielen darauf ab, das Denken sig polarisierend. So berichtet die FAZ – nicht über die Natur und den Umgang der Men- ohne Polemik – über merkwürdige Ereignisse schen mit der Natur zu wandeln. Denn von in Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Bür- der Hand zu weisen ist das Gefährdungs- gerinitiative gegen die Naturschutzbehörde potenzial der menschlichen Ein- und Über- kämpft , weil die ländliche Bevölkerung sich griff e ja durchaus nicht. im Namen des Naturschutzes aus dem ge- Aber wir möchten uns der Frage, wie wir wohnten Umgang mit ihrer Umgebung ver- letztlich mit dem Th ema Mensch und Na- drängt fühlt.25 Aber auch gegen so manchen tur umgehen können, noch von einer ande- Nationalpark erhebt sich frühzeitig Protest ren, kreativen Seite her nähern. Wie es gehen der Anwohner, und das nicht nur mit guten kann: Das soll im folgenden Abschnitt ein Gründen. Blick auf die Kunst in Vergangenheit und Ge- Dabei gibt es gerade in Deutschland eine genwart zeigen. Tradition, die einem ganzheitlichen ökologi- schen Umweltverständnis sehr nahe ist: die des Heimatschutzes nämlich. Joachim Rad- 3 Ein Kulturspaziergang kau zeigt in seiner Geschichte der Ökologie- bewegung, dass mit Ernst Rudorff (1840–1916, 3.1 Der Leimbach im Schwetzinger Gründung »Bund Heimatschutz« 1904, heute Schlossgarten »Bund Heimat und Umwelt in Deutschland«) und Hugo Cowentz (1855–1922, 1906 erster »Und in der Tat fand der neue Schwet- Leiter der »Staatlichen Stelle für Naturdenk- zinger Schlosspark in der Welt an Ausdeh- malspfl ege«) geistige Gründerväter des Hei- nung, kunstvoller Anlage und Reichtum des matschutzes zugleich auch Programmatiken Inhalts kaum seinesgleichen. (…) des Naturschutzes entwickelten. Der Heimat- Und auf diesem ungeheuren Gebiet fand kundeunterricht an den Schulen, die Erhal- sich kaum irgendwo ein Fleck auf Stein- tung des traditionellen Dorfensembles oder wurfsweite, den nicht große oder kleinere die Erhaltung und Untersuchung des Dorf- Wasserwerke, architektonische Kunstbauten teiches als Lebensraum vieler Tier und Pfl an- nach klassischen oder orientalischen Mus- zen – diese Anliegen, die Natur im Verbund tern, mythologische, symbolische, allegori- mit einer Kulturlandschaft zu sehen, stehen sche Statuen aus Marmor, Sandstein und einem umfassenden Ökologieverständnis Bleiguß verzierten. Überall ragte und leuch- schon ziemlich nahe. Radkau mahnt denn tete es mit weißem Glanz dem Blick entgegen; auch eine weitere Vertiefung der Forschung überall traf dieser im dichtesten Gebüsch, im

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 323 04.06.2013 22:37:26 einsamsten Winkel der weiten Irrgänge zwi- Diese schöne literarische Entdeckung ent- schen tiefem Laubwerk unerwartet plötzlich führt uns in die Zeit Carl Th eodors und zeigt auf eine Seltsamkeit, eine lebenswahre Tier- den Park mit seinen adeligen Nutzern von ei- gestalt, eine anmutsvoll festgebannte Huld- ner zauberhaft en Seite, jedoch nicht ohne kri- gottheit des Altertums. Hier schönsäulige tische Untertöne. Griechentempel des Apollo, des Merkur, der Auch unser Begleiter durch diesen Aufsatz, Pallas Athene, dort die Ruine eines römi- der Leimbach, wird hier genannt, noch unter schen Wasserkastells mit den langen Halbbo- seinem alten Namen »Angelbach«. gen eines in Trümmer gefallenen Aquädukts; Die Beschreibung Wilhelm Jensens lie- drüben aus dem Baumdickicht aufsteigend fert uns Anhaltspunkt für eine Einstellung ein genaues Abbild der größten heiligen Mo- zur Natur, wie sie sich in diesem Garten aus- schee zu Mekka mit hohen Minarets, Hallen drückt, die wir zunächst einmal versuchs- und Bogen, weiten, umschlossenen Wandel- weise als »klassische« bezeichnen und eher bahnen, Höfen und Priesterhäusern, einer der Vergangenheit zurechnen möchten. in den Park eingebetteten morgenländischen Es ist die Vielzahl von wundersamen Er- Ortschaft gleich. Pan in Riesengröße, von zeugnissen menschlichen Gestaltungswillens, mächtigen Felsen die Syrinx herabblasend, die hier auff ällt. Überall blitzt und blendet es und Galathea mit blendend karrarischen von Gestalten und Bauwerken, die die Sinne Marmorgliedern dem Bade inmitten eines verwirren. Für die Installationen des Men- Weihers entsteigend. Sinnverwirrende Fülle schen ist die Umgebung eher Material oder und Wechsel!« Hintergrund. Off enbar hat hier die Kunst die (…) »In den künstlich hergestellten und Natur so überformt, dass das zustande ge- dafür aüßerst umfangreichen See, der gegen kommene Gesamtkunstwerk kaum noch an Norden den unteren Abschluß des Parkes bil- Natur denken lässt. Und so schön der Garten dete, mündete, ihn mit Wasserzufuhr versor- uns auch erscheinen mag – genau das ist das gend, von Westen her der Angelbach (heute Problem, mit dem wir heute kämpfen. Er ist Leimbach, d. V.).«27 zu schön, wenn man nicht mehr die Normen aufk lärerischer Naturgestaltung anlegt, son- Der Schwetzinger Schlossgarten gehört zu den dern eine neue Perspektive einnimmt. War im berühmtesten Beispielen eines Zusammen- 18. Jahrhundert die Natur noch eine Größe, spiels von Kultur und Natur. Er demonstriert die durch menschliche Kulturleistung zu zäh- ebenso die Ansprüche einer Herrschaft sarchi- men war, so sehen wir heute, dass ein Gleich- tektur, wie er Zeugnis gibt von den Idealen der gewicht abhanden gekommen ist. Man spricht Aufk lärung. Mit seinem französischen und von der Bedrohung der Natur, nicht mehr von seinem englischen Gartenteil veranschau- der Bedrohung durch die Natur. Auch ver- licht er nicht nur zwei »Gartenphilosophien«, meintlich natürliche Katastrophen wie Hoch- eingebettet in den umgebenden Wald zeigt er wasser, Stürme, Brände werden zunehmend auch sein Wesen im Kontrast zur ungestalte- als Fernwirkungen menschlicher Eingriff e er- ten Natur. kannt. Dies gilt in besonderem Maße für die Die opulente Beschreibung oben stammt Klimaerwärmung. Das Natürliche um uns ist aus einem lange vergessenen Roman von ganz off ensichtlich im Namen zunächst ver- Wilhelm Jensen, »Am Ausgang des Reiches«. ständlicher Anliegen so stark überformt wor-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 324 04.06.2013 22:37:26 Steinpyramiden am Rhein, Nähe Leimbach- mündung. Foto: Hanspeter Rausch 2011

Land Art – geschaffen von den Teilnehmer/ -innen einer Fahrradtour vom Nabu am Leimbach, den, dass heute zu fragen ist, was denn Natur 2011. Foto: Simone Janas eigentlich noch sein kann? Vieles geschah in der Vergangenheit im Namen eines zunächst sinnvollen Sicher- Bodensee, mit vorhandenen Materialien gear- heitsbedürfnisses und im Wunsch, dem Ro- beitet. Steigt der Rhein etwas höher, sind die hen, Wilden Gestaltungsräume und Dauer kleinen Werke schnell überfl utet. abzuringen. Sicherheit und der Wunsch nach Der Begriff Land Art bezeichnet eine Überdauern des Zeitenwandels sind wichtige Kunstrichtung, die zunächst in den 60er Jah- Impulsgeber der Kulturentwicklung. Die Be- ren in den USA entstanden war und in ers- schäft igung mit der Natur aber verlangt auch ter Linie kunstmarktferne Arbeiten mit der die Auseinandersetzung mit Wandel und Ver- Landschaft umfasste. Mit der aufk ommen- gänglichkeit. den Ökologiebewegung gelangte jedoch zu- nehmend der Gedanke eines exemplarischen Umgangs mit dem Material und der »Natur« 3.2 Land Art an der Leimbachmündung zur Geltung. Zwei Künstler seien hier stell- vertretend für viele andere genannt: Richard Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Long (* 1945 in Bristol, England) und Andy Fahrradtour am Leimbach im Frühjahr 2011, Goldsworthy (* 1956 in Chesire, England). veranstaltet von Nabu Wiesloch und Hocken- Long wandert in vielen Teilen der Welt. Er heim, haben sich in einem freieren Umgang überlässt die Werke, die er dabei aus den sich mit der Natur geübt.28 Unter dem Stichwort bietenden Materialien schafft , häufi g nach der »Land Art« haben sie gemeinsam ein vergäng- fotografi schen Dokumentation wieder dem liches und fragiles Gebilde geschaff en, das auf natürlichen Verfall. Bekannt wurden seine den ersten Blick viel weniger spektakulär da- Steinkreise, von denen einer etwa im Mu- herkommt als die steinernen Götter der Ver- seum Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen gangenheit. ist. Er arbeitet auch mit unbehandelten Mate- Ein ähnliches Bild bieten die Steinpyrami- rialien wie Lehm oder Treibholz, seine Werke den an der Leimbachmündung. Unbekannte sind streng komponiert und minimalistisch Künstler haben hier, ähnlich wie oft auch am konzipiert.

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 325 04.06.2013 22:37:26 Ästhetischer und daher dem Schönheits- Kraichgau. Beiträge zur Landschaft s- und Hei- empfi nden vieler Menschen näher ist Andy matforschung Folge 17, 2002, S. 41. 6 Landschaft splan Nachbarschaft sverband Heidel- Goldsworthy. Blütenblätter, Blütenstaub, berg-Mannheim, Mannheim 1999, S. 5-253. Gräser, der Fluss des Wassers oder fi ligrane 7 Ebenda, S. 3-124 Eisfi guren kennzeichnen seine Werke. Seine 8 Ebenda, S. 6-403 Steinkegel sind Stück für Stück aus gefunde- 9 www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/ 51762/. nen Steinen der Umgebung gebaut. Auch bei 10 Weitere besuchenswerte Naturschutzgebiete am ihm gehört die Zerstörung im Verlauf der Ge- Leimbach sind beispielsweise »Sauwiesen-Fuchs- zeiten, des Wetters oder der Jahreszeiten un- loch« bei Dielheim und die »Nußlocher Wiesen«. bedingt dazu. Beiden Künstlern gemeinsam 11 Vgl. Hildebrand, Schwermetallbelastungen, S. 173 ff . ist der behutsame Umgang mit der Natur, die 12 Ebenda, S. 41 f. kreative Gestaltung ohne deutliche Überfor- 13 Abbildung aus: Heinz Wohlgemuth, Saurer Regen. mung, so dass die Eigenheit ihres Materials Vom Zeugnis frühmontaner Umweltbelastung vollständig erhalten bleibt. Die Natur ist nicht bis zu neuartigen Waldschäden, in: Umweltpa- bloßer Stoff , sondern respektierte Mitspiele- norama Heft 10, November 2005, abgerufen über www.ugii.net/umwelt/schrift en/10-hw-saurerre- rin. Die Werke entstehen im Dialog und kom- gen.html, 15.09.2011. munizieren mit der Zeitlichkeit aller Erschei- 14 Hildebrand, Schwermetallbelastungen, S. 45 ff . nungen. 15 Siehe dazu Faltblatt der Gemeinde Wiesloch »Bo- Bescheidenheit gegenüber den Werken der den und Umwelt in Wiesloch«, 2003, mit Vor- sichtsmaßnahmen: www.wiesloch.de/servlet/PB/ Menschen und Respekt vor der Natur – mit show/1069040/fb 6_bodenbroschuere.pdf. dieser Grundhaltung wäre schon viel gewon- 16 Hochwasserschutzkonzeption des Regierungsprä- nen für eine Zukunft im Zeichen einer neuen sidiums Karlsruhe, http://www.rp.baden-wuert- Gemeinschaft mit der Natur. temberg.de/servlet/PB/menu/1191997/index.html. 17 Vgl. dazu David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft , München 2007. Anmerkungen 18 Informationen unter: www.rp-stuttgart.de/serv- let/PB/menu/1158789/index.htm. 19 Pottgiesser, T., M. Sommerhäuser (2008): Be- 1 Buchtitel einer Einführung in den Taoismus von schreibung und Bewertung der deutschen Fließ- Alan Watts. gewässertypen. Steckbriefe und Anhang. Down- 2 »Alles fl ießt«, Heraklit zugeschrieben. load über www.fl iessgewässerbewertung.de. 3 Der Waldangelbach entspringt bei Sinsheim 20 Auskunft der LUBW Landesanstalt für Umwelt, (Ortsteil Waldangelloch), der Gauangelbach in Messungen und Naturschutz Baden-Württem- der Nähe von Gauangelloch (Rhein-Neckar- berg, Mail vom 11.01.2012, die Verfasser danken Kreis). Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/ Renate Semmler-Elpers. Siehe auch: LUBW/Mar- Leimbach. Eine prägnante Beschreibung des kus Lehmann, Überwachungsergebnisse priori- Leimbachs mit historischen Quellen bei: Ludwig täre Stoff e und spezifi sche Schadstoff e (Pfl anzen- H. Hildebrand, Schwermetallbelastungen durch schutzmittel), Karlsruhe 2007, S. 6. den historischen Bergbau im Raum Wiesloch, 21 Vgl. Sven Berkhoff & Hans Jürgen Hahn, Die Kol- LFU Baden-Württemberg (Hrsg.), Karlsruhe mation der Fließgewässer – ein K.O.-Kriterium für 1997, S. 173 ff . Die Verfasser danken Ludwig H. den guten ökologischen Zustand, abzurufen unter: Hildebrand für seine freundlichen Hinweise. www.bund.net/index.php?id=6194; ALAND Ar- 4 Vgl. Ebenda. beitsgemeinschaft Landschaft sökologie, Gewäs- 5 Ludwig H. Hildebrand, Uwe Gross, Eine Notber- serentwicklungsplan Leimbach, Karlsruhe 1997. gung in der mittelalterlichen Wüstung Lochheim, 22 Vgl. dazu Jochen Rahe, Martin Stieghorst, Gemeinde Sandhausen, Rhein-Neckar-Kreis, in: Urs Weber, Handbuch Rhein, Wissenschaft li-

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 326 04.06.2013 22:37:27 che Buchgesellschaft Darmstadt 2011, S. 29 ff .; Zur Leimbachtour u. a. www.nabu-wiesloch.de/ BUND-Vision für Flusslandschaft en in Deutsch- Berichte/2010/leimbach3_201007.pdf. land. Eine Studie zur Lage und zu den Perspekti- ven der Flüsse und Ströme in Deutschland, 2011 23 www.bruehl-baden.de. 24 Landschaft splan Nachbarschaft sverband Heidel- berg-Mannheim, Mannheim 1999, S. 5-258. 25 Jan Grossarth, Naturschutz: Für Menschen ver- boten, in: FAZ vom 02.09.2011. 26 Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 74. 27 Wilhelm Jensen, Am Ausgang des Reiches, 3. Anschrift der Autors: Aufl age Leipzig o. J., S. 69 ff . Dr. Sybille und 28 Die Kunstaktion wurde geleitet von Ann Zirker Uwe Heidenreich von der WBW – Fortbildungsgesellschaft für Ge- Tiefer Weg 2 wässerentwicklung. Siehe dazu http://wbw-fort- 68766 Hockenheim bildung.net/wbw/wir.

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316_Heidenreich - Leimbach.indd 327 04.06.2013 22:37:27 War die Württembergische Bauordnung von 1568 ursächlich für den Gutacher Haustyp? Bilddokumente und der Originalwortlaut der Verordnung geben Aufschluss

Heinz Nienhaus

In relativ vielen Publikationen wird beschrieben, dass der Gutacher oder Gutachtäler Haustyp durch die Württembergische Bauordnung aus dem Jahre 1568 entstanden sei. Lei- der wird in keiner dieser Veröff entlichungen aber auf den genauen Wortlaut dieser Verord- nung eingegangen, was bei vielen Lesern eine Verunsicherung auslöst. In dem vorliegenden Beitrag werden der Grundriss und die konstruktiven Einzelheiten dieses Haustyps vorgestellt. Mit Hilfe des Originalwortlauts der Bauordnung und einigen mehr als 100 Jahre alten Fotografi en und Bauzeichnungen wird nachgewiesen, dass es den Gutacher oder Gutachtäler Haustyp auch schon vor Inkraft treten der Bauordnung im Jahre 1568 gab, d. h., die angeführte Bauordnung war nicht ursächlich für diesen Haustyp.

Dass es das typische Schwarzwaldhaus nicht Namen Gutachtäler Haus.3 In jüngster Zeit gibt, sondern sich unter den mächtigen Dä- wird zunehmend über die Sinnhaft igkeit die- chern der historischen Schwarzwälder Bau- ser Typenbezeichnung im Zusammenhang ernhäuser recht unterschiedliche Konstruk- mit dem Verbreitungsgebiet diskutiert, da tionen, Gestaltungselemente und Raumauf- es Gutacher bzw. Gutachtäler Häuser zwar teilungen verbergen, ist hinreichend bekannt auch in Gutach, aber mehrheitlich wohl au- und in der Fachliteratur nachzulesen.1 Her- ßerhalb der Gemarkung Gutachs bzw. des mann Schilli beispielsweise beschreibt sieben Gutachtals gibt bzw. gab. Wer würde schon Schwarzwälder Haustypen, während Franz in dem von Gutach bzw. dem Gutachtal re- Meckes noch feiner nach neun Typen diff e- lativ weit entfernten Königsfeld ein Gutacher renziert. Beide Hausforscher ordnen den je- oder Gutachtäler Haus vermuten? Aber ge- weiligen Haustypen relativ fest umrissene nau hier stehen beispielsweise auch heute geografi sche Verbreitungsgebiete zu. noch einige historische Häuser dieses Typs. Einem Haustyp, der in Gutach/Schwarz- Bis 1886 stand in Königsfeld der 1653 er- waldbahn, aber auch relativ weit östlich da- baute Hörnlishof – ein typisches Gutacher von zu fi nden ist bzw. zu fi nden war, be- oder Gutachtäler Haus (Abb. 1) – übrigens zeichnet Schilli als Gutacher Haus.2 Meckes der »Gründerhof« bzw. die Keimzelle des hingegen gab diesem Typ – geographisch heutigen Kurortes.4 weniger einengend und deshalb der Reali- Im Folgenden soll aber weniger auf die tät schon ein wenig näherkommend – den Typologie der historischen Schwarzwald-

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 328 04.06.2013 22:38:50 Abb. 1: Der 1653 erbaute und 1886 abgebrochene Hörnlishof um 1880 – ein zweigeschossiges Gutacher oder Gutachtäler Haus. Dieses Bauernhaus wurde im Jahre 1804 zum Gründungshof bzw. zur Keimzelle des Kurortes Königsfeld.

häuser und deren Verbreitungsgebiete ein- Charakteristische Merkmale gegangen werden, sondern primär versucht und räumliche Gliederung des werden zu klären, ob – wie oftmals be- Gutachtäler Haustyps schrieben – die Württembergische Bauord- nung aus dem Jahre 1568 (Abb. 2) ursäch- Das primäre Charakteristikum des Gutach- lich für den Bau des Gutachtäler Haustyps täler Haustyps ist der dreiraumbreite Woh- war.5 Da es hinsichtlich der prinzipiellen nungsgrundriss mit der Rauchküche zwi- Gebäudekonzeption der historischen Häu- schen der »vorderen« großen und der »hin- ser, die von Schilli mit Gutacher und von teren« kleinen Stube oder s’Stüble – oft mals Meckes mit Gutachtäler Häuser bezeichnet vom Altbauernpaar als Leibgeding genutzt.6 werden, keine wesentlichen Unterschiede Die Lage der Rauchküche – womit alle Bau- gibt, wird im Folgenden – außer in Zitaten ernhäuser im Schwarzwald bis weit ins 19., – der Einheitlichkeit wegen ausschließlich gelegentlich auch 20. Jahrhundert ausgestat- die Bezeichnung Gutachtäler Haus verwen- tet waren – ist oder war bei vielen Gutachtäler det. Häusern an der hellen Fachwerkwand in der

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 329 04.06.2013 22:38:51 er unterhalb des halbtonnenförmigen Rauch- und Funkenfangs (Gwölm), der oberhalb der Küche in der zweiten Geschossebene angeord- net war, wieder zur Küche hin austrat. Hier- durch leistete die Abwärme des Küchenherdes einen Beitrag zur Erwärmung der Wohnstube, die primär durch den Kachelofen erwärmt wurde und oft mals auch heute noch wird. Auf der Stubenseite ist der von der Abwärme des Küchenofens durchzogene, meist bank- förmig gestaltete Wandteil mit Ofenkacheln verkleidet; er wird, von »Kunstwand« abgelei- tet, »Kunst« genannt. Auch der Rauch des Ka- chelofens in der Stube trat aus einem Wand- loch unterhalb des Rauchfangs in der Küche aus. Im Rauchfang kühlte der Rauch von Kü- chenherd und Stubenofen ab, räucherte und konservierte die dort, oft mals aber auch ne- ben oder oberhalb des Gwölms zum Räu- chern aufgehängten Speckseiten und Würste, quoll unter dem Rauchfang hervor und zog überwiegend durch Schlitze oder Öff nungen im oberen Bereich der Küchenaußenwand Abb. 2: Titelseite der »Newe Bawordnung des Fürstenthumbs Wurtemberg« aus dem Jahr 1567; ins Freie. Der restliche Rauch zog hinauf sie trat am 1. Mai 1568 in Kraft. zum Dachboden, konservierte das Holzwerk, trocknete das hier lagernde Getreide, mischte sich mit der feuchtwarmen Luft des Stalls, die Giebelseite (z. B. Abbildungen 1 und 3) zu er- ebenfalls hinaufstieg, und entwich über die kennen. Inzwischen ist dieses markante, sehr Dachhaut aus Stroh, gelegentlich auch aus ins Auge fallende Merkmal aber nur noch an Holzschindeln. Hierdurch wurde die insbe- sehr wenigen dieser Häuser zu sehen, da die sondere für Holzhäuser so schädliche Kon- Außenwände vieler alter Häuser zwischen- denswasserbildung ausgeschlossen. zeitlich verbrettert, verschindelt oder ander- In vielen alten Schwarzwaldhäusern, in de- weitig völlig erneuert wurden. nen es heute keine Rauchküchen mehr gibt, Die Küche der Gutachtäler Häuser war seit steigt die warme, mit Wasserdampf gesät- jeher der einzige Raum mit Feuerstellen. Ur- tigte Stallluft nach wie vor ins Dachgeschoss, sprünglich kochte man auf off enem Feuer und kühlt zwangsläufi g hier ab, wobei Kondens- auch das Feuerloch für den Kachelofen in der wasser austritt und erhebliche Schäden am Wohnstube – gelegentlich auch fürs Stüble hölzernen Dachstuhl verursacht. Abhilfe bie- – befand sich in der Küche. Der Rauch vom ten getrennte Be- und Entlüft ungen von Stall, Küchenherd wurde zunächst durch einen zur Dachraum und Wohnung. Zusätzlich sollten Stube angrenzenden Wandteil geführt, bevor wärmedämmende und dampfb remsende Bau-

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 330 04.06.2013 22:38:51 Abb. 3: Ein zweigeschossiges Gutachtäler Haus: Der 1682 erbaute und am 1. Mai 1965 abgebrannte Altenvogtshof in Lauterbach-Sulzbach um 1910. Die Fachwerkaußenwand der Rauchküche reicht wie beim 1653 erbauten Hörnlishof (Abb. 1) über zwei Geschossebenen.

stoff e an den Begrenzungsfl ächen der unter- des Hauses hin der so genannte Hausgang schiedlich klimatisierten Bereiche eingesetzt (Ern), der von der einen zur anderen Trauf- werden. seite quer durchs ganze Gebäude führt. Die- Bei den zweigeschossigen Häusern des Gut- ser Gang erschließt den Wohnteil des Hauses, achtäler Typs befi nden sich über der großen dessen Hauptzugang sich an der Traufseite Stube die Schlafk ammer des Bauernpaares neben der großen Stube befi ndet. Der so ge- und über dem Stüble – soweit kein separates nannte hintere Ausgang am Ende des Ganges Leibgedinghaus zum Hof gehört – die Schlaf- führte ursprünglich oft mals zum Abort und kammer der Altbauern. Beide Kammern wa- zu dem aus verständlichen Gründen vom ren ursprünglich oft mals über je einen so- Haus ein wenig abgerückten Schweinestall. genannten Stegenkasten (eine schmale mit An der den Stuben und der Küche gegenüber- Brettern verkleidete Treppe) direkt von den liegenden Seite des Ganges gibt es gelegent- Stuben aus zu erreichen. Über den meist vor- lich noch Kammern für Kinder, Mägde und handenen Balkonen (Veranden, Trippeln) vor Knechte und auch die ehemalige »Störkam- den Schlafk ammern erhebt sich bei den meis- mer« (z. B. für Schneider, Schuster und andere ten Gutachtäler Häusern ein mächtiger, weit Handwerker, die für einige Zeit am Hof tätig vorspringender Walm. waren) ist hier zu fi nden. Über diesen Kam- Der großen und kleinen Stube und der mit- mern, d. h. in der zweiten Hausebene, sind tig angeordneten Küche folgt zur Bergseite gelegentlich weitere Kammern angeordnet,

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 331 04.06.2013 22:38:51 die über eine Treppe im Hausgang zu errei- schern, Architekten und Historikern unter- chen sind. Letzteres gilt inzwischen auch für schiedliche, zum Teil auch gegensätzliche die Schlafk ammern der Bauersleute; die ur- Meinungen, Auff assungen oder Standpunkte sprünglichen Stegenkästen haben längst aus- vertreten und immer wieder publiziert. So gedient. beispielsweise ist in mehreren Fachveröff ent- Der ebenerdige Stall hinter dem Wohnteil lichungen nachzulesen, dass die Bau- und kann direkt vom Hausgang aus betreten wer- Raumgestaltung des Gutachtäler Haustyps den. Das Vieh steht hier in Reihen quer zum durch die Württembergische Bauordnung aus First, wobei der First in gleicher Richtung wie dem Jahr 1568 ausgelöst worden sei.9 die Falllinie des in aller Regel leicht geneigten Diese von Schilli in seinem 1953 erstmals Hanges verläuft . Keller (Kerr) fi ndet man bei erschienenen Standardwerk veröff entlichte dem Gutachtäler Haustyp je nach Baugelände Interpretation der Württembergischen Bau- entweder unter dem Wohnteil und/oder hin- ordnung von 1568 erscheint spätestens ab ter dem Stall bei der üblichen Hocheinfahrt, 1989 in einem völlig anderen Licht. Genau in die meist auf ein in der hinteren Hausmitte diesem Jahr veröff entlichte Prof. Dr.-Ing. Ul- angeordnetes Tennentor führt. Gelegentlich rich Schnitzer einen Forschungsbericht zu den ist dieses Tor, das den mächtigen Dachraum historischen Schwarzwaldhäusern mit einem des Bauernhauses erschließt, auch ein wenig sehr informativen Beitrag des Hauptkonser- außerhalb der Hausmitte angeordnet.7 vators Franz Meckes »Die Schwarzwaldhäu- Unmittelbar hinter dem Tennentor beginnt ser – Geschichte, Bestand, Veränderungen«.10 die mit beladenen Pferdefuhrwerken befahr- Nach Meckes wissenschaft lich fundierten Er- bare Tenne (s’Denn), in der man früher die kenntnissen, unter anderem zur Entstehungs- Korngarben drosch. Das Stroh wird über geschichte des Gutachtäler Haustyps, ist der dem Wohnteil auf der Bühne gelagert, das von Schilli und später weiteren Autoren veröf- Heu rechts und links neben der Tenne auf der fentlichte Sachverhalt im Zusammenhang mit Heulege, von der es durch das Heuabwurfl och dem Gutachtäler Haustyp und der Württem- direkt in den Futtergang des Stalls geworfen bergische Bauordnung von 1568 nicht mehr wird. haltbar. Auf diese Diskrepanz wird im Fol- Das gesamte Haus ist in Ständer-Bohlen- genden noch ausführlich eingegangen. bauweise, die Dachkonstruktion als so ge- nannter »liegender Stuhl« abgezimmert. Das heißt, bei dem Gutachtäler Haustyp kam die Irrtümliche Datierung bei den Höhen- oder Heidenhäusern8 übliche, führte zu der Bezeichnung ältere Firstständerbauweise so gut wie nicht »Gutacher Haus« zur Anwendung, was eine freiere Raumauft ei- lung ermöglichte. In seinem 1953 erstmals erschienenen Stan- Bezüglich des Ursprungs der hellen Fach- dardwerk schreibt Schilli: »Im Gutachtal, in werkaußenwand der Küche in der Mitte der seinen Seitentälern und östlich der Gutach, Giebelseite des Gutachtäler Haustyps wie umschlossen etwa von den Linien Hornberg – auch zu der Gesamtkonzeption und Raum- Triberg – St. Georgen – Königsfeld – Schram- auft eilung dieses Haustyps werden seit rund berg – Hausach steht eine Hausform, die schon 50 Jahren selbst von namhaft en Hausfor- immer Forschern, Malern und Photographen

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 332 04.06.2013 22:38:52 Abb. 4: Ein zweigeschossiges Gutachtäler Haus: Der 1612 erbaute Vogtsbauernhof in Gutach/Schwarzwaldbahn um 1910. Er wurde 1964 zur Keimzelle des Schwarzwälder Freilichtmuseums, das seinen Namen trägt. Die Außenwand der Rauchküche, in der Mitte der Giebelseite, oberhalb des Fensters besteht aus Holzbohlen – nicht aus Fachwerk.

durch ihre malerische Erscheinung und Statt- gen Gutacher Haustyp. Allerdings führten lichkeit aufgefallen ist. […] Im Schrift tum, in in den 1990er-Jahren durchgeführte dendro- Bildbänden und auf Postkarten fi nden wir chronologische Untersuchungen am Vogts- diese Hausart als ›Das Schwarzwald-Haus‹ be- bauernhof zum Baujahr 161213 – nicht 1570, zeichnet. Da es so die Gutacher Häuser waren, wie Schilli schrieb. Das heißt, der Gutacher welche die Schwarzwälder Bauart weithin be- Vogtsbauernhof ist und war auch schon sei- kannt machten und weil in Gutach der älteste nerzeit nicht »der älteste sicher datierte Bau sicher datierte Bau dieser Form steht, sei sie dieser Form«. Auch heute noch gibt es einige Gutacher Haus geheißen«.11 im Ursprung ältere Häuser des Gutachtäler Nach Schillis Recherchen wurde der Vogts- Typs, so beispielsweise den Oberbauernhof in bauernhof in Gutach/Schwarzwaldbahn (Abb. Gutach, der um 1590 errichtet wurde14 oder 4) im Jahre 1570 erbaut.12 Mit diesem Haus den Hasenbauernhof in Lauterbach aus dem glaubte Schilli, den seinerzeit »älteste(n) si- Jahre 159215, den 1595 erbauten Neubauern- cher datierte(n) Bau dieser Form« gefunden hof in St. Georgen-Langenschiltach16 und erst zu haben. Zweifelsfrei ist dieses altehrwür- recht den schon 1565 erbauten Altenvogtshof dige Bauernhaus, das im Jahre 1964 zur Ur- in Wolfach-Kirnbach17. Auf Letzteren – in- zelle des Schwarzwälder Freilichtmuseums zwischen vollständig erneuert und in Teilbe- wurde und diesem seinen Namen gab, ein reichen umgebaut – wird im Folgenden noch sehr gutes Beispiel für den zweigeschossi- detailliert eingegangen.

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 333 04.06.2013 22:38:52 Abb. 5: Der um 1590 erbaute eingeschossige Oberbauernhof in Gutach/Schwarzwaldbahn um 1900. Die Rauchküche (Abb. 5a) – etwa in der Mitte der Frontseite dieses Gutachtäler Hauses – wurde offensichtlich bis zur Trippelflucht (äußerer Gang vor dem Dachraum) vergrößert, d. h., das in der Abbildung zu sehende Fachwerk ist nicht ursprünglich.

Schilli (1953) und später relativ viele wei- Haustyps, der Verf.) ist der Wohnraum auf- tere Autoren18 bringen insbesondere den geteilt. Das Gutacher Haus ist dreiraumbreit Wohnungsgrundriss und die helle Fach- mit der Küche in der Mitte der Schauseite. […] werkaußenwand der Küche in der Giebel- Seit 1568 mußten alle Wände, die einer Feu- seite des Gutachtäler Haustyps in einen di- erstelle zugekehrt sind, aus Riegelmauerwerk rekten ursächlichen Zusammenhang mit der aufgeführt werden. Das konnte am zweckmä- Württembergischen Bauordnung von 1568. ßigsten geschehen, wenn die Küche, die alle Wörtlich schreibt Schilli: »Die wirtschaft li- Feuerstellen enthält, zwischen die Stuben, de- chen Gegebenheiten im Gutachtal gleichen ren Öfen von der Küche aus beheizt werden, denen im Bereich der Kinzig und bedingen gelegt wurde. Der hierdurch hervorgerufene auch hier die Hofanlage, von deren Bauten starke Gegensatz der weißen Fachwerkwand nur das Hauptgebäude eine andere Durchbil- in der Mitte des Hauses zu dem sie umgeben- dung erfahren hat. Dabei ergab sich das an- den braunen Holzwerk verleiht dieser Form ziehende Äußere dieses Hauses aus den bau- ein besonders malerisches Aussehen«.19 Im polizeilichen Bestimmungen des ehemaligen Jahre 1976 präzisiert Schilli seine Vermutung Fürstentums Württemberg. Das Gutacher mit der eindeutigen Formulierung: »Die Her- Haus könnte daher ebenso gut Württembergi- zöge dieses Gebietes (des württembergischen sches Schwarzwaldhaus genannt werden. […] Gebiets, der Verf.) schufen mit ihren Bauord- Abweichend von dieser Form (des Kinzigtäler nungen ab 1568 einen neuen Haustyp, das

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 334 04.06.2013 22:38:52 Abb. 5a: Rauchküche des Oberbauernhofs (Abb. 5) um 1930. Hinter der Öffnung des Rauchfangs (Gwölms) sind die dort zum Räuchern aufgehängten Fleischvorräte zu erkennen.

Gutacher Haus. Nach einer dieser Verordnun- ernhof in Lauterbach (Abb. 3) wiesen diese gen mußte aus Gründen der Feuersicherheit Besonderheit des Gutachtäler Haustyps auf. die Küche in die Mitte des Wohnteils gelegt Allerdings stellt sich in diesem Zusammen- und ihre Wände mit Mauer- oder Fachwerk hang die Frage: War es tatsächlich die Bau- ausgeriegelt werden. Dabei entstand ein drei- ordnung von 1568, die diese Fachwerkwand raumbreiter Wohnteil mit einer vorderen und für alle Württemberger Bauernhäuser ver- einer hinteren Stube und der Küche dazwi- langte und letztendlich auch erstmalig zu schen«.20 dem dreiraumbreiten Wohnungsgrundriss Die von Schilli beschriebene »weiße Fach- mit der zwischen Stube und Stüble angeord- werkwand in der Mitte des Hauses« ist auch neten Küche führte? heute noch an einigen Gutachtäler Häusern Nach Fotografi en aus der Zeit um 1900 gut zu erkennen, so beispielsweise am Rei- weist der gut 20 Jahre nach Erlass der Bau- chensteinerhof aus dem 17. Jahrhundert in ordnung von 1568 um 1590 erbaute einge- Hornberg-Reichenbach, ebenso am 1743 er- schossige Oberbauernhof in Gutach (Abb. 5) bauten Jungbauernhof in Königsfeld-Buchen- genau dieses Riegelmauerwerk in der Front- berg. Auch der 1653 erbaute und 1886 abge- seite des Hauses auf. Betrachtet man das Bild brochene Hörnlishof (Abb. 1), wie der 1682 allerdings etwas intensiver, fällt auf, dass an erbaute und 1956 abgebrannte Vogtsbau- diesem Haus die in der Giebelmitte angeord-

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 335 04.06.2013 22:38:53 Abb. 6: Der wahrscheinlich um 1880 erbaute Vorderschlauchbauernhof in Gutach/Schwarzwaldbahn um 1910. Das Foto belegt, dass es die in Schillis Standardwerk (1953) zeichnerisch dargestellte Fachwerk- wand in der Giebelseite dieses Hauses nicht gab. Mit der Fachwerkwand (vgl. Abbildungen 1, 3 und 5) wollte Schilli offenbar andeuten, dass sich hinter ihr die Rauchküche befindet. Tatsächlich aber ist die Küche dieses Hauses gegenüber dem Hauseingang an der rechten Traufseite angeordnet.

nete Küche (Abb. 5a) off ensichtlich nachträg- ser mit einer Fachwerkwand in der Giebel- lich bis zur Trippelfl ucht (äußerer Gang) im seite ausgestattet wurden und diese hellfar- Dachraum erweitert wurde; anders lässt sich bige Wand die Außenwand der Rauchküche der für den Gutachtäler Haustyp unübliche war. Wohl auch deshalb zeigt das von Schilli Küchenvorsprung in der Giebelseite jeden- um 1950 vorgezeichnete und von »Jul. Heff - falls kaum erklären. Da der Oberbauernhof ner in Wirkung gesetzte« Bild des vermutlich schon seit langem und auch heute noch als erst um 1880 erbauten Vorderschlauchbau- Doppelhaus genutzt wird und deshalb längs ernhofs in Gutach diese Fachwerkwand in geteilt wurde, ist die nachträgliche Baumaß- der Giebelseite des Hauses21. Mehrere Foto- nahme durchaus erklärlich. Insofern kann grafi en aus der Zeit um 1900/1920 (z. B. Abb. dieses malerische Schwarzwaldhaus sicher 6) und auch der heutige Zustand des Hauses nicht als Beleg dafür gelten, dass die Fach- belegen jedoch, dass es diese Fachwerkwand werkaußenwand der Küche bei dem Gut- niemals gab. Im übrigen konnte sich der Ver- achtäler Haustyp durch die Bauordnung von fasser dieses Beitrags vor Ort davon überzeu- 1568 ausgelöst wurde. gen, dass die Küche dieses noch relativ jungen Schilli allerdings war wohl absolut davon Schwarzwaldhauses an der rechten Traufseite überzeugt, dass nach Erlass der Bauordnung in direkter Verlängerung des Hausfl ures ih- von 1568 sämtliche Gutachtäler Bauernhäu- ren Platz hat.

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 336 04.06.2013 22:38:53 Abb. 7: Giebelansicht des um 1680 erbauten und 1914 abgebrannten Hinterschlauchbauernhofs in Gutach/Schwarzwaldbahn um 1900 – ein zweigeschossiges Gutachtäler Haus (siehe auch Abb. 7a). Die Außenwand der Rauchküche, etwa in der Mitte der Frontseite, besteht offensichtlich aus Holzbohlen. Oberhalb der Küche am vorgelagerten äußeren Küchenzugang ist das Rauchgatter zu erkennen, durch das der wesentliche Teil des Rauchs vom Küchenherd und Kachelofen der Stube, der von der Küche beheizt wurde, ins Freie abzog. Der restliche Rauch gelangte über den Dachraum ins Freie.

Wie lautet der Verordnungstext besonder in Städten, auch jedes Fleckens Ge- der Bauordnung und legenheit, und so viel deß Armen Vermöglich- welche Interpretation lässt er zu? keit nach, erheblich, all außwendige Stöck, und Gibel=Wänd, so gegen dem Feuer und andern Bevor auf weitere Gutachtäler Häuser nä- Gebäuen standen, gemeiner Gefahr zu Für- her eingegangen wird, erscheint es sinnvoll, stand, in die Rigel gemauret werden. Bey Straff den thematisch relevanten Wortlaut der »New eines kleinen Frevels in Armen Kasten, und der Baw ordnung des Fürstentumbs Wurtemberg« Stadt Rügung zwey Pfund Heller. Und nichts aus dem Jahre 1567 (Bild 1), die am 1. März desto weniger, wo hierüber gestückte Wänd ge- 1568 in Kraft trat, zu zitieren: macht, hinweg gethan werden. »Von Maurwerck in die Rigel. Wo auch noch alte solche Wänd, allein ge- Und dieweil auch dem gemeinen Nutz an stückt und gezäunt, gegen einer Feuerstatt viel Orten, da Brünsten entstanden, die zäun- gelegen wären, so sollen die nach jeder Stadt, ten Wänd in Gebäuen zu hohem Schaden und oder Fleckens Gelegenheit, und eines Vermö- Gefahr kommen, und noch fürthin zu befah- gen, und erheischender, augenscheinlicher ren ist, so sollen fürohin in neuen Gebäuen, Nothdurfft , mit Erkantnuß und Bescheid der

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 337 04.06.2013 22:38:54 Abb. 7a: Die Ansichtskarte aus der Zeit um 1910 zeigt u. a. das tiefreichende, mächtige Strohdach des ehemaligen Hinterschlauchbauernhofs (Abb. 7).

verordneten Bau= und Fewer=beschauer, auß- alle Wände eines Raumes, die einer Feuer- geschlagen, und wider in die Rigel gemauret stelle zugekehrt sind – d. h. auch die Außen- werden. wände – in Riegelmauerwerk ausgeführt wer- Es ist auch hierinn gemeinnutzlich zu be- den müssen. Aber auch schon damals galt dencken, wa die innwendige Wänd und Ge- off enbar die Devise: »Keine Regel ohne Aus- mach, in di Rigel gemaurt seien, wann da- nahme«. Wie sonst ließen sich beispielsweise selbst in einem Gemach ein fewr entstünde, die Formulierungen »so viel des Armen Ver- das durch sollich gute Rigelwänd, dannocht möglichkeit nach« oder »so gegen dem Feuer desto baß dem fewr mit rettung vorgestan- und andern Gebäuen standen« erklären? Die den mag werden. So soll auch deßwegen von Schwarzwälder Bauernhäuser in und im wei- Vnsern Amptleütten, Burgermeister, Gericht, ten Umkreis von Gutach standen in aller Re- und verordneten, dahin gedacht, und be- gel außerhalb geschlossener Ortschaft en in scheid gegeben, das der gelegenheit, vermö- relativ weiten Abständen voneinander, in gen unnd notturfft nach, souil erheblich, solli- sogenannten Streu- oder Einzelhofsiedlun- che notwendige Wänd und Gemach, beuorab gen. Sie standen also nicht »gegen andern Ge- in den newen Gebewen, auch in die Rigel ge- bäuen« und stellten deshalb kaum eine Feuer- maurt werden.«22 gefährdung für Nachbarhäuser dar. Dieser Anforderungstext lässt zwar einen Ganz sicher aber schrieb diese Bauordnung weiten Ermessensspielraum zu, dennoch ist nicht zwingend vor, »die Küche und die darü- ihm unmissverständlich zu entnehmen, dass ber liegende Kammer mit dem Rauchfang aus

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 338 04.06.2013 22:38:54 Gründen der Feuersicherheit in die Mitte des Hauses zu verlegen« – so wie es Schilli oft mals schrieb.23 Diese Formulierung resultiert of- fenbar aus einer sehr individuellen Interpreta- tion des Anforderungstextes der Bauordnung. Objektiv betrachtet kann aus der Bauordnung nicht zwangsläufi g abgeleitet werden, dass sie den für den Gutachtäler Haustyp charakteris- tischen dreiraumbreiten Wohnungsgrundriss mit der mittig zwischen den Stuben angeord- neten Küche auslöste. Anders verhält es sich mit der hellen Fach- werkaußenwand der Küche, die die Bau- ordnung off enbar forderte, allerdings nicht grundsätzlich. Es waren Ausnahmen gestattet, z. B. wenn die Gebäude in angemessenem Ab- stand voneinander standen – wobei das Maß für den Abstand nicht defi niert ist. Das heißt, auch diesbezüglich ist die Sachlage nicht ein- deutig. Aber selbst wenn das Riegelmauer- werk auch für die Außenwände der Küchen aller Württemberger Bauernhäuser nach der Abb. 8: Offensichtlich ähnlich dem Hinter- Bauordnung des Fürstentums Württemberg schlauchbauernhof (Abbildungen 7 und 7a) von 1568 ausnahmslos gefordert worden wäre, bestand auch beim höchstwahrscheinlich vor wurde bei nicht gerade wenigen Häusern of- 1722 erbauten Bürlebauernhof in Gutach/ Schwarzwaldbahn die Außenwand der Rauch- fenbar gegen diese Forderung verstoßen. Das küche ausschließlich aus Holzbohlen – belegen u. a. der um 1680 erbaute und 1914 d. h., auch an diesem Gutachtäler Haus gab es abgebrannte Hinterschlauchbauernhof in keine Fachwerkwand, Foto um 1910. Oberhalb Gutach (Abbildungen 7 und 7a) und auch der der Küchenaußentür – auf dem Podest mit höchstwahrscheinlich vor 1722 erbaute Bürle- Milchhäusle – sind die Aussparungen in der 24 hölzernen Außenwand zu erkennen, durch die bauernhof in Gutach-Sulzbach (Abb. 8) . Bei- der Rauch ins Freie abzog. den Häusern des Gutachtäler Typs gemein- sam ist die etwa mittig in der Giebelseite an- geordnete Küche. Wie die Bilder belegen, gibt ein wesentlicher Teil des Rauchs der Schwarz- es hier aber keinerlei Riegelmauerwerk. Abge- oder Rauchküche ins Freie. Beim Bürlebau- sehen von den Kellerwänden oder Sockelmau- ernhof ist auf dem Podest vor der Küche noch ern sind alle Außenwände in Ständer-Bohlen- das Milchhäusle zu sehen, das ursprünglich bauweise errichtet – auch die Außenwände über eine Deichelleitung ständig mit frischem der Küchen. In der Bohlenkonstruktion der Quellwasser versorgt wurde. Diese »Schwarz- Küchenaußenwände sind jeweils eine Tür und wälder Kühlschränke« sind auch heute noch darüber in der zweiten Geschossebene die an relativ vielen älteren Schwarzwaldhäusern Rauchgatter zu erkennen. Hierdurch gelangte zu fi nden.

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 339 04.06.2013 22:38:55 Übrigens reicht das Mauerwerk der Kü- Off enbar sah die ländliche Bevölkerung in chenaußenwand auch am Vogtsbauernhof den off enen Feuerstellen der Küche kein be- (Abb. 4) gerade mal bis zur Oberkante des sonders hohes oder gar unverantwortbares Fensters; darüber und auch in der gesamten Brandrisiko. In diesem Zusammenhang in- zweiten Geschossebene ist die Bohlenwand teressant sind die Ausführungen des Karls- zu erkennen. Die sinngemäß gleiche Kon- ruher Architekten Prof. B. Kossmann (1894): struktion der Küchenaußenwand ist auch »Ein anderer Nachteil soll darin bestehen, vom 1654 erbauten Hubhof in Schramberg- dass die ›Freizügigkeit‹ des Rauches Feuer- Tennenbronn bekannt.25 In allen vier zuvor gefahr in sich berge. Beispielsweise bemerkt angeführten historischen Bauernhäusern Schupp (1870), die Bauart der Schwarzwald- wurde die Forderung nach Riegelmauerwerk häuser sei höchst gefährlich. Es ist dieses je- auch für die »Gibel=Wänd« die »gegen dem doch thatsächlich betreff Entzündung im In- Feuer standen« nicht realisiert. Das lässt zu- nern der Häuser nicht der Fall, da die Fun- mindest vermuten, dass bei vereinzelt in der ken durch ein Gewölbe über dem Herd (Abb. Landschaft errichteten Bauernhäusern (Streu- 5a) am weiteren Aufsteigen gehindert werden. siedlung), die nicht »gegen andern Gebäuen« Wir haben uns wiederholt im Schwarzwalde standen, die Bohlenkonstruktion mit den erkundigt, ob Fälle vorkamen, dass Häuser Rauchabzugsöff nungen (Rauchgatter) die ur- durch Funken von Herdfeuerung aus ange- sprüngliche Lösung für Küchenaußenwände zündet worden seien, und erhielten stets die- war. Die Bilder jedenfalls lassen darauf schlie- selbe Antwort auch von den bekannten ›ältes- ßen. Franz Meckes äußert sich hierzu ganz ten Leuten‹, dass ein solcher Fall nicht vorge- eindeutig: »Eine Besonderheit, die bei den kommen sei. Im Gegentheil – wird versichert zweigeschossigen Gutachtäler Häusern auf- – erhärte der Rauch das Gebälk vollständig; fällt, ist die im Bereich der Küche zwischen durch schwaches Feuer ist dasselbe unver- den Stuben gelegene hell verputzte Fachwerk- tilgbar.«27 Bei dieser Gefahreneinschätzung wand an der Giebelseite, die sich stark von ist nicht auszuschließen, dass man die Forde- der übrigen dunklen Ständer-Bohlenkon- rungen der Württembergischen Bauordnung struktion abhebt. Diese Wandscheibe ist je- – wenn sie denn auch für vereinzelt angeord- doch nicht ursprünglich und darf erst recht nete Bauernhäuser galt – nicht so recht ernst nicht auf die Bauordnung von 1568 zurückge- nahm und auf das Riegelmauerwerk in der führt werden. Zahlreiche Beispiele, insbeson- Küchenaußenwand verzichtete. dere der Schlauchbauernhof, der Bürlebauern- Alle diese Mutmaßungen hinsichtlich der hof und der Vogtsbauernhof in Gutach, bele- hellen Fachwerkwand inmitten der Giebel- gen, dass die Bohlenkonstruktion mit dem seite der Gutachtäler Häuser sind aber eben Rauchgatter im Obergeschoss die ursprüngli- nur spekulativ; sie führen nicht zu einem che ist. Erst spätere feuerpolizeiliche Aufl agen wissenschaft lich vertretbaren Ergebnis. Die haben auch hier das reine Holzhaus an seiner vorausgegangenen Ausführungen lassen die Schauseite empfi ndlich verändert.«26 Leider Komplexität des Sachverhalts erkennen. Nach gibt aber auch Meckes keinen exakten Hin- wie vor ist die Frage, ob die Fachwerkaußen- weis darauf wer, wann und mit welcher feuer- wand der Küche durch die Württembergische polizeilichen Aufl age »das reine Holzhaus an Bauordnung von 1568 ausgelöst wurde, nicht seiner Schauseite empfi ndlich verändert(e)«. eindeutig und zufriedenstellend geklärt. Viel-

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 340 04.06.2013 22:38:55 Abb. 9: Der 1565 erbaute Altenvogtshof in Wolfach-Kirnbach auf einer Ansichtskarte aus der Zeit um 1910 (siehe auch Abbildungen 9a und 9b).

leicht können hier nur dendrochronologische (des Gutacher Haustyps, der Verf.); tatsäch- Untersuchungen an eben dieser Fachwerk- lich aber führten dendrochronologische Un- wand von historischen Gutachtäler Häusern tersuchungen zum Baujahr 1612. Aber selbst aus dem 16. oder beginnenden 17. Jahrhun- wenn der Vogtsbauernhof bereits im Jahre dert eine verlässliche Antwort geben. 1570 erbaut worden wäre, würde er vom Al- Ein völlig anderes Bild ergibt sich hinsicht- ter des erst vor wenigen Jahren umgebauten lich der Entstehungsgeschichte des Gutach- und modernisierten Altenvogtshofs in Wol- täler Haustyps, insbesondere der Grundriss- fach-Kirnbach (Abb. 9) noch um einige Jahre gestaltung, wenn man sich mit der baulichen übertroff en. Dieses eingeschossige Haus, das Konzeption des im Jahre 1565 erbauten Alten- alle charakteristischen Merkmale des Gutach- vogtshof in Wolfach-Kirnbach befasst. täler Haustyps aufwies, wurde nämlich schon im Jahre 1565 erbaut, was u. a. die im Bug über dem rechten Eckständer der Stube des Alten- Gutachtäler Haustyp älter als vogtshofs eingeschnittene Jahreszahl belegt.28 Bauordnung von 1568 Wohl wegen des hohen Alters und der cha- rakteristischen Baukonzeption wurde der Al- Wie zuvor schon kurz beschrieben, glaubte tenvogtshof um die vorletzte Jahrhundert- Schilli (1953), der Gutacher Vogtsbauernhof wende vom Badischen Architekten- und (Abb. 4) sei 1570 erbaut und damit der seiner- Ingenieurverein unter Leitung von Prof. B. zeit »älteste sicher datierte Bau dieser Form« Kossmann in seinem ursprünglichen Zustand

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 341 04.06.2013 22:38:55 Abb. 9a: Ansicht der Traufseite mit dem Wohnungszugang, Längsschnitt und Grundriss des 1565 erbauten Altenvogtshofs in Wolfach-Kirnbach (siehe auch Abbildungen 9 und 9b) nach einer um 1900 durchgeführten Bestandsaufnahme durch den Badischen Architekten- und Ingenieurverein unter Leitung von Prof. B. Kossmann.

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 342 04.06.2013 22:38:55 benutzt) ins Freie entweichen.30 Aus diesem Grunde verzichtete man oberhalb der Stube und des Leibgedingstübles auf die jeweils letzte waagerechte Bohle in der Außenwand (Abb. 9b). Durch die Rauchbühne bedingt sind die Decken in der Stube und dem Leibgedingstüble bzw. der Kammer niedriger als im Haus- gang. Wie die Zeichnungen (Ab- bildungen 9a und 9b) belegen, war der 1565 erbaute und erst vor wenigen Jahren umfassend modernisierte Altenvogtshof in Wolfach-Kirnbach gemäß der Typenbezeichnung von Schilli oder Schnitzer eindeutig ein Gutacher bzw. Gutachtäler Haus. Und da dieses Haus bereits drei Jahre vor Inkraft treten der »New Bawordnung des Fürstentumbs Wurtemberg« am 1. März 1568 errichtet war, kann dieser Haustyp nicht durch diese Bau- Abb. 9b: Giebelansicht und Schnitt A–B des Altenvogtshofs in ordnung ausgelöst oder geschaf- Wolfach-Kirnbach (Abbildungen 9 und 9a). fen worden sein. In diesem Sinne beurteilt auch Franz Meckes den dokumentiert.29 Da die Zeichnungen der sei- Sachverhalt; er äußerte sich (1989) wie folgt: nerzeitigen Bauaufnahme des Hofgebäudes »Dieses Gebäude (der Altenvogtshof in Wol- hinsichtlich der Gebäudekonstruktion und fach-Kirnbach, der Verf.) ist das älteste noch Raumauft eilung für sich sprechen (Abbildun- erhaltene Gutachtäler Haus, es wurde bereits gen 9 und 9a), sei hierzu nur kurz ergänzt, drei Jahre vor Erlassen der württembergi- dass der leicht gewölbte Rauchfang (Abb. 9b, schen Landesbauordnung erstellt. Damit er- Schnitt A–B) nicht nur die Höhe der Küche, weist sich die Vermutung (Schilli 1953), dass sondern auch die Stockhöhe des eingeschos- der Herzog von Württemberg mit der Lan- sigen Eindachhauses bestimmte. Der Rauch desbauordnung von 1568 im Schwarzwald ei- vom Herd und Kachelofen musste bei dem ka- nen neuen Haustyp geschaff en habe, als un- minlosen Haus wie bei den historischen Kin- zutreff end.«31 In Anbetracht dieser Sachlage zigtäler Häusern über die so genannte Rauch- ist nicht nachzuvollziehen, warum sich einige bühne (später auch als Nussbühne oder Dörre auch namhaft e Autoren noch in jüngster Zeit

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 343 04.06.2013 22:38:56 die schillische Vermutung zu Eigen mach- geklärt werden. Viele Fakten sprechen gegen ten und sie in ihren Publikationen als fest- die ursprünglich von Schilli und später wei- stehende Realität übernahmen, ohne hierfür teren Autoren vertretene Auff assung, so bei- konkrete Fakten oder Quellen zu benennen.32 spielsweise auch die Abbildungen 4, 6, 7, 8 und 9–9b. Selbst Schilli kommt zu der über- raschenden Feststellung: »Im ganzen Gebiet Zusammenfassendes Ergebnis ist sporadisch durch die oben angezogenen des Klärungsversuchs baupolizeilichen Bestimmungen (die Würt- tembergische Bauordnung von 1568, der Primär wurde im Vorausgehenden versucht Verf.) auch zum Fachwerk gegriff en worden, zu klären, ob der dreiraumbreite Gutachtäler obgleich die Landschaft en mit Einzelhofsied- Haustyp mit der Rauchküche zwischen Stube lungen von diesen Gesetzen nicht betroff en und Stüble aus der Württembergischen Bau- sein sollten.«33 Da es sich bei den Gutachtäler ordnung von 1568 resultiert und auch, ob die Häusern in aller Regel um Einzelhöfe (Streu- helle Fachwerkaußenwand der Küche, etwa siedlungen) handelt, wären sie nach dieser in der Mitte der Giebelseite vieler Gutachtäler Formulierung aus Schillis Feder von der For- Häuser, auf diese Bauordnung zurückzufüh- derung nach Riegelfachwerk in der Württem- ren ist. Nach den zuvor ausgewerteten Quel- bergischen Bauordnung nicht betroff en. Der len und Fakten stellt sich der Sachverhalt wie zweite Teil dieser schillischen Formulierung folgt dar: steht eindeutig im Widerspruch zu seinen Der Altenvogtshof in Wolfach-Kirnbach vorher zitierten Aussagen. (Abbildungen 9, 9a und 9b) ist eindeutig ein Abschließend sei angemerkt, dass so gut Gutacher oder Gutachtäler Haus gemäß den wie alle bis heute in Gutach erhaltenen his- typologischen Darstellungen von Schilli bzw. torischen Bauernhäuser keine Gutacher oder Schnitzer. Da dieses Haus im Jahre 1565, also Gutachtäler Häuser gemäß den Darstellungen drei Jahre vor Erlass der Württembergischen von Schilli oder Schnitzer sind – was insbe- Bauordnung von 1568, errichtet wurde, kann sondere bei der von Schilli gewählten Typen- dieser Haustyp nicht in einem ursächlichen bezeichnung »Gutacher Haus« verständli- Zusammenhang mit dieser Bauordnung ge- cherweise oft angenommen wird. Mehrheit- bracht werden. Das heißt, die von Schilli lich wurden diese ab dem beginnenden 18. schon 1953 und danach von weiteren Auto- Jahrhundert erbauten Häuser hinsichtlich ren publizierte Vermutung, der Gutachtä- ihrer Konstruktion und Raumauft eilung so ler Haustyp sei durch die Württembergische gut wie immer mehr oder weniger von den Bauordnung von 1568 ausgelöst worden, ent- Haustypen der benachbarten Hauslandschaf- spricht nicht der geschichtlichen Wirklichkeit. ten beeinfl usst.34 Ob die helle Fachwerkaußenwand der Kü- Sicher ist es nicht völlig unproblematisch, che in vielen Gutachtäler Häusern (Abbildun- die historischen Häuser, die von über Land gen 1 und 3) auf die zuvor angeführte Bau- ziehenden Zimmerleuten mit einem ständig ordnung zurückzuführen ist, konnte auch mit wachsenden Erfahrungsschatz errichtet wur- Hilfe des Originalwortlauts der Bauordnung, den, in einen sehr engen typologischen und der Zeichnungen und Fotos aus der Zeit um geografi sch relativ fest umrissenen Rahmen 1900 nicht eindeutig und zufriedenstellend zu pressen und sie dann nach einer Gemeinde

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 344 04.06.2013 22:38:56 oder einem Tal am äußersten Rand ihres Ver- vor aufgeführten Beitrag von Gruber werden wie- breitungsgebietes zu benennen. Neben den dergegeben in dem von Wilhelm Fladt verfassten einführenden Text zum Werk von Hans Retzlaff : ursprünglichen Grundtypen entstanden im Volkskunde im Schwarzwald, Berlin Leipzig 1935, Verlauf der Zeit immer wieder – je nach Er- S. 4–11. fahrungsschatz und handwerklichem Kön- Schilli, Hermann: Das Schwarzwaldhaus, Stuttgart nen der Zimmerleute, den Vorstellungen und 1953 (weitere Aufl agen 1964,1977 und 1982). Ders.: Schwarzwaldhäuser, Karlsruhe 1978. Wünschen des Bauern, den regionalen klima- Assion, Peter / Brednich, Rolf W.: Bauen und Woh- tischen Verhältnissen und der daraus resultie- nen im deutschen Südwesten – Dörfl iche Kultur renden wirtschaft lichen Nutzung des jeweili- vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1984, gen Bauernhauses, und nicht zuletzt auch je S. 96–142. Schnitzer, Ulrich: Schwarzwaldhäuser von gestern nach Lage des Baugeländes – in Teilbereichen für die Landwirtschaft von morgen [Forschungs- voneinander abweichende Bauformen. Wie arbeit am Institut für Orts-, Regional- und Lan- schon kurz angemerkt, wurden die ab dem desplanung der Universität Karlsruhe, Lehr- und beginnenden 18. Jahrhundert auf Gutacher Forschungsgebiet Planen und Bauen im Ländli- Gemarkung erbauten Bauernhäuser bezüg- chen Raum, Prof. Dr.-Ing. Ulrich Schnitzer], Ar- beitsheft 2 Landesdenkmalamt Baden-Württem- lich ihrer Konstruktion und Raumauft eilung berg, Stuttgart 1989; Darin: Meckes, Franz: Die so gut wie immer mehr oder weniger von den Schwarzwaldhäuser – Geschichte, Bestand, Ver- Haustypen benachbarter Hauslandschaft en änderungen, S. 14–42. beeinfl usst. In jüngster Zeit wird hinsichtlich Kauß, Dieter: Schwarzwälder Kulturgeschichte – Zur Geschichte der Bauernhöfe im Schwarzwälder der Typologie der historischen Schwarzwald- Freilichtmuseum, Gutach, Off enburg 2002. häuser und insbesondere deren Verbreitungs- Nienhaus, Heinz: Der Gutacher oder Gutachtäler gebiete von namhaft en Hausforschern die Haustyp und historische Bauernhäuser in Gutach, Frage diskutiert, ob der bisherige Kenntnis- in: Die Ortenau (86) 2006, S. 399–432. Ders.: Noch prägen traditionelle Schwarzwaldhäuser stand noch den neuesten Erkenntnissen der das Landschaft sbild, in: Badische Heimat, Dezem- Forschung gerecht wird.35 Aber dies ist ein an- ber 4/2009, S. 630–647. deres, sehr umfassendes Th ema, das hier nicht behandelt werden soll. Anmerkungen:

Literatur (chronologisch): 1 Siehe die unter »Literatur« aufgeführten Publika- tionen. Eisenlohr, Friedrich: Holzbauten des Schwarzwaldes, 2 Schilli, 1953, S. 198–205. Carlsruhe 1853. 3 Meckes, in: Schnitzer 1989 S. 14–42. Kossmann, Bernhard: in: Das Bauernhaus im Deut- 4 Königsfeld und seine Geschichte, Hrsg.: Brüder- schen Reich und in seinen Grenzgebieten, Hrsg.: gemeine Königsfeld, 2. Aufl . 1962, S. 6 ff. Verband deutscher Architekten- und Ingenieur- 5 In den nachfolgend aufgeführten Publikationen vereine, Dresden 1906, S. 397–449. ist sinngemäß nachzulesen, dass die Württem- Schilling, Richard: Das alte malerische Schwarz- bergische Bauordnung von 1568 den Gutachtäler waldhaus, Freiburg 1915. Haustyp verursacht hat. Diesen Sachverhalt pub- Gruber, Otto: Das Haus des Schwarzwaldes, in: lizierte H. Schilli in seinem 1953 erstmals erschie- Der Schwarzwald: allerhand von Land und Leu- nenen Standardwerk »Das Schwarzwaldhaus«, ten, Hrsg. von Gerold Schmückle, Sonderheft S. 200 und auch in seinen weiteren zahlreichen der Monatsschrift »Oberdeutschland«, Stuttgart Veröff entlichungen, soweit sie das Gutachtäler 1922, S. 43–52. Wesentliche Passagen und auch Haus betreff en. Eine ausführliche Bibliographie die Zeichnungen zu den Haustypen aus dem zu- Schillis veröff entlichte Kauß, Dieter: Zum Leben

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 345 04.06.2013 22:38:56 und Werk von Hermann Schilli (1896–1981), in: 13 Lohrum, Burghard: Wann wurde der Vogtsbau- Die Ortenau (66) 1986, S. 127–141. Weitere Auto- ernhof erbaut? in: Die Ortenau (74) 1994, S. 138– ren schlossen sich dieser Auff assung von Schilli 142. an, so beispielsweise: Haas, Berthold: Das Bau- 14 Nach Barth, Ansgar: Das Amt Hornberg in würt- ernhaus im Schwarzwald-Baar-Kreis, in: Der tembergischer Zeit, in: Die Ortenau (74) 1994, Schwarzwald-Baar-Kreis, Stuttgart und Aalen 351, wurde der Oberbauernhof um 1580 und nach 1977, S. 187. Ders.: Das Schwarzwaldhaus im Schnitzer 1989, S. 30, Abb. 48, im Jahre 1590 er- Quellbereich der Brigach, in: Brigach – Hofchro- richtet. nik und Ortsgeschichte, Hrsg.: Stadt St. Geor- 15 Meckes, in: Schnitzer 1989, S. 31–32, Abb. 51. gen 1993, S. 268. Assion, 1984, S. 112–114. Kauß, 16 Schilli 1953, S. 201. 2002, S. 12. Ders.: Zur Geschichte des Vogtsbau- 17 Kossmann 1906, S. 416 und Meckes in: Schnitzer ernhofs in Gutach, in: Die Ortenau (66) 1986, 1989, S. 32 und Abb. 50. S. 142. Ders.: Vogtsbauernhof – Führer durch das 18 Vgl. Anm. 5. Schwarzwälder Freilichtmuseum in Gutach, Hei- 19 Schilli 1953, S. 200. delberg–Dielheim 1993, S. 34. Ders.: »Vogtsbau- 20 Schilli, Hermann: Zur Geschichte und zum Auf- ernhof« – das Schwarzwälder Freilichtmuseum bau des Schwarzwälder Freilichtmuseums »Vogts- in Gutach, in: Gutach / Heimat der Bollenhut- bauernhof« in Gutach (Schwarzwald), in: Badi- Tracht, Brauchtum und bäuerliche Lebenswelt, sche Heimat (56. Jg.) Heft 2 1976, S. 268. Ders.: Künstlerkolonie, Hrsg.: Gemeinde Gutach 1999, Heimische Hausformen, in: Der Kreis Wolfach, S. 176. Oeschger, Bernhard / Wenger, Edmund: Aalen/Württemberg 1966, S. 76. Schwarzwaldleben anno dazumal, Stuttgart 1989, 21 Schilli 1953, S. 198, Figur 54. Bis 1875 war der S. 21. 1914 abgebrannte (Hinter) Schlauchbauernhof 6 Vgl. Schilli 1953, S. 198–204 und Meckes in: (Abb. 7) ungeteilt. In einem Vertrag vom 31.7.1877 Schnitzer 1989, S. 31 und Abb. 18–20. Ein kon- einigten sich Christian Wälde und Johannes struktiv anderer, aber ebenfalls dreiraumbreiter Wälde, das bisher »in Gemeinschaft besessene Haustyp mit mittig an der Stirnseite angeord- Hofgut, Schlauchhof genannt, für ewige Zei- neter Küche ist aus dem Dreisamtal östlich von ten abzuteilen. Die Mahlmühle soll gemeinsam Freiburg bekannt. Über diesen Haustyp berich- genutzt werden.« Aus diesem Vertrag resultiert tet W. A. Tschira sehr ausführlich am Beispiel der Bau des Vorderschlauchbauernhofs (Abb. 6), des im Jahre 1610 erbauten Pfändlerhofs in Zar- dessen Baujahr z. Z. nicht exakt benannt werden ten. Vgl. Tschira, Wilhelm Arnold: Der Pfänd- kann. lerhof zu Zarten, in: Mein Heimatland (19) 1932, 22 Zitiert nach Reyscher, A. L. (Hrsg.): Vollständig, S. 131–138. Schilli bezeichnet diesen Haustyp als historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der Zartener Haus, Meckes hingegen als Dreisam- württembergischen Gesetze, erster Teil, Tübin- täler Haus. Letzterer weist darauf hin, dass die gen 1841, S. 355 und zweiter Teil, Tübingen 1842, Küchen dieser Häuser schon zu Beginn des 17. S. 178 und 179. Jahrhunderts von der Stirnseite auf die rückwär- 23 Beispielhaft seien hier nur einige Beiträge an- tige Traufseite verlegt wurden. Vgl. Meckes, in: geführt: Schilli, Hermann: Die Hausformen der Schnitzer 1989, S. 24. Ortenau, in: Die Ortenau (40) 1960, S. 131. Ders.: 7 Derartige Hocheinfahrten und Tennen außer- Zur Geschichte … (Anm. 20), S. 268. Ders.: Hei- halb der Hausmitte an Gutachtäler Häusern gibt mische Hausformen (Anm. 20), S. 76. es beispielsweise beim Vogtsbauernhof in Gutach 24 Zum Baujahr des Bürlebauernhofs gibt der Gut- (Museum) und beim Reichensteinerhof in Horn- acher Heimatforscher Ansgar Barth folgenden berg-Reichenbach. Hinweis: »Nach dem Feuerversicherungsbuch 8 Zu den Schwarzwälder Haustypen vgl. Schilli von 1841 wurde das Haus um 1770 erbaut. Über 1953, S. 13 ff und Schnitzer 1989, S. 16 ff . das Hofgebäude wird ausgeführt: »Wohnhaus 9 Vgl. die in Anm. 5 aufgeführten Publikationen. zweistöckig von Holzwänden mit Sockelmauer 10 Meckes, in: Schnitzer 1989, S. 29–33; vgl. die Aus- – Dach Stroh und Ziegelstreifen«. Im Steuerbuch führungen von Meckes mit denen in den unter von 1722 heißt es: »Ein zweistocket neu erbaut Anm. 5 aufgeführten Publikationen. Haus (eine große Stube, 1 Nebenstüble, 5 Kam- 11 Schilli 1953, S. 190. mern) samt einer besonderen Hausmahlmüh- 12 Ebd., S. 201. lin«. Off en bleibt, ob das Haus zwischen 1722

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 346 04.06.2013 22:38:56 und (um) 1770 abgebrannt ist oder ob die Ein- 35 Siehe hierzu die von Stefan King verfasste kom- schätzung im Feuerversicherungsbuch ungenau mentierende Zusammenfassung der auf dem ist.« Um das exakte Baujahr zu bestimmen, sind Arbeitskreis für Bauforschung (AHF Regional- weitere Nachforschungen erforderlich. Nach der gruppe Baden-Württemberg) am 16. April 2010 erhaltenen alten Bausubstanz zu urteilen, ist die im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach Bauzeit vor 1722 allerdings sehr wahrscheinlich. veranstaltetem Kolloquium zur Hauslandschaft 25 Vgl. Schilli 1953, Abb. 103. Auch in Schillings sehr des Schwarzwaldes gehaltenen Vorträge. Im Zu- präzisen Zeichnungen sowohl vom Bürlebauern- sammenhang mit der Typologie der Schwarz- hof als auch vom »unteren Schlauchbauernhof« waldhäuser und deren Verbreitungsgebiete ist der (Hinterschlauchbauernhof) sind die Rauchgatter Beitrag von Burghard Lohrum von besonderem und z. T. weitere Rauchabzugslöcher oberhalb des Interesse. Gatters in der Holzkonstruktion der Küchenau- ßenwände gut zu erkennen. Vgl. Schilling 1915, Mein Dank gilt allen Hofb esitzern, die mir bereit- S. 113, Abb. 113 und S. 135 Abb. 136. willig alle Türen in ihren historischen Häusern öff - 26 Meckes, in: Schnitzer 1989, S. 33. neten und ausführlich alle Fragen beantworteten, 27 Kossmann, Bernhard: Die Bauernhäuser im badi- ebenso Herrn Schulamtsdirektor a. D. Ansgar Barth, schen Schwarzwald, in: Zeitschrift für Bauwesen Gutach/Schwarzwaldbahn, der mich bei der Alters- (44) 1894, S. 169. bestimmung der historischen Gutacher Bauernhäu- 28 Bei der zwischenzeitlich durchgeführten umfas- ser sehr unterstützte. senden Renovierung und Modernisierung des Altenvogtshofs wurde der ursprüngliche Bug mit Bildnachweis: 1 und 3–9: Archiv H. Nienhaus; 2: der Jahreszahl 1565 durch einen neuen ersetzt, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sig- dem wiederum die Jahreszahl 1565 eingeschnit- natur: MC HBFa. 1394; 9a und b: aus Kossmann, ten wurde. Den ursprünglichen mit der Jahres- Bernhard: Baden, in: Das Bauernhaus im Deutschen zahl 1565 gekennzeichneten Bug hält der Zim- Reich und seinen Grenzgebieten, Dresden 1906. mermann, der die Modernisierungsarbeiten aus- führte, in Verwahrung. 29 Kossmann 1906, S. 416 und S. 428/429. Bei dem hier angegebenen Baujahr 1561 handelt es sich off enbar um einen Schreibfehler; richtig ist 1565, wie sich der Verfasser dieses Beitrags vor Ort überzeugen konnte. 30 Nienhaus, Heinz: Kinzigtäler Häuser und ihre baulichen Varianten, in: Die Ortenau (83) 2003, S. 145, Bild 1 und S. 148. Anschrift des Autors: 31 Meckes, in: Schnitzer 1989, S. 32. Heinz Nienhaus 32 Vgl. die Ausführungen in den in Anm. 5 aufge- Ledderkesweg 4 führten Publikationen. 46242 Bottrop 33 Schilli 1953, S. 203. [email protected] 34 Nienhaus 2006, S. 418–428.

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328_Nienhaus_War die Württembergische Bauordnung.indd 347 04.06.2013 22:38:56 Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht

Klaus P. Oesterle

In der kleinen Stadt Zabern, französisch Sa- des wilhelminischen Reiches. Schließlich war verne, im Elsaß mit ihren rund 9000 Einwoh- es dann 1914 die Eigengesetzlichkeit der mi- nern lagen vor dem ersten Weltkrieg zwei litärischen Planungen auf der höchsten Ebene Bataillone des Infanterieregiments Nr. 99 aller Länder, die zur raschen Kettenreaktion der reichsdeutsch-preußischen Armee. Zahl- von Kriegserklärungen entscheidend beige- reiche Zaberner Einwohner lebten von dem tragen hat. hier stationierten Militär; dementsprechend Aus badischer Sicht sind die Vorgänge in deutschfreundlich war auch die öff entliche Zabern und im Elsaß nicht nur wegen der Meinung am Ort. Zabern war der einzige räumlichen Nähe beim Blick über den Ober- Wahlkreis des Reichslandes Elsaß-Lothrin- rhein von besonderem Interesse, sondern gen, von dem ein Vertreter einer reichsdeut- auch deshalb, weil markante Figuren aus Ba- schen Partei in den Berliner Reichstag ent- den dabei besondere Rollen gespielt haben. sandt wurde. Im übrigen wählte das Volk in Dabei handelt es sich zunächst um den Kom- den ehemals französischen Gebieten, die vom mandierenden General in Straßburg Berthold neu gegründeten Deutschen Kaiserreich 1871 von Deimling und um den Reichstagsabge- annektiert wurden, durchweg eigene Parteien, ordneten Konstantin Fehrenbach aus Frei- die der Unzufriedenheit mit der staatsrecht- burg von der Zentrumspartei, den späteren lichen Situation des Landes Ausdruck ga- Reichskanzler. Dazu kommt noch eine mar- ben. Wirtschaft lich ging es der Region nicht kante Stellungnahme des seinerzeit hochbe- schlecht, sie nahm an der Konjunktur der rühmten badischen Volksschrift stellers Hein- »Gründerzeit« teil. Viele Bauten aus der da- rich Hansjakob, dem die beiden anderen Her- maligen Zeit zeigen das heute noch, beson- ren persönlich bekannt waren. ders in Straßburg. Deimling war 1853 in Karlsruhe geboren Ausgerechnet in Zabern kam es im Okto- als ältester Sohn eines Militärrichters (Garni- ber 1913 zu einem heft igen Konfl ikt zwischen sonsauditor); die Familie wohnte in der Ama- der bewaff neten Macht und der örtlichen Zi- lienstraße 27 unmittelbar bei der Infanterie- vilbevölkerung, der hohe Wellen schlug, weit kaserne. Der Vater kam als Jurist alsbald ins über das Elsaß hinaus. Dieses kleinstädtische Kinzigtal und dann als Kreisgerichtsrat nach »Zaberner Ereignis« erwies sich dann später Freiburg, wo der Sohn als Klassenkamerad im Rückblick als Vorzeichen für die im Jahr von Konstantin Fehrenbach das Gymnasium darauf hereinbrechende Katastrophe des ers- besuchte. Die beiden waren die leistungs- ten Weltkriegs. Es zeigte den verhängnis- stärksten Schüler ihrer Klasse. Der junge vollen Vorrang des Militärs vor den zivilen Deimling wurde von der Schulbank weg Be- Staatbürgern in der Verfassungswirklichkeit rufssoldat, stieg auf bis in den Generalstab, tat

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 348 04.06.2013 22:40:22 sich im Krieg gegen die Hereros in Südwest- wurde von der Militärführung abgelehnt, ob- afrika hervor und wurde 1905 vom Kaiser in wohl der Konfl ikt dadurch ganz leicht hätte den erblichen Adelsstand erhoben. abgetan und vergessen werden können als die Am 28. Oktober 1913 hielt der Leutnant lokale Posse, die er ursprünglich war. Günter Freiherr von Forstner eine Instruk- Das Militär fürchtete sich davor, Schwäche tionsstunde für Rekruten seines Bataillons zu zeigen, und verpasste dabei die Gelegen- in Zabern. Forstner war zwanzig Jahre jung, heit, durch Schaff ung von Ordnung im ei- also nach damaligem Recht noch nicht voll- genen Hause Stärke zu beweisen. Die neuen jährig. Er wurde ein Jahr später am Anfang Forschungsergebnisse von Kirsten Zirkel zum des Krieges tödlich verwundet. Forstner for- Th ema haben gezeigt, dass für das Verhalten derte seine Untergebenen in Zabern dazu auf, der Offi ziere vor Ort der Kommandierende von der Waff e Gebrauch zu machen, wenn sie General in Straßburg Berthold von Deimling beim Ausgang in der Stadt in Streit mit Zivi- die Hauptverantwortung trug. Er betonte listen gerieten. »Wenn ihr dabei einen solchen stets den Vorrang des Militärs gegenüber dem Wackes über den Haufen stecht, schadet das zivilen kaiserlichen Statthalter Grafen von auch nichts«, soll er gesagt haben und setzte Wedel und fand dafür volle Rückendeckung für ein solches Vorgehen noch eine Prämie bei Kaiser Wilhelm II. von zehn Goldmark aus, die dann der Unter- In der Hauptstadt Straßburg pfl egte Gene- offi zier Höfl ich um weitere drei Mark erhöhte. ral Deimling seine Truppen mit häufi gen Pa- Der Ausdruck »Wackes«, wohl von lateinisch rademärschen lautstark auft reten zu lassen, »vagus«, bezeichnete einen Landstreicher, möglichst auf zentralen Plätzen mitten in der Strolch, Schlingel. Die Vokabel war im ale- Geschäft szeit. Durch die aufdringliche Prä- mannischen Sprachraum, aber auch in Loth- senz des Militärs sah sich Elsaß-Lothringen ringen und der Pfalz verbreitet. Ihr Gebrauch noch Jahrzehnte nach dem 70er Krieg als be- galt seinerzeit im Unterschied zu heute allge- setzte fremde Provinz behandelt und nicht als mein als Beleidigung und war den Soldaten gleichberechtigter Teil des deutschen Reiches. in Zabern durch Regimentsbefehl »strengs- Alle anderen Gebietsteile des Reiches waren tens« verboten. Forstner soll Rekruten dazu entweder selbständige Gliedstaaten oder Pro- gezwungen haben, sich dienstlich mit den vinzen des Königreichs Preußen. Allein das Worten zu melden: »Ich bin ein Wackes«. »Reichsland« Elsaß-Lothringen war unmit- Von betroff enen Soldaten wurde die lokale telbar dem Kaiser als Träger der Staatgewalt Presse über die Vorgänge in der Kaserne infor- unterstellt. Ein Landtag wurde erstmals 1911 miert. Berichte darüber erschienen zunächst gebildet und dann 1919 durch den französi- im »Zaberner Anzeiger« und im »Elsässer«, schen Zentralstaat beseitigt. der der Zentrumspartei nahe stand. Die Zent- In Zabern 1913 war der forsche Leutnant rumspartei war es ja auch, deren Reichstags- Forstner aufgrund der lokalen Presseberichte fraktion Abgeordnete aus dem Elsaß regelmä- der Kritik und dem Spott der Zivilbevölke- ßig als Hospitanten aufnahm. Über den Vor- rung ausgesetzt. Er ließ sich deshalb beim fall wurde alsbald auch in größeren Zeitungen Ausgang im Städtchen jeweils von einer be- berichtet, zumal in Straßburg. Es erhob sich waff neten Streife begleiten. Am 15. November die Forderung, Forstner und Höfl ich an ei- 1913 meldete der »Elsässer«, dass Forstner sich nen anderen Dienstort zu versetzen, aber das in vulgär herabsetzender Weise über die fran-

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 349 04.06.2013 22:40:22 zösische Flagge geäußert hatte. Trotz der Em- ren Morgen dem Amtsrichter vorgeführt, der pörung darüber in zivilen Kreisen und auch ihre Entlassung anordnete. in Frankreich wurde der junge Offi zier nicht Zufällig war am Abend des 28.11. der für an einen anderen Ort versetzt; von einem Zabern zuständige Kreisdirektor Mahl mit sechstägigen Stubenarrest, den er absitzen dem Unterstaatssekretär Mandel und dem musste, erfuhr die Öff entlichkeit nichts. Nur General Deimling in Straßburg zum Abend- keine Fehler nach außen zugeben und keine essen verabredet. Mandel wurde ans Telefon Schwäche zeigen! Das Bild des deutschen Offi - gerufen und von den Vorgängen in Zabern ziers vertrug keinen Kratzer. Dagegen wurden unterrichtet. Er bat Deimling, sich mit seinem die elsässischen und lothringischen Rekruten Untergebenen Oberst Reuter in Verbindung aus der Garnison Zabern wegversetzt. Wenig zu setzen und die Freilassung der verhaft eten später verlegte man sogar das ganze Regiment Zaberner Einwohner zu befehlen. Deimling in eine andere Gegend, um der Bevölkerung weigerte sich, obwohl er genau wusste, dass Einnahmen zu entziehen und sie dadurch ein- das Verhalten des Militärs in Zabern gesetz- zuschüchtern. widrig war. Aber der Respekt vor der Rechts- Die drei jungen Soldaten, welche die lokale staatlichkeit spielte bei ihm keine Rolle, wenn Zeitung über den Kasernenskandal infor- es um den Vorrang des Militärs vor den zivi- miert hatten, wurden verhaft et. Im Gebäude len staatlichen Instanzen ging. In seiner Hal- des »Zaberner Anzeigers« wurde eine mili- tung sah er sich unterstützt von einem Teil der tärische Haussuchung durchgeführt. Diese Presse und Öff entlichkeit und vor allem von Maßnahmen stellten einen illegalen Eingriff Kaiser Wilhelm selbst. des Militärs in die zivile Verwaltung dar, was Der Kronprinz Wilhelm, als Komman- dem Kommandierenden General aus unse- deur eines Husarenregiments in Ostpreußen rem schönen Baden, wie sein eigener dienstli- stationiert, unterstützte das rechtswidrige cher Bericht zeigte, voll bewusst war. Vorgehen der Militärs im Elsaß auf seine Art Der Regimentskommandeur Oberst Reuter durch Telegramme an Deimling und Reu- forderte, angewiesen von seinem Vorgesetz- ter, in denen es hieß »Bravo!« und »Immer ten Deimling, die Verhängung des Belage- feste druff .« Er äußerte sich über die »Unver- rungszustandes in Zabern, um die Verspot- schämtheit des Zaberner Plebs« und forderte, tung von Offi zieren zu verhindern. Das lehnte ein Exempel zu statuieren, »um den Herren der zivile Kreisdirektor Mahl unter Berufung Eingeborenen die Lust an derartigen Vor- auf die Reichsverfassung ab. Dennoch ließ fällen zu versalzen«. Diese Formulierungen der Oberst am 28. November 1913 drei Züge wurden bekannt und heizten die Stimmung mit scharfer Munition unter Trommelwirbel an. In Zabern und Straßburg wurden Postbe- ausrücken und rund dreißig Personen auf der amte strafversetzt, denen man eine Indiskre- Hauptstraße willkürlich verhaft en, darunter tion zutraute. sogar einen Richter des Landgerichts. Einen Wilhelm II. ging das Verhalten des Sohnes körperbehinderten Schustergesellen, der sich dann doch zu weit; er beorderte den Prin- der Festnahme widersetzte, schlug der Leut- zen zurück nach Berlin, um ihn besser unter nant von Forstner mit dem fl achen Säbel. Die Kontrolle zu haben. Der Kronprinz hat sich in verhaft eten Bürger wurden über Nacht im seinen »Erinnerungen« darüber bitter beklagt, Keller der Kaserne eingesperrt und am ande- seine Telegramme aber bestätigt. Nur der

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 350 04.06.2013 22:40:22 Wortlaut sei anders gewesen: Er habe »dem sung auf. In seiner Rede vor der Budgetkom- Oberst von Reuter als Kamerad dem Kame- mission war auch die bekannte Formulierung raden telegraphiert, er möge ja nur scharf enthalten: »Nicht durch Reden und Majori- durchgreifen, da das Ansehen der Armee auf tätsbeschlüsse werden die Fragen der Zeit ent- dem Spiele stehe«. schieden, sondern durch Blut und Eisen.« Auf Der Kaiser weilte in jenen Tagen zur Jagd der einen Seite des Konfl ikts stand die ererbte beim Fürsten von Fürstenberg in Donau- Legitimität des Fürsten und militärischen An- eschingen. Am 30.11.1913 bat der Statthal- führers auf der anderen Seite die Souveränität ter und Chef der Zivilverwaltung von Elsaß- des Volkes und seiner gewählten Vertretung. Lothringen Karl Graf von Wedel um eine Am 4. Dezember 1913 kam es zu einer Audienz, um die Vorgänge in seinem Zustän- Debatte im Reichstag über den Fall Zabern. digkeitsbereich zu erörtern. Wilhelm lehnte Kanzler von Bethmann-Hollweg erwies sich das ab mit dem Hinweis, er wolle sich zuerst darin als extrem abhängig vom Kaiser, dem vom Militärkommando berichten lassen; der er ja seine Ernennung zu verdanken hatte Statthalter könne sich ja schrift lich äußern. und der ihn entlassen konnte. Der Kanzler Der deutsche Kaiser war tief durchdrungen machte sich die falsche Version des Generals von der absolutistischen Idee seiner militäri- von Deimling zu eigen, wonach die zivilen Si- schen Kommandogewalt, die über der zivilen cherheitsorgane im Elsaß versagt hätten und Reichsverfassung stand. das Eingreifen des Militärs dadurch notwen- Noch im April 1914 erließ Wilhelm II. dig geworden sei. ohne Beteiligung der Regierung oder gar des Für die Fraktion des Zentrums trat der Reichstags einen Armeebefehl über den »Waf- Abgeordnete Konstantin Fehrenbach an das fengebrauch des Militärs und seine Mitwir- Rednerpult. Unter dem Eindruck der Ausfüh- kung zur Unterdrückung innerer Unruhen«. rungen des Kanzlers verzichtete er auf sein Zwar wollte man damit ein rein willkürliches Manuskript, das im Nachlass erhalten ist, und Vorgehen des Militärs wie in Zabern verhin- griff die Regierung in freier Rede scharf an. dern. Ein solcher Erlass ohne Mitwirkung der Er betonte, dass auch das Militär dem Recht gesetzgebenden Instanzen war jedoch keines- und dem Gesetz untergeordnet sein müsse, wegs im Sinne der geltenden Reichsverfas- andernfalls drohe Deutschland der Unter- sung. Er beruhte auf der Vorstellung von einer gang. Dieser Auft ritt machte den badischen eigenständigen militärischen Kommandoge- Abgeordneten schlagartig bekannt; er war walt des preußischen Königs, wie sie schon im dann später in den Anfängen der Weimarer Verfassungskonfl ikt von 1862 von der Krone Republik kurze Zeit deutscher Reichskanzler vertreten wurde. (25.6.1920 bis 4.5.1921). Im Streit mit dem Parlament um den Mi- Die Debatte am 4. Dezember 1913 endete litäretat stand damals bekanntlich der König mit einem Missbilligungsvotum des Reichs- unmittelbar vor der Abdankung. Er wurde da- tags gegen den Reichskanzler, das erste sei- von abgehalten durch den Kriegsminister Roon, ner Art im Kaiserreich, aber folgenlos, weil der ihm Bismarck als neuen Kanzler empfahl. der Kanzler nur vom Vertrauen des Kaisers Dieser erklärte sich bereit, ohne vom Land- abhing. tag bewilligtes Budget zu regieren und stellte Fehrenbach musste bei seiner Rede einen die Th eorie von einer »Lücke« in der Verfas- besonderen Spagat vollführen, weil er mit

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 351 04.06.2013 22:40:22 dem General Deimling persönlich eng be- nach Donaueschingen ein. Dabei war natür- freundet war, was viele Leute wussten. Beide lich aus Straßburg wieder Deimling zugegen. waren, wie oben erwähnt, in Freiburg gemein- Aus Berlin war der Reichskanzler angereist, sam zur Schule gegangen. Fehrenbach ließ und jetzt durft e endlich auch der Statthalter den alten Klassenkameraden nicht im Stich von Wedel seine Sicht der Dinge persönlich und betonte dessen hohe Intelligenz, seine darlegen. Bei dem Treff en, das nur eine Drei- bürgerfreundliche Gesinnung und Liebens- viertelstunde dauerte, schrie Wedel Deimling würdigkeit im persönlichen Umgang. Der Ge- und den Kaiser so laut an, dass man es drau- neral ging denn auch völlig unbeschädigt aus ßen im Schlosspark hören konnte. Aber er der ganzen Aff äre hervor. Von der nationalis- wurde vom Kanzler, der eigentlich angereist tischen Presse wurde er gelobt. Dagegen iden- war, um die zivile Seite zu vertreten, im Stich tifi zierte der Chef des kaiserlichen Zivilkabi- gelassen. Herr von Wedel nahm bald darauf netts Rudolf von Valentini General Deimling seinen Abschied. Sein Nachfolger Graf früh als den Drahtzieher der Zaberner Aff äre. Roedern hatte sich danach ebenfalls über das Denselben Eindruck muss der alte Hein- aggressive Verhalten des Militärs unter Gene- rich Hansjakob (1837–1916) gehabt haben. Er ral von Deimling gegenüber der Zivilbevölke- sandte Fehrenbach nach dessen Reichstags- rung zu beklagen. rede eine Postkarte mit dem Bild seines neu Der Fall Zabern ist bezeichnend für den Wi- erbauten Alterssitzes »Freihof« in Haslach, derstreit zwischen Monarchie und Volkssou- den er am 22.10.1913 bezogen hatte. veränität innerhalb des Gefüges der Reichs- Hansjakob, der Fehrenbach und Deim- verfassung. Zwar war für kaiserlichen Regie- ling wohl aus Freiburg kannte, schrieb an den rungsakte prinzipiell die Gegenzeichnung Reichstagsabgeordneten: durch einen Minister vorgesehen, der seiner- »So hab ich mir Freund Konstantin den seits auch dem Reichstag verantwortlich war. Großen und das Zentrum längst gewünscht. Praktisch blieben aber Hoheitsakte der mo- Sie haben durch Ihre Rede den Vogel abge- narchischen Kommandogewalt von der mi- schossen. Lassen Sie ihn nimmer fl iegen und nisteriellen Gegenzeichnung freigestellt. Der sich nicht von Ihrem Freund Deimling ein- Kaiser verfügte im militärischen Bereich mit fangen. Sta verbo! Dann werden Sie ein ech- dem Militärkabinett und dem Marinekabi- ter Volksmann werden und bleiben. Senden nett über eine separate Verwaltung. Das Mili- Sie mir Ihre Rede nach dem Stenogramm. Mit tär, aus dessen Sieg über Frankreich das Reich bestem Gruß Hansjakob« 1871 hervorgegangen war, bildete nicht nur ei- Der Pfarrer und Schrift steller hatte 1849 als nen Staat im Staate wie die Reichswehr in der zwölfj ähriger Junge im Kinzigtal die Nieder- Weimarer Republik, sondern verstand sich als schlagung der badischen Revolution durch die wichtigste staatstragende Institution über- preußische Truppen erlebt. Er trug zeit seines haupt. Dagegen waren Kanzler und Reichstag Lebens den Heckerhut und blieb nach eige- machtlos. ner Aussage ein »Freiheitsmann mit Leib und Vor der Aufgabe, hier innenpolitisch einen Seele«. Ausgleich herbeizuführen, hat Wilhelm II. Am 5. Dezember 1913 berief der Kaiser versagt, obwohl nach der Konstruktion der unter dem Eindruck des öff entlichen Echos Reichsverfassung gerade dies seine Aufgabe der Zabern-Aff äre doch noch eine Konferenz gewesen wäre. Auch während des Krieges

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 352 04.06.2013 22:40:22 1914/18 hat er es nachher nicht geschafft , eine Benutzte Literatur konstruktive Zusammenarbeit zwischen der politischen und militärischen Führung des Kronprinz Wilhelm Erinnerungen. Reiches herzustellen. Im Rahmen der militä- Herausgeber Karl Rosner, J. G. Cotta, Stuttgart und Berlin 1922. rischen Kommandogewalt selbst zeigte er sich Wehler, Hans Ulrich Der Fall Zabern. Rückblick auf zudem abhängig von der Obersten Heereslei- eine Verfassungskrise. tung, die sich dann am Ende ihrer Verantwor- des wilhelminischen Kaiserreiches. In: Die Welt als tung für die Niederlage entzogen hat. Geschichte, XXIII. Jahrgang 1963, Heft 1, S. 27–46. Hildenbrand, Manfred Heinrich Hansjakob, Rebell General von Deimling erwies sich im im Priesterrock. 1. Weltkrieg mehr denn je als furchtbarer Mi- 2. Aufl age, Haslach 2001. litär. Er warf seine Truppen bedenkenlos in Zirkel, Kirsten Vom Militaristen zum Pazifi sten. Ge- die Materialschlachten in Belgien und Frank- neral Berthold. von Deimling – eine politische Biographie. reich, handelte mehrfach voreilig und eigen- Essen 2008. mächtig in dem Bestreben, als großer Sieger Exner, Peter Die Reichskanzler der Weimarer Repu- zu glänzen. Dies wurde selbst der obersten blik. Zwölf Lebensläufe. Karlsruhe 2012. Heeresleitung unter Falkenhayn, dem Ini- Adreßbuch von Karlsruhe 1853, digital bei der Badi- schen Landesbibliothek. tiator des Unternehmens »Blutpumpe« bei Meyers Konversationslexikon Band 6, 5. Aufl age Verdun, allmählich zu viel. Ende 1916 wurde Leipzig und Wien 1894, S. 707 bis 719: Artikel Deimling von seinem Frontkommando abge- »Elsaß-Lothringen«. löst. Wikipedia. Nach dem militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1918 machte der ehe- malige Oberbefehlshaber im »Reichsland« und Hauptverantwortliche der Zaberner Af- färe eine unerwartete Wandlung durch. Als Pensionär in Baden-Baden wohnend, wurde er ein führender Vorkämpfer der Friedensbe- wegung. Als Redner füllte er viele Säle in ganz Deutschland. Er gehört zu den Gründern des »Reichsbanners Schwarz – Rot – Gold«. Den Nationalsozialisten hat er sich bis zu seinem Anschrift des Autors: Tod mit neunzig Jahren konsequent verwei- Dr. Klaus P. Oesterle Paul-Klee-Straße 4 gert. Aber seine verhängnisvolle und schädli- 76227 Karlsruhe che Rolle im Elsaß 1913 hat er nie zugegeben.

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348_Oesterle_Die Affäre von Zabern 1913 aus badischer Sicht.indd 353 04.06.2013 22:40:22 »Feinler, der unstete Landsmann« Leben und Leiden eines badischen Priesters in Amerika

Johannes Werner

And I smiled to think God’s greatness fl owed around our incompleteness, – Round our restlessness, His rest.

Elizabeth Barrett Browning

Als Conrad Gröber, der später als Erzbischof von Freiburg weithin bekannt wurde, noch ein unbekannter Alumnus am »Collegium Germanicum et Hungaricum«1 in Rom war, hielt er in seinem Tagebuch seine Erlebnisse, aber auch seine immer wieder aufsteigenden Erinnerungen fest. Und manchmal geschah es, dass sich die einen mit den anderen verknüpft en, etwa dann, wenn alte Bekannte, an die er kaum noch dachte, unvermutet vor seiner Tür standen.

Unerwarteter Besuch! Franz Feinler stellt sich will: Wir trafen uns in Genua, als wir bei sin- mir in seiner neuen Tracht als Alumnus der kender Nacht dem Mailänder Zug entstiegen. Propaganda2 in Begleitung zweier leibhaft i- Ein »Oho!«, »Woher kommst denn Du?« bei- ger Indianer vor, für deren Volk ich von frü- derseits und eine Auskunft , die sich fast wört- her Jugend her, dank der Reutlinger fesseln- lich deckte. Wir verlebten dann zusammen mit den kleinen Heft e3, eine starke Schwäche habe. Th iem7 im billigen Juchhe des »Hotels Smith« Ein unruhiger Kopf, der blauäugige, bleiche einen gemütlichen, weinseligen Abend, um uns Franz von Gissigheim im badischen Franken- erst kurz vor Mitternacht zu trennen, weil er land.4 Schon vor Beendigung seiner Gymnasi- auf schnellstem Weg nach Rom gelangen wollte. aljahre trat er bei den Pallottinern in Masio Nun bereitet er sich in der Propaganda zum ein, um Missionär bei irgend einem primiti- Weltpriester für eine nordamerikanische Diö- ven oder neuzeitlichen Heidenvolk zu werden.5 zese vor, sofern nicht eine neue Launenwoge Es gefi el ihm dort aber nicht. So kehrte er in seinen Plänen eine andere Richtung gibt. Ich seine fränkische Heimat zurück und machte schätze Feinler als glänzendes Talent, als einen in Tauberbischofsheim sein Abitur.6 Im theo- Mathematiker von Gottes Gnaden. Auch phi- logischen Konvikt in Freiburg stand er um ei- lologisch ist er hochbegabt und darum sehr be- nen Jahreskurs hinter mir. Wir kannten uns glückt, in der Propaganda unvergleichliche Ge- trotzdem recht gut. Von seinen römischen Plä- legenheit zu besitzen, die orientalischen Spra- nen hatte ich aber keine Ahnung. So wenig als chen zu erlernen. Er schwärmt für den längst er wohl von den meinen. Wie es der Zufall so verstorbenen Kardinal Mezzofanti, der öft ers

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354_Werner_Feinler der unstete Landsmann.indd 354 04.06.2013 22:41:12 in die Propaganda gekommen sei, um mit je- Franz Feinler wurde, nach vier Jahren am dem ihrer Alumnen in seiner Heimatsprache Kollegium »de Propaganda Fide«, am 12. Juni wie ein Landsmann zu reden.8 Soviel ist mir ge- 1897 in der Basilika S. Giovanni in Laterano wiss: Franz wird mit seinem eigenen Kopf sei- zum Priester geweiht, und zwar für die Diö- nen eigenen Weg durchs Leben gehen, wobei zese Sioux Falls in South Dakota.13 Dort traf ihm sein geistiger Überfl uss und seine Plötz- er auch am 14. September desselben Jahres ein lichkeit im Entschluss zum Verhängnis werden und trat als Sekretär in den Dienst des dorti- können. Vorerst gefällt ihm das Völkergemisch gen Bischofs, den er aber schon im nächsten der Propaganda gut. Er rühmt den heroischen Jahr verließ. Dann versuchte er sich als Pfar- Idealismus seiner zahlreichen rotgegürteten rer in verschiedenen Gemeinden, aber auch Mitbrüder, die die Liebe Christi zu den wilden hier hielt er es nicht lange aus. Immerhin be- Heidenvölkern führt oder unter ihnen Apostel scheinigte man ihm in einer von ihnen, dass für ihre Landsleute und Stammesgenossen aus- er höchst erfolgreich gearbeitet habe. Er ist ein erwählt.9 Mann von hoher Intellektualität, ein kraft vol- Danach hat Gröber, wie es scheint, von dem, ler und überzeugender Redner, seiner edlen Be- der ihn so unvermutet besuchte, nichts mehr rufung fest und ernst ergeben, und hat sich die gehört. Einem amerikanischen Priester, des- Zuneigung derer erworben, unter denen er sich sen Zeit im Germanicum abgelaufen war und um die Errichtung des Königreichs Christi auf der nun wieder nachhause fuhr, gab er ei- Erden bemüht.14 nen Gruß an meinen Landsmann und Freund Im Jahre 1908, als Feinler gerade seine Franz Feinler mit, wenn er je einmal die Ge- nächste Pfarrei (bereits die sechste, in kaum legenheit hätte, ihn zu treff en. Aber Amerika zehn Jahren) angetreten hatte, bewarb er sich ist ein Erdteil, vielfach größer als unser altes, buntscheckiges und verschrumpft es Europa.10 Dann notierte Gröber nur noch: Feinler, der unstete Landsmann, schwimmt auf dem Meer.11 Im Jahre 1943, und damit unter ganz an- deren Umständen, holte der nunmehrige Erzbischof von Freiburg sein altes Tagebuch wieder hervor. Was er ihm entnahm, wurde nach seinem Diktat auf Wachsmatrizen ge- schrieben, von ihnen in wenigen Exempla- ren abgezogen und einem kleinen Kreis von Freunden zugänglich gemacht. Eine bisher ungenannte und unbekannte Dame, die das Werk in die Hände bekam, stellte im Novem- ber 1944 auf fünf Seiten eine lange Reihe von Anmerkungen und Fragen zusammen, von denen eine der ersten lautete: Was ist aus Franz Feinler, der nach USA wollte, gewor- den?12 Ja, was?

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354_Werner_Feinler der unstete Landsmann.indd 355 04.06.2013 22:41:13 um eine Stelle als »Army Chaplain«, die er er- Feinler wurde erst nach New York, dann hielt.15 Als solcher wurde er 1909 in Vancou- nach Frankreich versetzt, dann aber überra- ver, 1912 in Manila stationiert und kümmerte schend rasch zurückgerufen und nach Hono- er sich um das seelische und körperliche Wohl lulu beordert; und dort fi el er in die Grube, seiner Soldaten. Im Jahre 1914 wurde er an die man für ihn gegraben hatte, und zwar nur, die Amerikanische Botschaft in Tokio abge- weil er ein gebürtiger Deutscher war. »Army ordnet, wo er als Übersetzer arbeitete und zu- Chaplain Suspected as Pro-German; Trans- gleich ein Lehrbuch des Japanischen verfasste. ferred from France to Duty in Hawaii« hieß, (Er selber hatte erst 1911 begonnen, die Spra- am 5. März 1918, die Schlagzeile auf der Ti- che zu lernen.) Diese Tätigkeit musste er 1917 telseite der »New York Times«. beenden, weil die USA dem Deutschen Reich, Seit dem Eintritt der USA in den Krieg das sich mit Japan verbündet hatte, den Krieg blies den Deutschen und Deutschstämmi- erklärten. gen der Wind ins Gesicht. Man glaubte, dass

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354_Werner_Feinler der unstete Landsmann.indd 356 04.06.2013 22:41:13 sie ihrem Gastland schaden wollten, traute Welche Fehler Father Franz J. Feinler als ihnen jede Art von Spionage und Sabotage Mensch und als Priester auch gehabt haben zu, und man diskriminierte und terrori- mag: es ist off ensichtlich, dass er das Opfer ei- sierte sie, wo immer es möglich war.16 Fein- ner schrecklichen Ungerechtigkeit war. Sein Fall ler wurde, als man ihn zurückrief, mit den ist auch bezeichnend für die allgemeine Not der aberwitzigsten Anschuldigungen konfron- Deutschamerikaner während des Ersten Welt- tiert; um sie untermauern, schickte man ihm kriegs. Sowenig wie Feinlers neunjähriger eh- Spitzel ins Haus, die ihn aufs Glatteis füh- renhaft er Militärdienst ihn vor erfundenen Be- ren sollten. Die Anklage warf ihm schließ- weisen und falschen Beschuldigungen retten lich nur noch einige Äußerungen vor, die konnte, sowenig schützte die überwältigende zwar nicht einmal von ihm selber stammten, Loyalität der Deutschamerikaner während des aber angeblich von seiner Illoyalität zeugten Krieges sie vor den Verdächtigungen der Regie- und zur Illoyalität bei denen führten, die sie rung und der Feindseligkeit ihrer Mitbürger. hörten. (So gab er die von den Deutschen in Father Feinlers Fall, insbesondere seine erfolg- Belgien begangenen Grausamkeiten zu, gab lose Bemühung um Rehabilitation, ist auch ein freilich zugleich zu bedenken, dass andere Beispiel für die Erfahrungen, die die deutschen Armeen sich auch nicht anders verhielten.) Katholiken während des Krieges in der Kirche Am 10. Mai 1918 wurde Feinler von einem von Amerika machten. Ungeachtet ihrer un- Kriegsgericht zu 15 Jahren Zwangsarbeit ver- geheuren Beiträge zum Aufb au der Kirche in urteilt.17 den Vereinigten Staaten fühlten viele deutsche Off enbar sah man, als der Krieg zu Ende Katholiken, als sie wegen ihrer Abstammung war, bald ein, dass man weit übers Ziel hinaus- angegriff en wurden, dass sie von der Kirchen- geschossen war. Im Herbst 1919 wurde Fein- leitung verlassen wurden, der es wichtiger war, lers Strafe auf vier Jahre reduziert; im Feb- ihren Patriotismus zu demonstrieren als ihren ruar 1920 wurde er auf Ehrenwort entlassen, katholischen Glauben zu leben.20 im Mai 1921 vom Präsidenten begnadigt.18 In jenen Nachkriegsjahren stellte Feinler Ein Politiker, der sich für ihn eingesetzt hatte, auch seine – neben der linguistischen – an- nannte ihn einen Mann mit herausragenden dere Begabung unter Beweis: seine mathe- intellektuellen Fähigkeiten und einem tadello- matische.21 Auf der 32. Jahresversammlung sen Charakter, dem man ein schreiendes Un- (1925/26) der Amerikanischen Mathemati- recht zugefügt habe.19 schen Gesellschaft , der er angehörte, sprach Feinler war nicht zufrieden. Unablässig er sowohl über »Recurrence formulas for the kämpft e er nun um seine volle Rehabilitation, Bernoulli numbers derived from zero diff e- die man ihm aber ebenso unablässig verwei- rences« als auch über »Zero diff erences and gerte. Auch als Priester gelang es ihm nicht oscillating prime numbers«. Das erste Referat mehr, Fuß zu fassen, obwohl er es in mehre- bezog sich auf ein früheres »On the Bernoulli ren Diözesen, Pfarreien, Hospitälern und Hei- numbers«, das er 1923 bei einer Versammlung men versuchte. (Zwischenzeitlich, von Okto- der Sektion von San Francisco gehalten und ber 1930 bis Oktober 1932, war er beurlaubt, anschließend in einer Fachzeitschrift veröf- um an der Katholischen Universität von Pe- fentlicht hatte. Überdies erschien unter sei- king zu lehren; hatte er nun auch noch Chi- nem Namen 1925 ein schmales Buch über »A nesisch gelernt?) New Method for Calculating the Bernoulli

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354_Werner_Feinler der unstete Landsmann.indd 357 04.06.2013 22:41:13 Numbers«. Feinler starb am 10. Juli 1941, 12 Erzbischöfl iches Archiv Freiburg. – Wie sich an- und zwar in Portland, wo er an einer Kon- derweitig erschließen ließ, handelte es sich bei der Schreiberin um Elisabeth Herder-Dorneich (frdl. ferenz teilgenommen hatte. In der dortigen Mitteilung von Dr. Friedel Doért, 03.01.2013). Kathedrale fanden auch, immerhin unter der 13 Diese und die folgenden Angaben, sofern nicht Leitung des Erzbischofs, die Trauerfeierlich- anders angegeben, nach: Rory T. Conley, Priest, keiten statt. Gröber hat Feinler, den er doch Chaplain, Soldier … Spy? Father Franz J. Fein- ler and the Experience of German American Ca- kaum kannte, sehr gut und genau gezeich- tholics during . In: Joseph C. Linck, net; hat seine linguistische und mathemati- C.O. / Raymond J. Kupke (Hrsg.), Building the sche Begabung, aber auch seine Unstetigkeit Church in America. Studies in Honor of Mon- erkannt, an der er letzten Endes scheiterte.22 signor Robert F. Trisco on the Occasion of His Seventieth Birthday. Washington, D.C. 1999, S. 140–160. 14 Doane Robinson, Th e History of South Dakota. Anmerkungen: Bd. 2. O. O. 1905, S. 1681 (Übers. v. Verf.). 15 Inzwischen hatte er seine Eltern und seinen Bru- 1 Ignatius von Loyola stift ete dieses Kolleg 1552 der nachkommen lassen. für Alumnen aus den damaligen Reichsländern. 16 Vgl. Conley, a. a. O. S. 145–151 (mit vielen Bei- 2 Das »Collegio Urbano de Propaganda Fide« (d. h. spielen und Belegen); dazu auch Wolfgang Hel- zur Verbreitung des Glaubens) wurde 1627 ge- bich / Walter D. Kamphoefner / Ulrike Sommer gründet. (Hrsg.), Briefe aus Amerika. Deutsche Auswan- 3 In Reutlingen erschienen im Verlag von Enßlin derer schreiben aus der Neuen Welt. 1830–1930. und Laiblin von 1885 an die sogenannten »Neuen München 1988, S. 28–31. Volksbücher«; die Abenteuer, die sie zum besten 17 Vgl. New York Times, 15. April 1918. gaben, spielten großenteils unter den Indianern 18 Vgl. New York Times, 29. Juni 1921. Nordamerikas. 19 Zit. n. Conley, a. a. O. S. 155 (Übers. v. Verf.). 4 Am 28. März 1871 wurde er in Gissigheim, das 20 Ebd. S. 160 (Übers. v. Verf.). heute zu Königheim gehört, geboren. Die Eltern 21 In der sonst so detaillierten Darstellung von Con- waren Franz Carl Feinler und Maria Magdalena ley (a. a. O.) fi ndet sich hierzu freilich nur der geb. Schmitt. Hinweis, dass Feinler 1925/26 am St. John’s Col- 5 In Masio (Region Piemont) unterhielten die Pal- lege in Washington, einer katholischen Militär- lottiner von 1878 bis 1915 ein Studienhaus, in akademie, Mathematik dozierte. dem vor allem deutsche Kandidaten für den Ein- 22 Einen ähnlichen Scharfb lick bewies Gröber im satz in Lateinamerika vorbereitet wurden. Fall von Carl Sonnenschein (a. a. O. S. 334) – es sei 6 Großh. Gymnasium Tauberbischofsheim, Jah- denn, dass er, als er sein »Römisches Tagebuch« resbericht für das Schuljahr 1892/93. Tauberbi- überarbeitete, etwas einfl ießen ließ, was er, als er schofsheim 1893, S. 4 (Reifeprüfung 15./16. Juli es schrieb, noch gar nicht wissen konnte. 1892). 7 Joh. Bapt. Th iem aus Bamberg begleitete Gröber auf seiner Reise von Konstanz bis nach Rom und trat zusammen mit ihm ins Germanicum ein. 8 Giuseppe Mezzofanti (1774–1849) soll nach glaubhaft en Berichten 57 Sprachen verstanden und 38 – oder doch wenigstens 30 – gesprochen haben. 9 Zit. n.: Conrad Gröber, Römisches Tagebuch. Hrsg. von Johannes Werner. Freiburg/Basel/ Anschrift des Autors: Wien 2012, S. 46 f. Dr. Johannes Werner 10 Ebd. S. 288. Steinstraße 21 11 Ebd. S. 336. (Allerdings eilte Gröber, als er diesen 76477 Elchesheim-Illingen Satz schrieb, der Wirklichkeit um ein Jahr voraus.)

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354_Werner_Feinler der unstete Landsmann.indd 358 04.06.2013 22:41:13 Das Haus, das Ruhe ist

René Bossert

Der Schwarzwald und seine Bauernhöfe sind für den Maler Albi Maier Heimat und Gegen- stand seiner künstlerischen Arbeit gleichermaßen. Sie drücken für ihn das aus, worum es ihm vor allem anderen geht: Ruhe.

In Urlaub fährt Albi Maier fast nie. Er kann Anfang der 90er Jahre gab es für ihn ein einfach nicht weg aus dem Schwarzwald. »Es Schlüsselerlebnis. »Es war eine alte Schwarz- ist diese wahnsinnige Verbundenheit zum Weiß-Fotografi e mit mehreren Schwarzwald- Schwarzwald«, sagt er und fügt hinzu: »Was höfen darauf, ich glaube es war in Bernau auf- soll ich in der Provence, da sehe ich nichts.« genommen«, erinnert er sich zurück. »Das 1952 ist er in Lenzkirch geboren; heute lebt und arbeitet er in Neustadt. Ein Jahr lang hat er einmal nicht im Schwarzwald gewohnt, sondern in Lahr. »Damals bin ich praktisch jedes Wochenende wieder hoch gefahren.« Eine Malerlehre und eine Lehre als Schau- werbegestalter hat er absolviert, danach zwölf Jahre in diesem Beruf gearbeitet – Messege- staltung, Bühnengestaltung, Schaufensterge- staltung. Seit 1984 ist er freischaff ender Ma- ler. Der Weg in die Selbständigkeit hinein Albi Maier lebt und arbeitet führte über die Uhrenschilder. Die hatte er in Neustadt im Schwarzwald lange Jahre als Hobby bemalt, dann aber auch gemerkt, dass damit Geld zu verdienen war. Bild strahlte für mich eine Ruhe und Erdver- Sammler und Besitzer der alten Schwarzwald- bundenheit aus, so eine Geborgenheit auch.« uhren waren glücklich, dass es einen wie ihn Für ihn war klar: Das ist die Richtung, in die gab. Nur wenige können das heutzutage noch. ich malen möchte. Schnell war eine große Nachfrage da. Auch Er begann, zuerst drinnen. Man sucht au- heute noch bemalt er Uhrenschilder, aber an- tomatisch weiter und geht raus, Fotografi eren, dere Th emen sind daneben in seine Arbeit hi- Skizzen machen. Es war nicht die Landschaft , neingewachsen. es waren die Bauernhöfe. »Die Schwarzwald-

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359_Bossert_Das Haus das Ruhe ist.indd 359 04.06.2013 22:42:00 festen Sitz haben«, erklärt Maier. Diese Höfe haben die Bedürft igkeit der Menschen nach außen getragen: die enormen Dächer für die nötigen großen Vorräte, die kleinen Fenster den Schutz vor dem Wetter. In den Anfängen waren das brave Schwarz- waldbilder, recht naturalistisch. Vielfach war noch ein Fenster dabei, oder ein Gartenzaun. Die bekannten Schwarzwaldmaler wie Haupt- mann oder Dischler hat er auch immer ein- mal wieder kopiert. Auf nur 5 x 5 cm großen Eichenholzstücken »Aber die Bilder waren natürlich nicht auf hat Albi Maier eine ganze Reihe von Schwarzwaldhöfen gemalt der Höhe unserer Zeit, die Kunstgeschichte schreitet ja weiter«, beschreibt Maier seinen Weg weiter. »Wenn ich heute male, kann ich höfe symbolisieren ja irrsinnig viel dessen, das, was in den vergangenen 50 Jahren in der was mir wichtig ist: Das riesige Dach steht für Malerei passiert ist, ja nicht übergehen.« Seine den Schutz und die Verbundenheit zur Land- Arbeiten werden reduzierter, die Höfe fast zur schaft . Dafür auch, dass die Leute ihren ganz Skulptur, herausgelöst aus der Landschaft .

Schottenbeck und Schottenhof, Bitumen-Übermalung, 2004/2006, Öl auf Kartonage auf Holz, 35 x 50 cm

360 René Bossert Badische Heimat 2 / 2013

359_Bossert_Das Haus das Ruhe ist.indd 360 04.06.2013 22:42:00 Schwarzwald, 2008, Öl auf Leinwand, 40 x 40 cm

Schließlich kommen ab etwa 2004 Überma- Hälft e eine einfarbige Fläche, oft in einem lungen von Bildteilen hinzu, meist mit Bitu- Gelbton. Entweder übereinander stehend oder men ausgeführt. Auch einige ganz abstrakte nebeneinander stehend. Diese geteilten Bilder Bilder sind dabei. sind ihm auch heutzutage in seiner Arbeit ganz Sein Weg geht aber nicht von der Gegen- wichtig. Was er damit ausdrücken will, erklärt ständlichkeit hin zur Abstraktion. Die ver- er so: Der Hof stehe für die Ruhe, das werde schiedenen Stränge seiner Arbeit laufen auch noch verstärkt durch den zweiten Teil, die reine heute noch parallel weiter. 2005 startet er mit Farbfl äche. Das ist, was er ausdrücken will: den kombinierten Bildern: Eine Hälft e gegen- Vertrauen und vor allem Ruhe. »Dies birgt die ständlich – der Schwarzwaldhof – die andere Landschaft des Schwarzwaldes in sich.«

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359_Bossert_Das Haus das Ruhe ist.indd 361 04.06.2013 22:42:01 Sägehof Hinterzarten, zweiteilig, 2010, Öl auf Leinwand, 50 x 140 cm

Diese Ruhe zu fi nden, hat unsere Gesell- obachtet er das Geschehen. Natur ist für ihn schaft nötig, meint Maier. »Wenn Leute ein nur in Maßen draußen erträglich: »Auf dem Bild von mir kaufen, haben sie oft unbewusst Feldberg geht oft so ein wahnsinniger Wind, einen Zugang dazu gefunden über das Gefühl dass ich draußen gar nicht aufnahmefähig von Ruhe und Geborgenheit, das sie suchen«, wäre.« so ist seine Vermutung. Seine Ruhesymbole, die Höfe, verändern Seit einigen Jahren hat Maier einen Raum sich heutzutage. Er nimmt es bekümmert auf einem Turm auf dem Feldberg gemietet. wahr. »Natürlich kann ich den Hof als Maler Früher hat der Südwestfunk den Turm auf so malen, wie ich ihn haben will, kann bei- dem höchsten Berg des Schwarzwalds be- spielsweise eine Dachform verändern.« Aber nutzt, dann stand er leer. Maier macht dort manche bauliche Veränderungen tun ihm oben Farbstudien, Skizzen und Wetterstu- weh, obwohl er weiß, das die Veränderungen dien. »Faszinierend, was da oben passiert«, von der Produktion her vielleicht nötig seien. schwärmt er. Wie sich das Wetter teilt. Die »Wenn Produktionshallen zwischen die Höfe Bilder entstehen danach in seinem Atelier, hineingestellt werden, verändert sich das Bild das sich in seinem Wohnhaus in Neustadt be- der Landschaft massiv.« Da tue er sich dann fi ndet. Im Turm, hinter der Glasscheibe, be- auch schwer damit, sich die Höfe vorzustel-

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359_Bossert_Das Haus das Ruhe ist.indd 362 04.06.2013 22:42:01 len, wie sie ohne dieses wie eine Industriehalle Gerne mag er den Winter, auch wegen der aussehende Gebäude aussehen würden. Schattenwürfe. Der Schnee trägt zur Reduk- Maier malt häufi g auf Holz, genauer gesagt tion bei. »Wenn der Hof einen Schatten wirft , Sperrholz oder Schichtholzplatten. Miniatur- gibt ihm das diese Erdverbundenheit«, fi ndet Bilder von Schwarzwaldhöfen im Format 5 Maier. Menschen sind nie auf seinen Bildern. mal 5 Zentimeter auf massiven Eichenholz- »Aber man weiß, dass welche in den Höfen Stücken sind ein weiteres Steckenpferd von wohnen«, sagt er dazu. Als Landschaft sma- ihm. Manchmal kommt Karton zum Einsatz. ler mag er nicht bezeichnet werden, mit dem Leinwand benützt er auch, aber weniger gern. Begriff Heimatmaler kann er dagegen leben. Er arbeitet schnell, sein Farbauft rag ist Schließlich ist da diese wahnsinnige Verbun- kräft ig. Warme Farben in vielfältig nuan- denheit. cierten Mischungen dominieren. Er fängt ein Bild nie geplant an, sagt er. Letztlich ar- beite er eigentlich gar nicht so viel anders wie sein Vater, ein Holzfäller. Oft legt er die Bilder beim Malen auf den Boden. »Manch- mal schreie ich auch die Bilder an, wenn sie Anschrift des Autors: nicht so werden, wie ich will«, sagt er beiläu- René Bossert Badische Bauern Zeitung fi g. Vielfach übermalt er die Bilder. Das kann Friedrichstraße 43 bald geschehen, oder erst nach einer gerau- 79098 Freiburg men Zeit.

Metzger, Wolfram und Meier-Faust, Susanne: Albi Maier – Malerei und Identität. Modo-Verlag, Freiburg. ISBN: 978-3-86833-042-7, gebunden, 80 S., 30,5 x 23,0 cm, 24,80 €.

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359_Bossert_Das Haus das Ruhe ist.indd 363 04.06.2013 22:42:02 Gedenktage badischer Geschichte

Karlsruhe

13. Januar 1813 gen entwickelte sich die Industrie- und Handelskam- Gründung der »Vereinigten mer Karlsruhe, die in diesem Jahre ihr 200. Jubiläum feiert. Handelsstube« in Karlsruhe. Vorbilder der Handelskammern sind in Frank- Zunächst ein »geselliger Zirkel« reich zu suchen. 1664 gründet Jean Baptiste Colbert mit dem Handelsrat ein zentrales Sachverständigen- Ein Zirkular vom 13. Januar 1813: gremium. 1803/04 wurden in 31 Städten Frankreichs »Um eine theils den vielfältigen Wünschen mehre- Handelskammern gegründet. rer hießiger Kaufl eute zu entsprechen und andern- Das »Gesetz die Handelskammern betreff end« theils, um den Gliedern der Handlung (d. h. des Hand- vom 11. Dezember 1878 folgt im »Verbund von lungsstandes) Gelegenheit zu verschaff en, sich, was in eigenständiger Interessenwahrnehmung« und den gegenwärtigen Zeiten so nöthig ist, öft ers zu se- »behördlicher Beratungs- und Hilfsfunktion« hen und ungestört über kaufmännische Gegenstände dem Preußischen Gesetz von 1870. Damit wurde besprechen zu können, haben sich mehrere derselben »die besondere Form der deutschen Handelskam- entschlossen, für gemeinschaft liche Rechnung ein mern endgültig geschaff en«. Im badischen Gesetz Zimmer zu miethen, um daselbst nach Belieben alle von 1878 heißt es unter § 1: »Die Handelskammern Abend oder wie es ihre Geschäft e erlauben, zusammen haben die Aufgabe, die Gesamtinteressen des Han- zu kommen«. dels und der Industrie ihres Bezirks wahrzuneh- Das Zimmer, von dem im Zirkular gesprochen men« und unter § 15: »Insbesondere die Behörden wurde, befand sich beim Restaurateur Schneider im in der Förderung des Handels und der Industrie »Weinbrennerschen« Eckhaus am Marktplatz (heute durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung Modehaus Schöpf). Von den 17 der 37 Geschäft sleu- von Gutachten zu unterstützen sowie alljährlich ten, die das Zirkular unterschrieben, gehörten »be- über die Lage und den Gang des Handels und der sonders angesehene Mitglieder des Karlsruher Wirt- Industrie ihres Bezirks während des vorhergegan- schaft slebens, die sich hier zusammenfanden, und genen Jahres an das Handelministerium Bericht zu damit zugleich ein Kernbestand der sich neu entwi- erstatten«. ckelnden Stadtelite!« (v. Hippel). Dazu gehörte in ers- Weitere Daten in der Entwicklung der Industrie- ter Linie Wilhelm Christian Griesbach (1772–1838) und Handelskammern: Am 20. Februar 1920 zog die von 1812 bis 1816 Oberbürgermeister, »ein Pionier Handelskammer in das Palais des Prinzen Max von der Industrialisierung im Karlsruher Raum«. Dann Baden (heute Stadtmuseum im PrinzMaxPalais in Salomon Haber (1764–1841) der »badische Roth- Karlsruhe). Am 1. Juli 1933 wurde mit dem Gesetz schild«, 1811 zum Hofb ankier ernannt. 1820 nannte über die Änderung des Handelskammergesetzes eine sich der Verein Handelskammer. Aus diesen Anfän- zentrale »Badische Industrie- und Handelskammer«

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geschaff en. Am 10. November 1955 wird das neue Quellen: Kammergebäude am Friedrichsplatz übergeben und schließlich wird am 22. Oktober 1999 als Ergänzung Wolfgang von Hippel / Frank Engehausen: 2013 – des Kammergebäudes der Erweiterungsbau in der 200 Jahre Industrie- und Handelskammer Karls- Erbprinzenstraße eingeweiht. ruhe. Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2013

Industrie- und Handelskammern sind Selbsterwaltungsorganisationen in Form einer Körperschaft des öff entliche Rechts mit Pfl ichtmitgliedschaft aller im Kammerbezirk tätigen Gewerbetreibenden. Zu den Aufgaben der IHK gehören die Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Gewerbetreibenden ihres Bezirkes, die Förderung der gewerblichen Wirtschaft und Beratung der Behörden durch Vorschläge, Gutachten und Berichte sowie die Mitwir- kung an der Berufsausbildung und der Ausstellung von Ursprungszeugnissen (Brock- haus). Vorrangige Th emen im Zeitalter der Globalisierung sind für die Industrie- und Handelskammer Karlsruhe Bildung, Fachkräft esicherung, Innovation und Energie. Aus den 37 Gründervätern sind inzwischen über 65 000 Mitglieder geworden. »Unab- hängig von Größe, Umsatz und Ertrag hat jedes Mitglied dieselben Rechte und diesel- ben Möglichkeiten, sich in diese Gemeinschaft einzubringen.« (IHK 1/2013)

Bildleiste: Wilhelm Christian Griesbach / Salomon Haber

Heinrich Hauß

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Heidelberg/Kurpfalz

450 Jahre Heidelberger Katechismus: nicht nach ihrem eigenen Gefallen tägliche Änderun- gen vornehmen oder widerwärtige Lehren einführen«. Am 19. Januar 1563 Nach der ersten Frage »Was ist dein einziger unterschrieb Friedrich III. Trost im Leben und Sterben?« folgt mit Frage zwei die (1515–1576) das Vorwort Antwort, »Wie viel Stücke nötig sind zu wissen, dass du in diesem Trost selig leben und sterben mögest«: zum Katechismus »Drei Stücke: erstlich wie groß meine Sünden und

Der Heidelberger Katechismus »zählt zu den am meisten verbreiteten Bücher seiner Zeit neben der ›Nachfolge Christi‹ von Th omas von Kempen und der Bibel« (A. Lang). Er ist »die reifste Frucht evan- gelischer Unterweisung und die einzige Lehrschrift deutscher Herkunft , die – in mehr als 40 Sprachen übersetzt – weltweite Anerkennung gefunden hat«. (H. Scheible) Kurfürst Friedrich III. hatte sich seit dem Abend- mahlsstreit 1559/60 zu einer Th eologie reformierter Prägung hingewendet (A. Kohnle). 1560 beauft ragte er Zacharias Ursinus (1534–1583) und Kaspar Olevi- anus (1536–1587), einen verbindlichen Katechismus im reformatorischen Sinn zu erarbeiten. Der aus Zü- rich nach Heidelberg berufene Ursinus war wohl der Hauptverfasser des Katechismus, Mitverfasser war der Hofprediger Olevianus. In der Vorrede zum Katechismus, einem »summari- schen Unterrichtsbuch«, schrieb Kurfürst Friedrich III.: »Damit fürbass nicht allen die Jugend in Kirchen und Schulen in solcher christlichen Lehre, gottseligem Un- terweisen und dazu einhellig angehalten, sondern auch die Prediger und Schulmeister selbst eine gewisse und beständige Form und Maß haben mögen, wie sie sich in der Unterweisung der Jugend verhalten sollen und

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Elend seien. Zum andern, wie ich von allen meinen In der Dordrechter Synode (13.1.1618–9.5.1619) Sünden und Elend erlöset werde, Und zum dritten, wurde der Heidelberger Katechismus als Bekennt- wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein.« nisschrift angenommen. Durch den Katechismus Danach werden in drei Abschnitten die Th emen erhielt die reformierte Kirche ein einheitliches Be- des christlichen Glaubens und Lebens entfaltet; kenntnis. Der erste Teil (Fragen 3–11) handelt »Von des Men- schen Elend«, der zweite Teil »Von des Menschen Er- Literatur: lösung« (Frage 12–85) und der letzte Teil »Von der Dankbarkeit« (Fragen 86–129). Matthias Freudenberg / Aleida Siller (Hg.): Was ist Nach der pfälzischen Kirchenordnung sollte der dein einiger Trost? Der Heidelberger Katechismus Katechismus in den Gottesdiensten an den Sonn- in der Urfassung, Neukirchen-Vluyn 2012 und Feiertagen vorgelesen werden. »Entsprechend Uwe Hauser: Ganz bei Trost. Eine Besichtigung des der Zahl der Sonntage in einem Jahr war er dafür in Heidelberger Katechismus, Stuttgart 2011 52 Abschnitte untergliedert. So kam der ganze Text im Laufe eines Jahres vor und diente der elementa- Sonderaustellung »Macht des Glaubens«. Jubilä- ren Glaubensunterweisung. Für die Pfarrer war er umsausstellung 450 Jahre Heidelberger Katechis- die Norm für ihre Predigt und Lehre. Und in den mus, Kurpfälzisches Museum der Stadt Heidelberg Familien diente er als Lehr- und Erbauungsbuch« 12. Mai – 15. September 2013 Freudenberg / Siller). Der Katechismus vertritt die reformierte Lehre in gemäßigter Form. Es fehlt das Bildleiste: Kurfürst Friedrich III. / Zacharius Ursinus calvinistische Dogma von der doppelten Prädestina- tion, zu Heil und zu Verdammnis. Heinrich Hauß

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Karlsruhe

stilbildend gewirkt hat« (J. Off ele). U. M. Schumann Heinrich Hübsch – hat in der Einleitung zum Programm die Architek- Der große badische tur von Heinrich Hübsch so charakterisiert: »Mit ih- Baumeister der Romantik rer Eleganz, ihren fortschrittlichen Konstruktionen 9. Februar 1795 – 3. April 1863 und ihren auff älligen Farben und Materialien erwei- sen sie sich als Meisterwerke der Romantik«. »Die Ar- chitektur sollte farbig, luft ig, sinnlich und ehrlicher Die TechnologieRegion Karlsruhe veranstaltet vom 3. werden«1. Hübsch war drei Jahrzehnte in Karlruhe April bis zum 15. September 2013 eine Vortragsreihe tätig und hatte dort fast alle öff entlichen Gebäude im anlässlich des 150. Todestages von Heinrich Hübsch, Zeitraum von 1829 bis 1857 ausgeführt. der »entlang des Oberrheins und darüber hinaus Der Architekt Heinrich Hübsch war unmittelba- rer Nachfolger seines Lehrers Friedrich Weinbren- ners (1766–1826) und übernahm 1827 als Mitglied der »Bau-Commißion« dessen Amt. Im Frühjahr 1815 trat Hübsch als Schüler Weinbrenners für zwei Jahre in dessen Atelier ein. 1831 wurde Hübsch zum Oberbau- rat und 1842 zum Baudirektor als oberster badischer Baubeamter befördert. Hübsch verbrachte eine zwei- jährige Lehre an der Bauschule Weinbrenners. Wich- tig für die Ausbildung seiner Anschauungen wurden seine Italienreisen (1817–1820, 1823–24) und seine Beziehung zu den Nazarenern um Johann Friedrich Overbeck (1789–1869). Ihre Kunstauff assung hatte großen Einfl uss auf sein späteres Werk (H. Schmitt). Hübschs grundlegende Überlegung ist: »Die Ar- chitektur allein ist noch nicht mündig geworden, sie fährt fort, den antiken Styl nachzuahmen. Und ob man gleich so ziemlich allgemein die Unzulänglich- keit desselben für die heutigen Bedürfnisse einsieht, so beharren dennoch die Architekten beinahe allge- mein darauf« (§ 1). Ein neuer Stil kann nur aus den »natürlichen Bildungsmomenten« hervorgehen, aus »unserem gewöhnlichen Baumaterial, der techno-

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statischen Erfahrung«, aus der »Art des von Beschüt- chen Eigenart dienen. So entwickelte der Architekt zung, welche die Gebäude in unserem Clima für sich seinen ›Rundbogenstil‹, der sich an der romanischen selbst der Dauerhaft igkeit wegen ansprechen« und Architektur des frühen Christentums und des Mit- schließlich »aus der allgemeinen Eigenschaft unserer telalters orientierte«5. Hübsch gestaltete »zum ersten Bedürfnisse, die in dem Clima, vielleicht auch zum Male in Karlsruhe überhaupt die Außenfl ächen aus Teil in der Cultur begründet sind« (§ 6). unverputzten Ziegelwerk«6. Mit der Finanzkanzlei Hübsch hielt die Architektur des Neo-Klassizismus schafft Hübsch »den ersten neuzeitlichen, aus einem für völlig ungeeignet für die Erfordernisse zeitgenössi- vorgegeben Raumprogramm entwickelten und ein- schen Bauens. Der Funktion eines Gebäudes und nicht heitlich geplanten Verwaltungsbau in Süddeutsch- dem Entwurf oder Stil sollte die hauptsächliche Über- land«7. Zwischen 1837 und 1846 baut Hübsch das legung gelten. Er war überzeugt, dass jeder Stil der Ar- »Neue Akademiegebäude«, das seit der Fertigstellung chitektur in besonderen Bedingungen der historischen im Mai 1846 »Kunsthalle« genannt wird. Das Haupt- Umstände verwurzelt war und dass eine bloße Nach- gebäude gehört zu den »frühesten deutschen Muse- ahmung früherer Formen unmöglich war. Material, umsbauten«. Die Kunsthalle gilt als »Schlüsselwerk Klima, Konstruktion, Dauerhaft igkeit und die Kosten der frühen Jahre« des Architekten (U. Hassler). »Die waren für Hübsch ausschlaggebend (C. Bölling). Au- Staatliche Kunsthalle Karlsruhe mit dem Hauptge- ßer der Forderung, dass Material und Konstruktion bäude und der benachbarten Orangerie ist in vielfa- der Architektur transparent sein müssen, hat er das cher Hinsicht ein Architekturdenkmal, ein einmali- Element der Farbe eingeführt. Unverputzte Flächen ges Ensemble in der deutschen Museumslandschaft «8. sollten die Naturfarbe des Steins zum Ausdruck brin- Die Orangerie und die Bauten um den Botanischen gen. Die malerische Wirkung der Flächen wird berei- Garten (1853–57) gehören zu den »wichtigsten späten chert durch den Wechsel vielfarbiger Steine. Hübsch Bauten Heinrich Hübschs« (U. Hassler). war der erste, der den Rundbogenstil als für die Archi- Das Männerzuchthaus in Bruchsal, »dem Unfang tektur verbindlich einführte2. Zwei Jahre nach Wein- nach die größte Bauaufgabe, vor die sich Hübsch je brenners Tod und ein Jahr seit er in großherzoglich gestellt sah« (H. Schmitt), baute er als Zellengefäng- badischen Diensten stand, verfasste er 1828 die Schrift nis nach dem Beispiel des fünfstrahligen Gefängnis- »In welchen Style sollen wir bauen?« Mit dieser Schrift ses im englischen Pentonville, das Hübsch 1846 im hat Hübsch »sich auch selbst Klarheit über das Wesen Bau besichtigt hatte. »Mit der Schaff ung des Män- einer zukünft igen und vor allen Dingen seiner eigenen nerzuchthauses in Bruchsal wird Baden neben Preu- Architektur verschafft 3. In dieser Schrift legt er auch ßen eines der frühen Länder dieser Zeit bei der Ent- seine Th eorie über den Rundbogenstil dar. Der Rund- wicklung und Humanisierung des Strafvollzuges und bogenstil ist am besten veranschaulicht in der Trink- Strafvollzugsbaus«.9 Das Bruchsaler Zuchthaus ist das halle von Baden-Baden« (1837–40). »Von Karlsruhe »früheste Deutschlands, ja sogar Kontinentaleuropas « aus verbreitete sich der Rundbogenstil schnell in ganz (P. Freßle). Das Zuchthaus wird im Jahre 1848 eröff net. Deutschland« (C. Bölling). Nachdem das Weinbrennersche Hoft heater in Die Finanzkanzlei (heute Regierungspräsidium) Karlsruhe am 28. Februar 1847 abgebrannt war, er- wurde in der Zeit zwischen 1829–1833 von Hübsch hielt Hübsch im Mai 1847 durch den Großherzog gebaut. »Es ist heute ein Kulturdenkmal von beson- den Auft rag, einen neuen Th eaterbau zu planen. Hier derer Bedeutung. Hier setzte Hübsch seine neuen konnte Hübsch »in direkte Konkurrenz zu seinem ästhetischen und architekturtheoretischen Ideen in die Tat um und schuf ein Gebäude, das den Be- ginn des ›Goldenen Zeitalters‹ in Karlsruhe und der badischen Monarchie des 19. Jahrhunderts verkör- perte«4. »Hübschs Architektursprache war durch ein neuartiges Streben nach ästhetischer Gesamt- wirkung bestimmt: Dekorative Details sollten nicht hervorstehen, sondern der konstruktiven und bauli-

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Lehrer treten«10. »Das neue Hoft heater lag räumlich 10 Hanno Brockhoff , Profanbauten in Karlsruhe in: zwischen den Bauten der Kunsthalle und des Bota- Katalog. nischen Gartens und erhält eine wichtige Stellung 11 A. a. O. S. 47. innerhalb dieses von Hübsch ganz neu gestalteten Literatur: städtebaulichen Ensembles«11. Mit den Bauten des Botanischen Gartens wollte Heinrich Hübsch 1795–1863. Der große badische Hübsch der ganzen Anlage »eine gewisse größere Baumeister der Romantik. Ausstellung der Stadtar- Freiheit und Mannigfaltigkeit der Form« geben unter chivs Karlsruhe und des Instituts für Baugeschichte »Berücksichtigung des malerischen Eff ekts« anstelle an der Uni Karlsruhe 17.12.1983–15.3.1984. von »starrer Symmetrie und geometrischen Strenge«. Ulrich Maximilian Schumann: Heinrich Hübsch. »Für die vornehmste Aufgabe des Architekten hält Ein Wegweiser zu seinen Bauten in der Technolo- Hübsch aufgrund seiner christlich-katholischen Le- gieRegion Karlsruhe, 2013. bensauff assung den Kirchbau. Mehr als dreißig nach Heinz Schmitt: Heinrich Hübsch (1795–1863) zum seinen Entwürfen errichtete Kirchenbauten beider 200. Geburtstag des großen Architekten. In: Blick Konfessionen geben Zeugnis hiervon«. Am 17. Mai in die Geschichte 1983–1998, S. 160–165. 1853 wurde das neue Hoft heater eröff net. Nach dem Clemens Kieser: In diesem Style wollen wir bauen! Brand im September 1944 wurde die Ruine 1965 we- Geschichte und Bedeutung der Karlsruher Fi- gen des Neubaus des Bundesverfassungsgerichts ab- nanzkanzlei. In: Denkmalpfl ege in Baden-Würt- gerissen. temberg 2/2012, S. 115–118. Hübsch, der 1850 zum Katholizismus konvertiert Gernot Vilmar: Die ehemalige Großherzogliche Fi- war, hielt den Kirchebau für eine der vornehmsten nanzkanzlei in Karlsruhe und sein Erbauer Hein- Aufgaben für einen Architekten. Er baute etwa 30 rich Hübsch. In: BH 1 / 2002, S. 45–61. Kirchen für beide Konfessionen in ganz Baden. 1854 Gernot Vilmar: Die Erbauung des Zuchthauses in restaurierte er den Speyerer Dom und baute die neue Bruchsal durch Heinrich Hübsch. In: BH 3 / 2002, Westfassade. S. 507–526. Anmerkungen Kirsten Voigt: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Da- rin: Baugeschichte und Dekoration, 2005. S. 9–25. 1 Ulrich M. Schumann, Gedanken zur Architektur Heinrich Hauß von Heinrich Hübsch zum 150. Todestag. 2 Michael J. Lewis, Dictionary of Art, vol. 27. Heinrich Hübsch 2013, Einladung zu einer Entde- 3 Wulf Schirmer, Einige Bemerkungen zu Hein- ckungsreise in die KulturRegion Karlsruhe rich Hübsch und zu dieser Schrift in: Heinrich Veranstaltungen vom 3. April bis zum 15. Septem- Hübsch, In welchen Style sollen wir bauen? Re- ber 2013 in der TechnologieRegion Karlsruhe print 1984, S. I. 4 Clemens Kieser, In diesem Style wollen wir bauen! Geschichte und Bedeutung der Karlsruhe Finanzkanzlei. In: Denkmalpfl ege in Baden- Württemberg 2/2012, S. 118. 5 A. a. O., S. 118. 6 A. a. O., S. 117. 7 Gernot Vilmar, Die ehemalige Finanzkanzlei. In: BH 1/ 2002, S. 58. 8 Claudia Voigt, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 2005, S. 9. 9 Gernot Vilmar, Die Erbauung des Männerzucht- hauses in Bruchsal durch Heinrich Hübsch. BH Abbildung: U. M. Schumann, Heinrich Hübsch 3/2002. Bildleiste: Heinrich Hübsch

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364_Gedenktage badischer Geschichte.indd 370 04.06.2013 22:48:08 Aktuelle Informationen Redaktion: Heinrich Hauß

Kulturdenkmal »Falkensteiner Gräberfund auf dem Gelände Kapelle« in Schramberg – des ehemaligen Kartäuser- Altarplastik »Beweinung Christi« klosters in Freiburg nun unter Kulturgutschutz Beim Ausheben der Baugrube auf dem Areal des ehe- Der Vorsitzende des Landesvereins Badische Heimat, maligen Kartäuserklosters im Freiburger Osten, wo Dr. von Ungern-Sternberg, hat am 4. April 2013 bei die Robert Bosch Stift ung das »United World Col- Staatssekretär Jürgen Walter vom Ministerium für lege« errichten will, wurden Skelette und Skelettteile Wissenschaft , Forschung und Kunst Baden-Würt- gefunden. Der Klosterfriedhof lag bei den Kartäu- temberg angeregt, die Hochaltarplastik »Beweinung serklöstern stets in der Mitte des Kreuzgangs. Das Christi« in der Falkensteiner Kapelle in Schramberg Kloster in Freiburg wurde 1345 gegründet und 1782 von Amts wegen nach § 1 Abs. 1 Kulturgutschutzge- aufgehoben. Unter den auf dem Klosterfriedhof Be- setz in das Verzeichnis national wertvollen Kultur- grabenen ist auch der berühmte Prior der Freiburger guts in Baden-Württemberg aufzunehmen. Das be- Kartäuser Gregor Reisch. 1593 hat er mit der »Marga- deutet, dass dieses Kunstwerk nicht ohne amtliche rita Philosophica« ein zwölfb ändiges Werk geschaf- Genehmigung ins Ausland verbracht werden darf. In fen, das am weitesten verbreitete Lehrbuch der Philo- der letzten Sitzung der AG Denkmalschutz der Badi- sophie und ein Standardwerk des enzyklopädischen schen Heimat war dies besprochen worden. Der An- Wissens im Mittelalter (BZ). trag kann sich auf ein Fachgutachten des Bayerischen Nationalmuseums und auf eine fachliche Bewertung der Freiburger Denkmalpfl ege stützen. Insolvenz des Flugplatzes in Lahr Die Falkensteiner Kapelle selbst ist als Kulturdenk- mal von besonderer Bedeutung nach § 12 DSchG im Die Betreibergesellschaft des Flugplatzes in Lahr hat Denkmalbuch eingetragen. Die Hochaltarplastik ist Insolvenz angemeldet. Grund für die Insolvenz der als Zubehör erwähnt. Sie stammt aus der Übergangs- Black Forest Airport Lahr GmbH sind ausbleibende zeit der Spätgotik zur Frührenaissance und besitzt Zahlungen der erst im Sommer eingestiegenen Inves- eine herausragende künstlerische, wissenschaft liche, torengruppe Integral. Das Defi zit war 2012 doppelt aber auch heimatgeschichtliche Bedeutung als frühes so hoch wie der Umsatz von 680 000 Euro. Werk deutscher Bildschnitzkunst jener Zeit. Die Region Karlsruhe sieht sich durch die Pleite Karlheinz Harter des Flugplatzes in Lahr in ihrer Auff assung bestä- tigt, dass es neben dem Baden Airport in der Rhein- talschiene keinen zweiten Regionalfl ughafen geben Ettenheim: Zwei Gräber aus der darf. Das Regierungspräsidium hatte vor sieben Jah- Glockenbecherzeit entdeckt ren einen auf Besucher des Europa Parks Rust ein- geschränkten Passagierfl ughafen auf der ehemaligen Bei Bauarbeiten in Ettenheim sind zwei Gräber aus kanadischen Air Base in Lahr genehmigt (StZ/BNN). der Glockenbecherzeit (2500–2200 a. Chr. n.). frei- gelegt worden. Es wurden Überreste von drei Men- schen entdeckt, darunter ein Bogenschütze mit ei- Interreg IV-Programm ner gut erhaltenen Armschutzplatte. Eine weitere »Archivum rhenanum«. Fünf Grabbeigabe ist eine Pfeilspitze aus Feuerstein. »Es Archive am Oberrhein stellen handelt sich bei der Entdeckung der Gräber um ei- nen sensationellen Fund«, sagte die Grabungsleiterin ihre Dokumente ins Internet Jutta Klug-Treppe. Dass die Toten in der Glockenbe- Mit dem bilingualen Interreg-Programm sollen cherzeit begraben wurden, lasse sich aus der Haltung deutsche und französische Dokumente zusam- sowie aus den Grabbeigaben herauslesen (StZ). mengeführt werden. Unter Federführung des Frei-

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burger Stadtarchivs arbeiten in den nächsten drei Heidelberg: Kreativwirtschaft- Jahren die Archive der beiden Departements im El- zentrum in der alten Feuerwache sass, das Generallandesarchiv in Karlsruhe und das Stadtarchiv Speyer zusammen. Ziel ist es, wesent- In Heidelberg hat man begonnen, in der früheren liche Bestände aus dem Mittelalter bis zur frühen Feuerwache am Rand der Innenstadt ein neues Krea- Neuzeit zu digitalisieren. Die elsässischen Archive tivwirtschaft szentrum einzurichten, um jungen Fir- und das Stadtarchiv Freiburg werden sich dabei auf men den Start zu erleichtern. Die so genannte Kre- Zeugnisse der vorderösterreichischen Herrschaft ativwirtschaft umfasst Branchen von Architektur- konzentrieren, Straßburg und Speyer steuern Ur- büros bis zur Werbung. Unter anderen zählen dazu kunden und Akten bei, das Generallandesarchiv die Musik- und Filmwirtschaft , der Kunstmarkt, die kümmert sich um die Dokumente aus den Bistü- darstellenden Künste, Design, Buchmarkt, Presse so- mern (BZ). Nähere Informationen zum Archivum wie Soft ware- und Spielentwicklung. »Die Nachfrage Rhenanum in deutscher Sprache unter http://archi- übersteigt das Angebot bei weitem. Das Zentrum ist ves.hypotheses.org/ eine große Chance. Wir können damit attraktive Ar- beitsplätze schaff en und es soll zugleich ein Motor für die Stadtentwicklung werden«, erklärte Oberbürger- meister Eckart Würzner (StZ). Mannheim: Bewerbung für die Ausrichtung der Bundesgartenschau 2023 Strasbourg und Kehl rücken städtebaulich zusammen Der Mannheimer Gemeinderat hat mit großer Mehr- heit beschlossen, sich um die Ausrichtung einer Bun- Beide Rathäuser haben einen Wettbewerb ausgeschrie- desgartenschau im Jahre 2023 zu bewerben. Das ben, um die Bereiche um Bahn- und Straßenbrücken Projekt soll ein Motor für die ganze Stadtentwick- auf beiden Uferseiten aufzuwerten. Es geht darum, lung werden, erklärte der Oberbürgermeister Peter dass Strasbourg und Kehl sich womöglich als urbane Kurz. Mit der Planung eröff ne sich die Chance, die Einheit verstehen. Das neue Band, das mit der geplan- Stadtstruktur und die Lebensqualität Mannheims ten Trambahnstrecke von Strasbourg nach Kehl ge- nachhaltig zu verbessern. Neben der Entwicklung baut wird, soll architektonisch bekräft igt werden. Die des Grünzuges gehe es auch darum, die Attraktivi- Jury hat zwei erste Preise an in Berlin beheimatete Bü- tät und das Image der Stadt zu verbessern, sagte der ros vergeben: an kleyer.koblitz.letzel.freivogel und an OB (StZ). die LIN GmbH. Beide Büros präsentieren einen ähnli- chen Grundgedanken, nämlich die Konzentration der beiderseitigen Stadtentwicklung durch hohe Bauten auf das Ufer zwischen den Brücken. Hier treten sich Erweiterungsbau des jeweils zwei Städte mit ihren Antlitz entgegen, und Unterlindenmuseums in Colmar aus dem Umstand, dass dies beiderseits mit gleichen baulichen Strukturen erfolgen soll, könnte erkennbar Fast 8000 Quadratmeter werden dem Museum nach werden, dass dies keine Konfrontation, sondern im der Eröff nung 2014 zur Verfügung stehen, was etwa Gegenteil ein gemeinsamer Schritt ist. (BZ) dem Doppelten der bisherigen Ausstellungsfl äche entspricht. Möglich wurde die Erweiterung durch die Einbeziehung des benachbarten Jahrhundert- Keine Mehrheit für geplante wendebades. Entworfen hat den aufregenden, mit ei- Gebietsreform im Elsass nem unterirdischen Durchgang verbundenen Hyb- rid aus Alt und Neu, das Basler Stadtarchitekten Duo Die Wahl vom 7.4.2013 zu einer Fusion der Ver- Herzog & de Meuron (BZ). sammlungen des nördlichen und südlichen Elsass

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und des Regionalrates zu einem elsässischen Ein- »Der Nationalpark wird kommen. heitsrat ist gescheitert. Das nördliche Departement Die spannende Frage lautet nun: (Bas-Rhin) sprach sich mehrheitlich für die Grün- Wo?« dung eines elsässischen Einheitsrates aus, der Süden (Haut-Rhin) stimmte mit 55 Prozent gegen die Fu- So resümierte Andrea Koch-Widmann in einem sion. Die Befürworter eines vereinten Elsassrates, al- Leitartikel die Veröff entlichung des Gutachtens len voran der Regionspräsident Philippe Richert, ha- zum Nationalpark in Baden-Württemberg. Der ben die Bürger und Bürgerinnen nicht vom Nutzen Lenkungskreis Nationalpark Nordschwarzwald der Fusion überzeugen können. hatte vor fast einem Jahr der Wirtschaft sprüfungs- gesellschaft Pricewater- houseCoopers AG sowie der Freiburger ö:konzept GmbH den Auft rag zu einem Gutachten erteilt. Dem Lenkungskreis ge- hören an: die Regierungs- präsidentinnen aus Frei- burg und Karlsruhe, die Landräte der Kreise Calw, Freudenstadt und des Ortenaukreises, der Ober- bürgermeister der Stadt Baden-Baden sowie dem Umweltschutzminister Alexander Bonde. Das 1200 Seiten umfassende Gut- achten bewertet die mög- lichen Auswirkungen, Chancen und Risiken. Das Fazit der Expertise ist eindeutig: der Natio- nalpark wäre ein Gewinn, die wenigen Risiken seien beherrschbar. Der ge- plante Nationalpark soll 10 000 Hektar groß wer- den, das sind nur 0,7% der Waldfl äche in Baden- Württemberg. 26 600 Festmeter Holz würden laut Gutachter jährlich weniger geschlagen wer- den können. Nach dem Worst-Case-Szenario be- deutete ein Rückgang der Bruttowertschätzung in Baden-Württemberg von

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rund acht Millionen Euro und einen Verlust von 110 Vereins »Unser Nordschwarzwald« nutzten die Prä- Arbeitsplätzen. Die Sägewerke hätten nach Bonde sentation als Plattform des Protests. Der Wildbader keine negativen wirtschaft lichen Folgen und keinen Bürgermeister wies darauf hin, dass die Gutacher die Arbeitsplatzverlust zu erwarten. Die fehlende Holz- Frage nach einem Mehrwert des Nationalparks »klar menge wird durch Lieferungen aus dem Staatsforst mit Ja beantwortet haben« Dennoch gebe es weitere ersetzt. Betont wird in der Expertise die Chancen für den Tourismus. Die Gutachter haben ein Potential von jährlich rund 3,05 Millionen Besuchern errech- net. Sie gehen von annähernd 190 000 Übernach- tungsgästen aus, die rund 90 Euro pro Tag ausgeben und 255 000 Tagestouristen mit 15 Euro Ausgaben pro Person und Tag. Dies brächte der Region einen zusätzlichen Umsatz von 18,3 Millionen Euro – was etwa 430 Vollzeitarbeitsplätzen entspräche. wichtige Fragen, etwa »ob sich der Borkenkäfer tat- Das Gutachten bescheinigt dem Nationalpark ei- sächlich an die Vorgabe der Gutachter hält?« Für den nen naturschutzfachlichen Mehrwert, der durch Bürgermeister ist die Frage wesentlich, ob es durch keine andere Alternative erreicht werden könne. Information gelinge, die Bürger von den Chancen Was die Problematik des Borkenkäferbefalls angeht, des Nationalparks zu überzeugen. »Der Nationalpark so soll um den Nationalpark herum eine mindestens kann nur ein Erfolg werden, wenn die Menschen ihn 500 Meter breite Puff erzone eingerichtet werden. Die als ihr Projekt begreifen« (StZ). Gutacher gehen davon aus, dass in den nächsten 30 Jahren maximal ein Viertel der Fläche des National- parks von Borkenkäfern tatsächlich befallen wird. Fünf Castoren für das Der Fahrgastverband »Pro Bahn« hat bemängelt, Zwischenlager Philippsburg dass in dem Gutachten der öff entliche Verkehr mit keinem Wort erwähnt werde. Die Frage, wie die Es geht um fünf Castoren mit Brennelementen aus Touristen in den Nationalpark kommen, spiele eine dem französischen La Hague, die in Philippsburg wichtige Rolle. gelagert werden sollen. Das Zwischenlager Philipps- Der Suchraum des geplanten Nationalparks liegt burg wurde 2003 genehmigt, aber ausdrücklich mit in fünf Kreisen und umfasst drei nicht zusammen- der Aufl age, dass hier nur Castoren mit Brennele- hängende Gebiete. Aktuell stehen vier Varianten menten aus Philippsburg eingelagert werden. Daran zur Debatte: Kaltenbronn-Ochsenkopf, Ruhestein- solle festgehalten werden. Das haben bereits am 22. Kaltenbronn, Ruhestein-Ochsenkopf und Ruhe- November 2011 in einer Resolution die Gemeinden stein. (StZ) Ein konkreter Vorschlag für die genaue aus dem Umkreis von 20 Kilometern verlangt. Auch Lage des Schutzgebietes, ein Rechtsrahmen und die Karlsruhe, Germersheim und die Region Mittlerer Verwaltungsstruktur wird vermutlich erst zwischen Oberrhein haben sich der Regelung angeschlossen. Pfi ngsten und den Sommerferien 2013 vorliegen. Zur Zeit sind 36 Castoren in Philippsburg eingela- gert. Philippsburg will keine Castoren aus fremden Werken einlagern. Nach dem Bürgermeister Stefan Vorstellung des Gutachtens in Martus will Philippsburg dagegen ein politisches Wildbad: Störmanöver statt Signal mit zivilem Ungehorsam setzen. »Früher«, so sachlicher Diskussion der Bürgermeister, hieß es, »ihr habt die Produktion und deren Risiken und dafür werdet ihr nicht mit Die am 9. April 2013 anberaumte Vorstellung des der Entsorgung belastet«. Diese Zusage hat man 2003 Gutachtens zum Nationalpark hat die Hoff nung der aufgekündigt, als man ein Zwischenlager bei uns an- grün-roten Landesregierung auf eine sachliche Dis- siedelte – gegen den Willen der Stadt. Damals hieß kussion nicht erfüllt. Die organisierten Gegner des es, das Lager sei nur für Brennelemente aus Philipps-

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burg, damit kein Transporte stattfi nden müssen. (In- Uni-Einrichtungen. Auf dem Areal von rund 185 terview mit Stefan Martus, StZ). Metern Länge und knapp 150 Metern Breite kann nach Ansicht der Gutachter von Ernst & Young ein Fußballstadion mit bis zu 35 000 Plätzen errichtet Präsentation des Gutachtens werden. Das jetzig Fußballstadion fasst nur 25 000 zum Nationalpark in Ottenhöfen Zuschauer. Völlig off en ist die Finanzierung der wohl bis zu 60 Millionen Euro teuren Arena (StZ). Am 16. April 2013 präsentierte Minis- ter prä sident Winfried Regionalkonferenz der Kretschmann und Na- Technologieregion für Erhalt des turschutzminister Ale- SWR-Standorts Baden-Baden xander Bonde in der Schwarzwaldhalle Ot- Die Regionalkonferenz der Technologieregion hat tenhöfen das National- sich einstimmig für den Erhalt des SWR-Standortes parkgutachten. Im Ge- Baden-Baden ausgesprochen. Die Zusagen im Grün- gensatz zur emotional dungsstaatsvertrag müssten eingehalten werden. Die äußerst aufgeladenen Vertreter aus Wirtschaft , Wissenschaft , Hochschule, Info-Veranstaltung in Kultur, Politik und Verwaltung fordern die Landes- Bad Wildbad ging es in Ottenhöfen deutlich sachli- regierungen von Rheinland-Pfalz und Baden-Würt- cher zu, auch wenn die vor allem aus den Forstberu- temberg auf, die festgeschriebenen Aufgaben und fen und der Holzindustrie stammenden Kritiker ih- Kompetenzen des Standortes Baden-Baden unver- rem Unmut mehrfach lautstark Luft machten. Betont ändert in den neuen Staatsvertrag aufzunehmen. wurde von den Befürwortern, dass es lediglich um 0,7 Grundlage für die Fusion von SWF und SDR war ge- Prozent der Waldfl äche gehe. Kretschmann erklärte, nau diese klare Aufgabenteilung. Hintergrund ist die dass ein Naturpark ökonomisch und ökologisch Sinn geplante Neufassung des Staatsvertrages, in dem Ba- mache. Er verwies darauf, dass die Region im Natio- den-Baden nur noch als SWR-Standort ausgewiesen nalpark ein paritätisches Mitsprachrecht habe. »So wird, ohne jegliche Festlegung auf die bisher detail- etwas wie ein Diktat aus Stuttgart wird es nicht ge- liert niedergeschrieben Aufgaben und Kompetenzen. ben. Wir wollen auf Augenhöhe mit ihnen zusam- Baden-Baden muss weiterhin Produktionsstandort menarbeiten.« Die Politik des Gehörtwerdens be- und Hauptsitz der Direktionen von Fernsehen, Hör- deute aber nicht, dass jeder Einzelne recht bekomme, funk und Technik bleiben, betonte Bernd Bechtold dass er aber auf seine Fragen ernsthaft e Antwor- (BNN). ten erhalte. Die Präsentationsrunde wird im Landkreis Rastatt fortgesetzt. Die Stadt Baden-Baden beschließt die Rivalität zwischen Baden Präsentationsrunde (BNN). und Württemberg schwindet immer mehr Gewann »Wolfswinkel« als Platz Die folkloristischen und mentalitätsgeschichtlichen für ein neues Fußballstadion Diff erenzen zwischen den beiden Volksstämmen, die das Bindestrichland Baden-Württemberg konstituie- Das Gewann »Wolfswinkel« in Freiburg wurde von ren, verblassen immer mehr, schreibt Martin Halter der Findungskommission von Stadt Freiburg und in der Badischen Zeitung. »Nach innen im Lande sel- dem Fußballverein SC Freiburg als »voraussichtlich ber, werden die kleinen Unterschiede dafür umso lie- günstiger Standort« vorgeschlagen. Der »Wolfswin- bevoller gehätschelt und verteidigt. Natürlich nicht kel« liegt im Dreieck von Neuer Messe, Flugplatz und auf politischer Ebene. Wenn Baden-Württemberg

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zu einem Empfang lädt, werden badische und würt- schaft und Klima wenig übrig«. »Im Fußball dür- tembergische Weine, Maultaschen und Schäufele fen sich historisch und kulturell gewachsene Ani- gereicht; der Kulturwissenschaft ler Hermann Bau- mositäten noch weitgehend unreguliert austoben« singer hat den mühsamen Proporz einmal als ›Waage (BZ, 17.4.2013). im Kopf‹ bezeichnet«. »Historisch betrachtet ist die Legende von der Urfehde ein Witz. Alemannen und Sueben sind stammes- und sprachgeschichtlich eng Ein neuer Standort: CampusOne verwandt: auch ihre politische Entzweiung datiert der Musikhochschule Karlsruhe erst aus jüngeren napoleonischen Zeiten«. »Von den ewigen Gegensätzen, von denen Satire, Stammtisch Auf dem CampusOne der Hochschule für Mu- und Marketing bis heute zehren, bleibt außer Land- sik Karlsruhe um das Schloss Gottesaue sind nun die verschiedenen Institutionen zu-

University of Music sammengefasst. Der Name Cam- Hochschule für Musik Karlsruhe pusOne bedeutet, dass alle Teile der Musikhochschule, die bisher auf verschiedene Standorte in der Stadt verteilt waren, unter einem Campus zusammengeführt werden konnten. 8 »Insgesamt ist das für die Hochschule für Musik geschaff ene Bauensemble Eingang eine einmalige Chance und Grund- 2 4 lage für die Weiterentwicklung der 3 Einrichtung. Gleichzeitig werden auch für die Stadt Karlsruhe und

Wolfartsweierer Straße Wolfartsweierer ihrer Einrichtungen das kulturelle Eingang 5 Eingang Konzertwiese 1 Spektrum und die Möglichkeiten in- terdisziplinären Zusammenwirkens zum Wohle von Kunst, Wissenschaft und Lehre erweitert« (G. Bachmann). 7 6 Der »ausgezeichnete Ort« ist von ei- Eingang   ŵ^ĐŚůŽƐƐ'ŽƩĞƐĂƵĞ  ^ĐŚůĂĐŚƚŚĂƵƐƐƚƌĂƘĞ nem »Geist, einer Atmosphäre« be- herrscht, »die derzeit seinesgleichen ^ĐŚůŽƐƐ'ŽƩĞƐĂƵĞ ,ŽĐŚƐĐŚƵůĞĨƺƌDƵƐŝŬ in der baden-württembergischen Straßenbahn Linie 6 Hochschulszene« sucht (J. Walter). CampusOne besteht aus dem Schloss 1 Schloss Gottesaue Gottesaue, dem Multimedia- und Velte-Saal | Genuit-Saal | Institut für Musikwissenschaft und Musikinformatik Bibliothek | Cafeteria | Information Bürokomplex MUT und Institutsge- 2 Multimedia- und Bühnenkomplex MUT und Institutsgebäude bäude, dem Fuchsbau (Rektorat und Wolfgang-Rihm-Forum | Institut LernRadio | Institut für neue Musik und Medien 3 Fuchsbau Verwaltung), dem Fany-Solter-Haus Rektorat | Verwaltung (Unterrichts- und Übungsräume), 4 Fany-Solter-Haus Unterrichts- und Überäume dem Römerbau, dem Marstall (In- 5 Römerbau stitut für MusikTh eater) und dem Überäume 6 Marstall Rotary-Haus (Studierendenwohn- Institut für MusikTheater heim). Das zerstörte Schloss Gottes- 7 Rotary Haus Studentenwohnheim aue wurde am 3.11.1989 nach Wie- 8 Kita Schlossgeister deraufb au von der Musikhochschule Kindertagesstätte bezogen.

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Das Speyerer Evangelistar. gebildete Großherzogtum Baden. Baden wurde ein- Meisterwerk der Buchmalerei als gebunden in die großen Verkehrsströme. Der Eisen- Meisterwerk der Faksimilierkunst bahnbau wurde zum Impulsgeber für die Industria- lisierung« (Martin Stingl, Archivnachrichten Nr. 46). Die Badische Landes- Das Generallandessarchiv Karlsruhe zeigt von Einladung bibliothek in Karls- Juli bis November 2013 die Ausstellung »Baden wird zur Ausstellungseröff nung ruhe zeigt vom 15. Mai ein Weltmarktplatz werden. 175 Jahre Eisenbahn am bis 6. Juli 2013 dank Oberrhein«. der Vollfaksimilierung durch den Quaternio- Verlag in Luzern das Klimaschutzpreis »Climate First« Speyerer Evangelis- der Stadt Freiburg für die päd- tar. Das Speyer Evan- agogische Arbeit des fesa e. V. gelistar (entstanden ca. 1220) gehört zu »Klimaschutz zum Anfassen« hat 2013 den Klima- den schönsten Werken schutzpreis »Climate First« der Stadt Freiburg gewon- der deutschen Buch- nen. Der mit 2500 € dotierte zweite Preis ging an das kunst der Romanik. fesa-Projekt, das Grundschüler für das Th ema Klima- Die Prachthandschrift schutz sensibilisiert. Rund 290 Schulklassen hat das

Meisterwerk der aus der Sammlung der pädagogische Team des fesa e. V. schon besucht und Buchmalerei als Meisterwerk der Das Speyerer Evangelistar Faksimilierung Badischen Landesbib- für die potenziellen Klimaschützer von morgen einen liothek ist berühmt ersten Kontakt hergestellt. Anhand von Alltagsgegen- für ihren erhaltenen kostbaren Goldschmiede-Ein- ständen erfahren die Kinder bei der Unterrichtsein- band. Dank der Faksimilierung werden jetzt auch die heit, was sie selbst für den Klimaschutz tun können. prachtvollen goldstrahlenden Miniaturen und Initi- alen erstmals zugänglich. Der Ausdruck Evangelistar bezeichnet eine Handschrift mit ausgewählten Evan- Über die Grenze mit dem gelientexten (Perikopen) zum Vorlesen bei der Messe Geschichts- und Kulturkreis an Sonntagen und kirchlichen Festtagen. Neuenburg Das Jahresprogramm 2013 des Geschichtskreises 75 Jahre Eisenbahn in Baden: von Neuenburg am Rhein berücksichtigt gezielt alle Klammer für das in drei Länder am Oberrhein. Fünf Exkursionen füh- napoleonischer Zeit künstlich ren nach Baden, drei nach Frankreich, zwei in die Schweiz und eine in die Pfalz. Das Programm er- gebildete Großherzogtum halten Sie beim Vorsitzenden Friedrich Schöpfl in, schoepfl [email protected], Tel. 0 76 31/17 21 15. »Im März 1838 nahm der Badische Landtag ein Ge- setz an, mit dem Baden in eine neue Epoche seiner Geschichte eintrat: Von Mannheim über Heidelberg, Drei-Länder-Netzwerk Carlsruhe, Rastatt, Off enburg, Dinglingen und Frei- Geschichtsvereine am Oberrhein burg bis zur Schweizer Grenze wird eine Eisenbahn Newsletter 01/2013 gebaut. Mit dem Bau der ersten Strecke Mannheim– Heidelberg wurde im Herbst 1838 begonnen. Am 12. Publikationen mit Buchbesprechungen September 1840 wurde sie Betrieb genommen. Die zur Geschichte am Oberrhein badische Hauptbahn Mannheim–Basel wirkte wie Im letzten Newsletter haben wir angekündigt, Ihnen ein Klammer für das in napoleonischer Zeit künstlich einen Überblick darüber zu geben, wo Sie Rezensi-

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onen über Publikationen zur Geschichte des Elsass, Aargauer Geschichte. http://retro.seals.ch/digbib/ Badens, der Pfalz und der Nordwestschweiz fi nden vollist?UID=arg-001 können. Vom Comité trinational und verschiedenen Buchbesprechungen zur Geschichte der Nordwest- Geschichtsvereinen erreichten uns bislang folgende schweiz fi nden Sie teilweise auch in folgenden Zeit- Rückmeldungen: schrift en: ● Mittelalter. Zeitschrift des Schweizerischen Elsass Burgenvereins, vierteljährlich, Basel. http://www. Revue d’Alsace. Die Zeitschrift erscheint jeweils im burgenverein.ch/publikationen/mitteilungen/ September jeden Jahres, seit 1834, und wird von der pub_mitteilungen.cfm Fédération des Sociétés d’histoire et d’archéologie her- ● Regio-Familienforscher. Vierteljährlich, Basel. ausgegeben. Sie bietet mit rund 80 Rezensionen einen http://www.ghgrb.ch/index.php/forschungshilfen/ Überblick über zahlreiche Publikationen zum Elsass, regiofamilienforscher.html berücksichtigt aber auch Veröff entlichungen zu den ● Schweizer Volkskunde. Korrespondenzblatt, vier- benachbarten Oberrheinregionen. Unter der Rubrik teljährlich, Basel. http://www.volkskunde.ch/sgv/ »Relations frontalières« wird regelmäßig über das publikationen/zeitschrift en/svk---fs.html Drei-Länder-Netzwerk der Geschichtsvereine berich- ● Schweizerisches Archiv für Volkskunde. Viertel- tet. http://www.alsace-histoire.org/fr/revue-alsace/ jährlich, Basel. http://www.volkskunde.ch/de/sgv/ Bulletin fédéral. Vierteljährlich erscheinendes In- publikationen/zeitschrift en/savk---astp.html formationsheft der Fédération des Sociétés d’histoire ● Schweizerische Zeitschrift für Geschichte. Viertel- et d’archéologie, in dem ab und zu auch neue Publi- jährlich, Basel. http://www.sgg-ssh.ch/de/publika- kationen besprochen werden. Im Bulletin wird auch tionen.php der Newsletter des Netzwerks der Geschichtsvereine ● Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kul- abgedruckt. http://www.alsace-histoire.org/fr/bul- turgeschichte. Halbjährlich, Fribourg. http://www. letin-federal unifr.ch/szrkg/de Annuaire de la Société d’Histoire du Sundgau. Die ● Traverse. Zeitschrift für Geschichte. Dreimal jähr- Zeitschrift erscheint jährlich im März. Buchbespre- lich, Zürich. http://www.revue-traverse.ch/4/ber- chungen sind eher die Ausnahme, Ziel ist vor allem die-zeitschrift .html die Veröff entlichung nicht publizierter Aufsätze. Elsass-Gazette. Im Mitteilungsblatt des Kulturver- Baden eins Elsass-Freunde Basel gibt es in losen Abständen ● Badische Heimat. Die Zeitschrift des Landesver- deutschsprachige Besprechungen von Publikationen eins Badische Heimat erscheint vierteljährlich, 2013 zum Elsass. http://www.elsass-freunde-basel.ch/cms/ im 93. Jahrgang. Regelmäßig werden Publikatio- main.php?language=de&column=5 nen mit dem Schwerpunkt Baden besprochen. Die Zeitschrift berichtet außerdem regelmäßig über die Nordwestschweiz Entwicklung des Netzwerks der Geschichtsvereine. Baselbieter Heimatblätter. Das Publikationsorgan http://www.badische-heimat.de/neu/verein/index. der Gesellschaft für Regionale Kulturgeschichte Ba- htm selland (GRK BL) und der Gesellschaft Raurachischer ● Schau-ins-Land. Das vom Breisgau-Geschichts- Geschichtsfreunde (GRG) erscheint seit 1936 und ist verein herausgegebene Jahrbuch enthält neben wis- die einzige kulturhistorische Vierteljahreszeitschrift senschaft lichen Beiträgen einen großen Rezensions- der Nordwestschweiz. Sie bietet regelmäßige Buchbe- teil. Es erscheint einmal jährlich, im Februar 2013 sprechungen und berichtet über die Aktivitäten des bereits Band 132. http://www.breisgau-geschichts- Netzwerks Geschichtsvereine. http://www.grk-bl.ch/ verein.de/02_Jahrbuch/jahrbuch.html pages/Heimatblaetter.html ● Die Ortenau. Die vom Historischen Verein für Argovia. Das Jahrbuch der Historischen Gesell- Mittelbaden herausgegebene wichtigste Zeitschrift schaft des Kantons Aargau erscheint jährlich, seit für mittelbadische Geschichte erscheint seit 1910. Sie 1860, und bietet auch Rezensionen insbesondere zur enthält einen umfangreichen Rezensionsteil. http://

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www.historischer-verein-mittelbaden.de/jahrbuch. etwa ist mit ihrem Bekenntnis zu den erneuerbaren htm Energie und einer ambitionierten Umweltpolitik als ● Schrift en der Baar. Buchbesprechungen mit »Green City« im Fachtourismus erfolgreich. Rund Schwerpunkt Baar enthalten die in Donaueschingen 25 000 ökologisch und technisch interessierten Tou- seit 1805 erscheinenden Schrift en des Baarvereins. risten aus 45 Nationen – Studenten, Architekten, http://www.baarverein.de/publikationen.html Stadtplaner, Investoren bis hin zu politischen Ver- ● Das Markgräfl erland. In der zweimal jährlich er- tretern und Wirtschaft sdelegationen – erkunden für scheinenden Zeitschrift fi nden sich regelmäßig Be- ihre nachhaltigen Konzepte bekannte Stadtviertel sprechungen zu neuen Publikationen zur Geschichte Vauban und Rieselfeld. und Kultur des Markgräfl erlandes. Jeder Band wid- Auch in Mannheim boomt der Städtetourismus. met sich schwerpunktmäßig einem Ort. http://www. Die Quadratestadt ist nach Stuttgart die Nummer geschichtsverein-markgraefl erland.de/markgraefl er- zwei im Südwesten, mit 1,1 Mio. Besuchern in 2011 land.htm und einem überdurchschnittlichen Plus von 8 Pro- zent in den ersten drei Quartalen 2012. Jetzt hat die Pfalz Universitätsstadt – mit insgesamt 8000 Erstsemes- ● Pfälzer Heimat. Die Zeitschrift erscheint zweimal tern an allen Hochschulen – eine Marktlücke ent- im Jahr mit Besprechungen aktueller Publikationen deckt: die aufgrund der verkürzten Gymnasialzeit aus der Pfalz und ihren Beziehungsräumen. http:// jüngern Abiturienten. »Elternzeit« heißt ein Über- www.pfaelzische-gesellschaft.de/veroeffentlichun- nachtungspaket mit bestimmten Events, bei dem die gen/index.htm Eltern den Studienort ihrer Kinder kennenlernen ● Blätter für pfälzische Kirchengeschichte. Die können. (StZ) Zeitschrift erscheint einmal pro Jahr und bietet Be- sprechungen aktueller Publikationen aus der Pfalz. außerdem Friederike-Brion-Jahr 2013: ● Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. Gemeindepartnerschaft zwischen Die 1850 in Karlsruhe gegründete Zeitschrift er- dem elsässischen Sessenheim scheint einmal im Jahr und bietet Rezensionen ak- tueller Publikationen aus dem gesamten Oberrhein- und dem badische Meißenheim gebiet. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeit- schrift en/id=387 Markus Moehring Am 3. April 2013 ge- denken die beiden Ge- meinden Sessenheim Tourismus-Report: und Meißenheim des Klares Markenbild herausstellen: 200. Todestages von Mannheim und Freiburg Friederike Brion (geb. vermutlich am 19. Ap- Nach den Experten sind vier Merkmale wichtig ril 1752 in Niederrö- für den touristischen Erfolg einer Stadt: Attraktio- dern). Der 21-jährige nen und kulturelle Höhepunkte, das gastronomische Student der Rechts- Angebot und eine vielfältige Hotellerie, eine gute ver- wissenschaft Goethe kehrstechnische Anbindung und Infrastruktur und lernte die 18-jährige schließlich die Einzigartigkeit. Städte sollten, so die Pfarrerstochter Frie- Empfehlung, ihr Alleinstellungsmerkmal heraus- derike im Herbst 1770 arbeiten und eine Marke prägen, etwa als Wissen- kennen und verliebte sich in sie. Am 7. August schaft sstadt oder Kulturstadt. Im Trendreport (IHK- 1771 sahen sich die Verliebten zu letzen Mal. Bis Tourismus-Report »Destination«) sind sehr unter- zum Tode ihres Vaters im Jahre 1787 blieb Friede- schiedliche Beispiele angeführt. Die Stadt Freiburg rike in ihrem Elternhaus. Danach zog sie mit ihrer

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Schwester Sofi e zu ihrem Bruder Christian (1763– Staatsekretär Jürgen Walter zur 1838) auf die Pfarrei Rothau im Steintal. Im Jahre Erweiterung der 1801 siedelte Friederike zur Unterstützung ihrer Kunsthalle Karlsruhe kränklichen Schwester Sofi e (1756–1838) ins Pfarr- haus nach Diersburg (heute Hohberg). 1805 folgte In einem Interview mit den Badischen Neuesten sie der Familie ihres Schwagers nach Meißenheim Nachrichten (10. Mai 2012) äußerte sich Staatsekre- (Ortenaukreis, südöstlich von Off enburg). N. Boyle tär Jürgen Walter zu den Plänen der Erweiterung hat zu Bedenken gegeben, dass man Goethe als Ver- der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: »Zur Zeit lobten Friederikes betrachtete. »Unter diesen Um- liegen lediglich fünf Projektskizzen renommierter ständen bedeutete der Bruch mit Friederike eine Büros vor. Die wurden noch nicht einmal öff ent- schwerwiegende Kompromittierung ihrer gesell- lich vorgestellt, selbst ich persönlich kenne sie noch schaft lichen Stellung – von ihren Gefühlen ganz zu nicht. Allerdings treff en die Wünsche, die von Frau schweigen«. Friederike Brion blieb unverheiratet. Müller-Tamm, der Leiterin, vorgetragen werden, bei »Ihr Herz hat sie ihren zahlreichen Patenkindern uns auf off ene Ohren. Es ist müßig über Architektur, geschenkt«. Sie wurde am 5. April 1813 auf dem über ihre Schönheit oder Ästhetik zu diskutieren, Friedhof von Meißenheim bestattet. Der Grabstein wenn das Haus nicht in vollem Maße nutzbar ist. wurde erst 1866 auf der völlig verwahrlosten Grab- Es gibt dort einfach Bereiche, die verbessert wer- stätte errichtet. Am 11. Mai 2013 ist ein Friederike- den müssen. Deshalb sollte man jetzt auch nicht Fest geplant mit dem Höhepunkt der Unterzeich- mit polemischen Angriff en auf Frau Müller-Tamm nung der Gemeindepartnerschaft zwischen Sessen- die Diskussion aufh eizen. Das ist nicht seriös. Es ist heim und Meißenheim. ihr gutes Recht, darüber nachzudenken, wie kann ich das Haus a) für die Besucherinnen und Besu- cher attraktiver machen; und b) wie mache ich es Gegner von Wind- und Sonnen- attraktiver für die Menschen, die dort arbeiten? Ich kraft gründen Dachverband fi nde, man soll jetzt in aller Ruhe sachlich darüber diskutieren. Was braucht das Haus? Wie sehen die Je mehr der Ausbau der erneuerbaren Energien Entwürfe aus?« in Baden Württemberg an Fahrt aufnimmt, desto stärker wächst der Widerstand. Bis 2020 sollen 1200 zusätzliche Anlagen gebaut werden. Am 5. Mai Thema des Tages des offenen 2013 trafen sich in Karlsruhe gut zwei Dutzende Denkmals 2013: »Jenseits des Bürgerinitia tiven, die eine Dachverband gründen Guten und Schönen. wollen. »Der unsinnige und hemmungslose Aus- bau insbesondere von Windkraft anlagen muss auf- Unbequeme Denkmale« hören« sagte Sabine Lampe von der Bürgerinitia- tive »proNaturRaum« in Malsch. »Wir müssen viel In Heft 1/2013 gab die »Denkmalpfl ege in Baden- stärker in die Energieeinsparungen und Energie- Württemberg« das Th ema des »Tages des off enen effi zienz investieren. Das könnte uns den Bau vieler Denkmals« am 8. September 2013 bekannt: »Jenseits Ablagen ersparen«. Die Bürgerinitiativen wenden des Guten und Schönen. Unbequeme Denkmale«. sich vor allem gegen den Bau von 200 bis 300 Me- Mit dem diesjährigen Th ema steht eine zentrale Fra- ter hohen Windrädern im Wald. »Das kann nicht gestellung des Denkmalschutzes im Mittelpunkt. im Sinne des Naturschutzes sein«, sagte Lampe. Im Was ist es wert, erhalten zu werden und weshalb? Raum Karlsruhe und Mittelbaden hatten sich in Was macht Denkmale unbequem und warum? den letzten Monaten mehrere Gruppen gebildet: Ingo Rust MdL, Staatsekretär im Ministerium etwa am Nordrand des Schwarzwaldes bei Karls- für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, ruhe und Ettlingen und in Baden-Baden (Bereich wies darauf hin, dass Schutz und Pfl ege des kultu- Fremersberg/Merkur). rellen Erbes im Lande Baden-Württemberg eine

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»schöne, aber auch anspruchsvolle Aufgabe« sei. Es lich wechselnde Präsidentschaft des Oberrheinrats handelt sich um 90 000 Bau- und Kunstdenkmale angetreten. Der Oberrheinrat wurde 1997 gegründet und schätzungsweise 60 000 archäologische Denk- und dient der gegenseitigen Information und politi- male. Der gesamte Haushaltansatz für Denkmal- schen Gesprächen. Er hat 71 Mitglieder aus Baden- pfl ege war 2012 stabil und wird auch 2013 und 2014 Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Elsass und der wieder bei über 24 Mio. € liegen (Denkmalpfl ege Nordschweiz. Er berät die Oberrheinkonferenz. Stä- BW 1/ 2013). chele will versuchen, etwas mehr Übersichtlichkeit in die vielen Gremien und Gebilde zu bringen, die sich um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit 250 Jahre Wunderkindreise: kümmern: Oberrheinkonferenz, Oberrheinrat, Tri- Vom 12. bis 14. Juli weilte die nationale Metropolregion, Dreiländerkongresse, Eu- Familie Mozart in Bruchsal rodistrikte, gemischte Kommissionen. »Kommuni- kation sei das A und O«, sagt Stächele. Aus den vier Im Sommer 1763 Säulen der Zusammenarbeit – Wissenschaft , Wirt- führte die so genannte schaft , Politik und Zivilgesellschaft – will er in Zu- Wunderkindreise den kunft zwei machen. Die beiden ersten, meint er, ge- erst siebenjährigen hören zusammen. (BZ) Wolfgang Amadeus Mozart und seine Fa- milie in die Residenz- stadt der Speyerer Fürstbischöfe, wo sie PERSONALIA im Gasthof »Riesen« übernachteten. Der Vater Leopold (1719–1787) lobte Zum 90. Geburtstag von das barocke Schloss als »unbeschreiblich reizend Dr. Leonhard Müller und kostbar«. Dies und weitere Reisen sollten dem Engagement für die badische und »Wunderkind« nach Leopolds Willen eine Anstel- Karlsruher Geschichte lung als Musiker bei Hofe ermöglichen und damit seine Lebensexistenz sichern. Bemerkenswert ist Die europäischen Mozart-Gesellschaft en erinnern nicht nur die sich über aus Anlass des 250. Jahrestages an die 1763 begon- vierzig Jahre erstre- nene Wunderkindreise und versuchen im Rahmen ckende Schulkarriere, des Projekts »Kulturroute« 2013 möglichst alle Städte sondern auch die fast entlang des damaligen Mozart-Reiseweges für eine fünfundzwanzig Jahre Mitwirkung zu gewinnen. Die Stadt Bruchsal gedenkt publizistischer Arbeit dieses Ereignisses mit über 30 Einzelveranstaltungen Dr. Müllers nach seiner zwischen dem 29. April und 22. November 2013. Vom Pensionierung. 12. Juli bis zum 6. September 2013 zeigt die Stadt eine Dr. Leonhard Lud- Th emenausstellung der Briefmarken-Sammlergilde wig Müller wurde Bruchsal im Rathaus (Jahresprogramm 2013). am 30. Januar 1923 in Breslau geboren. 1946 bis 1950 studierte er an der Universität in Heidelberg Geschichte, Deutsch, Willi Stächele Erdkunde und Philosophie. Das Studium schloss Präsident des Oberrheinrates er 1950 mit Promotion und Staatsexamen ab. Mit dem 2. Staatsexamen 1952 begann seine Karriere Willi Stächele, früherer Finanzminister und Land- im Staatsdienst. 1952 bis 1961 war er Studienasses- tagspräsident von Baden-Württemberg, hat die jähr- sor und Studienrat am Elisabeth-Gymnasium in

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Mannheim. 1961 bis 1971 Fachleiter für Geschichte wird. Das liegt an Ihren bildungssatten Beiträgen, und Gemeinschaft skunde am Studienseminar in die zudem von Ihrer eigenen heiteren Selbstironie Karlsruhe. Dann 1966 bis 1971 Oberstudiendi- durchzogen sind.« rektor am Helmholtz-Gymnasium in Karlsruhe, Dr. Müller ist auch Mitarbeiter der »Lebensbilder dann von 1971 bis 1976 Ministerialrat als Leiter aus Baden-Württemberg«. Er veröff entlichte dort des Gymnasialreferats. In dieser Zeit hatte er die biografi sche Studien zu »Stefanie Napoleon« (Bd. Oberstufenreform in Baden-Württemberg auf den 18), dem Karlsruher Gymnasialdirektor Dr. Gustav Weg zu bringen. Von 1976 bis 1988 war Müller Prä- Wendt (Bd. 19), Großherzog Friedrich II. (Bd. 20) sident des Oberschulamts Karlsruhe. Schon in der und Eberhard Gothein, Kulturhistoriker und Natio- Zeit seiner Präsidentschaft im Oberschulamt hat nalökonom (Bd. 21). Dr. Müller verschiedentlich didaktische Anregun- Auch die »Beiträge zur Landesgeschichte« konnten gen zur Aufarbeitung der badischen Geschichte, so sich seiner Mitarbeit erfreuen, so zum Beispiel mit mit dem Projekt »Unterricht im Museum« gegeben. Beiträgen wie »Der Liberalismus muss regierungs- Die Bemühungen um Landeskunde und Landesge- fähig bleiben. Hermann Baumgarten, politischer schichte für das Oberschulamt Karlsruhe hat Dr. Historiker und Querdenker« (1993) oder »Bund der Müller in »Die Heimat neu entdecken« beschrieben vereinigten Staaten von Deutschland. Franz Roggen- (BH 4/1986). Seit seiner Pensionierung im Jahre bachs Pläne einer deutschen Nation« (1999). In der 1988 beschäft igte er sich publizistisch mit der ba- »Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins« ver- dischen Geschichte. In diesem Zusammenhang be- öff entlichte er seit gut einem Jahrzehnt Rezensionen tätigte er sich als Herausgeber und Redakteur der zu geschichtlichen Publikationen. vierteljährlichen Beilage »Blick in die Geschichte« Dr. Müller ist auch in verschiedenen Kurato- zum Karlsruher Amtsblatt bis zum Jahre 2004. »Mit rien und Verwaltungsräten tätig so in der Arbeits- der Veröff entlichung kleiner, lokalspezifi scher Ar- gemeinschaft für »Heimatpfl ege« und im Kura- beiten« wurde »ein Anreiz für die Beschäft igung torium »Humanismus heute«. Dr. Müller hat auch mit der Karlsruher Stadtgeschichte geschaff en«. Zu in einer Krise des Scheff elbundes, heute Literari- seinem 90. Geburtstag hat der Oberbürgermeister sche Gesellschaft , die personelle Ausstattung we- der Stadt Karlsruhe ihn als »einen Chronisten und sentlich beeinfl usst. Er ist auch Gründungsvorsit- verständigen Vermittler der Geschichte in der Fä- zender des Fördervereins des Generallandesarchivs cherstadt« bezeichnet (BNN). Mit Aufsätzen zur Karlsruhe, langjähriger Präsident und heute Ehren- badischen Geschichte und Rezensionen in der Zeit- mitglied. schrift »Badische Heimat« ist Dr. Müller seit 1986 Über die »neue Heimat«, die sich der Schlesier kontinuierlich und zuverlässig präsent. Der lang- in der Kurpfalz und in Karlsruhe erst »erwerben« jährige Gefährte bei der Redaktion des »Blicks in musste, hat er in »Hierzuland« (42/2009) sich selbst die Geschichte« hat anlässlich einer Geburtstags- kritisch Rechenschaft gegeben. Als »Traum« hat veranstaltung des Generallandesarchivs Karlsruhe er es empfunden, 1946 in dem unzerstörten Hei- Dr. Müller so charakterisiert: »Bei Begegnungen delberg studieren zu dürfen. Mit den Pfälzern und Gesprächen mit Ihnen ist Ihr Interesse für das und ihrem Temperament hat er sich aber erst aus- Zeitgeschehen auf der großen wie der kleinen po- einandersetzen müssen, als er in Mannheim zu litischen Bühne, ihre geistige Frische gepaart mit unterrichten begann. Von der Kurpfalz aus meinte scharfer Beobachtungsgabe und Ihrer Lust zu ana- er damals noch auf das »kleine Karlsruhe« mit lytischer Kommentierung immer anregend und be- Herablassung schauen zu sollen. »Dann in Karls- reichernd. Dazu kommt Ihr großer Einfallsreich- ruhe, schmerzlich Mannheim vermissend, aber tum bei der Wahl Ihrer Th emen für Beiträge in langsam warm werdend«. Nach zwanzig Jahren als vielen Publikationsorganen. Sie haben es sogar ge- Pensionär in Karlstruhe scheint er nun doch hier schafft , dass das ›Residenz.Journal‹ des Karlsruher »eine beglückende Lebenserfahrung gemacht zu ha- Wohnstift s, das sie mit geschaff en haben, im Stadt- ben«, von der er vor 60 Jahren nichts ahnte. archiv nicht nur aufb ewahrt, sondern auch gelesen Heinrich Hauß

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Manfred Bosch stellungsmacher, Journalist und Herausgeber nie die zum 65. Geburtstag Rolle des langweiligen, nur der Wissenschaft erge- benen und verpfl ichteten Analysten. Er liefert viel- Wie lässt sich das um- mehr in seinen Vorworten, Kommentaren echte Ka- fassende Werk von binettstücke einer fortschrittlichen und ganz eigen- Manfred Bosch, dem ständigen Kunstform des Essays. Seine (Wieder-) Unermüdlichen, in Entdeckungen des Judentums im Alemannischen, einer knappen Hom- der kritischen Mundartliteratur in Geschichte und mage zum 65. Ge- Gegenwart führen direkt zu seiner Mitherausge- burtstag würdigen? berschaft der alemannischen Zeitschrift Allmende Vielseitigkeit ist das (1981–2008). treffende Stichwort: Wie tief Manfred Bosch sich in die Geheimnisse Gleichermaßen ver- des alemannischen Sprach-, Literatur- und Kultur- siert und engagiert in raums einarbeiten kann, zeigen umfassende Arbei- den entscheidenden ten zu typischen Feldern der Litertatur- und Sozi- Sparten der eigenen li- algeschichte am Oberrhein mit dem für ihn zent- terarischen Produktion und der Edition anderer Au- ralen Ausgangspunkt des Bodenseeraums. Doch toren und Werke überwindet Manfred Bosch stets Bosch weitet den Blick nicht nur zurück in die Kul- die konventionellen engen Gattungs- und Arbeits- turgeschichte des Jüdischen im Alemannischen; grenzen seiner Zunft . Mit einer Vielzahl von Tätig- Bosch überschreitet viele Barrieren. Sein Blick und keiten ist dieser Autor heute einem interessierten sein Engagement gilt nicht nur dem alemannischen Publikum am gesamten Oberrhein und im Boden- Österreich, der deutschsprachigen Schweiz und dem seeraum bekannt. Seine eigene literarische Produk- Elsass, also den unmittelbaren Nachbarn. Als For- tion ist von seinen Taten als Journalist, als Redakteur schender entdeckt er zum Beispiel auch die Nachwir- und als (Mit-)Herausgeber wichtiger Sammlungen kungen der Exilbewegungen des Alemannischen bis nicht zu trennen. Nach seinen politisch bestimmten in die USA. Es gelingt ihm – ganz im Sinne von Bert Lehrjahren in München mit ersten Ansätzen einer Brecht – das »Tümliche« im scheinbaren »Volkstüm- spezifi schen Form der »Konkreten Poesie« entdeckt lichen« zu vermeiden. Kein Autor, weder Johannes er mit vier Gedichtbänden seine, eine andere Art der R. Becher noch Ernst Jünger, weder Martin Walser Mundartliteratur des Alemannischen. Sein eigener noch Arnold Stadler wird aus Gründen der poli- Stil, sein ausgeprägter Blick auf Politisches, auf sozi- tisch bedingten Zurückhaltung oder Reserve weg- ale Zustände und deren Analyse und Überwindung gelassen. Alle Autoren und Repräsentanten des Ale- bestimmen auch seine gezielte Hinwendung zu den mannischen kommen zur ihrem Recht. Mit anderen genannten Regionen des Alemannischen. Der seit Worten: Manfred Bosch, dem Vielseitigen, gelingt es dem Umzug aus München gewählte südbadische immer, der Wahrhaft igkeit des Literarischen und des Kulturraum, der seit 2008 als Lebens- und Arbeits- Kulturellen im übergreifenden Sinnzusammenhang feld gewählte Kulturschwerpunkt Bodensee, wird die gebührende Referenz zu erweisen. Rudolf Denk für Manfred Bosch zum Dreh- und Angelpunkt seiner unermüdlich gestalteten Lektoren- und He- rausgeberarbeit. Die öff entliche Anerkennung des Dr. Wolfram Metzger Kulturkämpfers Manfred Bosch ist seit 1978 (nach (11.3.1943 – 22.1.2013) dem Gewinn verschiedener Mundartwettbewerbe Leiter des Deutschen Musikautomaten- wie in Freiburg 1976) durch die Zuerkennung des museums im Schloss Bruchsal Bodensee-Literaturpreises durch die Stadt Überlin- gen, den alemannischen Literaturpreis (1985), den Der Volkskundler Wolfram Metzger ist am 22. Januar Johann-Peter-Hebel-Preis (1990) und weitere Preise 2013 im Alter von 69 Jahren verstorben. Mit 29 Jah- bis 2008 bestens dokumentiert. Bosch spielt als Aus- ren begann er in Würzburg Germanistik, Geschichte

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und Volkskunde zu stu- in seiner Heimatstadt als Lehrer, wo er bald den dieren und schloss das Philharmonischen- und den Kammerchor gründete Studium ab mit einer und leitete. Hier schlug 1970 Paul Wehrles Stunde, Promotion über ein als damals Reformen den Zeitgeist bestimmten und Th ema der Volkskunde. man auch in Baden-Württemberg unter Kultusmi- 1978 trat er den Dienst nister Professor Hahn neue Akzente setzen wollte, im Badischen Lan- so dass ein Schulversuch mit Musik als Kernfach desmuseum an. 1982 möglich schien. Als damaliger Leiter des Helmholtz- konnte die Sammlung Gymnasiums bewarb ich mich um diesen Versuch mechanischer Musik- für diese Schule, weil hier ein Pädagoge wirkte, der instrumente von Jan für einen Erfolg garantierte. Neben einem Stuttgar- Brauers erworben wer- ter Gymnasium war der Karlsruher der einzige, der den. Daraus entwickelte sich das Deutsche Musik- mit acht Mädchen und vier Jungen begann. Sorgfäl- automatenmuseum. Wolfram Metzger hat inner- tig war die Auswahl zum vierstündigen Hauptfach halb des Badischen Landesmuseums die Sammlung auf allen Stufen, verbunden mit obligatorischem In- im Schloss Bruchsal aufgebaut und war mehr als drei strumentalunterricht und Teilnahme im Chor und Jahrzehnte Leiter dieses Museums. »Mit Leidenschaft Orchester. und Charisma führet er im DMM eine Musikauto- Der Musikzug wurde bald überregional populär matensammlung von internationalem Rang zusam- und heute, nach 43 Jahren, kann er in seiner Breiten- men und zeichnete verantwortlich für publikums- wirkung auf hunderte von Schülerinnen und Schü- wirksame Ausstellungen, die im ganzen Land Auf- lern zurückblicken, aber auch auf Spitzentalente wie merksamkeit gefunden haben« (C. P. Schick). 1998 den Pianisten Christian Zacharias und den Trom- präsentierte Metzger die Kulturgeschichte der Bar- peter Reinhold Friedrich, die internationalen Rang bie-Puppe. Metzger initiierte auch eine monatliche erreichten. Reihe kulturgeschichtlicher und heimatkundlicher Doch Wehrle wollte über die Schule hinaus dem Vorträge im DMM. Metzger, der Mann »mit bewun- Chorgesang neue Impulse geben, und so wirkte er derwertem Charisma, der Menschen für seine Ideen an der Gründung der »Europäischen Föderation begeistern konnte«, hat »bleibende Spuren in Karls- junger Chöre« (Europa Cantat) mit, als dessen ers- ruhe, Bruchsal und anderen Orte hinterlassen« (H. ter Generalsekretär er von 1963 bis 1976 war. Weiter- Siebenmorgen). Heinrich Hauß hin schafft e er die Voraussetzung zur Gründung der »International Federation for Choral Music«, deren Präsident er 1982 wurde. Paul Wehrle im Alter von Als unermüdlicher Moto gelang ihm im Deutschen 89 Jahren gestorben Musikrat einen nationalen Chorwettbewerb aufzu- bauen und den Sologesang bei »Jugend musiziert« zu Mit Paul Wehrle ver- etablieren. Für »Interkultur« war er der Wegbereiter starb am 11. Februar der World Choir Games, in dessen Council mittler- 2013 in seinem 90. Le- weile nahezu 80 Nationen beteiligt sind. bensjahr ein bedeuten- Sein umfangreiches Engagement wurde mehrfach der Musikpädagoge, der ausgezeichnet: 1983 mit der Verdienstmedaille des in Karlsruhe, in Baden- Landes Baden-Württemberg, 1989 mit dem Bundes- Württemberg, ja über verdienstkreuz I. Klasse und 2007 mit der Staufer- die Bundesrepublik hi- Medaille in Gold. naus internationale Zei- Paul Wehrle hat seit den 60er Jahren mit großer chen setzte. Strahlkraft die Chormusik in Deutschland, in Eu- In Karlsruhe 1923 geboren, begann er 1955 nach ropa, ja in der ganzen Welt geprägt. seinem Musikstudium am Helmholtz-Gymnasium Dr. Leonhard Müller

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Prof. Dr. Rainer Wirtz unter dem früheren 1943–2013 Landwirtschaftsmi- nister Gerhard Weiser Ein anregender und außerordentlich beliebter (1931–2003) verfolg- akademischer Lehrer, ein Museumswissenschaft ler ten Ansätze zu einer hohen Ranges, ein Sozialhistoriker, der methodisch nachhaltigen Natur- und thematisch seinem Fach viele Impulse gege- schutzstrategie kon- ben hat – und nicht zuletzt ein öff entlich wirkender sequent fort. Wissenschaft ler, der seine Th emen wunderbar In seine Zeit fi el vermitteln konnte: Rainer Wirtz werden wir ver- auch die Startveran- missen. In seiner langen akademischen Karriere staltung zur Einfüh- war er ein maßgeblicher Vertreter neuer Forschungs- rung von PLENUM ansätze von Alltags- und Regionalgeschichte und in- (Projekt des Landes spirierte Generationen von Geschichtsstudierenden. zur Erhaltung und Auch nach seiner Amtszeit Als wissenschaft licher Vizedirektor des Landes- blieb Harald B. Schäfer na- Entwicklung von Na- museums für Technik und Arbeit in Mannheim und turverbunden und wanderte tur und Umwelt) in als Direktor des Rheinischen Industriemuseums in gern und viel zu Fuß durch Baden-Württemberg, Oberhausen prägte er die Neuorientierung sozial- Baden-Württemberg. das inzwischen bun- und technikhistorischer Museen in den 1980er und (Foto: H. Notter 2001) desweite Anerken- 1990er Jahren entscheidend mit und stand für einen nung und mehrere engen Austausch von akademischer und musealer Nachahmer in einzelnen Bundesländern gefunden Geschichte. Klug und engagiert vermittelte er histo- hat. Was seinerzeit mit dem Modellgebiet Isny/Leut- rische Informationen. Als Wissenschaft ler, Museo- kirch begann, hat sich heute als nicht mehr weg zu loge, Dialogpartner und Lehrer, als Gesprächspart- denkendes Instrument einer naturschutzorientierten ner, Teamkollege und als Freund werden wir uns im- Regionalentwicklung etabliert: Derzeit gibt es bereits mer an ihn erinnern. fünf PLENUM-Projektgebiete (Schwäbische Alb, Prof. Dr. Kurt Möser / Dr. Th omas Herzig Allgäu Oberschwaben, Westlicher Bodensee, Natur- garten Kaiserstuhl und Heckengäu) auf zusammen stolzen 15,5 Prozent der Landesfl äche. Ex-Umweltminister Auch der Arten- und Biotopschutz hatte im da- Harald B. Schäfer verstorben maligen Umweltminister einen beharrlichen Mah- ner und Verfechter gefunden: Konkret in Erinnerung Der frühere baden-württembergische Umweltmi- gerufen sei – allen Widerständen zum Trotz – die nister Harald B. Schäfer (SPD) ist am 22. Januar erfolgreiche Vereitelung einer Straße mitten durch 2013 im Alter von 74 Jahren verstorben. Schäfer war einen Steinbruch im kurpfälzischen Leimen zum 20 Jahre lang für den Wahlkreis Off enburg Abge- Schutze der dort vorkommenden großen Fleder- ordneter im Deutschen Bundestag. In Baden-Würt- mauspopulationen und ihrer Quartiere. temberg vertrat er von Juni 1992 bis Juni 1996 in Schon zu seiner Amtszeit gehörte Harald B. Schä- der Großen Koalition unter Ministerpräsident Er- fer zu den Befürwortern eines Nationalparks im win Teufel das Umweltressort, dem auch der Natur- Nordschwarzwald, dessen geplante Einrichtung sich schutz angehörte. aktuell im Koalitionspapier der grün-roten Landes- Dort setzte er nicht nur in der Umweltpolitik ei- regierung wiederfi ndet und von Gegnern wie Befür- gene Akzente – etwa mit der Gründung der Klima- wortern kontrovers diskutiert wird. schutz- und Energieagentur, der Einführung eines Als hartnäckiger Streiter für die Sache – ob bei Umweltpreises für Unternehmen sowie der erfolgrei- Bürgerinitiativen vor Ort, auf Parteitagen oder am chen Verhinderung des Baus einer Sondermüllver- Kabinettstisch – wird er vielen Zeitgenossen in Er- brennungsanlage in Kehl – sondern führte auch die innerung bleiben. Roland Heinzmann M.A.

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Verleger Rudolf Röser gestorben ebenfalls weltoff en und literaturinteressiert wie er, in Frankfurt bei einer Fluggesellschaft arbeitete und im Am Mittwoch, den Mai 1956 fuhr man gewissermaßen »im Zug in den 20.3.2013, verstarb der Hafen der Ehe«. Vielleicht ist dies der Grund, wes- Karlsruher Verleger halb Rudolf Röser sein Leben lang das Zugfahren Rudolf Röser friedlich und das Kursbuchlesen liebte! in seinem 94. Lebens- Kontakte in die Telekommunikationsbranche, da- jahr im Kreise seiner mals noch »Fernmeldewesen« genannt, ließen ihn 1965 Familie. in Karlsruhe den »Fernsprechbuchverlag Rudolf Rö- Geboren wurde er ser« gründen, der sich im Laufe der Jahre zu einem der 1920 in Bensheim an großen Telefonbuchverlage Deutschlands entwickelte. der Bergstraße; sein Zunächst hatte in der Privatwohnung und per Studium in Heidel- Hand begonnen, was heute im Röser-Haus mit mo- berg (Kunstgeschichte derner Technologie bearbeitet wird: Unmengen von und Architektur) musste er wegen des Krieges ab- Adressen und Telefonnummern werden so aufb erei- brechen. Er wurde zum Funker ausgebildet und war tet, dass sie als Informationsquelle allen zur Verfü- als Übersetzer in Frankreich eingesetzt, wo er eine gung stehen, auch damals bereits unter der Marke tiefe Liebe zu diesem Land und seinen Menschen Das Örtliche in Städten wie Karlsruhe und Bens- entwickelte. In diesen Jahren führte er immer eine heim/Heppenheim. Später kamen die Marken Das Gedichtsammlung von Rainer Maria Rilke bei sich, Telefonbuch, z. B. in Darmstadt und Saarbrücken einem Dichter, der ihn stark berührte, da dieser auch und die Gelben Seiten in Cottbus und Frankfurt a. d. die Fragen von Leben und Tod behandelte. Nicht nur, Oder dazu. Röser war stolz darauf, dass sich in den dass die Angst vor dem Tod im »Kessel von Falaise« Büchern des Verlages sozusagen ein lebendiges und ein ständiger Begleiter war – auch nach seiner Ver- umfassendes Mosaik der jeweiligen Orte abbildete haft ung wegen Vaterlandsverrat sah er sich in der To- und er reiste oft persönlich dorthin, von Bexbach deszelle wieder, und – kaum daraus befreit – wurde im Saarland oder Bad Ems in der Pfalz bis hin nach er schwer verwundet. Brandenburg. Die Schrecken und Gräuel dieser Zeit haben ihn, Aufgeschlossen widmete er sich auch immer der der tief in den christlichen Werten verwurzelt war, Anpassung des Unternehmens an neue Techniken: zutiefst geprägt, und so trug er sich auch mit dem intern verlief die Entwicklung von Schere und Papier Gedanken, Priester zu werden: in der Zeit seiner eng- über Lochkarten und Service-EDV zur eigenen IT- lischen Gefangenschaft in Colchester nahm er an ei- Verarbeitung, extern wurde beispielsweise in den 80er nem Studienkolleg für angehende Priester teil. Mit Jahren bereits eine bundesweite »Online-Version« den Kommilitonen aus diesem Studienkolleg pfl egte der Produkte über BTX erstellt. Neue Geschäft sfelder er noch bis zuletzt rege Kontakte. wie die Beteiligung an einem Karlsruhe Radiosen- Zurück in Deutschland war er dann in den ersten der (heute die Neue Welle) und eine Sonntagszeitung Berufsjahren als freier Journalist beim Darmstädter (Boulevard Baden) folgten. Mit »minifaktum«, einem Echo beschäft igt und engagierte sich in seiner Frei- Buch über die Entstehung von Briefmarken oder den zeit intensiv für den Wiederaufb au und die Versöh- mit Doris Lott herausgegebenen Band »Vom Glück in nung: Er bewunderte Adenauer und De Gaulle für Karlsruhe zu leben« belebte er das kulturelle Leben ihre mutigen Schritte gegen eine Weiterführung der der Stadt Karlsruhe. Sogar die Entwicklung des jüngs- »Erbfeindschaft « und trat in die CDU ein, ebenso in ten »Unternehmenskindes«, der SingLiesel GmbH, den Bund Neudeutschland, der es sich zur Aufgabe hat er nicht nur inspiriert, sondern wohlwollend be- gemacht hatte, den Geist von Freiheit und Demokra- gleitet. Bei all diesen Aktivitäten fühlte er sich auch tie zu unterstützen. seinen Mitarbeitern immer eng verbunden. Auf seinen täglichen Zugfahrten von Heppenheim Der wachsende Geschäft sumfang machte einige nach Darmstadt lernte er eine junge Frau kennen, die, Umzüge erforderlich, bis sich mit dem Einzug ins

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neue Bürohaus am Mendelssohnplatz, dessen Pla- Marquard Herrgott wurde am 9. Oktober 1694 nung Rudolf Röser noch maßgeblich mitgestaltet hat, in Freiburg geboren Der Taufname war Franciscus alle Firmen der Röser-Gruppe unter einem Dach fi n- Jacobus. Seine Eltern sind Johann Jakob Herrgott, den: Rudolf Röser AG, Röser MEDIA GmbH & Co »Bürger und zünft iger Wundarzt in Freiburg«, ge- KG, Röser Verlag International GmbH & Co KG, bürtig aus Gebweiler (Elsass), und Maria Elisabeth, Röser Presse GmbH, Verlag Röser & Partner GmbH. geborene Brenzinger aus Freiburg. Nicht nur das rege Familienleben – zwischen 1957 Marquard Herrgott studierte nach seiner Schulzeit und 1968 waren vier Kinder geboren worden – ver- in seiner Heimatstadt und dann noch in Straßburg. ankerte den Verleger aus Südhessen fest in der badi- Dort übernahm er bei einer Kaufmannsfamilie die schen Metropole, auch im vielfältigen Vereins- und Stelle eines Hauslehrers für zwei Kinder. Mit den ihm Kulturleben der Stadt engagierte sich Rudolf Rö- anvertrauten Schülern verbrachte er zwei Jahre in Pa- ser – sowohl mit Rat und Tat als auch materiell, und ris. Nach seiner Rückkehr in die Heimat entschloss letzteres oft mals so geräuschlos wie unbürokratisch. er sich, auf eine weltliche Laufb ahn zu verzichten Zeit seines Lebens lag ihm die Aussöhnung und Völ- und sich einer Klostergemeinschaft anzuschließen. kerverständigung sehr am Herzen, so engagierte er Ein Cousin von ihm, Johann Georg Schächtelin, war sich in der deutsch-französischen Gesellschaft , in schon einige Jahre im Kloster St. Blasien und so lag der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammen- es nahe, dorthin zu gehen. Schächtelin war der Sohn arbeit oder in der Gemeinschaft für studentischen der ältesten Schwester seiner Mutter und war vier- Austausch mit Mittel- und Osteuropa. zehn Jahre älter als er. Herrgott wurde im November Sein christlicher kritischer Glaube, Reisen nach 1715 in die Schwarzwälder Mönchsgemeinschaft auf- Spanien oder in die Arena di Verona, die Lyrik von genommen und erhielt den Namen Marquard. Die Rilke sowie Tagesschau und FAZ bildeten Eckpfei- Priesterweihe war 1718. Der damalige Abt des Klos- ler seines Alltags. Gutbürgerliche oder mediterrane ters, Augustinus Fink aus Wolfach, schickte den jun- Küche in familiärer oder kollegialer Gesellschaft wa- gen Mönch zur weiteren Ausbildung zu den Benedik- ren ihm Entspannung und Genuss und nicht selten tinern nach St. Germain in Paris. Es ist anzunehmen, verschönte er den ein oder anderen festlichen Anlass dass Pater Herrgott schon bei seinem ersten Aufent- mit humorigen Gedichten der eigenen Art. Freunde, halt in der französischen Hauptstadt Kontakt hatte Kollegen, Bekannte und Mitarbeiter schätzten gerade mit den Mönchen dort. In dem französischen Kloster seinen feinsinnigen Humor. ließ er sich zum Geschichtsforscher ausbilden. Dies Das Tagesgeschäft liegt seit 1996 in den Händen prägte sein weiteres Leben. 1726 erschien eine von seiner vier Kinder, ein Schritt, den Rudolf Röser ihm verfasste Schrift mit dem Titel »Über die ältere sorgfältig geplant hatte und dessen Umsetzung er als Regel des Benediktinerordens«. Im Jahre 1727 wählte Aufsichtsratsvorsitzender der Rudolf Röser AG noch der Konvent von St. Blasien den Cousin von Mar- einige Jahre dicht begleitete. (Boulevard Baden) quard Herrgott zum Abt und er führte nunmehr den Namen Franz II. Schächtelin. Als Marquard Herrgott in den Schwarzwald zurückkehrte, wurde ihm dort Benediktinerpater Marquard das Amt des Hofk aplans, dann das des Bibliothekars Herrgott starb vor 251 Jahren und schließlich des Großkellers übertragen. Seit vielen Jahren, ja Jahrhunderten, gab es Span- Als Wissenschaft ler, aber auch als Diplomat am kai- nungen zwischen dem Kloster St. Blasien und den Bau- serlichen Hof in Wien, ging Marquard Herrgott in ern des Hotzenwaldes. Erbitterte Kämpfe gab es bereits die Geschichte der einstigen Schwarzwälder Bene- im Jahre 1524. In einem Aufsatz heißt es »Die Bewoh- diktinerabtei St. Blasien ein. Kaum ein Mitglied die- ner des Hotzenlandes, dieser eigenartigen, abgeschlos- ser Klostergemeinschaft , das noch bis in die heutige senen Landschaft zwischen den Tälern der Wehra und Zeit hinein geachtet und geschätzt wird, es gibt aber der Alb, hingen von jeher mit rührender Liebe und auch Menschen, besonders im Hotzenwald, die sich Treue an ihrer Heimatscholle. Mit bewunderswür- sehr kritisch mit ihm auseinandersetzen. diger Zähigkeit, mit echtem Hotzentrotz haben sie

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immer wieder ihre Rechte und Freiheiten verteidigt, hörde zur anderen geschickt wurden. Der Vertreter durch keine Enttäuschungen und Misserfolgen ließen des Klosters wollte, dass der kaiserliche Hof sich um sie sich beirren und gar viele mussten ihr Leben lassen eine friedliche Lösung in dem Konfl ikt zwischen oder in Gefängnissen fern der Heimat schmachten«. dem Benediktinerstift und den Bauern des Hotzen- Als der neu gewählte Abt zur Huldigung in die waldes bemühe. Es wurden zwei Bevollmächtige Hauensteiner Gemeinde reiste, wurde er sehr »we- des Kaisers in den Schwarzwald geschickt, um hier nig ehrerbietig« empfangen und die Huldigung ver- vor Ort die Angelegenheiten zu klären. Als diese in weigert. Die Bauern bestanden darauf, dass das Wort Waldshut eintrafen, wurden sie von den Bauern des »leibeigen« in der Huldigungsurkunde gestrichen Hotzenwaldes nicht gerade freundlich begrüßt, und werde. Vier Hotzenwälder Bauern haben sich aufge- die Bauern waren auch nicht bereit zu einem klären- macht, um in Wien beim Kaiser Karl VI. ihr Anlie- den Gespräch. Es kam zu einem Aufstand. Die Ver- gen vorzutragen. Ihr Anführer war der Salpetersieder treter des kaiserlichen Hofes forderten gar militäri- Johann Fridolin Albiez aus Buch, bekannt als der Sal- sche Unterstützung. Das Verhalten der Waldbauern peterhans. Den Männern wurde eine Audienz beim enttäuschte die Regierung, man sprach von der »ohn- höchsten Herrn des Reiches gewährt. Eingehend soll erhörten hatneckig- und halsstarrigkeit«, von dem sich der Kaiser die Beschwerden der Bauern angehört »ohngehorsamb und ohnanständigkeit der wüthen- haben. Er soll dann noch gesagt haben »dieses seien den bauern«. Es kam dann gar zu schweren Ausein- geschwatzige Bauern und haben das Maul am rech- andersetzungen zwischen den kaiserlichen Truppen ten Ort«. Es ist nirgendwo festgehalten, wie lange die und den Bewohnern des Hotzenwaldes. Männer unterwegs waren, um vom Hotzenwald in Pater Marquard Herrgott hat diese über Jahre an- die österreichische Hauptstadt zu gelangen, wo sie dauernde Konfl ikte – natürlich aus seiner Sicht – in genächtigt und wovon sie sich auf dieser langen Tour einem Tagebuch aufgezeichnet. In dem 1932 erschie- ernährt haben. nenen Beitrag von Max Neustädter ist aufgezeichnet: Der Kaiser und seine Mitarbeiter versprachen den »Die Salpeterer sind schließlich in ihrem ungestü- Männern vom Wald, dass sie ihre Anliegen prüfen men, verzweifelten Kampf gegen St. Blasien und ge- und kaiserliche Vertreter in den Schwarzwald schi- gen Österreich unterlegen, aber dass diese Männer, cken werden. In dieser für das Kloster bedenklichen diese armen Kleinbauern von den Schwarzwaldhän- Lage sandte der Abt einen Vertreter des Benedikti- gen, mit solcher Unerschrockenheit und Überzeu- nerstift s und der Breisgauer Stände an den Wiener gungstreue vor Th ron und Richterstuhl standen, mit Hof. Es war dies Pater Marquard Herrgott. Am 1. solcher Kühnheit und solch eigensinnigem Trotz für März 1728 verließ er »in großem Schnee und Eis« ihre alten Freiheiten und Rechte, für ihr Land und sein Heimatkloster. Nach neun Tagen ist er in Wien Volkstum und für ihre wirtschaft liche Besserstel- eingetroff en. In seinem Tagebuch notierte er »eine je- lung gestritten und gelitten haben, das verdient heute den, so gern auch solcher immer reysen thäte, von der noch Achtung und Bewunderung«. Wiener reys zu dieser zeit bei so schlimmen straßen Zwanzig Jahre war Marquard Herrgott als Dip- erschrecken und abhalten könne«. lomat in der Kaiserstadt. Neben seiner vielen Ver- Zunächst hatte es der damals 33-jährige Benedik- pfl ichtungen fand er noch Zeit zu wissenschaft lichen tiner nicht leicht in der Kaiserstadt. Die Vertreter der Studien. Er schrieb ein Werk über die Stammesge- kaiserlichen Stellen waren gegen St. Blasien einge- schichte und die historischen Denkmäler des habs- nommen. Er sah »nichts wie wunderliche Gesichter burgisch-österreichischen Hauses. 1738 erschien der und schlechte hilfeerbiethung«, so schreibt er, »wenn erste Teil. Kaiser Karl würdigte das Werk und über- ich daran denke, gehet mir ein stich in das hertz, reichte dem Autor eine Medaille. Im weiteren wurde grauset und schauert mir in meinem gemueth«. er zum Kaiserlichen Rat und Historiographen er- Marquard Herrgott wurde von einer Behörde zur nannt. Zehn Jahre danach kam es zu Unstimmigkei- anderen verwiesen. In seinem Tagebuch wird oft ten zwischen dem Benediktiner aus dem Schwarz- das Wort »antichambriert« angeführt, es wurde zu wald und dem kaiserlichen Hof. Kaiserin Maria Th e- jener Zeit verwendet, wenn die Leute von einer Be- resia verlangte die Rückberufung des Diplomaten.

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Der gerade ein Jahr zuvor gewählte Fürstabt Cöles- Herrgott ließ eine Baumschule einrichten, hier wur- tin, Vogler von Wolfach, ernannte Marquard Herr- den vorzüglich Maulbeerbäume angepfl anzt. Auch gott zum Statthalter der sanktblasianischen Herr- ein Rebgrundstück gehörte zu der neuen Anlage. Es schaft Staufen und Kirchhofen und übergab ihm als wird berichtet, dass hier die ersten Rotweinreben der Wirkungsstätte das dem Kloster gehörende Schloss Region angepfl anzt wurden. Zu der landwirtschaft - der Propstei Krozingen. Marquard Herrgott war nun lichen Anlage gehörte auch eine Bienenzucht. Mar- Schlossherr. quard Herrgott hatte Verbindungen zu vielen Wis- Bereits im 14. Jahrhundert hat das Kloster St. senschaft lern, und sein Haus wurde zu einem Treff - Blasien einige Grundstücke im südlichen Breisgau punkt vieler Gelehrter, »Krozingen wurde zu einem erworben und ließ diese Güter von einem eigenen geistigen Mittelpunkt des Breisgaus«. Große Unter- Amt, dem »offi cium Brisgawensis«, verwalten. 1383 stützung fand er bei seinem Mitbruder Pater Ruste- kam dieser Verwaltungssitz nach Krozingen. Diese nus Heer, dieser wohnte zeitweise in Krozingen und Propstei war anfangs mit einem geistlichen und half ihm hauptsächlich bei seinen wissenschaft lichen einem weltlichen Vorsteher besetzt. St. Blasien Arbeiten. In Vertretung von Fürstabt Meinrad von St. konnte bis zum 18. Jahrhundert seinen Besitz dort Blasien hatte Herrgott den Vorsitz des breisgauischen erweitern. 1578 wurde auf Veranlassung von Abt Prälatenkollegiums. Am 16. Oktober 1762 starb Mar- Caspar II. der gesamte Propsteibezirk neu gestaltet. quard Herrgott im Alter von 68 Jahren. Seine letzte Als Marquard Herrgott das Schloss Krozingen bezog, Ruhestätte fand er in der kleinen Kapelle neben dem kam es zu weiteren umfangreichen Baumaßnahmen. Schloss. Der Nachfolger wurde sein Freund Ruste- »Durch die Umbauten Marquard Herrgotts wurde nus Heer. die Propstei entscheidend verändert« so heißt es in einer Chronik. Literatur: Schon kurze Zeit nach seinem Amtsantritt beauf- Ludwig Schmieder: St. Blasien, 1929. Heidegger / Ott: tragte er den Vorarlberger van der Lew zur Überprü- St. Blasien. Festschrift aus Anlass des 200-jährigen Be- fung der Bausubstanz und beauft rage dann Johann stehens der Kloster- und Pfarrkirche St. Blasien (darin: Caspar Bagnato mit der Planung eines Umbaus. Die- Franz Hiiger: Die Gelehrten des Klosters St. Blasien) sen Umbau bewerkstelligte er im Geschmack des Ro- 1983. Rudolf Morath: Peter Mayer – Kupferstecher und koko. Die Staff elgiebel wurden abgebrochen und das Maler, 1983. Josef Bader: Das ehemalige Kloster Sanct Dach neu gestaltet. Die Wände im Innern des Ge- Blasien auf dem Schwarzwalde und seine Gelehrten- bäudes ließ der Bauherr mit wertvollem Stuck aus- Academie, 1874. Max Neustädter: Der erste Salpete- schmücken. Die Deckenmalereien sind Werke von rerkrieg von 1728 bis 1732 im Lichte des Tagebuchs Johann Morath aus Grafenhausen. Nicht nur an dem von Pater Marquard Herrgott, (Hochrhein und Hot- Gebäude auch bei den großen Gartenanlagen kam zenwald, 1932). Franz Hilger: Martin Gerbert, Fürst es zu umfangreichen Umbaumaßnahmen. Marquard und Abt von St. Blasien, 1992. Franz Hilger

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Liebe Mitglieder der Badischen Heimat, liebe Autorinnen und Autoren,

gegen Ende des letzten Jahres haben der Landesver- gleichzeitig die gewahrte Kontinuität im Wechsel – ein Badische Heimat und der Rombach Verlag Frei- bereits sichtbar geworden. Vorausblickend auf das burg sich in einer Reihe sehr produktiver Gesprä- dritte Heft der Vierteljahresschrift freut es uns ganz che darauf verständigt, die zukünft igen Publikatio- besonders, die Ausgabe zum Th emenschwerpunkt nen des Landesvereins gemeinsam bestreiten zu »Freiburg« als Freiburger Verlag veröff entlichen zu wollen. Aus verlegerischer Sicht ist dieser Umstand können. nichts weniger als ein Glücksfall, blickt die Badische Der Rombach Verlag in Freiburg – bis heute ei- Heimat doch auf eine lange Tradition bedeutsamer genständig und nunmehr schon in dritter Genera- Publikationen zurück. Dieser Tradition verpfl ich- tion im Besitz der Familie Hodeige-Rombach – blickt tet möchten wir als neuer Verlagspartner des Ver- auf eine über 70-jährige Tradition zurück. Anfangs eins alles daran setzen, die an vielerlei Stelle deutlich primär auf den Bereich Regionalia ausgerichtet, hat werdende und hoch bewertete Kontinuität, die den sich das Haus im Laufe seiner Geschichte mehr und Landesverein ganz off ensichtlich auszeichnet, auch mehr zu einem der renommiertesten Adressen für im Zuge der neuen Kooperation redlich zu pfl egen geisteswissenschaft liche Fachliteratur entwickelt. und zu wahren. Daß die regionale Literatur ihre Bedeutung dabei Insbesondere im Hinblick auf die hier in neuer nie verloren hat, versteht sich angesichts der loka- Ausgabe vorliegende Vierteljahresschrift »Badische len Verwurzelung von selbst: Regionale Bildbände, Heimat« wird der hohe Stellenwert von Kontinuität, Wanderführer, Geschichtsbände und Weiteres mehr dem sich die Verantwortlichen seit jeher verbunden bilden nach wie vor ein festes Standbein des Pro- fühlen, ganz konkret deutlich. Als Publikations- gramms. Die geplanten Publikationen des Landes- organ seit Jahrzehnten etabliert, wird die Redak- vereins, ihre thematische Ausrichtung und der hohe tion seit nunmehr über 30 Jahren von Herrn Hein- Anspruch an inhaltliche Qualität und bibliophile rich Hauß unter großem Aufwand geleitet. Dies Ausstattung, passen nahezu perfekt in das etablierte ist in unserer doch so schnelllebigen Zeit gar nicht Programm des Rombach Verlages. hoch genug zu würdigen. Entsprechend freuen wir Wir hoff en, dass die mit der neuen Kooperation uns, mit der Schrift enreihe und der Vierteljahres- verbundenen Hoff nungen und Wünsche allseitige schrift des Landesvereins eine wirkliche Bereiche- Erfüllung fi nden – die Bedingungen für die Mög- rung unsers Verlagsprogramms gewonnen zu ha- lichkeit sind nahezu zum Besten bestellt. ben. Mit dem fünft en Band der Schrift enreihe unter dem Titel »Wegmarken badischer Geschichte« sind Dr. Torang Sinaga die ersten Früchte der neuen Zusammenarbeit – und Verlagsleiter

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390_Sinaga_Aus dem Verlag.indd 390 04.06.2013 22:59:01 Geschäftsstelle – Vorsitzender des Landesvereins

Heinrich Hauß: drei Jahrzehnten ist Heinrich Hauß mit Abstand der 30 Jahre Redaktionsleitung dienstälteste Chefredakteur der Badischen Heimat. für die Badische Heimat Mit dem heutigen Tag zeichnet er für über 120 Heft e verantwortlich. In diesem Jahr begeht Man kann mit Fug und Recht sagen, dass keine unser Chefredakteur Persönlichkeit – vielleicht von der »Vaterfi gur« Her- ein denkwürdiges Ju- mann Eris Busse abgesehen – eine so nachhaltige öf- biläum: Für seine per- fentliche Wirkung und inhaltliche Ausrichtung be- sönliche Vita sehr wirkt hat. Mein Vorgänger, der frühere Vorsitzende wichtig, aber auch für Adolf Schmid, mit dem sich Heinrich Hauß ebenfalls den gesamten Landes- glänzend verstand, charakterisierte ihn zu seinem verein Badische Hei- 70. Geburtstag so: »Er hat die Rolle des Moderators, mat natürlich ein be- des Sachwalters, des Treuhänders, ist Vermittler, sonderer Anlass, um auch Wortführer Kraft seiner Ideen und Worte, der auf dieses Lebenswerk sich im Dienst kultureller Verständigung auch treff - für das Schrift gut unseres Landesvereins mit großem lich streiten kann« (BH 2/2004, S. 327). Beifall und Dankbarkeit einzugehen. Fünf Jahre später hatte ich die Freude, als neuer Der im Jahre 1934 in Karlsruhe geborene Heinrich Landesvorsitzender zu einem besonderen Essen zu Hauß ist im Zentrum Badens aufgewachsen. Schon Ehren seines 75. Geburtstages in Freiburg einzuladen, sein Vater war bei uns in der Badischen Heimat Mit- wo der Vorstand den Jubilar »hochleben« ließ. Der glied. Der 1982 als Nachfolger des bisherigen Lan- langjährige Weggefährte und stellvertretende Lan- desvorsitzenden Dr. Franz Laubenberger neu ge- desvorsitzende, Dr. Volker Kronemayer, würdigte wählte Vorsitzende Ludwig Vögely war auf Heinrich ihn im Heft 4/2009, S. 734 und stellte heraus, dass Hauß zugegangen, um eine geeignete Nachfolge für der Landesverein mit ihm einen »Homme de Lettre« den bisherigen Schrift leiter Ernst Bozenhardt zu fi n- in seinen Reihen habe, der viele Gattungen der Lite- den, der seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Grün- ratur beherrscht und dessen persönliche Neigung die den niederlegen musste. So begann ab Jahresbeginn Philosophie ist. Und schließlich hat in unserem Jubi- 1983 eine neue Ära der Badische Heimat mit dem läumsjahr 2009 in unserer Chronik Angelika Ott die Gespann Vögely/Hauß. Verdienste Heinrich Hauß als Chefredakteur treff end In Heft 1/1983 stellte Heinrich Hauß unter dem und prägnant gekennzeichnet (S. 497 f.). Titel »Chnöpfl i und Schnitz« sein Redaktions- So war es wirklich hoch verdient, dass Hein- programm vor. Insbesondere verwies er darauf, dass rich Hauß für sein Jahrzehnte langes Wirken 2010 bestimmte Strukturelemente in den Heft en verstärkt die Landesmedaille für Verdienste um die Heimat oder neu eingeführt werden, etwa eine Serie mit Tex- Baden-Württemberg erhalten hat. Am 10. Septem- ten zum Th ema Heimat. Auch die Einführung eines ber 2010 hat der Laudator dessen Redaktionsarbeit Editorials am Anfang eines jeden Heft es ist auf seine folgendermaßen charakterisiert: »Seit 1982 ist er eh- Initiative zurückzuführen. Sowohl die inhaltliche renamtlicher Chefredakteur der vierteljährlich er- als auch die technische Weiterentwicklung, etwa die scheinenden Zeitschrift ›Badische Heimat‹. In die- Einführung von farbigem Bildmaterial, hat dazu ge- sen 28 Jahren sind mittlerweile 112 Heft e mit über führt, dass unsere Zeitschrift in all den Jahren sei- 2000 Aufsätzen und Beiträgen erscheinen, die er ner Redaktionsleitung einen hohen Ruf und allge- akquirierte und redigierte. Heinrich Hauß besitzt ein meine Wertschätzung bewahren, ja sogar steigern enormes Wissen. Manche bezeichnen ihn als ›Vor- konnte. Natürlich haben dazu viele engagierte und denker‹, weil er nicht nur eine Autorenschaft inspi- kundige Autoren beigetragen, aber der führende rierte und organisieren kann, sondern weil er bestens Kopf und Organisator, der Vordenker und schöpfe- darüber Bescheid weiß, was man heute als ›Badische rischer Geist unserer Zeitschrift ist in diesen letzten Identität‹ bezeichnet. Fern jeder falschen Romantik drei Jahrzehnten Heinrich Hauß gewesen. Mit diesen und eingebettet in das Bundesland Baden-Württem-

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berg hat er zu diesem Th ema Grundlegendes gesagt. sind das derzeit weitgehend alleinige Verdienst von Oft genug nimmt er mit geschliff ener Feder eines Heinrich Hauß (hier könnten wir mehr Helfer und ›Homme de Lettre‹ Stellung beleuchtet aktuelle Ent- Mitwirkende gebrauchen). Ab 2008 ist begonnen wicklungen und löst damit Reaktionen und Diskus- worden »Institutionen und Vereine in Baden« vor- sionen aus. Nicht zuletzt durch sein Wirken ist die zustellen, auch Plattform über deren Aktivitäten zu Zeitschrift Badische Heimat kein Museum antiqua- bieten. Die Gefährdung Badens als einer zumindest rischer Genügsamkeit, sondern eine Publikation, die kulturell eigenständigen Größe macht es notwendig, strittige Probleme in der Vergangenheit und Gegen- alle diejenigen, die an der »Marke« Baden interessiert wart aufgreift und einen farbigen Sektor eines kul- sind, unter der Zeitschrift Badische Heimat zu ver- turellen badischen Panoramas darstellt. Heinrich sammeln. Auf der gemeinsamen Wunschliste steht, Hauß hat sich um die Badische Heimat in hohem aktuelle Th emen des Natur-, Umwelt- und Denk- Maße verdient gemacht«. malschutzes im Zusammenwirken mit Fachgruppen Die Entwicklung unserer Zeitschrift hat des Landesvereins noch stärker als bisher zu beset- Heinrich Hauß anlässlich des 85. Jahrgangs zen und damit das Profi l der Badischen Heimat zu selbst eingehend beschrieben und als »An- schärfen. lass zur Sichtung« genommen (BH Heft 1/2005, Überhaupt teile ich entschieden die Position von S. 98–112). Ich möchte mit voller Überzeugung ei- Heinrich Hauß, zu einer stärkeren Ausgewogen- nige Gesichtspunkte nachdrücklich unterstützen. heit zwischen Geschichte und Aktualität zu gelan- So ist es richtig, dass zu einem festen Bestandteil gen. Dies bedeutet, dass wir zu gegenwärtigen, ge- der Zeitschrift die Th emenheft e badischer Städte ge- rade auch in kontroversen badischen Fragen zeitnah hören, die Herman Eris Busse in den 20er Jahren Stellung nehmen oder zukünft ige Probleme frühzei- eingeführt hat. Als Beispiele im letzten Jahrzehnt tig aufgreifen. Ein wichtiges Anliegen von Heinrich verweise ich auf die Th emenheft e Lörrach, Bruchsal, Hauß ist es, auch die Badische Heimat in ihrem kul- Mannheim, Baden-Baden, Off enburg – alle große Er- turellen Zusammenhang aufzuzeigen. Insbesondere folge und heute sehr gesucht. Und ich kündige gerne auch Neubürgern mit Migrationshintergrund muss unser nächstes Th emenheft Freiburg für den Herbst ein moderner Heimatbegriff den Zugang zu einer dieses Jahres an. regionalen kulturellen Identität – auch über Aktivi- Feste Bestandteile sind auch die mit Sorgfalt und täten der Badischen Heimat – angeboten werden. Sachkompetenz erstellten Th emenheft e anlässlich Ich fasse zusammen: Heinrich Hauß ist ein be- von Gedenktagen badischer Persönlichkeiten wie sonderer Glücksfall für unsere Badische Heimat. Ich das Heft zum 250. Todestag von J. P. Hebel (2/2010) wünsche ihm persönlich und für den ganzen Lan- und zum 200. Todestag von Großherzog Karl Fried- desverein, dass er noch viele Jahre Erfüllung und rich (2/2011) wie aber auch zu geschichtlichen An- Befriedigung in seinem ehrenamtlichen Engage- lässen wie etwa »Revolution 1848/49 in Baden« (Heft ment für die Badische Heimat fi ndet: Möge dieses 3/1997) oder jüngst »900 Jahre Baden« (Heft 2/2012). Engagement für ihn, auch gesundheitlich, ständige Die Sparte »Aktuelle Informationen« wurde von Frischzellentherapie sein. Wir als Badische Heimat der Redaktion im Heft 3/2003 eingeführt und wurde und besonders auch ich als Landesvorsitzender wün- in der Folge laufend von anfangs wenigen Seiten auf schen – nicht ganz uneigennützig – uns sehr, dass er bis zu zehn Seiten erweitert. Die Badische Heimat ist sich noch viele Jahre mit ungebrochener Schaff ens- wohl derzeit die einzige Publikation, die Nachrichten kraft für die hohe Qualität unserer Zeitschrift – dem aus dem Teilland Baden sammelt. Ziel ist es, mit den Flaggschiff und publizistischen Aushängeschild – Nachrichten ein Bewusstsein für einen badischen einbringen wird. Gesamtzusammenhang herzustellen. Die »Buchbe- sprechungen«, für mich von großer Bedeutung und Dr. Sven von Ungern-Sternberg mit mühevoller organisatorischer Arbeit verbunden, Landesvorsitzender

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391_Sternberg_Heinrich Hauß 30 Jahre.indd 392 04.06.2013 23:04:56 In eigener Sache

Mit dem Beginn des 93. Jahrgangs unserer Zeitschrift ten, das bedeutet, dass wir von den Autoren erwarten, wechselte der Landesverein vom G. Braun Buchver- dass sie sich streng an die Autorenrichtlinien halten, lag in Karlsruhe zum Rombach Verlag in Freiburg. die untenstehend abgedruckt sind. Die Redaktion nimmt die Gelegenheit wahr, den Was die Inhalte der Zeitschrift anbetrifft , so stre- Damen, die außer der Lektorin gelegentlich an der ben wir eine gewisse Straff ung an. Der Rhythmus Gestaltung der Publikation mitgearbeitet haben, auf einer vierteljährlichen Zeitschrift ist auch von den diesem Weg zu danken. Wie danken Frau Andrea Kosten her nur sinnvoll, wenn sie verstärkt aktuelle Faucheux, Frau Natascha Matussek, Frau Annett Rü- Ereignisse berücksichtigt wie Veranstaltungen, Aus- cker und Frau Stefanie Wielan. Die Zusammenarbeit stellungen, Jubiläen, Stellungnahmen zu regional- mit Frau Faucheux geht zurück bis auf das Jahr 2005, politischen Problemen, regionalen Entwicklungen. das Jahr der Erstellung des »Badischen Kalendari- Diese Th emen sind für uns um so verpfl ichtender, ums«. wenn sie regionalen und historischen Ursprungs sind. Der Rückblick auf eine fast ein Jahrhundert dau- Einer Formulierung der OB von Bruchsal, Cornelia ernde Zusammenarbeit mit dem Verlag G. Braun Petzold-Schick, folgend, könnte man diese Form von – besonders in der Zeit des Verlegers Dr. Eberhard Kulturarbeit auch »die inhaltliche Ausgestaltung Knittel (1899–1989) – ist uns Anlass, auf das zwei- historischer Jahrestage« nennen. Für diese Th emen hundertjährige Jubiläum des Verlages hinzuweisen. wünschen wir uns verstärkt realitätswache Autoren. Am 7.10.1813 erhielt Gottlieb Braun (1783–1835) die Die erste Seite eines im Heft gedruckten Aufsatzes Genehmigung zur Eröff nung einer Sortimentsbuch- umfasst 2600 Zeichen, die normale Seite 3200 Zei- handlung in Karlsruhe und am 11.10.1813 verlegte chen. Wir bitten die Autoren, darauf zu achten, dass er seine Sortiments- und Verlagshandlung dorthin. die Aufsätze im Durchschnitt nur zwischen 19 000 Es ist anzunehmen, dass der Verlagswechsel auch und 26 000 Zeichen inkl. Leerzeichen einschließlich zu willkommenen Veränderungen im Layout und in lllustrationen umfassen sollen. der Anlage der Heft e führt. Sicher ist, dass unsere Satzfertige Texte bitten wir nur nach vorheri- Publikation sich auf die sich schnell verändernden ger Absprache mit der Redaktion an die E-Mail- Bedingungen »regionaler Identität« einstellen muss, Adresse heft [email protected] zu sen- die Th omas Küster in Heft 1/2013 präzise und auf- den. Gleichzeitig erbitten wir einen Papierausdruck schlussreich analysiert hat (Seite 239 f.). Die Badi- an die Redaktion. sche Heimat wird sich deshalb in einem der nächs- Vorschau: Heft 3/2013 ist als ein Th emenheft »Frei- ten Heft e mit der aktuellen Innen- und Außenan- burg und die Regio« geplant. Heft 4/2013 widmet sicht »Badens in Baden-Württemberg« beschäft igen. sich allgemeinen Th emen. Als Heft 1/2014 planen Redaktion und Lektorat sind aus Zeit- und Kosten- wir eine erweiterte Neuaufl age des »Badischen Ka- gründen gezwungen, in Zukunft eff ektiver zu arbei- lendariums«.

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393_In eigener Sache+Autorenrichtlinien.indd 393 04.06.2013 23:06:16 Autorenrichtlinien für Beiträge in der Zeitschrift »Badische Heimat«

Textmanuskript  Bitte reichen Sie Ihren Text im gängigen Dateiformat ein (MS Word‐Dokument, *.doc)  Zeichenzahl (inkl. Leerzeichen, ohne Bilder) pro volle Seite: ca. 3.200 Zeichen  Zeichenzahl 1. Seite inkl. Überschrift : ca. 2.500 Zeichen  Bitte fügen Sie sinnfällige Zwischenüberschrift en ein  Fußnoten als Endnoten mit der Fußnotenfunktion erzeugen, nicht durch Nummern im Text  Bitte fügen Sie am Ende Ihres Manuskripts die Adresse ein, die veröff entlicht werden soll

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Abstract  Bitte verfassen Sie zusätzlich zum eigentlichen Beitrag ein sogenanntes kurzes Abstract (= Kurzzusammenfassung des Beitrags), Umfang: mind. 500 max. 900 Zeichen. – Stand: April 2013 –

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393_In eigener Sache+Autorenrichtlinien.indd 394 04.06.2013 23:06:16 0 800/46 22 22 6 www.bbbank.de Voraussetzung: Gehalts-/Bezügekonto; Genossenschaftsanteil von 15,– Euro/Mitglied

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der Schiff fahrt, der Fischerei und nicht zuletzt dem BILDBÄNDE Weinbau, aber vor allem dem Betrieb von Mühlen, fast 30 an der Zahl, die die früheren Handmühlen Malisius, Günther: Die ersetzten und die Kraft des Wassers nutzten, um die Pfinz. Einst Lebensader, schweren rotierenden Steine zu bewegen, besonders jetzt Naherholung und dort, wo Menschen siedelten und Ackerbau betrie- immer wieder korrigiert. ben. Heute dagegen haben Flößerei und der Mühlen- – Ubstadt-Weiher: Ver- betrieb ihre Bedeutung verloren, und der Fluss dient lag Regionalkultur 2011, nicht mehr so sehr als Wirtschaft sfaktor als mehr zur 199 S. (Beiträge zur Ge- Naherholung, dem Wohnen am Wasser, dem Fischen schichte Durlachs und und Angeln, dem Wandern zu Fuß und mit dem Rad des Pfinzgaus, Bd 5). und der »Schiff fahrt« für den Paddler. Mit Anregun- ISBN 978-3-89735-681- gen zur naturnahen Nutzung durch die beiden letz- 8, € 13,90 ten Gruppen endet das Buch mit Tourenvorschlägen für diese. Es ist wohl relativ selten, dass eine umfängliche Dar- So wird auf 200 Seiten dem Laien, dem Natur- stellung eines kleinen Flüsschens von gerade mal freund die Pfi nz in ihrer Geschichte und Naturkunde 60 km Länge einer allgemeinen Öff entlichkeit prä- vor Augen geführt und ihr Wandel von der Lebens- sentiert wird. Entsprungen in 385 m Höhe zwischen ader zum Naherholungsgebiet aufgezeigt; vielleicht Langensteinbach und Ittersbach, wo genau, weiß wird auch dem Wasserfachmann einiges geboten. man nicht, und endend, genauso schwer defi nier- Ein lesenswertes Buch, das sicher Eingang in die bar, nach fast 300 m Höhenunterschied, auf 94 m Buchsammlung mancher Anwohner fi nden wird Höhe bei Rußheim im Altrhein. Die Orte der Quelle und ebenso in den örtlichen Bibliotheken zu stehen und Mündung hat man als Badener einigermaßen kommt. Rolf Fuhlrott im Kopf, wie der Verlauf dagegen erfolgt, hätte man gerne auf einer übersichtlichen Karte gesehen, die unverständlicherweise fehlt, zumal es das einzige Werk zu sein scheint, das den gesamten Lauf der Huth, Silvia: Wie der Pfi nz behandelt, wenn man auf die über 50 angege- Schwarzwald erfun- benen Literaturstellen schaut. den wurde. – Das Nach einer Deutung der Herkunft des Namens, Buch zur SWR-Doku- folgt die Nennung der anliegenden Orte von der reihe Schwarzwald- Quelle bis zur Mündung mit einigen Hinweisen auf geschichten. – Tü- diese, meist unterschiedlicher Qualität und Umfangs, bingen: Silberburg- für Graben-Neudorf sind es 2 Seiten, für Durlach ge- Verlag 2012, 207 S., rade mal 2 Zeilen!. In der Darstellung der Geografi e ISBN 978-3-8425- des Flusslaufs kommt es dann zur teilweise karten- 1193-4, € 19,90 mäßiger Darstellung einzelner Einzugsgebiete mit ihren Zufl üssen. Sehr gut ist die historische Darstel- Da in jüngster Zeit die Urlaubstage, die Deutsche lung der Pfi nz im Wandel der Zeiten, von der Eis- an Ferienorten verbringen, immer weniger werden, zeit bis in die jüngste Zeit, da zahlreiche Neubauten lohnt sich eine Flugreise, trotz Billigangeboten, in entlang des Flusses diesem ein neues Gesicht geben, ferne Welten für nur wenige Tage nicht mehr. Man mit den erforderlichen Korrekturen, den Eingriff en zieht daher für einen Kurzurlaub wieder deutsche des Menschen meist aus wirtschaft lichen Gründen. Regionen stärker in Betracht. An erster Stelle steht Denn neben der Wasserversorgung für Menschen, dabei der Schwarzwald, für den die Tourismusbran- Tiere und Pfl anzen, diente der Fluss der Flößerei und che entweder die alten Mythen aufpoliert oder neue

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erfi ndet. Wir alle kennen die bestehenden Klischees del« taten ein Übriges, nachdem zuvor die National- vom Bollenhut, den Kuckucksuhren, der Kirsch- sozialisten den Heimatbegriff zynisch als volks- torte oder des Schwarzwälder Schinkens. Wie es tümliche Fassade ihrer Blut- und Boden-Ideologie dazu kam, dieser Frage will die SWR-Fernsehserie übernommen haben. »Schwarzwaldgeschichten« nachgehen, aus der die- Dem so entstandenen Mythos »Schwarzwald« will ses Lese- und Bilderbuch entstand. die Dokumentationsreihe »Schwarzwaldgeschich- Bis vor 200 Jahren war der Schwarzwald eine arme ten« des SWR nachgehen und sie mit der Wirklich- Region, deren Bewohner sich mühsam, nachdem sie keit vergleichen. Waldgebiete gerodet hatten, durch Ackerbau und Aus dieser Dokumentation hat die Journalistin Viehzucht nährten. Ihre Häuser bauten und verklei- und Schwarzwaldexpertin Silvia Huth, die mit dem deten sie mit dem geschlagenen Holz, aus dem sie Bildautor Peter Sandbiller etliche Bildbände dieser auch in privaten Schnefl erbetrieben ihr Handwerk- Region erstellt hat, nun ein les- und anschaubares zeug und Gebrauchsgegenstände fertigten. Da bald Buch zusammengestellt. jeder Hof eine solche Schnefl erei betrieb, entstand So zeigt sie gleich am Anfang wie die Film-Ope- eine Überproduktion, die man durch eigens gegrün- rette »Schwarzwaldmädel« auf die Schwarzwaldge- dete Genossenschaft en zu verkaufen suchte. Dazu schichten des heute fast vergessenen Bestsellerautors wurden diese Gegenstände durch Träger, Ochsen- Berthold Auerbach zurückzuführen ist, aber auch karren und Pferdefuhrwerke zu Tal gefördert und als Mutter der späteren Heimatfi lme gilt. Ferner wie auf Märkten angeboten. Später kam eine gewisse es dem Landschaft smaler Hans Th oma gelang, seine künstlerische Bearbeitung des Holzes hinzu, und Karlsruher Studienkollegen und später Lehrerkolle- man fertigte Uhrengehäuse, baute Geigen und noch gen in sein Bernauer Hochtal zur Motivsuche zu lo- später auch Skier. Dadurch entstand eine Gegenbe- cken und dadurch ganze Generationen von Malern wegung vom Tal zum Berg, die verstärkt durch den an diesen Ort zu ziehen, dass man fast von einem Bau der Eisenbahnen einsetzte. Vor allem Künstler Künstlerdorf sprechen kann, wie sie dann in Gutach kamen in die Abgeschiedenheit der Berge und lie- mit der Gutacher Malerkolonie Wirklichkeit wurde, ßen sich auf den Höhen des Schwarzwaldes nieder von wo aus der Bollenhut seinen Siegeszug antrat. Es und zeichneten ein romantisches Bild der Landschaft wird weiter geschildert wie bereits im 12. Jahrhun- und ihrer Bewohner in Texten und Versen als Dichter dert die großen Klöster als Vorboten der Zivilisation oder als Maler auf die Leinwand. Dies lockte immer in den Schwarzwald vorgedrungen sind und später mehr Besucher auf die Höhen, die glaubten, dort un- ihre prachtvollen Bauten über die ganze Region ver- verfälschte Natur anzutreff en und diese genießen zu teilten, besonders dort wo Bodenschätze zu fi nden können. Auch wollten sie die Menschen dort oben, waren, wodurch der Silberbergbau entstand und mit ihr Leben und ihre Bräuche kennen lernen, ihre Er- der Glaserzeugung die Glasbläserei. Das Leben der zeugnisse kaufen, von den Malern wie Dischler oder Menschen wird am Beispiel der »Leute vom Stein- Hauptmann u. a. deren Bilder, von den Dichtern wie bachhof«, der vor 900 Jahren bereits in der Nähe von Auerbach die Schwarzwaldgeschichten, weiter kauf- St. Märgen gegründet wurde, gezeigt und der unter ten sie Kuckucksuhren und genossen in den entste- Bewahrung der Tradition heute im Computerzeital- henden Hotels die Kirschtorte und den Schwarzwäl- ter noch besteht. Mit ihm beginnt auch die fünft ei- der Schinken. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam lige Dokumentationsreihe des Fernsehens. Mehrere der Skisport in den Schwarzwald, der den Tourismus Kapitel nehmen dann das Leben dieser Menschen weiter in Schwung brachte. So entstanden allmählich ein, die einen, die sich als Bauern durchschlagen, die Klischees, die zum »Mythos Schwarzwald« wur- die anderen die sich als Taglöhner verdingen müs- den, und der sich die Werbung und die Tourismus- sen, die meisten aber, die sich durch Heimarbeit ein branche annahmen und weiterentwickelten, um sie Zubrot verdienen, hauptsächlich durch die holzver- in Reise- und Wanderführer sowie Prospekte ein- arbeitende Schnefl erei, aber auch durch das Nähen fl ießen zu lassen. Filme, wie das »Schwarzwaldmä- der Trachten und besonders der Bollenhüte. Das alles

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weckte den Unternehmergeist, ihre als Heimwerker Es ist ein Buch, das alle angeht, die Menschen, die oder Kleingewerbler erzeugten Waren im Tal zu ver- im und vom Schwarzwald leben oder diesen besu- kaufen, durch die bekannt gewordenen Träger, die chen, wie auch die Heimatforscher und / oder Natur- auf ihren Heimwegen die erste Holzuhr, hinter Glas schützer. Rolf Fuhlrott gemalten Heiligenbildchen aus Böhmen mitbrachten, aus Bayern Geigen, aus Italien Strohgefl echte. So entstanden allmählich Verkaufsgenossenschaf- ten und Handelsdynastien, die aber alle ihre Wur- BIOGRAPHIEN zeln in der Heimarbeit der Höfe haben, selbst als diese in richtige Handwerks- oder Gewerbebetriebe Susanne Asoronye (Hrsg.): auswuchsen, wie z. B. bei der Familie Ernst Köpfer, Feldpost eines Badischen die ihre serienmäßige Skiproduktion zunächst in Leib-Grenadiers 1914–1917. der Hinterstube ihres Wohnhauses in Bernau fer- Erschienen im Selbstverlag, tigte. Mancherorts entstand durch weitere Zunahme zu beziehen über eine richtige Schwarzwaldindustrie. Aus den Hand- www.feldpostbuch.de, webstühlen entwickelte sich die Textilindustrie, nach € 34,80 den ersten Holzuhren, die in Furtwangen gebaut wurden, entstand später die Uhrenindustrie mit Na- men wie Junghans oder Kienzle, und nicht zuletzt die Phonoindustrie. Durch die Industrieansiedlung, Es hat ein wenig gedauert, doch jetzt liegt es endlich dafür notwendiger Straßenbau, Müllentsorgung vor mir, das mit Spannung erwartete Buch mit dem über Deponien und die Flüsse, erfolgte ein starker Titel »Feldpost eines Badischen Leib-Grenadiers, Landschaft sverbrauch, ja sogar eine Zerstörung der- 1914–1917«. selben und damit auch eine solche der Idyllen, die Mit einem Karton, den Susanne Asoronye einst nach dem 2. Weltkrieg mit den Mythen belegt wur- von ihrer Großmutter bekam, fi ng off enbar alles an. den. Dagegen wehrten sich die Menschen, so dass in 25 Jahre danach entschloss sie sich, eigenen Anga- jüngster Zeit eine andere Bedeutung des Begriff s Hei- ben zufolge, den Inhalt dieses Kartons einer breiteren mat in den Vordergrund rückte. Heimatforscher und Öff entlichkeit in Buchform zu präsentieren. Was ihr Heimatvereine nahmen diese Veränderung auf wie ausnehmend gut gelungen ist. auch der große Landesverein Badische Heimat, des- Das Buch handelt im wesentlichen von Briefen, sen Einzugsgebiet der größte Teil des Schwarzwal- Karten, Dokumenten und einem kleinen Tagebuch des darstellt. So schreibt er auf seine Fahnen einer- des Großonkels der Autorin, des Grenadiers Her- seits die Pfl ege der Erinnerungskultur der badischen mann Friedrich Föller. Dieser wurde im Alter von Geschichte, andererseits die Aktualität des heimat- 20 Jahren im Herbst 1914 zum 1. Badischen Leib- lichen Lebensraumes, d. h. Natur- und Landschaft s- Grenadier-Regiment Nr. 109 in Karlsruhe eingezo- schutz, Denkmalpfl ege, Regional- und Landesge- gen und erlag im Alter von knapp 23 Jahren seiner schichte sowie Volks- und Heimatkunde. in Frankreich durch eigene Waff en erlittenen und Und damit gelangt die Autorin, ihr Buch sowie zunächst nicht so schlimm erscheinenden Verwun- die Fernseh-Dokumentation zu einem neuen Hei- dung. Es war nicht nur das tragische Ereignis, das die matgefühl, dessen Credo die Erhaltung und Pfl ege Autorin bewegte, sondern vor allem auch die Art und der Landschaft und ihrer Kultur ist – nicht nur, aber Weise, wie sich Hermann Föller trotz seines jugendli- auch des Schwarzwaldes. Symbolisiert wird dies chen Alters in seinen Feldpostbriefen und Feldpost- durch eine veränderte überdimensionale 18 m hohe karten gegenüber seinen Angehörigen gab. Der Le- Kuckucksuhr des Off enburger Pop-Art-Künstler Ste- ser erfährt, dass er nicht mit Begeisterung, wie an- fan Strumbel, als Eingang zur Ausstellung »Baden! fangs noch üblich, zu den Fahnen eilte, sondern eher 900 Jahre« im Karlsruher Schloss. pfl ichtbewusst der Einberufung nachkam.

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Das bei Beginn des 1. Weltkriegs mehr als 3000 in Karlsruhe. Ein Urlaub des Grenadiers Föller in Mann starke 1. Badische Regiment kämpft e unter seinem Heimatort Königsbach wird zum Anlass ge- anderem fast neun Monate mit großen Verlusten nommen, den Ort in seinem Ortsbild vor nahezu 100 auf der so genannten Lorettohöhe in der Nähe von Jahre vorzustellen. Dabei ist alles mit historischen Lens, nahm an Schlachten an der Somme und in der Bildern und Fotos anschaulich dargestellt. Der Groß- Champagne teil, kämpft e auf der Vauxkreuzhöhe onkel der Autorin schreibt – scheinbar zur Schonung vor Verdun und auf dem Kanonenberg. Es hatte ge- der Angehörigen – oft verhalten über Kampfh andlun- gen Ende des Krieges 2250 Gefallene (und geschätzt gen, dann wieder mit viel Humor und Wortwitz, an etwa 5000 Verwundete und Vermisste, der Verf.) und anderer Stelle ironisch oder sarkastisch. Über seine wurde immer wieder mit »Ersatz« aufgefüllt. Auch Grundausbildung verfasst er in seinem Tagebüchlein Hermann Föller war ein solcher »Ersatz«. Die Au- sogar ein Th eaterstück. Im Buch fehlt es auch nicht torin beschreibt detailliert und mit allerlei Hinter- an der Vorstellung des Königsbacher Kriegshilfsver- grundinformationen diese Ereignisse. Selbst der mi- eins oder Frauenvereins, welche damals sogen. »Lie- litärisch unkundige Leser wird dadurch sukzessiv besgaben« an die Front schickten und auch zu Hause sachkundig gemacht, verständig für den Inhalt des in der Heimat eine wichtige Funktion erfüllten. Die Geschriebenen, erfährt die Zusammenhänge, die Bedeutung der Truppenfahne wird einer eingehen- sich ohne Hintergrundwissen nicht oder nicht ohne den Betrachtung unterzogen und man erfährt auch weiteres erschlössen. Das ganze ist auch schön fürs die Geschichte um die Aufstellung des Grenadier- Auge gemacht, ermüdet nicht beim Lesen, macht es denkmals 1925 in Karlsruhe. beinahe unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen, All das wird aufgelockert im Buch beschrieben, bevor man nicht alles gelesen und bestaunt hat. So natürlich auch das Feldpostwesen mit seiner Orga- sind die in Sütterlin geschriebenen Briefe oder Kar- nisation und die Schwierigkeiten, die es zu bewälti- ten oft mals mit abgedruckt und im Anschluss »über- gen hatte. Die Autorin beschreibt den Gaskrieg und setzt«. Abkürzungen und Begriff e sind erläutert, die der Leser erfährt vom Kampf gegen Ratten, Mäuse ohne den geschichtlichen Kontext nicht zu ermitteln und Läuse. Auch der Frontalltag im Stellungskrieg gewesen wären. Schließlich war während des Krie- in den Gräben, die durch Witterung, Enge und Waf- ges vieles geheim, Orte und militärische Bezeichnun- fenwirkung und immerwährender Notwendigkeit gen durft en nicht ausgeschrieben werden, denn die im Schanzen entstanden, kommt nicht zu kurz. Die Briefe hätten dem Feind in die Hand fallen können. Brotversorgung und Verpfl egung der Truppen wird Das Buch besticht durch farbige Bilder über Ausrüs- anschaulich dargestellt sowie auch das Eiserne Kreuz, tung und Bewaff nung der Grenadiere der damaligen das der Grenadier Föller für seinen Dienst als Essen- Zeit und Fotos und Postkarten von den Einsatzorten träger unter ständigem Beschuss im Schlamm der des Leib-Grenadier-Regimentes und seiner Soldaten. Schlachtfelder und für lebensgefährliche Patrouillen Die Autorin hat die abgedruckten Briefe in den während der Schlacht an der Somme erhielt. Kontext der einzelnen Ereignisse gebettet, die Situa- Und immer wieder sind Hermann Föllers Briefe tion in der Heimat ausführlich beschrieben, Schlach- abgedruckt, ein Hauptleitfaden im Buch, um den ten erläutert, Fundstellen angegeben und immer sich alles an notwendigen Informationen rankt, die wieder elementare Erläuterungen zwischen den ein- ein plastisches Bild der Ereignisse, aber auch vom zelnen Schrift stücken eingefügt, ohne die man die Denken eines Menschen in der Hölle des Material- Briefe oft nicht verständig lesen könnte. Damit hat krieges vermitteln. Briefe, in denen er seine Sorge Sie erkennbar viel Basisarbeit geleistet und diese Ar- um die Eltern zum Ausdruck bringt und denen er, beit nach Einschätzung des Verfassers in bravourö- sichtlich verharmlosend, schlimme Kriegserleb- ser Art und Weise für sich selbst und für den Leser nisse mitteilt. So schreibt er im April 1915 dass die gemacht. »Franzmänner« auf die Bedeutung des Osterfestes Es fehlt demnach nicht an einer Vorstellung des keine Rücksicht nähmen, gleichwohl die Hauptsache Leib-Grenadier-Regimentes 109 und seiner Kaserne sei, dass ihre blödsinnige Schießerei nicht viel Wert

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habe und es ihm sonst gut gehe. Er bittet um Dinge, tigt und fadengeheft et. Die zusätzliche Hochglanz- die es an der Front nicht oder nicht mehr gab, sodass folienbeschichtung des festen Einbands zeugt auch sich aus diesen Schrift stücken auch bedingt die Ver- hier – neben dem professionellen Coverdesign – von schlechterung der Lebenssituation der Soldaten mit der hochwertigen Fertigung. fortschreitendem Krieg ersehen lässt. Da wird nicht Es gibt viele Bücher von Kriegsteilnehmern, die nur immer wieder Geld erbeten, es werden auch So- detailliert nicht nur objektive Kriegsverläufe, son- cken, Unterwäsche, Seife und vor allem Nahrungs- dern auch subjektive Erlebnisse aller Art schildern; mittel angefordert, die die Soldaten sonst kaum noch Jünger, Ettighoff er, von Brandis, Blöhm, Weckerling bekommen konnten oder die schlicht unerschwing- u. v. a. m., eher Lebensläufen im Krieg gleichkom- lich geworden waren. Hermann Föller wird so letzt- mend, es gibt auch schon sehr früh veröff entlichte endlich mit »Gsälz«, »Apfelkiechle«, »Schnitzbrot«, »Kriegsbriefe gefallener Studenten«, die Motivation »Kotlett« oder »Rieweleskuche« vom heimatlichen und Erlebnisse junger Menschen hauptsächlich der Königsbach aus versorgt. gehobenen Mittelschicht in der damaligen Zeit an Der Leser erfährt von einer Woche oder mehr im der Front schildern. Das vorliegende Buch füllt nach Graben, in der die Wäsche nicht gewechselt werden Auff assung des Verfassers eine Lücke in all dem, weil konnte, von den Beschwernissen, die Kampf und es die Sorgen und Nöte eines jungen Soldaten des Bereitschaft nach sich zogen. Er liest von Schlamm, einfachen Bürgertums an der Front wieder sichtbar Beschuss, von Verwundung oder Tod von Freun- macht. Weil es ein Leben aus einem Karton heraus- den, vom Treff en mit Nachbarn aus Königsbach an hebt, dem Vergessen entreißt, wenigstens diesen jun- der Front, welche gleichfalls eingezogen waren und gen Grenadier, dieses Schicksal nicht im Dunkel der Dienst taten. Man liest die Hoff nung von zweitem Zeit belässt. Urlaub 1917, von Ernteurlaub, von der Unabkömm- Frau Asoronye hat viel Arbeit leisten müssen, um lichstellung auf Antrag seines Arbeitgebers, für den dieses nicht nur für die Region bedeutsame Werk zu sich die Familie bei der Firma Tronser einsetzte und schaff en. Rund 360 Briefe waren aus dem Sütterlin, dem dann doch nicht oder nicht rechtzeitig entspro- einer seltenen Schrift art, die nur knapp 35 Jahre in chen wurde. Die Enttäuschung darüber erfährt der Deutschland geschrieben wurde, in unsere heutige Leser genauso wie immer wieder von der Hoff nung Schrift zu übertragen. Alle militärischen Begriff e wa- auf Heimkehr, Frieden und Familienleben mit sei- ren neu für sie. Was ist ein Bataillon, ein Regiment, ner Braut Kätchen. Diktion und Schrift bild lassen was eine Brigade oder eine Division? Die Schlach- auf einen intelligenten Menschen schließen, der der ten und Gefechte des 1. Weltkriegs sowie die Regi- Notwendigkeit, aber nicht einem Kadavergehorsam mentsgeschichte der badischen 109er im Speziellen folgte. Einem jungen Mann, der für seine Kameraden waren in Erfahrung zu bringen, ohne die die Zeilen einstand wie sie für ihn und nur einmal in den mehr von Hermann Föller kaum oder gar nicht verstanden als zweieinhalb Jahren Fronturlaub bekam, der für werden konnten. Sie hat sich der Mühe unterzogen, seine gefahrvolle Tätigkeit ausgezeichnet wurde und die Kriegsteilnehmer aus dem Heimatort zu recher- sich darüber freute. Alles endet dann mit Verwun- chieren, sodass es ihr gelungen ist, mehrere hundert dung, der Todesnachricht von Lazarett, Feldwebel Königsbacher Soldaten im Buch, viele mit Bild und und Kompaniechef und Briefen diverser Behörden. Kurzvita, vorzustellen. Nicht nur die Aufmachung und Gestaltung der Das Buch ist klar strukturiert, dabei abwechs- einzelnen Seiten zeigt, dass die Autorin Grafi k-De- lungsreich und mehr als reichlich bebildert. Der ge- signerin ist, auch die drucktechnische Herstellung neigte Leser wird sachkundig durch die Texte von des Buches im Format DIN A5 ist vom Feinsten. Die Hermann geleitet, es bleiben am Ende keine Fragen fast 400 Seiten sind auf seidenmattem Papier ge- off en – außer die üblichen philosophischen nach druckt und der durchgängig aufgebrachte Druck- dem Sinn des Krieges und dem Sinn des Lebens. Und lack sorgt für eine Versiegelung des Druckes und – die »Feldpost eines Badischen Leib-Grenadiers« eine gute Haptik. Das Buch ist mit Hardcover gefer- weckt Emotionen und berührt. Vom Aufl achen bei

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besonders humorvollen Wortspielen bis zur miter- Durms und seiner Tätigkeit als Architekt, Hoch- lebten Trauer der Angehörigen. schullehrer und Baugeschichtler in einer verständ- Nach Meinung des Verfassers ist Frau Susanne lichen Sprache zusätzlich mit einem Glossar für den Asoronye mit ihrem Buch – auch unter militärge- Laien und einem kleinen ausgewählten Quellenver- schichtlichen Gesichtspunkten – ein weit über die zeichnis mit 16 Literaturstellen von und über Durm Region hinaus bedeutsames Werk gelungen, welches und seine Werke. Ein Anmerkungsteil von über 100 zudem von besonderer kulturhistorischer Bedeut- Zitaten bietet auch dem Fachmann zusätzliche Ein- samkeit ist. Interessant geschrieben, reichlich be- sichten. Das Buch besticht ferner durch über 50 aus- bildert und mit einer Fülle von Informationen, das gezeichnete, oft mals ganzseitiger Abbildungen von dem Pfl ichtbewusstsein entsprungene Denken und Durms Bauten, leider allerdings ohne Grundrisse – Handeln eines Soldaten der damaligen Zeit in Krieg bis auf einen, den des Karlsruher Friedhofs. und Materialschlacht vermittelt. Auch das »Haus- Nun ist diesem Repräsentanten des wohlhaben- regiment« des ehemaligen Großherzogtums Baden den Bürgertums in der Zeit einer aufb lühenden wird wieder, seiner militärischen Bedeutung entspre- Wirtschaft und immer barocker werdenden Lebens chend, in Erinnerung gebracht, genau wie die ande- mit seinen historischen Stilen ein eigenes Buch ge- ren badischen Regimenter an der Westfront, zum widmet, sogar in einer neuen Reihe des Stadtarchivs Beispiel die Kaisergrenadiere vom Infanterieregi- »Karlsruher Köpfe«. Warum es so lange gedauert ment 110 aus Mannheim oder die 40er Füsiliere, die hat und warum es einer neuen Schrift enreihe be- mit den »109ern« an den Kämpfen und Schlachten darf, bleibt unerklärt. Initiierte man doch schon vor beteiligt waren. 30 Jahren mit der Reihe »Karlsruher Beiträge« eine Das Buch hat einfach gefehlt. Gut, dass die Auto- ähnliche Serie in der im Band 1/1981 neben anderen rin den Karton nicht wie so viele vor ihr im Laufe der Karlsruher Architekten auch Josef Durm schon ge- Zeit weggegeben oder weggeworfen hat. Schön, dass würdigt wurde. es dieses Buch jetzt als Ergänzung der Kriegs- und Letzterer gilt als Bindeglied zwischen der Wein- Heimatgeschichte gibt. Herbert Werner Th eisen brenner-Schule und den modernen Architekten nach 1900. Zwar sprengte er oft mals den vorgegebenen historischen Rahmen des Weinbrenner-Klassizismus mit seinen Monumentalbauten, so dass die Kritik im Förster, Katja: Josef Laufe seines Wirkens immer stärker wurde. Diese Durm. – Karlsruhe: galt sowohl seiner Amtsführung als Baudirektor, der Info Verlag 2012, 80 seit 1887 für ganz Baden zuständig war, als auch sei- S. (Karlsruher Köpfe. ner Architekturauff assung in der Lehre als Profes- Schriftenreihe des sor an der Polytechnischen Schule. Aber davon er- Stadtarchivs Karls- fährt der Leser nur am Rande etwas, obwohl das For- ruhe, Bd. 1), ISBN menprogramm seiner Renaissance-Architektur wie 978-3-88190-703-3, auch der aus Frankreich einfl ießende Neo-Barock € 12,80 nach der Jahrhundertwende nicht mehr gefragt wa- ren. Aber das Buch zeigt die ungeheuere Schaff ens- Es ist eigentlich erstaunlich, dass es für den letzten kraft dieses Architekten. Es beginnt mit der Kind- großen Architekten des Historismus in Baden außer heit des 1837 in Karlsruhe Geborenen, über die we- der umfangreichen Dissertation von Ulrike Gramm- nig bekannt ist und daher auch wenig berichtet wird, bitter keine Buchpublikation gibt, die auch für den fährt fort über die Schulausbildung und schließlich Nicht-Fachmann Zugang zur Person und dem rei- zum Abschluss am Gymnasium Illustre, was zum chen Werk dieses unermüdlichen Baumeisters er- Studium an der jungst errichteten Polytechnischen möglicht. Dies geschieht nun endlich mit dem von Schule führte. Nach Abschluss des Architekturstudi- Katja Förster vorgelegten Buch über den Werdegang ums folgt eine zweijährige Italienreise, danach erste

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Bauentwürfe in Mainz und nach weiteren zwei Jah- die Größe dieser Persönlichkeit aufzeigt. Es wird ren Rückkehr nach Karlsruhe, wo er in den Öff ent- sicher alle die interessieren, die sich mit der Bauge- lichen Dienst eintrat. Daneben avancierte er zum schichte Karlsruhes befassen. Rolf Fuhlrott Lehrer an der Polytechnischen Schule, wurde trotz unterschiedlicher Ansichten über Architekturtheo- rie zum Professor ernannt und konnte durch Aus- schlagen von Rufen nach Darmstadt, München und Hopfenduft und Butterbrezel. Berlin bessere Bedingungen für sich und seine mit 40 Karlsruher Kinder erzählen. Jahren gegründete Familie aushandeln. Herausgegeben von Doris Sein Bekanntheitsgrad wuchs mit seinen öff entli- Lott. – Karlsruhe: Info Verlag chen Bauten auch, von denen es allein in Karlsruhe 2012, 246 S., gebunden, Lin- einst 29 waren, die z. T. monumentale Ausmaße hat- demanns Bibliothek, Bd. 174. ten. Alle diese Bauten werden in chronologischer ISBN 978-3-88190-702-6, Reihenfolge geschildert, angefangen mit den Wohn- € 14,80 und Geschäft shäusern bis hin zu den öff entlichen Gebäuden, die schließlich zur Auseinandersetzung mit dem Hof führten, ausführlicher beschrieben die in Karlsruhe, weniger ausführlich die in ande- Bücher von Doris Lott sind meist mit Liebe und Herz ren Städten Badens, angefangen ganz im Süden bei für ihre Heimatstadt Karlsruhe geschrieben, weshalb Scheff els Wohnhaus in Radolfzell, weiter über die sie auch gerne von vielen Karlsruhern gelesen wer- evangelischen Kirchen in Schopfh eim und Baden- den. Jedoch der Run auf dieses jüngste Buch war un- weiler, der katholischen Kirche St. Johann in Frei- erwartet und außergewöhnlich. Schon der Andrang burg bis zur Universitätsbibliothek in Heidelberg, bei der öff entlichen Präsentation sprengte den Rah- also die über ganz Baden reichen, aber wie gesagt, men des feinen Antiquariats A & S Bücherland in leider ohne Grundrisse, die die Funktionalität hät- der Karlsruher Oststadt. An die 200 Zuhörer waren ten deutlich machen können. Eingegangen wird wei- gekommen, um großenteils stehend die Leseproben terhin auf seine Lehrtätigkeit als Professor, seine Be- einiger prominenter »Karlsruher Kinder« zu hören. teiligung an der Herausgabe des 30-bändigen Hand- Ebenso unerwartet war für den Verlag der Kauf- buchs der Architektur wie als Autor darin und seiner rausch in der Vorweihnachtszeit, dass die 1. Aufl age eigenen bauhistorischen Publikationen zur italieni- schon bald vergriff en zu sein scheint. schen Renaissance. Woran mag das liegen? Am Titel, der zwar ge- Alles in allem, ein kurzgefasstes Buch, das aber nussträchtig ist, aber nichts aussagt, kann es wahr- an Hand der vielen dargestellten Bauten die un- lich nicht liegen. Auch der Untertitel, wie auch die geheure Schaff enskraft Durms zeigt, aber auch Coverabbildung mit ihrer Kinderaussage, wohl wie seine starke Persönlichkeit in Widerstreit mit auch nicht. Aber es hat sich schnell herumgespro- Kollegen und dem Hof geriet, weshalb er trotzdem chen, dass hinter den Kindheitsgeschichten promi- vom Großherzog den Orden zum Zähringer Löwen nente Persönlichkeiten stehen, die Geschichten aus erhielt. Außerdem ist es erstaunlich, dass er dann ihrem Leben erzählen. Das Ganze, zusammenge- noch Zeit hatte, große gesellschaft liche Kontakte fügt von Doris Lott als Herausgeberin, macht neu- mit vielen Größen seiner Zeit wie Feuerbach, Stein- gierig. häuser, Kanoldt oder Victor von Scheff el im Fami- In alphabetischer Reihenfolge treten die Erzähler lienkreis und Garten seiner Dienstwohnung in der auf, angefangen von dem SWR-Moderator Markus von Weinbrenner erbauten Staatlichen Münze zu Brock, weiter über die ehemalige Regierungspräsi- pfl egen. dentin Gerlinde Hämmerle, dem früheren Oberbür- Also ein Buch, dass trotz seiner Kurzfassung das germeister Gerhard Seiler, dem gerade verhinderten Werden und Wirken eines großen Architekten und OB Ingo Wellenreuther bis hin zum 31., dem Präsi-

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denten der Handwerkskammer und Installateur Jo- Buchdeckel erfährt, dass es sich hier um die erste achim Wohlfeil. umfassende Biografi e dieses Stadtgründers handelt, Sie alle erzählen kleine Geschichten aus ihrer fragt man sich, warum erst fast 300 Jahre nach sei- Kindheit, z. B. wie sie auf den Vater warteten, bis er nem Tod dieser bedeutende Fürst eine solche Würdi- aus dem Krieg heimkam, der andere, wie er schwim- gung erfahren soll, und weiter, wann ist eine Biogra- men lernte und später im Räppele genannten Freibad fi e eine Biografi e, gar eine umfassende, wenn es doch seine Frau kennen lernte, wieder ein anderer wie er schon früher Lebensbeschreibungen und Lebensbil- schon als Kind KSC-Fan wurde oder sie, die schon der dieses Fürsten gab, so dass er weiten Kreisen in in frühem Kindesalter von der Muse geküsst wurde. seinem Erscheinungsbild bekannt zu sein scheint. Damit durch diese Kindheitserinnerungen aber Das ist sicher auch in der reichen Legendenbildung nicht die Prominenz verloren geht, ist ein ausführli- um seine Person begründet. ches Autorenverzeichnis angefügt, aus dem man er- Man darf daher gespannt sein, ob der Autor die fährt wer, was, wie geworden ist. Wahrheit fi nden kann, da er glaubt, als Erster umfas- Aber warum dieses starke Interesse? Zum einen send biografi sch tätig zu sein, oder weiter zu den Le- zieht der Name Doris Lott, obwohl sie das meiste gar genden beiträgt. Dem ersten Anschein nach scheint nicht selbst geschrieben hat. Dann der Blick durch er auf dem richtigen, historisch wissenschaft lichen ein Schlüsselloch, um zu erfahren, dass die Kind- Weg zu sein, wenn man das über 300 Nachweise um- heitserlebnisse der Prominenten meist nicht viel an- fassende Literaturverzeichnis ansieht und weiter die ders sind als die eigenen und der Prominente so zum über 900 Anmerkungen enthaltenden Fußnoten, was Bürger wie du und ich wird. Schön wäre es gewesen, einem manchmal etwas übertrieben vorkommt, alle wenn die Herausgeberin ein Fazit gezogen hätte aus Aussagen unbedingt belegen zu wollen, um diesem den Kindheitserinnerungen, nach dem Motto: »So Vorwurf der Legendenbildung vielleicht zu entgehen. war es damals in Karlsruhe«. Aber dabei fällt auf, dass im Literaturverzeichnis ge- Das Buch befriedigt vorwiegend die Neugierde, rade jener Nachweis fehlt, der Anderes belegt1 oder drum mag es kaufen wer Lust daran hat. Einen Bei- Zitiertes nicht zur Kenntnis genommen wird2! Des trag zur Geschichte der Stadt Karlsruhe vor ihrem weiteren sind die Titel vieler Kapitel so allgemein 300. Geburtstag liefern diese Geschichten kaum, al- oder populär gefasst, dass man wiederum an die lenfalls zu den prominenten Erzählern. Der Rezen- erste Absicht nicht so zu glauben vermag, da es heißt: sent hält es eher für ein Beispiel, wie man so etwas im »Offi zier mit Leib und Seele«, »Alles tanzt nach sei- privaten Bereich einer Großfamilie machen kann und ner Pfeife«, »Orientalische Paradiesherrlichkeit« oder weniger im öff entlichen. Aber der Erfolg gibt Verlag »Hochzeiten am Fließband«! diese deuten doch eher und Herausgeberin wohl recht! Rolf Fuhlrott auf Legenden hin, für das breite Publikum geschrie- ben. Aber wir werden sehen, wie es der Autor hält? Er beginnt sehr sachlich und realitätsnah mit der Merkle Hans: Carl Wilhelm Schilderung der Kindheit in Durlach und der Flucht – Markgraf von Baden-Dur- nach Basel infolge der Kriegszeit mit den Franzosen. lach und Gründer der Stadt Die dortige Ausbildung durch Privatlehrer zeigt den Karlsruhe (1679–1738). Eine Erbprinzen äußerst talentiert und sprachbegabt. Da- Biografie – Heidelberg u. a.: nach folgt ein Studium in Utrecht, wo er gleich auch Verlag Regionalkultur 2012, freiheitlichere Seiten kennenlernt. Den Abschluss 239 S. ISBN 978-3-89735- seiner Ausbildung vollendet er unter künstlerischen 722-8, € 19,90 Gesichtspunkten in Italien, sowie durch Reisen nach England und Schweden, die weitere Grundlagen für seinen späteren Charakter legen. Auch entdeckt er Wenn man sich ausnahmsweise diesem Buch von der seine Vorliebe zum Militär, so dass er, wie der Autor Rückseite nähert und vom Verlag auf dem hinteren es nennt, mit Leib und Seele Einsätze als Offi zier an

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verschiedenen Kriegsfronten wahrnimmt, was ihn in den Rheinniederungen des Hardtwaldes nach ei- auch gewollt aus der Einfl usssphäre des Vaters brachte. nem Jagdausfl ug träumt? Das darauf gespannte breite Bei allen diesen Schilderungen kommt erstaun- Publikum wird enttäuscht. Der Autor bleibt sich treu licherweise die Gründung der eigenen Familie in und meint kurz: »man darf sie getrost beiseite legen« der Darstellung zu kurz. Fast übersieht man es, dass auch diese Legende! im Kapitel »Doppelhochzeit« im gleichen Jahr 1697 Nach Meinung des Autors plante Carl Wilhelm seine und die Vermählung seiner Schwester stattfi n- ganz bewusst, aufgrund seiner persönlichen und po- den. Es ist dabei viel die Rede von Verträgen und wel- litischen Verhältnisse in Durlach seine neue Residenz, che Gelder gefl ossen sind, aber wenig von Zuneigung, d. h. Wohnsitz des Fürsten im Schloss mit anliegender im Gegenteil, die gegenseitige Abneigung der Ehe- Stadt, draußen in der Rheinebene nördlich der Ver- partner ist nicht zu übersehen, so dass man sich wie- bindungsstraße zwischen Durlach und Mühlburg, ob- der auf dem Legendenweg zu befi nden scheint, nach wohl Hartleben2 das bereits 1815 anders gesehen hat der der Erbprinz seine Neigung, über die Stränge zu wie auch Valdenaire 19313 und Leiber 19901. So ließ schlagen, auslebt. Aber ein tabellarischer Anhang der Markgraf seinen Hofb aumeister von Bazendorff mit den Folgen dieser Nebenwege führt uns über- entsprechende Pläne vorlegen, so dass am 17. Juni 1715 zeugend in den Bereich der Wirklichkeit! Zunächst bereits der Grundstein zum Schlossturm gelegt wer- jedoch soll ein geharnischter Brief des Vaters dann den konnte, und schon 1718 erstmals der berühmte 1699 zur Geburt des Stammhalters geführt haben! Stadtgrundriss mit dem Fächer erschien. Allerdings So entsteht für den Autor die schwierige Gratwan- war die Finanzlage so, dass der Markgraf sich gar kei- derung zwischen Bestätigung der Legenden und Do- nen Schlossneubau leisten konnte, aber er verband das kumentation vor allem des Privatlebens. Vieles ließ Projekt günstig mit der Gründung der Stadt, in die sich durch des Autors unermüdliche Sisyphusarbeit er begüterte Bürger warb, die Grundstücke kauft en, dokumentieren, anderes dagegen bleibt im Ungewis- Häuser bauten, Arbeitsplätze schufen, Handel trieben sen oder doch ein wenig Spekulation, z. B. wenn er und schließlich Abgaben zahlten, so dass schnell ein den Fürsten wegen seiner Garten- und Blumenliebe wirtschaft liches Gemeinwesen entstand und auch der gleich als Romantiker einstuft . Schlossbau vorangetrieben wurde, so dass der Umzug Die eigentliche Bewährungsprobe als Regent der fürstlichen Verwaltung von Durlach nach Karls- kommt für Carl Wilhelm erst nach dem Tod des Va- ruhe am 16. September 1718 stattfi nden konnte. An- ters 1709, als er »von Gottes Gnaden« eigene Verant- dere Autoren sehen den Fürsten ausschließlich als wortung für eines der kleinsten Länder mit geringer Gründer einer neuen Sommerresidenz nahe seinem bäuerlicher Bevölkerung übernehmen muss. Wie Jagdrevier, in dessen Nähe Wohngebäude entstanden ihm dies gelang in engem Kontakt mit dieser Bevöl- zur Unterbringung von Gewerbetreibenden während kerung, Toleranz gegenüber Andersgläubigen übend, des Sommeraufenthaltes des Fürsten in seinem Lust- wie er es in den Niederlanden kennengelernt hatte, schloss. So entstand zunächst ungewollt eine Siedlung, den Aufb au einer leistungsfähigen Verwaltung und die in der Literatur als Orth bezeichnet wird, bis dieser nach den Kriegen die Sanierung der Staatsfi nanzen dann zur Stadt erhoben wird. Jedenfalls bedeutete der mittels wirtschaft licher Verwaltung in Griff zu be- Umzug 1718 das Ende der Regierungszeit in Durlach kommen, durch eine beispielhaft e Forstwirtschaft , wie das eines zwanzigjährigen Zusammenlebens mit Anbau von Tabak und Kartoff eln und schließlich der seiner Gemahlin Magdalena Wilhelma in der Karls- Errichtung von Manufakturen. Dies alles geschah, burg. Nun hatte der fast 40-jährige noch 20 Jahre Zeit, vorbereitet für seinen Nachfolger, der es zur Größe sein fürstliches und privates Leben neu zu gestalten. eines Großherzogtums führen konnte, mit kaum ge- Mit unermüdlicher Akribie dokumentiert der Autor glaubten territorialen Ausmaßen, ohne Legenden, aus den Archiven weiter die Paradiesherrlichkeiten, die sondern meist mit allgemein anerkannten Tatsachen. natürlichen Kinder mit Namen und Daten, den Alltag Aber wo gehört sie nun hin, die Legende vom ein- am Hof, das Leben in der Stadt, die Politik, die Kriege, geschlafenen Fürsten, der von seiner neuen Residenz die erneute Flucht nach Basel, die Schicksalsschläge, je-

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denfalls viel, viel Privates, was das Bild des Fürsten aus- Badischen Biographien Neuer Folge nun schwarz auf macht hin bis zum Schlussakkord am 18. Mai 1738, an weiß vorgestellt sind: Antreiber sind darunter und dem er seinem Nachfolger gute Voraussetzungen für Bremser, Kreative und Verwalter, Menschen voll das weitere Jahrhundert überlassen kann. Glanz und Ehre und solche, die Scham verbreiten. So ist durch Hans Merkle zwar eine umfangrei- Mitläufer und Widerständler, Denker, Querdenker che Biografi e dieses barocken Fürsten entstanden, und Quertreiber. Man kann, man muss Geschichte die nun das Bild einer Persönlichkeit zeigt, die stark in ihren Strukturen analysieren. Aber man muss Ge- ihrer Legenden entkleidet, im Licht von mehr Wahr- schichte auch stets von dem aus begreifen, was sie heit mit belegten Dokumenten gesehen werden kann, von der Evolution unterscheidet: Das Wirken des die aber weiter Fragen off en lässt und deswegen auch Menschen steht im Mittelpunkt jener »Badischen nicht umfassend sein kann! Ein Buch, das für den in- Biographien«, deren sechster und letzter Band der teressierten Laien angenehm lesenswert und für den Neuen Folge in Mannheim vorgestellt wurde. Die Historiker und Wissenschaft ler aber eine Herausfor- Reihe selbst ist bereits historisch zu nennen, gehen derung sein muss, der Frage der Stadtgründung er- ihre Ursprünge doch ins 19. Jahrhundert zurück, als neut nachzugehen, damit dann nach 300 Jahren end- Friedrich von Weech damit begann, badische Per- lich, die umfassende Biografi e erscheinen kann. sönlichkeiten mit dem Werkzeug des Historikers vorzustellen. Seither hat die Geschichtswissenschaft Anmerkungen: mehrere Wandlungen durchlaufen, denen sich auch 1 Zu einem anderen Ergebnis kommt z. B. Leiber, Gott- der aktuelle Herausgeber der Reihe, der Historiker fried: Vom Jagdsitz zur Stadtanlage. Die städtebauliche Fred Ludwig Sepaintner, im Vorwort stellt. Die Rolle Entwicklung Karlsruhes bis zum Ende des 18. Jahrhun- derts. – In: Klar und lichtvoll wie eine Regel. Planstädte der Biografi k atmete früher noch den Geist der Hof- der Neuzeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Katalog berichterstattung – nur »positive« Biographien waren einer Ausstellung vom Badischen Landesmuseum 1990, Bestandteil der älteren Bände, so Sepaintner. Heute S. 297–312. fi nden sich in den stets gleich aufgemachten Büchern 2 Auch Hartleben äußert sich so, »dass der Erbprinz als mehr und mehr »negative Bedeutungsträger« – vor Regent eine Sommer-Residenz erbauen wolle … und es allem, aber nicht nur: NS-Belastete. nicht in seinem Sinne lag, eine größere Stadt anzulegen«! Siehe S. 8 in: Hartleben, Th eodor: Statistisches Gemälde Wie segensreich die Badischen Biographien mit der Residenzstadt Karlsruhe und ihrer Umgebungen. – diesem Profi l sein können, das haben viele Histori- Karlsruhe 1815 ker und Heimatkundler schon erfahren, die bei ih- 3 Auch Valdenaire äußert sich in diese Richtung: Valde- ren Forschungen auf Namen stießen und diese zu- naire, Arthur: Das Karlsruher Schloss. Hrsg. vom Lan- nächst nicht einzuordnen wussten. Ein Blick in das desverein Badische Heimat, Bd. 39 – Karlsruhe 1931 lexikalische Werk der Badischen Biographien klärt Rolf Fuhlrott auf, ordnet ein, führt weiter. Wie unterhaltsam sie aber auch sein können, das erfährt nur ein gedul- diger Leser. Denn der Zugang zu den Bänden ist so Fred Ludwig Sepaintner BADISCHE BIOGRAPHIEN NEUE FOLGE BADISCHE einfach nicht: Kein Foto dient als Eye-catcher, keine Band VI BIOGRAPHIEN (Hrsg.): Badische Biographien, Neue Folge · Band VI Überschrift gibt einen Fingerzeig, geschweige denn, Herausgegeben von Band VI, Stuttgart: Kohlham- Fred L. dass ein Zwischentitel die nicht selten bleischwarzen Sepaintner mer Verlag, 2011, 516 Seiten, Seiten gliedert. So versteckt sich der Charme, den ISBN 978-3-17-022290-8, Menschliches versprüht und der Individuelles trans- € 27,– portiert – oder einfach nur das Schicksalhaft e – in nicht selten drögen Sätzen. Aber es ist wie so oft : wer sich durchfrisst, wird belohnt. Wer kennt etwa Walter Bensemann? Fußballfans Mit dem sechsten Band schließt die Reihe der Badi- haben ihm viel zu danken, allen voran der »Kicker«, schen Biographien. 1042 Personen sind es, die in den ohne den heute manches Spiel auf dem grünen Rasen

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weniger kenntnisreich kommentiert würde. Walter Geschichte zu verdeutlichen. Aber gerade Band VI Bensemann hatte schon früh Feuer gefangen für das illustriert mit seinen Biographien, wie Menschen Spiel mit dem runden Leder. Als in vielen deutschen in außergewöhnlichen Umständen reagieren. Das Städten noch Öde in Sachen Fußball herrschte, grün- zeigt sich entlarvend in den Forscherporträts all je- dete er den ersten Fußballclub in Karlsruhe mit dem ner Jahre, in denen die hehre Wissenschaft mit dem wenig badischen Titel »International Footballclub tumben Geist des Nationalsozialismus zusammen- Karlsruhe«. Das war anno 1889. Nach Karlsruhe hob traf und individuelle Entscheidungen erforderlich der Kaufmannssohn bald auch in Freiburg, Heidel- machte – die individueller nicht ausfallen könnten. berg und Mannheim Clubs aus der Taufe, selbst beim Der zuvor für den Nobelpreis vorgeschlagene Phy- MTV München, aus dem später der renommierte FC siker Wolfgang Gaede versucht Anschuldigungen Bayern München werden sollte, stand Bensemann wegen politischer Unzuverlässigkeit zurückzuwei- Pate. sen, indem er sich den Nazis gegenüber als politisch Ein paar Seiten weiter schildern die »Badischen infantil verteidigen lässt. Der Mathematiker Gerhard Biographien« das dramatische Schicksal des Mann- Haenzel wählt unter Druck geraten den Freitod, um heimer Widerstandskämpfers Georg Lechleiter. Der einer Verurteilung als Staatsfeind zu entgehen und aus Appenweier stammende Schrift setzer baute die so seiner Familie wenigstens die Hinterbliebenen- bedeutendste kommunistische Widerstandsgruppe pension zu sichern. Der Medizinprofessor Martin im deutschen Südwesten auf. Ein intelligentes System Kirschner betrat stets mit einem Präparat in Hän- kleiner Gruppierungen, die zentral gesteuert wurden. den den Hörsaal, um den Hitlergruß nicht leisten zu Wahrscheinlich war es Verrat, der die Gruppe auf- müssen. Der Jurist Karl Buzengeiger gab seine Vor- fl iegen ließ. Lechleiter starb in Stuttgart 1942 durch behalte gegenüber dem Regime auf und setzte seine das Fallbeil. Karriere unter dem Nationalsozialismus fort. 152 Kurzbiografi en vereint der neueste Band, da- Fred Ludwig Sepaintner hat mit seiner straff en Re- runter viele Wissenschaft ler. Fabrikanten, wie die daktion in Fortführung der Arbeit von Bernd Ottnad Brüder Bilfi nger, die den noch heute blühenden Kon- dafür gesorgt, dass die Einträge stringent und straff zern gründeten. Oder die Bierbrauer Ganter, Sinner geblieben sind. An manchen Stellen merkt man, wel- und Moninger. Politiker sind vertreten und Kirchen- che gewaltige Arbeit dafür nötig ist. Schließlich führt leute wie der Freiburger Erzbischof Fritz. Mit Josef gerade der sechste Band die Viten etlicher Fachwis- Fendel wird ein Reeder porträtiert, der die Tank- senschaft ler auf, denen die jeweiligen Verfasser gerne schiff fahrt auf dem Rhein etablierte und mit Hell- eine so lückenlose Schilderung ihrer wissenschaft - mut Eichrodt ein Grafi ker, dessen Werke etliche lichen Leistung angedeihen lassen mögen, dass der Karl-May-Bände zierten. Kurios wirkt die Vita Wal- Raum arg strapaziert wird. Sepaintner sorgt aber ter Hohmanns, der als Bauingenieur ein Leben lang auch dafür, dass die Biographien erfreulich sachlich energisch und exakt über Weltraumfl üge forschte dargestellt und Würdigungen und Wertungen vor- – lange bevor die erste Rakete abhob. Der Mann aus sichtig gewählt werden. Aus gutem Grund, denn die dem Odenwald starb 1945, aber seine Erkenntnisse Urteile über Menschen sind nicht einfach, die Zwi- begleiten noch heute Astronauten ins All. So rundet schentöne zwischen »positiv« und »negativ« oft ver- Band VI eine charmante Vielfalt an Individuen, die wischt und aus den nicht selten bescheidenen Quel- Geschichte schrieben und es oft nur zu einer relativen len auch gar nicht zu erfassen. Zuweilen stehen aber Bekanntheit schafft en. Aber es fi nden auch besonders auch nicht alle in der weiten Autorenschar mit der- prägende Gestalten wie die Philosophin Edith Stein, selben selbstlosen Distanz den Biographierten gegen- die als Jüdin zum katholischen Glauben übertrat, in über. Was immer mal wieder zu dem Schlussappell Freiburg forschte, in Speyer lehrte und 1942 unter der führt, diese oder jene Person sei es »wert, sich ihrer NS-Diktatur in Auschwitz den Tod fand. zu erinnern.« Personengeschichten sind – so der Herausgeber – Die Kommission für geschichtliche Landeskunde problematisch, um mit ihnen Entwicklungslinien der in Baden-Württemberg wird die Reihe nicht ersatz-

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los einstellen, sondern in den »Baden-Württembergi- gestellten liberal-konservativ geprägten Bürgerwehr schen Biographien« aufgehen lassen. Klaus Gaßner bei und wurde im Herbst 1848 zum »Oberleitmann« gewählt. Die Bürgerwehr versuchte, radikalere Grup- pen in ihren Grenzen zu halten. Sein Einsatz in der Bürgerwehr gab ihm die Gelegenheit, seine Bega- Parzer, Sebastian: Die frü- bung für »energische Maßregeln« und sein gutes hen Jahre von Friedrich En- Gespür für den richtigen Zeitpunkt unter Beweis zu gelhorn 1821–1864. Schüler, stellen. Im Bestreben, Mannheim am Ende der Re- Goldschmied, Kommandant volution aus den näher rückenden Kriegsereignis- der Bürgerwehr und Gasfa- sen zwischen der preußischen Interventionsarmee brikant. Friedrich Engelhorn- und den Aufständischen herauszuhalten, wurde er Archiv e. V. Mannheim (Hrsg.). zum wichtigsten Verfechter der Gegenrevolution. Werner: Worms, 2012, Im Juni 1849, kurz vor der Niederschlagung der 136 Seiten, Leineneinband, Revolution durch die einmarschierenden Preußen, 66, z. T. farbige Abbildungen, übertrug man ihm den Oberbefehl über die Mann- ISBN 978-3-88462-319-0, € 25,– heimer Bürgerwehr. Geschickt nutzte er die Wirren der Gefechte und rettete mit Hilfe übergelaufener Friedrich Engelhorn (1821–1902), der Gründer der Dragoner die reich gefüllte Kasse der Regierung des BASF, ist die wohl erfolgreichste aus Mannheim Unterrheinkreises, mit der die Revolutionäre unter stammende Unternehmerpersönlichkeit. Über seine Adolph von Trützschler fl iehen wollten. Am 22. Juni frühe Lebenssituation wurde bisher sehr wenig ver- 1849 entschied sich für Mannheim der Ausgang der öff entlicht. Es ist das Verdienst des Autors, in diesem Revolution. Engelhorn gelang es mit List, die Kano- Buch von der Zeit zu berichten, bevor Engelhorn als nen in die Hände der Gegenrevolutionäre zu spielen. 44-jähriger die heutige Weltfi rma schuf, und frühere Durch sein energisches Vorgehen konnte er sinnlo- Unternehmungen Engelhorns zu dokumentieren, die ses Blutvergießen vermeiden und eine erneute Zer- ebenfalls Geschichte schrieben und als verdienstvoll störung der Stadt verhindern. An diesem Schicksals- einzustufen sind. tag hat sich Friedrich Engelhorn durch sein energi- Als Sohn eines Gastwirts im Quadrat P 5 in gut- sches Vorgehen »unstreitig um Mannheim verdient bürgerliche Verhältnisse hineingeboren, besuchte der gemacht« und eine Katastrophe abgewendet. Adolph junge Friedrich die Volksschule in R 2 und danach von Trützschler und andere Aufständische dagegen das Lyzeum in A 4. Nach Jahren als nur mittelmäßiger wurden festgenommen; er und vier andere Aufstän- Schüler und einem abrupten Schulabbruch, nach der dische wurden hingerichtet. Engelhorn lehnte Eh- Ausbildung zum Goldschmied und Wanderjahren, die rungen bezüglich seiner Rolle während der Kämpfe ihn bis nach Paris führten, legte er 1846 in Mannheim ab und »war froh, nicht genannt zu sein«. die Meisterprüfung ab, heiratete das Jahr darauf und Nach der Revolution verfolgte Engelhorn seine eröff nete ein Goldschmiedegeschäft . Durch die Um- berufl ichen Pläne weiter. Mit der Stadt und ande- brüche der 1848er Revolution gingen die Geschäft e ren Partnern schloss er 1851 einen Vertrag über den so schlecht, dass er bald nach anderen Verdienstmög- Bau eines mit Kohle betriebenen Gaswerks auf K 6 lichkeiten Ausschau hielt; sein besonderes Interesse und die Erstellung eines Leitungsnetzes. Die Bau- galt der in Mannheim in der Aufb auphase stehenden stelle und die Verlegung des Rohrnetzes schritten Gasbeleuchtung. In K 6 errichtete er die Gasfabrik En- rasch voran. Schon im Dezember erstrahlte bei ei- gelhorn & Comp., betätigte sich jedoch weiterhin als nem feierlichen Probeleuchten am Turm des Kauf- »Goldarbeiter« und behielt in den Anfängen der Gas- hauses am Paradeplatz eine künstliche Sonne und der fabrik ein zweites berufl iches Standbein bei. Schrift zug »Und es ward Licht«. Schon nach wenigen Eine wesentliche Rolle spielte er in der Revolution Jahren brannten in Mannheim 670 mit Gas betrie- von 1848/49. Engelhorn trat der von der Stadt auf- bene Straßenlaternen und rund 6000 »Privatfl am-

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men«. Zahlreiche Fabriken, der Pfälzer Hof am Para- Ein bemerkenswertes Buch, das auch optisch (de- deplatz, öff entliche Gebäude und Privatwohnungen zentes Format, roter Leineneinband mit Goldprä- waren mit Gas beleuchtet. Gaslicht ersetzte die bis- gung) anspricht und mit den beiden vorausgegange- her üblichen Kerzen und Öllampen. Ab 1852 erhoben nen Veröff entlichungen des Friedrich Engelhorn-Ar- sich unter Anteilnahme der Bevölkerung Großbal- chivs (beide Tobias Möllmer: »Grabmale der Familie lone neben der Gasfabrik, die den Luft fahrtpionieren Engelhorn« und »Das Palais Engelhorn in Mann- das nötige Auft riebmittel lieferte. heim«) eine Reihe von stadtgeschichtlichen Klein- Das Gaswerk erwies sich als durchschlagender Er- odien bildet, die in keiner Mannheim-Sammlung folg. Engelhorn konnte alle Schulden bezahlen und fehlen sollte. Volker Keller sich an anderen Mannheimer Firmenunternehmun- gen beteiligen. Zahlreiche Fabriken ließen sich da- mals in den äußeren Quadraten nieder, die durch die Schleifung des Festungsgürtels frei geworden Anton Philipp Knittel (Hrsg.): waren. 1866 trat Engelhorn aus dem kommunalen »Unterhaltender Prediger Gaswerk aus; Zerwürfnisse mit seinem Teilhaber und gelehrter Stofflieferant«. und das Aufk ommen des Petroleums in Konkurrenz Abraham a Sancta Clara zur Gasbeleuchtung brachten ihn dazu, sein Inte- (1644–1709). Beiträge eines resse auf die Chemieindustrie zu richten. Die bei der Symposions anlässlich seines Gasherstellung anfallenden Abfallprodukte, neben 300. Todestages. 264 Seiten, Koks war dies vor allem Teer, waren in den Blick- Eggingen: Isele 2012, ISBN punkt der Forscher geraten. Aus dem Teer konnte 978-3-86142-530-4, € 18,– man inzwischen Anilin als Ausgangsprodukt für Farbstoff e gewinnen. Friedrich Engelhorn erwarb Abraham a Sancta Clara wurde, damals als Johann die Konzession zur Anilinproduktion, kauft e die Ulrich Megerle, am 2. Juli 1644 in der Gastwirtschaft ehemalige Zinkhütte auf dem Pestbuckel im Jung- »Zur Traube« in Kreenheinstetten bei Meßkirch ge- busch ganz in der Nähe seiner Gasfabrik und be- boren. »Wie passt eigentlich dieser so überschäu- gann mit seinen Teilhabern Carl Clemm und Otto mende, witzige, wortgewaltige Mann mit seiner ba- Dyckerhoff die Produktion von Anilin und Anilin- rocken unerschöpfl ichen Fantasie in diese einsilbige farben. Die Vorgängerfabrik der BASF auf dem an Gegend?« So fragte sich Conrad Gröber, der spätere die große Pest von 1666 erinnernden Pestbuckel im Erzbischof von Freiburg, der selber aus Meßkirch Jungbusch wurde dann 1865 bekanntlich in Lud- stammte; und auch auf seine Frage – aber eben nicht wigshafen neu gegründet. nur auf sie – antwortete ein internationales und in- Der Autor Sebastian Parzer legt ein kurzweilig zu terdisziplinäres Symposion, das im März 2009 in je- lesendes und facettenreiches Buch vor, das die frühe nem Kreenheinstetten stattfand und dessen Ergeb- Mannheimer Industriegeschichte ebenso beleuchtet nisse hier im Druck vorgelegt werden. wie den Menschen Friedrich Engelhorn, der seine Die insgesamt zehn Autorinnen und Autoren hel- Rollen in der 1848-er Revolution, als Unternehmer, len die Herkunft und den Hintergrund Adams auf als besorgter Familienvater und als Mitglieder der und gehen seinem Bildungsgang nach; sie zeigen ihn Mannheimer »guten Gesellschaft « sehr erfolgreich als Ordensmann, als populären Prediger in Wien beherrschte. Mit viel Sinn für Details und Anschau- und als Verfasser seiner nicht minder populären lichkeit würzt Parzer seine Ausführungen mit zeit- Werke. Die Lehren, die er vortrug, zeichneten sich genössischen Erinnerungen. Beispielsweise werden freilich nicht durch theologische Tiefe aus; schon im Kapitel »Elternhaus und Schulzeit« die täglichen eher durch die überbordende Fülle von Beispielen Plänkeleien zwischen der katholischen und der evan- aus Literatur und Leben, mit denen er sie illustrierte; gelischen Jugend auf dem Schulweg in den Quadra- und am meisten durch die sprachliche Virtuosi- ten von Zeugenberichten belegt. tät, mit der er sie instrumentierte. Abraham konnte,

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wenn er wollte, alle Register der Rhetorik ziehen und führlich auf Quellen stützt und eine umfangrei- zum Klingen bringen; seine Wortgewalt hatte nicht che Literatur, vor allem aus dem 18. und 19. Jahr- ihresgleichen, und sie allein macht, dass sich das Le- hundert, auswertet. Angeregt durch Sagen, deren sen in seinen Schrift en immer noch lohnt. Im Okto- sie einige herausgegeben hat, stieß sie auf das un- ber 1798 schrieb Schiller an Goethe, der ihn auf Ab- erfreuliche Schicksal dieses Markgrafen, dessen raham hingewiesen hatte, dieser sei »ein prächtiges Untaten in seinem 35-jährigen Leben allein kein Original«, und es sei »eine interessante und keines- Buch füllen könnte. Daher wird ein großer Bogen wegs leichte Aufgabe, es ihm zugleich in der Tollheit geschlagen, und die Leser sollen in die Welt des und in der Gescheidigkeit nach- oder gar zuvorzu- ausgehenden 16. Jahrhunderts manche Einblicke tun«. Aber an den originalen und originellen Augus- erhalten. tiner reichte sein Kapuziner in »Wallensteins Lager« So wird zunächst die Teilung der Markgrafschaft dann doch nicht ganz heran. unter Christoph I. wie die Hochzeit und Ehe Chris- Es ist das Verdienst des Symposiums und des jetzt tophs II. von Baden-Rodemachern mit Cäcilia, der vorgelegten Bandes, den einst berühmten, jetzt kaum schwedischen Prinzessin, mit all ihren Unbillen be- noch bekannten Abraham a Sancta Clara wieder sicht- schrieben, die Eltern Eduards, dem sie den Namen bar gemacht zu haben; dazu trugen alle Referentinnen Fortunatus gaben. Vielleicht liegt in der unruhigen und Referenten auf ihre jeweilige Weise bei. Ihre Bei- Kindheit einer exzentrischen Mutter und dem Vater, träge im einzelnen zu nennen, zu werten und zusam- den der 10-jährige bereits verlor, ein Grund für den menfassend auf den Begriff zu bringen, konnte nicht brüchigen Charakter seines Sohnes. das Ziel dieser Rezension sein, wohl aber, empfehlend Neben dieser schwedischen Szene folgt ein aus- auf sie und vor allem auf ihren Gegenstand hinzuwei- führliches Lebensbild von Eduards Cousine Jakobe, sen. Hier wurde ein neuer, längst fälliger Anfang ge- die Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg heiratete. macht, und zwar auf durchweg hohem Niveau. Da wird neben dem Luxus an den Höfen vor dem Und was die von Conrad Gröber gestellte Frage Dreißigjährigen Krieg auch der Hexenwahn geschil- betrifft , so erlaubt sich der Rezensent zum Schluss dert, eine europäische Woge, die nicht nur die katho- den neuerlichen Hinweis darauf, dass Abraham seine lischen Länder erreichte. frühe Prägung in einer Gastwirtschaft erfahren hat – Nun endlich Eduard Fortunatus, der Sibylle von als einer der ersten von so vielen deutschen Dichtern Jülich-Kleve-Berg heiraten sollte, die ihn aber ob sei- und Malern. »Gastwirtssöhne sind im Vorteil.« nes liederlichen Lebenswandels ablehnte. Das Kapi- Johannes Werner tel über die »seltsame Eheschließung« Eduards mit seiner Geliebten Maria van Eicken zeigt die Hinfäl- ligkeit jener Amouren, ein Frauenschicksal wie das der unglücklichen Jakobe in dieser patriarchalischen Schulz, Urte: Das schwarze Zeit. Schaf des Hauses Baden. Höhepunkt ist die Auseinandersetzung zwischen Markgraf Eduard Fortuna- Eduard und seinem Vetter Ernst Friedrich von Ba- tus. Casimir Katz: Gernsbach, den-Durlach, der im Auft rag des Kaisers 1594 die 2012, 224 Seiten, geb. mit bankrotte Markgrafschaft Baden als Sequesterver- Schutzumschlag, zahlr. Abb., walter besetzte. Ausführlich wird aus dem »Grundt- ISBN 978-3-938047-61-3, € licher … Bericht« zitiert, wo die ganzen Missstände 26,80 der ungewöhnlichen Verschuldung angesichts einer luxuriösen Hofh altung und fortwährender Reisen beschrieben wird. Hinzu kommt die Falschmünze- Im Vorwort betont die Autorin, sie hätte »nicht rei, später das Strauchrittertum, die Mordanschläge, die Absicht gehabt, eine geschichtswissenschaftli- die Gift mischerei, die wie Requisiten eines Horror- che Schrift zu verfassen«, wenngleich sie sich aus- kabinetts erscheinen.

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Der entmachtete Abenteurer verdingte sich 1598 psychischen Belastung ausgesetzt. Im Mai 1941 dem schwedischen Vetter Sigismund III. Wasa, Kö- wurde Konrad Siegwart zum Militärdienst in ein nig von Polen, bis er 1600, wohl trunken, eine Treppe Infanterieregiment nach Donaueschingen eingezo- herabstürzte und sich das Genick brach. gen. Schon nach 3 Wochen Grundausbildung kam Das Buch bietet also viel Kulturgeschichtliches, er als Kompaniemelder zu Fuß nach Angoulême/ ein Exkurs gilt allein den Zuständen an anderen Frankreich. Höfen, um damit das Umfeld der Titelfi gur zu cha- Nach dem Ausstieg Italiens aus dem 2. Weltkrieg rakterisieren, dabei ganz auf den Vormärzhistoriker am 8.9.1943 und der Landung der Alliierten am Wolfgang Menzel gestützt, der um 1848 sich freilich 22.1.1944 südlich von Rom wurde Konrad Siegwart bewusst dem höfi schen Sittenverfall widmete. nach Anzio und Nettuno verlegt. Der Autor hat durch Im Literaturverzeichnis vermisst man den Verweis die Auswertung der Frontberichte im Militärarchiv auf das Handbuch der baden-württembergischen Freiburg die Kämpfe im alliierten Brückenkopf bei Geschichte und auf das Lebensbild »Eduard Fortuna- Rom und die Rückzugsgefechte bis zur Frontstellung tus« von Wilhelm Muschka in »Lebensbilder aus Ba- im Appenin im August 1944 ausführlich und haut- den-Württemberg« 2005. nah geschildert. Dort erlitte sein Großvater am 20. Im Anhang erscheinen Auszüge aus Sagen, und September bei Marradi eine schwere Verwundung damit wird noch einmal der geschichtspädagogi- durch eine Granate am rechten Arm und rechten sche Charakter dieser Schrift deutlich, mit der ein Bein. Schon 14 Tage später musste ihm im Lazarett größerer Leserkreis in eine selten so gängig be- in Prag der rechte Unterschenkel amputiert werden. schriebene Vergangenheit eintauchen kann. Am 7.5.1945 geriet er in russische Kriegsgefangen- Leonhard Müller schaft . Auf dem Umweg über Wien wurde er am 9. August als Invalide nach Fützen entlassen. In seiner kriegsbedingten Abwesenheit konnte die Mutter des Autors die Bäckerei nur als Filialbetrieb weiterfüh- Dominik Siegwart: Konrad ren. Siegwart, der Bäckermeister Trotz seiner Kriegsverletzung nahm Konrad Sieg- von Fützen, 186 S., Shaker wart am 1.11.1945 den Backbetrieb in Fützen wieder Media, 2009, ISBN 978-3- auf. Mangels Bauplätze erfolgte 1950 ein Ladenan- 86858-492-9, € 29,90 bau an das vorhandene Wohnhaus. Trotz Moderni- sierung der Bäckerei wurde der Backofen weiterhin mit Holz und Kohle beheizt. Am 9.5.1950 heiratete Konrad Siegwart die 10 Jahre jüngere Rosa Basler aus Fützen. – Deren Abstammung führt nach 13 Generationen auf das Adelsgeschlecht der Herren Im Mittelpunkt der Familienchronik steht die v. Rechberg in Schramberg und Schwäbisch Gmünd Biographie von Konrad Siegwart, dem Großvater zurück und dadurch auf den europäischen Hoch- des Autors, dem er 72 Seiten gewidmet hat. 1910 adel. Da die Darstellung der Ahnentafel den Rah- als Sohn eines Landwirts und Bahnarbeiters gebo- men des Buches sprengen würde, beschränkt sich ren, eröff nete er in Fützen an der »Sauschwänzle- der Autor auf die Nennung einiger weltbekann- bahn« 1934 die erste Bäckerei, die er bis zum Ru- ter Herzöge und Könige bis zu Hugo I König von hestand im Alter von 68 Jahren bis 1978 betrieben Frankreich, † 996. Die Familie Siegwart stammt aus hat. Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurde er nicht Todtmoos, wo der Autor sie noch 3 Generationen sofort zum Militärdienst eingezogen. Dafür musste weiter zurückführen kann. Dieses große Kapitel er für die Soldaten an der Schweizer Grenze jeden wird durch den Farbabdruck vieler Familiendoku- Mittag in der Bäckerei Knöpfl e in Blumberg 400 mente und Bilder in lebendiger Form begleitet. kg Brot backen und war dadurch einer enormen Rolf Eilers

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des gesamten Bandes, der bewusst keine amtliche KREISBESCHREIBUNGEN Kreisbeschreibung sein kann und will, hervorge- hoben werden. Dazu tragen auch die hochwertigen Konstantin Huber (Hrsg.): Fotografi en von Günter Beck sowie aussagestarke Der Enzkreis. Geschichte Karten und Schaubilder bei. Ein Personen- und Orts- und Gegenwart eines register rundet den gelungenen Band ab. lebendigen Landkreises. Martin Frieß Thorbecke: Ostfildern 2010. 296 Seiten mit rund 300 meist farbigen Abbildun- gen. Hardcover, ISBN 978- GESCHICHTE 3-7995-6189-1, € 29,80 Johanna Pölzl: Wie die Kir- »Baden und Württemberg« im Kleinen – so könnte che ins Dorf kam. Kleine man treff end den 1974 aus badischen und württem- Ortsgeschichte Kirchzar- bergischen Teilen entstandenen, rund um die Stadt tens. Dreisam Druck, Kirch- Pforzheim gelegenen Enzkreis bezeichnen. Konstan- zarten 2011. 152 Seiten tin Huber, der Leiter des Kreisarchivs, hat ein her- mit Bildern, kartoniert, vorragend ausgestattetes aktuelles und historisches ISBN 978-3-9814630-0-2. Porträt des Landkreises und seiner 28 zugehörigen €12,50 Städte und Gemeinden vorgelegt. Nach einer Ein- führung in die Flora, Fauna mit Beschreibung der ganz verschiedenen Kulturräume spannt sich der Bo- gen der historischen Beiträge von der Steinzeit über »Immer wieder wurde der Wunsch nach einer klei- das Mittelalter und die Neuzeit bis zur Kreisreform nen und handlichen Darstellung der Geschichte von 1973. Dabei werden nicht nur die Grundzüge der ge- Kirchzarten im Dreisamtal geäußert. Seit der umfas- schichtlichen Entwicklung geschildert und veran- senden Ortschronik von 1966/67 sind 45 Jahre ver- schaulicht anhand von lokalen Besonderheiten, son- gangen. Neue Erkenntnisse kamen durch intensivere dern es gelingt auch, komplexere Zusammenhänge Forschungen hinzu, manches wird heute anders in- und Strukturen gut verständlich darzustellen (zum terpretiert. Diese neuen Sichtweisen wurden in die Beispiel in dem Mittelalter-Beitrag von Konstantin ›Kleine Ortsgeschichte‹ eingearbeitet. Der Leser soll Huber). sich schnell einen Überblick verschaff en können Am umfangreichsten ist der folgende Teil über über Werdegang und Bedeutung von Kirchzarten, den Enzkreis heute. Vielfältig und lebendig wird dem Mittelpunkt des Dreisamtales vor den östlichen er präsentiert in den Beiträgen unter anderem über Toren Freiburgs« (aus dem Vorwort). die Kreisverwaltung, Wirtschaft und Verkehr, so- Die knappe Form des neuen Buches von Johanna ziale Einrichtungen, Kirche und Schule, kulturelle Pölzl, langjährige Oberstudienrätin am Marie- Einrichtungen und Vereine und die zahlreichen Curie-Gymnasium in Kirchzarten, vermittelt histo- Kunst- und Kulturschätze. Sogar der Mundart ist risch interessierten Einheimischen und ihren Gäs- ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem die regiona- ten einen schnelleren Zugang zur wechselhaft en Ge- len und lokalen Unterschiede sorgfältig herausge- schichte des heutigen Mittelpunktortes Kirchzarten arbeitet sind. und seines Umfeldes im Zartener Becken und macht Im letzten Teil stellt Huber die Städte und Gemein- dabei die neuen wissenschaft lichen Erkenntnisse von den mit historischen Kurzporträts vor. Auch wenn Dr. Heiko Wagner über das keltische Tarodunum zu- man sich diese gerne noch etwas ausführlicher ge- gänglich. Das vom griechischen Geographen Ptole- wünscht hätte, so muss der große Informationswert maios im 2. Jh. n. Chr. erwähnte »Tarodunum« lag

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demnach an einer verkehrsmäßig außerordentlich KULTURGESCHICHTE günstigen Stelle zwischen Rhein und Donau, eine Er- kenntnis, die die Forschung lange Zeit unterschätzt Kulturlandschaft Auto- hatte. bahn. Die Fotosammlung Zahlreiche Funde von Glasscherben, Mün- des Landesamts für Stra- zen und Handelsgütern schon aus keltischer Zeit ßenwesen Baden-Würt- bestätigen die Bedeutung dieser Großsiedlung. temberg. Bearbeitet v. Gleichzeitig aber unterstreicht Johanna Pölzls Bernhard Stumpfhaus. W. Ortsgeschichte auch die vorrangige Bedeutung Kohlhammer Verlag, Stutt- des Ortes »Zarten« im Verhältnis zu »Kirchzarten« gart 2011, 168 Seiten. 115 bis ins Hochmittelalter, ein nachbarschaft licher Abbildungen. Kart. ISBN »Zündstoff « (»Wie die Kirche ins Dorf kam«), 978-3-17-022370-7, € 18,– der sich aus der intensiven Beschäft igung mit den Akten des Klosters St. Gallen aus der Dissertation Zur Pfl ege und zum Ausbau des Autobahnnetzes Dr. Bernhard Mangeis ergeben hat. Mangei wies wurde 1952 mit der Gründung des Landes Baden- nach, dass sich die von Abt Trudpert überlieferte Württemberg aus der »Abteilung Autobahn« des Jahreszahl 765 als Gründungsdatum nicht auf Technischen Landesamtes das »Autobahnamt« ge- Kirchzarten sondern auf Zarten bezieht. Ebenso schaff en, das mit Sitz in Stuttgart im Auft rag des Bun- meint die »Kirche in Zarten«, von der um 816 eine des arbeitete. Ab 1986 fi rmierte es unter »Landesamt St. Gallener Schenkungsurkunde spricht, nicht für das Straßenwesen«, bis es 2002 aufgelöst und in Kirchzarten, denn dieser Name taucht erst 1125 das Regierungspräsidium Stuttgart integriert wurde. in den Akten auf. Der heutige Ortsteil »Zarten« ist In den 50 Jahren seines Bestehens wurde das Auto- also wesentlich älter als die heutige Mittelpunkt- bahnnetz auf dem Gebiet des Landes von 300 km aus gemeinde. der Vorkriegszeit auf über 1000 Kilometer erweitert, Johanna Pölzl stellt darüber hinaus in ihrer »Klei- zahlreiche 1945 zerstörte Brücken wurden wieder auf- nen Ortsgeschichte« sowohl den Einfl uss der Stadt gebaut, Überführungen abgerissen und neu errichtet, Freiburg und ihres Beauft ragten in der Talvogtei als wenn es der mehrspurige Ausbau erforderte, An- auch den Übergang der Landgemeinde in das Groß- schluss-Stellen, Autobahndreiecke und -kreuze leis- herzogtum Baden dar, berichtet von Bauernkrieg, tungsfähiger gemacht. Im Amt sammelten sich nicht Franzosenzeit, Revolution, Kulturkampf und Öku- nur Akten und Pläne, sondern auch Fotografi en, die mene, berücksichtigt Pest, Feuersbrunst und Was- den Autobahnbau im Lande seit den 1930er Jahren sernot, geht auf den Strukturwandel zur Moderne dokumentieren. Diese Sammlung übergaben die Ver- ein und erfasst auch die heutigen Bauernhöfe auf antwortlichen des Amtes für Straßenwesen 2002 dem Kirchzartener Gemarkung. Deren Geschichte oder Staatsarchiv Ludwigsburg, das 2011 damit eine Aus- das Verhalten der Bevölkerung während der Nazi- stellung bestritt und eine Begleitpublikation heraus- zeit konnte nur gestreift werden, denn hier stehen gab unter Federführung des Kunsthistorikers Bern- eingehendere Untersuchungen noch aus. Das in hard Stumpfh aus. handlichem Format und zu erschwinglichem Preis Die Aufnahmen dokumentieren Technik-Ge- herausgegebene, mit 40 Bildern ansprechend aufge- schichte, sie haben aber auch ihre eigene Ästhetik. Ty- lockerte und in unterhaltsamem Stil geschriebene pisch ist der Blick von erhöhtem Standort, meist einer Buch ist, versehen mit Literaturverzeichnis und Brücke, auf das helle Band der Straße, das sich in der Personenregister, eine ergiebige und informative Ferne verliert. Stumpfh aus spricht vom »Tiefensog«, Zusammenfassung der vielhundertjährigen Ge- der den Eindruck von Geschwindigkeit vermittle. Der schichte des heutigen Mittelpunktortes im Zarte- Anspruch, die neu trassierte Straße als Kunstwerk zu ner Becken. präsentieren, ist unverkennbar bei den Aufnahmen Hermann Althaus aus dem Dritten Reich. 1934 wurde die Idee einer

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kreuzungsfreien Fernstraße für Kraft fahrzeuge, die österreichische Professor Hermann Knofl acher, Spe- von Experten seit den 1920er Jahren diskutiert wurde, zialist für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, in die Praxis umgesetzt, ein ehrgeiziges und propa- stellt die Frage, ob der Versuch, Autobahnen und Kul- gandawirksames Projekt, das zur damaligen gerin- turlandschaft zu harmonisieren, gelungen sei. gen Kraft fahrzeugdichte in eklatantem Missverhält- Das Herzstück des Buches ist der Bildteil. Die spek- nis stand. Kommentar aus den USA: »Th e Germans takulärsten Brücken stehen im württembergischen have the roads, we have the traffi c.« Verantwortlich Landesteil. Aber auch Baden ist mit eindrucksvollen für den Autobahnbau war der aus Pforzheim gebür- Bildern vertreten: Autobahndreieck Karlsruhe, Au- tige Dr. Fritz Todt, der sich Tiefb auingenieure von der tobahndreieck Mannheim 1969 vor dem Umbau zum Reichsbahn holte. Um deren etwas starre Vorstellun- Kreuz Mannheim, Raststätte Bruchsal mit Teich in gen von Trassenführung zu mildern, stellte er ihnen Nierenform. Die Entstehungsgeschichte der A 5 süd- von Anfang an Landschaft sarchitekten zur Seite, um lich von Karlsruhe ist an den Bildern abzulesen: Das einen Mittelweg zwischen technisch und wirtschaft - provisorische Ende der A 5 bei Bruchweiler südlich lich günstig und landschaft sgemäß zu fi nden. Das Er- von Ettlingen wird mehrfach gebnis der Zusammenarbeit, die angesichts selbstbe- gezeigt, das Off enburger Ei als Planskizze, dann in wusster Ökologen nicht immer konfl iktfrei war, stieß Konturen aus der Luft gesehen nach der Ausholzung in der Öff entlichkeit ganz überwiegend auf Zustim- 1959 und fertig 1964, die Brücke über den Elzkanal mung. Auch die Ingenieure, die das Werk nach dem bei Riegel 1961, Tankstelle Breisgau 1965, Überfüh- Krieg fortsetzten, handelten und gestalteten im Ein- rung des Freiburger Zubringers Mitte 1964. – Eine klang mit der Mehrheit der Bevölkerung. Sie achteten verdienstvolle Publikation des Landesarchivs. Auch bei ihren Planungen mittlerweile weniger auf den Na- das Titelbild ist badisch: Ein Beamter blickt 1956 von turgenuss der Autofahrer als auf hohe Durchfl usszah- der Überführung der B 500 auf die ganz neue A 5, auf len und arbeiteten geometrischer. der sich gerade zwei Autos bewegen. Die Zustimmung zur Erweiterung des Netzes war Renate Liessem-Breinlinger gegeben, wenn auch Enteignungen nicht mehr so leicht zu realisieren waren wie in der Zeit der Diktatur. Ab den 1970er Jahren sahen sich die Autobahnbauer Walter, Martin (Hrsg.): Die dann mit Bürgerinitiativen konfrontiert. Nun gab es Hub. Geschichte und Ge- Stimmen, die statt von landschaft sgestaltend von -zer- genwart einer einzigartigen störend sprachen. Th omas Zeller, Associate Professor Einrichtung. Sonderveröf- für Technik und Umweltgeschichte an der University fentlichung des Kreisar- of Maryland, Mitherausgeber von »How green were chivs Rastatt, Band 10. Ca- the Nazis«, geht auf diese Zusammenhänge ein. Drei simir Katz Verlag, 2012, 224 leitende Beamte des Landesamts für Straßenwesen, Seiten, zahlreiche Abbildun- Peter André, Konradin Heyd, Jürgen Wecker, geben gen, gebunden, ISBN 978- einen Überblick über die Entwicklung der Autobah- 3-938047-63-7, € 26,80 nen in Baden-Württemberg, die in Nordbaden 1934 mit dem Teilstück Frankfurt-Heidelberg und in Würt- Der heilsame Sauerbrunnen in der Hub, einem Weiler temberg mit der A 8 ganz früh begann, in Südbaden im Muhrbachtal östlich von Ottersweier, zog seit dem erst Ende der 1950er Jahre. Die Diplomingenieurin für Mittelalter Gäste an. Ein reicher Straßburger Bürger Landschaft sarchitektur Angela Jain setzt sich in ihrem machte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Modebad Beitrag mit der Wahrnehmung der Straße durch den daraus. Von keinem Geringeren als Friedrich Wein- Nutzer auseinander. Sie illustriert ihren Text mit ei- brenner, dem Karlsruher Meister des Klassizismus, genen Fotografi en, teilweise durch die nasse Wind- ließ er ein herrschaft liches Kurhaus um einen stim- schutzscheibe, ein spannungsvoller Kontrast zu den mungsvollen Innenhof errichten mit hellen Hotel- eher statischen Aufnahmen aus der Sammlung. Der zimmern, Badebereich und einem prächtigen Festsaal.

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Anspruchsvolle Gäste fanden sich bald ein, auch Pro- schränkungen wieder leistungsfähig zu machen, zu minenz wie Großherzogin Stephanie und ihre Schwä- modernisieren und bald auch zu erweitern. In sei- gerin Zarin Elisabeth von Russland, geborene Louise ner Amtszeit wurde die Straße nach Neusatz, die bis- von Baden. Gegen das nahe Baden(-Baden) mit seinen her mitten durch die Anlage führte, verlegt und die heißen Quellen, dem mondänen Flair und langer Tra- Mineralquelle neu gefasst. Neben der Alltagsarbeit dition konnte sich der Kurort Hub nicht behaupten; nahm sich Gerke die Zeit, die Geschichte des alten solider wirtschaft licher Erfolg blieb aus. Schon 1830 Heilbades anhand der in Archiven greifb aren Quel- gab es Überlegungen, die Anlage »in herrlicher Lage len gründlich zu erforschen. Seine Ergebnisse fasste bei der wirksamen Heilquelle« als Heilstätte für psy- er in einer Monographie mit wissenschaft lichem Ap- chisch Kranke zu nutzen. Sie gingen von Dr. Christian parat zusammen, die von den Autoren des neuen Bu- Roller aus, einem begabten, wissenschaft lich erfolg- ches über die Hub vielfach zitiert wird. Dass Gerke reichen Psychiater, der später die Illenau bei Achern zu einem der Vollstrecker der sogenannten »Eutha- gründete und führte. Die Hub blieb jedoch noch ei- nasie«, einer der verabscheuenswürdigsten Aktionen nige Jahrzehnte Kuranstalt mit wechselnden Eigentü- des NS-Regimes, werden sollte, ahnte er nicht, als er mern. Zuletzt gehörte sie einer Tochter des Architek- sein Buch 1933 im Verlag des Historischen Vereins ten Weinbrenner und deren Mann; dann übernahm für Mittelbaden erscheinen ließ. die öff entliche Hand in Gestalt der beiden Kreisver- Adalbert Metzinger dokumentiert die Geschichte bände Karlsruhe und Baden das weitläufi ge Anwesen. dieses dunklen Kapitels unter der Überschrift »Der »Aus dem lebenslustigen Hubbad wird eine Ar- Weg in den Tod: Von der Hub nach Grafeneck«. 526 menanstalt«, so formuliert Herbert Rapp, der lang- Menschen aus der Hub kamen 1940/41 ums Leben, 407 jährige kaufmännische Leiter des Kreispfl egeheims sind namentlich bekannt. Minutiös ausgefüllte Ver- als einer der 23 Autoren, die in dem Geschichts-, zeichnisse fand der Autor im Kreisarchiv Rastatt. Er Sach- und Lesebuch über die Hub zu Wort kommen. zeigt eine Doppelseite daraus als Abbildung: 35 Fälle, Nach Auswertung des Hausarchivs bietet er einen Patienten, die zwischen 1924 und 1940 in die Hub auf- Überblick über die Geschichte des Kreispfl egeheims, genommen wurden und alle Anfang Dezember 1940 die 1874 begann. Der Karlsruher Architekt Dr. Th o- den Ort verlassen haben. »Abgang« heißt hier Depor- mas Cathiau erhielt den Auft rag, die Weinbrenner- tation, letztlich nach Grafeneck auf der Schwäbischen Anlage umzubauen und zu erweitern. Mit stattli- Alb. Zur Verschleierung der wahren Vorgänge dienten chen Neubauten und moderner Haustechnik beein- kurzzeitige Verlegungen in verwandte Einrichtungen. druckte er die Zeitgenossen. Die Hub konnte nun Metzinger, der sich mit dem Th ema schon seit langem über 600 »Pfl eglinge« beherbergen. Finanziell wurde beschäft igt, gibt sich nicht mit dem Erforschen der die Einrichtung durch Leistungen aus den Kreiskas- Vergangenheit zufrieden, als Pädagoge geht es ihm um sen, Verpfl egungskostenbeiträgen der betreuten Per- die Lehre daraus wie auch um die Erinnerungskultur. sonen, aber auch aus Erträgen der anstaltseigenen Erfreuliches können die Denkmalpfl eger, Bau- Wirtschaft unterhalten. Es gehörte zum Konzept des und Kunsthistoriker berichten von der gelungenen Hauses, die arbeitsfähigen Patienten entsprechend Restaurierung des Weinbrennerbaus, die 2005 bis ihren Möglichkeiten in der Hauswirtschaft , im 2007 unter Leitung des Architekten Rolf Buttkus, Handwerk und der Landwirtschaft zu beschäft igen. gefördert durch eine namhaft e Stift ung, bewerk- Mit unterschiedlicher Strenge und Zielsetzung – eher stelligt wurde. Entstellende Umbauten wurden zu- therapeutisch oder mit Blick auf die Wirtschaft lich- rückgenommen, die Fenster zum Innenhof erhielten keit – setzten die ärztlichen Direktoren und Anstalts- wieder ihre alte Rundbogenform, die klassizistische leiter diese dritte Säule der Finanzierung ein. Innenraumgestaltung des seit über hundert Jahren Der Meistgenannte in der Reihe der ärztlichen Lei- als Kapelle genutzten Festsaals erstrahlt in originaler ter der Hub ist Dr. Otto Gerke (1878–1943), der 1919 Farbigkeit wie übrigens die ganze Anlage durch den Medizinalrat Dr. Wohlfahrt ablöste. Ihm fi el die Auf- hellgelben Anstrich der Fassade. Ulrich Coenen fasst gabe zu, den Betrieb nach den kriegsbedingten Ein- die Baugeschichte vor dem Hintergrund der europä-

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ischen Bäder- oder Kurarchitektur um 1800 zusam- tenkapellen entdecken – sofern sie nicht zerstört oder men. Yvonne Bruderrek würdigt Friedrich Wein- übermalt worden sind. Seit Erfi ndung des Buchdrucks brenner. Ulrich Boeyng schreibt über die Geschichte mit beweglichen Lettern sind sie zusätzlich in Büchern der Hub aus der Sicht der Denkmalpfl ege. und auf Einblattdrucken weit verbreitet worden. Im Kapitel »Hub aktuell« entsteht ein lebendiges Bereits im späten Mittelalter gab es auch in unse- Bild der Gegenwart im Kreispfl egeheim, dessen Trä- rer Region Totentanzdarstellungen, in der Regel als gerschaft 2004 von der damals neu gegründeten ge- eindrückliche Mahnung an die Lebenden, ein gott- meinnützigen GmbH Klinikum Mittelbaden über- gefälliges Leben zu führen und jederzeit zum Sterben nommen wurde. Die Autoren berichten aus ihrer en- bereit zu sein, da der Tod meist unerwartet kommt gagierten professionellen Arbeit: die kaufmännische und ohne Rücksicht auf die Unterschiede des Alters, Leiterin, der Pfl egedienstleiter, eine Fachkraft für des Geschlechts oder des gesellschaft lichen Standes Gerontopsychiatrie, der Leiter des Sozialdienstes und jeden ergreift und mit sich nimmt. Es mag dabei für des betreuten Wohnens, der Geschäft sführer und ein manche Betrachter ein Trost gewesen sein, dass der ehemaliger Gutsverwalter des landwirtschaft lichen Tod alle gleich behandelt, auch wenn in diesem Le- Anwesens Aspichhof, das seit 1902 zur Hub gehört, ben die Standesunterschiede noch so groß und der Fachärzte für Psychiatrie, ehrenamtliche Mitarbei- weltliche Reichtum noch so ungerecht verteilt sind. terinnen und Mitarbeiter, ein Augustinerpater als Beim »Bleibacher Totentanz« aus dem Jahr 1723 zum Klinikseelsorger und der Bürgermeister von Otters- Beispiel spricht der Tod zum »Reichen Mann«: weier. In dessen Beitrag und von Dietrich Buff (†), der »Betracht dein säckell mit vollem gelt, die Texttafeln des historischen Rundwegs erarbeitet darmit hast du Freydt auf disser weldt, hat, erfährt der Leser, was es mit dem Namen Hub hab dich beym Rockh du muest mit mir, auf sich hat: Hub kommt von haben, bedeutet soviel dein gueth und gelt hilft jetz nit dir.« wie abgegrenztes Land von einer bestimmten Größe Der Tod wird in diesen Totentänzen meist als Ske- (je nach Landschaft unterschiedlich), der Besitzer lett dargestellt, während seine »Opfer« erkennbar mit oder Verwalter heißt dann Huber. – Dem Herausge- standes- oder berufstypischen Attributen und ent- ber ist es gelungen »e pluribus unum« zu machen. Er sprechender Kleidung ausgestattet sind. Im aleman- stellt auch den Initiator und Hauptdonator der Stif- nischen Sprachraum befanden sich die ältesten Wand- tung Hub in einem Interview vor: Winfried Krieg, gemälde mit Totentänzen im Basler Predigerkloster gebürtig aus dem Murgtal und Unternehmer in der (1439/40) und im Kleinbasler Dominikanerinnenklos- Schweiz. Renate Liessem-Breinlinger ter (1460/80), im Ulmer Wengenkloster (um 1440) und in Straßburg (im Münsterkreuzgang um 1480 und in der ehemaligen Dominikanerkirche um 1485). Diese Hans Georg Wehrens: Der frühesten Kunstwerke blieben aus verschiedenen Totentanz im alemanni- Gründen alle nicht erhalten; sie sind nur durch Nach- /HUZ.LVYN>LOYLUZ schen Sprachraum. »Muos bildungen und Kopien der Bilder und Texte überliefert. +LY;V[LU[HUa Seit dem 16. Jahrhundert verbreiteten sich die To- PTHSLTHUUPZJOLU:WYHJOYH\T ich doch dran – und weis É4\VZPJOKVJOKYHU¶\UK^LPZUP[^HU¸ nit wann«. Verlag Schnell & tentänze als Wandgemälde und in Druckschrift en Steiner, Regensburg 2012, auch im übrigen Elsass, in Südbaden und im Boden- 287 Seiten, 90 Farb- und 29 seegebiet, im schwäbischen Sprachbereich und in der s/w-Abbildungen, 21 x 28 deutschsprachigen Schweiz bis ins Wallis. Während cm, Hardcover, ISBN 978-3- die frühen Totentänze anonym blieben, fi nden sich 7954-2563-0, 49,95 € vom 16. Jahrhundert an auch berühmte Namen unter den Künstlern: Ambrosius Holbein (Stein am Rhein, Totentanzdarstellungen fi nden sich überall in Mittel- 1515), Hans Holbein d. J. (Basel, 1524), Niklaus Ma- europa. Auf Reisen kann man sie als Wandgemälde in nuel Deutsch (Bern 1516), Wilhelm Wernher Graf Kirchen und Klöstern, an Friedhofsmauern und To- von Zimmern (Herrenzimmern, ca. 1550), Jakob

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Hiebeler (Füssen/Allgäu, 1602), Matthäus Merian Jahren aufgefallen, dass sich auf der europäischen d. Ä. (Basel, 1621), Rudolf und Conrad Meyer (Zü- Landkarte der Totentanzdarstellungen der aleman- rich, 1650). Auch die in Freiburg entstandenen bei- nische Raum als besonders ergiebig erweist. Als »ale- den Totentänze fehlen nicht, nämlich der 1559 von mannisch« gilt dabei der kulturell vernetzte Raum Galienus Entringer an der Hauptfassade des Alten seit dem späten Mittelalter, wie Prof. Dr. Hugo Ott Rathauses ausgeführte Totentanz (nicht erhalten) und Dr. Johanna Regnath in ihrem Vorwort für das und das Wandgemälde in der Vorhalle der Michaels- Alemannische Institut hervorheben. Wehrens hat es kapelle auf dem Alten Friedhof, dessen Fassung aus unternommen, alle noch erhaltenen Darstellungen dem 18. Jahrhundert durch Kriegsfolgen vernichtet, der Totentänze und der erwähnten Totenlegenden aber 1963 in Anlehnung an das Original erneuert und aufzuspüren und zu besichtigen oder deren frühere im vergangenen Jahr sorgfältig restauriert worden ist. Existenz nachzuweisen, sie zu beschreiben und sorg- Diese mehr als 50 monumentalen und graphischen fältig zu erfassen. Der genaue Standort, die Art der Totentänze werden in dem sorgfältig redigierten und Gestaltung, die Entstehungsgeschichte und die aus- großzügig ausgestatteten Band behandelt und – so- führenden Künstler, nachfolgende Renovierungsar- weit möglich – durch Abbildungen anschaulich ge- beiten und die Verse in ihrer ursprünglichen Form macht. Da zu jedem Totentanz die entsprechenden werden von ihm genau dokumentiert. in Verse gefassten Dialoge und Monologe gehören, Nach Abschluss seiner Sammlung und Beschrei- sind auch diese vollständig und in der jeweils ältes- bung der ältesten Freiburger Stadtansichten und der ten Sprachfassung abgedruckt, was auf umfangrei- verdienten Auszeichnung dieses Bildbandes mit dem che Vorarbeiten des Autors in Archiven und Biblio- Landespreis für Heimatforschung im Jahre 2005, theken schließen lässt. widmete sich Wehrens mehre Jahre intensiv den To- Zu den Vorläufern der Totentänze gehören nicht tentänzen. »Eine große Schwierigkeit war«, wie er nur die als »Vado mori«, »Ars moriendi« und »Me- ausführt »die Beschaff ung von Bildmaterial«. Das mento mori« bekannten Versdichtungen des 13. Jahr- umfangreiche, bibliophile Werk ist auch aufgrund hunderts, sondern auch die seit dem 14. Jahrhundert der ausführlichen Bibliographie und der breit ange- vor allem im alemannischen Sprachraum verbreite- legten Personen- und Ortsverzeichnisse sowie wegen ten bildlichen Darstellungen der beiden volkstümli- der »kritischen Sichtung und Auswertung der Fach- chen Legenden von der »Begegnung der drei Leben- literatur« eine grundlegende Bestandsaufnahme und den und der drei Toten« und von den »Dankbaren kann als Standardwerk bezeichnet werden. Toten«, wozu die ältesten Beispiele in Sempach-Kirch- Hubert Matt-Willmatt bühl / Kanton Luzern (um 1310) und in Badenweiler (Ende 14. Jh.) erhalten geblieben sind. Auch diese ins- LITERATUR gesamt 15 bis heute erforschten Wandbilder zu diesen Legenden werden mit Bild und Text vorgestellt. Stefan Pflaum: Zwischen- Für uns ist es heute unverständlich, dass die Basler himmel. Oberrheinisches Anwohner des Predigerklosters den bereits damals Tage- und Nächtebuch. in ganz Europa bekannten und gepriesenen Predi- Drey Verlag, Gutach 2010, gertotentanz von der Friedhofsmauer (1439/40) als 308 Seiten, geb., ISBN 978- »Schandfl eck« bezeichnet und am 5./6. August 1805 3-933765-55-0, € 21,– in einer Bürgeraktion zerstört haben. Nur einige, al- lerdings sehr wertvolle Reste dieses Basler Totentan- zes konnten von Kunstliebhabern gerettet werden; sie sind heute im Historischen Museum Basel mus- tergültig ausgestellt. Eine Rettungstat im übertragenen Sinne ist auch Stefan Pfl aum ist kein Bewohner der Städte. Trotz- Hans Georg Wehrens gelungen. Ihm war vor einigen dem – oder gerade deswegen – sind ihm in seinem

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neuen Buch drei hinreißende Städteporträts geglückt. die in Straßburg entstanden ist, bis zum Pfaff en- Natürlich: Es sind Städte, die ohne ihre Umgebung weiler Dorfb runnen, von der Freiburger Buchhand- nicht recht zu fassen wären. Und Städte, die weni- lung Zum Wetzstein, der ein Loblied mehr gesungen ger aus ihrer zeitgenössischen Urbanität als aus ih- wird, bis zur Firma Herrenknecht in Schwanau. Dass rer reichen Geschichte leben. Basel, Straßburg, Frei- er ihn niemals überspannt, dass man seinen Sprün- burg, diese drei: Ihre Erkundung bildet das Herz- gen und Assoziationen mit größtem Vergnügen und stück in Pfl aums »Oberrheinischem Tage- und nimmermüder Neugier folgt, liegt zum einen daran, Nächtebuch«, das im Titel einen Anklang an René dass Stefan Pfl aum ein wacher Beobachter ist, der Schickeles »Himmlische Landschaft « mitschwingen noch im unscheinbaren Schild am Straßenrand, in lässt: »Zwischenhimmel« – was ist das? Der Himmel der beim Vorbeigehen aufgeschnappten Unterhal- zwischen Frankreich, der Schweiz und Deutschland, tung Bemerkenswertes entdeckt. die im südwestlichen Grenzland einen Sprach-, Kul- Zum anderen ist es sein Ton: Pfl aums Liebeserklä- tur- und Geschichtsraum bilden? Wenn man von rung an den Oberrhein – das ist sein Buch ja ohne Pfl aums stimmungsvollem Schwarz-weiß-Foto auf Zweifel – verliert sich nie in Schwärmereien, will dem Cover ausgeht, einer Panoramasicht von St. den Leser nicht durch Begeisterung vereinnahmen Peter auf die Gipfellinie des Feldbergs von fast asia- und verführen. Die kleine Form von Notizen, Ge- tischer Zartheit, sind damit die so genannten Inver- dichten, Anekdoten und Geschichten, die er gewählt sionslagen gemeint: Jene Tage, an denen sich der Ne- hat, gibt dem Buch eine schöne gelassene heitere Bei- bel wie ein Tuch über die Ebene des Rheintals spannt läufi gkeit – und eben jene Fülle und Vielfalt, die ei- und über der Dunstschicht das Himmelsblau umso nen immer wieder in Staunen versetzt. Auch wenn kräft iger leuchtet. man die Städte, die Dörfer und die Landschaft en des »Zwischenhimmel«: Das ist kein Titel für ein her- Oberrheins gut zu kennen glaubt: Wenn man Stefan kömmliches Reisebuch, obwohl der in München ge- Pfl aum auf seinen Streifzügen und Promenaden folgt borene, in Lahr aufgewachsene Autor, Mundartdich- – besonders toll sind die 50 Seiten über Basel mit einer ter und -performer, den sein Kollege Karl-Heinz Ott Hommage an den Tinguely-Brunnen geraten –, stellt im Klappentext sehr hübsch einen »badischen Jandl« man fest, dass es noch unglaublich viel zu entdecken nennt, viele hundert Kilometer in seiner alemanni- gibt. Und man möchte sich sofort aufmachen: zur schen Wahlheimat zurückgelegt hat – zwischen El- Dorfk irche von Blansingen mit ihren Fresken oder sass, Sundgau, Schwarzwald, Kaiserstuhl und Orte- ins Turckheimer Militärmuseum oder zum Meiselo- nau bis, das sind die nördlichsten, nur noch gestreif- cker in Straßburg. Und das ist doch das Beste, was ei- ten Stationen, Baden-Baden und Karlsruhe. Stefan nem Buch mit dem Namen »Zwischenhimmel« pas- Pfl aums wie hingeworfene Notizen und Beobachtun- sieren kann. Bettina Schulte, Badische Zeitung gen im Vorübergehen, seine atmosphärischen Schil- derungen und historischen Exkurse, seine Geschich- ten und alemannischen Haikus fügen sich in kein Genre. Sie sind selbst so etwas wie ein Zwischen- himmel: zwischen schwebender Poesie und fundier- tem Wissen, zwischen sprachkritischen Nadelsti- chen (gegen die Anglisierung) und der Würdigung von Schrift stellern, Künstlern und anderen Persön- lichkeiten der Region, zwischen der Erinnerung an die Kriege und die Deportationen und der (sprach) kundigen Beschreibung von Landschaft . Pfl aums Bo- gen ist äußerst weit gespannt. Er reicht von der Basler Kondomeria bis zur Erinnerung an den todkranken Dichter Reinhold Schneider, von der Marseillaise,

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nen ist. Er ist auch literarisch tätig: Im Jahr 2009 er- heb\cWnakbbo Rolf Max Kully: »Johann schien sein historischer Roman »Napoleons Schatten @e^WddF[j[h>[X[b Peter Hebel privat«. Veröf- – das abenteuerliche Leben der Suzanne Cérésole«. fh_lWj fentlichungen der Zentral- H[p_jWj_edlec'-$&'$(&'' Elmar Vogt _dZ[hP[djhWbX_Xb_ej^[a bibliothek Solothurn. Kleine Iebej^khd Reihe, Heft 1, 2011, 30 Seiten + CD. Fr. 15.– zzgl. MUSIK 5,– Fr. für Porto und Ver- packung. Zu beziehen über

Uli Führe · Stefan Pfl aum Uli Führe und Stefan das Sekretariat der Zentral- 'Ab[_d[H[_^[ Pflaum, Woni sing und P[djhWbX_Xb_ej^[a bibliothek, E-Mail: sekreta- stand. Ein grenzüberschrei- [email protected], Tel. (00 41 32) 6 27 62 62, Fax tendes alemannisches (00 41 32) 6 27 62 00, Postadresse: Zentralbibliothek Liederbuch. Schriftenreihe Solothurn, Bielstrasse 39, Postfach, CH-4502 So- Ein grenzüberschreitendes des Landesvereins Badi- lothurn. alemannisches Liederbuch sche Heimat, Bd. 3, hg. v. d. Muettersproch-Gsellschaft, Die neue Reihe der Zentralbibliothek Solothurn, Verein für alemannische die «Kleine Reihe», präsentiert kurze Texte aus dem G. Braun Buchverlag Sprache e. V. u. d. Landes- Umfeld der Bibliothek. Das erste Heft ist Johann verein Badische Heimat, G. Braun Buchverlag, Karls- Peter Hebel (1760 bis 1826) gewidmet. Rolf Max ruhe 2012, 261 Seiten mit Musiknoten, Kartenskiz- Kully, ehemaliger Germanistikprofessor an der Uni- zen und Zeichnungen, gebunden. versität Basel und früherer Direktor der Zentral- bibliothek Solothurn, stellte im Januar 2011 dem be- »Rite, Rite Rössli, z’ Basel stoht a Schlössli, z’ Friburg geisterten Publikum der «Freunde der Zentralbibli- stoht e Guggehus …«. Das Schlössle kann auch in othek» unter dem Titel «Johann Peter Hebel privat» Bregenz stehen, dann ist in Dornbirn »a Glokkehus«. eine Auswahl an witzigen Gedichten aus Privatbrie- Das Kinderlied mit den drei spinnenden Nornen ent- fen Hebels vor. Dem vorliegenden Heft liegt eine CD deckt man als guten Bekannten im neuen aleman- bei, welche die Prosa- und Gedichttexte in einer nach nischen Liederbuch. Mit der selben Wiedererken- der Lesung mit dem Rezitator aufgenommenen Fas- nungsfreude reagiert man auf »In Mueders Stübele«, sung enthält. Der mündliche Vortrag wirkt unmittel- das Bettellied mit der eingängigen Melodie, in dessen barer, und die Mundart ist besser verständlich als in vielen Strophen eine ganze Geschichte erzählt wird, der gedruckten Fassung. »Rolf Max Kullys Blick auf der Zuhörer aber immer erst neugierig gemacht wird eine wenig bekannte Seite Hebels soll Maßstäbe set- durch das »hm, hm, hm«. Diese beiden Lieder sind zen: In Bezug auf die sprachliche Gestaltung, die wis- im gesamten alemannischen Sprachraum verbreitet, senschaft liche Redlichkeit und den Inhalt, der neu den sich Stefan Pfl aum und Uli Führe als Sammel- und überraschend ist«, schreibt die Herausgeberin und Bearbeitungsgebiet vorgenommen haben. Sie der neuen Reihe, Verena Bider, im Vorwort. Rolf Max gehen von vier Regionen aus: Baden, Schweiz, Elsass Kully wurde 1934 in Solothurn geboren. Neben den und Vorarlberg. Ausgeklammert wird der Bereich Schwerpunkten Geistliches Drama und Johann Peter östlich des Schwarzwalds, der sprachgeschichtlich Hebel widmete sich Kully dem Humanismus in Solo- zwar dazu gehört, aber anderweitig einschlägig gut thurn. Seit seiner Pensionierung 1998 und der Eme- bearbeitet ist, so die Begründung. Für diese vier Re- ritierung 2002 widmet Rolf Max Kully einen großen gionen trugen die Autoren überliefertes Liedgut zu- Teil seiner Arbeitszeit dem ehrgeizigen Projekt »So- sammen. Für Baden sind vertonte Hebelgedichte da- lothurnisches Namenbuch«, das er in den späten 80er bei wie »Z’ Müllen an der Post«, das volkstümlich- Jahren initiiert hat und dessen erster Band über die fröhliche »Hit isch Kilwi«, oder »De Duwak« aus dem Amtei-, Bezirks- und Gemeindenamen 2003 erschie- Schuttertal. Für das Elsass beginnt es mit dem »Hans

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im Schnoogeloch«, »Das Elsass, unser Ländel« und tisch deutlich durch Kartenskizzen mit Kenn- und dem schmissigen »Hopp Mariannele«. Besonders Leitworten. Uli Führe erklärt den Aufb au der Melo- reich an Mundartliedern ist die Schweiz; etliche da- dien, die Akkordmuster, das Sprachspielerische im von sind überregional bekannt: »Es Burebiebli mag Dialekt; er äußert sich zu »Wirtschaft und Politik im i nit« oder »Vo Luzern uf Wäggis zue«. Vorarlberg Lied«, eindrucksvoll am Beispiel der Schweizer Söld- beginnt mit Rita, Rita Rössle und endet mit »Gibele, ner in dem Lied »Es het e Buur es Töchterli«. Und Gäbele«. Wer die Lieder lernen will, fi ndet Noten und er schreibt die Geschichte der modernen Liederma- Gitarrengriff e zu allen 79 Beispielen. cher seit den 1970er Jahren und ihrer Bezüge zu alten Auf das überkommene Liedgut lassen die Au- und neuen, weltweiten und regionalen Kunst- und toren Werke von Liedermachern aus neuerer und Stilrichtungen. Einige Lieder untersucht er im De- neuer Zeit folgen, eine kultur- und zeitgeschichtlich tail, darunter »In Mueders Stübeli«, das man sogar wertvolle Dokumentation. Zwanzig der insgesamt in Hamburg kenne. Walter Mossmann hat es 1975 44 Beispiele stammen aus Baden. 23 der Text- und umgedichtet, in Alemannisch natürlich, obwohl das Tondichter werden mit Kurzbiographien im Anhang für ihn eine Fremdsprache war. Auch Goethe habe vorgestellt, darunter auch die beiden Autoren. Ro- versucht, Verse in der Sprache Johann Peter Hebels ger Siff er gehört zu den bekannteren, ein Vorbild für zu schreiben. Schließen wir die Tour durch das ale- die Sänger, die in den 1970er Jahren beim Kampf ge- mannische Liederbuch mit einem obrigkeitskriti- gen das geplante Atomkraft werk bei Wyhl aktiv und schen Lied aus dem Bauernkrieg vor 500 Jahren, das kreativ geworden sind. François Brumpt, Roland Franz Schüssele von den Gälfi äßlern aufgegriff en hat: Burkhart (Buki), Aernschd Born und Walter Moss- »Die Bure sind ufriarig wore«. Die von ihm hinzuge- mann, um nur einige zu nennen, nutzten den rechts fügten Strophen stammen aus der Zeit, als in Wyhl und links des Rheins heimischen Volkston, um die der Platz besetzt war. Bis in die Gegenwart liefert das Zusammengehörigkeit fühlbar zu machen. André Zeitgeschehen Stoff für die Liedermacher. Pfl aum Weckmann prägte das Wort von der Alemannischen und Führe ermuntern sie mit ihrem Buch, aktiv zu Internationalen. Um alle hier erwähnten Liederma- bleiben, auch über die politischen Grenzen hinweg. cher und die Details zu ihrem Schaff en aufzufi nden, Renate Liessem-Breinlinger muss man die Anmerkungen und die Texte in Käst- chen bei den Liedbeispielen beachten: Neben Ro- ger Siff ers »Mine G’sang« präsentiert Stefan Pfl aum NACHSCHLAGEWERKE eine nette Anekdote, wie dieser in Quebec mit einem Grand Prix de la Chanson française in der Kategorie RUDI MECHTHOLD Mechthold, Rudi: Landes- »Eingeborenensprache« geehrt wurde. Um all diese geschichtliche Zeitschriften LANDESGESCHICHTLICHE ZEITSCHRIFTEN Bonbons und die im Anhang nicht verzeichneten 1800–2009 1800–2009: ein Verzeichnis Liedermacher (wie den ehemaligen Bürgermeister Ein Verzeichnis deutschsprachiger landesgeschichtlicher deutschsprachiger landes- und heimatkundlicher Zeitschriften, Zeitungsbeilagen und Schriftenreihen von Lembach im Unterelsass Henri Mertz) zu fi nden, geschichtlicher und hei-

wäre der eilige Leser für ein Namens-Register dank- matkundlicher Zeitschrif- bar. Aber das Buch ist ein Schatzkästlein, das man ten, Zeitungsbeilagen und immer wieder zur Hand nehmen soll, und das im- Schriftenreihen. – Frankfurt mer wieder für Entdeckungen gut ist, in der Abtei- a. M.: Klostermann 2011,

lung »Fundstücke« und anderswo. 332 S., 1 CD-ROM. (Zeit- VITTORIO KLOSTERMANN @ FRANKFURT AM MAIN Die Autoren bieten auch Wissenswertes als Hin- schrift für Bibliothekswe- tergrund, in erster Linie über die Mundart und ihre sen und Bibliographie, Sonderband 101) ISBN 978- regionalen Besonderheiten, ein Part, den Stefan 3-465-03684-5, Ln., € 89,– Pfl aum, Vorstandsmitglied der Muettersproch-Ge- sellschaft , übernimmt. Gestützt auf wissenschaft li- Jeder, der auf dem Gebiet der Landes- oder Heimat- che Publikationen macht er seine Aussagen auch op- kunde im deutschsprachigen Raum nach Periodika

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sucht, ob es sich nun um Blätter, Briefe, Boten, Jahr- Badische Landkarte. bücher oder Zeitschrift en handelt, wird dem Autor Baden – Bodensee, Lörrach, dankbar sein, dass er jetzt, nach etlichen Vorläu- Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, fern, ein, wie es im Vorwort heißt, umfassendes Ver- Wertheim 1:365.000 zeichnis der letzten beiden Jahrhunderte vorlegt. Al- Kartographie und Gesamther- lerdings wundert man sich, dass heutzutage so ein stellung: Kartografischer Verlag Verzeichnis noch in Buchform produziert wird, bis WAY OK, Stuttgart, 2012, € 6,90 man, ohne Vorwarnung, aber beruhigt, auf dem hinteren Buchdeckel eine CD-ROM eingeklebt fi n- det. Ein zweiseitiges Literaturverzeichnis entpuppt sich als Verzeichnis der verwendeten Regionalbib- liografi en; aber eine genaue Durchsicht off enbart, dass z. B. eine badische fehlt wie auch die wichtigste deutsche, nämlich die Zeitschrift en-Datenbank, so- Bei dieser im September 2012 erschienenen »Badi- dass beim Rezensenten Zweifel aufk ommen, dass es schen Landkarte« handelt es sich, wie auf der Titel- sich um ein Gesamtverzeichnis handeln kann. Dazu seite zusätzlich vermerkt wird, um eine »aktuelle erwartet man dann Aufk lärung durch das Vorwort. Straßenkarte mit historischer Landesgrenze von Aber da schweigt der Autor! Das Wort ergreift nun Baden«. Das Format ist 87 x 49 cm, somit kann die seine Chefi n Silvia Pfi ster, die Leiterin der Landes- Karte gut an eine nicht allzu große Wandfl äche ge- bibliothek Coburg. Durch Beispiele zeigt sie, dass pinnt werden. Nach Norden geht die Karte bis über landschaft lich gebundene Geschichte das Funda- Frankfurt hinaus, nach Süden bis einschließlich Zü- ment aller historischen Erkenntnis ist, die sich auf rich. Dies erscheint sinnvoll, weil so wichtigen Ver- kleinste, historisch verstandene Räume richtet, die kehrsströmen Rechnung getragen wird. Nach Wes- überregional wenig geläufi g sind, wie z. B. das Os- ten wird dagegen leider Mülhausen () und terland, das Pleißenland, das Alte Land, das Zaber- nach Osten Würzburg nicht erreicht. gäu oder selbst der Kraichgau, dessen Grenzen selbst Das alte badische Staatsgebiet ist durch eine inten- die Baden-Württemberger kaum kennen. Da wäre es sivere Färbung hervorgehoben und macht den badi- schon hilfreich gewesen, wenn dem Werk eine Karte schen Reiterstiefel anschaulich. Bei der Autobahn mit eingetragenen Landschaft sbegriff en beigegeben A 81 im Bereich Osterburken–Möckmühl wirkt der worden wäre! Farbwechsel etwas irritierend, da die blaue Linien- Aber trotz allem, sind diese vermerkten Negativa signatur (für die Autobahn) dort fünfmal zwischen Marginalien, die das Gesamtwerk ein wenig trüben, Dunkelblau und Hellblau wechselt. Andererseits aber im großen und ganzen nicht beeinträchtigen, wird so das Kuriosum der in diesem Gebiet mehrfach stellt es doch das erste, so umfangreiche Verzeichnis vor- und zurückspringenden Grenze betont. der Periodika auf diesem Gebiet dar. Es macht die Als Umrandung des badischen Territoriums einzelnen Titel, trotz ihrer häufi gen Änderung, auf- wurde eine zwei Millimeter breite, orangefarbene fi ndbar und für eine bestimmte Zeitschrift nachvoll- Linien sig natur gewählt, die gut sichtbar, aber durch ziehbar, wozu ein mehr als 30-seitiges Regionalregis- unnötig starke Generalisierung in ihrem Detailver- ter dient, das über Landschaft s- und Städtenamen lauf etwas teigig-fl ießend geraten ist. Die eigentli- selbst einmalig erschienene Periodika nachweist. che Grenzlinie ist – unter Inkaufnahme der durch So gesehen stellt die Arbeit von Rudi Mechthold die Generalisierung erfolgten Ungenauigkeit – in ein wichtiges Hilfsmittel für jede heimatkundliche der Mitte dieses Streifens zu suchen. Eine Stichpro- Arbeit dar, das in jeder Bibliothek zu fi nden sein benkontrolle beim nordöstlich von Hornberg bei- sollte und wohl auch wird, nicht zuletzt dank seiner derseits auf der alten Grenze liegenden Weiler Foh- Aufnahme in die renommierte Reihe des Kloster- renbühl zeigt, dass präzise gearbeitet wurde, denn mann Verlages. Rolf Fuhlrott der Ort erscheint mitten im orangefarbenen Strei-

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fen. Dennoch ist dieses Verfahren kartographisch Werfen wir einen Blick ins Elsass, wo alle Orts- unorthodox. Üblich wäre eine feine Linie, an die an namen in der offi ziellen französischen Schreibweise, der Außenseite zur Sichtbarmachung ein farbiges also z. B. »Strasbourg« geschrieben sind. Dort hatte Band angelegt wird. Die Außengrenzen Badens nach die Soft ware off ensichtlich Probleme mit dem è, Frankreich und zur Schweiz hin erscheinen übrigens denn es tauchen Ortsnamen wie »Schaff house-pr- in einem Braunton, der dadurch entsteht, dass der s-Seltz« und »Neuwiller-pr’s-Lauterbourg« auf. Und orangefarbene Streifen auf die violette Schraff ur auf- nordöstlich von Straßburg, wo wir eigentlich die Ro- gedruckt wurde, die auf der Originalkarte (ohne ba- bertsau erwarten würden, erscheint ein Ort namens dische Grenzen) die heutigen internationalen Gren- »H§nhm«. zen symbolisiert. Diese Originalkarte wurde wahr- Die Karte besitzt auf der Rückseite ein alphabe- scheinlich etwas verkleinert, was die z. T. sehr kleine tisches Ortsregister mit Planquadratangaben zum Schrift und auch den krummen Maßstab erklärt. schnellen Auffi nden aller badischen, aber auch würt- Einige badische Exklaven, die inselartig außerhalb tembergischen, hessischen und rheinland-pfälzi- des zusammenhängenden Gebiets liegen (Büsingen, schen Orte, sofern sie auf der Karte erfasst sind. Lei- Verenahof, Adelsreute, Tepfenhard) sowie einige der wurden die Orte im Elsass, in Lothringen und in württembergische Enklaven, die von badischem Ge- der Schweiz nicht ins Register aufgenommen, ganz biet umgeben sind (Hohentwiel, Bowiesen), wurden so, als würde man in Baden in Richtung Ausland in der Darstellung vergessen. nicht über den Tellerrand hinausschauen wollen. Die wichtigeren Ortsnamen sind in gut lesbarem Zum Trost sind auf der Rückseite der Karte noch vier Schwarz, mittelgroße Orte zusätzlich durch eine Wahlplakate von 1951, alle pro-badisch, und zwei his- schwarze Rundsignatur hervorgehoben. Wahr- torische badische Wappendarstellungen abgebildet. scheinlich sollen es die Hauptzielorte sein, die auf Unterhalb der Legende fi nden wir noch einen klei- den amtlichen Wegweisern zu fi nden sind, doch nen Text zur Geschichte Badens mit der sympathi- wird dies in der Kartenlegende nicht erklärt. Selt- schen Überschrift »Baden lebt!«, der sich – von klei- samerweise hat aber z. B. Waldkirch im Gegensatz neren historischen Unrichtigkeiten (Gau Baden »bis zu Emmendingen keinen schwarzen, sondern ei- 1945«) abgesehen – bemüht, Baden trotz der Gebiets- nen schwarz umrahmten weißen Kreis, so wie z. B. reform nach 1970 unangetastet zu erhalten. Darin das wegweisertechnisch unbedeutende Denzlingen. heißt es: »Nach der Bildung des Großherzogtums ab Den schwarzen Kreis hat Kollnau, das mit Wald- 1806 ist Baden bis heute in seinen Grenzen unver- kirch zusammen eine Doppelstadt bildet. Ansons- ändert geblieben«. Wenn dieser Satz politisch-admi- ten sind Doppelstädte wie WaldshutTiengen oder nistrativ nun wirklich keine Gültigkeit mehr hat, so Villingen-Schwenningen nach neuer Schreibung stimmt er, dank der Badischen Landkarte, immerhin vermerkt. kartographisch. Ulrich Raabe

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396_Buchbesprechung.indd 421 04.06.2013 23:19:11 Landesverein Badische Heimat e. V.

VORSTAND DES LANDESVEREINS BADISCHE HEIMAT E. V.

Landesvorsitzender Dr. Sven von Ungern-Sternberg Tel. dienstl. 07 61 / 7 37 24 Hansjakobstr. 12 Fax dienstl. 07 61 / 7 07 55 06 79117 Freiburg [email protected]

Stellv. Landesvorsitzender Dr. Volker Kronemayer Tel. dienstl. 0 62 22 / 30 55-311 Erzbergerstr. 45 Tel. priv. 0 62 02 / 7 37 34 68782 Brühl Fax priv. 0 62 02 / 92 05 05 [email protected]

Landesrechner Margrit Roder-Oeschger Tel. 01 71 / 8 90 29 37 Im Weingarten 8 [email protected] 79594 Inzlingen

Chefredakteur Heinrich Hauß Tel. 07 21 / 75 43 45 Weißdornweg 39 Fax 07 21 / 92 13 48 53 76149 Karlsruhe [email protected]

Schriftführer, Internetbeauftragter Dr. Christoph Bühler Tel. 0 62 21 / 78 37 51 und Öff entlichkeitsarbeit Lochheimer Str. 18 Fax 0 12 12 / 6 22 33 66 65 69124 Heidelberg [email protected]

Beisitzer Jürgen Ehret Tel. 0 76 34 / 18 87 Schwarzwaldstr. 30 [email protected] 79423 Heitersheim

Beisitzer Gerlinde Hämmerle Rhode-Island-Allee 4 76285 Karlsruhe

Beisitzer Karl-Heinz Harter Tel. 0 76 64 / 23 62 Römerstr. 19 [email protected] 79206 Breisach Beisitzer Joachim Müller-Bremberger Tel. priv. 0 76 66 / 88 03 09 Kaiserstuhlstr. 19 [email protected] 79211 Denzlingen

BEIRAT

Prof. Dr. Kurt Andermann Nibelungenring 79 Tel. 07 21 / 9 26 26 72 76297 Stutensee [email protected]

Prof. Dr. Wolfgang Hug Hagenmattenstr. 20 Tel. 07 61 / 6 26 83 79117 Freiburg [email protected]

Wolfram Jäger Unterer Lußweg 7 Tel. 07 21 / 1 33 10 25 76227 Karlsruhe [email protected]

Dr. Gerhard Kabierske Karlsburgstr. 5 Tel. priv. 07 21 / 49 51 92 76227 Karlsruhe Tel. dienstl. 0721 / 60 84 43 76 [email protected]

Dr. Arnulf Moser Allmannsdorfer Str. 68 Tel. 0 75 31 / 6 75 34 78464 Konstanz [email protected]

Elisabeth Schraut Röntgenstr. 6 Tel. 07 21 / 2 95 30 76133 Karlsruhe [email protected]

422_Vorstände.indd 422 04.06.2013 22:17:47 Dr. Wilfried Schweinfurth Luisenstr. 20 Tel. 0 62 62 / 1 57 99 68723 Schwetzingen [email protected] Dr. Rosemarie Stratmann-Döhler Bismarckstr. 19 Tel. 07 21 / 2 84 42 76133 Karlsruhe [email protected] Dr. Gerhard Stratthaus Landtag von Baden-Württemberg Tel. 07 11 / 2 06 39 88 Konrad-Adenauer-Str. 3 [email protected] 70173 Stuttgart Karl-Heinz Vogt Parkweg 11 Tel. u. Fax 0 76 22 / 96 65 79688 Hausen i.W. Prof. Dr. Paul-Ludwig Weinacht Rossstr. 27 Tel. 0 93 65 / 91 14 97261 Güntersleben [email protected] REGIONALGRUPPEN Baden-Baden Dieter Baeuerle Tel. u. Fax priv. 0 72 21 / 3 19 53 Schlossstraße 8 [email protected] 76530 Baden-Baden Bruchsal Jörg Teuschl Tel. u. Fax 0 72 51 / 6 29 34 An der Schanze 21 [email protected] 76703 Kraichtal-Unteröwisheim Elisabeth Burkard Tel. u. Fax 0 72 51 / 1 82 11 Mozartweg 9 76646 Bruchsal Freiburg Dr. Bernhard Oeschger Tel. dienstl. 0 76 33 / 80 64 50 Hauptstr. 11 [email protected] 79219 Staufen Julia Dold Tel. 07 61 / 6 81 48 44 Konradstr. 15 [email protected] 79100 Freiburg Heidelberg Dr. Christoph Bühler Tel. 0 62 21 / 78 37 51 Lochheimer Str. 18 Fax 0 12 12 / 6 22 33 66 65 69124 Heidelberg [email protected]

Karlsruhe Dr. Hans-Jürgen Vogt Tel. 07 21 / 9 50 49 51 Durmersheimer Str. 53 [email protected] 76185 Karlsruhe Lahr Gabriele Bohnert Tel. dienstl. 0 78 21 / 9 10-0416 Stadtarchiv Fax dienstl. 0 78 21 / 9 10-70416 Rathausplatz 4 [email protected] 77933 Lahr Lörrach Inge Gula Tel. 0 76 21 / 5 34 06 Brunnenstraße 19 [email protected] 79541 Lörrach Mannheim Dr. Kai Budde Tel. privat 06 21 / 2 71 50 L 11, 9 [email protected] 68161 Mannheim Pforzheim Dieter Essig Tel. 0 72 34 / 84 02 Im Hasenacker 31 Fax 0 72 34 / 94 80 17 75181 Pforzheim Rastatt Martin Walter Tel. dienstl. 0 72 22 / 3 81 13 81 Kreisarchiv Tel. priv. 0 72 25 / 98 54 38 Am Schlossplatz 5 [email protected] 76437 Rastatt

422_Vorstände.indd 423 04.06.2013 22:17:47 Schwetzingen Dr. Volker Kronemayer Tel. dienstl. 0 62 22 / 3 05 53 11 Erzbergerstr. 45 Tel. priv. 0 62 02 / 7 37 34 68782 Brühl Fax priv. 0 62 02 / 92 05 05 [email protected] Wiesloch Jürgen W. Braun Tel. 0 62 22 / 5 45 18 Münchäckerweg 33 [email protected] 69168 Wiesloch GESCHÄFTSSTELLE Karl Bühler Hansjakobstr. 12 Tel. 07 61 / 7 37 24 Daniela Koehler 79117 Freiburg Fax 07 61 / 7 07 55 06 [email protected]

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