ALMA UND DIE MUSIK

MAHLER: 5. SYMPHONIE folgenden Angaben: „Nachdem er den ersten Satz (LIEBESBRIEF AN ALMA) entworfen hatte, war Mahler aus dem Walde herunter Das „Adagietto“ in Mahlers 5. Symphonie ist eine musikali- gekommen und hatte gesagt: ‘Ich habe versucht, dich in sche Huldigung an Alma. In der Partitur, die er seinem Freund, einem Thema festzuhalten – ob es mir gelungen ist, weiß dem Dirigenten Willem Mengelberg, gegeben hatte, kann man ich nicht. Du mußt dirs schon gefallen lassen.’ Es ist das einen Eintrag des Besitzers lesen: „Dieses Adagietto war eine große, schwungvolle Thema des I. Satzes. Im dritten Satz Liebeserklärung an Alma! Statt eines Briefes sandte er ihr [das Scherzo] schildert er das arhythmische Spielen der dieses im Manuskript: weiter kein Wort dazu. Sie hat es beiden kleinen Kinder, die torkelnd durch den Sand laufen. verstanden und schrieb ihm, er solle kommen!!! Beide haben Schauerlich – diese Kinderstimmen werden immer mir dies erzählt. WM“. Ausserdem wurde das Adagietto als tragischer, und zum Schluß wimmert ein verlöschendes Leitmotiv zu Viscontis „Tod in Venedig“ weltberühmt. Stimmchen. Im letzten Satz beschreibt er sich und seinen Untergang oder wie er später sagte, den seines Helden. Den Trauermarsch der 5. Symphonie gibt’s es, von Mahler ‘Der Held, der drei Schicksalsschläge bekommt, von denen selbst auf einem mechanischen Welte-Klavier gespielt – ihn der dritte fällt, wie einen Baum.’ Dies Mahlers Worte. Piano Rolls (Originalaufnahmen) Kein Werk ist ihm so unmittelbar aus dem Herzen geflossen wie dieses. Wir weinten damals beide. So tief fühlten wir MAHLER: 6. SYMPHONIE diese Musik und was sie vorahnend verriet. Die Sechste ist (DAS „ALMA-THEMA“) sein allerpersönlichstes Werk und ein prophetisches Gustav Mahlers Sechste Sinfonie in a-Moll von 1904 ist obendrein. Er hat sowohl mit den Kindertotenliedern wie eines seiner finstersten und gewaltvollsten Werke. Lange auch mit der Sechsten sein Leben ‘anticipando musiziert’. wurde sie selbst von Mahler-Verfechtern als „zu negativ“ Auch er bekam drei Schicksalsschläge, und der dritte fällte abgelehnt, heute gibt es über sechzig Einspielungen davon. ihn. Damals aber war er heiter, seines großen Werkes Die Arbeit nahm Mahler im Sommer 1903 in Maiernigg am bewußt und seine Zweige grünten und blühten.“ Wörthersee auf, wo er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Maria Anna die Ferien verbrachte. Alma berichtet, Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Mahler dass er sich damals in guter Verfassung befand: „Er spielte nach der Generalprobe zur Uraufführung im Mai 1906 in viel mit dem Kind, das er herumschleppte, in den Arm Essen ganz erschüttert war. Er schluchzte, rang sich die nahm, um mit ihm zu tanzen und zu singen. So jung war er Hände, war seiner nicht mächtig. Kein Werk – so Alma – sei damals und unbeschwert.“ ihm beim ersten Hören so nahe gegangen. Im Konzert soll er die Symphonie „fast schlecht“ dirigiert haben, „weil er Alma brachte am 15. Juli ihre zweite Tochter Anna Justina sich seiner Erregung schämte und Angst hatte, daß die zur Welt und reiste zu ihrem Mann. „Der Sommer war Empfindung während des Dirigierens aus ihren Grenzen schön, konfliktlos, glücklich“, berichtet sie in ihren Memoi- brechen könnte. Die Wahrheit dieses schrecklichsten ren. Mahler vollendete die Sechste und fügte den bereits letzten Antizipando-Satzes wollte er nicht ahnen lassen!“ Es bestehenden zwei Kindertotenliedern drei weitere hinzu. Am scheint, als habe Mahler tatsächlich die tragischen Ende der Ferien spielte er seiner Frau die Symphonie vor. Ereignisse geahnt, die das Jahr 1907 ihm und seiner „Wir gingen wieder Arm in Arm in sein Waldhäuschen Familie bringen sollte: den Tod seiner älteren Tochter, die hinauf, wo wir mitten im Walde ohne Störung waren. All das Demission von der Wiener Hofoper und vor allem die geschah immer mit einer großen Feierlichkeit.“ Diagnostizierung seines Herzleidens. Direkt im an diesen Bericht machte Alma die

– 1 – MAHLER: 8. SYMPHONIE verbindet diese „Zehnte“ zugleich das Los, dass der Tod (ALMA GEWIDMET) des Komponisten die Vollendung buchstäblich vereitelt hat. Die achte Symphonie, die seiner Frau Alma gewidmet hat, die Symphonie mit der gewaltigsten Die Manuskripte zur „Zehnten“ entstehen zwischen dem 3. Besetzung (drei Chöre, Kinderchor, Vokalsolisten, erweit- Juli und dem 3. September 1910. Diese Wochen verbringt ertes Orchester), die ihr auch den Beinamen „Symphonie Mahler in seinem Südtiroler Feriendomizil bei Toblach; In der Tausend“ eingetragen hat endet mit dem Faust-Chorus: diesem Sommer wird die kompositorische Besinnung durch „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, Ereignisse von tief greifender, existentieller Bedeutung hier wird’s Ereignis: Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan: gestört: Durch ein Versehen (oder gezielte Indiskretion) Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ erfährt Mahler von der Affäre, die seine Frau Alma seit Anfang Juni mit dem Architekten unterhält. Die überwältigend erfolgreiche Uraufführung am 12. Die Enthüllung vernichtet für ihn jäh alle familiäre Sicherheit. September 1910 in München bildete den krönenden Verlustängste quälen ihn fortan – und dies, wie man heute künstlerischen Abschluss in Mahlers Leben. Es war das weiß, keineswegs ohne Grund: Denn trotz einer letzte seiner Werke, das Mahler selbst vom Konzertpodium Aussprache mit Gropius verfolgt Alma die intime Beziehung aus der Welt vorstellte. Als er acht Monate später, am 18. heimlich weiter. Um der unmittelbaren psychischen Folgen Mai 1911 starb, hinterliess er zwei unveröffentlichte der Ehekrise Herr zu werden, reist Mahler Ende August ins Partituren: „Das Lied von der Erde“ und die 9. Sinfonie, holländische Leiden und sucht in einem therapeutischen aber auch ein Manuskript mit dem Entwurf zu einer Gespräch Rat bei Sigmund Freud. Die Konsultation dauerte zehnten. Über den Entwurf der Zehnten kursierten zunächst höchsten vier Stunden und hatte trotzdem durchschlagen- nur widersprüchliche Gerüchte, und es liegt die Vermutung den Erfolg. In einem Brief an seine Schülerin Marie nahe, dass keiner von denen, die sich über die Zehnte Bonaparte äußert sich Freud zu seiner Diagnose: „Mahlers äusserten, Gelegenheit hatte, das Manuskript einer näheren Frau Alma liebte ihren Vater Rudolf Schindler und konnte Prüfung zu unterziehen. hielt den Entwurf der nur diesen Typus suchen und lieben. Mahlers Alter, das er Zehnten unter Verschluss, und so wurde ihm vorerst keine so fürchtete, war gerade das, was ihn seiner Frau so weitere Beachtung geschenkt. anziehend machte. Mahler liebte seine Mutter und hat in jeder Frau deren Typus gesucht. Seine Mutter war vergrämt Im Stück „Alma“ ist die „Achte“ Oskar Kokoschka, Almas und leidend, und dies wollte er unterbewußt auch von wildestem und verzweifeltsten Liebhaber, zugeordnet. Das seiner Frau Alma.“ Mit dieser Analyse gab Freud eine Art „Veni Creator spiritus“ („Komm, Schöpfer Geist!“) taucht versteckte Lizenz zum Inzest und bescherte den beiden verschiedentlich als Vorbote der Alma-Puppe auf, Kokosch- dadurch letzte gemeinsam glückliche Monate. Alma war kas Verwundung und ihre Ankunft wird durch die strahlende allerdings empört, als Freud ihr kurz nach Mahlers Tod im Chorpassage begleitet. Mai 1911 ungeniert die Rechnung für diese kurze ana- lytische Sitzung in Leiden zusandte. MAHLER: 10. SYMPHONIE (ALMAS UNTREUE) Mit einem Bekenntnis beginnt Almas Vorwort zur ersten Das Geheimnis der „letzten“ Sinfonie Mahlers hat die Faksimile-Ausgabe der 10. Symphonie von 1924: „… Habe Menschen von jeher gefesselt. „Es sieht so aus“, vermutete ich es erst für mein teures Recht gehalten, den Schatz der Arnold Schönberg, „als ob uns in der ,Zehnten’ etwas zehnten Sinfonie im Verborgenen zu wahren, so weiss ich gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sollen“. es nunmehr als meine Pflicht, der Welt die letzten Gedank- Er huldigte damit der Aura jener ominösen Zahl, an der so en des Meisters zu erschliessen. Die einzig richtige Form viele bedeutende Sinfoniker, darunter Beethoven und der Veröffentlichung der zehnten Symphonie konnte nur die Bruckner, gescheitert waren. Auch Mahler gelang es nicht, Faksimilierung sein. Sie verkündet nicht nur die letzte Musik eine 10. Sinfonie zu vollenden. Sein letztes Werk teilt mit des Meisters, sie zeigt in den erregten Zügen der Hand- Schuberts „Unvollendeter“ den Charakter des Fragments; schrift das rätselhafte Selbstbildnis des Menschen und mit Bruckners „Neunter“ und dem Requiem von Mozart zeugt für ihn fort. Manche werden in diesen Blättern wie in

– 2 – einem Zauberbuch lesen, andere wieder werden vor und gesagt, es sei des Meisters Wille gewesen, dass dieses magischen Zeichen stehen, zu denen ihnen der Schlüssel Werk nach seinem Hinscheiden verbrannt werden soll … fehlt, keiner wird sich der Macht entziehen, die von diesen Erst viel später erfuhr ich … und Frau Mahler bestätigte es Notenzügen und hingeschleuderten Wortekstasen mir … dass sein Wunsch … nicht ihr gegenüber, sondern weiterwirkt.“ (Mahler hatte sein Entsetzen und seine zu seinem New Yorker Freund und Arzt Dr. Josef Fränkel Verzweiflung über die Ehekrise handschriftlich mit folgenden geäussert worden war, ja dass er zu seiner Frau in den letzten Wortfetzen auf die Partitur geschrieben: Erbarmen! oh, Wochen seines Lebens in ganz anderem Sinn, manchmal Gott! Oh, Gott! Warum hast du mich verlassen? – Der voll Hoffnung auf ein Vollendenkönnen des Werkes, Teufel tanzt mit mir … Wahnsinn, faß mich an, Verfluchten! manchmal als von einer in der Skizze ganz fertig gestellten Vernichte mich … daß ich vergesse, daß ich bin! Daß ich Arbeit gesprochen habe, mit der sie nach Gutdünken aufhöre, zu sein … daß ich verschw – Du allein weißt, was schaffen solle … Als ich den wahren Sachverhalt erfuhr, war es bedeutet. Ach! Ach! Ach! Leb’ wol mein Seitenspiel! Leb ich der erste, der Frau Mahler beschwor, das Manuskript wol … Leb wol … Leb wol … Ach wol … Ach, ach. Für wieder hervorzuholen … Sie holte den Entwurf der dich leben! Für dich sterben! Almschi!) fünfsätzigen Sinfonie … und wir entdeckten … zu unserer grossen Überraschung, dass zwei Sätze. des Werkes … so Diese erste Faksimile-Ausgabe blieb nicht die einzige vollkommen fertig und bis auf jedes Instrument aufgezeich- Bemühung Almas im Zusammenhang mit der Veröffentlich- net waren, dass man sie, ohne eine Note zu ändern, ung der Zehnten. 1924 konsultierte sie den Komponisten einfach aus der Skizze in Partiturform bringen konnte. (ihren Schwiedersohn) hinsichtlich einer möglichen Vervollständigung des Manuskripts. Er sagte zu, MAHLER: „LIEBST DU UM SCHÖNHEIT“ beschränkte sich aber darauf, eine Reinschrift des Adagios (LIED, PRIVATISSIMUM AN ALMA) (l. Satz) und eine aufführbare Partitur des „Purgatorio“ (3. Alma litt im Sommer 1902 unter heftigen Gefühlsschwank- Satz) anzufertigen. Als gewiefte Geschäftsfrau habe sie die ungen, die sie sich selbst nicht erklären konnte. „Jetzt vergehe Idee gehabt, erinnert sich Ernst Krenek, „Mahlers neun ich vor Liebe zu ihm – und im nächsten Moment empfinde Symphonien eine zehnte hinzuzufügen, denn es schien ein ich nichts, nichts!“ Ihre Zustände, zwischen depressiven einfaches Rechenexempel zu sein, dass zehn Symphonien Stimmungen und moralischen Selbstbezichtigungen hin- in den Konzertprogrammen mehr bringen würden als und herschwankend, stehen im Kontrast zum Klischee der neun“. Er entschied aber, dass er nur die Teile „Adagio“ und glücklichen, noch dazu in guter Hoffnung befindlichen „Purgatorio“ edieren könne, die restlichen drei Sätze jedoch Ehefrau an der Seite eines faszinierenden Künstlers. „Und nicht anrühren würde: „Es hätte der schamlosen Kühnheit immer diese Tränen“, seufzte sie in ihrem Tagebuch. Noch eines unsäglichen Barbaren bedurft, um den Versuch zu nie habe ich so viel geweint, als jetzt, wo ich doch alles wagen, dieses leidenschaftliche Gekritzel eines sterbenden habe, wonach ein Weib nur streben kann. Auch Mahler Genies zu orchestrieren. Alma war zutiefst enttäuscht und hatte gemerkt, dass mit seiner Frau etwas nicht stimmte. Er verstimmt, als ich ihr diesen Stand der Dinge erklärte. Ich reagierte auf seine Art, indem er für Alma ein Lied komponi- freue mich, dass ich hart blieb und nicht einmal im Traum erte. Als „ein Privatissimum an Dich“ bezeichnete er seine daran dachte, bei einer abscheulichen Betrügerei behilflich Vertonung des Rückert-Gedichtes „Liebst Du um Schön- zu sein.“ Auch Arnold Schönberg lehnte einen Versuch zur heit“. Alma freute sich zwar über dieses Geschenk; die Vervollständigung ab, war 1924 zwar bereit grundsätzliche Problematik, die sich auch aus Almas dazu, traute sich aber wegen Schönbergs ablehnender Unzufriedenheit mit sich selbst ergab, wurde dadurch aber Haltung nicht, und Webern und Schostakowitsch zeigten nicht gelöst. Oft fühle ich, wie wenig ich bin und habe im kein Interesse an einer solchen Arbeit. Vergleich zu seinem unermesslichen Reichtum!

Wie es zu dem Sinneswandel bei Alma Mahler kam, erläutert Richard Specht: „Ich habe unwissentlich ein Unheil angerichtet und muss es gutmachen. In meinem Buch über Gustav Mahler habe ich über seine zehnte Sinfonie berichtet

– 3 – MAHLER: “ICH BIN DER WELT ABHANDEN 1924: Hymne, Ekstase, Der Erkennende, Lobgesang, GEKOMMEN“ (LIEBESLIED) Hymne an die Nacht

MAHLER: „DIE ZWEI BLAUEN AUGEN“ Gustav Mahler und Alma Schindler waren sich erstmals im (LIEBESLIED AN ALMA) November 1901 begegnet. Schon kurz darauf machte der Komponist einen Heiratsantrag, den Alma akzeptierte. Jedoch URI CAINE: PRIMAL LIGHT – URLICHT kreisen ihre Gedanken in diesen Tagen um ein Problem – (JÜDISCHE WURZELN IN MAHLERS MUSIK) ihre größte Sorge war, ob Mahler mich zur Arbeit animieren Vom amerikanischen Jazz-Komponisten Uri Caine gibt es wird, ob er meine Kunst unterstützen wird, ob er sie so Transkriptionen von Mahlers Musik, „Primal light“ – Urlicht lieben wird, wie Alex. – Wenn wir soweit kommen, und ich aus der 2. Symphonie, in denen er die europäischen werde die Seine, so muss ich schon jetzt mich gehörig Elemente heraus filtert und die jüdischen Elemente in rühren, um mir den Platz zu sichern, der mir gebührt … Mahlers Musik in den Vordergrund stellt. nämlich künstlerisch. Er hält von meiner Kunst gar nichts – von seiner viel – und ich halte von seiner Kunst gar nichts ALMA: LIEDER und von meiner viel. So ist es! Nun spricht er fortwährend (ALMAS EIGENE KOMPOSITIONEN) von dem Behüten seiner Kunst. Das kann ich nicht. Bei Alma hatte schon früh auf dem Klavier gespielt, auf dem Zemlinsky wärs gegangen, denn dessen Kunst empfinde Notenständer lagen häufig Klavierauszüge der Opern ich mit – das ist ein genialer Kerl. Aber der Gustav ist ja so Richard Wagners. Da Alma ausgezeichnet vom Blatt spielen arm – so furchtbar arm. Wenn er wüsste, wie arm er ist – er konnte, erarbeitete sich ein bemerkenswertes Repertoire. würde die Hände vor die Augen geben und sich schämen. Doch mit dem virtuosen Spiel wollte sie sich nicht zufrieden geben. Und so wurde der Wiener Organist Josef Labor Dies macht deutlich, dass Alma nicht daran dachte, ihr erster Kompositionslehrer der Sechzehnjährigen. Labor war Komponieren aufzugeben. Als sie jedoch einen langen Brief ein älterer Herr, mehr väterlicher Freund als fordernder aus Dresden erhielt, wurde ihr schlagartig bewusst, dass Lehrer und kaum in der Lage, ihr Talent in geordnete der Kampf aussichtslos war. Mahler setzte ihr auf zwanzig Bahnen zu lenken. Überdies war er blind. Alma spielte ihm Seiten mit radikaler Offenheit auseinander, wie er sich ein Dutzende von selbst komponierten Liedern und Kla- gemeinsames Leben vorstellte. Alma sei zu jung und unreif, vierstücken vor, ihr Komponieren war eine Art Selbstaus- um schon eine echte Persönlichkeit zu besitzen. Sie druck, etwas Intimes, dem Tagebuchschreiben Ähnliches. umgebe sich mit falschen Freunden, die ihr das trügerische Ich möchte eine große That thun, schreibt sie in ihrem Gefühl vermittelten, eine ausgereifte Persönlichkeit zu sein. Tagebuch, möchte eine wirklich gute Oper componieren, Alma und ihre Anhänger hätten sich „mit Phrasen berauscht was bei Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte weil Du schön bist, und anziehend für Männer, die dann, ich. Mit einem Wort, ich möchte etwas sein und werden, ohne es zu wissen, der Anmut unwillkürlich Huldigung und das ist unmöglich – & Warum? Mir fehlte die Begabung leisten“. Und sie sei „eitel auf das geworden, was diese nicht, mir fehlt nur – der Ernst. Leute an Dir zu sehen vermeinen. – Wie stellst Du Dir so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung wie Alma Schindler studierte seit 1897 bei Alexander Zemlinsky lächerlich und herabziehend so ein eigentümliches Komposition. Sie hat Lieder, Instrumentalstücke, auch den Rivalitätsverhältnis werden muß? Daß Du so werden mußt, Beginn einer Oper komponiert. Früh versuchte sie sich in wie ich es brauche, wenn wir glücklich werden sollen, mein Kompositionen zu Gedichten von Rilke, Novalis, Heine u. a. Eheweib und nicht mein College – das ist sicher! Künde mir erbarmungslos alles, was Du mir zu sagen hast und wisse - 1910: Die stille Stadt, In meines Vaters Garten, Laue Sommer- viel lieber jetzt noch eine Trennung zwischen uns, als einen nacht, Bei dir ist es so traut, Ich wandle unter Blumen Selbstirrtum weitergeführt. Denn, wie ich mich kenne, würde es schließlich für uns Beide zu einer Katastrophe.“ 1915: Liebt in der Nacht, Waldseligkeit, Ansturm, Erntelied

– 4 – Wie Alma auf diesen berühmt gewordenen Brief reagierte ihre Oberflächlichkeit einem Erfolg als Komponistin im Wege ist nicht überliefert. In ihren „Tagebuchsuiten“ hallt der stand. „Entweder Sie componieren“, hielt er ihr einmal Verlust ihrer Musik nach. Mir blieb das Herz stehen. Meine entgegen, „oder Sie gehen in Gesellschaften – eines von Musik hergeben – weggeben – das, wofür ich bis jetzt beiden. Wählen Sie aber lieber das, was Ihnen näher liegt – gelebt. Ich habe das Gefühl, als hätte man mir mit kalter gehen Sie in Gesellschaften.“ Faust das Herz aus der Brust genommen. Ich musste weinen – denn da begriff ich, dass ich ihn liebe. Zwischen der attraktiven und parkettsicheren Alma und dem zurückhaltenden Zemlinsky entwickelte sich bald ein Errst nach Almas Affäre mit Walter Gropius nahm sich intensives Verhältnis. Unter seiner Führung komponierte das Mahler 1910 mit schlechtem Gewissen plötzlich ihrer musikalisch begabte Fräulein eine Reihe von Liedern nach Jugendkompositionen an und schlug sogar eine gemein- Gedichten von Rilke, Heine, Werfel u. a. Zemlinsky war ein same Überarbeitung vor. Noch im selben Jahr ließ er fünf unvergleichlicher Pädagoge, er war der Lehrer Arnold Lieder drucken und in Wien und New York aufführen. Schönbergs, mit dem er auch in Freundschaft verbunden war. Nachdem Gustav Klimt Alma in Venedig den ersten ALEXANDER ZEMLINSKY Kuß geraubt hatte, trat Zemlinsky in Almas Herzen dessen (KOMPOSITIONSLEHRER & ALMAS Nachfolge an, ab Herbst 1900 ging es um mehr als um den GELIEBTER) Unterricht. Zemlinsky und Alma Schindler begannen eine Im Frühjahr 1900 traf die zwanzigjährige Alma auf Alexander ebenso heftige wie problematische Liebesbeziehung, Sie von Zemlinsky. Der 29-jährige Komponist galt als eine der ließ sich von ihm küssen, streicheln, erlaubte ihm jede Intim- großen Hoffnungen der Wiener Musikszene. Als Alma ihn ität bis auf die letzte und raubte ihm damit fast den zum ersten Mal in einem Sinfoniekonzert sah – Zemlinsky Verstand. Er seinerseits verstand es, Almas erwachende dirigierte sein Werk „Frühlingsbegräbnis“ – notierte sie Sexualität mit einer Leidenschaftlichkeit zu erwecken, die erschrocken in ihr Tagebuch: Eine Carricatur – kinnlos, sie seine „Virtuosenhände“ nie vergessen ließ. Die Bezieh- klein, mit herausquellenden Augen und einem zu verrückten ung war ein Wechselbad der Gefühle, Alma quälte Dirigieren. Gut zwei Wochen später lernte sie den Kompon- Zemlinsky zwei Jahre lang, bis sie sich 1902 gegen ihn und isten auf einer Soiree persönlich kennen und fand ihn immer für eine Ehe mit dem um zwanzig Jahre älteren Gustav noch furchtbar hässlich, hat fast kein Kinn – und doch gefiel Mahler entschied. Almas Tagebücher und Zemlinskys Briefe er mir ausnehmend. Alma und Zemlinsky unterhielten sich dokumentieren die Leidenschaft dieser Beziehung (Zemlin- an diesem Abend lange über Richard Wagner, insbeson- sky: „Ich will dich – mit jedem Atom meines Fühlens.“) – und dere über den „Tristan“. Als Alma ihm eröffnete, dieses warum das ungleiche Paar nicht zusammenkommen konnte. Werk sei ihre Lieblingsoper, war Zemlinsky so erfreut, dass Alma bewunderte die Musik und den Geist Zemlinskys und er nicht wiederzuerkennen war. Er wurde ordentlich hübsch. erlag seiner großen erotischen Ausstrahlung, konnte sich Jetzt verstanden wir uns. Er gefällt mir sehr – sehr. Alma jedoch nie mit seinem Äußeren und seiner Herkunft aus hatte fortan nur noch einen Wunsch: Ich möchte beim Zem- „kleinen“ Verhältnissen identifizieren – schon gar nicht in der linsky lernen. Wenn Mama’s nur erlaubt. Auch Zemlinsky für sie so wichtigen Öffentlichkeit und gegenüber ihren Eltern, fand an dieser Vorstellung Gefallen und versprach die Zemlinsky von Anfang an nicht akzeptierten. Zemlinsky schließlich, Alma im Winter in seinen Schülerkreis aufzuneh- seinerseits liebte Alma abgöttisch, war aber angewidert von men. Bis dahin sollte sie ihm einige ihrer Kompositionen der Eitelkeit der Salons und von den „von Cliquentum überlassen, damit er sich ein genaueres Bild von ihrem verkalkten Seelen“ (Zemlinsky), mit denen sie verkehrte. Er derzeitigen Wissensstand machen könne. Was er dann erträumte sich „ein kleines gedämpftes Zimmerchen, recht vorgelegt bekam, war allerdings für ihn eine herbe Enttäus- behaglich“, in dem er mit Alma „nach der Arbeit zusammen chung. „Es sind in den drei Liedern so unerhört viele sein“ wollte -– ein Bild, in das eine der seinerzeit begehrt- Fehler“, schrieb er an Alma, „dass mir der Kopf brummte.“ esten Frauen Wiens so gar nicht passte. Alexander von Zemlinsky war ein strenger Lehrer mit einem unbestechlichen Blick. Er kritisierte die Einfälle seiner Zemlinsky hatte bald genug von Alma: „Endlich empört sich Schülerin und machte Alma unmissverständlich klar, dass ein wenig mein Stolz“, schrieb er ihr Ende Mai 1901: „Meine

– 5 – Liebe, Du betonst so oft, so oft Du nur kannst, wie Diese Art der Umarmung war mir fremd … Ich erwiderte sie lächerlich wenig ich bin und habe, wie viel mich ungeeignet in keiner Weise, und gerade das schien auf ihn gewirkt zu macht, Dir zu gehören! Hast Du so viel zu geben, so haben. Er stürmte davon, und in einer Stunde hatte ich den unendlich viel, dass andere Bettler dagegen sind?! Liebe schönsten Liebes- und Werbebrief in Händen.“ gegen Liebe, sonst kenne ich nichts. Du bist sehr schön, und ich weiß, wie sehr ich diese Schönheit schätze. Und STRAWINSKY: LE SACRE DU PRINTEMPS später? In 20 Jahren???“ (PARALLELE ZU KOKOSCHKAS MALEREI) Der Komponist Alfredo Casella spielte Alma 1912 in Paris Nach Almas Heirat mit Mahler brach der Kontakt zwischen Strawinskys brandneues „Le Sacre du Printemps“ vor, von beiden zunächst ab; nach 1903 kam es aber wieder zu dem sie daraufhin sagte, es beinhalte „die gefährlichsten regelmäßigen Briefwechseln und Begegnungen. Auch viele Ideen seit Mahler“. Zitat Alma: „Das waren neue Länder der Jahre nach ihrer Liebesbeziehung löste die Begegnung mit Musik und nach Debussy das erste, was einem wieder Alma Mahler besondere Gefühle in ihm aus. Als sich Alma Glücksmomente zaubern konnte.“ 1917 negativ über Zemlinskys Oper „Eine florentinische Tragödie“ äußerte, reagierte er mit einem seiner rhetorisch Nicht nur, daß Kokoschka mit Alma gemeinsam die „sich brillantesten Briefe voller Schärfe und Emotion. kreischende Animalität ergießender Klänge“ erlebte, sie brachte die frühe Musik des Russen auch in Zusammen- Viele Werke Zemlinskys sind entweder Alma gewidmet oder hang mit Kokoschkas Kunstauffassung und „Virtuosität der spiegeln das Verhältnis der schönen, unerreichbaren Frau Erotik“. Kokoschkas „Windsbraut“ und Strawinskys „Sacre“ und des „hässlichen Gnoms“ wieder. („Der Geburtstag der – das kam für sie aus einer Quelle. Werfel kreidete ihre Infantin“) Leidenschaft sowohl für Kokoschka als auch für Strawinsky später als „Perversion im fortgeschrittenen Stadium“ an. WAGNER: ISOLDES LIEBESTOD (ALMAS LIEBLINGSKOMPONIST/ ERNST KRENEK: OPER NACH BEGEGNUNG MIT KOKOSCHKA) KOKOSCHKAS „ORPHEUS & EURYDIKE“ „Ich liebe jemanden, so heiß, so innig ward vielleicht kein ORPHEUS UND EURIDIKE, Oper in drei Akten op. 21, Mensch noch geliebt, es ist Richard Wagner. Er ist mir der Libretto von Oskar Kokoschka. Der Oper liegt ein Drama liebste Mensch auf Erden – ich kanns beschwören.“ (Alma Kokoschkas zugrunde, zu dem Ernst Krenek 1923 „wie in in ihren Jugendtagebüchern, 6. Juni 1898) einem Rausch“ die Musik schrieb. , Almas Tochter, die mit Krenek verheiratet war (seine 2. Symphonie Alma und ihr Komposditionslehrer Alexander von Zemlinsky, ist ihr gewidmet), fertigte den Klavierauszug an. Die den Alma furchtbar hässlich fand, kinnlos, klein, mit Uraufführung fand 1926 in Kassel statt. Das Werk wird herausquellenden Augen, unterhielten sich an einem Abend seither ungerechtfertigter Weise selten gespielt, die lange über Richard Wagner, insbesondere über den Salzburger Festspiele brachten 2005 eine konzertante „Tristan“. Als Alma ihm eröffnete, dieses Werk sei ihre Aufführung. Thema von Kokoschkas Drama „Orpheus und Lieblingsoper, war Zemlinsky so erfreut, dass er nicht Eurydike“, das er 1916/17 nach seiner schweren Kriegsver- wiederzuerkennen war. Er wurde ordentlich hübsch. Jetzt wundung an der russischen Front in der Rekonvaleszenz verstanden wir uns. schrieb, ist seine gescheiterte Liebesbeziehung zu Alma. In der Folge entstanden zahlreiche Grafiken und Gemälde zu (Oskar Kokoschka in seinen Erinnerungen:) „Wie schön sie diesem Thema. 1921 wurde Kokoschkas Schauspiel in war hinter ihrem Trauerschleier! Ich war verzaubert von ihr! Frankfurt uraufgeführt, Regisseur war Heinrich George, der Nach dem Abendessen hat sich mich beim Arm genom- auch die Rolle des Orpheus spielte. Kokoschka saß men und mich ins Nebenzimmer gezogen, wo sie sich während der Proben in der ersten Reihe des Parketts und hinsetzte und mir den ‚Liebestod’ vorspielte.“ (Alma:) „Wir weinte still, aber unaufhörlich. Albrecht Joseph, der spätere standen auf – und er umarmte mich plötzlich stürmisch. Ehemann Anna Mahlers, war Georges Assistent und

– 6 – erinnert sich: „Immer wenn ich aus dem Parkett über die wurde gerufen, innerhalb weniger Stunden war Manon kleine Notbrücke auf die Bühne steigen mußte, um etwas gelähmt. Kinderlähmung. Sie war siebzehn Jahre alt. mit George zu besprechen, sah ich unvermeidlich auf meinem Zurück in Wien saß die bezaubernde Manon, die gerne Weg zurück Tränen über Kokoschkas Gesicht fließen. Ich Schauspielerin geworden wäre, angezogen und heraus- wunderte mich, denn ich wußte nicht, daß Orpheus Koko- geputzt in einem Rollstuhl und wurde in dem großen Haus schka selbst war, Eurydike Alma, Psyche ihre Tochter Anna auf der Hohen Warte herumgeführt. Sie starb ganz und Pluto Mahler. Ich ahnte nicht, daß für einige Jahre nach plötzlich, am Pfingstmontag des Jahres 1935. In Erinnerung Mahlers Tod Alma und Kokoschka eine leidenschaftliche, an Manon Gropius komponierte Alban Berg sein Violin- wilde Liebesbeziehung miteinander hatten, die damit endete, konzert und widmete es „dem Andenken eines Engels“. daß Alma ihren Geliebten drängte, als Freiwilliger in den Krieg auszuziehen, obwohl er durchaus nicht zum Soldaten ANTON BRUCKER: SYMPHONIE NR. 3 geschaffen war. Er kam schwer verwundet von der Front (EIN HANDEL MIT ADOLF HITLER) heim, und Anna sagt, ihre Mutter habe sich geweigert, ihn „Ich hatte alte Sandalen an, schleppte eine Tasche mit dem im Spital zu besuchen oder ihn später überhaupt wieder- restlichen Geld und Schmuck und mit der Partitur der 3. zusehen. Er war als Soldat kein Erfolg gewesen, und das Symphonie von Bruckner.“ So schildert Alma ihre Flucht vor konnte sie nicht verzeihen. Aber Kokoschka konnte sie den Nationalsozialisten aus Südfrankreich Richtung nicht vergessen. Es wurde erzählt, daß er eine lebensgroße Lissabon, von wo sie in die USA entkam. Die Witwe Gustav Puppe machen ließ, ein Abbild seiner Liebesgöttin, die er Mahlers war eine von über 15.000 deutschen Flüchtlingen, mitnahm, wenn er reiste, auch ins Bett.“ die 1940/41 in Südfrankreich auf Ausreisepapiere hofften. Die Tasche mit der Partitur, die aufgerollten Leinwände, der BACH: CHORAL Koffer mit Manuskripten wurde zum letzten Gut, das es „O EWIGKEIT, DU DONNERWORT“ BWV 60 neben dem nackten Leben zu retten galt. (KOKOSCHKA-GRAFIK) Die Kantate besteht aus einem Dialog zwischen Furcht und Gustav Mahler hatte für seinen Lehrer Anton Bruckner einen Hoffnung, den Oskar Kokoschka auf seine eigenen Klavierauszug der 3. Symphonie angefertigt, wofür der Erlebnisse mit Alma übertrug. Laut Kokoschka »ein Mythos, Komponist sich großzügig bedankte: Er schenkte Mahler ein Gestaltetes Symbol, trächtig mit Begegnung, Zeugung die Manuskripte der ersten drei Sätze. Nach Hitlers und Entzweiung. Ich hatte die Ahnung eines kommenden Einmarsch in Wien entwickelten die Nationalsozialisten ein Verhängnisses.“ ausgeprägtes Interesse an den im Privatbesitz befindlichen Handschriften Bruckners. Der „Führer“ war begeistert von „Es ist genug: Herr, wenn es dir gefällt, so spanne mich Bruckner, und die Herausgabe der „Urfassungen“ seiner doch aus. Mein Jesus kömmt: nun gute Nacht, o Welt! Ich Sinfonien, die von fremden Einflüssen „gereinigt“ werden fahr ins Himmelshaus, ich fahre sicher hin mit Frieden, mein sollten, galt als kulturpolitisches Ziel. In Joseph Goebbels’ großer Jammer bleibt darnieden. Es ist genug, es ist Propagandaministerium wurde das Zusammentragen der genug.“ wertvollen Manuskripte koordiniert. Beschaffung der Partituren hatte höchste Priorität, „weil wir fürchten dass mit ALBAN BERG: VIOLINKONZERT (ALMAS diesem wertvollen Schatz etwas passieren könnte“. Diese TOCHTER MANON GROPIUS GEWIDMET) Befürchtung war durchaus berechtigt, denn Alma hatte den Am 5. Oktober 1916 brachte Alma ihrem Ehemann Walter wertvollen Besitz ihres Mannes mit Hilfe Ihrer Kammerfrau Gropius ein Mädchen zur Welt, das vom ersten Augenblick längst nach Frankreich schmuggeln lassen. Als die Nazis an alle in seinen Bann zog. „Sein Geist, mein Körper! Unser wegen der Partitur nachfragten, konnte Almas Schwager beider Vollendung muß einen Halbgott entstehen lassen!“ nur noch den Verlust melden. Aber Alma bot der Regierung Manon bezauberte alle Besucher, „sie verbreitete Scheu zwei Möglichkeiten an: „entweder ein Ankauf dieser mehr noch als Schönheit um sich, eine Engels-Gazelle vom Manuscripte um den Preis von ungefähr 15.000 RM [rund Himmel!“ (). Im April 1934 klagte sie eines 52.000 Euro] oder ein Ankauf des Hauses oder der Villa im Abends in Venedig über rasende Kopfschmerzen, der Arzt Werte von ca. 160.000 RM“ Es ist unklar, wie Alma sich

– 7 – diesen Handel vorstellte. Im Propagandaministerium ging VERDI: Almas Angebot durch die verschiedenen Instanzen, bis man (FRANZ WERFELS LIEBLINGSKOMPONIST) sie aufforderte, das Bruckner-Manuskript bei der Deutschen war ein großer Verdi-Fan, übersetzte das Botschaft in Paris zu hinterlegen. Die Diplomaten würden, Libretto von „Macht des Schicksals“ und feierte mit seinem wie man versprach, die geforderte Summe – mittlerweile Roman „Verdi. Roman einer Oper“ seinen ersten großen verlangte sie 1.500 englische Pfund Sterling – bar auszahl- kommerziellen Erfolg als Autor. Als der Verdi-Roman am 4. en, nach heutigem Wert ungefähr 72.000 Euro. Als Alma April 1924 erschien, hatte Alma allen Grund, auf ihr am 3. Mai 1939 mit der Dritten Sinfonie unter dem Arm in „Mannkind“ Franz Werfel stolz zu sein. Die erste Auflage der Botschaft erschien, musste sie jedoch feststellen, dass war innerhalb weniger Monate vergriffen, und es zeichnete die anwesenden Beamten nichts von der getroffenen sich ein beachtlicher Erfolg ab. Werfels erster Roman wurde Abmachung wussten. Unter diesen Umständen wollte sie zum Grundstein des Paul Zsolnay Verlages. ihren Schatz auf gar keinen Fall den Deutschen überlassen. Die Ursache für das Scheitern des Verkaufs war banal: Das ERICH WOLFGANG KORNGOLD: Propagandaministerium hatte es versäumt, die Kollegen in VIOLINKONZERT (ALMA GEWIDMET) Paris rechtzeitig über Almas Erscheinen zu informieren. Die Korngolds Konzert für Violine und Orchester D-dur op. 35 entsprechenden Instruktionen trafen erst am 4. Mai in der (Entstehung: 1945) ist Alma Mahler-Werfel gewidmet, die Botschaft ein. Almas Schwager, der glühender Nazi war, eine langjährige Freundin der Familie war und mit zum gelang es schließlich, Alma zu einem erneuten Besuch in Künstlerkreis im kalifornischen Exil gehört hatte, zu dem der deutschen Auslandsvertretung zu überreden. Nun auch der 1934 emigrierte Korngold gehörte. Anfang der stand dem Verkauf nichts mehr im Wege. Nach einigen vierziger Jahre hatte sich Los Angeles zu einer Hochburg Wochen fragte Berlin jedoch ungeduldig nach, ob Alma der deutschen Emigration entwickelt: Die Schriftsteller mittlerweile in der Botschaft vorgesprochen habe. Daraufhin Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht und Alfred teilte Paris am 6. Juni mit, dass Frau Mahler-Werfel nicht Döblin, der Komponist Arnold Schönberg, der Regisseur mehr gesehen worden sei. Alma und Franz Werfel waren Max Reinhardt, um nur einige zu nennen, ließen sich bereits Mitte Mai nach Sanary zurückgekehrt. irgendwann nach ihrer Flucht aus Europa in „Deutsch- Kalifornien“ nieder. „Zuerst war ich ein Wunderkind, dann Die Geschichte sollte jedoch erst in Amerika zu einem Ende ein erfolgreicher Opernkomponist in Europa und dann ein kommen. Mitte Dezember 1940 hiess es, Frau Mahler- Filmmusikkomponist. Ich glaube, dass ich jetzt eine Werfel sei in ihrem New Yorker Hotel telegrafisch erreichbar Entscheidung treffen muss, wenn ich nicht für den Rest und erwarte die Anweisung des Betrages in englischen meines Lebens ein Hollywoodkomponist bleiben will“ – mit Pfund oder in US-Dollar. Man staunte über das forsche diesen Worten umschrieb Korngold 1946 einen Vorgehen der Besitzerin: „Alles sehr schön, aber woher Wendepunkt. Das Kriegsende 1945 hatte dem Komponis- kommen die Devisen?“ Einige Wochen später lag die ten nicht nur die Möglichkeit eröffnet, wieder nach Europa Einschätzung der Haushaltsabteilung vor: Der von Frau zu reisen, sondern es bedeutete auch eine schöpferische Mahler-Werfel geforderte Betrag sei immerhin so hoch, Krise. Korngold wandte sich nun von der Filmmusik ab und dass er „aus der Goldreserve der Reichsbank transferiert begann wieder „absolute“ Musik in den traditionellen werden müsste“. In der derzeitigen Situation sei, wie der Gattungen zu komponieren. Das Violinkonzert in D-Dur op. zuständige Beamte betonte, eine solche Maßnahme nicht 35 von 1945 leitete diese neue Schaffensphase ein. Die zu rechtfertigen, „schließlich dürfte es sich bei Frau Mahler- enorme Virtuosität des Soloparts hatte Korngold damals Werfel wohl um eine mehr oder weniger nicht arische auf die besonderen Fähigkeiten des großen Geigers Jascha Emigrantin handeln, der gegenüber wir zur Auszahlung Heifetz abgestimmt und diesem das Konzert sozusagen auf solcher Summen in Bardevisen wenig Veranlassung den Leib komponiert. Dieser hat es am 15. Februar 1947 haben.“ Aus devisenpolitischen Gründen, so die offizielle mit dem St. Louis Symphony Orchestra unter der Leitung Sprachregelung, wurde der Kauf der Partitur abgelehnt. von Vladimir Golschmann in St. Louis uraufgeführt. Im Almas Geschäft mit dem Führer war endgültig gescheitert, Finalsatz zitiert Korngold die Hauptmelodie aus der 1937 sie hatte den Bogen überspannt. entstandenen Hollywood-Produktion „Der Prinz und der

– 8 – Bettelknabe“. Angelegt als Folge von Variationen über das schmerzlichen Höhepunkt führt. Nach einem raschen volkstümlich wirkende, rustikale Thema stellt der Schluss- diminuendo folgt eine Vertonung der „Freundlichen Geister“ Satz eine geigerische Tour de force dar, die dem Solisten (Kind Ghosts) von Wilfred Owen, womit Britten erstmals Gelegenheit gibt, seine Virtuosität in aller Brillanz unter Poesie eines Dichters verwendet, dessen Texte er auch im Beweis zu stellen. Anne-Sophie Mutter hat diesen Geheim- War Requiem vertonte. Hier hören wir nun einen Trauer- tipp unter den Violinkonzerten in jüngster Zeit populär marsch des klagenden Englischhorns, der von dem gemacht. Es ist ein wunderbares romantisches Stück, dass düsteren pizzikato-Schritt der Streicher begleitet wird. Ganz sehr an Filmmusik erinnert – Kino für die Ohren! Begleitet anders ist die Keats-Vertonung Sleep and Poetry: Mit wird Mutter vom London Symphony Orchestra unter der seinem luftigen Dialog von Flöte und Klarinette ist dieser Teil Leitung ihres Ehemanns, André Previn. Previn hat mit der leichteste Satz des gesamten Werkes. Der Höhepunkt diesem Orchester für seine Korngold-Interpretation einen ist eine Wiederholung des ritornello, woraus wiederum das Grammy gewonnen. äußerst expressive, mahlerische Schlussstück des 43. Sonetts von Shakespeare entsteht: „In When most I wink BENJAMIN BRITTEN: NOCTURNE OP. 60 werden alle bis dahin benutzten Instrumente kombiniert.“ (ALMA GEWIDMET) Britten: Nocturne, Op. 60. For tenor, seven obbligato instruments, and string orchestra (1958). Britten widmete das Werk Alma Mahler in Anerkennung dessen, was er Gustav Mahler zu verdanken hatte. Das Nocturne op. 60 wurde beim Leeds Centenary Festival von 1958, noch im Jahre seines Entstehens, uraufgeführt. Es geht um Nacht, Schlaf und Traum, Britten verwendet sieben verschiedene Solisten, die jeweils einem Lied ihre charakteristische Farbe verleihen. Das Nocturne ist durchkomponiert und von einer wiederkehrenden Ritornell-Figur der Streicher zusam- mengehalten, deren wiegende Bewegung den Atem des Schlafenden darstellen soll. Die Streicher begleiten den wiegenliedartigen ersten Gesang, Shelleys „On a poet’s lips I slept“, der vom erwähnten Schlafmotiv beherrscht wird. Eine Überblendung führt zum zweiten Teil – Tennysons „The Kraken“, das große See-Ungeheuer, an das das weit dahin springende und sich windende Solofagott erinnert. Die Harfe charakterisiert Coleridges delikate Mond- scheinträumerei des „lieblichen Knaben, der Früchte sammelt“ (lovely boy plucking fruits), wobei das reine, sorglose A-dur – das Britten üblicherweise für Unschuld und Schönheit verwendet – nur in der letzten Zeile leicht verstört erscheint: Has he no friend, no loving mother near (Ist kein Freund, keine liebende Mutter in der Nähe?). Mit seinem farbigen Gebrauch von Dämpfer, Stopfen und Flatterzunge liefert das Horn die lautmalerischen, noctur- nalen Klänge in Middletons „midnight bell“. Die beiden Mittelsätze befassen sich mit den eher unheilvollen Seiten der Nacht und der Dunkelheit: Die Zeilen aus Wordsworths Prelude erhalten ihre spezifische Färbung durch die Pauken, deren geheimnisvolles Rumpeln die Musik zu einem

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