Der Frontenfrühling von 1933 und die Bürgerlichen : "...mit ihnen einverstanden, wenn sie es unternehmen, unsere Ratssäle vom russischen Ungeziefer zu säubern"

Autor(en): Koller, Christian

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Rote Revue : Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur

Band (Jahr): 86 (2008)

Heft 1

PDF erstellt am: 06.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-342081

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http://www.e-periodica.ch Der Frontenfrühling von 1933 und die Bürgerlichen «... mit ihnen einverstanden, wenn sie es unternehmen, unsere Ratssäle vom russischen Ungeziefer zu säubern»

Am 23. September 1933 kam es rund um Faschisten, mit Exponenten des noblen den Zürcher Stauffacher zu einer wüsten Zürcher Freisinns und anderen bürgerlichen Schlägerei. Als am Abend vor den Wahlen Parteigängern. Die «Neue Zürcher Zeitung» hatte den Umzug am Vortag Christian Koller gar als «Weiheakt der vaterländischen Aktion» angepriesen.1 zum Zürcher Stadt- und Gemeinderat ein Für die ersten Wahlen zu den Behörden rechter Werbefackelzug ins Arbeiterquartier der durch die zweite Eingemeindung zu Aussersihl einmarschieren wollte, «Gross-Zürich» erweiterten Stadt hatten wurde er - trotz Ermahnungen der sich die bürgerlichen Parteien zu einer sozialdemokratischen Presse zur Besonnenheit Wahlallianz namens «Vaterländischer - von aufgebrachten Arbeitern bereits Block» mit verschiedenen «Fronten» nach wenigen Metern abgefangen und und «Bünden» zusammengeschlossen. über die Sihl in vornehmere Gefilde Für die Gemeinderatswahlen gab es eine zurückgeprügelt. Dabei hatten die Rechten Listenverbindung, auf dem bürgerlichen noch Glück, standen doch auf den Sechserticket für den Stadtrat figurierte Hausdächern entlang der Langstrasse mit auch der Führer der andere Arbeiter mit Benzinfässern bereit, «Nationalen Front». Paradoxerweisc um den «patriotischen» Fackelzug zu warnten die Freisinnigen jedoch gleichzeitig empfangen. in ihrer Wahlpropaganda vor ihren Aussergewöhnlich an diesen Tumulten, rechtsextremen Bündnispartnern. Die die bis heute im kollektiven Gedächtnis Reaktion auf die sozialdemokratische der Zürcher Linken haften geblieben sind, «Misswirtschaft» - damit war das seit ist weniger die Gewalt an sich, die einen 1928 bestehende «Rote Zürich» gemeint, beinahe integralen Bestandteil der politischen das eine vorbildliche Sozial- und Kultur des frühen 20. Jahrhunderts Wohnbaupolitik begonnen hatte - müsse kommen, darstellte und durch das Aufkommen und der «Systemwechsel» könne rechtsextremer Bewegungen in den nun noch «auf legale Weise» erfolgen: ob frühen 30er Jahren noch zugenommen hatte. dies in einem Jahr noch möglich sei. wisse Bemerkenswert war vielmehr die kein Mensch: «Wehe. Bürger, wenn Du Zusammensetzung des Werbefackelzugs, der schläfst! Dann werden die Fronten mit mit dem Einmarsch ins Herz des «Roten eisernem Besen kehren und was dann an Zürich» eine offensichtliche Provokation Freiheiten noch übrig bleibt, das siehst der Arbeiterschaft plante. Seite an Seite Du am heutigen Hitler-Deutschland: marschierten der frontistische «Harst». der Schlägertrupp der schweizerischen ¦ NZZ. 22.9.1933.

Rote Revue 1/2008 35 Nichts!» Die Fronten ihrerseits agitierten Die erste offen faschistische Organisation im Wahlkampf «gegen den antireligiösen, war dann die 1925 gegründete antisemitische bolschewistischen und jüdischen «Heimatwehr», welche während der Zersetzungsgeist» sowie «gegen den Parteienstaat Agrarkrise vor allem bei den Klein- und und gegen den unverantwortlichen Bergbauern des Berner Oberlandes Fuss Parlamentarismus».2 fasste. 1930 entstanden in Zürich gleich Die wahltaktischen Verrenkungen nützten zwei rechtsextreme Organisationen. Die den Bürgerlichen wenig. Zwar Mitglieder der «Neuen Front», die sich erreichte ihr Bündnispartner, die «Nationale als Kaderorganisation verstand, stammten Front», einen Wähleranteil von aus freisinnigen Akademikerkreisen. 7,8 Prozent, diese Gewinne gingen aber Demgegenüber rekrutierte sich die weitgehend zulasten des Freisinns, sodass «Nationale Front» zum grössten Teil aus sich unter dem Strich wenig änderte. Im dem Kleinbürgertum. Mit ihrer Zeitung Stadt- wie auch im Gemeinderat behielt «Der Eiserne Besen» und einem offen die SP ihre absolute Mehrheit - das «Rote zur Schau getragenen Antisemitismus Zürich» war vom Stimmbürger allen versuchte die «Nationale Front» die Unkenrufen zum Trotz bestätigt worden. Massen zu mobilisieren. Im folgenden Nach geschlagener «Wahlschlacht» Jahr wurde nach deutschem Vorbild die triumphierte der spätere erste SP-Bundesrat «Nationalsozialistische Eidgenössische Ernst Nobs in der «Roten Revue»: «Nie Arbeiterpartei» (NSEAP) gegründet. Im ist von bürgerlicher Seite ein Wahlkampf April 1933 vereinigte sich die Neue mit ordinärer geführt worden als diesmal. der «Nationalen Front» und auch die Der Wettbewerb in reaktionärem meisten Mitglieder der NSEAP traten zur Radikalismus hat seine schlimmsten Orgien «Nationalen Front» über. gefeiert. [...] Es war eine Lust, die In der Folgezeit gab es immer wieder dicken, plumpen Lügen der reaktionären Absplitterungen von der «Nationalen Wahlhetze Stück um Stück abzustechen Front». Bereits 1933 gründeten einige [•¦¦]¦»' enttäuschte Mitglieder die noch extremere Die Zürcher Gemeindewahlen vom «Nationalsozialistische Schweizerische September 1933 stellten einen Höhepunkt Arbeiterpartei» (NSSAP). Ein führender des so genannten «Frontenfrühlings» Exponent war , dar, des Aufkommens faschistischer ehemaliger Generalstabschef der Schweizer Bewegungen nach deutschem und italienischem Armee und von 1924 bis 1934 im Auftrag Vorbild in der Schweiz. Gleichzeitig der Schweizerischen Industriegesellschaft waren sie auch ein erfolgloser Testlauf Neuhausen (SIG) in ganz Europa als bürgerlich-frontistischer Zusammenarbeit Waffenhändler unterwegs. Bereits 1934 gegen die Arbeiterbewegung. Die verliess Sonderegger die NSSAP wieder Ursprünge der faschistischen Organisationen und gründete mit der «Volksfront» eine in der Schweiz reichten bis in die eigene Bewegung. Weitere Fronten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. entstanden in der Deutschschweiz 1935 mit Schon der 1919 als Zusammenschluss dem «Nationaldemokratischen der nach dem Landesstreik gegründeten Schweizerbund», 1936 mit der «Eidgenössischen Bürgerwehren entstandene «Schweizerische Sozialen Arbeiter-Partei» (ESAP), Vaterländische Verband» hatte einen die vor allem von Unternehmern der starken Rechtsdrall. Chemie- und Nahrungsmittelindustrie finanziell unterstützt wurde, sowie 1938

2 Schweizerisches Sozialarchiv 32/116, Wahlen Stadt mit der «Schweizerischen Gesellschaft Zürich, 1933. der Freunde einer autoritären 3 Nobs, Ernst: Die Zürcher Wahlschlacht, in: Rote Revue 13 (1933), S. 37. Demokratie» (SGAD) und dem «Bund treu-

36 Rote Revue 1/2008 er Eidgenossen nationalsozialistischer In der italienischen Schweiz gelang der Weltanschauung» (BTE). Neben diesen «Lega nazionale ticinese» zwischen 1933 offen faschistischen Bewegungen gab und 1938 der Sprung in die kantonale es auch mehrere in der Forschung als Legislative sowie in die Gemeinderäte «gemässigtere Fronten» bezeichnete einiger Tessiner Kommunen. Die Partei Organisationen in der Grauzone zwischen wurde von Alfonso Riva geführt und Rechtsbürgerlichen und Faschismus, so rekrutierte ihre Anhängerschaft an den die 1931 entstandene «Eidgenössische rechten Flügeln der beiden dominierenden Front» beziehungsweise «Eidgenössische Tessiner Parteien, der Freisinnigen Aktion» und die 1933 gegründeten und der Katholisch-Konservativen.

Bewegungen «Neue Schweiz», «Bund für Volk Ideologie und politischer Stil der Fronten und Heimat» (BVH) und «Katholisches waren Kopien ihrer ausländischen Vorbilder. Aufgebot». Antisozialismus, Antisemitismus und Die wichtigste frontistische Organisation Demokratiefeindlichkeit verbanden sich in der Romandie war die von Georges mit einem irrationalen Führerkult,

Oltramare geführte und vom faschistischen Fahnen-, Uniform- und Waffenfetischismus Italien finanziell unterstützte «Union und einem autoritären Imponiergehabe an Nationale» in Genf. Sie entstand 1932 Massenaufmärschen und Versammlungen, aus dem Zusammenschluss der 1923 wo Brandreden gehalten und Kampflieder gegründeten rechtsbürgerlichen Partei gesunden wurden. Der Führergruss der «Union de defense economique», die Frontisten bestand im Recken des rechten ihre Anhänger im Mittelstand und der Armes nach deutschem Vorbild, dazu wurde Unternehmerschaft hatte, mit der 1932 «Harus!» gebrüllt. 1933 bis 1935 führte entstandenen faschistischen Bewegung die «Nationale Front» im Albisgüetli in «Ordre Politique National». Auch die Zürich nach dem Vorbild des «Tags der «Union Nationale» vertrat unter dem Nationalen Arbeit» in Nazi-Deutschland Motto «Eine Lehre, ein Glaube, ein Führer» Gegenveranstaltungen zu den offen antidemokratische Ziele. Sie sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Maifeiern hetzte gegen Marxismus und Judentum durch. Diese zogen zwar kaum ein Zehntel und wollte an die Stelle der bestehenden so viele Menschen an wie die linken Feiern, halbdirekten Demokratie ein autoritär- führten 1934 aber zu Zusammenstössen korporatistisches System setzen. Die auf der Bahnhofstrasse. Parteianhänger paradierten als getreue Kopie Überhaupt mündeten Aktionen der fron- ihrer ausländischen Vorbilder zu Marschmusik tistischen Schlägertrupps, der mit Stahlruten und uniformiert mit Baskenmützen bewaffneten «Harste», immer wieder und grauen Hemden durch die Strassen in Gewaltorgien. So kam es im November der Calvinstadt. Im November 1932 1934 an sechs frontistischen Demonstrationen führte eine Propagandaveranstaltung der gegen das Kabarett Pfeffermühle «Union Nationale» zu einem blutigen und das Zürcher Schauspielhaus zu Armeeeinsatz, bei dem 13 antifaschistische Strassenschlachten zwischen Frontisten Gegendemonstranten erschossen wurden und der Polizei. An diesen Tumulten war (vgl. Rote Revue 84/4, 2007). Weit weniger auch beteiligt, der erfolgreich war die 1933 von Arthur in den 60er und 70er Jahren zur Leitfigur Fonjallaz bezeichnenderweise in Rom der Anti-Überfremdungsbewegung gegründete «Schweizerische Faschistische werden sollte. In Schaffhausen kam es Bewegung». Bis heute überlebt hat 1935 zu ähnlichen Vorfällen. Selbst vor dagegen die im selben Jahr von Marcel Terrorakten schreckten die Frontisten Regamey ins Leben gerufene nicht zurück. Im Januar 1934 verübten ultraföderalistische «Ligue vaudoise». sie auf die Wohnung eines Redaktors des

Rote Revue 1/2008 37 sozialdemokratischen «Volksrecht» einen Auch EMD-Chef Rudolf Minger, dessen Sprengstoffanschlag. legendärer «Bierhübeli-Rede» von 1917 Trotz alledem stiessen die Fronten die SVP letztes Jahr als ihrer Geburtsstunde zunächst im Schweizer Bürgertum durchaus gedacht hat, erfreute sich zunächst an auf gewisse Sympathien. Im Mai 1933, den Ereignissen im nördlichen Nachbarland kurz nach der Zerschlagung der und dem Aufstieg der Fronten in der deutschen Gewerkschaften durch die Nazis, Schweiz. In einer - nicht ins gedruckte rief der Freisinnige Ernst Schürch in Protokoll aufgenommenen - Rede im einem Referat vor dem Zentralvorstand Nationalrat am 21. Juni 1933 meinte er seiner Partei aus: «Wir freuen uns des in triumphierend, in den vorangegangenen den Fronten und neben den Fronten Monaten sei ein «Ereignis von erwachsenen Abwehrwillens gegen den weltwirtschaftlicher Bedeutung» eingetreten: «In zersetzenden Marxismus [...].»" Kurz darauf Deutschland ist der Marxismus vernichtet, widmeten die Zürcher Freisinnigen ihren er existiert nicht mehr.» Mit Blick Kantonaltag der Frage der Zusammenarbeit auf den Aufstieg der Fronten bemerkte mit den Fronten. Parteipräsident der Bauernpolitiker: «Nachdem [...] die Heinrich Weisflog meinte dabei, der Freisinn marxistische Weltauffassung in Italien begrüsse «von ganzem Herzen den und jetzt auch in Deutschland Fiasko Grundton der neuen Bewegungen «Alles gemacht hat, nachdem diese Weltauffassung für das Vaterland» und ist mit ihnen das grosse russische Volk ins Elend einverstanden, wenn sie es unternehmen, gestürzt hat, ist es natürlich, dass in der unsere Ratssäle vom russischen Ungeziefer Schweiz eine gesunde Reaktion kommt. zu säubern». Ein gemeinsames Handeln Kann man es unserer Jugend verargen, sei möglich «schon mit Rücksicht auf wenn sie mit einer gewissen Leidenschaft das nächste Kriegsziel, die Befreiung der eine neue Zeit herbeiwünscht?»9 Einige Stadt Zürich von der roten Herrschaft».5 Wochen später teilte Minger dem Und Karl Pestalozzi meinte namens der deutschen Gesandten von Weizsäcker mit, Jungfreisinnigen, sie begrüssten «die der Nationalsozialismus in Deutschland nationale Erneuerung und unterstützen die sei eine «naheliegende, ihm sympathische Fronten aufs kräftigste».6 Der freisinnige Entwicklung».10 «Bund» verstand das Verbot der SPD im Der Frontenfrühling von 1933 bescherte Juni 1933 als «Ausrottung des Marxismus den schweizerischen Faschisten auch in Deutschland»7 und publizierte kurz einige spektakuläre Wahlerfolge. Mit ihrem darauf auf seiner Frontseite einen Stimmenanteil von 7,8 Prozent gewann ausführlichen Bericht über die Besichtigung die «Nationale Front» im Zürcher eines Konzentrationslagers. Der Gemeinderat 10 der 125 Sitze, die sie jedoch Korrespondent führte aus, der Eindruck, den bei den nächsten Erneuerungswahlen alle er erhalten habe, sei «ausgezeichnet»: wieder abgeben müsste. Bei der «Streng und einfach, aber sauber ist der Ständeratsersatzwahl in Schaffhausen im selben Betrieb. Wenn alle Lager sind wie dieses, Monat erhielt ihr Kandidat gar einen und wenn der Zwang der Gefangenschaft Stimmenanteil von 26,7 Prozent. Die nicht wäre, könnte man es in einem «Union Nationale» kam bei den Genfer Konzentrationslager schon aushalten.»8 Grossratswahlen vom November 1933 auf 9 Prozent und eroberte 10 der 100 4 Schürch, Ernst: Der Freisinn und die Fronten: Nach Mandate. Bei den Nationalratswahlen dem Referat vom 13. Mai 1933 vor dem Zentralvorstand der freisinnig-demokratischen Partei der Schweiz in Ölten. Bern, 1933, S. 40f. 5 NZZ, 29.5.1933. 9 Schweizerisches Bundesarchiv E 1301. Bd. 299: Nationalrat. »> Ebd. Juni, 1933, S. 606-615. ' Der Bund, 23.6.1933. 10 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, 1918-1945. » Der Bund. 26.6.1933. Serie C Bd. II/l, Göttingen, 1973, S. 50.

38 Rote Revue 1/2008 von 1935, den einzigen, an denen sich ern aus dem öffentlichen Leben forderten. die Frontisten beteiligten, gewann die Bei einem anschliessenden Umzug durch «Nationale Front» ein Mandat in Zürich Bern kam es zu Scharmützeln mit der und die «Union Nationale» eines in Polizei. Zum Abschluss nahmen die beiden Genf; in vier weiteren Kantonen gingen Frontenführer von ihren vorbeidefilierenden die Fronten leer aus. Im folgenden Jahr Anhängern den Faschistengruss ging die «Union Nationale» mit den in entgegen. Die Aktion erzielte allerdings der «Entente Nationale» zusammengeschlossenen nicht die erhoffte Wirkung. bürgerlichen Parteien Genfs Der Niedergang der Fronten in der zweiten ein Wahlbündnis ein und ermöglichten Hälfte der 30er Jahre hatte verschiedene damit die Rückeroberung der 1933 an die Ursachen. Zum einen erkannten SP verlorenen Regierungsmehrheit durch zumindest Teile des Bürgertums aufgrund die Rechten. der Vorgänge in Deutschland, dass die Mitte der 30er Jahre hatten die Fronten hauptsächliche Bedrohung nicht von den Zenith ihrer Bedeutung allerdings links, sondern von rechts kam. Zum bereits überschritten. 1935 scheiterte anderen fühlten sich viele, die an sich ihr Versuch, das politische System der weiterhin weit rechts standen und mit Schweiz mit einer Totalrevision der autoritären Staatsmodellen liebäugelten, Bundesverfassung im autoritären Sinne von der schablonenhaften Imitation des umzukrempeln. Die so genannte «Fronten- Gehabes und der Symbolik der Diktaturen Initiative» wurde im September 1935 in den Nachbarländern abgestossen. mit 72,3 Prozent Neinstimmen wuchtig Hinzu kam eine starke Zersplitterung verworfen, dies, obgleich die Vorlage der faschistischen Kräfte in der Schweiz, auch von jungliberalen und liberalkonservativen nicht zuletzt bedingt durch interne Rivalitäten Kreisen unterstützt worden und das Fehlen eines unbestrittenen war. Zwei Jahre darauf scheiterte auch charismatischen Führers. die zweite frontistische Volksinitiative, Ein kurzes Revival erlebten die die ein Verbot der Freimaurerei forderte, Frontisten indessen im Jahre 1940. Als die mit einem Neinstimmenanteil von 68,7 Schweiz nach der Niederlage Frankreichs Prozent. ab dem Sommer von den Achsenmächten Nachdem nun die etablierten bürgerlichen umgeben war, bildete sich die von Parteien trotz anhaltender Deutschland aus gesteuerte «Nationale Sympathie mancher ihrer Exponenten für Bewegung der Schweiz» (NBS), in der Mussolini und Franco die Fronten etwa die ESAP und die BTE aufgingen. zunehmend rechts liegen Hessen, versuchten Am 10. September 1940 gewährte diese durch eine spektakuläre Aktion der freisinnige Bundespräsident Marcel wieder die Aufmerksamkeit der Massen Pilet-Golaz, der sich bereits durch eine zu erlangen. Am 23. Mai 1937 inszenierten anpasserische Rundfunkansprache nach und der Zürcher dem Fall Frankreichs am 25. Juni in die Frontenführer einen «Marsch Nesseln gesetzt hatte, den Anführern der auf Bern». Am Morgen dieses Tages fuhren NBS eine Audienz, was weit herum auf etwa 200 Autos mit ihren Anhängern Kritik stiess. An der darauf folgenden von Genf, Zürich, Basel, Schaffhausen Parlamentssitzung distanzierten sich alle und aus dem Aargau in die Bundeshauptstadt. grossen Parteien von Pilet-Golaz, SP Gegen zehn Uhr marschierten etwa und Landesring verlangten gar seinen 1000 Frontisten auf den Bundesplatz, wo Rücktritt. Oltramare und Henne von einem Auto Ähnliche Tendenzen wie der wiedererwachte herab gegen «das System» wetterten und Frontismus verfolgte die «Eingabe den Ausschluss von Juden und Freimaur¬ der Zweihundert» vom 15. November

Rote Revue 1/2008 39 1940. Das aus Kreisen des germanophilen Kriegsende wurden die Aktivisten dieser «Volksbundes für die Unabhängigkeit der Organisationen vom Bundesgericht zu Schweiz» lancierte Manifest rief nach langjährigen Haftstrafen verurteilt. behördlichen Massnahmen gegen Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es Presseorgane, die sich einer Anpassung an die nur einige Jahre, bis die Rechtsextremen neuen internationalen Machtverhältnisse wieder aktiv wurden. 1951 gründete der widersetzten. Unterzeichnet wurde es von Altfaschist Gaston-Armand Amaudruz 173 Personen aus rechtsbürgerlichen (der später bis Mitte der 90er Jahre als akademischen, politischen und wirtschaftlichen Mitglied der AUNS angehören sollte) Kreisen, darunter 80 Offizieren. die Bewegung «Nouvel Ordre Europeen» Unter den Unterzeichnern befanden sich sowie die kurzlebige «Volkspartei der auch einige Frontisten. Schweiz», die sich gemäss ihrem Zwei Monate nach der Audienz beim Programm für «europäische Wesensart und Bundespräsidenten wurde die NBS vom die weisse Rasse» einsetzte. In den 60er Bundesrat aufgelöst. Auch andere frontistische und 70er Jahren fanden einige ehemalige Organisationen wurden - zusammen Frontisten eine neue politische Heimat mit der Kommunistischen Partei und in den Anti-Überfremdungs-Parteien. Bis den Westschweizer Linkssozialisten - von in die 80er Jahre blieben offen rechtsextreme der Landesregierung verboten. Die letzten Organisationen aber verschlossene frontistischen Organisationen verschwanden Zirkel. Erst dann wagte sich eine neue im Sommer 1943 von der Bildfläche. Generation von Neonazis mit Aufmärschen Hingegen existierten in Deutschland an die Öffentlichkeit und machte zwischen 1941 und 1944 zwei rivalisierende auch rasch wieder durch Gewaltaktionen Auslandschweizerorganisationen, der wie Angriffe auf Ausländerinnen und «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» Anschläge auf Asylunterkünfte von sich (BSG) und der «Nationalsozialistische reden. Einen ersten Höhepunkt erreichten Schweizerbund» (NSSB), die diese Umtriebe um 1990, als nicht für einen Anschluss der Schweiz an ein umsonst von einem «kleinen grossgermanisches Reich warben. Nach Frontenfrühling» die Rede war.

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