der landbote l MITTWOCH, 11. juLI 2007 l Kultur l 23

Zwei 4. Sinfonien, Eine Familie im Bilderbuchfieber ein glanzvolles Festspielkonzert Susette Goldschmid gibt Kinderbilderbücher im Eigenverlag heraus. Ihr neuestes Werk, «Hokus Pokus Das Orchester der Oper Fidibus», ist so etwas wie ein Familienprojekt. Zürich ist auch eine erstran- gige Philharmonie: ein Plus ZÜRICH – «Wenn Sie genug wahn- Zyste sowie ein Überbein erfolgreich für die Zürcher Festspiele. sinnig sind, können Sie es selber verle- «therapiert». Die drei freien Vormit- gen.» Das sind die Worte einer Lekto- tage pro Woche, an denen sie jeweils ZÜRICH – Robert Schumanns eigent- rin, an die Susette Goldschmid letztes zeichnet, habe sie sich hart erkämpfen lich zweite Sinfonie ist in der zehn Jah- Jahr gelangte. Und sie entschied, dass müssen. Im Moment arbeitet sie am re später vollendeten Fassung als sei- sie genug wahnsinnig sein wollte. Wie Fortsetzungsband von «Hokus Pokus ne Vierte bekannt geworden. In dieser damals, als sie mit ihrer dreijährigen Fidibus». Den Text dazu schreibt die Version war sie auch am Sonntag vom Tochter ein Jahr lang auf Weltreise 41-Jährige im Zürcher Dialekt. Orchester der Oper Zürich unter der ging. Dieselbe Tochter ist heute 23 Ihre Kinder sind ihre besten Assis­ Leitung von Christoph von Dohná- und hat sie enorm darin bestärkt, «Ho- tenten und ihre grössten Fans: Insbe- nyi zu hören. Dem Werk gegenüber- kus Pokus Fidibus» zu publizieren, er- sondere die zwei mittleren sind ganz gestellt wurde eine andere Vierte, die zählt Susette Goldschmid. begeistert von Mamas Zeichnungen «Romantische» von Anton Bruckner, Die Familienfrau gründete also kur- und pausen sie fleissig ab. Beim Er- die ebenfalls eine komplexe Entste- zerhand den Verlag Kunterbunt und zählen merken die Kinder, wo die Ge- hungeschichte hat, in der 2. Fassung. fuhr mit der ganzen Kinderschar – in- schichte stolpert, wo es für sie unlo- Ein Gipfelwerk-Programm mithin, zwischen ist sie Mutter von drei wei- gisch ist. «Ich habe die Bilderbücher wie es das Orchester offensichtlich ge- teren kleinen Kindern – und ihrem vor allem für meine Kinder gemacht», noss. Es spielt zwar regelmässig, auf Lebenspartner nach Ungarn, wo eine sagt sie. Deshalb trägt die Fee Se- dem Podium, aber es ist natürlich ge- billige Produktion von tausend Ex- lin auch den Namen ihrer 9-jährigen prägt von der Arbeit im Orchestergra- emplaren möglich war. Gewohnt hat- Tochter. «Die Tochter hat gerne Feen ben, die immer in Relation zur Bühne ten sie im Gartenhäuschen eines Ver- und Glitter, der Sohn hingegen eher steht. Die sinfonische Freiheit geniesst wandten, erzählt sie lachend. Drachen und Zauberer». Auch auf es wohl gerade deswegen umso mehr, «Bei uns daheim wurden immer viel Wünsche ihrer Sprösslinge geht Suset- und die Matinee im Rahmen des Schu- Geschichten erzählt», sagt Susette te Goldschmid ein. Ihr 7-jähriger Sohn mann-Zyklus liess viel von dieser en- Goldschmid, die in Dinhard aufge- liebt mehrköpfige Drachen, und so hat thusiastischen Verausgabung spüren. wachsen ist. Die Idee, selber Kinder- sie im zweiten Band einen solchen ein- Prachtvollere Klangentfaltung als bilderbücher zu gestalten, kam ihr gebaut. sie Bruckners 4. Sinfonie hier erlebte, während der Zeit, als sie als Mutter lässt sich kaum vorstellen. Gemeint die Nächte genauso wenig durchschlief Verschiedene Techniken ist damit durchaus auch die Lautstär- wie ihre Kinder. In einer dieser Näch- Das zweite Kinderbilderbuch ist ke im satten Blechregister und im run- te entwickelte sie die Geschichte von das Märchen der Gebrüder Grimm, den Streicherklang, aber es war stets Selin und ihren Freunden. «Schneeweisschen und Rosenrot». Für ein moduliertes Forte und Fortissimo. dieses Kinderbilderbuch kam eine ganz Von Dohnányi steuerte da und dort Den Kindern gewidmet andere Technik zur Anwendung: Sie mit dämpfenden Zeichen, und sorgte Selin ist eine Fee und wohnt mit ihren formte Tonfiguren, malte sie an, bas­ für eine wache Dynamik über alle Stu- Freunden Brummli dem Bär, Sepp der telte die Kulisse und fotografierte die fen: Die «Romantische» ist ja nicht Maus und Gwagggli dem Hasen im einzelnen Szenen. Ein extrem aufwen- nur typischer Bruckner mit strah- Wald, wo auch der Zauberer Hoktus diges Verfahren – denn ausser den Köp- lenden Hörnern und gewichtigen Pe­ Poktus sein Unwesen treibt. Zwanzig fen musste sie für jedes Bild nicht nur dalthemen, sondern auch eine Sinfonie Illustrationen mit Farbstift sind daraus eine andere Kulisse, sondern auch die der Solo-Flöte. Vor allem aber war das entstanden – für die ausgebildete Gra- Körper der Figuren anders gestalten. Gibt Bilderbücher im Eigenverlag heraus: Susette Goldschmid. Bild: Markus Meier opulente Spiel auch griffig und von ei- fikerin und Illustratorin ein wichtiger Diese moderne Form des Kinderbilder- ner lebendigen Wärme, die dem Klang­ Ausgleich zum Dasein als Familien- buchs stösst vor allem bei Erwachse- Goldschmid. Irgendwann werden ihre Schliesslich kommt nach dem Bilder- architekten Bruckner so nicht immer frau. Das kreative Schaffen habe ihr nen auf Interesse, Kinder bevorzugen Kinder aus dem Kinderbuchalter her­ buch- bald einmal das Trickfilmalter. zuteil wird. Man spürte hier vielleicht, gefehlt, was sich auch gesundheitlich laut Goldschmid den Klassiker Farb- ausgewachsen sein – doch Goldschmid IEDITH TRUNINGER dass dieses Orchester auch bei Masse- bemerkbar gemacht hatte. Mit der Ar- stiftzeichnungen. «Ich probiere einfach hat vorgesorgt. Bereits liebäugelt sie Die Bilderbücher kosten je 30 Franken und net und Puccini zu Hause ist. beit an den Bilderbüchern hat sie eine gerne verschiedene Techniken aus», so mit dem nächsten Projekt: Trickfilme. sind zu bestellen bei: www.verlag-kunterbunt.ch Monumental und innig, expansiv und sorgfältig zugleich: Der besonde- re Eindruck, den diese Interpretation hinterliess, verwischte denjenigen der ersten Konzerthälfte nicht: Um den Unerwartete Rückkehr nach dem Abschied spezifischen Aspekt eines subjektiv- leidenschaftlichen Temperaments er- melden und 2004 als zwei Al- kollektives Gefühl auf der Bühne, eine Neil ist Sänger und Gitarrist der Band. weitert, charakterisierten diese Qua- sich 14 Jahre nach dem ben heraus. «Die Zusammenarbeit mit gemeinsame Erfahrung, ein Publikum Und natürlich schrieb er alle Lieder. litäten auch die Schumann-Interpreta­ Tim ist eine besondere: Wir schreiben zu unterhalten. Ich bin sicher, dass es Bei «Silent House» arbeitete er mit tion, ebenfalls in grosser Besetzung. letzten Studioalbum zurück. zusammen», erklärt Neil. «Auch das wieder so sein wird.» den Dixie Chicks und bei «Even A Dass Bruckner Schumanns Werke Ein Gespräch mit fühlte sich wie eine Band an. Aber in Zur Band gehören neben Finn und Child» mit Johnny Marr zusammen. nur als «Sinfonietten» gelten liess, ist und . gewisser Weise hatten wir zwar gross- Seymour Keyboarder und Die Musik strahlt Optimismus aus. von seinen Konzeptionen her ja nach- artige Musiker mit uns auf der Büh- als neues Mitglied Schlagzeuger Matt «Ich will nicht düster sein», sagt Neil. vollziehbar, aber für sich genommen, HAMBURG – Nach dem «Farewell ne – es war aber eben eher ‹die› und Sherrod. Bei «» spielte «Es ist wohl auch Melancholie dabei war diese aus einem Guss geformte To The World», einem Konzert in ‹wir›. Bei Crowded House ist es ein Finns Sohn Liam Rhythmusgitarre; – ich denke, es ist positiv!» Das sei ge- Wiedergabe der Beweis für das Ge- Sydney vor bis zu 250 000 Menschen, rade mit zunehmendem Alter nicht genteil: In der Verbindung von wetter- hat niemand mehr mit einer Rück- selbstverständlich, sagt Finn. Jenseits leuchtender Originalität und forma- kehr von Crowded House gerechnet. der 40 falle es fielen schwerer, den Au- ler Prägnanz und Kürze könnte Schu- Dieses Abschiedskonzert von 1996 genblick zu geniessen. Ständig lasse manns Sinfonik ebenso gut die Bruck- wurde im vergangenen Jahr aufwen- man sich von einem Gemisch aus Er- nerschen Ungetüme in Frage stellen. dig als DVD- und CD-Zehnjahresedi- innerungen, Zukunftsplänen und ma- Zum Glück haben wir beide. Dazu tion herausgebracht. Bassist Nick Sey- teriellen Wünschen ablenken. diesen Dirigenten, dieses Orchester, mour und «Crowdies»-Mastermind ist hier zu ergänzen. lHERBERT BÜTTIKER Neil Finn spielten danach unverbind- Impressionistische Texte lich neue Lieder ein. Daraus wurde Auf den Punkt kommt er in der ersten nun – 14 Jahre nach dem letzten Stu- Single, «Don’t Stop Now», und einem inkürze dioalbum «» – «Time Lied wie «Pour le monde», den er als On Earth», das fünfte von Crowded «impressionistischen Protestsong» be- Programm komplett House. zeichnet: «Ich habe über einiges nach- WINTERTHUR – Nach Montreux auch «Wir konnten nicht anders», sagt gedacht, was ich in diesen modernen an den Musikfestwochen: Sophie Seymour im Interview zur Reunion. Zeiten beobachte: Menschen, die ge- Hunger vervollständigt am Sonntag, «You can’t keep a good girl down.» foltert werden, Systeme, die gebaut 2. 9. (mit Anna Ternheim und Lunik) Wie das Gute wieder unaufhaltsam werden, um das Individuum zu unter- das Line-up. Mit Stonerrock eröffnen nach oben kam, erzählt der 49-jäh- drücken. All dies ging mir durch den die Winterthurer Lokalmatadoren Por- rige Finn: «Nick und ich hatten ange- Neuanfang gewagt: die neuseeländisch-australische Band Crowded House. Bild: pd Kopf.» Seymour ergänzt: «Du bist im- nole das Hauptkonzert vom Samstag, fangen, ein zu machen. Und es mer impressionistisch, das ist das We- 1. 9. vor Navel, Peeping Tom und Tur- stellte sich wieder dieses Band-Gefühl sen deiner Texte.» bonegro. Am «Band-It»-Finale werden ein. Das ist die einfache und ganze Ge- An die Schönheit des grössten neben Tokyo Sex Destruction auch schichte. Wir beendeten das Album, Grosse Erfolge vor 20 Jahren Crowded-House-Hits, «Don’t Dream Plenty Enuff, die Schaffhauser Ska- bevor wir mit irgendjemandem dar­ Crowded House schafften 1986 mit und «Together Alone» folgten bis It’s Over», kommen einige Songs des Reggae-Combo, antreten. über gesprochen hatten. Die Zusam- dem gleichnamigen Debütalbum 1993; die Band erwarb sich einen neuen heran. «Heaven That menarbeit fühlte sich bedeutsam an, den Durchbruch. «Don’t Dream It’s Ruf als hervorragende Liveband. I’m Making» zum Beispiel spielt mit Heiri Kollegger gestorben ich genoss das Gefühl von so etwas wie Over» wurde ein internationaler Hit, Der neuformierten Band gehören der Vorstellung vieler Menschen, ALVANEU – In seinem 83. Altersjahr einer Band. Ich war von der Idee er- für das Video bekam die neuseelän- Finn, Seymour, Keyboarder Mark man habe schon die Hölle auf Erden. ist Heiri Kollegger überraschend ver- griffen – wieder.» disch-australische Gruppe 1987 den Hart und Schlagzeuger Matt Sher- «Dass man sich aber auch seinen eige- storben. Der Bündner Musiker aus Al- Auch in seiner Solokarriere habe MTV-Award als beste neue Band. rod an. Mark Hart war bereits in nen Himmel schaffen kann, passt doch vaneu im Albulatal prägte die Volks- es wichtige Kollaborationen gegeben, Gitarrist und Sänger Neil Finn, Bas- den 90er-Jahren Bandmitglied. Ne- sehr schön zum Albumtitel, oder?» musik während Jahrzehnten. Kolleg- vor allem mit seinem älteren Bruder sist Nick Seymour und der 2005 ver- ben «Don’t Dream It’s Over» ge- iUWE KÄDING (ap) ger gründete 1972 die «Huusmusig Tim, der auf dem «»-Album storbene Schlagzeuger hört «» zu den Kollegger», die sich zur grössten Fa- CD:«Time On Earth», EMI mit dem Klassiker «Weather With bildeten die Originalbesetzung. bekanntesten Songs von Crowded milienkapelle der Schweiz entwickeln You» kurzfristig zu Crowded House «», «Woodface» House. (ap) Konzert: sollte. (red/sda) gehörte. Die beiden brachten 1995 5. 10. Zürich (Volkshaus)