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Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey – gefördert durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius 5 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Inhalt

Vorwort

Wagner-Gesang im 19. Jahrhundert 8

Salon I 16 „Die Musik ist ein Weib“ – Wagners und Verdis Frauen

Salon II 34 Der Komponist ist eine Frau – Lili und Nadia Boulanger

Salon III 62 Richard und Giuseppe im Kino – eine Filmcollage

Salon IV 66 Wagner und Verdi für drinnen und draußen

Wagner-Schlüsse 76

Tipps zum Lesen 80 Impressum 81 Bild- und Textnachweise 81 7 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Weltweit werden die 200. Geburtstage von Wagner und Verdi gefeiert. Wen aber bzw. was feiern wir, wenn wir die beiden feiern? Im Zentrum der Salons stehen Blickwechsel und diese sind verbunden mit dem ­speziellen Format des Salons, mit dem unwiederholbaren Erlebnis im Zusammenspiel von Ausführenden und Publikum. Musizieren, miteinander sprechen, improvisieren, die Aufhebung der räumlichen Trennung zwischen Ausführenden und Zuhörenden, die Verknüpfung von Musik mit Texten, die Durchlässigkeit zwischen drinnen und draußen, der Genderblick – das sind wesentliche Elemente des Formats. Historisch und thematisch wird dies zu verknüpfen sein mit den Impulsen, die für Wagners und Verdis Schaffen selbst aus dem Musizieren in privaten Beziehungen vor allem zu Frauen, dem Musizieren in Freundeskreisen und Salons bedeutsam wurden.

„Die Musik ist ein Weib“ – Wagners und Verdis Frauen: Welchen Stellenwert die ­verschiedenen Frauen um Wagner wie seine erste, dann Cosima Liszt, seine langjährige Geliebte, Mutter seiner Kinder und zweite Ehefrau sowie Mathilde Wesendonk für sein Werk gehabt haben, darüber gibt es keine Einigkeit. Anders im ­Falle Verdis. Dessen langjährige Lebensgefährtin war eine Berufsmusikerin: ­die im Kreis seiner Freunde in der Villa . Gemälde von Georg Papperitz, vor 1883. ­Sängerin Giuseppina Strepponi. Mit ihr verband Verdi eine Schaffensgemeinschaft. (Links: Cosima und Richard Wagner, am Flügel: , vierte von rechts: Marie (Mimi) Schleinitz, eine der bedeutendsten Berliner Salonnièren und Gönnerin Richard Wagners.) Der Komponist ist eine Frau – Lili und Nadia Boulanger: „In diesem Werk steckt genug Musik für ein ganzes Jahrhundert; der Mann hat uns nichts mehr zu tun übrig gelassen!“, soll Emmanuel Chabrier verzweifelt nach einer Aufführung von ausgerufen haben. Wir blicken von Frankreich aus auf das Phänomen Wagner. Die französischen Symbolisten begründeten den Wagnérisme, französische Musiker pilgerten nach Bayreuth oder versuchten sich vor allem nach dem deutsch-französi­ schen Krieg 1870/71 von allen Wagner-Einflüssen zu befreien. Auch die Schwestern ­Boulanger, Nadia (1887–1979) und Lili (1893–1918), stellten sich Wagners Herausforde- rungen.

Richard und Giuseppe im Kino – eine Filmcollage: Biopics sind beliebt und die Figur Richard Wagner beschäftigt die Filmemacher seit der Stummfilmzeit. Verdi-Filme gibt es sehr viel weniger und sie sind fast ausschließlich italienischen Ursprungs. Warum?

Wagner und Verdi für drinnen und draußen: Die wenigsten Menschen hatten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Chance eine Oper Verdis, geschweige ein Musik- drama Wagners auf der Bühne zu hören. So waren es vor allem Arrangements für ­Klavier zu zwei oder vier Händen oder Bläserbearbeitungen, die Verdis und Wagners Musik popularisierte. 8 9 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

stande ein dumpfer fast blödsinniger Zustand seiner Geistesbildung“. Dem Lamento Wagner-Gesang über die Situation der deutschen Oper schließen sich im Pasticcio von Canto Spianato im 19. Jahrhundert technische Hinweise an: „Man hört ja fast gar kein wahrhaft schönes und kunstge- rechtes Trillo; sehr selten vollkommene Mordenten“. Der Ansicht, sängerisches Unver- mögen könne durch den Einsatz von Affektmitteln überspielt werden, erteilt er eine Die Darstellung ist die Kunst Absage: „Der deutsche Sänger versenkt sich gern und mit Vorliebe in den darzustellen­ Kein Komponist hat um die ‚Verwirklichung‘ seiner Werke so leidenschaftlich kämpfen den Charakter. Das ist rühmlich, hat aber seine großen Gefahren. Läßt sich der Sänger müssen wie Wagner, und kaum ein Problem hat den Komponisten dabei rastloser um- von seinem vorzubildenden Charakter überwältigen, steht er nicht mit notwendiger getrieben als die Suche nach Sängern. Am 20. Juli 1850 schrieb er an Franz Liszt, „daß Beherrschung über dem ganzen Gebilde seiner Darstellung: so ist gewöhnlich alles nur der darsteller der eigentlich wahre künstler sei. Unser ganzes dichter- und compo- verloren. Man vergißt sich, man singt nicht mehr, sondern man schreit, schluchzt“ . nisten-schaffen ist nur wollen, nicht aber können: erst die darstellung ist das können – Seine weiteren Forderungen nach Präzision sowie Reinheit des Tones und der Aus­ die kunst“. Dieser Gedanke verfestigte sich 1872 zur Maxime. „Genau betrachtet sprache sind nicht nur Wagners früher Prägung durch den Belcanto geschuldet, son- ­müssen wir hieraus erkennen, daß der eigentliche Kunstanteil bei Theateraufführ­ dern sie sind programmatisch und finden ihre Fortsetzung in den späten Schriften zur ungen lediglich den Darstellern zugesprochen werden muß“. Für das Kunstwerk der Theaterpraxis: „Welche schwierige Aufgabe den Darstellern der Hauptpersonen der Zukunft fand er allerdings nur Opernsänger, die, so sein Verdikt, Musik nur als Zweck, Handlung […] gestellt war, leuchtete uns immer mehr ein. Vor allem war hier auf das Drama aber nur als Mittel ansahen – wobei der Gesang zum Selbstzweck geworden ­größte Deutlichkeit, und zwar zunächst der Sprache, zu halten: eine leidenschaftliche war. Die meisten dieser Sänger waren schon mit den zentralen Partien seiner in den Phrase muß verwirrend und kann abstoßend wirken, wenn ihr logischer Gehalt uner- 1840er-Jahren entstandenen romantischen Opern überfordert, selbst für Wilhelmine faßt bleibt; um diesen von uns mühelos aufnehmen zu lassen, muß aber die kleinste Schröder-Devrient musste er die Ballade der Senta von a-Moll nach g-Moll transponie- Partikel der Wortreihe sofort deutlich verstanden werden können […]. Diese selbe Ver- ren. Der Wagner-Gesang – als Symbiose von musikalischer Manier und vokaler Tech- nachlässigung trägt sich aber unmittelbar auch auf die Melodie über, in welcher durch nik – konnte sich aber erst entwickeln, als seine musikalischen Dramen wirkliche das Verschwinden der musikalischen Partikel nur vereinzelte Akzente übrig bleiben, ­Bühnenpräsenz erlangt haben. Dass nicht mehr einfach von Gesang, sondern von welche, je leidenschaftlicher die Phrase ist, schließlich als bloße Stimmaufstöße ‚Wagner-Gesang‘ gesprochen wurde, impliziert einen Paradigmenwechsel in der Ge- ­vernehmbar werden“. Das ist ein Votum für die Einbettung des Wortes in den Klang – sangsästhetik, den Übergang von der Sprache kunstvoller Formen (und Formeln) zu für die Symbiose von Gesang und Deklamation. […] einer Ausdruckssprache. Von größter Bedeutung ist, dass Wagner, anders als Mozart oder Rossini, Bellini oder Verdi, nie für reale Sänger geschrieben hat, mit deren Mög- Die Suche nach der vollkommenen Tenorstimme lichkeiten er vertraut war. […] Die Dresdner Uraufführung des hatte Wagner nicht allein den ersten großen ­Erfolg beschert, sie war auch die Geburtsstunde eines neuen Fachs: des Heldentenors. Das Narrenhaus der Welt: die Oper Der aus Böhmen stammende Joseph Tichatschek (1807–1886) hatte in Wien bei Von der Welt des Theaters in Wagners Jugendzeit hat ein düsteres Bild ­Giuseppe Ciccimarra studiert. 1837 wurde er als erster Tenor an die Dresdner Staats­ gezeichnet. In Deutschland, zersplittert in 41 Kleinstaaten, waren 23 Hoftheater bis in oper verpflichtet. Julius Schladebach hat die Stimme mit der für die damaligen Kritiker die 1840er-Jahre bemüht, „die kosmopolitische Kulturausrichtung der Fürsten durch typischen Fachlichkeit beschrieben: „eine jener seltenen von echtem männlichem die Unterwerfung unter das Geschmacksdiktat der italienischen Oper zu unterstrei- ­Tenorklange, umfangreich nach Höhe und Tiefe, so daß in dieser Rücksicht alle ersten chen“. Deutsche Sänger gab es kaum, und nicht selten mussten Schauspieler einge- Partien von ihm gesungen werden können. Dabei ist sie voll und kräftig, jeder Anstren- setzt werden. In Magdeburg, Königsberg und Riga erlebte Wagner das Gleiche, und gung fähig, und doch daneben eben so weich, zart und innig, somit für die energisch noch drei Jahrzehnte später klagte er: „Es ist unglaublich, auf welche Gleichgültigkeit gefärbten Heldenpartien […] ebenso trefflich verwendbar, als für die romantischeren, gegen den ‚Text‘ ihrer Arien man bei ihnen trifft; kaum verständlich, oft gänzlich un- […], ja selbst im leichteren Konversationsgenre […] hat der Künstler mit Glück und verständlich ausgesprochen, bleibt der Vers und sein Inhalt, wie dem Publikum […] so ­Erfolg verschiedentlich sich versucht. […] Dabei ist seine Stimme und Vortrag un­ auch dem Sänger selbst fast ganz unbekannt, und es ergibt sich schon aus diesem Um- verwüstlich gesund und nirgend wird das Krankhafte oder weibisch Schmachtende 10 11 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

­bemerkt, das so oft die Tenorsänger widerwärtig macht. […] In den letzten Jahren hat er auch der Ausbildung der Kopfstimme und des Übergangs in dieselbe mehr Aufmerk- samkeit und Studium zugewendet.“ Hatten Giovanni Battista Rubini und Adolphe Nourrit die Bruststimme nur bis zum a gebraucht und die Töne der Vollhöhe mit der Kopfstimme (voix mixte) gebildet, sorgte Gilbert-Louis Duprez im Jahre 1837 in der Partie des Arnold in Rossinis ­Guillaume Tell für einen seismischen Schock: durch das ‚ut de poitrine‘. Wagner war es von Anfang an zuwider gewesen, dass die „männliche Jünglingsstimme, der Tenor […] im falsettierenden kastratenhaften Sinne verwendet wurde“. Umso unbegreiflicher war es ihm, dass Tichatschek sich als Tannhäuser mit der aufs a1 führenden Phrase „Erbarm dich mein, der ach! So tief in Sünden schmachvoll des Himmels Mittlerin verkannt!“ schwer tat und ihn zu einem Strich nötigte. Begnügte er sich in der Mitteilung an die Dirigenten und Darsteller dieser Oper damit, die Bedeutung dieser Passage herauszu­ heben, so äußerte er sich in einem Brief an Liszt erbarmungslos-gehässig über den Sänger: „Weil Tichatschek diese stelle (schon vermöge seines unnatürlich kleinen Oberschädels!) nicht verstehen und ihren Inhalt nicht darstellen konnte, konnte er sie auch nicht – singen!“ Weiter heißt es dort: „Tichatschek […] konnte auf ‚erbarm‘ dich mein’ die Note A nicht herausbringen!! Ich hab’ nicht den 100sten theil von seiner stimme, bringe dieses A aber ganz famos heraus! Natürlich will dies ›A‹ aber nicht ­‚gesungen‘ werden, sondern mit allen nerven der Brust muß es herausgeschleudert werden, wie ein schwert, mit dem sich Tannhäuser ermorden will“. Vom Darsteller ­dieser Partie müsste er „ein gänzliches Aufgeben und Vergessen seiner bisherigen ­Stellung als Opernsänger verlangen“. In kühner (oder absurder?) Zuspitzung vertrat er die These, das Bewusstsein des Sängers vom richtigen Ausdruck werde selbst die höchsten physischen Schwierig- keiten zu überwinden helfen. Von der Pariser Aufführung des Tannhäuser, vorbereitet mit 163 Proben, hatte auch Albert Niemann auf einen Strich am Ende des II. Aktes ­gedrungen. Der Komponist sandte ihm einen bittenden, erklärenden, überredenden Brief: „Denken Sie nur an dies zweite Finale, und werfen Sie sich ganz mit Leib und Seele hinein, als ob Sie nach diesem Finale nicht eine Note mehr zu singen hätten. Der Gewinn ist dann ein sicherer: im entscheidendsten Punkt der Oper, da – wo Alles aufs Äusserste gesteigert ist, und der geringste Laut mit atemloser Spannung aufge- Uraufführung von Richard Wagners Tannhäuser am 19. Oktober 1845. nommen wird, da – hier ist es, wo die Entscheidung des ganzen Abends fällt! Glauben Joseph Tichatschek als Tannhäuser und Wilhelmine Schröder-Devrient als Venus. Sie mir, und vertrauen Sie nur dies eine Mal noch auf mich! Sie sollen in Ihrem Leben nie wieder von mir hören!! – Haben Sie das ‚pitié pour moi!‘ so herausgebracht, wie Sie es schon wiederholt mir zum Angehör gegeben haben, wie Sie’s können und sollen, weil Sie’s können, nämlich so, dass Einem die Haare zu Berge stehen und Allen das Herz erbebt, so ist Alles, Alles gewonnen, die unmittelbare Wirkung unermesslich, und Alles was folgt ist – Kinderspiel.“ 12 13 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Woher rührten aber die Schwierigkeiten, die sowohl ein hoher Tenor wie ­Tichatschek als auch ein baritonal timbrierter Sänger wie Niemann – und später fast alle Tenöre – mit dieser Stelle hatten? Zu erklären sind die Probleme mit der Verlager­ ung der tenoralen Tessitura. In der Partie des Arnold (Guillaume Tell) finden sich etwa 180 Noten zwischen a1 und cis2. Diese Töne lassen sich nur mit einem geschmeidigen Übergang (Passaggio) von der Bruststimme in die Kopfstimme erreichen – die Wagner aber als eunuchen- oder kastratenhaft perhorreszierte. Die höchste Note in der Partie des Tannhäuser ist das 24-mal notierte a1. Auch Siegmund, (Götterdämme- rung) und Tristan reichen nur bis zum a1, das aber ‚herausgeschleudert‘ werden soll. Dies führt zur Abkoppelung der Brust- von der Kopfstimme – mit der Konsequenz, dass die Tieferlegung zum Forcieren der höheren Lage zu sogenannten Überbrust­ ungen führt, ein Indiz für Wagners Fehleinschätzung der Stimmfunktion. Das Durch­ halten der hohen Lage gehört zu den größten Schwierigkeiten der großen Wagner-­ Partien: nicht nur bei den Tenören, sondern auch bei Baritonen und Bässen (schon im Holländer).

Tod und Verklärung: Ludwig Schnorr von Carolsfeld Wagner muss geahnt haben, dass seine Hoffnung, die geistige Durchdringung sei ein Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld als Tristan und Isolde der Münchner Uraufführung, Garant für die Überwindung physischer Schwierigkeiten, illusionär war. Am 10. August 1865, Fotografie von Joseph Albert, München, Staatliche Verwaltung der Schlösser, 1865. 1860 schrieb er an über den Tristan: „Wie schrecklich werde ich für dieses Werk einmal büssen müssen, wenn ich es mir vollständig aufführen will: ganz deutlich sehe ich die unerhörtesten Leiden voraus; denn, verhehle ich es mir auf den 15-jährigen Kronprinzen Ludwig. Für Wagner waren die stimmlichen Quali- nicht, ich habe da alles weit überschritten, was im Gebiet der Möglichkeit unsrer Lei­ täten Schnorrs weniger wichtig als sein musikdramatisches Genie. Kaum je weist er in stungen liegt; wunderbar geniale Darsteller, die einzig der Aufgabe gewachsen wären, seinem hymnischen Epitaph auf den kurz nach der Uraufführung des Tristan gestor- kommen nur unglaublich selten zur Welt“. Solche „unerhörtesten Leiden“ hatte etwa benen Sänger auf Probleme der sängerischen Ausführung hin, erst recht nicht auf der Böhme Alois Ander (1817–1864) zu erdulden. Der in den 1850er-Jahren hochbe- Schwächen, die er durchaus erkannte; sondern er spricht von den „ungeheuren An- rühmte Sänger der Wiener Oper war ein hoher lyrischer Tenor. Wagner bezeichnete ihn strengungen“ der Rolle; oder er berichtet vom „anfänglich ehrfurchtsvolle[n] Staunen zunächst als „ganz vollkommen; auch die Stimme nicht nur genügend, sondern, wo es über diese ungeheure Tat meines Freundes bis zu einem wahrhaften Entsetzen“. gilt von glänzender Energie“. Doch schon kurz nach Beginn der Tristan-Proben sei An- Die besonderen Schwierigkeiten der Partie sind nicht auf den ersten Blick ersicht- ders, der zuvor mit der Partie des an seine Grenze gegangen war, fortwäh- lich. Ihr Umfang reicht vom tiefen cis bis zum a1. Virtuose Anforderungen wie Verzie- rend heiser gewesen. Knapp zwei Jahre später musste Wagner für den ausgesungenen rungen oder Pianissimi in hoher Lage werden nicht gestellt. Probleme ergeben sich Tenor, wie er an Breitkopf und Härtel schrieb, „die tiefe Lage durch Punctation gänz- durch die lange Singzeit, den dichten Orchestersatz, die harmonischen und rhyth- lich umändern“ – wieder ein Zeichen einer durch Überforderung entstandenen Re­ mischen Schwierigkeiten und durch das, was sich als Entgrenzung des Ausdrucks be- gisterdivergenz. schreiben lässt, als eine Affektdarstellung, welche die organischen Fähigkeiten über- Sein erster Tristan, der bei der Uraufführung 29 Jahre alte Ludwig Schnorr von fordert. Das hohe a1 in der Phrase „Isolde kommt!/ Isolde naht!“ ist kein Ton, sondern ­Carolsfeld (1836 bis 1865), besaß, wie aus Rezensionen hervorgeht, eine kraftvolle, ein rasender Schrei: die elementarste Form des Affekts. Und doch muss dieser Schrei ­metallische, baritonal grundierte Stimme, die oftmals zu Beginn von Aufführungen aus einem musikalisch geformten Ton entbunden werden. Dass es um Schnorrs Text- verschleiert klang und freigesungen werden musste. Seit 1861 hinterließ er in Mün- deutlichkeit womöglich nicht gut bestellt war, erschließt sich indirekt aus einem Brief chen als Lohengrin, Tannhäuser und Florestan nachhaltigen Eindruck, nicht zuletzt Hans von Bülows, der nach einer Münchner Aufführung mit dem von Wagner nicht 14 15 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

sonderlich geschätzten Heinrich Vogl an den Komponisten schrieb: „Der große Der Begriff Belcanto scheint eindeutig. Die Übersetzung – „schöner Gesang“ – ist Dialog im zweiten Akt ist sogar, was Ton und Wort anlangt, weit vernehmlicher zur ­korrekt im wörtlichen Sinne, sagt aber wenig. Unter schönem Gesang kann sich jeder ­Geltung gekommen als vor vier Jahren, wo der selige Ludwig der edlen Malvina zu das Seine vorstellen – und sei’s den Klang einer schönen Stimme. Der Begriff ist zum ­Liebe Sordinen auflegte“. Etikett geworden und strolcht durch (Werbe-)Texte über Sänger, die weniger Erben des Belcanto sind als dessen Konkursverwalter. Die begriffliche Falschmünzerei zeugt von Der „vaterländische Belcanto“ jener tauben Gleichsetzung, die Theodor W. Adorno als fetischistisch verstand, und In den Erinnerungen des Gesangslehrers Julius Hey begegnen wir nicht länger einem von einem ästhetischen Laisser-faire, das die technisch genaue Beschreibung des theoretisierenden oder dozierenden, sondern dem um praktische Lösungen bemühten, ­Singvorgangs scheut. Ob eine Stimme schön, warm oder ausdrucksvoll sei, ist ein oft auch selbstkritischen Wagner. Hatte er in seinem Münchner Memorandum eher ­Meinungsurteil. Ob ihr Besitzer Legato singen, Koloraturen und Triller bilden oder beiläufig darauf hingewiesen, dass der „italienische Gesangswohllaut in seiner Bildung“ rein intonieren kann, ist eine Frage der Technik, und nur auf der Grundlage einer nicht aufgeopfert werden dürfe, sah er sich während der Vorbereitung der ersten Fest- techni­schen Beschreibung läßt sich ein schlüssiges Urteil über die Schönheit – und spiele durch die praktische Arbeit dazu veranlasst, einen „deutschen“ oder „vaterlän- musikalische Richtigkeit – des Singens bilden. dischen Belcanto“ anzumahnen. Es war der Musiker Wagner, der die aus seiner Theo- Belcanto ist ein defensiver Terminus, recht eigentlich ein Epitaph. Zwar taucht bei rie gezogenen Fehlschlüsse, die zum Sprechgesang geführt hatten, korrigieren wollte. Giulio Caccini das Wort vom Buon canto auf, doch wäre zwischen 1600 und 1800 die Und als es um die ‚geistigen‘ Probleme bei der Darstellung der Brünnhilde ging, habe Definition des Singens als Belcanto tautologisch gewesen. Das Singen verstand sich Wagner ausgerufen: „Soll ich meine Frauenrollen nur Sängerinnen anvertrauen, die als Schönheit. Erst als die Gesangskunst zu zerfallen begann – nach Rossinis Ansicht imstande sind, bei jedem Satz, den sie singen, tiefsinnige Betrachtungen über die mo- in dem Moment, in dem die Kastraten abtraten –, musste sie in einen bewahrenden ralische Begründung und Zulässigkeit des von mir Gewollten anzustellen? Ich verlange Begriff gerettet werden. angeborenes, natürliches Singtalent mit musikalischer Veranlagung und ausreichen­ Jürgen Kesting dem Stimmorgan verbunden, das durch vernünftige Schulung seine Befestigung und künstlerische Vervollkommnung erhielt“. Als ihn der für die Partie des Siegfried enga- gierte Tenor Georg Unger durch seine gaumige Tongebung verdross, rief er: „Hätten Sie doch Tichatscheks Stimmklang in seiner Jugend einmal gehört! Wie der Mensch eine vokale Linie ohne Unterbrechung herzustellen wusste! […] Ich werde das nie ­vergessen“. Nach dem Tod des Komponisten hat sich jedoch der Wagner-Gesang in zwei Rich- tungen entwickelt. Vereinfacht gesagt: einerseits zu dem unter der Ägide von Cosima durch Julius Kniese geprägten deklamatorischen Bayreuther Stil, andererseits zu dem ‚kantablen‘ Stil, der insbesondere in New York unter der Leitung von Anton Seidl und Leopold Damrosch gepflegt wurde, gefördert von Kritikern wie Henry Krehbiel und Wilhelm James Henderson, denen prägnante und suggestive Vokalprofile dieser Sänger zu verdanken sind.

Jürgen Kesting 17 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Salon I Frauen in Verdis Leben

Die erste Ehe: Margherita Barezzi Donnerstag, 2. Mai 2013 Allem Anschein nach war „Die Musik ist ein Weib“ – von Margherita Barezzi und Giuseppe Verdi eine Liebesheirat – die beiden Wagners und Verdis Frauen ­hatten sich nicht zuletzt über die Musik kennengelernt, denn Verdi war der ­Musiklehrer Barezzis gewesen. Da eine verheißungsvolle Karriere Verdis zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht abzusehen war, hätte Antonio Barezzi [der Vater Margheritas] außer dem Ver- trauen, das er in den jungen Kompo- nisten setzte, und dem Einverständnis seiner Tochter, keinen anderen Grund gehabt, die Heiratspläne der beiden zu unterstützen. Für Verdi bedeutete diese Heirat ein Stück weit finanzielle Sicher- heit – auch nach der Hochzeit nahm das junge Paar wiederholt die finanzielle Margherita Barezzi (1814–1840), ca. 1836. ­Hilfe Antonio Barezzis in Anspruch – und auch sozialen Aufstieg. Von Marghe- rita Barezzi ist nur eine Äußerung indirekt überliefert, in der sie Ferdinando Galuzzi während des Bewerbungsverfahrens für den Posten des Musikdirektors in Busseto ­Auskunft über die Pläne ihres Zukünftigen gibt: „Verdi wird sich niemals, niemals in Busseto niederlassen. Erstens weil er damit seine Studien unterbrechen müßte; und zweitens, weil er sich der Theatermusik widmen möchte und dort Erfolg anstrebt und nicht in der Kirchenmusik.“ In diesem selbstbewußten Auftreten im Namen Verdis, das sich wohl alles andere als positiv auf das laufende Verfahren ausgewirkt haben dürfte, schwingt mit, daß sich auch Margherita ohne weiteres vorstellen konnte, in der Thea- terwelt, will heißen in Mailand, zu wohnen und ihre kleinstädtische Heimat zu ver­ lassen. Die Stilisierung Barezzis zur Landpomeranze – in Aldo Oberhofers Biographie von 1981 – zur „guten, stillen und hingebungsvollen“ Frau, die sich „verloren, arm und allein in der großen Stadt“ Mailand fühlte, mutet in diesem Zusammenhang wenig glaubwürdig an. Die Tatsache, daß sie laut Verdis autobiografischer Erzählung ihren Schmuck versetzte, um die Miete in Mailand zu bezahlen, wird zu ihrer einzigen „heroischen­ Tat“ erklärt – dabei fehlte aufgrund einer Erkrankung Verdis einfach die 18 19 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Zeit, Antonio Barezzi rechtzeitig um Anweisung des Geldes zu bitten. Opfer und Selbst- zugewiesen war, gab es diese Welt ab- aufgabe werden auch ihr als oberstes Lebensziel verordnet, dem sie notfalls mittels seits bürgerlicher Norm und abseits ­Stilisierung gerecht werden muß. Und natürlich auch ihre Bestimmung zur Ehe, deren wohlbehüteter Jungfrauenehre – und guter oder schlechter Verlauf über ihr Schicksal als Frau entscheidet, wie Antonio ­Giuseppina Strepponi war ein Teil von ­Barezzis Eintrag in sein Libro di casa anläßlich ihres Todes belegt: „Am Fronleichnams- ihr. Durch ihren Vater, einen in Ansätzen tag starb in meinen Armen in Mailand […] meine geliebte Tochter Margherita in der erfolgreichen Komponisten, war sie in Blüte ihrer Jahre und am Gipfelpunkt ihres Glücks, da sie mit dem exzellenten jungen die Opernwelt eingeführt worden und Verdi, maestro di musica, verheiratet war.“ Der gutbürgerliche Charakter der Verbin- absolvierte erfolgreich ein Studium am dung zwischen Margherita und Guiseppe Verdi, den die wenigen Fakten in der Mailänder Konservatorium. Nach dem gewohn­ten Reihenfolge von Ausbildung, Stellungssuche und erste Anstellung des Tod Feliciano Strepponis 1832, der eine Mannes, dann Verlobung und Ehe nach außen hin zeichnen, sollte also nicht über die Witwe und insgesamt vier Kinder in Ambitionen hinwegtäuschen, die das junge Paar schon damals und offenbar gemein- ärmlichen Verhältnissen hinterließ, war sam hegte: Erfolg in der Theaterwelt Mailands, die freiere moralische Ansichten, es an der Ältesten, Giuseppina, die Fami- religiösen­ Liberalismus und patriotische Intellektuellenkreise zu bieten hatte. lie zu versorgen. Im Alter von neunzehn Jahren begann Strepponi ihre Karriere Giuseppina Strepponi, die Frau mit Vergangenheit Contessa Clara Maffei (1814–1886), als Opernsängerin, die sie außergewöhn- Im Vergleich zu dem im kleinen Busseto vorherrschenden Moralvorstellungen boten Portrait von Francesco Hayez. lich schnell zu großen Erfolgen in ganz die Mailänder Intellektuellenkreise, mit denen der streng im katholischen Glauben Italien aber auch Wien führte und die sie und zum Teil von Priestern erzogene Verdi schon während seiner Ausbildung in Kon- und ihre Familie finanziell absicherte. takt kam, eine andere Welt. Seine Bekanntschaft mit Clara Maffei brachte ihm – wahr- scheinlich erst nachdem er mit Nabucodonosor zu Berühmtheit gelangt war – Zugang Sie absolvierte bereits in den ersten Jahren eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Auf- zu ihrem Salon, mit dem sie das kulturelle und politische Leben Mailands entschei- tritten und mutete ihrer Stimme Partien unterschiedlichsten Charakters in schneller dend prägte. Hier verkehrten u. a. Franz Liszt, Marie d’Agoult, Alessandro Manzoni, Abfolge zu. Ihre Gesundheit war nicht die beste – neben einer depressiven Veranlagung ­Giosuè Carducci und später Arrigo Boito, hier wurden konspirative Botschaften unter ursächlich wohl auch mindestens durch drei Geburten und vermutlich mindestens den Vorkämpfern für die italienische Einheit ausgetauscht, hier wehte ein Hauch der eine Abtreibung hervorgerufen. Dennoch bemühte sie sich, in ruinöser Pflichterfül- großen, freien Weltstadt Paris – nicht zuletzt beim Besuch Honoré de Balzacs, der in lung ihren Engagements nachzukommen, so daß die Stimme bereits zum Zeitpunkt Begleitung seiner jungen Geliebten, die Männerkleidung trug, erschienen war. Auch der Premiere von Nabucodonosor 1842 ihren Zenit überschritten hatte. Zwar sollte sie bezüglich ihres Ehelebens war Maffei keineswegs bereit, sich in die Opferrolle zu fü- nach einer Pause und mit Hilfe Verdis 1845/46 ein ‚comeback‘ in Angriff nehmen; der gen: Als sie Seitensprünge und Vernachlässigung durch den Ehemann Andrea, den sie Versuch mißlang jedoch, so daß sie 1846 ihre Karriere als Sängerin aufgeben mußte. achtzehnjährig geheiratet hatte, nicht mehr ertragen wollte, erwirkte sie die Scheidung. Danach etablierte sie sich mit Erfolg als Gesangslehrerin in Paris.

Teil dieser anderen Mailänder Welt war natürlich auch das Leben der Sängerinnen, Giuseppina Strepponi als Lebensgefährtin Verdis Sänger und impresari rund um die Scala. Besonders der Beruf der Sängerin stand seit Der Vater von mindestens zweien der drei Kinder Strepponis war der impresario den Anfängen im späten 16. Jahrhundert im Bereich der sexuellen Anrüchigkeit. Zum ­Camillo Cirelli. Er war 35 Jahre älter als Strepponi, verheiratet und in seiner Ehe Vater. einen war dies darin begründet, daß zahlreiche Kurtisanen ihre Kundschaft auch Daß der Weg einer auch noch so begabten Sängerin zu einem Engagement an einem ­musikalisch unterhielten, zum anderen damit, daß Sängerinnen – seit dem 17. Jahr- großen Haus über das Bett des impresario ging, war durchaus keine Ausnahme. Davon hundert – in Wandertruppen mit impresari und Sängern gemeinsam reisten und zeugen nicht zuletzt die zahlreichen unehelichen Kinder, die für Strepponis Kollegin­ wohnten. Auch noch im 19. Jahrhundert, als Sängerinnen sich schon durch ihre öffent- nen belegt sind. Am 14. Januar 1838 kam Strepponis Sohn Camillino zur Welt, ein Kind lichen Auftritte moralisch komprimittierten, da Frauen der private, häusliche Bereich das Cirelli legalisierte und um dessen Erziehung in Florenz er sich kümmerte. Es sollte 20 21 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ das einzige ihrer drei Kinder sein, zu dem Giuseppina den Kontakt nach der Geburt und finanzielle Eigenständigkeit würde nicht völlig abbrach. Gemeinsam mit ihm gelebt hat sie bis zu seinem frühzeitigen Tod aufgeben müssen. Die Überwindung in Siena 1863 jedoch nie. Ihre beiden Töchter, Sinforosa, geboren am 9. Februar 1839 ihres ‚Makels‘ schloß auch die konse- und ebenfalls von Cirelli legitimiert, und Adelina, geboren am 4. November 1841, quente Verneinung ihrer Vergangenheit lernte sie nie richtig kennen: Sinforosa wurde drei Wochen nach der Geburt einem ein – einschließlich der Kinder, die sie Waisenhaus in Florenz anvertraut, kam dann – auf Betreiben Strepponis – in eine zur Welt gebracht hatte; denn unehe­ Pflegefamilie­ und starb 1925 in einer psychiatrischen Anstalt. Strepponis jüngste Toch- liche Kinder waren mit dem Bild der ter wurde nicht einmal ein Jahr alt. Sie starb, nachdem sie ebenfalls kurz nach der Ge- ­Lebensgefährtin Verdis, in späterer Zeit burt von der Mutter in Triest bei einer Pflegefamilie zurückgelassen worden war, am auch mit der Vorbildfunktion der Frau 4. Oktober 1842. Das Aussetzen ungewollter Kinder in Waisenhäusern war im Metier an der Seite des vermeintlichen Kämp- Strepponis gängige Praxis. Eine Sängerin – eben durch die Kinder zu zusätzlichen Kos­ fers für die nationale Einheit, offenbar ten für die Unterbringung der Zöglinge verpflichet – konnte nur so ihren Beruf weiter nicht vereinbar: Bis heute ist unklar, ausüben. Als Verdi und Strepponi sich kennenlernten – möglicherweise bereits im Vor- ob Verdi überhaupt, und wenn, von feld der Premiere von Oberto, conte di San Bonifacio 1839, sicher aber anläßlich der Ur- ­welchen Kindern Strepponis wußte. aufführung von Nabucodonosor 1842 -, stand die Sängerin als unverheiratete Mutter auf der Seite der ‚moralisch Gefallenen‘. Doch zunächst scheinen nach der ge- Giuseppina Verdi in einem Portrait, das sie zu ihrem meinsamen Arbeit an Nabucodonosor 63. Geburtstag am 8. September 1878 ihrem Mann zueignete: „Meinem Verdi, mit der Zuneigung und Verehrung Verdi befand sich nach dem Tod seiner weder Verdi noch Strepponi eine lebens- von einst! Peppina.“ beiden Kinder und seiner Frau sowie lange Bindung im Blick gehabt zu haben. dem Mißerfolg von Un giorno di regno Noch zu Beginn ihres Paris-Aufenthaltes in einer tiefen persönlichen und künst­ 1846 erhielt Strepponi offensichtlich nur lerischen Krise. Strepponi stand ihm im indirekt Nachricht von Verdi. Erst Verdis Besuch in Paris im Herbst 1847 anläßlich Umfeld der Komposition und Auffüh- der Premiere von Jérusalem bedeutete wohl den Beginn der festen Liebesbeziehung – rung von Nabucodonosor beratend und die der Komponist jedoch weiterhin geheim hielt. Es gibt sogar Anzeichen dafür, vermittelnd zur Seite, eine Situation in daß der Beschluß, 1849 gemeinsam nach Busseto zu ziehen – Strepponi gab dafür der Verdi wahrscheinlich auf die großen eine gesicherte Existenz als Gesangslehrerin in Paris auf und nahm eine Demütigungs- Vorzüge dieser Sängerin aufmerksam kampagne der Bussetaner in Kauf – keineswegs die endgültige Entscheidung für ein wurde: Sie war weltgewandt, gebildet, gemeinsames Leben war: Der Brief der 1851 in Livorno zurückgelassenen­ Strepponi hatte großes künstlerisches Verständnis, an ihren zur Vorbereitung von Il trovatore in Rom weilenden „Erlöser“ klingt alles sprach mehrere Sprachen und kannte andere als überzeugt davon, daß sich ihr Lebensgefährte in Zukunft öffentlich zu ihr sich im Operngeschäft aus. Verdi da­ bekennen wird. gegen hatte noch kaum Erfahrungen in dieser Welt sammeln können. Für Und warum der späte Entschluß zur Heirat 1859? Selbst in seinem Verteidigungsbrief Strepponi bedeutete eine dauerhafte an Antonio Barezzi, dem – vor der Heiratsurkunde – einzigen überlieferten schrift- ­Beziehung zu Verdi zunächst einmal lichen Dokument, in dem sich Verdi zu Strepponi bekennt, gibt er keine Auskunft ­private Konsoldierung: die Chance, die über die Beschaffenheit seiner Beziehung zu der „freien Dame“, die „unabhängig“ in Vergangenheit zu überwinden, ‚mora- seinem Haus lebt. War die ‚Vergangenheit‘ seiner Geliebten auch für Verdi ein Hinder­ Giuseppina Strepponi (1815–1897), ca. 1840. lisch anerkannt‘ zu leben. Freilich be- ungsgrund sich offiziell an sie zu binden? Aus welchem Grund entschied das Paar deutete dies, daß sie ihre persönliche sich gegen­ diese bürgerliche und religiöse Legitimation und für eine fast zehn Jahre 22 23 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ währende ‚wilde Ehe‘? Warum holten sie Giuseppinas Sohn Camillo nicht zu sich, son- selbst, als sie Verdi kennenlernte. Sie nahm – wie früher Giuseppina – am Werk des dern adoptierten, da sie keine gemeinsamen Kinder bekommen konnten, ein Kind aus Komponisten Anteil, ja er konzipierte sogar Partien wie das Sopransolo des Messa da der Verwandtschaft? Requiem im Hinblick auf ihre Stimme. Durch die ‚enge‘ Zusammenarbeit mit Verdi ­erhielt Stolz einen Karriereschub. Bald durchzogen Spekulationen über eine mögliche Eine abschließende Antwort auf diese Fragen wird sich kaum finden lassen. Als Kons­ Beziehung, Verleumdungen und Beschimpfungen die Presse. Giuseppina Verdi stand tante läßt sich aber festhalten, das Giuseppina Strepponi – auch wenn Unterordnung als betrogene Ehefrau in der Öffentlichkeit und dachte nicht daran, sich mit dieser und später Resignation drohten – nicht gewillt war, sich von ihrer Vergangenheit ein- ­Rolle abzufinden: „Mir schien, du könntest wenigstens 24 Stunden ohne die besagte holen oder weiterhin prägen zu lassen. Im Bild, das sie als im häuslichen Hintergrund Dame auskommen. […] Ich weiß nicht, ob Du es kannst oder nicht … Ich weiß nur, wirkende, unterstützende Kraft des nationalen Genies zum Teil auch von sich selbst daß es von Deiner Seite seit 1872 Phasen der Beharrlichkeit und der Aufmerksamkeiten zeichnete, dem Bild einer ‚Erfüllerin‘ des Ergänzungsprinzips, hatte ihre Vergangenheit gegeben hat, die von jeder Frau der Welt auf die angenehmste Weise verstanden wer- keinen Platz. Strepponi war tatsächlich jedoch weit mehr als eine „hausfräuliche Ge- den müssen […] Wenn es so ist [eine Liebesaffäre] … machen wir ein für alle Mal genfigur“: Sie bildete einen intellektuellen Gegenpart und war nachweislich an der Schluß. Sei ehrlich und sag es mir, ohne mich mit Deiner exzessiven Aufmerksamkeit Entstehung zahlreicher Werke bis hin zur Mitautorschaft beteiligt. So übersetzte sie ihr gegenüber zu demütigen.“ In der erhaltenen Korrespondenz zwischen Verdi und nicht nur die Vorlagen von Il trovatore, Simon Boccanegra und Aida, sondern begleitete Stolz findet sich kein expliziter Hinweis darauf, daß die Beziehung zwischen den bei- und kommentierte auch den Kompositionsprozeß und erledigte weitgehend die den über das Künstlerische hinausging – genausowenig, wie wir über die Gefühle des ­Öffentlichkeitsarbeit des Familienunternehmens in ihrer umfangreichen Korrespon- Komponisten gegenüber Giuseppina Verdi informiert sind. Die Ehefrau brachte die in denz mit Verlegern, impresari und Sängern. ihren Augen offensichtliche ménage à trois – in die sie schließlich wohl oder übel ein- willigte – an den Rande des Zusammenbruchs, sie beklagte sich über den Verlust des Teresa Stolz Glaubens. Ihre Korrespondenz der letzten fünfzehn Jahre ihres Lebens ist von düster­ Darauf, daß sie ihre Vergangenheit in ster Stimmung und Verzweiflung, aber auch von wiederkehrender, verstärkter Religio­ ­gewisser Weise doch noch einholen sität gekennzeichnet. Offenbar hatte sie trotz aller Unterordnung doch noch einen sollte, war Strepponi freilich nicht ge- Preis dafür zu bezahlen, daß Verdi sie ‚erlöst‘, sie zur ehrbaren Frau gemacht hatte. faßt: In Form der jungen und begabten Denn ihr ‚Erlöser‘ erwies sich zwar einerseits als Freidenker, der sich die Einmischung Sängerin Teresa Stolz, die sich – bereits anderer in seine Lebensführung verbat, andererseits aber – durchaus gesellschafts- bevor der Komponist ihr die Partie der (und geschlechterrollen-)konform – als launiger Machtmensch und Patriarch. „Ich Aida in der italienischen Erstaufführung ­wiederhole [es] Dir zum tausendsten Mal. Es genügt nicht ‚zu befehlen‘, wie Du es der Oper anvertraute – als Verdi-Inter- machst; sondern man muß in einer Art und Weise befehlen, daß die andern Dich ver- pretin einen Namen gemacht hatte, trat stehen; und dann beobachten und überwachen, ob sie die gegebenen Befehle ausge- eine Person ins Leben der beiden Verdis, führt haben. Das ist der einzige Weg, die Sachen zu erreichen. Und das ist nicht nur auf die ihre Beziehung an den Rand des S. Agata so, sondern überall und in allen Angelegenheiten.“ (Verdi an Mauro Corticelli, Scheiterns brachte und Giuseppina in 10. April 1875) tiefe Verzweiflung stürzte. Es gibt Hin- Christine Fischer weise darauf, daß Verdi bereits vorher möglicherweise nicht der treueste aller Ehemänner war. Wenn es tatsächlich so war, hatte Giuseppina wohl damit leben gelernt. Mit Teresa Stolz lag der Fall je- Teresa Stolz (1834–1902). doch anders: Sie war eine Frau in ähn- licher Situation und Stellung wie sie 24 25 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Das Zitat stammt aus einer der zentralen theoretischen Schriften von Richard Wagner – Frauen in Wagners Leben/ Oper und Drama von 1850/51 (gedruckt 1852). Das Kapitel ist überschrieben: Frauengestalten in Wagners Werk „Die Musik­ ist ein Weib“. Diesem Text zufolge hat „das Weib“ kein eigenständiges Ich, ist kein Subjekt, sondern dient als Spiegel „des Mannes“. Die Männlichkeitsposition in dieser Konstruktion übernimmt die Sprache. Auch sie kann nicht für sich bestehen, ­ zuschreiben – einschreiben – gegenschreiben sie bedarf der Musik, um „geboren“ zu werden. Wagner liebte offenkundig Geburts­ Lange vor Wagners Tod war der Name Wagner mehr als ein Name. Er stand nicht nur metaphern wie z. B.: für eine historische Person und ein kompositorisches und musikschriftstellerisches Werk, sondern für etwas, das als „Bedeutungskomplex Wagner“ zu bezeichnen wäre. Der Verstand ist daher von der Notwendigkeit gedrängt, sich einem Elemente zu Im Wechsel der Zeiten kommen neue Merkmale zu diesem Komplex hinzu, einzelne vermählen, welches seine dichterische Absicht als befruchtenden Samen in sich werden stärker als andere herausgegriffen und neu interpretiert. Zu diesen Elementen aufzunehmen und diesen Samen durch sein eigenes, ihm notwendiges Wesen gehört ganz wesentlich das, was Wagner selbst als weiblich bzw. männlich in seinen so zu nähren und zu gestalten vermöge, daß es ihn als verwirklichenden und Schriften oder auch Briefen bezeichnet hat sowie das, was zahllose Biographen zu erlösenden Gefühlsausdruck gebäre. ­wissen glauben über seine gelebten Frauen- und Männerbeziehungen und die Bezie- hungen dieser Frauen und Männer zu ihm. Ein weiteres Element sind seine Figuren- Und weiter: konstellationen, in den Libretti, in seiner Musik, szenisch. Die verschiedenen Ebenen: hier musikalisches Werk, dort Schriften, schließlich die Dieses Element ist dasselbe weibliche Mutterelement, aus dessen Schoße, […] Biographie kann man zwar wie in einer naturwissenschaftlichen Versuchsanordnung das Wort und die Wortsprache so hervorging, wie der Verstand aus dem Gefühle fein säuberlich auseinandernehmen. Aber ist das sinnvoll? Gerade Wagner ist ein Para- erwuchs, der somit die Verdichtung dieses Weiblichen zum Männlichen, Mittei- debeispiel dafür, wie Kunst und Leben engstens miteinanderverwoben sein können. lungsfähigen ist. zuschreiben „Die Frau“ wird in diesen Formulierungen vorausgesetzt als ein Wesen, das in seiner Richard Wagner hat in einem für ihn charakteristischen Ineinander von persönlichem ­naturhaften Unmittelbarkeit verharren, also z. B. nicht reflektieren soll, was nur dem Lebens-, Beziehungs- und Geschlechter-Entwurf sehr viel dazu beigetragen, die naturfernen und damit zivilisationsnahen Mann zukommt. Wozu braucht Wagner ­Vorstellung von einer Polarität von zwei Geschlechtern als naturgemäß zu behaupten. ­argumentativ diese Gleichsetzung von Frau und Musik? Polarität, das klingt erst einmal gleichwertig. Aber in dieses Modell ist gesellschaftlich eine Hierarchie eingeschrieben, zwischen „dem Männlichen“ und „dem Weiblichen“. In dieser Schrift Oper und Drama geht es Wagner um die Begründung seines Konzepts des Kunstwerks der Zukunft. Er will den Zusammenhang zwischen Musik und Drama, Die Natur des Weibes ist die Liebe: aber diese Liebe ist die empfangende und in zwischen Wort und Text durchleuchten: Die Musik wird durch den Text, das Drama der Empfängnis rückhaltlos sich hingebende. Das Weib erhält volle Individuali- „gezeugt“. Sie ist also dem Text nachgeordnet. Sie macht etwas aus dem Wort, was das tät erst im Momente der Hingebung. Es ist das Wellenmädchen, das seelenlos Wort (der Samen) allein nicht kann, fügt etwas hinzu und gebiert es neu – wie „das durch die Wogen seines Elementes dahinrauscht, bis es durch die Liebe eines Weib“, das nach der Zeugung durch Schwangerschaft und Geburt einem neuen Wesen/ Mannes erst die Seele empfängt. Der Blick der Unschuld im Auge des Weibes ist Werk das Leben schenkt. der endlos klare Spiegel, in welchem der Mann so lange eben nur die allgemei- Wir haben es hier natürlich mit symbolischen Zuschreibungen zu tun. Um es mit ne Fähigkeit zur Liebe erkennt, bis er sein eigenes Bild in ihm zu erblicken Judith Butler zu sagen: Wagner stellte als Autor Geschlecht her. Für ihn war klar, was ­vermag: hat er sich darin erkannt, so ist auch die Allfähigkeit des Weibes zu der männlich und was weiblich ist und deswegen nutzt er tradierte, teilweise in mythi- einen drängenden Notwendigkeit verdichtet, ihn mit der Allgewalt vollsten schen Erzählungen verankerte Denkbilder, um seine Ideen von einem Kunstwerk der Hingebungseifers zu lieben. Zukunft zu formulieren. Wagner wollte mit seiner Schrift begründen, wieso er nicht in der Symphonie, in der sogenannten absoluten, also vom Wort abgelösten Musik das 26 27 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Kunstwerk der Zukunft sah. Das Geschlechterverhältnis, so wie es sich ihm darstellte, ­Hingabe des eigenen Lebens den verfluchten Ring der Lieblosigkeit zurückgibt, die schien ihm als Vergleichsebene offenkundig besonders schlagend. Welt ihrer eigenen Herkunft, Wotan und Walhall, vernichtet und so das Welterlösungs- werk der menschlichen Liebe in Freiheit vollbringt. Am Anfang ist sie nichts anderes Und wie sieht es bei Wagners Figurenkonstellationen aus? Historische, auch ideenge- als der leiblich verkörperte Wille Wotans. Erst in der Todesverkündigung und aufgrund schichtliche Ereignisse, zentrale Denkmuster werden im kollektiven Gedächtnis meist von Siegmunds Reaktion, des verzweifelten Gefühls menschlicher Liebe beginnt die in personifizierter Form erinnert, oft von mythischen Elementen durchdrungen. So Wandlung Brünnhildes zum Menschen, zur liebenden Frau, durch Mitleid.“ (Friedrich werden uns auch Bühnenfiguren zum Inbegriff, zur Verkörperung großer Ideen und 2012, S. 80) Eva Rieger deutet die Figur anders: „Brünnhilde stirbt nicht, um die Welt Ereignisse. Ideen haben kein Geschlecht, aber Bühnenfiguren. Eva Rieger hat Wagners zu retten, sondern aus Liebe zum Mann. Brünnhildes Stärke, die so oft als Beispiel für Frauenfiguren ein Buch gewidmet – Leuchtende Liebe, lachender Tod. Demnach spie- das Ausbrechen aus der Frauenrolle des 19. Jahrhunderts gesehen wird, fällt angesichts gele seine Musik die Struktur der Geschlechterordnung, die im 19. Jahrhundert vor- ihrer Anbetung Siegfrieds in sich zusammen.“ Von Freiheit also keine Rede. Eva Rieger herrschte und reproduziere sie. Bestes Beispiel: das von Wagner vielfach variierte Mo- argumentiert nicht nur mit dem Text sondern auch mit der Musik: tiv der freiwilligen Selbstopferung „der Frau“, um „den Mann“ zu erlösen. Eva Rieger konstatiert jedoch mit Blick auf das Gesamtwerk auch Ausnahmen und Brüche in Neben diesem Motiv der Liebe verdient das sogenannte Erlösungsmotiv aus ­Wagners Rollenentwürfen für Frauen. So entzünden sich immer wieder Diskussionen­ dem Schluß der Götterdämmerung besonders herausgestellt zu werden, das an der Figur der Brünnhilde und an der Deutung des Schluss des Rings. Sven Friedrich, ­ursächlich mit Brünnhildes Liebe zu Siegfried zu tun hat […]. Dass die Melodie Leiter des Wagner Archivs in Bayreuth, in seinem gerade erschienenen Einführungs- am Schluss abwärts springt, markiert Brünnhilde als schwach, aber gerade büchlein zu Wagners Werken: „Sie [Brünnhilde] wird es am Ende der ­Götterdämme­r­ung ­diese Schwäche macht sie so bedeutend und rührend. Auch hier bringt Wagner sein, die, zum freien, liebenden Menschen emanzipiert, den Rheintöchtern unter durch die absteigende Septe die Liebe der Frauen ins Spiel und zeigt sie als die wahre Stärke, die nicht durch Herrschaft überzeugen muss. Der Liebe ist die ­eigentliche Schönheit vorbehalten: Sie lässt für Augenblicke die Utopie einer ­befriedeten Welt aufschimmern. (Rieger 2009, S. 269)

Bühnenfiguren dienen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Debatten als ­Medium, wie man an jeder guten Inszenierung sehen kann. Nun könnte man argu- mentieren: Die von Wagner in seinen Schriften weiblich konnotierte Musik ist in ­seinen Bühnenwerken das Medium für das Transzendierende, für das gegenüber den bestehenden Zuständen Kritische, Hinausweisende, für den ‚utopischen Vorschein‘ (Bloch) einer anderen Welt und Gesellschaft. Dass die Musik aber gleichwohl nicht nur nicht völlig vom Text gelöst ist, sondern dass der Text die Musik „zeugt“, um in Wagners Sprachbildern zu bleiben, wird da- durch erkennbar, dass Wagner inhaltlich sowie musikalisch die Widersprüche sowohl in der Beschaffenheit der Welt insgesamt, wie sie im Ring im Gegensatz von (männli­ cher) Macht und (weiblicher) Liebe gezeichnet wird, als auch in den einzelnen Figuren und Konstellationen in ihrer vollen dramatischen Schärfe und Dynamik vorführt. ­Dadurch entstehen Spiel- und Denkräume.

einschreiben Wagners erste Frau, die Schauspielerin Minna Planer Richard Wagners langjährige Geliebte, Mutter seiner Laut Sven Friedrich war Wagners Lebensthema der Wunsch nach „Erlösung des defizi- (1809–1866), 1835, Gemälde von Alexander von Otterstedt, Kinder und zweite Ehefrau Cosima Liszt (1837–1930), tär leidenden Männlichen durch die sich bedingungslos selbstaufopfernde weibliche Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth. 1877 in London. 28 29 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Liebe“. (Friedrich 2012, S. 38) Tatsäch- Dabei kann ich einen gewissen Stolz nicht unterdrücken, daß er diese Opern lich sind von Richard Wagner zahllose nebst dem ‚fliegenden Holländer‘ und ‚Lohengrin‘ während unserer früheren Äußerungen überliefert, die nahelegen, Verheiratung geschrieben, die ihn nahmhaft gemacht. Wagner’s Künstler-­ dass er das Verhalten realer Frauen und Periode theile ich in zwei. Die erste gehört mir, das sind die 4 eben genannten Männer an seinen Weiblichkeits- und Opern. Bei den letzten aber: ‚Nibelungen‘ und besonders ‚Tristan und Isolde‘, Männlichkeitsbildern gemessen hat: war ich leider nicht so glücklich, ihn beeinflussen zu können oder zu dürfen. „Ein Weib, das nicht mit diesem Stolze (La Mara 1906, S. 355f.) der Hingebung liebt, liebt in Wahrheit gar nicht. Ein Weib, das gar nicht liebt, Ein Zitat, das etwas auf den Punkt bringt: „Die erste Periode gehört mir“, Mathilde ist aber die unwürdigste und widerlich­­ ­ ­Wesendonck hätte sagen können, die zweite mir, die dritte mir. Man ste ­Erscheinung der Welt.“ Das ist zwar könnte also sagen: Frauen wie Minna Planer oder Cosima Liszt wollten sich selber ein Zitat aus Oper und Drama, könnte ­einschreiben, Teil seines Werkes werden. Aber – und das ist ein großer Unterschied – aber genauso eine Aufzeichnung aus sie wollten nicht darin verschwinden, sondern mitgenannt werden. den ­Tagebüchern Cosima Wagners sein. ­Wagner selber setzte demnach Bühnen- Cosima Liszt-Bülow-Wagner, Wagners Geliebte, Mutter seiner Kinder, dann seine Frau, wirklichkeit und Lebenswirklichkeit in Chronistin und Sekretärin, schließlich seine Witwe. Eva Rieger hat im Wagner-Hand- ein Spiegelverhältnis. buch ihre Tagebucheintragungen analysiert und kommt zu dem Schluß, Cosima ­Wagner schreibe „die traditionelle Erzählung vom autonomen, genialen, verkannten Wenn Wagner seine erste Frau mit Senta, Wagners Textautorin und Muse Mathilde Wesendonck Meister“ fort (Rieger 2012): „Das Theater seines Gedankens ist ein Tempel, und das seine zweite mit Isolde, seine dritte (1828–1902), Gemälde von Karl Ferdinand Sohn, 1850, ­jetzige Theater eine Jahrmarktsbude, er redet die Sprache des Priesters, und Krämer Stadtmuseum Bonn (als Leihgabe im LVR Rheinisches ­fallweise ebenfalls mit Senta oder mit ­Landesmuseum Bonn). sollen ihn verstehen! Ihm mußt ich mein ganzes Leben weihen, denn ich habe seine ­Brünnhilde vergleicht, dann kann man Lage erkannt“ (Cosima­ Wagner I, 157). Gleichzeitig protokollierte sie auch Äußerungen das unterschiedlich deuten: als Aus- Wagners über seine Abhängigkeit von ihr: „Du hast mich am Leben erhalten, und druck tatsächlicher Einheit von Leben ­dieses Erhalten hat dann dem Leben seine Würde gegeben“ (Cosima Wagner II, 927). und Werk in dem Sinne, dass die realen Frauen „Vorbilder“ waren für die Bühnen­ Der Lohn für ihr „Selbstopfer“: „R. arbeitet, das ist meine Sonne“ (Cosima Wagner I, figuren. Man kann diese Vergleiche aber auch deuten als eine Art Trick Wagners, um 406). Und er, bezogen auf die Fertigstellung der Götterdämmerung: „ohne dich hätte seine Interessen gegenüber seinen Lebenspartnerinnen durchzusetzen: die Bühnen­ es nie gedämmert“ (Cosima Wagner I, 448). Diese Zitate ließen sich beliebig ergänzen, figur als Vor-Bild, verbunden mit der Botschaft: sei bereit Dich zu opfern. Als Lohn denn in den Tagebuchaufzeichnungen geht es um die permanente Deutung und Um- überhöhe ich Dich/verewige ich Dich literarisch/musikalisch/szenisch oder noch deutung des eigenen Lebens, für Richard Wagner, wie für Cosima Wagner. ­weitergehend – so gegenüber Cosima – mein Werk wird Dein Werk sein. Dritte Denk- möglichkeit: Wagner bietet den realen Frauen (und Männern) damals wie heute seine Judith Butlers Theorie, dass Geschlecht das ist, was wir TUN – übertragen auf die Bühnenfiguren als eine Art imaginäres Spielfeld an. „Frauen um Wagner“ könnte also bedeuten: Die „Frauen um Wagner“ haben sich ihre Weiblichkeit im Sinne Wagners „eingehandelt“. Hätten sie eigenmächtiger, frei schöpf­ „Die Wagnerischen Opern Rienzi und Tannhäuser höre ich mit vieler Freude und den erischer gehandelt, wären sie nicht zuletzt auch in Wagners Sicht dieser Weiblichkeit gemischtesten Gefühlen.“ Das schrieb die Schauspielerin Minna Planer (1809–1866), verlustig gegangen. Wagners Geliebte, dann seine erste Ehefrau, die mit ihm aus Riga vor Gläubigern geflo- hen war und mit ihm in Paris gehungert hatte, an die Fürstin Wittgenstein, die zweite In der Regel sind die menschlichen Beziehungen – Inspiration, Mitarbeit, Beratung, Lebensgefährtin von Franz Liszt am 11. Januar 1859, also ein Jahr nach der vorläufigen verschwiegene Ko-Autorschaft –, die in ein Werk mit einfließen, spätestens für die Trennung. (Endgültige Trennung 1862). Und fährt fort: Nachwelt unsichtbar. Dennoch waren sie von entscheidender Bedeutung, waren Teil 30 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ der Wirklichkeit, da sie wirksam wurden. Viele Biographien und Untersuchungen ­beruhen auf einem Verständnis von Musikgeschichte (und entsprechend von Musik­ geschichtsschreibung), dem ein eingeschränktes Bild von Autorschaft zugrunde liegt. Statt Autorschaft im Sinne des einzelnen produzierenden Künstlers, isoliert von der Gesamtheit seiner Arbeits- und Produktionsbedingungen zu verstehen, kann beispiels- weise gerade der Blick auf Frauen um Wagner einem reicheren, komplexeren Bild des Autors dienen, an dessen Schaffen stets viele (vielfach unsichtbar, jedenfalls durch die Geschichtsschreibung meist nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt) ‚Mitschaf- fende‘ beteiligt sind. Jede dieser Frauen hat auf ihre Art kulturell gehandelt, aber ihr ­Handeln wurde und wird zumeist nicht als eigenständig, also als nicht „geschichts­ fähig“ begriffen und fällt der Vergessenheit anheim. Einer Frau wie Cosima Wagner war dies bewusst, deswegen sorgte sie für ihre eigene Biographie. gegenschreiben/gegeninszenieren WissenschaftlerInnen, AutorInnen ebenso wie Regisseure und Regisseurinnen wollen eingreifen in die allgemeinen Deutungsdiskurse über einen Stoff, indem sie entweder bestehende Interpretationsmuster bestätigen und bestärken oder aber diese in Frage stellen, neue, bisher unbekannte oder unbeachtete Seiten sichtbar machen. Indem sie eine neue oder anders akzentuierte Einschätzung von Stoffen und Figurenkonstellatio­ nen zur Diskussion stellen, bringen sie sich in das kulturelle Gespräch, gegebenenfalls auch in den Streit über Deutungen mit einer eigenen ‚Wortmeldung‘ ein. Diese ‚Wort- meldung‘ in einem unabgeschlossenen kulturellen Diskurs wird zum Teil dessen, was als „Bedeutungskomplex Wagner“ benannt wurde. Kunstwerke, hier Wagners Musikdramen, besitzen keine feste Gestalt. Sie entstehen und existieren im Auge und Ohr der BetrachterInnen und der HörerInnen, als eine ­Verwobenheit von Stimmen, von Geschichten, die wir uns immer wieder neu erzählen. Zuordnungen, Bedeutungen sind also Vereinbarungen, die bestimmten sozialen, his­ torischen Bedingungen verhaftet, jedoch aufkündbar sind und immer in Bewegung. Geschlechterspezifische Zuschreibungen gehören zentral zu diesem dynamischen ­Prozess. Gerade aktuelle Inszenierungen können zeigen, wie gewohnte Zuschreibun­ gen in Bewegungen geraten und ein neues Spielfeld eröffnen.

Beatrix Borchard

Cosima und Richard Wagner in Wien, Fotografie von Fritz Luckhardt, 1872. 32 33 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Wesendonck-Lieder Stille wird’s ein säuselnd Weben Träume Fünf Gedichte für Frauenstimme und Klavier Füllet bang den dunklen Raum: Sag’, welch’ wunderbare Träume Texte: Mathilde Wesendonck (1857–1858) Schwere Tropfen seh’ ich schweben Halten meinen Sinn umfangen, An der Blätter grünem Saum. Daß sie nicht wie leere Schäume Der Engel Daß in selig süßem Vergessen Sind in ödes Nichts vergangen? Ich mög’ alle Wonne ermessen! Schmerzen In der Kindheit frühen Tagen Träume, die in jeder Stunde, Sonne, weinest jeden Abend Hört ich oft von Engeln sagen, Wenn Auge in Auge wonnig trinken, Jedem Tage schöner blühn, Dir die schönen Augen rot, Die des Himmels hehre Wonne Seele ganz in Seele versinken; Und mit ihrer Himmelskunde Wenn im Meeresspiegel badend Tauschen mit der Erdensonne, Wesen in Wesen sich wiederfindet, Selig durchs Gemüte ziehn! Und alles Hoffens Ende sich kündet, Dich erreicht der frühe Tod; Daß, wo bang ein Herz in Sorgen Träume, die wie hehre Strahlen Die Lippe verstummt in staundendem Doch erstehst in alter Pracht, Schmachtet vor der Welt verborgen, In die Seele sich versenken, Schweigen, Glorie der düstren Welt, Daß, wo still es will verbluten, Dort ein ewig Bild zu malen: Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen: Du am Morgen neu erwacht, Und vergehn in Tränenfluten, Allvergessen, Eingedenken! Erkennt der Mensch des Ew’gen Spur, Wie ein stolzer Siegesheld! Daß, wo brünstig sein Gebet Und löst dein Rätsel, heil’ge Natur! Träume, wie wenn Frühlingssonne Ach, wie sollte ich da klagen, Einzig um Erlösung fleht, Aus dem Schnee die Blüten küßt, Wie, mein Herz, so schwer dich sehn, Da der Engel niederschwebt, Im Treibhaus Daß zu nie geahnter Wonne Muß die Sonne selbst verzagen, Und es sanft gen Himmel hebt. Sie der neue Tage begrüßt, Hochgewölbte Blätterkronen, Muß die Sonne untergehn? Ja, es stieg auch mir ein Engel nieder, Baldachine von Smaragd, Daß sie wachsen, daß sie blühen, Und gebieret Tod nur Leben, Und auf leuchtendem Gefieder Kinder ihr aus fernen Zonen, Träumend spenden ihren Duft, Geben Schmerzen Wonnen nur: Führt er, ferne jedem Schmerz, Saget mir, warum ihr klagt? Sanft an deiner Brust verglühen, O wie dank ich daß gegeben Meinen Geist nun himmelwärts! Und dann sinken in die Gruft. Schweigend neiget ihr die Zweige, Solche Schmerzen mir Natur. Malet Zeichen in die Luft, Stehe still! Und der Leiden stummer Zeuge Sausendes, brausendes Rad der Zeit, Steiget auftwärts, süßer Duft. Messer du der Ewigkeit; Weit in sehnendem Verlangen Leuchtende Sphären im weiten All, Richard Wagner an Mathilde Wesendonck Breitet ihr die Arme aus Die ihr umringt der Weltenball; Und umschlinget wahnbefangen Urewige Schöpfung, halte doch ein, Zürich, Mai 1857 Öder Leere nicht’gen Graus. Genug des Werdens, laß mich sein! Wohl, ich weiß es, arme Pflanze; Halte an dich, zeugende Kraft, Und meine liebe Muse bleibt mir noch fern? Schweigend harrte ich ihres Ein Geschicke teilen wir, Urgedanke, der ewig schafft! Besuches; durch Bitten wollte ich sie nicht beunruhigen. Denn die Muse, wie Ob umstrahlt von Licht und Glanze, Hemmet den Atem, stillet den Drang, die Liebe, beglückt nur freiwillig. Wehe dem Thoren, wehe dem Lieblosen, der, Unsre Heimat ist nicht hier! Schweigt nur eine Sekunde lang! was sich freiwillig ihm nicht ergiebt, mit Gewalt erzwingen will! Sie lassen sich Schwellende Pulse, fesselt den Schlag; Und wie froh die Sonne scheidet nicht zwingen. Nicht wahr? Nicht wahr? Wie könnte die Liebe noch Muse sein, Ende, des Wollens ew’ger Tag! Von des Tages leerem Schein, liesse sie sich zwingen? Hüllet der, der wahrhaft leidet, Sich in Schweigens Dunkel ein. Und meine Liebe Muse bleibt mir fern? 35 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Kein anderer Musiker reicht an Wagner in der Fähigkeit, den Raum und die Tiefe, Salon II im wirklichen wie spirituellen Sinne zu malen. […] Er besitzt die Kunst, durch feine Abstufungen alles, was im geistigen und natürlichen Menschen an Außerordentlichem, Maßlosem, Brünstigen vorhanden ist, auszudrücken. Donnerstag, 30. Mai 2013 Der Komponist ist eine Frau – Charles Baudelaire, Tannhäuser à Paris, 1861. Lili und Nadia Boulanger

Richard Wagner, Paris, 1861, Bayreuth, Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung. 36 37 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Hier, wo ich von den Erholungen meines Lebens rede, habe ich ein Wort nötig, um ­meine Dankbarkeit für das auszudrücken, was mich in ihm bei weitem am tiefsten und herzlichsten erholt hat. Dies ist ohne allen Zweifel der intimere Verkehr mit Richard Wagner gewesen. Ich lasse den Rest meiner menschlichen Beziehungen billig; ich möchte um keinen Preis die Tage von aus meinem Leben weggeben, Tage des Ver­ trauens, der Heiterkeit, der sublimen Zufälle – der tiefen Augenblicke … Ich weiß nicht, was andre mit Wagner erlebt haben: über unsern Himmel ist nie eine Wolke hinweg­ gegangen. – Und hiermit komme ich nochmals auf Frankreich zurück – ich habe keine Gründe, ich habe bloß einen verachtenden Mundwinkel gegen Wagnerianer et hoc ­genus omne übrig, welche Wagner damit zu ehren glauben, daß sie ihn sich ähnlich ­finden … So wie ich bin, in meinen tiefsten Instinkten allem, was deutsch ist, fremd, so daß schon die Nähe eines Deutschen meine Verdauung verzögert, war die erste Berüh- rung mit Wagner auch das erste Aufatmen in meinem Leben: ich empfand, ich verehrte ihn als Ausland, als Gegensatz, als leibhaften Protest gegen alle „deutschen Tugenden“. – Wir, die wir in der Sumpfluft der Fünfziger Jahre Kinder gewesen sind, sind mit Not­ wendigkeit Pessimisten für den Begriff „deutsch“; wir können gar nichts andres sein als Charles Baudelaire (1821–1867), um 1863. Revolutionäre – wir werden keinen Zustand der Dinge zugeben, wo der Mucker obenauf ist. Es ist mir vollkommen gleichgültig, ob er heute in andren Farben spielt, ob er sich in Scharlach kleidet und Husaren-Uniformen anzieht … Wohlan! Wagner war ein Revolu­ [Paris], Freitag, 17. Februar 1860 tionär – er lief von den Deutschen davon … Als Artist hat man keine Heimat in Europa außer in Paris: die délicatesse in allen fünf Kunstsinnen, die Wagners Kunst voraussetzt, Monsieur, die Finger für nuances, die psychologische Morbidität, findet sich nur in Paris. Man hat nirgendswo sonst die Leidenschaft in Fragen der Form, diesen Ernst in der mise en scène Ich habe mir immer vorgestellt, daß ein großer Künstler, und wäre er den Ruhm noch – es ist der Pariser Ernst par excellence. Man hat in Deutschland gar keinen Begriff von so sehr gewöhnt, für ein aufrichtiges Kompliment dennoch nicht unempfindlich sein der ungeheuren Ambition, die in der Seele eines Pariser Künstlers lebt. Der Deutsche ist würde, wenn dieses Kompliment wie ein Schrei der Dankbarkeit wäre, und daß endlich gutmütig – Wagner war durchaus nicht gutmütig … Aber ich habe schon zur Genüge dieser Schrei einen sehr besonderen Wert haben könnte, wenn er von einem Franzosen ausgesprochen […], wohin Wagner gehört, in wem er seine Nächstverwandten hat: es ist käme, das heißt von einem Menschen, der für die Begeisterung wenig geschaffen und die französische Spät-Romantik, jene hochfliegende und doch emporreißende Art von der in einem Land geboren ist, wo man sich auf Poesie und Malerei kaum mehr versteht Künstlern wie Delacroix, wie Berlioz, mit einem fond von Krankheit, von Unheilbarkeit als auf Musik. Vor allem möchte ich Ihnen sagen, daß ich Ihnen den höchsten musika- im Wesen, lauter Fanatiker des Ausdrucks, Virtuosen durch und durch … Wer war der lischen Genuß verdanke, den ich je empfunden habe. Ich bin in einem Alter, wo man erste intelligente Anhänger Wagners überhaupt? Charles Baudelaire, derselbe, der zuerst sich kaum noch damit vergnügt, an berühmte Männer zu schreiben, und ich hätte es Delacroix verstand, jener typische décadent, in dem sich ein ganzes Geschlecht von noch länger hinausgeschoben, Ihnen durch einen Brief meine Bewunderung zu bezeu- ­Artisten wiedererkannt hat – er war vielleicht auch der letzte … Was ich Wagner nie ver- gen, wenn mir nicht täglich unwürdige, lächerliche Artikel vor Augen kämen, in denen geben habe? Daß er zu den Deutschen kondeszendierte – daß er reichsdeutsch wurde … man sein möglichstes tut, Ihr Genie zu verleumden. Sie sind nicht der erste Mann, So weit Deutschland reicht, verdirbt es die Kultur. – ­Monsieur, um dessentwillen ich unter meinem Land leide und für es erröte. Kurz, die Empörung hat mich getrieben, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu bezeugen; ich habe mir Aus: , Ecce homo, 1888. gesagt: ich will nicht, daß man mich mit all diesen Dummköpfen in einen Topf wirft. Als ich das erste Mal die Salle des Italiens aufsuchte, um Ihre Werke zu hören, war ich schlecht aufgelegt und sogar, wie ich gestehen muß, voll schlimmer Vorurteile; doch das 38 39 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

ist verzeihlich; ich war schon so oft hereingefallen; wie oft habe ich nicht die Musik eines So könnte ich an diesem Brief unaufhörlich fortschreiben. Wenn Sie dies haben lesen anmaßenden Scharlatans hören müssen! Sie haben mich sogleich bezwungen. Was ich können, danke ich Ihnen dafür. Es bleiben mir nur wenige Worte hinzuzufügen. empfand, ist unbeschreiblich, und wenn Sie die Güte haben, mich nicht lächerlich zu Seit dem Tag, an dem ich Ihre Musik gehört habe, sage ich mir immerzu, vor allem in finden, werde ich versuchen, es Ihnen zu übersetzen. Zuerst war mir, als kennte ich diese meinen schlimmen Stunden: Wenn ich doch wenigstens heut abend etwas Wagner Musik, und als ich später darüber nachsann, begriff ich, woher diese Täuschung kam; ­hören könnte! Es gibt gewiß noch andere Menschen, denen es wie mir geht. So müssen mir war, als wäre diese­ Musik die meine, und ich erkannte sie, wie jeder das erkennt, Sie zuletzt doch mit einem Publikum zufrieden gewesen sein, dessen Instinkt der kläg- was er zu lieben ­bestimmt ist. Für jeden anderen als einen Mann des Geistes wäre dieser lichen Weisheit der Journalisten weit überlegen war. Weshalb sollten Sie nicht noch Satz unendlich lächerlich, insbesondere, wenn jemand ihn schreibt, der, wie ich, nichts ­einige Konzerte geben, in denen wir noch andere, neue Stücke hören werden? Sie haben von Musik versteht, und dessen ganze Erziehung sich darauf beschränkt, einige schöne uns einen Vorgeschmack neuer Genüsse vermittelt; haben Sie das Recht, uns das Übrige Stücke von ­Weber und Beethoven gehört zu haben (mit großem Vergnügen freilich). vorzuenthalten? – Noch einmal, Monsieur, ich danke Ihnen; Sie haben mich mir zurück- Was an Ihrer Musik mich dann vor allem traf, war die Größe. Sie stellt das Große dar, gegeben und dem Großen, in schlimmen Stunden. und sie treibt zu Großem. Überall in Ihren Werken habe ich die Feierlichkeit der großen Ch. Baudelaire Klänge, der großen Naturschauspiele, und die Feierlichkeit der großen menschlichen ­Leidenschaften wiedergefunden. Man fühlt sich sogleich hingerissen und bezwungen. Eines der seltsamsten Stücke, die mir eine neue musikalische Empfindung vermittelten, Ich unterlasse es, Ihnen meine Adresse mitzuteilen; Sie möchten sonst vielleicht glauben, ist jenes, welches bestimmt ist, eine religiöse Verzückung zu malen. Die Wirkung, die der ich wollte Sie um etwas bitten. Einzug der Gäste auf der Wartburg und das Hochzeitsfest hervorrufen, ist ungeheuer. Ich empfand die ganze­ Majestät eines Lebens von größerer Weite, als es uns vergönnt ist. Und noch etwas: ich habe oft ein Gefühl der wunderlichsten Art empfunden, den Stolz nämlich und die Wonne, zu verstehen, mich durchdringen, mich überwältigen zu lassen; eine wahrhaft sinnliche Wollust, die derjenigen gleicht, wenn man in die Lüfte aufsteigt oder auf dem Meer dahinfährt. Und gleichzeitig atmete die Musik manchmal den Stolz des Lebens. Diese tiefen Harmonien schienen mir ganz allgemein jenen Rauschmitteln zu gleichen, die den Puls der Einbildungskraft beschleunigen. Schließlich empfand ich auch – bitte, lachen Sie nicht! – gewisse Eindrücke, die wahrscheinlich von meiner ­Geistesbeschaffenheit und dem, was mich häufig beschäftigt, herrühren. Überall ist da etwas, das einen mit sich fortreißt und hinaufträgt, das immer höher hinaufwill, etwas alle Schranken Übersteigendes, über alle Grenzen Hinaustragendes. Um dies zu erläu- tern, möchte ich der Malerei ein Gleichnis entlehnen. Ich stelle mir ein Gemälde vor, und auf diesem eine weite Fläche von düsterem Rot. Wenn dieses Rot die Leidenschaft dar- stellt, so sehe ich, wie es sich stufenweise, durch alle Übergänge des Roten und Rosigen, zur Weißglut eines Schmelzofens steigert. Es schiene schwierig, ja unmöglich, etwas noch Glühenderes zu erreichen; und doch zieht eine letzte Rakete eine noch weißere Spur durch das Weiß, das ihr als Untergrund dient. Das ist dann, wenn Sie wollen, der letzte Aufschrei der Seele, wenn ihre Verzückung sich aufs äußerste verschärft hat.

Ich hatte begonnen, einige Betrachtungen über die Stücke aus Tannhäuser und Lohen- grin, die wir gehört haben, aufzuschreiben; aber ich bin mir der Unmöglichkeit, alles zu sagen, bewußt geworden. 40 41 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

dessen Beendigung sie sich hinter die Kulissen zu nährem Verkehr mit den Wagnérisme: springenden Nymphen begaben. Was lag diesen lüsternen Jünglingen an der Aufführung eines so keuschen Kunstwerkes, wie es der „Tannhäuser“ ist, welches Ein Skandal und die Folgen den Sieg der reinen Liebe über den Sinnenrausch feiert.

Um 1860 richten sich Richard Wagners Hoffnungen ganz auf Frankreich. In Paris, das Wagner verweigerte die Ballett-Einlage, komponierte aber ein Tanz-Bacchanal für den er in den 1830er Jahren noch für sein persönliches Elend verantwortlich machte, will er Beginn der Oper. Damit zeigte sich Jockey-Club nicht zufrieden und die „Claque“ wur- mit dem Tannhäuser überzeugen. de entsprechend instruiert. Bei der Aufführung am 13. März 1861 kam es zum Skandal, das Geschehen auf der Bühne wurde von Trillerpfeifen und Protesten immer wieder Für jetzt nimmt mich nun mein Pariser Vorhaben ausschliesslich in Anspruch, unterbrochen. Bei der zweiten Aufführung (18. März) das Nämliche; Tannhäuser warf und verdeckt mir wohlthätig den Blick auf mein künftiges deutsches Misère. sogar aus Verzweiflung seinen Pilgerhut ins Publikum. Nach der dritten Aufführung am Ich weiss nicht, welche Gerüchte bei Euch cursiren über mir bereitete Schwierig- 24. März zog Wagner die Partitur zurück. keiten: sie sind vielleicht gut gemeint, aber irrig. Noch nie ist mir das Material Und dennoch: gerade diese Tannhäuser-Aufführung markiert den Beginn der fran- zu einer ausgezeichneten Aufführung so voll und unbedingt zu Gebote gestellt zösischen Wagnerbegeisterung, des sog. Wagnérisme. „Der Dichter der Modernität“, worden, als diesmal in Paris zur Aufführung des Tannhäuser an der grossen mit dem „die französische Lyrik zu einer europäischen Angelegenheit“ wurde (Hugo Oper; und ich kann nicht anders wünschen, als dass je ein deutscher Fürst für Friedrich), Charles Baudelaire, wurde dabei zum Fürsprecher Wagners, zum ersten meine neuen Werke mir ein Gleiches erweisen möchte, als was mir hier erwie- Wagnerianer von Paris. sen wird. (Brief an Liszt vom 13. September 1860) Baudelaire erwähnt Wagner das erste Wagner probte über ein Jahr lang in der Grand opéra, 163 Ensembleproben wurden Mal in einem Brief im Juli 1849. Bei ­angesetzt, weitere Stimmproben fanden bei ihm zuhause statt. Paris erzählte sich ­Wagners Pariser Konzerten im Théâtre ­Horrorgeschichten über den Probenverlauf. Hector Berlioz berichtet von der letzten Italien in den Monaten Januar bis Febru- Orchesterprobe folgendes: ar 1860 – Wagner dirigierte Ausschnitte aus Lohengrin, Tannhäuser, Tristan und Wagner macht Ziegenböcke aus den Sängern. Die letzte Orchesterprobe war Isolde und Der fliegende Holländer –, scheußlich anzuhören und endete erst um ein Uhr morgens. Jeder, den ich treffe, und bei den Konzerten, die Wagner in ist wütend; und selbst der Minister, der ansonsten auf der Seite Wagners steht, seiner Wohnung in sog. Mittwochsgesell- kam neulich in höchster Empörung aus der Probe gestürzt. In ganz Paris gilt schaften gab, hatte er persönlichen Kon- Wagner inzwischen als Narr. takt zu dem Komponisten. Aus dieser Zeit stammt auch Baudelaires enthusias- Die idealen Arbeitsbedingungen, von denen Wagner Liszt gegenüber noch so tischer Brief vom 17. Februar, in dem er schwärmte, waren schnell dahin. Nicht nur, dass ihm das eigene Dirigat von der schreibt: „Sie haben mich mir zurückge- ­Intendanz untersagt wurde, im zweiten Akt sollte auf Wunsch des Direktors ein geben und dem Großen“. Ballett eingebaut werden, das der sog. Jockey-Club, der die meisten Logen anmietete, Unmittelbar nach der Aufführung verlangte. Malwida von Meysenburg berichtet über dieses Ansinnen folgendes: des Tannhäuser – am 1. April 1861 – ver- teidigt Baudelaire Wagner mit seinem Diese jungen Herren [des Jockey-Clubs] pflegten erst nach beendigtem Diner in Artikel Richard Wagner et Tannhäuser à die Oper zu gehen, nicht um Musik zu hören, sondern um die unnatürlichste Félix Vallotton (1865–1925), A Richard Wagner, 1891, Zürich. Paris in der Revue européenne und cha- und scheußlichste Ausgeburt der modernen Kunst, das Ballett zu sehen, nach ETH Graphische Sammlung. rakterisiert ihn durch seine „intensitié 42 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

nerveuse, la violence dans la passion et dans la volonté“ als den Typus des modernen Künstlers schlechthin. Sein Werk interpretiert er in der Perspektive symbolistischer ­Ästhetik, die insgesamt für die erste, von Literaten dominierte Welle des Wagnérisme in Frankreich bestimmend bleibt. Sein Anknüpfungspunkt ist dabei Wagners Idee des Ge- samtkunstwerkes, die Idee einer „Vereinigung der Künste“ als „strukturbestimmendes Programm des musikalischen Dramas“, als „die Wiederherstellung des ‚ursprünglichen Vereins‘ der ‚drei reinmenschlichen Kunstarten‘“ (Borchmeyer 1983, S. 303f.). Die Kom- munikation aller Künste miteinander, in der alle Dinge sich in gegenseitiger Analogie ausdrücken, verweist nach Baudelaire auf „die universale Analogie […], oder das, was eine mystische Religion die Korres­pondenz nennt.“ (Baudelaire an Alphonse Toussenel in einem Brief vom 21. Januar 1856) Baudelaires Phantasien, sein synästhetisches ­Erlebnis beim Hören des Lohengrin-Vorspiels verlaufen entsprechend – er empfindet dabei

das Gefühl der spirituellen und physischen Seligkeit; der Abgesondertheit; der Betrachtung eines unendlich großen und unendlich schönen Etwas; eines in- tensiven Lichtes, das Augen und Seele bis zur Bewußtlosigkeit entzückt; endlich das Erlebnis eines bis an die letzten vorstellbaren Grenzen ausgedehnten Raumes. (Tannhäuser in Paris, S. 116)

In seinem Artikel Richard Wagner et Tannhäuser à Paris fügt Baudelaire – die geistige Eugène Delacroix (1798–1863), Der heilige Michael im Kampf mit dem Satan. Saint-Sulpice, Paris. Nähe beider Ästhetiken noch einmal unterstreichend – die Quartette seines be- rühmten Gedichts Correspondances ein. Im Sinne dieses Korrespondenzen-Systems argumentiert auch der Philosoph und Nietzsche, der Baudelaire 1885 als „eine Art Richard Wagner ohne Musik“ charakteri- spiritus rector der Revue Wagnérienne Théodore de Wyzewa, der drei Aufsätze mit sierte – ohne zu diesem Zeitpunkt von Baudelaires Bezugnahme auf die Ästhetik den programmatischen Titel Peinture Wagnérienne, Littérature Wagnerienne und ­Wagners zu wissen – führt Dichter, Komponist und Maler als „Feinde der Logik und ­Musique Wagnérienne veröffentlichte. Auch Eduard Dujardin, der Begründer der ­geraden Linien“ zusammen: Revue Wagnérienne, die für die Jahre 1885–1888 zum Sprachrohr des Wagnérisme wur- de, setzte sich für die Akzentuierung des Wagnerschen Werkes unter den Aspekten der Wagner gehört als Musiker unter die Maler, als Dichter unter die Musiker, als Korrespondenzen, Synästhesien und Vereinigung der Künste ein (Finger 2006, S. 39f.). Künstler überhaupt unter die Schauspieler: allesammt Fanatiker des Ausdrucks Günter Metken hat darauf verwiesen, dass nicht nur die Dichter, sondern auch die ‚um jeden Preis‘ – ich hebe Delacroix hervor, den Nächstverwandten Wagner’s – , Maler sich bei ihrer „Suche nach Farbklängen und musikalischen Anordnungen, die allesammt große Entdecker im Reiche des Erhabenen, auch des Hässlichen und Bilder zu Trägern seelischer Schwingungen, geistiger Bedeutungen […] werden lassen“ Grässlichen, noch grössere Entdecker im Effekte, in der Schaustellung, in der von Wagner beeinflußt waren. Arbeiten von Gustave Moreau und Odile Redon wurden Kunst der Schauläden, allesammt Talente weit über ihr Genie hinaus -, Virtuo- z. B. auf dem Salon von 1885 als „peinture symphonique“ oder als „peinture wagnéri- sen durch und durch, mit unheimlichen Zugängen zu Allem was verführt, lockt, enne“ besprochen (Sturm 2003, S. 146f.). Als erster Wagnerianer unter den Malern – zwingt, umwirft, geborene Feinde der Logik und der geraden Linien, begehrlich so jedenfalls in den Interpretationen Baudelaires und Nietzsches – galt jedoch Eugène nach dem Fremden, dem Exotischen, dem Ungeheuren, dem Krummen, dem Delacroix. Sich-Widersprechenden. (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Bd. 5, S. 202f.) 44 45 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Dass er mit seiner Intention richtig lag, nämlich Baudelaire und Wagner zu verbinden, bestätigt sich für Nietzsche, als er 1888 den Brief Baudelaires von 1860 an Wagner, des- sen Antwortbrief und Baudelaires Tannhäuser à Paris in den Oeuvres posthumes von Eugène Crépet entdeckt, die 1887 erschienen sind. In einem Brief an Hans Köselitz vom 26. Februar 1888 berichtet er von diesem Fund:

Ich hatte es bedauert, daß dieser grundverwandte Geist [Baudelaire] W[agner]n nicht bei Lebzeiten entdeckt habe; ich habe mir die Stellen seiner Gedichte an- gestrichen, in denen eine Art Wagner’scher Sensibilität ist, welche sonst in der Poesie keine Form gefunden hat (Baudelaire ist libertin, mystisch, ‚satanisch‘, aber vor allem wagnerisch). Und was muß ich heute erleben! Ich blättere in ei- ner jüngst erschienene Sammlung von Oeuvres posthumes dieses in Frankreich auf’s Tiefste geschätzten und selbst geliebten Genies: und da, mitten, unter un- schätzbaren Psychologicis der décadence […] springt mir ein unedirter Brief Wagners in die Augen, bezüglich auf eine Abhandlung von Baudelaire’s in der Revue européenne, avril 1861. (Borchmeyer 1994, Bd. 2, S. 966ff.)

Baudelaire hatte vor allem in der Charakteristik von Delacroixs Fresken in Saint-Sul- pice, die 1861 fertig gestellt wurden (also zeitgleich zur Tannhäuser-Aufführung) und auf die der größte Teil der Kritiker ablehnend reagierte, die Nähe zwischen Linie, Farbe und musikalischer Komposition herausgestellt. Delacroix dankte Baudelaire für seinen Artikel mit den Worten:

Ich danke Ihnen sehr aufrichtig, sowohl für Ihr Lob, als auch für die Überlegun­ gen, die es begleiten und bestätigen, über diese geheimnisvollen Wirkungen der Linie und der Farbe, die leider nur wenige Adepten verspüren. Das Musikali­ Éduard Manet (1832–1883), Dame mit Fächer, 1873, Paris, Musée d’Orsay. sche und Arabeskenhafte in einem Werk ist für viele Leute wie nicht vorhanden, die ein Bild betrachten, wie die Engländer eine Landschaft betrachten: das heißt, sie haben die Nase in ihrem Reiseführer, um sich gewissenhaft über den Ertrag Die Wagner-Zeitschrift Revue Wagnérienne wird bestimmt von Literaten wie Stéphane des Landes an Getreide und anderen Handelsgütern zu unterrichten. Mallarmé, Paul Verlaine, Auguste de Villiers de l’Isle-Adam, Joris-Karl ­Huysman, Gérard (Brief vom 8. Oktober 1861) de Nerval, die alle Wagners Werk als Reflexionsfolie ihrer eigenen Programme begrei- fen. Mallarmé, der u. a. durch die Tannhäuser-Proben, in Nina de Callias Villards Salon Was Nietzsche als ‚Feindschaft‘ gegenüber der ‚geraden Linien‘, als das ‚Krumme‘ oder bei den Concerts Lamoureux Wagners Musik kennen lernte, verfaßte 1885 das ­akzentuierte, wird hier von Delacroix als arabeskenhaft-musikalisch bezeichnet. ­berühmte Wagner-Gedicht Hommage à Richard Wagner und Richard Wagner. Reverie Farbtöne oder Klangtöne – beide beruhend auf Schwingungen – lösen das Materi­ d’un poète francais (1885) für die Revue Wagnérienne. „Le dieu Richard Wagner“, elle auf. Baudelaire, wiederum Wagner zitierend, meinte, dass das „vollendete Werk“ wie Mallarmé in seiner Hommage schreibt, wird dabei zum Ahnherrn von Versen, eines Dichters „eine vollkommene Musik“ sein würde, „une parfaite musique“. die schwingen, vibrieren – Wort und Musik sind dabei als Einheit definiert –, mit der ­(Westerwelle 2007, S. 205) Perspektive auf ein Absolutes, Geheimnisvolles. Im Brief an Verlaine positioniert er ­seine ästhetische Utopie als „interregum“: 46 47 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Im Grunde betrachtete ich die gegenwärtige Epoche als Interregum aus der Éventail Fächer Sicht des Dichters, der sich nicht einmischen sollte: Sie ist allzusehr dem Ver- de Madame Mallarmé von Madame Mallarmé gangenen verhaftet und zugleich voller Zukunftsdrang, als daß er etwas an- Avec comme pour langage Mit gleichsam als Sprache nichts deres tun könnte, als im Bündnis mit dem Geheimnis zu arbeiten und, den Rien qu'un battement aux cieux Als einen Flügelschlag zum Himmel Blick auf das Später oder das Niemals fixiert, den Lebenden von Zeit zu Zeit sei- Le futur vers se dégage Befreit sich der künftige Vers ne seine Visitenkarte zu schicken, Strophe oder Sonett, damit sie ihn nicht stei- Du logis très précieux Aus dem köstlichen Quartier nigen, falls sie Verdacht schöpfen sollten, daß er von ihrer Nichtexistenz weiß. (Zitiert nach: Zima 2007, S. 58) Aile tout bas la courrière Flügel ganz leis der Bote Cet éventail si c'est lui Dieser Fächer wenn er es ist Le même par qui derrière Derselbe durch den hinter dir In dem berühmten Gedicht Éventail de Madame Mallarmé ist die „Visitenkarte“ Toi quelque miroir a lui Irgend ein Spiegel geleuchtet hat „der künftige Vers“, der – in Anschauung des stets bewegten, ein Wort-, Farben- und musikalisches Spiel entfaltenden Fächers von Madame Mallarmé – sich befreit und Limpide (où va redescendre Ungetrübt (wohin dann zurücksinkt für die Perspektivierung der Kunst auf Geheimnis und Ferne steht. Pourchassée en chaque grain Bis in jedes Korn verfolgt Un peu d'invisible cendre Ein wenig unsichtbare Asche Seule à me rendre chagrin) Die allein mir Kummer macht)

Toujours tel il apparaisse Immer so mög er erscheinen Entre tes mains sans paresse In deiner Hände ohne Rast

Übers. von Hans Staub und Anne Roehling

Zuletzt sei unter den Wagnerianern Paul Verlaine erwähnt. Auch Verlaines Maxime lau- tet „de la musique avant toute chose“ (Art poétique, 1882). Auch ihm geht es um eine aus der Korrespondenz der Künste „orphische“ – oder eben: wagnerische – Deutung der Welt. Musikalität, Licht- und Farbtoneffekte – feinste Nuancierungen machen es nahezu unmöglich, dieses Gedicht zu übersetzen. Im 20. Jahrhundert setzt sich ein spezifisch französischer Wagnérisme fort – nun nicht mehr konzentriert auf literarische Gruppierungen oder Zeitschriften-Projekte –, aber Autoren wie Romain Rolland, der Philosph und Mythenforscher Claude Lévi- Strauss, Jean Paul Sartre – zumindest zeitweise – sind Wagnerianer. Allen voran aber steht Marcel Proust, dessen A la recherche du temps perdu in der Konstruktion mit Richard Wagners Schaffensweise verglichen wurde. Und nicht zuletzt ist der sog. ­„Jahrhundert-Ring“ Patrice Chéreaus und Pierre Boulez’ von 1978 ein Werk, das in der Tradition des Wagnérisme zu sehen wäre.

Bettina Knauer

Éduard Manet (1832–1883), Portrait of Stéphane Mallarmé, 1876, Paris, Musée d’Orsay. 48 49 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Charles Baudelaire (1821–1867) Parfüme gibt es frisch wie kinderwangen Stéphane Mallarmé (1842–1898) Aus dem fröhlichen Urgetöse, Correspondances Süss wie hoboen grün wie eine alm – Hommage dem untereinander Und andre die verderbt und siegreich Gehassten von herrschenden Klarheiten, La Nature est un temple ou de vivants Le silence déjà funèbre d'une moire prangen ist entsprungen piliers Dispose plus qu'un pli seul sur le mobilier Bis hin zu einem Vorplatz, ihrem Trugbild Laissent parfois sortir de confuses paroles; Mit einem hauch von unbegrenzten Que doit un tassement du principal pilier bestimmt, L’homme y passe à travers des forêts de dingen – Précipiter avec le manque de mémoire. symboles Wie ambra moschus und geweihter qualm Trompeten, von Gold, hoch tönend, Notre si vieil ébat triomphal du grimoire, Qui l’observent avec des regards familiers. Die die verzückung unsrer seelen singen. auf Pergamenten verblasst, Hiéroglyphes dont s'exalte le millier Richard Wagner, der Gott, ausstrahlend Commes de longs échos qui de loin se Übers. von Stefan George À propager de l'aile un frisson familier! eine Weihe, confondent Enfouissez-le-moi plutôt dans une armoire. Kaum verschwiegen durch Tinte selbst Dans une ténébreuse et profonde unité, Entsprechungen Du souriant fracas originel haï in sibyllinischen Schluchzern. Vaste comme la nuit et comme la clarté, Die Natur ist ein Tempel, wo aus Entre elles de clartés maîtresses a jailli Les parfums, les couleurs et les sons se Übers. von Hans Staub und Anne Roehling lebendigen Pfeilern zuweilen wirre Worte Jusque vers un parvis né pour leur répondent. dringen; der Mensch geht dort durch simulacre, Il est des parfums frais comme des chairs Wälder von Symbolen, die ihn betrachten Trompettes tout haut d'or pâmé sur les d’enfants, mit vertrauten Blicken. vélins, Doux comme les hautbois, verts commes Wie langer Hall und Widerhall, die fern Le dieu Richard Wagner irradiant un sacre les prairies, vernommen meine finstere und tiefe Mal tu par l'encre même en sanglots – Et d’autres, corrompus, riches et Einheit schmelzen, weit wie die Nacht sibyllins. triomphants, und wie die Helle, antworten die Düfte, Ayant l’expansion des choses infinies, Farben und Töne einander. Huldigung Comme l’ambre, le musc, le benjoin et Düfte gibt es, frisch wie das Fleisch von Die Stille schon des Todes eines Moiré- l’encens, Kindern, süß wie Hoboen, grün wie Stoffs Qui chantent les transports de l’esprit et Wiesen, — und andere, zersetzt, üppig Legt mehr als eine Falte nur auf das Gerät, des sens. und triumphierend, Das ein Absinken des tragenden Pfeilers Aus: Les Fleurs du Mal (1857) mit sich Ausdehnend sich Unendlichkeiten gleich, Hinunter reißen muss mit dem Mangel so Ambra, Moschus, Benzoe und Einklänge an Gedächtnis. Weihrauch, die die Verzückungen des Aus der natur belebten tempelbaun Geistes und der Sinne singen. Unser so altes Triumphspiel mit dem Oft unverständlich wirre worte weichen · Zauberbuch, Übers. von Friedhelm Kemp Dort geht der mensch durch einen wald Hieroglyphen, an denen die Tausend sich von zeichen begeistern, Die mit vertrauten blicken ihn beschaun. Mit dem Flügel einen vertrauten Schauer zu verbreiten! Wie lange echo fern zusammenrauschen Vergrabt es mir doch lieber noch in einem In tiefer finsterer geselligkeit – Schrank. Weit wie die nacht und wie die helligkeit Parfüme farben töne rede tauschen. 51 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Lili Boulanger

Eine Komponistin Eine französische Komponistin geboren im Paris der Jahrhundertwende aufgewachsen in der Belle Epoque hineingeboren in eine Musikerfamilie in einer Zeit wirtschaftlicher und kolonialer Expansion, erster Bergarbeiterstreiks und innenpolitischer Auseinandersetzungen um die Rolle der Kirche und des Militärs.

Zeit der culture technique, des Stahls und des Betons, der Fahrräder und Fließbänder, der ersten Autos und Flugzeuge, des Telephons und der Schreibmaschine Zeit der Frauenbewegung.

„Une jeune fille délicate et fragile“, das früher Noten als Buchstaben lesen lernte und mit fünf die Schwester Nadia in den Harmonielehreunterricht von Auguste Chapuis am Pariser Conservatoire begleitete, das mit sechs den Vater verlor und zu komponieren begann, mit acht als Geigerin und mit elf als Pianistin debütierte, dem, weil es oft krank war, ein eigenes Zimmer eingeräumt wurde, und das mit 16 von seiner Mutter aufgefordert wurde, sich für einen Beruf zu entscheiden.

Sie entschied sich: Sie wollte Komponist werden.

Eine Komponistin, die mit 19 den höchsten französischen Kompositionspreis, den Grand Prix de Rome gewann, als erste Frau, deren Werke gedruckt und aufgeführt wurden, die wußte, daß ihre Zeit bemessen war. Eine junge Frau, die den 1. Weltkrieg erlebte Eine Komponistin, die mit 24 Jahren starb

Lili Boulanger

Lili Boulanger (1893–1918), 1918. Beatrix Borchard 52 53 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

werbe statt, die darüber entschieden, wer aufgenommen wurde und wer nicht. Komponist – Komponistin Um eine Vorstellung von den Größenordnungen zu geben: Im Jahre 1902 z. B. wurden 146 Neulinge aufgenommen: 81 männliche und 65 weibliche bei insgesamt 344 männ- Das erste Werk Lili Boulangers stammt aus dem Jahre 1906 – da war sie 13. Es war ein lichen und 286 weiblichen Studenten, wobei Männer und Frauen getrennt unterrich- Lied, von dem nur noch der Titel erhalten ist: La lettre de mort – Brief des Todes, für tet wurden. eine Dreizehnjährige nicht gerade ein übliches Sujet. Erhalten sind nur Skizzen und der Titel, offenkundig hat sie diese Komposition wie eine ganze Reihe anderer früher Dass Lili Boulanger die Türen des Conservatoire offenstanden, war angesichts ihrer Versuche vernichtet, nachdem sie begonnen hatte, systematisch Komposition zu Herkunft und ihrer Begabung selbstverständlich. Soweit es ihre Gesundheit zuließ, ­studieren. Auffällig die Bevorzugung religiöser Stoffe: von vornherein vertonte sie fast hatte sie bereits verschiedene Instrumentalklassen (Geige, Cello, Harfe, Klavier, Orgel) ausschließlich Psalmentexte: mit 14 die Psalmen 131 und 137 für Solo und Orchester, besucht, jetzt lernte sie gleichsam im Schnellverfahren, nämlich in nur 2 Jahren mit 15 ein Ave Maria für Gesang und Orgel, mit 16 die Psalmen 1 und 119 für Chor und (1910–1912) alles, was sie an musikalischem Handwerkszeug für eine Komponisten- Orchester. Frühe Todeserfahrung und Religiosität scheinen wesentliche Quelle ihres laufbahn brauchte. Schon früher hatte sie ihre Schwester Nadia in den Kompositions- Schaffens von Anfang an gewesen zu sein. unterricht von Gabriel Fauré begleitet, in dessen Klasse Musiker wie Alfredo Casella, Mit 16 Jahren wurde sie von der Mutter aufgefordert, sich für einen Beruf zu ent- Charles Koechlin, Georges Enesco, Florent Schmitt und Maurice Ravel saßen. Nun aber scheiden – sie entschied sich Komponist zu werden. Die männliche Form ist bewußt wurde sie privat von Georges Caussade und ab 1912 von Paul Vidal innerhalb seiner gewählt in der Überzeugung, dass Geschlecht für Lili Boulanger keine Kategorie beim Kompositionsklasse unterrichtet. Komponieren war. Inwieweit sie Stücke anderer französischer Komponistinnen wie Elisabeth Jacquet de la Guerre, Louise Farrenc oder Auguste Holmès kannte, ist nicht bekannt. Aber wenn auch die französische Musikgeschichte immerhin einige bedeu- tendere Komponistinnen kennt und z. B. die Ode triomphale von Auguste Holmès 1889 während der Hundertjahrfeier der Französischen Revolution groß aufgeführt wurde, so kann doch auch in Frankreich genauso wenig wie in Deutschland von einer Kom­ positionstradition von Frauen gesprochen werden, auf die sie sich – wenn dies für sie überhaupt ein Thema gewesen wäre – hätte als Frau beziehen können. Die Tradition, in die sie sich selber stellte, hieß vielmehr Bach, Mozart, Beethoven, Schumann und – Richard Wagner, dessen ästhetisches Konzept ab 1885 (Gründung der Revue Wagnérienne) nicht nur die französische Musik, sondern das gesamte künstlerische Denken in Frankreich beherrschte. Innerhalb der französischen Tradition sollten die Clavecinisten, Gabriel Fauré und Claude Debussy, dessen Pelléas und Mélisande sie schon vor der Uraufführung (1902) kennengelernt hatte, eine besondere Bedeutung für sie gewinnen.

Conservatoire Komponist werden, das hieß in Frankreich zur damaligen Zeit Kompositionsunterricht nehmen bei einem der Lehrer des Conservatoire national de musique et déclamation, einer musikalischen Bildungsstätte, für deren Bedeutung es in Deutschland keine ­Parallele gibt. 1795 gegründet (Vorläufereinrichtungen reichen noch in die Zeit des ­ancien régime) war das Conservatoire eine unentgeltliche, vom Staat subventionierte Musikhochschule. Vom 15. Oktober bis 15. November fanden acht öffentliche Wettbe- Claude Debussy (1862–1918), Foto von Nadar. Gabriel Fauré (1845–1924). 55 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Rue Ballu Nr. 36 Nach dem Tod von Ernest Boulanger suchte die Familie eine neue Wohnung und fan- den sie 1904 nach längerem Suchen (die Hausbesitzer fürchteten Nadias Orgel) in der Rue Ballu Nr. 36. Jeden Mittwochnachmittag um 5 Uhr empfing hier Madame Boulan- ger ihre Gäste, regelmäßig fanden hier Konzerte statt, zu dem sich die Elite der Pariser Gesellschaft zusammenfand. Hier gab Nadia Boulanger ihren Gruppenunterricht, hier debütierte Lili Boulanger als Komponistin. Dieses Ereignis wurde auch in der Presse besprochen. Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Musikleben waren ge- rade in Frankreich sehr viel fließender als wir es heute glauben – ein Zeichen für die Bedeutung dieser musikalischen Veranstaltungen im halböffentlichen Raum. Bis zu ­ihrem Tode 1979 blieb Nadia in dieser Wohnung wohnen und unterrichtete hier – ­jeden Mittwoch um 2 Uhr. Die Adresse Rue Ballu Nr. 36 wurde für Generationen von Kompositionsstudenten ein Inbegriff.

Grand Prix de Rome Die Krönung einer jeden Komponistenausbildung in Frankreich war der Grand Prix de Rome, ein Preis, der jedes Jahr nach einem Wettbewerb hinter verschlossenen Türen verliehen wurde, ein Wettbewerb mit zwei Durchgängen. Im ersten Durchgang mußten ­innerhalb von fünf Tagen auf ein von der Kommission vorgegebenes Thema eine vier- stimmige Vokalfuge und außerdem ein Chorsatz geschrieben werden, im zweiten Durchgang, zu dem maximal sechs Kandidaten zugelassen wurden, innerhalb von vier Lili et Nadia Boulanger Rue Ballu Nr. 36. Wochen eine dramatische Kantate. „Diese Kantate muß Gelegenheit zu einer, mehr oder weniger umfangreichen Arie oder einem Solo jeder einzelnen Person geben, über- dies zu einem Duett, einem Terzett und zu Rezitativen.“ Entschieden wurde der Wett- „Mon cher Maitre et Ami Paul Vidal en respectueuse gratitude et sincère affection“ bewerb nach einer halböffentlichen Aufführung in dem großen Saal des Conservatoires. ­lautet die Widmung ihres Vokalquartetts Renouveau, eines der ersten Werke, das sie In dieser­ Aufführung mußten die Komponisten ihr Stück selber dirigieren, ihre Inter- selbst als gültig anerkannte. „Meister und Freund“, diese Anrede kennzeichnet auch preten konnten sie sich selber wählen. Alle 40 Mitglieder der Académie des Beaux-Arts, die Bedingungen, unter denen sich Lili Boulanger musikalisch entwickelte: die Verbin- ­darunter nur sechs Musiker, sonst Maler, Bildhauer, Architekten etc., bildeten die Jury. dung zwischen persönlicher Freundschaft und einem musikalischen Lehrer-Schüler Nach der Aufführung beriet sich zunächst die Musiksektion, dann zog sich die gesamte Verhält­nis. Für diese Verbindung steht der Name Gargenville. In Gargenville, einem Jury zurück, um abschließend feierlich ihre Entscheidung bekannt zu geben. Die mei- Ort in der Nähe von Paris, traf sich um die Jahrhundertwende Sommer für Sommer ein sten Kandidaten (alle Absolventen des Conservatoires) stellten sich immer ­wieder dem Kreis von Künstlern. Zu diesem Kreis gehörten neben ihrem Lehrer Paul Vidal nicht Wettbewerb, um den Preis zu erringen, so hoch war das Prestige, das mit ihm verbun- nur Musiker wie u.v.a. die Geiger Eugène Ysaye und Jacques Thibaut und der Dirigent den war. Willem Mengelberg sondern z. B. auch der Dichter Gabriel d’Annunzio und Paul Valéry. Nadia Boulanger hat viermal am Rom-Wettbewerb teilgenommen, und zwar 1906, Zentrum dieses Kreises war Raoul Pugno, Komponist und Pianist, 10 Jahre lang bis zu 1907, 1908 und 1909. Nachdem sie es 1908 ‚nur‘ bis zum 2. Preis gebracht hatte, unter- seinem Tode 1914 musikalischer Mentor und – ungeachtet des Altersunterschiedes – nahm sie deswegen 1909 noch einmal den Versuch, diesmal den ersten Preis zu ge­ Partner für Nadia Boulanger. Sie trat sehr oft mit ihm in Konzerten auf und kompo- winnen. Wieder kam sie in die Endrunde, aber sie ging leer aus. Erst ihre Schwester nierte mit ihm gemeinsam die Oper La Ville Morte. sollte ihn 1913 im 2. Anlauf (im Jahr vorher mußte sie mittendrin aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden) gewinnen – als erste Frau. Kein Wunder, dass sie sozusagen 57 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

über Nacht über die Grenzen Frankreichs hinaus berühmt war. Schließlich befand sie sich in bester Gesellschaft: Berlioz war Preisträger des Jahres 1830 gewesen, Ambroise ­Thomas 1832, der eigene Vater 1835, Charles Gounod 1839, Bizet 1857, Jules Massenet 1863 und Claude Debussy 1884. Der Preis war mit einem vierjährigen Aufenthalt in der Villa Medici in Rom verbunden, einem Stipendium von insgesamt 30.000 Goldfrancs und jährlichen Aufführungen der dort entstandenen Kompositionen in Paris. Sogleich fand sich auch ein Verleger, Tito Ricordi. Die Basis für eine unabhängige Existenz als Komponistin schien geschaffen. Abgesehen von dem nicht zu unterschätzenden ­ideellen Wert dieses Preises war die mit ihm verbundene finanzielle Absicherung und die Druck- und Aufführungsgarantie angesichts ihrer stets bedrohten Gesundheit, die ihr eine Laufbahn als ausübende Künstlerin verbot, besonders wichtig. Zu diesem ­Zeitpunkt war sie 19 Jahre alt.

Dass sie diesen Preis gewonnen hatte, war die Frucht systematischer Vorbereitung: Sie wollte ihn gewinnen, und die Kompositionsausbildung am Conservatoire war auf diesen Wettbewerb ausgerichtet. Aus den Mémoiren von Héctor Berlioz wissen wir, dass das Conservatoire nicht gerade avantgardistische Tendenzen unterstützte und in den fast siebzig Jahren, die zwischen seiner Ausbildung und der Lili Boulangers lagen, hatten sich daran nicht viel geändert. Allein die Tatsache, daß jahraus, jahrein eine dra- matische Kantate komponiert werden sollte, zeigt dies deutlich. Anders als in Deutsch- land, dem Land der Instrumentalmusik, mußte sich in Frankreich ein Komponist in der Vokalmusik beweisen. So wurde Nadia, die Lilis Erfolg den Boden bereitet hatte, ­indem sie die Jury schon einmal an die Erscheinung einer dirigierenden und kompo- nierenden Frau gewöhnt hatte, 1908 in der ersten Runde des Wettbewerbs fast dis­ qualifiziert, weil sie eine vierstimmige Instrumentalfuge statt der verlangten Vokalfuge geschrieben hatte. Sie fand das von der Jury gegebene Thema für eine Instrumental­ fuge geeigneter. Erst das Unterrichtsministerium entschied für Nadias Lösung (auch dies in Deutschland undenkbar), und sie gewann den ersten 2. Preis. Da alles, was den Rom-Preis betraf, nicht nur in der musikalischen Fachpresse diskutiert wurde, und der Kommission – darunter vor allem Saint-Saëns – eine frauenfeindliche Haltung vorge- halten wurde, machte sie die öffentliche Auseinandersetzung um ihre Unbotmäßigkeit berühmt. Rasch galt Nadia Boulanger als Vorkämpferin für die Gleichberechtigung der Frauen auch im musikalischen Bereich. Als dann Lili Boulanger 1913 mit ihrer Kantate Faust et Hélène den Preis gewann, rühmte die zeitgenössische Kritik an ihrer Komposi- tion nicht nur ihre Musikalität, ihre sichere Formbeherrschung, die Instrumentation, ihr dramatisches Gespür etc., sondern feierte sie als Beweis dafür, dass auch Frauen komponieren können. Im Gedächtnis derjenigen, die die Aufführung von Faust et Hélène gehört hatten, Lili Boulanger und Claude Delvincourt, Prix de Rome 1913. blieb ein Bild: 58 59 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Die Sitzung des 5. Juli wird unvergeßlich bleiben: kaum waren die ersten Takte Lili Boulanger widmete sich ganz der neuen Aufgabe, zum Komponieren blieb keine erklungen, entstand eine erstaunliche Atmosphäre: alle hatten das Gefühl, Zeit. Offenkundig erachtete sie in dieser historischen Situation ihre karitative Tätigkeit ­Zeuge einer Offenbarung zu werden. Die drei Sänger (Mme Croiza, David für wichtiger als ihre kompositorische – obwohl sie genau wußte, dass ihre Zeit be- ­Devriès, Henri Albers) und, am Klavier: Nadia Boulanger, wurden dirigiert von grenzt war, und sie von der Notwendigkeit ihrer kompositorischen Arbeit überzeugt Lili Boulanger. Sie stand aufrecht neben dem Klavier, eine zarte Silhouette in war. Nach anfänglichen Siegen der deutschen Truppen kam es im September 1914 zur einem weißen Kleid, so einfach, ruhig, ernst und lächelnd, ein unvergeßliches Schlacht an der Marne, der Krieg erstarrte zum Stellungskrieg. Anfang 1916 durfte Lili Bild. Boulanger nach Rom zurückkehren (allerdings ohne Stipendium), blieb aber nur bis zum Sommer. Ihr gesundheitlicher Zustand hatte sich rapide verschlechtert. Anders als Nadia, die in Kleidung und Habitus nicht sehr weiblich wirkte (was ihr ihre Ihr blieben zwei Jahre, Jahre in denen sie, wann immer ihre Kräfte es zuließen, Biographin Léonie Rosenstiel auf 400 Seiten ständig zum Vorwurf macht), entsprach ­unaufhaltsam komponierte. Dank ihres tiefen Glaubens haderte sie Nadia Boulanger Lili Boulanger durchaus dem Frauenbild der Zeit. zufolge nicht mit ihrem Schicksal, sie versuchte nur die Zeit, die ihr blieb, so intensiv wie möglich zu nutzen. Es entstanden Werke wie Marche Funèbre – ‚Trauermarsch‘ für Nach einer Reihe von Aufführungen und gesellschaftlichen Auftritten reiste Lili großes Orchester -, das Lied Dans L’immense tristesse – ‚In grenzenloser Trauer‘ – und ­Boulanger Anfang März 1914 nach Rom. Sie kam nicht allein, sondern in Begleitung wieder Psalmen, und zwar die Psalmen Nr. 24 La terre appartient à l’Eternel, et tout ce ihrer Mutter, ein Umstand, der dem Direktor der Villa Medici überhaupt nicht gefiel. qui s’y trouve – ‚Die Erde gehört dem Ewigen, und alles, was auf ihr existiert‘ für Chor Zwar war Lili nicht die erste Frau überhaupt, die den Rompreis gewonnen hatte – die und Orchester -, Nr. 129 Ils m’ont assez opprimé – ‚Sie haben mich genug unterdrückt‘ Bildhauerin Lucienne Heuvelmann hatte ihn 1911 in ihrem Fach errungen, aber auf- für Bariton und Orchester, schließlich – dem Andenken ihres Vaters gewidmet – Nr. 130 grund ihres schlechten Gesundheitszustandes, den der Direktor offenkundig für eine Du fond des l’abime – ‚Aus tiefer Not schrei ich zu Dir‘ für Solo, Chor, Orgel und Orches­ Caprice hielt, galt es für sie eine Reihe von Sonderregelungen zu treffen, so z. B., dass ter. Bedeutend auch das 1917 entstandene Vieille Bouddhique – ‚Altes buddhistisches die Mutter ein und aus gehen durfte, dass sie ein Kammermädchen für sich allein be­ Gebet‘ für Tenor, Solo und Orchester. Mitte 1917 unterzog sie sich einer Operation, anspruchte und nicht am täglichen gemeinschaftlichen Essen teilnehmen konnte. die eine leichte Besserung brachte, und es entstand für Violine bzw. Flöte und Klavier Aber das waren nicht die Gründe, die zu einem abrupten Ende ihres Romaufenthaltes D’un matin de printemps – ‚An einem Frühlingsmorgen‘. Eine „Oasis des jugendlichen führten: Deutschland erklärte am 1. August 1914 Rußland und am 3. August Frankreich Lächelns“ charakterisiert Jacques Chailley dieses Stück in seinem Aufsatz über die den Krieg. Italien war zwar seit dem französisch-italienischen Geheimvertrag von 1902, Werke Lili Boulangers. Zu schwach, um selber noch zu schreiben, diktiert sie ihre letzte in dem die kolonialen Interessensphären beider Länder abgegrenzt worden waren, vollendete Komposition Pie Jesu für Stimme, Streichquartett, Harfe und Orgel ihrer ­faktisch mit Frankreich verbündet, aber dennoch verließen die Stipendiaten Rom und Schwester Nadia. Noch bevor der erste Weltkrieg beendet war, starb Lili Boulanger am gingen zurück nach Frankreich, die Männer, um als Soldaten zu kämpfen, Lili, um 15. März 1918 in Mezy, westlich von Paris. Ihre Oper La Princesse Maleine auf einen Text ­gemeinsam mit der Schwester ein Hilfskommitee, das comité franco-américain du von Maurice Maeterlinck blieb unvollendet. conservatoire national zu organisieren. Nicht nur in Deutschland zogen die Soldaten, lautstark von der Bevölkerung unterstützt, mit Hurra in den Krieg, auch in Frankreich Nadia Boulanger war die Begeisterung groß. Nadia Boulanger wurde die berühmteste Kompositions- und Musiklehrerin des Wer nicht mitmachte in der ‚union sacré‘, wurde umgebracht wie Jean Jaurès, 20. Jahrhunderts. Nahezu siebzig Jahre lang unterrichtete sie Musiker aus aller Welt, an die führende Persönlichkeit des französischen Sozialismus. Jaurès hatte sich in der der Ecole Normale de Musique in Paris, am Conservatoire Américaine de Fontainebleau, ­sogenannten Dreyfuß-Affäre wie Zola (J’accuse) und viele Intellektuelle gegen starke an der berühmten Juillard School in New York, an der Menuhinschool und bis zum antisemitische Tendenzen und gegen die Omnipotenz des Militärs für den jüdischen Tode in ihrer Pariser Wohnung. 36, Rue Ballu – diese Adresse war für Generationen von Artilleriehauptmann Alfred Dreyfuß eingesetzt (1898) und wurde 1914 ermordet, ­Musiker ein Begriff. weil er an das französische und deutsche Proletariat appelliert hatte, nicht zu Zu ihren Schülern zählten u. v. a. Aaron Copland, Walter Piston, Jean Francaix, kämpfen. Igor Markévitch, Daniel Barenboim, Astor Piazolla, Quincy Jones. Zu ihren Freunden und Bewunderern gehörten Maurice Ravel, Yehudi Menuhin, Leonard Bernstein, 60 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

George Gershwin, der Dichter Paul Valéry und das Fürstenpaar von Monaco. Vor allem aber werden die Namen Igor Strawinsky und Nadia Boulanger für immer in der Musik- geschichte miteinander verbunden bleiben. Aber Nadia Boulanger war nicht ‚nur‘ Lehrerin, sondern auch eine bedeutende ­Dirigentin. Von 1940 bis 1946 war sie – noch heute sensationell für eine Frau – Chef­ dirigentin des Boston Symphony und des New York Symphony Orchestra, und sie war es, – lange vor Harnoncourt – die Werke der ‚alten‘ Musik wie z. B. Kompositio­ nen von Claudio Monteverdi für den Musikbetrieb wiederentdeckte und aufführte.

Nadia Boulanger war stets von vielen Menschen umgeben, wurde als große Pädagogin, die Disziplin und Begeisterung vermittelte, geliebt und geachtet, aber auch gefürchtet. Zeit ihres Lebens stand sie im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Was aber wissen wir wirklich von ihr?

Beatrix Borchard

Nadia Boulanger (1882–1971) und einer ihrer Kompositionsstudenten.

Als Pädagogin besteht mein ganzes Leben darin, andere zu ­verstehen und nicht, andere dazu zu bringen, mich zu verstehen. Was ein Student denkt, was er tun will – das ist wichtig. Ich muss versuchen, ihn dazu zu bringen, sich selbst auszudrücken, ihn darauf vorzubereiten, das zu tun, was er am besten kann. 63 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Salon III

Donnerstag, 13. Juni 2013 Richard und Giuseppe im Kino – eine Filmcollage

Carl Froelich, Richard Wagner, 1913.

Richard und Giuseppe im Kino

Wagner und Verdi – der ästhetische Antagonismus, für den diese beiden Namen stehen, hat bereits bei den Operngängern des 19. und 20. Jahrhunderts für rege Diskussionen gesorgt. Weder persönliche noch politische Argumente wurden ausgespart um zu er- mitteln, wer der bessere Opernkomponist ist. Einen Film über Wagner und Verdi, der sich dieses Konflikts annähme, muss indessen noch gedreht werden. Gleichwohl: In kaum einer filmischen Gattung besteht so viel Drang zur Legiti­ mation der Hauptfigur wie im künstlerischen Biopic und so finden sich zahlreiche ­Argumente der Wagnerianer und Verdi-Anhänger auch in der Filmgeschichte wieder. Die Figur Richard Wagner beschäftigte die Filmemacher dabei bereits zur Stumm- filmzeit: Carl Froelich drehte 1913 für Messter Film ein Biopic, das die wichtigsten ­Stationen im Leben des Komponisten zeigte und teilweise in Bayreuth gedreht wurde. Der renommierte Filmmusikkomponist Giuseppe Becce spielte die Hauptrolle in dem knapp zweistündigen Spielfilm.

Die erste größere internationale Produktion über Wagner entstand nach dem II. Welt- krieg: William Dieterle drehte 1955 Magic Fire [Frauen um Richard Wagner], in dem Alan Badel in die Rolle des Komponisten schlüpfte. Der in Trucolor gedrehte Film er- regte besondere Aufmerksamkeit durch seine Wagner-Filmmusik, die aus eigens ange- fertigten Arrangements von Erich Wolfgang Korngold bestand. 64 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Auch in verschiedenen Liszt-Filmen trat Wagner auf, wenn auch als Nebenfigur: In Charles Vidors und George Cukors Produktion Song without end [Nur wenige sind aus- erwählt] von 1960 findet man eine recht nüchterne Lesart des kontroversen Komponis­ ten vor, während Ken Russell ihn in seinem popkulturellen Zitatkonglomerat Liszto­ mania (1975) als Maschinengewehr-Bassgitarre spielenden Vampir-Nazi porträtiert. Es überrascht nicht, dass die Figur Wagner in diversen Biographiefilmen seines ­Förderers Ludwig II. von Bayern eine wichtige Rolle spielt – insbesondere in zwei hoch- interessanten Filmen von 1972: Hans Jürgen Syberbergs Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König und Luchino Viscontis Ludwig [Ludwig II]. Viele dieser Filme überschreiten die übliche Spielzeit um ein Vielfaches – die monu- mentalste und detaillierteste Wagner-Biographie findet sich jedoch in Tony Palmers Miniserie Wagner von 1983 mit Richard Burton in der Hauptrolle. Die häufigen Ver­ gleiche mit monumentalen Epen wie dem 56 Jahre zuvor entstandenen Napoléon-Film von Abel Gance haben durchaus ihre Berechtigung, denn auch Palmer verwendet ein Fosco Giachetti in: Casa Ricordi, 1954. Kaleidoskop filmischer Techniken um die Figur Richard Wagner für zeitgenössische Zuschauer mit neuem Leben zu füllen. Während Richard Wagner besonders im angelsächsischen und deutschsprachigen Jüngere Beispiele des Wagner-Films beinhalten Wahnfried (1986) mit Christoph Waltz Raum eine wichtige Filmfigur darstellte, beschränkt sich die Verdi-Filmographie fast als Friedrich Nietzsche oder Celles qui aimaient Richard Wagner (2011) von Jean-Louis ausschließlich auf italienische Filme. Guillermou. Die Musik Richard Wagners führt indessen – insbesondere der mittler­ Angefangen hat alles mit Carmine Gallones Melodram Guiseppe Verdi [Drei Frauen weile zur filmmusikalischen Chiffre geronnenen Ritt der Walküren – ein interessantes um Verdi] von 1938. Fosco Giachetti, der durch seine Performance in der Folge häu- Eigenleben. figer mit Verdi in Verbindung gebracht wurde und ihn in Casa Ricordi (1954) nochmals in einer Nebenrolle verkörperte, begann die kurze Reihe der Verdi-Schauspieler, prägte damit die Vorstellung vom Komponisten allerdings maßgeblich. Im Biopic von 1953, Giuseppe Verdi [Verdi, ein Leben in Melodien], wird der Kom­ ponist von Pierre Cressoy verkörpert – der Fokus verlagert sich hier mehr auf die Musik und ein episodisches Erzählen verschiedenster Anekdoten, die als Erinnerungen eines Sterbenden aneinandergereiht werden. 1982 entstand auch zu Verdi eine Miniserie, in der Ronald Pickup den Komponisten verkörpert. Die aktuellere Produktion richtet sich nach neueren Erkenntnissen über den introvertierten Menschen Verdi und wählt nicht den verklärenden Weg der früheren Biopics.

Willem Strank

William Dieterle, Frauen um Richard Wagner, 1955. Salon IV

Donnerstag, 20. Juni 2013 Wagner und Verdi für drinnen und draußen

Paul Cézanne (1839–1906), Jeune fille au piano – L’Ouverture de Tannhäuser (1868/1869), St. Petersburg, Eremitage.

Alles erwogen, hätte ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnersche Musik. Denn ich war verurteilt zu Deutschen. Wenn man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nötig. Wohlan, ich hatte Wagner nötig. Wagner ist das Gegengift gegen alles Deutsche par excellence – Gift, ich bestreite es nicht … Von dem Augenblick an, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab – mein Kompliment, Herr von Bülow! –, war ich Wagnerianer.

Aus: Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1888. 68 69 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Holländer und Tannhäuser und veröffentlichte damit eine Anzahl von Salon-Etüden, Propaganda für die Werke „Reminiszenzen“ und Fantasien, auch für Violine und Klavier. Später ist zu beobachten, dass ab Mitte der 1880er-Jahre die Anzahl der publizierten Bearbeitungen noch einmal Bearbeitungen von Orchester- und ganz besonders Bühnenwerken für Klavier oder stark wächst und dann auch in steigender Anzahl Arrangements für Blasorchester oder ­andere kleinere Besetzungen stellten im 19. Jahrhundert eine der wichtigsten Möglich- Militärkapellen, also für Promenadenkonzerte und ähnliche an ein breiteres Publikum keiten dar, sie einer größeren musikalischen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Auch gerichtete Darbietungen, umfasst. Ähnlich systematisch wie diejenigen Liszts waren Wagners Opern und Musikdramen wurden auf diese Weise verbreitet, teils mit, teils auch die Bemühungen­ des belgischen Pianisten und Komponisten Louis Brassin ohne Mitwirkung oder Autorisation des Komponisten. Diese Funktion erfüllen Arran- (1836–1884), die sich auf Brüssel konzentrierten, das gerade in den 1880er Jahren gements weitestgehend unabhängig von ihrem künstlerischen Wert; gerade unter den ebenfalls eine für neue Musikströmungen sehr aufgeschlossene Metropole wurde. Paraphrasen für den Konzertgebrauch sind aber auch künstlerisch hochstehende und Brassin lud regelmäßig zu Einführungen im privaten Kreis ein, bei denen Klavier­ eigenständige Werke anzutreffen. […] transkriptionen zu hören waren, unter anderem 1870 gemeinsam mit Hans Richter der vollständige Lohengrin. Indirekt manifestiert sich die Bedeutung der Bearbeitungspraxis etwa in Paul Cézannes Gemälde Ouverture de Tannhäuser (1868/1869), das die häusliche Auffüh- Ambivalent verlief bekanntlich die Rezeption Wagners in Frankreich. Wagner selbst rungssituation eines Orchesterwerkes am Klavier zeigt: Nicht nur, dass der Maler selbst empfand seine Parisaufenthalte zeitlebens als bittere Niederlagen, die französische im Titel Bezug zu Wagners Musik herstellt und in seinem Umfeld ebenfalls Parallelen Musikwelt war gegenüber seinem Werk geteilt zwischen glühender Bewunderung für zwischen der ‚Zukunftsmusik‘ und Cézannes neuartiger Behandlung der Genreszenen die Musik und Wagners Kunstphilosophie einerseits und Ablehnung und Spott für die betont wurden – Cézanne war es nachweislich wichtig, sich von dem deutschen kompositionstechnischen Neuerungen und die als maßlos empfundenen Konzeptio­ Pianis­ten Heinrich Morstatt hörend mit Wagners Musik vertraut machen zu lassen. nen andererseits. Wichtigster französischer Verleger Wagners wurde schließlich Und auch Nietzsche gestand bekanntlich dem Tristan-Klavierauszug Hans von Bülows ­Gustave Flaxland (1821–1895). Er engagierte sich besonders für deutsches Repertoire, eine entscheidende Rolle bei seiner ‚Bekehrung‘ zum Wagnerianer zu. […] etwa Schumanns Lieder, Brahms, aber auch Liszt. In seinem Geschäft konnten Musik­ interessierte neue Musik – und eben auch Wagners Werke im Klavierauszug – hören. Im Wissen um die Bedeutung dieser Verbreitungswege nahm Wagner teilweise auch Überdies war er mit Wagner befreundet und zudem bereit, sich auch finanziell für ihn selbst Einfluss auf die Auswahl der Musiker, die Klavierauszüge zu seinen Werken zu engagieren. Folgerichtig erschienen in seinem Katalog daher nicht nur französische ­erstellten. Besonders einigen Pianisten aus seinem Zirkel kamen dabei zentrale Rollen Wagner-Klavierauszüge, sondern auch popularisierende Bearbeitungen. […] Tann­ zu, vor allem [Karl] Klindworth, den Wagner mit den Klavierauszügen für den Ring häuser und Rienzi bot Wagner explizit Flaxland an, damit dieser Arrangements für ­beauftragte […], Hans von Bülow (Tannhäuser, Rheingold, Tristan) oder Carl Tausig ­verschiedene Besetzungen machen lassen könne, neben Militärmusik auch für Klavier (1841–1871; Meistersinger). Neben derartigen Fassungen, die auf höchste pianistische zwei- und vierhändig, wofür Wagner sich offenbar Camille Saint-Saëns gewünscht Ansprüche oder eine möglichst genaue Wiedergabe der Werke zielten, erschienen­ ­hätte. ­besonders zu den frühen Bühnenwerken Wagners aber auch die gängigen brillanten Salon-Transkriptionen, die fast alle Bühnenneuheiten begleiteten. Sie wurden häufig Zwischen Parodie und Hommage von Arrangeuren erstellt, die regelmäßig für bestimmte Verlage und deren Programm Einige der französischen Wagnerianer schufen schließlich Adaptionen, die auf recht arbeiteten und mußten in der Regel möglichst rasch nach den Aufführun­gen er­ ungewohnte Weise zwischen Parodie und Hommage changieren: Die Souvenirs de scheinen. Wagner selbst fertigte, wie viel jüngere Komponisten, während seines Paris­ ­Bayreuth von Gabriel Fauré und André Messager stellen eine Übernahme von bestens aufenthalts 1840/41 derartige ­Arbeiten für Maurice Schlesinger an. […] In diesem erkennbaren Leitmotiven in eine (überdies tatsächlich als Gesellschaftstanz verwend- ­vorrangig für den häuslichen Gebrauch bestimmten Repertoire bildete sich wiederum bare) Quadrille für Klavier zu vier Händen dar […]; ganz ähnlich sind auch Emmanuel eine recht begrenzte Auswahl von beliebten – oft musikalisch konventionellen – Chabriers Souvenirs de Munich. Quadrille sur les thèmes favoris de ‚Tristan et Isolde‘ ­Stücken als bevorzugte Vorlage heraus,­ wie sich gut beim Tannhäuser feststellen lässt. konzipiert, die er wahrscheinlich als Reaktion auf seinen Besuch der Tristan-Auffüh- Joseph Joachim Raff bearbeitete in den 1850er Jahren die Meistersinger, den Fliegenden rung in München 1880 schrieb. 70 71 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Mögen aus heutiger Perspektive diese Arrangements auf den ersten Blick als ästhetisch fragwürdige Kuriosa erscheinen, so war doch die Vermittlung wichtiger Melodien und Motive großer Bühnenwerke in dieser Form völlig üblich; sie beförderte oder bestätigte beim Publikum die Kenntnis der Werke und gab damit gewissermaßen Hörhilfe – Der […] Herr trug einen dunkelbraunen und der Umgang mit den Wagnerschen Leitmotiven in Form vom Tanzmelodien zeugt Überrock und hielt seinen schwarzen als intelligent-ironisches Spiel durchaus von der Wertschätzung der Arrangeure für ihr Schlapphut in der Hand. Er […] sah […] Objekt. mit langsamen, sehr blauen, etwas feuch- ten Augen, deren Blick erst aus der Ferne Inga Mai Groote zurückgeholt werden mußte. Dieser ­Augen abwesend-verträumte Kühnheit war von der stark vorspringenden Stirn- wölbung überdunkelt. […] Trotzdem der natürlich gewachsene, kurze Bart fast schon durchwegs weiß, das weiche, jüng- lingshaftdichte Haar – es fiel in schöner Locke über ein plastisch großes, gleich- sam gierig geöffnetes Ohr –, trotzdem Giuseppe Verdi, Portrait von Giovanni Boldini, 1886, ­dieses Haar schon mehr als grau war, Galleria Nazionale d'Arte Moderna, Rom. wäre es doch niemandem eingefallen zu sagen, der Mann sei alt.

Dem widersprach die nicht allzu kleine, ökonomisch wie ein Geigenkörper gebaute ­Gestalt […], welche mit jener ruhig atmenden Lässigkeit in den Kleidern stak, die zehn- fach mehr von Jugend zeugt als alle bewußte Straffheit. Eine große, sehr gebogene sonn- verbrannte Nase, […] die Augen, die von Zeit zu Zeit auch im Dunkel wie von einer ­imaginären Sonnenblendung zusammengekniffen wurden, gaben diesem Gesicht die wechselnde Miene eines Bauern, der im weiten Abendstrahl sein Land betrachtet, den großen Eindruck eines verwegenen Piraten, der von seiner Klippe aufs Meer hinausblickt, meist aber die Ruhe eines vornehmen Mannes, der alle Zweifel überwunden und keine Mühe mehr hat, seines Wertes sich bewußt zu sein.

Die Götter, deren Attribut die ewige Jugend ist, wurden keineswegs immer als Jünglinge, viel öfter als reife, ältere Menschen dargestellt: Jupiter, Neptun und Vulkan! Auch auf ­diesem Gesicht war das Alter nichts als eine schön verwandelte Form der göttlichen ­Jugend und Zeitlosigkeit.

Aus: Franz Werfel, Verdi. Roman der Oper, 1923.

Brief Wagners an Gustave Alexandre Flaxland, 1868, Staatsbibliothek zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. 72 73 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Und seine Chöre? Sie sind sein Größtes!! Die Chorgesänge der ersten Opern sind Verdi-Popularisierungen erstaunliche Wundertaten. Als Einziger seiner Zeit hat er Massen gefühlt und so seine ungeheuren Chöre geschrieben! Denn er ist nicht Einer, er ist Alle. Dies Ob Giovanni Boldonis berühmtes Verdi-Portrait, das heute in dem von Verdi gegrün­ ist der Schlüssel zur Kunst! […] Die moderne Kunstanschauung versucht, das deten Mailänder Altersheim für Tonkünstler – Casa di Riposo per Musicisti – hängt, Banale, damit man es nicht durchschaue, zu komplizieren. Unser Maestro aber oder Franz Werfels Schilderung seiner­ Gestalt in dem Roman Verdi. Roman der Oper hat das Gewaltigste und Komplizierteste vereinfacht. Er ist der letzte Volks- und von 1923 – hier wird ein Verdi-­Mythos installiert, bei dem auf stets gleiche Stereotypen Menschheitskünstler, ein herrlicher Anachronismus des Jahrhunderts. zurückgegriffen wird. Zeit­enthoben – gleich den Göttern, wie Werfel schreibt – ist er zugleich dem Grundmythos der italienischen Nation eingegliedert (Simone Die Verbindung von Verdis Opernmusik mit der italienischen Nation funktioniert bis de Angelis). Bei Werfel liest sich das so: heute. Simone de Angelis hat ein Beispiel gegeben – diesmal ist es der Triumphmarsch, der auch bei den Oscars die Nation eint. Als er den berauschten Schwarm näher drängen sah, ging es ihm durch den „Im März 1999 wurden in Hollywood dem italienischen Schauspieler und Filme­ Kopf, daß trotz der frenetischen Jubelstürme, die er erlebt, trotz der Fackelzüge, macher Roberto Benigni die Oscars für den besten ausländischen Film (La vita è bella, die man ihm gebracht, trotz der Anbetung, die ein wirkliches Volk ihm gezollt 1998) und für den besten Schauspieler in der Hauptrolle desselben Filmes verliehen. hatte, all die Vergötterung im Grunde nicht ihm gegolten, nicht dem Schöpfer In Vergaio, einem kleinen Dorf bei Parto in der Toskana, wo Benignis Eltern wohnen, der Melodien, sondern den Melodien selbst. Sein Name mit den fünf Buch­ standen in dieser Nacht so gut wie alle 3.000 Einwohner vor einer Riesenleinwand, staben, den zündenden Chiffren der italienischen Erhebung, war Sinnbild die den Anlaß in Hollywood auf die Piazza übertrug. Als der große Moment kam und ­geworden. Sophia Loren ‚Robertoooo!‘ rief, legte die ‚banda‘ mit dem Triumphmarsch aus ‚Aida‘ los. Über das reale Medium des Fernsehens war Radamès-Benigni triumphierend und Repräsentativ für den ‚Volkshelden‘ Verdi gelten dabei vor allem seine Chöre. auf recht irreale Weise in sein Dorf zurückgekehrt“. (de Angelis 2001, S. 580) Werfel im Roman: Verdi hat mehrere Beinamen erhalten. Er ist der „Schwan von Busseto“, der „Bauer von Roncole“, der „Maestro der Revolution“ (maestro della rivoluzione italiana), der „Vater der Chöre“ (papà dei chori), der „Antipode“ Wagners oder eben „Gran Vegliardo“. Im Akronym V.E.R.D.I. wurde sein Name zur national-politischen Parole – „Vittorio Emmanuelle R.e D’Italia“. Die Beinamen sind „mythische ‚Invarianten‘, die das feste Gerüst fast aller Biographien über den Komponisten bilden. Sie sind es schließlich, die auch außerhalb von rein musikwissenschaftlichen Publikationen als mythisch, funktionalisierbare Versatzstücke aufscheinen und so die Botschaft des Mythos – teils bewußt, teils unbewußt – transportieren.“ (Pauls 1996, S. 179) Zur Festigung und Fortschreibung des Mythos hat Verdi selbst nicht wenig bei­ getragen. Wir wissen nicht, wie er sich heute zur Verdi-Endlosschleife beim „Italiener ums Eck“ stellen würde, zur Werbeindustrie, die Kekse und Tiefkühlpizza mit Verdi- Melodien anpreist? Bestimmte ‚Bearbeitungstendenzen‘ seiner Musik zu seiner Zeit hat er aber scharf kritisiert. Um Hilfe bittend, schreibt er am 4. August 1875 an den ­Senator Giuseppe Piroli:

Ich schreibe Ihnen, um Sie um folgendes zu bitten: können Sie mir in einer ­Angelegenheit beistehen, die mir ans Leben geht? In Ferrara hat ein Mörder von Musikdirektor meine Messe für Manzoni für grobschlächtige Blaskapelle (um 74 75 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

nicht zu sagen Militärmusik) bearbeitet und sie öffentlich in einer Arena aufge- führt! Gibt es überhaupt etwas Ungeheuerlicheres, etwas Schrecklicheres? Eine Totenmesse – für eine Militärkapelle – in einer Arena!! – Es geht noch weiter: ­ In Bologna will man sieh öffentlich mit Sängern, Chören und Klavieren!!! auf- führen. Man hat die Stadtverwaltung davon unterrichtet, und wissen Sie, was sie geantwortet hat: sie wisse nicht, ob Paragraph 15 des Autorenschutzgesetzes eine solche Aufführung verbiete; man wolle Erkundigungen beim Ministerium einziehen. Aber dieser Paragraph verlangt ja gerade die Veröffentlichung der „gesamten Komposition“! Eine Bearbeitung für Klavier ist nicht meine Komposi- tion und schon gar nicht meine „gesamte Komposition“! Was sagen Sie dazu?

Wollen Sie an zuständiger Stelle in meinem Namen ein Wort sagen? Ist es denn wirklich unmöglich, sich vor diesen Blutsaugern zu retten, die uns in so grau­ samer Weise verstümmelt dem Publikum vorsetzen? Dürfen andere über das verfügen, was mein Eigenstes, das Ergebnis meiner geistigen Ideen ist?! Das ist schon eine Schweinerei, eine Unverschämtheit.

Bettina Knauer

Verdi bezeichnete die Casa di Riposo als sein größtes und wichtigstes Werk. Aufnahmen aus dem Film Casa Verdi, 2008, Regie: Anna Franceschini. 76 77 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Ziele hin diese Verhältnisse verändert werden sollten. Zu seiner Ursachensuche und Wagner-Schlüsse seinen, im Einzelnen oft wechselnden Antworten bzw. Pseudo-Antworten gehörten nicht zuletzt auch sein abstruser Antijudaismus, der ihn dazu brachte, statt gesell- Nicht nur das Ende der Götterdämmerung, wofür Richard Wagner bekanntlich ver- schaftliche Strukturen zu analysieren (wie es etwa Marx und Engels taten), den Gegen- schiedene Varianten in Erwägung gezogen hatte, dürfte ihn vor die Frage gestellt stand seiner gesellschaftlichen Kritik zu personifizieren, indem er in der Gestalt ‚des ­haben nach dem jeweils angemessenen Schluss. Was könnte der Hintergrund sein für Juden‘ die ‚Herrschaft des Geldes‘ dingfest zu machen glaubte, wobei sein verbohrter, diese Unsicherheit, Unabgeschlossenheit, Offenheit in Bezug auf die Schlüsse seiner fast paranoider Antisemitismus sich als ein wie von Mime gebrauter ‚Sud‘ darstellte, in Musikdramen? dem sich als Ingredienzien persönliche Verletzungserfahrungen und Ressentiments Wagners Antriebe für sein musikalisches Schaffen sind nicht loszulösen von dem, gegen Musikerkollegen (etwa in Paris) mit weitverbreiteten, auch bei manchen Revo­ was er real-gesellschaftlich wollte. Er lehnte die bestehenden Zustände ab, weil sie die lutionären anzutreffenden, auf jahrhundertealte Traditionen zurückreichenden anti­ Menschen unter die Herrschaft des Geldes und Besitzes, der Intrigen der Macht und jüdischen Vorurteile und Sündenbockkonstruktionen vermischten. der ‚Politik‘ zwingen; weil sie Entfremdungsprozesse hervorbringen, welche die Indivi- Da Wagner für die Lösung der von ihm gesehenen Probleme keine klar benenn- duen daran hindern, ihr ‚wahres Wesen‘ zu entfalten. Seine Kritik richtete sich u. a. baren Antworten wusste, dürfte er auch unsicher gewesen sein, wie der jeweils ange- ­gegen die Zerstörung der Natur im Zuge der technisch-ökonomischen Entwicklungen; messene Schluss seiner Werke aussehen sollte. Er experimentierte mit verschiedenen gegen die Dominanz der Waren- und Geldverhältnisse und die dadurch bedingte Zer- Lösungsversionen, z.B. beim Schluss der Götterdämmerung, oder artikulierte sein rüttung menschlicher Beziehungen; gegen die patriarchalen Blockaden in der gesell- ­Unbehagen über die ihn nicht befriedigenden Schlüsse anderer seiner Werke, so etwa schaftlichen Stellung und Entwicklung der Frauen; gegen die Verhinderung freier beim Tannhäuser (möglicherweise auch beim ). An all seinen Werken lassen ­Liebesbeziehungen zwischen den Geschlechtern durch einengende Institutionen wie sich die verschiedenen Weisen des ‚Scheiterns‘ zeigen angesichts des Fehlens einer die mit Besitzansprüchen verbundene Form der Ehe; kurz: er opponierte gegen die ­unter den gegebenen Bedingungen für ihn erkennbaren, möglichen ‚positiven‘ Lösung:­ Einschnürung der lebendigen und schöpferischen Kräfte durch vorgegebene institu­ ob es sich um die Liebe von Tristan und Isolde handelt, die nicht kompatibel ist mit tionelle Zwänge, die er als Prokrustesbetten einschätzte. den Bedingungen des ‚Tages‘, der gesellschaftlichen Verhältnisse; oder bei der Ring- Vom Felde der Kunst und des Musikbetriebs, deren restriktive Zustände er an­ Thematik von Macht und Liebe und der darin eingebetteten Rolle Siegfrieds als ‚Hoff- prangerte, weitete er den Blick auf die Gesamtgesellschaft aus und wurde unter dem nungsträger‘ und möglichen ‚neuen, freien Menschen‘. Besonders eindrucksvoll und Einfluss der Debatten und Kritiken des Vormärz – vom „Jungen Deutschland“ eines vielschichtig zeigt sich die Tragik des Scheiterns bei der Figur der Brünnhilde: im Zuge Heinrich Heine über die Utopien von Frühsozialisten, über die Kritik eines Pierre- ihrer ‚Menschwerdung‘ auf dem Weg weg von der ursprünglichen Abhängigkeit vom Joseph Proudhon am Privateigentum bis hin zu Anarchisten wie Michail Bakunin – geliebten Vater, dessen alter ego sie verkörperte, weil sie Wotans innerste, von ihm aber zum Revolutionär, der sich dann am Dresdener Aufstand 1849 beteiligte mit der Folge, nicht zugelassenen Wünsche artikulierte und deshalb von ihm unter Schmerzen ver- dass er als steckbrieflich Gesuchter ins Exil gehen musste, wollte er nicht wie etwa sein stoßen wurde, werden musste, war für sie dann die Liebe zu Siegfried die große neue Freund und Mitkämpfer August Röckel langjährige Gefängnisstrafen in Kauf nehmen. Hoffnung, die dann auch bitter enttäuscht wurde. Im Durchleben und Durchleiden Wagner wusste, was er nicht wollte: die bestehenden Zustände. Er hatte aber kein dieser furchtbaren Enttäuschungen erfolgt ihre Wandlung zur freien, nicht mehr unter- klares Bild von einer ‚positiv‘ anzustrebenden gesellschaftlichen Ordnung als Alter­ drückten und abhängigen Frau, zum leuchtenden Vorschein des ‚Weibs der Zukunft‘, native (wie sie immerhin umrisshaft den gleichfalls vormärzlichen Verfassern des eine Utopie, die aber unter den gegebenen Bedingungen nicht lebbar ist und darum Kommunistischen Manifests als Orientierung ihrer antikapitalistischen politischen mit ihrem Freitod endet. ­Bestrebungen vorschwebte), – sieht man einmal ab von dem sehr allgemein formu- Überall enden die Dramen mit unterschiedlichen Formen von Verzicht, von Schei- lierten Ziel, dass Liebe anstelle von Geld und Macht für die menschlichen Beziehungen tern und Untergang, – wobei die Besonderheit der Meistersinger diesem Befund nicht und die gesellschaftliche Organisation insgesamt bestimmend sein sollte. Wagners widerspricht, indem auch Sachs keine Erfüllung in seiner Liebe zu Eva erfährt, sondern Werke kann man verstehen als vielgestaltiges Suchen nach Antworten auf die ihn be- im Unterschied zum Tristan weise verzichtet, aber immerhin darin Trost findet, dass wegenden Grundfragen, worin denn die Ursachen der bestehenden, deformierenden seine Resignation eine Kompensation findet in der Kunst, weshalb bei den Meister­ Zustände zu suchen seien, sowie auf die Frage, auf welche positiven Entwürfe und singern auch von einer ‚Komödie‘ gesprochen wird. 78 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Zwar enden die Stücke in Scheitern und Untergängen, aber ergreifend und wunder- schön wie Sonnenuntergänge. Und darin deutet sich an, dass für Wagner die gesuchte Lösung bzw. ‚Erlösung‘ in der Kunst liegen könnte (so ja auch die Schlussansprache des Hans Sachs in den Meistersingern, in der eher etwas zur Rolle der Kunst ausgesagt wird als zu einem deutschtümelndem Nationalismus). Freilich kann auch die Kunst die bestehenden realen Verhältnisse nicht ignorieren; auch sie wird von diesen be- stimmt und eingeschränkt. Daher finden sich zwar überall die tragischen Konstellatio­ Samstag, 15. Juni 2013 nen und Erfahrungen des Scheiterns, aber komponiert in einer Musik, deren Erklingen an innerste Saiten rührt und eine eigene Welt erstehen lässt, die hinausweist über die von 17 bis 24 Uhr bestehende. Campus Bucerius Law School, So bleibt der Eindruck: auch die Kunst kann die Welt, wie sie ist, nicht retten, nicht Hamburg wirklich verändern. Und doch besteht ihr ‚Positives‘ darin, dass sie die Produzenten wie die Rezipienten dieser Musik durch ihre ‚Schönheit‘, ihre genaue Zeichnung und zugleich Reflexion der dramatischen Konstellationen, durch ihr Aufscheinenlassen Programm mit eines, wenn auch nur geahnten, ‚besseren Anderen‘ über die bestehenden Zustände Karin Beier, zu ‚erheben‘ vermag; die Musik hat die eigentümliche Fähigkeit, diejenigen, die sich Christoph Butterwegge, auf sie einlassen, mit Kräften und Ermutigungen zu versehen, die die Hörenden an­ Gunter Demnig, zuregen imstande sind, nach eigenen Lösungen zu suchen bei der Bewältigung der Markus Fein, Probleme des Lebens. Felicitas Hoppe, Hier liegen übrigens auch – bei aller Differenz, ja Gegensätzlichkeit – Parallelen Dominique Horwitz, zum Brecht’schen Theater: Kunst ist zwar keine Alternative zur Politik. Sie kann aber Michael Koglin, für den alltäglichen und den politischen Kampf (Über-)Lebens-Kräfte mobilisieren, Manfred Lahnstein, kann durch die Vermittlung veränderter Wahrnehmungsweisen, durch das Enthüllen Joachim Lux, oder Hervorbringen bislang unbekannter Sensorien, durch die Eröffnung neuer Per- Volkwin Marg, spektiven, Horizonte und Sichtweisen die Suche nach Lösungen der realen Probleme Rainer Moritz, beflügeln, ein schöpferisches, innovatives, eingefahrene Bahnen transzendierendes Theo Sommer, Verhalten befördern. Dorothee Stapelfeldt, Richard Sorg Henning Voscherau und vielen anderen

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Impressum Salon IV Tipps zum Lesen S. 67 Paul Cézanne, Jeune fille au piano (wikipedia.de) Redaktion: Prof. Dr. Beatrix Borchard, Dr. Bettina Knauer S. 70 Brief Wagners an Gustave Alexandre Flaxland Beatrix Borchard, Nadia Boulanger oder: Von Wagner zum Wagnérisme. Musik, Gestaltung: Veronika Grigkar (grigkar.de) (digital.staatsbibliothek-berlin.de) Druck: diedruckerei.de S. 71 Giuseppe Verdi (wikipedia.de) Über notwendige und überflüssige Musik, ­Literatur, Kunst, Politik, hrsg. von S. 72 Mille Lire-Schein (ebay.de) in: Klassizistische Moderne, Eine Begleit- ­Annegret Fauser und Manuela Schwartz, S. 75 Casa Verdi (invisibilefilm.com) pulikation zur Konzertreihe im Rahmen Leipzig 1999. Bildnachweise Umschlag hinten HfMT Hamburg, Foto Stefan Malzkorn der Veranstaltungen „10 Jahre Paul Umschlag vorne Fanny-Hensel-Saal, Foto Torsten Kollmer Eva Rieger, Leuchtende Liebe, lachender S. 6 Richard Wagner im Kreis seiner Freunde in der Villa Wahnfried ­Sacher Stiftung“, hrsg. von Felix Meyer, Textnachweise Tod. Richard Wagners Bild der Frau im (wikipedia.de) Winterthur 1996, S. 402–414. S. 10 Uraufführung von Richard Wagners Tannhäuser am Wir danken Christine Fischer, Inga Mai Groote und Spiegel seiner Musik, Düsseldorf 2009. 19. Oktober 1845 (wikipedia.de) Jürgen Kesting für die Überlassung resp. Bearbeitung ihrer Beatrix Borchard, Lili Boulanger. S. 13 Ludwig und Malwine Schnorr von Carolsfeld als Texte aus dem Verdi- resp. Wagner-Handbuch. Gerd Rienäcker, Richard Wagner. „Tristan und Isolde“ (wikipedia.de) Eine Komponistin, in: Vom Schweigen Die Originaltexte (mit Quellenangaben) unter: ­Nachdenken über sein „Gewebe“, Salon I Jürgen Kesting, Wagner-Gesang im 19. Jahrhundert, in: Wagner- ­befreit. Lili Boulanger, Kassel 1993, Berlin 2001. S. 17 Margherita Barezzi (wikipedia.de) Handbuch, hrsg. von Laurenz Lütteken unter Mitarbeit von Inga S. 28–37; Nachdruck in: Lili Boulanger S. 19 Contessa Clara Maffei (wikipedia.de) Mai Groote und Michael Meyer, Stuttgart, Weimar 2012, S. 426ff. S. 20 Giuseppina Strepponi (wikipedia.de) Jürgen Kesting, Die großen Sänger, 4 Bde., Kassel 2010, Bd. I, S. 39. zum 100. Geburtstag. Bremer Lili Boulan- Verdi-Handbuch, hrsg. von Anselm S. 21 Giuseppina Verdi (wikipedia.de) Christine Fischer, Von gefallenen Engeln und Amazonen: ger-Tage 1993, Redaktion: Kathrin Mosler. ­Gerhard und Uwe Schweikert S. 22 Teresa Stolz (wikipedia.de) Geschlecht als ästhetische und soziale Kategorie im Werk Verdis, unter Mitarbeit von Christine Fischer, S. 26 Minna Planer (wikipedia.de) in: Verdi-Handbuch, hrsg. von Anselm Gerhard und Uwe Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. S. 26 Cosima Liszt (wikipedia.de) Schweikert unter Mitarbeit von Christine Fischer, Stuttgart, Stuttgart, Weimar 2001. S. 28 Mathilde Wesendonck (wikipedia.de) Weimar 2001, S. 141ff. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert, S. 31 Cosima und Richard Wagner in Wien (wikipedia.de) Inga Mai Groote, Wagners Werke in zeitgenössischen Bearbeitungen, München 1983 (Originalausgabe: Piper: Wagner-Handbuch, hrsg. von Laurenz in: Wagner-Handbuch, hrsg. von Laurenz Lütteken unter Salon II Mitarbeit von Inga Mai Groote und Michael Meyer, Stuttgart, München 1980). Lütteken unter Mitarbeit von Inga Mai S. 35 Richard Wagner (wikipedia.de) Weimar 2012, S. 448ff. Groote und Michael Meyer, Stuttgart, S. 37 Charles Baudelaire (wikipedia.de) Bruno Monsaingeon, „Mademoiselle. S. 41 Félix Vallotton, A Richard Wagner (zeno.org) Salon I Weimar 2012. ­Entretiens avec Nadia Boulanger“ o. O., S. 43 Eugène Delacroix, Der heilige Michael im Kampf mit S. 26 Eva Rieger, Leuchtende Liebe, lachender Tod. Richard dem Satan (wikipedia.de) Wagners Bild der Frau im Spiegel seiner Musik, Düsseldorf 2009. o. J. [1981]. S. 45 Éduard Manet, Dame mit Fächer (wikipedia.de) S. 27 Sven Friedrich, Richard Wagners Opern. Ein musikalischer S. 46 Éduard Manet (wikipedia.de) Werkführer, München 2012, S. 80. S. 50 Lili Boulanger (wikipedia.de) S. 27 Eva Rieger, 2010, S. 269. S. 53 Claude Debussy (wikipedia.de) S. 27 Sven Friedrich, 2012, S. 38. S. 53 Gabriel Fauré (wikipedia.de) S. 28f. Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg. Bilder und S. 54 Lili et Nadia Boulanger Rue Ballu Nr. 36 (wikipedia.de) Briefe aus dem Leben der Fürstin Carolyne Sayn Wittgenstein, S. 56 Lili Boulanger und Claude Delvincourt (musimem.com) hrsg, von La Mara, Leipzig 1906, S. 355f. S. 61 Nadia Boulanger (lastfm.de) S. 29 Eva Rieger, Die Tagebücher Cosima Wagners, in: Wagner-Handbuch, hrsg. von Laurenz Lütteken unter Mitarbeit Salon III von Inga Mai Groote und Michael Meyer, Stuttgart, Weimar S. 63 Carl Froelich, Richard Wagner (wagner-kino.de) 2012, S. 62–68. S. 64 William Dieterle, Frauen um Richard Wagner (cinema.de) S. 29 Cosima Wagner, Die Tagebücher. Band 1–4, ediert und S. 65 Fosco Giachetti in Casa Riccordi, 1954 (photobucket.com) kommentiert von Martin Gregor-Delin und Dietrich Mack, München 1988, Bd. I, S. 157. S. 29 Ebd., Bd. II, S. 927. S. 29 Ebd., Bd. I, S. 406. S. 29 Ebd., Bd. I, S. 448. S. 33 Martha Schad, „Meine erste und einzige Liebe“. Richard Wagner und Mathilde Wesendonck, München 2002, S. 108. 82 ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜ ˜

Salon II S. 35 Charles Baudelaire, Tannhäuser à Paris, in: Richard Wagner, Tannhäuser, hrsg. von Dietrich Mack, Frankfurt a. M. 1979, S. 107ff. S. 36 Friedrich Nietzsche, Ecce homo, in: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden. München 1954, Bd. 2, S. 1087 u. S. 1090f. S. 37ff. Charles Baudelaire, Richard Wagner. Meine Zeitgenossen. Armes Belgien! hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1992. S. 40 zitiert nach: Stefanie Hein, Richard Wagners Kunstprogramm im nationalkulturellen Kontext. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, Würzburg 2006, S. 126. S. 40 zitiert nach: Carl Fr. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Leipzig 1905, Bd. 3, S. 304. S. 40f. Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, o.J., Bd. 1, S. 287. S. 42 Wagner – Dichtungen und Schriften, hrsg. von Dieter Borchmeyer, Frankfurt a. M. 1983, S. 303f. S. 42 Anke K. Finger, Das der Moderne, Göttingen 2006, S. 39f. S. 42 Hermann Sturm, Alltag und Kult, , Richard Wagner, Friedrich Theodor Vischer, Basel, Berlin 2003, S. 146f. S. 43 Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999, Bd. 5, S. 202f. S. 44 Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, hrsg. von Dieter Borchmeyer und Jörg Salaquarda. Frankfurt a. M., Leipzig 1994, Bd. 2, S. 966ff. S. 44 Delacroix zitiert nach: Charles Baudelaire, Richard Wagner. Meine Zeitgenossen. Armes Belgien! hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1992, S. 464. S. 44 Charles Baudelaire. Dichter und Kunstkritiker, hrsg. von Karin Westerwelle, Würzburg, 2007, S. 205. S. 46 zitiert nach: Peter V. Zima, Ästhetische Negation: Das Subjekt, das Schöne und das Erhabene von Mallarmé und Valéry zu Adorno und Lyotard, Würzburg 2005, S. 58. S. 51ff. Beatrix Borchard, Lili Boulanger zum 100. Geburtstag. Bremer Lili Boulanger-Tage 1993, Redaktion: Kathrin Mosler. S. 61 Nadia Boulanger, zit. n. Bruno Monsaingeon, Mademoiselle. Entretiens avec Nadia Boulanger, o. O., o. J. [1981], übers. Melanie Unseld.

Salon IV S. 72 Simone De Angelis, Popularisierung und Literarisierung eines Mythos, in: Verdi-Handbuch, hrsg. von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert unter Mitarbeit von Christine Fischer, Stuttgart, Weimar 2001, S. 580. S. 73 Ebd., S. 580. S. 73 Birgit Pauls, Giuseppe Verdi und das Risorgimento: ein politischer Mythos im Prozess der Nationenbildung, Berlin 1996, S. 179. Eine Veranstaltungsreihe der Hochschule für Musik und Theater Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Beatrix Borchard in Kooperation mit Dr. Bettina Knauer und Prof. Marc Aisenbrey

Fanny-Hensel-Saal der Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Harvestehuder Weg 12 (Eingang Milchstraße) 20148 Hamburg www.hfmt-hamburg.de

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