Ekkehard Felder/Andreas Gardt (Hg.) Wirklichkeit Oder Konstruktion?
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Ekkehard Felder/Andreas Gardt (Hg.) Wirklichkeit oder Konstruktion? Wirklichkeit oder Konstruktion? Sprachtheoretische und interdisziplinäre Aspekte einer brisanten Alternative Herausgegeben von Ekkehard Felder und Andreas Gardt ISBN 978-3-11-056342-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056343-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056358-0 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial- NoDerivatives 4.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Library of Congress Control Number: 2018946961 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Ekkehard Felder/Andreas Gardt, publiziert von Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston. Dieses Buch ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.degruyter.com. Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Vorwort V Vorwort Die Leitfrage dieses Bandes ist eine der zentralen Fragen nicht nur der Wissen- schaft, sondern auch unseres alltäglichen Lebens: Haben wir tatsächlich einen Zugang zur Wirklichkeit oder sind wir lediglich in unseren eigenen Konstruktio- nen der Wirklichkeit befangen? Ist die Wirklichkeit ein unverrückbarer Maßstab, an dem wir unser Erkennen orientieren, bei aller Möglichkeit des Irrtums? Oder schaffen wir uns unsere Bilder von der Welt selbst, sei es bewusst oder unbe- wusst, sodass die Welt dann so ist, wie wir sie uns gemacht haben? Überträgt man diese Fragen auf erkenntnistheoretische Positionen, dann entsprechen sie dem Begriffspaar von Realismus und Konstruktivismus. Die Kon- troverse zwischen diesen Positionen ist alt und hat zugleich nie an Bedeutung verloren, ist aktuell in der Auseinandersetzung um den Neuen Realismus auch von den Medien aufgegriffen worden. In weiten Teilen der Wissenschaft hat sich der Konstruktivismus als das herrschende Paradigma etabliert, in besonderem Maße in den Geistes- und den Gesellschaftswissenschaften, aber keineswegs nur dort. In den sehr engagiert geführten Diskussionen um einen adäquaten Wirklich- keitsbegriff wird dem Konstruktivismus mitunter vorgeworfen, die Existenz von Tatsachen ganz und gar zu leugnen. Aber ließe sich eine solch radikale Position überhaupt begründen? Als Antwort und zugleich Kompromiss bietet sich der Weg über die Sprache an. In nahezu allen konstruktivistischen Darstellungen spielt sie eine wichtige Rolle. Danach bezeichnen die Wörter nicht die Dinge an sich, sondern tun dies immer aus einer bestimmten Perspektive. Um ein Beispiel von René Zimmer zu zitieren: Was für den einen unter therapeutisches Klonen fällt, ist für den anderen Forschungsklonen und für wieder andere ein Vergehen an der Schöpfung Gottes. Wie wir die Welt wahrnehmen, ist entscheidend von einer der Sprache innewoh- nenden Perspektive geprägt. Diesen Gedanken zu akzeptieren fällt leichter als den oben zitierten. Denn er gesteht immerhin zu, dass es eine Wirklichkeit ‚an sich‘ gibt, allerdings eine, die wir als solche nicht erkennen können. Nur als perspektivisch gebundene ist sie uns zugänglich, und in ihr gibt es entweder therapeutisches Klonen oder eben Forschungsklonen etc. Verba res secant nannte das bereits im 17. Jahrhundert der englische Philosoph Francis Bacon: Die Wörter zerteilen die Dinge. Deshalb sei es müßig, so die konstruktivistische Argumentation, der Wirklichkeit ‚als solcher‘ nachzujagen: Es mag sie geben, aber wenn sie ohnehin nicht erkennbar ist, kann sie uns gleichgültig sein. Als wichtig gilt das Aufspüren der Perspektiven, nicht selten in aufklärerischer Absicht, wenn etwa Formulierungen wie die von der Größe eines Volkes, der historischen Bestimmung der Nation oder auch der Natur des Geschlechts kritisch hinterfragt werden. VI Vorwort Diesen Versuchen, die Wirklichkeit als interessengeleitet konstruierte aus- zuweisen, wird häufig mit dem Argument begegnet, der (vermeintliche) Akt der Aufklärung diene letztlich nur dazu, die jeweils eigene Position als die ‚eigentlich richtige‘ durchzusetzen. Außerdem widerspreche die Annahme eines umfassen- den Konstruiertseins unserer Wirklichkeitsbilder jeder Alltagserfahrung von der Präsenz und Widerständigkeit der Welt. In diesem Spannungsfeld ist der vorliegende Band verortet. Der Blick auf die Autoren und die Disziplinen, die sie vertreten, lässt auf einen Schlag das Umfas- sende der Debatte erkennen: Sprachwissenschaft (auf ihr liegt ein Schwerpunkt), Philosophie, Theologie, Soziologie, Medienwissenschaft, Kommunikationswis- senschaft, Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft, Neurobiologie und Psychiatrie. Die Gliederung im Band versucht einen Ausgleich zwischen der fach- lichen Zuordnung der Autoren und thematischen Akzenten der Beiträge. Dass die Beschäftigung mit der Sprache als eine Klammer gesehen werden kann, wird auch durch die Platzierung der sprachwissenschaftlichen Beiträge der Herausge- ber an Anfang und Ende des Bandes angezeigt. An dieser Stelle soll auf eine kommende Publikation verwiesen werden. Sie wird sich mit der Frage nach „Authentizität zwischen Wahrhaftigkeit und Insze- nierung“ befassen, in gewisser Weise als eine Fortsetzung des hier vorgelegten Bandes. Während die Frage nach „Wirklichkeit oder Konstruktion?“ als Stand- ortbestimmung unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen behandelt wird, soll die Frage nach der Wahrhaftigkeit oder Inszenierung von Authentizität auch vor dem Hintergrund konkreter gesellschaftlicher Handlungsfelder diskutiert werden. Die Herausgeber danken Christine Goldhofer und Laura Kleitsch für die redaktionelle Einrichtung der Beiträge, danken auch den Mitarbeitern des Verlags De Guyter für die gute Zusammenarbeit, insbesondere Daniel Gietz für die ebenso kompetente wie angenehme lektoratsseitige Begleitung bei der Entstehung des Bandes, Albina Töws für die zusätzliche Betreuung in der Endphase sowie Stefan Diezmann für die Umsetzung in den Druck. Ekkehard Felder, Andreas Gardt Heidelberg und Kassel, im Juli 2018 Inhaltsverzeichnis VII Inhaltsverzeichnis Andreas Gardt (Sprachwissenschaft) Wort und Welt. Konstruktivismus und Realismus in der Sprachtheorie 1 Markus Gabriel (Philosophie) Der Neue Realismus zwischen Konstruktion und Wirklichkeit 45 John R. Searle (Philosophie) The Philosophy of Perception and the Bad Argument 66 Bernhard Pörksen (Medienwissenschaft) Der Blick des Kritikers Die Debatte über den Konstruktivismus in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft – ein Beispiel für die Auseinandersetzung zwischen realistischen und relativistischen Wissenschaftlern 77 Siegfried J. Schmidt (Kommunikations- und Medienwissenschaft) Wie wirklich ist die Wirklichkeit? 102 Heinz Bude (Soziologie) Realitäten in der Wirklichkeit 118 Paul Kirchhof (Rechtswissenschaft) Rechtssprache zwischen Ideal und Wirklichkeit 126 Paul-Gerhard Klumbies (Theologie) Gott – bewusst gemacht oder bewusst gemacht? Eine theologische Rückmeldung zu Konstruktivismus und Neuem Realismus 146 Wolf-Andreas Liebert (Sprachwissenschaft) Können wir mit Engeln sprechen? Über die eigenartige (Un-)Wirklichkeit der Verständigung im Religiösen 162 Gerhard Roth (Neurobiologie) Wahrnehmung und Erkenntnis: Grundzüge einer neurobiologisch fundierten Erkenntnistheorie 194 VIII Inhaltsverzeichnis Thomas Fuchs (Psychiatrie/Philosophie) Die gemeinsame Wahrnehmung der Wirklichkeit Skizze eines enaktiven Realismus 220 Alexander Ziem/Björn Fritsche (Sprachwissenschaft) Von der Sprache zur (Konstruktion von) Wirklichkeit: Die konstruktivistische Perspektive der Kognitiven Linguistik 243 Max Düsterhöft/Robert Jacob/Marco Lehmann-Waffenschmidt (Wirtschaftswissenschaft) Konstruiert oder real? Die konstruierte Alltagswirklichkeit des Geldes 277 Ludwig Jäger (Sprachwissenschaft) „Outthereness“ Über das Problem des Wirklichkeitsbezugs von Zeichen 301 Matthias Attig (Sprachwissenschaft) Begriffsrealismus als sprachwissenschaftliches Problem Überlegungen zur kategorialen Eigenart von Termini 324 Josef Klein (Sprachwissenschaft) ‚Betrachten der Wirklichkeit‘ und politisches Framing Am Beispiel der CDU-Wahlkampagne 2013 344 Ekkehard Felder (Sprachwissenschaft) Wahrheit und Wissen zwischen Wirklichkeit und Konstruktion: Freiheiten und Zwänge beim sprachlichen Handeln 371 Kurzbiographien 399 Andreas Gardt Wort und Welt. Konstruktivismus und Realismus in der Sprachtheorie 1 Die Präsenz konstruktivistischen Denkens in der Sprachtheorie Unter Konstruktivismus – in seiner auf Sprache bezogenen Form – sei im Folgen- den die Auffassung von der sprachlichen Gebundenheit des Weltzugangs und der wirklichkeitskonstituierenden Kraft der Sprache verstanden.1 Danach bezeich- nen Wörter und Sätze nicht die Dinge an sich, sondern tun dies immer aus einer bestimmten Perspektive. Diese Perspektive ist nicht nur die des individuellen Sprechers, sondern ist auch der Sprache bereits inhärent: Wir eignen uns die Welt entlang der lexikalischen Kategorien und grammatischen Strukturen an, die wir in der Sprache vorfinden und die wir neu in ihr schaffen. Indem Sprache die Dinge der Welt nicht einfach passiv abbildet, sondern unseren geistigen Zugang zu ihnen leitet, prägt sie unser Bild von der Wirklichkeit. In der Trias von Sprache, Denken und Wirklichkeit kommt damit der Sprache das Apriori zu. Je nach Radi- kalität des linguistischen Konstruktivismus wird diese sprachliche Prägung des Wirklichkeitsbildes als partiell oder als absolut verstanden. Im letzteren Fall