www.peterlang.com Debatte undgelegentlich diePublikation von Quellen. sich aberauchForschungen undBeiträge ausderdeutschen für deutschsprachige Leserübersetzt worden. Esfinden französischen, spanischenundchinesischenDiskussion sind entwickelt. WichtigeBeiträge ausderenglischen,russischen, Betrachtung von Geschichte, Sozial-undKulturwissenschaften Die ZWG hatsichzumForum einerneuen,umfassenden Weltgeschichte Zeitschrift für ZWG 15 H.-H. Nolte (Hg.) I 1 Zeitschrift für Weltgeschichte Weltgeschichte Zeitschrift für Interdisziplinäre Perspektiven für Geschichte desWeltsystems von Hans-Heinrich Nolte Herausgegeben Für denVerein (Frühjahr 2014) Jahrgang 15 Heft 1

www.peterlang.com Debatte und gelegentlich diePublikationvon Quellen. sich aberauchForschungen und Beiträge ausderdeutschen für deutschsprachige Leserübersetzt worden. Es finden französischen, spanischenundchinesischenDiskussion sind entwickelt. WichtigeBeiträge ausderenglischen,russischen, Betrachtung von Geschichte, Sozial-und Kulturwissenschaften Die ZWG hatsichzumForum einerneuen,umfassenden Weltgeschichte Zeitschrift für ZWG 15 H.-H. Nolte (Hg.) I 1 Zeitschrift für WeltgeschichteZeitschrift für

Weltgeschichte Interdisziplinäre Perspektiven für Geschichte desWeltsystems von Hans-HeinrichNolte Herausgegeben Für denVerein (Frühjahr 2014) Jahrgang 15 Heft 1 ZWG

ZEITSCHRIFT FÜR WELTGESCHICHTE Zeitschrift für Weltgeschichte

Herausgeberkreis Manfred Asendorf, Hamburg / Manuela Boatcă, Berlin / Christian Cwik, Wien / Beate Eschment, Berlin / Claus Füllberg-Stolberg, Hannover / Bernd Hausberger, Mexiko / Peter Kehne, Hannover / Andrea Komlosy, Wien / Hans-Heinrich Nolte, Barsinghausen / Ralf Roth, Frankfurt / Helmut Stubbe da Luz, Hamburg / Asli Vatansever, Istanbul

Geschäftsführend: Hans-Heinrich Nolte

Redaktion Dariusz Adamczyk, Warschau / Michael Bertram, Schellerten / Jens Binner, Buchenwald / Christian Lekon, Lefke / Eva-Maria Stolberg, Bochum

Wissenschaftlicher Beirat Maurice Aymard, Aleksandr Boroznjak, Helmut Bley, Luigi Cajani, Gita Dharampal-Frick, Hartmut Elsenhans, Jürgen Elvert, Stig Förster, Carsten Goehrke, Uwe Halbach, Carl-Hans Hauptmeyer, Klaus Kremb, Gesine Krüger, Rudolf Wolfgang Müller, Christiane Nolte, Pavel Poljan, Joachim Radkau, Dominic Sachsenmaier, Adelheid von Saldern, Karl-Heinz Schneider, Gerd Stricker, Beate Wagner-Hasel

Manuskripte bitte an den Geschäftsführenden Herausgeber Prof. Dr. Hans-Heinrich Nolte, Bullerbachstr. 12, 30890 Barsinghausen

Reviews und Rezensionen bitte an: Prof. Dr. Manuela Boatcă FU Berlin: Lateinamerika-Institut Sociology of Global Inequalities Rüdesheimer Str. 54-56 14197 Berlin

Manuskripte bitte als Disketten (rtf) sowie in zwei Ausdrucken; Manuskripte, die nicht als E-Datei vorgelegt werden, können leider nicht bearbeitet werden. Manuskripte sollen die Länge von 20 Seiten DIN A4, 14pt einzeilig in Times Roman beschrieben nicht überschreiten. Für unverlangt eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. Zeitschrift für

Weltgeschichte

(ZWG)

Interdisziplinäre Perspektiven 15. Jg. 2014, Heft 1

Schwerpunkt Das Ende der Sklaverei in der Karibik und in Afrika

Herausgegeben von Claus und Katja Füllberg-Stolberg

Für den Verein für Geschichte des Weltsystems

Zu Qualitätssicherung und Peer Notes on the quality assurance and Review der vorliegenden Publikation peer review of this publication

Die Qualität der in dieser Zeitschrift Prior to publication, the quality of erscheinenden Arbeiten wird vor der the work published in this journal is Publikation durch externe, von der double blind reviewed by external Herausgeberschaft benannte referees appointed by the Gutachter im Double Blind Verfahren editorship. The referee is not geprüft. Dabei ist der Autor der aware of the author’s name Arbeit den Gutachtern während der when performing the review; Prüfung namentlich nicht bekannt; the referees’ names are not die Gutachter bleiben anonym. disclosed. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Die Schiffahrtslinien der Welt um 1890 (Übersichtskarte des Weltverkehrs aus Meyers Konversations-Lexikon, Leipzig u. Wien 1885-1892)

ISSN 2199-8086 E-ISBN 978-3-653-04479-9 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-04479-9

© Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2014 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang Edition ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang – Frankfurt am Main · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.com Inhalt

Ulrike Schmieder Eine Archäologie „subalternen“ Sprechens: Afrokaribische Frauen und Männer reden über ihre persönlichen und gesellschaftlichen Ziele ...... 9

Katja Füllberg-Stolberg Von Fairfield (Jamaika) nach (): Afroamerikanische Emigration in der Postemanzipationsphase...... 37

Jan Hüsgen Zwischen Anpassung und Widerstand. Nationalhelfer in der Mission der Brüdergemeine zur Zeit der Sklavenemanzipation ...... 65

Claus Füllberg-Stolberg Christliche Mission und die Doppelemanzipation von indigener Bevölkerung und Sklaven in Südafrika (1828-1838) ...... 93

Christian Cwik Sklaverei, Sklavenhandel und Abolition auf Curaçao ...... 117

Dina Gusejnova Der Prophet als Parfum. Das Spenglersche am europäischen und amerikanischen Modernismus ...... 141

Reiner Ruppmann Das europäische Autobahnnetz: Weiterhin Hoffnungsträger oder primär Funktionsraum für die Transit-Ökonomie? (Teil 2) ...... 163

Manuela Boatcă / Sérgio Costa Über Körper und Grenzen: ein Interview mit Ella Shohat ...... 181

Rezensionen ...... 193

Autorinnen und Autoren der ZWG 15.1 ...... 203

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Katja Füllberg-Stolberg Von Fairfield (Jamaika) nach Akropong (Ghana): Afroamerikanische Emigration in der Postemanzipations- phase

Nach dem Ende des transatlantischen Sklavenhandels (1807) und der Ab- schaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien in der Karibik (1838) rich- tete sich der Fokus der Abolitionisten1 auf Afrika und der innerafrikanischen Sklaverei wurde der Kampf angesagt. Die Bekehrung der „Heiden“ und der Feldzug gegen die Sklaverei verlagerte sich von den Plantagen der Amerikas an die Küsten Afrikas, an die Kontaktzonen zwischen europäischen und afri- kanischen Sklavenhändlern in der Umgebung der europäischen Forts und ehemaligen Sklavendepots. Unter den Abolitionisten wuchs die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Durchsetzung des Verbots der Sklaverei und damit ein Ende des Sklavenhan- dels nur möglich waren, wenn den Afrikanern eine lukrative wirtschaftliche Alternative als Ersatz für den Menschenhandel geboten wurde. Hierzu sollten der Anbau und die Vermarktung von agrarischen Exportprodukten, in erster Linie Palmöl, intensiviert werden.2

1 In Großbritannien, der wichtigsten Sklavenhandelsmacht formierte sich Ende des 17. Jahrhundert der Widerstand. Die Befürworter der Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels, die als Abolitionisten bezeichnet werden, gründeten 1787 die Society for the Abolition of the Slave Trade in London. Zu ihnen zählten u.a. William Wil- berforce, Mitglied des britischen Parlaments, Thomas Clarkson, Pastor der anglikani- schen Kirche und Granville Sharp, Musiker und Rechtsanwalt. Siehe ADAM HOCH- SCHILD: Sprengt die Ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei, 2007. Zur Debatte um die Gründe für die Abolition siehe Claus FÜLLBERG-STOLBERG, Katja FÜLLBERG-STOLBERG: The British Abolition of the Slave Trade and of Slavery, in: Hard Times 85, 2009, S. 2-7. 2 Palmöl spielte beim Übergang vom nun als illegitim betrachteten Sklavenhandel zum sogenannten legitimen Produktenhandel (legitimate commerce) eine herausragende Rolle. Allerdings erforderte der Ausbau der Palmölproduktion zusätzliche Arbeits- kräfte, bei denen es sich in der ersten Phase großenteils um Sklaven handelte. Vgl. u.a. Robin Law (Hg.): From Slave Trade to ‚Legitimate‘ Commerce. The Commercial Transition in Nineteenth-Century West , Cambridge 1995 und Trevor R. GETZ: Slavery and Reform in West Africa. Toward Emancipation in Nineteenth- Century Senegal and the Gold Coast, Athens, GA u. Oxford 2004. 38 Katja Füllberg-Stolberg

Thomas Fowell Buxton3 setzte sich in seiner einflussreichen Abhandlung The African Slave Trade and its Remedy für eine neue Afrikapolitik ein, die auf Zivilisation, Christentum und Handel basieren sollte.4 Buxton sah die christli- che Missionierung und „Zivilisierung“ der als rückständig eingestuften afrika- nischen Bevölkerung als wichtige Voraussetzung für die Durchsetzung der Abolition in Afrika. Buxton war überzeugt, Menschen afrikanischer Herkunft seien für diese Aufgabe besonders geeignet, wenn nicht sogar unverzichtbar. Er erklärte: „ […] will have done little for the Blacks, if the abolition of the Slave Trade is not followed up by some wise and grand plan for the civilization of the continent. None presents a fairer prospect than the education of the sons of Africa in their own country, and by their own countrymen previously educated by Europeans. […] I may as well say here, once for all, in our African undertakings, I look to the em- ployment (except in a very few cases) of the negro and coloured race, and that I have reason to believe that well qualified agents of that description may be procured without difficulty.“5 Protestantische Missionsgesellschaften teilten Buxtons Auffassung und schickten christianisierte Afroamerikaner, häufig ehemalige Sklaven und Skla- vinnen, „zurück“ nach Afrika, um dort als „native agents“6 christliche Muster- gemeinden zu gründen und ihren Brüdern und Schwestern Hilfestellung bei der Christianisierung und „Zivilisierung“ des Heimatkontinents zu leisten. Viele dieser „Rückkehrer“ stammten von den unter britischer Herrschaft stehenden Westindischen Inseln. Sie galten als besonders geeignet für diese Aufgabe aufgrund ihrer kulturellen Affinität zu Afrika, ihrer angeblich größe- ren Resistenz gegenüber tropischen Krankheiten und ihren Erfahrungen mit der Emanzipation.

3 Der wohlhabende Geschäftsmann, Politiker und Philanthrop Thomas Fowell Buxton (1786-Febr. 1845) gehörte zu den Mitbegründern der Society for the Abolition of the Slave Trade. 1824 folgte er William Wilberforce als Führer der Abolitionisten im bri- tischen Parlament. 4 Thomas Fowell BUXTON: The African Slave Trade and its Remedy, London 1840. In der englischsprachigen Literatur ist von den drei Cs die Rede: Civilization, Christiani- ty and Commerce. 5 EBD., S. 279, 286f. 6 Buxton and andere britische Abolitionisten verwendeten diese Formulierung. Siehe Bela VASSADY Jr.: Transplanting Prejudices: The Failure of the Baptist Experiment Using Jamaican ‚Native Agents’ in Fernando Po and Cameroons, 1841-1850, in: Car- ibbean Quarterly 25, 1979 (1-2), S. 15-39, hier S. 15. Afroamerikanische Emigration 39

Anfangs war die britische Kronkolonie Sierra Leone Hauptziel der westin- dischen Konvertiten.7 Dort wurden befreite Sklaven, sogenannte recaptives,8 unter der gemeinsamen Schirmherrschaft der britischen Regierung und der Church Society (CMS) in christlichen Gemeinden angesiedelt. Viele von ihnen waren Yoruba aus dem heutigen Nigeria, die als Christen in ihre Heimatregion zurückkehrten, um dort zu missionieren. Das bekannteste Bei- spiel eines erfolgreichen recaptive war Samuel Ajayi Crowther, der 1857 im Auftrag der CMS die Niger Mission im heutigen Nigeria gründete und sieben Jahre später zum ersten schwarzen Bischof der CMS ernannt wurde.9 1839 gründete Buxton die Society for The Extinction of the Slave Trade and the Civilization of Africa, kurz African Civilization Society.10 Die Gesellschaft Ab- schlüsse von Handelsverträgen mit afrikanischen Herrschern und die Einrich- tung einer Handelsflotte zwischen Westafrika und Großbritannien. Ein Team von ‚black agents’ sollte zum Erfolg der Unternehmung beitragen. Die Niger Expedition von 1841 sollte der Ausgangspunkt für die prakti- sche Umsetzung der Ziele der African Civilization Society sein. Es ging um den Abschluss von Anti-Sklaverei Verträgen mit den lokalen Herrschern, die Ein-

7 Nemata Amelia BLYDEN: West Indians in West Africa, 1808-1880. The African Diaspora in Reverse, Rochester, NY 2000. 8 Bei den Recaptives handelte es sich um ca. 6000 befreite Sklaven und Sklavinnen, die nach 1807 durch die britische Marine (anti-slavery squad) vor der westafrikanischen Küste von Sklavenschiffen befreit und in Sierra Leone angesiedelt wurden. Sierra Le- one ging aus einem philanthropischen Emigrationsprojekt britischer Abolitionisten hervor und erhielt 1807 den Status einer britischen Kronkolonie. Siehe Christopher FYFE: A History of Sierra Leone, Aldershot 1993. 9 Der Yoruba Crowther gilt einerseits als Symbol für eine erfolgreiche afrikanische Konversion, andererseits wurde er durch seine enge Zusammenarbeit mit der briti- schen Church Missionary Society (CMS) auch zum Wegbereiter der britischen Kolo- nialherrschaft in Westafrika. Siehe u.a. Lamin SANNEH: The CMS and the African Transformation: Samuel Ajayi Crowther and the Opening of Nigeria, in: Kenneth Ward, Brian Stanley (Hg.): The Church Mission Society and World Christianity, 1799- 1999, Grand Rapids MI 2000, S. 173-197. 10 Sie ist nicht zu verwechseln mit der African Civilization Society von 1858, die in den USA von dem Afroamerikaner Henry Highland Garnet gegründet wurde ebenfalls mit dem Ziel der Evangelisierung und Zivilisierung Afrikas. Hierzu sollte die Baum- wollproduktion gefördert werden, wobei die Afrikaner nicht nur als Arbeitskräfte, sondern auch als Konsumenten von Importwaren gesehen waren. Siehe Floyd J. MILLER: The Search for a Black Nationality. Black Emigration and Colonization 1787-1863, Urbana Il u.a. 1975. 40 Katja Füllberg-Stolberg richtung von Modellfarmen zur Aktivierung von agrarischen Exportproduk- ten und die Etablierung von Missionsstationen. 145 Europäer und fünf Afri- kaner, darunter auch Samuel A. Crowther, nahmen an der Unternehmung teil. Die Expedition endete im Desaster. Von den Europäern erkrankten 130 an Malaria, 40 von ihnen starben. Die britische Regierung, die gemeinsam mit Geschäftsleuten die Expedition großzügig unterstützt hatte, erklärte 1842 das Scheitern der Unternehmung.11 Die Niger Expedition schien zu beweisen, dass die klimatischen Bedingungen in Westafrika für Europäer ungeeignet wa- ren. Dies setzte eine weitere Diskussion über den Einsatz von black agents für die afrikanische Mission in Gang. Es herrschten unterschiedliche Auffassun- gen darüber, welche Gruppe besser für diese Aufgabe geeignet war. Für die westindischen Konvertiten sprach, dass sie mit europäischer Lebensweise ver- traut waren, somit weniger anfällig für einen Rückfall in afrikanische „heidni- sche“ Bräuche seien und deshalb besser zivilisatorisch wirken könnten. Ver- treter der CMS wie beispielsweise Crowther und Johannes F. Schön, der ebenfalls an der Niger Expedition teilgenommen hatte, argumentierten, die Nähe der Westinder zur europäischen Kultur hätte sie zu sehr von den Afri- kanern entfremdet, sie seien zu vorurteilsbelastet gegenüber ihren Brüdern und Schwestern in Afrika. Crowther verwies weiterhin auf die negativen Fol- gen der Versklavung, die die Westinder hatten erdulden mussten: „They carry a recollection of the slave driver’s lashes with them; and many more may harbor a disposition to inflict them on others.“12 Die befreiten Afrikaner, die in Sierra Leone angesiedelt worden waren, hingegen seien – so Schön - am besten geeignet die Christianisierung und damit den sozialen Wandel des afrikanischen Kontinents voranzutreiben: „Their closeness to the people, their natural connections to the culture, [...] qualified them for their pivotal role as agents of social change.“13 Auf den Westindischen Inseln, insbesondere aber in Jamaika, gab es inten- sive Diskussionen über die Einrichtung einer African Mission. Federführend waren Vertreter der Baptist Missionary Society (B.M.S.), die erstmals 1814 Missi-

11 William ALLEN, Thomas R.H. THOMPSON: Narrative of the Expedition to the Niger River in 1841. 2 Vols., London 1848. 12 Journals of the Rev. James Frederick Schön and Mr. Samuel Crowther who, with the Sanction of Her Majesty’s Government Accompanied the Expedition up the Niger in 1841, in Behalf of the Church Missionary Society, London 1842, S. 62f. 13 SANNEH: CMS, S. 186. Siehe auch C.P. GROVES: The Planting of Christianity in Af- rica, Vol. II, 1840-1878, London 1953, S. 23ff. Afroamerikanische Emigration 41 onare auf die Insel entsandt hatte, die sich aktiv an der Sklavenemanzipation beteiligten.14 Nach Ansicht des Missionars John Clarke gab es unter den befreiten chris- tianisierten Sklaven ein großes Interesse an einer Mission nach Afrika. Clarke schrieb über die ehemaligen Sklaven 1839 an Buxton: „The conversion of Africa to God is the theme of their conversation and their prayers, and the object of their most ar- dent desires. “15 Die African Civilization Society hatte daraufhin in Jamaika die Verbindung zwischen den dortigen Baptistenführern und der internationalen Missionsge- meinde in Gestalt von Rev. John Trew, in Kingston hergestellt. Trew war ein ehemaliger Missionar der C.M.S. Er unterhielt gute Kontakte zur B.M.S. und arbeitete als Agent des Mico Trusts16 mit Buxton zusammen. Es war auch Trew, der die Mitglieder der christlichen Gemeinden für die Missionsaufgabe in Afrika mobilisierte. Im Auftrag von Buxton formulierte er 1838 ein Rund- schreiben an alle Missionsgesellschaften mit der Anfrage: „whether trustworthy persons could be found for various departments of our operation.“17 Zur Erkundung der Situation vor Ort unternahmen Clarke und der Arzt G.K. Prince im Auftrag der B.M.S. unabhängig von der Niger Expedition ei- ne Reise an die westafrikanische Küste. Sie erreichten im Januar 1841 die In- sel Fernando Po, von wo aus die Errichtung von Missionsstationen in West-

14 Siehe Catherine HALL: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Im- agination 1830-1867, Chicago u. London 2000, S. 86f. 15 Clarke zitiert in BUXTON: Slave Trade (wie Anm. 4), S. 492f. Die B.M.S. schuf in Ja- maika zur Ausbildung schwarzer Missionare spezielle Einrichtungen wie das Calabar Training Institute. 16 Der Lady Mico Trust war benannt nach der Witwe von Sir Samuel Mico, der 1666 verstarb und in seinem Testament die Summe von 4000 Pfund Sterling hinterließ „to redeem poor slaves.“ Das Geld wurde allerdings zweckentfremdet in Immobilien inves- tiert. 1834, als die Summe 120.000 Pfund Sterling betrug, regte Thomas Fowell Buxton mit Beteiligung der britischen Regierung die Einrichtung eines Trusts an, um mit den Zinserträgen Bildungsinstitute in der Karibik einzurichten. Hierzu zählte auch das Mico Training College in Kingston, Jamaika. Siehe Inez KNIBB SIBLEY: Dic- tionary of Place-Names in , Kingston 1978, S. 108-110. 17 Zitiert in: Horace O. RUSSELL: The Missionary Outreach of the West Indian Church. Jamaican Baptist Missions to West Africa in the Nineteenth Century, New York 2000, S. 77. 42 Katja Füllberg-Stolberg afrika ihren Anfang nehmen sollte.18 Überzeugt vom Gelingen des Projekts, begann Clarke im Juli 1843 in Jamaika für die African Mission zu rekrutieren. Im Dezember 1843 reisten die insgesamt 36 Personen von England aus nach Fernando Po. Finanziert wurde die Reise durch Spenden der Gemeinden in Jamaika und Zuschüsse von der African Civilization Society und der B.M.S. in England. Die potentiellen Siedler und Missionare verfügten nur über sehr vage Vor- stellungen von Afrika und waren unzureichend vorbereitet auf die Unterneh- mung. „Thus Africa was constructed as the heathen place, ready for conversion, and Ja- maica as the Christian country which could offer salvation.“19 Doch die Mission auf Fernando Po scheiterte und drei Jahre später war das Gros der Emigranten zurück in Jamaika. Sie berichteten von rassistischen Übergriffen der Schiffscrew und schlechte Behandlung durch die begleiten- den Missionare nach ihrer Ankunft.20 Nach einem zweiten ebenfalls erfolglosen Versuch in Kamerun 1844 gab die B.M.S. fürs Erste die Idee auf von Jamaika aus Afrika zu „erlösen”.21 Zeitgleich mit den Baptisten begann die Basler Missionsgesellschaft in Ko- operation mit der Herrnhuter Brüdergemeine ebenfalls Westinder für Afrika zu rekrutieren. Noch bevor sich die Baptisten auf den Weg nach Fernando Po machten, traf bereits eine Gruppe westindischer Siedler in Begleitung von mehreren Missionaren an der Goldküste (heutiges Ghana) ein, um die dortige Station der Basler Mission zu unterstützen. Hiermit begann eine langfristig gesehen erfolgreiche Umsetzung der African Mission.

I Die Basler Mission an der Goldküste Eine der wenigen protestantischen Missionsstationen von längerer Dauer in Westafrika war zum Zeitpunkt der britischen Sklavenemanzipation die Station der Basler Missionsgesellschaft an der Goldküste. Seit 1828 waren Missionare auf Bitten des dänischen Königshauses an der von Dänemark kolonisierten Goldküste um das Gebiet von Christiansborg, dem heutigen , aktiv und

18 Die Initiatoren der Niger Expedition hatten den Baptisten die Teilnahme verweigert. VASSADY: Transplanting Prejudices (wie Anm. 6). Siehe auch RUSSELL: Missionary Outreach (wie Anm. 17). 19 HALL: Civilising Subjects (wie Anm. 14), S.147. 20 Vgl. VASSADY: Transplanting Prejudices (wie Anm. 6), S. 15-39 und RUSSELL: Mis- sionary Outreach (wie Anm. 17). 21 HALL: Civilising Subjects (wie Anm. 14), S. 147. Afroamerikanische Emigration 43 engagierten sich vor allem im Schulwesen für die Kinder der dänischen Kolo- nialbeamten und Kaufleute sowie der afrikanisch-dänisch stämmigen „Atlan- tikkreolen“. Die Mission begnügte sich aber nicht damit, nur den bereits christianisierten und europäisierten Bevölkerungsteil zu erreichen, sondern strebte auch die Evangelisierung der übrigen Bewohner an. Doch die Mission stand unter keinem guten Stern. Von den sieben Missio- naren, die zwischen 1828 und 1835 eintrafen, überlebte nur die ersten drei Jahre.22 Nach dem erfolglosen Versuch eine Station an der Küste zu etablieren, begab sich Riis 1835 in das Landesinnere und versuchte, zirka 35 Kilometer von der Küste entfernt, am Rande des Ortes Akropong in der klimatisch gesünderen Region Akuapem einen Neuanfang. Abgesehen vom Klima gab es weitere Gründe, die für Akropong sprachen. Da war zum einen George Lutterodt, ein erfolgreicher Geschäftsmann aus einer Dänisch- Afrikanischen Familie, der Handelsbeziehungen nach Akropong unterhielt und Riis bereits zuvor unterstützt hatte.23 Zum anderen dürfte auch Paul Erdmann Isert Riis Entscheidung beeinflusst haben. Isert hatte als Arzt auf einem Sklavenschiff in den 1770er-Jahren die Gräuel des Sklavenhandels mit- erlebt und nach Quittierung seines Dienstes Reisen in das Innere Westafrikas unternommen und u. a. Akropong besucht. 24 Der Ort schien ihm geeignet, seine Idee von einer christlichen Plantagenkolonie in die Tat umzusetzen. In dieser „Kolonie“ sollten ehemalige Sklaven Land erhalten, um in eigener Ver- antwortung Produkte für den Export anzubauen. Die Herrnhuter Brüderge- meine sollte die Kolonie spirituell begleiten. Der Vorschlag von Isert fand die Unterstützung von Ernst von Schimmelmann, einem der Direktoren der Guinea Company und dem dänischen König, der Isert per Proklamation zur Gründung einer Plantage an der Goldküste ermächtigte. Der plötzliche Tod

22 Die Anfänge der Basler Mission an der Goldküste sind ausführlich dokumentiert bei Wilhelm SCHLATTER: Die Geschichte der Basler Mission in Afrika, 1815–1915. Mit besonderer Berücksichtigung der ungedruckten Quellen. Teil III, 1916 und Hans-Werner DEBRUNNER: Anfänge evangelischer Missionsarbeit auf der Goldküste bis 1828, in: Evangelisches Missions-Magazin 98 (1-2), 1954, S. 18-26, 49-56. 23 Als Riis schwer erkrankte und die europäische Medizin nicht half, vermittelte Lut- terodt ihn an einen afrikanischen Heiler, der dem Missionar offenbar das Leben rette- te. 24 S.A. WISNES: Letters on West Africa and the Slave Trade. Paul Erdmann Isert’s Journey to Guinea and the Islands in Columbia, 1788, Oxford 1992. 44 Katja Füllberg-Stolberg von Isert 1789 brachte das Projekt zum Stoppen. 1794 wurden die Pläne end- gültig aufgegeben.25 Riis konnte also an die früheren Siedlungspläne anknüpfen und auch auf die notwendige Erlaubnis für die Unternehmung durch den dänischen König hoffen. In Akropong ging der Aufbau der Missionsstation nur schleppend voran, trotz der freundlichen Aufnahme durch Nana Addo Dankwa, den lokalen Herrscher, der Riis Land zur Verfügung stellte. Die Bevölkerung verhielt sich sehr zurückhaltend gegenüber Riis Missionierungsbestrebungen. Dies lag auch daran, dass Riis in einer unruhigen Zeit in die sozial und politisch sehr heterogene Region26 gekommen war. Dynastische Auseinandersetzungen sorgten für interne Spannungen, und der mächtige Nachbar, das Asante Reich, bedrohte die politische Unabhängigkeit Akuapems. Hinzu kamen die wachsenden Rivalitäten zwischen Dänen und Briten, die sich nach dem Ver- bot des transatlantischen Sklavenhandels vor allem auf den Handel mit Palm- öl konzentrierten und versuchten ihren wirtschaftlichen und politischen Ein- fluss in der Region auszubauen.27

25 Isert war auch Botaniker und ein Anhänger von Jean Jacques Rousseau. Siehe Hans- Werner DEBRUNNER: Ein Rousseau-Schüler in Afrika, in: Evangelisches Missions- Magazin 104 (2), 1959, S. 80-84. Zur Familie Schimmelmann siehe Christian DEGN: Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel. Gewinn und Gewissen, Neu- münster 1974. 26 Während in Akropong sprechende und matrilinear organisierte Akan siedelten, überwog in den Nachbarorten eine Guan sprechende Bevölkerung, die patrilineare Erbfolge praktizierte. Akuapem war in den 1730er Jahren von Akan gegründete wor- den, die ihre Herrschaft über die einheimischen Guan in den Folgejahren ausbauten. Zur Geschichte von Akuapem vgl. Michael A. KWAMENA-POH: Government and Politics in the Akuapem State, 1730–1850, London 1973; John MIDDLETON: One Hundred and Fifty Years of Christianity in a Ghanaian Town, in: Africa 53, 1983, S. 2–17; Michelle GILBERT: ‚No Condition is Permanent’: Ethnic Construction and the Use of History in Akuapem, in: Africa 67 (4), 1997, S. 501-533. 27 Dänemark errichtete in den 1660er-Jahren das erste Fort in Christiansborg. Großbri- tannien war die durch die Royal Africa Company seit den 1670er-Jahren an der Goldküste präsent waren und operierte von Castle aus. 1851 übernah- men die Briten die dänischen Besitzungen an der Goldküste. Siehe Per HERNAES: Slaves, , and African Coast Society, Trondheim 1995. Zu den Anfängen der Basler Mission in Akropong siehe auch Katja FÜLLBERG-STOLBERG: „Ein Sauerteig christlichen Lebens in der Masse afrikanischen Heidentums.“ Westindische Konverti- ten an der Goldküste, 1843-1855, in: Rebekka Habermas, Richard Hölzl (Hg.), Missi- Afroamerikanische Emigration 45

1836 erhielt Riis Unterstützung durch die Ankunft seiner zukünftigen Frau Anna Wolter und zwei Missionaren, die aber beide innerhalb kurzer Zeit ver- starben.28 Trotz großer Bemühungen konnte Riis in den folgenden Jahren keinen einzigen afrikanischen Konvertiten vorweisen. Das Missionskomitee in Basel begann an der Weiterführung Mission zu zweifeln und beorderte Riis 1840 zum Rapport nach Basel. Auf der Rückreise machte Riis Station in London und nahm am ersten Jah- restag der Gründung der African Civilization Society teil. Er nutzte die Veran- staltung zum Erfahrungsaustausch mit Kollegen und erkannte die Möglichkeit sein persönliches Anliegen, die Fortführung der Mission in Akropong, mit dem wachsenden allgemeinen Interesse an der Christianisierung und Aboliti- on in Afrika zu verbinden. Im Komitee der Basler Missionsgesellschaft hatte man die Diskussion um die African Mission intensiv verfolgt, ohne sich aktiv daran zu beteiligen. Doch nach ausführlicher Befragung von Riis nahmen die Mitglieder des Komitees die Idee der Afrikamission“ auf und stimmten am 17. Februar 1841 für eine Fortsetzung der Mission in Akropong und der Gründung einer „christlichen Negerkolonie“ vor Ort durch die „Wiederansiedlung“ von christianisierten Afrikanern. Inspektor Wilhelm Hoffmann29 nutzte die Gelegenheit, explizit auf die Be- deutung der Missionsarbeit an der Goldküste für die Abolition hinzuweisen. Er erklärte, „[...] [D]ie Weiterführung der Goldküstenmission sei auch notwendig um des Skla- venhandels willen. Die Mission sollte den geflohenen Sklaven im Land selbst ein Asyl bieten. Sie sollte auch den einheimischen Königen und Häuptlingen eine viel fruchtbarere Verwendung der Menschenkräfte im Land selbst vor Augen führen. Hoffmann dachte dabei an „einheimische Tabak- und Baumwollpflanzungen, die im Besitz der Afrikaner sein sollten.“30

on global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln u.a. 2013, S. 31-57 (im Druck). 28 Kofi NKANSA-KYEREMATENG: The Presbyterian Church of Ghana (P.C.G.). History and Impact, Accra 2003, S. 42. 29 Wilhelm Hoffmann bestimmte von 1839 bis 1850 als Inspektor die Geschicke der Basler Missionsgesellschaft. Hier gibt es Parallelen zu Paul Erdmann Iserts Planta- genkolonie. 30 Archiv Mission 21/Basler Mission (ABM), D-10.1,5a, Hans HUPPENBAUER: Arbeit der „Westinder“ auf der Goldküste, 1843, S. 5. 46 Katja Füllberg-Stolberg

Im Mittelpunkt des Interesses stand aber für das Komitee die Frage, „was ge- tan werden konnte, um die Mission unter den besonderen Umständen der Goldküste mit ihren gesundheitlichen Gefahren für die Europäer und dem schweren Eingang bei den Heiden über den toten Punkt hinweg zu einem Neuanfang zu verhelfen.“31 Ein Haupthindernis schien „[D]er große Abstand zwischen dem christlichen Europäer und dem heidnischen Neger zu sein. Das Bindeglied müßte sein eine christliche Negerfamilie oder eine kleine Negergemeinde. So eine Gemeinde von eingeborenen Christen wäre die beste Widerlegung des Einwandes, das Christentum sei eben die Religion der Europäer und passe nicht zu den Negern. Die schwarzen Christen könnten auch ganz anders als die Europäer den missionarischen Auftrag unter ihren Volksgenossen ausrichten. Sie könnten auch den Missionaren manche äußeren Arbeiten abnehmen, die der Gesundheit der Europäer nach bisheriger Erfahrung abträglich sind.“32 Das Interesse der Basler an der Aufrechterhaltung ihrer Mission an der Gold- küste war allerdings nicht vorrangig vom Abolitionsgedanken geprägt als vielmehr von der befürchteten Konkurrenz durch die britischen Wesleyan Me- thodists, die seit 1835 an der Goldküste präsent waren und 1838 mit der Ent- sendung des schwarzen Missionars Thomas Birch Freeman der Idee einer af- rikanischen Mission Nachdruck verliehen.33 Auf der Suche nach geeigneten Kandidaten plante das Komitee ursprüng- lich, sich an die CMS in Sierra Leone zu wenden. Man nahm dann Abstand von der Idee, da angeblich die anglikanische Gottesdienstform nicht zur Bas- ler Missionsgemeinde an der Goldküste passe. Im Mittelpunkt stand jedoch die Befürchtung, die CMS würde ihre fähigsten Konvertiten nicht der Basler Konkurrenz zur Verfügung stellen. Die Basler wendeten sich stattdessen an die alteingesessene Herrnhuter Brüdergemeine, die seit 1732 zahlreiche Missionen in der Karibik unterhielt,

31 EBD. 32 SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 32f. 33 Freemans Mutter war Engländerin, sein Vater wahrscheinlich ein Sklave, der auf ei- ner Plantage auf der Karibikinsel St. Vincent aufwuchs und schließlich nach England gelangte. Siehe Ray JENKINS: ‚West Indian‘ and ‚Brazilian‘ Influences in the Gold Coast-Ghana, c. 1807-1914. A Review and Reappraisal of Continuities in the Post- Abolition Links between West Africa and the Caribbean and Brazil. Paper Presented to the Twelfth Annual Conference of the Society for Caribbean Studies 12-14 July, 1988, Hoddesdon, Hertfordshire, UK. Afroamerikanische Emigration 47 und der man sich sehr verbunden fühlte.34 Die Herrnhuter beteiligten sich in Jamaika, wo sie ihre Missionstätigkeit 1758 aufgenommen hatten, an der Dis- kussion um die African Mission, ohne dass sie als überzeugte Abolitionisten aufgetreten wären.35 Bereits 1835 gab es Pläne „for training native missionar- ies and teachers for needy Africa. “36 Jacob Zorn, der Leiter der Mission in Jamaika, der die Idee der Christiani- sierung Afrikas durch schwarze Missionare nachdrücklich unterstützte, über- legte 1840 eine Manual Labour and Training School zu eröffnen, doch das Pro- jekt verlief im Sande.37 Aber die Herrnhuter waren bereit, die Basler bei der Rekrutierung von westindischen Christen tatkräftig zu unterstützen. Sie machten zur Bedingung, dass Riis persönlich nach Jamaika reisen solle, um sich an den Auswahlgesprächen zu beteiligen und um einen Eindruck von den Lebensumständen der potentiellen Siedler zu bekommen. Außerdem musste die Zustimmung der britischen bzw. dänischen Verwaltungen einge- holt werden.38 Dies erwies sich als schwierig und gelang erst, nachdem Peter Latrobe, der Sekretär der in London, direkt mit dem briti- schen Kolonialminister konferierte und Thomas Buxton bei der zögerlichen dänischen Regierung intervenierte. Im Mai 1842 traten Andreas Riis und seine Frau sowie die Missionare Georg Widmann und George Thompson, der aus Liberia stammte,39 ihre Rei- se in Richtung Westindische Inseln an. Erste Anlaufstelle war Antigua, wo

34 Im englischen Sprachgebrauch heißen die Herrnhuter Moravians nach ihrem Ur- sprung in Mähren. Zur ihrer Geschichte in Jamaika siehe Heinrich BUCHNER: The Moravians in Jamaica, London 1854. Zum Verhältnis der Herrnhuter zur Sklaverei und zur Emanzipation siehe Claus FÜLLBERG-STOLBERG: The Moravian Mission and the Emancipation of Slaves in the Caribbean, in: Ulrike Schmieder, Katja Füll- berg-Stolberg, Michael Zeuske (Hg.): The End of Slavery in Africa and the Americas. A Comparative Approach, Berlin 2011, S. 79-100. 35 Die Herrnhuter Brüdergemeine befürwortete lediglich Reformen zur Verbesserung der Lage der Sklaven/innen. 36 BUXTON: Slave Trade (wie Anm. 4), S. 516. 37 J.E. HUTTON: A History of Moravian Missions, London 1923, S. 217-219. 38 Die Herrnhuter befürchteten, die Emigranten könnten in Westafrika gekidnappt und als Sklaven verkauft werden. SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 33. 39 Thompson hatte in Liberia eine Schule der CMS besucht und war nach Schließung der Missionsstation von dem deutschen Missionar J.F. Sessing im Alter von 10 Jah- ren nach Deutschland gebracht und später in Basel ausgebildet worden. 1837 schloss er sich der Basler Mission an und wurde ihr erster afrikanischer Missionar. 48 Katja Füllberg-Stolberg sich lediglich ein geeigneter Kandidat der Gruppe anschloss. Zwei weitere Zwischenstopps gab es auf Wunsch des dänischen Königs in St. Thomas und St. John,40 deren Herrnhuter Gemeinden auf die Ankunft der Basler Delega- tion aber nicht vorbereitet waren. Schließlich traf die Gruppe im Oktober 1842 in Jamaika ein.

II Rekrutierung in Jamaika Die Ältestenkonferenz der Herrnhuter Brüdergemeine hatte Jacob Zorn, be- auftragt, in den einzelnen Gemeinden Freiwillige für den Dienst in Afrika zu rekrutieren. Zorn unterstützte das Ansinnen, teilte aber mit vielen seiner Kol- legen die Skepsis, ob sich in den einzelnen Gemeinden genügend Kandidaten finden ließen. Das Ehepaar Riis, Widmann und Thompson fanden freundliche Aufnahme in Jamaika. Die drei Männer bereisten die Insel, predigten in zahlreichen Ge- meinden und erläuterten das Projekt. Die internationale Unterstützung fan- den sie auch bei Rev. J. Miller, dem Vertreter der African Civilization Society in Jamaika. Miller stellte finanzielle Mittel zur Verfügung, um Erkundungstouren per Maulesel zu ermöglichen. Schilderungen über den Aufenthalt in Jamaika erschienen im Evangelischen Heidenboten, ohne dass die drei Missionare ex- plizit zur African Mission Stellung nahmen.41 Obwohl Jacob Zorn nach Ansicht der Basler gute Vorarbeit geleistet hatte, gestaltete sich die Rekrutierung geeigneter Kandidaten und Kandidatinnen schwierig. Eines der Probleme war es, vollständige Familien zu finden, die gemeinsam nach Afrika emigrieren bzw. „zurückkehren“ wollten. Dadurch sollte die Gründung einer christlichen Gemeinde von Beginn an gewährleistet sein.42 In den Auswahlgesprächen, die Riis und Widmann gemeinsam mit den Herrnhuter Brüdern führten und an denen sich häufig auch Rev. Miller betei- ligte,43 stellten sich viele der Ausreisewilligen als ungeeignet heraus, da sie den anspruchsvollen Auswahlkriterien der Basler Missionare nicht genügten.

40 Beide Inseln gehörten zu den dänischen Besitzungen in der Karibik. 41 Der Evangelische Heidenbote war die zentrale Publikation der Missionsgesellschaft zu Basel, in der über die weltweiten Missionsaktivitäten berichtet wurde. 42 ABM D-10.27, 8. „Andreas Riis. A diary based on original sources in the Basel ar- chive.“ By Hans Debrunner, 1983. Typescript copy, 65pp. 43 J. Noel SMITH: The History of the Presbyterian Church in Ghana, 1835-1960, Accra 1966, S. 37. Afroamerikanische Emigration 49

Die Mehrzahl von ihnen waren ehemalige SklavInnen von den Plantagen im Westen der Insel, die sich den Herrnhutern angeschlossen hatten und in deren Gemeinden lebten. Viele verfügten nicht über die gewünschte Berufs- ausbildung, andere erfüllten nicht die religiösen Kriterien wie „Festigkeit im Glauben“. Auch die Gründe für die „Rückkehr“ nach Afrika wurden intensiv hinterfragt, wobei Unzufriedenheit mit der familiären oder wirtschaftlichen Situation kein ausreichender Anlass für das Verlassen der Insel war. Ausgewählt wurden schließlich sechs Ehepaare mit ihren acht Kindern, sowie drei junge Männern und die Schwester eines der Familienväter. Unter ihnen befanden sich Farmarbeiter, ein Böttcher, ein Rumdestillateur (rum des- tiller), ein Zimmermann und ein Lehrer.44 Das Ehepaar John und Mary Hall mit ihrem Sohn Andrew entsprach am ehesten dem Idealbild des „christlichen Negers als Missionsgehülfe für Afri- ka“.45 John Hall, der auf einer Plantage aufwuchs, war den Herrnhutern durch seinen unermüdlichen Eifer, seine Demut und Anspruchslosigkeit aufgefallen. Seit 1840 war er als „Nationalhelfer“ in der Gemeinde Irwin Hill tätig.46 Im November 1842 verabschiedete er sich gemeinsam mit seiner Frau von den Gemeindemitgliedern. In seiner Abschiedsrede, die von großem Gottvertrau- en zeugte, sagte Hall: „Ich gehe jetzt nach Guinea. Ich fürchte mich nicht, euch zu verlassen; ich fürchte mich nicht, über das große Wasser zu gehen; ich fürchte mich nicht unter den Wil- den in Afrika zu wohnen; ich fürchte mich nicht, wenn ich auch Noth und Kummer und Mangel aller Art zu ertragen bekommen sollte, ja ich fürchte mich nicht, wenn

44 Die „Rückkehrer“ waren John und Mary Hall mit Sohn, John und Mary Rochester mit zwei Kindern, Ann Rochester, die Schwester von John, Joseph und Catherine Miller mit drei Kindern, James G. und Margarethe Mullings mit Tochter, John Edward und Sarah Walker, James und Catherine Green, - Thompson und die drei Junggesellen David Robertson, Alexander Worthy Clerk und Jonas Hosford (aus Antigua). ABM, D-1,2 I. Nr. 15, Namensverzeichniß der von Ja- maica nach der Goldküste ausgewanderten Negergeschwister 1843. 45 Nachrichten aus der Brüdergemeine 1845, S. 210. 46 EBD., S. 211. Als Nationalhelfer bezeichneten die Herrnhuter Einheimische in den Missionsgebieten, die dem Missionar assistierten und „insbesondere auf die christli- che Lebensführung der Getauften zu achten hatten.“ Siehe Paul PEUKER: Herrnhuter Wörterbuch. Kleines Lexikon von brüderischen Begriffen, Herrnhut 2000, S. 32. Bei Halls Frau Mary wurden ihre Liebenswürdigkeit und ihr sanfter Charakter hervorge- hoben. 50 Katja Füllberg-Stolberg

sie mich auch wieder zum Sklaven machen, - denn mit mir ist der Herr, liebe Brüder [...]“47 Das Bild von Afrika als einem „Wilden“ bewohnten Kontinent, wie es Hall zeichnete, entsprach den Vorstellungen der Mehrheit der Jamaikaner von Af- rika. Es war daher auch nicht verwunderlich, dass es in vielen Familien starke Bedenken gegen eine Übersiedlung auf den Kontinent der Vorfahren gab und zahlreiche Interessierte sich schließlich dagegen entschieden. Aber es gab auch familiäre Bindungen zur Goldküste. Drei „Rückkehrer“ hatten Informationen, dass ein Elternteil von ihnen aus Akuapem stamme. 48 Das deutet auf emotionale Verbindungen mit der Goldküste hin, die, so Ray Jenkins „transcended the vague notion of an ‚unattainable‘ ‚Zion‘.“49 Die potentiellen Siedler erhielten keinen Missionierungsauftrag und keiner von ihnen hatte den Status eines Missionars, wenngleich in der zeitgenössi- schen Literatur immer wieder von westindischen Missionaren die Rede ist. Sie sollten vielmehr der afrikanischen Bevölkerung als christliche Vorbilder die- nen und die Missionare vor allem bei der praktischen Arbeit unterstützen. Auf Drängen der Herrnhuter Missionare wurde ein Vertrag zwischen den Westindern und der Basler Missionsgesellschaft abgeschlossen, der die Rechte und Pflichten beider Seiten regelte. Darin verpflichtete sich die Mission in den beiden Anfangsjahren für alle Ausgaben der Siedler aufzukommen, die als Gegenleistung wiederum Arbeit für die Mission leisten sollten. Nach fünf Jah- ren bestand für alle die Möglichkeit zurückzukehren.50 Einen Sonderstatus innerhalb der Siedlergruppe nahm Catherine Mulgrave ein, deren Name im Vertrag nicht erwähnt wurde. Sie war 1833 als Kind von einem vor der Küste Jamaikas gestrandetem Sklavenschiff gerettet und in den Haushalt des britischen Gouverneurs Mulgrave gebracht worden. Als der Gouverneur mit seiner Frau ein Jahr später die Insel verließ, gab er das etwa

47 John Hall zitiert in deutscher Übersetzung in: Nachrichten aus der Brüdergemeine 1845, S. 213. 48 Es handelte sich um John Hall (geb. 1801), John Rochester (geb. 1812) und Mary Miller (geb. 1810). 49 JENKINS: West Indian (wie Anm. 33), S. 6. 50 ABM D-10.3,4 „Agreement between the Basle Missionary Society and the Christian Brethren & Sisters, who are about to go from Jamaica to West Africa in Company of Br. Riis, Widmann und Thompson, 4.1.1843.“ Das Dokument liegt auch in einer deutschen Fassung vor. Der Vertrag wurde von Riis, Widmann und Thompson als Vertreter der Basler Missionsgesellschaft und von Jacob Zorn im Namen der West- inder unterschrieben. Afroamerikanische Emigration 51 zwölfjährige Mädchen in die Obhut der Herrnhuter Brüdergemeine auf der Insel. Catherine besuchte die Missionsschule und machte eine Lehrerinnen- ausbildung. Als 1842 Andreas Riis und seine Kollegen in Jamaika eintrafen, unterrichtete sie am Mico College in der Hauptstadt Kingston. 1843 heiratete sie noch in Jamaika George Thompson, einen aus der Grup- pe der Missionare. Hauptgrund für die schnelle Eheschließung war die Devise der Herrnhuter und Basler Missionare keine alleinstehenden Frauen an die Goldküste zu entsenden. Ob die Eheschließung auch dem Wunsch von Cat- herine Mulgrave entsprach, bleibt Spekulation. Es liegt nahe, dass die Missio- nare sie mit leichtem Druck zu dieser Ehe überredeten.51 Auch George Thompsons Meinung über seine Heirat ist nicht überliefert. Als Ehefrau eines Missionars genoss Catherine Mulgrave-Thompson einen höheren sozialen Status im Vergleich zu den übrigen Emigranten.

III Die „Rückkehr“ nach Afrika. Das Leben in Akropong Im April 1843 nach einem kurzen Aufenthalt an der Küste erreichten die westindischen Siedler schließlich Akropong.52 Die Station war in schlechtem Zustand. Es fehlte an Unterkünften für die Neuankömmlinge, die Steinhäu- ser, die Riis hatte errichten lassen, waren großenteils zerstört.53 Die ersten Eindrücke der Westinder von Westafrika und Akropong sind nicht überliefert. Doch zeigten sich die Neuankömmlinge entschlossen, ihr neues Leben selbstständig zu gestalten. Catherine und George Thompson verließen Akropong und wurden mit dem Aufbau der Schule in Osu nahe Christiansborg betraut. Der Lehrer Ale- xander Clerk, der in Jamaika an der Schule in Fairfield unterrichtet hatte, ar-

51 Das genaue Geburtsjahr von Catherine Mulgrave lässt sich nicht feststellen. Sie wur- de zwischen 1822 und 1827 geboren wurde. Zu Mulgraves Lebenslauf sie u.a. Mau- reen WARNER-LEWIS: Catherine Mulgraves’s Unusual Transatlantic Odyssey, in: Ja- maica Journal 31 (1-2) 2008, S. 32-4; Dagmar KONRAD: Missionsbräute. Pietistinnen des 19. Jahrhunderts in der Basler Mission, Münster u.a. 2001, S. 235-251; Ulrike SILL: Encounters in Quest of Christian Womanhood. The in Pre- and Early Colonial Ghana, Leiden u. Boston 2010, S. 110-132. 52 Zum Ablauf der Reise siehe Evangelischer Heidenbote, Nr. 10, Oktober 1843, S. 83. Brief von Riis vom 4.5. 1843. 53 Zur Rolle von Riis als Baumeister in Akropong siehe Paul JENKINS: The Scandal of Continuing Intercultural Blindness in Mission Historiography: The Case of Andreas Riis in Akwapim, in: International Review of Mission 87, 1998, S. 67-76. 52 Katja Füllberg-Stolberg beitete zuerst an der Schule in Osu und leitete seit 1851 mit großem Erfolg die Jungenschule in Akropong. Die Mehrzahl der Westinder fanden im landwirtschaftlichen Bereich ihre Tätigkeitsfelder. Sie hatten neben Mangos und Birnen, Setzlinge von coco- yams54 und Kaffee und verschiedenes anderes Saatgut aus Jamaika mitge- bracht. Auch Werkzeuge und landwirtschaftliche Geräte, sowie einige Pferde und Maulesel, die die Strapazen der Reise überlebt hatten, wurden nach Ak- ropong transportiert.55 Die Familienväter John Hall und John Rochester konzentrierten sich auf den Anbau von Nahrungsmitteln und versuchten innovative Agrartechniken und schädlingsresistentes Saatgut bei der einheimischen Bevölkerung einzu- führen. Es ging nicht nur um die Versorgung der Station, sondern auch um den Verkauf auf den Märkten der Umgebung. Als Erfolgsprodukt erwies sich Kaffee, der in Jamaika eine lange Anbautradition hatte. Langfristiges Ziel war die Intensivierung der Produktion von cash crops, um damit den finanziellen Etat der Mission aufzustocken und Arbeitsplätze für die afrikanischen Kon- vertiten zu schaffen. 1854 errichtete die Basler Mission ihre erste Handelssta- tion in Christiansborg, von wo aus Kaffee aus Akropong nach Europa expor- tiert wurde.56 Einige der westindischen Frauen fanden Beschäftigung in den Missionars- haushalten wie z. B. Anne Rochester, die Schwester von John Rochester, die für Rosine Widmann arbeitete,57 während Rochesters Frau Mary mit der Pro- duktion von Erdnussöl zum Familieneinkommen beitrug.58

54 Cocoyams sind weniger anspruchsvoll als Yamwurzeln, aber auch nicht so nährstoff- reich. Sie eignen sich gut zur Ergänzung der knappen Nahrungsmittel vor der nächs- ten Ernte. Angeblich haben die jamaikanischen Siedler die cocoyams nach Ghana ge- bracht. 55 Die starke Verbreitung der Tsetsefliege machte den Einsatz von Pferden und Maul- eseln aber auf Dauer unmöglich. 56 Im selben Jahr traf Hermann Rottman als Leiter Basler Missionshandelsgesellschaft an der Goldküste ein. Vgl. Giorgio MIESCHER: Hermann Ludwig Rottmann: zu den Anfängen der Basler Missionshandelsgesellschaft in Christiansborg, Ghana, in: Lilo Roost, Ann Mayor, Dag Henrichsen (Hg.): Brücken und Grenzen. Werkschau Afri- kastudien 2, 1999, S. 345–362 57 Georg Widmann heiratete 1847 in Akropong Rosine Binder, die wie er aus Württem- berg stammte. 58 Sie war angeblich die erste, die in Akuapem Erdnussöl herstellte. Afroamerikanische Emigration 53

Die vielfältigen Aktivitäten der Westinder und ihre weitgehend problemlose Akklimatisierung59 konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass es erheblich Spannungen im Zusammenleben von Siedlern und Missionaren gab. Die Mis- sionare beklagten sich über die „westindischen Negergeschwister“, die ihrer Meinung nach zu unstet, wehleidig und zu wenig belastbar waren, aber gleich- zeitig überzogene Forderungen stellten und den Missionaren nicht zuarbeite- ten. Diese Einschätzung ist auch dokumentiert in Schlatters offizieller Ge- schichte der Basler Missionsgesellschaft: „Die Westindier erwiesen sich eben auch als Neger. In der äußeren Arbeit boten sie den Missionaren nicht die Hilfe, die man erwartet hatte. Sie bedurften der ständigen Anleitung und Aufsicht in der Arbeit [...] Auch als Christengemeinde entsprachen sie nicht dem Ideal, das man sich von einer solchen Gemeinde gemacht hatte. Man- cherlei Unzufriedenheit, Gleichgültigkeit, Trägheit und mangelnder Ernst in der Nachfolge Jesu trat zutage. [...] Die Westindier fanden auch nicht den rechten Kon- takt mit der einheimischen Bevölkerung. Sie schauten auf die Neger herab und stell- ten sich gerne in die gleiche Linie mit den Europäern.“60 Die Basler pflegten keinen offenen Rassismus wie die Baptisten, die bei der Rekrutierung für ihre Mission in Fernando Po bei den Westindern nach Haut- farbe zwischen Coloreds (Creoles/Farbigen) und Blacks (Africans/Schwarzen) unterschieden. Während die Coloreds als native agents, als Lehrer und Missionare rekrutiert wurden, standen für die Schwarzen nur Tätigkeiten als einfache Ar- beitskräfte zur Verfügung.61 Die Missionare der Basler Mission betrachteten die Westinder als Gruppe, unabhängig von der Schattierung ihrer Haut, die nicht auf eine Stufe mit den Afrikanern gestellt wurde. Man unterschied genau zwischen Afrikanern, die immer wieder als rückständig und abergläubisch geschildert wurden, und den anderen Schwarzen, die außerhalb Afrikas aufgewachsen waren. Deutlich wird das im Fall von George Thompson, dessen afrikanische Herkunft, sein „Africanness“ die Missionare für sein Fehlverhalten verant- wortlich machten.62 Thompson wurde der wiederholten Untreue, des Alko-

59 In den ersten Jahren gab es nur einen Todesfall unter den Westindern. Es handelte sich um David Robertson, der kurz nach der Ankunft in Akropong verstarb. 60 SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 36. 61 VASSADY: Transplanting Prejudices (wie Anm. 6), S. 20. 62 SILL: Encounters (wie Anm. 51), S. 119. 54 Katja Füllberg-Stolberg holmissbrauchs und fehlender Reue bezichtigt. Mit Zustimmung der Mission reichte Catherine Mulgrave Thompson schließlich 1849 die Scheidung ein.63 George Thompson musste die Mission verlassen, über sein weiteres Leben liegen nur wenige Informationen vor. Er ging er nicht zurück nach Liberia, wie die Missionare zuerst vermuteten, sondern blieb an der Goldküste und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten für lokale Geschäftsleute über Wasser. Er heiratete eine Frau aus Labadi64, mit der er neun Kinder hatte, von denen sechs früh verstarben. Die Lage der Familie verbesserte sich als ein Onkel der Frau ihnen ein unbewohntes Haus in Accra überließ. Thompson besuchte sporadisch den Gottesdienst und ließ seine Kinder taufen. In Krisenzeiten versuchte er Kontakt zu den Basler Missionaren aufzunehmen, von denen einige ihn auch kurzfristig unterstützten.65 Missionar Haas traf im April 1858 auf einer Reise an die Küste „den unglücklichen Thompson, der nach der Rückkehr in sein afrikanisches Vater- land in große Sünden verfiel und als erstorbenes Glied vom Leibe der Mission abge- schnitten werden mußte. [Ich habe] den unglücklichen Menschen [...] noch immer in unbußfertigem Zustand und in alten Sündenstricken getroffen.“66 Thompson kann als tragischer Fall angesehen werden, wie Dagmar Konrad darlegt: „Mit dem Übertritt zum Christentum hat er sich von seiner eigenen Kultur losge- sagt, als Schwarzer unter weißen Missionaren ist er aber im Grunde genommen ein Mensch zweiter Klasse und findet nicht die gleiche Anerkennung wie seine weißen Glaubensbrüder [...] .“67 Ganz anders fällt die Beurteilung der Afrikanerin Catherine Mulgrave durch die Mission aus. Dank ihrer Jahre in Jamaika in der Obhut der Herrnhuter

63 ABM D-1,3 Accra 1849 Nr. 7, 10.07.1849, Ussu, Scheidebrief von Catherine Elisa- beth Thompson. 64 Labadi ist heute ein Stadtteil von Accra. 65 Die Informationen stammen aus einem Brief von Thompson an Inspektor Josen- hans, den er mit „Innig geliebter Vater“ tituliert und sich selbst als „Ihr Pflegesohn“ bezeichnet. ABM Brüderverzeichnis (BV), Personalakte George Thompson, Brief vom 9.6.1876. 66 Evangelischer Heidenbote, Nr. 11, November 1858, S. 97. Zu einer positiven Ein- schätzung kommt Fred Agyemang, der allerdings keine Belege für seine Behauptung anführt: „As for George Thompson, the Basel archival records and my own research show that he lived very happily in Labadi with a La lady in that town.“ Fred AGYE- MANG: Our Presbyterian Heritage, Accra 2005, S. 95. 67 KONRAD: Missionsbräute (wie Anm. 51), S. 243. Afroamerikanische Emigration 55 und ihrer westlichen Bildung gelang es ihr die Attribute des Afrikanischen ab- legen. Sie wurde wegen ihrer Frömmigkeit, ihrer Sanftmütigkeit und ihrer Selbstaufopferung für die Mission, als Mutter und Lehrerin zur weiblichen Ikone der Mission stilisiert. Die Westinder beklagten sich zunehmend bitter über ungerechte Behand- lung und die schlechte Bezahlung für ihre Tätigkeiten.68 Insbesondere die Vertragsklausel, die die Westinder verpflichtete einen Teil ihrer Arbeitszeit dem Allgemeinwohl der Mission zur Verfügung zu stellen, war Grund für Klagen. Johannes Dieterle vermerkte in seinen Lebenserinnerungen: „In dieser Zeit, besonders in der Karwoche 1847, brach unter den Westindiern eine große Unzufriedenheit aus, die die festliche Stimmung sehr störte. Mit großer Ge- reiztheit forderten sie von uns mehr Lohn, den wir ihnen im Augenblick nicht ge- währen konnten.“69 Als nach fünf Jahren, 1848, die Möglichkeit der Rückkehr anstand, mussten die Missionare, die auf die Arbeitskraft der Siedler angewiesen waren, alle Überredungskunst aufbieten, um das Verbleiben der Westinder und damit auch den Fortbestand der Mission zu sichern. Finanzielle Anreize und die Aussicht auf den Bau von Steinhäusern, eine gesicherte Altersversorgung, Ausbildung der Kinder und die Vererbbarkeit der Grundstücke70 führten schließlich dazu, dass vier Familien und Alexander Clerk, der inzwischen ge- heiratet hatte, an der Goldküste verblieben.71 Ob bei der Entscheidung die Mission nicht zu verlassen auch Pflichtbewusstsein gegenüber dem religiösen Auftrag eine Rolle spielte, lässt sich aus den Missionsquellen nicht belegen. Im Fall von John Hall berichtet sein Sohn Peter in seiner Autobiographie,

68 Die Basler Missionsgesellschaft zahlte ihrem Personal die niedrigsten Einkommen im Vergleich zu anderen Missionen. Vgl. SILL: Encounters (wie Anm. 51), S. 145. 69 Johann Chr. DIETERLE: Dreißig Jahre auf der Goldküste. Bearbeitet von P. Steiner, Basel 1900. 70 Das wurde in einem Zusatzvertrag festgelegt. ABM D-1,2 „Allgemeine Bestimmun- gen für die Westindischen Brüder“, 4.6.1847. 71 James Green kehrte 1850 wegen einer schweren Erkrankung seiner Frau nach Jamai- ka zurück. 1852 lebte er als Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine in Maidstone, siehe Missionsblatt aus der Brüdergemeine, Nr. 6, Juni 1852, S. 103-104. Jonas Hos- ford verließ ebenfalls die Goldküste. Er starb beim Untergang des Schiffes auf der Überfahrt nach Antigua. Auch Edward Walker und seine Frau verließen die Mission nachdem er von der Missionsleitung wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten angeklagt worden war. Zum Fall Walker vgl. FÜLLBERG-STOLBERG: Sauerteig christlichen Le- bens (wie Anm. 27), S. 51f. 56 Katja Füllberg-Stolberg sein Vater und andere hätten, da es 1848 noch keine afrikanischen Konverti- ten in Akropong gegeben hätte, nicht nach Jamaika zurückkehren wollen. Pe- ter Hall schreibt: „If they were to return to Jamaica, what encouraging news would they have for their Christian friends there? For this reason, some of them, among whom was my father, made up their minds to remain in Africa and wait on the Lord for fruits. “72

IV Der Ausbau der Mission in Akropong, 1843 – ca. 1860 Eingedenk aller Kritik an den Westindern begann nach 1848 der zügige Aus- bau der Mission. In dieser Phase, die Noel Smith als „the second attempt“ charakterisiert hat73, wurde die Basis für den langfristigen Erfolg der Basler Mission in Ghana gelegt, an dem die Nachkommen der Westinder einen be- trächtlichen Anteil hatten. Zwischen 1847 und 1862 wurden sechs weitere Missionsstationen errich- tet.74 Besonders stark gefördert wurde der Ausbau der Bildungseinrichtungen. Die Bereitstellung einer Grundschulausbildung war, zumindest in der Theo- rie, verpflichtend für jede Missionsgemeinde.75 Die 1843 errichtete Jungenschule wurde vier Jahre später durch eine Mäd- chenschule ergänzt. Grund hierfür war nicht nur die wachsende Kinderzahl der westindischen Siedler, die in ihrer Muttersprache Englisch unterrichtet wurden, sondern auch das zunehmende Interesse der euroafrikanischen Händlerfamilien und schließlich auch der lokalen Bevölkerung an einem Schulbesuch ihrer Kinder. Dies hing u. a. damit zusammen, dass nach der Übernahme der dänischen Forts an der Küste durch Großbritannien 1851, die Bedeutung von Englisch als Handelssprache zunahm. Die Missionare sahen bei den Kindern und Jugendlichen die größte Chance Konvertiten zu gewinnen. Sie versuchten, die einheimischen Schüler als „Hausknaben“ in ihre Familien aufzunehmen, um sie unter ständiger Be- obachtung zu haben und ihre Erziehung zu beeinflussen. Die ersten Täuflinge

72 : Autobiography of Rev. Peter Hall. First Moderator of the Presbyterian Church of Ghana, Accra 1965. 73 SMITH: History (wie Anm. 43), S. 35-44, vgl. KWAMENA-POH: Government (wie Anm. 26), S. 115. 74 EBD., S.118. 75 Vgl. SILL: Encounters (wie Anm. 51), S. 288f. Afroamerikanische Emigration 57 der Gemeinde Paul, William, Issak, waren alle in Missionars- haushalten aufgewachsen.76 1848 öffnete das Lehrer- und Predigerseminar (Teacher Training Institute) in Akropong. Zu den Absolventen zählten neben den Söhnen der westindischen Siedler auch afrikanische Konvertiten wie z. B. William Oforiba, Theophilus Opoku und David Asante, der als erster Afrikaner von den Baslern ordiniert wurde. 77 Bei diesen frühen Konvertiten handelte es sich oft um die Söhne von lokalen Herrschern, die innerhalb des matrilinearen Erbfolgesystems kei- ne Berücksichtigung fanden.78 In den 1850er Jahren hatte sich die christliche Gemeinde von Akropong etabliert. Eine Allee von Orangenbäumen trennte das christliche Salem79 vom afrikanischen Akropong. Salem war streng hierarchisch strukturiert. Die Stel- lung der Missionare innerhalb der Gemeinde war, so Peter Haenger, mit der- jenigen von ‚Herrschern’ durchaus vergleichbar.80 Die Westinder und die ein- heimischen Katecheten präsentierten die mittlere Ebene der Gemeinde, wäh- rend alle übrigen, die auf Gemeindeland lebten und für die Mission tätig wa- ren, das untere Ende der Rangordnung bildeten.81 Abgesehen von John Hall, der das Amt des Gemeindeältesten in Akropong innehatte, und Alexander Clerk, der zum Diakon ernannt wurde, übernahm keiner der ersten Siedlergeneration ein höheres Amt innerhalb der Mission. Das Verhältnis der wachsenden Missionsgemeinde und der lokalen Gesell- schaft war zwar anfangs von gegenseitigem Misstrauen geprägt, wurde aber

76 Siehe SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 43. 77 Asante war der Sohn von Owusu Akeym, ein Neffe Addo Dankwas, der Riis bei dem Erlernen der Twi Sprache unterstützt hatte. Zu Asante siehe Sonia ABUN-NASR: Af- rikaner und Missionar. Die Lebensgeschichte von David Asante, Basel 2003. 78 Zu den sozialen Gruppen in Akuapem, aus denen die ersten Konvertiten stammten, siehe MIDDLETON: Christianity (wie Anm. 26), S. 4f. 79 Die Separierung war wohl überlegte Missionspolitik, um, wie es hieß, die Christen von der unmoralischen, „heidnischen“ Bevölkerung abzuschotten. Noch heute wird der Teil Akropongs in dem sich das Lehrer- und Prediger Seminar befindet als Salem bezeichnet. 80 Peter HAENGER: Sklaverei und Sklavenemanzipation an der Goldküste. Ein Beitrag zum Verständnis von sozialen Abhängigkeitsbeziehungen in Westafrika, Basel 1997, S. 38. 81 Zur Beschreibung von Akropong vgl. ABUN-NASR: Afrikaner (wie Anm. 77), S. 1-4. 58 Katja Füllberg-Stolberg von dem Herrscher nicht als bedrohlich empfunden.82 Zumal die Investitio- nen der Basler Missionsgesellschaft in die Wirtschaft, z. B. durch die Einrich- tung von Plantagen das Interesse der lokalen Bevölkerung weckten.83

Die heikle „Sclavenfrage“84 Zu Beginn der 1860er Jahre begann innerhalb der Basler Mission die Diskus- sion um die schwierige Frage der Sklaverei. Als ernsthaftes Problem wurde vor Ort die Sklaverei erst im Zusammenhang mit den lokalen Konvertiten wahrgenommen. Die Missionare erörterten die grundsätzliche Frage, ob es afrikanischen Christen gemäß christlicher Ethik erlaubt sein dürfe, Sklaven zu besitzen.85 Konkret handelte sich um Katecheten, die einheimischen Helfer der Missionare im Lehr- und Predigeramt, von denen ein mustergültiger Le- benswandel verlangt wurde.86 Auf der Distriktkonferenz von Akuapem in Akropong im November 1860 wurde vereinbart, dass die Katecheten nach einer Frist von sieben Jahren ihre Sklaven freilassen müssten.87 Das Komitee in Basel und vor allem aber Joseph Josenhans, der seit 1849 als Inspektor die Leitung der Basler Missionsgesell- schaft innehatte, lehnten diesen Entschluss, der die Lösung des Problems in die Zukunft verlegte, kategorisch ab und forderten ein sofortiges radikales Verbot der Sklaverei. Das ging den Missionaren vor Ort deutlich zu weit, bzw. hielten sie eine derartige Verordnung für nicht durchführbar. Dies hätte

82 Vgl. HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S. 38, auch MIDDLETON: Christianity (wie Anm. 26), S. 5 und SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 42. 83 Angeblich flossen pro Jahr 8000 Pfund Sterling in die Missionsarbeit der Basler an der Goldküste, vom dem „ein großer Theil durch alle möglichen Canäle zu unseren Christen, Arbeitern, etc. gelangte.“ Missionar Johannes Müller zitiert in HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S. 92. 84 HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S. 39. Die Auseinandersetzung der Basler Missi- onsgesellschaft mit Sklaverei und Emanzipation an der Goldküste ist ausführlich un- tersucht von HAENGER: Sklaverei und Cornelia VOGELSANGER: Pietismus und afri- kanische Kultur an der Goldküste. Die Einstellung der Basler Mission zur Hausskla- verei, Zürich 1977. 85 ABM, D-1,11, Protokoll der Distriktkonferenz von Akuapem, Akropong, 13.11.1860. Vgl. HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S.40. 86 Zu den Aufgaben der Katecheten siehe VOGELSANGER: Pietismus (wie Anm. 84), S. 148, Anm. 74. 87 EBD., S. 104. Afroamerikanische Emigration 59 die Exkommunizierung eines großen Teils der afrikanischen Konvertiten be- deutet, was wiederum die Existenz der Mission insgesamt gefährdet hätte. Die Mehrheit der Missionare erachtete „die Sklaverei als eine für afrikani- sche Verhältnisse ‚notwendige’ Institution, welche durch die Tatsache gemil- dert wird, dass die primären sozialen Verbände – d. h. die lineages – die Nor- men der Behandlung von Sklaven und Sklavinnen vorgeben.“88 Insbesondere , der 1850 als Missionar an die Goldküste kam, setzte sich detailliert mit der afrikanischen Sklaverei, die auch als Haussklaverei be- zeichnet wurde, auseinander.89 Auffällig ist die Selbstverständlichkeit mit der die Missionare in ihren Be- richten Sklaven und die Existenz von Sklaverei erwähnten, ohne weitere Nachfragen zu stellen. Ein kritischer Punkt war die Sklavenarbeit auf der mis- sionseigenen Plantage in , die Riis 1845 erworben hatte. Als er acht Sklaven als Arbeitskräfte kaufen wollte, die erst nach der Taufe zu Freien er- klärt werden sollten, untersagte das Komitee die Beschäftigung von Sklaven auf der Plantage. Riis befolgte die Anweisung aus Basel offensichtlich nicht, sondern erwarb eine weitere Plantage in Osu, wo er angeblich zahlreiche Sklaven beschäftigte. Hier intervenierten die Missionarskollegen und beschwerten sich über Riis in Basel.90 1845 wurde er seines Postens enthoben und musste die Goldküste verlassen. Den Ausschlag für die Entlassung von Riis gab weniger sein Ein- satz von Sklaven als vielmehr sein brutales Verhalten den Westindern gegen- über, was dem Ansehen der Mission schadete,91 und seine Einmischungen in die Kolonial- wie auch die Lokalpolitik.92 Durch den Druck aus Basel sahen sich die Missionare an der Goldküste immer stärker mit dem Problem konfrontiert, der Bevölkerung Alternativen zum Sklavenbesitz anzubieten. Sie errichteten kleine Handwerksbetriebe und

88 HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S. 21. 89 Zimmermann wird ausführlich zitiert in VOGELSANGER: Pietismus (wie Anm. 84), S. 119-133. 90 ABM, D-1,2 Ghana, 1842-1848, Ernst Sebald v. 16.5.1845. Vgl. auchJon MILLER: Missionary and Institutional Control. Organizational Contradictions in the Basel Mis- sion on the Gold Coast, 1828-1917, London 2003, S. 132-134. 91 Mehrere Missionare berichteten ausführlich nach Basel über Riis Ausfälle gegenüber den Westindern. ABM, Komitee-Protokoll v. 15.10.1845. Vgl. auch MILLER: Missio- nary (wie Anm. 90), S. 132ff. und FÜLLBERG-STOLBERG: Sauerteig christlichen Le- bens (wie Anm. 27), S. 46f. 92 Der dänische Gouverneur Edward Carstensen forderte die Abberufung von Riis. 60 Katja Füllberg-Stolberg forcierten die Ausbildung in praktischen Berufen. Insbesondere trieben sie den Anbau von Kakao voran, der sich zu einem der wichtigsten Wirtschafts- faktoren an der Goldküste entwickeln sollte. Die Bauern erhielten kostenlos Kakaosetzlinge, um die Produktion in Gang zu bringen. „Die Missionare er- mutigten auf ihren Reisen immer wieder die Christen, im Anbau des Kakaos nicht müde zu werden, weil sie so doch eines Tages damit ein Auskommen finden könnten.“93 Das Komitee blieb bei seiner harten Haltung bzgl. der Sklaverei, duldete aber die ambivalente Haltung der Missionare und ließ es auch nicht zum Bruch mit der Goldküstenmission kommen.94 Die Haltung der Westinder gegenüber der Sklaverei stimmte im Wesentli- chen mit der Position der Missionare überein. Nach ihrer Ansicht unterschied sich die afrikanische Haussklaverei, die sie als Bestandteil afrikanischer Kultur betrachteten, positiv von der Plantagensklaverei in Jamaika, deren Brutalität sie großenteils selbst erfahren hatten. Allerdings liegen von ihnen selbst keine Stellungnahmen zur Sklaverei vor. In mehreren Missionsberichten wird er- wähnt, dass einige von ihnen Sklaven beschäftigten wie z. B. John Rochester und Joseph Miller.95 Auch Millers Tochter, Rose Ann, betrieb ihre kleine Kaf- feefarm mit Sklavenarbeit.96

93 VOGELSANGER: Pietismus (wie Anm. 84), S. 137. Vogelsanger zitiert aus dem unver- öffentlichten Manuskript von Pfarrer Karl Rennstich mit dem Arbeitstitel: Der Bei- trag der Basler Mission zur wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Gebiete von den An- fängen bis zum Jahr 1882, o.O., o.J., S. 170. 94 Nicht ausreichend geklärt ist, auf welche Grundlagen sich die Entscheidungen des Komitees bzgl. der Sklaverei stützten. Nach Cornelia Vogelsanger beschränkten sich Informationen des Komitees auf die Berichte der Missionare und die Aufzeichnun- gen des Händlers Brodie Cruickshank. Brodie CRUICKSHANK: Eighteen Years on the Gold Coast of Africa, Including an Account of the Native Tribes, and their Inter- course with Europeans, 2 Bde., London 1853. Angeblich konsultierte Josenhans nicht die Dokumentationen der englischen Regierung oder anderer Missionsgesell- schaften zum Umgang mit der Sklaverei. Das ist ein Punkt, der weitergehender Un- tersuchung bedarf. Siehe VOGELSANGER: Pietismus (wie Anm. 84), S. 134f. 95 Bericht von Georg Mader von 1859, zitiert in HAENGER: Sklaverei (wie Anm. 80), S. 52, Anm. 42. 96 Vgl. SILL: Encounters (wie Anm. 51), S. 144. Afroamerikanische Emigration 61

V Der Einfluss der Westinder auf die Christianisierung der Goldküste Die westindischen Siedler, die an der Goldküste Fuß fassten, engagierten sich vornehmlich in der Landwirtschaft, im Handel und im Schulwesen. Aus den Familien Hall, Clerk, Rochester, Mullings und Miller gingen in der zweiten Generation Lehrer und Katechten der Mission hervor.97 Herausragendes Beispiel war Alexander Worthy Clerk, der als 22-Jähriger an die Goldküste kam.98 Er war als Lehrer und als Katechet tätig und wurde 1872 zum Pfarrer ordiniert. Clerk übernahm eine eigene Gemeinde und fand als einziger der westindischen Pioniere die volle Anerkennung der Mission: „Fürwahr in diesem einen haben sich die auf die Westinder gesetzten Hoff- nungen erfüllt.“99 Insgesamt gesehen blieben aber nur wenige der Westinder im Dienst der Basler Mission, viele fanden neue Betätigungsfelder außerhalb der Mission z. B. als Händler und Geschäftsleute. Diese Entwicklung hing auch mit den Heiratsallianzen der zweiten Generation zusammen. Durch gemeinsame Schulbesuche und die Ausbildung am Lehrer- und Predigerseminar entwickel- ten sich Beziehungen zur afro-europäischen Küstenelite. Alexander Clerk, der als Junggeselle an die Goldküste gekommen war, hei- ratete Pauline Hesse, die aus einer dänisch-afrikanischen Familie von der Küs- te stammte100 und die Schule der Basler Mission in Osu besucht hatte. Pauli- nes Bruder, Rev. Augustus Hesse, setzte die Heiratsbeziehungen zur westindi- schen Gemeinde fort als er Rose Thompson, die Tochter von George Thompson und Catherine Mulgrave ehelichte.101 Die Westinder hatten sehr genaue Vorstellungen von geeigneten Heirats- kandidaten für ihre Töchter. Da die Ehe mit einem Missionar von der Basler Missionsleitung mit allen Mitteln unterbunden wurde und die westindischen

97 SCHLATTER: Basler Mission (wie Anm. 22), S. 42f. 98 Clerk wurde 1821 in Fairfield, Jamaika als Sohn christlicher Eltern mit Namen Powell geboren. Er nahm den Namen des Großvaters seiner englischen Gönnerin an, die ihm die Lehrerausbildung finanzierte. Clerk starb als letzter der westindischen Siedler 1906 an der Goldküste. 99 HUPPENBAUER: Arbeit (wie Anm. 30), S. 16. 100 Die Familie Hesse ging zurück auf die Verbindung eines dänischen Schiffarztes und einer Afrikanerin. 101 Zu den Heiratsallianzen siehe AGYEMANG: Presbyterian Heritage (wie Anm. 66), S. 93–98. Die Lehrerin Regina Hesse, eine Schwester von Pauline, heiratete Hermann Rottmann, den Direktor der Basler Missionshandelsgesellschaft. 62 Katja Füllberg-Stolberg

Familienväter wiederum die Heirat mit einem Afrikaner als nicht standesge- mäß betrachteten, konzentrierten man sich darauf, Ehepartner innerhalb der westindischen Gemeinde oder in den christianisierten afrikanisch- europäischen Familien zu suchen.102 Die Heiraten der westindischen Töchter und Söhne in die euro- afrikanischen Familien stärkten die Kontakte zu den lokalen Händlern und eröffneten der Mission neue Wirtschaftsbeziehungen. Da die Euroafrikaner bis in die 1870er Jahre die Sklaverei offen befürworteten/unterstützten, ließen die Verbindungen der Westinder mit euro-afrikanischen Händlerfamilien kein klares Engagement für Sklavenemanzipation aufkommen, stellt Trevor Getz fest.103 Das westindische Siedlungsprojekt der Basler Mission in Kooperation mit der Herrnhuter Brüdergemeine hat entscheidend zur Christianisierung Gha- nas beigetragen und zählt somit zu den wenigen erfolgreichen Projekten im Sinne der African Mission. Der Erfolg beruhte darauf, dass die Westinder, ins- besondere die Generation der Kinder, über den engen Rahmen der Mission hinaus, Anteil am Leben der vielschichtigen lokalen afrikanischen Gesell- schaft der Goldküste hatten. Allerdings ist von dem Siedlungsprojekt kein di- rekter Impuls für die Abschaffung der Sklaverei an der Goldküste ausgegan- gen. Konkrete Maßnahmen zur Abolition wurden erst durch die britische Ko- lonisation nach 1874 eingeleitet. Alexander Clerks Sohn Nicholas und Peter Hall, Sohn von John Hall, zäh- len zu den Mitbegründern der Presbyterian Church of Ghana, die nach dem Ers- ten Weltkrieg aus der Basler Mission hervorging,104 und bis heute, zumindest

102 Die Ausnahme war Catherine Mulgrave, die in zweiter Ehe Johannes Zimmermann heiratete. Zimmermann setzte sich damit über die Richtlinien der Mission hinweg und durfte nicht in die Heimat zurückkehren. Der Fall ist ausführlich dokumentiert bei MILLER: Missionary (wie Anm. 90), 145-147, KONRAD: Missionsbräute (wie Anm. 51), S. 244-252 und SILL: Encounters (wie Anm. 51), S. 125f. 103 GETZ: Slavery (wie Anm. 2), S. 59f. 104 Die Missionare der Basler Mission, von denen fast alle aus Deutschland stammten, mussten im Zweiten Weltkrieg auf Anweisung der britischen Verwaltung das Land verlassen. Die presbyterianische Scottish Missionary Society, die im Nachbarland To- go aktiv war, übernahm – im Einverständnis mit den Baslern – die Stationen. Aus der Basel Mission wurde 1918 die „Scottish Mission“ und 1926 schließlich die unabhän- gige Presbyterian Church of the Gold Coast, später Ghana. Im Juli 1925 gestattete das britische Kolonialministerium den Missionaren die Rückkehr an die Goldküste. Afroamerikanische Emigration 63 im südlichen Ghana, von beträchtlichem sozialen und politischem Einfluss ist. Zum 175. Jahrestag der Gründung der Presbyterian Church of Ghana 2003 wurde an Clerk und Hall in mehreren Schriften erinnert und ihre Leistung für die Kirche gewürdigt.105

105 Siehe AGYEMANG: Presbyterian Heritage (wie Anm. 66) und Anthony A. BEEKO: The Trail Blazers. Fruits of 175 Years of the Presbyterian Church of Ghana (1828- 2003), Accra 2004. Speziell zu Clerk siehe Hans W. DEBRUNNER: Owura Nico. The Rev. Nicholas Timothy Clerk, 1862-1961, Accra 1965. Peter Hall war der erste Präsi- dent der Presbyterian Church of Ghana. HALL: Autobiography (wie Anm. 72).

Autorinnen und Autoren der ZWG 15.1

Richard Albrecht ist historisch arbeitender Sozialwissenschaftler und Bürger- rechtler E-mail: [email protected]

Manuela Boatcă ist Professorin für Soziologie globaler Ungleichheiten am La- teinamerika-Institut der Freien Universität Berlin E-mail: [email protected]

Sérgio Costa ist Professor für Soziologie Lateinamerikas am Lateinamerika- Institut der Freien Universität Berlin E-mail: [email protected]

Christian Cwik ist Lecturer für Atlantische und Europäische Geschichte am Department of History der University of the , St. Augustine Campus, Trinidad & Tobago E-Mail: [email protected]

Hartmut Elsenhans war Professor für Internationale Beziehungen an der Uni- versität Leipzig E-Mail: [email protected]

Claus Füllberg-Stolberg ist Professor für Neuere und Außereuropäische Ge- schichte am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover E-mail: [email protected]

Katja Füllberg-Stolberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Se- minar der Leibniz Universität Hannover E-mail: [email protected]

Dina Gusejnova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am University College Lon- don E-Mail: [email protected]

Jan Hüsgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover E-mail: [email protected]

204 Autorinnen und Autoren

Hans-Heinrich Nolte ist O. Universitätsprofessor für Osteuropäische Geschich- te an der Universität Hannover i. R. E-mail: [email protected]

Reiner Ruppmann wurde sowohl in der Betriebswirtschaftslehre wie auch in der Geschichtswissenschaft promoviert und war in leitender Position bei ver- schiedenen Unternehmen der Investitions- und Gebrauchsgüterindustrie tä- tig. Er hat zahlreiche Beiträge zur Autobahn- und Straßengeschichte publi- ziert. E-mail: [email protected]

Ulrike Schmieder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover E-mail: [email protected]

Helge Wendt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte E-Mail: [email protected]