Quellen Und Studien Bd. 18 2005
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Quellen und Studien Bd. 18 2005 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden. ALINA ZÔRAWSKA-WITKOWSKA DIE FOLGEN DER HERRSCHAFT AUGUSTS IL FÜR DIE MUSIKKULTUR WARSCHAUS Der Dreihundertste Jahrestag der polnisch-sächsischen Union bietet den polni schen und deutschen Fachhistorikern eine willkommene Gelegenheit, die in der Tradition beider Nationen tief verhaftete, meist negative Einschätzung der Fol gen dieser Union von neuem zu überdenken. Trotz der einschlägigen Studien von Andrzej Zahorski, Jôzef Andrzej Gie- rowski und Jacek Staszewski, die die schwarze Legende von August IL schon seit längerem untergraben, gilt dieser König im allgemeinen Bewußtsein der Po len immer noch als einer der schlechtesten Herrscher auf dem polnischen Thron, als Ursache von allem Übel und Unglück, das auf die Rzeczpospolita nicht nur in der wettinischen Zeit, sondern auch in den nachfolgenden Jahr zehnten und sogar noch 200 Jahre später hereinbrach. Die „sächsische Zeit" - zu der auch die Herrschaft Augusts III. gehörte - geriet in Polen zum Synonym für den Verfall der Staatlichkeit und den Niedergang von Kultur und Moral der von Natur aus tapferen, frommen Sarmaten. Inwiefern August IL und sein Sohn zu dieser Einschätzung beitrugen und in welchem Maße die Polen selbst für den in der Tat wenig erfreulichen Zustand der Rzeczpospolita verantwortlich wa ren, bleibt der Beurteilung der Historiker überlassen (das von unseren Vorfah ren in Memoiren und Tagebüchern gezeichnete Bild ist jedenfalls nicht gerade erbaulich).1 Erstaunlich und bedenkenswert ist für jeden Kulturforscher der gewaltige Hiatus bei der Bewertung der Mäzenatentätigkeit Augusts IL in Deutschland und Polen. Denn während dessen Herrschaft in der sächsischen Historiographie zu höchsten Ehren gelangte und sogar als „Augusteisches Zeitalter" gewürdigt 1 Vgl. JABLONOWSKI, J. S., Dziennik, hg. von W. CHOMETOWSKI, Warszawa 1865; ZAWISZA, K., Pamiçtniki, hg. von J. BARTOSZEWICZ, Warszawa 1862; MATUSZEWICZ, M., Diariusz zy- cia mego, hg. von B. KROLIKOWSKI und Z. ZIELINSKA, 2 Bde., Warszawa 1986; KITOWICZ, J., Pamiçtniki czyli Historia polska, hg. von P. MATUSZEWSKA und Z. LEWINÔWNA, Wars zawa 1971; DERS., Opis obyczajôwza panowania Augusta III, hg. von R. POLLAK, Wroclaw 1970. 222 Alina Zôrawska-Witkowska wurde, gelten die Jahre der wettinischen Regentschaft in der Geschichte Polens als höchst unrühmliche Epoche. Trotzdem kommt man angesichts der Ergebnisse der jüngsten Forschungen über die von August II. geförderte Musikkultur in Warschau, also im Bereich des unmittelbaren königlichen Wirkens, nicht umhin, die Leistungen dieses Herrschers als herausragend einzustufen.2 Gleichwohl ist das fehlende Interesse des Monarchen für professionelle polnische Musik unübersehbar. Dabei stellt sich die Frage, ob diese Tatsache eher aus einer gezielten (und bewußt destrukti ven) Politik resultierte, oder ob sie nicht vielmehr die objektive Folge des unbe friedigenden Allgemeinzustands der Musik im Lande darstellte, die sich da mals - ähnlich wie die Literatur - in einer Stagnationsphase befand. Anzeichen eines bösen Willens des Monarchen sind jedoch nicht erkennbar. Die Ursachen dieses Mangels müssen also in einem breiteren kulturellen Kontext gesucht wer den. Vielmehr gibt es überzeugende Argumente dafür, daß August IL in den ersten Jahren seiner Herrschaft versuchte, das seinerzeit provinzielle Warschau zum kulturellen Hauptzentrum der beiden Unionsstaaten werden zu lassen, was so gar auf Kosten Dresdens ging. Als dieses Vorhaben aus verschiedenen Gründen scheiterte, bemühte sich August IL zumindest darum, daß ihm während seiner Aufenthalte in Warschau nicht bestimmte Standards fehlten, an die er sich in sei ner Heimat gewöhnt hatte und die zum europäischen Spitzenniveau gehörten. Bevor also die Folgen der Herrschaft Augusts IL für die Musikkultur War schaus einer gediegenen Bewertung unterzogen werden können, ist zunächst die von ihm bei Thronübernahme vorgefundene Situation mit dem von ihm hinter- lassenen „Erbe" zu vergleichen. Obwohl das heutige Wissen über Musik und Theaterleben am Hofe von Jan III. Sobieski immer noch außerordentlich gering ist, unterliegt es keinerlei Zweifel, daß dieser „Erzsarmate" die Freuden der Kunst vornehmlich im geschlossenen, privaten Kreis genoß.3 Indem Sobieski bevorzugt auf seinen Familienbesitzungen in Ruthenien und später in Wilanôw 2 Diese Forschungsergebnisse sind ausführlich enthalten in: ZÔRAWSKA-WITKOWSKA, A., Muzyka na dworze Augusta II w Warszawie, Warszawa 1997. Deren wesentliche Punkte stellte die Autorin auf der Konferenz „Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765" in Dres den vom 26. bis 27. Juni 1997 in ihrem Referat „Musik am Hofe Augusts IL in Warschau" vor. 3 Vgl. ROSZKOWSKA, W., Diariusz zycia teatralnego na dworze Jana III. Prôba rekonstrukcji, in: Pamiçtnik Teatralny 18/4 (1969), S. 562-584; TARGOSZ, K., Dwôr krôlowej Marysienki Sobieskiej ogniskiem recepcji teatru francuskiego, in: Barok. Historia - Literatura - Sztuka 2 (1995), S. 43-83. Die Folgen der Herrschaft Augusts II. für die Musikkultur Warschaus 223 weilte, verurteilte er zugleich die Hauptstadt Warschau zu Kulturprovinzialis mus und Prestige ver fall. Als der hervorragende französische Dramatiker Jean-François Regnard 1683 (im Jahr der denkwürdigen Schlacht am Kahlenberg) Warschau besuchte, machte er folgende Beobachtung: Il n'y a rien de remarquable que la statue de Sigismond III. [...] La Ville est très-sale et très petite.4 In Ruthenien - Zloczôw, Jaworôw, Pomoriany, Zôlkiew und Lemberg - und später in Wilanôw (bei Warschau) organisierten Jan Sobieski und seine Gemah lin Maria Kazimiera ein französisches Theater, dessen Stücke vom Hofgesinde und der Beamten- und Dienerschaft aufgeführt wurden. Indessen beschränkte sich der Kreis der Zuschauer auf die Königsfamilie und deren Gäste, wie etwa Diplomaten, Senatoren und höhere Hofbeamte. Diese Aufführungen waren äußerst interessant und zeugten von einer sehr raschen Rezeption der Werke Molières, die wohl nirgendwo in Europa früher einsetzte als in Polen. Dennoch erreichten die Veranstaltungen wie gesagt nur eine sehr kleine Zielgruppe. Erst Ende 1688 tauchte an Sobieskis Hof das erste professionelle Theateren semble auf. Es handelte sich dabei um die italienische Komödientruppe von Giovanni Nannini, die mit Hilfe von Kastraten der königlichen Kapelle sogar Opern aufführte.5 Für den „Massenadressaten", d. h. für die Sejm-Deputierten, veranstaltete Sobieski in Warschau Vorstellungen des jesuitischen und piaristi- schen Schultheaters. Die Reaktionen auf diese Art der Erziehung des Adels zeig ten sich erst unter August IL Auch unter den am Hofe Jans III. wirkenden Komponisten gab es wohl kaum hervorragendere Persönlichkeiten wie Jacek Rôzycki, den Schöpfer von Kir chenmusik, sowie Viviano Agostini, der anläßlich der Hochzeit von Prinz Jakub eine italienische Oper verfaßte. Obwohl natürlich nicht auszuschließen ist, daß weitere Forschungen das heutige Bild der Musikkultur am Hofe Sobieskis durch neue Informationen bereichern werden, ist mit einer grundlegenden Neubewer tung der Errungenschaften Jan III. Sobieskis und seiner geliebten Gemahlin „Marysieftka" wohl nicht mehr zu rechnen. Vom Tode Jan Sobieskis (17.VI. 1696) bis zur Krönung Augusts IL 4 REGNARD, J.-E, Les œuvres, Bd. 1: Contenant ses voyages de Flandres, d'Hollande, de Suéde, de Dannemark, de Laponie, de Pologne et d'Allemagne, Paris 1731, S. 332. 5 Bekannt sind zwei Stücke, die anläßlich der Vermählung der Königskinder entstanden: „Per goder in amor ci vuol costanza", Libretto von Giovanni Battista Lampugnani, Musik von Viviano Agostini, aufgeführt am 29.111.1691 in Warschau anläßlich der Hochzeit von Prinz Jakub; „Amor vuol il giusto", Libretto von Lampugnani, Musik unbekannt, aufgeführt am 19.VIII. 1694 in Warschau anläßlich der Hochzeit der bayerischen Kurfürstin Theresia Ku- nigunde. 224 Alina Zôrawska-Witkowska (15.IX. 1697) verging über ein Jahr. Viele Musikanten und Sänger von Sobieskis Kapelle verstreuten sich sicherlich in ganz Polen, während einige von ihnen - Italiener und Franzosen - in die Heimat zurückkehrten. Der sächsische Kurfürst Friedrich August I. bereitete sich damals gerade auf den Kampf um die polni sche Krone vor. Nach der Auflösung seiner Dresdner Kapelle am 30. April 1697 berief der Wettiner am 23. Juni 1697 ein neues Ensemble, das jedoch allein den lokalen Bedürfnissen der protestantischen Kirche diente.6 Als König und Kurfürst in einer Person gründete August IL eine Königlich Pohlnische Capelle, die Polen und Sachsen in einem Klangkörper vereinte. Die Kapelle setzte sich aus Künstlern unterschiedlicher Provenienz und Nationalität zusammen: Musiker aus Dresden - 19 Deutsche (Instrumentalisten); ehemalige Kapellmusiker unter Jan III. Sobieski - 14 Polen und Italiener (Instrumentali sten und Sänger); ehemalige Mitglieder der Kapelle der Wawel-Kathedrale - zwei Polen (Sänger); früher in Wien tätige Musiker - vier