Leni Alexander Sowohl in Ihrem Mu- Sikalischen Œuvre Als Auch in Rundfunksendungen Und Politischen Veranstaltungen Gegen Unterdrückung Und Verfolgung
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Alexander, Leni re Kompositionen wurden fast alle uraufgeführt, doch blieb ihr Erfolg auf den ohnehin kleinen Kreis von An- hängern Neuer Musik beschränkt. Als Jüdin vor den Na- zis geflohen, als Anhängerin Allendes ein zweites Mal im Exil, engagierte sich Leni Alexander sowohl in ihrem mu- sikalischen Œuvre als auch in Rundfunksendungen und politischen Veranstaltungen gegen Unterdrückung und Verfolgung. Sie forderte vor allem in ihren Hörspielen, die Erinnerung an die Gräuel von Diktaturen wach zu hal- ten und setzte sich für eine menschliche und soziale Ge- sellschaftsordnung ein. Orte und Länder Geboren in Breslau, verbrachte Leni Alexander ihre Kind- heit in Hamburg. 1939 floh die jüdische Familie aus Deut- schland und emigrierte nach Chile. 30 Jahre lang hatte Leni Alexander ihren Lebensschwerpunkt in Santiago de Chile, in den 1950er Jahren führten sie Studienaufenthal- te erstmals wieder nach Europa (Paris, Venedig, Köln). Zu Studien und Projekten reiste sie auch in andere lateinamerikanische Länder und in die USA. 1969 erhielt Leni Alexander ein Guggenheim-Stipendium und zog nach Paris. Nach 17 Jahren in Frankreich kehrte sie 1986 nach Santiago de Chile zurück, verbrachte jedoch regel- Leni Alexander (um 1999) mäßig einige Monate des Jahres in Frankreich und Deut- schland. Leni Alexander Biografie Geburtsname: Helene Alexander Zwei Diktaturen haben die Biografie Leni Alexanders ge- * 8. Juni 1924 in Breslau (heute Wroclow), Deutschland prägt und zu einem Leben in drei verschiedenen Län- (heute Polen) dern geführt: Deutschland, Chile und Frankreich. (Wenn † 7. August 2005 in Santiago de Chile, Chile nicht anders vermerkt, stammen die Informationen aus Briefen, Telefonaten oder mehrstündigen Interviews, die Komponistin, Autorin (Hörspiele, Musiktheaterstücke, ich im März und Juni 1998 mit Leni Alexander geführt Rundfunksendungen), Dozentin für Neue Musik, habe, Bettina Frankenbach). Ihre Kindheit verbrachte Le- Montessori-Pädagogin, Klavierlehrerin ni Alexander, geboren 1924 in Breslau, in Hamburg; mit vierzehn Jahren ging sie mit ihren Eltern ins Exil nach „So war es auch selbstverständlich, daß das Exil, welches Chile - der jüdischen Familie gelang eine späte Ausreise ja das tägliche Leben war, fast immer in meine Komposi- über Holland. tionen integriert war.“ Von klein auf hatte Leni Alexander Klavierunterricht, (Aus einem Brief vom 20.7.1997 an Bettina Franken- den sie in Santiago de Chile unmittelbar fortsetzen konn- bach.) te. Bevor sie sich dem Kompositionsstudium zuwandte, schloss sie 1942 eine Ausbildung zur Montessori-Pädago- Profil gin ab, arbeitete mit geistig behinderten Kindern und Ju- Leni Alexander studierte u.a. bei Olivier Messiaen, René gendlichen und belegte an der Universidad de Chile Kur- Leibowitz und Bruno Maderna. Als Komponistin „Neuer se in Psychologie. 1949-1953 studierte sie Komposition Musik“ wollte sie jedoch keinesfalls auf Grund ihrer Leh- bei Fré Focke und erhielt 1954 ein Stipendium des franzö- rer als serielle Komponistin missverstanden werden. Ih- sischen Staates. Während einiger Monate in Paris und Venedig setzte sie ihre Kompositionsstudien bei führen- – 1 – Alexander, Leni den Vertretern der Neuen Musik fort (u.a. bei Oliver Mes- in Paris und Köln. Am 7. August 2005 verstarb Leni Alex- siaen, René Leibowitz und Bruno Maderna). Die außerge- ander in Santiago de Chile. Sie wurde auf dem jüdischen wöhnliche Situation, als Frau Komposition zu studieren Friedhof beigesetzt. und sich in der von Männern dominierten „Neuen Musik- Mehr zu Biografie Szene“ zu bewegen, war für sie selbstverständlich. In Chile erteilte sie neben ihrer eigenen kompositori- Leni Alexander wurde am 8. Juni 1924 in Breslau gebo- schen Tätigkeit privaten Kompositionsunterricht und ren und war ungefähr drei Jahre alt, als die Eltern mit gab Kurse für zeitgenössische Musik. Neben ihrer berufli- ihr nach Hamburg zogen. (Wenn nicht anders vermerkt, chen Tätigkeit spielte die Familie eine zentrale Rolle in stammen die Informationen aus Briefen, Telefonaten Leni Alexanders Leben: Sie war verheiratet und hatte in oder mehrstündigen Interviews, die ich im März und Ju- Chile eine Tochter und zwei Söhne. ni 1998 mit Leni Alexander geführt habe, Bettina Fran- 1969 erhielt Leni Alexander ein Guggenheim-Stipendi- kenbach). Ihr Vater Max Alexander, geboren 1897 in um und zog nach Paris. Aus ihrem freiwilligen Aufent- Breslau, verstarb 1962 in Buenos Aires, ihre Mutter Ilse halt in Frankreich wurde ein zweites Exil, als 1973 in Chi- Marie Alexander, geb. Pollak, geboren 1894 in Berlin, st- le das Militär putschte und Augusto Pinochet an die arb 1963 in Mannheim. Ihre Mutter war unter dem Macht kam. Mit einer Orchesterkomposition erinnerte Künstlernamen Ilse Pola in Breslau eine angesehene sie an den Jahrestag des Putsches (Partitureintrag: Opernsängerin, bis ihr Mann sie daran hinderte, diesen 11/9/1974) und gedachte des chilenischen Protestsän- in seinen Augen ‚unpassenden’ Beruf weiter auszuüben. gers Viktor Jara, der im Estadio de Chile gefoltert und er- So wechselte sie in Hamburg zum Oratorien- und Kon- mordet wurde. Der Titel der Komposition „...ils se sont zertgesang und begann Gesangsunterricht zu geben. perdus dans l’espace étoilé...“ entstammte seinem letzten Nachdem Juden nicht mehr öffentlich auftreten durften, im Gefängnis geschriebenen Gedicht. sang sie in Veranstaltungen des Jüdischen Kulturbunds. Auch andere Werke weisen durch ihre Titel auf außermu- Leni Alexander wuchs in einem sehr freiheitlichen Klima sikalische Inhalte, tragen autobiografische Züge oder auf und ihre musikalische Begabung wurde von ihrer spiegeln Leni Alexanders frühes Interesse an Pädagogik Mutter früh gefördert. In ihrer Erinnerung war sie als und Psychoanalyse. (In der aleatorischen Komposition Einzelkind häufig allein, las viel und spielte vor allem „Maramoh“ für 6 Instrumente und Sängerin von 1971 früh und begeistert Klavier. weist sie die Interpreten an, einen gruppendynamischen So lange es möglich war, besuchte Leni Alexander eine Prozess zu gestalten, in dem Hörstück „Musik, die Freud private Realschule für Mädchen im Mittelweg 90. An den nicht hörte“ inszenierte sie mit Texten von Sigmund Namen ihrer letzten Schule konnte sie sich nicht mehr er- Freud eine Auseinandersetzung über dessen ambivalen- innern, vermutlich besuchte sie aber bis zu ihrer Auswan- tes Verhältnis zur Musik.) Während der 1970er Jahre in derung die Israelitische Gemeindeschule in der Palmaille Frankreich wurden viele von Leni Alexanders Komposi- 17. Leni Alexanders Familie war ursprünglich nicht reli- tionen uraufgeführt. 1974 wurde sie freie Mitarbeiterin giös – dies änderte sich erst, nachdem ihre Mutter ein bei Radio France. Mit Radiosendungen über die Musik zweites Mal geheiratet hatte. Nach der Scheidung von lateinamerikanischer Länder begründete sie auch für ver- Max Alexander hatte diese 1932 den Hamburger Rechts- schiedene deutsche Rundfunkanstalten eine jahrelange anwalt Dr. Siegfried Urias geheiratet, der Vorsitzender Tätigkeit. der Baukommission des Tempels in der Oberstraße war Ende der 1980er Jahre begann Leni Alexander verstärkt (heute Rolf-Liebermann-Studio des NDR). Er brachte Le- zu schreiben. Sie komponierte sechs Hörspiele, in deren ni Alexander den jüdischen Glauben nahe, und ihre jüdi- Texten sie z. T. politisch Stellung bezog oder ihre gesell- sche Identität spielte mit zunehmendem Alter eine im- schaftskritische Haltung zum Ausdruck brachte. Einige mer bedeutendere Rolle in ihrem Leben. der teils autobiografischen Stücke richten sich gegen Un- Wie alle jüdischen Anwälte verlor auch Siegfried Urias terdrückung und Verfolgung und fordern dazu auf, die im November 1938 seine Zulassung. Als schwer Kriegs- Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur und der versehrtem und ehemaligem Frontkämpfer wurde sei- chilenischen Militärjunta wach zu halten. nem Antrag auf Zulassung zum so genannten Konsulen- 1986 kehrte Leni Alexander endgültig nach Santiago de ten bevorzugt stattgegeben. (Konsulenten waren zur Chile zurück. Bis wenige Jahre vor ihrem Tod komponier- rechtlichen Beratung und Vertretung ausschließlich von te sie und verbrachte regelmäßig einige Monate im Jahr Juden zugelassen.) Die eigene Wohnung in der Gryphius- – 2 – Alexander, Leni straße 3 diente nun als Kanzlei, hier vertrat er bis zu sei- geistiger Behinderung betreute. Ihre begleitenden Psy- ner eigenen Ausreise vor allem die Rechte von polni- chologiestudien an der Universität von Santiago de Chile schen Juden, die nach Polen ausgewiesen worden waren. waren grundlegend für ihre weitere Auseinandersetzung (Am 28. Oktober 1938 waren in ganz Deutschland mit Psychologie und Psychoanalyse, die später auch in ih- 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit verhaftet ren Kompositionen zum Ausdruck kam. worden, in Hamburg waren es knapp 1000. Sie wurden Von 1949 bis 1953 studierte Leni Alexander Komposition auf teils brutale Weise noch am gleichen Tag nach Polen bei Fré Focke. Der holländische Komponist und Pianist deportiert. (Andreas Fritzsche, 1997, S. 76f.). Ihre letzten hatte bei Sam Dresden, Willem Pijper und Anton We- Wochen in Hamburg verbrachte die Familie in einer Pen- bern studiert und sich nach dem Zweiten Weltkrieg in sion in der Hamburger Innenstadt. Es war der Familie Chile niedergelassen. Ihm verdankte sie eine breite Re- noch gelungen, die Möbel und den Steinway-Flügel der pertoirekenntnis, die ihr aufgrund des Faschismus in Mutter für den Schiffstransport verpacken zu lassen, ihr Deutschland und dem Exil in Chile verwehrt gewesen Vermögen dagegen wurde mit der Ausbürgerung